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  Directory : Abende auf dem Gutshof bei Dikanka I. Vorrede
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  • The Project Gutenberg EBook of Sämmtliche Werke 3: Abende auf dem Gutshof
  • bei Dikanka, by Nikolaj Gogol
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  • Title: Sämmtliche Werke 3: Abende auf dem Gutshof bei Dikanka
  • Phantastische Novellen
  • Author: Nikolaj Gogol
  • Commentator: B. Schenrock
  • Editor: Otto Buek
  • Translator: Ludwig Rubiner
  • Frieda Ichak
  • Alexandra Ramm
  • Release Date: July 2, 2017 [EBook #55026]
  • Language: German
  • *** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK SÄMMTLICHE WERKE 3: ABENDE ***
  • Produced by Jens Sadowski and the Online Distributed
  • Proofreading Team at http://www.pgdp.net. This book was
  • produced from images made available by the HathiTrust
  • Digital Library.
  • Nikolaus Gogol
  • Abende auf dem Gutshof bei Dikanka
  • Nikolaus Gogol
  • Sämmtliche Werke
  • In 8 Bänden
  • Herausgegeben
  • von
  • Otto Buek
  • Band 3
  • München und Leipzig
  • bei Georg Müller
  • 1910
  • Nikolaus Gogol
  • Abende auf dem Gutshof bei Dikanka
  • Phantastische Novellen
  • Deutsch
  • von
  • Ludwig Rubiner
  • und
  • Frida Ichak.
  • München und Leipzig
  • bei Georg Müller
  • 1910
  • Inhalt
  • Abende auf dem Gutshof bei Dikanka I 1
  • Vorrede 3
  • Der Jahrmarkt in Sorotschintzy 11
  • Die Johannisnacht 55
  • Mainacht oder die Ertrunkene 83
  • Der verschwundene Brief 133
  • Abende auf dem Gutshof bei Dikanka II 155
  • Vorrede 157
  • Die Nacht vor dem Weihnachtsfest 163
  • Schreckliche Rache 239
  • Iwan Fjodorowitsch Schponjka und seine Tante 311
  • Der verhexte Ort 355
  • Biographische Skizze von B. Schenrock 373
  • Anhang 399
  • Abende auf dem Gutshof bei Dikanka.
  • Erster Teil
  • Erzählungen
  • Herausgegeben von _Rotfuchs Panjko_, Bienenzüchter.
  • Übersetzt von _Ludwig Rubiner_
  • und _Frida Ichak_
  • Vorrede
  • Was ist denn das wieder für ein Ding: Abende auf dem Gutshof bei
  • Dikanka? Was für »Abende« sind denn das? Und die dazu gar noch ein
  • Bienenzüchter in die Welt gesetzt hat! Gott bewahr' uns! Hat man etwa
  • noch zu wenig Gänsefedern gerupft und allzu wenig Lumpen zu Papier
  • verarbeitet! Hat etwa noch zu wenig Pack, haben etwa noch zu wenig Leute
  • von jeglichem Stand ihre Finger mit Tinte bekleckst! Da muß der Teufel
  • nach all dem anderen Volk auch noch einen Bienenzüchter reiten, es den
  • andern nachzumachen! Wahrhaftig! Es gibt doch schon so viel bedrucktes
  • Papier, daß man bald nicht mehr recht weiß, was alles man hineinwickeln
  • soll!
  • All diese Reden hat meine Prophetie schon gehört, schon vor einem Monat
  • gehört! Ich will nämlich sagen, daß es für unsereins, daß es für uns
  • Vorwerksbesitzer genau dasselbe ist, wenn man -- o du grundgütiger
  • Himmel --, die Nase aus seinem Loch in die große Welt steckt, als wenn
  • man in die Gemächer eines feinen Herrn tritt: alle bilden einen Kreis um
  • einen, und der Schabernack geht los; derartiges könnte man sich am Ende
  • noch von besseren Lakaien gefallen lassen, -- aber nein, irgend so ein
  • zerlumpter Junge, irgendein Lümmel, der sich im Hinterhof herumdrückt,
  • auch so einer traut sich heran. Da stampfen sie mit den Füßen und rufen
  • einem von allen Seiten zu: »Wohin willst du? Zu wem? Pack dich du
  • Bauernkerl! Scher dich zum Teufel!« ..... Ich kann euch sagen .... Aber
  • was sollen alle Worte! Mir fällt's wahrhaftig leichter, zweimal im Jahr
  • nach Mirgorod zu reisen, wo mich schon seit fünf Jahren weder der
  • Schreiber vom Landgericht noch seine Hochwürden zu Gesicht bekommen
  • haben, als zu den großen Leuten zu steigen; tu ich's aber mal, dann
  • heißt's, ob's dir nun paßt oder nicht, Rede und Antwort stehen.
  • Nichts für ungut, meine lieben Leser (und ihr nehmt's vielleicht übel,
  • daß ein einfacher Bienenzüchter zu euch redet wie zu seinem Gevatter
  • oder Ehestifter), wir Vorwerksleute haben von jeher solche Bräuche:
  • sowie die Feldarbeiten zu Ende sind, der Bauer übern Winter zur Ruh'
  • hintern Ofen kriecht und unsereins seine Bienen in den dunklen Keller
  • steckt; sowie es keinen Kranich mehr am Himmel und auf dem Baum keine
  • Birne mehr gibt, da kann man, wenn es Abend wird, sicherlich irgendwo am
  • Ende der Dorfstraße ein Licht blinken sehen; von ferne hört man lachen
  • und singen, die Balalaika klimpert, oft auch vernimmt man Geigenklänge,
  • lauten Schwatz und Lärmen .... Das sind die _Unterhaltungen_ unserer
  • _Abende_! Sie ähneln sozusagen euren Bällen, aber doch nicht ganz. Wenn
  • ihr auf einen Ball fahrt, so geschieht's doch nur, um herumzuspringen
  • und in die hohle Hand zu gähnen. Bei uns dagegen, wenn da in einer Stube
  • ein Haufen Mädchen mit Spinnrocken und Spindelkamm zusammenkommt, so ist
  • das durchaus kein Ball. O nein! -- Zuerst sieht's aus, als ob sie
  • ernstlich an die Arbeit gehen wollten. Die Spindeln surren, die Lieder
  • schwirren, und keine wagt es, zur Seite zu blicken. Kaum aber kommen die
  • Burschen mit dem Fiedelmann in die Stube, da beginnt ein Toben und
  • Schreien, es wird getanzt, und solche Streiche geschehen da oft, daß
  • man's gar nicht erzählen kann.
  • Aber am schönsten ist's doch, wenn alle sich zu einem Haufen
  • zusammentun, und man beginnt, Rätsel zu raten, oder ganz einfach -- zu
  • schwatzen. O mein Gott! Was wird da nicht alles erzählt! Was wird da
  • nicht für alter Kram ausgegraben! Was für Gruselzeug wird da nicht
  • herangeschleppt! Aber nirgends ward wohl soviel Wunderliches erzählt wie
  • an den Abenden beim Rotfuchs Panjko, dem Bienenzüchter. Warum mich die
  • Leute den »Rotfuchs Panjko« nennen, das vermag ich, weiß Gott, nicht zu
  • sagen. Auch ist ja mein Haar, sollt' ich wohl glauben, eher grau als
  • rot. Aber das ist bei uns nun eben, mit Verlaub zu sagen, so Sitte:
  • haben die Leute einem mal 'nen Spitznamen gegeben, so behält er ihn in
  • alle Ewigkeit. Oft kamen am Vorabend hoher Feiertage allerlei brave
  • Leute in die Hütte des Bienenzüchters zu Gaste, und wenn die sich erst
  • an den Tisch gesetzt hatten, da gab's dann was zu hören. Das waren nicht
  • etwa Leute aus den einfachen Ständen, nicht etwa Bauern aus einem
  • Vorwerk; manch einem, der mehr als Bienenzüchter ist, würde ihr Besuch
  • Ehre machen. Kennt ihr zum Beispiel Foma Grigorjewitsch, den Küster an
  • der Kirche zu Dikanka? Das ist ein Kopf, sag' ich euch! Was konnte der
  • nicht für Geschichten erzählen! Zwei davon sollt ihr in diesem Büchlein
  • finden. Nie hat der einen Kittel aus Bast getragen, wie ihr ihn bei so
  • vielen Küstern auf dem Lande findet; ja, kamt ihr selbst an Werkeltagen
  • zu ihm, so empfing er euch immer in einer Joppe aus feinem Tuch von
  • einer Farbe wie die von kaltem Kartoffelbrei, für das er in Poltawa fast
  • sechs Rubel die Elle bezahlt hat. Von seinen Stiefeln wird niemand auf
  • dem ganzen Weiler behaupten können, sie hätten nach Teer gerochen; jeder
  • weiß, daß er sie mit dem allerfeinsten Schmalz geschmiert hat, das,
  • glaub' ich, mancher Bauer sich wohl mit Freuden in den Brei getan hätte.
  • Auch wird niemand zu sagen wagen, daß er sich je die Nase mit dem
  • Rockschoß gewischt hat, wie es manche Leute seines Standes zu tun
  • pflegen; nein, er zog ein weißes, säuberlich gefaltetes Tüchlein aus dem
  • Busen, dessen Bänder mit rotem Zwirn bestickt waren, verrichtete sein
  • Bedürfnis, faltete es nach seiner Gewohnheit zwölffach zusammen und barg
  • es wieder im Busen. Und ein anderer Gast .... je nun, das war solch ein
  • feines Herrchen, daß man ihn stracks zum Präsidenten oder Exekutor hätte
  • machen können. Er pflanzte seinen Finger vor der Nase auf, und dann
  • blickte er die Spitze an und erzählte so spitzfindig durch die Blume,
  • akkurat wie es in den gedruckten Büchern steht! Wenn ihn unsereiner
  • manchmal so hörte, da mußte man ja ganz nachdenklich werden. Kein
  • Sterbenswörtchen war zu verstehen. Wo hat der bloß solche Worte
  • hergenommen? Diesbezüglich hat Foma Grigorjewitsch einmal eine
  • treffliche Schnurre erdacht: er erzählte ihm eine Geschichte von einem
  • Schüler, der einst bei einem Küster zur Schule ging; als der wieder zu
  • seinem Vater kam, da war er ein solcher Lateiner geworden, daß er sogar
  • unsere rechtgläubige Sprache vergessen hatte -- alle Worte ließ er auf
  • »us« endigen: statt Schaufel sagte er »Schaufelus«, statt Weib »Weibus«
  • usw. Einmal ging er mit seinem Vater über Feld. Der Lateiner erblickt
  • eine Harke und fragt: »Wie nennt man das bei euch, Vater?« und dabei
  • sperrte er das Maul weit auf und trat der Hacke auf die Zähne. Der Vater
  • hatte kaum antworten können, da flog der Griff der Harke dem Sohne mit
  • einem Schwung gegen die Stirn. »Die verdammte Harke!« schrie der
  • Schuljunge, fuhr sich mit der Hand an den Kopf und sprang eine Elle hoch
  • in die Luft. »Der Satan soll den Mann holen, der das Harkenzeug gemacht
  • hat! Sie tut so weh!« »So, bist du endlich auf den Namen gekommen, mein
  • Täubchen?« -- Dieses Märchen wollte dem verblümten Erzähler nicht
  • besonders gefallen. Ohne ein Wort zu sagen, stand er von seinem Platze
  • auf, stellte sich breitbeinig mitten im Zimmer hin, neigte den Kopf
  • etwas vor, schob die Hand in die Seitentasche seines erbsengrauen
  • Rockes, holte seine runde lackierte Tabakdose hervor, schnippte mit dem
  • Finger über das draufgemalte Gesicht eines ausländischen Generals, nahm
  • eine ziemlich große Prise seines mit Asche und Liebstöckelblättern
  • vermischten Tabaks, führte sie weit ausholend an die Nase und sog im Nu
  • das ganze Häufchen ein, ohne auch nur den Daumen zu streifen, und dabei
  • sprach er keine Silbe. Erst als er in die andere Tasche griff und ein
  • blaukariertes Baumwollentuch hervorholte, da murmelte er etwas vor sich
  • hin, wie: »_Man darf seine Perlen nicht vor die Säue werfen!_« ..... »Da
  • gibt's einen Krach,« dachte ich, als ich sah, wie Foma Grigorjewitschs
  • Finger sich zu einer Ohrfeige zusammenballten; zum Glück hatte meine
  • Alte die gute Idee gehabt, gebackenes Weißbrot mit Butter auf den Tisch
  • zu stellen. So machten sich denn alle daran; auch Foma Grigorjewitschs
  • Hand griff, statt dem andern eine Nase zu drehen, danach, und alle
  • begannen, wie üblich, die tüchtige Hausfrau zu loben. Dann gab's bei uns
  • noch einen, der zu erzählen verstand; aber der (nie zur Nacht sei dran
  • gedacht!) der erzählte so gruselige Geschichten, daß einem die Haare zu
  • Berge standen. Ich habe sie absichtlich nicht hier hereingebracht: die
  • guten Leute könnten gar noch solche Angst vor dem Bienenzüchter
  • bekommen, wie -- Gott bewahre mich -- vor dem Teufel. Lieber will ich,
  • wenn's Gott gefällt, bis Neujahr warten, und gebe dann noch ein Büchlein
  • heraus. Da sollen uns meinetwegen Gestalten aus jener anderen Welt
  • entsetzen, und Mirakel, die sich in alten Zeiten in unserem
  • rechtgläubigen Lande zugetragen haben. Ihr werdet darunter vielleicht
  • auch einige Parabeln vom Bienenzüchter selbst finden, wie er sie seinen
  • Enkeln erzählt hat. Ihr braucht nur die Ohren zu spitzen. Ich hab' nur
  • keine Lust herumzukramen, sonst könnte ich wohl noch zehn solche
  • Büchlein zusammenbringen.
  • Doch halt -- ich habe ja die Hauptsache vergessen: Wenn Ihr, lieben
  • Herren, zu mir fahrt, dann schlagt die gerade Poststraße nach Dikanka
  • ein. Ich hab' mit Fleiß den Ort an die erste Seite gestellt, damit Ihr
  • den Weiler schneller zu erreichen wißt. Doch Ihr habt wohl schon zur
  • Genüge von Dikanka gehört. Wahrlich, dort sind die Häuser stattlicher
  • als die Strohbude eines bescheidenen Bienenzüchters. Ganz zu schweigen
  • vom Garten: dergleichen findet ihr wohl nur noch in eurem Petersburg.
  • Wenn ihr nach Dikanka kommt, so fragt bloß den ersten besten Jungen, der
  • im schmierigen Hemde seine Gänse hütet: »Wo wohnt hier der Bienenzüchter
  • Panjko?« -- »Da hier,« wird er sagen, und zeigt's euch mit dem Finger,
  • und wenn ihr wollt, so bringt er euch sogar bis vors Haus. Doch bitte
  • ich euch, legt nur nicht zu gemächlich die Hände auf den Rücken und
  • springt mir nicht zu unbedacht herum, denn unsere Landstraßen sind nicht
  • so glatt wie die vor euren feinen Häusern. Als Foma Grigorjewitsch vor
  • zwei Jahren aus Dikanka hinausfuhr, geriet er mit seinem Wägelchen
  • mitsamt dem vorgespannten Braunen in den Graben, obwohl er selbst die
  • Zügel führte und sich zu seinen eignen Augen noch manchmal gekaufte
  • aufsetzte.
  • Wenn ihr nun aber doch zu Gaste kommt, so sollt ihr solche Melonen
  • kriegen, wie ihr sie euer Lebtage noch nicht gegessen habt; und besseren
  • Honig, das schwör' ich euch, werdet ihr auf keinem Vorwerk finden:
  • stellt euch vor, wenn man so eine Wabe hereinbringt, da strömt euch ein
  • Geruch durchs ganze Zimmer -- es läßt sich gar nicht ausdenken, was für
  • ein Geruch! Klar wie eine Träne oder wie teures Kristall, das man in den
  • Ohrringen trägt! Und was für Pasteten euch meine Alte vorsetzt! Was für
  • Pasteten! Wenn ihr das wüßtet: Zucker, der reine Zucker! Und die Butter
  • läuft einem beim Essen nur so über die Lippen. Es ist nicht zu glauben,
  • was diese Weiber alles können! Habt ihr schon je Birnenmost mit
  • Schlehdornbeeren gekostet, meine Herren? Oder Bier mit Rosinen und
  • Pflaumen? Oder Gekröse in Milch? O Gott, was es alles für Gerichte in
  • der Welt gibt! Man kann kaum genug bekommen. O, es ist ein Genuß: zum
  • Fingerablecken! Im vergangenen Jahr ..... Aber was schwatz' ich da
  • zusammen ..... kommt nur, kommt recht bald; ihr sollt so bewirtet
  • werden, daß ihr's ganz sicher weit und breit erzählen werdet.
  • _Rotfuchs Panjko_.
  • Bienenzüchter.
  • Der Jahrmarkt in Sorotschintzy
  • I.
  • Trüb wird mir in dieser Hütte,
  • O so führ mich aus dem Haus!
  • Führ mich hin zu Lärm und Braus,
  • Dorthin, wo die Mädel springen
  • Und die Burschen Gläser schwingen!
  • Aus einer alten Legende.
  • Wie köstlich und erquickend ist doch ein Sommertag in Kleinrußland! Wie
  • schmachtend heiß sind jene Stunden, da der Mittag in Stille und Glut
  • erstrahlt, der unermeßliche blaue Ozean wie eine Kuppel der Wollust über
  • der Erde hängt und wie ein Schlafender, ganz versunken in Wonne, seine
  • luftigen Arme um die Schöne schlingt! Keine Wolke steht am Himmel, kein
  • Laut ist im Felde zu hören. Alles liegt da wie tot; nur oben in der
  • Tiefe des Himmels schwirrt eine Lerche, silberne Lieder fliegen die
  • luftigen Stufen herab zur verliebten Erde, und ab und zu hallt der
  • Schrei einer Möve oder der gellende Ruf einer Wachtel durch die Steppe.
  • Träg und allen Denkens bar, wie Lustwandelnde ohne Ziel, stehen bis zu
  • den Wolken ragend die Eichen, und die blendende Glut der Sonnenstrahlen
  • entzündet ganze Haufen von Laub, die malerisch daliegen, während sie
  • andere in nachtschwarze Schatten hüllt, die nur bei starkem Winde wie
  • Gold aufleuchten. Smaragde, Topase und Saphire ätherischer Insekten
  • regnen auf die bunten Farben der Gärten herab, die von steilen
  • Sonnenblumen geschirmt werden. Graue Heuschober und goldene Garben malen
  • ein Kriegslager auf das Feld und wandern weit hinaus über den
  • unermeßlichen Raum. Breite Zweige, die unter der Schwere der Früchte
  • herabsinken, Kirschbäume, Pflaumen, Äpfel, Birnenbäume; der klare Himmel
  • und sein heller Spiegel, der Fluß in grünem, stolz erhöhten Rahmen .....
  • wie voll Wonne und Lust ist doch der kleinrussische Sommer!
  • In solcher Pracht erglänzte einer der heißen Augusttage des Jahres
  • achtzehnhundert ..... achtzehnhundert .... es werden wohl etwa dreißig
  • Jahre her sein, -- da die Straße schon zehn Werst vorm Städtchen
  • Sorotschintzy ganz schwarz von wimmelndem Volke war, das von allen nahen
  • und fernen Vorwerken der Umgebung auf den Jahrmarkt eilte. Seit dem
  • frühen Morgen zog sich eine endlose Reihe Wagen mit Salz und Fisch
  • dahin. Ganze Berge von Töpfen, die in Stroh gewickelt waren, schwankten
  • langsam hin und her und schienen sich höchlich zu langweilen über das
  • Dunkel ihrer Verkerkerung; nur stellenweise guckte eine buntbemalte
  • Schüssel oder ein tönerner Mörser prahlerisch unter dem hoch überm Wagen
  • aufgespannten Schutznetz hervor und lenkte die entzückten Blicke aller
  • Verehrer von Prunk und Luxus auf sich. Viele von den Vorübergehenden
  • blickten neidisch auf den hochgewachsenen Töpfer, den Besitzer dieser
  • Kostbarkeiten, der langsamen Schrittes hinter seiner Ware einherging,
  • und seine tönernen Gecken und Koketten sorgfältig in das ihnen so
  • verhaßte Stroh einwickelte.
  • Ein einsamer Wagen schleppte sich abseits hinter müden Ochsen einher. Er
  • war mit Säcken, Hanf, Flachs und allerhand Häuslichkeit beladen, und
  • hinter ihm trollte sich der Besitzer in reinem Leinwandhemd und
  • schmutzigen Hosen einher. Mit träger Hand wischte er den herabrieselnden
  • Schweiß vom braunen Gesicht und dem langen Schnurrbart, der von jenem
  • unerbittlichen Barbier gepudert war, der ebenso ungerufen, zum schönsten
  • Mädchen wie zum Krüppel kommt und seit Tausenden von Jahren das ganze
  • menschliche Geschlecht wider seinen Willen mit Puder bestreut. An der
  • Seite des Mannes trottete eine an den Wagen gebundene Stute, deren
  • demütiges Äußere ihr hohes Alter bezeugte. Viele Fußgänger, besonders
  • die jungen Burschen, griffen an ihre Mütze, wenn sie den Bauer
  • einholten. Allein es war weder sein Schnurrbart, noch sein stolzer Gang,
  • was sie zu diesem Gruße veranlaßte; man brauchte nur die Augen etwas zu
  • heben, um den Grund dieser Hochachtung wahrzunehmen: Oben auf dem Wagen
  • saß sein hübsches Töchterlein mit rundem Gesichtchen, schwarzen
  • Augenbrauen, die sich wie steil geschwungene Bögen über den hellgrauen
  • Augen abzeichneten, und sorglos lächelnden rosigen Lippchen; sie hatte
  • den Kopf mit roten und blauen Bändern umwunden, die zusammen mit den
  • langen Zöpfen und einem Strauß aus Feldblumen wie eine prächtige Krone
  • auf ihrem entzückenden Köpfchen ruhten. Alles schien sie zu locken;
  • alles war ihr so seltsam neu .... Und die hübschen Äuglein sprangen
  • unablässig von einem Ding zum anderen hinüber. Wie sollten sie auch
  • nicht! War sie doch zum ersten Male auf dem Jahrmarkt! Ein Mädchen von
  • achtzehn Jahren und das erstemal auf dem Jahrmarkt! ..... Aber keiner
  • der Vorbeiziehenden und Vorüberwandernden konnte wissen, wieviel Mühe es
  • sie gekostet hatte, ihren Vater zu erweichen, der es ja von Herzen gern
  • getan hätte, wäre nicht die böse Stiefmutter dagewesen. Die verstand's
  • nämlich, ihn ebenso geschickt zu lenken, wie er seine alte Stute, die er
  • jetzt am Zügel hielt und nach langem Dienste zum Verkauf mit sich
  • führte. Diese ruhelose Ehegattin ..... Aber wir haben ganz vergessen,
  • daß sie ja auch da oben auf dem Wagen dasaß in einer schmucken, grünen
  • Wolljacke, auf die, wie beim Hermelin, kleine Schwänzchen aufgenäht
  • waren; allerdings waren es nur solche von roter Farbe. Das reiche Tuch
  • sah fast so bunt aus wie ein Schachbrett, und das bunte baumwollene
  • Häubchen verlieh ihrem hübschen runden Gesicht eine ganz besondere
  • Würde. Aber ihre Züge hatten etwas so Unangenehmes und Wüstes an sich,
  • daß jeder sich sofort beeilte, seinen erschreckten Blick dem heiteren
  • Gesichtchen der Tochter zuzuwenden.
  • Doch jetzt leuchtete vor den Augen unserer Reisenden bereits der
  • Psjoll-Fluß auf; schon wehte aus der Ferne eine frische Kühle herüber,
  • die nach der ermattenden, zehrenden Hitze um so deutlicher spürbar war.
  • Durch das Dunkel und Hellgrün des Laubs schwarzer und schlanker Pappeln
  • und Birken, die hie und da auf der Wiese verstreut waren, leuchteten
  • feurige in schattige Kühle gehüllte Funken auf, und der Strom entblößte
  • blitzend, wie ein schönes Weib, seine silberne Brust, auf die die
  • dichten grünen Locken der Bäume üppig herabsanken.
  • In jenen köstlichen Stunden, wo der treue und beneidenswerte Spiegel den
  • stolzen und blendenden Glanz von des Flusses Stirn, seine lilienweißen
  • Schultern und seinen Marmorhals, der von einer dunkel vom blonden Haupte
  • fallenden Flut überschattet ist, in sich aufnimmt, wo der Strom
  • verächtlich den einen Schmuck von sich streift, um ihn durch einen
  • anderen zu ersetzen, und seine Launen kein Ende finden wollen, -- in
  • diesen Stunden wechselt er mutwillig, wie er ist, fast jedes Jahr seine
  • Umgebung, wählt sich einen neuen Weg und umgibt sich mit neuen,
  • mannigfaltigen Landschaften. Die langen Reihen der Mühlen hoben die
  • breiten Wellen auf ihre schweren Räder und warfen sie mächtig zurück,
  • zerstäubten sie, ließen sie über die ganze Umgebung herabsprühen und
  • erfüllten ringsherum alles mit Lärm. Um diese Zeit fuhr der Wagen mit
  • den uns schon bekannten Passagieren über die Brücke, und nun streckte
  • sich vor ihnen der Strom in seiner ganzen Pracht und Schönheit hin, wie
  • eine riesige Fläche von Glas. Der Himmel, die grünen und blauen Wälder,
  • die Menschen, die Wagen mit den Töpfen, die Mühlen -- alles schien
  • umgestürzt, zog vorüber und stand auf dem Kopfe, ohne doch in den
  • schönen, blauen Abgrund herabzufallen. Das schöne Mädchen wurde bei der
  • Herrlichkeit der Aussicht ganz nachdenklich und vergaß sogar, an ihren
  • Sonnenblumenkernen zu knabbern, was sie während des ganzen Weges getan
  • hatte, als ihr auf einmal die Worte: »Ei was für ein Mädel!« ans Ohr
  • drangen. Sie schaute sich um und sah auf der Brücke einen Haufen
  • Burschen stehen, deren einer etwas feiner gekleidet war als die anderen;
  • er hatte eine weiße Bluse an und eine graue Lammfellmütze auf dem Kopf,
  • stützte die Hände auf die Hüften und sah sich keck die Vorüberfahrenden
  • an. Die Schöne konnte ihn unmöglich nicht bemerken, ihr Blick streifte
  • sein braungebranntes, doch angenehmes Gesicht und seine feurigen Augen,
  • die sie gleichsam durchbohren wollten, aber sie senkte ihn wieder bei
  • dem Gedanken, das Wort, das sie vernommen hatte, sei von ihm gekommen.
  • »Ein prächtiges Mädel!« fuhr der Bursch in der weißen Bluse fort, ohne
  • seine Augen von ihr abzuwenden. »Ich würde mein ganzes Hab und Gut darum
  • geben, wenn ich sie einmal küssen könnte. Aber da vorne sitzt der
  • Teufel!« Von allen Seiten erhob sich Gelächter, allein der geputzten
  • Gefährtin des langsam voranschreitenden Gemahls war diese Begrüßung doch
  • zu stark: ihre roten Backen wandelten sich in lauter Feuer, und eine
  • Salve ausgesuchter Flüche regnete auf den Kopf des ausgelassenen Jungen
  • herab:
  • »Daß du erstickst, nichtsnutziger Kerl! Ein Topf möge deinem Vater den
  • Schädel einschlagen! Er soll sich auf dem Eise die Beine brechen, der
  • verdammte Antichrist! Möge ihm doch der Teufel in jener Welt den Bart
  • verbrennen!«
  • »Was die nur schimpfen kann,« sagte der Bursche die Frau anstarrend und
  • gleichsam verblüfft durch dies Geknatter unerwarteter Begrüßungen: »Daß
  • der hundertjährigen Hexe bei solchen Worten nicht die Zunge weh tut!«
  • »Hundertjährig! ....« fiel die alte Schöne ein. »Du Heidendreck, geh,
  • wasch dich mal zuerst! So ein unnützer Tunichtgut! Ich habe deine Mutter
  • nie gesehen, aber das weiß ich, daß sie nichts taugt! Auch dein Vater
  • ist ein Nichtsnutz, und deine Muhme ist es auch! ...... Hundertjährig!
  • ..... Der ist ja noch grün hinter den Ohren ...«
  • Hier begann der Wagen von der Brücke herunterzufahren, und man konnte
  • die letzten Worte nicht mehr hören; aber der Bursche wollte offenbar
  • noch nicht Schluß machen: ohne sich lange zu besinnen, packte er einen
  • Haufen Schmutz und warf ihn hinter ihr her. Der Wurf war geschickter,
  • als man erwarten konnte: das ganze neue baumwollene Häubchen wurde mit
  • Dreck bespritzt, und so das Gelächter der ausgelassenen Windbeutel nur
  • noch doppelt angefacht. Die wohlbeleibte Kokette entbrannte vor Zorn;
  • aber der Wagen war schon ziemlich weit davongefahren, und ihre Rache
  • sprang auf die unschuldige Stieftochter und den langsamen Ehemann über,
  • der, schon lange an solche Vorkommnisse gewöhnt, hartnäckig Schweigen
  • bewahrte und die tobenden Reden der erzürnten Gemahlin kaltblütig
  • aufnahm. Trotzdem knarrte und zappelte ihre unermüdliche Zunge so lange
  • im Munde herum, bis sie endlich in der Vorstadt, bei ihrem alten
  • Bekannten und Gevatter, dem Kosaken Zybulja, dem »Zwiebelmann«,
  • anlangten. Die Begegnung mit den Gevattersleuten, die sie lange nicht
  • mehr gesehen hatten, verscheuchte für eine Zeitlang die Erinnerung an
  • diese unangenehme Begebenheit aus ihrem Kopfe. Sie sprachen erst ein
  • wenig über den Jahrmarkt und ruhten sich dann von der langen Reise aus.
  • II.
  • Ach du lieber Herrgott! Was gibt es nicht alles auf
  • diesem Jahrmarkt! Räder, Glas, Teer, Tabak, Riemen,
  • Zwiebel, Ware aus aller Welt ..... Und wenn man
  • selbst dreißig Rubel in der Tasche hätte, man
  • könnte noch lange nicht den ganzen Jahrmarkt
  • aufkaufen.
  • Aus einem kleinrussischen Schwank.
  • Ihr habt wohl schon einmal einen Wasserfall in der Ferne sich
  • herabwälzen hören? Die aufgestörte Gegend ist voller dröhnenden Getöses,
  • und ein Chaos wundersamer und unbestimmter Geräusche braust im Wirbel an
  • euch vorüber. Nicht wahr? Es sind dieselben Empfindungen, die euch
  • plötzlich im Trubel eines ländlichen Jahrmarktes erfassen, wenn das
  • ganze Volk zu einem riesigen Ungeheuer zusammenwächst und sich mit
  • seinem riesigen Leibe über den Platz und durch die engen Straßen
  • schiebt, schreit, johlt und tobt. Lärmen, Schimpfen, Meckern, Blöken,
  • Brüllen -- alles verschmilzt zu einem verwirrenden Mißklang. Stiere,
  • Säcke, Strohbündel, Zigeuner, Geschirr, Weiber, Lebkuchen, Mützen -- all
  • dies Grelle, Bunte, Mißklingende wühlt und wimmelt haufenweise herum und
  • schwirrt einem vor den Augen. Vielstimmige Reden verschlingen einander,
  • und in dieser Sintflut läßt sich kein Wort retten und ist kein Ruf mehr
  • deutlich zu vernehmen. Der Handschlag der Händler beim Kaufe ist noch
  • das einzige, was man auf allen Seiten des Jahrmarktes hört. Wagen
  • krachen, Eisenstangen klirren, Bretter fallen lärmend zur Erde nieder,
  • und der schwindelnde Kopf weiß nicht, wohin er sich wenden soll. Unser
  • zugereister Bauer mit dem schwarzbrauigen Töchterchen drückte sich schon
  • lange unter dem Volk herum: bald trat er an einen Wagen heran, bald
  • befühlte er den anderen und fragte nach den Preisen, unterdessen aber
  • kreisten seine Gedanken unaufhörlich um die zehn Säcke Weizen und die
  • alte Stute, die er zum Verkauf mitgebracht hatte. Aus dem Gesichte
  • seiner Tochter konnte man ersehen, daß es ihr nicht besonders angenehm
  • war, neben dem mit Mehl und Weizen beladenen Wagen herumlungern zu
  • müssen. Sie hätte lieber dahin gewollt, wo unter Leinwandzelten rote
  • Bänder, Ohrringe, Kreuze von Zinn und Messing und Schmuckdukaten kokett
  • aufgehängt waren. Aber auch hier fand sie viel Dinge zu beobachten: es
  • ergötzte sie höchlich, wie ein Zigeuner und ein Bauer einander den
  • Handschlag gaben und dabei selbst vor Schmerz aufschreien mußten; wie
  • ein betrunkener Jude einem Frauenzimmer von hinten Püffe versetzte; wie
  • zankende Händlerinnen einander mit Schlägen und Schimpfworten
  • überschütteten; wie ein Moskowiter sich mit der einen Hand sein
  • Ziegenbärtchen strich und mit der anderen ...... Aber da fühlte sie, wie
  • sie jemand am gestickten Ärmel zupfte. Sie wandte sich um -- und der
  • Bursche im weißen Kittel und mit den hellen Augen stand vor ihr. Sie
  • erbebte, ihr Herz schlug so heftig, wie es noch nie, bei keiner Freude
  • und keinem Schmerz geschlagen hatte: Wunderlich und lieblich zugleich
  • ward ihr zumute, und sie konnte sich selbst nicht erklären, was mit ihr
  • geschah.
  • »Fürchte dich nicht, Herzchen, fürcht' dich nicht!« sprach er halblaut
  • zu ihr und ergriff ihre Hand: »Ich will dir nichts Schlimmes sagen!«
  • »Es mag schon sein, daß du mir nichts Schlimmes sagen willst,« dachte
  • die Schöne bei sich, »aber mir ist so wunderlich zumute ... das ist
  • sicher der Satan! Ich weiß ja selbst, daß sich's nicht schickt ... aber
  • mir fehlt die Kraft, meine Hand fortzuziehen.«
  • Der Bauer drehte sich um und wollte seiner Tochter etwas sagen, aber da
  • hörte er plötzlich aus nächster Nähe das Wort: »Weizen!« fallen. Dieses
  • magische Wort veranlaßte ihn im Nu, sich an zwei laut miteinander
  • sprechende Handelsmänner zu wenden, und seine Aufmerksamkeit konnte nun
  • durch nichts mehr abgelenkt werden. Die Handelsmänner unterhielten sich
  • über den Weizen und sprachen folgendermaßen.
  • III.
  • Schau, was für ein Kerl da steht!
  • So gibt's wenige auf der Welt.
  • Schnaps säuft der wie süßen Meth!
  • Kotljarewski »Äneas«.
  • »Du glaubst also, daß unser Weizen sich schlecht verkaufen wird,
  • Landsmann,« sagte der eine Mann, nach seinem Äußeren zu urteilen ein
  • zugereister Kleinbürger, in geteerten, fettigen und fleckigen
  • Hanfleinwandhosen, offenbar der Bewohner irgendeines winzigen
  • Städtchens, zu dem anderen, der einen blauen, stellenweise etwas
  • geflickten Kittel trug, und dessen Stirn eine riesige Beule schmückte.
  • »Was soll ich da groß von denken: ich will mir 'ne Schlinge um den Hals
  • legen und an diesem Baum hier hin und her baumeln wie die Wurst vor
  • Weihnachten in der Stube, wenn wir auch nur ein Maß verkaufen!«
  • »Was schwatzst du da, Landsmann? Wir sind doch hier die einzigen
  • Weizenleute,« erwiderte der Mann mit den Leinwandhosen.
  • »Ihr könnt reden, was ihr wollt!« dachte der Vater unserer Schönen, der
  • sich kein Wort vom Gespräch der beiden Handelsleute entgehen ließ: »Ich
  • habe meine zehn Säcke im Vorrat!«
  • »Das stimmt ja, aber wenn der Teufel sich ins Spiel mischt, richtet man
  • gerad so viel aus, wie bei einem hungrigen Moskowiter,« sprach der Mann
  • mit der Beule auf der Stirn bedeutungsvoll.
  • »Was für ein _Teufel_?« fragte der Mann mit den Leinwandhosen.
  • »Hast du nicht gehört, was die Leute da reden?« fuhr der mit der Beule
  • auf der Stirne fort und sah ihn mit seinen mürrischen Augen von der
  • Seite an.
  • »Nun?«
  • »Nun? Was >nun<? Der Präsident -- möge er sich doch nach der Rahmspeise
  • die Lippen nicht mehr wischen können! -- Der Präsident hat einen ganz
  • verdammten Ort für den Jahrmarkt ausgesucht, auf dem wird man kein
  • Körnchen los, und wenn man platzt! Siehst du dort am Berge die
  • verfallene Scheune?« (Hier rückte der neugierige Vater unserer Schönen
  • noch näher und wurde ganz Ohr.) »In dieser Scheune treibt der Teufel
  • sein Spiel, und an diesem Ort verläuft kein Jahrmarkt ohne Unglück.
  • Gestern geht da spät abends der Gemeindeschreiber vorbei und plötzlich
  • sieht er -- aus der Luke ein Schweinemaul herausgucken: das grunzte so,
  • daß es ihn ganz kalt überlief. Bald wird uns noch der _rote Kittel_
  • heimsuchen.«
  • »Was für ein _roter Kittel_?«
  • Hier sträubten sich unserem aufmerksamen Zuhörer die Haare. Voller Angst
  • drehte er sich um und sah, wie sein Töchterchen und der Bursche ruhig
  • dastanden, sich umarmt hielten, ein Liebesliedchen sangen und alle
  • Kittel der Welt vergessen hatten. Das zerstreute seine Angst und gab ihm
  • seine frühere Sorglosigkeit wieder.
  • »Hehe! Landsmann! Du verstehst dich aber aufs Küssen! Ich habe es erst
  • drei Tage nach der Hochzeit gelernt, meine selige Chwesjka zu küssen,
  • und auch das nur dank dem Gevatter: der hat's mich als Brautführer
  • gelehrt!«
  • Der Bursche merkte sofort, daß der Vater seiner Liebsten da stand, und
  • begann in Gedanken Pläne zu schmieden, wie er ihn für sich gewinnen
  • könne.
  • »Du bist sicher ein guter Mensch, du kennst mich zwar nicht, aber ich
  • habe dich gleich erkannt!«
  • »Kann schon sein.«
  • »Wenn du willst, kann ich dir deinen Vor- und Zunamen nennen und dir
  • auch alles andere sagen: du heißt Solopi Tscherewik!«
  • »Stimmt!«
  • »Sieh mich mal recht an, erkennst du mich nicht wieder?«
  • »Nein. Nimm's mir nicht übel, ich erkenne dich nicht! Ich habe mein
  • Lebtage so viel Fratzen gesehen, daß nur der Teufel sich auf alle
  • besinnen könnte!«
  • »Schade, daß du dich nicht mehr auf Golupupenkos Sohn besinnst!«
  • »So bist du der Sohn des Achrim?«
  • »Wer denn sonst? Bin ich etwa der kahlköpfige Satan?«
  • Da faßten beide an die Mütze, und es begann ein gegenseitiges
  • Abschmatzen; Golupupenkos Sohn beschloß sofort, ohne viel Zeit zu
  • verlieren, seinen neuen Bekannten zu überfallen.
  • »Sieh mal, Solopi, deine Tochter und ich, wir lieben uns und wollen
  • immer beieinander bleiben!«
  • »Nun, Paraßka,« sagte Tscherewik zu seiner Tochter und lachte,
  • »vielleicht solltet ihr wirklich, wie man so sagt, gemeinsam ..... auf
  • einer Weide grasen! Nun, schlag ein! Trinken wir eins darauf, mein Herr
  • nagelneuer Schwiegersohn!«
  • Und alle drei zogen miteinander zur wohlbekannten Jahrmarktsschenke --
  • in die Bude des Judenweibes -- die mit einer zahlreichen Flotille von
  • Kruken und Flaschen jeder Art und jeden Alters angefüllt war.
  • »Brav, brav -- alle Achtung!« rief Tscherewik lustig, als er sah, wie
  • sein künftiger Schwiegersohn sich ein Glas, das ein Viertelmaß faßte,
  • vollschenkte, es, ohne eine Miene zu verziehen, auf einen Zug
  • hinuntergoß und dann das Glas in Stücke schmiß. »Nun, was sagst du,
  • Paraßka? Was ich dir für einen Bräutigam ausgesucht habe! Schau, schau,
  • der säuft wie ein Held! ...«
  • Und lachend und sich hin und her wiegend, schwankte er mit ihr bis zu
  • seinem Wagen. Unser Bursche strich die Budenreihen ab, vor denen sogar
  • Kaufleute aus Gadjatsch und Mirgorod, jenen beiden so berühmten Städten
  • des Gouvernements Poltawa, standen; er wollte sich eine Holzpfeife mit
  • Messingbeschlag, ein rotgeblümtes Tuch und eine Mütze kaufen; als
  • Hochzeitsgeschenke für den Schwiegervater und die anderen, wie es sich
  • nun einmal gehörte.
  • IV.
  • Hältst dich wohl für einen Mann,
  • Aber rückt ein Weibsbild an,
  • Dann setzt's Senge .......
  • _Kotljarewski._
  • »He, Frauchen, ich habe einen Bräutigam für unsere Tochter gefunden!«
  • »'s ist wohl gerad die rechte Zeit, sich einen Bräutigam zu suchen! Du
  • Dummkopf du, mußt wohl dein Leben lang ein Dummkopf bleiben! Wo hast du
  • gesehen oder wo hast du gehört, daß ein anständiger Mensch jetzt hinter
  • einem Bräutigam herläuft? Hättest du doch lieber daran gedacht, den
  • Weizen loszuwerden. Das wird ein schöner Bräutigam sein! Sicher ist's
  • der zerlumpteste aller Habenichtse!«
  • »Ach was, davon ist keine Rede! Du solltest nur mal sehen, was das für
  • ein Bursche ist! Sein Kittel allein kostet mehr als deine grüne Jacke
  • und die roten Stiefel zusammengenommen. Und wie der großartig Schnaps
  • saufen kann! ..... Der Teufel hole mich mit dir zusammen, wenn ich je
  • gesehen habe, daß ein Bursche ein halbes Maß hinuntergießt, ohne mit der
  • Wimper zu zucken .....«
  • »Ei freilich, also ein Trunkenbold und ein Landstreicher wie du! das
  • würde dir so passen! Ich möcht' darauf wetten, daß es derselbe Lümmel
  • ist, der uns auf der Brücke angerempelt hat. Schade, daß ich ihn bis
  • jetzt noch nicht erwischt habe -- ich hätte ihm schon was gezeigt!«
  • »Und wenn's nun wirklich derselbe wäre, Chiwrja? Warum soll er denn ein
  • Lümmel sein?«
  • »Warum soll er _kein_ Lümmel sein? Ach du hirnloser Schädel! So hör doch
  • -- warum soll er denn kein Lümmel sein! Wo hattest du denn deine
  • kreuzdummen Augen versteckt, als wir an den Mühlen vorbeifuhren? So
  • einem Mann kann man wahrhaftig geradeswegs vor seiner, mit Tabak
  • beschmutzten Nase die eigene Frau beleidigen, und er kümmert sich nicht
  • drum!«
  • »Ich kann nichts Schlimmes dabei sehen: der Junge ist großartig!
  • Höchstens, daß er dir die Fratze mit Mist vollgekleistert hat!«
  • »Aha! Ich sehe schon, du willst mich nicht mehr zu Worte kommen lassen!
  • Das wär' mir noch was Neues! Du hast wohl einen zu viel getrunken, noch
  • bevor du überhaupt etwas verkauft hast!«
  • Unser Tscherewik merkte jetzt selbst, daß er in seiner Rede zu weit
  • gegangen war, und bedeckte schnell den Kopf mit den Händen, da er
  • annehmen mußte, daß die erzürnte Gattin es nicht unterlassen würde, ihre
  • ehelichen Tatzen in sein Haar zu krallen.
  • »Den Teufel auch, da hast du deine Hochzeit!« dachte er bei sich,
  • während er die heftig vordringende Gattin abwehrte. »Ich werde dem
  • lieben Kerl ohne allen Grund eine Absage erteilen müssen. Himmel,
  • Herrgott! Wofür strafst du uns arme Sünder so? Es gibt doch schon soviel
  • Unrat, mußtest du auch noch die Weiber in die Welt setzen.«
  • V.
  • Bäumlein, Bäumlein, bück dich nicht,
  • Weil du noch zu fein bist!
  • Sei nicht bös, Kosakenbursch,
  • Weil du noch zu klein bist!
  • Kleinrussisches Lied.
  • Zerstreut saß der Bursch im weißen Kittel neben seinem Wagen und blickte
  • auf das rings um ihn dumpf rauschende Volk. Die müde Sonne, die Morgen
  • und Mittag ruhig über den Himmel dahingeglüht hatte, verließ nun die
  • Welt, und der erlöschende Tag bemalte sich in berückender Helligkeit mit
  • rotem Gold. Blendend blitzten die Spitzen der weißen Zelte und Buden,
  • von einem kaum merkbaren feurig rosigen Glanz überstrahlt; die Scheiben
  • des zu Haufen aufgestapelten Fensterglases glühten; die grünen Flaschen
  • und die Gläser auf den Tischen der Schankweiber verwandelten sich in
  • Feuer; die Berge von Kürbissen und Melonen schienen aus Gold und dunklem
  • Kupfer gegossen zu sein. Die Gespräche wurden merkbar leiser und
  • dumpfer, und die müden Zungen der Händler, Bauern und Zigeuner regten
  • sich träger und langsamer. Irgendwo glomm ein Feuerchen auf, und ein
  • würziger Dampf von gekochten Klößen verbreitete sich in den immer
  • stiller werdenden Gassen.
  • »Was sinnst du, Grytzko?« rief ein hochgewachsener brauner Zigeuner, und
  • schlug unserem Burschen auf die Schulter. »Also gibst du die Bullen für
  • zwanzig her?«
  • »Du denkst an nichts als an Bullen und wieder Bullen! Ihr Leute wollt
  • nur immer Geschäfte machen und einen ehrlichen Menschen übers Ohr
  • hauen!«
  • »Pfui Teufel! Im Ernst, bei dir rappelt's wohl! Vielleicht gar aus
  • Ärger, daß du dir selbst eine Braut zugelegt hast?«
  • »Nein, so bin ich nicht: ich halte mein Wort. Was ich einmal getan habe,
  • das bleibt ewig bestehn. Aber dieser alte Knaster, der Tscherewik, hat
  • auch nicht für einen halben Heller Gewissen: erst versprochen, dann
  • gebrochen .... Na, ihm kann man keine Schuld geben: der ist ein Klotz
  • und nichts weiter. Das sind alles die Streiche der alten Hexe, die wir
  • Jungen heut auf der Brücke so recht nach Noten ausgeschimpft haben. Ach,
  • wenn ich ein König oder ein großer Herr wäre, ich wär' der erste, der
  • alle die Dummköpfe an den Galgen brächte, die sich von Weibern in die
  • Kandare nehmen lassen ....«
  • »Gibst du uns die Bullen für zwanzig, wenn wir Tscherewik zwingen, dir
  • Paraßka zu geben?«
  • Ganz erstaunt blickte ihn Grytzko an. Die braunen Züge des Zigeuners
  • hatten etwas Boshaftes, Grausames, Niedriges und zugleich Hochmütiges an
  • sich: jeder, der ihn ansah, mußte gestehen, daß in dieser seltsamen
  • Seele große Gefühle brodelten, für die es jedoch nur einen Lohn auf
  • Erden gibt -- den Galgen. Den Mund, der zwischen der Nase und dem
  • spitzen Kinn wie eingefallen erschien, umspielte ewig ein giftiges
  • Lächeln, kleine Augen, die lebhaft wie Feuer waren, und ein ewig
  • wechselndes Aufleuchten von Unternehmungen und Plänen im Gesicht, -- zu
  • alledem schien nur ein ganz besonderes Kostüm zu passen und zwar gerad
  • ein so sonderbares, wie er es trug. Dieser dunkelbraune Kaftan, der sich
  • bei der geringsten Berührung sicherlich in Staub verwandelt hätte; das
  • lang in Strähnen über die Schultern fallende Haar, die Schuhe an den
  • nackten braunen Füßen, -- all das schien mit ihm verwachsen zu sein und
  • seine eigentliche Natur auszumachen.
  • »Nicht nur für zwanzig, ich geb' sie dir für fünfzehn, wenn du Wort
  • hältst!« antwortete der Bursche, ohne seine prüfenden Augen von ihm
  • abzuwenden.
  • »Für fünfzehn? -- Gut! Paß auf und vergiß nicht: für fünfzehn! Hier hast
  • du einen Blauen als Handgeld!«
  • »Und wenn du lügst?«
  • »Wenn ich lüge, ist das Handgeld wieder dein!«
  • »Gut! Also schlag ein!«
  • »Nun gut, 's ist recht!«
  • VI.
  • Welch ein Malheur: da seh ich Roman kommen, der
  • bringt mir gewiß Schlimmes, aber auch Sie, Herr
  • Choma, kriegen was ab!
  • Aus einem kleinrussischen Schwank.
  • »Hier, Afannassi Iwanowitsch! Da ist der Zaun etwas niedriger, steigt
  • nur hinüber und habt keine Angst: mein Tölpel ist mit dem Gevatter zu
  • den Wagen gegangen, um dort zu übernachten, damit die Moskowiter nichts
  • stibitzen!«
  • So ermutigte Tscherewiks gestrenge Herrin freundlich den Popensohn, der
  • sich ängstlich an den Zaun quetschte. Eilig kletterte er hinauf und hing
  • lange und unschlüssig dort oben, wie ein hageres schreckliches Gespenst,
  • mit den Augen abmessend, wo er wohl am besten abspringen könne; endlich
  • plumpste er mit viel Lärm ins Gras.
  • »O jemine! Habt Ihr Euch nicht weh getan? Habt Ihr Euch nicht am Ende,
  • was Gott verhüte, noch gar das Genick gebrochen?« jammerte Chiwrja
  • besorgt.
  • »Pst! es ist nichts passiert, meine Liebe!« sprach der Popensohn
  • schmerzbewegt im Flüsterton, und sprang wieder auf die Füße: »abgesehen
  • von der Blessur durch die Nesseln, dieses schlangengleiche Kraut, wie
  • unser hochseliger weiser Protopope zu sagen pflegte.«
  • »Kommt nur in die Stube, es ist niemand da. Ich habe schon gedacht, was
  • hat bloß mein Afannassi Iwanowitsch? am Ende hat er gar das Reißen oder
  • das Magendrücken, er kommt und kommt nicht! Wie geht es Euch? Ich habe
  • gehört, Euer Herr Vater hat jetzt mancherlei schöne Dinge bekommen!«
  • »Ach, 'ne reine Kleinigkeit, Chawronja Nikiforowna: Väterchen hat
  • während der ganzen Fasten nur etwa fünfzehn Sack Korn, vier Sack Hirse
  • und etwa hundert Laib Brot bekommen; was die Hühner betrifft, so waren's
  • alles in allem höchstens fünfzig Stück; und die Eier waren zum größten
  • Teil faul. Wahrhaftig, gute Gaben sind nur von Euch zu erwarten, meine
  • Liebe!« fuhr der Popensohn fort, indem er sie süß ansah und näher
  • rückte.
  • »Da sind meine Gaben, Afanassi Iwanowitsch!« sprach sie, während sie die
  • Schüsseln auf den Tisch stellte und geziert ihre Jacke zuknöpfte, die
  • wie zufällig aufgegangen war, »da sind Zuckerfrüchte, Weizenklöße,
  • Krapfen und Strizel!«
  • »Ich wette darauf, daß dies hier die flinksten Hände aus Evas Geschlecht
  • hergerichtet haben!« sprach der Popensohn, indem er sich an die Strizel
  • machte und mit der anderen Hand die Krapfen zu sich heranzog. »Aber mein
  • Herz schmachtet nach einer anderen Speise, die süßer ist, als alle
  • Klößchen und Kräpfchen.«
  • »Ich weiß nicht, was für eine Speise Ihr meint,« antwortete die
  • wohlbeleibte Schöne, die so tat, als ob sie nicht verstände.
  • »Natürlich Eure Liebe, meine unvergleichliche Chiwrja!« sagte der
  • Popensohn im Flüsterton, indem er mit der einen Hand einen Krapfen
  • ergriff und die andere um ihre breiten Hüften legte.
  • »Weiß Gott, was Ihr Euch nur alles ausdenkt, Afanassi Iwanowitsch,«
  • sagte Chiwrja, schämig die Augen senkend. »Am Ende wollt Ihr mich gar
  • noch küssen!«
  • »Was das anbetrifft, so will ich Euch sagen,« fuhr der Popensohn fort,
  • »als ich gewissermaßen noch auf dem Seminar war -- ich erinnere mich
  • noch als wär' es heute, da ....«
  • Hier wurde auf dem Hof ein Bellen laut, und jemand klopfte ans Tor.
  • Chiwrja lief eilig hinaus und kam ganz bleich zurück.
  • »Wir sind verloren, Afanassi Iwanowitsch: ein ganzer Haufen Leute klopft
  • ans Tor, und ich glaube, ich habe die Stimme des Gevatters gehört ....«
  • Der Krapfen blieb dem Popensohn im Halse stecken .... Seine Augen
  • quollen heraus, als ob eine Erscheinung aus jener Welt ihm soeben ihre
  • Visite abgestattet hätte.
  • »Kriecht hier herauf!« rief die erschrockene Chiwrja und zeigte auf die
  • Bretter, die dicht unter der Stubendecke über zwei Balken angebracht
  • waren, und auf denen allerlei Hausgerümpel herumlag.
  • Die Gefahr verlieh unserem Helden Mut. Er kam wieder zur Besinnung,
  • sprang auf die Ofenbank und kletterte von dort vorsichtig auf die
  • Bretter; unterdessen lief Chiwrja ganz außer sich ans Tor, denn das
  • Klopfen wiederholte sich mit immer größerer Kraft und Ungeduld.
  • VII.
  • Das ist ja ein Wunder, mein Herr!
  • Aus einem kleinrussischen Schwank.
  • Auf dem Jahrmarkt hatte sich ein sonderbares Ereignis zugetragen: alles
  • war von dem Gerüchte erfüllt, daß irgendwo unter den Waren der _rote
  • Kittel_ aufgetaucht sei. Die Alte, die Brezeln verkaufte, behauptete,
  • den Satan in Gestalt eines Schweines gesehen zu haben, das unaufhörlich
  • unter den Wagen umherschnüffelte, als ob es da irgend etwas suchte. Das
  • Gerücht verbreitete sich schnell an allen Ecken und Enden des nun schon
  • stillen Lagers, und jeder hätte es für ein Verbrechen gehalten, nicht
  • daran zu glauben, obgleich die Brezelverkäuferin, die ihren Stand neben
  • der Bude des Schankweibes aufgeschlagen hatte, den ganzen lieben Tag
  • ohne jeglichen Grund Verbeugungen machte und mit den Füßen ähnliche
  • Linien beschrieb wie ihre leckere Ware. Dazu kamen noch die
  • übertriebenen Gerüchte von dem Mirakel, das der Gemeindeschreiber
  • angeblich nachts in der verfallenen Scheune gesehen hatte, so daß sich
  • alle, als es Nacht wurde, eng aneinander drängten; die Ruh war gestört,
  • und die Angst ließ keinen ein Auge zutun. Die, welche ein Nachtlager in
  • den Häusern haben konnten und nicht sehr wagemutig waren, zogen unter
  • Dach und Fach. Zu diesen letzteren gehörten auch der Gevatter und
  • Tscherewik mit seiner Tochter, die zusammen mit den Gästen, welche
  • ebenfalls ins Haus drängten, das Gepolter verursacht hatten, das unsere
  • Chiwrja so sehr erschreckte. Der Gevatter hatte schon etwas geladen. Das
  • konnte man daraus ersehen, daß er bereits zweimal mit dem Wagen den Hof
  • abgefahren hatte, bevor er sein Haus fand. Die Gäste waren ebenfalls
  • alle schon sehr heiter und traten ganz ohne Umstände vor dem Wirt ins
  • Haus. Die Frau unseres Tscherewik saß wie auf Nadeln, als sie in allen
  • Ecken der Stube umherzuscharren begannen.
  • »Nun, Frau Gevatter,« rief der eintretende Hausherr, »wirst du immer
  • noch vom Fieber geschüttelt?«
  • »Ja, mir ist nicht wohl!« antwortete Chiwrja, unruhig auf die Bretter
  • unter der Decke blickend.
  • »So, Frau, hole uns doch das Fäßchen dort vom Wagen!« sprach der
  • Gevatter zu seiner Frau, die mit ihm gekommen war, »wir wollen eins mit
  • den guten Leuten trinken, die verfluchten Weiber haben einem solche
  • Angst eingejagt, daß es einfach eine Schande ist! Bei Gott, Brüder, wir
  • sind ganz umsonst hierhergekommen!« fuhr er, aus dem Tonkrug schlürfend,
  • fort. »Ich setz' eine neue Mütze zum Pfand, daß die Weiber uns zum
  • besten gehalten haben. Und wenn es auch Satan wäre, -- was ist denn das,
  • der Satan? Spuckt ihm auf den Kopf! Wenn er, beispielsweise jetzt im
  • Augenblick hier vor mir erschiene: ich will ein Hundesohn sein, wenn ich
  • ihm nicht einen Nasenstüber versetze!«
  • »Warum bist du denn auf einmal so bleich geworden?« rief einer der
  • Gäste, der alle anderen einen Kopf hoch überragte und sich stets als
  • Held aufspielte.
  • »Ich? ..... Was fällt dir ein! Du träumst wohl!«
  • Die Gäste lachten. Ein zufriedenes Lächeln glitt über das Gesicht des
  • prahlmutigen Helden.
  • »Warum soll denn der bleich werden!« fiel da ein anderer ein: »seine
  • Backen blühen ja wie Mohn; jetzt sieht Zibulja nicht mehr wie eine
  • Zwiebel aus, sondern wie eine rote Rübe, oder richtiger wie der _rote
  • Kittel_ selbst, der die Leute so erschreckt hat!«
  • Das Fäßchen wurde auf den Tisch gerollt und machte die Gäste noch
  • lustiger. Unser Tscherewik, der schon lange von dem Gedanken an den
  • _roten Kittel_ gequält wurde, und dessen neugieriger Geist keinen
  • Augenblick Ruhe fand, machte sich an den Gevatter heran.
  • »Sag mir doch, Gevatter, sei so gut, ich frage und frage und kann's
  • nicht herausbekommen, was für eine Bewandtnis es mit dem verdammten
  • _Kittel_ hat!«
  • »He, Gevatter! Das sollte man eigentlich nicht zur Nacht erzählen; aber
  • um dir einen Gefallen zu tun und den guten Leuten da (dabei wandte er
  • sich zu den Gästen), die, wie ich merke, die Geschichte genau so wie du
  • kennen lernen wollen -- Meinetwegen, also hört!«
  • Er kratzte sich die Schulter, wischte sich am Rockschoß ab, legte beide
  • Arme auf den Tisch und begann:
  • »Einst wurde -- ob er nun etwas verschuldet hatte oder nicht, das weiß
  • ich bei Gott nicht -- ein Teufel aus der Hölle gejagt .....«
  • »Wieso denn, Gevatter?« unterbrach ihn Tscherewik. »Wie ist das bloß
  • möglich, daß ein Teufel aus der Hölle gejagt wird?«
  • »Was kann man da machen, Gevatter! Man jagt ihn heraus und fertig! --
  • wie ein Bauer seinen Hund aus der Stube jagt. Vielleicht hatte ihn die
  • Lust überkommen, eine gute Tat zu tun: nun, da hat man ihn eben
  • hinausgeworfen. Da ward dem armen Teufel so bang zumute, und er begann
  • sich so nach der Hölle zu sehnen, daß er sich am liebsten aufgehängt
  • hätte. Was war zu machen? Vor Kummer warf er sich aufs Saufen, er
  • nistete sich in der verfallenen Scheune ein, die du dort am Berge
  • gesehen hast, und an der jetzt kein guter Mensch vorübergeht, ohne
  • vorher das Zeichen des heiligen Kreuzes zu machen, und der Teufel wurde
  • zu so einem Säufer, wie man ihn selbst unter den Burschen kaum finden
  • kann: vom frühen Morgen bis zum späten Abend saß er nur immer in der
  • Schenke ......«
  • Hier unterbrach der gestrenge Tscherewik wiederum unseren Erzähler:
  • »Gott, was du da redest, Gevatter! Wie ist denn das möglich, daß jemand
  • den Teufel in die Schenke hineinläßt? Er hat doch, Gott sei gelobt,
  • Krallen an den Tatzen und Hörner auf dem Kopf.«
  • »Das ist's ja eben! er hatte eine Mütze aufgesetzt und Däumlinge
  • angezogen. Wie sollte man ihn da wohl erkennen? Er fing an, ein lustiges
  • Leben zu führen und endlich kam es so weit, daß er alles versoffen
  • hatte, was er bei sich trug. Der Schankwirt gab ihm längere Zeit Kredit,
  • aber endlich hörte er damit auf. Da war der Teufel gezwungen, seinen
  • roten Kittel fast für ein Drittel des Wertes bei dem Juden zu versetzen,
  • der damals auf dem Jahrmarkt zu Sorotschintzy den Schnapsausschank in
  • Besitz hatte. Er versetzte ihn also und sprach: »Gib acht, Jude, genau
  • nach einem Jahre hole ich mir den Kittel wieder, heb ihn wohl auf!« --
  • und weg war er, wie in die Erde gesunken. Der Jude sah sich den Kittel
  • genau an: solches Tuch war in Mirgorod nicht zu bekommen, und die rote
  • Farbe brannte wie Feuer, daß man sich an ihr gar nicht satt sehen
  • konnte. Nun wurde es dem Juden aber zu viel, den Termin abzuwarten. Er
  • kratzte sich die Schläfenlöckchen, und nahm einem zugereisten Pan ganze
  • fünf Dukaten für den Kittel ab! denn den Termin hatte der Jude schon
  • längst vergessen. Einmal, so gegen Abend, kam da ein Mensch angerückt:
  • »Nun Jude, gib mir meinen Kittel!« Der Jude erkannte ihn zuerst nicht,
  • aber dann tat er so, als ob er ihn nie gesehen hätte: »Was für einen
  • Kittel? Ich weiß von keinem Kittel!« Jener ging seiner Wege, aber gegen
  • Abend, als der Jude, der seine Bude schon geschlossen und das Geld in
  • den Kästen gezählt hatte, ein Bettuch umnahm und nach Judenart zu Gott
  • zu beten anfing, -- da hörte er ein Geräusch .... Sieh da -- aus allen
  • Fenstern gucken Schweineschnauzen herein .....«
  • Hier wurde tatsächlich ein undeutlicher Laut hörbar, der dem Grunzen
  • eines Schweines sehr ähnlich war; alle erbleichten ... Der Schweiß trat
  • dem Erzähler auf die Stirn.
  • »Was gibt's!« fragte Tscherewik ganz erschrocken.
  • »Es ist nichts!« .... antwortete der Gevatter, der am ganzen Leibe
  • zitterte.
  • »Ah!« rief einer der Gäste.
  • »Hast du was gesagt?« ......
  • »Nein!«
  • »Wer hat da gegrunzt?«
  • »Ach Gott, warum sind wir nur so erschrocken? Es war ja nichts!«
  • Alle begannen sich scheu umzusehen und die Winkel abzusuchen. Chiwrja
  • war mehr tot als lebendig. »Ach was seid ihr doch für Weiber, was seid
  • ihr für Weiber!« rief sie laut aus: »Ihr wollt Kosaken und Männer sein!
  • Man sollte euch ein Spinnrad in die Hände geben und an den Rocken
  • setzen! Einem von euch ist wohl, mit Verlaub zu sagen, eine Sünde
  • entfahren, oder die Bank hat unter jemandem geknarrt, und ihr springt in
  • die Höhe, als ob ihr halb toll seid!«
  • Das beschämte unsere Helden und gab ihnen neuen Mut. Der Gevatter
  • schlürfte aus dem Krug und erzählte weiter: »Der Jude war fast tot vor
  • Schreck; aber die Schweine krochen auf ihren Beinen, die so lang wie
  • Stelzen waren, in die Fenster, machten ihn im Nu mit dem dreischwänzigen
  • Kantschu wieder lebendig und ließen ihn höher springen, als dieser
  • Balken da oben ist. Der Jude fiel auf die Knie und gestand alles ein.
  • Aber der Kittel war nicht so schnell wieder zu finden. Der Pan war
  • unterwegs von einem Zigeuner bestohlen worden, der den Kittel an eine
  • Händlerin verkauft hatte. Die brachte ihn wieder auf den Jahrmarkt von
  • Sorotschintzy, aber von Stund an wollte niemand etwas bei ihr kaufen.
  • Die Händlerin wunderte sich lange Zeit, aber endlich kam sie der Sache
  • auf den Grund. Sicher hatte der rote Kittel an allem schuld; daher
  • fühlte sie auch immer, wenn sie ihn anzog, daß sie etwas drückte. Ohne
  • lange zu überlegen, warf sie ihn ins Feuer -- aber der Teufelsrock
  • wollte nicht brennen! .... »Ah so, das ist also ein Teufelsgeschenk!«
  • Die Händlerin war so klug, ihn einem Bauern unter den Wagen zu schieben,
  • der Butter zum Verkauf brachte. Der Dummkopf war hocherfreut, aber
  • niemand fragte mehr nach seiner Butter. »O weh, da haben mir böse Hände
  • den Kittel da unter den Wagen gesteckt!« Er ergriff eine Axt und hackte
  • ihn in Stücke; aber sieh da, ein Stück kriecht zum andern, und wieder
  • ist's ein ganzer Kittel! Er bekreuzigte sich, schlug noch mal darauf,
  • streute die Stücke auseinander und machte sich davon. Und seit jener
  • Stunde geht jedes Jahr, pünktlich zur Jahrmarktszeit, der Teufel in
  • Gestalt eines Schweines auf dem Platze um, grunzt und sucht die Stücke
  • seines Kittels zusammen. Jetzt soll ihm nur noch der linke Ärmel fehlen.
  • Die Leute hüten sich seitdem vor jenem Orte, und bald werden es zehn
  • Jahre sein, daß dort kein Jahrmarkt mehr gewesen ist. Da muß nun der
  • Böse den Präsidenten reiten, daß er gerade _hier_ den Jahr......«
  • Die andere Hälfte des Wortes erstarb dem Erzähler auf den Lippen:
  • krachend sprang das Fenster auf; klirrend flogen die Scheiben herum, und
  • eine schreckliche Schweinsfratze erschien in der Öffnung, die Augen
  • rollend, als ob sie fragen wollte: »Was treibt ihr hier, ihr lieben
  • Leute?«
  • VIII.
  • Dem Hunde gleich, dem man den Schwanz geklemmt,
  • So steht dies Jammerbild, wie Kain zitternd,
  • Und aus der Nase tropft Tabak aufs Hemd.
  • Kotljarewski: »Äneas«.
  • Entsetzen packte alle in der Stube. Der Gevatter saß offenen Mundes da
  • und schien zu Stein erstarrt; seine Augen krochen hervor, als ob sie
  • schießen wollten, und die Finger blieben regungslos in der Luft
  • gespreizt. Der lange Kerl, der so mutig getan hatte, sprang in
  • unverkennbarer Angst bis zur Decke und stieß mit dem Kopf gegen den
  • Balken; die Bretter klafften auseinander, und der Popensohn flog Knall
  • und Fall zu Boden.
  • »Au! au! au!« schrie der eine verzweifelt, fiel entsetzt auf eine Bank
  • und zappelte mit Armen und Beinen.
  • »Hilfe!« brüllte ein anderer und zog sich schnell seinen Pelz über die
  • Augen.
  • Der Gevatter, den dieser zweite Schreck aus seiner Erstarrung geweckt
  • hatte, kroch, an allen Gliedern zitternd, seiner Ehefrau unter den Rock.
  • Der lange Maulheld kroch, trotz der kleinen Öffnung, in den Ofen und
  • schlug selbst die Klappe zu. Tscherewik stülpte sich, wie von brühheißem
  • Wasser begossen, statt der Mütze einen Topf über den Kopf, stürzte zur
  • Tür hinaus und rannte besinnungslos, ohne auf den Weg zu achten, wie ein
  • Wahnsinniger durch die Straßen; erst die Ermüdung zwang ihn, seinen
  • schnellen Lauf zu hemmen. Sein Herz ratterte wie eine Mühlenstampfe, und
  • die Schweißtropfen rollten an ihm herunter wie die Hagelkörner. Ganz
  • erschöpft wäre er fast zu Boden gesunken, als er auf einmal hörte, wie
  • jemand hinter ihm herjagte .... Sein Atem stockte ....
  • »Der Teufel! der Teufel!« schrie er ganz außer sich, seine Kräfte
  • verdreifachend, und einen Augenblick später stürzte er besinnungslos zu
  • Boden.
  • »Der Teufel! der Teufel!« schrie es hinter ihm her: er hörte nur noch,
  • wie etwas lärmend auf ihn herabstürzte; aber da verließ ihn die
  • Besinnung, und er blieb wie der grausige Bewohner eines engen Sarges
  • stumm und reglos mitten auf dem Wege liegen.
  • IX.
  • Vorne geht die Sache noch halbwegs,
  • Aber hinten ist's der ganze Teufel!
  • Aus einem Volksmärchen.
  • »Hörst du, Wlas!« sprach einer von den Leuten, die im Freien geschlafen
  • hatten, nachts aus dem Schlafe auffahrend. »Jemand in der Nähe hat hier
  • >Teufel< geschrien.«
  • »Was geht mich das an?« brummte der neben ihm liegende Zigeuner, sich
  • räkelnd. »Mag er doch nach der ganzen Sippe schreien!«
  • »Aber er hat doch so geschrien, als ob man ihn abwürgte!«
  • »Was schreit ein Mensch nicht alles im Schlaf!«
  • »Na, wie du meinst. Ich geh' nachsehen. Mach mal Feuer!«
  • Der andere Zigeuner stand brummend auf, ließ ein paar Funken wie Blitze
  • vor sich aufstieben, blies den Zunder mit dem Munde an und ging mit
  • seinem Lämpchen in der Hand -- einer der üblichen kleinrussischen
  • Lampen, die aus einem zerbrochenen Scherben, der mit Hammelfett gefüllt
  • ist, bestehen -- die Straße hinunter.
  • »Halt, hier liegt jemand! Komm her und leuchte mir!«
  • Noch einige Menschen schlossen sich ihm an.
  • »Was liegt da, Wlas?«
  • »Es sieht ganz nach zwei Menschen aus: der eine liegt oben, der andere
  • unten; wer von ihnen der Teufel ist, weiß ich nicht!«
  • »Wer liegt oben?«
  • »Ein Frauenzimmer!«
  • »Dann ist _das_ der Teufel!«
  • Ein allgemeines Gelächter weckte fast die ganze Straße.
  • »Ein Frauenzimmer ist auf einen Kerl raufgekrochen, na, die versteht das
  • Kutschieren!« sprach einer aus der herumstehenden Menge.
  • »Seht doch bloß, Brüder!« sprach ein anderer und hob einen Scherben des
  • Topfes auf, von dem nur noch die eine Hälfte auf dem Kopfe Tscherewiks
  • ganz geblieben war. »Was der gute Mann sich für eine Mütze aufgesetzt
  • hat!«
  • Der Lärm und das Gelächter, die immer mehr anschwollen, riefen unsere
  • beiden Toten wieder ins Leben zurück, Tscherewik und seine Frau, die
  • voll Entsetzen über den überstandenen Schreck, mit starrem Blick in die
  • braunen Gesichter der Zigeuner schauten. Beim unsicheren Flackern des
  • Lichts erschienen sie wie ein Haufen Gnomen, umhüllt von einem
  • unterirdisch schweren Qualm in der Finsternis einer tiefen Nacht.
  • X.
  • Packe dich, Satansbrut!
  • Aus einem kleinrussischen Schwank.
  • Die Frische des Morgens wehte über der erwachten Stadt. Aus allen
  • Schloten stiegen Rauchsäulen der Sonne entgegen. Auf dem Jahrmarkt wurde
  • es wieder lebendig. Schafe blökten, Pferde wieherten, das Schnattern der
  • Gänse und der Händlerinnen erfüllte wieder das ganze Lager -- und die
  • schrecklichen Gerüchte vom _roten Kittel_, die in der geheimnisvollen
  • Stimmung der Dämmerstunde die Menschen in eine solche Angst versetzt
  • hatten, waren mit dem Heraufkommen des Morgens verschwunden.
  • Gähnend und sich räkelnd schlummerte Tscherewik in der strohgedeckten
  • Scheune seines Gevatters unter Ochsen, Mehlsäcken und Weizen weiter und
  • schien gar keine Lust zu haben, sich von seinen Träumen zu trennen, als
  • er auf einmal eine Stimme vernahm, die ihm ebenso vertraut vorkam, wie
  • der gesegnete Ofen seiner Stube oder die Kneipe einer entfernten
  • Verwandten, die keine zehn Schritt von der Schwelle seines Hauses
  • entfernt war, diese Zufluchtsstätten seiner großen Faulheit.
  • »Steh auf! Steh auf!« knurrte die zärtliche Gattin, die ihn aus aller
  • Kraft am Arm zerrte, über seinem Ohre.
  • Statt jeder Antwort blies Tscherewik die Backen auf und begann mit den
  • Armen zu fuchteln wie ein Trommelschläger.
  • »Du verrückter Kerl!« schrie sie und prallte vor dem Schwung seiner
  • Hand, die ihr beinahe ins Gesicht gefahren wäre, zurück.
  • Tscherewik erhob sich, rieb sich die Augen und sah sich um.
  • »Hol' mich der Henker! Aber deine Fratze kam mir wie eine Trommel vor,
  • auf der ich den Zapfenstreich schlagen mußte, mein Täubchen. Akkurat wie
  • die Moskowiter! diese Schweinsfratzen, von denen der Gevatter sagt ....«
  • »Laß das Tratschen! Geh, führ die Stute auf den Markt. Es ist einfach
  • zum Lachen. Wir sind auf den Jahrmarkt gekommen, und bisher ist noch
  • keine Handvoll Hanf verkauft ....«
  • »Ja, Frauchen,« sagte Tscherewik, »jetzt wird man schön über uns
  • lachen!«
  • »Geh, geh! Man lacht ohnehin über dich!«
  • »Du siehst ja, ich habe mich noch nicht gewaschen!« fuhr Tscherewik
  • gähnend und sich den Rücken kratzend fort, um Zeit für seine Faulheit zu
  • gewinnen.
  • »Du hast dir ja eine recht passende Zeit für deine Reinlichkeit gewählt!
  • Wann war sowas bei dir Sitte? Da ist ein Handtuch für dich, wisch dir
  • deine Fresse ab.«
  • Sie ergriff etwas, das zu einem Knäuel geballt dalag, und -- schleuderte
  • es entsetzt von sich: es war der Ärmelaufschlag eines _roten Kittels_.
  • »Geh schon, geh an deine Sachen!« wiederholte sie, bereits wieder
  • ermutigt, als sie sah, daß ihm vor Angst die Beine gelähmt waren und die
  • Zähne klapperten.
  • »Das wird ja jetzt ein schönes Geschäft werden!« brummte er bei sich,
  • während er die Stute losband und sie auf den Platz führte. »Nicht ohne
  • Grund also lag mir's, als ich zu diesem verfluchten Jahrmarkt fuhr, so
  • schwer auf der Seele, als hatte mir jemand eine krepierte Kuh
  • aufgeladen; und die Ochsen sind ja auch zweimal von selbst mitten auf
  • dem Wege umgekehrt. Und da fällt mir ein, wir sind ja auch am Montag
  • abgereist. Da haben wir die Bescherung! .... Ein schöner Störenfried ist
  • mir dieser verdammte Teufel: Kann er nicht seinen Kittel ohne den einen
  • Ärmel tragen! Aber nein, er gönnt den Leuten ihre liebe Ruhe nicht. Wenn
  • ich beispielsweise, was Gott bewahre, der Teufel wäre, -- hätte ich mich
  • da um solch einen verfluchten Fetzen herumgetrollt?«
  • Hier wurde unser Tscherewik durch eine fette und schrille Stimme in
  • seinem Philosophieren unterbrochen. Vor ihm stand ein großer Zigeuner.
  • »Was hast du zu verkaufen, guter Mann?«
  • Der Händler blieb eine Weile stumm, sah ihn vom Kopf bis zu den Füßen an
  • und sagte dann mit ruhiger Miene, ohne stehen zu bleiben oder die Zügel
  • aus der Hand zu lassen: »Du siehst ja selbst, was ich zu verkaufen
  • habe!«
  • »Riemen?« fragte der Zigeuner und blickte auf die Zügel in Tscherewiks
  • Hand.
  • »Jawohl, Riemen -- wenn eine Stute 'nem Riemen ähnelt!«
  • »Potztausend, Landsmann! Du hast sie wohl mit Stroh gefüttert!«
  • »Mit Stroh?«
  • Tscherewik wollte eben die Zügel anziehen, um seine Stute vorzuführen,
  • und den schamlosen Beleidiger Lügen zu strafen; aber seine Hand fuhr ihm
  • mit ungewöhnlicher Leichtigkeit ans Kinn. Was sah er! -- Die Zügel waren
  • durchgeschnitten, und daran gebunden sah man -- oh Entsetzen! Seine
  • Haare standen ihm zu Berge! -- den Ärmelfetzen eines _roten Kittels_!
  • .... Ausspuckend, sich bekreuzigend, und mit den Armen fuchtelnd floh er
  • von dannen vor diesem unerwarteten Geschenk, und verschwand flinker als
  • irgendein junger Bursch in der Menge.
  • XI.
  • Wes das Korn, des die Prügel.
  • Sprichwort.
  • »Haltet ihn! Haltet ihn!« so schrien einige Burschen am schmalen Ende
  • der Straße, und Tscherewik fühlte, wie er plötzlich von festen Händen
  • gepackt wurde.
  • »Bindet den Kerl! 's ist derselbe, der dem guten Mann die Stute
  • gestohlen hat!«
  • »Gott mit euch, warum wollt ihr mich denn binden?«
  • »Er fragt noch! Und warum hast du dem fremden Bauern, dem Tscherewik,
  • seine Stute gestohlen?«
  • »Seid ihr bei Sinnen, Leute? Wo hat man denn je gesehen, daß einer sich
  • selbst etwas stiehlt?«
  • »Alte Possen, alte Possen! Warum bist du denn so atemlos davongelaufen,
  • als wenn der Satan selbst dir auf den Fersen wäre?«
  • »Soll man denn nicht laufen, wenn einem der Teufelsrock .....«
  • »He, Bester, das lüg' du anderen vor. Du wirst noch was Schönes vom
  • Präsidenten erleben, weil du die Leute mit Teufelsgeschichten
  • erschreckst!«
  • »Haltet ihn, haltet ihn!« ertönte da ein Ruf am anderen Ende der Straße,
  • »da ist der Ausreißer!«
  • Und vor unserem Tscherewik erschien der Gevatter im allerjämmerlichsten
  • Aufzuge, er hielt die Arme auf dem Rücken und wurde von einigen Burschen
  • vorwärts gestoßen.
  • »Wunder über Wunder,« rief einer von ihnen.
  • »Ihr solltet nur hören, was dieser Halunke erzählt. Man braucht ihm doch
  • nur ins Gesicht zu schauen, und man sieht ihm den Dieb an! Als man ihn
  • fragte, warum er so wahnsinnig davonrannte, da sagte er: >Ich steckte
  • die Hand in die Tasche, um eine Prise zu nehmen, aber statt der
  • Tabaksdose zog ich ein Stück von dem teuflischen _Kittel_ heraus, und
  • eine rote Flamme sprang auf.< -- Darum sei er davongerannt!«
  • »He he! Es sind also beides Vögel aus demselben Nest! Bindet sie alle
  • beide!«
  • XII.
  • »Was hab' ich denn getan, ihr lieben Leute?
  • Was glotzt ihr mich so an?« sprach unser Bursche,
  • »Was spottet ihr und höhnt ihr denn mich Armen?
  • Warum, warum?« so ruft er aus und flennt,
  • Daß ihm die Träne auf der Backe brennt.
  • Artemowski-Gulak: »Der Herr und der Hund«.
  • »Gevatter, vielleicht hast du in der Tat etwas stibitzt?« fragte
  • Tscherewik, der zusammen mit seinem Gevatter gebunden in einer
  • Strohhütte lag.
  • »Also auch du, Gevatter! Hände und Füße sollen mir verdorren, wenn ich
  • je etwas gestohlen habe, höchstens Krapfen mit Rahm bei meiner Mutter,
  • aber auch das nur, als ich erst zehn Jahr alt war.«
  • »Wofür werden wir denn so gestraft, Gevatter? Bei dir ist's ja noch
  • nicht schlimm: du wirst doch wenigstens nur beschuldigt, einen anderen
  • bestohlen zu haben; aber mich Unglücksmenschen verleumdet der Satan: ich
  • soll mir selbst 'ne Stute gestohlen haben. Es ist uns wohl nicht
  • beschieden, auch mal ein bißchen Glück zu haben, Gevatter!«
  • »O weh uns armen Waisen!«
  • Und die beiden Gevatter fingen heftig an zu schluchzen.
  • »Was hast du, Tscherewik?« fragte da Grytzko, der in diesem Augenblicke
  • eintrat. »Wer hat dich gebunden?«
  • »Ach, Golupupenko, Golupupenko!« schrie Tscherewik freudig. »Gevatter,
  • das ist der, von dem ich dir erzählt habe. O, das ist ein tüchtiger
  • Kerl! Gott soll mich hier auf der Stelle töten, wenn er nicht einen Krug
  • ausgelutscht hat, so groß wie dein Kopf; und dabei verzog er keine
  • Miene!«
  • »Nun, Gevatter, und warum hast du einen solchen Prachtkerl abgewiesen?«
  • »Sieh,« fuhr Tscherewik zu Grytzko gewandt fort: »Gott straft mich wohl,
  • weil ich mich gegen dich versündigt habe. Vergib mir, lieber Junge! Bei
  • Gott, ich hätte ja alles für dich getan .... Aber was soll man da
  • machen! Der Satan sitzt in meiner Alten!«
  • »Ich trage nie jemandem Böses nach! Wenn du willst, so befreie ich
  • dich!«
  • Er winkte den Burschen, und dieselben jungen Leute, die Tscherewik
  • bewacht hatten, eilten herbei, ihn zu entfesseln.
  • »Nun aber wird Hochzeit gemacht, wie's sich gehört! Und wir wollen
  • tanzen, daß uns vom Hopsen die Beine ein ganzes Jahr lang weh tun!«
  • »_Recht so!_« rief Tscherewik und klatschte in die Hände. »Nun bin ich
  • wieder so vergnügt, als ob meine Alte von den Moskowitern geholt worden
  • wäre! Was ist da viel zu bedenken! Ob's nun recht ist oder nicht --
  • heute ist Hochzeit und damit Schluß!«
  • »Nur sieh zu, Tscherewik, in einer Stunde komm' ich zu dir, und jetzt
  • geh nach Hause, dort warten Käufer auf dich, die deine Stute und den
  • Weizen haben wollen.«
  • »Wie? Hat sich die Stute gefunden?«
  • »Ja, sie hat sich gefunden!«
  • Tscherewik blickte dem Grytzko starr vor Freude nach.
  • »Na, Grytzko, haben wir unsere Sache gut gemacht?« fragte der lange
  • Zigeuner den vorübereilenden Burschen. »Jetzt kriege ich doch die
  • Bullen?«
  • »Ja, ja, du sollst sie haben!«
  • XIII.
  • Fürcht dich nicht, lieb Mütterchen,
  • Zieh die roten Schühchen an.
  • Tritt mit Füßen
  • Deine Feinde.
  • Wenn die Schuh'
  • Von Eisen klirren,
  • werden alle Feinde schweigen.
  • Hochzeitslied.
  • Das liebliche Kinn auf die Hand gestützt saß Paraßka sinnend allein im
  • Zimmer. Mancherlei Träume umschwirrten ihr blondes Köpfchen. Manchmal
  • berührte plötzlich ein leichtes Lächeln ihre rosigen Lippen, und ein
  • freudiges Gefühl ließ sie die dunklen Brauen emporheben, bald aber
  • senkte sich wieder ein Sinnen wie eine Wolke auf ihre grauen klaren
  • Augen.
  • »Wie wenn es nun doch nicht so käme, wie er gesagt hat!« flüsterte sie
  • mit einem Ausdruck des Zweifels. »Wenn er mich nun aber doch nicht
  • bekommt? Wenn .... Nein, nein! Das kann nicht sein! Die Stiefmutter tut
  • alles, was sie will! Kann ich nicht auch tun, was _ich_ will? Mein Trotz
  • ist groß genug! Wie schön ist er doch! Wie wunderbar glühen seine
  • schwarzen Augen! Wie lieb kann er sagen: >_Paraßja, mein Täubchen!_< --
  • Wie gut steht ihm der weiße Kittel! Wenn er noch dazu einen hellen
  • Gürtel .... Ja ich will ihm einen machen, wenn wir zusammen in die neue
  • Wohnung ziehen. O wie ich mich darauf freue!« fuhr sie fort, indem sie
  • ein kleines, mit rotem Papier beklebtes Spiegelchen aus dem Busen zog,
  • das sie auf dem Jahrmarkt gekauft hatte, und in das sie mit geheimem
  • Vergnügen hineinschaute. »Wenn ich ihr später begegne, so grüße ich sie
  • nicht, und wenn sie platzt! Nein, Stiefmütterchen, du hast deine
  • Stieftochter genug geprügelt! Eher wächst Sand auf Steinen, und neigt
  • sich die Eiche wie eine Weide zum Wasser herab, als daß ich mich vor
  • _dir_ neige! Aber ich habe ja ganz vergessen .... ich will doch das
  • Häubchen umbinden; ob es mir wohl gut steht; wenn's auch der Stiefmutter
  • gehört.«
  • Sie stand auf, den Spiegel in der Hand und den Kopf über ihn geneigt,
  • und ging behutsam durch die Stube, als fürchtete sie sich hinzufallen;
  • denn statt des Fußbodens sah sie die Decke mit den Brettern, von denen
  • neulich der Popensohn heruntergefallen war, und die Wandborde mit den
  • Töpfen drauf vor sich.
  • »Ich bin doch wirklich wie ein Kind!« rief sie lachend aus, »ich hab
  • Angst, einen Fuß vor den andern zu setzen!«
  • Und sie begann laut mit den Füßen aufzustampfen, immer mutiger und
  • mutiger. Endlich sank ihre linke Hand herab und stemmte sich auf die
  • Hüfte, und sie tanzte, mit den Sporen der Stiefelchen klirrend, drauf
  • los, hielt sich den Spiegel vor und sang ihr Lieblingsliedchen:
  • Grüne Gräser, grüne Auen,
  • Wachset nicht zu sehr!
  • Liebster mit den schwarzen Brauen,
  • Schmieg dich zu mir her!
  • Grüne Gräser, grüne Auen,
  • Wachset nimmermehr!
  • Liebster mit den schwarzen Brauen,
  • Schmieg dich näher her!
  • In diesem Augenblicke blickte Tscherewik durch die Türöffnung, und als
  • er seine Tochter vor dem Spiegel tanzen sah, blieb er stehen. Lange sah
  • er ihr zu, über die seltsame Laune des Mädchens lachend, das ganz in
  • Gedanken versunken, nichts um sich herum zu bemerken schien; als er aber
  • die bekannten Laute des Liedes hörte, da wurde es ihm heiß ums Herz;
  • stolz die Hände auf die Hüften gestemmt, sprang er vor und begann so zu
  • hopsen, daß er all seine andern Geschäfte vergaß. Das laute Lachen des
  • Gevatters ließ beide auffahren.
  • »Großartig! Vater und Tochter feiern hier selber Hochzeit! Kommt! kommt!
  • der Bräutigam ist da!«
  • Bei den letzten Worten glühte Paraßka in einem Rot auf, das tiefer war
  • als das, welches das leuchtende Band auf ihrem Kopfe färbte. Dem
  • sorglosen Vater fiel es erst jetzt ein, warum er eigentlich hierher
  • gekommen war.
  • »Töchterchen, komm schnell! Chiwrja ist vor Freude, daß ich die Stute
  • verkauft habe, fortgelaufen, um sich feine Tücher und allerhand
  • Schmucksachen zu kaufen!« sprach er und sah sich dabei ängstlich nach
  • allen Seiten um. »Bis zu ihrer Rückkehr wollen wir alles erledigt
  • haben!«
  • Kaum hatte Paraßka die Schwelle des Hauses überschritten, da fühlte sie
  • sich schon in den Armen des Burschen im weißen Kittel, der sie inmitten
  • einer Menge von Leuten auf der Straße erwartete.
  • »Gott segne euch!« sagte Tscherewik, ihre Hände vereinend. »In Glück und
  • Glanz haltet fest wie ein Kranz!«
  • Da gab's plötzlich einen Lärm.
  • »Eher will ich zerspringen, als daß ich das zulasse!« schrie Tscherewiks
  • Ehehälfte, die von der lachenden Menge zurückgedrängt wurde.
  • »Wüt nicht so, wüte doch nicht!« sprach Tscherewik kaltblütig, als er
  • sah, wie ein paar handfeste Zigeuner sich ihrer Arme bemächtigten.
  • »Geschehen ist geschehen! Ich bin nicht für Änderungen!«
  • »Nein, nein, das darf nicht sein!« schrie Chiwrja, aber niemand hörte
  • auf sie; ein paar lustige Leute umringten das junge Paar und bildeten
  • eine undurchdringliche, tanzende Mauer um sie.
  • Ein sonderbares unsagbares Gefühl mußte einen Zuschauer ergreifen, der
  • mit ansah, wie beim ersten Bogenstrich des Fiedelmanns in dem groben
  • Rock, mit dem langgeschweiften Schnurrbart, alles unwillkürlich ein
  • einiges Ganzes bildete und zu friedlicher Eintracht überging. Leute,
  • deren mürrische Gesichter offenbar ihr Lebtag niemals ein Lächeln
  • erhellt hatte, stampften mit den Füßen und warfen die Schultern empor.
  • Alles wirbelte im Tanze durcheinander. Aber ein noch sonderbareres, noch
  • unsagbareres Gefühl mußte in der Tiefe der Seele beim Anblick jener
  • Greisinnen erwachen, über deren uralten Gesichtern schon die
  • Gleichgültigkeit des Grabes wehte -- und die sich unter die neuen
  • Menschen drängten, die dem Leben angehörten und dem Lachen. Die
  • Sorglosen! Selbst sie, die keine kindliche Freude und keinen Funken des
  • Mitgefühls kannten, die erst der Rausch, wie ein Mechaniker seine
  • leblosen Automaten, zu einer menschlichen Äußerung zwingt, -- selbst
  • _sie_ nickten leise mit den berauschten Köpfen und hüpften ein wenig
  • hinter der lustigen Menge her, ohne auf das junge Paar zu achten.
  • Das Lärmen, Lachen, Singen verklang zu einem leisen und immer leiseren
  • Summen. Die Fiedel erstarb, ertönte schwächer und schwächer und ließ nur
  • noch ein paar undeutliche Töne durch die leere Luft zittern. Noch hörte
  • man hie und da ein Stampfen, gleich dem Tosen des fernen Meeres, aber
  • bald lag alles wieder öde und stumm da.
  • Fliegt uns nicht so auch die Freude davon, die schöne und flatterhafte
  • Freundin? Vergeblich sucht ein einsamer Klang, von Lust und Seligkeit zu
  • singen. Im eignen Echo schon vernimmt er die Laute der Trauer und
  • Einsamkeit, und er lauscht ihnen voller Schrecken. Stieben nicht so auch
  • die ausgelassenen Freunde der freien stürmischen Jugend einer nach dem
  • andern in alle Winde und lassen ihren alten Herzensbruder allein? Bang
  • wird dem Verlassenen! Voller Schwermut und Traurigkeit ist sein Herz,
  • doch für ihn gibt es keine Hilfe!
  • Die Johannisnacht
  • Eine Sage
  • Erzählt vom Küster an der --Kirche zu ***
  • Foma Grigorjewitsch hatte eine merkwürdige Eigentümlichkeit: Er konnte
  • es auf den Tod nicht leiden, ein und dieselbe Geschichte mehrmals
  • erzählen zu müssen. Gab er aber schon einmal den Bitten nach und
  • erzählte etwas zum zweiten Male, dann fügte er entweder hier eine neue
  • Wendung hinzu, oder änderte dort etwas, so daß man die Geschichte kaum
  • wiedererkennen konnte. Einmal hatte einer jener Herren -- wir einfachen
  • Leute wissen nicht recht, wie wir sie nennen sollen: Schreiber oder
  • dergleichen, so was ähnliches wie die Makler auf unseren Jahrmärkten;
  • sie kramen, betteln und stehlen sich allerhand Zeug zusammen und senden
  • dann jeden Monat oder gar jede Woche ein Büchelchen so dick wie eine
  • Fibel in die Welt hinaus, -- einmal also hatte einer jener Herren
  • unserem Foma Grigorjewitsch die folgende Geschichte hier abgeluchst, und
  • der hatte das ganz vergessen. Aber eines Tages kommt dasselbe Herrchen
  • im erbsengrauen Kaftan aus Poltawa, von dem ich schon einmal sprach, und
  • von dem ihr wohl die eine Geschichte schon gelesen habt, -- er kommt
  • also, bringt ein kleines Büchelchen mit, schlägt's in der Mitte auf und
  • zeigt uns die Sache. Foma Grigorjewitsch war schon im Begriff, seine
  • Nase mit der Brille zu besatteln, aber da fiel ihm ein, daß er vergessen
  • hatte, ein Stück Faden um sie zu wickeln und Wachs drauf zu kleben, und
  • so gab er denn mir das Buch. Ich verstehe mich nun mal leidlich aufs
  • Lesen und brauche keine Brille, und so begann ich denn. Aber ich hatte
  • noch keine zwei Seiten umgewendet, als er mich fest bei der Hand nahm
  • und unterbrach.
  • »Halt, sagt mir zuerst, was Ihr da lest?«
  • Ich muß gestehen, diese Frage verblüffte mich ein wenig.
  • »Wie, Foma Grigorjewitsch? Was ich da lese? Das ist doch Eure
  • Geschichte, es sind Eure eigenen Worte!«
  • »Wer hat Euch das erzählt, daß das meine Worte sind?«
  • »Was wollt Ihr denn noch mehr? Da steht's doch gedruckt. Erzählt von dem
  • Küster Soundso.«
  • »Spuckt dem Jungen auf den Kopf, der das darauf gedruckt hat! Er lügt,
  • der Saukerl! Das soll ich gesagt haben? Das ist ja fast so, als hätte
  • der Satan einen Sparren! Hört zu, die muß ich Euch selbst erzählen!«
  • Wir rückten am Tische zusammen, und er begann.
  • * * * * *
  • Mein Großvater (Gott hab' ihn selig! Möge er in jener Welt nur
  • Weizenbrot und Mohnkuchen mit Meth zu essen bekommen!) mein Großvater
  • verstand es wunderbar zu erzählen. Wenn der erst einmal damit anfing, so
  • mochte man sich am liebsten den ganzen lieben Tag nicht vom Platze
  • rühren und nur immer zuhören. Und er redete nicht etwa wie einer von den
  • heutigen Faselhänsen; wenn so einer anfängt, sein Garn herunter zu
  • spinnen, und dabei noch mit einem Maul, als hätte er drei Tage lang
  • nichts zu essen gekriegt, dann möchte man am liebsten nach der Mütze
  • greifen und davonlaufen. Ich erinnere mich noch, wie wenn es heute wäre,
  • -- meine Mutter selig war noch am Leben, -- an die langen Winterabende,
  • wenn draußen heftiges Frostwetter herrschte und das schmale Fensterchen
  • unserer Stube dicht mit Schnee verklebte, wie sie da am Spinnrocken saß,
  • mit der Hand den langen Faden zog, mit dem Fuß die Wiege schaukelte und
  • ein Lied dazu sang, das ich jetzt noch im Ohr habe. Das Lämpchen
  • beleuchtete zitternd und wie im Schreck aufflackernd die Stube. Die
  • Spindel surrte; und wir Kinder hörten alle, zu einem Haufen
  • zusammengedrängt, dem Großvater zu, der vor Alter schon über fünf Jahre
  • nicht mehr hinterm Ofen hervorgekrochen war. Aber keiner der wundersamen
  • Berichte aus den alten Tagen von den Ritten der Saporoger, von den
  • Polen, von den kühnen Taten des Podkowa, des Poltora-Koschucha oder des
  • Sagajdatschny ergriffen uns so stark wie die Berichte über eine alte,
  • sonderbare Begebenheit, bei der einem ein Schauer über den Leib lief und
  • das Haar sich sträubte. Manchmal kam eine solche Angst über einen, daß
  • man abends Gott weiß was für Ungeheuer zu sehen meinte. Hattest du mal
  • nachts die Stube verlassen, um etwas zu besorgen, so glaubtest du
  • sicher, es habe sich ein Fremdling aus jener Welt in dein Bett gelegt,
  • um zu schlafen. Ich will auf der Stelle sterben, wenn ich nicht oft
  • meinen eignen Kittel am Kopfende des Bettes für einen zusammengekauerten
  • Teufel hielt. Aber die Hauptsache an den Erzählungen des Großvaters war,
  • daß er sein Lebtag nie gelogen hat, und wie er's sagte, genau so war es
  • auch.
  • Eine von seinen sonderbaren Geschichten will ich euch jetzt erzählen.
  • Ich weiß wohl, es werden sich schon etliche Klüglinge finden, die
  • Gerichtsschreiber sind oder gar neumodische Schriften lesen, -- welche
  • zwar keinen Deut verstehen, wenn man ihnen ein Stundenbuch in die Hand
  • drückt, -- aber dafür um so besser die Zähne zu fletschen wissen. Was
  • man denen auch erzählen mag, sie lachen ja doch. Was hat sich doch jetzt
  • für ein Unglaube in der Welt verbreitet! Gott und die unbefleckte
  • Jungfrau mögen mir beistehen -- ihr werdet's vielleicht nicht glauben:
  • als ich einmal von Hexen sprach -- da fand sich doch wahrhaftig so ein
  • Springinsfeld, der nicht an Hexen glauben wollte! Gott sei Dank, ich
  • lebe schon viele Jahre; ich habe schon Menschen gesehen, die solche
  • Heiden waren, daß es ihnen leichter wurde, in der Beichte zu lügen, als
  • unsereinem, eine Prise zu nehmen; aber auch die schlugen vor einer Hexe
  • das Kreuz. Wenn denen einmal im Traum .... na, ich will's gar nicht erst
  • über die Zunge bringen .... was soll man über sowas noch Redens machen.
  • Vor vielen vielen Jahren, 's werden wohl sicher über hundert sein, --
  • erzählte mein Großvater selig -- war unser Dorf noch etwas ganz anderes
  • als jetzt! Da war's noch ein Weiler, der allerärmste Weiler! Zehn
  • ungetünchte und ungedeckte Hütten lagen mitten im Felde verstreut, und
  • es gab weder einen Zaun, noch einen anständigen Schuppen, in dem man
  • Vieh oder einen Wagen hätte unterstellen können. Und die, die so lebten,
  • das waren noch die Reichen, was aber erst unsereiner von der
  • Brüderschaft der Habenichtse für ein Leben hatte, das läßt sich kaum
  • beschreiben! Ein Loch in der Erde -- das war das ganze Haus! Nur an dem
  • Rauch konnte man merken, daß da ein Menschenkind unseres lieben
  • Herrgotts hauste. Ihr werdet nun fragen, warum lebten die wohl so? Armut
  • allein war's nicht, denn damals war fast jeder ein freier Kosak und
  • hatte sich in fremden Ländern nicht wenig Reichtümer erbeutet; nein, man
  • sehnte sich gar nicht nach einem richtigen Hause. Was trieben sich
  • damals nicht allerorts für Menschen herum: Leute aus der Krim, Polen,
  • Litauer usw. Oft geschah es auch, daß man von den eigenen Landsleuten
  • geschunden wurde. Ja ja, da kam mancherlei vor.
  • In diesem Weiler nun tauchte zuweilen ganz plötzlich ein Mensch oder
  • richtiger gesagt, ein Teufel in Menschengestalt auf. Woher er kam und zu
  • welchem Zwecke -- das wußte niemand. Er soff, vergnügte sich, -- und auf
  • einmal war er verschwunden, wie wenn er in die Erde gesunken wäre. Dann
  • kam er wieder, wie vom Himmel gefallen, trieb sich auf den Straßen des
  • Dorfes umher, von dem jetzt keine Spur mehr übrig ist, und das
  • vielleicht nicht mehr als hundert Schritte von Dikanka entfernt war,
  • sammelte die ersten besten Kosaken um sich, und dann ging ein Lachen und
  • Singen an: das Geld wurde nur so ausgeschüttet, und der Schnaps rann
  • dahin wie Wasser. Dann ging er zu den Mädchen und schenkte ihnen Bänder,
  • Ohrringe und Perlen -- in vollen Haufen! Freilich, so manches Mädel
  • wurde bedenklich bei diesen Geschenken: Weiß Gott, am Ende waren sie in
  • der Tat durch unreine Hände gegangen. Die leibliche Tante meines
  • Großvaters, die damals auf der heutigen Landstraße von Oposchnjani einen
  • Ausschank hatte, in dem Bassawrjuk (so hieß dieser Teufelskerl) oft
  • zechte, pflegte zu sagen, sie würde um keinen Preis in der Welt ein
  • Geschenk von ihm annehmen. Aber wie konnte man wiederum etwas
  • zurückweisen? -- Jedem wurde gruselig zumute, wenn _er_ seine borstigen
  • Brauen runzelte und einen finstern Blick auf einen warf, daß man am
  • liebsten ausgerissen wäre; nahm man aber das Geschenk an, so konnte man
  • schon in der nächsten Nacht einen Gast aus dem Moor, einen mit Hörnern
  • auf dem Kopfe, erwarten. Und der würgte einen, wenn man Perlen am Halse
  • trug, biß einen in den Finger, wenn ein Ring darauf steckte, oder riß
  • einer Frau fast den Zopf aus, wenn sie ein Band darein geflochten hatte.
  • Zehn Schritt vom Leibe mit solchen Geschenken! Eine neue Not aber war
  • es, sie los zu werden: Man wirft sie ins Wasser -- aber der teuflische
  • Ring oder die Perlen schwimmen oben auf und springen einem wieder in die
  • Hand zurück.
  • Im Dorfe stand auch eine Kirche, die, wenn ich mich recht besinne, dem
  • heiligen Pantelej angehörte. Damals nun waltete in ihr ein Priester
  • namens Vater Afanassi, seligen Angedenkens. Als er gewahrte, daß
  • Bassawrjuk sogar am Ostersonntag nicht in die Kirche kam, wollte er ihn
  • ausschelten und ihm eine Kirchenbuße auferlegen; aber sieh da, er kam
  • kaum mit heiler Haut davon. »Hör mal, _Herr_!« brüllte ihn jener an,
  • »kümmere dich lieber um deine Geschäfte, anstatt dich in fremde zu
  • mischen, wenn du nicht willst, daß dir dein Ziegenhals mit einem heißen
  • Sterbekuchen verkleistert wird!« Was konnte man mit diesem
  • Gottverdammten anfangen? Vater Afanassi erklärte nun jeden, der mit
  • Bassawrjuk verkehren würde, für einen Römling, und für einen Feind der
  • Christenkirche und des ganzen Menschengeschlechts.
  • In demselben Dorfe hatte auch ein Kosak namens Korsch einen Arbeiter,
  • den die Leute Peter Heimatlos nannten, vielleicht deshalb, weil er weder
  • seinen Vater noch seine Mutter kannte. Der Kirchenvorstand hatte zwar
  • gesagt, die wären schon in seinem zweiten Lebensjahr an der Pest
  • gestorben; aber die Tante meines Großvaters wollte es nicht wahrhaben
  • und war aus aller Kraft bemüht, ihm Eltern aufzudrängen, obgleich der
  • arme Peter sich geradesoviel um diese Frage kümmerte, wie wir um den
  • vorjährigen Schnee. Sie behauptete, sein Vater befinde sich jetzt noch
  • in der Saporoger Gegend, sei in Gefangenschaft bei den Türken gewesen,
  • habe Gott weiß welche Qualen erdulden müssen, und habe nur durch ein
  • Wunder, als Eunuch verkleidet, Reißaus nehmen können. Die
  • schwarzbrauigen Mädels und die jungen Weibsleute scherten sich wenig um
  • seine Verwandtschaft. Sie äußerten nur, wenn man ihm einen feinen Rock
  • -- etwa einen neuen Schupan -- anzöge, einen roten Gürtel umlegte, eine
  • neue Mütze aus schwarzem Lammfell mit einer schmucken blauen Kappe
  • aufsetzte, ihm einen türkischen Säbel an die Seite schnallte, und in die
  • eine Hand einen langen Degen und in die andere eine hübsch eingefaßte
  • Pfeife gäbe -- dann würde er alle andern Burschen in die Tasche stecken.
  • Aber der arme Petrusj besaß alles in allem nur einen einzigen grauen
  • Kittel, der mehr Löcher hatte, als mancher Jude Dukaten in der Tasche.
  • Doch das wäre noch nicht schlimm gewesen, was schlimm war, war vielmehr
  • dies: der alte Korsch hatte ein Töchterchen, eine Schönheit, wie ihr sie
  • wohl kaum je gesehen habt. Die Tante des seligen Großvaters pflegte zu
  • erzählen, -- und ihr wißt ja, ein Weib wird, mit Verlaub zu sagen, eher
  • den Teufel küssen, als eine andere schön nennen, -- daß die runden
  • Bäckchen des Kosakenmädchens so frisch und glänzend waren wie die
  • allerzarteste rote Mohnblume, die sich in Gottes Tau gebadet hat und nun
  • aufleuchtet, ihre Blättchen ausbreitet und sich vor der aufgehenden
  • Sonne putzt. Wie schwarze Schnürchen, die die Mädchen heutzutage bei den
  • Hausierern in den Dörfern für ihre Kreuze und Schmuckdukaten kaufen, so
  • zart schwangen sich die Brauen über ihren Augen, als spiegelten sie sich
  • in ihrem klaren Kristall. Ihr Mündchen, nach dem der ganzen jungen Welt
  • von damals der Mund wässerte, schien wie geschaffen für die Gesänge
  • einer Nachtigall. Ihr Haar, schwarz wie Rabenfittiche und weich wie
  • junger Flachs (denn damals flochten es die jungen Mädchen noch nicht zu
  • kleinen Zöpfchen, durch die sie sich jetzt hübsche bunte Bänderchen
  • ziehen) fiel in vollen Locken auf den goldbestickten Überwurf herab. Ei,
  • da soll mich doch Gott von der Kanzel nie wieder das Hallelujah singen
  • lassen, wenn ich sie nicht auf der Stelle abküssen möchte, und wenn auch
  • der alte Wald auf meinem Schädel schon so ziemlich grau ist, und meine
  • Alte sich mir an die Seite heftet, wie ein Star ins Auge. Na, wenn ein
  • Bursch und ein Mädel nah beieinander wohnen .... ja, da wißt ihr schon,
  • was draus wird. Man konnte stets in aller Herrgottsfrühe den Abdruck der
  • Stiefeleisen auf der Stelle sehen, wo Pidorka mit ihrem Petrusj
  • gestanden hatte. Korsch hätte immer noch nichts Schlimmes geahnt, aber
  • einst, -- und das kam durch nichts anderes als durch die List eines
  • Teufels -- da fiel es Petrusj ein, ohne sich genauer im Flur umzusehen,
  • sozusagen von ganzer Seele einen Kuß auf die rosigen Lippen des
  • Kosakenmädchens zu pressen. Und dieser selbe Teufel, -- mag doch der
  • Hundesohn vom heiligen Kreuz träumen! -- ritt den alten Knasterbart, daß
  • er gerade zu dieser Zeit die Tür öffnete. Korsch stand da wie ein
  • Holzklotz, sperrte den Mund auf und mußte sich an die Tür lehnen. Der
  • verdammte Kuß schien ihn vollkommen betäubt zu haben. Er kam ihm lauter
  • vor als der Schlag eines Mörserstößels auf ein Brett, mit dem zu unserer
  • Zeit die Bauern in Ermangelung von Pulver und Flinte den Festschmaus zu
  • Ehren Johannes des Täufers begleiten. Als er wieder zu sich gekommen
  • war, nahm er seine Nagaika aus Urväter Zeiten von der Wand und wollte
  • sie schon auf den Rücken des armen Peter niedersausen lassen, da
  • erschien auf einmal Pidorkas sechsjähriges Brüderchen Iwasj, kam
  • erschreckt herbeigelaufen, umschlang seine Beine mit den Händchen und
  • schrie: »Vater, Vater, schlag den Petrusj nicht!« Was war da zu machen?
  • Ein Vaterherz ist nicht von Stein: er hing die Nagaika an die Wand und
  • führte ihn leise aus dem Zimmer hinaus. »Wenn du dich jemals wieder hier
  • im Hause sehen läßt oder auch nur am Fenster, so höre, Petrusj: Bei
  • Gott, dein schwarzer Schnurrbart ist dahin und auch deine Kosakenlocke,
  • die du dir doppelt ums Ohr wickelst, -- ich will nicht Terenti Korsch
  • sein, wenn sie nicht von deinem Schädel Abschied nimmt!« Bei diesen
  • Worten versetzte er ihm einen leichten Stoß in den Nacken, so daß
  • Petrusj Hals über Kopf hinausflog. So weit hatten sie es mit dem Küssen
  • gebracht. Ein schwerer Kummer überfiel unser Täubchen; dazu ging noch im
  • Dorfe das Gerücht um, zu Korsch ins Haus käme ein goldbeladener Pole mit
  • Schnurrbart, Säbel und Sporen, dessen Taschen so klirrten wie der
  • Klingelbeutel, den unser Meßner Taras täglich in der Kirche umgehen
  • läßt. Nun man weiß ja, wozu man einen Vater besucht, der eine
  • schwarzäugige Tochter hat. Einmal schlang Pidorka die Arme um ihren
  • Bruder Iwasj: »Iwasj, mein Liebling, bester Iwasj! Lauf zu Petrusj, mein
  • goldenes Kind, rasch wie ein Pfeil vom Bogen schnellt, und erzähl ihm
  • alles: ich möchte seine grauen Augen liebkosen und sein weißes Antlitz
  • küssen, aber das Schicksal will es nicht. Manches Tuch habe ich mit
  • meinen heißen Tränen benetzt, mir ist so bang und so schwer ums Herz.
  • Mein eigner Vater ist mir feind und zwingt mich, dem ungeliebten Polen
  • in die Ehe zu folgen. Sag ihm, man bereite schon die Hochzeit vor, doch
  • es soll keine Musik auf unserer Hochzeit geben, und nur die Küster
  • werden plärren, statt daß Zither und Schalmei erklingen. Und nicht werde
  • ich mit meinem Gemahl zum Tanze gehen, sondern hinaustragen wird man
  • mich aus dem Hause. Dunkel und düster wird mein enges Haus sein -- aus
  • Ahornbrettern wird es gezimmert sein, und statt eines Schlotes wird ein
  • Kreuz auf dem Dache stehn!«
  • Wie versteinert und ohne sich von der Stelle rühren zu können, hörte
  • Petrusj das unschuldige Kind Pidorkas Worte nachlallen. »Dacht' ich
  • Unglücklicher nicht schon daran, in die Krim oder ins Türkenland zu
  • ziehen, mir Gold zu erbeuten und mit vielen Gütern beladen zu dir
  • zurückzukehren, du meine Schönste? Doch es sollte nicht sein. Ein böser
  • Blick hat uns getroffen. Wohl werden wir Hochzeit feiern, mein teures
  • Fischlein du, aber kein Küster wird auf unserer Hochzeit singen -- statt
  • eines Popen krächzt mir zu Häupten ein schwarzer Rabe, das weite Feld
  • wird mein Haus und die graue Wolke mein Dach sein; meine grauen Augen
  • hackt der Adler aus; der Regen wird mir die Kosakenknochen bleich
  • waschen, und der Sturmwind wird sie austrocknen. Doch was tu ich? Wem
  • klag' ich was vor? Gott hat's wohl so angeordnet! Verloren ist
  • verloren!« -- Und stracks zog er in die Schenke.
  • Die Tante meines seligen Großvaters war nicht wenig erstaunt, als sie
  • Petrusj in der Schenke sah, und dazu noch zu einer Zeit, wo ein braver
  • Mensch zur Frühmesse geht. Sie glotzte ihn mit ihren Augen an, wie wenn
  • sie noch im Schlafe läge, als er einen Krug -- oder richtiger fast einen
  • halben Eimer voll Branntwein bestellte. Allein vergebens suchte der
  • Ärmste seinen Kummer zu ertränken. Der Schnaps brannte ihm auf der Zunge
  • wie Nesseln und dünkte ihn bitterer als Wermut. Weit von sich warf er
  • den Krug zu Boden. Da dröhnte es im Baß über seinem Kopfe: »Laß doch das
  • Trauern, Kosak!« Er schaut auf: Es war Bassawrjuk! Uh, welche Fratze!
  • Der hatte Haare wie ein Borstenvieh und Augen wie ein Bulle! »Ich weiß,
  • was dir fehlt: das da!« rief er und klirrte teuflisch grinsend mit
  • seiner ledernen Geldkatze, die ihm am Gürtel hing. Petrusj erbebte.
  • »Hehe, wie die glühen!« brüllte er und schüttete sich die Dukaten auf
  • die Hand. »Hehe, die klimpern! Und doch heißt's nur eine einzige Tat
  • vollbringen, um einen ganzen Berg solcher Schnipsel!« -- »Satan!« schrie
  • da Petrusj. »Her damit! Ich bin zu allem bereit!« Beide gaben sich den
  • Handschlag und waren einig. »Sieh, Petrusj, du kommst gerade zur rechten
  • Zeit: morgen ist Johannistag. Nur in dieser einen Nacht des Jahres
  • treibt das Farnkraut Blüten. Du darfst es nicht verpassen. Ich erwarte
  • dich um Mitternacht in der Bärenschlucht.«
  • Ich glaube, die Hühner warten nicht so auf den Augenblick, wo ihnen die
  • Hausfrau Krumen streut, wie Petrusj auf den Abend wartete. Immerwährend
  • blickte er aus, ob die Baumschatten nicht länger würden, ob nicht die
  • tief herabgesunkene Sonne in Purpur erglömme, und je länger er wartete,
  • um so ungeduldiger wurde er. Wie lange dauerte das doch! Gottes Tag
  • konnte wohl kein Ende finden. -- Nun ist die Sonne fort. Nur noch auf
  • einer Seite rötet sich der Himmel noch. Und schon erlischt er. Es wird
  • kälter im Felde; dunkler und dunkler wird's, und alles liegt in
  • nächtlicher Finsternis da. Endlich! Das Herz wollte ihm schier aus der
  • Brust springen, als er sich auf den Weg machte und mit Vorsicht durch
  • den dichten Wald zu dem tiefen Grunde herabstieg, der Bärenschlucht
  • genannt wurde. Bassawrjuk wartete schon auf ihn. Es war so finster, daß
  • man die Hand vor den Augen nicht sah. Hand in Hand schlichen sie durch
  • die Sümpfe des Moors, verfingen sich im dichten Gestrüpp und
  • strauchelten fast bei jedem Schritte. Endlich fanden sie einen ebenen
  • Platz. Petrusj sah sich um: Er war noch nie hier gewesen. Auch
  • Bassawrjuk blieb stehen.
  • »Siehst du: da vor dir liegen drei Hügel. Viel mannigfache Blumen
  • wachsen dort; doch alle Mächte der Welt mögen dich bewahren, auch nur
  • eine zu pflücken. Kaum aber erblüht der Farn, so greif nach ihm und
  • blick dich nicht um, was du auch hinter dir dünken magst.«
  • Petrusj wollte noch etwas fragen .... aber jener war verschwunden. Er
  • ging auf die Hügel zu: wo waren die Blumen? Es war nichts zu sehen.
  • Schwarz lag das wilde Steppengras da und überwucherte alles mit seinem
  • Gestrüpp. Da blitzte ein Wetterleuchten auf, und vor ihm erschien ein
  • ganzes Beet voll wundersamer und nie gesehener Blumen; darinnen sah er
  • auch die einfachen Blätter des Farnkrautes. Voller Zweifel stemmte
  • Petrusj beide Hände in die Hüften und stellte sich nachdenklich vor sie
  • hin.
  • »Was ist denn Wunderbares dabei? Zehnmal des Tages sehe ich solches
  • Kraut: was ist denn das für ein Mirakel? Am Ende macht sich die
  • Teufelsfratze nur über mich lustig!«
  • Auf einmal aber glüht ein kleines Knöspchen rot auf und rührt sich wie
  • wenn es lebendig wäre. Seltsam fürwahr! Rührt sich, wird immer größer
  • und größer und glüht heiß wie eine rote Kohle. Da flammte ein Sternchen
  • auf, etwas knisterte leise, und vor seinen Augen entfaltet sich die
  • Blume wie eine Flamme, loht leuchtend auf und überstrahlt alles rings
  • herum.
  • »Jetzt ist's Zeit,« dachte Petrusj und streckte die Hand aus. Aber
  • siehe, da strecken sich noch hundert andere zottige Hände nach der Blume
  • aus, und hinter ihm läuft raschelnd etwas von Ort zu Ort. Er drückte die
  • Augen zu, riß am Stengel, und die Blume blieb in seiner Hand. Alles
  • verstummte. Da tauchte Bassawrjuk, auf einem Baumstumpf sitzend, empor:
  • ganz bläulich wie eine Leiche. Er rührte keinen Finger, seine Augen
  • waren starr auf etwas gerichtet, das nur ihm allein sichtbar war; sein
  • Mund stand halb offen, aber er sprach nichts. Ringsum rührte sich
  • nichts. Wie furchtbar war Petrusj zumute! .... Aber nun vernahm Petrusj
  • ein Pfeifen, daß ihm das Herz im Leibe erstarrte, und es kam ihm so vor,
  • als ob das Gras summe, und die Blumen sich mit dünnen Stimmchen
  • unterhielten, die wie silberne Glöcklein klangen. Die Bäume donnerten
  • grollend durcheinander .... Bassawrjuks Antlitz wurde auf einmal
  • lebendig. Seine Augen funkelten. »Endlich ist sie da, die Hexe,« grunzte
  • er durch die Zähne. »Petrusj schau, bald wird dir eine schöne Frau
  • erscheinen: Tu alles, was sie dir befiehlt, sonst bist du auf ewig
  • verloren!« Er zerteilte das Dickicht mit einem Knotenstock, und vor
  • ihnen erschien ein Häuschen, das auf Hühnerfüßchen stand, wie es im
  • Märchen heißt. Bassawrjuk schlug mit der Faust dagegen, und die Wand
  • wankte. Ein großer, schwarzer Hund kam winselnd herausgelaufen,
  • verwandelte sich plötzlich in eine Katze und warf sich ihnen entgegen.
  • »Tobe nicht, wüte nicht, alte Teufelin,« rief Bassawrjuk und würzte
  • seine Rede mit so einem Wörtlein, daß sich ein rechtschaffener Mensch
  • dabei die Ohren zugestopft hätte. Da wurde die Katze zu einem alten
  • Weibe mit einem so runzligen Gesicht wie ein gebratener Apfel, und
  • krümmte sich wie ein Bogen; Nase und Kinn glichen einem Nußknacker.
  • »Welch herrliche Schönheit!« dachte Petrusj, und es überlief ihn kalt.
  • Die Hexe riß ihm die Blume aus der Hand, beugte sich über sie, flüsterte
  • einen langen Spruch vor sich hin und besprengte sie mit einer
  • unbekannten Flüssigkeit. Funken stoben aus ihrem Munde, und Schaum trat
  • ihr auf die Lippen. »Wirf sie hin«, rief sie, indem sie ihm die Blume
  • reichte. Petrusj warf die Blume hin, aber -- o Wunder: die Blume fiel
  • nicht gleich zur Erde, sondern leuchtete lange wie eine Feuerkugel
  • mitten im Dunkel und segelte wie ein Kahn durch die Luft; endlich begann
  • sie sich leise zu senken und fiel so fern von ihnen herab, daß das
  • Sternchen kaum mehr zu sehen war und nicht größer erschien, denn ein
  • Mohnkorn. »Hier!« krächzte die Alte dumpf, und Bassawrjuk reichte ihm
  • einen Spaten hin und rief: »Grabe hier nach, Petrusj! Da wirst du so
  • viel Gold finden, als weder du noch Korsch je geträumt haben!« --
  • Petrusj spie sich in die Hände, ergriff den Spaten, trat mit dem Fuß
  • darauf und wühlte die Erde auf, einmal, noch einmal, ein drittes Mal,
  • noch einmal .... Da stieß er auf etwas Hartes! .... Der Spaten klirrte
  • und wollte nicht tiefer in die Erde hinein. Jetzt begannen seine Augen
  • plötzlich ganz deutlich eine kleine, eisenbeschlagene Kiste
  • wahrzunehmen. Schon wollte er sie mit der Hand erfassen, aber die Kiste
  • begann immer tiefer und tiefer in die Erde zu sinken, und hinter sich
  • vernahm er ein Lachen, das dem Zischen von Schlangen glich. »Nie sollst
  • du das Gold erschauen, ehe du nicht Menschenblut herbeischaffst!« rief
  • die Hexe und führte auf einmal ein etwa sechsjähriges Kind vor ihn hin,
  • das mit einem weißen Tuch bedeckt war; sie deutete ihm mit Zeichen an,
  • er müsse dem Kinde den Kopf abhacken. Petrusj erstarrte. Ist's denn eine
  • Kleinigkeit, so mir nichts, dir nichts einem Menschen den Kopf
  • abzuhacken, und dazu noch einem unschuldigen Kinde! Wütend riß er das
  • Tuch vom Kopfe, und was sah er? Vor ihm stand Iwasj! Das arme Kind stand
  • mit gekreuzten Händchen und gesenktem Köpfchen da .... Wie ein Rasender
  • sprang Petrusj mit dem Messer auf die Hexe los und erhob die Hand ....
  • »Was versprachst du, für das Mädchen zu tun?« donnerte ihn Bassawrjuk
  • an, und versetzte ihm einen Schlag in den Rücken, der ihn traf wie ein
  • Schuß. Die Hexe stampfte mit dem Fuße, und eine blaue Flamme sprang aus
  • dem Boden. Das Innere der Erde strahlte auf und war wie aus Glas, und
  • alles in der Erde wurde so deutlich sichtbar, gleich als läge es auf der
  • flachen Hand! In Kisten und Kesseln waren Dukaten und Edelsteine
  • haufenweise aufgestapelt, genau unter der Stelle, auf der sie standen.
  • Des Petrusj Augen brannten, .... sein Verstand verfinsterte sich ....
  • wie ein Toller packte er das Messer, und das unschuldige Blut spritzte
  • ihm in die Augen. Ein teuflisches Gelächter toste auf allen Seiten. --
  • Widerwärtige Ungeheuer sprangen scharenweise vor ihm auf und ab. Wie ein
  • Wolf, die Hände in den enthaupteten Leichnam gekrallt, sog die Hexe das
  • Blut. In Petrusj Kopf kreiste alles, und mit dem Aufwand seiner letzten
  • Kräfte begann er zu laufen. Alles vor ihm versank in rotes Licht. Alle
  • Bäume brannten in rotem Blut und stöhnten. In Rotglut getaucht wankte
  • der Himmel hin und her. Feuerflecke zuckten glimmend vor seinen Augen
  • auf. Entkräftet lief er bis in seine Hütte, sank dort zu Boden wie eine
  • Ähre und ein totenähnlicher Schlaf umfing ihn.
  • Zwei Tage und zwei Nächte schlief Petrusj, ohne zu erwachen. Als er am
  • dritten Tage wieder zu sich kam, betrachtete er lange alle Ecken und
  • Winkel seiner Stube, doch vergeblich suchte er sich an die Begebenheiten
  • der letzten Zeit zu erinnern: sein Gedächtnis glich der Tasche eines
  • alten Geizhalses, aus der man keinen Heller herauslocken kann. Nachdem
  • er sich ein wenig gereckt hatte, vernahm er plötzlich zu seinen Füßen
  • ein Klirren. Sieh da: vor ihm lagen zwei Säcke voll Gold. Erst jetzt
  • erinnerte er sich wie in einem Träume, daß er einen Schatz gesucht
  • hatte, und wie es grausig im Walde gewesen war .... Aber um welchen
  • Preis er ihn erhalten hatte, darauf konnte er sich durchaus nicht mehr
  • besinnen.
  • Sowie Korsch die Säcke erblickte, da wurde er seidenweich. »Petrusj, so
  • ein Herzensjung', den sollt' ich nicht lieben? Der war mir doch stets
  • wie mein eigner Sohn!« Und der alte Knurrhahn begann so zu schwefeln,
  • daß dem Petrusj die Tränen in die Augen kamen. Da lief Pidorka bestürzt
  • herbei und begann zu erzählen, Iwasj sei von vorbeiziehenden Zigeunern
  • gestohlen worden. Aber Petrusj konnte sich nicht einmal mehr auf ihn
  • besinnen, so sehr stand er im Banne des verdammten Teufelsspukes! Nun
  • war keine Zeit mehr zu verlieren. Der Pole wurde vor die Tür gesetzt,
  • und man feierte Hochzeit: da wurden Kuchen gebacken, Wäsche genäht, man
  • rollte ein Fäßchen Schnaps herbei, das junge Paar ward an den Tisch
  • gesetzt, das Hochzeitsgebäck aufgeschnitten, da klimperten Harfen und
  • die Saiten des Zymbals, es kreischten die Schalmeien und die Zithern
  • summten -- und die Lustbarkeit begann ....
  • Ein Hochzeitsfest aus alten Tagen ist nicht mit einem in unserer Zeit zu
  • vergleichen. Die Tante meines Großvaters erzählte -- hei juchhei! Ei wie
  • da die Mädels im prächtigen Kopftuch mit den gelben, blauen und rosa
  • Bändern und der Goldtresse daran darauf lossprangen. Sie hatten feine
  • Hemden an, deren Nähte mit roter Seide bestickt waren und die kleine
  • silberne Blümchen zierten, und hohe Saffianstiefelchen, die mit Hufeisen
  • beschlagen waren; stolz wie Pfauen flogen sie gleich einem Wirbelwind
  • rauschend durchs Zimmer. Wie da die jungen Frauen eine nach der anderen
  • hervortraten mit ihrem bootsartigen Kopfputz, dessen Kappe aus Brokat
  • gewirkt war, mit einem Nackenausschnitt, durch den das goldene Häubchen
  • mit den zwei herabbaumelnden Zipfelchen aus feinstem schwarzen Lammfell
  • hervorguckte, in ihren blauen Ueberwürfen aus herrlichstem Seidenstoff
  • mit roten Aufschlägen -- ei wie sie da gar würdig, die Hände auf die
  • Hüften gestützt, eine nach der anderen hervortraten, und im Takt ihren
  • Hopak tanzten. Wie da die Burschen in ihren hohen Kosakenmützen, in
  • feinen Tuchkitteln mit silbergesticktem Gürtel, und die Pfeife zwischen
  • den Zähnen um sie herum scharwenzelten und ihr Licht durchaus nicht
  • unter den Scheffel stellten! Korsch selbst konnte beim Anblick des
  • jungen Volkes nicht mehr an sich halten und legte los wie in alten
  • Tagen. Mit der Harfe in der Hand, aus der Pfeife paffend und ein Lied
  • vor sich hin singend, so begann der Alte, mit dem Schnapsglas auf dem
  • Kopf, beim lauten Geschrei der lustigen Kumpanei seinen Hopser herunter
  • zu stampfen. Was die nicht alles in ihrer Lustigkeit anstifteten! Schon
  • wenn man anfing, Mummenschanz zu treiben, Gott, was gab's da nicht
  • alles. Das war eine ganz andere Mummerei als auf unseren heutigen
  • Hochzeiten. Was macht man denn heute? Man verkleidet sich als
  • Zigeunerinnen und Moskowiter, das ist alles! Nein, damals verkleidete
  • sich einer als Jude und der andere als Teufel; erst küßte man sich, und
  • dann packte man einander beim Schopf .... Ich bitt' euch, das gab ein
  • Lachen, daß man sich den Bauch halten mußte. Oder man legte türkische
  • und tatarische Gewänder an, die da glühten wie das reine Feuer .... Und
  • wenn man erst wirklich anfing, Unsinn und Schabernack zu treiben ....
  • das war geradezu zum Platzen! Mit der Tante meines verstorbenen
  • Großvaters, die mit auf dieser Hochzeit war, begab sich eine drollige
  • Geschichte. Sie trug damals ein weites tatarisches Kleid und ging mit
  • dem Schnapsglas in der Hand umher, um alle wohl zu versorgen. Da mußte
  • einen der Teufel reiten, daß er sie von hinten mit Branntwein begoß, ein
  • anderer mußte gerade in diesem Augenblick Feuer schlagen, und so setzten
  • sie sie denn lichterloh in Brand. Die Flammen flackerten im Nu hoch auf:
  • die arme Tante begann sich voller Schrecken in aller Gegenwart die
  • Kleider vom Leibe zu reißen .... Was sich da für ein Lärm, Gelächter und
  • ein wildes Durcheinander erhob, rein wie auf einem Jahrmarkt! Kurz, die
  • ältesten Leute konnten sich nicht auf eine so lustige Hochzeit besinnen.
  • Pidorka und Petrusj begannen ein Leben miteinander wie die feinsten
  • Herrschaften. Alles war in Hülle und Fülle vorhanden, alles blinkte und
  • funkelte nur so .... Doch die lieben Nachbarn, die ihren Wohlstand
  • mitansahen, schüttelten nur den Kopf. »Vom Teufel kommt nichts Gutes!«
  • sagten sie alle einstimmig. »Woher hat er denn den Reichtum, wenn nicht
  • vom Versucher aller rechtgläubigen Christen? Wo hätte er einen solchen
  • Haufen Goldes wohl hergenommen? Warum ist Bassawrjuk gerade an demselben
  • Tage verschwunden, als Petrusj zu seinem Reichtum kam?« -- Und was die
  • Leute noch alles redeten. Und in der Tat; es war noch kein Monat
  • vergangen, da war Petrusj nicht mehr wiederzuerkennen. Was mit ihm
  • geschehen war, das weiß Gott allein. Sitzt immer auf ein und derselben
  • Stelle fest und redet kein Wort; er grübelt nur immer, als wollte er
  • sich auf etwas besinnen. Wenn es Pidorka gelang, ein Wort aus ihm
  • herauszupressen, sodaß er sich vergaß, ins Gespräch kam und sogar ganz
  • heiter wurde, dann brauchte er nur wie zufällig auf die Geldsäcke zu
  • blicken, und sofort schrie er los: »Halt, halt, ich hab's vergessen!«
  • Und wieder verfiel er in Sinnen und quälte sich ab, eine Erinnerung
  • heraufzurufen. Manchmal, wenn er lange Zeit still auf einem Flecke saß,
  • kam es ihm so vor, als ob etwas Längstvergangenes wieder in sein
  • Gedächtnis zurückkehrte .... aber gleich darauf verschwand alles wieder.
  • Es dünkt ihn, er sitzt in der Schenke, man bringt ihm Schnaps, der
  • Schnaps brennt ihm auf der Zunge und widert ihn an; jemand tritt zu ihm
  • -- schlägt ihm auf die Schulter, und er .... Aber dann schien alles vor
  • ihm in einen Nebel zu sinken, der Schweiß rann ihm vom Gesicht, und er
  • sank erschöpft wieder auf seinen Platz zurück.
  • Was auch Pidorka tun mochte: Kluge Frauen befragen, Zinndeuten, Wasser
  • besprechen -- nichts wollte helfen. So verging der Sommer. Manch ein
  • Kosak hatte schon sein Korn abgemäht und sein Heu geschnitten; manch
  • kühnerer Kosak war ins Feld gezogen. Schwärme von Enten drängten sich
  • auf unseren Weihern, und der Zaunkönig war schon längst verschwunden.
  • Die Steppen färbten sich rot, Getreidehaufen lagen hie und da verstreut
  • wie Kosakenmützen auf dem Felde. Auf den Wegen konnte man schon Wagen
  • begegnen, die mit Reisig und Holz beladen waren. Die Erde wurde hart,
  • und zeitweise gab es schon Frost. Schon rieselte der Schnee vom Himmel
  • herab, und die Zweige der Bäume waren mit Rauhreif verziert wie mit
  • Hasenpelzchen. Schon stolzierte in klaren Wintertagen der rotbrüstige
  • Gimpel wie ein eitler, polnischer Schlachziz auf den Schneehaufen umher
  • und suchte sich Körner, und die Kinder trieben mit Riesenstäben hölzerne
  • Bälle übers Eis, während ihre Väter ruhig hinter den Öfen lagen und nur
  • ab und zu mit der brennden Pfeife im Munde vors Haus gingen, um tüchtig
  • auf den russischen Frost zu schimpfen, um sich mal auszulüften, oder
  • weil sie das Korn in den Schobern noch einmal durchdreschen wollten.
  • Endlich begann der Schnee zu schmelzen, und der Hecht schlug mit dem
  • Schwanze das Eis auf; Petrusj aber war derselbe geblieben, und nur um so
  • düsterer geworden, je weiter die Zeit vorrückte. Wie angeschmiedet saß
  • er mitten im Zimmer, die Säcke mit dem Golde zwischen den Beinen. Er
  • verwilderte, war ganz und gar mit Haaren bewachsen, und wurde ein wahres
  • Schreckbild; immer denkt er an ein und dasselbe, will sich etwas ins
  • Gedächtnis zurückrufen, grollt mit sich und wütet, daß es ihm nicht
  • gelingt. Oft springt er wild von seinem Sitze auf, fährt mit den Händen
  • umher und heftet seine Augen auf etwas, als ob er es festhalten wollte;
  • seine Lippen bewegen sich, als wollten sie ein längst vergessenes Wort
  • aussprechen und -- erstarren ...... Tobsucht packt ihn; wie toll nagt
  • und beißt er an seinen Händen, und voll Grimm reißt er sich ganze
  • Büschel von Haaren aus, bis er wieder still wird, bewußtlos hinsinkt,
  • wieder zu sinnen anfängt; und dann wieder dieselbe Wut, und dieselbe
  • Qual ..... Was für eine Strafe Gottes war das! Was Pidorka durchmachen
  • mußte, das war kein Leben mehr! Zuerst graute sie's, allein im Hause zu
  • bleiben, aber dann gewöhnte sich die Ärmste an ihr Unglück. Die Pidorka
  • von einst war nicht mehr wiederzuerkennen. Ihr Gesicht hatte weder Farbe
  • noch ein Lächeln mehr; abgehärmt und abgezehrt war's, ausgeweint waren
  • die klaren Augen. Einst gab ihr jemand aus Erbarmen den Rat, sie solle
  • zu der Zauberin gehen, die in der Bärenschlucht hauste, und von der der
  • Ruf ausging, sie könne alle Gebreste der Welt heilen. Sie beschloß, dies
  • letzte Mittel zu versuchen. Nach vielem Hin und Her überredete sie
  • endlich die Alte, mit ihr mitzugehen. Es war gegen Abend und gerade vor
  • Johannisnacht. Petrusj lag besinnungslos auf der Bank und nahm den neuen
  • Gast gar nicht wahr. Doch bald begann er sich nach und nach aufzurichten
  • und um sich zu blicken. Plötzlich erbebte er wie auf dem Schafott; sein
  • Haar sträubte sich .... und er brach in ein solches Lachen aus, daß die
  • Angst Pidorka ins Herz schnitt. »Ich hab's, ich hab's!« schrie er in
  • fürchterlicher Lustigkeit, schwang das Beil hoch empor und ließ es aus
  • aller Leibeskraft auf die Alte fallen. Das Beil sauste zwei Zoll tief in
  • die Eichentür hinein. Die Alte war verschwunden, und mitten in der Stube
  • stand ein Kind von sieben Jahren in weißem Hemdchen mit verhülltem
  • Haupte .... Das Tuch flog herunter. »Iwasj!« schrie Pidorka und stürzte
  • auf ihn zu; doch das Gespenst war vom Kopf bis zu Füßen mit Blut bedeckt
  • und erglühte in rotem Lichte, das die ganze Stube in brennendes Rot
  • tauchte. Voller Angst lief sie auf den Flur; als sie wieder ein wenig zu
  • sich gekommen war, wollte sie ihm helfen; aber vergebens! Die Tür war so
  • fest hinter ihr zugeschlagen, daß man nicht imstande war, sie wieder zu
  • öffnen. Die Leute liefen zusammen, begannen zu klopfen, schlugen die Tür
  • ein: Keine Seele war da! Die ganze Stube war voll Rauch, nur in der
  • Mitte, wo Petrusj gestanden hatte, lag ein Haufen Asche, von dem hie und
  • da ein Qualm aufstieg. Man eilte zu den Säcken, darin lagen statt der
  • Dukaten nur zerbrochene Scherben. Mit glotzenden Augen, aufgesperrten
  • Mäulern, und ohne den Mut, sich zu regen, standen die Kosaken wie
  • angewurzelt da. In solche Angst hatte sie dies Wunder versetzt.
  • Was weiter geschah, das weiß ich nicht. Pidorka legte das Gelübde ab,
  • eine Pilgerfahrt zu machen; sie suchte ihr Hab und Gut zusammen, das ihr
  • vom Vater übrig geblieben war, und war in der Tat einige Tage später aus
  • dem Dorfe verschwunden. Wohin sie sich begeben hatte, das wußte niemand
  • zu sagen. Geschwätzige alte Weiber wollten wissen, sie sei dort, wo auch
  • Petrusj sei; aber ein Kosak, der aus Kiew kam, erzählte, er habe im
  • Kloster eine zum Skelett abgemagerte Nonne gesehen, die immerwährend
  • betete und in der ihre Landsleute allen Anzeichen nach Pidorka
  • wiedererkannt hätten. Bis jetzt, hieß es, habe noch niemand von ihr ein
  • einzig Wörtlein gehört, sie solle allein zu Fuß gekommen sein und habe
  • eine Fassung für das Heiligenbild der Mutter Gottes mitgebracht, eine
  • Fassung, die mit solchen bunten Steinen besetzt gewesen sei, daß allen
  • die Augen flimmerten, wenn sie sie ansähen.
  • Mit Verlaub, aber damit war noch nicht alles zu Ende. An demselben Tage,
  • als der Böse Petrusj zu sich genommen hatte, tauchte auch Bassawrjuk
  • wieder auf; aber alle mieden ihn von nun ab. Man wußte jetzt, was das
  • für ein Vogel war: niemand anders als der Satan war's, der
  • Menschengestalt angenommen hatte, um Schätze zu heben; und da unreine
  • Hände nicht Schätze heben können, so lockte er brave Burschen an sich.
  • Noch in demselben Jahre ließen alle ihre Lehmhütten stehen und liegen
  • und zogen ins Kirchdorf; aber auch dort hatte man keine Ruhe vor dem
  • verfluchten Bassawrjuk. Die Tante meines verstorbenen Großvaters
  • erzählte, er habe eine besondere Wut auf sie gehabt, weil sie ihre alte
  • Schenke auf der Landstraße nach Oposchnjany aufgegeben hatte, und er
  • habe mit allen Mitteln versucht, seinen Zorn an ihr auszulassen. Einst
  • waren die Dorfältesten in der Schenke beieinander; sie saßen und
  • unterhielten sich, wie man so sagt, nach Amt und Würden am Tisch, auf
  • dessen Mitte ein gewiß nicht allzu kleiner gebratener Hammel stand. Man
  • schwatzte über dies und jenes, auch über mannigfache Wunder und
  • Ungeheuerlichkeiten. Auf einmal schien's, und nicht nur einem, -- was ja
  • nichts bedeuten würde, -- sondern allen, als ob der Hammel den Kopf
  • erhob, die gebrochenen Augen wie lebendig leuchteten, und als ob
  • plötzlich ein borstiger schwarzer Schnurrbart sich auf die Anwesenden
  • zubewegte. Alle erkannten in dem Hammelkopf sofort die Fratze
  • Bassawrjuks, und die Tante meines Großvaters dachte schon, er würde
  • gleich Schnaps bestellen! .... Die guten Leutchen griffen nach ihren
  • Mützen und zogen ihres Weges. Ein anderes Mal sah der Kirchenvorstand in
  • eigener Person, der es liebte, ab und zu ein Stündchen bei Großvaters
  • Schnapsglas zu verbringen, noch ehe er zum zweiten Male das Glas geleert
  • hatte, auf einmal, wie das Glas anfing, sich ehrerbietigst vor ihm bis
  • zur Erde zu verneigen. »Hol' dich der Teufel!« rief er und begann sich
  • zu bekreuzigen ..... Aber da widerfuhr seiner Ehehälfte gleichfalls ein
  • Wunder: sie hatte gerade begonnen, Teig in einem mächtigen Trog zu
  • kneten, da sprang der Trog auf einmal in die Höhe. »Halt! Halt! Wohin
  • willst du?« rief sie. Aber da begann er, die Henkel in die Hüften
  • gestemmt, ehrwürdig in der Stube umherzutänzeln ..... Ja lacht nur! Aber
  • unserem Großvater war's nicht zum Lachen zumute. Vergeblich ging Vater
  • Afanassi im ganzen Dorfe mit Weihwasser umher und suchte den Teufel
  • durch Besprengen aller Straßen zu vertreiben. Es half nichts. Noch lange
  • klagte die Tante meines verstorbenen Großvaters darüber, daß, sobald es
  • Abend wurde, jemand aufs Dach klopfte und an den Wänden kratzte.
  • Aber das ist noch nicht alles! Jetzt scheint ja auf der Stelle, wo unser
  • Dorf steht, alles ruhig zu sein; aber es ist noch garnicht so lange her,
  • -- mein verstorbener Vater und ich haben es noch erlebt -- daß kein
  • ehrenwerter Mensch an der verfallenen Schenke, die noch lange Zeit
  • danach immer wieder von den unreinen Geistern ausgebessert wurde, ohne
  • Furcht vorbeigehen konnte. Aus dem rußigen Schlot schlugen Säulen Qualms
  • empor, die so hoch in die Luft stiegen, daß einem beim Hinaufsehen die
  • Mütze herunterfiel, und aus dem Qualm fielen glühende Kohlen über die
  • ganze Steppe. Und der Teufel -- gar nicht nennen dürft' man den
  • Hundesohn -- schluchzte so jämmerlich in seiner Kammer, daß die Aasgeier
  • erschreckt in ganzen Scharen aus dem nahen Eichenwäldchen emporstießen
  • und mit wildem Geschrei am Himmel umherschossen.
  • Mainacht
  • oder
  • Die Ertrunkene
  • Der Teufel mag wissen wie's kommt! Machen sich
  • ehrliche getaufte Leute an irgend etwas, so müssen
  • sie sich abrackern, wie der Windhund hinterm Hasen,
  • und kriegen's doch nie zu fassen. Kommt aber der
  • Böse und wackelt bloß mit dem Schwänzchen -- da
  • geht's auf einmal wie vom Himmel gefallen.
  • I.
  • Hanna
  • Hell wie ein leuchtender Strom ergoß sich ein Lied durch die Straßen des
  • Dorfes ***. Es war die Stunde, da Burschen und Mädchen, matt von des
  • Tages Müh und Sorge, sich lärmend im Kreise versammeln, um im Glanz des
  • reinen Abends ihre Lust in Klängen hinauszujubeln, in denen stets etwas
  • wie eine geheime Trauer mitschwingt. Ganz in Sinnen versunken umschlang
  • der Abend träumerisch den blauen Himmel und wandelte alles in
  • Ungewißheit und Ferne. Schon begann es zu dämmern, aber die Lieder
  • verstummten dennoch nicht. Mit der Harfe in der Hand zieht Lewko einher.
  • Er hat sich von den Sängern weggeschlichen, der junge Kosak, des
  • Dorfamtmanns Sohn. Mit seiner hohen Kosakenmütz' auf dem Kopfe zieht der
  • Kosak durch die Gasse, zupft mit der Hand die Saiten und tänzelt dazu.
  • Doch nun blieb er vor der Tür eines Häuschens stehen, das niedrige
  • Kirschbäume umstanden. Wes Haus ist dieses? Und wes die Tür? Nach kurzem
  • Verweilen spielte er und sang:
  • Sonne sinkt, Abend winkt,
  • Komm zu mir, mein Herzenskind!
  • »Nein, mein helläugiges Liebchen schläft wohl schon fest,« sprach der
  • Kosak, indem er sein Lied beendete und ans Fenster trat. »Halja, Halja!
  • Schläfst du, oder willst du nicht zu mir kommen? Du fürchtest gewiß, es
  • könnt' uns jemand erblicken, oder will sich am Ende gar dein weißes
  • Gesichtchen nicht in die Kälte hinauswagen? Fürcht' dich nicht, niemand
  • ist in der Nähe; der Abend ist warm. Ja, käm' auch jemand, ich deck'
  • dich mit meinem Kittel zu, ich will dich mit meinem Gürtel umwinden, mit
  • meinen Händen bedecken, -- und niemand wird uns sehen. Und wehte es
  • selbst eisig kalt, ich drück' dich noch näher an mein Herz, ich wärm'
  • dich mit Küssen und zieh meine Mütze über deine weißen Füßchen. Mein
  • Herz, mein Fischchen, mein Kleinod! Schau nur einen Augenblick heraus.
  • Steck nur dein weißes Händchen durchs Fensterchen ... Nein, du schläfst
  • nicht, stolzes Mädchen!« rief er lauter und in einem Ton, wie ihn wohl
  • jemand findet, der sich über einen Augenblick der Erniedrigung schämt.
  • »Dir gefällt's, mich zu verhöhnen. Leb' wohl!«
  • Er wandte sich ab, schob die Mütze schief aufs Ohr und zog stolz davon,
  • leis die Saiten der Harfe zupfend. Da drehte sich der Holzgriff der Tür,
  • knarrend öffnete sich die Pforte, und ein Mädchen, das etwa siebzehn
  • Lenze zählte, trat, von Dämmerung umwoben, über die Schwelle; scheu sah
  • sie sich um, ohne den hölzernen Griff aus der Hand zu lassen. Ihre
  • hellen Augen leuchteten im ungewissen Dunkel freundlich wie Sternlein;
  • die rote Korallenkette blinkte, und vor den Adleraugen des Burschen
  • blieb nicht einmal die Röte verborgen, die ihr schamhaft über die Wangen
  • flammte.
  • »Wie ungeduldig du bist!« sprach sie halblaut zu ihm. »Gleich bist du
  • böse! Warum hast du denn gerade diese Zeit gewählt? Eine Unmenge von
  • Leuten lungert auf den Straßen umher .... ich zittere am ganzen Leibe.«
  • »O zittere nicht, mein Knöspchen! Drück dich recht fest an mich!« sprach
  • der Bursch, umarmte sie, streifte die Harfe ab, die ihm an einem langen
  • Riemen um den Hals hing, und ließ sich neben ihr vor der Türe nieder.
  • »Du weißt: dich auch nur eine Stunde nicht zu sehen, ist so bitter für
  • mich!«
  • »Weißt du, was ich glaube?« unterbrach ihn das Mädchen und richtete
  • sinnend die Augen auf ihn. »Mir ist's, als raunte mir jemand ins Ohr,
  • daß wir uns in Zukunft nimmer so oft mehr sehen werden. Die Menschen
  • sind bei euch so schlimm, die Mädchen sehen mich so neidvoll an, und die
  • Burschen .... Fühl' ich's doch gar, daß mich die Mutter seit einiger
  • Zeit noch strenger bewacht. Ich will dir's gestehen, fröhlicher war's in
  • der Fremde!«
  • Bei den letzten Worten huschte ein schmerzlicher Zug über ihr Gesicht.
  • »Du bist kaum zwei Monate in der Heimat, und schon wird dir's zu lang;
  • bin ich dir vielleicht auch schon zuwider?«
  • »O nein, du bist mit nicht zuwider!« sagte sie lächelnd, »ich liebe dich
  • doch, du schöner Kosak! Ich liebe dich um deiner klaren Augen willen,
  • und wenn du mit ihnen auf mich blickst, so lächelt alles in meiner
  • Seele, und ihr wird so wohl und so heiter; ich liebe dich, weil du so
  • freundlich mit dem schwarzen Schnurrbart zuckst, weil du auf der Straße
  • singst und spielst, und lieblich ist's, dir zuzuhören.«
  • »O meine Halja!« rief der Bursch, und drückte sie unter Küssen noch
  • fester an seine Brust.
  • »Halt ein, Lewko! Sag mir zuerst, hast du mit deinem Vater gesprochen?«
  • »Was?« rief er, wie aus dem Schlafe auffahrend, »daß wir uns heiraten
  • wollen? Ich habe mit ihm gesprochen.« Doch das Wort »gesprochen« klang
  • voller Bitterkeit in seinem Munde.
  • »Und nun?«
  • »Was soll man mit ihm machen? Der alte Tropf stellt sich nach seiner
  • Gewohnheit taub, will nichts hören, und schilt noch, daß ich mich, weiß
  • Gott wo, umhertreibe und mich mit den Burschen in den Straßen vergnüge.
  • Doch verzage nicht, meine Halja! Da hast du mein Kosakenwort drauf, daß
  • ich ihn doch beuge!«
  • »Ja, Lewko, du brauchst nur ein Wörtlein zu sagen, und alles geschieht
  • nach deinem Willen. Weiß ich es doch von mir: Ich möchte mich dir so
  • manches Mal widersetzen, doch du sagst nur ein Wort, und wider die
  • eigene Absicht tu ich, was du willst. Sieh nur, sieh --« fuhr sie fort,
  • indem sie den Kopf an seine Schultern lehnte und ihre Augen zur Höhe
  • erhob. Dort blaute der warme unermeßliche Himmel der Ukraine, der unten
  • von den krausen Zweigen der Kirschbäume verhängt war. »Sieh dort, --
  • weit, weit, da blinken Sternchen: eins, zwei, drei, vier, fünf ....
  • Nicht wahr, das sind doch Gottes Engel, die die Fensterchen ihrer hellen
  • Himmelsstübchen aufmachen und uns ansehen? Sie blicken doch auf unsere
  • Erde herab? O, wenn die Menschen doch Flügel hätten wie die Vögel, --
  • und so hinauffliegen könnten, hoch, hoch in die Höhe .... O, wie
  • schrecklich! Keine Eiche ragt bei uns in den Himmel. Aber es soll
  • irgendwo in einem fernen Lande solch einen Baum geben, dessen Wipfel in
  • den Himmel hineinrauscht, und Gott soll auf ihm in der Osternacht zur
  • Erde herabsteigen.«
  • »Nein, Halja, Gott hat eine lange Leiter, die vom Himmel bis zur Erde
  • reicht. Am Ostersonntag wird sie von den heiligen Erzengeln
  • aufgerichtet, und sowie Gott auf die erste Stufe tritt, da schwirren
  • alle unreinen Geister empor und stürzen zu Haufen herab in die Hölle.
  • Und darum ist zum Fest Christi kein böser Geist auf der Erde.«
  • »Wie sanft wiegt sich das Wasser hin und her, wie ein Kind in der
  • Wiege,« fuhr Hanna, auf den Teich weisend, fort, der mürrisch von
  • dunklem Ahorngehölz umstanden war und von den Weiden beweint wurde, die
  • ihre trauernden Zweige in ihn versenkt hatten. Wie ein kraftloser Greis
  • hielt er den ferndunklen Himmel in seinen kalten Armen, überschüttete
  • mit frostigen Küssen die brennenden Sterne, die trübe mitten im warmen
  • Meer der nächtlichen Luft glimmten, in ängstlicher Vorahnung, daß bald
  • der König der Nacht in blendendem Glanz aufleuchten würde. Auf dem Berge
  • schlummerte neben dem Walde ein altes hölzernes Haus mit geschlossenen
  • Läden; Moos und Unkraut bedeckten sein Dach; krausgelockte Apfelbäume
  • wucherten vor den Fenstern, der Wald umarmte es mit seinen Schatten und
  • warf eine wilde Düsternis darauf, und vor ihm breitete sich ein
  • Nußbaumhain aus und glitt zum Teiche herab.
  • »Ich erinnere mich wie im Traume,« sagte Hanna, ohne die Augen von ihm
  • abzuwenden. »Vor langer, langer Zeit, als ich noch klein war und bei
  • meiner Mutter lebte, da wurde gar Schreckliches von diesem Hause
  • gesprochen. Lewko, du weißt es sicher, erzähle!«
  • »Da sei Gott vor! Liebste! Was doch die Weiber und Dummköpfe nicht alles
  • erzählen. Du bringst dich nur um deine Ruhe, du könntest dich ängstigen
  • und nachher nicht gut schlafen!«
  • »Erzähl, erzähl, liebster, schönster Junge!« rief sie, preßte ihr
  • Gesicht an seine Wange und umschlang ihn fest. »Nein, du liebst mich
  • nicht! Sicher liebst du noch ein anderes Mädchen! Ich ängstige mich doch
  • nicht -- ich schlafe die Nacht über ganz ruhig. Aber wenn du mir's nicht
  • erzählst, werde ich nicht einschlafen können. Ich werde mich quälen und
  • werde grübeln .... erzähle, Lewko!«
  • »Die Leute sprechen wohl die Wahrheit, die da sagen, daß ein Teufel in
  • den Mädchen sitzt und beständig ihre Neugier reizt. So höre denn. Vor
  • langer Zeit, mein Herz, da lebte ein Hauptmann in diesem Hause. Dieser
  • Hauptmann hatte ein Töchterlein, ein hübsches Fräulein, so weiß wie
  • Schnee, ganz so wie dein Gesichtchen. Des Hauptmanns Weib war schon
  • lange tot, und der Hauptmann gedachte nun, sich eine andere Frau zu
  • nehmen. >Wirst du mich auch liebkosen wie früher, Väterchen, wenn du dir
  • eine andere Frau nimmst?< -- Freilich, mein liebes Töchterchen, noch
  • fester als früher werd' ich dich an mein Herze drücken! Glänzendere
  • Ohrringe noch und Perlen werd' ich dir schenken!«
  • »Der Hauptmann brachte das junge Weib in sein Haus. Schön war das junge
  • Weib, rosig und weiß war das junge Weib, und doch blickte sie so
  • furchtbar auf ihre Stieftochter, daß die aufschrie bei ihrem Anblick,
  • die strenge Stiefmutter aber sprach den ganzen Tag über kein Wort. So
  • kam die Nacht heran. Der Hauptmann begab sich mit seinem jungen Weibe
  • ins Schlafgemach; und auch das schneeweiße Fräulein schloß sich in ihre
  • Kammer ein. Bitter ward ihr zumute und sie begann zu weinen. Plötzlich
  • sieht sie, wie eine schreckliche Katze auf sie zuschleicht; ihr Fell
  • glüht, und ihre eisernen Krallen schlagen laut auf die Diele. Voll Angst
  • springt sie auf die Bank, -- die Katze ihr nach; sie springt auf die
  • Ofenbank, die Katze folgt ihr dort hinauf, und mit einem Male springt
  • sie dem Mädchen an den Hals und beginnt sie zu würgen. Mit einem Schrei
  • riß das Mädchen sie von sich los und schleuderte sie zu Boden. Und
  • wieder schleicht die schreckliche Katze heran. Ein Grausen erfaßt das
  • Mädchen. An der Wand hing ihres Vaters Säbel. Sie packte ihn, und
  • sausend fiel der Hieb, -- die Tatze mit den Eisenkrallen flog ab, und
  • die Katze verschwand winselnd in der dunklen Ecke. Den ganzen Tag über
  • verließ die junge Frau ihr Gemach nicht, erst am dritten Tage erschien
  • sie wieder mit einer verbundenen Hand. Da ging dem armen Fräulein eine
  • Ahnung auf, daß ihre Stiefmutter eine Hexe war, und daß sie ihr die Hand
  • abgehauen hatte. Am vierten Tage befahl der Hauptmann seiner Tochter,
  • Wasser herbei zu tragen und das Haus zu fegen wie eine gemeine Magd, und
  • verbot ihr, sich in den herrschaftlichen Gemächern zu zeigen. Der
  • Ärmsten ward so schwer ums Herz, doch was konnte sie tun, sie mußte ja
  • den Willen des Vaters erfüllen. Am fünften Tage jagte der Hauptmann
  • seine Tochter barfuß aus dem Hause, und gab ihr nicht einmal ein
  • Stückchen Brot mit auf den Weg. Da schlug das Fräulein die Hände vor das
  • Gesicht und begann bitterlich zu schluchzen. >O mein Vater, in Verderben
  • gestürzt hast du deine eigne Tochter. Die Hexe hat deine sündige Seele
  • ins Verderben gestürzt! Möge Gott dir verzeihen, mir hat Er wohl nicht
  • länger zu leben beschieden ....< -- Siehst du da ....?« wandte sich
  • Lewko an Hanna und wies mit dem Finger auf das Haus, »schau hin: dort
  • hinter dem Hause ist das Ufer am steilsten. Von diesem Ufer stürzte sich
  • das Fräulein ins Wasser, und ward seit dem Tage nicht mehr gesehen ....«
  • »Und die Hexe?« unterbrach ihn Hanna ängstlich und richtete ihre
  • tränenschweren Augen auf ihn.
  • »Die Hexe? Alte Weiber haben das Märchen ersonnen, daß seit jener Zeit
  • in mondhellen Nächten alle ertrunkenen Mädchen in den Garten des
  • Hauptmanns kamen, um sich im Mondlicht zu wärmen, und des Hauptmanns
  • Töchterlein war die erste unter ihnen. Eines Nachts erblickte sie ihre
  • Stiefmutter neben dem Teich, fiel über sie her und schleppte sie mit
  • Geschrei ins Wasser. Aber auch diesmal ließ sich die Hexe nicht aus der
  • Fassung bringen, sie verwandelte sich unter dem Wasser in eine von den
  • Ertrunkenen und entkam so der Peitsche aus grünem Schilf, mit der die
  • Ertrunkenen sie schlagen wollten.
  • Glaub' einer den Weibern! -- Man erzählt auch noch, daß das Fräulein
  • seit jener Nacht die Ertrunkenen um sich sammelt, jeder einzelnen ins
  • Gesicht blickt, und sich abmüht, zu erkennen, welche von ihnen die Hexe
  • sei; aber bis jetzt hat sie es noch nicht erfahren. Und wenn sie einen
  • _Menschen_ in die Hände bekommt, so zwingt sie ihn, die Hexe zu suchen,
  • und droht ihm, ihn sonst zu ertränken. So erzählen die alten Leute,
  • liebe Halja! .... Unser jetziger Pan aber will an dieser Stelle eine
  • Schnapsbrennerei errichten und hat schon eigens dazu einen Brennmeister
  • hergeschickt .... Doch ich höre reden. Die Unsrigen kommen vom Singen
  • zurück. Leb' wohl, Halja! Schlafe ruhig und denk nicht an diese
  • Weibermärchen.« --
  • Mit diesen Worten umschlang er sie noch fester, küßte sie und ging.
  • »Leb' wohl, Lewko!« sprach Hanna und richtete sinnend ihre Augen auf den
  • dunklen Wald.
  • In diesem Augenblicke begann ein riesenhafter Feuer-Mond majestätisch
  • aus der Erde zu wachsen. Noch lag die eine Hälfte unter der Erde, aber
  • schon erfüllte sich die ganze Welt mit einem feierlichen Lichte. Der
  • Teich sprühte Funken. Der Schatten der Bäume löste sich scharf vom
  • dunklen Grün.
  • »Leb' wohl, Hanna!« tönt es hinter ihr, und ein Kuß begleitete diese
  • Worte.
  • »Du bist wieder zurückgekehrt?« sagte sie und schaute sich um. Aber als
  • sie einen unbekannten Burschen sah, wandte sie sich zur Seite.
  • »Leb' wohl, Hanna!« ertönte es da wieder, und wieder küßte sie jemand
  • auf die Wange.
  • »Hat der Teufel noch einen hierhergeführt!« rief sie voller Zorn.
  • »Leb' wohl, liebe Hanna!«
  • »Ein Dritter!«
  • »Leb' wohl, leb' wohl, leb' wohl, Hanna!« Und von allen Seiten regneten
  • Küsse auf sie herab.
  • »Das ist ja eine ganze Horde!« schrie Hanna und mußte sich gewaltsam aus
  • einem großen Haufen von Burschen losreißen, die sie um die Wette
  • umarmten. »Wie ist ihnen nur das ewige Küssen nicht zuwider! Bei Gott,
  • bald darf man sich nicht mehr auf der Straße zeigen!«
  • Nach diesen Worten schlug die Türe zu, und man hörte nur noch, wie der
  • eiserne Riegel sich klirrend vorschob.
  • II.
  • Der Dorfamtmann
  • Kennt Ihr die Nächte der Ukraine? O Ihr kennt die Nächte der Ukraine
  • nicht. Blickt nur recht tief in sie hinein, versenkt Euch tiefer in ihre
  • Wunder. Mitten vom Himmel herab blickt der Mond; noch gewaltiger als
  • sonst ist die unermeßliche Wölbung des Himmels, dehnt sich noch weiter
  • in unermeßlichen Fernen und scheint brennend und lohend zu atmen. Die
  • ganze Erde liegt in silbernem Lichte da, die wundersame Luft ist von
  • einer schwülen Kühle und Wonne erfüllt, und strömt einen Ozean von
  • Wohlgerüchen aus. Göttliche Nacht! Berückende Nacht! Regungslos und wie
  • begeistert stehen die Wälder in tiefer Finsternis und werfen ungeheure
  • Schatten. Still liegen die Teiche ruhend da; die Kälte und die
  • Finsternis sind düster verkerkert in die dunkelgrünen Mauern der Gärten.
  • Die jungfräulichen Hecken aus Faulbeer und Kirschbäumen strecken scheu
  • ihre Wurzeln in die kühle Flut der Quellen, und ihre Blätter lispeln ab
  • und zu, als ob sie zürnten oder sich empörten, wenn der schöne,
  • flatterhafte Nachtwind schnell herangeschlichen kommt und sie küßt. Die
  • ganze Natur schläft. Oben aber lebt und webt alles in herrlicher Feier.
  • Und auch die Seele breitet sich herrlich aus ins Unermeßliche, und
  • Reigen silberner Visionen steigen aus ihrer Tiefe auf. Göttliche Nacht!
  • Berückende Nacht! Mit einemmal aber wird alles lebendig: Wälder, Teiche
  • und Steppen. Majestätisch rollt das Schmettern der ukrainischen
  • Nachtigall dahin, und man meint, selbst der Mond lausche ihr aus der
  • Mitte des Himmels .... Wie verzaubert schlummert das Dorf auf der
  • Anhöhe. Noch weißer und prächtiger strahlen die Haufen der Häuschen im
  • Mondlichte, noch blendender heben sich ihre niederen Mauern von der
  • Dunkelheit ab. Die Lieder sind verstummt. Alles ist still. Die frommen
  • Leute schlafen schon. Nur hie und da leuchtet ein schmales Fensterchen
  • auf. Auf den Schwellen einzelner Hütten sitzt noch eine Familie und
  • verzehrt ihr spätes Nachtmahl.
  • »I wo, ein Hopser wird ganz anders getanzt! Also darum ging's nicht vom
  • Fleck! -- Was erzählt der Gevatter da? .... Nun also: Hop, trala! --
  • hop, trala! -- hop, hop, hop!« So sprach ein angeheiterter Bauer
  • mittleren Alters zu sich selbst und begann mitten auf der Straße zu
  • tanzen. »Bei Gott, so wird kein Hopser getanzt! Was soll ich schwindeln?
  • Bei Gott! So nicht! Nun also: Hop trala! -- Hop trala! -- hop, hop,
  • hop!«
  • »Der Mensch ist ja ganz närrisch. Wenn's noch ein junger Kerl wäre, aber
  • so ein alter Bär .... der tanzt bloß den Kindern zum Spott hier nachts
  • auf der Straße!« rief eine ältere Frau im Vorübergehen, die Stroh in der
  • Hand trug. »Geh nach Haus! Es ist schon längst Schlafenszeit!«
  • »Ich gehe ja schon,« sagte der Bauer und blieb stehen. »Ich geh' ja
  • schon. Ich pfeife auf den Amtmann. Was denkt er sich denn. Der Teufel
  • soll seinen Vater holen. Wenn er Amtmann ist und die Leute bei stärkstem
  • Frostwetter noch mit kaltem Wasser begießt, hat er darum etwa das Recht,
  • so hochnäsig und wichtig zu tun? Ei, ist das mir ein Amtmann! Ich bin
  • mein eigner Amtmann! Gott soll mich schlagen -- ich bin mein eigner
  • Amtmann! Jawohl,« fuhr er fort, »und nicht etwa ....« Er trat ans erste
  • beste Häuschen heran, blieb vor dem Fenster stehen, und bemühte sich,
  • mit den Fingern über die Scheibe gleitend, den hölzernen Griff zu
  • finden. »Weib, mach auf! Schnell, Weib, ich sage dir, mach auf! Der
  • Kosak will schlafen!«
  • »Wo willst du hin, Kalenik? du bist an ein fremdes Haus geraten!«
  • schrien lachend die Mädchen hinter ihm her, die vom fröhlichen Sang
  • heimkehrten. »Sollen wir dir dein Haus zeigen?«
  • »Zeigt mir's, meine lieben jungen Damen!«
  • »Damen? Hört ihr's?« rief die eine, »wie artig Kalenik ist! Dafür müssen
  • wir ihm sein Haus zeigen ....! Aber nein, erst tanz uns mal eins vor!«
  • »Tanzen? .... Ah, ihr schlauen Mädel!« rief Kalenik gedehnt lachend, mit
  • dem Finger drohend und stolpernd, denn er war etwas unsicher auf den
  • Beinen. »Laßt Ihr euch auch küssen? Ich will euch alle küssen -- alle
  • .... alle!« Und mit wankenden Schritten jagte er hinter ihnen her. Die
  • Mädchen schrieen alle durcheinander; aber bald faßten sie Mut und liefen
  • auf die andere Seite der Straße, als sie merkten, daß Kalenik nicht
  • allzu flink auf den Beinen war.
  • »Da ist dein Haus!« schrien sie ihm beim Fortgehen zu und zeigten auf
  • ein Haus, das größer war als die übrigen und dem Dorfamtmann gehörte.
  • Kalenik wankte gehorsam auf jene Seite hinüber und begann dann von neuem
  • auf den Amtmann zu schimpfen.
  • Wer aber ist denn eigentlich dieser Amtmann, der so böses Gerede über
  • sich erregt? O, dieser Amtmann ist eine wichtige Person auf dem Lande.
  • Bis Kalenik das Ende seines Weges erreicht hat, werden wir wohl Zeit
  • finden, einiges über ihn zu sagen. Alle im Dorfe greifen bei seinem
  • Anblick an die Mütze, und selbst die allerjüngsten Mädchen sagen ihm
  • Guten Tag. Wer im Dorfe möchte nicht Amtmann sein? Dem Amtmann ist der
  • Weg zu allen Tabaksdosen offen, und der kräftige Bauer steht die ganze
  • Zeit über ehrfurchtsvoll mit der Mütze in der Hand da, solange jener
  • seine dicken und groben Finger in seine Tabatiere von Bast steckt. Im
  • Gemeinderat hat der Amtmann immer die Oberhand, obgleich seine Macht
  • noch durch andere Stimmen beschränkt wird, und er heißt fast ganz nach
  • seiner Willkür jeden, der ihm gerade paßt, den Weg ebnen oder einen
  • Graben anlegen. Der Amtmann ist mürrisch, von plumpem Äußeren und redet
  • nicht gern. Vor langer, langer Zeit, als noch die große Zarin Katharina
  • seligen Angedenkens einmal in die Krim reiste, war er auserwählt worden,
  • an ihrem Gefolge teilzunehmen; er bekleidete dieses Amt ganze zwei Tage
  • und hatte sogar die Ehre, auf dem Bock neben dem Kutscher der Zarin
  • sitzen zu dürfen. Seit dieser Zeit weiß der Amtmann würdevoll und
  • sinnend den Kopf zu senken, seinen langen und an der Spitze etwas
  • krausen Schnurrbart zu glätten und drohende Falkenblicke um sich zu
  • werfen. Seit dieser Zeit weiß er auch, worüber man immer mit ihm
  • sprechen mag, stets die Rede darauf zu bringen, daß er die Zarin
  • begleitet und auf dem Kutschbock des kaiserlichen Wagens gesessen habe.
  • Der Amtmann beliebt nur manchmal, sich taub zu stellen, besonders wenn
  • er etwas hören muß, was er nicht gerne hört. Er liebt es nicht, Staat zu
  • machen, trägt stets einen Kittel aus schwarzem Haustuch, umgürtet sich
  • mit einem bunten Wollgürtel, und noch _nie_ hat ihn jemand in einem
  • anderen Kostüm gesehen, ausgenommen vielleicht in der Zeit, wo die Zarin
  • in die Krim reiste, und wo er einen blauen Kosakenrock, den Schupan,
  • trug. Aber auf diese Zeit kann sich wohl kaum jemand aus dem ganzen
  • Dorfe besinnen; den Schupan aber bewahrt er in einem Kasten unter Schloß
  • und Riegel. Der Amtmann ist Witwer; aber in seinem hause lebt eine
  • Schwägerin, die ihm Mittag- und Abendbrot kocht, die Bänke scheuert, die
  • Stube weißt, ihm Hemdentuch webt und sein ganzes Hauswesen leitet. Im
  • Dorfe heißt es, sie sei nicht richtig mit ihm verwandt; aber wir haben
  • ja schon gesehen, daß der Amtmann viele Feinde hat, die ihn gern ein
  • wenig verleumden. Übrigens hat vielleicht der Umstand Anlaß dazu
  • gegeben, daß es der Schwägerin immer mißfiel, wenn der Amtmann aufs Feld
  • ging, wo die Schnitterinnen an der Arbeit waren, oder zu einem Kosaken,
  • der ein junges Töchterchen hatte. Der Amtmann ist einäugig, dafür aber
  • ist sein einsames Auge ein Schelm und kann schon von fern ein hübsches
  • Bauernmädchen erkennen. Doch bevor er sein Auge auf ein niedliches
  • Gesichtchen richtet, sieht er sich erst sorgfältig um, ob ihm die
  • Schwägerin auch nicht zuschaut.
  • Nun haben wir schon fast alles Notwendige vom Amtmann erzählt, und der
  • betrunkene Kalenik hat noch nicht die Hälfte des Weges zurückgelegt.
  • Noch lange traktierte er den Amtmann mit den ausgesuchtesten Worten, die
  • ihm auf seine faule und zusammenhangloses Zeug lallende Zunge kamen.
  • III.
  • Ein unerwarteter Nebenbuhler
  • Die Verschwörung
  • »Nein, Burschen, nein! Ich will nicht! Was soll diese Ausgelassenheit?
  • Wie, wird euch das Tollen nicht zuwider? Wir gelten ohnehin schon für
  • Gott weiß was für Raufbolde. Geht lieber schlafen!« So sprach Lewko zu
  • seinen fröhlichen Kumpanen, die ihn zu neuen Streichen überreden
  • wollten. »Lebt wohl, Brüder! Gute Nacht!« Und schnellen Schrittes eilte
  • er davon.
  • »Schläft meine helläugige Hanna?« dachte er, als er an das uns schon
  • bekannte, von Kirschbäumen umstandene Häuschen trat. Mitten in der
  • Stille vernahm er ein leises Gespräch. Lewko blieb stehen. Durch die
  • Bäume schimmerte ein weißes Frauengewand .... »Was soll das?« dachte er,
  • schlich näher heran und versteckte sich hinter einem Baum. Der
  • Mondschein erhellte das Gesicht des vor ihm stehenden Mädchens.
  • »Hanna?« Aber wer war der hochgewachsene Mann, der mit dem Rücken zu ihm
  • stand? Vergeblich blickte er nach ihm hin: Der war vom Kopfe bis zu den
  • Füßen in Schatten gehüllt. Nur von vorn fiel etwas Licht auf ihn, aber
  • schon der kleinste und leiseste Schritt setzte Lewko der
  • Unannehmlichkeit aus, entdeckt zu werden. Still an einen Baum gelehnt,
  • blieb er stehen. Das Mädchen hatte ganz deutlich seinen Namen
  • ausgesprochen.
  • »Lewko? Lewko ist noch ein Milchbart!« rief der große Mann. »Wenn ich
  • ihn bei dir treffe, reiße ich ihm den Schopf aus ....«
  • »Ich möchte wohl wissen, welcher Lump damit prahlt, er werde mir meinen
  • Schopf ausreißen!« sagte sich Lewko still und reckte den Hals empor, um
  • ja kein Wort zu verlieren. Aber der Unbekannte fuhr so leise fort, daß
  • man nichts mehr hören konnte.
  • »Schämst du dich denn gar nicht!« sprach Hanna, als er zu Ende geredet
  • hatte. »Du lügst, du willst mich betrügen. Du liebst mich nicht, ich
  • werde dir nie glauben, daß du mich liebst!«
  • »Ich weiß,« erwiderte der große Mann, »Lewko hat dir viel unsinniges
  • Zeug vorgeschwatzt und dir den Kopf verdreht!« (Hier kam es dem Burschen
  • so vor, als sei die Stimme des Unbekannten ihm nicht ganz fremd, und als
  • habe er sie schon einmal gehört.) »Aber ich werd' es dem Lewko schon
  • zeigen!« fuhr der Unbekannte fort. »Er glaubt, ich sehe alle seine
  • Streiche nicht, er soll meine Fäuste schon zu kosten bekommen, der
  • Hundesohn!«
  • Bei diesen Worten konnte Lewko seinen Zorn nicht länger unterdrücken. Er
  • schlich bis auf drei Schritte an ihn heran und holte aus aller Kraft
  • aus, um ihm einen Hieb zu versetzen, dem der Unbekannte trotz seiner
  • offenbaren Stämmigkeit vielleicht nicht standgehalten hätte; aber in
  • diesem Augenblicke fiel das Licht auf des Unbekannten Antlitz, und Lewko
  • erstarrte -- er sah seinen eigenen Vater vor sich. Nur ein
  • unwillkürliches Kopfschütteln und ein leises Pfeifen durch die Zähne
  • verrieten seine Verblüffung. Dann vernahm man ein feines Rascheln, Hanna
  • floh eiligst ins Haus und schlug die Tür hinter sich zu.
  • »Leb wohl, Hanna!« rief in diesem Augenblick einer der Burschen, der
  • leise herangeschlichen war, und umarmte den Amtmann, aber er prallte
  • entsetzt zurück, als er den struppigen Schnurrbart berührte.
  • »Leb wohl, mein schönes Kind!« rief ein anderer, aber dieser flog Hals
  • über Kopf, von einem schweren Stoß des Amtmanns getroffen, zur Erde.
  • »Leb wohl, leb wohl, Hanna!« riefen einige Burschen und hingen sich ihm
  • an den Hals.
  • »Fahrt doch zur Hölle, ihr verdammten Lümmel!« schrie der Amtmann, indem
  • er sie von sich abwehrte, und stampfte voller Wut mit den Füßen. »Bin
  • ich etwa Hanna? Schert euch hinter euren Vätern her; an den Galgen mit
  • euch, ihr Teufelsbrut! Kleben die fest an einem, rein wie die Bienen am
  • Honig! Ich will euch schon zeigen wer Hanna ist ....«
  • »Der Amtmann, der Amtmann! 's ist der Amtmann!« schrien die Burschen und
  • liefen nach allen Seiten auseinander.
  • »Ei, ei, Väterchen!« sprach Lewko, als er sich wieder von seinem Staunen
  • erholt hatte, und blickte dem schimpfend davonziehenden Amtmann nach.
  • »Solche Streiche machst du also? Großartig! Und ich habe mich noch
  • gewundert und immer gedacht, was mag das nur bedeuten, daß er sich immer
  • taub stellt, sobald ich mit ihm von dieser Sache zu sprechen anfange.
  • Halt, alter Graubart, ich will dir schon beibringen, was das heißt, sich
  • vor den Fenstern junger Mädchen herumzudrücken; fremde Bräute abspenstig
  • machen? -- na, ich will dir's schon zeigen! Hollah, Jungens, hierher!«
  • schrie er, mit der Hand die Burschen zu sich heranwinkend, die sich
  • wieder versammelt hatten und in einem Haufen zusammenstanden. »Kommt
  • doch her! Ich hab' euch zwar ermahnt, schlafen zu gehen, aber ich hab's
  • mir wieder überlegt und will gern die ganze Nacht mit euch verbummeln.«
  • »Das laß ich mir gefallen!« rief ein breitschultriger und stattlicher
  • Bursche, der als der erste Herumstreicher und Wildfang im Dorf galt.
  • »Mir ist nicht wohl zumute, wenn ich keine Gelegenheit habe, ein paar
  • Streiche zu machen und mich ordentlich auszutoben. Mir ist, als fehlte
  • mir etwas, es kommt mir dann so vor, als hätte ich die Mütze oder die
  • Pfeife verloren, kurz, ich fühle mich nicht mehr als rechter Kosak!«
  • »Wollt ihr heute den Amtmann mal tüchtig ärgern?«
  • »Den Amtmann?«
  • »Ja, den Amtmann. Wahrhaftig! Was denkt sich denn der? Der kommandiert
  • bei uns herum wie ein Hetman! Nicht genug, daß er uns hin und her hetzt
  • wie seine Knechte, nein, er macht sich auch noch an unsere Mädchen
  • heran! Ich glaube, im ganzen Dorfe gibt's auch nicht _ein_ hübsches
  • Mädchen, mit dem der Amtmann nicht anbändelte.«
  • »'s ist wahr, 's ist wahr!« riefen alle Burschen wie aus einer Kehle.
  • »Aber, Kinder, was sind wir denn für Kerle? Sind wir nicht Männer von
  • altem Stamm wie er? Wir sind doch gottlob freie Kosaken! Jungens, zeigen
  • wir ihm, daß wir freie Kosaken sind!«
  • »Ja, ja, wir wollen's ihm zeigen!« riefen die Burschen. »Und kommt erst
  • der Amtmann an die Reihe, so wollen wir auch den Schreiber nicht
  • vergessen!«
  • »Freilich, wir wollen auch den Schreiber nicht vergessen. Gerade eben
  • ist mir so ein hübsches Liedchen auf den Amtmann eingefallen. Kommt, ich
  • will es euch lehren,« fuhr Lewko fort und schlug mit der Hand die Saiten
  • der Harfe an. »Aber hört: jeder muß sich verkleiden wie sich's gerad
  • trifft!«
  • »Los, Kosaken!« rief der wilde, stämmige Mensch, schlug die Beine
  • zusammen und klatschte in die Hände. »Ist das eine Freude! Das nenn' ich
  • Freiheit! Wenn das Toben beginnt, so möcht' ich fast glauben, die alten
  • Tage erständen aufs neue. So herrlich und frei wird einem ums Herz und
  • die Seele fühlt sich wie im Paradies. He, Jungens! Auf, drauf los!« ....
  • Und die Menge zog lärmend durch die Straßen. Die frommen alten Frauen,
  • die vom Geschrei geweckt wurden, schoben die Fenster in die Höhe,
  • bekreuzigten sich mit ihren schläfrigen Händen und sprachen: »Ja, ja,
  • jetzt gehen die Burschen bummeln!«
  • IV.
  • Die Burschen bummeln
  • Nur in einem Hause, am Ende der Straße brannte noch Licht. Das war das
  • Haus des Amtmanns. Der Amtmann hatte schon längst sein Nachtmahl beendet
  • und wäre zweifellos schon lange schlafen gegangen, aber er hatte noch
  • einen Gast, den Branntweinbrenner, der von einem Gutsbesitzer, welcher
  • mitten im Kosakenlande ein kleines Gut besaß, hierher geschickt worden
  • war, um eine Schnapsbrennerei zu errichten. Obenan auf dem Ehrenplatze
  • unterm Heiligenbilde, saß der Gast -- ein kurzes, dickes Männchen mit
  • ewig lachenden Äuglein, die das ganze Behagen wiederzuspiegeln schienen,
  • mit dem er seine Pfeife rauchte; er spuckte jeden Augenblick zur Seite
  • und preßte den aus der Pfeife kriechenden Tabak, der sich schon zu Asche
  • verwandelt hatte, mit dem Daumen wieder hinein. Dichte Rauchwolken
  • türmten sich schnell über ihm auf und hüllten ihn in ein Kleid von
  • blauem Nebel. Es schien, als ob der breite Schlot einer Schnapsfabrik
  • herunterspaziert wäre, weil er es überdrüssig geworden war, ewig auf
  • seinem Dache zu hocken, und nun artig in der Stube des Amtmanns bei
  • Tisch säße. Dicht unter seiner Nase befand sich ein kurzer dichter
  • Schnurrbart; aber dieser Schnurrbart guckte so undeutlich aus der
  • Tabaksluft hervor, als wäre er eine Maus, die der Branntweinbrenner
  • gefangen hätte und nun im Munde hielte; wie wenn jener die Absicht
  • hätte, das Monopol des Katers auf dem Speicher zu untergraben. Der
  • Amtmann saß als Hausherr in bloßem Hemd und in einer Leinwandhose da;
  • sein Adlerauge begann allmählich zu blinzeln und zu erlöschen wie die
  • Abendsonne. Am Ende des Tisches rauchte einer der Dorfbüttel, die das
  • Kommando des Amtmanns bildeten ein Pfeifchen; er saß aus Respekt vor dem
  • Hausherrn im Kittel da.
  • »Gedenkt ihr,« sprach der Amtmann zum Brennmeister gewandt, indem er ein
  • Kreuz über seinen gähnenden Mund machte, »gedenkt ihr die Brennerei bald
  • zu eröffnen?«
  • »Mit Gottes Hilfe werden wir vielleicht schon in diesem Herbst zu
  • brennen anfangen. Ich wette, zu Mariä Geburt werden der Herr Amtmann
  • schon auf der Straße mit den Beinen die Linien von deutschen Bretzeln
  • beschreiben!«
  • Bei diesen Worten verschwanden die Augen des Branntweinbrenners, und an
  • ihrer Stelle zogen sich lange Strahlen bis zu den Ohren hin. Der ganze
  • Körper schüttelte sich vor Lachen, und seine lustigen Lippen trennten
  • sich für einen Augenblick von der paffenden Pfeife.
  • »Das gebe Gott!« sprach der Amtmann und drückte auf seinem Gesicht so
  • etwas wie ein Lächeln aus. »Jetzt gibt's Gottlob, wenig
  • Schnapsbrennereien. Aber in alten Zeiten, als ich die Zarin auf der
  • Landstraße von Perejaslawl geleitete, und der verstorbene Besborodko
  • ...«
  • »An was für Zeiten du auch denkst, Gevatter! Damals konnte man auf dem
  • ganzen Wege von Krementschug nach Romny noch nicht eine Schnapsbrennerei
  • finden. Jetzt dagegen .. hast du gehört, was sich diese verdammten
  • Deutschen ausgedacht haben? Bald wird man, wie es heißt, den Schnaps
  • nicht mehr mit Holz brennen, wie das alle ehrlichen Christen tun,
  • sondern mit irgend einem verteufelten Dampfe!« ... Bei diesen Worten
  • blickte der Brandmeister nachdenklich auf seine Ellbogen, die er auf den
  • Tisch stützte. »Wie das mit Dampf gemacht werden soll, das weiß ich bei
  • Gott nicht!«
  • »Was für Narren doch diese Deutschen sind! Lieber Gott erbarme dich!«
  • sagte der Amtmann. »Die sollten den Knüppel zu kosten kriegen, diese
  • Hundesöhne! Wo hat man je gehört, daß man mit Dampf kocht? Auf diese Art
  • könnte man ja keinen Löffel Borschtschsuppe in den Mund nehmen, ohne
  • sich die Lippen zu verbrühen und auch kein junges Ferkel ....«
  • »Gevatter,« rief da die Schwägerin, die mit übereinandergeschlagenen
  • Beinen auf der Ofenbank saß: »Wirst du denn die ganze Zeit über ohne
  • deine Frau bei uns leben?«
  • »Wozu brauche ich _die_? Wenn's noch was Rechtes wär'!«
  • »Ist sie nicht nett?« fragte der Amtmann, sein Auge auf ihn richtend.
  • »Gott bewahre, nett! Die ist so alt wie der Teufel! Und hat die Fratze
  • voller Runzeln wie ein leerer Beutel!« Und die gedrungene Gestalt des
  • Branntweinbrenners fing wieder an zu wackeln, so laut lachte er.
  • In diesem Augenblick scharrte jemand an der Tür; die Tür ging auf -- ein
  • Bauer trat über die Schwelle, ohne die Mütze abzunehmen, und pflanzte
  • sich mitten in der Stube auf, wie nachdenklich, mit aufgesperrtem Munde
  • die Decke musternd. Es war der uns schon bekannte Kalenik.
  • »So, nun bin ich zu Hause!« rief er aus und setzte sich auf eine Bank
  • neben der Tür, ohne im geringsten auf die Anwesenden zu achten. »Wie
  • lang mir der Sohn des Bösen den Weg gemacht hat! Man geht und geht, und
  • es nimmt kein Ende! Die Beine sind einem wie zerschlagen. Weib, gib mir
  • doch den Schafspelz als Unterlage. Weiß Gott, ich kriech' nicht zu dir
  • auf den Ofen, dazu tun mir die Beine zu weh! Gib ihn mir her. Dort liegt
  • er neben dem Heiligenbilde, aber sieh zu, wirf den Topf mit dem
  • geriebenen Tabak nicht um. Oder nein, laß ihn lieber! Du bist heute
  • vielleicht betrunken .... ich hol ihn mir schon lieber selbst.«
  • Kalenik wollte sich aufrichten, aber eine unüberwindliche Macht fesselte
  • ihn an die Bank.
  • »Das gefällt mir,« sagte der Amtmann, »der kommt in fremde Stuben und
  • benimmt sich ganz wie zu Hause! Schafft ihn nur in Frieden wieder
  • hinaus! ....«
  • »Laßt ihn ausruhen, Gevatter,« sprach der Branntweinbrenner, den Amtmann
  • an der Hand zurückhaltend. »Das ist ein nützlicher Mensch: noch mehr
  • solche Leute -- und unsere Brennerei geht großartig!«
  • Es war jedoch nicht Gutmütigkeit, die ihn zu diesen Worten veranlaßte.
  • Der Branntweinbrenner glaubte an allerhand üble Vorzeichen, und einen
  • Menschen, der sich schon gesetzt hatte, davonjagen, das hieß für ihn so
  • viel wie ein Unglück heraufbeschwören.
  • »Ach ja, das Alter rückt heran ....« brummte Kalenik und streckte sich
  • auf die Bank hin. »Wäre ich noch wenigstens betrunken! Aber bei Gott,
  • nein, ich bin nicht betrunken! Wozu sollte ich denn flunkern? Und das
  • will ich auch dem Amtmann selbst sagen, wenn's sein muß! Was ist mir
  • denn der Amtmann? Mag er verrecken, der Hundesohn. Ich spucke auf ihn.
  • Ein Wagen soll ihn überfahren, den einäugigen Teufel! Was hat er den
  • Leuten Wasser auf den Kopf zu gießen, wenn's friert! ....«
  • »Oho! Kommt einem so ein Schwein ins Haus gekrochen und legt auch noch
  • die Pfoten auf den Tisch!« sagte der Amtmann und stand zornig von seinem
  • Platze auf; aber in diesem Augenblicke flog ein gewichtiger Stein, der
  • die Fensterscheibe zerschmetterte, ihm vor die Füße. Der Amtmann blieb
  • stehen. »Wenn ich wüßte,« sagte er, und hob den Stein auf, »welcher
  • Galgenstrick den Stein da hereingeworfen hat, dem würde ich schon
  • zeigen, was das heißt, Steine werfen! Was für Streiche!« fuhr er fort,
  • indem er den Stein in die Hand nahm und mit brennendem Blicke musterte.
  • »Er soll ersticken an diesem Stein! ....«
  • »Halt, halt! Behüt dich Gott, Gevatter!« fiel der Branntweinbrenner mit
  • bleichem Gesichte ein. »Behüt dich Gott in dieser und jener Welt, jemand
  • mit einem solchen Fluch zu bedenken!«
  • »Oho, der hat ja einen schönen Beschützer gefunden! Krepieren soll er
  • ....«
  • »Hör auf, Gevatter! Du weißt wohl nicht, was meiner seligen
  • Schwiegermutter widerfahren ist?«
  • »Deiner Schwiegermutter?«
  • »Ja, meiner Schwiegermutter! Eines Abends, es war ein bißchen früher als
  • heute, setzten sie sich zum Abendessen hin: meine verstorbenen
  • Schwiegereltern, der Knecht, die Magd und fünf Kinder. Die
  • Schwiegermutter schüttete ein paar Knödel aus dem großen Kessel in die
  • Schüssel, damit sie ein wenig abkühlten, denn nach der Arbeit waren alle
  • hungrig und wollten nicht warten, bis die Knödel kalt waren. Sie
  • steckten ihre langen Holzstäbe hinein und begannen zu essen. Auf einmal
  • taucht da ein Mann auf und bittet, ihn auch mitessen zu lassen; wer das
  • war, mag Gott wissen. Nun, soll man etwa einem hungrigen Menschen nicht
  • zu essen geben? Man reicht ihm also auch ein Stäbchen. Aber der Gast
  • räumt mit den Knödeln auf wie die Kuh mit dem Heu. Bis jene einen Knödel
  • gegessen und den Stab nach einem zweiten ausgestreckt hatten, war der
  • Boden der Schüssel schon so glatt wie die Diele eines Herrenhauses. Die
  • Schwiegermutter tat noch Klöße hinein; denn sie dachte, nun hat der Gast
  • sich satt gegessen und wird nicht mehr so stark zugreifen. Aber ganz im
  • Gegenteil: er schlang und schlang noch immer gewaltiger, und leerte auch
  • die zweite Schüssel. »Daß du an den Knödeln ersticktest!« dachte die
  • hungrige Schwiegermutter; aber da drehte sich jener auf einmal um und
  • sank zu Boden. Man stürzte zu ihm hin -- aber sein Geist war schon
  • entflohen. Er war erstickt!«
  • »Geschah ihm ganz recht, dem verdammten Freßsack!« sagte der Amtmann.
  • »Schon recht, aber es kam ganz anders: Seit jener Zeit hatte die
  • Schwiegermutter keine Ruhe mehr. Kaum wird's Nacht, sofort kommt der
  • Tote angerückt. Sitzt rücklings auf dem Schornstein, der Verdammte, und
  • hält einen Knödel zwischen den Zähnen. Am Tage ist alles ruhig, er läßt
  • weder etwas von sich sehen noch hören; kaum aber dämmert es, so braucht
  • man nur auf's Dach zu blicken und schon reitet der Hundesohn da oben auf
  • dem Schornstein!«
  • »Mit einem Knödel zwischen den Zähnen?«
  • »Ja mit einem Knödel zwischen den Zähnen!«
  • »Wie wunderlich, Gevatter! Ich habe ja auch so was Ähnliches von meiner
  • Seligen gehört ....«
  • Da aber hielt der Amtmann inne. Vor dem Fenster wurde Geräusch, ein
  • Stampfen und Tanzen laut vernehmbar. Zuerst hörte man die Harfensaiten
  • leise klimpern und dann fiel eine Stimme ein. Die Saiten erklangen
  • stärker, mehrere Stimmen fielen ein -- und wie ein Wirbel ertönte
  • rauschend das Lied:
  • Burschen, habt ihr schon vernommen?
  • Sind wir wirklich solche Narren?
  • Unser Amtmann hat bekommen
  • In dem Schädel einen Sparren!
  • Böttcher, schlag um unsern Amtmann
  • Deine festen Eisenreifen!
  • Böttcher, laß um unsern Amtmann
  • Ruten, Ruten, Ruten pfeifen!
  • Unserm Amtmann alt und grau,
  • Fehlt ein Auge in dem Kopf!
  • Unser Amtmann ist 'ne Sau,
  • Schleicht zu Mädels, dieser Tropf!
  • Läufst du zu den jungen Leuten,
  • Bleib nur lieber fein zu Haus!
  • Denk' mal: wenn sie dich verbläuten
  • Und den Schopf dir rissen aus! ....
  • »Ein ausgezeichnetes Lied, Gevatter!« sagte der Branntweinbrenner, indem
  • er den Kopf etwas auf die Seite neigte und sich an den Amtmann wandte,
  • der bei dieser Frechheit ganz starr vor Staunen geworden war.
  • »Ausgezeichnet! 's ist nur schade, daß man in nicht ganz anständigen
  • Worten vom Amtmann spricht ...«
  • Und wieder stützte er mit einer süßlichen Rührung in den Augen die Arme
  • auf den Tisch und bereitete sich vor, weiter zuzuhören, denn vor dem
  • Fenster erdröhnte ein Gelächter, und man vernahm den Ruf: »Noch einmal,
  • noch einmal!« Ein scharfes Auge hätte jedoch sofort bemerkt, daß nicht
  • das Staunen allein den Amtmann so lange auf einem Fleck festhielt. So
  • läßt oft ein alter erfahrener Kater die junge unerfahrene kleine Maus
  • rings um seinen Schwanz herumlaufen, während er Pläne schmiedet, wie er
  • ihr am besten den Rückzug in ihr Mauseloch abschneiden kann. Noch war
  • das einsame Auge des Amtmanns auf das Fenster gerichtet, aber schon lag
  • seine Hand, die dem Büttel ein Zeichen gegeben hatte, am Holzgriff der
  • Tür; auf einmal erhob sich auf der Straße ein lautes Geschrei ..... Der
  • Branntweinbrenner, zu dessen zahlreichen Vorzügen auch eine gewisse
  • Neugierde gehörte, stopfte rasch den Tabak wieder in seine Pfeife und
  • lief auf die Straße hinaus. Aber die Taugenichtse waren schon
  • auseinandergestoben.
  • »Nein, du wirst mir nicht entwischen!« schrie der Amtmann und zerrte
  • einen Menschen in einem schwarzen Schafspelz hinter sich her, dessen
  • Fell nach außen gekehrt war. Der Branntweinbrenner benutzte die Zeit und
  • eilte herzu, um dem Friedensstörer ins Gesicht zu schauen; aber er wich
  • angstvoll zurück, als er einen langen Bart und eine schreckhaft
  • ausgemalte Fratze erblickte. »Nein, du wirst mir nicht entwischen!«
  • schrie der Amtmann und schleppte seinen Gefangenen in den Flur; ruhig
  • und ohne den geringsten Widerstand zu leisten, folgte ihm der Gefangene,
  • als ob's sein eignes Haus wäre. »Karpo, mach' die Kammer auf!« rief der
  • Amtmann dem Büttel zu. »Wir sperren ihn in die dunkle Kammer! Dann
  • wecken wir den Schreiber, holen die Büttel herbei, fangen all diese
  • Raufbolde ein und urteilen sie heute noch ab!«
  • Der Büttel klapperte im Flur am Hängeschloß und öffnete die Kammer. In
  • diesem Augenblick machte sich der Gefangene die Dunkelheit im Flur
  • zunutze und riß sich plötzlich mit ungewöhnlicher Kraft aus den Händen,
  • die ihn hielten.
  • »Wohin?« rief der Amtmann und packte ihn noch fester am Kragen.
  • »Laß los, ich bin's ja!« hörte man ein dünnes Stimmchen rufen.
  • »Das nützt dir nichts, das nützt dir gar nichts, Brüderchen! Quiek du
  • nur wie ein Weib oder wie ein Teufel! Mich wirst du nicht übertölpeln!«
  • Und der Amtmann stieß ihn in die dunkle Kammer, so daß der arme
  • Gefangene aufstöhnend zu Boden fiel. Er selbst begab sich in Begleitung
  • des Büttels ins Haus des Schreibers, und hinter ihnen kam der
  • Branntweinbrenner wie ein Dampfschiff dahergeraucht.
  • Nachdenklich schritten alle drei mit gesenktem Kopfe dahin, doch auf
  • einmal stießen sie beim Einbiegen in ein dunkles Gäßchen einen Schrei
  • aus -- jeder hatte einen mächtigen Schlag vor die Stirn bekommen, und
  • eben solch ein Schrei hallte ihnen zur Antwort entgegen. Der Amtmann
  • kniff sein Auge zu und sah erstaunt den Schreiber mit zwei Bütteln vor
  • sich.
  • »Ich will gerade zu dir, Herr Schreiber!«
  • »Und ich wollte gerade zu dir, Herr Amtmann!«
  • »Es geschehen Wunder, Herr Schreiber!«
  • »Ja, es gehen Wunderdinge vor, Herr Amtmann!«
  • »Was denn?«
  • »Die Burschen toben! In ganzen Scharen treiben sie Unfug auf den
  • Straßen. Sie benennen Euer Gnaden mit solchen Worten .... Man schämt
  • sich, eins davon zu nennen; selbst ein betrunkener Moskowiter würde sich
  • hüten, mit seiner unreinen Zunge sowas auszusprechen! (All diese Worte
  • begleitete der dürre Schreiber, der eine Hanfpluderhose und eine
  • hefenfarbene Weste anhatte, mit einem Vorstrecken und schleunigem
  • Zurückziehen des Halses.) Ich wollte gerade einnicken, da schleppten
  • mich die verdammten Lümmel mit ihren unflätigen Liedern und ihrem
  • Gepolter aus dem Bett! Ich wollte ihnen eine ordentliche Lehre geben,
  • aber bis ich die Hose und Weste angezogen hatte, waren sie wieder nach
  • allen Seiten auseinandergelaufen. Der Rädelsführer ist uns aber nicht
  • entwischt. Jetzt brummt er in der Stube, wo man die Häftlinge festhält.
  • Ich brannte darauf, zu erfahren, was das für ein Vogel sei, aber seine
  • Fratze ist mit Ruß beschmiert, wie bei einem Teufel, der die Nägel für
  • die Sünder schmiedet.«
  • »Und wie ist er angezogen, Herr Schreiber?«
  • »Er trägt einen schwarzen, nach außen gekehrten Pelz, der Hundesohn,
  • Herr Amtmann!«
  • »Lügst du auch nicht, Herr Schreiber? Wie, wenn nun dieser Taugenichts
  • _bei mir_ in der Kammer säße?«
  • »Nein, Herr Amtmann, sei nicht böse, aber da irrst du dich selbst ein
  • wenig.«
  • »Macht einmal Licht, wir wollen doch nachsehen!«
  • Man holte Licht herbei, machte die Tür auf -- und der Amtmann stieß vor
  • Verwunderung ein lautes »Ah!« aus, als er seine Schwägerin vor sich sah.
  • »Nun sag mir doch, bitte, bist du denn ganz von Sinnen!« rief sie und
  • ging mit diesen Worten auf ihn zu. »Wäre auch nur ein Quentchen Gehirn
  • in deinem einäugigen Schädel, -- hättest du mich wohl dann in die dunkle
  • Kammer hineingepufft? Noch ein wahres Glück, daß ich mir nicht den Kopf
  • an der eisernen Türangel zerschlagen habe! Hab' ich dir nicht zugerufen,
  • daß ich es bin? -- Muß mich dieser verfluchte Bär mit seinen eisernen
  • Tatzen packen und mich herumstoßen. Daß dich in jener Welt der Teufel so
  • stoßen möge! ....«
  • Die letzten Worte sagte sie schon auf der Gasse, denn sie mußte aus
  • gewissen Gründen hinausgehen.
  • »Freilich sehe ich, daß du es bist!« sagte der Amtmann, der unterdes
  • wieder zu sich gekommen war.
  • »Was sagst du dazu, Herr Schreiber! Ist dieser verdammte Windbeutel
  • nicht ein Schelm?«
  • »Wahrhaftig, ein Schelm; Herr Amtmann!«
  • »Wäre es nicht Zeit, alle diese Taugenichtse einmal tüchtig ins Gebet zu
  • nehmen, damit sie an ihre Arbeit gehen?«
  • »Es wäre schon Zeit, höchste Zeit, Herr Amtmann!«
  • »Diese Narren haben .... Was Teufel? Ich glaube, ich höre meine
  • Schwägerin auf der Straße schreien .... diese Narren haben sich in den
  • Kopf gesetzt, ich sei ihresgleichen. Sie glauben offenbar, ich sei nur
  • ein einfacher Kosak!« .... Aus dem nun folgenden Hüsteln und Blitzen des
  • Auges, das er im Kreise umherschweifen ließ, konnte man erraten, daß der
  • Amtmann vorhatte, etwas Wichtiges zu sagen. »Im Jahre Eintausend, ....
  • Gott töte mich, ich kann diese verdammten Jahreszahlen nicht behalten
  • .... Also im Jahre .... erhielt der damalige Kommissär Ledatschi den
  • Befehl, einen Kosaken auszuwählen, der gescheiter sei, als die anderen.
  • O, (der Amtmann sprach dieses »O« mit erhobenem Finger) gescheiter als
  • die anderen, um der Zarin das Geleit zu geben. Ich bin damals ....«
  • »Was ist da viel zu reden? Jeder kennt die Geschichte schon, Herr
  • Amtmann! Alle wissen doch, daß du dir die Gnade der Zarin verdient hast.
  • Gesteh jetzt, hatte ich nicht recht? Hast du dich nicht doch etwas
  • geirrt, als du sagtest, du habest diesen Kerl im Pelz erwischt?«
  • »Was diesen Teufel im Pelz betrifft, so soll er zur Lehre für die
  • anderen in Ketten geschmiedet und tüchtig abgestraft werden. Sie sollen
  • schon merken, was das heißt, Obrigkeit! Wer hat denn den Amtmann
  • eingesetzt, wenn nicht der Zar? Und dann wollen wir uns um die anderen
  • Lausbuben kümmern. Ich habe noch nicht vergessen, wie diese verfluchten
  • Lümmel eine Schweineherde in meinen Gemüsegarten getrieben haben, die
  • mir den ganzen Kohl und alle Gurken wegfraß. Ich habe auch nicht
  • vergessen, wie diese Teufelskinder sich weigerten, mir mein Korn zu
  • dreschen; o nein, ich hab's nicht vergessen! .... Aber sie sollen
  • verrecken, ich muß auf jeden Fall erfahren, wer der Schelm im Pelz ist!«
  • »Man merkt's, das ist ein flinker Vogel!« sagte der Branntweinbrenner,
  • der sich während dieses ganzen Gespräches fortwährend die Backen mit
  • Rauch vollpumpte, wie ein Belagerungsgeschütz, und dessen Lippen eine
  • ganze Rauchfontäne ausstießen, wenn sie sich von der kurzen Pfeife
  • trennten.
  • »Es wäre auf jeden Fall nicht übel, diesen Menschen in der Brennerei zu
  • haben, noch besser wär's freilich, ihn an einem Eichenwipfel
  • aufzuhängen, wie einen Kirchenkronleuchter.«
  • Dieser Witz kam dem Branntweinbrenner nicht ganz dumm vor, und er
  • beschloß sofort, ohne erst die Billigung der anderen abzuwarten, sich
  • selbst mit einem heiseren Lachen zu belohnen.
  • In diesem Augenblick näherten sie sich einer kleinen, halb in die Erde
  • gesunkenen Hütte. Die Neugierde unserer Wanderer hatte sich noch
  • vergrößert; alle drängten sich vor der Türe zusammen. Der Schreiber nahm
  • einen Schlüssel heraus und das Schloß klirrte; aber dieser Schlüssel
  • gehörte zu seinem Spind. Die Ungeduld stieg. Er begann in der Tasche
  • herumzuwühlen, fand jedoch den Schlüssel nicht.
  • »Da!« sagte er endlich, und holte ihn aus der Tiefe seiner gewaltigen
  • Tasche hervor, die sich in seiner Hanfpluderhose befand.
  • Bei diesem Laut schienen die Herzen unserer Helden zu einem einzigen
  • Herz zu verschmelzen, und dieses Riesenherz schlug so heftig, daß sein
  • unregelmäßiges Hämmern nicht einmal von dem Klirren des Schlosses
  • übertönt wurde. Die Tür ging auf, und .... der Amtmann wurde bleich wie
  • ein Stück Leinwand; den Branntweinbrauer überlief's kalt, und sein Haar
  • wollte gen Himmel fliegen. Entsetzen malte sich auf dem Gesicht des
  • Schreibers; die Büttel wuchsen fest an die Erde und waren nicht einmal
  • imstande, ihre aufgesperrten Mäuler zu schließen: vor ihnen stand die
  • Schwägerin.
  • Sie war nicht weniger betroffen als die anderen, aber bald erholte sie
  • sich etwas und wollte gerade auf sie zugehen.
  • »Halt!« schrie da der Amtmann mit wilder Stimme und schlug die Türe zu.
  • »Leute, das ist der Satan!« rief er dann. »Feuer! Schnell Feuer her! Es
  • ist nicht Schade um das Kronshaus! Steckt es an, damit die Satansknochen
  • nicht länger auf dieser Erde bleiben!«
  • Die Schwägerin schrie entsetzt auf, als sie hinter der Tür von der
  • fürchterlichen Absicht vernahm.
  • »Was macht ihr da, Brüder?« rief der Branntweinbrenner. »Euer Haar ist
  • gottlob fast so weiß wie Schnee, trotzdem aber scheint's euch noch am
  • Verstand zu fehlen: ein einfaches Feuer kann doch der Hexe nichts
  • anhaben! Nur das Feuer aus einer Pfeife kann einen Werwolf in Brand
  • stecken! Halt, ich mach gleich welches an!«
  • Bei diesen Worten schüttete er die Glut aus der Pfeife auf ein Heubündel
  • und begann zu blasen. Aber die Verzweiflung der armen Schwägerin verlieh
  • ihr einen ungeahnten Mut; sie begann laut um Hilfe zu flehen und die
  • Männer zu beschwichtigen.
  • »Haltet ein, Brüder! Warum wollt ihr euch grundlos einer Sünde schuldig
  • machen. Vielleicht ist's wirklich nicht der Satan,« rief der Schreiber.
  • »Vielleicht kann das Wesen, das da drinnen in der Stube sitzt, doch das
  • Zeichen des heiligen Kreuzes machen, und das bedeutet dann, daß es nicht
  • der Teufel ist!«
  • Der Vorschlag wurde angenommen.
  • »Packe dich, Satanas!« fuhr der Schreiber fort und legte die Lippen an
  • die Türspalte. »Wenn du dich nicht vom Platze rührst, machen wir dir die
  • Tür auf.«
  • Die Tür wurde aufgemacht.
  • »Bekreuzige dich!« rief der Amtmann, und sah sich um, wie wenn er für
  • den Fall des Rückzuges einen Zufluchtsort suchte.
  • Die Schwägerin schlug ein Kreuz.
  • »Was Teufel! Das ist wirklich die Schwägerin!«
  • »Welche unsaubere Macht hat dich bloß in diese Kammer gebracht,
  • Gevatterin?«
  • Die Schwägerin erzählte schluchzend, wie die Burschen auf der Straße sie
  • gepackt und sie trotz ihres Widerstandes durch das breite Fenster in die
  • Hütte hineingeschoben und die Fensterläden geschlossen hatten. Der
  • Schreiber sah sich die Sache an. Die Angeln waren heruntergerissen, und
  • der breite Laden war oben nur mit einem Holzbalken festgerammelt.
  • »Du bist mir ein feiner Kerl, du einäugiger Satan du,« schrie sie und
  • ging auf den Amtmann zu, der zurückwich und sie immer noch mit seinem
  • Auge maß. »Ich kenne deine Absichten schon, du hättest mich wohl am
  • liebsten aufgefressen, damit du dann ungestört jeder Schürze nachlaufen
  • kannst, und keiner mehr weiß, wie der Jammergreis sich selbst zum Narren
  • macht. Du meinst, ich weiß nicht, was du heute abend mit Hanna
  • gesprochen hast? O, ich weiß alles! Mich kann keiner so leicht betrügen,
  • nicht einmal einer, der weniger blöd ist als du! Ich habe lange Geduld,
  • aber dann: nimm dich in acht ....!«
  • Bei diesen Worten ballte sie die Faust, machte sich rasch davon; und
  • ließ den Amtmann in völliger Erstarrung zurück.
  • »Nein, da ist der Satan ernsthaft mit im Spiel!« dachte er, sich den
  • Kopf kratzend.
  • »Wir haben ihn!« riefen die eintretenden Büttel.
  • »Wen habt ihr?« fragte der Amtmann.
  • »Den Teufel im umgewendeten Pelz!«
  • »Bringt ihn her!« rief der Amtmann und packte den hereingeführten
  • Gefangenen an der Hand. »Seid ihr verrückt geworden? -- Das ist doch der
  • besoffene Kalenik!«
  • »Pfui Teufel, wir hielten ihn doch schon fest, Herr Amtmann!«
  • antworteten die Büttel. »In dem einen Gäßchen umringten uns die
  • verdammten Kerls, fingen an zu tanzen und uns hin und her zu zerren,
  • steckten die Zunge raus und rissen ihn uns aus den Händen. .... Der
  • Henker soll sie holen! .... Aber wie wir statt seiner zu dieser Krähe
  • hier gekommen sind, das mag Gott wissen!«
  • »Kraft meiner Vollmacht und im Namen der ganzen Gemeinde ergeht die
  • Verfügung, diesen Räuber unverzüglich gefangen zu nehmen,« sprach der
  • Amtmann; »desgleichen alle anderen, die ihr auf den Straßen antrefft,
  • und sie mir zur Aburteilung vorzuführen! ....«
  • »Erbarm dich doch, Herr Amtmann!« riefen da einige Büttel und verneigten
  • sich tief bis zur Erde vor ihm. »Hättest du nur gesehen, was das für
  • Fratzen sind! Gott straf uns, aber seit unserer Geburt und Taufe haben
  • wir keine so abscheulichen Larven gesehen. Wie leicht verfällt man der
  • Sünde, Herr Amtmann! Die können einen rechtschaffenen Menschen so
  • erschrecken, daß einem nachher kein Weib mehr ein Gebreste besprechen
  • kann!«
  • »Ich will euch schon zeigen, was ein Gebreste ist! Was? Ungehorsam? Ihr
  • zieht wohl mit ihnen am selben Strang, ihr Rebellen! Was soll denn das?
  • .... Ihr werdet sie noch zum Mord anstiften! .... ihr .... ihr .... Ich
  • werde das dem Kommissär melden! Auf der Stelle, hört ihr, auf der
  • Stelle! Lauft, fliegt schnell wie die Vögel! Ich werde euch schon ....
  • Ihr sollt mir ....!«
  • Alle stoben auseinander.
  • V.
  • Die Ertrunkene
  • Unbekümmert, und ohne auf die abgesandten Verfolger zu achten, näherte
  • sich der Urheber dieses ganzen Wirrwarrs dem alten Hause am Teich. Ich
  • glaube, man braucht wohl nicht weiter hervorzuheben, daß es Lewko war.
  • Sein schwarzer Pelz war aufgeknöpft, er hielt seine Mütze in der Hand,
  • und der Schweiß rann ihm von der Stirn. -- Düster und hehr stand der
  • schwarze Ahornhain da, und nur auf der Seite, die dem Monde zugewandt
  • war, lag ein feiner Silberstaub über ihm ausgestreut. Vom regungslosen
  • Teich wehte eine kühlende Frische dem müden Fußgänger entgegen und lud
  • ihn ein, an seinen Ufern auszuruhen. Alles war still; nur im tiefen
  • Dickicht des Waldes hörte man das Schmettern der Nachtigall. Ein
  • unüberwindlicher Schlaf senkte sich rasch auf Lewkos Lider. Die
  • ermatteten Glieder lösten sich und erschlafften; der Kopf suchte eine
  • Stütze .... »Nein, auf die Art schlafe ich hier noch ein!« sprach er,
  • stand auf und rieb sich die Augen. Er blickte um sich: die Nacht lag
  • noch leuchtender vor ihm. Eine seltsam berauschende Helle mischte sich
  • in den Glanz des Mondes. Noch nie hatte er etwas Ähnliches gesehen.
  • Silberne Nebel senkten sich aufs Land. Ein Duft von blühenden
  • Apfelbäumen und Nachtblüten war über die ganze Erde ausgegossen. Mit
  • Verwunderung blickte er in die regungslosen Wasser des Teiches; das alte
  • Herrenhaus spiegelte sich in ihm umgestürzt, klar und in lichter
  • Erhabenheit. Statt der düsteren Fensterläden blinkten einem lustige
  • Glasfenster und Türen entgegen und das Gold schimmerte durch die klaren
  • Scheiben. Auch schien es ihm, als habe sich ein Fenster geöffnet. Er
  • hielt den Atem an, regte sich nicht und glaubte sich in die Tiefe des
  • Teiches versetzt. Und siehe: zuerst schob sich ein weißer Ellenbogen aus
  • dem Fenster, dann schaute ein liebliches Köpfchen heraus mit glänzenden
  • Augen, die sanft durch dunkelblonde Haarwogen hindurch leuchteten, und
  • stützte sich auf den Ellenbogen. Lewko sah, wie sie leise den Kopf
  • schüttelte, wie sie winkte und lächelte .... Sein Herz fing plötzlich an
  • heftig zu pochen .... das Wasser erzitterte, und das Fenster schloß sich
  • wieder. Leise ging er vom Teiche fort und sah das Haus unverwandt an:
  • Die düsteren Fensterläden standen weit offen, und die Scheiben funkelten
  • im Monde. »Wie wenig darf man doch auf das Gerede der Menschen geben!«
  • dachte er bei sich. »Das Haus ist nagelneu, und die Farben sind frisch,
  • als ob sie erst heute aufgetragen wären. Hier muß doch jemand wohnen!«
  • Und er trat schweigend näher, aber im Hause war alles still. Mächtig und
  • klingend tönten die leuchtenden Lieder der Nachtigall durcheinander, und
  • wenn sie schmachtend wie in Wonne zu ersterben schienen, vernahm man das
  • Rascheln und Zirpen der Heimchen oder das Schnarren eines Sumpfvogels,
  • der mit seinem glatten Schnabel auf den weiten Wasserspiegel aufschlug.
  • Lewko empfand eine süße Stille in seinem Herzen, es schien sich zu
  • weiten und schlug so leicht und frei. Er stimmte seine Harfe und fing an
  • zu spielen und zu singen:
  • Du mein helles Licht der Nacht,
  • Du mein Mond, ach bester Mond!
  • Leucht mir über Haus und Hof,
  • Wo mein liebstes Mädchen wohnt!
  • Ein Fenster tat sich leise auf, und dasselbe Köpfchen, dessen
  • Spiegelbild er im Teiche gesehen hatte, guckte heraus und lauschte
  • aufmerksam dem Sang. Ihre schweren Lider waren halb über die Augen
  • gesenkt. Sie war bleich wie Linnen, bleich wie der Mondenschein, aber
  • wie köstlich und wundersam! Sie lachte! .... Lewko erschauerte. »Sing
  • mir ein Lied, junger Kosak!« sprach sie leise, neigte den Kopf etwas zur
  • Seite und senkte die dunklen Lider ganz über die Augen.
  • »Was für ein Lied soll ich dir singen, du mein strahlendes Fräulein?«
  • Stille Tränen flossen über ihr bleiches Antlitz. »Jüngling,« sprach sie,
  • und etwas unsäglich Rührendes klang aus ihren Worten, »Jüngling, finde
  • mir meine Stiefmutter! Nichts soll mir zu schön für dich sein. Ich will
  • dich belohnen. Ich will dich reich und herrlich belohnen! Ich habe mit
  • Seide bestickte Gewänder, Korallen und Kleinode, ich will dir einen
  • Gürtel schenken, der mit Perlen besät ist. Ich habe Gold .... Jüngling,
  • finde mir meine Stiefmutter. Sie ist eine furchtbare Hexe: ich hatte
  • keine Ruh' vor ihr auf Gottes Erde. Sie hat mich gemartert, und ließ
  • mich schaffen wie eine niedrige Magd. Blick in mein Angesicht: sie ließ
  • die Röte von meinen Wangen schwinden mit ihrer unreinen Zauberkunst.
  • Blick auf meinen weißen Hals: kein Wasser wäscht die blauen Flecke fort,
  • keines wird sie je fortwaschen, die von ihren eisernen Krallen stammen!
  • Sieh meine weißen Füße an, weit sind sie gewandert, und nicht nur auf
  • Teppichen, auch über heißen Sand, durch sumpfiges Feld, durch stechende
  • Nesseln sind sie gewandert! Und meine Augen! Blick in meine Augen: sie
  • sehen nichts mehr vor Tränen! .... Finde sie mir, Jüngling, find mir die
  • Stiefmutter! ...«
  • Ihre Stimme, die immer mehr und mehr angeschwollen war, stockte auf
  • einmal. Tränenströme flossen über ihr bleiches Antlitz. Ein drückendes
  • Gefühl des Mitleids und der Trauer schnürte dem Burschen das Herz
  • zusammen.
  • »Zu allem bin ich für dich bereit, mein herrliches Fräulein,« rief er in
  • tiefster Erregung. »Doch sag mir nur, wo soll ich sie finden?«
  • »Sieh, sieh!« rief sie schnell, »sie ist hier! Sie tanzt am Wasser mit
  • meinen Mädchen den Reigen und wärmt sich im Mondenlichte. Sie ist schlau
  • und voller List: sie hat die Gestalt einer Ertrunkenen angenommen; aber
  • ich weiß, ich hör' es, sie ist hier! Sie macht, daß mir so drückend
  • schwer, so dumpf zumute wird. Durch sie ward mir's verwehrt, so leicht
  • und frei dahin zu schwimmen wie ein Fisch. Ich sinke, versinke und falle
  • zu Boden wie ein Schlüssel. Find sie mir, Jüngling!«
  • Lewko blickte aufs Ufer: Im zarten Silbernebel sah man etwas schimmern.
  • Eine Schar Mädchen tummelte sich, leicht wie ein Schatten, in lichten
  • Gewändern, die so hell waren, wie die Maiglöckchen auf der Wiese;
  • goldene Spangen, Perlenketten und Dukaten glänzten an ihren Nacken;
  • allein sie waren bleich: ihr Leib war wie aus durchscheinenden Wolken
  • gewoben und schimmerte durchsichtig im silbernen Mondenlicht. Spielend
  • und tanzend näherte sich der Mädchenreigen und man hörte schon ihre
  • Stimmen.
  • »Laßt uns das Rabenspiel spielen, das Rabenspiel,« säuselten alle
  • durcheinander, wie das Schilf am Flusse, das der Wind in stiller
  • dämmernder Stunde mit seinen lustigen Lippen berührt.
  • »Wer soll Rabe sein?«
  • Das Los ward geworfen -- und ein Mädchen trat aus der Menge hervor.
  • Lewko betrachtete sie aufmerksam. Ihr Gesicht und ihr Kleid war ganz so
  • wie bei allen anderen. Man merkte ihr nur an, daß sie ihre Rolle nicht
  • gern spielte. Die Menge bildete eine lange Reihe und wich behend den
  • Angriffen des räuberischen Feindes aus.
  • »Nein, ich will nicht Rabe sein!« rief das Mädchen, ganz schlaff vor
  • Müdigkeit. »Es tut mir so leid, der armen Henne die Küken zu rauben.«
  • »Du bist nicht die Hexe!« dachte Lewko.
  • »Wer soll Rabe sein?«
  • Die Mädchen wollten wiederum losen.
  • »Ich will Rabe sein!« rief da eine aus ihrer Mitte.
  • Lewko begann ihr Gesicht scharf zu mustern. Schnell und kühn machte sie
  • Jagd auf die Schar und stürzte nach allen Seiten, um ihr Opfer zu
  • fangen. Da sah Lewko, daß ihr Leib nicht so leuchtete, wie der der
  • anderen: mitten im Innern gewahrte er etwas Dunkles. Plötzlich ertönte
  • ein Schrei: der Rabe stieß auf ein Mädchen herab, fing es ein, und es
  • deuchte Lewko, als habe sie ihre Krallen gezeigt, und als blitze in
  • ihrem Gesicht eine boshafte Freude auf.
  • »Hexe!« rief er, und zeigte, nach dem Hause gewandt, mit dem Finger auf
  • sie.
  • Das holde Fräulein lachte auf, und die Mädchen führten die, welche den
  • Raben gespielt hatte, schreiend mit sich fort.
  • »Womit soll ich's dir lohnen, Jüngling? Ich weiß, du brauchst kein Gold,
  • du liebst Hanna. Doch der gestrenge Vater will dir's nicht erlauben, sie
  • zu heiraten. Nun wird er dich nimmer hindern; nimm dies Briefchen und
  • gib es ihm ...«
  • Sie streckte ihm ihr weißes Händchen hin, ihr Antlitz leuchtete
  • wundersam und erstrahlte .... Mit einem nie geahnten Schauer und
  • sehnsüchtigen Pochen des Herzens griff er nach dem Briefchen und ....
  • erwachte.
  • VI.
  • Erwachen
  • »Hab' ich wirklich geschlafen?« sprach Lewko zu sich selbst, als er sich
  • von der kleinen Böschung erhob. »Alles war doch so lebendig wie in
  • Wirklichkeit« .... »Seltsam, seltsam!« wiederholte er, indem er sich
  • umsah. Der Mond stand gerade über seinem Kopfe und wies auf Mitternacht.
  • Alles war still; vom Teich wehte es kühl her; über ihm stand traurig das
  • verfallene Haus mit den geschlossenen Läden; Moos und wildes Steppengras
  • ließen erkennen, daß sich die Menschen schon lange von ihm getrennt
  • hatten. Lewko öffnete seine Hand, die er während des Schlafes krampfhaft
  • geballt hatte, und stieß einen Schrei der Verwunderung aus; er hatte
  • einen Zettel in ihr entdeckt. »Ach, wenn ich doch lesen könnte!« dachte
  • er, indem er ihn vor seinen Augen hin und her wandte. In diesem
  • Augenblick vernahm er hinter sich ein Geräusch.
  • »Fürchtet nichts! Packt ihn nur! Vor wem habt ihr Angst? Wir sind ja zu
  • zehn! Ich will darauf wetten, das ist ein Mensch und kein Teufel! ....«
  • Es war der Amtmann, der diese Worte seinen Begleitern zuschrie, und
  • Lewko fühlte sich von mehreren Händen gepackt, von denen einige vor
  • Furcht zitterten. »Nun Freundchen, wirf mal endlich deine schreckliche
  • Maske ab, du hast die Leute schon genug in die Irre geführt!« rief der
  • Amtmann und packte ihn am Kragen. Aber da glotzte er ihn voller Schreck
  • mit seinem einzigen Auge an: »Lewko, mein Sohn!« schrie er
  • zurückweichend, und ließ vor Staunen die Hände herabsinken. »Du bist's?
  • Du Hundesohn! So eine Ausgeburt der Hölle! Ich denke: was für ein
  • Schelm, was für ein verkleideter Teufel treibt da sein Unwesen? Und nun
  • stellt sich heraus, daß du es bist. -- Der ungekochte Mehlbrei soll
  • deinem Vater im Halse stecken bleiben! -- Du treibst böse Streiche auf
  • den Straßen, du dichtest Lieder ....! Oho, Lewko! Was soll das? Dich
  • juckt wohl der Rücken? Bindet ihn!«
  • »Halt Vater! Ich hab' dir einen Zettel zu geben!« sagte da Lewko.
  • »Jetzt ist keine Zeit für Zettel, mein Täubchen! Bindet ihn!«
  • »Halt ein, Herr Amtmann!« sagte der Schreiber und entfaltete den Zettel.
  • »Das ist ja die Handschrift des Kommissärs!«
  • »Des Kommissärs?«
  • »Des Kommissärs?« wiederholten die Büttel mechanisch.
  • »Des Kommissärs? Wunderlich! Das ist noch unbegreiflicher!« dachte Lewko
  • bei sich.
  • »Lies, lies!« sagte der Amtmann, »was schreibt denn der Kommissär da?«
  • »Hören wir, was der Kommissär schreibt,« sprach der Branntweinbrenner,
  • mit der Pfeife in den Zähnen, und schlug Feuer.
  • Der Schreiber hüstelte und begann zu lesen:
  • »Verfügung: An den Amtmann Jewtuch Makohonenko. Wir haben vernommen, daß
  • du alter Tropf statt die alten Steuerschulden einzutreiben und die
  • Ordnung in dem Dorfe aufrecht zu erhalten, närrisch geworden bist und
  • Unzucht treibst ....«
  • »Bei Gott!« unterbrach der Amtmann die Verlesung, »ich kann nichts
  • hören!«
  • Der Schreiber begann von neuem.
  • »Verfügung: An den Amtmann Jewtuch Makohonenko. Wir vernehmen, daß du
  • alter Tro....«
  • »Halt, halt, es ist nicht nötig,« schrie der Amtmann, »ich habe zwar
  • nichts gehört, aber ich weiß, daß die Hauptsache noch kommt. Lies
  • schnell weiter!«
  • »Infolgedessen tu ich dir den Befehl kund und zu wissen, deinen Sohn
  • Lewko Makohonenko alsogleich mit der Kosakentochter aus Eurem Dorf,
  • Hanna Petrytschenkowa, zu verehelichen, insgleichen auf der Landstraße
  • die Brücke instand zu setzen und ferner die Gutspferde nicht den Herren
  • vom Gericht zu geben, selbst dann nicht einmal, wenn sie von einer
  • Kronsitzung kommen. So ich bei meiner Ankunft obige Verfügung nicht
  • erfüllt finden sollte, wirst du allein zur Verantwortung gezogen.
  • Kommissär und Leutnant außer Diensten Kosjma Dergatsch-Drischpanowski.«
  • »So?« meinte der Amtmann mit offenem Munde. »Hört ihr, hört ihr, für
  • alles macht man den Amtmann verantwortlich. Da heißt's gehorchen,
  • gehorchen ohne Widerrede! Sonst, mit Verlaub zu sagen .... Und du,« fuhr
  • er, zu Lewko gewandt, fort, »sollst auf Befehl des Kommissärs
  • verheiratet werden -- wenn's mich auch sonderbar dünkt, wie er das wohl
  • erfahren haben mag! Aber vorher sollst du noch die Nagaika zu kosten
  • bekommen! Kennst du _die_, die bei mir neben dem Heiligenbilde an der
  • Wand hängt? Ich werde sie mal morgen frisch in Gang bringen .... Wo hast
  • du diesen Zettel her?«
  • Trotz seines Staunens über diese unerwartete Wendung der Sache, war
  • Lewko so vernünftig gewesen, sich im Kopfe eine Antwort zurecht zu legen
  • und die Wahrheit, wie er zu dem Zettel gekommen war, zu verschweigen.
  • »Ich war gestern abend noch in der Stadt,« sagte er, »und da begegnete
  • ich dem Kommissär, der gerade aus seinem Wagen stieg. Als er erfuhr, daß
  • ich aus unserem Dorfe stamme, gab er mir diesen Zettel da und hieß mich,
  • dir mündlich ausrichten, er würde auf dem Rückwege bei uns zu Mittag
  • essen, Vater.«
  • »Hat er das gesagt?«
  • »Ja, das hat er gesagt!«
  • »Hört ihr's,« sprach der Amtmann, sich mit wichtiger Gebärde an seine
  • Begleiter wendend, »der Kommissär kommt in eigner Person zu unsereinem,
  • das heißt zu mir, zur Tafel. Oh ....« Dabei hob der Amtmann den einen
  • Finger in die Höhe und gab seinem Kopf eine Haltung, als ob er auf etwas
  • lausche. »Der Kommissär, hört ihr's, der _Kommissär_ kommt zu mir zu
  • Tisch! Wie denkst du, Herr Schreiber, und du, Gevatter, ist das etwa
  • eine kleine Ehre, wie?«
  • »Noch nie hat, so viel ich mich besinne,« fiel hier der Schreiber ein,
  • »je ein Amtmann einem Kommissär mit einer Mahlzeit aufgewartet.«
  • »Es gibt eben Amtmänner und Amtmänner!« sprach der Amtmann mit
  • selbstzufriedener Miene. Sein Mund verzog sich, und etwas wie ein
  • dumpfes, heiseres Lachen, das mehr dem Grollen eines fernen Donners
  • glich, kam über seine Lippen.
  • »Wie denkst du, Herr Schreiber? Müßte man nicht eigentlich zu Ehren des
  • hochgestellten Gastes den Befehl erlassen, daß jedes Haus wenigstens ein
  • Hühnchen, ein bißchen Leinwand oder dergleichen spendet .... was? ....«
  • »Ja, das müßte man eigentlich, das müßte man, Herr Amtmann!«
  • »Und wann ist die Hochzeit, Vater?« fragte Lewko.
  • »Die Hochzeit? Ich möchte dir schon eine Hochzeit zeigen! .... aber, dem
  • hochgestellten Gaste zu Ehren .... Morgen soll euch der Pope trauen. Der
  • Teufel mag euch holen! Der Kommissär soll sehen, was Pünktlichkeit ist!
  • Nun aber, Kinder, geht zu Bett! Geht jetzt heim! .... Der heutige
  • Vorfall hat mich an die Zeit erinnert, wo ich ....!«
  • Bei diesen Worten blickte der Amtmann nach alter Gewohnheit würdig und
  • bedeutungsvoll drein.
  • »Jetzt wird der Amtmann zu erzählen anfangen, wie er die Zarin begleitet
  • hat!« sagte Lewko, und eilte schnellen Schrittes zu dem wohlbekannten
  • Häuschen, das von niedrigen Kirschbäumen umstanden war. »Gott schenke
  • dir die ewige Seligkeit, schönes gutes Fräuleinchen!« dachte er sich.
  • »Mögen dir in jener Welt alle heiligen Engel zulächeln! Niemand soll je
  • aus meinem Munde von dem Wunder hören, das in dieser Nacht geschah. Nur
  • dir allein, Hanna, will ich's erzählen, du allein wirst mir glauben und
  • wirst mit mir für die Seele der unglücklichen Ertrunkenen beten!«
  • Und er näherte sich dem Häuschen; das Fenster stand offen, die
  • Mondstrahlen fielen durchs Fenster auf die schlafende Hanna, ihr Kopf
  • lag auf den Arm gestützt, ihre Wangen glühten sanft, und ihre Lippen
  • bewegten sich und sprachen halblaut seinen Namen. »Schlaf, mein
  • schönstes Mädchen! Mögest du träumen von dem Herrlichsten, was es auf
  • der Welt gibt; doch unser Erwachen soll noch herrlicher sein!«
  • Er schlug ein Kreuz über sie, schloß das Fenster, entfernte sich leise,
  • und wenige Augenblicke später schlief alles im Dorfe. Der Mond allein
  • segelte voller Glanz und Wunder durch die unermeßlichen Fernen des
  • prunkenden Himmels der Ukraine. In hehrer Feier webten die Höhen dort
  • oben, und die Nacht, die göttliche Nacht glomm majestätisch ihrem Ende
  • entgegen. Und auch die Erde lag so voll Schönheit da, in ihrem
  • wundervollen Glanz von Silber; aber es war niemand mehr, der es genießen
  • konnte; alles war in Schlaf versunken. Nur ab und zu wurde das Schweigen
  • für einen Augenblick von Hundegebell unterbrochen, und noch lange tappte
  • der betrunkene Kalenik durch die schlafenden Gassen herum und suchte
  • sein Haus.
  • Der verschwundene Brief
  • Eine Sage
  • Erzählt vom Küster der -- Kirche zu ***
  • Ihr möchtet also, daß ich euch noch mehr vom Großvater erzähle? --
  • Meinetwegen. Warum soll ich euch nicht mit einer Schnurre einen Spaß
  • machen? O ihr Tage der Vergangenheit! Welche Freude und Lust überkommt
  • doch das Herz, wenn man vernimmt, was vor langer, langer Zeit einmal in
  • der Welt geschah, und niemand weiß mehr Jahr noch Tag. Und wenn erst so
  • ein Alter aus unserer Verwandtschaft mit im Spiel ist, irgendein
  • Großvater oder ein Urgroßvater, -- dann ist's ganz um mich geschehen:
  • Ich will beim Lobsingen auf die heilige Märtyrerin Barbara den Schlucken
  • kriegen, wenn es mir nicht immer so vorkommt, als ob ich das alles
  • selbst durchgemacht hätte: gerad als wenn ich in des Großvaters Seele
  • hineingekrochen wäre, oder als wenn die Seele des Großvaters in mir
  • selbst rumorte .... Nein, aber am ärgsten sind die Mädels und die jungen
  • Weiber dahinter her; kaum erblicken sie einen, gleich heißt es: »Foma
  • Grigorjewitsch, Foma Grigorjewitsch! Schnell ein Märchen recht zum
  • Gruseln, bitte, bitte, ein Märchen zum Gruseln ....!« Taratata --
  • taratata! Und los geht es .... Warum sollt man ihnen auch nicht ein
  • Märchen erzählen, aber paßt mal auf, was nachher mit ihnen im Bett
  • geschieht. Ich weiß doch, daß jede unter der Decke zittert, als wenn sie
  • das Fieber hätte, und am liebsten den Kopf unter den Pelz stecken
  • möchte. Da braucht nur eine Ratte an einem Topf zu scharren, oder sie
  • gerät selbst mit dem Fuß an den Feuerhaken, Gott bewahre, -- gleich
  • fliegt die Seele bis in die Strümpfe. Am anderen Tage aber ist alles
  • vergessen; und sie drängen einen von neuem: man soll ihnen doch nur ein
  • recht grusliges Märchen erzählen! Was soll ich euch nun erzählen? Es
  • fällt mir gerade nichts ein .... Ach ja, ich will euch das erzählen, wie
  • die Hexen mit meinem seligen Großvater Schafskopf gespielt haben. Aber
  • darum muß ich im Voraus bitten, meine Herren, bringt mich nicht aus dem
  • Geleis, sonst giebt's so einen Brei, daß man sich schämen muß, ihn ins
  • Maul zu nehmen. Also mein seliger Großvater war, wie ich euch bemerken
  • muß, durchaus nicht einer von den gewöhnlichen Kosaken. Der verstand's,
  • auf jeden Topf seinen Deckel zu setzen. An Feiertagen konnte er seine
  • Apostel so herunterschnurren, daß sich auch jetzt noch mancher Popensohn
  • vor ihm verstecken könnte. Na, und das wißt ihr ja selbst, wenn man in
  • der damaligen Zeit die Schriftkundigen aus ganz Baturin zusammentrommeln
  • wollte, da brauchte man nicht erst die Mützen bereitzuhalten, -- die
  • offene Hand hätte schon vollständig genügt. Was Wunder, daß jeder, der
  • am Großvater vorüberging, sich tief vor ihm verneigte.
  • Eines Tages fiel es dem hochwohlgeborenen Herrn Hetman ein, aus
  • irgendeinem Grunde ein Schreiben an die Zarin zu senden. Der damalige
  • Regimentsschreiber (daß dich der Geier hole, ich kann mich nicht auf
  • seinen Namen besinnen .... hieß er Wisrjak oder Motusotschka oder
  • Goloputzek .... ich weiß nur, daß er einen sehr komischen Namen hatte,
  • der ganz absonderlich anfing) er ließ also den Großvater zu sich kommen
  • und sagte ihm: so und so, der Hetman wolle ihn als Kurier mit einem
  • Briefe zu der Zarin senden. Mein Großvater liebte die langen
  • Vorbereitungen nicht, nähte den Brief in die Mütze ein, führte sein
  • Pferd aus dem Stall, schmatzte seine Frau und seine zwei Ferkelchen (wie
  • er sie selbst nannte) -- einer von ihnen war mein leiblicher Vater --
  • ordentlich ab, und hinter ihm erhob sich eine solche Staubwolke, als ob
  • fünfzehn Jungen auf der Straße Schlagball spielten. Am andern Tage hatte
  • der Hahn noch nicht zum vierten Male gekräht, als der Großvater schon in
  • Konotop war. Dort war gerade Jahrmarkt; und es wimmelten so viel Leute
  • auf den Straßen herum, daß es einem vor den Augen flimmerte. Weil es
  • aber noch früh am Morgen war, so schlief alles lang hingestreckt auf der
  • Erde. Neben einer Kuh lag ein versoffener Kerl mit einer roten Nase, der
  • wie ein Gimpel aussah; etwas weiter schnarchte eine Händlerin im Sitzen
  • mit Feuersteinen, Waschblau, Schrot und Brezeln; unter einem Wagen lag
  • ein Zigeuner; auf einem andern Wagen mit Fischen ein Frachtfuhrmann,
  • mitten auf dem Wege lag mit gespreizten Beinen ein bärtiger Moskowiter
  • mit Gürteln und Däumlingen .... mit einem Wort: allerhand Pack, wie
  • man's auf den Jahrmärkten trifft. Der Großvater machte Halt, um sich's
  • anzusehen. Unterdessen aber wurde es nach und nach in den Buden
  • lebendig: die Judenweiber begannen mit ihren Flaschen zu klappern; der
  • Rauch stieg hie und da in Ringen empor, und ein Duft von heißen Buchteln
  • zog übers ganze Lager. Da fiel es dem Großvater ein, daß er weder Zunder
  • noch Tabak vorrätig hatte, und so fing er denn an, auf dem Jahrmarkt
  • herumzustreichen. Er hatte noch keine zwanzig Schritt gemacht, da kommt
  • ihm ein Saporoger entgegen. Ein Draufgänger, man sieht's ihm schon am
  • Gesicht an! Glutrote Pluderhosen, ein blauer Schupan, ein grellbunter
  • Gürtel, ein Säbel an der Seite und 'ne Pfeife mit einer Messingkette,
  • die bis zu den Fersen reicht -- mit einem Wort, ein Saporoger vom Kopf
  • bis zu den Füßen! Ist das ein Völkchen! Wie der so dasteht, sich reckt,
  • sich den prächtigen Schnurrbart streicht, mit den Hufeisen klirrt -- und
  • dann loslegt! Ja, sag' ich euch, wie der loslegt: Die Beine schwirren
  • nur so hin und her wie eine Spindel in Weiberhänden; wie ein Wirbelwind
  • saust seine Hand über alle Saiten der Harfe, er stemmt sie in die
  • Hüften, schnellt in Kniebeugestellung die Beine von sich und stimmt ein
  • jauchzendes Lied an -- daß einem die Seele erzittert! .... Ja diese
  • Zeiten sind vorbei; jetzt gibt's keine Saporoger mehr! Ja, ja. Sie
  • trafen sich also, machten Bekanntschaft, begannen miteinander zu
  • schwatzen, und der Großvater hatte bald seine Reise vergessen. Es ging
  • ein Saufen an wie auf 'ner Hochzeit vor den großen Fasten. Endlich aber
  • kriegten sie's satt, Töpfe zu zerschmeißen und Geld unters Volk zu
  • werfen, und dann kann man ja auch nicht ewig auf dem Jahrmarkt bleiben!
  • So verabredeten sich denn die neuen Freunde, sie wollten sich nicht mehr
  • trennen und den Weg zusammen zurücklegen. Es war schon gegen Abend, als
  • sie sich aufmachten und ins freie Feld hinausritten, die Sonne war schon
  • zur Ruhe gegangen und nur hie und da flammten dort, wo sie noch vor
  • kurzem gestanden hatte, ein paar rötliche Streifen auf. Bunte Saatwiesen
  • lagen ausgestreut da wie die Sonntagstücher schwarzbrauiger, junger
  • Frauen. Unsern Saporoger packte ein schrecklicher Drang zum Schwatzen.
  • Mein Großvater und noch ein anderer Kumpan, der sich zu ihnen gesellt
  • hatte, fragten sich schon, ob er nicht vom Teufel besessen sei: Wo hatte
  • er bloß all das Zeug her, all diese Geschichten und Mären so
  • verwunderlicher Art, daß der Großvater sich die Seiten halten mußte, um
  • nicht vor Lachen zu platzen. In der Steppe aber ward es immer düsterer,
  • je weiter man kam, und die Reden des Braven wurden immer
  • unzusammenhängender. Endlich aber verstummte unser Erzähler und fing
  • beim leisesten Geräusch an zu zittern.
  • »Hoho, Landsmann! Du scheinst mir die Eulen zu zählen! Du möchtest wohl
  • heim, hinter den Ofen?«
  • »Ich will nichts vor euch verbergen,« sprach er, sich auf einmal
  • umwendend, und seine Augen blickten starr. »Wißt ihr, daß ich meine
  • Seele schon lange an den Bösen verkauft habe?«
  • »Ei potztausend! Wer hat nicht schon mit dem Bösen zu tun gehabt? In
  • solchen Fällen ist's das Beste, man ist lustig und geht lumpen.«
  • »O je, Jungens, lumpen möcht ich schon gern, aber heut ist mein Termin!
  • O je, Brüder!« sprach er und schüttelte ihnen kräftig die Hände. »O je,
  • gebt mich nicht preis, schlaft nur diese eine Nacht nicht! Mein Lebtage
  • will ich eure Freundschaft nicht vergessen!«
  • Warum sollte man einem Menschen in so einem Unglück nicht beistehen? Der
  • Großvater erklärte glattweg, er würde sich eher sein Kosakenhaar vom
  • eignen Kopf scheren, als den Teufel mit seiner Hundeschnauze eine
  • christliche Seele beschnüffeln lassen. Unsere Kosaken wären vielleicht
  • noch weiter geritten, wenn nicht die Nacht den ganzen Himmel umwoben
  • hätte, wie ein schwarzes dichtes Netz; im Feld war es so dunkel geworden
  • wie unter einem Schafspelz. Nur von ferne blinkte ihnen ein Lichtschein
  • entgegen, und die Pferde, die die nahe Krippe ahnten, sputeten sich, und
  • starrten mit gespitzten Ohren in die Finsternis. Der Lichtschein schien
  • ihnen entgegen zu eilen, und vor den Kosaken tauchte eine Schänke auf,
  • die ganz morsch und auf die Seite geneigt war, wie ein Frauenzimmer, das
  • von einer fröhlichen Taufe heimgeht. Zu jener Zeit war eine Schänke
  • etwas ganz anderes wie heutzutage. Nicht nur, daß man nicht ordentlich
  • losgehen und drinnen kein Tänzchen oder 'nen Hopser machen konnte, es
  • gab nicht einmal Platz genug zum Hinlegen, wenn einen ein Rausch
  • überkommen hatte, und die Füße von selbst anfingen, Zeichen in die Luft
  • zu schreiben. Der Hof war mit Frachtfuhren vollgepfropft; in den
  • Scheuern und den Krippen und auf dem Flur lagen Leute: der eine
  • zusammengekrümmt, ein anderer lang ausgestreckt, und schnarchten wie die
  • Kater. Nur der Wirt saß vorm Lämpchen und schnitt Kerben in einen Stock,
  • um sich's zu merken, wieviel Viertel und Achtel die Fuhrleute
  • ausgepfiffen hätten. Der Großvater bestellte ein drittel Eimer für drei
  • Mann, ging in die Scheune, und alle drei legten sich nebeneinander
  • nieder. Kaum aber hatte er sich auf die Seite gelegt, als er merkte, daß
  • seine Landsleute schon in einen wahren Totenschlaf versunken waren. Der
  • Großvater weckte den dritten Kosaken, der zu ihnen gestoßen war, und
  • erinnerte ihn an das Versprechen, das sie ihrem Kameraden gegeben
  • hatten. Jener richtete sich ein wenig auf, rieb sich die Augen und
  • schlief wieder ein. Es war nichts zu machen, er mußte also allein Wache
  • halten. Um den Schlaf zu verscheuchen, besah er sich alle Wagen,
  • beguckte die Pferde, steckte sich eine Pfeife an, kam wieder zurück und
  • setzte sich neben die Seinen. Alles war so still, daß man eine Fliege
  • hätte hören können. Auf einmal war es ihm, als wenn ihm ganz in der
  • Nähe, hinter einem Wagen, etwas Graues die Hörner zeigte .... Seine
  • Augen begannen zuzufallen, und er mußte sie jeden Augenblick mit den
  • Fäusten wach reiben und mit dem Rest vom Schnapse waschen. Kaum aber
  • konnten sie wieder scharf blicken, da war alles wieder verschwunden.
  • Nach einer kleinen Weile zeigte sich das Ungetüm von neuem hinterm Wagen
  • .... Der Großvater riß die Augen auf, so weit er konnte; aber die
  • verdammte Schlaftrunkenheit umnebelte alles vor ihm, seine Hände wurden
  • steif, der Kopf sank hintenüber, und ein fester Schlaf übermannte ihn,
  • so daß er hinfiel wie ein Toter. Der Großvater mußte wohl recht lange
  • geschlafen haben, denn erst als die Sonne ihm tüchtig auf den Schädel
  • brannte, sprang er auf die Beine. Er räkelte sich, kratzte sich den
  • Rücken und merkte, daß schon nicht mehr so viele Wagen dastanden wie
  • gestern. Die Fuhrleute waren also bereits vor Tagesanbruch davon
  • gefahren. Was jedoch seine Leute anging, so schlief der Kosak noch, der
  • Saporoger aber war weg. Er fragte herum, aber niemand wußte was. Nur
  • sein Kittel lag noch auf demselben Platze. Mein Großvater wurde von
  • Angst ergriffen und fing an zu grübeln. Er sah nach den Pferden -- sie
  • waren fort, sowohl seins, wie das des Saporogers! Was hatte das zu
  • bedeuten? Gesetzt, der Gottseibeiuns hatte den Saporoger geholt, wer
  • aber hatte die Pferde mitgenommen?
  • Nach reiflicher Überlegung kam der Großvater zum Schluß, daß der Teufel
  • sicherlich zu Fuß herbeigelaufen sei; und da es gar weit bis zur Hölle
  • wäre, hatte er das Pferd gestohlen. Es schmerzte ihn sehr, daß er sein
  • Kosakenwort nicht gehalten hatte. »Nun,« dachte er, »da ist nichts zu
  • machen. Ich gehe zu Fuß; am Ende treff' ich unterwegs einen
  • Pferdehändler, der vom Jahrmarkt zurückkehrt, und dann kaufe ich mir bei
  • dem ein Pferd.« Wie er aber nach der Mütze griff, war auch die Mütze
  • fort. Da schlug mein seliger Großvater die Hände überm Kopf zusammen,
  • denn er erinnerte sich, daß er ja gestern mit dem Saporoger die Mützen
  • getauscht hatte! Wer konnte also wohl sonst der Dieb sein, wenn nicht
  • der Unreine! Na, das war eine schöne Hetmans-Post! Da hatte er den Brief
  • an die Zarin! Und der Großvater begann den Teufel mit solchen Namen zu
  • traktieren, daß es dem in seiner Hölle wohl mehr als einmal in den Ohren
  • klingen mochte. Aber alles Schimpfen hilft wenig, und so viel sich der
  • Großvater auch den Kopf kratzte, es wollte ihm nichts einfallen. Was war
  • da zu tun? Er suchte sich also eilig einen fremden Verstand zu borgen:
  • sammelte all die guten Leute, die in der Schänke waren, die Fuhrleute
  • und die anderen Reisenden, um sich und erzählte ihnen alles: so und so,
  • und dies Malheur sei ihm geschehen. Die Fuhrleute saßen lange, das Kinn
  • auf den Peitschenstiel gestützt, da, sannen nach, schüttelten die Köpfe
  • und meinten, von so einem Wunder hätten sie wahrhaftig in Gottes
  • getaufter Welt noch nie vernommen, daß ein Hetmans-Brief vom Teufel
  • geholt worden sei. Andere fügten noch hinzu, wenn der Teufel oder ein
  • Moskowiter etwas stibitzten, dann könne man hinterher nur noch drei
  • Kreuze machen. Der Schankwirt allein saß schweigend in seinem Winkel.
  • Der Großvater machte sich an ihn heran. Wenn ein Mensch schweigt, so
  • bedeutet das, er hat's dick hinter den Ohren. Aber der Wirt war sehr
  • wortkarg, und hätte der Großvater nicht fünf Gulden aus der Tasche
  • geholt, so hätte er bis an sein Lebensende vor ihm stehen können.
  • »Ich will's dir sagen, wie du wieder zu deinem Briefe kommen kannst,«
  • sprach er endlich und führte ihn auf die Seite. Dem Großvater wurde
  • bedeutend leichter ums Herz. »Ich sehe dir's an deinen Augen an, daß du
  • kein Weib bist, Kosak! Gib acht: unweit von der Schänke führt ein Pfad
  • rechts nach dem Walde. Sobald die Dämmerung sich über's Feld senkt, sei
  • bereit. Im Walde da leben Zigeuner. Die kommen dann in solchen Nächten,
  • wo sich keine Menschenseele zeigt, und nur die Hexen auf ihren
  • Ofengabeln reiten, aus ihren Höhlen gekrochen, um Eisen zu schmieden.
  • Was sie aber in Wahrheit treiben und womit sie handeln, das braucht dich
  • nicht zu kümmern. Da wird's im Wald ein gewaltiges Getöse geben. Aber
  • geh du nicht dahin, woher der Lärm kommt; ein enger Pfad wird vor dir
  • liegen, der an einem verkohlten Baumstamm vorbeiführt: auf diesem Wege
  • geh' weiter und immer weiter .... die Dornen werden dich stechen, und
  • dichtes Gestrüpp versperrt dir den Weg, -- aber geh du nur immer weiter!
  • Erst wenn du an einen kleinen Bach kommst, dann darfst du Halt machen.
  • Dort wirst du finden, was du brauchst. Doch vergiß ja nicht, deine
  • Taschen damit zu füllen, wofür die Taschen gemacht sind .... Du
  • verstehst mich, diese Ware lieben die Teufel nicht weniger als die
  • Menschen!« Nach diesen Worten zog sich der Wirt in seinen Verschlag
  • zurück und wollte nichts weiter sagen.
  • Mein Großvater seligen Angedenkens war ein Mann, der sich nicht so
  • leicht ins Bockshorn jagen ließ; wenn er einem Wolf begegnete, so packte
  • er ihn stracks am Schwanze; und machte er mal mit seinen Fäusten einen
  • Gang durch die Kosaken, so sanken sie zu Boden, wie Birnen, die man vom
  • Baum schüttelt. Als er aber in der stockfinsteren Nacht in den Wald kam,
  • da überlief's ihn denn doch kalt. Kein Sternchen stand am Himmel und es
  • herrschte eine düstere Finsternis, wie in einem Weinkeller; nur ganz
  • hoch oben über dem Kopfe, da hörte man den kalten Wind durch die
  • Baumwipfel streichen, und die Bäume wackelten wie berauschte
  • Kosakenköpfe und die Blätter flüsterten sich trunkene Reden zu. Auf
  • einmal wehte eine solche Kälte daher, daß der Großvater an seinen
  • Schafpelz denken mußte; und plötzlich fing's an zu hämmern, wie wenn
  • hundert Hämmer herunterfielen, und es ging so ein Riesenlärm durch den
  • Wald, daß es ihm fürchterlich im Kopfe dröhnte. Der ganze Wald wurde auf
  • einen Augenblick ganz hell wie bei einem Wetterleuchten. Der Großvater
  • erspähte sogleich den Pfad, der zwischen niedrigem Gebüsch dahinführte:
  • da war auch der verkohlte Baumstamm und das Dornendickicht! Alles genau
  • so, wie's ihm gesagt worden war. Nein, der Schankwirt hatte ihn nicht
  • betrogen. Aber besonders heiter war es doch nicht, sich durch das
  • dastehende Gestrüpp hindurcharbeiten zu müssen. Sein Lebtag hatte er
  • noch nie gespürt, daß die verfluchten Äste und Dornen so schmerzhaft
  • stechen können: fast bei jedem Schritte wollte er aufschreien.
  • Nach und nach hatte er sich auf einen freien Platz hinausgewunden. Er
  • gewahrte, daß die Bäume seltener wurden, und als er weiter zusah, da
  • waren sie so dick, wie er's nicht einmal jenseits vom Königreich Polen
  • gesehen hatte. Bald schimmerte auch das Bächlein zwischen den Bäumen
  • auf: schwarz wie eine Damaszener Klinge. Lange stand der Großvater am
  • Ufer und spähte nach allen Seiten aus. Am anderen Ufer brennt ein Feuer.
  • Schon will es erlöschen, da fällt sein Wiederschein aufs neue ins
  • Bächlein, das aufzuckt wie ein polnischer Schlachziz unter einer groben
  • Kosakenfaust. Da ist auch eine winzige Brücke! »Da drüber kann doch
  • höchstens ein Teufelswägelchen fahren!« dachte der Großvater, aber er
  • betrat sie schnell, und schneller noch als mancher die Dose aus der
  • Tasche holt, um eine Prise zu nehmen, war er am anderen Ufer. Jetzt erst
  • nahm er wahr, daß Leute am Feuer saßen; aber die hatten solche garstige
  • Fratzen, daß er zu andern Zeiten Gott weiß was drum gegeben hätte, ihrer
  • Bekanntschaft entgehen zu dürfen. Jetzt aber war ihm nicht zu helfen: Er
  • mußte schon mit ihnen anbändeln. Der Großvater verneigte sich tief bis
  • zur Erde vor ihnen. »Grüß Gott, gute Leute!« Aber auch nicht einer
  • nickte mit dem Kopfe: sie saßen stumm da, schwiegen und streuten etwas
  • ins Feuer. Da der Großvater fand, daß noch ein Platz frei war, so setzte
  • er sich denn ohne weitere Umschweife. Die widerlichen Fratzen sprachen
  • nichts, und auch der Großvater sagte nichts. Lange saßen sie schweigend
  • so da, und der Großvater bekam die Sache schon satt; er griff in die
  • Tasche, zog die Pfeife raus, blickte um sich -- aber keiner sah nach ihm
  • hin. »Wollten Euer Gnaden mit Verlaub die hohe Güte haben, sozusagen«
  • .... (Mein Großvater war ein vielerfahrener Mann, er verstand es, am
  • rechten Fleck ein höfliches Wörtlein anzubringen; selbst vor dem Zaren
  • hätte er, wenn's drauf ankam, in Ehren bestehen können.) ....
  • »sozusagen, um weder von mir, noch von euch zu schweigen: ein Pfeifchen
  • hab' ich wohl, aber wo soll ich Feuer herkriegen?« Auch auf diese Rede
  • erfolgte keine Antwort. Nur eine von den Mißgestalten ergriff ein
  • brennendes Holzscheit und stieß es dem Großvater geradewegs gegen die
  • Stirn, und wenn er nicht etwas zurückgefahren wäre, hätte er auf ewig
  • von seinem einen Auge Abschied nehmen müssen. Als er endlich sah, daß
  • die Zeit unnütz verrann, beschloß er -- ob's die unreine Brut nun
  • anhören wollte oder nicht -- ihnen seine Sache zu erzählen. Jene
  • spitzten die Ohren und streckten die Pfoten vor. Der Großvater begriff,
  • was sie wollten; nahm sein ganzes Geld und warf es mitten vor sie hin,
  • wie man Hunden etwas vorwirft. Kaum hatte er das Geld hingeschmissen, da
  • schien alles vor ihm durcheinanderzugehen, die Erde erzitterte, und er
  • geriet -- _wie_, das konnte er selbst nicht erzählen -- schier in die
  • Hölle. »Mein Gott!« schrie der Großvater auf, als er sich wieder umsah.
  • Was für Ungeheuer! Fratze neben Fratze! Da gab's Hexen in so ungeheuerer
  • Menge, wie die Schneeflocken, die zuweilen auf Weihnachten fallen, und
  • alle so aufgeputzt und angemalt, wie die Fräulein auf dem Jahrmarkt. Sie
  • alle begannen, soviel ihrer da waren, einen teuflischen Hopser zu
  • tanzen. Der Staub wirbelte in die Höhe, -- Gott bewahr, welch ein Staub!
  • Einen ehrlich getauften Menschen hätte ein Zittern erfassen müssen, wenn
  • er gesehen hätte, wie hoch diese Teufelsbrut sprang. Aber den Großvater
  • überkam, trotz seiner Angst, ein Lachen, als er sah, wie die Teufel mit
  • ihren Hundeschnauzen zierliche Schritte machten und mit wedelnden
  • Schweifchen um die Hexen herumscharwenzelten, wie junge Burschen um die
  • hübschen Mädchen; und die Musikanten paukten auf ihren eignen Backen
  • herum wie auf Trommeln, und pfiffen durch die Nasen wie auf Flöten. Kaum
  • aber hatten sie den Großvater erblickt, da stürzten sie sich wie ein
  • ganzes Heer auf ihn: Schweinemäuler, Hundemäuler, Bocksmäuler,
  • Gänsemäuler, Pferdemäuler -- sie alle reckten sich vor und wollten,
  • kam's wie's kam, von ihm geküßt werden. Der Großvater mußte ausspucken,
  • so ein Ekel überkam ihn! Endlich aber wurde er gepackt und an einen
  • Tisch gesetzt, der vielleicht so lang war, wie der Weg von Konotop nach
  • Baturin. »Na, das ist wenigstens nicht übel,« dachte der Großvater, als
  • er Schweinefleisch, Würste, Kohl mit Zwiebeln und noch viele andere
  • Leckerbissen auf dem Tische stehen sah. »Das Satanspack hält wohl die
  • Fasten nicht!« Der Großvater ließ die Gelegenheit, einen guten Bissen zu
  • nehmen, nie außer acht. Er hatte stets Appetit, und darum rückte er ohne
  • viel Federlesens die Schüssel mit dem angeschnittenen Speck und einen
  • Schinken zu sich heran, ergriff eine Gabel, die nicht viel kleiner war
  • als die Gabeln, mit denen die Bauern Heu aufladen, spießte ein riesiges
  • Stück Fleisch auf, nahm noch ein mächtiges Stück Brot dazu und schob es
  • geradewegs in -- einen fremden Mund, der eben neben seinen Ohren
  • aufgetaucht war, er hörte sogar noch, wie das Maul kaute und über den
  • ganzen Tisch hin mit den Zähnen klapperte. Der Großvater muckste nicht,
  • gabelte ein anderes Stück auf, und schon glaubte er es auf seinen Lippen
  • zu spüren, aber da geriet es wieder in einen fremden Rachen. Er
  • versuchte es ein drittes Mal -- und wieder traf er vorbei. Der Großvater
  • raste vor Wut. Er vergaß all seine Angst und in wessen Händen er sich
  • befand, und sprang auf die Hexen los: »Was, ihr Herodesbrut, ihr! wollt
  • ihr euch vielleicht über mich lustig machen? Wenn ihr mir nicht auf der
  • Stelle meine Kosakenmütze herausgebt, so will ich ein Römling sein, wenn
  • ich euch nicht die Schweineschnauzen auf den Nacken drehe!« Noch hatte
  • er die letzten Worte nicht ausgesprochen, als alle Ungeheuer die Zähne
  • zu fletschen begannen und ein solches Gelächter aufschlugen, daß dem
  • Großvater die Seele zu Eis erstarrte.
  • »Gut!« winselte eine der Hexen, die der Großvater für das Oberhaupt der
  • anderen hielt, denn ihr Lärvchen war vielleicht noch wundervoller als
  • die Fratzen der anderen. »Die Mütze wollen wir dir geben, aber nicht
  • eher, als bis du dreimal mit uns _Schafskopf_ gespielt hast.«
  • Was war da zu machen? Soll etwa ein Kosak mit Weibern zusammen sitzen
  • und Schafskopf spielen? Der Großvater weigerte und weigerte sich immer
  • wieder. Endlich aber ließ er sich doch dazu herbei. Man brachte Karten,
  • und zwar so schmierige wie die, aus denen sich bei uns die Popentöchter
  • wahrsagen, wenn sie wissen wollen, was für Bräutigams sie bekommen
  • werden.
  • »Hör'!« bellte die Hexe wieder los, »wenn du auch nur ein einziges Mal
  • gewinnst, so ist die Mütze dein. Wenn du aber alle dreimal Schafskopf
  • bleibst, so nimm's mir nicht übel, dann wirst du nicht bloß deine Mütze,
  • sondern vielleicht auch die Welt nie mehr wiedersehen!«
  • »Gib her, alte Vettel! Komme, was kommen mag!«
  • Die Karten wurden verteilt und der Großvater nahm die seinen in die
  • Hände. Nicht hinblicken mochte er auf den Schund! wenn auch bloß zum
  • Scherz nur ein einziger Trumpf darunter gewesen wäre! Bei _einer_ Farbe
  • war die _Zehn_ schon der höchste Stich, und nicht einmal ein Paar hatte
  • er; die Hexe aber spielte immer Fünfer aus. So blieb er denn Schafskopf!
  • Kaum war der Großvater Schafskopf geworden, so begannen die Mäuler von
  • allen Seiten zu wiehern, zu bellen und zu grunzen: »Schafskopf,
  • Schafskopf, Schafskopf!«
  • »Mögt ihr doch platzen, ihr Satansbrut!« schrie der Großvater und
  • stopfte sich mit dem Finger die Ohren zu. »Na,« denkt er, »die Hexe hat
  • wohl falsch gemischt! Jetzt werde _ich_ mal mischen!« Er gab also die
  • Karten, sagte Trumpf an und blickte in die Karten: waren das großartige
  • Karten, auch Trümpfe waren dabei! Zuerst ging die Sache, wie's nicht
  • besser gehen konnte; aber die Hexe hatte eine Fünf und alle Könige! Der
  • Großvater jedoch hatte lauter Trümpfe in Händen! Ohne da groß zu
  • überlegen, deckte er, bumms, alle Könige mit Trümpfen!
  • »Oho, das ist nicht Kosakenart! Womit deckst du denn da, Nachbar?«
  • »Was da -- womit? Mit Trümpfen natürlich!«
  • »Das sind vielleicht bei euch Trümpfe, bei uns aber nicht!«
  • Sieh mal an -- es war in der Tat nur eine einfache Farbe. So eine
  • hundsföttische Zauberei! Er mußte zum zweitenmal Schafskopf werden, und
  • das Teufelspack brüllte von neuem: »Schafskopf, Schafskopf!« so daß der
  • Tisch wackelte und die Karten auf dem Tische herumhüpften. Der Großvater
  • geriet in Hitze; er gab zum letzten Male Karten. Wieder ging es schlecht
  • und recht. Die Hexe spielte wieder eine Fünf aus; der Großvater deckte
  • sie und kaufte eine ganze Hand voll Trümpfe.
  • »Trumpf!« schrie er und schlug mit der Karte so mächtig auf den Tisch,
  • daß sie sich krumm bog. Jene deckte, ohne ein Wort zu sagen, mit einer
  • Acht. »Und womit stichst du, alter Teufel?« Die Hexe hob die Karte auf,
  • unter der eine einfache Sechs lag. »Ach verdammtes Satansgeflunker!«
  • rief der Großvater und schlug vor Ärger aus aller Leibeskraft mit der
  • Faust auf den Tisch. Ein wahres Glück, daß die Hexe schlechte Karten
  • hatte; der Großvater hatte wie zu Fleiß lauter Paare in seiner Hand. Er
  • begann zu kaufen, aber er war schon mit seiner Kraft zu Ende: er bekam
  • so schlechte Karten, daß er die Hände sinken ließ. Es gab keine Karten
  • mehr zu kaufen und nun ging er schon, ohne viel hineinzublicken, mit
  • einer einfachen Sechs los. Die Hexe nahm sie auf. »Da hast du die
  • Bescherung! Was sollte das bedeuten? Oho, da stimmt sicher etwas nicht!«
  • Der Großvater nahm also heimlich die Karten unter den Tisch und schlug
  • ein Kreuz über sie; und auf einmal hatte er Trumpf-Aß, Trumpf-König und
  • Trumpf-Bube in Händen, und statt seiner Sechs hatte er Dame gespielt.
  • »Ein schöner Narr bin ich gewesen,« dachte er sich. -- »Trumpf-König!
  • Was? Hast du das? Du Katzenbrut! Willst du vielleicht ein Aß? Ein Aß!
  • einen Buben! ....« Ein donnerndes Dröhnen rollte durch die ganze Hölle;
  • die Hexe verfiel in Krämpfe, und auf einmal flog dem Großvater --
  • patsch! -- die Mütze ins Gesicht. »Nein, das ist zu wenig!« schrie der
  • Großvater schon viel dreister, als er erst seine Mütze aufgesetzt hatte.
  • »Wenn nicht mein braves Pferd auf der Stelle vor mir erscheint, so soll
  • mich an diesem unreinen Ort gleich der Donner treffen, oder ich schlage
  • wahrhaftig das heilige Kreuz über euch alle!« Und schon erhob er die
  • Hand, als er auf einmal Pferdeknochen vor sich klappern hörte.
  • »Da hast du dein Pferd!«
  • Der Ärmste brach bei diesem Anblick in Tränen aus, wie ein törichtes
  • Kind. Schade um den alten Freund! »Gebt mir nur irgend ein Pferd, damit
  • ich aus eurem Nest herauskomme!« Der Teufel knallte mit seiner
  • Hetzpeitsche, -- ein Pferd sauste wie ein Feuer unter dem Großvater
  • herauf, und er flog wie ein Vogel in die Höhe. Aber mitten im wilden
  • Ritt ergriff ihn eine mächtige Angst, als das Pferd ohne auf seine Rufe
  • oder auf die Zügel zu achten, über Gräben und Sümpfe dahinjagte. An was
  • für Orten war er damals nicht überall gewesen! schon beim bloßen
  • Erzählen überkam ihn ein Zittern. Er blickte vor sich hinab und
  • erschrak: vor ihm lag ein Abgrund, eine furchtbare Schlucht! Doch das
  • Satansvieh machte sich nichts daraus und setzt einfach drüber weg! Der
  • Großvater wollte sich festhalten, aber es gelang ihm nicht. Hals über
  • Kopf, durch Gestrüpp und über Felsen flog er hinab in den Schlund und
  • prallte tief unten am Grunde so gewaltig auf, daß ihm der Atem verging.
  • Wenigstens konnte er sich später auf nichts mehr besinnen, was damals
  • mit ihm vorgegangen war; und als er wieder zu sich kam und sich umsah,
  • da war es schon ganz hell geworden. Vor ihm schimmerte eine wohlbekannte
  • Gegend, und er lag auf dem Dache seines eigenen Hauses.
  • Als der Großvater heruntergeklettert war, schlug er ein Kreuz.
  • »Teufelszeug! Was zum Henker einem Menschen nicht für Wunderdinge
  • widerfahren können!« Er sah seine Hände an. Sie waren voll Blut; er sah
  • in das vor ihm stehende Wasserfaß -- auch sein Gesicht war voller Blut.
  • Er wusch sich gründlich, um die Kinder nicht zu erschrecken, trat leisen
  • Schrittes in die Stube, und was sieht er da? Die Kinder gehen rücklings
  • auf ihn zu, strecken die Finger aus und sagen: »Sieh doch, sieh -- die
  • Mutter springt herum wie verrückt!« Und wahrhaftig: sein Weib sitzt
  • eingeschlafen vorm Spinnrocken, hält die Spindel in der Hand und hüpft
  • im Schlaf auf der Bank hoch und nieder. Der Großvater nahm sie sanft bei
  • der Hand und weckte sie. »Grüß Gott, Frau, bist du auch ganz wohl?« Jene
  • starrte ihn lange an. Endlich erkannte sie den Großvater und erzählte,
  • sie habe geträumt, der Ofen sei in der Stube herumgefahren, habe mit der
  • Schaufel alle Töpfe und Schüsseln hinausgejagt ... und der Teufel weiß,
  • was noch alles! »Na ja,« sagte der Großvater, »dein Traum war meine
  • Wirklichkeit, ich sehe schon, man muß unser Haus mit Weihwasser
  • besprengen -- aber jetzt darf ich keine Zeit mehr verlieren.« So sprach
  • der Großvater, und als er sich etwas ausgeruht hatte, holte er das Pferd
  • und machte nicht eher Halt, weder bei Tag noch bei Nacht, als bis er
  • sein Ziel erreicht und der Zarin selbst den Brief übergeben hatte. Da
  • bekam der Großvater solche Wunderdinge zu sehen, daß er noch lange
  • nachher davon erzählen konnte: wie er in ein Schloß geführt wurde,
  • welches so hoch war, daß man zehn Häuser hätte übereinander bauen
  • können, und es hätte noch nicht gereicht; wie er in ein Gemach
  • hineinblickte -- die Zarin war nicht drin, -- dann in ein zweites --
  • auch da war sie nicht, in ein drittes -- auch da nicht, -- in ein
  • viertes -- sie war immer noch nicht da. Erst im fünften Zimmer saß sie
  • selbst, mit einer goldenen Krone auf dem Haupte, in einem grauen,
  • funkelnagelneuen Kittel und mit roten Stiefelchen, und aß goldene
  • Knödel. Sie ließ ihm die ganze Mütze mit blauen Scheinen vollstopfen,
  • und ihm .... aber man kann sich doch nicht an alles erinnern! Der
  • Großvater hatte sogar die Plackerei mit den Teufeln ganz vergessen, und
  • wenn es geschah, daß ihn jemand daran erinnerte, so schwieg er, als
  • ginge ihn das nichts an, und es kostete gar viele Mühe, ihn so weit zu
  • bringen, daß er's erzählte. Aber wohl zur Strafe dafür, daß er damals
  • das Haus nicht sofort mit Weihwasser besprengt hatte, widerfuhr der Frau
  • jedes Jahr, und zwar immer um dieselbe Zeit, das Wunder, daß sie immerzu
  • tanzen wollte. Was sie auch beginnen mochte, die Beine taten das ihrige
  • und zwangen sie förmlich, ein Tänzchen aufzuführen.
  • Ende des ersten Teils.
  • Abende auf dem Gutshof bei Dikanka.
  • Zweiter Teil
  • Vorrede
  • Hier habt ihr das zweite Büchlein, oder richtiger gesagt, das letzte.
  • Erst wollt' ich's ja nicht, nein, ich wollt' es ganz und gar nicht
  • herausgeben. Wahrhaftig, man muß auch mal 'nen Schlußpunkt setzen
  • können. Und ich kann euch nur mitteilen: auf dem Vorwerk fängt man schon
  • an, über mich zu lachen. »Sieh mal einer an!« sagt man, »der alte Toback
  • ist ja schon ganz närrisch: der amüsiert sich auf seine alten Tage noch
  • mit Spielereien!« Ja wirklich, 's wäre doch längst Zeit, zur Ruhe zu
  • gehen. Ihr, lieben Leser, glaubt natürlich, ich tue nur so, als ob ich
  • schon so alt sei. Ach du lieber Gott, was heißt da Verstellung, wenn
  • einem kein Zahn mehr im Munde sitzt! Was Weiches kann ich ja noch
  • irgendwie kauen, aber Hartes kann ich nun schon gar nicht mehr beißen.
  • Hier habt ihr also noch ein Büchlein! Bloß eins, aber schimpft nicht! 's
  • ist nicht recht, beim Abschied zu schimpfen, besonders auf einen
  • Menschen, den man Gott weiß wann wiedersieht. In diesem Büchlein werdet
  • ihr Erzähler zu hören bekommen, die euch fast alle unbekannt sind,
  • ausgenommen etwa Foma Grigorjewitsch. Was aber jenes erbsengraue
  • Herrchen angeht, das immer so verblümt zu erzählen pflegte, so daß ihn
  • selbst irgend so ein pfiffiger Moskowiter nicht recht verstehen konnte,
  • -- der ist schon lange nicht mehr da. Erst hat er sich gründlich mit uns
  • allen verkracht, und dann ließ er sich überhaupt nicht mehr blicken. Ja,
  • hab' ich euch denn diesen Fall nicht erzählt? Hört doch nur, es war
  • wirklich eine höchst possierliche Geschichte. Im vorigen Jahr, es war
  • gegen Anfang des Sommers, -- ich glaube beinahe am Namenstage meines
  • Schutzheiligen, -- kamen einige Gäste zu mir .... (Das muß ich euch
  • sagen, lieben Leser; meine Landsleute -- Gott schenke ihnen ein langes
  • Leben und eine gute Gesundheit -- haben mich alten Mann nicht vergessen.
  • Es geht schon ins fünfzigste Jahr, daß ich mich auf meinen Namenstag
  • besinne; aber wie alt ich nun genau bin, das kann weder _ich_ euch
  • sagen, noch meine Alte. Wahrscheinlich so gegen siebzig. Der Pope von
  • Dikanka, Vater Charlampi, hat's gewußt, wann ich geboren bin; aber
  • leider sind's schon fünfzig Jahr, daß er tot ist.) Also es kamen Gäste
  • zu mir: Sachar Kirilowitsch Tschuchopupenko, Stepan Iwanowitsch
  • Kurotschka, Taras Iwanowitsch Smatschnenjki, und der Assessor Charlampi
  • Kirilowitsch Chlosta; dann war noch .... sieh mal einer an, da hab' ich
  • doch wahrhaftig seinen Vor- und Zunamen vergessen .... Ossip .... Ossip
  • .... mein Gott, ganz Mirgorod kennt ihn ja! Wenn er redet, schnippt er
  • zuerst mit den Fingern, und dann stemmt er die Hände in die Hüften ....
  • Na, Gott helf' ihm! 's wird mir ein andermal einfallen. Ferner war auch
  • der euch schon bekannte junge Herr aus Poltawa gekommen; Foma
  • Grigorjewitsch rechne ich übrigens nicht mit; der gehört schon zur
  • Familie. Man kam ins Gespräch (ich muß schon wieder was einschalten! Bei
  • uns wird nämlich nie Firlefanz geredet: ich kann nur höchst anständige
  • Gespräche leiden, damit, wie man so zu sagen pflegt, zugleich dem
  • Vergnügen, und der Erbauung Genüge geschieht). -- Man kam also ins
  • Gespräch darüber, wie man wohl am besten Äpfel einlegt. Meine Alte
  • sagte, man müsse die Äpfel zuerst gut waschen, dann in Sauerbier
  • einweichen, und dann erst .... »Aber kein Gedanke!« fiel das Herrchen
  • aus Poltawa ein, schob die Hand in seinen erbsengrauen Kaftan und
  • stolzierte würdevoll im Zimmer auf und ab. »Aber kein Gedanke! Erst muß
  • man Minze auf sie streuen, und dann erst ....« Ich muß _euch_ zu Zeugen
  • aufrufen, liebe Leser, sagt mal ganz ehrlich: habt ihr je gehört, daß
  • man Minze auf die Äpfel streut? Freilich legt man Johannisbeerblätter,
  • Nagelkraut und Kleeblatt hinein, aber daß man Minze einlegte .... nein,
  • das habe ich noch nie gehört. Besser als meine Alte weiß wohl niemand
  • Bescheid mit solchen Sachen. Seht, nun sagt ihr's selbst! Ich führte ihn
  • also, als honetten Menschen, ein wenig zur Seite und sagte: »Höre, Makar
  • Nasarowitsch, treib doch keine Narrenspossen! Du bist doch ein feiner
  • Herr: hast doch, wie du selber sagst, einmal am Gouverneurstische mit
  • gegessen. Wenn du da so etwas sagst, da werden dich ja alle auslachen!«
  • Und was glaubt ihr nun, hat er drauf gesagt? -- Nichts! Er hat auf den
  • Boden gespuckt, hat seine Mütze genommen und ist gegangen. Nicht einmal
  • Abschied hat er von irgendeinem genommen, ja nicht einmal jemandem
  • zugenickt; wir hörten bloß, wie sein Wägelchen mit den Schellen am Tore
  • vorfuhr; und schon saß er drin und fuhr davon. Na, um so besser! Solche
  • Gäste können wir nicht brauchen! Ich will euch nur sagen, meine lieben
  • Leser, es gibt gar nichts Schlimmeres auf der Welt, als diese Ritter vom
  • hohen Roß. Weil sein Ohm mal Kommissär war, muß er drum die Nase
  • rümpfen? Als ob Kommissär schon so ein Rang wäre, daß es gar nichts
  • Höheres auf der Welt gibt! Gott sei Dank, es gibt noch höhere Tiere, als
  • so ein Kommissär. Nein, diese Vornehmtuerei kann ich nicht ausstehen!
  • Nehmt doch zum Beispiel Foma Grigorjewitsch; das ist doch kein feiner
  • Herr, aber seht ihn mal an: in seinem Gesicht glänzt stets eine gewisse
  • Würde; sogar wenn er seinen gewöhnlichen Tabak schnupft, da hat man
  • unwillkürlich Respekt. Und erst in der Kirche; wenn er da oben auf dem
  • Chore steht und singt, -- da kommt es ordentlich wie Rührung über einen!
  • Man möchte am liebsten vergehen! .... Aber jener .... na, Gott mit ihm!
  • Der glaubt ganz gewiß, ohne seine Geschichten könne man gar nicht
  • auskommen. Je nun, auch ohne ihn hat sich ein Büchelchen
  • zusammengefunden.
  • Ich habe euch, glaub' ich, versprochen, daß in diesem Büchlein auch ein
  • Märchen von mir sein wird. Ich wollt' es auch wirklich so machen, aber
  • da hab' ich gemerkt, daß man für meine Geschichte wenigstens drei
  • solcher Büchelchen brauchte. Ich gedachte zuerst, es besonders drucken
  • zu lassen, aber dann hab' ich mir's überlegt. Ich kenne euch ja: ihr
  • werdet noch über mich alten Mann lachen. Nein, ich mag's nicht! Gehabt
  • euch wohl! Wir sehen uns lange Zeit nicht wieder, oder vielleicht auch
  • nie. Aber was ist daran gelegen? Euch kann's ja gleich sein, auch wenn
  • ich gar nicht auf der Welt wäre. Ein Jahr wird dahingehn und noch eins
  • -- und ich bin sicher, niemand von euch besinnt sich mehr auf mich, oder
  • denkt mit Bedauern an den alten Bienenzüchter
  • _Rotfuchs Panjko_.
  • Die Nacht vor dem Weihnachtsfest
  • Der letzte Tag vor dem Weihnachtsfeste war verstrichen. Klar brach die
  • Winternacht an, die Sterne schauten hervor, der Mond stieg majestätisch
  • am Himmel empor, um allen guten Leuten und der ganzen Welt zu leuchten,
  • damit allen fröhlich ums Herz sei, wenn nach dem Weihnachtsbrauch unter
  • den Fenstern zu Christi Lob und Preis gesungen würde. Der Frost war noch
  • schneidender als am Morgen; aber dafür war es so still, daß man das
  • Knirschen des Schnees unter den Stiefeln eine halbe Werst weit hören
  • konnte. Noch war unter keinem Fenster eine einzige Schar von Burschen zu
  • sehen; allein der Mond blickte verstohlen durch die Scheiben, als wollte
  • er den sich putzenden Mädchen zuwinken, sie sollten schneller
  • hinauslaufen in den knisternden Schnee. Da wälzten sich dichte Ballen
  • von Qualm aus dem Schornstein einer Hütte und stiegen wie eine Wolke zum
  • Himmel auf, und zugleich mit dem Rauch ritt eine Hexe auf einem
  • Besenstiel in die Höhe.
  • Wenn in diesem Augenblick der Herr Assessor aus Sorotschintzy in einem
  • mit Gutspferden bespannten Dreispänner vorbeigefahren wäre, die Mütze
  • mit der Hammelfellborde, wie sie die Ulanen tragen, auf dem Kopf, in
  • seinem blauen, mit schwarzem Lammfell gefütterten Pelz, und mit seinem
  • Teufelsding, der geflochtenen Peitsche, mit der er gewöhnlich seinen
  • Kutscher anfeuerte, so hätte er sie bestimmt gesehen; denn dem Assessor
  • von Sorotschintzy kann keine Hexe entgehen. Er kann sich's nämlich von
  • jedem Frauenzimmer an den Fingern abzählen, wieviel Ferkelchen ihre Sau
  • wirft, wieviel Leinwand in ihrem Kasten liegt, und er weiß aufs
  • Tüpfelchen, was ein wackerer Mann an einem Sonntag in der Schenke an
  • Kleidern und Wirtschaftssachen versetzt. Aber der Assessor von
  • Sorotschintzy kam nicht vorbeigefahren, und dann kümmerte er sich auch
  • nicht um fremde Leute -- er hatte ja seinen eigenen Bezirk. Unterdessen
  • aber stieg die Hexe so hoch empor, daß sie da oben nur noch wie ein
  • schwarzes Pünktchen aussah. Aber wo dies Pünktchen sich zeigte, dort
  • verschwand ein Stern nach dem andern vom Himmel. Bald hatte die Hexe
  • einen ganzen Ärmel voll von ihnen heruntergeholt. Nur noch drei oder
  • vier blinkten so herum. Auf einmal jedoch tauchte an der
  • entgegengesetzten Seite ein andres Pünktchen auf, wurde immer größer,
  • dehnte sich in die Breite, und bald war es kein Pünktchen mehr. Ein
  • Kurzsichtiger hätte sogar statt einer Brille die Räder vom Wagen des
  • Kommissärs auf die Nase setzen können, aber auch dann hätte er nicht
  • genau erkennen können, was das für ein Ding war. Von vorne sah es sich
  • ganz an wie ein Welscher: das spitzige Mäulchen, das sich fortwährend
  • bewegte und alles und alle beschnüffelte, lief in ein rundes
  • Fünfkopekenstück aus, wie bei unsren Schweinen; die Beine waren so dünn,
  • daß sie auch dem Jereskower Amtmann, wenn er solche gehabt hätte, schon
  • beim ersten Sprung im Kosakentanz gebrochen wären. Dafür aber war's von
  • hinten ein waschechter Gouvernementsprokurator in Uniform, denn ihm
  • baumelte ein Schwanz herunter, der so lang war und so spitz zulief wie
  • die Schöße an den neumodischen Uniformen; höchstens aus dem Bocksbart
  • unterm Maul, aus den kleinen Hörnerchen auf dem Kopfe und daraus, daß er
  • nicht viel weißer war als ein Schornsteinfeger, konnte man erraten, daß
  • das weder ein Kerl aus dem Auslande, noch ein Gouvernementsprokurator
  • war, sondern ganz einfach der Teufel in eigener Person, für den die
  • letzte Nacht gekommen war, wo er sich in Gottes weiter Welt umhertreiben
  • und die guten Menschen zu allerlei Sünden verführen durfte. Denn morgen
  • schon sollte er beim ersten Glockenschlage der Frühmesse mit
  • eingezogenem Schwanz zur Hölle fahren.
  • Indessen aber schlich sich der Teufel leise an den Mond heran und
  • streckte die Hand aus, um nach ihm zu greifen; plötzlich jedoch riß er
  • seine Hand zurück, als wenn er sich verbrannt hätte, sog an den
  • Fingerspitzen, schlenkerte mächtig mit dem einen Bein und schlüpfte dann
  • auf die andere Seite; aber da prallte er wiederum zurück und zog
  • schleunigst die Hand weg. Trotz dieser Mißerfolge ließ jedoch der
  • listige Teufel nicht von seinen bösen Streichen. Mit einem Anlauf rannte
  • er heran und packte den Mond mit beiden Händen; er krümmte sich hin und
  • her, blies aus vollen Backen auf ihn und warf ihn aus einer Hand in die
  • andere, wie ein Bauer, der sich mit bloßen Händen Feuer für seine Pfeife
  • holt; endlich steckte er ihn rasch in seine Tasche und sauste weiter,
  • als ob ganz und gar nichts geschehen wäre.
  • In Dikanka hatte niemand gemerkt, daß der Teufel den Mond gestohlen
  • hatte. Freilich, als der Gemeindeschreiber, übrigens auf allen Vieren,
  • die Schänke verließ, sah er, daß der Mond plötzlich am Himmel
  • umhertanzte, und er beschwor das bei allen Heiligen vor dem ganzen
  • Dorfe; aber die Leute im Dorfe schüttelten nur die Köpfe und lachten ihn
  • einfach aus. Doch was hatte den Teufel eigentlich zu einer so
  • schändlichen Tat veranlaßt? Der Grund war folgender: er wußte, daß der
  • reiche Kosak Tschub vom Küster zum Weihnachtsschmaus eingeladen war, und
  • daß außerdem noch der Amtmann, ein Anverwandter des Vorsängers von der
  • Bischöflichen Sängerkapelle, ein Mann im blauen Rock, der die tiefsten
  • Baßtöne mühelos hervorbrachte, ferner der Kosak Swerbygus und noch
  • dieser und jener da sein würden. Da würde es außer dem Weihnachtskuchen
  • noch süßen Branntwein, Safranschnaps und noch allerhand Gutes zum Essen
  • und Trinken geben. Unterdessen würde aber sein Töchterchen, die erste
  • Schöne im ganzen Dorf, allein zu Hause bleiben; und dann würde sicher
  • der Schmied zu dem Mädel kommen, ein handfester, kräftiger Bursch, ein
  • Mordskerl, der dem Teufel noch widerwärtiger war als die Predigten des
  • Vaters Kondrat. In seinen Mußestunden pflegte der Dorfschmied sich
  • nämlich mit der Malerei zu beschäftigen, und er galt als der beste Maler
  • in der ganzen Umgegend. Der Kosaken-Hauptmann L...ko, der damals noch
  • lebte, hatte ihn sogar eigens dazu nach Poltawa kommen lassen, um den
  • Bretterzaun vor seinem Hause zu tünchen. Alle Schüsseln, aus denen die
  • Kosaken in Dikanka ihren Borschtsch schlürften, waren von ihm bemalt.
  • Der Schmied war ein gottesfürchtiger Mann, malte oft Heiligenbilder, und
  • man kann jetzt noch in der Kirche zu T..... einen Evangelisten Lukas von
  • seiner Hand sehen. Aber der Triumph seiner Kunst war ein Bild, das er an
  • die Wand der rechten Kirchenvorhalle gemalt hatte; da hatte er den
  • heiligen Petrus dargestellt mit Schlüsseln in der Hand, wie er am
  • jüngsten Tage den bösen Geist aus der Hölle vertreibt: der erschrockene
  • Teufel rennt, seinen Untergang vorausahnend, hin und her, und die
  • Sünder, die einst in die Hölle gesperrt waren, prügeln mit Knuten,
  • Holzscheiten und allem, was ihnen unter die Hände kommt, auf ihn los.
  • Zur Zeit, als der Maler an diesem Bilde arbeitete -- er malte es auf ein
  • großes Brett -- hatte sich der Teufel aus aller Kraft bemüht, ihn dabei
  • zu stören: er puffte ihn unsichtbar am Arm, holte Asche aus der
  • Schmiede-Esse und streute sie auf das Bild; aber trotz alledem wurde das
  • Werk zu Ende geführt, das Brett wurde in die Kirche gebracht, an der
  • Wand der Vorhalle angenagelt, und seitdem hatte der Teufel dem Schmied
  • Rache geschworen.
  • Nur noch eine Nacht war ihm nun geblieben, durch die Welt zu ziehen; in
  • dieser Nacht aber wollte er seine ganze Wut an dem Schmied auslassen,
  • und darum beschloß er, den Mond zu stehlen; er hatte es sich nämlich
  • folgendermaßen ausgedacht: der alte Tschub ist träge, und schwer auf die
  • Beine zu kriegen, und dann ist es auch von seinem Hause bis zum Küster
  • nicht sehr nahe. Der Weg zu ihm führte hinterm Dorfe an Windmühlen und
  • am Friedhof, an einem Abgrund vorüber, und dann konnten bei hellen
  • Mondnächten auch noch der süße Branntwein und der Safranschnaps den
  • Tschub locken; aber bei dieser Finsternis konnte es wohl kaum jemandem
  • gelingen, ihn von seinem Plätzchen hinterm Ofen hervor und auf die
  • Straße hinaus zu lotsen. Und da würde der Schmied, der schon lange nicht
  • im besten Einvernehmen mit ihm lebte, es sicher nicht wagen, seine
  • Tochter aufzusuchen, und wenn er auch noch so kräftig war.
  • Und so kam es, daß der Teufel kaum den Mond in die Tasche gesteckt
  • hatte, als es plötzlich in der ganzen Welt so stockfinster wurde, daß
  • manch einer den Weg ins Wirtshaus nicht gefunden hätte, geschweige denn
  • _den_ in des Küsters Haus. Die Hexe fand sich auf einmal im Dunkeln und
  • stieß einen Schrei aus. Da scharwenzelte der Teufel auf sie zu, faßte
  • sie flink unterm Arm und begann ihr allerhand schöne Dinge ins Ohr zu
  • flüstern, wie man sie den Weibern gewöhnlich zuzuraunen pflegt. Es geht
  • doch recht wunderlich zu in unserer Welt! Alles was in ihr leibt und
  • lebt, alles ist bemüht, einander was abzugucken und andere Leute
  • nachzuäffen. Früher gab's einmal eine Zeit, da trugen in ganz Mirgorod
  • nur der Richter und der Bürgermeister im Winter Pelze, die mit Tuch
  • überzogen waren, während die übrigen Unterbeamten gewöhnlich die Pelze
  • mit dem Fell nach außen trugen; jetzt dagegen haben sich der Assessor
  • und der Unterrendant neue Pelze aus feinem Lammfell mit Tuchbezügen
  • zugelegt. Vor zwei Jahren kauften der Kanzlist und der Gemeindeschreiber
  • Nanking zu sechzig Kopeken die Elle, und der Kirchendiener hat sich zum
  • Sommer gar eine Pluderhose aus Nanking und sogar eine Weste aus Kammgarn
  • machen lassen. Kurz, alles will zur feinen Welt gehören! Wann werden die
  • Menschen endlich einmal von ihrer Eitelkeit ablassen! Nun könnte man
  • wetten, manchem kommt der Gedanke sonderbar vor, daß der Teufel sich
  • ebenso benimmt. Am ärgerlichsten ist's aber, daß er sich am Ende gar
  • noch auf seine Schönheit was zugute tut, und dabei hat er doch eine
  • Fratze, daß es eine wahre Schande ist. Geradezu eine Fresse, wie Foma
  • Grigorjewitsch zu sagen pflegt, das Garstigste vom Garstigen, und so
  • einer geht auch noch auf Liebschaften aus! Aber am Himmel war es so
  • stockfinster geworden, daß man durchaus nichts mehr von dem sehen
  • konnte, was sich zwischen dem Pärchen weiter abspielte.
  • * * * * *
  • »Also, Gevatter, du bist noch nicht beim Küster in der neuen Hütte
  • gewesen?« sprach der Kosak Tschub, trat aus der Tür seines Hauses und
  • ging auf einen hageren, baumlangen Bauer in kurzem Schafspelz zu, mit
  • einem dichten Bart, der davon Zeugnis ablegen konnte, daß dies Kinn
  • schon über vierzehn Tage lang nicht mehr von dem Sensenstück berührt
  • worden, mit dem sich die Bauern in Ermanglung eines Rasiermessers ihren
  • Bart schaben. »Dort wird es jetzt ein schönes Gelage geben!« fuhr
  • Tschub, übers ganze Gesicht schmunzelnd, fort. »Daß wir nur nicht zu
  • spät kommen!«
  • Dabei rückte Tschub seinen Gurt zurecht, der seinen Pelz fest
  • zusammenzog, schob die Mütze tief in die Augen und nahm die Knute -- den
  • Schrecken und die Angst aller lästigen Hunde -- fester in die Hand. Als
  • er jedoch nach oben blickte, hielt er inne ....
  • »Teufel noch einmal! Schau! schau nur, Panas! ....«
  • »Was denn?« sprach der Gevatter und hob ebenfalls seinen Kopf.
  • »Was? Der Mond ist fort!«
  • »Verflucht! Wahrhaftig, der Mond ist fort!«
  • »Das ist es ja eben,« rief Tschub, einigermaßen ärgerlich über die
  • unerschütterliche Teilnahmslosigkeit des Gevatters. »Du scherst dich
  • wohl wenig drum!«
  • »Ja, was soll _ich_ denn dabei machen?«
  • »Mußte sich da gerad so ein Teufel,« fuhr Tschub fort und wischte sich
  • mit dem Ärmel den Schnurrbart, »grad so ein Teufel hineinmischen! So ein
  • Hundsfott! Daß er morgens doch nie wieder sein Glas Schnaps zu trinken
  • kriegte! .... Wahrhaftig! Es ist zum Lachen .... Als ich in der Stube
  • saß, da sah ich zu meinem Vergnügen zum Fenster hinaus: die Nacht war
  • ein reines Wunder! Es war ganz hell, der Schnee leuchtete im Mondlichte
  • und alles war so klar zu sehen wie am lichten Tag; kaum aber trete ich
  • aus der Tür -- da herrscht eine Dunkelheit, daß man die Hand vor den
  • Augen nicht sieht! Mag er sich doch alle Zähne an hartem Buchweizenbrot
  • ausbrechen!«
  • Lange noch brummte und schimpfte Tschub, zugleich aber überlegte er,
  • wozu er sich entschließen solle. Für sein Leben gern hätte er beim
  • Küster über dies und jenes schwatzen mögen; denn sicher saßen dort schon
  • der Amtmann, der zugereiste Baß und der Teersieder Mikita, der alle
  • vierzehn Tage zum Markt nach Poltawa zu fahren pflegte und solche Possen
  • trieb, daß die Leute auf dem Dorf sich den Bauch vor Lachen hielten.
  • Schon sah Tschub in Gedanken den süßen Branntwein auf dem Tische stehn.
  • Freilich, all das war verlockend, aber die Dunkelheit der Nacht lockte
  • wieder zu jenem Faulenzerleben, das jedem Kosaken so lieb ist. Wie gut
  • wäre es jetzt, mit untergeschlagenen Beinen auf der Ofenbank zu sitzen,
  • seine Pfeife zu rauchen und in süß umnebelndem Schlummer den lustigen
  • Burschen und Mädeln zuzuhören, die in Scharen vor den Fenstern ihre
  • Lieder singen und die Weihnacht preisen! Ohne Zweifel hätte er sich auch
  • für das letztere entschieden, wenn er allein gewesen wäre; aber zu zweit
  • war es jetzt nicht mehr so langweilig und so gruselig, mitten durch die
  • Nacht zu gehen, auch wollte er vor dem andern nicht faul und feige
  • erscheinen. Als er mit dem Schimpfen fertig war, wandte er sich an den
  • Gevatter.
  • »Der Mond ist also weg, Gevatter?«
  • »Ja, er ist weg!«
  • »Wirklich sonderbar! Gib mir mal eine Prise! Du hast einen
  • vortrefflichen Tabak, Gevatter! Wo hast du ihn her?«
  • »Vortrefflich? Ei, da soll mich doch der und jener --« antwortete der
  • Gevatter, indem er seine Dose aus Baumrinde mit den eingeritzten Mustern
  • zuklappte. »Nicht einmal ein altes Huhn würde bei diesem Tabak niesen!«
  • »Ich erinnere mich,« fuhr Tschub in demselben Tone fort, »der
  • verstorbene Schankwirt Susulja hatte mir einmal etwas Tabak aus Njeschin
  • mitgebracht. O, war das ein Tabak! Also, Gevatter, was machen wir nun?
  • Es ist ja mächtig dunkel.«
  • »So bleiben wir meinetwegen zu Hause!« rief der Gevatter und griff schon
  • nach der Türklinke.
  • Hätte der Gevatter das nicht gesagt, so hätte Tschub sich wohl
  • entschlossen, zu Hause zu bleiben; jetzt aber schien ihn geradezu etwas
  • zum Widerspruch zu reizen. »Nein, Gevatter, wir wollen gehen! Unmöglich!
  • Wir müssen gehen!«
  • Kaum hatte er das gesagt, so ärgerte er sich schon über seine eigenen
  • Worte. Es war ihm höchst unangenehm, sich in solcher Nacht herumtreiben
  • zu müssen, aber der Gedanke tröstete ihn, daß er es selbst so gewollt,
  • und daß er wider den Ratschlag eines anderen gehandelt hatte.
  • Der Gevatter ließ auch nicht die leiseste Regung von Verdrießlichkeit
  • auf seinem Gesichte erkennen. Er war ein Mann, dem es durchaus gleich
  • war, ob er zu Hause saß, oder ob er sich draußen umhertrieb. Er sah sich
  • nur noch einmal um, kratzte sich mit dem Stiel der Knute die Achseln --
  • und die beiden Gevattern machten sich auf den Weg.
  • * * * * *
  • Doch sehen wir nun zu, was seine schöne Tochter trieb, die allein zu
  • Hause geblieben war. Oxana war noch nicht ganz siebzehn Jahre alt, als
  • man schon beinah in der ganzen Welt, sowohl diesseits wie jenseits von
  • Dikanka, von nichts anderem sprach als von ihr. Die Burschen erklärten
  • einstimmig, ein herrlicheres Mädchen gäbe es im ganzen Dorfe nicht, habe
  • es noch nie gegeben und werde es auch niemals geben. Oxana hörte und
  • wußte alles, was über sie geredet wurde, und sie war so eingebildet, wie
  • ein schönes Mädchen es eben ist. Hätte sie nicht ein Kopftuch und die
  • Jacke einer Bäuerin getragen, sondern ein Stadtkleid, so hätte sie
  • sicher alle Mädchen in den Schatten gestellt. Die Burschen liefen ihr
  • scharenweise nach; aber sie verloren allmählich die Geduld, verließen
  • nach und nach die eigensinnige Schöne und wendeten sich anderen, weniger
  • verwöhnten Werbern zu. Nur der Schmied blieb hartnäckig und hörte nicht
  • auf, sie zu umwerben, obwohl er keineswegs besser behandelt wurde als
  • die anderen. Sobald nun der Vater fortgegangen war, putzte und schmückte
  • sich Oxana noch lange vor dem kleinen Spiegel im Bleirahmen. Sie konnte
  • sich nicht satt sehen an ihrer Schönheit.
  • »Was fällt den Leuten nur ein, mich zu rühmen, ich sei schön?« sprach
  • sie mit zerstreuter Miene, nur um einen Vorwand zu haben, mit sich
  • selbst zu plaudern. »Die Leute lügen, ich bin gar nicht schön!«
  • Aber das frische, lebhafte, kindlich jugendliche Gesicht im Spiegel, mit
  • den strahlenden schwarzen Augen und dem unsagbar anmutigen Lächeln, das
  • die Seele erglühen machte, bewies das Gegenteil.
  • »Sind denn meine schwarzen Brauen und meine Augen in der Tat so schön?«
  • fuhr sie fort, ohne den Spiegel aus der Hand zu legen, »daß sie nicht
  • ihresgleichen in der Welt haben? Was ist nur Schönes an dieser
  • Stumpfnase? an meinen Wangen? an meinen Lippen? Meine schwarzen Zöpfe
  • sollen schön sein? O jeh, am Abend können sie einem Menschen einen
  • ordentlichen Schreck einjagen: wie lange Schlangen winden und schlingen
  • sie sich um meinen Kopf. Ich sehe jetzt, daß ich gar nicht schön bin!«
  • Und sie rückte den Spiegel etwas von sich fort und rief: »Nein, ich bin
  • doch schön! Ach, wie ich schön bin! Wundervoll! Welch eine Freude werde
  • ich einst dem bereiten, dessen Frau ich werde. Wie wird mein Gemahl
  • entzückt von mir sein! Er wird außer sich sein vor Freude. Er wird mich
  • zu Tode küssen!«
  • »Wunderbares Mädchen!« flüsterte der Schmied, der leise eingetreten war.
  • »Aber sie ist nicht wenig eitel! Schon eine Stunde lang steht sie da,
  • besieht sich im Spiegel und kann sich nicht satt sehen an sich selbst,
  • und dazu lobt sie sich noch ganz laut!«
  • »Ja, ihr Burschen, ich bin nicht euersgleichen, seht mich an,« fuhr die
  • reizende Kokette fort. »Wie ist mein Gang so geschmeidig. Mein Hemd ist
  • mit roter Seide genäht. Und was für Bänder ich auf dem Kopf habe! Euer
  • Lebtag werdet ihr nicht mehr solche Goldborden sehen! All das hat mit
  • mein Vater gekauft, damit mich der schönste Bursch der Welt zur Frau
  • nimmt.« Sie lächelte, wandte sich um und erblickte den Schmied ....
  • Sie schrie auf und blieb mit strenger Miene vor ihm stehen.
  • Der Schmied ließ die Hände herabsinken.
  • Es wäre schwer zu sagen, was das braune Gesicht des wundervollen
  • Mädchens ausdrückte: ein strenger Ausdruck spiegelte sich in ihm und
  • durch die Strenge hindurch blickte ein gewisser Hohn über den
  • verblüfften Schmied, und eine kaum merkliche Röte, die ihr der Ärger ins
  • Gesicht getrieben hatte; all das zusammen war so unbeschreiblich schön,
  • daß das Beste, was man hier hätte tun können, dies gewesen wäre: -- sie
  • eine Million Mal abzuküssen.
  • »Wie bist du hierhergekommen?« begann Oxana. »Willst du denn, daß ich
  • dich mit der Schippe davonjage? Ihr versteht euch meisterhaft darauf,
  • euch an uns heranzumachen. Im Nu schnüffelt ihr aus, wann die Väter aus
  • dem Hause sind. O, ich kenne euch schon! Nun, ist meine Truhe fertig?«
  • »Sie ist bald fertig, mein Herzchen; nach den Feiertagen wird sie
  • fertig. Wenn du wüßtest, wieviel Mühe ich mir gegeben habe: zwei Nächte
  • lang habe ich die Schmiede nicht verlassen. Dafür soll aber auch keine
  • Popentochter so eine Truhe haben. Ich habe Eisenbeschläge darauf getan,
  • wie ich sie nicht einmal für den Wagen des Hauptmanns nahm, als ich noch
  • in Poltawa auf Arbeit war. Aber wie wird sie erst bemalt sein! Und wenn
  • du die ganze Umgegend mit deinen weißen Füßchen abläufst, du findest
  • solch eine Truhe nicht mehr! Über den ganzen Grund werden rote und blaue
  • Blumen verstreut sein, und es wird so leuchten wie Feuer. Zürne mir
  • nicht! Erlaube mir wenigstens, zu dir zu reden und dich nur
  • anzuschauen!«
  • »Wer verbietet dir das? Rede und schau!«
  • Und sie nahm Platz auf der Bank, blickte wieder in den Spiegel und
  • begann ihre Flechten auf dem Kopfe zu ordnen. Sie blickte auf ihren
  • Hals, auf das neue seidenbestickte Hemd, und ein leises Gefühl der
  • Selbstzufriedenheit spiegelte sich auf ihren Lippen und auf ihren
  • frischen Wangen und leuchtete aus ihren Augen.
  • »Erlaube mir, daß ich neben dir Platz nehme!« sagte der Schmied.
  • »Setze dich,« sprach Oxana immer noch mit demselben selbstzufriedenen
  • Ausdruck auf den Lippen und in den Augen.
  • »Wundervolle, herzallerliebste Oxana, erlaube mir nur, daß ich dir einen
  • Kuß gebe!« sagte der Schmied ermutigt und preßte sie an sich, in der
  • Hoffnung, ein Küßchen von ihr zu erwischen. Doch Oxana wandte ihre
  • Wangen ab, die sich schon in erreichbarer Nähe von den Lippen des
  • Schmiedes befanden, und stieß ihn von sich. »Was du nicht alles
  • möchtest! Kaum hat er den Honig, so braucht er gleich auch noch einen
  • Löffel dazu! Geh doch, deine Hände sind noch härter als Eisen. Auch
  • riechst du nach Rauch. Ich glaube gar, du hast mich ganz mit deinem Ruß
  • beschmiert.«
  • Sie nahm den Spiegel und begann sich von neuem zu putzen.
  • »Sie liebt mich nicht!« dachte der Schmied bei sich und ließ den Kopf
  • hängen. »Für sie ist alles nur Spielerei; und ich stehe vor ihr da wie
  • ein Narr, und kann meine Augen nicht von ihr wenden. Ja, ich möchte
  • immer so vor ihr stehen und meine Augen nicht von ihr wenden. Welch
  • herrliches Mädchen! Was würde ich alles darum geben, zu erfahren, was in
  • ihrem Herzen vorgeht und wen sie eigentlich liebt. Aber nein, sie
  • kümmert sich um niemand. Sie freut sich nur ihrer Schönheit, quält mich
  • Armen, und ich bin so traurig, daß mir alles trüb und dunkel erscheint.
  • Und dabei liebe ich sie doch so, wie kein Mensch in der Welt sie je
  • geliebt hat oder lieben wird.«
  • »Ist es wahr, daß deine Mutter eine Hexe ist?« fragte Oxana und brach in
  • lautes Lachen aus; auch der Schmied fühlte, wie alles in seinem Innern
  • auflachte. Dieses Lachen schien plötzlich in seinem Herzen
  • wiederzuhallen und in den leise erschauernden Adern, aber gleich darauf
  • erwachte ein Ärger in seiner Seele, weil er nicht die Macht hatte,
  • dieses so anmutig lachende Antlitz zu küssen.
  • »Was geht mich meine Mutter an? Du bist mir Mutter und Vater und alles,
  • was es auf der Welt an Teurem für mich gibt! Wenn mich der Zar zu sich
  • rufen ließe und zu mir sagte: »Wakula, du darfst mich um alles bitten,
  • was es Schönes in meinem Reiche gibt, ich will dir alles geben. Ich will
  • dir eine Schmiede aus purem Golde bauen lassen, und du sollst silberne
  • Hämmer zum Schmieden bekommen,« -- dann würde ich zu dem Zaren sagen:
  • »Ich will weder kostbare Edelsteine, noch eine goldene Schmiede, noch
  • dein ganzes Reich. Gib mir lieber meine Oxana!«
  • »Schau, schau, so einer bist du also! Aber mein Vater ist auch nicht auf
  • den Kopf gefallen. Paß auf, er heiratet noch deine Mutter!« sagte sie
  • und lächelte listig. »Aber, wo bleiben nur die Mädchen? .... Was soll
  • das bedeuten? es ist schon höchste Zeit, daß man vor den Fenstern zu
  • singen beginnt. Ich fange an, mich zu langweilen.«
  • »Mögen sie nur bleiben, wo sie sind, du meine Holde!«
  • »Warum nicht gar! Mit den Mädchen werden auch wohl die Burschen
  • mitkommen. Da wird's was geben. Ich stell' mir vor, was für putzige
  • Sachen sie da erzählen werden!«
  • »Du sehnst dich also wohl nach ihrer Gesellschaft?«
  • »Sicherlich mehr als nach dir. Ah! Jemand hat geklopft. Das sind wohl
  • die Mädchen und Burschen.«
  • »Worauf soll ich noch länger warten?« sprach der Schmied zu sich selbst.
  • »Sie macht sich über mich lustig. Ich bin ihr ebensoviel wert, wie ein
  • verrostetes Hufeisen. Wenn das aber wirklich so ist, dann soll
  • wenigstens kein anderer über mich lachen. Sobald ich merke, daß ein
  • anderer ihr besser gefällt als ich, dem will ich doch gleich ....«
  • Hier wurden seine Gedanken durch ein Pochen an die Tür unterbrochen, und
  • eine Stimme, die bei dem kalten Frost ziemlich scharf klang, rief: »Mach
  • auf!«
  • »Warte, ich mache schon selbst auf,« sagte der Schmied und trat in den
  • Flur hinaus mit dem Vorsatz, dem ersten, der hereinkäme, aus Ärger die
  • Rippen einzuschlagen.
  • * * * * *
  • Der Frost nahm zu, und oben in der Höhe wurde es so kalt, daß der Teufel
  • von einem Huf auf den anderen hüpfte und sich in die Fäuste blies, um
  • nur einigermaßen seine frierenden Hände zu erwärmen. Es war auch kein
  • Wunder, wenn's einen fror, der sich Tag für Tag in der Hölle
  • herumdrückte. Dort ist's bekanntlich längst nicht so kalt wie bei uns im
  • Winter, er aber steht da unten vor dem Feuer, mit einer Zipfelmütze auf
  • dem Kopf, akkurat wie ein wirklicher Küchenmeister, und brät die Sünder
  • mit solchem Vergnügen, wie wohl die Weiber zu Weihnachten Wurst braten.
  • Selbst die Hexe litt unter der Kälte, trotzdem sie recht warm angezogen
  • war; daher hob sie die Arme in die Höhe, schob ein Bein vor, gab ihrem
  • Körper die Haltung eines Schlittschuhläufers und sauste, ohne ein Glied
  • zu rühren, durch die Luft, wie wenn's einen steilen Eisberg hinabginge,
  • geradeswegs in den Schornstein hinunter.
  • Der Teufel folgte ihr auf dieselbe Art. Da dieses Vieh aber viel
  • gewandter ist als so mancher Geck in Seidenstrümpfen, so ist's kein
  • Wunder, daß er gerad am Eingang zum Schornstein seiner Geliebten auf den
  • Hals flog, und schnell sahen sich die beiden in dem geräumigen Ofen
  • mitten unter den Töpfen.
  • Die Besenreiterin schob leise das Ofentürchen auf, um zu sehen, ob ihr
  • Sohn Wakula nicht die Stube voller Gäste geladen hatte; als sie aber
  • sah, daß niemand da war außer etwa ein paar Säcke, die in der Stube
  • umher lagen, so kroch sie aus dem Ofen, warf den warmen Pelz ab, ordnete
  • ihre Kleidung, und niemand hätte ihr mehr ansehen können, daß sie noch
  • vor einer Minute auf einem Besenstiel geritten war.
  • Die Mutter des Schmieds Wakula war nicht mehr als vierzig Jahre alt und
  • war weder schön noch häßlich. Es ist ja auch ziemlich schwer, in diesen
  • Jahren schön zu sein. Sie verstand es aber, selbst die gesetztesten und
  • würdigsten Kosaken an sich zu fesseln (denen es, nebenbei bemerkt, auch
  • wenig um die Schönheit zu tun war), so daß sie ebensowohl der Amtmann,
  • wie der Küster Ossip Nikiforowitsch (natürlich, wenn die Frau Küsterin
  • nicht zu Hause war), der Kosak Korni Tschub und der Kosak Kassjan
  • Swerbygus aufzusuchen pflegten. Zu ihrer Ehre muß übrigens gesagt
  • werden, daß sie es vorzüglich verstand, mit ihnen umzugehen: keinem
  • einzigen von ihnen kam es auch nur von ferne in den Sinn, er könne einen
  • Nebenbuhler haben. Ging ein frommer Bauer oder ein »Edelmann«, wie die
  • Kosaken sich selbst zu nennen pflegen, am Sonntag in seinem Mantel mit
  • der Kapuze zur Kirche, oder -- wenn das Wetter schlecht war -- ins
  • Wirtshaus, so ließ er sich's nicht nehmen, bei der Solocha
  • vorzusprechen, um ein paar fette Käsekrapfen mit Rahm zu essen und ein
  • Weilchen mit der gesprächigen und gefälligen Hausfrau in der warmen
  • Stube zu schwatzen. Der Edelmann machte eigens zu diesem Zweck einen
  • großen Umweg, bevor er im Wirtshaus anlangte -- und nannte das
  • »unterwegs mal vorsprechen«. Oder ging die Solocha einmal an einem
  • Festtag, in ihrem grellen Kopftuch und ihrem Nankingkittel und dem
  • blauen Rock darüber, der hinten mit goldenen Bändern benäht war, zur
  • Kirche, und stellte sie sich gerade neben dem rechten Chor auf, so fing
  • der Küster sicherlich an zu hüsteln und blinzelte unwillkürlich nach
  • jener Seite hinüber; der Amtmann aber strich sich den Schnurrbart,
  • wickelte sich seine Kosakenlocke ums Ohr und sprach zu dem neben ihm
  • stehenden Nachbar, »Ei, ei, das ist mir ein Weibsbild! Ein ganz
  • verteufeltes Weib!« Die Solocha pflegte denn auch jeden Menschen zu
  • grüßen, und jeder glaubte, sie grüße ihn allein.
  • Aber wer es liebte, sich in fremde Angelegenheiten zu mischen, der
  • konnte sofort merken, daß die Solocha am freundlichsten gegen den
  • Kosaken Tschub war. Tschub war Witwer. Vor seinem Hause standen stets
  • acht Schober Getreide, zwei Paar mächtige Ochsen streckten beständig
  • ihre Köpfe durch das Geflecht des Schuppens auf die Straße hinaus und
  • brüllten jedesmal, wenn sie eine Muhme oder einen Ohm, das heißt eine
  • Kuh oder einen dicken Bullen kommen sahen. Ein bärtiger Bock kletterte
  • hoch auf das Dach hinauf und meckerte mit einer gerad so schrillen
  • Stimme von dort herab wie der Bürgermeister, um die auf dem Hofe umher
  • stolzierenden Truthähne zu reizen, oder er kehrte seinen Hintern hervor,
  • wenn er seine Feinde, die Dorfjungen, erblickte, die sich über seinen
  • Bart lustig zu machen pflegten. In Tschubs Truhen lagen viele Ellen
  • Leinwand, teure Schupans und altertümliche Röcke mit Goldborden: seine
  • verstorbene Frau war nämlich sehr putzsüchtig gewesen. In seinem
  • Gemüsegarten gab es außer Mohn, Kohl und Sonnenblumen auch noch zwei
  • Beete mit Tabak. Von all dem, meinte die Solocha, wäre es ganz nett,
  • wenn es ihrer eigenen Wirtschaft einverleibt würde; sie rechnete schon
  • im voraus damit, welche Ordnung sie einführen wollte, wenn all das in
  • ihre Hände gelangen würde, und daher verdoppelte sie ihr Wohlwollen
  • gegen den alten Tschub. Damit aber ihr Sohn Wakula sich nicht an seine
  • Tochter heran machte, alles Hab und Gut selbst einheimste, und ihr dann
  • am Ende nicht mehr erlaubte, sich in irgend etwas einzumischen, so griff
  • sie nach dem üblichen Mittel aller vierzigjährigen Weiber, das heißt,
  • sie säte möglichst viel Fehde zwischen Tschub und dem Schmied.
  • Vielleicht waren gerade diese Ränke und Listen der Grund davon, daß die
  • alten Weiber, besonders wenn sie in fröhlicher Gesellschaft zusammen
  • saßen und etwas über den Durst getrunken hatten, davon munkelten, die
  • Solocha sei wirklich eine Hexe: der Bursche Kisjakolupenko habe hinten
  • bei ihr einen Schwanz gesehen, der ungefähr so lang gewesen sei wie eine
  • Weiberspindel; am verflossenen Donnerstag erst sei sie in Gestalt einer
  • schwarzen Katze über die Straße gelaufen; auch sei einmal eine Sau zur
  • Popenfrau gerannt gekommen, habe wie ein Hahn gekräht, dann sich die
  • Mütze des Vaters Kondrat aufgesetzt und darauf sich wieder davongemacht
  • ....
  • Der Zufall wollte es, daß gerade zu der Zeit, als die alten Weiber über
  • diese Dinge redeten, ein gewisser Kuhhirt namens Tymisch Korostjawi bei
  • ihnen erschienen war. Er versäumte nicht, zu erzählen, wie er einmal im
  • Sommer, kurz vor Peter und Paul, gerade als er sich im Stall schlafen
  • gelegt und sich ein Bündel Stroh unter den Kopf gebettet hatte, mit
  • eigenen Augen gesehen habe, wie eine Hexe mit aufgelöstem Haar und in
  • bloßem Hemde angefangen habe, die Kuh zu melken; er habe sich nicht vom
  • Fleck rühren können, so behext habe sie ihn, auch habe sie ihm die
  • Lippen mit einem so widerlichen Zeug beschmiert, daß er noch einen
  • ganzen Tag danach immer ausspucken mußte. Doch all das war immerhin
  • zweifelhaft, denn nur der Assessor von Sorotschintzy kann eine Hexe
  • sehen. Und daher wehrten sich alle Kosaken von Ansehen und Würden mit
  • Händen und Füßen dagegen, wenn sie solche Reden mit anhören mußten. »Sie
  • lügen, die hundsföttischen Weiber!« war gewöhnlich ihre Antwort.
  • Kaum war die Solocha aus dem Ofen gekrochen und hatte sich ihre Kleider
  • wieder ein wenig in Ordnung gebracht, so begann sie sofort als gute
  • Wirtin die Stube aufzuräumen und alles auf seinen Platz zu stellen. Die
  • Säcke aber rührte sie nicht an. »Die hat Wakula gebracht, mag er sie
  • doch auch selbst wieder hinaustragen!« Der Teufel aber hatte sich, als
  • er in den Schornstein hineinflog, zufällig umgeschaut, und da hatte er
  • ganz nahe am Hause den Tschub Arm in Arm mit seinem Gevatter erblickt.
  • Im Nu flog er wieder aus dem Ofen, rannte ihnen auf ihrem Wege voran und
  • begann von allen Seiten Haufen hartgefrorenen Schnees aufzuwirbeln. Es
  • erhob sich ein richtiges Schneegestöber, in der Luft flimmerte es nur so
  • weiß durcheinander. Der Schnee wogte hin und her wie ein Netz und
  • drohte, den Fußgängern Augen, Mund und Ohren zu verstopfen. Der Teufel
  • aber flog wieder in den Schornstein hinein, fest davon überzeugt, daß
  • Tschub und der Gevatter umkehren würden; dann würde Tschub den Schmied
  • bei sich im Hause treffen und ihn sicherlich so traktieren, daß der auf
  • lange Zeit nicht mehr imstande sein sollte, einen Pinsel in die Hand zu
  • nehmen und Spottbilder zu malen.
  • * * * * *
  • Und in der Tat, kaum hatte sich das Schneegestöber erhoben und kaum fing
  • der Wind an, ihnen gerade ins Gesicht zu fegen, so äußerte Tschub schon
  • Reue. Er schob sich die Mütze tiefer über die Ohren und regalierte alle,
  • sich selbst, den Teufel und den Gevatter mit Schimpfworten. Übrigens war
  • diese Wut nur geheuchelt. Tschub war sehr froh über das Unwetter. Bis
  • zum Hause des Küsters war es ungefähr achtmal so weit, wie die Strecke,
  • die sie schon zurückgelegt hatten. Die Wanderer kehrten also um. Der
  • Wind blies ihnen zwar in den Nacken, aber es war gänzlich unmöglich, in
  • diesem Schneegestöber auch nur das geringste zu sehen.
  • »Halt, Gevatter! Ich glaube, wir gehen falsch,« sagte Tschub nach einer
  • kurzen Weile. »Ich sehe keine einzige Hütte. He, ist das ein
  • Schneegestöber! Bieg doch mal etwas zur Seite, Gevatter, vielleicht
  • findest du da einen Weg, unterdessen will ich hier nach ihm suchen.
  • Mußte uns auch der Gottseibeiuns bei solchem Unwetter aus dem Hause
  • locken! Vergiß nur nicht zu rufen, wenn du den Weg gefunden hast.
  • Herrgott, was für einen Haufen Schnee hat mir der Satan in die Augen
  • gejagt!«
  • Der Weg war jedoch noch immer nicht zu sehen. Der Gevatter schlug einen
  • Seitenweg ein und irrte in seinen langen Stiefeln hin und her, bis er
  • endlich auf das Wirtshaus stieß. Diese Entdeckung freute ihn dermaßen,
  • daß er alles vergaß, den Schnee von sich abschüttelte und ins Wirtshaus
  • trat, ohne sich im Geringsten um seinen Gevatter auf der Straße zu
  • scheren. Unterdessen war es Tschub so vorgekommen, als ob er den
  • richtigen Weg gefunden hätte. Er machte Halt und schrie aus voller
  • Kehle, als er aber sah, daß der Gevatter nicht zum Vorschein kam,
  • beschloß er, den Weg allein fortzusetzen. Etwas weiter erblickte er sein
  • Haus. Vor dem Hause und auf dem Dache lagen ganze Berge von Schnee. Er
  • klatschte in die vor Kälte erstarrten Hände und begann, an die Tür zu
  • klopfen und seiner Tochter gebieterisch zuzurufen, sie solle aufmachen.
  • Da trat der Schmied aus dem Hause und schrie ihn grob an: »Was willst
  • du?«
  • Tschub erkannte die Stimme des Schmieds und wich etwas zurück. »Hm,
  • nein, das ist nicht mein Haus,« sagte er sich, »in mein Haus würde sich
  • der Schmied doch nicht hineinwagen, aber wenn ich's mir wiederum genauer
  • ansehe, so ist's auch nicht das Haus des Schmieds. Wessen Haus könnte
  • das bloß sein? Holla! Daß ich's nicht gleich erkannt habe! Das ist ja
  • das Haus des lahmen Lewtschenko, der sich erst vor kurzem eine junge
  • Frau genommen hat. Nur sein Haus sieht dem meinen so ähnlich. Daher kam
  • es mir doch auch gleich etwas sonderbar vor, daß ich schon so schnell zu
  • Hause war! Aber Lewtschenko sitzt jetzt ja beim Küster, das weiß ich
  • genau. Was hat nur der Schmied hier zu suchen? .... Hahaha! Er besucht
  • seine junge Frau. Das ist's also! Schön! .... Jetzt verstehe ich alles.«
  • »Wer bist du und was treibst du dich vor fremden Türen herum?« rief der
  • Schmied noch gröber als früher und rückte näher.
  • »Nein, ich sag' ihm nicht, wer ich bin,« dachte sich Tschub, »am Ende
  • krieg ich noch Hiebe von ihm, diesem verfluchten Bastard!« Und er
  • antwortete mit verstellter Stimme: »Ich bin doch ein anständiger Mensch!
  • Ich will euch nur ein paar Weihnachtslieder vorsingen, um euch einen
  • kleinen Spaß zu machen!«
  • »Scher' dich zum Teufel mit deinen Weihnachtsliedern,« schrie Wakula
  • wütend. »Was stehst du noch da? Hörst du! Packe dich auf der Stelle!«
  • Tschub hatte diesen vernünftigen Vorsatz schon selbst gefaßt; es war ihm
  • nur unangenehm, dem Befehle des Schmieds folgen zu müssen. Es schien
  • ganz so, als ob ihn ein böser Geist vorwärts stieß und ihn zum
  • Widerstand nötigte. »Was schreist du da so?« rief er mit derselben
  • Stimme. »Ich will euch Weihnachtslieder vorsingen und sonst nichts!«
  • »Aha! du hast also wohl an Worten noch nicht genug?« rief der Schmied,
  • und Tschub fühlte einen höchst schmerzhaften Schlag auf der Schulter.
  • »Du bist gleich mit Prügeln bei der Hand, wie ich sehe!« sagte er und
  • wich etwas zurück.
  • »Pack' dich, marsch!« schrie der Schmied und regalierte ihn mit einem
  • zweiten Schlag.
  • »So!« rief Tschub mit einer Stimme, in die sich Schmerz, Ärger und
  • Furcht mischten. »Wie ich sehe, machst du keinen Spaß, deine Prügel tun
  • ja ordentlich weh!«
  • »Marsch, vorwärts!« rief der Schmied und schlug die Türe zu.
  • »Schau einer an, wie tapfer der tut!« sprach Tschub, als er nun allein
  • auf der Straße stand. »Versuch's nur und komm bloß heran! He, wer bist
  • du denn? Etwa ein großes Tier, was? Du glaubst wohl, ich kann dir nichts
  • anhaben? Nein, mein Täubchen, ich gehe geraden Wegs zum Kommissär, da
  • sollst du was von mir erleben! Ich werde keine Rücksicht darauf nehmen,
  • daß du ein Schmied bist und noch ein Maler dazu. Hm, wenn ich mir meinen
  • Rücken und meine Schultern ansehe, so werde ich wohl sicher blaue
  • Flecken finden. Er hat mir tüchtig zugesetzt, der hundsgemeine Lümmel.
  • Schade nur, daß es so kalt ist, ich möchte nämlich nicht gern den Pelz
  • ausziehen. Warte nur, du Teufelsschmied! Der Satan soll dich und deine
  • Schmiede in Stücke schlagen. Du sollst noch ein Tänzchen bei mir
  • erleben! Verfluchter Hallunke! -- Also ist er jetzt nicht zu Hause?
  • Solocha ist wohl allein! Hm .... Es ist ja nicht weit. -- Ob ich am Ende
  • hingehe! Um diese Zeit wird uns niemand überraschen. Vielleicht hab' ich
  • auch Glück und .... Seine Hiebe tun aber weh .... O, dieser
  • gottsverdammte Schmied!«
  • Und Tschub kratzte sich den Rücken und schlug die entgegengesetzte
  • Richtung ein. Die Genüsse, die seiner bei der Solocha harrten,
  • verringerten einigermaßen den Schmerz, und machten Tschub sogar weniger
  • empfindlich gegen den Frost, der auf den Straßen knirschte, und der
  • nicht einmal vom Sausen des Windes übertönt wurde. Eine sauersüße Miene
  • erschien manchmal auf seinem Gesicht, dessen Kinn und Schnurrbart das
  • Unwetter schneller mit Schnee eingeseift hatte, als irgendein Barbier,
  • der sein Opfer tyrannisch an der Nase packt. Wäre jedoch der Schnee
  • einem nicht kreuz und quer vor den Augen herumgewirbelt, so hätte man
  • noch lange sehen können, wie Tschub immer wieder stehen blieb, sich den
  • Rücken kratzte, ausrief: »Die Hiebe von diesem verfluchten Schmied tun
  • aber mächtig weh!« und dann weiter zog.
  • * * * * *
  • Während der flinke Stutzer mit Schwanz und Bocksbart aus dem Schornstein
  • und wieder in den Schornstein zurückflog, blieb ihm zufällig seine
  • Tasche, die ihm an der Seite hing und in die er den gestohlenen Mond
  • hineingesteckt hatte, im Ofen hängen und ging auf. Der Mond benutzte
  • diese Gelegenheit, flog aus dem Schornstein des Hauses der Solocha in
  • die Freiheit hinaus und stieg flugs zum Himmel empor. Alles wurde hell!
  • das Schneegestöber war wie weggeblasen, der Schnee dehnte sich weit in
  • die Ferne wie ein großes silbernes Gefild, über das kristallene Sterne
  • ausgestreut waren. Selbst der Frost schien etwas nachgelassen zu haben.
  • Burschen und Mädchen kamen in Scharen mit ihren Säcken herbei. Die
  • Lieder schwirrten durcheinander, und beinahe vor keinem Fenster fehlten
  • Sänger, die den heiligen Christ besangen.
  • Der Mond leuchtet wundersam vom Himmel herab! Es ist schwer zu
  • beschreiben, wie schön es ist, sich in solcher Nacht unter die Scharen
  • laut lachender Mädchen und Burschen zu mischen, die zu allen Späßen und
  • losen Streichen aufgelegt sind, wie sie nur eine lustig verbrachte Nacht
  • eingeben kann. Unter dem dicken Pelze ist's warm; die Backen glühen nur
  • noch lebhafter vor Kälte, und der Teufel scheint einen hinterrücks nur
  • so zu mutwilligen Stückchen zu treiben.
  • Scharen von Mädchen brachen mit Säcken in Tschubs Haus ein und umringten
  • Oxana. Das Geschrei, das Gelächter und die Erzählungen betäubten den
  • Schmied. Alle beeilten sich, der Schönen etwas Neues zu erzählen, sie
  • luden ihre Säcke aus und prahlten mit dem Kuchen, den vielen Würsten und
  • Krapfen, die ihnen ihr Straßengesang bereits eingebracht hatte. Oxana
  • schien sehr vergnügt und fröhlich zu sein, schwatzte bald mit der einen,
  • bald mit der anderen und lachte ohne Ende.
  • Der Schmied sah dieses fröhliche Treiben voller Neid und Ärger an, und
  • verfluchte diesmal das ganze Christsingen, obwohl er sonst wie besessen
  • darauf war.
  • »Du, Odarka!« rief die Schöne lustig, zu einem der Mädchen gewandt, »du
  • hast ja neue Schuhe an. Ach, wie reizend! Mit Goldstickerei! Du hast es
  • gut, Odarka, du hast jemand, der dir alles kauft, mir kauft niemand so
  • entzückende Schuhe.«
  • »Gräm dich nicht, meine herzallerliebste Oxana!« unterbrach sie der
  • Schmied. »Ich will dir solche Schuhe schenken, wie sie selbst ein
  • Edelfräulein selten trägt!«
  • »Du?« rief Oxana sofort und blickte ihn stolz an. »Ich möchte doch
  • sehen, wo du solche Schuhe herkriegen willst, die an meine Füße passen.
  • Ja, wenn du mir die Schuhe brächtest, die die Zarin trägt ....!«
  • »Sieh einer an, was die will!« riefen die Mädchen lachend.
  • »Ja!« fuhr die Schöne stolz fort. »Seid ihr meine Zeugen: wenn mir der
  • Schmied Wakula die Schuhe bringt, die die Zarin trägt, so habt ihr mein
  • Wort darauf, daß ich sofort seine Frau werde.«
  • Die Mädchen führten die launische Schöne mit sich fort.
  • »Lache nur, lache!« sprach der Schmied, der gleich nach ihnen das Haus
  • verließ. »Ich lache selbst über mich! Ich grüble und grüble und kann's
  • nicht fassen, wo mein Verstand geblieben ist. Sie liebt mich nicht --
  • nun, da ist nichts zu ändern! Als ob's in der Welt nur die eine Oxana
  • gäbe. Gott sei Dank, es gibt auch außer ihr noch viele nette Mädchen im
  • Dorfe. Was soll ich denn überhaupt mit der Oxana? Sie wird ja doch nie
  • eine gute Hausfrau; sie versteht es nur, sich zu putzen. Nein, nun ist's
  • genug! Nun soll die Narretei aufhören!«
  • Aber gerade zur selben Zeit, als der Schmied diesen Entschluß fassen
  • wollte, führte ihm ein böser Geist Oxanas lachendes Antlitz vor Augen,
  • und das sprach höhnisch: »Schmied, hol mir die Schuhe der Zarin, und ich
  • bin deine Frau!« Und alles in ihm geriet in Wallung, und er dachte nur
  • noch an Oxana.
  • Scharen von Sängern: Burschen und Mädchen in getrennten Trupps eilten
  • aus einer Straße in die andere. Aber der Schmied schritt dahin, ohne
  • etwas zu sehen, und teilnahmslos gegen die Lustbarkeit, die er einst
  • mehr geliebt hatte, als alle andern Burschen.
  • * * * * *
  • Unterdessen wurde der Teufel allen Ernstes zärtlich gegen Solocha: er
  • küßte ihr die Hand mit denselben Fratzen, mit denen der Assessor der
  • Popentochter die Hand zu küssen pflegt, legte seine Hand aufs Herz,
  • stöhnte und erklärte geradeheraus, wenn sie nicht seine Leidenschaften
  • stillen und ihn nach Brauch und Sitte erhören würde, wäre er zu allem
  • fähig: er würde sich ins Wasser stürzen und seine Seele geradeswegs in
  • die Hölle schicken. Solocha war nicht so hartherzig; und dann unterhielt
  • der Teufel ja bekanntlich auch mit ihr eine alte Freundschaft. Sie
  • liebte es, sich von Anbetern umringt zu sehen, und selten war sie ohne
  • Gesellschaft. Diesen Abend gedachte sie jedoch allein zu verbringen,
  • denn alle angesehenen Bewohner des Dorfes waren zum Weihnachtsschmaus
  • beim Küster geladen. Aber es kam alles anders: Kaum hatte der Teufel
  • seine Werbung vorgebracht, da vernahmen sie plötzlich ein Klopfen und
  • die Stimme des beleibten Amtmanns vor der Türe. Solocha lief hin, um ihm
  • aufzumachen, der flinke Teufel aber sprang hurtig in einen der Säcke.
  • Nachdem der Amtmann den Schnee von sich abgeschüttelt und ein Gläschen
  • Schnaps aus Solochas Hand entgegengenommen und ausgetrunken hatte,
  • erzählte er, er sei nicht zum Küster gegangen, denn es habe sich ein
  • Schneegestöber erhoben; da habe er in ihrer Stube Licht gesehen und sei
  • bei ihr eingekehrt, um den Abend mit ihr zu verbringen.
  • Kaum aber hatte der Amtmann das gesagt, als an die Türe geklopft wurde
  • und sich die Stimme des Küsters vernehmen ließ. »Versteck mich
  • irgendwo,« flüsterte der Amtmann, »ich möchte jetzt nicht mit dem Küster
  • zusammentreffen.«
  • Solocha überlegte lange, wo sie einen so dicken Gast verstecken könnte;
  • endlich wählte sie einen der größten Kohlensäcke, schüttete die Kohlen
  • in einen Zuber, und der feiste Amtmann kroch mitsamt seinem Schnurrbart,
  • Kopf und Mütze in den Sack.
  • Der Küster kam ächzend und sich die Hände reibend, herein, und erzählte,
  • es sei niemand zu ihm zum Essen gekommen, er sei aber herzlich froh über
  • die Gelegenheit, sich mit ihr unterhalten zu können, und habe sich nicht
  • einmal durch das Schneegestöber davon abhalten lassen. Dann trat er
  • näher auf sie zu, räusperte sich, grinste, tippte mit seinen langen
  • Fingern auf ihren nackten vollen Arm und sagte mit einer Miene, in der
  • Schlauheit und Selbstzufriedenheit lagen: »Was habt Ihr denn da,
  • reizende Solocha?« Und indem er das sagte, sprang er etwas zurück.
  • »Was kann das wohl sein! Ein Arm, Ossip Nikiforowitsch!« antwortete
  • Solocha.
  • »Hm! Ein Arm! Hähähä!« rief der Küster herzlich zufrieden über diesen
  • Anfang und ging im Zimmer auf und ab.
  • »Und was habt Ihr hier, teuerste Solocha?« sprach er mit derselben
  • Miene, ging wieder auf sie zu, betappte ihren Hals mit seiner Hand und
  • sprang ganz so wie vorher wieder zurück.
  • »Als ob Ihr das nicht seht, Ossip Nikiforowitsch,« erwiderte die
  • Solocha, »mein Hals ist es, und dies hier ist ein Halsband!«
  • »Hm! Ein Hals mit einem Halsband! Hähähä!« und der Küster ging wieder
  • ein paarmal im Zimmer auf und ab und rieb sich die Hände.
  • »Und was habt Ihr hier, unvergleichliche Solocha? ....« Es ist nicht
  • ganz sicher, was der Küster jetzt mit seinen langen Fingern berührt
  • hätte, denn auf einmal ertönte ein Klopfen an der Tür, und die Stimme
  • des Kosaken Tschub ließ sich vernehmen.
  • »Oh Gott, ein Fremder!« rief der Küster erschrocken. »Das soll nur
  • werden, wenn man eine Person meines Standes hier antrifft .... Vater
  • Kondrat wird es noch erfahren! .....................«
  • Aber die Befürchtungen des Küsters lagen auf anderem Gebiet; am meisten
  • fürchtete er, seine Ehehälfte könnte es erfahren, deren schreckliche
  • Hand ohnehin aus seinem dicken Priesterzopfe ein dünnes Mauseschwänzchen
  • gemacht hatte. »Um Gottes willen, tugendhafte Solocha!« sprach er, am
  • ganzen Leibe zitternd. »Eure Güte, wie es im Evangelium Lucae heißt,
  • Kapitel dreiz.... dreiz.... Man klopft, bei Gott, man klopft! Versteckt
  • mich doch nur irgendwo!«
  • Solocha schüttete die Kohlen aus noch einem Sack in den Zuber, und der
  • nicht besonders umfangreiche Küster kroch hinein und kauerte sich ganz
  • am Boden des Sacks zusammen, so daß man noch einen halben Sack voll
  • Kohlen über ihn hatte ausschütten können.
  • »Grüß Gott, Solocha!« sagte Tschub, der jetzt in die Stube trat. »Du
  • hast mich vielleicht nicht erwartet, was? Nicht wahr, du hast mich nicht
  • erwartet? Vielleicht störe ich?« .... fuhr Tschub fort und ließ auf
  • seinem Gesichte eine verschmitzte und vielsagende Miene sehen, aus der
  • man von vornherein erkennen konnte, wie sehr sein schwerfälliger Kopf
  • sich abmühte, etwas recht Spitzes und Schelmisches zu sagen. »Vielleicht
  • hast du dir gerade mit jemandem die Zeit vertrieben. Vielleicht hast du
  • doch jemanden versteckt, was?« Und entzückt über diese Bemerkung brach
  • Tschub in ein Gelächter aus, innerlich darüber triumphierend, daß nur er
  • allein Solochas Gunst genieße. »Nun, Solocha, trinken wir jetzt ein
  • Schnäpschen. Ich glaube, mir ist die Kehle ganz eingefroren von der
  • verfluchten Kälte. Mußte uns Gott gerad zu Weihnachten solch eine Nacht
  • schicken! Was das für ein Schneetreiben war! hörst du, Solocha, was das
  • für ein Schneetreiben war .... Mir sind die Hände ganz steif geworden:
  • ich kann nicht einmal den Pelz aufknöpfen! Wie das Schneegestöber
  • losging ....«
  • »Mach auf!« ertönte in diesem Augenblick eine Stimme von der Straße her,
  • die von einem Stoß gegen die Tür begleitet wurde.
  • »Es klopft jemand,« sagte Tschub und hielt inne.
  • »Mach auf!« schrie es noch lauter.
  • »Das ist der Schmied!« rief Tschub und griff rasch nach der Mütze.
  • »Hörst du Solocha, versteck mich, wo es auch sei, um keinen Preis der
  • Welt will ich mich hier vor dieser gottverdammten Mißgeburt sehen
  • lassen. Diesem Satanskind sollen doch gleich unter beiden Augen Blasen
  • anlaufen: so groß wie zwei Heuschober!«
  • Solocha erschrak gleichfalls und rannte umher, als ob sie nicht ganz
  • gescheit wäre. Ohne sich viel zu besinnen, machte sie Tschub ein
  • Zeichen, er solle in denselben Sack hineinkriechen, in dem bereits der
  • Küster steckte. Der arme Küster konnte nicht einmal durch Husten oder
  • Ächzen seinen Schmerz kundgeben, als sich der schwere Mann ihm beinah
  • auf den Kopf setzte und ihm seine hartgefrorenen Stiefel gegen die
  • Schläfen drückte.
  • Der Schmied trat ein und ließ sich, ohne ein Wort zu reden, und ohne die
  • Mütze abzunehmen, auf eine Bank sinken. Er war ersichtlich schlechter
  • Laune.
  • Zur selben Zeit, als Solocha die Tür hinter ihm zumachte, ertönte ein
  • neues Klopfen. Es war der Kosak Swerbygus. Aber den hätte man schon
  • nicht mehr in einem Sack verstecken können, denn ein solcher Sack war
  • nirgends mehr zu finden. Er war noch beleibter als selbst der Amtmann
  • und höher von Wuchs als Tschubs Gevatter. Daher führte ihn Solocha in
  • den Gemüsegarten, um alles von ihm zu hören, was er ihr zu sagen hatte.
  • Der Schmied blickte zerstreut in alle Winkel seiner Stube und lauschte
  • ab und zu den weit vom Dorfe herüber hallenden Liedern der Sänger;
  • endlich blieben seine Augen an den Säcken haften. »Wozu liegen diese
  • Säcke hier? Man hätte sie schon längst wegräumen sollen. Die dumme Liebe
  • hat mich ganz wirr gemacht. Morgen ist Feiertag, und in der Stube liegt
  • noch immer aller mögliche Plunder herum. Ich trage sie gleich in die
  • Schmiede!«
  • Der Schmied kauerte sich neben den riesigen Säcken hin, band sie fest
  • zusammen und machte sich daran, sie auf seine Schultern zu heben. Aber
  • es war ersichtlich, daß seine Gedanken Gott weiß wo herumspazierten;
  • sonst hätte er hören müssen, wie Tschub keuchte, als ihm das Haar auf
  • dem Kopfe vom Strick festgeklemmt wurde, und wie der feiste Amtmann
  • ziemlich deutlich den Schlucken bekam.
  • »Will mir diese abscheuliche Oxana denn gar nicht aus dem Sinne?« sprach
  • der Schmied. »Ich will nicht an sie denken; und doch kreisen meine
  • Gedanken, immerfort und wie zu Fleiß allein um sie. Wie kommt es, daß
  • man wider Willen an etwas denken muß? Verflucht! Die Säcke scheinen ja
  • schwerer geworden zu sein! Sicher hat man zu den Kohlen noch etwas
  • hinein gestopft. Ich Dummkopf. Ich vergesse ja ganz, daß mir jetzt doch
  • alles schwerer erscheint. Früher konnte ich mit einer Hand
  • eine Fünfkopekenmünze und ein Hufeisen zusammen- und wieder
  • auseinanderbiegen, und jetzt kann ich nicht einmal mehr ein paar
  • Kohlensäcke aufheben. Bald wird mich noch ein Windhauch umblasen ....
  • Nein!« rief er nach einem kurzen Schweigen und faßte Mut. »Was bin ich
  • doch für ein Frauenzimmer! Ich erlaube niemandem, über mich zu lachen!
  • Und wenn es auch zehn solche Säcke wären, -- ich trag sie alle weg!« Und
  • rüstig warf er sich die Säcke über die Schultern, diese Säcke, die nicht
  • einmal zwei kräftige Männer hätten aufheben können. »Ich nehme auch den
  • da noch mit,« fuhr er fort und hob den kleinen Sack in die Höhe, auf
  • dessen Boden der Teufel zusammengekauert lag. »Da hab ich meine
  • Werkzeuge hineingetan.« Mit diesen Worten verließ er das Haus, und vor
  • sich her summte er das Liedchen:
  • »Ach vom Weibe sollt ich lassen!«
  • * * * * *
  • Immer lauter und lauter erklangen die Lieder und das Gelächter auf den
  • Straßen. Den Scharen der umherziehenden Leute schlossen sich auch noch
  • solche an, die aus den kleineren Nachbardörfern herbeigekommen waren.
  • Die Burschen tobten umher und verübten nach Herzenslust allerhand
  • Streiche. Oft auch klang in die Weihnachtsgesänge ein lustiges Liedchen
  • hinein, das einer der jungen Kosaken eben erst verfaßt hatte. Oder
  • plötzlich sang einer aus der Menge statt eines Weihnachtsliedes ein
  • Silvesterliedchen und brüllte aus vollem Halse:
  • Silvester, Bester!
  • Will lecken 'nen Wecken!
  • Will papfen 'nen Krapfen!
  • Will Wurst nach'm Durst!
  • Lautes Lachen belohnte den Spaßvogel. Die kleinen Fenster wurden
  • zurückgeschoben, und die dürren Arme einer alten Frau, die allein mit
  • den würdigen Vätern des Hauses daheimgeblieben war, streckten sich, mit
  • einer Wurst oder einem Stück Kuchen in der Hand, hervor. Die Burschen
  • und Mädchen hielten um die Wette ihre Säcke unter und fingen die Beute
  • auf. An einer andern Stelle umringte ein Haufen von jungen Burschen
  • mehrere Mädchen. Da gab es Lärm und Geschrei; der eine warf einen
  • Schneeball, und ein anderer raubte einen Sack, der mit allerhand Kram
  • angefüllt war. Wieder an einer anderen Stelle haschten Mädchen nach
  • einem Burschen, sie stellten ihm ein Bein, und er flog mitsamt seinem
  • Packen Hals über Kopf zu Boden. Es schien, als ob sie die ganze Nacht
  • hindurch in toller Lust verbringen wollten. Die Nacht war, wie mit
  • Absicht, so herrlich und milde! Und noch heller und weißer erschien der
  • Mondschein vom Leuchten des Schnees!
  • Der Schmied machte mit seinen Säcken halt. Er glaubte die Stimme und das
  • feine Lachen Oxanas in der Mädchenschar vernommen zu haben. Er fühlte,
  • wie ihm ein Schauder durch alle Adern rann, warf die Säcke zu Boden, so
  • daß der Küster im Sack aufstöhnte und der Amtmann aus vollem Halse
  • aufschluckte, und schloß sich mit dem kleinen Sack über der Schulter dem
  • Haufen der Burschen an, die hinter der Schar der Mädchen herzogen, in
  • der er die Stimme Oxanas vernommen zu haben glaubte.
  • »Sie ist es! Steht da wie eine Zarin, und ihre schwarzen Augen leuchten.
  • Ein stattlicher Bursch erzählt ihr etwas; sicher etwas Ergötzliches,
  • denn sie lacht. Aber sie lacht ja immer.« Und unwillkürlich und ohne zu
  • begreifen, wie es geschah, drängte sich der Schmied durch die Menge
  • hindurch und stellte sich an ihre Seite.
  • »Ah, Wakula, du bist hier! Grüß Gott!« rief die Schöne mit jenem
  • Lächeln, das Wakula beinah wahnsinnig machte. »Nun, hast du dir viel
  • ersungen? He, was hast du denn da für einen kleinen Sack bei dir! Und
  • die Stiefelchen der Zarin? hast du mir die schon gekriegt? Schaff mir
  • die Stiefelchen, so heirate ich dich« .... Und lachend lief sie mit
  • einem Trupp Mädchen davon.
  • Der Schmied stand wie angewurzelt auf einem Fleck. »Nein, ich kann
  • nicht; ich hab keine Kraft mehr« .... rief er endlich. »Himmel Herrgott,
  • warum ist sie nur so verteufelt schön? Ihr Blick, ihre Rede, alles
  • brennt in mir, glüht und brennt! Nein, ich kann mich nicht mehr
  • überwinden. Es muß ein Ende gemacht werden. So geh denn zugrunde, meine
  • Seele! Ich will mich in einem Eisloch ertränken, dann ist alles aus!«
  • Er eilte entschiedenen Schritts voraus, holte die Mädchen ein, erreichte
  • Oxana und rief mit fester Stimme: »Leb wohl, Oxana! Suche dir einen
  • Bräutigam, wie du ihn haben magst, halte zum Narren, wen du willst; mich
  • wirst du nie mehr auf der Welt erblicken.«
  • Die Schöne schien erstaunt und wollte etwas sagen, aber der Schmied
  • wehrte mit der Hand ab und rannte davon.
  • »Wohin, Wakula?« schrien die Burschen, als sie den Schmied davonlaufen
  • sahen.
  • »Lebt wohl, Brüder!« rief ihnen der Schmied zu. »Wenn Gott will, sehn
  • wir uns in jener Welt wieder, in dieser werden wir uns nie mehr
  • zusammenfinden. Lebt wohl! Gedenkt meiner nicht in Bösem! Sagt dem Vater
  • Kondrat, er möge eine Totenmesse für meine sündige Seele lesen. Ich weiß
  • es, ich bin schuldig und habe die Kerzen an den Bildern des heiligen
  • Wundertäters und der Mutter Gottes nicht bemalt, ich war zu sehr in
  • irdischen Dingen befangen. Mein ganzes Hab und Gut und alles, was sich
  • in meinem Kasten findet, vermach' ich der Kirche. Lebt wohl!«
  • Nach diesen Worten lief der Schmied mit dem Sacke auf dem Rücken weiter!
  • »Er ist von Sinnen!« sprachen die Burschen.
  • »Eine verlorene Seele!« murmelte fromm eine vorübergehende Alte. »Ich
  • muß doch gleich herumgehen und allen erzählen, wie sich der Schmied
  • erhängt hat!«
  • * * * * *
  • Unterdessen lief Wakula durch die Straßen; endlich blieb er stehen, um
  • Luft zu schöpfen. »Wohin renne ich eigentlich so?« dachte er. »Als ob
  • wirklich alles verloren wäre. Ich will noch das letzte Mittel versuchen.
  • Ich gehe zum Saporoger, zu Patzjuk Schmerbauch. Der soll doch alle
  • Teufel in der Welt kennen und alles machen können, was er will. Ich geh
  • zu ihm, meine Seele ist ja ohnehin verloren!«
  • Der Teufel, der lange regungslos dagelegen war, hüpfte im Sack vor
  • Freude; der Schmied aber glaubte, er selbst hätte den Sack irgendwie mit
  • der Hand berührt und diese Bewegung hervorgerufen, schlug mit seiner
  • mächtigen Faust auf den Sack, rüttelte ihn und begab sich zu Patzjuk
  • Schmerbauch.
  • Dieser Schmerbauch Patzjuk war in der Tat vormals ein Saporoger Kosak
  • gewesen; aber niemand wußte, ob er aus der Gemeinschaft vertrieben oder
  • von selbst davongelaufen war. Er lebte schon seit langem in Dikanka,
  • vielleicht an die zehn oder gar fünfzehn Jahre. Zuerst führte er den
  • Lebenswandel eines echten Saporogers: arbeitete nicht, schlief
  • dreiviertel des Tages, aß wie sechs Drescher und trank einen ganzen
  • Eimer voll auf einen Zug; übrigens hatte der auch bequem Platz, denn
  • obwohl Patzjuk klein von Statur war, war er doch recht stark in die
  • Breite gegangen. Dazu trug er so weite Pluderhosen, daß seine Beine, so
  • lang er auch ausschreiten mochte, kaum zu sehen waren, und daß es den
  • Eindruck machte, als ob sich eine Branntweinkufe die Straße entlang
  • bewege. Daher mochte wohl auch sein Spitzname Schmerbauch stammen. Noch
  • waren keine vierzehn Tage seit seiner Ankunft im Dorfe verstrichen, da
  • wußte schon jedermann, daß er ein Hexenmeister sei. Hatte jemand irgend
  • eine Krankheit, sogleich wurde Patzjuk gerufen, Patzjuk brauchte nur ein
  • paar Worte zu murmeln und das Gebrechen war wie mit der Hand
  • weggewischt. Oder geschah es, daß einem unmäßigen Edelmann eine
  • Fischgräte in der Kehle stecken geblieben war, so verstand es Patzjuk,
  • den Rücken des Herrn so geschickt mit der Faust zu beklopfen, daß die
  • Gräte den rechten Weg einschlug, ohne der adligen Kehle auch nur den
  • leisesten Schaden zuzufügen. In der letzten Zeit hatte man ihn wenig
  • gesehen. Der Grund davon lag vielleicht in seiner Faulheit, vielleicht
  • aber auch in dem Umstande, daß es ihm mit jedem Jahre schwerer wurde,
  • durch die Tür zu kommen. Und so mußten denn die Leute zu ihm in sein
  • Haus kommen, wenn sie seiner bedurften.
  • Nicht ohne Furcht öffnete der Schmied die Tür und erblickte Patzjuk, der
  • wie ein Türke auf dem Boden und vor einem kleinen Fasse saß, auf dem
  • eine Schüssel mit Klößen stand. Diese Schüssel stand wie mit Absicht
  • gerade vor seiner Nase. Ohne auch nur einen Finger zu rühren, neigte er
  • bloß den Kopf leise über die Schüssel und schlürfte die Brühe ein, ab
  • und zu schnappte er auch mit den Zähnen nach einem Kloß.
  • »Nein,« dachte Wakula bei sich, »der da ist noch fauler als Tschub:
  • jener ißt doch wenigstens noch mit einem Löffel, dieser aber mag nicht
  • einmal die Hand aufheben!«
  • Patzjuk war sicherlich mächtig mit seinen Klößen beschäftigt, denn er
  • schien das Kommen des Schmiedes gar nicht bemerkt zu haben; kaum aber
  • war dieser über die Schwelle getreten, so machte er eine tiefe
  • Verbeugung.
  • »Ich komme zu Euer Gnaden, Patzjuk!« sagte Wakula und verbeugte sich von
  • neuem.
  • Der dicke Patzjuk erhob den Kopf und begann wieder die Kloßbrühe zu
  • schlürfen.
  • »Die Leute sagen, -- nimm es mir nicht übel ....« sagte der Schmied,
  • indem er sich selbst Mut zusprach, »ich sag's nicht, um dich zu
  • beleidigen -- die Leute sagen, du bist mit dem Teufel verschwägert!«
  • Kaum hatte Wakula diese Worte gesprochen, so erschrak er schon, denn er
  • dachte, er hätte sich zu eindeutig ausgedrückt und die herben Worte
  • nicht genügend gemildert. Er erwartete, daß Patzjuk das Faß mitsamt der
  • Schüssel packen und ihm an den Kopf werfen würde; darum wich er etwas
  • zur Seite und hielt sich den Arm vor, damit die heiße Kloßbrühe ihm
  • nicht das Gesicht bespritze.
  • Aber Patzjuk blickte ruhig vor sich hin und aß weiter.
  • Der Schmied entschloß sich ermutigt, fortzufahren: »Ich komme zu dir,
  • Patzjuk; Gott schenke Dir viel Reichtum, gebe dir alles in Hülle und
  • Fülle, und auch Brot in Proportion!« Der Schmied verstand es sehr wohl,
  • ab und zu ein neumodisch Wörtchen in seine Rede einzuflechten. Das hatte
  • er sich während seines Aufenthaltes in Poltawa angewöhnt, als er den
  • Bretterzaun des Hauptmanns tünchte. »Ich armer Sünder muß zugrunde
  • gehen!! Nichts in der Welt kann mir mehr helfen! Komme, was kommen mag.
  • Es bleibt mir nichts mehr übrig, als den Teufel selbst um Beistand zu
  • bitten. Also, Patzjuk,« rief der Schmied, als er bemerkte, daß jener
  • unerschütterlich schwieg, »was soll ich anfangen!«
  • »Wenn du den Teufel brauchst, so scher dich doch auch zum Teufel!«
  • antwortete Patzjuk, richtete nicht einmal die Augen auf ihn, und fuhr
  • fort, seine Klöße zu vertilgen.
  • »Deshalb komme ich ja eben zu dir,« erwiderte der Schmied mit einer
  • Verbeugung, »außer dir, glaube ich, weiß niemand den Weg zu ihm.«
  • Patzjuk sprach kein Wort -- und aß seine Klöße zu Ende. »Erbarm dich,
  • guter Mensch, schlag mir die Bitte nicht ab!« drängte der Schmied. »Ob
  • Schweinefleisch oder Wurst, ob Leinewand oder Hirse, -- oder
  • Buchweizenmehl, und alles, was du brauchst .... wie es so unter guten
  • Leuten Sitte ist .... es soll dir an nichts fehlen. Sage mir doch nur so
  • beispielsweise, welcher Weg zu ihm führt?«
  • »Der braucht nicht weit zu gehen, der den Teufel auf dem Buckel hat,«
  • sprach Patzjuk gleichgültig, ohne seine Stellung zu verändern.
  • Wakula starrte ihn an, als stände die Erklärung dieser Worte auf seiner
  • Stirne zu lesen. »Was spricht er?« schien seine Miene stumm zu fragen;
  • und sein halbgeöffneter Mund bereitete sich vor, das erste Wort, das er
  • sagen würde, zu verschlingen wie ein Klößchen. Aber Patzjuk schwieg.
  • Da merkte Wakula, daß weder Klöße noch ein Faß vor Patzjuk standen;
  • statt dessen aber standen zwei Holzschüsseln auf dem Boden: die eine war
  • mit Krapfen, die andere mit Rahm gefüllt. Seine Gedanken und seine Augen
  • wandten sich unwillkürlich diesen Gerichten zu. »Sehn wir mal zu, wie
  • Patzjuk die Krapfen essen wird,« sagte er zu sich selbst. »Er wird sich
  • sicher nicht bücken wollen, um sie mit dem Mund einzuschlürfen, wie die
  • Klöße; es geht ja auch gar nicht: man muß den Krapfen ja zuerst in den
  • Rahm tunken!«
  • Doch kaum hatte er dies gedacht, da sperrte Patzjuk seinen Mund weit
  • auf, blickte auf die Krapfen und riß dann den Mund noch weiter auf. Da
  • plantschte ein Krapfen aus der Schüssel, fiel klatschend in den Rahm,
  • drehte sich auf die andere Seite, hüpfte hoch empor und fiel ihm stracks
  • in den Mund. Patzjuk verzehrte den Krapfen, machte den Mund wieder auf,
  • und mit einem anderen Krapfen geschah dasselbe. Er selbst mußte sich nur
  • die Mühe nehmen, zu kauen und ihn zu verschlucken.
  • »Potztausend!« dachte der Schmied und machte vor Verwunderung den Mund
  • weit auf; aber da merkte er, daß auch ihm ein Krapfen in den Mund
  • hineinspazierte, und schon waren seine Lippen mit Rahm beschmiert. Der
  • Schmied stieß den Krapfen verwirrt von sich, wischte sich die Lippen und
  • begann darüber nachzudenken, was für Wunder es doch in der Welt gäbe,
  • und bis zu welchen Spitzfindigkeiten des Satans Macht einen Menschen
  • gelangen ließe; und er sagte sich beiläufig, daß nur Patzjuk imstande
  • sei, ihm zu helfen.
  • »Ich will mich noch einmal verbeugen, vielleicht sagt er's mir ....
  • Aber, Teufel! Morgen ist ja Weihnachten, und er ißt Krapfen -- das ist
  • doch kein Fastenessen! Was bin ich doch für ein Dummkopf: steh da und
  • belade mich mit Sünde! Zurück! ....« Und der gottesfürchtende Schmied
  • stürzte aus dem Hause.
  • Da aber konnte der Teufel, der im Sack saß und sich schon im Voraus
  • gefreut hatte, vor Angst, es könne ihm eine so großartige Beute
  • entgehen, nicht mehr an sich halten. Kaum ließ der Schmied den Sack zu
  • Boden gleiten, so sprang er flugs hinaus und setzte sich rittlings auf
  • seinen Hals.
  • Den Schmied überlief es kalt; er erschrak, wurde totenbleich, und wußte
  • einfach nicht, was er tun sollte; schon wollte er sich bekreuzigen ....
  • Aber der Teufel neigte sein Hundeschnäuzchen an Wakulas rechtes Ohr und
  • sagte: »Ich bin's, dein Freund; ich werde alles für meinen Kameraden und
  • Genossen tun! Ich gebe dir Geld, soviel du willst,« murmelte er ihm ins
  • linke Ohr. »Oxana wird heute noch die Unsere sein,« flüsterte er, sein
  • Maul wieder zum rechten Ohr neigend. Der Schmied stand da und sann.
  • »Schön,« sagte er endlich, »um diesen Preis bin ich bereit, dir
  • anzugehören!«
  • Der Teufel schlug die Hände zusammen und begann vor Freude auf dem Halse
  • des Schmiedes auf und ab zu hüpfen. »Jetzt habe ich den Schmied!« dachte
  • er bei sich. »Gut, mein Täubchen, du sollst mir all deine Malereien und
  • Schmierereien, mit denen du den Teufel verspottet hast, bezahlen! was
  • werden meine Genossen dazu sagen, wenn sie erfahren, daß der frömmste
  • Mann des Dorfes in meinen Händen ist?«
  • Und der Teufel lachte und stellte sich vor, wie er in der Hölle die
  • geschwänzte Rotte necken werde; und wie der hinkende Teufel, der als
  • Meister aller satanischen Streiche galt, Wut schnauben würde.
  • »Na Wakula!« piepste der Teufel, der den Hals des Schmiedes immer noch
  • nicht verlassen hatte, gerade als ob er befürchtete, jener könne ihm
  • entwischen. »Du weißt ja, daß ohne Vertrag nichts unternommen wird.«
  • »Ich bin bereit!« sagte der Schmied. »Wie ich gehört habe, unterzeichnet
  • man bei euch die Verträge mit Blut; halt, ich hol mir nur einen Nagel
  • aus der Tasche!«
  • Dabei griff er mit der Hand nach hinten -- und siehe -- er hatte den
  • Teufel am Schwanze gepackt.
  • »Ei ei, du Schäker!« rief der Teufel lachend, »jetzt aber laß los, genug
  • der Schelmenstreiche!«
  • »Nein, warte mein Täubchen!« schrie der Schmied. »Und was sagst du
  • dazu?« Dabei machte er das Zeichen des Kreuzes, und der Teufel wurde
  • lammstill. »Warte mal!« rief er und zerrte ihn am Schwanze zu Boden.
  • »Ich will dich lehren, ehrliche Leute und anständige Christenmenschen in
  • Sünden zu stürzen.«
  • Und der Schmied sprang rittlings auf ihn und hob die Hand empor, um das
  • Zeichen des Kreuzes zu machen.
  • »Hab Erbarmen, Wakula!« stöhnte der Teufel kläglich. »Ich tue ja alles,
  • was du willst; nur verschone mich; lege mir nur nicht dies furchtbare
  • Kreuz auf.«
  • »Jetzt singst du schon ein andres Lied, du gottverdammter Welschling du!
  • Nun weiß ich, was ich zu tun habe. Führe mich sofort im Ritt auf und
  • davon. Hörst du? eile dahin wie ein Vogel!«
  • »Wohin?« rief der Teufel traurig.
  • »Nach Petersburg, geradewegs zu der Zarin!« Aber da erstarrte der
  • Schmied vor Schreck, denn er fühlte, wie er in die Lüfte emporgehoben
  • wurde.
  • * * * * *
  • Noch lange stand Oxana da und dachte an die sonderbaren Reden des
  • Schmieds. Schon regte sich etwas in ihrem Innern und raunte ihr zu, sie
  • habe ihn zu hart behandelt. »Und wenn er sich wirklich etwas
  • Schreckliches antut? Nichts ist unmöglich! Vielleicht verliebt er sich
  • noch am Ende aus Kummer in eine andere und wird sie aus lauter Aerger
  • für die Schönste im Dorfe erklären. Aber nein, er liebt mich. Ich bin ja
  • auch so schön! Er wird mir keine andere vorziehen; er treibt nur Unsinn
  • und tut nur so. Es werden noch keine zehn Minuten verstreichen, und er
  • wird wiederkommen, um mich zu sehen. Ich bin wirklich zu hartherzig. Ich
  • muß mich einmal scheinbar widerwillig von ihm küssen lassen. Das wird
  • eine Freude für ihn sein!« Und die leichtsinnige Schöne fing schon
  • wieder an, mit ihren Freundinnen zu scherzen.
  • »Halt!« rief die eine von ihnen, »der Schmied hat seine Säcke vergessen;
  • o schaut nur, was für gräßliche Säcke das sind! Er hat ganz andre
  • Geschenke für seinen Gesang bekommen als wir; ich glaube, man hat ihm
  • ein ganzes Viertel von einem Hammel geschenkt, und sicherlich Würste und
  • Brote ohne Zahl. Prächtig! Da kann man die ganzen Feiertage davon
  • essen.«
  • »Sind das die Säcke des Schmiedes?« rief Oxana. »Schleppen wir sie doch
  • zu mir in die Stube und sehn wir zu, was er alles drin hat.«
  • Alle billigten lachend diesen Vorschlag.
  • »Aber wir können sie nicht in die Höhe heben!« rief auf einmal die ganze
  • Schar, die bemüht war, die Säcke vom Platze zu rücken.
  • »Halt,« meinte Oxana, »holen wir einen Schlitten und schleppen wir sie
  • auf dem Schlitten zu mir!«
  • Und die ganze Schar lief fort, um einen Schlitten zu holen.
  • Den Gefangenen wurde indessen in den Säcken die Zeit gewaltig lang, wenn
  • auch der Küster sich ein tüchtiges Loch in den Sack gebohrt hatte. Wären
  • keine Leute dagewesen, so hätte er vielleicht auch noch ein Mittel
  • gefunden, herauszukriechen; aber in Gegenwart aller aus dem Sack zu
  • kriechen, sich lächerlich zu machen .... dieser Gedanke hielt ihn
  • zurück, und er beschloß daher, zu warten; und nur hie und da stöhnte er
  • unter Tschubs unhöflichen Stiefeln schmerzlich auf. Tschub selbst aber
  • sehnte sich nicht minder nach Freiheit, denn er fühlte, daß ein gewisses
  • Etwas unter ihm lag, auf dem ganz grauenhaft unbequem zu sitzen war.
  • Sobald er aber vom Entschluß seiner Tochter vernahm, beruhigte er sich
  • und wollte jetzt schon selbst nicht mehr zum Vorschein kommen, denn er
  • dachte daran, daß es bis zu seinem Hause noch mindestens hundert Schritt
  • oder gar noch mehr waren; hätte er aber hinauskriechen wollen, so hätte
  • er seine Kleidung ordnen, den Pelz zuknöpfen, und sich den Gurt umbinden
  • müssen -- welche Arbeit! Und dann war auch seine Mütze bei der Solocha
  • geblieben. Da sollten ihn doch lieber die Mädel nach Hause fahren! Es
  • kam jedoch ganz anders, als Tschub erwartet hatte. Während die Mädchen
  • davonliefen, um einen Schlitten zu holen, trat der hagere Gevatter
  • verstört und mißgestimmt aus dem Wirtshaus. Die Schankfrau hatte sich
  • durchaus nicht entschließen können, ihm zu borgen. Er wollte im
  • Wirtshause abwarten, ob nicht irgendein frommer Edelmann kommen und ihm
  • was vorsetzen würde; aber wie zum Trotz waren alle Edelleute zu Hause
  • geblieben und verzehrten als ehrliche Christen ihren Weihnachtskuchen
  • inmitten ihrer Familie. Wie nun der Gevatter so über die allgemeine
  • Sittenverderbnis und das steinerne Herz des Judenweibs, das den Schnaps
  • feilhielt, nachdachte, stieß er plötzlich auf die Säcke und blieb
  • erstaunt stehen. »Schau, schau, hier hat jemand Säcke auf die Straße
  • geworfen!« sagte er und sah sich um. »Wahrscheinlich ist Schweinefleisch
  • drin. Es gehört doch ein großes Glück dazu, sich so viel zu ersingen!
  • Was für riesige Säcke! Angenommen selbst, sie wären nur mit
  • Buchweizenbroden und Brezeln gefüllt, das wär' auch gar nicht übel, aber
  • selbst wenn nur einfaches Brot darin wäre, so ließe ich mir auch das
  • gefallen: die verfluchte Jüdin gibt ein Achtel Schnaps für jeden Laib.
  • Ich will sie rasch fortschleppen, so daß niemand es sieht.«
  • Da wälzte er sich den einen Sack, gerade den mit Tschub und dem Küster,
  • auf die Schulter, fühlte jedoch, daß er zu schwer sei. »Nein, für mich
  • allein ist der zu schwer,« rief er. »Aber da kommt ja gerad wie gerufen
  • der Weber Schapuwalenko. Grüß Gott, Ostap!«
  • »Guten Abend!« erwiderte der Weber und blieb stehen.
  • »Wohin gehst du?«
  • »Ganz ohne Ziel, wohin mich gerad die Füße tragen.«
  • »Hilf mir doch die Säcke forttragen, lieber Mensch, da hat jemand seine
  • Weihnachtsgeschenke hergeschleppt und sie mitten auf der Straße
  • hingeschmissen. Wir wollen das Gut redlich unter uns teilen.«
  • »Die Säcke? Und was ist drin? Kuchen oder Brot?«
  • »Ich glaube, es ist von allem etwas drin.«
  • Sie rissen schnell eine Latte vom Zaun, legten die Säcke darauf und
  • trugen sie auf den Schultern fort.
  • »Wohin wollen wir sie tragen? Ins Wirtshaus?« fragte der Weber
  • unterwegs.
  • »Ich hab's mir auch gedacht; aber die verdammte Jüdin wird uns am Ende
  • nicht recht trauen, sie wird glauben, wir hätten sie gestohlen, und
  • außerdem _komme_ ich gerade aus dem Wirtshaus. Tragen wir den Sack zu
  • mir. Niemand wird uns stören: meine Frau ist nicht zu Hause.«
  • »Ist sie auch sicher nicht zu Hause?« fragte der vorsichtige Weber.
  • »Wir sind ja, Gott sei Dank, noch bei vollem Verstande,« sagte der
  • Gevatter, »nur der Teufel könnte mich dorthin bringen, wo sie jetzt ist.
  • Ich glaube, sie wird sich bis morgen früh mit den Weibern herumtreiben.«
  • »Wer ist da?« rief die Frau des Gevatters, als sie den Lärm hörte, den
  • die beiden Freunde im Flur mit dem Sack machten, und öffnete die Tür.
  • Der Gevatter war starr vor Schrecken.
  • »Na, da haben wir die Bescherung!« rief der Weber und ließ die Arme
  • sinken.
  • Des Gevatters Frau war so ein Juwel, wie es deren durchaus nicht wenige
  • in der Welt gibt. Genau wie ihr Gemahl saß sie fast niemals zu Hause und
  • schmarotzte fast den ganzen Tag lang bei allerhand Basen und
  • wohlhabenden Muhmen umher, schmeichelte sich bei ihnen ein, aß mit
  • vielem Appetit und prügelte sich nur am Morgen mit ihrem Manne herum,
  • denn bloß um diese Tageszeit pflegte sie ihn zuweilen zu sehen. Ihre
  • Hütte war doppelt so alt wie die Pluderhosen des Gemeindeschreibers. Das
  • Dach hatte an manchen Stellen gar kein Stroh mehr, und vom Zaun waren
  • nur noch ein paar klägliche Überreste übrig, denn kein Mensch pflegte
  • beim Ausgehen noch einen Stock zur Abwehr der Hunde mitzunehmen, weil
  • jeder hoffte, am Gemüsegarten des Webers vorüberzugehen und sich da
  • einen Knüppel aus seinem Zaun reißen zu können. Der Ofen wurde oft drei
  • Tage lang nicht geheizt. Alles, was die zärtliche Gattin bei gutherzigen
  • Leuten zu erbetteln pflegte, verbarg sie möglichst vor ihrem Manne, und
  • manchmal nahm sie sogar Sachen als Beute an sich, die ihm gehörten,
  • falls er sie noch nicht in der Schenke versoffen hatte. Der Gevatter
  • wollte ihr trotz seiner ewigen Gleichgültigkeit doch nicht nachgeben,
  • daher verließ er auch das Haus fast immer mit ein paar Beulen unter
  • beiden Augen, und die geschätzte Ehehälfte trollte sich ächzend zu ihren
  • alten Weibern, um ihnen von der Lüderlichkeit ihres Mannes und von den
  • Schlägen vorzuklatschen, die sie zu ertragen hatte.
  • Man kann sich ausmalen, wie verblüfft der Weber und der Gevatter durch
  • ihr unerwartetes Erscheinen waren. Sie ließen den Sack zu Boden sinken,
  • stellten sich vor ihn hin und bedeckten ihn mit ihren Rockschößen; aber
  • schon war es zu spät; des Gevatters Frau hatte den Sack schon erblickt,
  • obwohl ihre alten Augen nur noch schlecht sahen. »Das ist aber fein!«
  • sagte sie mit einer Miene, in der die Freude eines Habichts aufzuckte.
  • »Das ist fein, daß ihr euch so viel zusammengesungen habt! Anständige
  • Leute machen es immer so. Aber nein, ich glaube doch, ihr habt es
  • irgendwo stibitzt. Zeigt mir's sofort, hört ihr, zeigt mir sofort, was
  • ihr in eurem Sacke habt!«
  • »Vielleicht zeigt dir's ein kahlköpfiger Teufel, aber nicht wir,« sagte
  • der Gevatter und stellte sich in Positur.
  • »Was geht dich das an?« sagte der Weber, »_wir_ haben das für unseren
  • Gesang bekommen und nicht du!«
  • »Nein, du sollst es mir zeigen, du nichtsnutziger Trunkenbold!« rief die
  • Frau, versetzte dem langaufgeschossenen Gevatter einen Schlag unters
  • Kinn und drängte sich an den Sack heran. Jedoch der Weber und der
  • Gevatter verteidigten den Sack tapfer und nötigten sie zum Rückzuge.
  • Kaum aber hatten sie Zeit, sich recht zu besinnen, als die Gattin schon
  • mit einem Feuerhaken in der Hand wieder auf den Flur herausgerannt kam.
  • Sie schlug ihrem Mann flink mit dem Haken auf die Hände und dem Gevatter
  • übern Rücken, und schon stand sie neben den Säcken.
  • »Warum haben wir sie herangelassen?« rief der Weber, als er wieder zu
  • sich gekommen war.
  • »Ja, warum haben wir sie herangelassen! Warum hast du sie
  • herangelassen?« sagte der Gevatter kaltblütig.
  • »Ihr habt wohl einen eisernen Ofenhaken!« sagte der Weber nach kurzem
  • Schweigen, indem er sich den Rücken kratzte. »Meine Frau hat im vorigen
  • Jahr auf dem Jahrmarkt einen Ofenhaken gekauft und ein halb Schock Eier
  • für ihn gegeben: der ist besser ..... er tut nicht so weh ......!«
  • Unterdessen stellte die triumphierende Gattin ihr Lämpchen auf den
  • Boden, band den Sack auf und blickte hinein.
  • Aber ihre alten Augen, die den Sack doch so gut wahrgenommen hatten,
  • täuschten sie wohl diesmal. »He, da liegt ja ein ganzer Eber!« rief sie,
  • vor Freude in die Hände klatschend.
  • »Ein Eber! Hörst du, ein ganzer Eber!« rief der Weber und puffte den
  • Gevatter in die Seite, »du allein hast an allem schuld!«
  • »Was ist da zu machen!« rief der Gevatter achselzuckend.
  • »Was? Warum stehen wir auch so ruhig da? Nehmen wir ihr doch den Sack
  • ab! Pack dich!«
  • »Vorwärts marsch, du Teufelsweib! Der Eber gehört uns!« rief der
  • Gevatter und rückte vor. Seine Gattin griff wieder zum Ofenhaken, aber
  • in diesem Augenblick kroch Tschub aus dem Sack und stellte sich
  • breitbeinig mitten im Flur hin, indem er sich dehnte und reckte, wie ein
  • Mensch, der soeben aus einem langen Schlafe erwacht ist.
  • Des Gevatters Frau stieß einen Schrei aus, schlug die Hände zusammen,
  • und alle miteinander sperrten unwillkürlich die Mäuler auf.
  • »Was faselt sie da von einem Eber, diese Närrin! Das ist doch kein
  • Eber,« sagte der Gevatter, die Augen weit aufreißend.
  • »Sieh einer an, was für einen Kerl sie da in den Sack gesteckt haben!«
  • rief der Weber, vor Schreck zurückweichend. »Sag, was du willst, ich
  • will auf der Stelle platzen, wenn da nicht der Böse seine Hand im Spiel
  • hat. Der da kann doch durch kein Fenster, geschweige denn in einen Sack
  • geraten!«
  • »Das ist ja Gevatter Tschub!« rief der Gevatter, als er näher zusah.
  • »Und was dachtest du?« rief Tschub schmunzelnd. »Was? habe ich euch
  • einen Schabernack gespielt? Ihr wolltet mich wohl schon gar verspeisen,
  • wie ein Stück Schweinefleisch? Wartet nur, ich will euch noch eine
  • Freude bereiten: im Sacke liegt noch etwas, wenn das kein Eber ist, so
  • ist's sicher ein Ferkel oder irgendein anderes Vieh. Es hat fortwährend
  • unter mir gezappelt.«
  • Der Weber und der Gevatter stürzten sich auf den Sack, die Hausfrau
  • klammerte sich auf der anderen Seite an ihn und das Gefecht wäre wieder
  • losgegangen, wenn nicht der Küster, der einsah, daß er sich nirgends
  • mehr verbergen konnte, von selbst aus dem Sacke herausgekrochen wäre.
  • Die Frau des Gevatters wurde starr wie Stein und ließ den Fuß los, an
  • dem sie den Küster bereits aus dem Sacke ziehen wollte.
  • »Also noch einer!« rief der Weber in heller Angst. »Der Teufel mag
  • wissen, was in der Welt los ist .... Der Kopf dreht sich mir im Kreise
  • herum .... Weder Würste noch Brot, sondern lauter Menschen wirft man
  • jetzt in die Säcke!«
  • »Das ist der Küster!« rief Tschub, der noch mehr erstaunt war, als die
  • anderen. »Da haben wir's! Ei, ei, die Solocha! Die Menschen in einen
  • Sack zu stecken .... Ich dachte mir gleich: warum ist nur die Stube
  • voller Säcke .... Jetzt weiß ich alles: bei ihr saßen zwei Kerle in
  • jedem Sacke. Und ich glaubte, daß sie mir allein .... Ei, ei! diese
  • Solocha!«
  • * * * * *
  • Die Mädchen waren einigermaßen erstaunt, als sie den einen Sack nicht
  • mehr fanden.
  • »Nun, da ist nichts zu machen, wir werden auch an dem anderen genug
  • haben!« meinte Oxana.
  • Alle ergriffen den Sack und wälzten ihn auf den Schlitten. Der Amtmann
  • beschloß zu schweigen, denn er bedachte die Folgen, wenn er schrie, man
  • solle den Sack aufbinden; die dummen Mädel würden auseinanderlaufen,
  • würden glauben, im Sacke sitze der Teufel, und er müßte dann vielleicht
  • bis morgen auf der Straße bleiben.
  • Indes flogen die Mädchen, Hand in Hand, wie der Sturmwind mit dem
  • Schlitten über den knisternden Schnee. Einige von ihnen setzten sich
  • mutwillig auf den Schlitten; und manche setzten sich sogar auf den
  • Amtmann selbst. Der Amtmann aber war entschlossen, alles zu ertragen.
  • Endlich waren sie angekommen, sie rissen die Türen zum Flur und zur
  • Stube weit auf und schleppten den Sack unter lautem Gelächter hinein.
  • »Sehn wir zu, was drin ist,« riefen alle auf einmal und beeilten sich,
  • ihn aufzubinden.
  • Da aber wurde der Schlucken, der nicht aufgehört hatte, den Amtmann
  • während der ganzen Zeit seines Aufenthalts im Sack zu quälen, so arg,
  • daß der laut aufzuschlucksen und zu husten begann.
  • »Ach, da sitzt ja jemand drin!« schrien alle, und stürzten erschrocken
  • zur Tür.
  • »Was Teufel! Wohin rennt ihr denn alle, als ob ihr nicht gescheit seid?«
  • fragte Tschub, der in die Türe trat.
  • »O, Vater!« rief Oxana, »im Sacke sitzt jemand!«
  • »Im Sacke? Wo habt ihr diesen Sack her?«
  • »Der Schmied hat ihn mitten auf die Straße hingeschmissen,« riefen alle
  • zugleich.
  • »Na also; hab ich's nicht gleich gesagt? ....« dachte Tschub bei sich.
  • »Worüber seid ihr so erschrocken? Wir wollen doch mal nachsehn. Holla,
  • Menschenskind -- nimm's mir nicht übel, daß ich dich nicht bei deinem
  • Vor- und Zunamen rufe -- kriech mal aus dem Sack heraus!«
  • Der Amtmann kroch heraus.
  • »Ah!« riefen die Mädchen.
  • »Auch der Amtmann war also dabei,« sprach Tschub verblüfft zu sich, und
  • maß ihn vom Kopfe bis zu den Füßen. »So so? .... Hehe! ....« Mehr konnte
  • er nicht hervorbringen.
  • Der Amtmann selbst war nicht minder verlegen und wußte nicht, was er
  • anfangen sollte. »Es ist wohl recht kalt draußen?« fragte er, zu Tschub
  • gewandt.
  • »Ein mächtiges Frostwetter,« antwortete Tschub. »Darf ich dich fragen:
  • womit schmierst du eigentlich deine Stiefel: mit Schmalz oder mit Teer?«
  • Er hatte natürlich etwas ganz andres sagen wollen, und fragen wollen:
  • »Wieso kommst du, der Amtmann, in den Sack?« und er wußte selbst nicht,
  • wie es kam, daß er etwas ganz anderes gesagt hatte.
  • »Mit Teer ist's besser,« erwiderte der Amtmann. »Leb wohl, Tschub!« Und
  • er drückte die Mütze in die Stirn und verließ die Stube.
  • »Warum habe ich so dumm gefragt, womit er seine Stiefel schmiert!« rief
  • Tschub, auf die Tür blickend, durch die der Amtmann hinausgegangen war.
  • »Ei, ei, diese Solocha! Solch einen Herrn in den Sack zu stecken! Dieses
  • Teufelsweib! Und ich Dummkopf .... Aber wo ist nur der verfluchte Sack
  • geblieben?«
  • »Ich habe ihn in die Ecke geschmissen, es ist nichts mehr drin,« sagte
  • Oxana.
  • »Ich kenne diese Scherze schon. Nichts drin! Gib ihn mal her: dort sitzt
  • doch noch jemand! Schüttelt ihn nur mal ordentlich. Wie? ist wirklich
  • nichts drin? Ei, _so_ ein verfluchtes Weibsbild! Und dabei ist sie von
  • Aussehen die reinste Heilige, als ob sie noch nie was anderes als
  • Fastenspeisen gekostet hätte .....!«
  • Aber lassen wir Tschub in aller Gemütlichkeit seinen Ärger verpuffen und
  • kehren wir zu dem Schmied zurück; denn es geht gewiß schon in die neunte
  • Stunde.
  • * * * * *
  • Zuerst war's Wakula sehr unheimlich zumute, besonders als er so hoch
  • oben schwebte, daß er unten auf der Erde nichts mehr unterscheiden
  • konnte, und als er wie eine Fliege hart am Monde vorbeigeflogen kam, so
  • daß er, hätte er sich nicht etwas gebückt, den Mond mit der Mütze
  • gestreift hätte. Bald darauf faßte er jedoch Mut, und begann wieder über
  • den Teufel zu scherzen. Es ergötzte ihn außerordentlich, wie der Teufel
  • jedesmal, wenn Wakula sein Kreuz aus Zedernholz vom Halse nahm und es
  • ihm vor die Nase hielt, niesen und prusten mußte. Absichtlich erhob er
  • die Hand, um sich den Kopf zu kratzen, aber der Teufel dachte, er greife
  • nach dem Kreuze und flog noch rascher dahin. Alles in der Höhe leuchtete
  • hell. Die Luft schimmerte durchsichtig in dem sanften silbernen Nebel.
  • Alles war klar zu sehen und man konnte sogar wahrnehmen, wie ein
  • Zauberer rittlings auf einem Topfe sitzend an ihnen vorüberjagte, wie
  • die Sterne, zu einem Haufen geballt, Blindekuh spielten, wie ein ganzes
  • Rudel Geister sich gleich Wolken dahin wälzte, wie ein im Mondschein
  • tanzender Teufel beim Anblick des daherreitenden Schmiedes die Mütze
  • zog, und wie ein Besen, auf dem offensichtlich soeben eine Hexe zu ihrem
  • Ziel geritten war, heimwärts flog ......! Und noch vieles andere und
  • mancherlei böses Gesindel trafen sie auf ihrem Wege. Beim Anblick des
  • Schmiedes machten alle halt, um ihn anzusehen, und dann rasten sie zu
  • ihren Verrichtungen weiter; der Schmied flog immer weiter und weiter,
  • und auf einmal leuchtete Petersburg ganz in Feuer gehüllt vor ihm auf.
  • (Damals fand dort aus irgend einem Anlaß gerade eine Illumination
  • statt.) Der Teufel flog über den Schlagbaum hinweg, verwandelte sich in
  • ein Roß, und der Schmied fand sich plötzlich mitten auf der Straße auf
  • einem hitzigen Renner wieder.
  • Himmel Herrgott! War das ein Lärmen, Rasseln und Funkeln; auf beiden
  • Seiten ragten vier Stockwerk hohe Mauern in die Höhe; das Stampfen der
  • Pferdehufe und das Rollen der Wagenräder hallte donnernd aus allen vier
  • Himmelsrichtungen wider; da schossen Häuser empor und schienen auf
  • Schritt und Tritt der Erde zu entsteigen; Brücken bebten; Equipagen
  • flogen dahin, Kutscher und Vorreiter brüllten; der Schnee pfiff unter
  • den tausenden, von allen Seiten vorbeifliegenden Schlitten; die
  • Fußgänger drückten sich ängstlich an die Häuser, die mit Lämpchen
  • übersät waren; und ihre riesigen Schatten huschten über die Wände und
  • reichten mit den Köpfen bis an die Dächer und Schornsteine.
  • Voller Staunen sah sich der Schmied nach allen Seiten um. Es schien ihm,
  • als ob alle diese Häuser ihre zahllosen Feueraugen auf ihn richteten und
  • ihn anschauten. Soviel feine Herren in ihren mit Tuch überzogenen Pelzen
  • erblickte er, daß er nicht wußte, vor wem er zuerst die Mütze ziehen
  • sollte. »O Gott, wieviel Herrschaften es hier gibt!« dachte der Schmied.
  • »Ich glaube, hier ist jeder, der einem auf der Straße in einem Pelz
  • begegnet, Assessor und wieder Assessor! Und die, die in diesem
  • wunderbaren Wagen mit Glasscheiben dahinfahren, sind, wenn nicht
  • Bürgermeister, so doch sicherlich Kommissäre oder vielleicht sogar noch
  • mehr.« Hier wurden seine Betrachtungen durch eine Frage des Teufels
  • unterbrochen: »Soll ich gradeswegs zur Zarin?« -- »Nein, ich habe
  • Angst!« dachte der Schmied. »Ich weiß nicht, hier sind doch irgendwo die
  • Saporoger Kosaken abgestiegen, die im Herbst durch Dikanka gekommen
  • sind. Sie fuhren mit einem Schreiben zur Zarin; nicht übel wäre es, sie
  • um Rat zu fragen. He, Satan! kriech mir in die Tasche und führe mich zu
  • den Saporogern!«
  • Im Nu magerte der Teufel ab und wurde so klein, daß er ohne Müh zu ihm
  • in die Tasche hineinhüpfen konnte. Noch bevor Wakula sich umzusehen
  • vermochte, stand er schon vor einem riesigen Hause und, ohne selbst zu
  • wissen wie, stieg er die Treppe empor, machte die Türe auf und prallte
  • ein wenig zurück vor dem blendenden Glanze, als er das geschmückte
  • Gemach erblickte; doch er faßte wieder etwas Mut, als er die Saporoger
  • erkannte, die durch Dikanka gekommen waren, und die nun auf seidenen
  • Sofas saßen: mit geteerten Stiefeln an den übereinandergeschlagenen
  • Beinen, und den allerstärksten Tabak rauchten, jenen Tabak, den man
  • gewöhnlich Wurzeltabak nennt.
  • »Grüß Gott, Herrschaften! Helf euch Gott! Wo wir uns wiedersehn!« sprach
  • der Schmied, trat näher und verbeugte sich tief bis zur Erde.
  • »Was ist das für ein Mensch?« fragte der dem Schmied zunächst Sitzende
  • einen andern, der etwas abseits saß.
  • »Habt ihr mich nicht wiedererkannt?« rief der Schmied. »Ich bins ja, der
  • Schmied Wakula! Als ihr im Herbst durch Dikanka kamt, da wart ihr ja
  • zwei Tage lang bei mir zu Gaste, Gott schenke euch Gesundheit und langes
  • Leben. Ich hab euch doch noch damals einen neuen Reifen ans Vorderrad
  • eures Wagens geschlagen!«
  • »Ah!« rief da der Saporoger, »das ist ja derselbe Schmied, der so
  • großartig malt. Gott zum Gruß, Landsmann! Was führt dich hierher?«
  • »Ich wollte mich nur ein wenig umsehen .... Man sagt ja ....«
  • »Nun, Landsmann,« rief der Saporoger wichtig und da er zeigen wollte,
  • daß er nicht bloß seine Kosaken-Mundart, sondern auch reinstes Russisch
  • sprechen konnte, sagte er: »Eine gewoltige Stadt, wie?«
  • Der Schmied wollte sich auch nicht bloßstellen und als Neuling zeigen,
  • außerdem verstand er sich auch selbst auf die Schriftsprache, wie wir
  • bereits oben zu bemerken Gelegenheit hatten, und so antwortete er ruhig:
  • »Eine mächtige Goubernie! Hier gibt's unstreitig große Häuser, und
  • meisterhafte Bilder hängen darin. Gar viele Häuser sind mit köstlichen
  • Lettern aus Blattgold bemalt. Man muß zugeben, eine herrliche
  • Proportion!«
  • Als die Saporoger den Schmied so frei sich ausdrücken hörten, bekamen
  • sie die günstigste Meinung von ihm.
  • »Wir wollen uns später weiter unterhalten, Landsmann: Jetzt müssen wir
  • gleich zur Zarin fahren.«
  • »Zur Zarin? O seid so lieb, meine Herren, nehmt mich auch mit!«
  • »Dich?« rief der Saporoger in einem Ton, wie etwa ein Kinderwärter zu
  • seinem vierjährigen Zögling redet, der bittet, ihn auf ein großes Pferd
  • zu setzen.
  • »Was willst du denn dort? Nein, das geht nicht.« Dabei nahm sein Gesicht
  • eine wichtige Miene an. »Wir müssen mit der Zarin über unsere eigenen
  • Angelegenheiten reden, Bruder!«
  • »Nehmt mich doch mit!« drängte der Schmied. »Bitte du sie!« flüsterte er
  • dem Teufel leise zu, indem er mit der Faust auf seine Tasche schlug.
  • Kaum aber hatte er das gesagt, als ein anderer Saporoger ausrief:
  • »Nehmen wir ihn doch wirklich mit, Brüder!«
  • »Uns ist's recht, nehmen wir ihn mit!« sprachen die Anderen.
  • »So leg ein Kleid an, wie wir es tragen.«
  • Der Schmied beeilte sich, einen grünen Schupan anzuziehen, als auf
  • einmal die Tür aufging und ein Mann mit Tressen am Rock eintrat und
  • sagte, es sei die höchste Zeit, abzufahren.
  • Dem Schmied war es wieder wunderlich zumute, als er in der riesigen
  • Kalesche dahinfuhr, die auf Sprungfedern hin und her schaukelte; und als
  • die vierstöckigen Häuser auf beiden Seiten an ihm vorbeirannten, und das
  • Pflaster mit Gepolter wie von selbst unter den Füßen der Pferde
  • dahinzurollen schien.
  • »O Gott, wie hell es ist!« dachte der Schmied bei sich, »bei uns ist es
  • nicht einmal am Tage so hell!«
  • Die Wagen hielten vor einem Palaste. Die Saporoger stiegen aus, traten
  • auf den prächtigen Vorplatz und begannen die blendend beleuchtete Treppe
  • hinaufzusteigen.
  • »Was für eine Treppe!« flüsterte der Schmied vor sich hin, »es wäre doch
  • schade, mit den Füßen drauf zu treten. Welch ein Schmuck! Und da sage
  • noch einer: die Märchen lügen! Wahrlich, die lügen nicht! O Gott, mein
  • Gott, was für ein Geländer! Was für eine Arbeit! Da hat man allein fürs
  • Eisen mindestens fünfzig Rubel ausgegeben!«
  • Oben angelangt, durchschritten die Saporoger den ersten Saal. Scheu
  • folgte ihnen der Schmied, voller Angst, er könnte bei jedem Schritt auf
  • dem Parkett ausgleiten. Drei Säle durchschritten sie und der Schmied war
  • noch immer nicht aus seiner Verwunderung herausgekommen. Wie sie in den
  • vierten Saal traten, ging er unwillkürlich an ein Gemälde heran, das an
  • der Wand hing. Es war ein Bild der heiligen Jungfrau mit dem Sohne auf
  • dem Arm.
  • »Was für ein Bild! Was für eine wunderbare Malerei!« dachte er und
  • stellte seine Betrachtungen an. »Es sieht aus, als wollte es reden! Wie
  • lebendig es ist! Und das Christkind! Wie es die Händchen faltet und
  • lächelt, das Ärmste! Und diese Farben! O Gott! Welche Farben! Da hat man
  • wohl auch nicht für eine Kopeke Ocker gebraucht, glaub ich, sondern
  • nichts als Karmin und Grünspan. Und wie das Blau leuchtet! Eine
  • meisterhafte Arbeit. Der Grund ist wahrscheinlich mit dem kostbarsten
  • Bleiweiß angelegt. Aber wenn diese Malerei wunderbar ist, so ist doch
  • dieser Messinggriff noch mehr der Bewunderung würdig,« fuhr er fort,
  • indem er an die Tür trat und das Schloß betastete. »Was für eine saubere
  • Arbeit! Ich bin sicher, das alles ist von ausländischen Schmieden
  • gemacht und die haben sich sicherlich die höchsten Preise dafür zahlen
  • lassen.«
  • Der Schmied wäre vielleicht noch lange in seinen Betrachtungen
  • fortgefahren, wenn ihn nicht ein betreßter Lakai am Arm gepufft und
  • ermahnt hätte, nicht hinter den anderen zurückzubleiben. Die Saporoger
  • durchschritten noch zwei Säle und machten dann halt. Da hieß man sie
  • warten. Im Saale standen einige Generäle in goldbestickten Uniformen.
  • Die Saporoger verbeugten sich nach allen Seiten und traten zu einer
  • Gruppe zusammen.
  • Einen Augenblick später kam, begleitet von einem ganzen Gefolge, ein
  • korpulenter Mann von majestätischer Statur, in Hetmansuniform und mit
  • feinen gelben Stiefeln herein. Sein Haar war wirr, das eine Auge
  • schielte etwas, das Gesicht drückte Stolz und Erhabenheit aus, allen
  • seinen Bewegungen merkte man die Gewohnheit, zu befehlen, an. Alle
  • Generäle, die in ihren goldenen Uniformen umherstolzierten, gerieten in
  • Bewegung und schienen jedes seiner Worte, ja die leiseste Bewegung von
  • ihm unter tiefen Verbeugungen auffangen zu wollen, um alles schleunigst
  • auszuführen. Aber der Hetman achtete nicht einmal darauf, nickte kaum
  • mit dem Kopfe und ging auf die Saporoger zu.
  • Sämtliche Saporoger verbeugten sich tief.
  • »Seid ihr alle hier?« fragte er gedehnt und mit etwas näselnder Stimme.
  • »Alle, alle miteinander, Väterchen!« antworteten die Saporoger und
  • verbeugten sich von Neuem.
  • »Vergeßt nicht, zu reden, wie ich's euch gelehrt habe!«
  • »Nein, Väterchen, wir werden's nicht vergessen!«
  • »Ist das der Zar?« fragte der Schmied den einen Saporoger.
  • »Der Zar? Warum nicht gar! Das ist doch Potemkin in eigener Person!«
  • antwortete jener.
  • Im Nebenzimmer wurden Stimmen laut, und der Schmied wußte nicht, wo er
  • seine Augen lassen sollte, soviel Damen in Atlaskleidern mit langen
  • Schleppen und Höflinge in goldgewirkten Kaftans und mit steifen Zöpfchen
  • traten jetzt herein. Er sah nur ein Aufleuchten -- sonst nichts.
  • Auf einmal fielen alle Saporoger zu Boden und schrien wie ein Mann:
  • »Gnade, Mütterchen! Erbarmen!«
  • Der Schmied, der schon gar keine Ahnung mehr hatte, was da eigentlich
  • vorging, streckte sich in seinem Eifer auch lang auf den Boden hin.
  • »Steht auf!« erklang über ihnen eine gebieterische, aber zugleich
  • angenehme Stimme. Einige Höflinge gaben den Saporogern geschäftig ein
  • paar Rippenstöße.
  • »Wir stehen nicht auf, Mütterchen! Wir wollen nicht aufstehen! Wir
  • sterben lieber, als daß wir aufstehen!« schrien die Saporoger.
  • Potemkin biß sich auf die Lippen; endlich trat er selbst zu ihnen und
  • flüsterte dem einen Saporoger gebieterisch etwas zu. Die Saporoger
  • erhoben sich sofort.
  • Da wagte es auch der Schmied, den Kopf zu erheben und erblickte eine --
  • etwas beleibte -- Frau von mittlerer Größe vor sich; sie war gepudert,
  • hatte blaue Augen und jene erhaben lächelnde Miene, die es so gut
  • verstand, sich alles untertan zu machen, und nur einem königlichen Weibe
  • angehören konnte.
  • »Durchlaucht haben mir versprochen, mich heute mit meinem Volke bekannt
  • zu machen, das ich bisher noch nicht gesehen habe,« sprach die Dame mit
  • den blauen Augen, während sie die Saporoger neugierig musterte. »Seid
  • ihr hier gut aufgehoben?« fuhr sie fort und trat näher.
  • »Danke, Mütterchen! Die Kost ist gut, obwohl die Hammel hier lange nicht
  • so gut sind -- wie bei uns daheim -- aber es läßt sich leben! ....«
  • Potemkin runzelte die Stirn, als er sah, daß die Saporoger keineswegs
  • sagten, was er sie gelehrt hatte ....
  • Ein Saporoger gab sich nun ein Ansehen und trat vor: »Erbarmen,
  • Mütterchen! Womit hat dein treues Volk dich erzürnt? Haben wir etwa dem
  • heidnischen Tatarenvolke beigestanden, haben wir gemeinsame Sache mit
  • den Türken gemacht, haben wir dir in Wort oder Tat die Treue gebrochen?
  • Womit haben wir deine Ungnade verdient? Erst hörten wir, du ließest
  • überall Festungen gegen uns bauen; nachher vernahmen wir, du wollest
  • Scharfschützen aus uns machen; jetzt hören wir von neuem Unheil. Welche
  • Schuld trifft das Heer der Saporoger? Ist's etwa die, daß sie deine
  • Armee über den Perekop geführt und deinen Generälen geholfen haben, die
  • Männer der Krim niederzuwerfen? ....«
  • Potemkin schwieg und putzte mit einem kleinen Bürstchen lässig die
  • Brillanten, mit denen seine Hände besät waren.
  • »Was wünscht ihr also?« fragte Katherina freundlich.
  • Die Saporoger sahen einander vielsagend an.
  • »Jetzt ist's Zeit! Die Zarin fragt, was wir wünschen,« sagte der Schmied
  • zu sich selbst, und auf einmal stürzte er zu ihren Füßen nieder.
  • »Eure kaiserliche Hoheit, straft mich nicht, sondern schenkt mir Eure
  • Gnade! Mögen meine Worte Eure kaiserliche Hoheit nicht erzürnen: woraus
  • sind die Schuhe gemacht, in denen Eure Füßchen stecken? Ich glaube, kein
  • Schuster in der Welt vermag je wieder solche Schuhe zu machen. O Gott!
  • Wenn mein Frauchen nur solche tragen könnte!«
  • Die Kaiserin brach in Lachen aus. Die Höflinge lachten ebenfalls.
  • Potemkin ärgerte sich, aber er lächelte gleichfalls. Die Saporoger
  • glaubten, der Schmied sei verrückt geworden und begannen ihm Rippenstöße
  • zu geben.
  • »Steh auf!« sagte die Kaiserin freundlich. »Du willst durchaus solche
  • Schuhe haben? Nun wohl, das hat keine Schwierigkeiten. Bringt ihm sofort
  • die kostbarsten, mit Gold bestickten Schuhe. Wahrlich, diese Einfalt
  • gefällt mir sehr! Da habt Ihr,« fuhr die Kaiserin fort, indem sie ihre
  • Augen auf einen abseits stehenden Herrn mit einem vollen aber ein wenig
  • bleichen Gesicht richtete, dessen bescheidener Kaftan mit den großen
  • Perlmuttknöpfen erkennen ließ, daß er nicht zu den Höflingen gehörte,
  • »da habt Ihr ein Sujet, das Eurer geistvollen Feder würdig ist!«
  • »Majestät sind allzu gnädig. Dazu bedürfte es mindestens eines
  • Lafontaine!« erwiderte der Mann mit den Perlmutterknöpfen, der Dichter
  • Von Wisin, indem er sich verneigte.
  • »Auf Ehre und Gewissen: ich muß sagen: ich bin jetzt noch von Eurem
  • »Brigadier« in hellem Entzücken. Ihr lest aber auch ganz wunderbar vor.«
  • Dann wandte sich die Kaiserin wieder dem Saporoger zu. »Ihr habe
  • übrigens gehört, bei Euch in der Ssjetsch soll kein Kosak heiraten
  • dürfen!«
  • »Was sagst du, Mütterchen! Du weißt doch selbst: kein Mensch kann ohne
  • ein Frauchen leben,« antwortete der Saporoger, mit dem der Schmied
  • gesprochen hatte, und der Schmied mußte staunen, als er hörte, daß
  • dieser Saporoger, der die Schriftsprache so gut beherrschte, gerade, wie
  • absichtlich, mit der Zarin in der gröbsten Mundart redete, jener
  • Mundart, die man gewöhnlich die Bauernsprache nennt. »Schlaue Leutchen!«
  • dachte er bei sich, »sicher tut er es nicht ohne Absicht.«
  • »Wir sind doch keine Mönche,« fuhr der Saporoger fort, »wir sind ja nur
  • sündige Menschen. Wir sind, wie die ganze ehrliche Christenheit, der
  • Fleischeslust verfallen. Es gibt nicht wenige unter uns, die Frauen
  • haben, nur wohnen die Frauen nicht in der Ssjetsch. Es gibt auch solche,
  • die ihre Frauen im Polenlande und in der Ukraine haben; es gibt aber
  • auch solche, deren Frauen in der Türkei leben.«
  • Unterdessen hatte man dem Schmied die Schuhe gebracht.
  • »O Gott, was für eine Zier!« rief er freudig und ergriff die Schuhe.
  • »Kaiserliche Hoheit! Wenn Ihr solche Schühchen anhabt und darin
  • einhergeht, Euer Gnaden, oder gar noch übers Eis mit ihnen gleiten könnt
  • -- wie müssen da die Füßchen selbst sein? Ich glaub', wahr und
  • wahrhaftig, sie sind von reinstem Zucker.«
  • Die Kaiserin, die in der Tat die zierlichsten und reizendsten Füßchen
  • besaß, mußte lächeln, als sie ein solches Kompliment aus dem Munde eines
  • einfältigen Schmiedes vernahm, der trotz seines braunen Gesichtes in
  • seinem Saporogergewand für einen wirklich schönen Mann gelten konnte.
  • Hocherfreut über diese wohlwollende Aufmerksamkeit wollte der Schmied
  • die Zarin schon über alles ordentlich ausfragen: ob's wahr sei, daß die
  • Zaren nichts wie Honig und Speck äßen und ähnliches mehr. Da aber fühlte
  • er, wie die Saporoger ihn in die Rippen pufften, und er beschloß, zu
  • verstummen. Und als die Zarin sich den alten Leuten zuwandte und sie
  • über ihr Leben und Treiben in der Ssjetsch auszufragen begann, trat er
  • zur Seite, neigte sich zu seiner Tasche hinab, sagte leise: »Bring mich
  • schnell von hier weg!« Und auf einmal befand er sich wieder hinter dem
  • Schlagbaum.
  • * * * * *
  • »Ertrunken! Bei Gott, er ist ertrunken! Ich will mich nicht mehr vom
  • Fleck rühren, wenn er nicht ertrunken ist!« murmelte die dicke
  • Webersfrau, die mitten auf der Straße in einem Haufen von Weibern stand.
  • »Was, ich bin also eine Lügnerin? Hab' ich etwa jemandem eine Kuh
  • gestohlen? Oder hab' ich jemand böse angesehen, daß ihr mir nicht trauen
  • wollt?« schrie eine Frau mit violetter Nase und in einem Kosakenkittel,
  • indem sie mit ihren Armen hin und her fuchtelte. »Ich will nie wieder
  • Wasser trinken, wenn die alte Perepertschicha nicht mit eigenen Augen
  • gesehen hat, wie der Schmied sich erhängt hat!«
  • »Der Schmied hat sich erhängt? Eine schöne Bescherung!« rief der
  • Amtmann, der eben aus dem Hause Tschubs kam; er blieb stehen und drängte
  • sich unter die Keifenden.
  • »Sage lieber, du willst keinen Schnaps mehr trinken, du alte Sauftrine
  • du!« antwortete die Webersfrau. »Da müßte man ja gerad' so blöde sein,
  • wie du, um sich aufzuhängen! Er ist ertrunken, er ist im Eisloch
  • ertrunken! Das weiß ich so gewiß, wie daß du soeben im Wirtshaus gewesen
  • bist.«
  • »Was, du freches Frauenzimmer? Sieh mal einer an, was die mir vorwirft!«
  • entgegnete wütend die Frau mit der violetten Nase. »Du hättest doch
  • lieber das Maul halten sollen, du Weibsstück du! Als ob ich nicht wüßte,
  • daß jeden Abend der Küster zu dir kommt!«
  • Die Webersfrau geriet außer sich.
  • »Was tut der Küster? Zu wem kommt er? Was faselst du da?«
  • »Der Küster?« krähte die Frau des Küsters, sich in ihrem Hasenpelz, der
  • mit blauem Nanking bezogen war, an die Streitenden herandrängend. »Ich
  • will dir schon zeigen, was es heißt, so vom Küster zu reden! Wer sagt da
  • was vom Küster?«
  • »Man weiß ja doch, wen der Küster besucht!« schrie die Frau mit der
  • violetten Nase und zeigte auf die Weberin.
  • »Du also bist's, du Hündin«, rief die Frau des Küsters und ging auf die
  • Webersfrau los, »du bist's, du Hexe, die ihn umnebelt und ihn mit
  • Satanskräutern behext, daß er zu dir kommt?«
  • »Pack dich fort, du Satan!« sprach die Webersfrau zurückweichend.
  • »Sieh mal einer die verdammte Hexe an, du sollst's nicht mehr erleben,
  • daß du deine Kinder jemals wiedersiehst! Du niederträchtiges Weib!
  • Pfui!« Und dabei spuckte die Küsterin der Webersfrau gerade in die
  • Augen.
  • Die Webersfrau wollte dasselbe tun, aber statt dessen spuckte sie dem
  • Amtmann, der näher an die Streitenden herangekommen war, um alles besser
  • zu hören, in seinen unrasierten Bart.
  • »Ah, du garstiges Weibsbild, du!« rief der Amtmann, wischte sich mit dem
  • Rockschoß das Gesicht ab und schwenkte seine Knute.
  • Diese Bewegung veranlaßte alle, schimpfend nach allen Seiten
  • auseinanderzustieben. »So was Ekelhaftes!« wiederholte der Amtmann und
  • wischte sich wieder ab. »Der Schmied ist also ertrunken! O du meine
  • Güte! Was war das für ein großartiger Maler! Was für starke Messer,
  • Sensen und Pflüge konnte der schmieden! Und wie kräftig der war! Ja,
  • ja,« fuhr er nachdenklich fort, »bei uns im Dorfe haben wir wenig solche
  • Leute. Ich hab's ja gleich gemerkt, als ich noch in diesem verfluchten
  • Sacke saß, daß der Aermste ganz bedrückt und traurig war. Ja, da haben
  • wir nun den Schmied! Einst war er, und nun ist er nicht mehr! Ich wollte
  • doch gerade noch meine scheckige Stute beschlagen lassen! ....« Und
  • solcher christlicher Gedanken voll, trottete der Amtmann langsam seinem
  • Hause zu.
  • Oxana war ganz bestürzt, als diese Gerüchte zu ihr drangen. Sie traute
  • zwar den Augen der Perepertschicha und dem Weibergetratsch nur wenig,
  • denn sie wußte, daß der Schmied fromm genug war, seine Seele nicht ins
  • Verderben zu stürzen. Wie aber, wenn er in der Tat mit der Absicht
  • davongegangen war, nie wieder ins Dorf zurückzukehren? Schwerlich konnte
  • man wo anders einen so schmucken Burschen finden, wie der Schmied einer
  • war. Und dann liebte er sie doch so sehr! Er ertrug auch ihre Launen
  • länger als alle anderen ... Die Schöne drehte sich die ganze Nacht
  • hindurch unter ihrer Decke von der rechten Seite auf die linke, und von
  • der linken auf die rechte, und konnte doch nicht einschlafen. Bald warf
  • sie sich in ihrer berückenden Nacktheit, die das nächtliche Dunkel sogar
  • vor ihr selbst verbarg, hin und her, und schalt laut auf sich, bald
  • verstummte sie, faßte den Entschluß, an nichts mehr zu denken -- und
  • grübelte doch weiter und weiter. Sie lag da wie in lohendem Feuer, und
  • gegen Morgen war sie bis über die Ohren in den Schmied verliebt.
  • Als Tschub den Tod Wakulas vernahm, ließ er weder Freude noch Trauer
  • erkennen. Seine Gedanken waren nur mit einer Sache beschäftigt: er
  • konnte Solochas Treubruch nicht vergessen, und ließ sogar im Schlafe
  • nicht davon ab, auf sie zu schimpfen.
  • Der Tag brach an. Die Kirche war schon vor Morgengrauen voll von
  • Menschen. Die alten Frauen in ihren weißen Kopftüchern und Tuchkitteln
  • standen ganz nahe am Eingang und bekreuzigten sich fromm. Vor ihnen
  • standen die adligen Damen in grünen und gelben Jacken, ja manche sogar
  • in blauen Überwürfen, die hinten mit Brokatschleifen versehen waren. Die
  • Mädchen, die einen ganzen Laden von aufgewickelten Bändern auf dem Kopfe
  • und ebensoviel Perlenbänder, Kreuze und Dukaten um den Hals trugen,
  • suchten so nahe als möglich an den Altar heran zu kommen. Ganz vorne
  • aber standen die Edelleute und die einfachen Bauern mit Schnurrbärten,
  • Haarschöpfen, mit dickem Hals und frisch rasiertem Kinn, die meisten in
  • Mänteln, unter denen ein weißer, oder bei manchen auch ein blauer Kittel
  • hervorguckte. Wohin man auch blicken mochte, auf allen Gesichtern
  • spiegelte sich die Feiertagsstimmung wieder. Der Amtmann leckte sich
  • schon die Lippen, wenn er an die Wurst dachte, mit der er die Festtage
  • beschließen würde; die Mädel dachten daran, wie sie mit den Burschen auf
  • dem Eise schlittern würden, und die alten Frauen murmelten eifriger denn
  • je ihre Gebete. Durch die ganze Kirche konnte man hören, wie der Kosak
  • Swerbygus niederkniete. Nur Oxana stand wie abwesend da: sie betete und
  • betete doch auch nicht. Ihr Herz bestürmten so viele und mannigfaltige
  • Empfindungen, von denen eine immer peinlicher war, als die andere, daß
  • ihr Gesicht nichts wie eine starke Verwirrung ausdrückte, und in ihren
  • Augen zitterten Tränen. Die Mädchen konnten natürlich den Grund davon
  • nicht erkennen, und ahnten nicht, daß der Schmied daran schuld war.
  • Jedoch der Schmied beschäftigte nicht nur Oxana allein. Alle Bewohner
  • des Dorfes fühlten, daß der Feiertag kein rechter Feiertag war, und daß
  • gewissermaßen etwas fehlte. Unglücklicherweise war auch der Küster nach
  • seiner Reise im Sack vom Abend vorher noch heiser geworden, und sang
  • seine Lieder mit kaum hörbarer krächzender Stimme; wohl brachte der
  • zugereiste Sänger ein paar prächtige Baßtöne hervor, aber wieviel besser
  • wäre es gewesen, wenn man auch noch den Schmied dagehabt hätte, der
  • jedes Mal, wenn man das »Vaterunser« oder die »Himmlischen Heerscharen«
  • sang, auf den Chor stieg und so schön sang, wie man es sonst nur in
  • Poltawa hören konnte. Dazu kam noch, daß er ganz allein sich um das Amt
  • des Kirchenvorstands kümmerte. Schon war die Frühmesse zu Ende und nach
  • der Frühmesse war bald auch das Hochamt vorbei ..... In der Tat, wo war
  • nun der Schmied geblieben?
  • * * * * *
  • Noch rascher fast flog der Teufel in den letzten Stunden der Nacht mit
  • dem Schmied auf dem Rücken heimwärts, und im Nu befand sich Wakula vor
  • seiner Hütte. In diesem Augenblick krähte der Hahn.
  • »Wohin?« rief der Schmied und ergriff den Teufel, der ausreißen wollte,
  • am Schwanz. »Halt, Freundchen, das ist noch nicht alles: ich hab mich
  • noch nicht bei dir bedankt.«
  • Und er ergriff eine Gerte und versetzte ihm drei mächtige Hiebe, daß der
  • arme Teufel davonrannte wie ein Bauer, dem der Assessor eben
  • tüchtig eingeheizt hat. Und so geschah's, daß der Erzfeind des
  • Menschengeschlechts, statt andere Leute zu foppen, zu versuchen und zu
  • narren, selbst genarrt wurde.
  • Hierauf trat Wakula in den Flur seines Hauses, warf sich auf ein
  • Heubündel und schlief bis spät in den Mittag hinein. Als er erwachte,
  • erschrak er heftig, denn er sah, daß die Sonne schon hoch am Himmel
  • stand. »Ei, Herrjeh, ich habe ja die Frühmesse und das Hochamt
  • verschlafen!« rief er aus.
  • Und der gottesfürchtige Schmied verfiel in eine tiefe Zerknirschung,
  • denn er vermeinte, Gott habe zur Strafe für sein schlimmes Vorhaben, und
  • um seine Seele zu verderben, einen Schlaf auf ihn herabgeschickt, der
  • ihn verhindert habe, an einem so großen Feiertag die Kirche zu besuchen.
  • Er beruhigte sich jedoch bald, nachdem er den Beschluß gefaßt hatte, in
  • der künftigen Woche alles dem Popen zu beichten und von da ab ein ganzes
  • Jahr lang täglich fünfzig Kniefälle zu machen. Er blickte in die Stube
  • hinein: es war niemand da. Die Solocha war offenbar noch nicht
  • zurückgekehrt.
  • Behutsam zog er die Schuhe aus dem Busen, staunte von neuem die kostbare
  • Arbeit an, und wunderte sich über die sonderbaren Ereignisse der
  • vergangenen Nacht; er wusch sich, kleidete sich an, so gut er nur
  • konnte, zog das Gewand an, das er von den Saporogern bekommen hatte,
  • holte seine neue Lammfellmütze mit dem blauen Dach, die er, seit er sie
  • seinerzeit in Poltawa gekauft, noch niemals aufgesetzt hatte, aus der
  • Truhe; holte auch einen neuen, vielfarbigen Gurt hervor, packte alles,
  • zusammen mit einer Nagaika, in ein Tüchlein ein und begab sich gradewegs
  • zu Tschub.
  • Tschub machte große Augen, als der Schmied eintrat und wußte nicht,
  • worüber er mehr staunen sollte: darüber, daß der Schmied von den Toten
  • auferstanden war, daß er es wagte, zu ihm zu kommen, oder darüber, daß
  • er so stutzerhaft herausgeputzt und wie ein echter und rechter Saporoger
  • angezogen war. Noch mehr aber staunte er, als Wakula das Tuch aufband,
  • die funkelnagelneue Mütze nebst einem Gurt, wie man ihn noch niemals im
  • Dorfe gesehen hatte, vor ihm auf den Tisch legte, ihm zu Füßen fiel und
  • flehentlich ausrief: »Hab' Erbarmen, Väterchen! Zürne mir nicht! Da hast
  • du eine Peitsche: schlag zu, soviel deine Seele verlangt. Ich gebe mich
  • selbst in deine Hand, ich bereue ja alles; schlage mich, aber zürne mir
  • nicht. Du warst ja vormals meinem seligen Vater wie ein Bruder, ihr habt
  • doch zusammen gegessen und getrunken!«
  • Nicht ohne heimliche Freude sah Tschub, wie der Schmied, der sich den
  • Teufel um jemand im Dorfe scherte und der Fünfkopekenstücke und Hufeisen
  • mit der Hand zusammendrückte wie Buchweizenflinsen, wie dieser selbe
  • Schmied jetzt zu seinen Füßen lag. Um sich nichts zu vergeben, ergriff
  • Tschub die Peitsche und schlug ihn dreimal auf den Rücken. »Nun ist's
  • aber genug, steh auf! Hör stets auf die Alten! Wir wollen alles
  • vergessen, was zwischen uns vorgefallen ist. Und nun sag, was du
  • möchtest?«
  • »Väterchen, gib mir Oxana zur Frau!«
  • Tschub überlegte einen Augenblick und sah sich die Mütze und den Gurt
  • an: die Mütze war wunderbar und der Gurt nicht minder; dabei fiel ihm
  • auch noch die treulose Solocha ein, und er rief entschlossen: »'s ist
  • recht! Schicke deine Brautwerber her!«
  • »Ah!« schrie Oxana auf, die über die Schwelle getreten war und den
  • Schmied erblickt hatte, und sie richtete freudig und ganz erstaunt ihre
  • Blicke auf ihn.
  • »Schau mal, was ich dir für kleine Schuhe mitgebracht habe!« sagte
  • Wakula, »dieselben sind's, die die Zarin trägt.«
  • »Nein, nein! Ich brauche keine Schuhe!« rief sie, ihn mit den Händen
  • abwehrend und ohne ihre Augen von ihm abzuwenden; »ich bin auch ohne
  • Schuhe ....« Und sie sagte nichts weiter, sondern errötete nur.
  • Der Schmied kam näher heran, ergriff sie bei der Hand, und die Schöne
  • schlug die Augen nieder. Noch nie hatte sie so wunderbar schön
  • ausgesehen. Der Schmied küßte sie voller Entzücken auf die Lippen, ihr
  • Antlitz verfärbte sich noch tiefer, und sie wurde nur noch schöner.
  • * * * * *
  • Der Bischof seligen Angedenkens kam einmal durch Dikanka, lobte die
  • schöne Lage des Dorfes und hielt, als er die Straße herunterfuhr, vor
  • einer der Hütten an.
  • »Wem gehört diese schön bemalte Hütte?« fragten Seine Hochwürden die
  • hübsche Frau, die mit einem Kinde auf dem Arm vor der Türe stand.
  • »Dem Schmied Wakula!« antwortete ihm mit einer Verbeugung Oxana, denn
  • sie war es.
  • »Großartig! Eine wundervolle Arbeit!« sprachen Seine Hochwürden, als sie
  • sich Türen und Fenster ansahen. Die Fenster waren ringsherum mit roter
  • Farbe bestrichen und auf den Türen waren überall Bildnisse von reitenden
  • Kosaken mit Pfeifen in den Zähnen aufgemalt.
  • Noch mehr aber lobten Seine Hochwürden den Schmied Wakula, als sie
  • erfuhren, daß er eine Kirchenbuße eingehalten, die er sich selbst
  • auferlegt, und in der Kirche den ganzen linken Chor mit grüner Farbe
  • gestrichen und mit roten Blumen bemalt habe.
  • Das ist jedoch noch nicht alles. An die Wand, die, wenn man die Kirche
  • betritt, sich gleich zur Linken befindet, hatte Wakula einen in der
  • Hölle sitzenden Teufel gemalt und zwar einen so abscheulichen Teufel,
  • daß jedermann, der vorbeiging, ausspeien mußte, und wenn einer Frau das
  • Kind auf dem Arme zu weinen anfing, so trug sie es ans Bild und sprach:
  • »Schau, schau, hu, hu, was da hingemalt ist!« Und das Kind verschluckte
  • seine Tränen, schielte scheu nach dem Bilde und schmiegte sich enger an
  • die Brust der Mutter.
  • Schreckliche Rache
  • I.
  • Dröhnend braust's dahin durch Kijews Vorstadt: Da feiert Gorobetz, der
  • Kosakenhauptmann, den sie Jessaul nennen, die Hochzeit seines Sohnes.
  • Viel Leute sind beim Jessaul zu Gast. In alten Zeiten liebte man's wohl,
  • gut zu essen, gut zu trinken und noch lieber mocht' man lustig sein. Auf
  • braunem Roß kam Mikitka, der Saporoger Kosak, stracks vom gewaltigen
  • Zechgelag auf dem Pereschlaj-Gefilde, allwo er sieben Nächte und sieben
  • Tage des Königs Schlachta mit rotem Weine bewirtet hatte. Auch der
  • Kriegskamerad des Jessaul, Danilo Burulbasch kam angefahren vom anderen
  • Ufer des Dnjepr, wo zwischen zwei Bergen sein Landgut lag; er kam mit
  • seinem jungen Weibe Katerina und seinem einjährigen Sohne. Die Gäste
  • staunten über das weiße Gesicht der Pani Katerina, über die Brauen, die
  • schwarz wie deutscher Sammet waren, über den prächtigen Rock und die
  • Jacke aus altertümlich blauer Seide, und über die Stiefel mit den
  • silbernen Hufen; aber mehr noch nahm sie's wunder, daß der alte Vater
  • nicht mit ihnen zusammen gekommen war. Der lebte seit einem Jahr in dem
  • Landstrich hinterm Dnjepr, einundzwanzig Jahre war er verschollen
  • gewesen und erst zu seinem Töchterchen zurückgekehrt, als es vermählt
  • war und einen Sohn geboren hatte. Gewiß hätt' er viel Wunderliches
  • erzählen können. Ja, wie hätte er auch nicht erzählen können, da er doch
  • so lange im fremden Lande geweilt! Dort ist doch alles so anders wie
  • hier: die Menschen sind anders, und dort gibts auch keine christlichen
  • Kirchen ..... Allein er war nicht gekommen.
  • Den Gästen ward Schnaps mit Rosinen und Pflaumen und auf einer großen
  • Schüssel Hochzeitsbrot gereicht. Die Musikanten griffen tief in den
  • Brotlaib hinein, wo Geld eingebacken war; verstummten eine kurze Zeit
  • lang und legten die Zymbeln, Geigen und Pauken beiseite. Indes wischten
  • sich die jungen Frauen und die Mädchen mit gestickten Tüchern den Mund
  • und traten wieder aus ihren Reihen hervor, während die Burschen, die
  • Hände in die Hüften gestützt, stolz zur Seite blickend, gerad ihnen
  • entgegen wollten, als der alte Jessaul zwei Heiligenbilder herbeitrug,
  • um das junge Paar zu segnen. Er hatte diese Bilder von einem würdigen
  • Eremiten, dem greisen Bartholomäus erhalten. Ihr Zierat war nicht reich,
  • weder Silber noch Gold funkelte auf ihnen, und doch hätte keine unreine
  • Macht es gewagt, den zu berühren, in dessen Haus sie sich befanden. Der
  • Jessaul hob die Bilder in die Höhe und schickte sich an, ein kurzes
  • Gebet zu sprechen ...... da schrien die Kinder, die am Boden spielten,
  • auf einmal in hellem Schreck auf, das Volk wich zurück hinter ihnen, und
  • alle wiesen voll Angst auf einen Kosaken, der in ihrer Mitte stand. Wer
  • er war, das wußte niemand zu sagen, aber schon fing er wacker an, seinen
  • Kosakentanz zu tanzen und ergötzte die Menge, die ihn umringte und
  • brachte sie zum Lachen. Als jedoch der Jessaul die Heiligenbilder
  • emporhob, da verwandelte sich auf einmal das Antlitz des Kosaken: die
  • Nase fing an zu wachsen, wurde größer und größer und krümmte sich zur
  • Seite; grüne Äuglein blitzten anstelle der grauen hervor, die Lippen
  • wurden blau, das Kinn fing an zu zittern und wurde spitz wie ein Speer,
  • aus dem Mund entsprangen zwei Hauer, hinter dem Kopfe wölbte sich ein
  • Buckel empor, und der Kosak wurde zum Greise.
  • »Das ist _er_! Das ist _er_!« schrien die Menschen, sich eng aneinander
  • drängend.
  • »Der Zauberer ist wieder da!« schrien die Mütter und faßten ihre Kinder
  • schnell bei der Hand.
  • Würdig und stolz trat der Jessaul vor, und während er die Heiligenbilder
  • vor sich hinhielt, sprach er mit lauter Stimme:
  • »Verschwinde, Satansbild! Für dich ist kein Platz hier!«
  • Und siehe da, der seltsame Greis knirschte zischend mit den Zähnen wie
  • ein Wolf, und verschwand.
  • Da erhob sich ein Raunen und Reden unter dem Volke, schwoll immer mehr
  • an und rollte dahin wie das Brausen des Meeres im Ungewitter.
  • »Was ist das für ein Hexenmeister!« fragten die Jungen und Unerfahrenen.
  • »Ein Unheil zieht herauf!« sprachen die Alten kopfschüttelnd, und
  • überall im weiten Gehöfte des Jessaul lauschten die Haufen des Volkes
  • den Geschichten von dem unheimlichen Zauberer. Doch beinahe alle wußten
  • Verschiedenes zu erzählen, und niemand konnte etwas Sicheres von ihm
  • berichten.
  • Ein Faß Meth ward auf den Hof gerollt und nicht allzuwenige Eimer voll
  • griechischen Weines stellte man hin. Und wiederum tobte es lustig
  • weiter. Die Musikanten spielten drauf los -- und die Mädchen, die jungen
  • Frauen und die noblen Kosaken in blanken Schupans wirbelten wild
  • durcheinander. Das Greisenvolk der Neunzig- und Hundertjährigen wagte,
  • auch schon bezecht, ein Tänzchen und gedachte so mancher Jahre, die
  • nicht ganz tatenlos verflossen waren. Bis zur späten Nacht wurde gezecht
  • und so wurde gezecht, wie man's jetzt nimmermehr tut. Dann strömten die
  • Gäste auseinander, aber nur wenige gingen ihres Weges: viele blieben in
  • dem weiten Hofraume des Jessaul über Nacht, und noch viel mehr Kosaken
  • schliefen von selbst ein, ungebeten, unter den Bänken, auf dem Fußboden,
  • neben den Rossen oder vor den Ställen: und wo ein rechter Kosak im
  • Rausche hintaumelte, da lag er auch schon und schnarchte laut über ganz
  • Kijew.
  • II.
  • Still leuchtete es über dem Weltall auf: der Mond schien hinterm Berg
  • empor. Mit einem kostbaren Schleier aus schneeweißem Damast verhüllte er
  • des Dnjepr gebirgiges Ufer und sein Schatten schlich weit zurück bis ins
  • Dickicht der Fichten.
  • Inmitten des Dnjepr schwimmt ein eichener Kahn, vorn sitzen zwei
  • Burschen, die schwarzen Kosakenmützen schief in die Stirn gedrückt, und
  • von ihren Rudern sprühen Wasserstrahlen nach allen Seiten auf, wie aus
  • dem Feuerstein Funken.
  • Warum singen die Kosaken nicht? Warum sprechen sie nicht davon, daß die
  • römischen Pfaffen die Ukraine durchwandern, die Kosaken umzutaufen und
  • zu Katholiken zu machen, und auch nicht davon, wie ihre Horde zwei ganze
  • Tage lang am Salzsee gekämpft. Wie sollten sie auch singen und sagen von
  • kühnen Taten? Pan Danilo, ihr Herr, war in Gedanken versunken, ein Ärmel
  • seines rostroten Schupans glitt aus dem Boot und sank ins Wasser, aber
  • ihre Herrin, Pani Katerina, wiegte leise das Kind und wendete kein Auge
  • von dem Manne, und auf ihren festlichen Rock, der nicht von schützender
  • Leinwand bedeckt war, sprühte das Wasser herab wie grauer Staub.
  • Köstlich ist von der Mitte des Dnjepr die Schau auf die hohen Berge, die
  • weiten Wiesen und die Wälder im Grün! Das sind nicht Berge wie andere
  • auch: ihr Fuß ist nicht zu sehen, nach oben wie nach unten ragen die
  • spitzen Gipfel empor, sich im Wasser spiegelnd, und über und unter ihnen
  • dehnt sich hoch und weit der Himmel. Auch auf den Hügeln die Wälder sind
  • keine Wälder: das sind Haare auf des Waldgreises zottigem Haupte. Unten
  • umspült ihm das Wasser den Bart, und ganz hoch über dem Barte und über
  • den Haaren erhebt sich der hohe Himmel. Auch die Wiesen sind keine
  • Wiesen: ein grüner Gürtel ist's, der den runden Himmel in der Mitte
  • umgürtet, und auf seiner oberen wie auf der unteren Hälfte lustwandelt
  • der Mond.
  • Pan Danilo blickt nicht zur Seite, er blickt auf sein junges Weib.
  • »Warum versankst du in Gram, mein junges Weib, meine goldene Katerina?«
  • »Nicht bin ich in Gram versunken, mein Herr Danilo! Mich erschreckten
  • nur die seltsamen Sagen vom zaubernden Mann. Man sagt doch, gar
  • furchtbar an Gestalt sei er zur Welt gekommen ..... und von klein auf
  • wollte kein Kind mit ihm spielen. Hör', Pan Danilo, wie schrecklich das
  • ist, was man erzählt: man sagt, es dünkte ihn stets, daß ihn alle
  • verhöhnten. Geschieht's, daß abends, wenn's dunkelt, ein Mensch ihm
  • begegnet, so meint der gleich zu sehen, wie jener den Mund auftut und
  • die Zähne fletscht. Und dann ist der Mensch am folgenden Tage tot. Es
  • ward mir so sonderbar, so grauenvoll ward mir zumute, als ich die Mären
  • vernahm,« sprach Katerina, und sie nahm ein Tuch und wischte damit ihrem
  • Kinde, das ihr in den Armen schlief, das Gesicht. Dies Tuch war mit
  • Blättern und Beeren geziert, die mit roter Seide darauf gestickt waren.
  • Pan Danilo sprach kein Wort. Er blickte ins Dunkel der Schatten hinüber,
  • wo in der Ferne sich hinter dem Wald ein Erdwall gleich einem schwarzen
  • Streifen dahinzog, und wo hinter dem Walle ein altes Schloß in die Höhe
  • starrte. Da zeichneten sich in Danilos Antlitz drei Falten über den
  • Brauen ab, und die linke Hand spielte mit dem kecken Schnurrbart. »Nicht
  • das ist schrecklich, daß er ein Zauberer ist,« sprach er, »schrecklich
  • ist's, daß er ein schlimmer Gast ist. Was fiel ihm ein, hierher zu
  • kommen? Ich hörte, die Polen wollen eine Festung bauen, um uns den Weg
  • zu den Saporogern abzuschneiden. Mag's wahr sein ..... Dies Teufelsnest
  • will ich vernichten, sobald nur das Gerücht umzugehen beginnt, daß das
  • ein Schlupfwinkel sei! Ich will den alten Zauberer verbrennen, daß
  • selbst den Raben nichts zu picken mehr bleibt. Doch ich denke mir, er
  • besitzt wohl nicht wenig Gold und allerhand Gut. Hier ist's, wo dieser
  • Satan wohnt! Wär' Gold bei ihm zu finden, so ...... Wir rudern sogleich
  • bei den Kreuzen vorbei -- da ist der Friedhof, wo das unreine Gebein
  • seiner Ahnen modert. Sie alle, sagt man, waren bereit, sich für einen
  • Groschen dem Satan zu verkaufen, mitsamt ihrer Seele und ihrem
  • zerlumpten Schupan. Doch besitzt er in Wahrheit soviel Gold, dürfte man
  • jetzt nicht lange mehr zögern, nicht immer kann man's im Kriege da
  • erbeuten.«
  • »Ich kenne dein Vorhaben wohl: nichts Gutes verkündet mir die Begegnung
  • mit ihm. Du atmest so schwer, du blickst so rauh, deine Brauen sind so
  • finster über den Augen geballt! ....«
  • »Schweig, Weib!« rief Danilo wütend, »wer sich mit euch verbindet, wird
  • selbst zum Weibe. Gib mir Feuer für meine Pfeife, Junge!«
  • Er wandte sich an einen der Ruderer, der klopfte glühende Asche aus
  • seiner Pfeife und tat sie in die Pfeife des Herrn.
  • »Sie schreckt mich mit dem Zauberer!« fuhr Pan Danilo fort. »Der Kosak
  • fürchtet, Gott Lob und Dank, weder Teufel, noch römische Priester. Das
  • wär' was Rechtes, wenn wir auf die Weiber zu hören anfingen. Nicht wahr,
  • Burschen? Unsere Frau ist die Pfeife und die Schärfe des Schwerts!«
  • Katerina verstummte und ließ die Augen über das träge Wasser gleiten;
  • der Wind kräuselte die stille Flut, und der ganze Dnjepr schimmerte
  • silbern wie ein Wolfsfell zur Nacht.
  • Der Kahn machte eine Wendung und glitt am waldigen Ufer entlang. Jetzt
  • wurde der Friedhof am Ufer sichtbar. Haufen morscher Kreuze drängten
  • sich da aneinander. Da blühte kein Wachholder zwischen ihnen, da grünte
  • kein Moos, und nur der Mond schien von seiner himmlischen Höhe wärmend
  • auf sie herab.
  • »Hört ihr das Schreien, ihr Burschen? Jemand ruft uns zu Hilfe!« sprach
  • da Pan Danilo, indem er sich an seine Ruderer wandte.
  • »Ja, wir hören jemand rufen, und dort von jener Seite her, scheint's!«
  • riefen alle Burschen zugleich und wiesen nach dem Friedhof. Doch es war
  • schon wieder alles still. Der Kahn wendete nun und fuhr um eine
  • Landzunge herum. Plötzlich ließen die Leute ihre Ruder sinken und
  • blickten starr zum Ufer hinüber. Auch Pan Danilo hielt inne: Angst und
  • kaltes Grauen rannen durch der Kosaken Adern.
  • Das Kreuz auf einem der Gräber wankte, und plötzlich erhob sich daraus
  • ganz leise ein vertrockneter Leichnam. Er hatte einen Bart, der bis auf
  • den Gürtel reichte, und lange Krallen an den Fingern, die noch länger
  • waren als die Finger. Leis erhob er die Arme, sein Gesicht erschauerte
  • und verzerrte sich. Man sah ihm an, daß er entsetzliche Qualen litt.
  • »Mir ist so schwül, so schwül!« stöhnte er mit wilder unmenschlicher
  • Stimme. Seine Stimme bohrte sich einem ins Herz wie ein Messer. Aber
  • plötzlich war der Leichnam wieder in der Erde verschwunden. Dann wankte
  • ein anderes Kreuz, und wiederum entstieg ein Leichnam dem Grabe, noch
  • schrecklicher und noch größer als jener: er war ganz von Haar
  • überwachsen, sein Bart ging bis an die Knie und die Krallen an den
  • Knochen waren noch länger. Er rief noch wilder: »Mir ist so schwül!« und
  • sank in die Erde zurück. Jetzt wankte ein drittes Kreuz, und ein dritter
  • Leichnam stand auf. Da schien's, als wenn ein riesenhaftes Knochengerüst
  • sich hoch über die Erde erhob. Der Bart floß bis zu den Fersen herab,
  • die Finger mit den riesigen Krallen gruben sich tief in die Erde,
  • furchtbar warf er die Arme empor, als ob er bis an den Mond langen
  • wollte, und er begann zu schreien, wie wenn ihm einer seine gelben
  • Knochen zersägte ....
  • Das schlafende Kind, das in Katerinas Armen lag, stieß einen Schrei aus
  • und erwachte; die Pani selbst schrie auf, die Ruderer ließen die Mützen
  • in den Dnjepr fallen, und auch der Pan erschauerte.
  • Auf einmal aber war alles verschwunden, als wär' es überhaupt nie
  • gewesen, doch die Burschen griffen noch lange nicht zu den Rudern.
  • Besorgt blickte Burulbasch auf seine junge Frau, die das schreiende Kind
  • voller Schrecken in ihren Armen in Schlaf wiegte; er drückte sie an sein
  • Herz und küßte sie auf die Stirn. »Fürchte dich nicht, Katerina! Schau:
  • es ist ja nichts!« sprach er und wies nach allen Seiten. »Der Zauberer
  • will den Menschen nur Schrecken einjagen, damit ihm niemand bis an sein
  • unsauberes Nest gelange. Nur Weiber kann er damit schrecken! Gib mir den
  • Sohn doch herüber!«
  • Bei diesen Worten hob Pan Danilo seinen Sohn in die Höhe und drückte ihn
  • an seine Lippen. »Nun, mein Iwan, fürchtest du dich vor Zauberern? --
  • Sag: >nein, Vater, ich bin ein Kosak!< Doch genug, hör auf zu weinen!
  • Wir fahren nach Hause! Gleich sind wir wieder zu Haus, dann kocht Mutter
  • dir Brei, legt den Iwan in die Wiege und singt ihm das Lied:
  • Lulli, lulli, lulli, lulli!
  • Schlaf, mein Söhnchen, schlafe ein!
  • Bleib gesund und wachs mir fein!
  • Bring Kosaken Ruhm und Freud,
  • Und den Feinden Schmerz und Leid!
  • Hör', Katerina, ich glaube, dein Vater will nicht in Frieden mit uns
  • leben. So mürrisch kam er hier an und so verdrießlich, als zürnte er uns
  • ... Wenn er nicht zufrieden ist -- wozu kam er denn her? Er wollte nicht
  • mit uns trinken auf die Kosakenfreiheit und hat nicht einmal das Kind in
  • den Armen gewiegt! Zuerst wollte ich ihm alles anvertrauen, was mir das
  • Herze beschwert, doch etwas hielt mich zurück, und meine Rede stockte.
  • Nein, er hat kein Kosakenherz! Ein Kosakenherz fängt gleich laut in der
  • Brust an zu schlagen, wenn's einem andern begegnet! Nun, liebe Burschen,
  • ist das Ufer schon nah? Ihr sollt auch neue Mützen bekommen. Du,
  • Stetzko, kriegst eine, die mit Sammet und Gold verziert ist. Ich hab'
  • sie dereinst einem Tataren mitsamt seinem Kopfe genommen; auch sein
  • ganzes Rüstzeug fiel mir damals zu, nur seine Seele allein ließ ich
  • frei. Legt an! Siehst du, Iwan, da sind wir schon, und du weinst noch
  • immer! Nimm ihn, Katerina!«
  • Alle gingen ans Land. Hinter dem Berge stieg ein Strohdach auf, das war
  • Pan Danilos Erbsitz. Dahinter lag noch ein anderer Berg, dann kam gleich
  • freies Feld, und hundert Werst weit konnte man laufen, ohne auf eine
  • Kosakenseele zu stoßen.
  • III.
  • Das Landgut Pan Danilos liegt zwischen zwei Bergen in einem engen Tal,
  • das auf den Dnjepr hinausgeht. Das Haus ist nicht hoch, gleicht von
  • außen der Hütte eines einfachen Kosaken, und bloß eine Stube ist drin;
  • doch ist Raum darinnen genug für ihn, wie für sein Weib und für die alte
  • Magd und zehn auserlesene Burschen. An den Wänden entlang laufen oben
  • eichene Bohlen. Dort stehen zahlreiche Schüsseln und Töpfe für die
  • Mahlzeiten, darunter auch Pokale von Silber, in Gold gefaßte Becher, die
  • der Pan zum Geschenke erhielt oder im Kriege erbeutete. Kostbare
  • Musketen hängen von den Wänden herab, Säbel, Feuergewehr und Lanzen;
  • freiwillig oder mit Gewalt nahm man sie aus Tatarenhänden oder von
  • Türken und Polen, und darum haben sie auch so viele Scharten. Ihr
  • Anblick gemahnte Pan Danilo gar oft wie Merkzeichen an seine vielen
  • Gefechte. An den Wänden ziehen sich glatte, gehobelte Eichenbänke hin
  • und daneben, vor der Ofenbank, hängt die Wiege an ein paar Stricken, die
  • man durch einen Ring an der Zimmerdecke oben gezogen hat. In der ganzen
  • Stube ist der Fußboden glatt gestampft und mit Lehm überstrichen. Auf
  • den Bänken schläft Pan Danilo mit seiner Frau, auf der Ofenbank die alte
  • Dienerin; in der Wiege spielt und schaukelt das kleine Kind, und auf dem
  • Fußboden schlafen die Burschen. Doch ist's dem Kosaken lieber, auf
  • nackter Erde unter dem freien Himmel zu schlafen, da braucht er weder
  • Kissen noch Federbett: er bettet sich frisches Heu unter den Kopf und
  • streckt sich wohlig hin aufs Gras. Dann freut's ihn wohl, wenn er mitten
  • in der Nacht erwacht, nach dem hohen, von Sternen besäten Himmel zu
  • sehen, und in der nächtlichen Kälte, die doch den Kosakenknochen soviel
  • Frische verleiht, zu erschauern; er dehnt sich, murmelt schlaftrunken
  • etwas, steckt seine Pfeife an und hüllt sich fester in seinen warmen
  • Pelz.
  • Es war nicht mehr ganz früh, als Burulbasch nach dem gestrigen Fest
  • erwachte; er setzte sich auf eine Bank in der Ecke und begann seinen neu
  • eingetauschten türkischen Säbel zu schleifen, Pani Katerina aber machte
  • sich dran, ein seidenes Tuch mit Gold zu besticken.
  • Auf einmal trat Katerinas Vater ein, griesgrämig und mürrisch, mit einer
  • fremdländischen Pfeife zwischen den Zähnen. Er ging auf seine Tochter zu
  • und begann streng sie auszuforschen, was wohl der Grund sei, daß sie so
  • spät nach Hause gekommen.
  • »Nach solcherlei Dingen hast du, Schwäher, nicht sie zu befragen,
  • sondern mich! Nicht der Frau steht die Antwort zu, sondern dem Manne. So
  • ist es nun einmal Sitte bei uns, nehmt es nicht übel!« sprach Danilo,
  • ohne von seiner Arbeit zu lassen, »vielleicht ist es in manchen Ländern,
  • wo Ungläubige wohnen, anders -- das freilich weiß ich nicht!«
  • Das rauhe Gesicht des Schwiegervaters verfärbte sich, und seine Augen
  • blitzten wild auf. »Wer hat denn sonst nach seiner Tochter zu sehen wenn
  • nicht der Vater!« murmelte er vor sich hin. »Nun denn, so frage ich
  • dich: wo bist du herumgestrichen bis spät in die Nacht?«
  • »Das hört sich schon anders an, lieber Schwäher. Darauf will ich dir
  • antworten, daß ich schon lange nicht mehr zu denen gehöre, die von einem
  • Weib in Windeln gewickelt werden. Ich weiß wohl, hoch zu Pferde zu
  • sitzen und in der Hand den scharfen Säbel zu schwingen; auch manches
  • andere noch versteh' ich ... Ich versteh es auch, niemandem Rechenschaft
  • zu geben über das, was ich treibe!«
  • »Ich seh' es, Danilo, ich weiß, du suchst Hader! Wer Heimliches tut, der
  • führt sicher nichts Gutes im Schilde.«
  • »Denk doch, was dir beliebt,« sagte Danilo, »auch ich denke das Meine.
  • Noch war ich nie in einen schändlichen Handel verwickelt, stets stand
  • ich für rechten Glauben und das Vaterland ein, nicht so wie mancher
  • Landstreicher, der sich, Gott weiß wo, umhertreibt, wenn rechtgläubige
  • Leute sich bis aufs Blut schlagen müssen; der will dann das Korn ernten,
  • das nie er gesät. Die gleichen nicht einmal den Unierten: nicht einmal
  • in Gottes Kirchen schauen sie hinein. Diese Leute sollte man befragen,
  • wo sie sich umhertreiben!«
  • »Holla, weißt du wohl, Kosak!« rief jener .... »Ich schieße ja nicht
  • gut, höchstens bis auf hundert Klafter trifft meine Kugel ins Herz, auch
  • bin ich kein allzu starker Fechter: die Stücke, in die ich die Menschen
  • schlage, sind kleiner als die Körner, draus man Brei kocht!«
  • »Ich bin bereit,« rief Pan Danilo und schlug flink mit dem Schwert ein
  • Kreuz in der Luft, als hätt' er gewußt, wozu er's geschliffen.
  • »Danilo!« schrie Katerina laut, ergriff ihn beim Arm und hing sich an
  • ihn, »du Wahnwitziger, bedenke doch, gegen wen du den Arm erhebst!
  • Vater, dein Haar ist so weiß wie Schnee, und doch erhitzest du dich wie
  • ein törichter Knabe!«
  • »Weib!« rief Danilo streng, »du weißt, das leide ich nicht, bleibe bei
  • deinen Weibergeschäften!«
  • Furchtbar erklirrten die Säbel; Eisen schlug Eisen, und die Kosaken
  • wurden von Funken besprüht wie von Staub. Weinend lief Katerina in eine
  • gesonderte Kammer, warf sich aufs Bett und hielt sich die Ohren zu, um
  • nichts von den Säbelhieben zu hören.
  • Doch so schlecht kämpften die Kosaken nicht, daß man ihren Hieb
  • überhören konnte. Das Herz wollte ihr springen, sie hört' es in ihrem
  • ganzen Leibe erzittern bei den klirrenden Lauten: Klick -- klack!
  • »Nein, ich halt es nicht aus, ich halt's nicht aus ... vielleicht
  • sprudelt schon purpurnes Blut aus dem weißen Leibe, vielleicht hat
  • meinen Liebsten schon seine Kraft verlassen, und ich liege noch hier!«
  • Und bleich, und kaum atmend schlich sie in die Stube.
  • Gleichmäßig und furchtbar schlugen sich die Kosaken, nicht der, noch
  • jener hatte einen Vorteil errungen. Bald drang Katerinas Vater vor und
  • Pan Danilo wich zurück oder Pan Danilo griff an, und der Vater wehrte
  • sich finster, und dann standen beide wieder gleich. Die Wut kocht in
  • ihnen. Sie holten aus .... hui! wie die Säbel schmettern .... und tosend
  • fliegen die Klingen zur Seite.
  • »Ich danke dir, Gott!« rief Katerina, doch tat sie gleich einen neuen
  • Schrei, als sie sah, wie die Kosaken nach den Musketen griffen; sie
  • richteten die Feuersteine und spannten die Hähne.
  • Pan Danilo feuerte ab und traf nicht. Jetzt zielte der Vater. Er war
  • alt, er sah nicht so scharf wie ein Junger und doch zittert ihm die Hand
  • nicht. Da krachte der Schuß ..... Pan Danilo wankte, und rot lief sein
  • helles Blut in den linken Ärmel des Kosakenschupans.
  • »Nein!« rief er, »so billig verkauf ich mich nicht! Nicht der linke Arm
  • ist der Herr, 's ist der rechte! Bei mir an der Wand hängt eine
  • türkische Pistole: noch nie in meinem Leben ist sie mir untreu geworden.
  • Komm von der Wand herab, alter Genosse! Erweis dem Freund deinen
  • Dienst!« Und Danilo streckte die Hand aus.
  • »Danilo!« schrie Katerina verzweifelt, packte ihn am Arm und warf sich
  • vor ihm auf die Knie, »nicht meinetwegen fleh ich dich an. Dein Ende ist
  • auch das meine: unwürdig ist die Frau, die ihren Mann überlebt; der
  • Dnjepr, der kalte Dnjepr wird mein Grab sein .. Aber siehe deinen Sohn
  • an, Danilo, sieh deinen Sohn! Wer wird das arme Kind beschirmen? Wer
  • wird es hätscheln? Wer wird es lehren, auf rabenschwarzem Rosse
  • dahinzufliegen, für Freiheit und Glauben zu kämpfen, nach Kosakenart zu
  • trinken und zechen? Mein Sohn, geh dahin und verdirb! Dein eigner Vater
  • will dich nicht mehr kennen! Schau, wie er sein Gesicht von dir
  • abwendet. Oh, jetzt kenn ich dich erst! Du bist ein Tier und kein
  • Mensch! Du hast das Herz eines Wolfs und den Sinn einer listigen
  • Schlange! Glaubt' ich denn nicht, du hegest ein Tröpflein Erbarmen in
  • deinem Herzen, und in deinem steinernen Leibe brenne ein menschlich
  • Gefühl? Wie töricht täuschte ich mich. Ja, das bereitet dir Freude.
  • Deine Knochen werden im Grabe vor Freude springen, wenn sie vernehmen,
  • wie diese ungläubigen Tiere, die Polen, deinen Sohn in die Flamme
  • werfen, wenn dein Sohn dann unter dem Messer und im siedenden Wasser
  • liegt und schreit! Oh, ich kenne dich! Froh wärest du wahrlich,
  • aufzustehn aus dem Grabe und das Feuer mit der Mütze zu schüren, das
  • unter ihm lodert!«
  • »Halt, Katerina! Komm her zu mir, lieber Iwan, ich will dich küssen!
  • Nein, mein Kind, niemand soll dir ein Härchen krümmen. Du wirst
  • aufwachsen zum Ruhm deines Vaterlands, wie im Sturm rasest du dereinst
  • vor den Kosaken dahin, mit einer Sammetmütze auf dem Kopfe und mit dem
  • scharfen Schwert in der Hand! Vater, reich mir die Hand! Wir wollen
  • vergessen, was zwischen uns vorfiel. Hab' ich dir Unrecht getan, nun so
  • gesteh' ich meine Schuld ein. Warum gibst du mir nicht deine Hand?«
  • sprach Danilo zu Katerinas Vater, der immer noch auf seinem alten Platze
  • dastand und dessen Gesicht weder von Zorn noch von Versöhnung sprach.
  • »Vater!« rief Katerina, umarmte und küßte ihn, »laß dich erbitten.
  • Vergib Danilo, er wird dich nimmermehr kränken!«
  • »Nur deinetwegen vergebe ich ihm, meine Tochter,« erwiderte jener, küßte
  • sie und seine Augen glänzten absonderlich auf.
  • Katerina schrak leise zusammen: so seltsam erschien ihr der Kuß, so
  • seltsam der Glanz seiner Augen. Sie stützte sich mit der Hand auf den
  • Tisch, auf dem Pan Danilo seinen verwundeten Arm verband. Indessen sann
  • Danilo darüber nach, daß er falsch gehandelt, und nicht nach rechter
  • Kosakenart, als er um Vergebung gebeten, obwohl er sich keiner Schuld
  • bewußt war.
  • IV.
  • Ein Tag kam herauf, doch ein Tag ohne Sonne: der Himmel war finster, und
  • ein feiner Regen rieselte über die Felder und Wälder und über den
  • breiten Dnjepr hernieder. Pani Katerina war aufgewacht, aber ihr war
  • nicht recht froh zumute: ihre Augen waren verweint, und sie war wirr und
  • ruhelos. »Geliebter Mann, teurer Mann,« sprach sie, »ich hab' einen
  • wunderlichen Traum geträumt!«
  • »Was für einen Traum, meine liebe Pani Katerina?«
  • »Mir träumte etwas so Wunderliches, und wahrlich so lebensvoll, als ob
  • ich wachte, mir träumte, mein eigner Vater sei jenes selbe Ungeheuer,
  • das wir beim Jessaul geschaut. Doch ich bitt' dich, trau' dem Traume
  • nicht: was träumt man nicht alles für Torheit! Mir war's, als stände ich
  • vor ihm und zitterte, und bei jedem Wort von ihm stöhnte es auf in
  • meinen Adern. O hättest du gehört, was er gesprochen ....«
  • »Was sprach er denn, meine goldene Katerina?«
  • »Er sprach: »Schau mich an, Katerina, ich bin schön! Zu Unrecht sagen
  • die Leute, daß häßlich ich sei. Doch werde ich dir ein trefflicher Mann
  • sein. Sieh, wie mein Auge glüht!« -- Da warf er einen flammenden Blick
  • auf mich, und ich schrie auf und erwachte!«
  • »Ja, vieles Wahre sagen die Träume. Ist es dir auch bekannt, daß hinter
  • den Bergen nicht alles mehr ruhig ist? Die Polen sollen sich wieder
  • gezeigt haben. Gorobetz ließ mir verkünden, ich solle nicht schlafen;
  • doch seine Sorge ist grundlos: auch ohne dies bin ich kein Schläfer.
  • Meine Burschen schlugen heut Nacht zwölf Schanzen auf. Wir wollen den
  • Herren vom Polenreich mit Bleipflaumen aufwarten, und die Schlachzizen
  • sollen unter der Zuchtrute tanzen lernen!«
  • »Und weiß mein Vater das?«
  • »Dein Vater sitzt mir auf dem Halse! Er blieb mir ein Rätsel bis zur
  • Stunde. Er hat wohl viel gesündigt im fremden Lande. Wahrlich, was mag
  • das für einen Sinn haben -- schon einen Monat fast lebt er hier, und
  • noch nie war er lustig und froh, wie ein rechter Kosak! Er weigert sich,
  • Meth zu trinken! Hörst, Katerina, weigert sich Meth zu trinken, den ich
  • herausgesackt habe von den Brester Juden! Heda, Bursche!« rief Pan
  • Danilo, »lauf schnell in den Keller, Junge, und hol mir Judenmeth! Auch
  • trinkt er keinen Schnaps! Hölle und Teufel! mir scheint fast, Pani
  • Katerina, er glaubt wohl auch nicht an Christus, unseren Herrgott! Was
  • dünkt dir?«
  • »Weiß Gott, was alles du sprichst, Pan Danilo!«
  • »'S ist wunderlich, Pani,« fuhr Danilo fort und nahm den Tonkrug aus der
  • Hand des Kosaken entgegen. »Selbst die Katholiken im heidnischen Rom
  • sind Freunde des Schnapses. Nur die Türken trinken ihn nicht. Nun,
  • Stetzko, hast du im Keller tüchtig vom Meth geschluckt?«
  • »Ich habe nur gekostet, Pan!«
  • »Du lügst, Hundesohn! Sieh nur, wie sich die Fliegen auf deinen
  • Schnurrbart stürzen! Ich seh's an deinen Augen, daß du einen halben
  • Kübel ausgesoffen hast. Hei, ihr Kosaken! Was für ein tolles Volk seid
  • ihr doch! Ihr seid bereit, alles dem Freunde hinzugeben, doch wenn's
  • gilt zu saufen, dann schluckt ihr's selbst herunter. Ich war schon lange
  • nicht mehr betrunken, wie, Katerina?«
  • »Ei, warum lange! Erst am letzten .....«
  • »Fürchte dich nicht, fürchte dich nicht! Ich trink nicht mehr, als einen
  • Krug! Da kommt der türkische Abt durch die Tür geschlichen!« murmelte er
  • durch die Zähne, als er den Schwiegervater erblickte, der sich bückte,
  • um durch die Tür zu kommen.
  • »Nun, meine Tochter,« sagte der Vater, nahm die Mütze vom Kopf und
  • ordnete seinen Gürtel, an dem ein Säbel mit wundersamem Gestein hing,
  • »die Sonne steht schon hoch, und noch ist das Mittagsmahl nicht
  • bereitet.«
  • »Das Mahl ist bereit, Herr Vater, bald wird es gerichtet sein! Nimm den
  • Topf mit den Klößen vom Feuer!« fuhr Pani Katerina zu der alten Dienerin
  • gewandt fort, die das Holzgerät abwischte. »Nein, warte, ich tu' es
  • lieber selbst, ruf mir die Burschen!«
  • Alle ließen sich im Kreis auf die Erde nieder, der Vater gegenüber dem
  • Heiligenbild, ihm zur Linken Pan Danilo, ihm zur Rechten Pani Katerina
  • und zehn der allertreuesten Burschen in blauen und gelben Schupans.
  • »Ich mag diese Klöße nicht!« sprach der Herr Vater; er aß nur wenig und
  • legte den Löffel hin, »sie schmecken nach nichts!«
  • »Ich weiß, besser schmecken dir Judennudeln!« dachte Danilo bei sich.
  • »Warum, meinst du, die Klöße schmeckten nach nichts, Herr Schwäher?«
  • fuhr er laut fort. »Oder sind sie vielleicht schlecht bereitet? Meine
  • Katerina macht so gute Klöße, wie sie selbst der Hetman selten zu essen
  • bekommt. So was verschmäht man nicht: 's ist ein christlich Gericht!
  • Alle heiligen und gottesfürchtigen Männer haben stets Klöße gegessen!«
  • Der Vater sagte kein Wort, und auch Pan Danilo verstummte. Hierauf wurde
  • ein gebratener Eber mit Kohl und Pflaumen gebracht. »Ich mag das
  • Schweinefleisch nicht!« sprach Katerinas Vater und steckte den Löffel in
  • den Kohl.
  • »Wie kann man Schweinefleisch verschmähen?« sagte Danilo: »nur Türken
  • und Juden essen kein Schweinefleisch.«
  • Des Vaters Stimmung wurde noch finsterer und düsterer; nichts als
  • Mehlbrei mit Milch aß der Alte, und statt des Schnapses trank er nur
  • dann und wann eine dunkle Flüssigkeit aus einer Flasche, die er im Busen
  • verwahrt hielt.
  • Nach dem Mahl legte sich Danilo zu einem kräftigen Schläfchen nieder und
  • wachte erst gegen Abend auf. Er setzte sich hin, Sendbriefe zu schreiben
  • an das Heer der Kosaken. Pani Katerina aber saß währenddessen auf der
  • Ofenbank und schaukelte die Wiege mit ihrem Fuße. Pan Danilo sitzt da,
  • blickt mit dem linken Aug' auf die Schrift und mit dem rechten nach dem
  • Fenster. Und ins Fenster leuchten die Berge und glänzt der Dnjepr von
  • ferne herein; hinter dem Dnjepr blauen die Wälder, und von oben glimmt
  • der geklärte Himmel der Nacht. Doch nicht auf dem fernen Himmel noch auf
  • dem blauen Walde ruht Danilos Blick; er schaut nach der vorspringenden
  • Landzunge. Schwarz erhebt sich darauf das alte Schloß. Ihn deuchte, es
  • blitzte im Schlosse ein schmales Fensterchen auf. Doch alles blieb
  • still; gewiß hatte es ihm nur so geschienen. Unten hörte man nur den
  • Dnjepr dumpf rauschen und von drei Seiten das Tosen der jäh erwachten
  • Wogen herüber hallen. Nicht Aufruhr war's oder Empörung: der Dnjepr
  • murrte und grollte wie ein Greis; nichts wollte ihm gefallen, denn alles
  • um ihn herum war verändert; er führte einen heimlichen Krieg mit den
  • Bergen, den Wäldern und den Wiesen am Ufer und Klage trägt er ob ihrer
  • zum Schwarzen Meere hin.
  • Da erschien plötzlich ein Kahn wie ein schwarzer Fleck auf dem breiten
  • Spiegel des Dnjepr, und im Schlosse flammte es von neuem auf. Leise
  • pfiff Danilo, und auf den Pfiff lief der treue Bursche herzu: »Nimm
  • schnell den scharfen Säbel und das Gewehr, Stetzko, und folge mir!«
  • »Du gehst?« fragte Pani Katerina.
  • »Ja, Frau, ich gehe. Ich muß überall hingehen, zu sehen, ob alles in
  • Ordnung ist.«
  • »Ich fürchte mich so, allein zu bleiben. Der Schlaf kommt über mich.
  • Wie, wenn ich heute wieder dasselbe träumte? Ich bin nicht gewiß, ob es
  • auch wirklich nur ein Traum war, -- so lebendig stand alles vor mir!«
  • »Die Alte bleibt bei dir, und auf der Diele und im Hof schlafen die
  • Kosaken!«
  • »Die Alte schläft auch schon, und auf die Kosaken vertrau ich nicht
  • sehr. Hör, Pan Danilo: Schließ mich im Zimmer ein und nimm den Schlüssel
  • mit dir. Dann ist mir nicht so schrecklich zumute, und die Kosaken laß
  • vor der Tür schlafen.«
  • »Sei's denn so,« sagte Danilo, wischte den Staub von der Flinte und
  • schüttete Pulver auf.
  • Der treue Stetzko stand schon angekleidet da in seiner ganzen
  • Kosakenausrüstung. Danilo setzte die Lammfellmütze auf, machte das
  • Fenster zu, schob den Riegel vor die Tür, schloß sie ab und ging
  • zwischen den schlafenden Kosaken hindurch auf den Hof und in die Berge
  • hinaus.
  • Der Himmel war jetzt schon fast völlig klar. Ein frischer Wind wehte
  • leise vom Dnjepr herüber. Und hätte man nicht von ferne den Schrei einer
  • Möwe gehört, so wäre alles tot und starr erschienen. Doch jetzt vernahm
  • man ein Rascheln ..... Burulbasch versteckte sich leise mit seinem
  • treuen Diener hinter dem Gestrüpp, das einen Verhau verdeckte. Vom Berge
  • kam jemand herabgeschritten, mit zwei Pistolen im roten Schupan, und an
  • der Seite den Säbel. -- »Das ist der Schwäher!« sagte Pan Danilo,
  • während er ihn hinterm Busch beschaute. »Wohin nur geht er zu dieser
  • Stunde und wozu? -- Gähne nicht, Stetzko, und gib acht, welchen Weg der
  • Herr Vater einschlägt!« Der Mann im roten Schupan schritt zum Ufer
  • hinab, machte eine Wendung und ging auf die Landzunge zu: »Ah, dahin
  • geht's also!« sprach Pan Danilo. »Wie, Stetzko, ist er nicht geradeswegs
  • in die Höhle des Zaubrers geschlichen?«
  • »Ja, sicher an keinen anderen Ort, Pan Danilo, sonst würden wir ihn auf
  • jener Seite sehen, aber er ist vor dem Schlosse verschwunden.«
  • »Halt, kriechen wir aus dem Verhau und gehen wir seinen Spuren nach.
  • Dahinter steckt etwas. Nein, Katerina, hab's dir wohl gleich gesagt, daß
  • dein Vater kein guter Mensch sei; sein Tun ist nicht das eines
  • Rechtgläubigen!«
  • Schon standen Pan Danilo und sein getreuer Bursch auf der Landzunge.
  • Schon waren sie nicht mehr zu sehen, denn der dichte Wald, der das
  • Schloß rings umgab, ließ nichts von ihnen gewahr werden. In der Höhe
  • leuchtete schwach ein Fensterchen auf. Unten standen die Kosaken und
  • trachteten hineinzukommen: doch waren weder Tor noch Tür zu sehen; vom
  • Hof aus gab's sicher einen Zugang, aber wie sollte man dort hingelangen?
  • Von ferne hörte man Ketten rasseln und Hunde herumlaufen.
  • »Was grüble ich noch lange!« sprach Pan Danilo, als er eine hohe Eiche
  • vor dem Fenster erblickte. »Bleib hier, mein Junge! Ich steig' auf die
  • Eiche: von hier aus kann ich gerad ins Fenster schauen.«
  • Da nahm er seinen Gürtel ab, legte den Säbel nieder, damit er nicht
  • klirrte, griff in die Zweige und schwang sich hinauf. Das Fenster war
  • immer noch hell. Dicht davor klammerte er sich mit einer Hand, auf einem
  • Aste zusammengekauert, am Baum fest, und was sah er? Im Zimmer brannte
  • kein Licht, doch es leuchtete ganz. Die Wände waren mit wunderlichen
  • Zeichen bedeckt und mit Waffen behängt; doch war es höchst seltsames
  • Gewaffen: solches tragen weder die Türken noch die Bewohner der Krim,
  • weder Polen noch Christen, noch das wackere Schwedenvolk. Unter der
  • Decke flogen Fledermäuse hin und her, und ihr Schatten huschte über die
  • Wände, die Türen und die Diele. Doch da öffnete sich ganz leise und ohne
  • zu knarren die Tür. Ein Mann im roten Schupan trat herein und ging
  • geradewegs auf den Tisch zu, der mit einem weißen Tuche bedeckt war. »Er
  • ist's! Es ist der Schwiegervater!« Pan Danilo kauerte sich noch mehr
  • zusammen und drückte sich noch fester an den Baumstamm.
  • Doch der Schwiegervater hatte nicht Zeit darnach zu sehen, ob ihm jemand
  • ins Fenster guckte oder nicht. Finster trat er herein und zornig riß er
  • die Decke vom Tisch herab -- und plötzlich ergoß sich fast unmerklich
  • ein blau durchsichtiges Licht übers Zimmer, und nur die Wellen des alten
  • bleichgoldigen Lichtes, die sich noch nicht mit dem neuen vermischt
  • hatten, fluteten auf und ab wie ein azurenes Meer und zogen sich, wie
  • ein buntscheinendes Aderngeflecht im Marmor, durch die Luft. Da stellte
  • er einen Topf auf den Tisch und begann Kräuter hineinzuwerfen.
  • Pan Danilo sah genauer hin, doch jetzt gewahrte er schon den roten
  • Schupan nicht mehr; statt dessen hatte jener weite Pluderhosen an, wie
  • sie die Türken tragen, in seinem Gürtel steckten Pistolen, und auf dem
  • Kopfe hatte er eine wunderliche Mütze, ganz mit Zeichen bemalt, die aber
  • weder dem russischen, noch dem polnischen Alphabet angehörten. Er sah
  • ihm ins Antlitz -- und auch das Gesicht begann sich zu verwandeln: die
  • Nase fing an sich zu dehnen und hing ihm bald über die Lippe herüber;
  • der Mund breitete sich bis an die Ohren, ein Hauer kroch aus ihm hervor
  • und bog sich zur Seite -- vor ihm stand derselbe Zauberer, der einst
  • beim Jessaul auf der Hochzeit erschienen war. »Dein Traum ist wahr,
  • Katerina!« dachte Burulbasch.
  • Der Zauberer fing an, den Tisch schneller zu umkreisen, die Zeichen an
  • der Wand begannen sich rascher zu ändern und Fledermäuse flatterten
  • wilder herauf und herab, hin und her. Das blaue Licht ward milder und
  • milder und schien ganz zu verlöschen. Und schon hellte die Kammer sich
  • auf von sanft rosigem Licht. Wie ein zarter Klang, so floß das
  • wundersame Licht in alle Winkel, doch plötzlich schwand es dahin, und es
  • wurde ganz dunkel. Nur ein Geräusch war noch zu hören, wie wenn zur
  • stillen Abendstunde der Wind kreisend auf dem Wasserspiegel spielt und
  • die Silberweiden noch tiefer zum Wasser biegt. Und Pan Danilo ist's, als
  • ob im Gemach ein Mond aufglänzte, Sterne auf und ab wandelten und ein
  • dunkelblauer Himmel darüber aufleuchtete, ja sogar die Kühle der
  • Nachtluft hauchte ihm ins Gesicht. Dann aber ist's Pan Danilo plötzlich
  • so (er zupfte sich gar am Schnurrbart, ob er nicht schliefe), als breite
  • sich im Gemach schon kein Himmel mehr aus, sondern als sei dies seine
  • eigene Schlafkammer: an den Wänden hängen seine Säbel von Tataren und
  • Türken; längs der Wände Bretter mit allerhand Geschirr und Hausgeräten;
  • auf dem Tische Brot und Salz, und dort hängt die Wiege. Doch statt der
  • Heiligen blickten schreckliche Larven aus den Bilderrahmen hervor, und
  • auf der Ofenbank ..... aber nun sank ein Nebel hernieder und legte sich
  • auf alles, und es wurde wieder dunkel. Und wieder erfüllt sich der Raum
  • in wunderbarem Klingen mit rosigem Lichte und wieder steht der Zauberer
  • regungslos da in seinem sonderbaren Turban. Die Klänge werden immer
  • stärker und tiefer, das sanfte Rosenlicht wird immer heller, und etwas
  • wie eine weiße Wolke strich durch das Zimmer. Und es kam Pan Danilo so
  • vor, als sei die Wolke keine Wolke, sondern eine Frau; doch was war das,
  • war sie gar aus Luft gewebt? Wie stand sie denn da, ohne die Erde zu
  • berühren? Sie stützte sich auf nichts, und das rosige Licht und die
  • Zeichen an der Wand schimmerten durch sie hindurch. Doch jetzt bewegte
  • sie den durchsichtigen Kopf: die blaßblauen Augen leuchteten still auf,
  • das Haar fiel ihr kraus wie ein fahlgrauer Nebel über die Schultern, ein
  • blasses Rot färbte ihre Lippen, wie wenn in der Frühe das junge
  • Morgenrot kümmerlich durch den bleichen durchsichtigen Himmel
  • hindurchschimmert, ganz wie ein schwacher Schatten leuchteten ihre
  • Brauen. »Ah! es ist Katerina.« Und Danilo fühlte, wie ihm die Glieder
  • erstarrten; er wollte sprechen, doch seine Lippen bewegten sich lautlos.
  • Der Zauberer stand regungslos auf seinem Platze. »Wo bist du gewesen?«
  • fragte er, und sie, die vor ihm stand, erschauerte.
  • »Oh, warum hast du mich gerufen?« stöhnte sie leise. »Ich war so froh.
  • Ich befand mich an jenem Ort, wo ich geboren ward, und ich lebte
  • fünfzehn Jahre lang dort. O, wie herrlich ist's da! Wie grün und duftig
  • ist diese Wiese, auf der ich in meiner Kindheit spielte! Auch die
  • Feldblümelein sind noch dieselben, und das Haus und der Garten auch! Wie
  • zärtlich umarmte mich die gute Mutter! Wieviel Liebe ist in ihren Augen!
  • Sie hat mich geherzt und auf Wange und Mund geküßt und meine blonden
  • Flechten mit dem dichten Kamme gekämmt. Vater!« Sie heftete ihre
  • bleichen Augen auf den Zauberer. »Warum hast du meine Mutter ermordet?«
  • Der Zauberer drohte zornig mit dem Finger. »Hab' ich verlangt, du
  • sollest davon sprechen?« Und die aus Luft gewobene Schöne erbebte.
  • »Wo ist deine Herrin jetzt?«
  • »Meine Herrin, Pani Katerina, ist jetzt eingeschlafen. Ich freute mich
  • des, flatterte empor und flog von hinnen. Ich wollte meine Mutter schon
  • lang wieder sehen. Auf einmal war ich wieder fünfzehn Jahre alt und so
  • leicht wie ein Vogel. Warum hast du mich gerufen?«
  • »Denkst du noch an all das, was ich dir gestern gesagt?« fragte der
  • Zauberer so leise, daß man's kaum hören konnte.
  • »Gewiß denk' ich dran, gewiß. Aber was würd' ich darum geben, es zu
  • vergessen. Arme Katerina! Sie weiß gar manches von dem nicht, was ihre
  • Seele weiß.«
  • »Das ist die Seele Katerinas!« dachte Pan Danilo, aber er wagte es noch
  • immer nicht, sich zu bewegen.
  • »Tu Buße, Vater! Ist's dir denn nicht fürchterlich, wenn nach jedem
  • deiner Morde die Toten aus den Gräbern steigen?«
  • »Schon wieder die alten Reden!« unterbrach sie der Zauberer streng »Ich
  • setz' meinen Willen durch, ich werde dich zwingen, mir zu gehorchen.
  • Katerina wird mich lieben lernen!«
  • »Oh, ein Ungeheuer bist du, du bist nicht mein Vater!« stöhnte sie auf.
  • »Nein, nicht sei es so, wie du willst! Hast dir freilich mit unreinen
  • Zauberkünsten die Macht erworben, meine Seele heraufzubeschwören und sie
  • zu martern. Doch Gott allein kann sie zwingen, ihm den Willen zu tun.
  • Nein, nie wird Katerina, solange ich in ihr lebe, die gottverfluchte Tat
  • vollbringen. O, Vater! Das jüngste Gericht ist nahe! Und wärst du auch
  • nicht mein Vater, nie würdest du mich zwingen können, meinen treuen,
  • geliebten Gatten zu betrügen. Ja, wär' mir mein Gemahl auch nicht so
  • lieb und so treu, ich würd' ihn dennoch nie betrügen; denn Gott liebt
  • die meineidigen und treulosen Seelen nicht!«
  • Da heftete sie ihre bleichen Augen auf das Fenster, vor dem Pan Danilo
  • saß, und hielt starr inne ....
  • »Wohin blickst du? Was siehst du dort?« schrie der Zauberer auf.
  • Die luftgewobene Katerina erzitterte. Aber Pan Danilo war schon längst
  • wieder unten auf der Erde und zog mit seinem getreuen Stetzko in die
  • Berge.
  • »Furchtbar, furchtbar!« sprach er bei sich selber und Angst umfing sein
  • Kosakenherz.
  • Bald war er wieder auf seinem Hofe, wo die Kosaken noch immer fest
  • schliefen; nur der eine saß da, hielt Wache und rauchte sein Pfeifchen.
  • Der Himmel war ganz mit Sternen besät.
  • V.
  • »Wie gut tatest du, daß du mich wecktest!« sprach Katerina, und während
  • sie sich mit dem gestickten Ärmel ihres Hemdes die Augen rieb,
  • betrachtete sie ihren Mann, der vor ihr stand, vom Kopf bis zu Füßen.
  • »Welch schrecklichen Traum ich gehabt! Wie schwer atmete meine Brust!
  • Oh! .... mir war's als stürbe ich ....«
  • »Was war das für ein Traum? Vielleicht dieser?« und Burulbasch erzählte
  • seinem Weibe alles, was er geschaut.
  • »Wie konntest du das nur erfahren, mein Gemahl?« fragte Katerina
  • erstaunt. »Doch, nein. Gar vieles, was du erzählt hast, ward mit nicht
  • bekannt. Nein, mir hat nicht geträumt, der Vater habe meine Mutter
  • getötet; auch hab' ich keine Toten gesehen, ich habe nichts gesehen.
  • Nein, Danilo, es war ganz anders, wie du's erzählst. O, wie furchtbar
  • ist doch mein Vater!«
  • »Das ist fürwahr auch kein Wunder, daß du gar vieles davon nicht sahest!
  • Du weißt doch nicht den zehnten Teil von dem, was deine Seele weiß.
  • Weißt du -- dein Vater -- das ist der Antichrist! Erst im vorigen Jahr,
  • als ich mich mit den Polen zum Feldzug in die Krim aufmachte (damals
  • hielt ich's noch mit diesem Heidenvolk), da hat der Abt des
  • Bruderklosters zu mir gesagt (und das ist ein heiliger Mann, Weib!), der
  • Antichrist habe die Macht, jedes Menschen Seele zu beschwören; die
  • lustwandle dann nach eigenem Willen, wenn er einschläft, und fliege
  • zusammen mit den Erzengeln um Gottes Gemach herum. Schon auf den ersten
  • Blick wollt' mir deines Vaters Gesicht nicht recht gefallen. Hätt' ich
  • geahnt, daß du solch einen Vater hast, nie hätt' ich mich mit dir
  • vermählt; ich hätt' dich verlassen und der Seele nimmer die Sünde
  • aufgebürdet, mich der Sippe des Antichrist zu verschwägern.«
  • »Danilo!« rief Katerina, verbarg ihr Gesicht in den Händen und
  • schluchzte auf. »Hab' ich je eine Schuld gegen dich auf mich geladen?
  • Ward ich dir je untreu, geliebter Gemahl? Womit hab' ich deinen Zorn auf
  • mich gelenkt? Hab' ich dir nicht treu gedient? Hab' ich denn je ein
  • widriges Wort gesprochen, wenn du angezecht vom lustigen Schmaus
  • heimkamst? Gebar ich dir nicht einen schwarzbrauigen Sohn? ...«
  • »Weine nicht, Katerina, jetzt kenne ich dich, und ich werde dich nie
  • verlassen. Alle Sünden liegen bei deinem Vater!«
  • »Nein, nenne ihn nicht meinen Vater! Er ist nicht mein Vater! Gott ist
  • mein Zeuge, ich sage mich von ihm los! Er ist der Antichrist und ein
  • Gottesverächter! Mag er verderben, mag er ersaufen, nie biet' ich die
  • Hand ihm zur Rettung. Und wenn er dahinsiecht an einem todbringenden
  • Kraut, so will ich ihm kein Wasser zum Trinken reichen. _Du_ bist mir
  • mein Vater!«
  • VI.
  • In Pan Danilos tiefem Verließe sitzt der Zauberer in eiserne Ketten
  • geschmiedet; fern über dem Dnjepr brennt sein satanisches Schloß, und
  • blutrote Wellen gurgeln und lecken an den uralten Mauern empor. Nicht
  • wegen Hexerei, noch um gottwidrige Taten sitzt der Zauberer im tiefen
  • Verließ: die richtet nur Gott; um eines geheimen Verrates willen sitzt
  • er dort, und wegen seines Bundes mit den Feinden des rechtgläubigen
  • Russenlands -- den er mit den Römlingen eingegangen, um ihnen das
  • ukrainische Volk zu verschachern und die christlichen Kirchen
  • niederzubrennen. Gar finster und grimmig ist der Zauberer;
  • nachtschwarzes Sinnen zieht durch seinen Kopf; nur ein Tag noch bleibt
  • ihm zu leben, und morgen gilt's, Abschied zu nehmen von der Welt: morgen
  • erwartet ihn Tod. Kein leichter Tod wartet auf ihn: es ginge noch gnädig
  • ab, wenn er lebendig im Kessel gekocht oder wenn ihm die sündhafte Haut
  • abgezogen würde. Düster und grimmig ist der Zauberer, und er läßt den
  • Kopf hängen. Vielleicht geht er vor seiner Sterbestunde noch in sich;
  • doch sind seine Sünden nicht so, daß Gott ihm verzeihen könnte. Hoch
  • oben vor ihm ist ein schmales Fenster, das Eisenstäbe vergittern. Mit
  • seinen klirrenden Ketten hat er sich bis zum Fenster emporgehoben, um zu
  • schauen, ob seine Tochter nicht vorbeiginge. Sie ist mild wie ein
  • Täubchen und nicht rachesüchtig. Würde sie sich nicht des Vaters
  • erbarmen? ... Aber es war niemand da. Tief unten zieht der Weg sich hin,
  • aber niemand wandert auf ihm. Und tiefer noch zieht der Dnjepr vorbei;
  • aber der achtet auf niemand: er tost dahin, und schmerzlich ist's dem
  • Gefesselten, seinem dumpfen Rauschen zu lauschen.
  • Da erschien jemand auf dem Wege -- es war ein Kosak! Schwer seufzte der
  • Gefangene auf, und wieder ward alles tot und leer. Doch dort in der
  • Ferne kam jemand herab ...... Ein grüner Überwurf flatterte empor, ein
  • goldener Kopfschmuck glänzte auf dem Haupte. Das war _sie_! Noch enger
  • preßte er sich ans Fenster. Sie kam näher und immer näher ...
  • »Katerina! Meine Tochter, erbarme dich! Hab' Mitleid mit mir! .......«
  • Aber sie blieb stumm, sie wollte ihn nicht hören. Sie wendete nicht
  • einmal die Augen nach dem Gefängnis, und schon war sie vorbei und wieder
  • verschwunden. Leer wird die Welt, wehmütig rauscht der Dnjepr;
  • hoffnungslose Trauer und Wehmut umfängt das Herz; aber wußte wohl der
  • Zauberer, was Wehmut ist?
  • Der Tag ging zur Neige. Schon sank die Sonne hinab, schon ist sie nicht
  • mehr. Schon war es Abend. Kühl ward es, irgendwo brüllte ein Stier, von
  • irgendwo tönten verwehte Klänge herüber; sicherlich kamen jetzt die
  • Menschen von ihrer Arbeit, um auszuruhen und fröhlich zu sein: über den
  • Dnjepr glitt ein Kahn ...... aber wer kümmerte sich um den Gefangenen?
  • Die silberne Sichel leuchtet am Himmel auf; da schreitet jemand von der
  • anderen Seite den Weg empor; schwer war's, im Dunkeln zu erkennen, wer
  • das war: Es war Katerina, die jetzt zurückkehrte.
  • »In Christi Namen, Tochter! Selbst das grausame Junge des Wolfes
  • zerfleischt seine Mutter nicht! Tochter, so wirf doch nur einen Blick
  • auf deinen sündigen Vater!«
  • Aber sie hörte ihn nicht und ging weiter.
  • »Tochter, im Namen deiner unglücklichen Mutter ...« Sie blieb stehen.
  • »Komm und vernimm mein letztes Wort!«
  • »Wozu rufst du mich, Gottesverächter? Nenn' mich nicht Tochter! Zwischen
  • uns ist keine Verwandtschaft! Was willst du von mir im Namen meiner
  • unglücklichen Mutter?«
  • »Katerina, mein Ende ist nahe! Ich weiß, dein Mann gedenkt, mich an den
  • Schweif eines Rosses zu binden und übers Feld zu schleifen, oder
  • vielleicht erfindet er einen noch grauenvolleren Tod für mich ...«
  • »Gibt es denn auf der Welt einen Tod, der deinen Sünden gleichkommt?
  • Mach dich darauf gefaßt, für dich wird niemand bitten!«
  • »Katerina, mich schreckt nicht der Tod, mich schrecken die Qualen in
  • _jener_ Welt! ...... _Du_ bist frei von Schuld, Katerina: deine Seele
  • wird im Paradies in Gottes Nähe weilen, aber die Seele deines gottlosen
  • Vaters wird im ewigen Feuer brennen, und nimmer wird dieses Feuer
  • erlöschen, nur noch höher und höher wird es emporlodern. Kein Tautropfen
  • wird auf ihn herabfallen, und kein Wind wird ins Feuer hauchen.«
  • »Ich habe nicht die Macht, deine Strafe durch Gebet zu mindern!« sprach
  • Katerina und wandte sich ab.
  • »Katerina, warte, noch ein Wort: Du kannst meine Seele erretten. Du
  • weißt noch nicht, wie gut und gnädig Gott ist. Hast du je vom Apostel
  • Paulus gehört, der voller Sünden war und dann in sich ging -- und ein
  • Heiliger wurde?«
  • »Was kann ich tun, deine Seele zu retten?« sprach Katerina. »Sollte ich,
  • ein schwaches Weib, daran denken können?«
  • »Wenn es mir gelänge, von hier zu entfliehen, so würde ich mein ganzes
  • altes Leben aufgeben! Ich würde Buße tun, in die Wüste gehen, ein
  • härenes Hemd anlegen und Tag und Nacht beten! Ja, nicht einmal
  • Fastenkost und keinen Fisch soll mein Mund mehr berühren! Kein Gewand
  • breit' ich mir hin, wenn ich mich zum Schlaf niederlege! Und immer nur
  • werde ich beten und beten! Und wenn Gottes Gnade auch nicht den
  • hundertsten Teil meiner Sünden von mir nimmt, dann will ich mich bis an
  • den Hals in die Erde vergraben oder eine Wand von Stein um mich
  • aufmauern, nicht Speise noch Trank will ich mehr zu mir nehmen und
  • sterben, und all mein Hab und Gut will ich den Mönchen vermachen, auf
  • daß sie vierzig Tage und vierzig Nächte lang Seelenmessen für mich
  • lesen!«
  • Katerina sann nach. »Selbst wenn ich dir das Tor aufschlösse, ich kann
  • dir doch die Ketten nicht aufschmieden!«
  • »Die Ketten fürchte ich nicht. Du meinst wohl, sie hätten mir Hände und
  • Füße zusammengeschmiedet? O nein, ich senkte Nebel auf die Augen der
  • Menschen und hielt ihnen statt der Hände ein trockenes Holz hin. Schau,
  • hier bin ich: jetzt trag' ich keine Kette mehr!« sagte er und trat frei
  • in die Mitte des Raumes. »Ich hätte ja auch die Wände nimmer gefürchtet
  • und wäre hindurchgeschritten; aber dein Mann weiß nicht, was das hier
  • für Mauern sind: Ein heiliger Anachoret hat sie einst errichtet und
  • keine unreine Macht ist imstande, den Gefangenen zu befreien, ohne die
  • Zelle mit jenem Schlüssel aufzuschließen, mit dem der Heilige sie
  • verschloß. Solch eine Zelle will ich, schrecklichster aller Sünder, auch
  • mir erbauen, wenn ich nur frei bin!«
  • »Nun wohl, so höre: ich lass' dich hinaus, doch, wie wenn du mich
  • trügst,« sprach Katerina und blieb vor der Tür starr stehen. »Wenn du,
  • statt in dich zu gehen, wieder des Teufels Bruder wirst?«
  • »Nein, Katerina, ich hab' nicht mehr lange zu leben; auch ohne diese
  • Marter ist mein Ende nahe. Glaubst du denn, daß ich mich selbst zu
  • ewigen Qualen verurteilen will?«
  • Die Schlösser klirrten. »Leb' wohl, der barmherzige Gott behüte dich,
  • mein Kind!« sprach der Zauberer und küßte sie.
  • »Rühr mich nicht an, schrecklichster aller Sünder! Geh schnell von
  • hinnen!« rief Katerina.
  • Doch er war schon verschwunden.
  • »Ich hab' ihn befreit!« flüsterte sie und blickte voller Schrecken wie
  • irr auf die Mauern. »Was soll ich jetzt meinem Manne sagen? Ich bin
  • verloren! Ich kann mich nur noch lebendig ins Grab legen.« Und sie sank
  • schluchzend auf den Klotz, auf dem der Gefangene gesessen hatte. »Aber
  • ich habe eine Seele gerettet!« sagte sie leise. »Ich tat ein Gott
  • wohlgefälliges Werk. Jedoch mein Mann ...... Ich hab' ihn zum ersten
  • Male betrogen. O, wie furchtbar, wie schwer wird mir's werden, ihm die
  • Unwahrheit zu sagen! Da kommt jemand! O, _er_ ist es! es ist mein Mann!«
  • rief sie verzweifelt, und besinnungslos fiel sie zu Boden.
  • VII.
  • »Ich bin's, meine liebe Tochter, ich bin's, mein Herzchen!« hörte
  • Katerina jemand sagen, als sie wieder zu sich kam; sie sah ihre alte
  • Dienerin vor sich. Die Alte beugte sich über sie, schien ihr etwas
  • zuzuflüstern, und ihre vertrocknete Hand bespritzte sie mit kaltem
  • Wasser.
  • »Wo bin ich?« sagte Katerina, indem sie aufstand und um sich blickte.
  • »Vor mir rauscht der Dnjepr und hinter mir liegen die Berge ... Wohin
  • hast du mich geführt, Weib?«
  • »Ich hab' dich nicht weggeführt, sondern hinausgetragen; auf meinen
  • Armen trug ich dich aus dem dumpfen Gewölbe. Ich habe die Tür mit dem
  • Schlüsselchen zugeschlossen, damit dich Pan Danilo nicht findet und
  • bestraft!«
  • »Wo ist der Schlüssel?« sprach Katerina und blickte auf ihren Gürtel,
  • »ich seh' ihn nicht!«
  • »Dein Mann hat ihn abgebunden, um nach dem Zauberer zu sehen, mein
  • Kind!«
  • »Um nach ihm zu sehen? .... Weib, ich bin verloren!« rief Katerina.
  • »Davor mag Gott uns bewahren, mein Kind! Schweig du nur, liebe Herrin.
  • Niemand wird etwas erfahren!«
  • »Er ist entflohen, der verfluchte Antichrist! Hast du gehört, Katerina?
  • Er ist entflohen!« rief Pan Danilo, der auf seine Frau zutrat. Seine
  • Augen sprühten Feuer, und sein Säbel schüttelte sich klirrend an seiner
  • Seite. Sein Weib erstarrte.
  • »Es hat ihn wohl jemand befreit, lieber Mann?« sprach sie zitternd.
  • »Befreit! Du hast recht. Aber der Teufel hat ihn befreit. Schau hin!
  • Statt seiner liegt ein in Eisen geschmiedeter Klotz da. Gott hat's nun
  • einmal so eingerichtet, daß der Teufel sich nicht vor Kosakenfäusten
  • fürchtet! Wenn einer von meinen Kosaken auch nur von fern daran gedacht
  • haben sollte, und ich erfahre es ..... O, ich würde keine Strafe
  • ausdenken können, die schwer genug für ihn wäre!«
  • »Und wenn ich es wäre?« sprach Katerina unwillkürlich und hielt
  • erschrocken inne.
  • »Wenn du's getan hättest, so wärest du mein Weib nicht mehr! Ich würde
  • dich in einen Sack einnähen lassen und mitten im Dnjepr ertränken! ....«
  • Katerina stockte der Atem und ihr war, als lösten sich ihr die Haare vom
  • Haupte.
  • VIII.
  • In einer Schänke am Grenzwege sind die Polen versammelt und zechen schon
  • zwei Tage lang. Nicht wenig Gesindel sitzt da beisammen. Sie sind wohl
  • zusammengekommen, um einen Überfall auszuhecken! Manche von ihnen haben
  • Musketen, die Sporen klirren und die Säbel rasseln. Die polnischen
  • Herren sind lustig, schneiden auf und reden prahlerisch von unerhörten
  • Taten, sie spotten über den rechten Glauben, nennen das Volk der Ukraine
  • ihre »Knechte«, zwirbeln stolz den Schnurrbart in die Höhe, und mit
  • hochmütig zurückgeworfenen Köpfen recken sie sich auf den Bänken. Auch
  • ihr Priester ist bei ihnen; doch auch der ist vom selben Schlage wie
  • sie. Er gleicht nicht einmal dem Äußern nach einem christlichen
  • Priester, denn er schmaust und zecht mit ihnen, und seine unreine Zunge
  • führt unzüchtige Reden. Auch das Gesinde gibt ihnen in nichts nach: sie
  • haben die Ärmel der schäbigen Schupans aufgestreift und stolzieren so
  • aufrecht einher, als wären sie was Rechtes! Sie spielen und hauen
  • einander mit den Karten auf die Nasen. Dann haben sie fremde Weiber bei
  • sich und das gibt ein Geschrei und ein Raufen! ... Die polnischen Herren
  • toben nur so und treiben Schabernack mit den Leuten; sie packen einen
  • Juden am Bart, malen ihm ein Kreuz auf seine gottlose Stirn, schießen
  • mit blind geladenen Pistolen nach dem Weibsvolk und tanzen einen
  • Krakowiak mit ihrem schändlichen Priester. Gab's doch nicht einmal von
  • den Tataren solch Ärgernis im russischen Lande: Gott hat es ihm wohl
  • beschieden, solche Schmach für seine Sünden zu erdulden. Und mitten in
  • diesem Sodom hört man sie vom Gutshof des Pan Danilo am Dnjepr und von
  • seinem schönen Weibe sprechen ..... Wahrlich, nichts Gutes sinnt die
  • Rotte, die hier versammelt ist!
  • IX.
  • Pan Danilo sitzt in seiner Stube am Tisch, das Haupt auf den Ellenbogen
  • gestützt, und sinnt nach. Auf der Ofenbank aber sitzt Pani Katerina und
  • singt ein Lied.
  • »Mir ist so traurig zumute, Weib!« spricht Pan Danilo, »der Kopf tut mir
  • weh und das Herze auch. Es lastet etwas auf mir! Mein Tod ist wohl nicht
  • mehr fern.«
  • »O, mein herzliebster Gemahl, neig deinen Kopf zu mir her! Warum hegst
  • du so schwarze Gedanken in deiner Brust?« dachte Katerina, wagte es aber
  • nicht auszusprechen. Ihr, der Schuldbewußten, wurde es schwer, des
  • Mannes Liebkosungen entgegenzunehmen.
  • »Hör, liebes Weib!« sagte Danilo, »verlaß meinen Sohn nicht, wenn ich
  • einst tot bin! Gott wird kein Glück auf dich herabsenden, weder in
  • dieser, noch in jener Welt, wenn du ihn von dir stößt. Schwer würde es
  • meinen Knochen werden, in der feuchten Erde zu verfaulen, und noch
  • trauriger wär' meine Seele!«
  • »Was sprichst du, mein Gemahl? Warst du es nicht, der uns schwache
  • Frauen einst auslachte? Und jetzt redest du selbst wie ein schwaches
  • Weib. Du wirst noch lange leben!«
  • »Nein, Katerina, meine Seele ahnt schon den nahen Tod. Es wird so
  • traurig in der Welt und schlimme Zeiten brechen an. Oh! ich besinne mich
  • wohl auf die vergangenen Jahre; die kehren wohl nimmer wieder! Damals
  • war noch der alte Konaschewitsch am Leben, der Ruhm und die Ehr' unseres
  • Heeres! Und all die Kosakenregimenter ziehen wieder an meinen Augen
  • vorüber. Ja, es war eine goldene Zeit, Katerina! Der alte Hetman saß auf
  • seinem Rappen und in seiner Hand glänzte der Hetmansstab; rings um ihn
  • standen die Führer, und auf den Seiten wogte das rote Meer der
  • Saporoger. Und wenn der Hetman zu sprechen begann, dann stand alles da
  • wie erstarrt. Der Alte weinte, als er der früheren Taten und Gefechte
  • gedachte. Ach, wenn du wüßtest, Katerina, wie wir damals uns mit den
  • Türken schlugen: Noch heute sieht man die Narbe auf meinem Haupte. Vier
  • Kugeln durchbohrten mich an vier Stellen, und keine der Wunden ist je
  • vollständig geheilt. O, wieviel Gold wir damals erbeuteten, und die
  • Edelsteine schöpften die Kosaken wie Wasser mit ihren Mützen. Und was
  • für Pferde, wenn du wüßtest, was für Pferde wir damals raubten,
  • Katerina! Nein, solche Kriege erleb' ich nie wieder! Noch bin ich ja
  • nicht alt, ich bin noch rüstig, doch das Kosakenschwert entsinkt meiner
  • Hand, ich lebe tatenlos dahin und weiß selbst nicht, wozu ich lebe. In
  • der Ukraine herrscht keine Ordnung mehr: die Feldherrn und Jessauls
  • beißen sich herum wie die Hunde; 's ist keiner da, dem alle gehorchten
  • und der ihr Haupt wäre. Unsere Schlachzizen haben alles geändert und
  • polnische Sitten eingeführt, sie sind so schlau und so tückisch geworden
  • und haben ihre Seelen verkauft, indem sie die Union annahmen und einen
  • Bund mit dem Papst schlossen. Die Juden knechten das arme Volk. O
  • Zeiten, Zeiten, vergangene Zeiten! Wo seid ihr geblieben, ihr, meine
  • vergangenen Jahre? Geh ins Gewölbe hinab, Bursch, und hol mir einen Krug
  • mit Meth! Ich will trinken auf unser altes Leben und die vergangenen
  • Zeiten!«
  • »Womit sollen wir die Gäste empfangen, Pan? Die Polen kommen von der
  • Wiese her!« rief Stetzko, der in diesem Augenblick ins Zimmer
  • hereinstürzte.
  • »Ich weiß wohl, wozu sie kommen!« sprach Danilo, sich von seinem Platze
  • erhebend. »Sattelt die Pferde, meine treuen Knechte! Schirrt sie rasch
  • an und heraus mit den Säbeln! Vergeßt auch die blauen Bohnen nicht! Die
  • Gäste sollen mit Ehren empfangen werden!«
  • Kaum hatten die Kosaken ihre Pferde bestiegen und die Musketen geladen,
  • da überschwemmten die Polen schon den Berg wie Laub, das im Herbst von
  • den Bäumen fällt.
  • »Hehe, da gibt's eine feine Gesellschaft!« rief Danilo und blickte auf
  • die dicken Pans, die sich würdevoll auf ihren goldgeschirrten Rossen
  • schaukelten. »Wohl denn, so werden wir uns einmal noch herrlich tummeln!
  • Freu dich zum letzten Male, Kosakenseele. Wohlauf, ihr Burschen, das
  • Fest hat begonnen!«
  • Und auf den Bergen ward es fröhlich, und das Fest hub an: da schwirren
  • die Säbel, da fliegen die Kugeln, da wiehern und trampeln die Pferde.
  • Die Schädel dröhnen vom Rufen und Schreien, und der Rauch blendet die
  • Augen. Alles geht wild durcheinander, aber der Kosak ahnt wohl, wo
  • Freund und Feind ist. Eine Kugel kommt gepfiffen, und ein tapferer
  • Reitersmann stürzt vom Roß; ein Säbel klirrt -- und ein Kopf wälzt sich,
  • zusammenhanglose Reden lallend, am Boden.
  • Aber mitten im Haufen, da sieht man die rote Kosakenmütze des Pan
  • Danilo, und wie ein Blitz trifft das Auge das Gefunkel des goldenen
  • Gürtels auf dem blanken Schupan; wie ein Wirbelwind flattert die Mähne
  • des Rapphengstes daher; gleich einem Vogel eilt er bald hier hin, bald
  • dort hin, schreit laut auf, schwenkt den Damaszener-Säbel und schlägt
  • rechts und links um sich. Hau zu, Kosak! Frisch drauf und los, Kosak!
  • Erfreu dein mutiges Herz, aber verguck dich nicht in das Gold der
  • Gespanne und Schupans; tritt Gold und Edelsteine mit den Füßen! Stich
  • zu, Kosak! Frisch drauf los, Kosak! Aber sieh dich nicht um: schon
  • stecken die frevelnden Polen die Hütten in Brand und treiben das
  • ängstliche Vieh fort. Wie ein Sturm wirbelt Pan Danilo zurück, die Mütze
  • mit dem roten Dach blitzt schon dicht neben den Häusern auf, und rings
  • um ihn wird der Haufen geringer.
  • Nicht nur eine Stunde oder zwei kämpften die Kosaken und Polen. Immer
  • weniger wurden ihrer auf beiden Seiten; doch Pan Danilo ermattete nicht:
  • mit seiner langen Lanze hob er die Feinde aus dem Sattel, und trat mit
  • seinem tapferen Roß das Fußvolk nieder. Schon leert sich der Hof, schon
  • fliehen die Polen, schon reißen die Kosaken die goldenen Schupans und
  • die reiche Rüstung von den Gefallenen herab. Schon will Pan Danilo zur
  • Verfolgung aufbrechen, schon blickt er sich um, die Seinen zu sammeln
  • ..... doch da kocht in ihm die Wut, vor ihm taucht Katerinas Vater auf.
  • Nun steht er auf dem Berge und zielt mit seiner Muskete nach ihm. Danilo
  • treibt sein Pferd grad auf ihn los .... Kosak, du eilst ins Verderben!
  • Da kracht die Muskete, und der Zauberer ist hinter dem Berge
  • verschwunden. Nur der getreue Stetzko hat noch gesehen, wie das rote
  • Gewand und die seltsame Mütze im Husch vorbeiflogen. Danilo schwankt und
  • stürzt zu Boden. Der treue Stetzko eilte zu seinem Pan: sein Herr liegt
  • ausgestreckt auf der Erde, und hat die hellen Augen geschlossen, und das
  • hellrote Blut quillt aus seiner Brust. Aber er erkannte den treuen
  • Diener noch, leis hob er die Lider und blitzte ihn mit den Augen an:
  • »Leb wohl, mein Stetzko! Sag Katerina, sie soll meinen Sohn nicht
  • verlassen! Verlaßt auch ihr ihn nicht, ihr meine treuen Diener!« und er
  • verstummte. Die tapfere Kosakenseele war aus dem adligen Leibe
  • entflohen; blau sind seine Lippen, der Kosak schläft einen Schlaf, aus
  • dem es kein Erwachen gibt.
  • Da schluchzte der getreue Diener auf und winkte Katerina mit der Hand:
  • »Komm, komm schnell herbei, Pani! Dein Pan hat ausgetobt; sieh, da liegt
  • er, trunken auf feuchtem Erdreich; nimmer wird der aus seinem Rausche
  • erwachen!«
  • Da schlug Katerina die Hände zusammen und sank über den Leichnam hin wie
  • eine Garbe. »O mein Gemahl, du mein Gemahl! Bist du's, der geschlossenen
  • Auges daliegt? Steh auf, mein herzallerliebster Falke, rühr deine süße
  • Hand! Erhebe dich doch! O, schau sie nur einmal noch an, deine Katerina,
  • reg deine Lippen und sprich nur ein einziges Wörtlein! ... Doch ach, du
  • schweigst, du schweigst, mein lieber herrlicher Pan! Bläulich wardst du
  • wie das Schwarze Meer, und dein Herz schlägt nicht! Warum bist du so
  • kalt, mein Pan? O, ich seh's, meine Tränen sind nicht heiß genug, sie
  • können dich nicht erwärmen! Ich seh's, nicht laut genug ist meine Klage,
  • denn sie kann dich nicht erwecken! Wer wird jetzt deine Heere anführen?
  • Wer wird nun auf deinem Rappen dahinjagen und laut jauchzend vor den
  • Kosaken den Säbel schwingen? Kosaken, Kosaken! Wo ist eure Ehre und euer
  • Ruhm? Da liegt eure Ehre und euer Ruhm geschlossenen Augs auf der
  • feuchten Erde. O, begrabt nun auch mich, begrabt mich zusammen mit ihm!
  • Streut mir Erde auf die Augen, preßt die Bretter von Ahorn mir auf die
  • weißen Brüste! Ich brauche meine Schönheit nicht mehr!«
  • Und Katerina weinte und klagte bitterlich, da aber steigt eine
  • Staubwolke in der Ferne auf: Gorobetz, der alte Jessaul, sprengt zu
  • Hilfe heran.
  • X.
  • Voller Wunder ist der Dnjepr bei heiterem Wetter, wenn er frei und
  • ungehemmt durch Gebirg und Wälder seine reichen Wasser trägt. Da ertönt
  • kein leises Rauschen und kein mächtiger Donnerlaut. Du blickst hin und
  • weißt es kaum, ob sich sein hehrer breiter Rücken regt, ob nicht; ganz
  • aus Glas gegossen scheint die Flut und sein blauer Spiegelweg windet
  • sich, breit ohne Maßen, lang ohn' Ende, in verschlungenen Bahnen durch
  • die grüne Welt. Dann blickt auch die heiße Sonne selig von der Höhe
  • herab und taucht ihre Strahlen in die kühlen gläsernen Wässer, und selig
  • spiegeln sich die Wälder am Ufer in den klaren Fluten. O, ihr
  • Grüngelockten! Ihr drängt euch mit den Feldblumen zum Wasser hin, beugt
  • euch hinab, schaut hinein und könnt euch nicht satt sehen an eurem
  • klaren Angesicht und ihr lächelt ihm zu und grüßt es, indem ihr die
  • Zweige schüttelt. Aber in die Mitte des Dnjepr wagt ihr doch nicht zu
  • blicken: in sie hinein blickt nur die Sonne und der blaue Himmel, und
  • selten nur kommt ein Vogel bis mitten über den Dnjepr geflogen. O, du
  • herrlicher Fluß! Kein Strom in der Welt kommt dir gleich. Voller Wunder
  • ist auch der Dnjepr in einer stillen Sommernacht, wenn alles in
  • Schlummer sinkt: Mensch und Tier und Vogel. Nur Gott allein blickt
  • majestätisch auf Himmel und Erde und schüttelt gewaltig sein wunderbares
  • Ornat. Und von dem Kleide regnen Sterne herab; die Sterne aber glühen
  • und leuchten über die Welt, und spiegeln sich alle im Dnjepr wieder. Der
  • Dnjepr birgt sie alle in seinem dunklen Schoße, und kein einziger kann
  • ihm entrinnen -- es sei denn, daß er am Himmel erlischt. Der schwarze
  • Wald mit seinen Reih an Reih schlafenden Raben und die in grauer Urzeit
  • geborstenen Berge beugen sich vor und suchen ihn wenigstens mit ihren
  • langen Schatten zu bedecken -- vergebens! Es gibt nichts auf der Welt,
  • das den Dnjepr überdecken könnte. Azurblau fließt er gemessen dahin, und
  • bei Nacht wie bei Tage sieht man ihn so, wie nur ein Menschenauge sehen
  • kann. Wenn er sich wiegt und wie ein verzärteltes Kind bei der
  • nächtlichen Kühle ans Ufer schmiegt, dann wird er zur silbernen Flut und
  • die flammt auf, wie die stählerne Schneide einer Damaszenerklinge und
  • dann liegt er wieder tiefblau da und schlummert. Und auch dann ist der
  • Dnjepr voller Wunder und kein Fluß in der Welt kommt ihm gleich! Doch
  • wenn sich am Himmel die blauen Wolken zu Bergen ballen, der schwarze
  • Wald bis auf die Wurzeln bebt, die Eichen krachen und der Blitz, aus den
  • Wolken splitternd, plötzlich die ganze Welt erhellt -- o, dann ist der
  • Dnjepr schrecklich! Die Wasserhügel tosen, wenn sie gegen die steinigen
  • Felsen anprallen, sinken blitzend und stöhnend zurück und ächzen und
  • heulen in der Ferne. So jammert wohl die alte Kosakenmutter, wenn sie
  • ihren Sohn ins Kriegslager geleitet: frei und kühn reitet er auf seinem
  • rabenschwarzen Roß dahin, die Hand in die Hüfte gestemmt und die Mütze
  • keck aufs Ohr geschoben, sie aber läuft schluchzend hinter ihm her,
  • hängt sich an den Steigbügel, greift ihm in die Zügel, ringt die Hände
  • und zerfließt in heißen Tränen.
  • Wild und schwarz ragen zwischen den kämpfenden Wellen auf der Landzunge
  • verkohlte Baumstümpfe und Steine in die Luft. Ein Boot, das landen will,
  • wird ans Ufer geworfen, schießt hoch empor und sinkt dann wieder tief
  • abwärts. Wer ist der Kosak, der sich in den Kahn gewagt, zu einer Zeit,
  • da der alte Dnjepr grollt? Der weiß nicht, daß der Dnjepr die Menschen
  • hinabschlingt wie Fliegen!
  • Doch nun landete das Boot, und der Zauberer entstieg ihm. Ihm ist nicht
  • heiter zumute. Er grollt über den Totenschmaus, den die Kosaken ihrem
  • erschlagenen Herrn zu Ehren abhielten. Die Polen mußten ihn teuer
  • bezahlen, vierundvierzig vornehme Herren in schönen Schupans, ihr ganzes
  • Pferdegeschirr und dreiunddreißig Knechte dazu wurden in Stücke gehauen,
  • und die übrigen saßen mit ihren Rossen gefangen und sollten an die
  • Tataren verkauft werden.
  • Er stieg die steinernen Stufen zwischen den verkohlten Baumstümpfen
  • hinab, wo sich tief unten im Erdreich seine Hütte befand. Leise und ohne
  • mit der Türe zu knarren, trat er ein, stellte einen Topf auf den
  • gedeckten Tisch und begann mit seinen langen Armen unbekannte Kräuter in
  • ihn hineinzuwerfen, dann holte er einen Krug herbei, der aus einem
  • merkwürdigen Holz geschnitzt war, schöpfte Wasser und begann es wieder
  • auszugießen, während seine Lippen Beschwörungen murmelten.
  • Rosiges Licht erhellte die Kammer, und schrecklich war es, sein Gesicht
  • zu schauen: es sah ganz blutig aus, tiefe schwarze Furchen gruben sich
  • drein, und die Augen glühten wie ein Feuer. Schrecklicher Sünder! Der
  • Bart war ihm längst ergraut, und das Gesicht von Runzeln durchfurcht,
  • schon ist er fast gänzlich verdorrt, und noch immer trachtet er nach
  • gottlästerlichen Taten. Inmitten des Raumes erhob sich jetzt eine weiße
  • wehende Wolke, und etwas wie Freude huschte über des Zaubrers Gesicht.
  • Doch warum stand er plötzlich regungslos mit weitgeöffnetem Munde da,
  • warum wagte er es nicht, sich zu bewegen? Und warum sträubten sich die
  • Haare wie Borsten auf dem Haupte? In der Wolke erschien ihm ein
  • sonderbares Gesicht. Ungebeten und ungerufen kam es zu Gaste; immer
  • deutlicher trat es hervor und bohrte die starren Augen in ihn hinein.
  • Die Züge, die Brauen, die Augen, die Lippen -- alles war ihm unbekannt
  • und noch nie in seinem Leben hatte er es gesehen. Auch war nichts
  • eigentlich Grauenhaftes an ihm, und doch packte ihn ein unüberwindliches
  • Entsetzen. Das seltsame unbekannte Haupt blickte ihn noch immer starr
  • durch die Wolke an. Doch nun war die Wolke verschwunden, aber das
  • unbekannte Gesicht hing noch klarer vor ihm, und die scharfen
  • schneidenden Blicke wollten sich nicht von ihm wenden. Der Zauberer
  • wurde so weiß wie Leinen; mit einer furchtbaren Stimme, die ihn selber
  • fremd dünkte, schrie er auf, warf den Topf um. Alles war verschwunden.
  • XI.
  • »Sei ruhig, liebe Schwester!« sprach der alte Jessaul Gorobetz. »Träume
  • reden selten die Wahrheit.«
  • »Leg dich doch hin, Schwesterchen!« sagte seine junge Schwiegertochter.
  • »Ich werde die alte Wahrsagerin rufen: ihr kann keine Macht der Welt
  • widerstehen: sie wird deine Unruhe bannen.«
  • »Fürchte nichts!« rief der Sohn und griff nach dem Säbel, »niemand soll
  • dir etwas zuleide tun.«
  • Mit trüben und düsteren Augen blickte Katerina sie alle an und fand kein
  • Wort zur Antwort. »Ich habe mir selbst mein Verderben bereitet: ich hab
  • ihn befreit!« Endlich aber sprach sie: »Ich habe keine Ruhe vor ihm.
  • Schon sind's zehn Tage, daß ich bei euch in Kijew bin, und mein Schmerz
  • ist um keinen Tropfen geringer. Ich hab mir gedacht, ich will nun in
  • aller Stille mein Söhnchen als Rächer aufziehen ...... O, furchtbar,
  • furchtbar war er, wie er mir im Traume erschien. Behüt euch Gott davor,
  • ihn je zu erblicken! Mein Herz pocht noch immer!« -- »Ich hack dir dein
  • Kind in Stücke, Katerina!« schrie er, »wenn du nicht mein Weib sein
  • willst! ....« Schluchzend stürzte sie sich auf die Wiege, daß das
  • erschrockene Kindlein die Hände ausstreckte und zu schreien begann.
  • Des Jessauls Sohn brauste zornig auf, als er diese Rede hörte.
  • Auch Gorobetz, der Jessaul, raste vor Wut: »Mag er's nur wagen, hierher
  • zu kommen, der gottlose Antichrist -- er soll die Kraft meiner alten
  • Kosakenarme kosten. Gott ist mein Zeuge!« rief er und hob die scharf
  • blickenden Augen gen Himmel empor. »Bin ich denn Bruder Danilo nicht zu
  • Hilfe geeilt? Doch es war Gottes heiliger Wille! Ich traf ihn schon auf
  • dem kalten Lager, darauf schon so viel Kosakenvolk sich gebettet. Hat
  • man ihm zu Ehren nicht dafür einen prächtigen Leichenschmaus gefeiert?
  • Ist etwa auch nur ein Pole lebend entkommen? Sei ruhig, mein Kind!
  • Niemand wird es wagen, dich zu berühren, solange wir leben, ich und mein
  • Sohn!«
  • Mit diesen Worten trat der alte Jessaul an die Wiege. Das Kindchen
  • erblickte die rote Pfeife mit der silbernen Fassung am Riemen und den
  • Beutel mit dem glänzenden Feuerstein, streckte die Händchen zu ihm hin
  • und lachte. »Der wird ganz wie der Vater!« sprach der alte Jessaul, nahm
  • die Pfeife aus dem Munde und reichte sie dem Kinde hin. »Noch hat er die
  • Wiege nicht verlassen und schon will er ein Pfeifchen rauchen!«
  • Katerina seufzte leise auf und begann die Wiege zu schaukeln. Man
  • verabredete sich, die Nacht gemeinsam zu verbringen; nach einer kurzen
  • Weile schliefen alle, und auch Katerina schlummerte bald ein.
  • Im Hofe und in der Stube war alles still, nur die Kosaken, die Wache
  • hielten, schlummerten nicht. Plötzlich wachte Katerina mit einem Schrei
  • auf, und mit ihr erwachten alle aus ihrem Schlummer. »Er ist tot, man
  • hat ihn ermordet!« schrie sie und stürzte zur Wiege hin ..... Alle
  • umringten die Wiege und waren starr vor Entsetzen, als sie das leblose
  • Kind daliegen sahen. Keiner sprach ein Wort und niemand wußte, was er
  • von dem unerhörten Frevel denken sollte.
  • XII.
  • Fern vom Lande der Ukraine, wenn man das Polenreich durchreist und schon
  • die volkreiche Stadt Lemberg hinter sich hat, stößt man auf eine
  • Gebirgskette mit hohen Gipfeln. Berg an Berg umklammern hier von rechts
  • und links wie mit steinernen Ketten die Erde und schmieden sie in einen
  • Felsenring, damit das brausende tosende Meer nicht hereinbreche. Die
  • Felsenketten ziehen sich bis in die Wallachei und das Siebengebirge
  • hinein, und ragen wie ein gigantisches Hufeisen zwischen Galiziens und
  • Ungarns Völkern empor. Solche Berge gibt's in unserer Gegend nicht, und
  • das Auge wagt es nicht, sie zu umspannen. Einige von diesen Gipfeln hat
  • noch kein menschlicher Fuß betreten. Wie ein Mirakel sind sie zu
  • schauen: gleich als wäre ein trotziges Meer während eines Sturmes seinen
  • weiten Ufern entflohen und als hätte es mißgestalte Wogen aufgetürmt,
  • die dann zu Stein geworden, steil in der Luft emporstarrten. Oder sind
  • es schwarze Wolken, die vom Himmel herabgestürzt sind und den Weg zur
  • Erde versperrt haben? Denn ihre Farbe ist ebenso grau wie die der
  • Wolken, und der weiße Gipfel blitzt und funkelt in der Sonne. Bis zu den
  • Karpathen hin hört man die russische Zunge, und auch hinter den Bergen
  • hallt's hie und da wieder wie ein Klang aus der Heimat; doch dann kommen
  • Menschen mit einem andern Glauben und einer fremden Sprache. Hier lebt
  • das zahlreiche Volk der Ungarn; die reiten, fechten und trinken nicht
  • schlechter als die Kosaken und kargen nicht, wenn's gilt, goldene
  • Dukaten für Pferdegeschirr und kostbare Kaftans aus dem Beutel zu holen.
  • Groß und frei liegen ihre Seen zwischen den Bergen. Unbeweglich wie Glas
  • sind sie, und wie ein Spiegel werfen sie die nackten Gipfel der Berge
  • und die grünende Sohle zurück.
  • Doch wer kommt dort inmitten der Nacht -- bei Finsternis oder
  • Sternenglanz -- auf dem riesigen Rappen daher geritten? Welch ein Recke
  • von übermenschlichem Körpermaß fegt die Berge entlang und über die Seen
  • dahin und spiegelt sich samt seinem Riesenroß in den leblosen Gewässern,
  • daß sein unermeßlicher Schatten furchtbar über die Berge hinhuscht? Es
  • glänzt der Harnisch von herrlichem Schmiedeeisen; er trägt eine Pike auf
  • der Schulter, am Sattel rasselt der Säbel, das Visier ist
  • niedergelassen, schwarz hängt ihm der Schnurrbart herab, die Augen sind
  • geschlossen, und die Lider gesenkt. -- Er schläft und hält im Schlafe
  • die Zügel fest, hinter ihm auf demselben Roß sitzt der junge Page und
  • auch er schläft und klammert sich schlafend an den Ritter. Wer ist er,
  • wo reitet er hin und zu welchem Ziele? Wer weiß etwas von ihm? Nicht
  • einen Tag nur oder zwei reitet er schon über die Berge dahin. Der Tag
  • bricht an, die Sonne geht auf, aber _er_ ist nicht zu erblicken. Nur
  • selten sehen die Bergbewohner einen langen Schatten durch die Berge
  • huschen -- und doch ist der Himmel ganz klar, und keine Wolke zieht über
  • ihn hin. Aber kaum bricht die Nacht an und mit ihr die Finsternis, so
  • läßt er sich wieder sehen; dann spiegelt er sich in den Seen, und hinter
  • ihm kommt zitternd sein Schatten einher gesprungen. Schon ist er an
  • vielen Bergen vorbeigekommen und selbst auf den Kriwan ist er
  • hinaufgeritten. Und doch ist in den Karpathen kein Berg höher als
  • dieser, denn einem Könige gleich erhebt er sich über die andern. Da
  • machte Roß und Reiter Halt; tiefer noch sank er in Schlaf, und
  • herabsinkende Wolken bedeckten ihn.
  • XIII.
  • »Pst ... still doch, Weib! Lärme nicht so! Mein Kind ist eingeschlafen.
  • Lang hat mein Kindchen geschrien, jetzt aber schläft es. Ich geh' in den
  • Wald, Weib! Was siehst du mich denn so an? Du bist fürchterlich: eiserne
  • Zangen strecken sich aus deinen Augen hervor -- -- oh, und wie lang sie
  • sind, und brennen wie Feuer! Du bist gewiß eine Hexe! Hör, wenn du eine
  • Hexe bist, so verschwinde! Du willst mir meinen Sohn stehlen! Wie
  • töricht ist doch dieser Jessaul: er glaubt, es machte mir Vergnügen, in
  • Kijew zu leben; doch nein, mein Mann und mein Sohn sind hier, wer soll
  • denn das Haus überwachen? Ich bin so leise davongeschlichen, daß weder
  • Katze noch Hund es hören konnten. Weib, du willst wieder jung werden? O,
  • das ist garnicht so schwer: man muß nur recht viel tanzen. Schau, wie
  • ich tanze .....« Und nachdem sie diese zusammenhanglosen Worte
  • gesprochen hatte, fing Katerina an zu tanzen, sie drehte sich wie ein
  • Wirbel herum -- blickte stier nach allen Seiten, stemmte die Arme in die
  • Hüften, und ihre silbernen Hufeisen klirrten regellos und ohne Takt.
  • Ihre schwarzen aufgelösten Flechten hingen ihr über den weißen Hals
  • hinüber, sie schwirrte wie ein Vogel dahin, weiter und immer weiter ohne
  • Halt, schwang die Arme im Kreise, schüttelte den Kopf, und es schien so,
  • als müßte sie gleich matt zu Boden sinken oder weit hinausfliegen aus
  • dieser Welt.
  • Traurig stand die alte Amme vor ihr, und die Tränen strömten ihr über
  • die tiefen Runzeln hinab, schwer wie ein Stein lastete es auf dem Herzen
  • der treuen Burschen, die zusehen mußten, wie ihre Herrin tanzte. Doch
  • schon fing sie an, müde zu werden, träg stampfte sie mit den Beinen auf
  • ein und derselben Stelle herum und glaubte doch, sie tanze den
  • Lachtaubentanz. »Ah, ich hab' auch ein Perlenhalsband, ihr Burschen!«
  • rief sie endlich aus und hielt inne. »Ihr aber habt keins! .... Wo ist
  • mein Mann?« schrie sie plötzlich auf und zog rasch einen Türkendolch aus
  • dem Gürtel. »Oh, das ist kein Messer, wie ich es brauche!« und dabei
  • flossen ihr die Tränen über ihr schmerzbewegtes Gesicht. »Das Herz
  • meines Vaters ist weit, weit von hier, und dieses Messer wird's nicht
  • erreichen. Sein Herz ist von Eisen, eine Hexe hat es ihm auf dem
  • höllischen Feuer geschmiedet. Warum erscheint mein Vater nur nicht? Weiß
  • er denn nicht, daß die Zeit gekommen ist, wo ich ihn töten muß? Er will
  • wohl gar, daß ich selbst zu ihm komme ....« Und ohne ihre Rede vollendet
  • zu haben, lachte sie seltsam auf. »Eine komische Mär kam mir in den
  • Sinn: Ich erinnerte mich, wie sie mir den Gemahl begruben. Sie haben ihn
  • lebendig begraben ... O, wie mußte ich lachen! ...... Hört, hört!« und
  • statt weiterzureden, begann sie ein Lied zu singen:
  • Da fährt 'ne Karre im Blut .....
  • 'S liegt ein Kosak im Wagen
  • Zerschossen und zerschlagen,
  • Hält in der Rechten einen Spieß,
  • Und von dem Spieß läuft soviel Blut
  • Soviel Blut,
  • Daß es 'nen Blutstrom wies.
  • Überm Bach da steht ein Ahornschragen
  • Und ein Rabe krächzt darüber her.
  • Vom Kosaken will die Mutter klagen,
  • Wein nicht, Mutter, gräm dich nicht zu sehr!
  • Dein Sohn hat wohl genommen
  • Ein Fräuleinchen gar fein,
  • Drum soll er auch bekommen
  • Ein Stübchen eng und klein,
  • Ohne Fenster, ohne Tür,
  • So geht's immer für und für.
  • Ging ein Fisch mit 'nem Krebs zu Tanz ...
  • Wer mich nicht leiden mag, den soll der Kuckuck ..
  • So wirrten sich bei ihr alle Lieder durcheinander. Schon einen oder zwei
  • Tage lang lebte sie in ihrem Hause und wollte nichts von Kijew hören;
  • sie betete nicht, sie floh vor den Menschen und vom frühen Morgen bis in
  • die späte Nacht hinein streifte sie im dunklen Eichwald umher. Spitzige
  • Äste ritzten ihr weißes Gesicht und ihre Schultern, der Wind zerzauste
  • ihr die aufgelösten Flechten, das Herbstlaub raschelte unter ihren Füßen
  • -- sie aber achtete es nicht. Zu der Stunde, da das Abendrot erlischt,
  • die Sterne noch nicht vom Himmel herab blinken und der Mond noch nicht
  • leuchtet, ist es voll Grauen, durch den Wald zu wandern. Die ungetauften
  • Kinder kratzen an den Baumstämmen, hangen an den Zweigen, heulen, lachen
  • gellend auf und wälzen sich wie ein Knäuel über die Wege und durch das
  • dichte Dornengestrüpp; den Fluten des Dnjepr entsteigt ein Reigen von
  • Jungfrauen, die selbst ihre Seele verderbten, die Haare rieseln ihnen
  • vom grünlichen Haupte auf die Schultern herab; das Wasser rinnt laut
  • glucksend vom langen Haare hinunter, und der Leib der Jungfrau schimmert
  • durchs Wasser hindurch wie durch ein gläsernes Hemd, seltsam lächeln die
  • Lippen, die Wangen glühen, die Blicke locken einem die Seele aus dem
  • Leibe .... sie möchte in Liebe entbrennen, sie sehnt sich nach heißen
  • Küssen .... Fliehe, der du ein Mensch bist und ein Christ, ihre Lippen
  • sind Eis, ihr Bett ist das kühle Wasser, sie wird dich zu Tode kitzeln
  • und dich mit in den Fluß schleifen. Katerina aber blickt niemanden an.
  • Sie, die Wahnsinnige, fürchtet die Waldgeister und Wasserjungfrauen
  • nicht; zu später Stunde läuft sie umher mit dem Dolche im Busen und
  • sucht nach dem Vater.
  • Ganz früh am Morgen kam ein stattlicher Gast in rotem Schupan angeritten
  • und fragte nach Pan Danilo; als er die traurige Kunde vernahm, wischte
  • er sich die weinenden Augen mit dem Ärmel und zuckte die Achseln. Er
  • habe manch einen Feldzug mit dem verstorbenen Burulbasch gemacht, und
  • sie hätten gemeinsam gegen die Krimschen Tataren und Türken gefochten;
  • wie hätt' er erwarten können, daß Pan Danilo so enden würde! Und noch
  • von manchem anderen wußte der Gast zu berichten, und dann wünschte er
  • Pani Katerina zu sehen.
  • Katerina achtete zuerst nicht darauf, was der Gast erzählte; schließlich
  • aber begann sie dennoch, seinen Reden zu lauschen, ganz als ob sie bei
  • Vernunft wäre. Er sprach davon, daß er und Danilo miteinander wie Brüder
  • gelebt, wie sie sich einst hinter einem Damm vor den Krimschen Tataren
  • versteckt hielten und mehr dergleichen ....... Katerina hörte dies alles
  • und wandte keinen Blick von ihm ab.
  • »Sie kommt wieder zu sich,« dachten die Burschen, die sie aufmerksam
  • beobachteten. »Der Gast wird sie heilen! Schon hört sie ihm zu wie ein
  • vernünftiges Wesen!«
  • Unterdessen aber begann der Gast zu berichten, wie Pan Danilo ihm in
  • vertraulicher Stunde gesagt hatte: »Sieh, Bruder Koprian: ist es einmal
  • Gottes Wille, und ich bin nicht mehr unter den Lebenden, dann nimm mein
  • Weib zu dir, und sie soll deine Gattin sein ....«
  • Da heftete Katerina die Augen mit einem fürchterlichen Ausdruck auf ihn.
  • »Ah!« rief sie, »er ist es, er ist es. Es ist mein Vater!« und sie
  • stürzte sich mit einem Messer auf ihn.
  • Lange rang jener mit ihr und wollte ihr das Messer entwinden; endlich
  • riß er ihr's aus den Händen, holte aus -- und die schaurige Tat geschah:
  • der Vater erstach seine wahnsinnige Tochter.
  • Entsetzt stürzten sich die Kosaken auf ihn, aber der Zauberer schwang
  • sich aufs Pferd und war aller Blicken entschwunden.
  • XIV.
  • Vor Kijew begab sich ein unerhörtes Wunder. Alle hohen Herren und
  • Hetmans kamen zusammen, dies Wunder anzustaunen, und plötzlich war es
  • weithin zu sehen bis an alle Enden der Welt. Weit in der Ferne blaute
  • die breite Mündung des Stroms, und hinter ihr rollte das Schwarze Meer.
  • Weltkundige Leute wollten auch die Krim erkennen, die wie ein Berg aus
  • dem Meere emporstieg, und auch den sumpfigen Siwasch erkannten sie. Zur
  • Linken aber sah man das galizische Land.
  • »Und was ist _das_?« fragte das versammelte Volk die großen Männer, und
  • alle wiesen auf die fern am Himmel leuchtenden mächtigen weißen Spitzen,
  • die grauen Wolken glichen.
  • »Das sind die Karpathen!« sprachen die alten Männer. »Da gibt's auch
  • solche darunter, von denen der Schnee nie verschwindet; dort landen und
  • übernachten die Wolken.«
  • Und nun geschah ein neues Wunder: die Wolken senkten sich vom höchsten
  • Berggipfel herab, und auf seiner Spitze erschien ein Recke zu Roß und in
  • voller Ritterrüstung; seine Augen waren geschlossen, und er war zu
  • schauen, als ob er ganz in der Nähe vor allen dastände.
  • Da sprang einer von der schreckvoll staunenden Menge aufs Pferd und
  • jagte eilig und so schnell er konnte, fort.
  • Er blickte wild um sich, als wollte er mit seinen Augen prüfen, ob nicht
  • jemand ihm nachsetzte. Es war der Zauberer! Doch was hatte ihn so in
  • Schrecken gesetzt? Als er den wunderbaren Ritter betrachtete, hatte er
  • plötzlich dasselbe Gesicht erkannt, das ihm damals bei seinen schwarzen
  • Künsten so ungerufen erschienen war. Er konnte es selbst nicht
  • begreifen, warum bei diesem Anblick alles in ihm zusammenschrak, und er
  • raste, scheu um sich blickend, auf seinem Rosse dahin, bis ihn der Abend
  • überraschte und die Sterne am Himmel erschienen. Da erst machte er kehrt
  • und floh heimwärts, vielleicht um die unreinen Mächte zu befragen, was
  • dies Wunder wohl zu bedeuten hatte. Schon wollte er mit dem Roß über den
  • schmalen Bach setzen, der wie ein Ärmel sich mitten über den Weg
  • dahinzog, als sein Roß mit einem Male gerad vor dem Sprunge anhielt, das
  • Maul zu ihm wandte, und -- o Wunder! -- zu lachen begann. Zwei Reihen
  • weißer Zähne grinsten ihm aus der Dunkelheit entgegen. Das Haar sträubte
  • sich auf dem Haupte des Zauberers, er schrie wild auf, kreischte laut
  • wie ein Besessener und spornte sein Pferd stracks auf Kijew zu. Es war
  • ihm, als ob jemand von überall her nach ihm haschte: die Bäume schienen
  • zu einem dichten Wald zusammenzulaufen und ihn einzuschließen, sie
  • schüttelten ihre schwarzen Bärte und reckten ihre langen Zweige heraus,
  • als ob sie lebendig wären und ihn erdrosseln wollten. Die Sterne
  • schienen ihm vorauszueilen und vor der ganzen Welt auf den Sünder zu
  • weisen; selbst die Landstraße, schien ihm, jagte auf seinen Spuren
  • hinter ihm her.
  • Und der Zauberer floh voller Verzweiflung nach den heiligen
  • Wallfahrtsorten der Stadt Kijew.
  • XV.
  • Ein Anachoret saß einsam in seiner Höhle vor einer Leuchte und wandte
  • seine Blicke nicht von dem heiligen Buche ab, das vor ihm lag. Seit
  • vielen Jahren schon hatte er sich in der Höhle eingeschlossen und schon
  • hatte er sich den hölzernen Sarg gezimmert, in dem er zu ruhen pflegte,
  • wie in einem Bett. Der heilige Greis schloß eben das Buch und begann zu
  • beten .... Da stürzte plötzlich ein Mann von seltsamem und schrecklichem
  • Äußeren herein. Zum ersten Male erstaunte der heilige Einsiedler und
  • trat einen Schritt zurück vor diesem Menschen. Der aber bebte am ganzen
  • Leibe wie Espenlaub, seine Augen irrten wild umher; ein schreckliches
  • Feuer glomm furchtsam in ihnen, und sein verzerrtes Gesicht machte die
  • Seele erschauern.
  • »Bete, Vater! So bete doch!« schrie er verzweifelt. »Bete für eine
  • verlorene Seele!« Und er stürzte zu Boden.
  • Der heilige Anachoret machte das Zeichen des Kreuzes, holte das Buch
  • hervor, schlug es auf, aber er wich entsetzt zurück und ließ das Buch
  • wieder herabsinken. »Nein, du unerhörter Sünder! Es gibt keine Gnade für
  • dich! Flieh von hinnen! Nie vermag ich für dich zu beten!«
  • »Nie!« schrie der Sünder wie toll.
  • »Blick hin: die heiligen Lettern dieses Buches sind blutüberströmt ....
  • noch niemals hat die Welt einen solchen Sünder gesehen.«
  • »Vater! Du spottest über mich!«
  • »Geh, du gottverdammter Sünder! Ich spotte nicht. Angst ergreift mich.
  • Nichts Gutes bedeutet es für einen Menschen, in deiner Nähe zu weilen.«
  • »Nein, nein! Du spottest, rede nicht .... Ich sehe, wie dein Mund sich
  • öffnet und mich die weißen Reihen deiner alten Zähne spöttisch
  • anblicken!«
  • Und er sprang rasend vor -- und erschlug den heiligen Einsiedler.
  • Da stöhnte etwas schwer auf, und das Stöhnen hallte durch Feld und Wald
  • weiter. Hinter dem Walde streckten sich ein Paar dürre hagere Hände mit
  • langen Krallen hervor, fingen an zu beben und verschwanden wieder.
  • Und schon war keine Angst mehr da, und er fühlte nichts mehr. Alles
  • erschien ihm verschwommen: in seinen Ohren sauste es, es rauschte ihm im
  • Kopfe wie wenn er trunken wäre. Er sprang aufs Roß und ritt gen Kanew,
  • von dort gedachte er seinen Weg über Tscherkany geradeaus zu den Tataren
  • und nach der Krim zu lenken, doch wußte er selbst nicht, zu welchem
  • Zweck er es tat. Er ritt einen Tag lang und ritt einen zweiten, aber
  • Kanew wollte sich immer noch nicht sehen lassen. Es war der richtige
  • Weg, und er hätte schon längst in Kanew sein müssen, aber die Stadt
  • wurde und wurde nicht sichtbar. Da leuchteten plötzlich in der Ferne die
  • Kuppeln von Kirchen auf, aber es war nicht Kanew, sondern Schumsk. Der
  • Zauberer war aufs höchste betroffen, als er sah, daß er eine falsche
  • Richtung eingeschlagen hatte; er jagte sein Roß zurück auf Kijew zu, und
  • einen Tag später tauchte eine Stadt vor ihm auf, aber es war wieder
  • nicht Kijew, sondern Halitsch, eine Stadt, die noch weiter von Kijew
  • entfernt ist als selbst Schumsk und schon nahe bei Ungarn liegt. Ohne zu
  • wissen, was er tun sollte, riß er sein Pferd wieder herum. Aber wiederum
  • fühlte er, daß er in der entgegengesetzten Richtung dahinritt, und immer
  • weiter und weiter. Kein Mensch in der Welt hätte sagen können, was in
  • der Seele des Zauberers vorging; und hätte jemand hinein geblickt und
  • gesehen, was dort geschah, so hätte er keine Nacht mehr ruhig
  • geschlafen, und nie hätt' er mehr gelacht. Das war nicht Wut, nicht
  • Furcht noch wilder Groll. Es gibt kein Wort dafür in der Welt. Es glühte
  • und siedete in ihm, die ganze Welt hätte er mit seinem Rosse
  • zerstampfen, die ganze Erde von Kijew bis Halitsch mitsamt all den
  • Menschen und allem, was drauf lebte, packen, und sie im Schwarzen Meere
  • ertränken mögen. Doch war es nicht Grimm, warum er dies tun wollte, er
  • wußte selbst nicht warum. Und er erbebte, als ganz nahe vor ihm die
  • Karpathen und der hohe Kriwan erschienen, der sich eine schwarze Wolke
  • wie eine Mütze auf seinen Schädel gestülpt hatte; aber das Roß jagte
  • immer weiter dahin und trabte schließlich bis ins Gebirge. Plötzlich
  • verschwanden die Wolken und vor ihm erschien in furchtbarer Erhabenheit
  • der Reiter ..... Der Zauberer mühte sich, Halt zu machen und zog die
  • Zügel straff, aber das Roß wieherte wild, warf den Kopf empor und raste
  • dem Ritter entgegen. Da ward dem Zauberer zumute, als ob alles in ihm
  • erstarrte und ihm schien, der regungslose Ritter rührte sich vom Fleck;
  • er machte auf einmal die Augen weit auf, sah den ihm entgegeneilenden
  • Zauberer an und lacht laut auf. Wie ein Donner rollte das wilde
  • Gelächter durchs Gebirge, hallte dröhnend im Herzen des Zauberers wieder
  • und erschütterte sein ganzes Innere. Es schien ihm, als ob ein
  • furchtbares, gewaltiges Wesen in ihn hineingekrochen wäre und in seinem
  • Inneren umherwandere, auf sein Herz und alle seine Sehnen loshämmerte,
  • so gewaltig hallte das Gelächter in ihm wieder!
  • Der Reiter packte den Zauberer mit seiner schrecklichen Hand und hob ihn
  • hoch in die Lüfte, und im Nu war der Zauberer tot, doch er öffnete nach
  • dem Tode noch die Augen; aber schon war er ein Leichnam und sah wie ein
  • Toter vor sich hin. So fürchterlich blickt kein Lebender und auch kein
  • Auferstandener. Er rollte die blinden Augen nach allen Seiten, und er
  • sah, wie sich die Toten in Kijew, Galizien und in den Karpaten erhoben,
  • und sie alle glichen ihm von Angesicht, wie zwei Tropfen Wasser einander
  • gleichen.
  • Bleich, totenbleich, der eine den anderen an Größe überragend, und der
  • eine knochiger als der andere, so drängten sie sich um den Ritter, der
  • seine furchtbare Beute in der Hand hielt. Noch einmal lachte der Ritter
  • auf und dann schleuderte er sie in den Abgrund. Und alle Toten sprangen
  • in den Abgrund herab, fingen den toten Zauberer auf und bohrten ihre
  • Zähne in ihn hinein. Aber da war noch einer, der größer und furchtbarer
  • war als alle; der wollte sich auch aus der Erde erheben, doch er
  • vermochte es nicht, er hatte nicht mehr die Kraft, es zu tun. -- So
  • riesengroß war er geworden in seiner Erdengrube; hätte er sich erhoben,
  • so hätte er die Karpathen umgestürzt und das Siebengebirge und das
  • Türkenreich dazu. Ein wenig nur rührte er sich im Grabe -- und es ging
  • ein Beben über die ganze Erde, viele Häuser wurden allerorten
  • umgeworfen, und viele Menschen erstickten.
  • Oft hört man in den Karpathen ein Schnauben, wie wenn das Wasser über
  • tausend Mühlräder dahinrauscht: das sind die Toten, die in einem
  • Abgrund, dem man nicht entrinnen kann und den noch nie ein Mensch
  • gesehen hat, an einem Leichnam nagen, und jeden graut es, vorbeizugehen.
  • Gar oft geschieht es, daß die Erde von einem Ende bis zum andern erbebt:
  • das kommt, wie die Schriftgelehrten sagen, daher, daß irgendwo, in der
  • Nähe des Meeres ein Berg steht; aus dem schlagen Flammen und fließen
  • brennende Ströme hervor. Aber die greisen Männer im Ungarlande und auch
  • in Galizien wissen es besser und erzählen von dem ungeheueren Toten, der
  • in die Erde hineinwuchs, sich erheben will und so das Weltall
  • erschüttert.
  • XVI.
  • In der Stadt Gluchow hatte sich das Volk um einen greisen Harfenspieler
  • geschart und lauschte wohl schon eine Stunde lang dem Spiele des
  • Blinden. Kein Harfenspieler hatte je so wundersame Lieder, so herrlich
  • hatte noch nie ein Harfenspieler gesungen. Er sang von den Hetmans der
  • alten Zeiten: von dem Sagajdatschny und von Chmelnitzki. Ja, das war
  • eine andere Zeit: weit berühmt und geehrt waren damals die Kosaken; sie
  • zertraten ihre Feinde mit den Hufen ihrer Rosse, und niemand wagte es,
  • ihrer zu spotten. Aber der Greis sang auch lustige Lieder und er ließ
  • seine Augen im Kreise umherwandern wie ein Sehender, und die Finger mit
  • den Knochenstäbchen flogen wie Fliegen über die Saiten, sodaß die Saiten
  • von selbst zu spielen schienen; und ringsherum stand das Volk, -- die
  • Greise gesenkten Hauptes, und die Jungen, die Augen zum Sänger erhoben,
  • und wagten es nicht einmal, untereinander zu flüstern.
  • »Wartet einmal!« sprach der Alte. »Ich will euch singen von einer
  • längstvergangnen Begebenheit.«
  • Die Leute drängten sich noch enger zusammen, und der Blinde begann:
  • Zur Zeit Pan Stephans, des Fürsten von Siebenbürgen (der Fürst von
  • Siebenbürgen war auch König der Polen), da lebten einmal zwei Kosaken:
  • Iwan und Petro. Sie lebten wie zwei Brüder. »Hör, Iwan,« sagte Petro
  • einst, »alles, was wir erbeuten, -- sei zu gleichen Teilen unter uns
  • geteilt; des einen Freude sei des andern Freude und des einen Kummer sei
  • des andern Schmerz; des einen Beute soll auch dem anderen zukommen, und
  • wenn der eine in Gefangenschaft gerät, soll der andere alles verkaufen
  • und Lösegeld zahlen, oder selbst in Gefangenschaft gehen.« Und so
  • geschah's auch, alles, was die Kosaken erbeuteten, teilten sie
  • untereinander: ob sie nun fremdes Vieh wegtrieben oder Pferde -- sie
  • teilten alles zu gleichen Teilen unter sich.
  • * * * * *
  • Einst führte König Stephan Krieg mit dem Türkenvolk. Drei Wochen schon
  • focht er gegen den Türken und konnte ihn immer noch nicht vertreiben.
  • Die Türken aber hatten einen Pascha, der ganz allein mit zehn
  • Janitscharen ein ganzes Heer in die Flucht schlagen konnte. Da tat König
  • Stephan kund, wenn sich ein Wagehals fände, der ihm den Pascha lebend
  • oder tot brächte, so wolle er ihm allein einen so hohen Lohn bezahlen,
  • wie den, den er seinem ganzen Heere zukommen ließ. Da sprach Iwan zu
  • Petro: »Komm, Herzensbruder, wir wollen den Pascha fangen!« Und die
  • Kosaken ritten davon: der eine hierhin, der andere dorthin.
  • * * * * *
  • Ob ihn Petro nun gefangen hätte oder nicht, das läßt sich nicht sagen,
  • doch schon führt Iwan den Pascha an einem Strick um den Hals vor den
  • König. »Tapfrer Kosak,« sprach König Stephan und ließ ihm allein soviel
  • Lohn ausbezahlen, als sonst sein ganzes Heer erhielt; und er hieß ihm
  • Land zuzuteilen, wo er welches haben wollte, und Vieh schenken, soviel
  • er nur wünschte. Wie Iwan nun den Lohn vom König erhalten hatte, teilte
  • er ihn noch am selbigen Tage zu gleichen Teilen unter sich und Petro.
  • Petro bekam die Hälfte vom Lohne des Königs, aber der konnte es nicht
  • verwinden, daß Iwan vom Könige solche Ehren zuteil geworden waren, und
  • in den Tiefen seiner Seele regten sich Rachegedanken.
  • * * * * *
  • Einst ritten die beiden Ritter jenseits der Karpathen durch das Land,
  • das der König ihnen geschenkt hatte, und der Kosak Iwan hatte auch
  • seinen Sohn neben sich auf dem Roß sitzen und ihn fest an sich gebunden.
  • Schon senkte sich die Dämmerung aufs Land herab -- sie aber ritten immer
  • weiter und weiter. Der Knabe schlief, und auch Iwan fing an
  • einzuschlummern. »Schlaf nicht, Kosak, denn gefahrvoll sind die Pfade in
  • den Bergen!« .... Doch der Kosak hatte ein Pferd, das alle Wege kannte,
  • und nie stolperte oder strauchelte es. Ein Abgrund lag tief zwischen den
  • Bergen versenkt, und noch niemand hatte den Grund des Schlundes gesehen,
  • denn so hoch es von der Erde bis zum Himmel ist, so tief ist es bis zum
  • Grunde jener Schlucht. Über den Abgrund führte ein Steg -- über dem noch
  • gerade zwei Menschen hinweg reiten konnten, nicht aber drei. Behutsam
  • schritt das Roß mit dem schlummernden Kosaken über den Steg. An seiner
  • Seite aber ritt Petro, er bebte am ganzen Leibe und hielt vor Freude den
  • Atem an, und nun blickte er um sich, stieß seinen selbst erkorenen
  • Bruder in den Abgrund hinab, und das Roß stürzte mitsamt dem Kosaken und
  • dem Kinde in die Tiefe.
  • * * * * *
  • Doch der Kosak vermochte noch einen Ast zu erfassen, und das Pferd
  • stürzte allein hinab. So begann er denn, mit seinem Sohne auf dem
  • Rücken, in die Höhe zu klimmen; und er war schon beinahe ganz oben, da
  • erhob er die Augen und sah, wie Petro mit seiner Pike nach ihm zielte,
  • um ihn wieder hinabzustoßen. »O, du gerechter Gott! Hätte ich doch
  • lieber nicht die Augen erhoben; warum muß ich jetzt sehn, wie mein
  • erkorener Bruder mit der Pike nach mir zielt, um mich wieder
  • hinabzustoßen. O, lieber Bruder! Stich zu mit der Pike, wenn's mir denn
  • schon so beschieden ist, nur nimm meinen Sohn zu dir: was hat das
  • unschuldige Kind denn getan, daß es solch grimmen Tod erleiden soll?« Da
  • lachte Petro, stieß mit der Pike nach ihm, und der Kosak flog samt dem
  • Knaben in den Abgrund hinab. Und Petro nahm all sein Hab und Gut an
  • sich, und lebte dahin wie ein Pascha. Niemand hatte solche Viehherden
  • wie Petro, und nirgends gab's so viel Schafe und Hammel, wie er besaß.
  • Doch eines Tages starb Petro.
  • * * * * *
  • Als Petro tot war, rief Gott die Seele der beiden Brüder, Petro und
  • Iwan, vor Gericht. »Dieser Mensch ist ein großer Sünder!« sprach Gott.
  • »Iwan! Ich weiß keine Strafe, die groß genug für ihn wäre; wähle du
  • sie!« Lang grübelte Iwan nach, um eine Strafe zu ersinnen, und endlich
  • sprach er: »Dieser Mensch hat mir einen großen Schmerz zugefügt: er hat
  • seinen Bruder verraten wie ein Judas, und er hat mich meines edlen
  • Geschlechts beraubt und meiner Nachkommenschaft auf Erden, und ein
  • Mensch ohne ehrlich Geschlecht und ohne Nachkommen ist wie ein
  • Getreidekorn, das man auf die Erde wirft, und das in der Erde umkommt.
  • Da gibt's keine Saat, und niemand erfährt je, daß ein Same ausgesät
  • ward.«
  • * * * * *
  • »So tu denn also, o Gott, daß sein ganzes Geschlecht auf Erden kein
  • Glück habe und daß der letzte seines Geschlechts solch ein Bösewicht
  • werde, wie es noch nie einen in der Welt gab: seine Ahnen und Urahnen
  • mögen durch jede seiner Freveltaten aus der Ruhe ihrer Gräber aufgestört
  • werden, und in Qualen, wie die Welt sie nicht kennt, ihren Gräbern
  • entsteigen! Der Judas Petro aber soll nicht die Kraft haben, sich zu
  • erheben, auf daß noch viel größere Martern ihn peinigen; wütend soll er
  • Erde fressen und sich wie ein Rasender unter der Erde winden!«
  • * * * * *
  • »Und wenn das Maß der Freveltaten jenes Menschen voll ist, Gott, so
  • erhebe mich mitsamt meinem Roß aus jenem Schlunde bis auf den höchsten
  • Berg, dann soll jener zu mir kommen, und ich will ihn von dem Berge in
  • den tiefen Abgrund stürzen, und alle Toten, seine Ahnen und Urahnen, sie
  • sollen herbeieilen von allen Enden der Welt, wo sie auch bei Lebzeiten
  • geweilet haben mögen, und an ihm nagen zum Dank für die Qualen, die er
  • ihnen zugefügt; ewiglich sollen sie an ihm nagen, ich aber werde mich
  • freuen beim Anblick seiner Qualen. Der Judas Petro aber soll sich nicht
  • aus der Erde erheben können, er soll _auch_ den Wunsch haben, an dem
  • andren zu nagen, aber er mag an sich selbst nagen, und seine Knochen
  • sollen immer größer werden und höher empor wachsen, auf daß darob seine
  • Qual noch stärker werde. Diese Qual ist die fürchterlichste von allen;
  • denn es gibt keine größere Folter für den Menschen, als sich rächen zu
  • wollen und nicht rächen zu können.«
  • * * * * *
  • »Furchtbar fürwahr ist die Strafe, die du ersonnen, o Mensch!« sprach da
  • Gott. »Und alles möge so geschehen, wie du es gesprochen; aber auch du
  • sitze nun ewiglich dort zu Pferde, und das Himmelreich sei dir nicht
  • beschieden, solange du noch dort auf deinem Rosse sitzen mußt!« Und
  • alles geschah, wie es gesagt ward: auch heute noch steht der wunderbare
  • Ritter auf dem Karpathenberge und sieht im bodenlosen Schlunde die Toten
  • an einem Leichnam nagen, und er fühlt, wie der Leichnam unter der Erde
  • wächst, wie er in furchtbarer Pein an den eigenen Knochen nagt und
  • schrecklich die Erde erschüttert ........
  • Der Blinde hatte sein Lied beendet, schon fing er von neuem an, die
  • Saiten zu zupfen und schon begann er wieder ergötzliche Märlein von
  • Choma und Jerjoma, und von Stkljar Stokosa zu singen ... aber Alt und
  • Jung konnten noch immer nicht zu sich kommen, und lange noch standen sie
  • mit gesenktem Haupte da, in tiefes Sinnen versunken über die
  • schreckliche Tat aus vergangenen Zeiten.
  • Iwan Fjodorowitsch Schponjka
  • und seine Tante
  • Mit dieser Geschichte ist selbst eine Geschichte passiert: erzählt hat
  • sie uns Stepan Iwanowitsch Kurotschka aus Gadjatsch. Nun muß ich euch
  • vermelden, daß mein Gedächtnis ganz unmöglich schlecht ist: ob mir einer
  • was sagt oder nicht, das kommt ganz auf dasselbe hinaus, es ist genau
  • so, als wenn man Wasser in ein Sieb gießt. Weil ich aber meinen Fehler
  • kenne, so habe ich ihn gebeten, die Geschichte in ein Heftchen
  • einzutragen. Gott schenke ihm ein langes Leben, er hat sich mir
  • gegenüber immer als guter Mensch erwiesen, und so hat er die Geschichte
  • denn auch wirklich aufgeschrieben. Nun gut. Ich legte also das Heftchen
  • in das kleine Tischchen: -- Ich glaube, ihr kennt es alle, es steht
  • gleich in der Ecke, wenn man zur Tür hereinkommt ..... Ja, da hab' ich
  • richtig vergessen, daß ihr noch niemals bei mir wart! Meine Alte, mit
  • der ich schon an die dreißig Jahre zusammen lebe, hat, -- was soll ich
  • ein Hehl daraus machen, -- ihr Lebtag nichts vom Lesen verstanden.
  • Einmal bemerkte ich nun, wie sie Küchel auf Papier bäckt. Diese
  • Küchelchen kann sie nämlich ganz wunderbar backen, lieber Leser; bessere
  • Küchel bekommt ihr sicherlich nirgends zu essen. Wie ich mir nun so den
  • Boden eines Küchelchens anschaue, da finde ich plötzlich geschriebene
  • Worte! Ich laufe zum Tischchen, als ob mein Herz es geahnt hätte: -- vom
  • Hefte ist kaum mehr als die Hälfte übrig! Sie hatte sich alle übrigen
  • Blätter für ihre Kuchen weggeschleppt! Was sollte man da machen? Man
  • kann sich doch nicht auf seine alten Tage noch raufen! Nun reiste ich
  • aber im vorigen Jahre so einmal durch Gadjatsch hindurch: noch, bevor
  • ich in die Stadt kam, hatte ich mir absichtlich einen Knoten ins
  • Taschentuch gemacht, um nicht zu vergessen, daß ich Stepan Iwanowitsch
  • meine Bitte vortragen wollte. Mehr noch, ich nahm mir selbst das
  • Versprechen ab: mich, sobald ich in der Stadt niesen würde, daran zu
  • erinnern. Aber es war alles vergebens. Ich kam durch die Stadt, nieste
  • auch, schneuzte mich in mein Taschentuch und vergaß es dennoch; erst als
  • ich schon sechs Werst hinterm Tor war, da fiel es mir wieder ein. Na, da
  • war nichts mehr zu machen, und so mußte die Geschichte denn notgedrungen
  • ohne Schluß abgedruckt werden. Übrigens, wenn jemand unbedingt wissen
  • will, wie diese Geschichte weitergeht, braucht er nur nach Gadjatsch zu
  • fahren und bei Stepan Iwanowitsch vorzusprechen. Der wird sie ihm mit
  • dem größten Vergnügen von Anfang bis zu Ende erzählen. Stepan
  • Iwanowitsch wohnt nicht weit von der steinernen Kirche. Da ist gleich so
  • ein kleines Gäßchen: sobald ihr in dies Gäßchen einbiegt, ist's der
  • zweite oder dritte Torweg. Oder noch besser: wenn ihr im Hofe eine lange
  • Stange mit einer Wachtel erblickt und euch ein dickes Weibsbild in einem
  • grünen Rocke entgegenkommt (nebenbei bemerkt, er führt ein
  • Junggesellenleben), so ist das sein Hof. Ihr könnt ihm übrigens auch auf
  • dem Markt begegnen, wo er jeden Morgen bis gegen neun Uhr Fische oder
  • Gemüse für seinen Tisch einkauft und sich mit Vater Antip oder mit dem
  • jüdischen Händler unterhält. Ihr werdet ihn sofort erkennen, denn
  • niemand außer ihm trägt Hosen aus bedruckter Leinewand oder einen gelben
  • Nankingrock. Oder, da habt ihr noch ein gutes Merkzeichen: wenn er geht,
  • so schlägt er mit den Armen um sich. Der Assessor am Ort, Denis
  • Petrowitsch, pflegte immer zu sagen, wenn er ihn von ferne herankommen
  • sah: »Seht, seht doch, da kommt die Windmühle!«
  • I.
  • Iwan Fjodorowitsch Schponjka
  • Es ist schon vier Jahre her, daß Iwan Fjodorowitsch Schponjka Abschied
  • vom Militär genommen hatte und auf seinem Gutshof Wytrebenjki hauste.
  • Als er noch der kleine Iwan hieß, besuchte er die Kreisschule zu
  • Gadjatsch, und das muß man sagen, er war ein höchst sittsamer und
  • fleißiger Junge. Sein Lehrer in der russischen Grammatik, Nikifor
  • Timofejewitsch Dejepritschastje, behauptete immer, wenn alle so fleißig
  • gewesen wären wie Schponjka, dann hätte er das Ahornlineal nicht in die
  • Klasse mitzunehmen brauchen, denn er war, wie er selbst eingestand, es
  • schon müde, den Faulen und Mutwilligen immer auf die Finger zu klopfen.
  • Iwans Heftchen war stets sauber; es war rings herum mit einem Rande
  • versehen, und nirgends war ein Fleckchen zu entdecken. Er saß stets
  • still mit gefalteten Händen und die Augen auf den Lehrer gerichtet, da;
  • nie heftete er einem vor ihm sitzenden Kameraden einen Zettel auf den
  • Rücken, schnitzte nie Buchstaben oder Zeichen in die Bank und spielte
  • auch nie »Drängeln,« bevor der Lehrer in die Klasse trat. Wenn jemand
  • ein Messer brauchte, um sich eine Feder zu schneiden, so wandte er sich
  • sofort an Iwan Fjodorowitsch, da jeder wußte, daß er stets ein
  • Messerchen bei sich hatte; und Iwan Fjodorowitsch, der damals noch
  • einfach »Wanjuscha« genannt wurde, holte das Messer aus dem kleinen
  • Ledertäschchen, das am Knopfloch seines grauen Rockes hing, und bat nur
  • darum, man möchte die Feder nicht mit der scharfen Seite des Messers
  • schaben, denn er behauptete, daß die stumpfe Seite dazu da sei.
  • Diese Sittsamkeit lenkte bald sogar die Aufmerksamkeit des lateinischen
  • Lehrers auf ihn, der schon im Korridor durch sein Husten, und noch bevor
  • sein Friesmantel und sein blatternarbiges Gesicht in der Tür erschien,
  • die ganze Klasse in Angst und Schrecken jagte. Dieser fürchterliche
  • Lehrer, auf dessen Katheder stets zwei Rutenbündel prangten, und bei dem
  • die Hälfte aller Schüler auf den Knien stehen mußten, machte Iwan
  • Fjodorowitsch zum Auditor der anderen, obwohl es in der Klasse viele
  • Schüler gab, die bedeutend begabter waren als er. Hier darf ein Fall
  • nicht übergangen werden, der einen gewissen Einfluß auf Iwans Leben
  • gewann. Einer der ihm anvertrauten Schüler, der den Auditor bewegen
  • wollte, ihm ein »_Scit_« ins Klassenbuch zu schreiben, obgleich er keine
  • blasse Ahnung von seiner Lektion hatte, brachte einen in Papier
  • eingewickelten und mit Butter übergossenen Eierkuchen in die Klasse mit.
  • Trotzdem Iwan Fjodorowitsch sonst stets gerecht war, war er doch gerade
  • in diesem Augenblick sehr hungrig und daher konnte er der Versuchung
  • nicht widerstehen. Er nahm den Eierkuchen, pflanzte ein Buch vor sich
  • auf und begann ihn zu verzehren. Er war so damit beschäftigt, daß er
  • nicht einmal merkte, wie es plötzlich in der Klasse totenstill wurde. So
  • kam er erst wieder zu sich, als sich eine schreckliche Hand aus dem
  • Friesmantel hervorstreckte, ihn beim Ohr packte und mitten in die Klasse
  • zerrte. »Gib den Eierkuchen heraus, gib ihn heraus! sagt man dir, du
  • Taugenichts!« rief der schreckliche Lehrer, ergriff den fettigen
  • Eierkuchen mit den Fingern und warf ihn durchs Fenster, wobei er es
  • übrigens nicht vergaß, den im Hofe herumlaufenden Schuljungen aufs
  • strengste zu verbieten, ihn aufzuheben. Darauf schlug er Iwan
  • Fjodorowitsch gleich an Ort und Stelle kräftig auf die Finger, und das
  • mit Recht: denn die Finger waren ja gerade die Schuldigen, _sie_ hatten
  • sich ja den Eierkuchen genommen und kein anderer Körperteil. Wie dem
  • auch sei, genug, seitdem wurde Iwans Schüchternheit, die aufs engste mit
  • seiner Person verwachsen war, nur noch größer. Vielleicht war eben
  • dieses Geschehnis der Grund davon, daß er später nie Lust hatte, in den
  • Zivildienst einzutreten; hatte er doch aus eigener Erfahrung erkannt,
  • daß es uns nicht immer gelingt, unsere Sünden zu verbergen.
  • Er war nicht weniger als fünfzehn Jahre alt, als er in die zweite Klasse
  • versetzt wurde, wo er vom kleinen Katechismus und den vier Spezies in
  • der Arithmetik, zum großen Katechismus, zum Buch von den Pflichten des
  • Menschen und zu den Brüchen überging. Aber da er merkte, daß, je größer
  • der Wald, um so dichter die Baumstämme beieinander ständen, und als er
  • die Nachricht erhielt, daß sein Vater das Zeitliche gesegnet habe, blieb
  • er nur noch zwei Jahre dort und trat dann mit Einwilligung seiner Mutter
  • in das P--er Infanterieregiment.
  • Das P--er Infanterieregiment war nun keineswegs von der Sorte, zu der
  • die meisten Infanterieregimenter gehören; und obwohl es gewöhnlich nur
  • in Dörfern lag, lebte es doch auf großem Fuße, so daß es manchem
  • Kavallerieregiment nichts nachgab. Der größte Teil der Offiziere trank
  • den stärksten Schnaps, den man nur durch Gefrierenlassen gewinnt, und
  • verstand es nicht schlechter als die Husaren, die Juden bei den
  • Schläfenlöckchen zu packen und nach sich zu ziehen; einige von den
  • Offizieren konnten sogar Mazurka tanzen, und der Oberst des P--schen
  • Regiments ließ sich in Gesellschaft nie die Gelegenheit entgehen, dies
  • besonders zu betonen. »Bei mir,« sagte er gewöhnlich und tätschelte sich
  • bei jedem Wort seinen Bauch, »bei mir im Regiment tanzen viele Mazurka,
  • jawohl viele, sogar sehr viele!« Um dem Leser den Grad der Bildung, der
  • im P--er Infanterieregiment herrschte, noch deutlicher vor Augen zu
  • führen, wollen wir noch hinzufügen, daß zwei seiner Offiziere ganz
  • schreckliche Spielratten waren und Uniform, Mütze, Mantel samt ihrer
  • Troddel und ihrer Unterkleidung im Bankspiel verloren, und das kommt ja
  • selbst bei den Kavalleristen nicht immer vor.
  • Der Umgang mit solchen Kameraden hatte jedoch nicht im geringsten dazu
  • beigetragen, die Schüchternheit von Iwan Fjodorowitsch zu vermindern,
  • und da er nur einfachen Schnaps trank, und zwar _ein_ Gläschen vor dem
  • _Mittag_- und _ein_ Gläschen _vor_ dem _Abend_essen -- weder Mazurka
  • tanzte noch Karten spielte, so blieb er natürlich immer allein. Auf
  • diese Art pflegte er, während die anderen auf Gutspferden zu den
  • kleineren Grundbesitzern zu Besuch fuhren, in seiner Wohnung zu sitzen
  • und sich Beschäftigungen zu widmen, die nur zu einer sanften und gütigen
  • Seele passen: bald putzte er seine Knöpfe, bald las er im Wahrsagebuch,
  • bald stellte er in allen Winkeln seines Zimmers Mausefallen auf, und
  • bald warf er endlich die Uniform ab und lag dann lang ausgestreckt auf
  • dem Bette.
  • Dafür aber gab es niemand im Regiment, der zuverlässiger gewesen wäre,
  • als Iwan Fjodorowitsch, und er befehligte seine Korporaltruppen so gut,
  • daß der Kompagniechef ihn den andern immer zum Vorbild aufstellte. Dafür
  • wurde er auch, kaum elf Jahre, nachdem er die Fähnrichscharge erhalten
  • hatte, zum Sekondeleutnant ernannt.
  • Während dieser Zeit erhielt er die Nachricht, seine Mutter sei gestorben
  • und seine Tante, die leibliche Schwester seiner Mutter, eine Tante, die
  • er nur _daher_ kannte, weil sie ihm in seiner Kindheit einmal
  • getrocknete Rosinen und äußerst schmackhafte, selbst gebackene Bretzeln
  • mitgebracht hatte und die ihm später dergleichen schöne Dinge sogar nach
  • Gadjatsch schickte (sie war mit seiner Mutter verfeindet, und daher
  • bekam sie Iwan Fjodorowitsch später nicht mehr zu sehen), -- diese Tante
  • habe aus reiner Gutherzigkeit die Verwaltung seines kleinen Gutes
  • übernommen, wovon sie ihm rechtzeitig in einem Briefe Mitteilung machte.
  • Iwan Fjodorowitsch, der von dem verständigen Sinn seiner Tante
  • vollkommen überzeugt war, verrichtete indes seinen Dienst weiter wie
  • früher. Manch einer an seiner Stelle wäre, wenn er solch einen Rang
  • erklommen hätte, stolz geworden; aber jeglicher Stolz war ihm völlig
  • fremd, und auch als Sekondeleutnant blieb er ganz derselbe Iwan
  • Fjodorowitsch, der er auch als Fähnrich gewesen war. Er brachte nach
  • diesem für ihn so denkwürdigen Ereignis noch weitere vier Jahre so zu,
  • und war gerade im Begriff, mit seinem Regiment aus dem Gouvernement
  • Mohilew nach Großrußland zu ziehen, als er einen Brief folgenden Inhalts
  • erhielt:
  • »Mein lieber Neffe Iwan Fjodorowitsch!
  • Ich schicke Dir Wäsche: fünf Paar Zwirnsocken und vier feine
  • Leinenhemden; auch möchte ich geschäftlich mit Dir reden: da Du ja
  • schon einen nicht geringen Rang erklommen, und, wie ich glaube, ein
  • Alter erreicht hast, wo man weiß, daß es an der Zeit ist, sich mit
  • der Landwirtschaft zu beschäftigen, so solltest Du nicht länger noch
  • beim Militär bleiben. Ich bin schon alt und kann auf Deinem
  • Besitztum nicht alles selbst besorgen; auch muß ich Dir vieles
  • persönlich mitteilen. Komm, mein Lieber. Indem ich sehnsüchtig auf
  • das Vergnügen warte, Dich wiederzusehen, verbleibe ich Deine Dich
  • innig liebende Tante
  • Wassilissa Zuptschewska.
  • _P. S._ Bei uns im Garten gibt's jetzt herrliche Rüben: sie gleichen
  • schon mehr Kartoffeln als Rüben.«
  • Acht Tage nach Empfang des Briefes erhielt Iwan Fjodorowitschs Tante
  • folgende Antwort:
  • »Liebe Tante Wassilissa Kaschparowna!«
  • »Vielen Dank für die Wäschesendung. Besonders meine Socken sind
  • schon sehr alt, so daß der Bursche sie bereits viermal stopfen
  • mußte; dadurch sind sie mir auch zu eng geworden. Was Ihre Ansicht
  • über den Dienst anbelangt, so bin ich ganz mit Ihnen einverstanden,
  • und habe daher vorgestern meinen Abschied eingereicht. Sobald ich
  • den Dispens erhalte, nehme ich mir sogleich einen Wagen. Ihren
  • früheren Auftrag, Ihnen sibirischen Weizensamen zu besorgen, konnte
  • ich leider nicht ausführen: im ganzen Gouvernement Mohilew gibt es
  • keinen solchen Samen. Schweine werden hier meistenteils mit Mais
  • gemästet, wobei man etwas gegorenes Bier hinzutut.
  • Mit vorzüglicher Hochachtung verbleibe ich
  • Ihr Neffe
  • Iwan Schponjka.«
  • Endlich erhielt Iwan Fjodorowitsch seinen Abschied, und wurde dabei zum
  • Oberleutnant befördert; mietete sich für vierzig Rubel einen jüdischen
  • Fuhrmann von Mohilew bis Gadjatsch und nahm im Wagen Platz, just zu der
  • Zeit, da die Bäume sich mit den ersten jungen Blättern schmückten, die
  • Erde in frischem Grün prangte, und alle Felder einen herrlichen
  • Frühlingsduft ausströmten.
  • II.
  • Die Reise
  • Unterwegs passierte nichts besonders Bemerkenswertes. Man reiste etwas
  • über vierzehn Tage lang. Vielleicht wäre Iwan Fjodorowitsch noch früher
  • angekommen, wenn der fromme Jude nicht seinen Sabbath eingehalten und
  • nicht den ganzen Tag über, in seine Pferdedecke gehüllt, gebetet hätte.
  • Wie ich übrigens schon gelegentlich bemerkt habe, war Iwan Fjodorowitsch
  • ein Mensch, der keine Langeweile aufkommen ließ. Während dieser Zeit
  • schnallte er seinen Koffer auf, nahm seine Wäsche heraus, musterte sie,
  • ob sie auch gut gewaschen und richtig zusammengelegt sei, entfernte
  • behutsam ein Federchen von seiner Uniform, die schon keine Epauletten
  • mehr zierten, und legte alles wieder in schönster Weise zusammen. Er
  • liebte im Allgemeinen das Bücherlesen nicht; und wenn er auch hie und da
  • in das Wahrsagebuch hineinblickte, so geschah es nur deshalb, weil er es
  • gern hatte, bekannten Dingen, die er schon einige Male gelesen, wieder
  • einmal zu begegnen. Genau so besucht der Städter seinen Klub, nicht etwa
  • um irgend etwas Neues zu hören, sondern um dort Freunde zu treffen, mit
  • denen er seit unvordenklichen Zeiten im Klub zu plaudern gewohnt ist.
  • Oder so liest ein Beamter ein paarmal täglich mit viel Genuß das
  • Adreßbuch, nicht etwa um irgendwelcher tiefer diplomatischer Pläne
  • willen, sondern weil ihn die gedruckten Namen amüsieren. »Ah! Das ist
  • Iwan Gawrilowitsch so und so! ....« murmelt er dumpf vor sich hin. »Ah!
  • Da bin ich! hm! ....« Und am folgenden Tage liest er's wieder, wobei er
  • seine Lektüre mit denselben Interjektionen begleitet.
  • Nach einer vierzehntägigen Fahrt erreichte Iwan Fjodorowitsch ein
  • Dörfchen, das hundert Werst von Gadjatsch entfernt war. Es war gerade
  • ein Freitag und die Sonne war schon längst untergegangen, als er samt
  • seinem Wagen und dem Juden in den Hof des Gasthauses einfuhr.
  • Dieses Gasthaus unterschied sich durch nichts von allen andren
  • Gasthäusern, die man in kleinen Dörfern vorfindet. Dort bringt man dem
  • Fremden zumeist mit viel Eifer Heu und Hafer entgegen, gleich als ob er
  • ein Postgaul wäre. Will er dagegen frühstücken, wie anständige Leute es
  • gewöhnlich zu tun pflegen, so soll er sich seinen Appetit ruhig und
  • unversehrt bis zu einer anderen Gelegenheit aufsparen. Indessen, da Iwan
  • Fjodorowitsch all das wußte, hatte er sich rechtzeitig zwei Bündel
  • Brezeln und Wurst besorgt, bestellte sich jetzt nur einen Schnaps, an
  • dem es in keinem Wirtshaus fehlt, und begann sein Abendmahl, indem er
  • auf der Bank vor dem Eichentisch Platz nahm, der fest in den Lehmboden
  • eingegraben war.
  • Währenddessen kam unter mächtigem Gerassel ein Wagen heran. Das Tor
  • knarrte, aber der Wagen fuhr noch lange nicht in den Hof hinein und man
  • hörte jemand mit lauter Stimme auf die Alte losschimpfen, der das
  • Wirtshaus gehörte. »Gut, ich steige hier ab,« hörte Iwan Fjodorowitsch
  • den Fremden rufen, »wenn mich aber auch nur eine Wanze beißt, so prügle
  • ich dich durch, bei Gott, du alte Hexe, ich prügle dich durch, und
  • bezahle dir nichts für dein Heu!«
  • Einen Augenblick später ging die Tür auf, und herein trat, oder
  • richtiger gesagt, _kroch_ ein dicker Mann in einem grünen Rock. Sein
  • Kopf saß unbeweglich auf dem kurzen Halse, der infolge des Doppelkinns
  • noch dicker erschien. Schon nach dem bloßen Äußeren hätte man glauben
  • können, einen Mann vor sich zu haben, der sich nie den Kopf über
  • Alfanzereien zerbrach, und dessen Leben ruhig dahinglitt wie Öl.
  • »Ich wünsche Ihnen eine gute Gesundheit, mein Herr!« rief er, als er
  • Iwan Fjodorowitsch erblickte.
  • Iwan Fjodorowitsch verneigte sich stumm.
  • »Darf ich fragen, mit wem habe ich die Ehre, zu sprechen?« fuhr der
  • dicke Fremde fort.
  • Bei diesen Fragen erhob sich Iwan Fjodorowitsch unwillkürlich von seinem
  • Platze und richtete sich stramm auf, wie er es zu tun pflegte, wenn sein
  • Oberst sich bei ihm nach irgend etwas erkundigte. »Leutnant außer
  • Diensten Iwan Fjodorowitsch Schponjka,« antwortete er.
  • »Darf ich fragen, wohin Sie zu fahren belieben?«
  • »Auf mein Gut Wytrebenjki«.
  • »Wytrebenjki!« rief der gestrenge Frager. »Gestatten Sie, mein Herr,
  • gestatten Sie!« rief er, indem er auf ihn zutrat und mit den Armen um
  • sich schlug, gleich als ob er sich gegen jemanden wehren, oder sich
  • durch eine Menschenmenge hindurchdrängen wollte. Dann aber trat er auf
  • ihn zu, schloß Iwan Fjodorowitsch in die Arme und küßte ihn zuerst auf
  • die rechte, dann auf die linke und dann wieder auf die rechte Wange.
  • Iwan Fjodorowitsch fand Gefallen an diesem Zärtlichkeitsausbruch, denn
  • die großen Wangen des Fremden erschienen seinen Lippen wie zwei weiche
  • Kissen.
  • »Erlauben Sie, mein Herr, daß wir einander kennen lernen!« fuhr der
  • Dicke fort. »Ich bin Gutsbesitzer, und zwar ebenfalls im Kreise
  • Gadjatsch; ich bin Ihr Nachbar, wohne höchstens fünf Werst von Ihrem
  • Gutshof Wytrebenjki entfernt auf meinem Gute Chortystsche, und heiße
  • Grigori Grigorjewitsch Stortschenko. Nein, unbedingt, mein Herr,
  • unbedingt .... ich will nichts von Ihnen wissen, wenn Sie nicht zu mir
  • nach Chortystsche zu Besuch kommen. Jetzt muß ich eilig in Geschäften
  • weiter .... Was soll denn das da bedeuten?« sprach er mit sanfter Stimme
  • zu seinem Reitknecht, einem Knaben in einem Kosakenkittel mit geflickten
  • Ellenbogen und verwunderter Miene, der allerhand Pakete und Schachteln
  • auf den Tisch stellte. »Was soll das? Wie?« -- und Grigori
  • Grigorjewitschs Stimme wurde zusehends strenger und strenger. »Habe ich
  • dir etwa befohlen, das hierher zu stellen, du Schurke? Habe ich dir
  • nicht befohlen, zuerst das Huhn warm zu machen, Halunke du? Pack dich!«
  • rief er und stampfte mit dem Fuße auf. »Halt, du Fratz du! Wo ist denn
  • das Kästchen mit den Flaschen? Iwan Fjodorowitsch!« fuhr er fort, indem
  • er ein Gläschen Kräuterschnaps einschenkte, »bitte ergebenst: ärztlich
  • empfohlen!«
  • »Bei Gott, ich kann nicht .... ich hatte schon Gelegenheit ....« sagte
  • Iwan Fjodorowitsch stockend.
  • »Nein, ich will nichts hören, mein Herr!« rief der Gutsbesitzer mit
  • erhobener Stimme, »ich will nichts hören! Ich rühr' mich nicht vom
  • Fleck, bis Sie getrunken haben ....«
  • Iwan Fjodorowitsch sah ein, daß hier eine Weigerung unmöglich war, und
  • trank den Schnaps nicht ohne Vergnügen.
  • »Hier ist Huhn, mein Herr,« fuhr der dicke Grigori Grigorjewitsch fort,
  • indem er das Huhn in seinem Holzkästchen mit dem Messer zerlegte. »Ich
  • muß Ihnen sagen, meine Köchin Jawdocha liebt es manchmal, ein Gläschen
  • hinter die Binde zu gießen, und daher macht sie's zuweilen zu trocken.
  • He, Junge!« und hierbei wandte er sich an den Knaben im Kosakenkittel,
  • der gerade ein Federbett und ein Kissen hereinbrachte, »mach mir das
  • Bett auf dem Fußboden, mitten in der Stube! Paß aber auch gut auf, lege
  • recht viel Heu unter das Kopfkissen! Und reiße dem Frauenzimmer ein
  • bißchen Hanf aus der Decke, damit ich mir zur Nacht die Ohren zustopfen
  • kann! Sie müssen nämlich wissen, mein Herr, daß ich die Gewohnheit habe,
  • mir nachts die Ohren zuzustopfen, seit jener verfluchten Geschichte, wo
  • mir einmal in einer großrussischen Kneipe eine Schwabe ins Ohr gekrochen
  • ist. Wie ich später erfahren habe, essen diese verdammten Russen sogar
  • Kohlsuppe mit Schwaben. Es ist unmöglich zu beschreiben, was damals mit
  • mir vorging: es kitzelte und kitzelte mir nur so im Ohr ... na, um auf
  • die Wände zu klettern! Schließlich hat mir ein einfaches altes Weib
  • geholfen, aber das war schon hier in unserer Gegend, und womit glauben
  • Sie? Ganz einfach, indem sie mich besprach. Was denken Sie über die
  • Ärzte, mein Herr? Ich meine, die foppen uns nur und halten uns zum
  • Besten; manche alte Frau weiß zwanzigmal mehr, als all diese Ärzte.«
  • »In der Tat, was Sie da zu sagen belieben, ist vollkommen richtig. In
  • der Tat, es gibt ....« Und Iwan Fjodorowitsch hielt inne, als ob er kein
  • passendes Wort finden konnte. An dieser Stelle muß ich sagen, daß er
  • überhaupt ziemlich wortkarg war. Vielleicht rührte das von seiner
  • Schüchternheit her, vielleicht aber entsprach es auch nur dem Wunsche,
  • sich möglichst hübsch auszudrücken.
  • »Schüttle das Heu nur recht tüchtig; tüchtig, hörst du!« rief Grigori
  • Grigorjewitsch seinem Lakai zu. »Hier ist das Heu so abscheulich, daß
  • man nur allzuleicht auf ein Ästchen stoßen kann. Ich erlaube mir, Ihnen
  • eine gute Nacht zu wünschen, mein Herr! Morgen werden wir uns wohl nicht
  • mehr sehen: ich fahre noch vor Tagesanbruch weiter. Ihr Jude wird hier
  • wohl seinen Sabbath halten, morgen ist nämlich Sonnabend; da brauchen
  • Sie nicht so früh aufzustehen. Vergessen Sie nur meine Bitte nicht, ich
  • will einfach nichts von Ihnen wissen, wenn Sie nicht nach Chortystsche
  • kommen.«
  • Der Kammerdiener zog dem Grigori Grigorjewitsch Rock und Stiefel aus,
  • half ihm statt dessen in einen Schlafrock hinein, und Grigori
  • Grigorjewitsch warf sich auf sein Bett, was genau so aussah, wie wenn
  • ein riesiges Federbett sich auf ein anderes gelegt hätte.
  • »He, Bursche! Wo steckst du nur, du Schuft? Komm her, leg mir die Decke
  • zurecht! He, Junge, lege mir noch Heu unter den Kopf! Wie? sind die
  • Pferde schon getränkt? _Noch_ mehr Heu! Hierher, _da_ unter die Seite!
  • Aber so lege mir doch die Decke zurecht, du Schurke! So! Besser, noch
  • besser .... Oh! ....«
  • Und Grigori Grigorjewitsch seufzte noch ein paarmal tief auf, und
  • erfüllte das ganze Zimmer mit einem fürchterlichen Pfeifen, das aus
  • seiner Nase hervordrang; er schnarchte zuweilen so laut, daß die alte
  • Frau, die auf der Ofenbank schlummerte, aufwachte, verwundert in alle
  • Ecken und Winkel guckte, und erst, als sie nichts besonderes bemerkte,
  • beruhigt wieder einschlief.
  • Als Iwan Fjodorowitsch am nächsten Morgen erwachte, war der dicke
  • Gutsbesitzer nicht mehr da. Das war das einzige merkwürdige Ereignis,
  • das sich während seiner Reise zugetragen hatte. Zwei Tage darauf näherte
  • er sich seinem Gutshof.
  • Er fühlte, wie sein Herz heftig zu schlagen begann, als die Windmühle,
  • ihre Flügel schwenkend, hervorschaute, und als in dem Maße, wie der Jude
  • seine Stuten den Berg hinaufjagte, unten eine Reihe von Weiden
  • auftauchte. Hell und lebhaft schimmerte der Teich zwischen ihnen auf und
  • strömte eine kühlende Frische aus. Hier pflegte er früher zu baden; und
  • in demselben Teiche war er einstmals mit den Dorfjungen, bis zum Halse
  • im Wasser, herumgewatet, um Krebse zu fangen. Das Wägelchen fuhr den
  • Damm hinauf, und jetzt erblickte Iwan Fjodorowitsch das alte mit Schilf
  • gedeckte Häuschen, und die alten Äpfel- und Kirschbäume, auf denen er
  • einstmals heimlich herumgeklettert war. Kaum war er in den Hof
  • eingefahren, so kamen von allen Seiten Hunde aller möglichen Rassen
  • herbeigelaufen: schwarze, dunkelbraune, graue, scheckige. Die einen
  • warfen sich den Pferden bellend vor die Füße, die anderen liefen
  • hinterdrein, da sie merkten, daß die Achse mit Fett eingeschmiert war;
  • ein Hund stand neben der Küche, hatte die Pfote auf einen Knochen gelegt
  • und kläffte aus Leibeskräften; ein andrer bellte von ferne, rannte hin
  • und her, und wedelte mit dem Schweif, gleich als ob er sagen wollte:
  • »Seht, ihr Christenmenschen, was ich noch für ein Jüngling bin!« Mehrere
  • Jungen in schmutzigen Hemden kamen herausgelaufen, um zu gaffen. Eine
  • Sau, die mit sechzehn Ferkeln im Hofe herumpromenierte, hob ihre
  • Schnauze mit prüfender Miene in die Höhe und grunzte noch lauter als
  • sonst. Im Hofe lag auf einem Stück grober Leinwand eine Unmenge Weizen,
  • Gerste und Buchweizen, und all dieses trocknete in der Sonne. Auch auf
  • dem Dache lagen allerhand Kräuter zum Trocknen: Nagelkraut, Grindkraut
  • und mehr dergleichen.
  • Iwan Fjodorowitsch war dermaßen in Betrachtung all dieser Herrlichkeiten
  • versunken, daß er erst wieder zu sich kam, als ein scheckiger Hund den
  • vom Bock herunterkriechenden Juden in die Wade biß. Das Gesinde, das
  • auch herbeigeeilt war und aus einer Köchin, einer Frau und zwei Mädeln
  • in wollenen Röcken bestand, meldete ihm, nachdem alle laut ausgerufen
  • hatten »Da ist ja der junge Herr!«, daß sich die Tante im Gemüsegarten
  • befände und zusammen mit der Dienstmagd Paloschka und dem Kutscher
  • Omeljka, der manchmal auch das Amt eines Gärtners und Wärters versah,
  • Weizen säe. Aber die Tante, die den Wagen von ferne erblickt hatte, war
  • schon selbst erschienen. Iwan Fjodorowitsch erstaunte, als sie ihn fast
  • in ihren Armen in die Höhe hob, und er fing beinahe an zu zweifeln, ob
  • das auch wirklich dieselbe Tante sei, die ihm so viel von ihrer
  • Gebrechlichkeit und Kränklichkeit geschrieben hatte.
  • III.
  • Die Tante
  • Tante Wassilissa Kaschparowna war damals gegen fünfzig Jahre alt. Sie
  • war nie verheiratet gewesen, und sie behauptete, das jungfräuliche Leben
  • sei ihr wertvoller als alles auf der Welt. Übrigens hatte -- so viel ich
  • mich besinnen kann, -- auch nie jemand um ihre Hand angehalten. Das kam
  • daher, daß alle Männer ihr gegenüber eine gewisse Schüchternheit
  • empfanden und nicht den Mut hatten, ihr ihre Gefühle zu erklären.
  • »Wassilissa Kaschparowna hat sehr viel Charakter,« sagten die Freier,
  • und sie hatten recht, denn Wassilissa Kaschparowna verstand es, einen
  • sammetweich zu machen. Aus dem versoffenen Müller, der zu gar nichts
  • mehr zu gebrauchen war, hatte sie ohne Anwendung irgendwelcher äußerer
  • Mittel und nur indem sie ihn täglich ein paarmal am Schopfe rupfte,
  • verstanden, einen ganzen Menschen, ja, mehr noch, geradezu einen
  • Goldklumpen zu machen. Ihr Wuchs ging ins Riesenhafte, und ihre
  • Beleibtheit und Kraft entsprachen ihm. Es hatte den Anschein, als ob die
  • Natur einen unverzeihlichen Fehler begangen habe, als sie es ihr zum
  • Schicksal bestimmte, an den Werktagen ewig einen dunkelbraunen
  • Morgenrock mit kleinen Säumchen und am Ostersonntag und an ihrem
  • Namenstage einen roten Kaschmir-Schal zu tragen, während ihr ein
  • Dragonerschnurrbart und lange Schaftstiefel am besten gestanden hätten.
  • Dafür aber entsprach ihre Beschäftigung vollkommen ihrem Charakter, sie
  • konnte rudern, und zwar besser als irgend ein Fischer; sie ging auf die
  • Jagd; sie beaufsichtigte die Schnitter, sie kannte die Zahl der Kürbisse
  • und Melonen auf dem Felde auswendig; sie erhob eine Steuer von fünf
  • Kopeken von jedem Wagen, der über ihren Damm fuhr; sie kletterte auf die
  • Bäume und schüttelte die Birnen herunter; sie prügelte eigenhändig ihre
  • faulen »Vasallen« mit ihrer schrecklichen Hand und belohnte die Würdigen
  • mit einem Schnaps aus derselben gestrengen Hand. Und fast zur gleichen
  • Zeit konnte sie schimpfen, Leinwand färben, in die Küche rennen, Kwas
  • bereiten, und Honig einmachen; sie machte sich den ganzen lieben Tag zu
  • schaffen und versäumte nichts. Die Folge davon war, daß Iwan
  • Fjodorowitschs kleines Gut, das nach der letzten Revision achtzehn
  • Leibeigene gezählt hatte, förmlich aufblühte, und zwar im vollen Sinne
  • dieses Wortes. Übrigens liebte sie auch ihren Neffen viel zu sehr und
  • hob sorgsam jede Kopeke für ihn auf.
  • Seit Iwan Fjodorowitsch wieder zu Hause war, ging eine große Veränderung
  • in seinem Leben vor und es schlug völlig neue Bahnen ein. Es schien so,
  • als ob die Natur ihn geradezu dazu geschaffen hätte, ein Gut mit
  • achtzehn Leibeigenen zu beaufsichtigen. Sogar die Tante merkte, daß er
  • einen guten Landwirt abgeben würde, obwohl sie ihm übrigens nicht
  • gestattete, sich in alle Fragen der Wirtschaft einzumischen. »Der Junge
  • ist noch nicht alt genug!« pflegte sie gewöhnlich zu sagen, trotzdem
  • Iwan Fjodorowitsch mindestens vierzig Jahre alt war; »woher soll er auch
  • alles wissen!«
  • Er wich jedoch auf dem Felde keinen Schritt von den Schnittern und
  • Mähern, und dies bereitete seiner sanften Seele einen unaussprechlichen
  • Genuß. Ein Dutzend glänzender Sensen und mehr fliegen einmütig in einem
  • Schwunge in die Höhe; das Gras sinkt rauschend in harmonischen Reihen
  • zur Erde; und nun erklingen die Lieder der Schnitterinnen, bald lustig,
  • wie beim Empfang von Gästen, und bald wehmütig, wie bei einer Trennung;
  • der Abend ist still und die Luft ist rein! -- O wie köstlich ist solch
  • ein Abend! Wie leicht und frisch ist die Luft! wie erscheint dann alles
  • belebt: die Steppe rötet sich, blaut und glüht in allen Farben auf;
  • Wachteln, Trappgänse, Möwen, Heimchen und tausende von Insekten: sie
  • alle pfeifen, summen, knarren, schreien, und auf einmal ist's ein
  • harmonischer Chor; und nichts verstummt auch nur für einen Augenblick.
  • Schon senkt sich die Sonne herab und versteckt sich. Ah! wie frisch und
  • wohlig wird einem da! Auf dem Felde werden hie und da Feuer entzündet
  • und Kessel aufgestellt, und die schnauzbärtigen Schnitter setzen sich
  • rings um die Kessel herum; von den brodelnden Klößen steigt ein Dampf
  • auf; der Abend graut .... Es wäre schwer zu sagen, was dann in Iwan
  • Fjodorowitsch vorging. Er vergaß es, wenn er sich zu den Schnittern
  • gesellte, von ihren Klößen zu kosten, obwohl er sie doch so gerne aß,
  • stand regungslos auf einem Fleck da, verfolgte eine hoch im Himmel
  • schwirrende Möwe mit den Augen oder zählte die Garben des abgemähten
  • Kornes, die das Feld überfluteten.
  • Bald erzählte man überall von Iwan Fjodorowitsch, er sei ein großer
  • Landwirt vor dem Herrn. Die Tante konnte sich nicht genug über ihren
  • Neffen freuen und ließ sich keine Gelegenheit entgehen, mit ihm zu
  • prahlen und wichtig zu tun. Eines Tages aber -- es war am Ausgang des
  • Juli und schon nach Beendigung der Ernte -- faßte Wassilissa
  • Kaschparowna ihren Neffen mit geheimnisvoller Miene bei der Hand und
  • erklärte ihm, sie wolle mit ihm über etwas sprechen, was sie schon seit
  • langem beschäftigte.
  • »Es ist dir wohl bekannt, lieber Iwan Fjodorowitsch,« begann sie, »daß
  • dein Gutshof achtzehn Leibeigene zählt; übrigens nur laut der letzten
  • Revision, in Wirklichkeit werden's vielleicht noch mehr sein, vielleicht
  • gar bis an die vierundzwanzig. Doch es handelt sich nicht darum, du
  • kennst wohl das Wäldchen, das sich hinter unserer Trift befindet, und
  • wohl auch die breite Wiese hinter diesem Walde: sie ist mindestens
  • zwanzig Deßjatin groß, und es wächst so viel Gras darauf, daß man jedes
  • Jahr für mehr als hundert Rubel davon verkaufen kann, besonders wenn,
  • wie man erzählt, ein Kavallerie-Regiment in Gadjatsch stehen wird.«
  • »Gewiß, liebe Tante; das Gras ist sehr gut!«
  • »Ich weiß selbst, daß es sehr gut ist; aber weißt du auch, daß dieses
  • ganze Land eigentlich von Rechts wegen dir gehört? Was siehst du mich so
  • groß an? Hör mich an, Iwan Fjodorowitsch! Erinnerst du dich noch an
  • Stepan Kusmitsch? Warum sage ich eigentlich: erinnerst du dich? Du warst
  • ja damals noch so klein, daß du nicht einmal seinen Namen aussprechen
  • konntest. Wie solltest du dir da noch eine Erinnerung bewahrt haben! Ich
  • weiß noch: als ich grad vor Philippi zu euch kam und ich dich auf die
  • Arme nahm, da hättest du mir beinahe das ganze Kleid verdorben; zum
  • Glück konnte ich dich noch der Amme Matrjona übergeben, so abscheulich
  • warst du damals .... Aber es handelt sich ja nicht darum. Das ganze
  • Land, das sich hinter unserem Gutshof befindet, und selbst das Dorf
  • Chortystsche gehörte damals Stepan Kusmitsch. Und da muß ich dir sagen
  • -- denn damals warst du noch nicht auf der Welt -- der kam zu jener Zeit
  • oft zu deiner Mutter zu Besuch, -- freilich zu einer Zeit, da dein Vater
  • nicht zu Hause war. Ich sag' es jedoch nicht, um ihr einen Vorwurf
  • daraus zu machen. -- Gott sei ihrer Seele gnädig! Obwohl die Selige mir
  • gegenüber im Unrecht war. Aber es handelt sich jetzt nicht darum. Wie
  • dem auch sei, genug, Stepan Kusmitsch setzte eine Schenkungsurkunde auf,
  • in der er dir das Gut vermachte, von dem ich dir eben sprach. Deine
  • selige Mutter hatte jedoch, -- unter uns gesagt, einen ganz wunderlichen
  • Charakter. Selbst der Teufel (Gott verzeih mir dies häßliche Wort!)
  • hätte sie nicht verstehen können. Wohin sie diese Urkunde gesteckt hat
  • -- das weiß der liebe Himmel. Ich glaube einfach, sie befindet sich in
  • den Händen des alten Junggesellen, Grigori Grigorjewitsch Stortschenko.
  • Und nun ist alles diesem dickbäuchigen Schurken zugefallen. Bei Gott,
  • ich wäre bereit, um alles in der Welt zu wetten, daß er die Urkunde
  • einfach unterschlagen hat.«
  • »Darf ich fragen, liebe Tante, ob das derselbe Stortschenko ist, den ich
  • auf der Station kennen gelernt habe?« Und Iwan Fjodorowitsch erzählte
  • ihr von seiner Begegnung.
  • »Wer weiß!« antwortete die Tante nach kurzem Nachdenken. »Vielleicht ist
  • er doch kein Schuft. Es ist wahr, er lebt erst ein halbes Jahr lang
  • hier, und in so kurzer Zeit kann man einen Menschen nicht genau kennen
  • lernen. Die Alte, das heißt seine Mutter, soll, wie ich gehört habe,
  • eine sehr vernünftige Frau sein und sich meisterlich darauf verstehen,
  • Gurken einzulegen, und ihre Mägde sollen großartige Teppiche weben. Da
  • er dich, wie du sagst, so freundlich empfangen hat, so fahre nur zu ihm
  • hin: vielleicht wird der alte Sünder auf sein Gewissen hören und
  • zurückgeben, was ihm nicht gehört. Du kannst meinetwegen die Kalesche
  • nehmen, nur haben die verdammten Kinder hinten alle Nägel herausgezogen;
  • man muß vorher dem Kutscher Omeljko sagen, daß er das Leder festnageln
  • soll.«
  • »Wozu nur, liebe Tante? Ich nehme lieber das Wägelchen, in dem Sie auf
  • die Jagd fahren.«
  • Damit schloß das Gespräch.
  • IV.
  • Das Diner
  • Iwan Fjodorowitsch kam um die Mittagszeit im Dorfe Chortystsche an, und
  • wurde etwas unruhig, als er sich dem Herrenhause näherte. Dieses Haus
  • war sehr lang und nicht mit Schilf gedeckt, wie die Häuser so vieler
  • Gutsbesitzer in der Umgegend, sondern hatte ein Holzdach. Die zwei
  • Schuppen im Hofe waren ebenfalls mit Holzdächern versehen; und das Tor
  • war aus Eichenholz. Iwan Fjodorowitsch glich einem jener Stutzer, die
  • auf einen Ball kommen und plötzlich bemerken, daß, wohin sie auch
  • blicken mögen, alle Leute feiner gekleidet sind als sie selbst. Er ließ
  • sein Wägelchen respektvoll neben einem Schuppen halten und ging zu Fuß
  • auf die Freitreppe zu.
  • »Ah! Iwan Fjodorowitsch!« rief der dicke Grigori Grigorjewitsch, der
  • gerade im Hof herumspazierte; er hatte einen Rock an, aber keine
  • Kravatte, keine Weste und keine Hosenträger. Aber auch dies Kostüm
  • schien ihn bei seiner Leibesfülle noch zu belästigen, denn der Schweiß
  • rieselte ihm nur so vom Gesicht herunter.
  • »Sie sagten doch, daß Sie sofort kommen würden, sobald Sie Ihre Tante
  • gesehen hätten; warum sind Sie denn dann nicht früher gekommen?« Und bei
  • diesen Worten berührten die Lippen Iwan Fjodorowitschs die ihm
  • wohlbekannten Kissen.
  • »Ich war meist in der Wirtschaft beschäftigt .... Ich komme auch nur auf
  • einen Augenblick zu Ihnen, eigentlich sogar in Geschäften ....«
  • »Was, nur für einen Augenblick? Nein, das gibt's nicht. He, Junge!« rief
  • der dicke Hausherr, und der Bursche im Kosakenkittel, den Iwan schon
  • kannte, kam aus der Küche gelaufen. »Sage dem Kaßjan, er solle sofort
  • das Tor schließen, -- hörst du! -- fest zuschließen! Und die Pferde
  • dieses Herrn sollen auf der Stelle ausgespannt werden. Bitte, kommen Sie
  • mit mir ins Haus: hier ist es so heiß, daß mein Hemd schon ganz naß
  • ist.«
  • Im Zimmer angelangt, beschloß Iwan Fjodorowitsch, keine Zeit zu
  • verlieren, und trotz seiner Schüchternheit, mit aller Entschiedenheit
  • vorzugehen.
  • »Meine Tante hatte die Ehre .... Meine Tante hat mir gesagt, daß die
  • Schenkungsurkunde des verstorbenen Stepan Kusmitsch ....«
  • Es ist schwer zu beschreiben, welch unangenehmen Ausdruck das breite
  • Gesicht Grigori Grigorjewitschs bei diesen Worten annahm. »Bei Gott, ich
  • höre rein gar nichts!« antwortete er. »Ich muß Ihnen sagen, daß eine
  • Schwabe in mein linkes Ohr hineingekrochen ist, (bei diesen verfluchten
  • Russen gibt's überall Schwaben in den Häusern); keine Feder kann Ihnen
  • beschreiben, was das für eine Qual war -- es kitzelte so fürchterlich,
  • sage ich Ihnen, -- es kitzelte und krabbelte ....! Aber eine kluge Frau
  • hat mir mit einem ganz einfachen Mittel geholfen ....«
  • »Ich wollte nur sagen ....« wagte Iwan Fjodorowitsch ihn zu
  • unterbrechen, als er sah, daß Grigori Grigorjewitsch das Gespräch
  • absichtlich auf ein andres Thema lenken wollte, »daß im Testament des
  • verstorbenen Stepan Kusmitsch die Rede von .... sozusagen die Rede von
  • einer Schenkungsurkunde ist .... nach der ich ....«
  • »Ich weiß schon, was Ihre Tante Ihnen eingeredet hat. Das ist alles
  • erlogen, bei Gott, es ist erlogen! Mein Onkel hat nicht die geringste
  • Schenkungsurkunde hinterlassen. Im Testament ist allerdings von einer
  • Urkunde die Rede, aber wo ist sie? Niemand hat sie vorlegen können. Ich
  • sage Ihnen das nur deshalb, weil ich Ihnen von Herzen wohl will. Bei
  • Gott, es ist erlogen!«
  • Iwan Fjodorowitsch verstummte, da ihm der Gedanke kam, es könnte der
  • Tante vielleicht in der Tat nur so vorgekommen sein.
  • »Ah, da kommen ja auch meine Mutter und meine Schwestern!« rief Grigori
  • Grigorjewitsch. »Das Mittagessen ist also schon fertig; gehen wir!«
  • Und er zog Iwan Fjodorowitsch am Ärmel ins Zimmer, wo bereits allerhand
  • Schnäpse und eine kalte Platte auf dem Tische standen.
  • In demselben Augenblick trat eine alte Frau herein; sie war sehr klein
  • und glich einer Kaffeekanne, die mit einer Haube bedeckt ist; zwei junge
  • Mädchen, ein blondes und ein brünettes, begleiteten sie. Als
  • wohlerzogener Kavalier küßte Iwan Fjodorowitsch erst der Alten und dann
  • den beiden Fräuleins die Hand.
  • »Das ist unser Nachbar, Iwan Fjodorowitsch Schponjka, Mütterchen!« sagte
  • Grigori Grigorjewitsch.
  • Die Alte sah Iwan Fjodorowitsch scharf an oder gab sich vielleicht auch
  • nur den Anschein, als ob sie ihn anblickte. Übrigens war sie die Güte
  • selbst; es schien, als ob sie Iwan Fjodorowitsch gleich hätte fragen
  • wollen: »Wie viel Gurken machen Sie zum Winter ein?«
  • »Haben Sie schon einen Schnaps genommen?« fragte die Alte.
  • »Sie haben wohl nicht ausgeschlafen, Mütterchen,« meinte Grigori
  • Grigorjewitsch. »Wer wird denn einen Gast fragen, ob er schon einen
  • Schnaps getrunken hat? Reden Sie dem Gast nur zu; ob wir aber trinken
  • oder nicht, das ist schon unsere Sache. Iwan Fjodorowitsch, bitte:
  • Wollen Sie Tausendgüldenkräuterlikör oder diesen Schnaps? Welchen ziehen
  • Sie vor? Iwan Iwanowitsch! Nun, was stehst du so da?« rief Grigori
  • Grigorjewitsch, indem er sich rückwärts wandte, und Iwan Fjodorowitsch
  • sah den soeben erwähnten Iwan Iwanowitsch auf den Schnaps zugehen; dies
  • war ein Mann in einem Rock mit langen Schößen und mit einem riesigen
  • Stehkragen, der seinen ganzen Nacken bedeckte, so daß sein Kopf ganz im
  • Kragen steckte, wie in einer Kutsche.
  • Iwan Iwanowitsch trat an den Schnaps heran, rieb sich die Hände, sah
  • sich das Glas genau an, schenkte ein, hielt es gegen das Licht, und goß
  • den Schnaps mit einem Male aus dem Glase in den Mund, aber er schluckte
  • ihn nicht herunter, sondern spülte sich erst ordentlich den Mund,
  • schluckte ihn erst darauf herunter, nahm etwas Brod und gesalzene
  • Eierschwämme, und wandte sich dann an Iwan Fjodorowitsch.
  • »Habe ich die Ehre, mit Herrn Iwan Fjodorowitsch Schponjka zu sprechen?«
  • »Jawohl,« antwortete Iwan Fjodorowitsch.
  • »Sie beliebten sich seit der Zeit, wo ich Sie kenne, sehr zu verändern.
  • O ja!« fuhr Iwan Iwanowitsch fort: »ich kannte Sie, als Sie noch so groß
  • waren!« Dabei hielt er die Hand eine halbe Elle weit über den Boden.
  • »Ihr seliger Vater -- Gott schenke ihm die ewige Seligkeit -- war ein
  • seltener Mann. Er hatte solche Kürbisse und Melonen, wie man sie jetzt
  • nirgends mehr findet. Hier zum Beispiel«, fuhr er fort, indem er ihn zur
  • Seite führte, »werden Ihnen auch Melonen vorgesetzt werden -- aber was
  • sind das für Melonen? Nicht ansehen möchte man sie. Glauben Sie mir's,
  • seine Melonen waren ....« rief er mit geheimnisvoller Miene und spreizte
  • die Arme, als ob er einen dicken Baum umschlingen wollte, »bei Gott,
  • seine Melonen waren so dick!«
  • »Gehn wir zu Tisch!« sagte Grigori Grigorjewitsch und faßte Iwan
  • Fjodorowitsch rasch unterm Arm.
  • Grigori Grigorjewitsch ließ sich auf seinen üblichen Platz am Ende des
  • Tisches nieder; er band sich seine riesige Serviette vor und glich so
  • einem jener Helden, wie sie sich die Barbiere auf ihre Schilder malen
  • lassen. Iwan Fjodorowitsch setzte sich errötend auf den ihm zugewiesenen
  • Platz, den beiden Fräuleins gegenüber, und Iwan Iwanowitsch versäumte
  • nicht, an seiner Seite Platz zu nehmen, innerlich hocherfreut, daß er
  • jemanden hatte, dem er seine Kenntnisse mitteilen konnte.
  • »Nehmen Sie doch lieber kein _Bürzelbein_, Iwan Fjodorowitsch! Da ist ja
  • noch ein Truthahn!« rief die Alte, zu Iwan Fjodorowitsch gewandt, dem
  • der Diener vom Lande in einem grauen Frack mit schwarzem Flicken gerade
  • eine Schüssel reichte. »Nehmen Sie doch ein Stück vom Rücken!«
  • »Mütterchen! Es hat Sie doch niemand gebeten, sich in fremde
  • Angelegenheiten zu mischen!« rief Grigori Grigorjewitsch. »Seien Sie
  • versichert, unser Gast weiß selbst, was er nehmen soll! Iwan
  • Fjodorowitsch, nehmen Sie doch ein Flügelchen und noch dies zweite und
  • den Magen dazu! Warum haben Sie sich nur so wenig genommen? Nehmen Sie
  • noch ein Beinchen! Was stehst du mit der Schüssel da und sperrst den
  • Mund auf? Du sollst ihn sofort darum bitten, auf die Knie, du Schurke
  • und sag sofort: >Iwan Fjodorowitsch, nehmen Sie doch ein Beinchen!<«
  • »Iwan Fjodorowitsch, nehmen Sie doch ein Beinchen!« brüllte der Diener,
  • mit der Schüssel in der Hand, und kniete nieder.
  • »Hm! Was sind denn das für Truthähne!« sagte Iwan Iwanowitsch halblaut
  • und mit verächtlicher Miene zu seinem Tischnachbar. »Darf denn ein
  • Truthahn so sein, wie der da? Sie hätten mal meine Truthähne sehen
  • sollen! Ich versichere Ihnen, jeder einzelne hatte mehr Fett an sich,
  • als zehn solche, wie die da. Glauben Sie mir, mein Herr, man mag gar
  • nicht ansehen, wie sie bei mir auf dem Hof herumspazieren -- so fett
  • sind sie! ....«
  • »Du lügst, Iwan Iwanowitsch!« schrie Grigori Grigorjewitsch, der
  • zugehört hatte.
  • »Ich will Ihnen was sagen,« fuhr Iwan Iwanowitsch zu seinem Nachbar
  • gewandt fort, indem er so tat, als ob er Grigori Grigorjewitschs Worte
  • gar nicht gehört hätte. »Als ich sie im vorigen Jahre nach Gadjatsch
  • brachte, da bot man mir fünfzig Kopeken pro Stück, und doch wollte ich
  • sie nicht dafür hergeben.«
  • »Ich sage dir, du lügst, Iwan Iwanowitsch!« rief Grigori Grigorjewitsch,
  • hierbei betonte er, um noch deutlicher zu sein, jede Silbe und sprach
  • noch lauter als vorher.
  • Aber Iwan Iwanowitsch tat so, als ob ihn das gar nicht anginge und fuhr
  • in seiner Rede fort, nur sprach er jetzt bedeutend leiser als früher.
  • »Ja, mein Herr, ich wollte das Geld nicht nehmen. In Gadjatsch hatte
  • kein Gutsbesitzer ....«
  • »Iwan Iwanowitsch! du bist ganz dumm und weiter nichts,« rief Grigori
  • Grigorjewitsch laut. »Iwan Fjodorowitsch weiß doch das alles besser als
  • du und glaubt dir sicher nicht!«
  • Da aber fühlte sich Iwan Iwanowitsch verletzt; er verstummte und begann,
  • mit dem Truthahn aufzuräumen, trotzdem dieser lange nicht so fett war,
  • wie die Truthähne, die man »gar nicht ansehen« mochte.
  • Eine Zeitlang ersetzte das Klappern der Messer, der Löffel und Teller
  • das Gespräch; am lautesten aber hörte man, wie Grigori Grigorjewitsch
  • das Mark aus einem Hammelknochen aussog.
  • »Haben Sie schon gelesen,« fragte Iwan Iwanowitsch nach einigem
  • Stillschweigen, steckte den Kopf aus seinem Wagen und wandte ihn Iwan
  • Fjodorowitsch zu, »haben Sie das Buch: >Korobejnikows Reise ins heilige
  • Land< gelesen? Ein wahrer Genuß für Seele und Leib! Jetzt werden keine
  • solchen Bücher mehr gedruckt. Leider habe ich nicht nachgesehen, aus
  • welchem Jahre es stammt.«
  • Als Iwan Fjodorowitsch hörte, daß es sich um ein Buch handelte, begann
  • er, eifrig seine Sauce aufzulöffeln.
  • »Ein wahres Wunder, mein Herr, wenn man bedenkt, daß ein einfacher
  • Kleinbürger all diese Länder durchwandert hat: über dreitausend Werst,
  • mein Herr! Über dreitausend Werst! Wahrlich, Gott selbst hat ihn würdig
  • befunden, bis nach Palästina und Jerusalem zu kommen.«
  • »Sie sagen, daß er auch in Jerusalem war,« rief Iwan Fjodorowitsch, der
  • noch als Soldat von seinem Burschen viel über Jerusalem gehört hatte.
  • »Worüber sprechen Sie, Iwan Fjodorowitsch?« rief Grigori Grigorjewitsch
  • vom Ende des Tisches herüber.
  • »Ich habe, das heißt, ich bemerkte gelegentlich, daß es in der Welt
  • ferne Länder gibt!« antwortete Iwan Fjodorowitsch, innerlich
  • hochbefriedigt, daß es ihm gelungen war, einen so langen und schweren
  • Satz zu Ende zu bringen.
  • »Glauben Sie ihm nicht, Iwan Fjodorowitsch!« sagte Grigori
  • Grigorjewitsch, ohne genauer hinzuhören, »alles ist gelogen!«
  • Das Diner war zu Ende. Grigori Grigorjewitsch zog sich nach seiner
  • Gewohnheit zurück, um ein Nickerchen zu machen; und die Gäste folgten
  • der alten Hausfrau und den jungen Mädchen ins Gastzimmer, wo derselbe
  • Tisch, auf dem sie den Schnaps stehen gelassen hatten, als sie sich zum
  • Mittagsmahl begaben, sich wie auf einen Wink verwandelt und mit
  • Schälchen voll verschiedener Konfitüren und Schüsseln mit Melonen,
  • Kirschen und Zuckerkürbissen bedeckt hatte.
  • Grigori Grigorjewitschs Abwesenheit machte sich an allem bemerkbar: die
  • Hausfrau wurde gesprächig und teilte ganz von selbst, ohne dazu
  • aufgefordert worden zu sein, mancherlei Geheimnisse über die Zubereitung
  • von Marmelade und das Trocknen von Birnen mit. Selbst die jungen Mädchen
  • begannen zu sprechen, doch blieb die Blonde, die sechs Jahre jünger
  • aussah als ihre Schwester und von Ansehen etwa fünfundzwanzig Jahre alt
  • sein mochte, etwas schweigsam.
  • Am meisten aber redete und betätigte sich Iwan Iwanowitsch. Da er sicher
  • war, daß ihn nun niemand mehr unterbrechen und in Verlegenheit bringen
  • würde, redete er von allem möglichen: von Gurken und Kartoffelsaat,
  • davon, wie gescheit die Leute früher waren -- was wären die Heutigen
  • dagegen? -- und davon, wie jetzt alle immer klüger würden, je weiter man
  • komme, wie man noch die allergescheitesten Dinge ersinnen würde; kurz er
  • war einer von den Menschen, die sich mit dem größten Vergnügen
  • erbaulichen Gesprächen hingeben und über alles reden, worüber man nur
  • reden kann. Wenn das Gespräch wichtige und heilige Gegenstände berührte,
  • seufzte Iwan Iwanowitsch nach jedem Worte auf und nickte leise mit dem
  • Kopfe; wenn es sich um Wirtschaftsangelegenheiten handelte, so steckte
  • er den Kopf aus seinem Wagen hervor und schnitt seltsame Gesichter, aus
  • denen man ganz deutlich entnehmen konnte, wie man den Birnenmost
  • zubereiten müsse, wie groß die Melonen seien, von denen er sprach, und
  • wie fett die Gänse wären, die bei ihm im Hofe herumliefen.
  • Endlich gelang es Iwan Fjodorowitsch mit vieler Mühe und erst gegen
  • Abend, sich zu verabschieden; aber obwohl er leicht zu überreden war und
  • man ihn geradezu zwingen wollte, über Nacht dazubleiben, bestand er doch
  • auf seiner Absicht, nach Hause zu fahren -- und fuhr richtig davon.
  • V.
  • Der neue Plan der Tante
  • »Nun? Hast du die Urkunde von dem alten Schelm herausgelockt?« Dies war
  • die erste Frage, mit der Iwan Fjodorowitsch von seiner Tante empfangen
  • wurde, die ihn bereits seit einigen Stunden voller Ungeduld an der
  • Freitreppe erwartete, und sich schließlich kaum hatte überwinden können,
  • nicht bis vors Tor zu laufen.
  • »Nein, liebe Tante!« sagte Iwan Fjodorowitsch indem er ausstieg.
  • »Grigori Grigorjewitsch _hat_ gar keine Urkunde.«
  • »Und du hast ihm geglaubt? Er lügt, der verdammte Kerl! O, ich bekomme
  • ihn noch eines Tages zu sehen, wahrhaftig, und dann prügle ich ihn mit
  • meinen eigenen Händen durch. Oh, ich werde ihm schon etwas von seinem
  • Fett abzapfen! Übrigens wollen wir zuerst mit unsrem Gerichtsschreiber
  • reden, ob man vielleicht auf gerichtlichem Wege .... Aber es handelt
  • sich jetzt ja nicht darum. Nun, war das Diner gut?«
  • »Sehr gut! .... sehr gut, liebe Tante!«
  • »Nun, und was gab's dort zu essen? Erzähle! ich weiß schon, die Alte
  • versteht sich gut auf die Küche.«
  • »Käsekuchen mit Rahm, liebe Tante; Sauce mit gefüllten Tauben ....«
  • »Und gab es auch einen Truthahn mit Pflaumen?« fragte die Tante, denn
  • sie selbst verstand es meisterhaft, dieses Gericht zuzubereiten.
  • »Es gab auch Truthahn! .... Die Schwestern von Grigori Grigorjewitsch
  • sind sehr hübsche junge Mädchen, besonders die Blonde!«
  • »Ah!« rief die Tante und sah Iwan Fjodorowitsch scharf an, er errötete
  • und ließ die Augen sinken. Ein neuer Gedanke blitzte in ihr auf. »So?«
  • fragte sie voll Neugierde, »und was für Augenbrauen hat sie?« Hier ist
  • es nicht überflüssig zu bemerken, daß für die Tante das Schönste an der
  • Frau die Augenbrauen waren.
  • »Das Fräulein hat genau solche Augenbrauen, liebe Tante, wie Sie sie
  • nach Ihren Erzählungen in Ihrer Jugend gehabt haben müssen, und ihr
  • ganzes Gesicht ist voller Sommersprossen.«
  • »Ah!« rief die Tante, äußerst befriedigt über Iwan Fjodorowitschs
  • Bemerkung, der allerdings nie daran gedacht hatte, der Tante ein
  • Kompliment machen zu wollen. »Und was für ein Kleid hatte sie an? Man
  • findet zwar heutzutage keine solchen haltbaren Stoffe mehr wie zum
  • Beispiel den, aus dem dieser Morgenrock gemacht ist. Aber es handelt
  • sich jetzt nicht darum. Und hast du dich gut mit ihr unterhalten?«
  • »Das heißt, wie meinen Sie .... liebe Tante? Sie glauben vielleicht
  • schon ....«
  • »Was denn? Was ist denn Wunderbares dabei? Das ist nun mal Gottes Wille!
  • Vielleicht ist's euch beiden noch beschieden, einmal ein Paar zu
  • werden.«
  • »Ich verstehe nicht, liebe Tante, wie Sie nur so reden können. Das
  • beweist doch nur, daß Sie mich absolut nicht kennen ....«
  • »So, nun fühlt er sich richtig beleidigt!« sagte die Tante. »Der Junge
  • ist noch nicht alt genug!« dachte sie bei sich. »Er weiß noch von
  • nichts! Ich werde die beiden mal zusammenbringen, sie sollen einander
  • näher kennen lernen!«
  • Und die Tante ging nach der Küche und ließ Iwan Fjodorowitsch allein.
  • Aber seit der Zeit dachte sie an nichts anderes, als daran, ihren Neffen
  • möglichst bald zu verheiraten und seine kleinen Enkelkinder zu wiegen.
  • Ihr Kopf war nur noch von Gedanken an die Vorbereitungen zur Hochzeit
  • erfüllt, und man sah ganz deutlich, daß sie noch viel emsiger war als
  • vorher, obwohl alles eher schlimmer als besser ging. Wenn sie jetzt
  • einen Kuchen zubereitete, den sie übrigens niemals der Köchin
  • anzuvertrauen pflegte, versank sie häufig in Gedanken, bildete sich ein,
  • neben ihr stehe ein kleines Enkelchen, das ein Stückchen Kuchen haben
  • wollte, und streckte zerstreut die Hand mit dem besten Stücke aus; der
  • Hofhund machte sich das gewöhnlich zunutze, packte den leckeren Bissen
  • und weckte sie durch sein lautes Schmatzen aus ihrer Nachdenklichkeit,
  • wofür der Hund übrigens immer Schläge mit dem Ofenhaken bekam. Sie gab
  • sogar ihre Lieblingsbeschäftigung auf und fuhr nicht mehr zur Jagd,
  • besonders seitdem sie einmal statt eines Truthahns eine Krähe geschossen
  • hatte, was ihr früher niemals widerfahren war.
  • Vier Tage später sah man endlich die Kalesche aus dem Schuppen in den
  • Hof fahren. Der Kutscher Omeljko, der gleichzeitig auch Gärtner und
  • Aufseher war, fing schon seit dem frühen Morgen an zu hämmern und das
  • Leder anzunageln, während er immerzu die Hunde davonjagen mußte, die
  • herankamen und an den Rädern leckten. Hier halte ich es für meine
  • Pflicht, dem Leser zu berichten, daß dies dieselbe Kalesche war, in der
  • schon Adam gefahren ist, und sollte daher jemand eine andere für die
  • Adams ausgeben, so wäre das sicherlich eine freche Lüge, und die
  • Kalesche wäre unecht. Es ist nicht genau bekannt, wie sie der Sintflut
  • entronnen ist, man kann nur annehmen, daß in der Arche Noah ein
  • besonderer Schuppen für sie vorhanden war. Es ist sehr schade, daß ich
  • dem Leser ihre Gestalt nicht lebendig vor Augen führen kann. Es genüge
  • daher zu sagen, daß Wassilissa Kaschparowna mit ihrer Bauart äußerst
  • zufrieden war und es stets bedauerte, daß die alten Equipagen aus der
  • Mode gekommen seien. Selbst das, daß die Kalesche etwas schief, und daß
  • die rechte Seite etwas höher war, als die linke, erregte ihren Beifall,
  • denn so konnte von der _einen_ Seite, wie sie behauptete, ein Mensch von
  • kleinem Wuchse, und von der anderen ein großer aussteigen. Im übrigen
  • konnte die Kalesche etwa fünf Personen von kleiner Statur und drei
  • solche, wie die Tante, in ihrem Inneren aufnehmen.
  • Als er mit der Kalesche fertig war, führte Omeljko gegen Mittag drei
  • Pferde aus dem Stall, die etwas jünger waren als die Kalesche und band
  • sie mit einem Strick fest an die majestätische Equipage. Iwan
  • Fjodorowitsch und die Tante stiegen ein, er von der einen, sie von der
  • anderen Seite, und die Pferde zogen an. Alle Bauern, die ihnen
  • begegneten, blieben beim Anblick dieser vornehmen Equipage (die Tante
  • pflegte nämlich nur selten in ihr auszufahren) respektvoll stehen,
  • nahmen die Mützen ab und verbeugten sich bis zur Erde.
  • Nach etwa zwei Stunden machte der Wagen vor der Freitreppe Halt; ich
  • glaube, es ist hier nicht erst nötig zu sagen, vor wessen Freitreppe er
  • hielt. Grigori Grigorjewitsch war nicht zu Hause; und die Alte und die
  • Fräuleins empfingen die Gäste im Speisezimmer; die Tante näherte sich
  • ihnen mit majestätischen Schritten, stellte mit viel Geschicklichkeit
  • einen Fuß vor und sagte laut:
  • »Gnädige Frau, ich freue mich, daß ich die Ehre habe, Ihnen persönlich
  • meine Hochachtung ausdrücken zu dürfen, zugleich erlaube ich mir mit
  • Respekt, Ihnen meinen Dank für die gastfreundliche Aufnahme meines
  • Neffen Iwan Fjodorowitsch auszusprechen, der Ihres Lobes voll ist. Sie
  • haben einen wundervollen Buchweizen, gnädige Frau, das habe ich bemerkt,
  • als ich mich dem Dorfe näherte. Darf ich fragen, wieviel Sie pro
  • Deßjatin ernten?«
  • Hierauf küßten alle einander aufs herzlichste ab und erst als man im
  • Gastzimmer Platz genommen hatte, begann die Alte:
  • »Was den Buchweizen anbetrifft, so kann ich Ihnen nichts Genaues darüber
  • sagen. Das ist Grigori Grigorjewitschs Ressort; ich beschäftige mich
  • schon längst nicht mehr damit, auch könnte ich's nicht, selbst wenn ich
  • wollte: ich bin schon zu alt dazu! In früheren Zeiten wuchs, wie ich
  • mich besinne, der Buchweizen bei uns so hoch, daß er einem bis an den
  • Gürtel reichte, jetzt ist das nicht mehr so, obwohl man stets behauptet,
  • es werde jetzt alles immer besser.« Die Alte stieß einen Seufzer aus,
  • und ein aufmerksamer Beobachter hätte in ihm das Aufseufzen des alten
  • achtzehnten Jahrhunderts vernehmen können.
  • »Ich habe gehört, daß bei Ihnen im Hause großartige Teppiche gemacht
  • werden, gnädige Frau,« sagte Wassilissa Kaschparowna und berührte damit
  • die empfindlichste Seite der Alten: bei diesen Worten lebte jene auf,
  • und nun strömten ihre Reden nur so hin: wie man das Gewebe färben,
  • welchen Faden man dazu nehmen müsse und was dergleichen mehr ist.
  • Von den Teppichen ging die Unterhaltung bald aufs Gurkeneinlegen und
  • Birnentrocknen über. Kurz, es war noch keine Stunde verflossen, da
  • unterhielten sich die beiden Damen schon so lebhaft, als ob sie ihr
  • Lebtag miteinander bekannt gewesen wären. Ja, Wassilissa Kaschparowna
  • sprach sogar über viele Dinge so leise mit der Alten, daß Iwan
  • Fjodorowitsch nichts mehr hören konnte.
  • »Wollen Sie nicht selbst sehen?« sagte die greise Hausfrau und erhob
  • sich.
  • Die Fräuleins und Wassilissa Kaschparowna erhoben sich mit ihr und
  • begaben sich ins Mädchenzimmer. Die Tante machte Iwan Fjodorowitsch ein
  • Zeichen, er solle zurückbleiben und flüsterte der alten Dame etwas zu.
  • »Maschenjka!« sagte die Alte zu dem blonden Fräulein, »bleibe bei
  • unserem Gaste und unterhalte ihn, damit ihm die Zeit nicht zu lang
  • wird!«
  • Das blonde Fräulein blieb zurück und setzte sich auf das Sofa. Iwan
  • Fjodorowitsch saß auf seinem Stuhle wie auf Nadeln, errötete und schlug
  • die Augen nieder; aber das Fräulein schien dies gar nicht zu bemerken,
  • saß gleichgültig auf dem Sofa, beobachtete fleißig die Fenster und die
  • Wände, oder verfolgte die Katze, die scheu unter den Stühlen umherlief,
  • mit den Augen.
  • Iwan Fjodorowitsch wurde etwas mutiger und wollte schon ein Gespräch
  • anknüpfen, es war ihm aber so, als ob er unterwegs alle Worte verloren
  • hätte. Es wollte ihm kein einziger Gedanke in den Sinn kommen.
  • Dieses Schweigen dauerte eine Viertelstunde lang, aber das Fräulein saß
  • noch immer ebenso da wie früher.
  • Endlich faßte Iwan Fjodorowitsch sich ein Herz. »Im Sommer gibt's so
  • viel Fliegen, gnädiges Fräulein!« rief er mit einer Stimme, die vor
  • Erregung zitterte.
  • »Ja, außerordentlich viele Fliegen!« versetzte das Fräulein. »Mein
  • Bruder hat eigens deswegen aus Mamas altem Schuh eine Fliegenklappe
  • hergestellt, aber es bleiben doch noch immer sehr viele übrig.«
  • Hier stockte die Unterhaltung, und Iwan Fjodorowitsch wollte durchaus
  • kein Wort mehr einfallen.
  • Endlich kamen die Alte, die Tante und das dunkle Fräulein zurück.
  • Nachdem man sich noch etwas unterhalten hatte, nahm Wassilissa
  • Kaschparowna Abschied von der Dame und den Fräuleins, obwohl sie
  • dringend gebeten wurde, über Nacht da zu bleiben. Die Dame und die
  • Fräuleins begleiteten die Gäste bis zur Freitreppe und winkten der aus
  • der Kalesche hinausblickenden Tante und ihrem Neffen noch lange zu.
  • »Nun, Iwan Fjodorowitsch, worüber hast du dich mit dem Fräulein
  • unterhalten?« fragte die Tante unterwegs.
  • »Marja Grigorjewna ist ein sehr bescheidenes und sittsames Fräulein!«
  • sagte Iwan Fjodorowitsch.
  • »Höre, Iwan Fjodorowitsch: ich will ernst mit dir reden. Du bist, Gott
  • sei Dank, schon fast achtunddreißig Jahre alt; und einen schönen Rang
  • hast du _auch_ schon: es wird nun bald Zeit, an die Kinder zu denken! Du
  • brauchst unbedingt eine Frau ....«
  • »Wie, liebe Tante!« rief Iwan Fjodorowitsch ganz erschrocken: »Wie? Eine
  • Frau! Nein, liebe Tante, seien Sie doch so lieb .... Sie beschämen mich
  • .... Ich bin noch nie verheiratet gewesen .... Ich weiß ja gar nicht,
  • was ich mit einer Frau anfangen soll!«
  • »Du wirst's schon lernen, Iwan Fjodorowitsch, du wirst es schon lernen,«
  • rief die Tante lächelnd und dachte bei sich: >Kein Gedanke! Der Junge
  • ist noch ein richtiges Kind: er weiß ja von gar nichts!< -- »Ja, ja,
  • Iwan Fjodorowitsch!« fuhr sie laut fort, »eine bessere Frau als Marja
  • Grigorjewna wirst du wohl nie finden. Außerdem hat sie dir ja doch gut
  • gefallen. Die Alte und ich haben schon viel darüber gesprochen: sie wäre
  • sehr froh, dich zum Schwiegersohn zu bekommen. Freilich weiß man noch
  • nicht, was dieser alte Sünder Grigori Grigorjewitsch dazu sagen wird;
  • aber wir werden nicht darauf achten, und sollte er dir etwa die Mitgift
  • nicht herausgeben wollen, so würden wir ihn auf gerichtlichem Wege ....«
  • In diesem Augenblick fuhr der Wagen in den Hof und die uralten Stuten
  • lebten auf, als sie die Nähe des Stalles witterten.
  • »Höre, Omeljko! laß die Pferde zuerst gut ausruhen und führe sie nicht
  • gleich zur Tränke. Die Pferde sind ja noch ganz heiß. -- Also, Iwan
  • Fjodorowitsch, ich rate dir, dir die Sache gründlich zu überlegen. Ich
  • muß noch etwas in der Küche nachschauen: ich habe vergessen, das
  • Abendbrot bei der Solocha zu bestellen und das nichtsnutzige Weib hat
  • sicher nicht von selbst daran gedacht.«
  • Iwan Fjodorowitsch stand da wie vom Donner gerührt. Marja Grigorjewna
  • war zwar ein sehr nettes Fräulein: aber heiraten! .... Das erschien ihm
  • so sonderbar und wundersam, daß er nicht ohne Schreck daran denken
  • konnte. Mit einer Frau zusammen leben! .... das war doch ganz
  • unbegreiflich! Er sollte nicht mehr allein in seinem Zimmer sein können,
  • sondern sie würden immer zu zwei sein! .... Und der Schweiß trat ihm auf
  • die Stirn, je mehr er sich in die Betrachtung vertiefte.
  • Früher als sonst ging er zu Bett, aber trotz aller Bemühungen konnte er
  • nicht einschlafen. Endlich suchte ihn der ersehnte Schlaf, dieser
  • Ruhebringer und Tröster aller Menschen auf. Aber was war das für ein
  • Schlaf! Unzusammenhängendere Träume hatte er noch niemals gesehen. Bald
  • träumte er, rings um ihn rausche und drehe sich alles, und er selbst
  • laufe und laufe atemlos dahin .... Schon verließen ihn die Kräfte ....
  • Plötzlich aber packte ihn jemand am Ohr. »O je! Wer ist das?« -- »Das
  • bin _ich_, deine Frau!« sprach eine lärmende Stimme zu ihm -- und er
  • erwachte. Bald schien es ihm, er sei schon verheiratet und alles in dem
  • Häuschen sei so absonderlich und so merkwürdig; in seinem Zimmer stehe
  • statt eines einfachen Bettes ein Doppelbett und auf dem Stuhle sitze
  • seine Frau. Es war ihm ganz eigentümlich zumute: er wußte nicht, wie er
  • an sie herantreten, worüber er mit ihr sprechen sollte, und nun erst
  • merkte er, daß sie das Gesicht einer Gans hatte. Zufällig drehte er sich
  • um und sah eine zweite Frau, die ebenfalls einen Gänseschnabel hatte, er
  • drehte sich auf die andere Seite um -- da stand eine dritte Frau, er
  • wandte sich nach hinten -- da stand noch eine Frau. Da erfaßte ihn eine
  • wilde Angst; er stürzte in den Garten, aber im Garten war es heiß, er
  • nahm den Hut ab, und siehe: auch im Hute saß eine Frau. Schweiß bedeckte
  • sein Gesicht; er wollte das Taschentuch aus der Tasche holen -- aber
  • auch in der Tasche saß eine Frau; er zog sich die Watte aus dem Ohre --
  • auch da saß eine Frau .... Dann hüpfte er wieder auf einem Bein, und die
  • Tante sah zu und sprach mit würdevoller Miene: »Ja, jetzt kannst du
  • hüpfen und springen, denn du bist ja jetzt ein verheirateter Mann.« Er
  • eilte auf sie zu; aber die Tante war nicht mehr die Tante, sondern ein
  • Glockenturm. Und er fühlte, wie jemand ihn an einem Strick auf den
  • Glockenturm hinaufzog. »Wer zieht mich da hinauf?« fragte Iwan
  • Fjodorowitsch klagend. »Ich ziehe dich, ich, deine Frau, denn du bist
  • eine Glocke!« »Nein, ich bin keine Glocke, ich bin Iwan Fjodorowitsch!«
  • schrie er. »Nein, du bist eine Glocke!« sprach der Oberst des P--er
  • Infanterieregiments im Vorübergehen.
  • Oder er träumte, seine Frau sei gar kein Mensch, sondern ein wollener
  • Stoff; er käme nach Mohilew in einen Laden, und der Kaufmann fragte ihn:
  • »Was für einen Stoff wünschen Sie? Nehmen Sie doch Frau, das ist der
  • modernste Stoff! Er ist sehr haltbar! Man macht jetzt Röcke daraus.« Und
  • der Kaufmann maß und schnitt ein Stück von der Frau ab. Iwan
  • Fjodorowitsch nahm sie unter den Arm und ging damit zum jüdischen
  • Schneider. -- »Nein,« meinte der Jude, »das ist ein schlechter Stoff!
  • Daraus läßt sich doch niemand einen Rock machen ....!«
  • Voller Angst und ganz außer sich erwachte Iwan Fjodorowitsch; der kalte
  • Schweiß troff nur so von ihm herunter wie ein Platzregen.
  • Kaum war er aufgestanden, so wandte er sich sofort an sein Wahrsagebuch,
  • dem ein tugendhafter Buchhändler in seiner seltenen Güte und
  • Uneigennützigkeit noch einen kurzen Traumdeuter angehängt hatte. Aber
  • dort stand nichts, was diesem sinnlosen Traume auch nur einigermaßen
  • entsprochen hätte.
  • Indessen aber reifte im Kopfe der Tante ein ganz neuer Plan, von dem Sie
  • im nächsten Kapitel hören sollen.
  • Der verhexte Ort
  • Sage
  • Erzählt vom Küster an der Kirche zu ***
  • Bei Gott, ich hab' das Erzählen satt! Was glaubt ihr denn? Es ist
  • wahrhaftig auch zu langweilig: man erzählt und erzählt, und kommt nie
  • wieder davon los! Na, meinetwegen, ich will euch noch was erzählen, aber
  • gebt acht, es ist das letztemal. Ja, ihr habt also davon gesprochen, daß
  • ein Mensch mit dem unreinen Geiste fertig werden könne. Gewiß, das
  • heißt, wenn man genauer zusieht, dann merkt man dennoch, daß es in der
  • Welt allerhand sonderbare Vorfälle gibt .... Indessen sagt das nicht:
  • will einen die Teufelsmacht blenden, so tut sie es, bei Gott, sie tut
  • es! ..... Nun also, mein Vater hatte im ganzen vier Kinder; ich war
  • damals noch ein Grünschnabel, und war erst elf Jahre alt ... Doch nein,
  • ich war noch nicht elf Jahre alt, ich erinnere mich, wie wenn's heute
  • wäre, daß ich einmal auf allen Vieren herumkroch und wie ein Hund zu
  • bellen anfing, und wie da mein Vater den Kopf schüttelte und mich
  • anschrie: »Ei, Foma, Foma! Es ist Zeit, daß man dich verheiratet, sonst
  • wirst du noch so närrisch wie ein junges Maultier!«
  • Mein Großvater war damals noch gesund und -- mag ihm in jener Welt der
  • Schluckauf leicht werden -- noch ziemlich gut auf den Beinen. Wenn der
  • nun manchmal so ..... Aber wozu erzähle ich euch das eigentlich? Der
  • eine von euch wühlt schon seit einer Stunde im Ofen herum und sucht nach
  • einer Kohle für seine Pfeife, und ein anderer ist in die Kammer
  • gelaufen, um sich was zu holen ... Ach was! Wenn ich mich euch noch
  • aufgedrängt hätte -- aber ihr habt ja selbst darauf bestanden .... Man
  • hört entweder ordentlich zu oder gar nicht.
  • Mein Vater war schon im Anfang des Frühlings in die Krim gefahren, um
  • Tabak zu verkaufen. Ich kann mich nun nicht mehr daran erinnern, ob er
  • zwei oder drei Wagen ausgerüstet hatte; aber der Tabak stand damals hoch
  • im Preise. Er nahm meinen dreijährigen Bruder mit sich, um ihn
  • frühzeitig an das Handwerk zu gewöhnen; wir dagegen: der Großvater, die
  • Mutter, ich, ein Bruder und noch ein zweiter Bruder blieben zu Hause.
  • Der Vater hatte dicht an der Landstraße ein Stück Land, das er bebaut
  • hatte; er siedelte daher in seine Hütte auf dem Felde über, und nahm
  • auch _uns_ mit, um ihm die Spatzen und die Elstern von den Feldern
  • verscheuchen zu helfen. Man kann nicht sagen, daß es uns gerade schlecht
  • ging. Den Tag über aß man sich so sehr an Gurken, Melonen, Rüben,
  • Zwiebeln und Erbsen voll, daß es einem zumute war, als ob einem die
  • Hähne im Bauche krähten. Dazu brachte es auch noch etwas ein: manch ein
  • Reisender zog auf der Straße vorbei, und da wollte jeder gerne eine
  • Wassermelone oder eine Zuckermelone kosten, oder man brachte von den
  • umliegenden Vorwerken Hühner, Eier und Truthähne herbei und tauschte sie
  • ein. Das war ein schönes Leben.
  • Am meisten aber freute sich der Großvater, wenn jeden Tag an die fünfzig
  • Frachtfuhrleute vorbeigezogen kamen. Das sind meist Leute, die was
  • erlebt und erfahren haben: und dann ging ein Erzählen los, daß man nur
  • so die Ohren aufsperren mochte! Für den Großvater aber war das halt, so
  • wie Knödel für einen Hungrigen. Manchmal stieß er auf alte Bekannte, --
  • denn meinen Großvater kannte jedermann, -- na, ihr könnt euchs ja wohl
  • selbst denken, wie das ist, wenn die alten Leute zusammensitzen: dann
  • geht's taratata und taratata, über dies und jenes, diese und jene
  • Zeiten, da floß ihnen wohl der Mund über, wenn sie so anfingen, sich auf
  • Anno dazumal zu besinnen.
  • Einst ging der Großvater über Feld -- 's ist mir wahrhaftig, als wär's
  • jetzt eben geschehen --; die Sonne war im Begriff unterzugehen, und
  • Großvater war damit beschäftigt, die Blätter von den Zuckermelonen
  • abzunehmen; er pflegte die Melonen nämlich den Tag über mit Blättern zu
  • bedecken, damit sie nicht so in der Sonne brieten.
  • »Schau, Ostap!« sagte ich zu meinem Bruder, »da kommen Frachtfuhrleute
  • angefahren!«
  • »Wo sind die Fuhrleute?« fragte der Großvater und machte ein Zeichen auf
  • einer großen Melone, damit sie ihm die Buben nicht gelegentlich wegäßen.
  • Und in der Tat, auf der Landstraße kamen so an die sechs Wagen
  • dahergezogen. Vorn schritt ein Fuhrmann mit einem angegrauten
  • Schnurrbart. Er kam uns -- nun, wie soll ich sagen, -- so etwa bis auf
  • zehn Schritte nah' und blieb dann stehen.
  • »Guten Tag, Maxim! Sieh nur, wo Gott uns wieder zusammengeführt hat!«
  • Der Großvater kniff die Augen zusammen: »Ah! Guten Tag! Guten Tag! Woher
  • des Wegs? Ist Boljatschka auch da? Grüß Gott, Bruder! Was Teufel! Da
  • sind ja alle miteinander: Krutotrystschenko! Und Petzcherytzja, Kowelek
  • und Stetzko! Grüß euch Gott! Haha, hoho! ...« Und alle umarmten und
  • küßten sich.
  • Die Ochsen wurden ausgespannt und auf die Wiese getrieben, die Wagen
  • aber blieben auf der Landstraße stehen; alle setzten sich in einen Kreis
  • zusammen und steckten sich ihre Pfeifchen an. Aber da kam keiner recht
  • zum Rauchen! Vor lauter Erzählen und Klatschen kam kaum ein Zug auf
  • jeden. Nach dem Essen begann der Großvater, die Gäste mit Melonen zu
  • bewirten. Jeder nahm eine Melone und putzte sie hübsch mit dem
  • Messerchen ab (das waren alles gerissene Kerle, die waren weit in der
  • Welt herumgekommen, und hatten mancherlei erfahren, daher wußten sie
  • auch, wie man in der vornehmen Welt ißt -- man hätte sie geradezu an
  • einen herrschaftlichen Tisch setzen können), sie putzten die Melonen
  • also hübsch ab, bohrten mit dem Finger ein Löchelchen in sie hinein,
  • sogen den Saft raus, zerschnitten sie in Stücke und schoben sie in den
  • Mund.
  • »Und ihr, Jungens!« rief der Großvater uns zu, »was haltet ihr Maulaffen
  • feil? Tanzt doch los, ihr Hundesöhne! Ostap, wo ist deine Schalmei? Nun
  • also, einen Kosakentanz! Foma, die Hände auf die Hüften! Recht so! hei,
  • hopp!«
  • Ich war damals noch ein beweglicher Bursche. Ach ja, dieses verdammte
  • Alter! Jetzt kann ich's nicht mehr so: anstatt zierliche Sprünge zu
  • machen, stolpere ich über meine eigenen Beine. Lang schauten der
  • Großvater und die Fuhrleute uns zu, und ich merkte, daß seine Beine
  • nicht mehr ruhig bleiben wollten, gleich als ob jemand an ihnen zupfte.
  • »Schau, Foma!« sagte Ostap, »der alte Knaster tritt wohl selbst noch zum
  • Tanze an!«
  • Was glaubt ihr? Kaum hatte er das gesagt, da konnte das Großväterchen
  • wirklich nicht mehr an sich halten! Der wollte den Fuhrleuten nämlich
  • zeigen, was er konnte. »Was, ihr Teufelskinder? tanzt man denn so? _So_
  • tanzt man!« rief er, sprang auf die Beine, streckte die Arme vor und
  • stampfte mit dem Hacken auf.
  • Und in der Tat, man konnte nichts dawider sagen, er tanzte wahrhaftig so
  • gut, daß er auch mit der Hetmansfrau hätte tanzen können. Wir traten ein
  • wenig zur Seite, und nun begann der alte Knasterbart seine Beine auf dem
  • glatten Plätzchen, das sich neben dem Gurkenbeet befand, in die Luft zu
  • werfen. Kaum war er jedoch bis in die Mitte des Platzes gelangt -- und
  • wollte nun erst richtig losgehen, wie ein Wirbel mit den Füßen
  • dahinfahren und uns ein besonderes Kunststückchen zeigen -- da wollten
  • die Beine plötzlich nicht vom Fleck und aus war es! War das ein
  • sonderbarer Teufelsspuk! Er fing noch einmal an, gab sich einen Schwung,
  • kam wieder bis zur Mitte, aber wieder ging es nicht weiter! Tu einer,
  • was er will -- es ging und ging nicht! Die Beine waren plötzlich so
  • steif wie ein Stück Holz. »So eine verteufelte Stelle, so ein
  • Satansspuk! Da ist wohl gar der Herodes, dieser Feind des
  • Menschengeschlechts mit im Spiel!« Und nun gar noch diese Schmach vor
  • den fremden Lastführern! Er fing aber wiederum an, und begann von neuem
  • mit ganz kleinen Schritten im Takt herumzuhüpfen, daß es nur so eine
  • Freude war, es mit anzusehen; aber wie er bis zur Mitte kam, ging's
  • wieder nicht weiter, und der Tanz wollte ihm durchaus nicht gelingen!
  • »Ah, verdammter Satan! Daß du doch an einer faulen Melone erstickest!
  • Als Kind schon sollst du krepieren, du Hundesohn! Mir in meinen alten
  • Tagen noch eine solche Schmach anzutun ....« Und in der Tat, hinter ihm
  • lachte jemand laut auf.
  • Er sah sich um, das Feld und die Fuhrleute waren verschwunden, hinter
  • ihm, vor ihm, und zu beiden Seiten sah man nichts als flaches Land. »He
  • ... da haben wir die Bescherung!« Er begann mit den Augen zu blinzeln,
  • der Ort kam ihm nicht unbekannt vor: auf der einen Seite lag ein Wald,
  • und hinter dem Wald ragte eine hohe Stange empor, die bis weit in der
  • Ferne zu sehen war. Was Teufel! Das ist ja der Taubenschlag im
  • Gemüsegarten des Popen! Auch von der anderen Seite schimmerte etwas grau
  • herüber; er sah näher hin. Es war die Scheune des Gemeindeschreibers.
  • Teufel auch, wohin einen die unreine Macht forttragen kann! Er lief ein
  • paarmal hin und her und im Kreise herum und entdeckte endlich einen
  • kleinen Pfad. Der Mond war unsichtbar, und an seiner Stelle blinkte ein
  • weißer Fleck durch eine Wolke. »Morgen wird's sehr windig sein!« dachte
  • der Großvater, da leuchtete plötzlich, etwas abseits vom Wege auf einem
  • kleinen Grabe, ein Flämmchen auf. »Sieh mal an!« und der Großvater blieb
  • stehen, stemmte die Hände in die Hüften und sah näher hin: nun war das
  • Flämmchen erloschen, aber weiter und noch etwas weiter, da flackerte ein
  • anderes auf. »Ein Schatz!« schrie der Großvater, »bei Gott, ich möchte
  • alles darum geben, daß das ein Schatz ist!« Und schon wollte er sich in
  • die Hände spucken, um nach dem Schatz zu graben, da fiel ihm ein, daß er
  • ja weder Schippe noch Spaten bei sich hatte. »Schade, schade! Aber wer
  • weiß? Vielleicht braucht man nur den Rasen wegzuräumen, und der
  • Herzensschatz liegt gleich darunter! Na, da ist eben nichts zu machen!
  • Merken wir uns wenigstens den Platz, daß wir's später nicht vergessen.«
  • Er nahm einen mächtigen Ast, der offenbar vom Sturm zerbrochen worden
  • war, wälzte ihn auf das Grab, auf dem das Licht gebrannt hatte, und ging
  • seines Weges. Der junge Eichenwald lichtete sich; und ein geflochtener
  • Zaun tauchte vor ihm auf. »Na also, hab' ich's nicht gleich gesagt, daß
  • es die Trift des Popen ist!« dachte der Großvater, »da ist ja auch sein
  • Zaun. Jetzt ist's keine ganze Werst mehr bis zu meinem Melonenfeld.«
  • Er kam aber erst spät am Abend heim und wollte nicht einmal von den
  • Klößen kosten. Er weckte meinen Bruder Ostap, fragte nur, ob die
  • Fuhrleute schon lange fort seien, und wickelte sich dann in seinen
  • Schafspelz. Mein Bruder wollte ihn ausfragen. »Wo haben dich denn heute
  • die Teufel hingebracht, Großvater?« begann er.
  • »Frage nicht,« sagte dieser, sich noch fester in seinen Pelz hüllend,
  • »frage nicht, Ostap, vom vielen Fragen kriegt man graue Haare!« Und er
  • fing so an zu schnarchen, daß die Sperlinge, die sich im Melonenfelde
  • niedergelassen hatten, vor Schreck in die Luft aufflogen. Aber in
  • Wahrheit schlief er gar nicht! Es ist nicht zu sagen, was das für eine
  • schlaue Bestie war -- Gott hab ihn selig -- aber er verstand es
  • vorzüglich, sich mit allem abzufinden. Manchmal konnt' er einem ein
  • Liedchen singen, daß man sich nur so in die Lippen biß.
  • Kaum aber brach der nächste Tag an, und kaum begann es im Felde zu
  • dämmern, da zog der Großvater seinen Kittel an, legte den Gürtel um,
  • nahm einen Spaten und eine Schaufel unter den Arm, setzte die Mütze auf,
  • trank einen Krug Brotkwas, wischte sich die Lippen mit dem Rockschoß und
  • ging geradewegs in des Popen Gemüsegarten. Er war schon am Zaun und an
  • dem niedrigen Eichenwäldchen vorbei. Da schlängelte sich zwischen den
  • Bäumen ein Pfad hin, der gerad ins Feld führte; offenbar derselbe, den
  • er gestern entdeckt hatte. Er betrat das Feld -- es war dieselbe Stelle,
  • wo er gestern gewesen war. Da ragte auch der Taubenschlag in die Höhe,
  • aber die Scheune war nicht zu sehen. »Nein, das ist nicht der rechte
  • Ort. Der liegt also etwas weiter; ich muß offenbar umkehren und auf die
  • Scheune zugehen!« Er kehrte also um, und ging auf einem andern Wege
  • weiter: jetzt war die Scheune zu sehen, aber nun war der Taubenschlag
  • fort! Er kehrte also wieder um und näherte sich dem Taubenschlag, doch
  • nun war wieder die Scheune verschwunden. Und nun begann, wie zu Fleiß,
  • noch ein Regen herunterzurieseln. Er lief wieder nach der Scheune --
  • aber der Taubenschlag war fort; oder zum Taubenschlag -- dann war die
  • Scheune fort.
  • »Verfluchter Satan, daß du es nie mehr erlebtest, deine Kinder zu
  • sehen!« Der Regen aber rauschte in Strömen herab. Der Großvater zog sich
  • die neuen Stiefel aus, wickelte sie in ein Tüchlein ein, damit sie sich
  • nicht vor Nässe zusammenzögen und gab Fersengeld wie ein
  • herrschaftlicher Renner. Er kroch, ganz durchnäßt bis auf die Knochen,
  • in die Hütte, bedeckte sich mit dem Schafspelz und begann etwas durch
  • die Zähne zu murmeln und den Teufel mit so lieblichen Worten zu
  • traktieren, wie ich sie mein Lebtag noch nicht gehört habe. Ich gestehe,
  • ich wäre ganz rot geworden, wenn so etwas am helllichten Tage geschehen
  • wäre.
  • Am anderen Morgen erwache ich und sehe: der Großvater zieht auf dem
  • Felde umher, als ob nichts geschehen wäre und bedeckt die Wassermelonen
  • mit Blättern von Kletten. Beim Essen wurde der Alte erst wieder
  • gesprächig und begann meinen jüngeren Bruder damit zu schrecken, daß er
  • ihn gegen ein Paar Hühner umtauschen werde wie eine Wassermelone; nach
  • Tisch schnitt er sich selbst eine Flöte aus Holz und fing an, auf ihr zu
  • blasen; dann gab er uns eine Melone zum spielen, die ganz
  • zusammengeschrumpft war wie eine Schlange, und die er eine türkische
  • Melone nannte. Ich habe nie wieder eine solche Melone gesehen; er hatte
  • den Samen von weit her gesandt bekommen.
  • Abends, nach dem man gevespert hatte, ging der Großvater mit dem Spaten
  • ins Feld, um ein neues Beet für die späten Kürbisse zu graben. Wie er
  • nun an der behexten Stelle vorüberkam, da konnte er nicht an sich halten
  • und murmelte durch die Zähne: »Verfluchter Ort!«, er trat in die Mitte
  • des Platzes, wo er tags zuvor nicht hatte zu Ende tanzen können, und
  • schlug wütend mit dem Spaten auf die Erde. Da lag plötzlich wieder
  • dasselbe Feld vor ihm: auf der einen Seite ragte der Taubenschlag empor,
  • auf der anderen stand die Scheune. »Noch gut, daß ich so klug war, einen
  • Spaten mitzunehmen,« dachte er: »Da ist auch der Pfad, da ist das Grab,
  • und da liegt noch der Ast! Sieh, da brennt ja auch das Flämmchen! Daß
  • ich mich nur nicht irre!«
  • Leise lief er herzu, hob den Spaten in die Höhe, als ob er einem Eber,
  • der sich bis ins Feld verirrt hatte, einen Schlag versetzen wollte, und
  • blieb vor dem Grabe stehen. Das Flämmchen war erloschen und auf dem
  • Grabe lag ein mit Gras bewachsener Stein. »Diesen Stein muß ich heben!«
  • dachte der Großvater und begann rings um ihn herum die Erde aufzugraben.
  • Der verfluchte Stein war verdammt groß! Doch, nun stemmte er die Füße
  • fest gegen die Erde und stieß ihn vom Grabe herab. »Bums --!« dröhnte es
  • weit durch's Tal. »Nun sind wir dich los! Jetzt wird die Arbeit
  • schneller gehen!« dachte der Großvater.
  • Und der Alte machte ein wenig Halt, holte seinen Tabaksbeutel hervor,
  • schüttete sich etwas Tabak auf die Faust und wollte ihn an die Nase
  • bringen, als plötzlich über seinem Kopfe ein »Pschü!« ertönte und jemand
  • so laut nieste, daß die Bäume zu schwanken begannen und das ganze
  • Gesicht des Großvaters bespritzt wurde. »Du könntest dich doch auch
  • abwenden, wenn du niesen willst!« rief der Großvater und rieb sich die
  • Augen. Er sah sich um, aber es war niemand da. »Der Teufel liebt wohl
  • den Tabak nicht!« fuhr er fort, steckte den Beutel wieder in die Brust
  • und nahm den Spaten wieder in die Hand. »Er ist wirklich dumm genug
  • dazu! Solch einen Tabak hat weder sein Großvater noch sein Vater je
  • geschnupft!« Und er begann zu graben. Die Erde war weich, und der Spaten
  • versank nur so in ihr. Jetzt klirrte etwas. Er schaufelte die Erde weg
  • und erblickte einen Kessel.
  • »Ah, Täubchen, hier also bist du!« rief der Großvater und schob den
  • Spaten unter den Kessel.
  • »Ah, Täubchen, hier also bist du!« piepte ein Vogel und pickte auf den
  • Kessel.
  • Der Großvater wich zur Seite und ließ den Spaten fallen.
  • »Ah, Täubchen, hier also bist du!« blökte ein Hammelkopf von einem
  • Baumwipfel herab.
  • »Ah, Täubchen, hier also bist du!« brüllte ein Bär, seine Schnauze
  • hinter dem Baum hervorschiebend.
  • Den Großvater überlief es kalt. »Hier hat man ja rein Angst, noch ein
  • Wort zu sagen«, brummte er vor sich bin.
  • »Hat man ja rein Angst, ein Wort zu sagen!« piepte der Vogelschnabel.
  • »Angst, ein Wort zu sagen!« blökte der Hammelkopf.
  • »Wort zu sagen!« brüllte der Bär.
  • »Hm ....« machte der Großvater, und schrak zusammen.
  • »Hm!« piepte der Vogel.
  • »Hm!« blökte der Hammelkopf.
  • »Hum!« brüllte der Bär.
  • Voll Angst blickte der Großvater um sich: O Gott, was für eine Nacht!
  • Weder Mond, noch Sterne; und ringsumher nichts wie Schluchten; ihm zu
  • Füßen lag ein schier bodenloser Abgrund, ihm zu Häupten hing ein Fels
  • herab, der gerade auf ihn herunterstürzen wollte! Und es deuchte den
  • Großvater, als blinzelte ihn hinter dem Felsen eine Fratze an: Hu! Hu!
  • Die hatte eine Nase wie der große Blasebalg in der Schmiede; die Nüstern
  • waren so groß, daß man einen Eimer Wasser in jede hinein gießen konnte,
  • und zwei Lippen hatte sie, bei Gott, rein wie zwei Holzklötze! Die roten
  • Augen glotzten nach oben und dazu steckte sie noch die Zunge heraus und
  • bläkte ihn an! »Hol dich der Teufel!« rief da der Großvater und warf den
  • Kessel hin. »Da hast du deinen Schatz! Solch eine widerwärtige Fratze!«
  • Und schon wollte er Reißaus nehmen, aber da sah er sich um, und siehe
  • da, es war alles wie früher. »Der Satan will mich nur schrecken!« dachte
  • er sich.
  • Er ging wieder daran, den Kessel auszugraben -- doch nein, er war zu
  • schwer! Was war da zu machen? Er konnte ihn doch nicht etwa da lassen!
  • So nahm er denn alle Kraft zusammen und packte ihn mit beiden Händen:
  • »Nun also, eins -- zwei, drei!« und er hatte ihn emporgehoben. »So,
  • jetzt nehmen wir mal erst eine Prise!« dachte er sich.
  • Er holte den Tabaksbeutel hervor. Zuerst aber sah er sich um, ob auch
  • niemand da war. Nein, es war niemand da, so schien es wenigstens! Aber
  • auf einmal kam es ihm so vor, als ob der Baumstamm ihn anfauchte und
  • sich aufblies, zwei Ohren traten hervor, ein Paar rote Augen quollen
  • heraus, die Nüstern bliesen sich auf und eine Nase zog sich kraus, als
  • wollte sie niesen. »Nein, ich will lieber doch nicht schnupfen!« dachte
  • der Großvater und steckte den Tabak wieder ein. »Sonst spuckt mir der
  • Satan wieder in die Augen!« Er ergriff also schnell den Kessel und
  • begann aus allen Leibeskräften zu laufen, da fühlte er, wie ihm von
  • hinten jemand wie mit Ruten auf die Beine schlug ..... »O je, o je!«
  • schrie der Großvater und rannte weiter, als ob er nicht gescheit wäre;
  • erst als er an des Popen Gemüsegarten vorbeikam, schöpfte er wieder ein
  • wenig Atem.
  • »Wo mag nur der Großvater geblieben sein?« dachten wir, nachdem wir drei
  • Stunden auf ihn gewartet hatten. Die Mutter war schon längst vom Vorwerk
  • zurückgekommen und hatte einen Topf mit heißen Klößen mitgebracht. Der
  • Großvater aber kam und kam nicht! Wir setzten uns also allein hin, um zu
  • vespern. Nach dem Abendessen wusch die Mutter den Topf und suchte mit
  • den Augen nach einer Stelle, wo sie das Spülicht ausgießen konnte; denn
  • ringsum gab es nichts als Beete, da sieht sie auf einmal, wie ihr eine
  • Tonne entgegengerollt kommt. Es war ziemlich dunkel. Sicherlich hatte
  • sich jemand von den Burschen mutwillig hinter die Tonne gesteckt und
  • schob sie vor sich hin. »Ei, da kann ich ja das Spülicht in die Tonne
  • gießen,« sagte sie und goß das heiße Spülicht hinein.
  • »O weh!« schrie da eine tiefe Baßstimme auf. Sieh da. Es war der
  • Großvater! Ja, wer konnte denn das wissen! Bei Gott, wir dachten
  • einfach, ein Faß käme herangerollt! Offen gestanden, wenn's auch eine
  • Sünde ist, aber es war wirklich furchtbar komisch, als der graue Kopf
  • des Großvaters ganz von Spülicht triefend und mit Melonenschalen behängt
  • hervorschaute.
  • »So ein Teufelsweib!« rief der Großvater und wischte sich den Kopf mit
  • dem Rockschoß ab. »Wie die mich verbrüht hat, rein wie ein Schwein vor
  • Weihnachten! Na, Jungens, jetzt sollt ihr aber Bretzeln bekommen. Ihr
  • sollt nur in goldenen Schupans herumlaufen, ihr Hundesöhne. Seht her!
  • Seht, was ich euch mitgebracht habe!« rief der Großvater und deckte den
  • Kessel auf.
  • Und was glaubt ihr wohl, was drin war? Überlegt's euch wohl, hört ihr --
  • ihr denkt wohl: Gold? Aber das ist's ja eben, daß es kein Gold war:
  • Mist, Unrat und sowas ..... Es ist eine Schande zu sagen, was alles da
  • drin war. Der Großvater spuckte aus, warf den Kessel hin und wusch sich
  • die Hände.
  • Und seit der Zeit beschwor uns der Großvater, niemals dem Teufel zu
  • trauen. »Denkt lieber gar nicht dran!« sagte er oft zu uns. »Alles, was
  • der Feind Jesu Christi spricht, hat er erlogen, dieser Hundesohn! Der
  • hat auch nicht für einen Deut Wahrheitsliebe!« Und kaum vernahm der
  • Alte, daß es irgendwo rumore, so rief er uns schon zu: »Schnell Kinder,
  • machen wir ein Kreuz darüber! So, so, so geschieht's ihm recht! Tüchtig
  • soll er's kriegen!« und dann legte er los mit dem Kreuzschlagen. Jenen
  • verhexten Ort aber, an dem er nicht zu Ende tanzen konnte, ließ er
  • umzäunen und ließ von da ab alles, was man nicht brauchen konnte, also
  • den ganzen Schutt und Unrat, den er auf dem Felde ausgrub, dort
  • hinwerfen.
  • So also foppte des Satans Macht den Menschen! Ich kenne diesen Ort sehr
  • gut: später haben ein paar Kosaken aus der Nachbarschaft ihn von meinem
  • Vater gepachtet, um ihn zu bebauen. Der Boden ist prachtvoll, und die
  • Ernte war immer ganz herrlich; aber von einem behexten Orte kann ja nie
  • Gutes kommen. Man sät etwas, was man braucht, dann aber geht etwas auf,
  • wovon nur der Teufel weiß, was es ist: Es ist kein Kürbis, keine Melone
  • und auch keine Gurke ..... Weiß der Teufel, was es ist.
  • Biographische Skizze
  • von
  • B. Schenrock
  • Übersetzt von _Alexandra Ramm_
  • Nikolaj Wassiljewitsch Gogol, der mit vollem Recht als einer der großen
  • schöpferischen Geister im Gebiete der Wortkunst anerkannt wird, hat
  • sich, wie bekannt, seinen Anspruch auf Unsterblichkeit nicht nur durch
  • die großen Qualitäten seiner Werke, sondern auch durch die entscheidende
  • Wirkung erworben, die er als richtunggebende Kraft auf die gesamte
  • Entwicklung des russischen Schrifttums ausübte. Als ein Schriftsteller,
  • der der Literatur unschätzbare Dienste erwies: indem er sie von der
  • Nachahmung befreite und sie endgültig auf die Darstellung des wirklichen
  • Lebens richtete, hat Gogol sich für immer einen der ersten Plätze in der
  • Literaturgeschichte gesichert, wie groß auch die Verdienste seiner
  • Nachfolger sein mögen.
  • Die persönlichste Note Gogols, des Menschen wie des Dichters, ist die
  • unbezweifelbare Eigenart seiner Erscheinung, dies Wort in seinem
  • höchsten Sinne genommen. Ihr hat er es zu verdanken, daß er fast allein
  • durch sein natürliches Temperament die hohe Vollkommenheit erreichte,
  • die seine Werke auszeichnet. Es ist kaum möglich, einen ähnlich
  • bedeutsamen Vertreter der russischen Literatur zu nennen, der in gleich
  • geringem Maße fremden Einflüssen verpflichtet ist.
  • Gogol war ein echter Kleinrusse. Im Gegensatz zu der Mehrzahl der großen
  • russischen Dichter war er sowohl seiner Abstammung wie seiner Erziehung
  • nach fast gänzlich frei von jeder Beimischung fremder Einwirkungen. Mit
  • den frühesten Eindrücken seiner Kindheit sog er zugleich alle nationalen
  • Eigenheiten des Kleinrussentums ein, als er noch die Luft seiner
  • heimatlichen, so inniggeliebten Ukraine atmete. Immer blieb ihm
  • Kleinrußland, das der Gegenwart wie der Vergangenheit, teuer und er
  • forschte lebhaft nach seinen Ahnen, wenn auch nicht in dem Sinne
  • genealogischen Nachspürens. Im Gegenteil: Gogol empfand aufs tiefste den
  • _dichterischen_ Zauber der Erinnerung an die Ahnen, dem er in folgenden
  • tief gefühlten Zeilen Ausdruck gab: »O Vergangenheit, Vergangenheit!
  • Welch ein Jubel, welch eine Befreiung erfüllt unsere Seele, wenn wir von
  • dem hören, was vor langer, langer Zeit, vor Jahr und Tag einmal in der
  • Welt geschah! Und wenn nun noch ein Blutsverwandter, ein Großvater oder
  • Urgroßvater an jenen Ereignissen teilnahm, ah -- dann verstummt der
  • sonst so beredte Mund.« Wir wollen hier nicht die Geschichte Ostaps
  • erzählen, der vermutlich ein Ahne Gogols war und bemerken nur, daß diese
  • echt kleinrussische Familie, wenn auch nur für kurze Zeit, mit zweien
  • ihrer Mitglieder in die Reihen der polnischen Schlachta eingetreten war,
  • was eine Erklärung für den zweiten polnischen Namen liefert, dem die
  • Gogols dem ihren anfügten: Gogols Urgroßvater hieß Jan, nach ihm nannten
  • sie sich auch Janowski, und ihr Erbgut im Kreise Mirgorod,
  • Regierungsbezirk Poltawa, erhielt den Namen Janowschtschina (wie ein
  • anderes Gut, Wassiljewka, seinen Namen nach Gogols Vater Wassilij
  • erhalten hatte). Später war Gogol bemüht, diesen zweiten Namen
  • abzulegen, denn er behauptete, daß »die Polen« dieses Anhängsel erfunden
  • hätten.
  • Und doch war Gogol den Professoren und Mitschülern fast ausschließlich
  • unter dem Namen Janowski bekannt. Schon der Sohn Jan Gogols war
  • griechisch-katholisch geworden; er wurde in der Kiewer Akademie erzogen
  • und trat sogar in den geistlichen Stand ein; sein Enkel, der Großvater
  • unseres Dichters, war den Zeugnissen nach, die sich erhalten haben, ein
  • echter Kleinrusse. Für uns hat die Bekanntschaft mit den Ahnen Gogols
  • vor allem die Bedeutung, daß sie uns von der Überlieferung alle als
  • hochbegabte Menschen geschildert werden -- jedenfalls waren sie keine
  • gewöhnlichen Erscheinungen. Auch der Vater Gogols, Wassilij
  • Afanaßjewitsch, war ein außerordentlich begabter und herzensguter
  • Mensch, mit einem lebendigen und wißbegierigen Verstand, literarischen
  • Neigungen und einem ausgesprochenen Erzählertalent. Sorglos und geliebt
  • von Nachbarn und Freunden begnügte er sich mit seinem bescheidenen
  • Familienglück und träumte nie von dem lockenden Ruhm des Dichters. Ein
  • Zufall, die Übersiedelung nach dem Gute des bekannten kleinrussischen
  • Magnaten Troschtschinsky, einem Verwandten seiner Frau, Kibinzu,
  • erschloß der dichterischen Begabung Wassilij Afanaßjewitschs ein
  • würdigeres Feld. Dank der weitherzigen Gastfreundschaft Troschtschinskys
  • war dieser immer von Freunden umringt: stets standen Zimmer und ganze
  • Flügel für die Ankömmlinge bereit. In seinem Hause herrschte ewiger
  • Feiertag: man musizierte, spielte Theater, arrangierte Feste -- und
  • alles war immer von einer erregten Atmosphäre von Freude und Glanz
  • umgeben. Nicht minder hing man in diesem Schlosse geistigen Interessen
  • nach: selbst bloße Vergnügungen trugen das Merkmal vollendeten Taktes
  • und Geschmacks, und keiner widerstand dem bezaubernden Eindruck des
  • Ganzen. Gogols Eltern wurden hier gern gesehen, und man schien in diesem
  • zeitgenössischen Athen dem alltäglichen Leben ganz entrückt zu sein.
  • Am 19. März 1800 wurde W. A. Gogol, das ältere von den zwei am Leben
  • gebliebenen Kindern, unser Dichter, geboren. Von dem ersten Tag an war
  • er der Abgott der Familie, vor allem der Mutter, deren Güte und
  • Freundlichkeit allgemein hochgeschätzt wurde. Es ist selbstverständlich,
  • daß der Knabe von seinen Eltern mit zartester Sorgfalt behütet wurde,
  • und so wuchs er mitten unter Gutsherrn und Bauern alten Schlages auf.
  • Schon als Kind hatte ihm die Natur eine außerordentliche
  • Beobachtungsgabe verliehen, und so prägte sich ihm von früher Jugend an
  • das Bild eines kleinrussischen Dorfes ein: unmerklich schleichen sich
  • die kleinrussischen Sagen, Sitten und Tänze in sein Herz. Auf dem Gute
  • Troschtschinskys lernt er vieles kennen, was ihm in der Enge seines
  • väterlichen Hauses ewig unbekannt geblieben wäre. Und hier erlebte er
  • seinen ersten künstlerischen Genuß: als er bezaubert den Dramen
  • Kotlarewskis zuschaute, die von Leibeigenen auf dem Haustheater gespielt
  • wurden. Mit zehn Jahren brachte man ihn nach Poltawa, um ihn dort für
  • sein späteres Studium vorbereiten zu lassen; bald jedoch wurde er nach
  • Njäschin geschickt in das »Gymnasium der höheren Wissenschaften,« wo er
  • vom Mai 1821 bis Juni 1828 als Schüler verblieb. In der Schule machte
  • der kränkliche, nicht allzufleißige Knabe, der seine geringe Zuneigung
  • zu den Wissenschaften durch eine innige Hingabe an allerlei kleine
  • Streiche und Neckereien ersetzte, weder auf seine Altersgenossen noch
  • auf die älteren Schüler einen besonders guten Eindruck: die einen
  • lachten ihn als einen Spaßmacher aus, die andern verachteten ihn als
  • einen Faulenzer. Der natürlichen Begabung des Knaben, die sich vorläufig
  • nur dadurch kundgab, daß er den Lehrern treffende Spitznamen gab und
  • ihre Eigenheiten geschickt nachahmte, schenkte keiner irgendwelche
  • ernstere Beachtung: aber die von ihm erfundenen Spitznamen werden von
  • den andern sogleich aufgegriffen, und alles belacht seine närrischen
  • Streiche, wenn auch keiner glaubt, daß sich hierin irgend etwas
  • ungewöhnliches ausdrückt. In dieser Zeit faßt er plötzlich eine
  • leidenschaftliche Hinneigung zur Malerei, wohl auch zu Büchern: aber
  • bald beherrscht das Theater widerspruchslos seine Sehnsucht. Er bemüht
  • sich, im Njäjiner Lyzeum kleine Aufführungen zu arrangieren und als
  • Schauspieler gelingen ihm vor allem die Rollen der komischen Alten.
  • Seine Leidenschaft entflammte auch seine Kameraden. Bald gibt er eine
  • Schülerzeitschrift heraus und träumt von seiner Zukunft, die sich in
  • lichten Farben vor ihm eröffnet. Als er sechzehn Jahre alt ist, stirbt
  • sein Vater plötzlich. Dadurch wird seine Entwicklung entscheidend in
  • eine andere Bahn gelenkt. Aus dem spielerischen Knaben wird unversehens
  • ein Jüngling. Sein und seiner Angehörigen Schicksal, dem er sich ganz
  • widmen will, bemächtigt sich seiner Phantasie: vor allem will er der
  • jüngeren Schwester den Vater ersetzen. Noch immer sind seine
  • Fortschritte in der Schule gering, nur für Geschichte wird ein größeres
  • Interesse bei ihm bemerkbar, ebenso für die Poesie, wenn ihn auch der
  • Literaturunterricht im Gymnasium wenig anzieht. Er macht sich über den
  • Professor, dessen vorsintflutliche Anschauungen noch in der »guten alten
  • Zeit« wurzeln und der Puschkin verachtet, lustig ... Und dann erwacht
  • die jugendliche Sehnsucht nach Freundschaft in ihm. Außer seiner
  • Knabenfreundschaft mit Danilewski, dem Sohne des Gutsnachbars, gewinnt
  • er noch Wyssozki und die Brüder Prokopowitsch zu Freunden. Die letzten
  • Jahre der Schulzeit eilen schnell vorüber; Wyssozki, der die Schule
  • absolviert hat, reist nach Petersburg, und Gogol, der oft mit dem
  • Freunde von der Hauptstadt im Norden geträumt hat, sehnt sich heiß nach
  • den Ufern der Newa. Seine Träume zaubern ihm das herrliche Leben in
  • Petersburg vor, wo die großen Ziele locken: gereizt empfindet er das
  • Provinzielle seiner Umgebung. Seine scharfe Beobachtungsgabe verbindet
  • sich mit schneidendem Humor zu bissigen Ironien. Aus den kühnen Träumen
  • der Jugend gestaltet sich das Idyll »Hans Küchelgarten«. Endlich naht
  • die Zeit der Abschlußprüfung. Gogol fühlt, daß er noch große Lücken
  • auszufüllen hat und beginnt angestrengt zu arbeiten. In den Briefen an
  • seine Mutter, die in dieser Zeit geschrieben sind, macht er der Schule
  • bittere Vorwürfe, daß sie ihn so lange aufgehalten hat, ohne ihm sichere
  • Kenntnisse beizubringen. Aber endlich besteht er die Prüfling.
  • Er kehrte auf kurze Zeit in seine Heimat zurück, um dann mit seinem
  • treuen Kameraden Danilewski nach Petersburg zu fahren. Bald enttäuscht
  • die grausame Wirklichkeit die großartigen Träume der Jugend: statt in
  • einem großen Zimmer mit hohen Fenstern auf die Newa hinaus zu wohnen,
  • muß er sich mit einem Raum in einer höheren Etage in einer viel
  • prosaischeren Gegend begnügen; die hohen Preise machen ihn
  • niedergeschlagen. Die Empfehlungsbriefe, mit denen ihn die sorgliche
  • Mutter ausgerüstet hatte, öffnen ihm zwar die Häuser einiger angesehener
  • Personen, bleiben aber ohne jegliches praktisches Resultat. Er leidet
  • Not und muß im Winter mit einem Sommermantel herumlaufen. Er muß allen
  • Vergnügungen entsagen: nicht einmal das heißgeliebte Theater kann er
  • besuchen ... Er fühlt sich tief unglücklich und mit fieberhafter Eile
  • unternimmt er einen Versuch nach dem andern; aber alles mißglückt ihm.
  • Er erinnert sich der Erfolge, die er auf der Bühne des Schultheaters
  • errungen hatte und läßt sich als Schauspieler prüfen: aber sein Organ,
  • klar und jeder Übertreibung bar, macht auf die zeitgenössischen
  • Theateraristarchen einen ungünstigen Eindruck. Er selbst bemerkt es
  • während der Probe und entfernt sich heimlich, ohne das Resultat
  • abzuwarten. Dann fiel es ihm ein, sein Idyll »Hans Küchelgarten« drucken
  • zu lassen, aber die Kritik nahm es kühl auf, und der gekränkte Dichter
  • warf eiligst seinen Erstling in die Flammen. Inzwischen war ihm aber das
  • Interesse der Petersburger für alles Kleinrussische aufgefallen, und der
  • unternehmungslustige Jüngling beschäftigt sich mit dem Plan, die
  • Komödien seines Vaters aufzuführen. Ebenso beginnt er, mit Hilfe der
  • Mutter und seiner Freunde näheres Material für einige geplante
  • kleinrussische Erzählungen zu sammeln, die er auch wirklich
  • niederschreibt und die unter dem Namen »Abende auf dem Gutshof bei
  • Dikanka« bald eine umfassende Popularität erlangten. Über seine Stimmung
  • zu dieser Zeit mögen einige Zeilen Auskunft geben, die einem
  • gleichzeitigen Brief an seine Mutter entnommen sind: »Ist das eine ein
  • Mißerfolg, kann man zum andern greifen, und mißglückt das auch -- dann
  • zum dritten usw. Das Kleinste kann manchmal eine große Hilfe bedeuten.«
  • In dieser Stimmung reifte plötzlich der Plan in ihm, ins Ausland zu
  • reisen -- in das Ausland, von dem er seit seiner Schülerzeit zu Njäschin
  • geträumt hatte! Er sehnte sich nach einem phantastischen Land des Glücks
  • und der schöpferischen Arbeit. Aber auch diesmal enttäuschte die
  • Wirklichkeit die farbige Glut seiner Jugendträume. In der »Beichte des
  • Dichters« bekannte er, daß »er sich kaum auf dem Meere, auf dem Dampfer,
  • unter fremden Menschen« befand, als schon die frohen Träume von einem
  • glücklichen exotischen Leben in nichts zerflossen. Kaum hatte er sich
  • flüchtig umgesehen, kaum hatte er Lübeck, Travemünde, Hamburg kennen
  • gelernt, als er schon zurück nach Petersburg eilte. (Nach A. S.
  • Danilewskis Angabe war Gogol aus Petersburg fortgefahren, um sich in
  • Amerika anzusiedeln.) Bald nach seiner Rückkehr erhielt er eine Stellung
  • im Apanagen-Departement. So kläglich hatten seine herrlichen
  • Dichterträume geendet. Und gerade diesen Ausgang hatte er wie das Feuer
  • gefürchtet, und mit allen Kräften sträubte er sich gegen den Gedanken,
  • daß »das Schicksal ihm ein düsteres Heim des Ungekanntseins zugedacht
  • hätte«.
  • Inzwischen aber gediehen die »Abende auf dem Gutshof bei Dikanka«
  • fleißig weiter; außerdem begann Gogol seine ersten literarischen
  • Versuche in Zeitschriften zu veröffentlichen und Beziehungen zu
  • Schriftstellern anzuknüpfen. So war er endlich auf der Bahn, die zu
  • einer Verwirklichung seiner Träume führen konnte. Delwig, Schukowski,
  • Pletniew -- vor allem der letztere -- erkannten seine glänzende Begabung
  • und entwickelten für seine Zukunft eine geradezu väterliche Besorgnis.
  • Pletniew verschaffte ihm eine Stellung als Geschichtslehrer am
  • »Patriotischen Institut,« wo er selbst Geschichtsunterricht erteilte,
  • und ebenso einige Stunden in vornehmen Häusern. Er war es auch, der ihn
  • mit Puschkin bekannt machte. Noch ein paar Mißerfolge hatte Gogol zu
  • überwinden, und dann erhaschte er das Glück, das phantastische,
  • zauberhafte Glück ... Plötzlich fühlte er sich in die Sphäre der höheren
  • literarischen Welt gehoben ... aussichtsreiche Beziehungen eröffneten
  • sich ihm. Vor allem befreundete er sich mit dem vielumworbenen Fräulein
  • A. O. Rosset, der späteren Frau Smirnowa. Ihre gemeinsame heiße Liebe
  • zur Ukraine hatte sie zusammengeführt, und das war für ihn um so
  • bedeutungsvoller, als sich sein Verhältnis zur Heimat in den seelischen
  • Erschütterungen der letzten Jahre wesentlich verändert hatte. War es
  • früher seine leidenschaftliche Sehnsucht, nur schnell in die Hauptstadt
  • zu kommen, so sehnte er sich jetzt aus den schweren Enttäuschungen der
  • großen Stadt in seine geliebte Ukraine zurück, obwohl er die Bedeutung
  • Petersburgs für seine Zukunft wohl erkannt hatte. Im Jahre 1831 gab er
  • unter dem ihm von Pletniew empfohlenem Pseudonym Rudy Panjko die »Abende
  • auf dem Gutshof bei Dikanka« heraus. Den Sommer verbrachte er in
  • Zarskoje Selo, in glücklicher Gemeinschaft mit Puschkin und Schukowski.
  • (Nunmehr war er überhaupt einer »derer um Puschkin« geworden.) Erst im
  • Sommer 1832 benutzte er seine Ferien, um die Heimat aufzusuchen. Eine
  • neue Idee hatte sich um diese Zeit seiner bemächtigt: er wollte eine
  • Komödie schreiben, deren Stoff dem alltäglichen Leben entnommen sein
  • sollte. Seine eminente Beobachtungsgabe mußte einmal einen solchen
  • Gedanken gebären, um sich vollkommen entladen zu können: durch sie
  • wurden Züge seiner Umgebung hell bestrahlt, die dem gewöhnlichen Blick
  • für immer verborgen bleiben, obwohl sie in Wahrheit die am tiefsten
  • charakteristischen sind. Das zeitgenössische Repertoire bestand in der
  • Mehrzahl aus affektierten Dramen und Tragödien: teils waren es lärmende
  • Trauerspiele im pseudoklassischen Geschmack, teils anspruchslose
  • Komödien, die, ohne jede Bedeutung, nur der Abwechslung dienten. Es kann
  • nicht stark genug betont werden, daß in dieser Lage Gogols Plan geradezu
  • eine Offenbarung bedeutete: und wenn um Gogols schöpferischer Stellung
  • in der Literatur vielleicht gestritten werden kann, so kann über seine
  • Bedeutung für die dramatische Kunst nicht der geringste Zweifel
  • herrschen. Denn die Entwicklung des russischen Dramas kann selbst durch
  • so starke ästhetische Schöpfungen wie Puschkins »Geizige Ritter«,
  • »Mozart und Salieri« oder »Der steinerne Gast« nicht erklärt werden:
  • überall wird man der entscheidenden Einwirkung Gogols begegnen. Seine
  • Ansicht von der Bedeutung des Dramas, die ihm aus tiefstem Innern
  • zugeflossen war, war so selbstständig und neu, daß sie ihm bei einem
  • vorübergehenden Aufenthalt in Moskau die gerühmten Produkte der
  • zeitgenössischen dramatischen Literatur ganz bedeutungslos erscheinen
  • ließ; diesen Aufenthalt in Moskau -- übrigens auf seiner Reise in die
  • Heimat -- benutzte er, um literarische Beziehungen anzuknüpfen, die er
  • sich vorher sorgfältig ausgewählt hatte und von denen er eine Förderung
  • seiner dramatischen Absichten erwarten konnte, oder die ihm bei einer
  • praktischen Ausnutzung seiner Geschichtsstudien behilflich sein konnten.
  • Gogols Ansichten frappierten allgemein und selbst ein so kultivierter
  • Kenner des Theaters wie S. T. Aksakow war von einigen gelegentlichen
  • Äußerungen aufs tiefste überrascht, deren tiefe Wahrheit er trotz ihrer
  • scheinbaren Seltsamkeit sofort einsah. In Moskau kam Gogol mit M. P.
  • Pogodin und seinen Landsleuten Maximowitsch und dem Schauspieler
  • Schtschepkin in nähere Berührung. Seine Rückkehr in die Heimat
  • bereicherte ihn um viele trostlose Erfahrungen: er kehrte ja nicht mehr
  • als der glückliche, von lichten Träumen erfüllte Jüngling zurück, als
  • der er vor drei Jahren mit Danilewski fortgezogen war. In diesen drei
  • Jahren hatte er etwas köstliches verloren: die frohen Träume der Jugend.
  • Die Träume der Jugend, die voll blühender Sehnsucht die Welt als einen
  • Triumphpfad träumt, mit bunten Blumen überschüttet. Aber der rosa
  • Vorhang ist gesunken, und nackt starrt vor dem bestürzten Auge die kahle
  • Mittelmäßigkeit des Alltags. Und Gogol erfüllt die ernste Tragik des
  • Lebens, die sich unter dem grauen Einerlei des Weltlaufs verbirgt.
  • Alles, was ihm der Traum in verlockenden Bildern gemalt hat, was in der
  • Ferne ihm begehrenswert erschienen war -- alles zeigte sich noch
  • nichtiger und trostloser, als es ihm vor drei Jahren erschienen war. Und
  • in der Nähe wartete das gleiche Petersburg auf ihn: aber ohne die
  • magische Aureole, die es ihm vor drei Jahren verklärt hatte. Das alles
  • drückt sich in der veränderten Stimmung seiner nächsten Werke aus:
  • deutlich scheidet sich schon »Mirgorod« hierin von den »Abenden auf dem
  • Gutshof bei Dikanka,« die in allem die zärtliche Verklärung der Jugend
  • atmen. Aber kaum ist er wieder in Petersburg angelangt, als er sich
  • schon den Traum einer neuen glücklichen Zukunft ausmalt: er will nach
  • Kiew gehen, um sich dort um die Geschichtsprofessur an der eben
  • eröffneten Universität zu bewerben. Erfüllt von dem Gefühl seiner
  • reichen inneren Kräfte, durchdrungen von der Überzeugung, die im Kreise
  • Puschkins alle beherrschte, daß das Genie der Masse und ihrer Meinung
  • absolut überlegen sei -- hatte er sich nie ernste Gedanken über die
  • Verantwortlichkeit einer akademischen Stellung gemacht. Er war fest
  • überzeugt, daß allein durch die Kraft der lebendig-bildlich-bewegten
  • Vorstellung die Künste der »welken Schulmeister« in Schatten gestellt
  • würden. Nachdem er sich mit Puschkins und Schukowskis Hilfe den
  • Lehrstuhl für mittelalterliche Geschichte an der Petersburger
  • Universität erobert hatte, hielt er es natürlich auch nicht für nötig,
  • sich für die bevorstehenden Vorlesungen ernsthaft vorzubereiten: statt
  • dessen überläßt er sich der geliebten Arbeit des dichterischen
  • Schaffens. In dieser Zeit schreibt er den »Revisor.« Sein
  • Selbstvertrauen wächst maßlos: er denkt daran, eine Geschichte
  • Kleinrußlands im Mittelalter zu schreiben. Das Resultat ist nicht
  • anders, als man erwarten konnte: in seiner Universitätszeit entstehen
  • dichterische Schöpfungen von hohem Werte, würdig seines Talents -- aber
  • seine wissenschaftlichen Pläne scheitern jammervoll, und seine
  • Vorlesungen sind, wenn man von einigen wirklich glänzenden absteht,
  • flüchtig und mittelmäßig. Die Hörer verlieren Achtung und Vertrauen vor
  • ihrem Professor, und wenn sie ab und zu in sein Auditorium hineinsehen,
  • geschieht es nur, um sich »durch seine phantastische Diktion unterhalten
  • zu lassen.« Gogols Professur endete mit einem vollständigen Fiasko,
  • zumal er seine Vorlesungen bald aus Mangel an gelehrtem Material
  • ausfallen lassen mußte. Und da gerade zu dieser Zeit die Anforderungen
  • an die Professoren erhöht wurden, blieb ihm nichts anderes übrig, als
  • seinen Abschied zu nehmen. Kurz vorher hatte er auch die Stunden im
  • »Patriotischen Institut« verloren.
  • Nach diesen Mißerfolgen richtete er all seine Kraft auf die Aufführung
  • des »Revisors«. Am 19. April 1836 wurde dieses große Werk, das bis heute
  • noch eine hohe Zierde der russischen Bühne ist, endlich zum erstenmal
  • gegeben. Anders als jene Dutzendautoren, deren kühnste Hoffnung nur bis
  • zum freundwilligen Applaus des Publikums reicht, blickte Gogol auf die
  • Bühne: mit tiefer Angst und Wehmut verfolgte er das Schicksal seines
  • Werkes, in das er seine ganze Seele, seine edelsten Kräfte gelegt hatte.
  • Die Pfeile der Komödie trafen scharf ins Ziel, und im Publikum wogte
  • eine außerordentliche Erregung gegen das Werk. Kaiser Nilolaj
  • Pawlowitsch, der bei der ersten Vorstellung des Revisors anwesend war,
  • entschlüpften folgende denkwürdige Worte: »Das ist ein Stück! Alle haben
  • ihr Teil bekommen -- aber ich am meisten!« Von tiefer Anteilnahme für
  • die schonungslose Entblößung sozialer Schäden erfüllt, ebnete der Kaiser
  • durch seine Protektion dem Werk den Weg zur Bühne. Aber statt daß der
  • Dichter über eine so offensichtliche Wirkung erfreut ist, ist er
  • überrascht und niedergeschlagen und wehmütig ruft er aus: »Herrgott,
  • wenn nur einer oder zwei geschimpft hätten -- Gott segne sie. Aber alle
  • ... alle!« Bitter beklagt er sich bei seinen Freunden, daß alle das Werk
  • schmähten und doch abends in die Vorstellung liefen. Die Aufführungen
  • werden durch die üblichen Schikanen und Intriguen der Theaterbehörden
  • immer wieder gestört: und das alles bringt den Kelch schließlich zum
  • Überlaufen. Von den schweren Erlebnissen der letzten Jahre gequält und
  • zerrüttet, reist er mit seinem unzertrennlichen Freunde Danilewski ins
  • Ausland, um dort Ruhe und Zerstreuung zu finden.
  • Trotz der vielen Mißerfolge blickt er mit unzerstörbarer Heiterkeit in
  • sein zukünftiges Leben. Und so reisten beide Freunde in die Welt hinaus,
  • jung, frei, und fortgerissen von dem Drange, sich in das lockende,
  • fremde, westeuropäische Leben zu stürzen. Fröhlich, als hätten sie die
  • Last düsterer, ewig gleicher Eindrücke für immer abgeworfen, eilten sie
  • einer hellen, rosigen Zukunft entgegen. Die goldenen Träume der Jugend
  • schwebten noch über ihnen, und vor ihnen erhob sich die Morgenröte eines
  • besseren poetischeren Lebens, erfüllt von Jubel und lichtem Glück.
  • Mit dieser Reise in das Ausland begann für Gogol eine neue Epoche seines
  • Lebens. Von allen Interessen der offiziellen Petersburger Welt getrennt,
  • gab er sich ungehemmt der ihm entgegenbrausenden neuen Welle hin. Er
  • schließt neue Bekanntschaften, und die Distanz zwischen ihm und seiner
  • Vergangenheit wird mit jedem Tage größer, entscheidender. Ein, zwei
  • Monate vergehen -- und er fühlte sich allen ehmaligen Sorgen und
  • Ärgernissen entfremdet. Nur die innige Liebe zur Heimat erwacht wieder:
  • und jede Erinnerung wird ihm zu einem sorgsam gehegten Schatz. Aber die
  • Bitterkeit, mit der sie die schönste Zeit seines Lebens erfüllt hatte,
  • ließ sich doch nicht ganz vergessen, und in seinen intimen Bekenntnissen
  • stehen neben begeisterten Hymnen auf die Heimat bittere Klagen über ihre
  • Schattenseiten. Beides ist gleichbezeichnend für des Dichters
  • unübertroffene Aufnahmefähigkeit. Mit der Hingabe eines Jünglings weiß
  • er die zahllosen neuen Eindrücke zu genießen, er reist von einem Land in
  • das andere, um sich endlich für längere Zeit in Italien niederzulassen,
  • das er später seine »zweite Heimat« nennt. Die Wunder der italienischen
  • Natur und Kunst, die große Eigenart Roms, die Lebensführung, die allem
  • früher Gesehenen nur allzu Gewohntem direkt widersprach -- wie stark
  • mußte das alles auf die empfängliche Seele des Künstlers wirken! Und
  • gierig schlürft Gogol den Kelch dieses erregten Lebens, oft mit seinem
  • Freund Danilewski, oft auch mit einem andern Enthusiasten, dem edlen und
  • reinen Maler A. A. Iwanow. In einer glücklichen poetischen Umgebung
  • geben sie sich bis zur Selbstvergessenheit dem ästhetischen Genießen der
  • Natur hin, und voll tiefer Seligkeit empfinden sie sich als freie
  • Menschen, unendlich fern von allem Kalten und Offiziellen, von allen
  • materiellen Ablenkungen. Hier in Italien berührten alle Dinge die Seele
  • unserer Einsiedler zärtlich: das stille Genießen der Kunst, der Zauber
  • der wundervollsten Sprachmelodie, das Ergreifende überraschender
  • Farbenwechsel und die mit nichts zu vergleichende Pracht des südlichen
  • Himmels. Jede durchkreuzte Straße dieser hingebend geliebten Stadt,
  • jeder unbedeutende Winkel in den dunklen und nicht immer ganz sauberen
  • Osterien wird ihnen teuer. Eine besondere Freude war es für Gogol, hier
  • in der Fremde Seelenverwandte zu treffen, und er fand ihrer viele. Mit
  • einem Wort: es war die glücklichste, hellste Zeit seines Lebens.
  • Aber wie es immer im Leben geht, diese Zeit war nicht von langer Dauer,
  • und ihr Glück mußte hart gebüßt werden. Das Schicksal ist nicht
  • freigiebig mit solchen Geschenken, und es war Gogol nicht lange
  • beschieden, in dieser Hochflut ästhetischer Genüsse zu leben. Allein in
  • dieser Zeit hatte er den ersten Band der »Toten Seelen« geschrieben,
  • eines Werkes, das nunmehr zu seiner Lebensaufgabe heranwächst. Das
  • glückliche Leben verdüsterte sich durch materielle Sorgen, und auch
  • Wolken anderer Art bedrohten seinen heiteren Horizont. Bald mußte er
  • eine kostspielige Reise nach der Heimat machen, um seine Schwestern aus
  • dem Institut zu nehmen und die jungen unerfahrenen Mädchen wenigstens
  • nach Moskau zu begleiten, und die Rückreise brachte neue Sorgen, die
  • eine erhebliche Anleihe verlangten. Bald vergifteten Krankheiten sein
  • Leben; im Jahre 1840 überstand er nacheinander in Wien und Rom zwei
  • schwere Krankenlager. Eine Zeitlang glaubte er sich sogar am Rande des
  • Grabes. Jede Genesung empfindet der von Kindheit an religiös gestimmte
  • Gogol als eine göttliche Erlösung von dem Tode, die ihm das Schicksal
  • nur gewährt hat, um durch neue Schöpfungen dem Nutzen der Menschheit in
  • einem höheren Sinne dienen zu können oder, wie er sich später äußerte,
  • »um einen Hymnus auf die göttliche Schönheit zu singen«.
  • Das alles geschah an der Grenze der dreißiger und vierziger Jahre. Die
  • sensible Natur des Künstlers hatte sich der schweren Anfechtungen zu
  • erwehren, die unbarmherzig auf ihn niederprasselten. Einer der
  • schwersten Schicksalsschläge, die ihn betroffen hatten, war der frühe
  • Tod des jungen Josef Wielgorski, an dem er während der letzten Monate
  • seines langsamen Dahinschwindens mit ganzer Seele gehangen hatte. Gogol
  • war für die Freundschaft aufs äußerste empfindlich, und gerade darum
  • blieb der Kreis seiner Freunde immer sehr klein. Aber nicht minder
  • zerrütteten ihn die kleinlichen Sorgen des Alltags. Fern von den
  • aktuellen Tagesfragen und den Interessen der zeitgenössischen
  • literarischen Welt, beschränkt durch seine persönlichen Beziehungen und
  • materiellen Verpflichtungen, konnte er seinen Freunden kaum etwas recht
  • tun. Unter dem Kreuzfeuer ihrer Ansprüche und gegenseitiger
  • Gereiztheiten geriet er unwillkürlich in eine unangenehme und unbequeme
  • Lage, da sie sich alle für berechtigt hielten, eine Unterstützung ihrer
  • zahlreichen Zeitschriften durch Arbeiten aus seiner Feder zu verlangen.
  • So entzweite er sich mit dem ihm einst in Moskau (1841) sehr
  • nahestehenden Pogodin, der ihm Geld geliehen hatte und sich berechtigt
  • fühlte, Arbeiten von ihm zu verlangen. Pletniew und seinen andern
  • Petersburger Freunden gefiel wiederum seine Annäherung an die Moskauer
  • nicht, und die Aksakows mit ihrer aufrichtigen, aber wie Gogol selbst
  • sagte, übertriebenen Liebe zu ihm waren durch seine Anhänglichkeit an
  • Italien verletzt. Die Mühen, die das Erscheinen der »Toten Seelen« im
  • Jahre 1842 verursachte, machten in Gogol die Erinnerung an die
  • schrecklichen Seelenqualen lebendig, die er bei der Aufführung des
  • Revisors erlitten hatte. Wieder die gleichen offiziellen Scherereien,
  • vor allem mit der Zensur, die Meinungen äußerte wie folgende: der Titel
  • »Tote Seelen« schon könne nicht zugelassen werden, da die Seele
  • unsterblich sei! Besonders hatte die Erzählung vom Kapitän Kopeikin
  • darunter zu leiden. Wieder war Gogol gezwungen, durch Bitten und Besuche
  • hochgestellte Persönlichkeiten zu interessieren, wieder allerlei
  • quälende Intrigen. Und waren es früher nur die Intrigen im Theater, die
  • ihn marterten, so bereiteten ihm jetzt seine Freunde allerlei
  • Schwierigkeiten: vor den Aksakows mußte er seine Beziehungen zu
  • Belinski[1] verbergen, und bei Pogodin war es ihm unangenehm, daß er mit
  • dem von ihm erborgten Gelde dem Maler Iwanow geholfen hatte. Zu gleicher
  • Zeit beunruhigten ihn die finanziellen Verhältnisse seiner Familie auf
  • das äußerste, und er durfte nicht einmal daran denken, zu helfen, da
  • seine eigene materielle Lage eher alles andere als glänzend war. Noch
  • während seines Petersburger Aufenthaltes hatte er in dieser Beziehung
  • allen Boden unter den Füßen verloren. Nachdem er seinen früheren Beruf
  • aufgegeben hatte, war es ihm nie wieder in den Sinn gekommen, zu einer
  • bestimmten Tätigkeit zurückzukehren -- ausgenommen natürlich die Arbeit
  • an seinen Dichtungen. Wiederholt wandte er sich an die Regierung mit der
  • Bitte um eine Subvention, wobei er immer wieder darauf hinwies, daß es
  • sein heißer Wunsch sei, dem Vaterlande zu nützen, und daß er, da er sich
  • in keiner Stellung befände, ohne bestimmte Einnahmen sei. Gleichzeitig
  • befestigt sich in ihm die Überzeugung, daß er sich ganz dem heiligen
  • Werk der Arbeit an den »Toten Seelen« widmen müsse. Er glaubt sich von
  • Gott dazu berufen, in den folgenden Bänden die Ganzheit des russischen
  • Menschen darzustellen und die besseren helleren Seiten seiner Natur. Für
  • Gogol beginnt sich nunmehr die Frage nach der Fortsetzung seiner Arbeit
  • immer stärker mit dem Problem der Rettung seiner Seele zu verknüpfen;
  • und um die ihm gestellte Aufgabe würdig lösen zu können, glaubt er sich
  • geistig ganz neu gebären zu müssen. Er bittet Gott, ihm Kraft zu
  • verleihen, die ihm bevorstehende heroische Tat vollbringen zu können.
  • Inzwischen geht er immer mehr in sich und verschließt seine Seele vor
  • den andern. Er beginnt, seinen früheren Arbeiten wenig Bedeutung
  • beizulegen, er findet sie leer, und mit der ganzen Kraft seiner Seele
  • geht er in dem innig gehegten Traum auf, seinem Volke das ihm so nötige,
  • noch nie gesagte Wort zu verkünden. Grandiose Perspektiven eröffnen sich
  • vor seinem Auge, und unwillkürlich drängt sich ihm die Empfindung auf,
  • daß der erste Teil der »Toten Seelen« nur die Vorhalle zu einem
  • mächtigen, noch im Bau befindlichen Palast sei. In dieser Stimmung
  • schreibt er Zeilen, wie jene über Rußland, die tiefster Inspiration
  • entsprungen sind und die ihn den von diesem Anspruch gereizten
  • Zeitgenossen als mehr denn anmaßend erscheinen ließen. Tönend verkündet
  • er in diesen Zeilen, daß nunmehr aller Augen auf ihn gerichtet seien und
  • daß er der Sendbote einer anderen neuen Zeit sei, »wo aus einem anderen
  • Quell ein furchtbarer Sturm der Begeisterung sich erheben wird, aus
  • einem Haupte, das von heiligem Schrecken und strahlendem Glanz umweht
  • ist: und in verwirrtem Zittern wird man den erhabenen Donner anderer
  • Reden hören«. Gogol träumt von seiner messianischen Sendung: wenn er
  • auch nicht, wie es der Traum seiner Jugend war, der ganzen Menschheit
  • Segen bringen könne, so doch zumindest seinem geliebten Vaterlande. Er
  • vergißt seine Bitterkeit und die tiefen Wunden, dankbar segnet er die
  • Vorsehung für sein hohes, über der Ebene des gewöhnlichen Lebens
  • gelegenes Schicksal, und er heißt alle Prüfungen willkommen: selbst die
  • Armut, die er nach seinen eigenen Worten liebgewonnen hat, wie der
  • Liebhaber seine Geliebte. Mit starrer Entschlossenheit beschränkt er
  • seine Habe auf ein »Köfferchen« mit den Handschriften seiner Werke und
  • einigen Büchern religiösen Inhalts; und zuletzt sucht er Tröstung selbst
  • in den physischen Leiden, die seinen von Natur schwachen Körper mehr und
  • mehr untergraben. Diese Idee, an die er sich klammert und die sein
  • ganzes sittliches Sein erfüllt, wandelt seine moralische Persönlichkeit
  • vollkommen um, obschon es keine wurzelhafte Veränderung ist, vielmehr
  • erhalten einige Seiten seiner moralischen Konstitution, die in der
  • Jugend durch Sehnsucht, Lebensfrische, Gestaltungslust im Gleichgewicht
  • gehalten wurden, jetzt mehr und mehr das Übergewicht. Dieser Prozeß
  • beginnt Ende der dreißiger Jahre und erfüllt das ganze nächste
  • Jahrzehnt, er spiegelt sich deutlich in den Briefen dieser Periode, und
  • wenn er mitunter so abweichende, leidenschaftlich vertretene
  • Beurteilungen findet, so ist dies eine Folge der Verschiedenheit des
  • Gesichtswinkels, unter dem man ihn betrachtet; ob man auf das stürmische
  • Wachsen des inneren Menschen in Gogol achtet, der sich bis zum reinsten
  • Idealismus läutert, oder ob man die seelische Krise Gogols vom
  • Standpunkt des Ästhetikers bewertet, der ihren zerstörenden Einfluß auf
  • seine schöpferische Kraft betrachtet. Unter diesem ästhetischen
  • Gesichtspunkt ergibt sich diese Wandlung als notwendige Folge des
  • Zwiespaltes, in den die freie schöpferische Kraft durch ihre Bindung mit
  • -- wenn auch zweifellos idealen -- religiösen Motiven geraten muß. Eines
  • aber ist unzweifelhaft: das letzte Jahrzehnt des Dichters stellt einen
  • schmerzlichen und langwierigen Auflösungsprozeß seiner physischen Kräfte
  • dar und ihm parallel einen stetigen Niedergang seiner ästhetischen
  • Schöpfungskraft und eine sich bis zum Krankhaften steigernde religiöse
  • Ekstase. Aber trotz der hartnäckigen Gerüchte, die sich bis über seinen
  • Tod hinaus erhielten, hat keiner seiner Freunde je bei ihm eine geistige
  • Störung festgestellt. Andererseits hat jeder von der äußerst schroffen
  • Umwandlung Gogols während seiner letzten Jahre berichtet, und dieser
  • Eindruck, der von seiner Familie wie von seinem Vertrauten Danilewski
  • bestätigt wird, muß bei der Beurteilung dieser Epoche Gogols durchaus
  • mit berücksichtigt werden. Keime der mystischen Stimmung, die
  • Maximowitsch schon 1835 bei Gogol beobachtet hat, und nach ihm -- aber
  • immer noch früher als die andern Freunde -- S. T. Aksakow, sind unter
  • dem Eindruck der überstandenen Qualen und der ewigen Angst vor der Not
  • der Todesstunde schnell gereift, außerdem fanden sie auch einen
  • günstigen Boden in der Umgebung, in der Gogol sich während seines Lebens
  • im Auslande befand. Die Gesellschaft der Schukowski, Frau Smirnowas, A.
  • P. Tolstois und des kranken Dichters Jasykow schien geradezu auserwählt
  • zu sein, um Gogol, der von der Heimat getrennt und von allen Einflüssen
  • des westeuropäischen Lebens ganz abgeschlossen war, immer tiefer und
  • hemmungsloser in einen bodenlosen Mystizismus versinken zu lassen.
  • Gogols Umwandlung in seinen letzten Lebensjahren war eine endgültige:
  • mitgerissen von seelischen Entdeckungen, Prophetien, und zermarternden
  • Selbstbespiegelungen und bestürmt von grausamen unablässigen Leiden
  • zerrann ihm sein früheres Dasein in nichts. Seine Verschlossenheit und
  • innere Einsamkeit wuchs: seine Zuneigung zu seinen Jugendfreunden
  • verwandelte sich in eine mißtrauische Gespanntheit, seine dichterische
  • Schöpfungskraft nahm an Umfang und Wert ab. Lange noch lebte Gogol im
  • Ausland, mitunter auch in dem von ihm so innig geliebten Italien, aber
  • er ist nicht mehr der frühere Enthusiast, der sich vor der wundervollen
  • italienischen Landschaft begeistert. Immer ausschließlicher beschränkten
  • sich seine Gedanken auf das Religiöse: es zieht ihn nach Palästina, und
  • eine Zeitlang läßt er sogar die Arbeit an den »Toten Seelen«, um die
  • »Ausgewählten Stellen aus dem Briefwechsel mit meinen Freunden« zu
  • schreiben. 1847 erscheint der Briefwechsel: es entspinnen sich
  • leidenschaftliche Diskussionen, und vor allem gefällt er in seiner von
  • der Zensur entstellten und verkürzten Gestalt dem Autor nicht. Gogol ist
  • bis zum Äußersten gequält und niedergedrückt.
  • [Fußnote 1: berühmter russischer Kritiker.]
  • Der bekannte Brief Belinskis und eine andere Äußerung seiner Freunde,
  • verstärkt durch eine Anzahl Kritiken zerrütteten Gogol endgültig. Er
  • fühlt sich zu einer Gegenäußerung gezwungen und schreibt die »Beichte
  • des Dichters«. Und Anfang 1848 gibt er seiner heißen Sehnsucht nach und
  • reist nach Jerusalem. Nach seiner Rückkehr bleibt er in der Heimat,
  • langsam nur schreitet die Arbeit an den »Toten Seelen« vorwärts. Sein
  • Lebensmut sinkt und allmählich unterliegt er in dem schweren Kampfe
  • zwischen der ungeheuren Aufgabe, die er sich gestellt hat, und seinen
  • immer schwächer werdenden geistigen und körperlichen Kräften. In dieser
  • Zeit gewinnt der Geistliche von Rschew, Pater Mathäus, einen
  • tiefgehenden Einfluß auf ihn, und seine strengen asketischen Worte
  • peinigen die kranke Seele des Dichters so, daß er die Predigt des
  • Geistlichen einmal mit dem Angstschrei unterbricht: »Genug, genug, es
  • ist furchtbar!« Hier soll bemerkt werden, daß ein starker Bestandteil
  • von Gogols Religiosität die Furcht vor dem Jenseits war.
  • Kurz vor seinem Tode verbrannte er den zweiten Teil der »Toten Seelen«.
  • Hartnäckig verweigert er die Annahme von Nahrung: er will sterben.
  • Beides, Verzweiflung und Todessehnsucht, erklärt sich aus der
  • peinigenden Ungewißheit des Dichters, ob seine Werke Gutes stiften
  • würden oder nicht: bis zu seinem Tode kämpften in Gogol flammende
  • Hoffnung und dumpfes Verzweifeln. Und hinzu kommt die unerträgliche
  • Angst vor der Qual der Todesstunde, die nur einen Wunsch gestattet, sich
  • so weit wie möglich auf den furchtbaren Augenblick der Abrechnung mit
  • dem Irdischen vorzubereiten, um die Seele vor der ewigen Verdammnis zu
  • retten.
  • Gogol starb in Moskau am 21. Februar 1852. Zu seinem Begräbnis
  • erschienen die Spitzen der Stadt, die Leichenfeier fand in der
  • Universitätskirche statt. Eine große Menge Volk hatte sich eingefunden,
  • um dem Dichter die letzte Ehre zu erweisen.
  • Die feindlichen Stimmen verstummen, und die große Bedeutung Gogols
  • stellt sich immer klarer, wahrnehmbarer heraus. Und in unsern Tagen wird
  • keiner versuchen, an der Bedeutung seiner gewaltigen Dichtungen zu
  • zweifeln, an diesem starken Darsteller der Wirklichkeit -- dem ersten,
  • den Rußland aus eigener Kraft hervorgebracht hat.
  • Anhang
  • Abende auf dem Gutshof bei Dikanka
  • (Erster Teil.)
  • Der erste Teil der in diesem Bande vereinigten Erzählungen erschien im
  • September des Jahres 1831. Die Unterschrift des Zensors trägt das Datum
  • »den 26. Mai 1831.«
  • I. _Der Jahrmarkt in Sorotschintzy_ stammt aus dem Jahre 1830. 1851
  • wurde diese Novelle mit unwesentlichen stilistischen Änderungen in der
  • Gesamtausgabe von Gogols Werken wieder abgedruckt.
  • II. _Die Johannisnacht._ Diese Erzählung erschien zuerst im Februar- und
  • Märzheft der »Vaterländischen Annalen« (Otetschestwennye Sapiski),
  • Jahrgang 1830 und zwar anonym unter dem Titel: »_Basawrjuk oder die
  • Johannisnacht_«. Eine kleinrussische Novelle (nach einer Volkssage),
  • erzählt vom Küster an der Kirche zu Pokrowsk. Gogol arbeitete die
  • Novelle später für die »Abende auf dem Gutshof bei Dikanka« um. Hierbei
  • beseitigte er einige Änderungen, die _Swinjin_ bei der Drucklegung in
  • den Vaterländischen Annalen eingefügt hatte, und schickte der Erzählung
  • eine kleine Vorrede voraus, in der er auch auf Swinjins Änderungen
  • hinwies.
  • III. _Mainacht oder die Ertrunkene._ Ist im Jahre 1829 entworfen und
  • dann für die »Abende« neu bearbeitet worden. 1851 fügte Gogol noch
  • einige kleine Änderungen ein.
  • IV. _Der verschwundene Brief._ Stammt wahrscheinlich aus dem Jahre 1831,
  • und wurde von Gogol für die Gesamtausgabe (II. Aufl.) noch einmal
  • durchgesehen.
  • Abende auf dem Gutshof bei Dikanka
  • (Zweiter Teil.)
  • Der zweite Teil der »Abende« erschien Anfang März 1832; die Unterschrift
  • des Zensors trägt das Datum: »den 31. Januar 1832.«
  • I. _Die Nacht vor dem Weihnachtsfest_ wurde 1831 niedergeschrieben und
  • 1851 noch einmal durchgesehen.
  • II. _Schreckliche Rache_ stammt wahrscheinlich aus dem Jahre 1831. In
  • der ersten Ausgabe der »Abende« lautete der Titel dieser Novelle
  • »Schreckliche Rache« (»eine alte Sage«). In der zweiten und den
  • folgenden Auflagen der »Abende« vom Jahre 1836 wurde der Untertitel
  • (»eine alte Sage«) fortgelassen.
  • III. _Iwan Fjodorowitsch Schponjka und seine Tante._ Die Zeit der
  • Entstehung dieser Novelle ist unbekannt.
  • IV. _Der verhexte Ort._ Auch über die Entstehungszeit dieser Erzählung
  • liegen keine Nachrichten vor.
  • _Der Herausgeber._
  • * * * * *
  • Druck von Mänicke und Jahn, Rudolstadt.
  • Anmerkungen zur Transkription
  • Die Schreibweise der Buchvorlage wurde weitgehend beibehalten. Auch
  • Variationen in der Transliteration der russischen Namen wurden nicht
  • verändert.
  • Offensichtliche Fehler wurden, teilweise unter Zuhilfenahme des
  • russischen Originaltextes, korrigiert wie hier aufgeführt
  • (vorher/nachher):
  • ... Frieda Ichak. ...
  • ... Frida Ichak. ...
  • [S. 6]:
  • ... Dikanka? Das ist ein Kopf, sag' ich euch! Was konten ...
  • ... Dikanka? Das ist ein Kopf, sag' ich euch! Was konnte ...
  • [S. 92]:
  • ... Die Hexe hat deine sündige Seele in Verderben gestürzt! ...
  • ... Die Hexe hat deine sündige Seele ins Verderben gestürzt! ...
  • [S. 127]:
  • ... »Verfügung: An den Amtman Jewtuch Makohonenko. ...
  • ... »Verfügung: An den Amtmann Jewtuch Makohonenko. ...
  • [S. 198]:
  • ... erschien der Mondschein vom Leuchten der Schnees! ...
  • ... erschien der Mondschein vom Leuchten des Schnees! ...
  • [S. 205]:
  • ... Dem Schmied überlief es kalt; er erschrak, wurde ...
  • ... Den Schmied überlief es kalt; er erschrak, wurde ...
  • [S. 210]:
  • ... Weber Schapuwalenko. Grüß Gott, Ostop!« ...
  • ... Weber Schapuwalenko. Grüß Gott, Ostap!« ...
  • [S. 219]:
  • ... Herrschaften es hier gibt!« dache der Schmied. ...
  • ... Herrschaften es hier gibt!« dachte der Schmied. ...
  • [S. 228]:
  • ... kein Mensch kann ohne ein Frauchen leben,« anwortete der ...
  • ... kein Mensch kann ohne ein Frauchen leben,« antwortete der ...
  • [S. 242]:
  • ... hät' er viel Wunderliches erzählen können. Ja, ...
  • ... hätt' er viel Wunderliches erzählen können. Ja, ...
  • [S. 243]:
  • ... Und siehe da, der seltsame Greis knirrschte zischend ...
  • ... Und siehe da, der seltsame Greis knirschte zischend ...
  • [S. 244]:
  • ... schon und schnarrchte laut über ganz Kijew. ...
  • ... schon und schnarchte laut über ganz Kijew. ...
  • [S. 260]:
  • ... Hetmann selten zu essen bekommt. So was verschmäht ...
  • ... Hetman selten zu essen bekommt. So was verschmäht ...
  • [S. 299]:
  • ... von seltsamem und schrecklichen Äußeren herein. Zum ...
  • ... von seltsamem und schrecklichem Äußeren herein. Zum ...
  • [S. 309]:
  • ... vergangener Zeiten. ...
  • ... vergangenen Zeiten. ...
  • [S. 313]:
  • ... und so hat er die Geschiche denn auch wirklich
  • aufgeschrieben. ...
  • ... und so hat er die Geschichte denn auch wirklich
  • aufgeschrieben. ...
  • [S. 322]:
  • ... Unterwegs passierte nicht besonders Bemerkenswertes. ...
  • ... Unterwegs passierte nichts besonders Bemerkenswertes. ...
  • [S. 322]:
  • ... etwa um irgendwelcher tiefer diplomatischen Pläne willen, ...
  • ... etwa um irgendwelcher tiefer diplomatischer Pläne willen, ...
  • [S. 326]:
  • ... Kopfkissen! Und reiße dem Frauenzimmer ein bischen ...
  • ... Kopfkissen! Und reiße dem Frauenzimmer ein bißchen ...
  • [S. 342]:
  • ... Burschen viel über Jerusalem gehört hatte? ...
  • ... Burschen viel über Jerusalem gehört hatte. ...
  • [S. 359]:
  • ... »Wo sind die Fuhrleute,« fragte der Großvater und ...
  • ... »Wo sind die Fuhrleute?« fragte der Großvater und ...
  • [S. 365]:
  • ... Stömen herab. Der Großvater zog sich die neuen ...
  • ... Strömen herab. Der Großvater zog sich die neuen ...
  • [S. 368]:
  • ... bei Gott, rein wie zwei Holzklötze! Die roten Augen glotzen ...
  • ... bei Gott, rein wie zwei Holzklötze! Die roten Augen glotzten ...
  • [S. 369]:
  • ... Augen nach einer Stelle, wo sie das Spülicht aufgießen ...
  • ... Augen nach einer Stelle, wo sie das Spülicht ausgießen ...
  • [S. 383]:
  • ... Sommer verbrachte er in Zarskoje Selow, in glücklicher ...
  • ... Sommer verbrachte er in Zarskoje Selo, in glücklicher ...
  • [S. 391]:
  • ... Pletniew und seinen andern Petursburger Freunden gefiel ...
  • ... Pletniew und seinen andern Petersburger Freunden gefiel ...
  • End of the Project Gutenberg EBook of Sämmtliche Werke 3: Abende auf dem
  • Gutshof bei Dikanka, by Nikolaj Gogol
  • *** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK SÄMMTLICHE WERKE 3: ABENDE ***
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  • without further opportunities to fix the problem.
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