- Project Gutenberg's Sämmtliche Werke 1: Die Toten Seelen I, by Nikolaj Gogol
- This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most
- other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
- whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of
- the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
- www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have
- to check the laws of the country where you are located before using this ebook.
- Title: Sämmtliche Werke 1: Die Toten Seelen I
- Author: Nikolaj Gogol
- Editor: Otto Buek
- Translator: Otto Buek
- Release Date: March 1, 2017 [EBook #54262]
- Language: German
- *** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK SÄMMTLICHE WERKE 1: DIE ***
- Produced by Jens Sadowski and the Online Distributed
- Proofreading Team at http://www.pgdp.net. This book was
- produced from images made available by the HathiTrust
- Digital Library.
- Nikolaus Gogol
- Tote Seelen
- Erster Band
- Nikolaus Gogol
- Sämmtliche Werke
- In 8 Bänden
- Herausgegeben
- von
- Otto Buek
- Band 1
- München und Leipzig
- bei Georg Müller
- 1909
- E. R. W.
- Nikolaus Gogol
- Die Abenteuer Tschitschikows oder Die toten Seelen
- Übertragen
- von
- Otto Buek
- Band 1
- München und Leipzig
- bei Georg Müller
- 1909
- E. R. W.
- Von diesem Buche wurden 100 Exemplare auf
- van Geldern abgezogen, in der Presse
- nummeriert und in Ganzleder gebunden. Der
- Preis eines solchen Exemplares beträgt 16
- Mark. Den Druck besorgten _Mänicke_ und
- _Jahn_ in Rudolstadt. Titel und Einband
- zeichnete _E. R. Weiß_.
- Vorrede des Herausgebers
- Eine Gesamtausgabe der Werke Gogols bedarf keiner besonderen
- Rechtfertigung; sie hat ihre Rechtfertigung in sich selbst. Unter allen
- großen Meistern des Romans, die die russische Literatur im XIX.
- Jahrhundert hervorgebracht hat, nimmt Gogol eine besondere und
- einzigartige Stellung ein; mögen die Vorgänger oder Nachfolger ihn, was
- Weite des Horizonts, Tiefe der Seelenanalyse, Reinheit und Kultur der
- Kunstform anbetrifft, erreichen oder gar übertreffen, an _Originalität_
- und Ursprünglichkeit kommt ihm keiner gleich. Er selbst hat immerdar zu
- seinem älteren Zeitgenossen Puschkin als dem unerreichten Vorbild einer
- reinen idealisierenden Dichtung emporgeblickt, und er hat in einer
- berühmten Apostrophe der »Toten Seelen« dieser Differenz und dem Abstand
- zwischen seiner Begabung und der Puschkins in beredten Worten Ausdruck
- gegeben, doch selbst Puschkin bleibt bei seinem großen und einzigen
- Talent nur ein Zweig und Schößling am Stamm der großen europäischen
- Literatur. In Gogol aber schuf sich das junge russische Volk zum ersten
- Mal eine adäquate vollgültige dichterische Form, in ihm realisierte sie
- einen literarischen Typus, der von da ab das Muster und Ideal für alle
- kommenden Schriftstellergenerationen Rußlands geworden ist. Das ganze
- jüngere Dichtergeschlecht von Turgenjew bis Tolstoi, das sich das
- Interesse der westlichen Völker eroberte und unsere Aufmerksamkeit auf
- Rußland hinlenkte, geht auf Gogol als seinen Ursprung zurück. In ihm
- liegen alle Motive und Ideen, die _sie_ entwickeln und entfalten, wie im
- Keime beschlossen, _er_ gab das Thema an, das sie in mannigfachen
- Paraphrasen und Modulationen variieren; er schuf die Kunstform, an der
- sie sich schulten; sie dachten und dichteten in seiner Sprache. Und
- nicht in unsicheren unausgereiften Ansätzen vollzog er diesen
- Schöpfungsakt an der russischen Dichtung, sondern mit dem Siegel der
- Kraft und der Fülle der Vollendung rief er sein Werk -- die russische
- Literatur -- fast wie aus dem Nichts hervor. Wie nur bei ganz wenigen
- Ausnahmen, zeigen all seine Werke die gleiche reine Linie des großen
- Talents, und es gibt unter ihnen schlechterdings nichts Minderwertiges
- und Unbedeutendes. Und zugleich mit der Dichtung hat Gogol den Typus des
- russischen _Dichters_ geschaffen, indem er in sich jenen ewigen
- Gegensatz, der das Leben der größten russischen Künstler beherrscht, zur
- Ausprägung brachte; den Gegensatz zwischen dem _Dichter_ und dem
- _Propheten_, die in ihnen ständig im Streite liegen. Bei keinem aber
- tragen die Werke selbst trotz aller Objektivität so sehr den Stempel des
- Persönlichen, wie bei Gogol, sind sie so sehr das treue Spiegelbild der
- eigenen geistigen Lebenskämpfe, der Niederschlag ihrer Schwankungen und
- Stimmungen, wie bei ihm. Schon aus diesem Grunde wird für das
- Verständnis dieser so komplizierten und originalen Persönlichkeit der
- Überblick über das Gesamtschaffen des Dichters zur Notwendigkeit.
- Einen solchen Überblick soll die vorliegende Ausgabe ermöglichen. Es
- wurde dabei von einer chronologischen Anordnung der Werke abgesehen und
- eine solche nach fachlichen Gesichtspunkten zugrunde gelegt. Die
- inhaltlich und formal zusammengehörigen Schöpfungen sollen hier auch
- zusammen erscheinen. Daß die Chronologie darüber nicht zu kurz kommt,
- dafür ist durch ausführliche redaktionelle Noten genügend gesorgt, die
- sich im Anhange eines jeden Bandes finden. In den folgenden zwei Bänden
- sind vor allem der Roman »Die toten Seelen« und drei einzelne Novellen
- vereinigt, die auch durch einen ideellen Zusammenhang miteinander
- verknüpft sind und sich gegenseitig beleuchten und erklären. Beide Bände
- führen den Leser sogleich auf den Gipfel des Gogolschen Schaffens und
- gewähren ihm einen großen Ausblick auf den Ideen- und Formengehalt
- seiner Dichtung. Die »Toten Seelen« sind das größte Prosawerk des
- modernen Rußlands und eines der Hauptwerke der humoristischen und
- satirischen Literatur überhaupt: ein grauenhaftes Bild der Korruption
- und der allgemeinmenschlichen und spezifisch russischen Verkommenheit.
- Daneben ein soziologisches Gemälde eines historischen Zeitalters, in dem
- der Extrakt einer Kulturepoche konzentriert ist. Was aber dem Ganzen --
- neben diesen wahrlich nicht geringen Vorzügen -- seinen Ewigkeitswert
- sichert -- das ist das Menschliche und Typische, das es in sich birgt:
- die Darstellung des Menschenlebens, wie es, von der kulturell-zufälligen
- Einkleidung abgesehen, sich ausnimmt, wenn das Rangverhältnis der Triebe
- verkehrt, und das Dasein von aller Geistigkeit und Idealität entblößt
- wird. Es ist der Gerichtstag über die moderne Kultur, die den
- _Erwerbstrieb_ sanktionierte und heiligte und das Denken und Trachten
- des modernen Menschen auf die rein materielle Macht und Beherrschung der
- Natur hinlenkte. Gogol hat diese Kulturtendenz nur in ihren Anfängen, in
- ihrer Entstehung beobachten können, aber er hat mit dem
- bewunderungswürdigen Scharfblick eines Hellsehers die ganzen Folgen
- dieser Erscheinung für das Geistesleben antizipiert: den seelenmordenden
- Fluch der Erwerbsjagd und des Besitzes, die nivellierende und alles
- erstickende Trivialität eines auf das Bloßstoffliche gerichteten Wesens.
- Es gab keinen stärkeren Schilderer des _Gemein_menschlichen,
- Alltäglichen und Brutalen, als Gogol, und so ist auch er es gewesen, der
- in den »Toten Seelen« das grandiose Symbol und in dem irrenden Ritter
- des Erwerbs Pawel Iwanowitsch Tschitschikow -- den unsterblichen Typus
- für das Triviale und Mittelmäßige fand, das die große Masse unseres
- Lebens und den Querschnitt unserer Kultur bildet. -- Ein Gegenstück zu
- dem großen Gemälde der »Toten Seelen« ist die romantische Novelle »Das
- Porträt«, in der der Dichter die verheerenden Folgen desselben
- Grundtriebes für Kunst schildert. Diese Novelle ist zugleich ein
- erschütterndes Bekenntnis von dem Zwiespalt der »zwei Seelen«, in dem
- sich Gogols Leben aufzehrte; der einen, die von einem glühenden Drange
- nach dem Idealen ergriffen, sich in der Welt der Körper nie dauernd wohl
- fühlte, und der andern, die wie keine zweite mit dem Blick fürs
- Irdische begabt, das Auge nie von der Erdenwelt und allem
- Menschlich-Allzumenschlichen abzuziehen vermochte.
- Eine ausführliche Analyse der in diesem Bande vereinten Dichtungen
- findet der Leser in der Einführung des bekannten Gogolforschers und
- Mitgliedes der Petersburger Akademie der Wissenschaften, Nestor
- Kotljarewski, die wir dem ersten Bande vorausschicken, eine
- Gepflogenheit, der wir auch bei den folgenden Bänden treu zu bleiben
- gedenken.
- Zum Schluß wage ich noch den Wunsch auszusprechen, daß der deutsche
- Leser dieser Gesamtausgabe Gogols die freie Empfänglichkeit
- entgegenbringen möge, die das Werk eines Dichters beanspruchen kann, der
- zwar der Gegenwart nicht mehr angehört, doch aber lebendig in ihr wirkt,
- und dessen Schätzung in seinem Vaterlande mit dem zeitlichen Abstand nur
- noch steigt und in fortwährendem Wachstum begriffen ist.
- _Charlottenburg_, den 24. Dezember 1908.
- Dr. Otto Buek.
- Einführung
- I.
- Gogols Roman »Die toten Seelen« nimmt in der russischen
- Literaturgeschichte des XIX. Jahrhunderts eine besondere und
- einzigartige Stellung ein. Es ist der erste Roman von künstlerischem
- Werte, in dem der russischen Gesellschaft ein großes und treues Bild
- ihres eigenen Lebens geschenkt ward, ein Bild, das aus dem Pinsel eines
- großen Künstlers und Realisten herstammte. In diesem Roman vergißt der
- russische Dichter zum ersten Mal sich selbst, seine persönlichen
- Sympathien und Antipathien, jene erbaulichen moralischen Betrachtungen,
- die er nach alter Sitte in seine Novellen und Erzählungen einzuflechten
- pflegte, und ist nur noch von einem Wunsche ergriffen: die nackte
- Wahrheit auszusprechen über die dunkeln Seiten des Zeitalters, in dem er
- lebt.
- In diesem Sinne stellen die »Toten Seelen« ein künstlerisches Denkmal
- dar, das in der Geschichte der russischen Literatur eine neue Ära
- eröffnet.
- In den ersten Jahrzehnten des XIX. Jahrhunderts -- dem Zeitalter der
- sogenannten »Romantik« und des »Sentimentalismus« gab es für den
- russischen Dichter nur _ein_ Objekt, das ihn stetig beschäftigte, seine
- eigene Persönlichkeit. Es gab nichts Wichtigeres für ihn als sein
- eigenes Selbst, mit all seinen Gedanken, Stimmungen und dem freien Spiel
- seiner Phantasie. Er wußte vor allem davon zu erzählen, wie die gesamte
- Umwelt sich in ihm, dem Dichter spiegelte; und daher blieb sein
- Verhältnis zu dieser Umwelt immer rein subjektiv. Mit dem vierten
- Jahrzehnt des XIX. Jahrhunderts erfährt jedoch dieses subjektive
- Verhalten des Künstlers zu seiner Umgebung eine Wandlung, die sich sehr
- rasch vollzieht und schnell in der gleichen Richtung fortschreitet. Von
- nun ab geht das Streben des Künstlers vor allem darauf, das Leben so
- treu und vollständig als nur möglich zu ergreifen und wiederzuspiegeln;
- das Leben selbst in seiner ganzen Mannigfaltigkeit und in seinem
- Gegensatz zu ihm, dem Dichter wird jetzt der wichtigste Gegenstand
- seines Interesses. Er beginnt es bis tief ins Einzelne zu analysieren,
- um es dann im Ganzen oder in seinen Teilen rein und treu zu
- reproduzieren. Der Künstler sieht sein größtes Verdienst darin, seine
- eigenen Sympathien und Antipathien zurücktreten zu lassen und womöglich
- ganz zu verbergen. Er strebt nur darnach, jenen Stoff, den er zu
- bearbeiten hat, so objektiv und unparteiisch als möglich zu erfassen und
- restlos in sich aufzunehmen.
- Erst mit Gogol tritt diese Hinwendung des Künstlers zur objektiven
- Darstellung in der russischen Literatur ganz unverhüllt ans Licht. Im
- »Revisor« und in den »Toten Seelen« besitzen wir zwei streng
- realistische Gemälde russischen Lebens aus der Epoche Nikolaus' I. So
- wurde Gogol zum Begründer der sogenannten »naturalistischen« Schule, die
- den Ruhm der russischen Literatur auch nach dem Westen trug. Und darin
- sind alle russischen Künstler den Spuren Gogols gefolgt, indem sie alle
- die Umwelt zum Gegenstand eines peinlichen und gründlichen Studiums
- machten, um sie dann als Ganzes oder doch einen Ausschnitt von ihr
- objektiv doch zugleich künstlerisch wiederzuspiegeln. Das war die
- Arbeitsmethode aller großen russischen Künstler; von Turgenjew,
- Dostojewski und Ostrowski bis zu Gontscharow, Tolstoi und
- Saltykow-Schtschedrin. Und wenn auch ein jeder von ihnen seine in seinen
- Werken eigene Weltanschauung zum Ausdruck brachte und mit besonderer
- Liebe bei _den_ Gestalten verweilte, die ihm selbst am nächsten standen;
- wenn er mitten hinein in die Gemälde realer Wirklichkeit rein
- persönliche Betrachtungen einflocht, und sich's erlaubte, eine Art
- Glaubensbekenntnis vor dem Leser abzulegen, so waren doch ihre Werke vor
- allem und in erster Linie ein großes und detailliertes Bild der
- lebendigen Wirklichkeit, ein historisches Dokument einer Epoche; es
- blieb stets die Hauptsorge des Künstlers: nicht seine persönlichen
- Ansichten und Gefühle zum Ausdruck zu bringen, sondern die Idee und den
- Umriß des Lebens zu erfassen, das sich vor seinen Augen entrollte.
- So wird es verständlich, welch einen gewaltigen Einfluß das Schaffen
- Gogols auf die Entwickelung der russischen Literatur gewinnen mußte. Der
- sentimentale Roman mit seiner didaktischen Tendenz, die romantische
- Novelle, die dem Leben so fremd blieb, und die bekannten zahlreichen
- lyrischen Herzensergießungen in Prosa traten immer mehr zurück, um den
- Raum für die Milieuerzählung -- für die realistische wirklichkeitstreue
- Novelle mit ihrem großen und weiten Horizont frei zu machen: für eine
- Prosaerzählung, die den Leser zu einem kritischen Verhalten gegen das
- Leben und die ihn umgebende Wirklichkeit erweckte.
- II.
- Aber der Schriftsteller, der so entschlossen damit begonnen hatte, eine
- Annäherung zwischen Kunst und Leben herbeizuführen -- Nikolaus
- Wassiljewitsch Gogol (1809-1852) -- war von Natur nichts weniger als ein
- nüchterner, kaltblütiger Beobachter, oder ein Mann von kritischem
- Verstande und einer Phantasie, die es versteht, ihre stürmischen Triebe
- zu bändigen.
- Gogol war mit einer wahrhaft romantischen Seele zur Welt gekommen, und
- doch wurde es seine Mission, der Dichtkunst reine Muster einer
- realistischen, kühlen und nüchternen Naturdarstellung zu schenken. In
- diesem Widerspruche liegt die ganze Tragödie seines Lebens beschlossen.
- Gogol gehört unbedingt zu jener Gattung von Menschen, für die die
- Gegenwart nur ein Hinweis auf ein zukünftiges Ideal ist, und die ein
- starker Glaube an ihre providentielle Sendung beseelt.
- Das geistige Wesen eines solchen Menschen zieht ihn immer in eine andre
- Welt empor -- eine Welt der Vollkommenheit, in die er alles verlegt, was
- ihm wert und teuer ist: all seine Begriffe von einer unerschütterlichen
- Ordnung der Gerechtigkeit, seinen Glauben an eine ewige Liebe und eine
- jedem Wandel entrückte Wahrheit. Diese ideale Welt begleitet ihn durch
- das ganze Leben, sie leuchtet ihm voran in Tagen und Stunden der
- Finsternis. Überall und jederzeit findet er in ihr seinen Lohn oder
- seine Strafe und Verurteilung, _sie_ beschäftigt ununterbrochen seinen
- Verstand und seine Phantasie, und oft absorbiert sie seine
- Aufmerksamkeit so vollständig, daß sie ihn die Erde vergessen läßt; noch
- häufiger aber ist sie dem Menschen die einzige Stütze, die ihn aufrecht
- erhält bei der schweren Arbeit an der Gestaltung und Formung des
- irdischen Daseins.
- Was immer für Überzeugungen solch ein Mensch haben mag, stets wird er
- entweder hinter dem Leben zurückbleiben oder ihm weit voraneilen. Er
- vermag sich nicht zu ergeben und zu demütigen vor dem Unabwendlichen und
- Tatsächlichen. Immer fast wird er das reale Leben entwerten, und es
- gewöhnlich verachten. Er vergewaltigt seinen Begriff und seine
- Vorstellung von der Wirklichkeit um seines Traumes willen, und sehnt
- sich meist nach der Vergangenheit, die er idealisiert; in der Regel
- aber lebt er vom Vorgeschmack einer schöneren Zukunft: ein
- nüchtern-kritisches Verhalten zu den Tatsachen bleibt ihm versagt, weil
- er diese Tatsachen stets im Lichte seines Vorurteils sieht, und sie in
- die Lebensprinzipien hineinzwängt, an die er glaubt, _entgegen_ allen
- Tatsachen. Er ist es nicht gewöhnt, sein Streben mit seinem Kräftevorrat
- in Einklang zu bringen, und er vermag es nicht, ängstlich und peinlich
- innerhalb der Grenzen seiner Fähigkeit an seinem Lebenswerke tätig zu
- sein; die schwierigsten Fragen erscheinen ihm leicht lösbar, zugleich
- aber kann ihm schon der kleinste Mißerfolg, wie er keinem erspart
- bleibt, das Gleichgewicht rauben und mißmutig machen. Er ist verliebt in
- jenen idealen Begriff vom Leben, den er sich selbst zurechtgelegt hat,
- und darum wird es ihm so schwer, sich in die irdische Prosa
- hineinzufinden, die nun einmal ein unvermeidliches und notwendiges
- Erbteil unseres Lebens bildet.
- Solche Menschen pflegen wir mit dem Namen »Romantiker« zu bezeichnen,
- indem wir uns eines alten und dunkelen Wortes bedienen, welches das
- Übergewicht des Gefühls über den Verstand, und der Schwärmerei über das
- Interesse des Augenblicks in der menschlichen Seele kennzeichnen soll.
- Die ganze Tragödie des Menschen und des Schriftstellers Gogol besteht
- eben darin, daß der romantische Zug seines Geistes in einen Widerspruch
- mit seinem eigenen Schaffen geraten mußte. Er war ein _Romantiker_ mit
- allen charakteristischen Merkzeichen dieses Typus. Er liebte es, sich in
- einer phantastischen Welt, in einer Welt der Sehnsucht und Erwartung zu
- bewegen, d. h. entweder beschönigte und schmückte er das Leben aus,
- indem er es in ein Märchen verwandelte, oder er stellte es sich vor, wie
- es gemäß seinen religiösen und sittlichen Begriffen sein sollte. Er litt
- furchtbar unter dem Zwiespalt, der ständig zwischen seinem Traume und
- dem klaffte, was er um sich her erblickte, und es gelang ihm nie, das
- Gefühl der Qual und des Sehnens durch eine gesunde Kritik am Bestehenden
- und Unabwendlichen zu mildern. Wie alle Romantiker war er verliebt in
- jenes Lebensideal, das er sich selbst geschaffen hatte, und -- was die
- Hauptsache ist -- er hielt sich für berufen, das Herannahen dieses
- Ideals zu beschleunigen und seinen endgültigen Triumph auf Erden
- vorzubereiten. Er war nicht nur ein _träumender_, sondern auch ein
- _kämpfender_ Romantiker.
- Doch bei all seiner romantischen Veranlagung besaß Gogol eine wundersame
- Gabe, die das ganze Glück und die Schönheit, und zugleich das ganze
- Unglück seines Lebens ausmachte: er besaß die seltene Fähigkeit, die
- ganze Erbärmlichkeit, Kleinheit und Prosa, die Gemeinheit und den
- Schmutz des wirklichen Lebens zu entdecken und überall zu erkennen. All
- jene prosaischen Seiten des Lebens, die der Romantiker gewöhnlich
- absichtlich nicht beachtet, die er übersieht oder übersehen _will_, sie
- alle drängten sich auf Gogols Palette und verlangten gebieterisch nach
- einer künstlerischen Verkörperung. Nur selten hat die Natur einen
- Menschen hervorgebracht, der von Natur ein solcher Romantiker und
- zugleich ein solcher Künstler in der Darstellung alles _Un_- und
- _Wider_romantischen war, wie Gogol. Es ist daher ganz natürlich, daß der
- Künstler bei einer solchen Spaltung und Zerklüftung seines Gemüts und
- einer schöpferischen Begabung zu schwerem Leiden verurteilt war, und
- sich nie von dem harten Zwiespalt zu befreien vermochte, der nur mit dem
- Siege _einer_ dieser beiden Seelenkräfte endigen konnte: entweder mußte
- das Talent, das Leben in seiner nackten Prosa darzustellen, im Künstler
- das romantische Drängen seiner Seelen ertöten, oder die romantische
- Stimmung mußte umgekehrt in ihm die Kraft wahrheitsgetreuer
- Widerspiegelung des Lebens durch die Kunst ersticken und zerstören.
- Tatsächlich fand schließlich das Letztere statt: Gogols großes Talent
- zur realistischen Lebensschilderung erlosch, und er verwandelte sich
- immer mehr in den reinsten und aufrichtigsten Verkündiger religiöser und
- sittlicher Gedanken. Doch vor dem endgültigen Erlöschen leuchtete dieses
- realistische Talent noch einmal hell auf, um sich in den »Toten Seelen«
- zum letzten Male in seinem ganzen Glanze zu entfalten.
- III.
- Dieser Roman ist eine späte Frucht des Gogolschen Genies. Ein Werk, das
- erst nach einem langen Kampfe zwischen den romantischen Neigungen seiner
- Phantasie und seiner starken Begabung für die scharfe und treue
- Lebensbeobachtung vollendet werden konnte.
- Schon in seinen ersten Novellen, den »Abenden am Weiler bei Dikanka«
- (1831-32), machten sich die ersten Spuren dieses Zwiespalts bemerkbar.
- In diesen Novellen trat Gogol als Schilderer kleinrussischen Lebens und
- der niederen Volksklasse hervor, zugleich aber als phantasievoller Poet,
- der die alten Sagen und Legenden schöpferisch neugestaltete und belebte.
- Dieses früheste Werk läßt ganz deutlich eine Mischung beider Stile
- erkennen, wobei freilich der träumerisch-phantastische noch die Oberhand
- behält. Selbst die Naturbeschreibungen und die Charakteristik vieler von
- den handelnden Personen ist in diesem Stile gehalten -- was Gogol
- freilich nicht hinderte, andere Personen und Situationen mit
- unverfälschter Schlichtheit und im Geiste einer wahren und echten
- Realistik darzustellen. In dieser Vermischung zweier Stile, wie in dem
- alternierenden Wechsel von Frohsinn und Wehmut, Weinen und Lachen,
- zeigte es sich deutlich, daß das Schaffen des Dichters noch keine feste
- Richtung angenommen hatte, daneben aber kam darin der innere Kampf zum
- Ausdruck, der sich schon damals in des Künstlers Seele abspielte: der
- Idealismus des Phantasten vermochte sich nicht zu vertragen mit der
- starken Begabung des Realisten, der mit seinem Blicke die ganze
- Häßlichkeit und Gemeinheit des Wirklichen durchdrang, welches er doch
- selbst in einem andern, höheren und idealeren Sinne zu erfassen und zu
- deuten strebte.
- Über diese hohe und ideale Bedeutung des künstlerischen Schaffens hat
- Gogol in den ersten Jahren seiner schriftstellerischen Tätigkeit sehr
- viel nachgedacht. Ihn beschäftigte damals ganz besonders das bei den
- Romantikern so beliebte Thema von den Leiden, die der Träumer, der
- Idealist und der Künstler ganz notwendig auf sich nehmen muß, wenn ihn
- das Schicksal schonungslos zusammenstoßen läßt mit der häßlichen,
- unbarmherzigen Wirklichkeit. Am tiefsten hat Gogol dies Problem von
- Zwiespalt zwischen Traum und Leben durchgeführt in seiner Novelle »Das
- Porträt« (1834).
- Diese Novelle erinnert inhaltlich ganz an eine Erzählung von E. Th. A.
- Hoffmann. Sie behandelt das Seelendrama eines jungen Künstlers, der
- Verrat übt an der echten, reinen und hohen Kunst, sich aus Habgier in
- den Dienst der Mode stellt, und zuletzt im Wahnsinn stirbt, als er
- erkennt, daß er sein Talent zugrunde gerichtet hat. Der böse Genius
- dieses unglücklichen Künstlers ist ein phantastisches Porträt des
- Antichristen, das mit einer so realistischen oder vielmehr
- naturalistischen Kunst dargestellt ist, daß ein Teil der Seele des
- Antichristen in dieses Bildnis übergegangen ist.
- Die Kunst soll dem _Ideale dienen_ und nicht der _Reproduktion des
- Wirklichen_ in seiner ganzen Nacktheit und Häßlichkeit -- dies ist der
- Grundgedanke dieser Erzählung -- deren Moral ebenso durch den tragischen
- Tod des Künstlers, der sich der Jagd nach dem Golde und der Mode ergab,
- wie aus dem verderblichen Einfluß des Porträts, zu uns spricht: dieses
- Porträts, das das Produkt einer hyperrealistischen Kunst war.
- Wie die deutschen Romantiker, so war auch Gogol von einem hohen, beinahe
- religiösen Glauben an die Kunst ergriffen. Aber seine Kunstanschauung
- vermochte doch nicht jenen Widerspruch vor ihm zu verhüllen, der
- immerdar zwischen der Welt des Traumes und unserm Leben besteht. Er sah
- den Abgrund, der zwischen diesen beiden Welten klafft, beständig vor
- Augen, und dieser Anblick hatte für ihn etwas Furchtbares und
- Schreckenerregendes. Es gibt nur eine Möglichkeit, ihn zu vergessen: sie
- liegt in der Erschütterung und in dem Verlust des seelischen und
- geistigen Gleichgewichts. Dies ist das Thema der beiden Erzählungen »Der
- Newski-Prospekt« und »Aus dem Tagebuch eines Wahnsinnigen«.
- Aber ganz allmählich vollzieht sich im Schaffen Gogols eine
- entscheidende Wendung. Er gibt seinem Talente nach, er unterwirft sich
- ihm, und geht zur Darstellung der Realität, der Wirklichkeit über; er
- beschönigt sie nicht und idealisiert nicht mehr; er spiegelt sie ab, wie
- sie ist, in erster Linie nach ihrer negativen Seite, die ihm von jeher
- so stark in die Augen stach. Und nun stößt er mit dieser gemeinen
- trivialen und schmutzigen Wirklichkeit auf dem Felde der Kunst zusammen,
- und da erhebt sich vor ihm die ernste Frage, auf die er schon im
- »Porträt« hingewiesen hat: dient die Kunst auch dann noch ihrer hohen
- Mission, wenn sie den Schmutz und das Laster zur Darstellung bringt, und
- zwar so natürlich und lebendig zur Darstellung bringt, daß es fast den
- Anschein hat, als bleibe ein Stück von diesem Schmutz und diesem Laster
- auf dem Kunstwerk selber haften?
- Und doch konnte Gogol seinem Talent auf die Dauer nicht Widerstand
- bieten. So kam es, daß er seine Kunst immer mehr dem Leben annäherte.
- Diese Annäherung macht sich besonders stark fühlbar in der
- Novellensammlung, die im Jahre 1834 gleichzeitig mit seinen romantischen
- Erzählungen erschien, und die den Namen »Mirgorod« trägt.
- Eine dieser Novellen die »Gutsbesitzer aus der guten alten Zeit« ist ein
- schlichtes Idyll, die Geschichte zweier zur Neige gehender
- Menschenleben: ein psychologisches Essay, von einer Tiefe und Poesie,
- wie sie von keiner romantischen Idylle erreicht wird. Die sentimentalen
- und romantischen Schriftsteller liebten solche dankbare Sujets, wie die
- Erzählung von zwei liebenden Herzen, die sich inmitten des Friedens der
- Natur und fern von allen Lockungen der Kultur zusammenfinden. Die
- »Gutsbesitzer aus der guten alten Zeit« sind ein glücklicher Versuch,
- die romantischen Elemente in diesem Stoff durch reale und kulturelle zu
- ersetzen. An die Stelle der einsamen und wüsten Gegenden tritt hier ein
- kleinrussisches Dorf -- an die Stelle der blasierten und enttäuschten
- Helden und der schwermütigen oder leidenschaftlichen Heldinnen -- ein
- altes Ehepaar; aber trotz dieser Schlichtheit und Durchsichtigkeit ist
- diese Novelle überall von einer tiefen Wahrheit und Poesie durchdrungen.
- Sie stellt in dem Schaffen Gogols einen der entscheidenden Siege des
- Realismus' über die Romantik dar.
- Ein ganz anderer poetischer Horizont tut sich vor uns in der
- historischen Erzählung »Taras Bulba« auf. Auch hier bemerkt man eine
- deutliche Wendung von dem früheren idealisierenden Stil zum Realismus,
- natürlich in dem Maße, als dies in einem historischen Romane möglich
- ist. Es gibt eine Ansicht, nach der »Taras Bulba« Gogols größtes Werk
- darstellt, und dieser Wertung fehlt es nicht an einer gewissen
- Berechtigung. Der Inhalt dieser Erzählung ist vielleicht nicht weniger
- umfassend und vielgestaltig wie der der »Toten Seelen«; auch hier findet
- man denselben Reichtum an den mannigfaltigsten Typen und Episoden, die
- gleiche Kraft und das gleiche schnelle Tempo der Handlung. Die
- psychischen Regungen und Bewegungen sind im »Taras Bulba« vielleicht
- sogar noch tiefer als in irgend einem andern Gogolschen Werke, schon aus
- dem Grunde, weil die Gefühle und Empfindungen der Helden hier ernster
- und komplizierter sind, als die der handelnden Personen in den »Toten
- Seelen«. »Taras Bulba« -- das ist ein heroisches Epos, das einer
- gewissen Idealität nicht entbehrt. Es lebt etwas darin vom Geist der
- alten Sage, trotzdem aber bleiben die Seelenregungen der handelnden
- Menschen stets wahr und frei von jeder romantischen Überspannung. Die
- alte Zeit des Saporoger Kosakentums mit ihrem Kostüm, ihrem häuslichen
- Leben, ihren Kriegen und Schlachten, die Beziehungen zwischen Juden und
- Polen -- das alles ist im »Taras Bulba« mit einer wunderbaren Echtheit
- und Wahrheit geschildert; dazu kommen die beschreibenden und
- schildernden Elemente, die mit großer Geschicklichkeit in die Handlung
- eingeflochten sind; sie beschweren sie nicht, sondern verleihen ihr bloß
- noch mehr Lebhaftigkeit und Kolorit. »Taras Bulba« ist in seiner Art
- eine kleinrussische _Ilias_, sowohl was das epische Gleichmaß der
- Darstellung und den kriegerischen Geist des Werkes, als vor allem die
- strenge Durchführung der Charaktere und die Plastizität der Episoden
- anbetrifft. -- Soweit also der Realismus in einer historischen Erzählung
- als künstlerisches Element neben dem legendären und der Archeologie
- möglich und zulässig ist, ist er in dieser Epopöe zum Durchbruch
- gekommen.
- Aber so recht heimisch in der realistischen Darstellungskunst wurde
- Gogol erst mit der Vollendung seiner berühmten Komödie: »Der Revisor«
- (1836).
- Gogol gehört zu jener wenig zahlreichen Dichtergruppe, die das
- »russische« Theater schuf und die russische Lebenswirklichkeit
- ungeschminkt und ohne Beschönigung auf die Bühne brachte. Die Geschichte
- des russischen nationalen Theaters hat man von den Komödien »Von Wisins«
- zu datieren. In diesen Stücken ist das Leben der adligen Gutsbesitzer,
- der Epoche Katharinas I., mit genügender Treue geschildert, doch macht
- sich hier noch ein Element unliebsam bemerkbar: das sentimentale
- Räsonnement. Gleichfalls der Adel, diesmal aber der städtische
- Beamtenadel, ist das Milieu, in dem Gribojedows »Verstand schafft
- Leiden« spielt, diese geniale Satire, aber keineswegs auch geniale
- Komödie. Auch hier erscheint die Wahrheit in einer gewissen Verzerrung:
- ein Zugeständnis an die literarischen Traditionen der französischen
- Vorbilder.
- Im »Revisor« endlich betritt die russische Beamtenwelt die Bühne. Auf
- den Gegenstand dieser Komödie waren die Zuschauer schon in gewissem
- Sinne vorbereitet durch eine Reihe von freilich recht farblosen Stücken,
- in denen die Schriftsteller des XVIII. und der ersten Hälfte des XIX.
- Jahrhunderts die Korruption gegeißelt und moralische Tiraden gegen die
- Bestechlichkeit zum besten gegeben hatten. Der »Revisor« überragt alle
- diese Stücke um Haupteslänge, schon deshalb, weil die in ihm
- gezeichneten Typen wirkliche lebendige Menschen waren, denen der
- Zuschauer jederzeit -- wenn auch nicht allen zugleich, so doch in
- einzelnen Repräsentanten -- in seiner nächsten Nachbarschaft begegnen
- konnte. Nach Gogol war es Ostrowski, der in seinen Dramen den
- Kaufmannsstand auf die Bühne brachte und so das Gemälde des russischen
- Lebens um einige bedeutsame Typen bereicherte. Das waren die drei
- »finsteren Reiche« -- die Welt des _Adels_, des _Beamtentums_ und des
- _Kaufmannsstandes_, die von nun ab den Russen von der Bühne herab an
- jene dunklen Seiten der Wirklichkeit mahnten, die er stets zu
- idealisieren geneigt war. In letzter Zeit ist diese Reihe noch um ein
- neues Gemälde vermehrt und vervollständigt worden -- um das Bild der
- dunkelen Welt des niederen Volkes: in dem Drama »Die Macht der
- Finsternis« von Tolstoi.
- In seiner Komödie schwang Gogol die Geißel des Spottes über eine ganze
- Kategorie gesellschaftlicher Mißstände und Laster, die mächtig in das
- soziale Leben eingriffen: er brachte die Dummheit, die Gemeinheit und
- Hohlheit der Administration auf die Bühne und strafte die offizielle
- Welt, indem er sie dem Spott und Hohn eines Windbeutels, des hohlsten
- aller Schwätzer preisgab, und sie durch ihn brandschatzen ließ. Zu guter
- Letzt aber stellte er sie vor ihren gesetzlichen Richter und sandte
- ihnen einen Gendarmen, der sie zur Vernunft bringen sollte. Die Komödie
- bleibt in ihrem ersten Akt streng objektiv und sachlich, im letzten
- freilich drängt sich die Moral recht deutlich vor. Der Polizeimeister
- erscheint in seiner ganzen Dummheit, gibt sich selbst dem Gelächter und
- der Verachtung preis und geizt nicht mit starken Worten zu seiner
- eigenen Charakteristik. Der Gendarm erscheint, wie im letzten Akt des
- Tartüffe, als der Vertreter des Gesetzes zur Beschwichtigung und
- Beruhigung der Zuschauer; er erinnert sie daran, daß das Auge der
- Regierung beständig wacht, auch dann noch, wenn man glaubt, daß es
- schlafe. Aber der außerordentliche künstlerische Takt des Dichters hat
- es so einzurichten verstanden, daß die Moral die Wahrheit der
- Situationen und die Lebendigkeit der Typen nicht beeinträchtigte. Bis
- dahin waren es die Zuschauer gewöhnt, mitten in der Handlung allerhand
- erhebende und erbauliche Reden von der Bühne zu vernehmen, im »Revisor«
- aber fehlten diese Reden vollständig. Diese Komödie war eine völlig
- neue, originale Tat; sie paßte in keine der bekannten Formen der
- dramatischen Kunst hinein, denn sie war weder eine sentimentale Komödie,
- noch eine Posse, noch ein moralisches Schauspiel.
- Dieses Werk trug seinem Schöpfer einen großen Schmerz und
- viele Enttäuschungen ein, denn es regte die heftigsten und
- leidenschaftlichsten Anklagen gegen ihn auf. Er suchte Rettung und
- Heilung von seiner geistigen Schwermut und der Gereiztheit gegen seine
- Mitbürger in einer Reise. Dies war das ständige Mittel Gogols, das er
- gegen seine Melancholie und gegen seine geistige Müdigkeit anwandte, und
- es wirkte in der Tat weit sicherer und unfehlbarer als alle Medikamente.
- Diese Neigung zum Wandern, zum Wechsel des Aufenthaltes war in seiner
- romantischen Veranlagung begründet. In dieser Beziehung hatte er viel
- Ähnlichkeit mit einem jener Schwärmer, die von Sehnsucht, Melancholie
- oder Grimm getrieben, ihre Heimat verließen, um den Ufern eines neuen
- fernen Vaterlandes zuzustreben. Auch Gogol besaß solch ein fernes
- Vaterland, obwohl er Rußland mit einer geradezu abgöttischen Liebe
- liebte, und sich unter fremden Menschen nie wohl fühlte. Er hatte noch
- eine andere große Liebe: Italien.
- Gogol hat oft über seine Leidenschaft für das Wandern und Reisen
- gegrübelt, und nach Gründen gesucht, um sein Nomadenleben zu
- rechtfertigen; er begründete sie mit seiner Krankheit, die ihm einen
- häufigen Wechsel des Klimas zur Notwendigkeit machte, und mit dem rein
- geistigen Bedürfnis des Künstlers, der eine Distanz zwischen sich, den
- Menschen und dem Leben suchte, wenn er sie in seinen Werken zur
- Darstellung bringen wollte. Zuweilen freilich, wenn er in längeren
- Abständen wieder nach Rußland zurückkehrte, fühlte er etwas wie
- Gewissensbisse und ein mächtiges Anschwellen der Liebe zu seiner Heimat;
- aber diese Gefühle blieben ohnmächtig gegenüber dem unklaren Drange, der
- ihn in die Ferne zog. Seine Seele trug die Spuren jener Krankheit an
- sich, die einst zu Beginn des Jahrhunderts im Westen herrschte, die
- Menschen von der Heimat losriß und sie zu fernen Gestaden hintrieb --
- jene Krankheit an der ein Byron und ein Chateaubriand litten, und für
- die Schubert in seinem Liede »Der Wanderer«, dem Lieblingslied aller
- russischen Jünglinge und Jungfrauen der dreißiger Jahre einen so
- wundervollen musikalischen Ausdruck fand.
- Allein was Gogol von seiner fünfjährigen Reise im Auslande (von
- 1836-1841) mitbrachte, war weder ein pessimistisches Tagebuch, noch ein
- sentimentales Epos. Er brachte den ersten Teil der »Toten Seelen« mit:
- einen Roman oder eine Dichtung, in der der junge russische Realismus
- seinen höchsten Triumph feierte. Es war der letzte Sieg, den Gogol im
- Felde der Dichtung erringen sollte.
- IV.
- Während seines Aufenthaltes im Auslande und besonders in Italien war
- Gogol sehr fleißig und die Arbeit ging glatt vonstatten. Es war die
- Zeit, wo seine Schöpferkraft in voller Blüte stand. Die romantischen
- Neigungen, die noch zum letztenmal in der schönen Novelle »Rom« zum
- Ausbruch gekommen waren, traten allmählich zurück und machten einer
- nüchternen, ruhigen und humorvollen Lebensanschauung Platz. Das sich
- immer stärker entfaltende Talent des Schilderers, das zu einer innigen
- Verschmelzung der künstlerischen Wahrheit mit der Lebenswahrheit
- hinstrebte -- gewann immer mehr die Oberhand, was nicht nur in der
- Zurückstellung und Aufgabe aller früheren Pläne, die noch im Geiste des
- alten romantischen Stils konzipiert waren, zum Ausdruck kam, sondern
- auch in der Art wie Gogol seine älteren Werke umschuf und neu
- bearbeitete.
- In solch einem realistischen Geiste gestaltete Gogol zu dieser Zeit
- seine Erzählungen »Das Porträt« und »Taras Bulba« um. Am stärksten und
- freiesten aber entfaltete sich diese Kraft des Humoristen und
- Lebensschilderers, die in dieser Epoche ihre höchsten Siege über die
- sentimentalisch-romantischen Neigungen und Stimmungen des Dichters
- feierte, in der Novelle: »Der Mantel«. Dieses Werk nimmt eine ganz
- besondere Stellung in der Geschichte der russischen Literatur ein. Es
- ist das zeitlich erste und vielleicht vollkommenste Beispiel dieser
- Gattung, die später eine große Verbreitung fand und eine große soziale
- Bedeutung gewann. Es ist eine Seite aus der Geschichte der »Erniedrigten
- und Beleidigten«, die unmittelbar nach Gogol Dostojewski unter seinen
- besonderen Schutz nahm. Im Westen setzte dieses Eintreten für die
- Schwachen und Benachteiligten durch die Literatur und durch die Tat etwa
- um dieselbe Zeit mit dem Wachstum und der raschen Verbreitung der
- sozialistischen Ideen ein. In Rußland aber rührte der erste Versuch, die
- Gesellschaft für jene große Masse derer zu interessieren, an denen sie
- achtlos vorübergeht, von Gogol her, der ganz unbeeinflußt von den
- westeuropäischen Tendenzen in seinem »Mantel« ein Werk schuf, das man
- mit Recht als den Ausgangspunkt und Ursprung der sogenannten
- »Anklageliteratur« in Rußland erklärt hat. Man muß dabei nur im Auge
- behalten, daß in Gogols Erzählung der Protest und die Anklage sehr
- abgedämpft erscheinen und mehr durch ein weiches Gefühl der Teilnahme
- und des Mitleids ersetzt sind. Der Dichter läßt uns mit seinem
- unscheinbaren Helden alle wichtigsten Etappen seines Lebens durchleben;
- wir besuchen ihn in seiner Dachkammer, wo er langsam von jedem Rubel
- Groschen auf Groschen in sein kleines Büchschen zurücklegt, alljährlich
- das kleine Häuflein Kupfergeld nachzählt, um es durch Silbermünzen zu
- ersetzen, wo er hungert und friert, die Kerze spart, seine Kleider
- auszieht, damit sie nicht zu schnell fadenscheinig werden, und wo er
- einsam in seinem Schlafrock dasitzt, die ewige Idee des Mantels in
- seinem Geiste tragend; wir folgen ihm ins Departement, wo man ihn
- ebensowenig beachtet, wie eine vorüber schwirrende Fliege, wo man ihn
- verspottet, ihm Papierschnitzel auf seinen Kopf schüttet, wo er jahraus,
- jahrein hinter seinem Pulte hockt und die Buchstaben sorgfältig aufs
- Papier malt, oder die Akten beiseite legt, die er zu seinem eigenen
- Vergnügen kopieren will. Der phantastische Schluß, den Gogol dieser
- Erzählung gegeben hat, ist zwar etwas willkürlich, aber überaus
- glücklich erfunden und trägt einen ganz anderen Charakter als seine
- früheren phantastischen Erzählungen. Das Phantastische enthält eine
- solche starke Beimischung von Spott, Humor und Fröhlichkeit, daß es fast
- völlig gegen das letztere Element zurücktritt und seinen romantischen
- Charakter gänzlich einbüßt. Der Autor braucht das Wunderbare nur um der
- paar kleinen Genrebilder willen, mit denen er seine Novelle beschließt.
- So stark war Gogols Kunst, wenn er sich von seiner alten Manier abwandte
- und seinem scharfen Beobachtungstalent und seinem Humor freien Lauf
- ließ.
- Wer jedoch die Kraft und Macht dieser Gabe kennen lernen will, der muß
- zu der tragikomischen Dichtung »Die toten Seelen« greifen. Hier legt
- jede Seite ein beredtes Zeugnis dafür ab.
- V.
- Die Arbeit an den Toten Seelen war für den Verfasser eine hohe Freude
- und ein großer Schmerz. Noch nie hatte er einen so erhabenen Genuß und
- eine solche innere Befriedigung empfunden, als in jenen Stunden, wenn
- ganze Seiten seiner Dichtung wie von selbst aus der Feder flossen, und
- nie hat er so gelitten, als in jenen langen Jahren, wo er monatelang auf
- die ersehnte Inspiration warten mußte. Diese Arbeit hat Gogol 16 Jahre
- lang beschäftigt: von 1835, als er die ersten Seiten des Werkes
- niederschrieb, bis zum Beginn des Jahres 1852, als ihm der Tod die Feder
- aus der Hand nahm. Von diesen 16 Jahren brauchte er 6: von 1835-1841 --
- während der er natürlich noch an andern Dichtungen arbeitete -- um den
- ersten Teil zu vollenden. Die ihm noch übrig bleibenden 10 Jahre waren
- ganz mit Versuchen ausgefüllt, eine Fortsetzung für sein Werk zu finden.
- Nach der Idee des Autors sollten die »Toten Seelen« eine »Dichtung«
- werden, in welcher Rußland in der ganzen Mannigfaltigkeit seines
- staatlichen und sozialen Lebens, mit all seinen lichten und dunkelen
- Seiten erscheinen sollte. Gogol wollte hier in neuer Form das alte Epos
- wieder aufleben lassen; daher nannte er wohl mit bewußter Anspielung auf
- die Homerischen Gesänge seinen Roman -- ein Poem d. h. eine Dichtung.
- Der Gesamtplan des Werkes stand natürlich im Geiste des Verfassers nicht
- gleich völlig fertig da, und nahm mit den Jahren eine recht seltsame
- Richtung an. Die ruhige, uninteressierte epische Erzählung verwandelte
- sich immer mehr in eine Predigt sittlicher Wahrheiten, und der Wunsch,
- Rußland möglichst vollständig nach all seinen Seiten darzustellen, trat
- immer mehr hinter dem Ideal zurück, der ganzen Menschheit eine neue
- Lehre zu künden, die die Seele erheben und ihr Leben erhöhen sollte.
- Gogol behielt den Entwurf zu seiner Dichtung für sich und sprach nur
- selten und ganz im Allgemeinen zu seinen nächsten Freunden davon, wie
- groß und tief sein Plan war. Die übertrieben stolzen Reden Gogols über
- sein Werk erregten die heftigste Opposition unter seinen Freunden und
- Bekannten, sie ärgerten und verstimmten sie. Hätten sie gewußt, wie
- großartig dieser Plan des Künstlers tatsächlich war, sie hätten ihm
- vielleicht seine Überhebung verziehen, die um so verzeihlicher war, als
- Gogol nicht so sehr auf sein Künstlertum stolz war, als vielmehr darauf,
- daß er im Besitze der sittlichen Wahrheit zu sein glaubte, und er fühlte
- sich verpflichtet, seinen Nächsten diese Wahrheit zu verkünden, sobald
- er dieser hohen Aufgabe würdig geworden war.
- Aber obgleich Gogol den Plan zu seinem Werk geheim hielt, ist es dennoch
- möglich, nach gelegentlichen Äußerungen und Anspielungen, nach seinen
- Unterhaltungen mit nahestehenden Personen, sowie nach seinen Briefen und
- den Fragmenten des zweiten Teiles, das Geheimnis des Schriftstellers mit
- genügender Genauigkeit zu enthüllen; es ist zugleich das Geheimnis des
- Künstlers und Moralisten.
- »Gott hat mich erschaffen,« sagt Gogol einmal, »und er hat mir nichts
- von meiner Mission verheimlicht. Ich bin gar nicht dazu geboren, um eine
- _Epoche in der Literaturgeschichte_ zu begründen. Mein Beruf ist weit
- einfacher und naheliegender: er besteht darin, woran überhaupt jeder
- Mensch und nicht ich allein vor allem denken sollte. Mein Gebiet ist die
- Seele, die starke, solide Sache des Lebens. Und daher muß auch mein
- Handeln und mein Schaffen stark und solide sein.« »Die toten Seelen«
- sollten in ihrem Gesamtaufbau ein solch »solides, starkes« Werk werden,
- auf das der Mensch sich zu stützen vermochte, wenn Gewitterstürme über
- seine Seele dahinbrausten, sie sollten der Katechismus seiner Rettung
- sein. Diese Dichtung sollte dem Menschen ein Führer zu seiner sittlichen
- Wiedergeburt werden, wie es für den Verfasser ein reinigendes Gebet war,
- nach seiner geistigen und seelischen Erleuchtung, und nachdem er Buße
- getan hatte für seine eigenen Sünden.
- Wie aber hatte dem Dichter eine solche Idee kommen können?
- Gogol war von Natur sentimental veranlagt, er liebte es, zu belehren und
- zu predigen. Dieser moralisierende Ton findet sich schon in seinen
- frühesten Briefen und zeugt nicht nur von den Zweifeln, die den Knaben
- bewegten, sondern auch von dem lyrischen Schwung seiner Seele. Diese
- Lyrik in seinem Fühlen und Denken suchte auch einen Ausdruck in seinen
- Novellen, und so finden wir in diesen ersten Erzählungen neben einem
- unschuldigen Frohsinn und Humor eine starke melancholische Note; den
- Schmerz über die vielen traurigen Seiten des Lebens. Aber in demselben
- Maße, als Gogols Humor ernster wurde, wurde auch der Dichter immer
- stärker von dem Gedanken ergriffen, er sei berufen, etwas ganz Großes zu
- erschaffen, und so kam es, daß ihn die sittlichen Tendenzen immer
- mächtiger erfüllten und mit sich fortrissen. Nach der ersten Aufführung
- des »Revisor« überzeugte er sich, daß er wirklich die Kraft zu einer
- sittlichen Einwirkung auf die Masse besaß, und von da ab war er
- entschlossen, diese Kraft in den Dienst einer großen Sache zu stellen
- und die Macht, die ihm verliehen war, nicht in kleinen Taten zu
- verzetteln. Schon in seiner Jugend, als er sich dieser Macht noch nicht
- bewußt war, träumte er davon, etwas Großes zu leisten, der Wohltäter und
- Lehrer seiner Nächsten und ein Held und Kämpfer für das Vaterland zu
- werden. Um diese hohe Mission durchzuführen, setzte er seine ganze
- Hoffnung auf sein Talent und begann nach einer seiner würdigen Aufgabe
- d. h. nach einem großen und bedeutenden Stoff zu suchen, der seinem
- Glauben an sich selbst Recht gab, und dessen Gestaltung zu einer
- wirklichen Wohltat für die Nächsten werden sollte.
- So konnte die Anekdote von dem Kauf der »toten Seelen« schnell ihren
- komischen Charakter verlieren und sich in einen Gegenstand verwandeln,
- für den der Dichter nicht gleich eine feste Begrenzung und einen
- passenden Rahmen fand. Auf dieses Sujet konzentrierte Gogol von nun ab
- die ganze Kraft seines Lyrismus, in ihm wollte er der Macht seiner
- eigenen sittlichen Überzeugungen Ausdruck verleihen; er begann diesen
- Stoff ständig zu erweitern und zu vertiefen, um ihn bis zu der Höhe
- jenes »großen Gegenstandes« emporzuheben, nach dessen Gestaltung er sich
- sagen konnte: das hohe und teure Werk, von dem er seit seiner frühesten
- Jugend träumte, sei vollendet. Es ist begreiflich, daß eine solche
- Umformung einer schlichten Anekdote zu einer grandiosen Idee nur langsam
- und allmählich vor sich gehen konnte, und daß der Autor selbst bei
- Beginn seiner Arbeit nicht zu sagen vermochte, welche Gestalt sie bei
- ihrer Vollendung annehmen werde.
- Neben dieser _ethischen_ Tendenz gewann auch die _patriotische_ Absicht
- des Dichters einen mächtigen Einfluß auf die Dichtung. Gogols
- Patriotismus hatte mit den Jahren bedeutend zugenommen, und als der
- Dichter an die Ausführung seines Planes ging, hatte sich seine Liebe zum
- Vaterland bereits zu einer stark _konservativen_ Weltanschauung mit
- einer ausgesprochenen religiösen Färbung zusammengeschlossen. Und dieser
- Patriotismus wie das Streben, seinen Mitmenschen den Weg zur Wahrheit zu
- weisen, blieb nicht in seiner Entwickelung stecken, sondern erstarkte
- noch mehr in dem Maße, als der Dichter an der ständigen Erweiterung und
- Vertiefung seines Werkes tätig war. Gogol mußte in seinem Roman über
- Rußland sprechen, und er hat seinem Vaterlande, besonders im ersten
- Teil, manch bitteres Wort gesagt. Als er noch nicht an eine Fortsetzung
- seiner Dichtung dachte, ließ er uns seine Heimat nur von »einer Seite«
- sehen, und noch dazu von ihrer allerunansehnlichsten. Der Held des
- Romans und alle Personen, mit denen er zusammentraf, waren Menschen von
- einer geradezu erbärmlichen Hohlheit. Sie so zu lassen -- das bedeutete
- grausam und herzlos gegen das eigene Vaterland verfahren, das hieß über
- seine guten Seiten, hieß über alle Russen schweigen, die einen Anspruch
- auf unsere Liebe und Achtung hatten. Gogols immer wachsende Liebe zum
- Vaterlande verpflichtete ihn, seinen Mitbürgern in seiner Dichtung auch
- ein Wort der Ermutigung, der Teilnahme und der Liebe zu sagen. Je mehr
- sich der Rahmen der Erzählung erweiterte, um so drängender empfand er
- diese Verpflichtung. Und Gogol schritt vom Humor und von der Satire zur
- Verherrlichung Rußlands und zur Bewunderung der russischen Tugenden
- fort. Er wollte ihnen einen gebührenden Platz in seiner Dichtung
- einräumen und spielte schon im ersten Teil des Romans darauf an. Er
- wußte, daß der Leser ein Recht hatte, auch eine Darstellung der _besten_
- Seiten des russischen Lebens von ihm zu fordern; indem er diesem Wunsche
- entgegenkam und seinem eigenen patriotischen Gefühl Folge leistete, fing
- er an, nach neuen positiven Typen für sein Werk zu suchen und seine
- Seele wieder bis zur schwungvollen Begeisterung seiner früheren Werke
- emporzustimmen.
- Dies ist der Anteil der patriotischen Idee am Gesamtplan der Dichtung.
- Einen kaum geringeren, wenn nicht noch stärkeren Einfluß auf des
- Dichters Schaffen gewann die religiöse Stimmung, die Gogol mit jedem
- Jahre immer machtvoller in ihren Bann schlug. Im Auslande entstand ihm
- die Überzeugung von der besonderen Mission, die er zu erfüllen habe. Ihn
- beseelte ein starker Glaube an Gott und Gottes besondere Anteilnahme an
- ihm und seiner Arbeit. Sein literarisches Schaffen steigerte sich in
- seinen Augen bis zu einer Art Gottesdienst, und so ist es nur natürlich,
- daß er sein Leben wie eine ernste und schwere Pflicht zu betrachten
- begann, eine Pflicht, für die sich der Mensch lange kräftigen und
- stählen muß, wenn er die große Aufgabe erfüllen will, die Gott in seine
- Hände gelegt hat. Gogol begann sich auf seine schriftstellerische
- Aufgabe durch Fasten und Gebet vorzubereiten; er »arbeitete ständig an
- sich selbst«, schonungslos suchte er alles in sich auszurotten, was er
- für unheilig und sündhaft hielt, und er richtete all seine Gedanken auf
- seine sittliche Wiedergeburt; nur mit reinem Herzen und einem verklärten
- Gemüt glaubte er seine hohe Sendung erfüllen zu können, und diese
- Stimmung fand natürlich auch ihren Ausdruck in seiner Dichtung. Diese
- sollte zu einer sittlichen Predigt werden, die sich an die Mitbürger und
- Mitbrüder wendete, und zu einem Akt der Reinigung von den eigenen
- Sünden.
- So verschmolz für Gogol die schriftstellerische Aufgabe mit der
- eigensten Sache seines Herzens. Seine Dichtung wurde für ihn zu einem
- reinigenden Opfer. Die Sünden, von denen er in ihr sprach, forderten
- Sühne und Ahndung -- die Sünden seiner _Helden_, wie seine _eigenen_.
- Sein Werk verwandelte sich in die Geschichte der Verklärung und
- Erleuchtung einer sündhaften und irrenden Seele, es nahm eine tiefe
- mystische Bedeutung an -- einen ähnlichen Sinn wie das große Epos
- Dantes, das Gogol stets mit ehrfürchtiger Bewunderung las.
- Gogol wollte selbst ein zweiter Dante werden, der aus der Finsternis zum
- Licht, aus der Hölle zum Himmel emporsteigt, der Gedanke, seine Helden
- mit sich emporzuziehen, sie durch Reue und Buße aus sündigen zu,
- wenngleich nicht _heiligen_, so doch _edlen_ und _sittlichen_ Menschen
- zu machen, ergriff und erschütterte die Seele des Dichters aufs tiefste.
- Dieser Gedanke sollte im zweiten und dritten Teile der Dichtung zur
- Ausführung kommen, aber Gogol kam nie über das Nachdenken und Entwerfen
- hinaus, und überantwortete schließlich das, was er davon
- niedergeschrieben hatte, den Flammen. So ist denn alles, was uns in
- vollendeter und dichterisch abgerundeter Form erhalten blieb, nur der
- erste Teil der Dichtung: die Geschichte vom Sündenfall des Russen, die
- Erzählung von seinen Lastern, seiner Hohlheit, seiner Nichtigkeit und
- Gemeinheit.
- VI.
- Wenn wir jene Stellen in den »Toten Seelen«, wo der Verfasser auf den
- geheimnisvollen Sinn seiner Dichtung und auf die folgenden Teile
- hindeutet, d. h. alle lyrischen Exkurse ausnehmen, in denen der Dichter
- selbst das Wort ergreift, dann bildet dieser Roman gewissermaßen die
- direkte, wenngleich viel reichere und vielseitigere Fortsetzung des
- »Revisors«. Beide Werke stellen ein ungeschminktes, in seiner Wahrheit
- erschütterndes Bild russischen Lebens dar. Die handelnden Personen im
- »Revisor« waren Beamte, zu denen sich in den »Toten Seelen« noch
- Gutsbesitzer und Leibeigene gesellen. Aber das Gemälde erscheint hier
- unendlich erweitert und vertieft. Die psychischen Regungen und
- Bewegungen der Helden des »Revisors« waren noch wenig differenziert und
- nicht sehr vielgestaltig -- ganz anders verhält es sich in den »Toten
- Seelen«, wo ein viel reicheres und nuancierteres Leben, voll starker
- Kontraste pulsiert. Eine ganze Galerie charakteristischer Typen rollt
- sich vor uns auf, und jede dieser Typen zeigt eine scharfe
- ausgesprochene Physiognomie, die von der ersten bis zur letzten Seite
- der Dichtung unbeirrt festgehalten wird. Inmitten dieser Personen, die
- wie lebendige, blutvolle Menschen vor uns stehen, lebt und bewegt sich
- der Held: Pawel Iwanowitsch _Tschitschikow_; ihn verbindet kein engeres
- Band mit der Gesellschaft, die ihn umgibt, sondern er kommt von außen
- hereingeschneit wie _Chlestakow_ im »Revisor«. Dieser Held ist vom Autor
- mit besonderer Liebe und Sorgfalt gezeichnet. Er ist das Zentrum, um das
- sich alle Personen der Dichtung gruppieren, und unser Führer in diesem
- Panoptikum von Leibeigenen, Gutsbesitzern und Beamten, von denen jeder
- einzeln und für sich genommen so unendlich komisch und lächerlich wirkt,
- und die alle zusammengenommen einen so tieftraurigen Eindruck
- hervorrufen.
- Und doch ist Gogol mit seinen Helden noch sehr gnädig verfahren. Es ist
- keine Frage, daß Tschitschikow ein Mann von recht zweifelhaften
- moralischen Qualitäten, einer dunklen Vergangenheit und einer recht
- unerfreulichen Aktualität ist. Als Mensch und Bürger ist er ein Gauner
- und Spitzbube im vollen Sinne des Wortes, als Persönlichkeit der
- typische Repräsentant einer sehr weit verbreiteten Durchschnittsmoral,
- die in ihrem tiefsten Grunde die Unsittlichkeit selbst ist, die aber
- selber lebt und leben läßt. Indessen hat sich der Dichter nicht mit
- dieser kühlen und unbefangenen Charakteristik dieses so liebenswürdigen
- und höflichen Räubers begnügt; er erzählt uns die ganze Geschichte
- seiner Jugend, er erklärt uns, wie in Tschitschikow diese räuberischen
- Instinkte entstehen konnten, und läßt uns darüber nachsinnen, ob die
- ganze Verantwortung für die Spitzbübereien und Gaunereien seines Helden
- wirklich auf Tschitschikow allein fällt, oder ob nicht die größere
- Hälfte seiner Schuld auf das Konto des Milieus, in dem er aufwuchs,
- abgewälzt werden muß. Ja, Gogol geht zuletzt sogar so weit, daß er dem
- Leser geradezu die Frage vorlegt: »Ist Tschitschikow denn tatsächlich
- ein solcher Lump?« Und er fährt fort: »Warum gleich ein Lump? Warum
- sollen wir so streng gegen unsere Nächsten sein? -- Er ist einfach das,
- was man einen guten _Wirt_ und ein _Erwerbsgenie_ nennt.«
- Der _Erwerbstrieb_ trägt die Schuld an allem: er ist die Ursache, daß
- Dinge geschehen, die die Welt als nicht ganz sauber bezeichnet.
- Tschitschikow ist das Opfer seiner Leidenschaft »und es gibt
- Leidenschaften, deren Wahl nicht in der Macht des Menschen liegt«.
- Wenn es aber möglich war, schon für Tschitschikow soviel mildernde
- Umstände geltend zu machen, so war dies noch leichter bei seinen
- Freunden und Bekannten, die ja wirklich nicht einmal so schuldig waren.
- Und in der Tat verfuhr der Dichter gegen sie alle mit großer Milde; vor
- allem gegen die Adligen, die er mit noch größerer Nachsicht behandelt,
- als die Beamten. Freilich sind auch sie lauter hohle, armselige, elende
- Menschen, aber eine besondere Entrüstung und eine allzu große Empörung
- regen sie nicht in uns auf. Wir lachen wohl über sie, wir bemitleiden
- sie, aber schließlich würden auch wir mit ihnen leben können, ohne daß
- uns allzu große Opfer und Kompromisse zugemutet zu werden brauchten. Was
- ließe sich schließlich gegen den so vertrauensseligen und gutmütigen
- Manilow einwenden, der stets bei jedem nur die besten Absichten
- voraussetzt? Ja, selbst ein Sabakewitsch läßt sich fast ertragen: dieser
- grobe und ungeschlachte Halsabschneider, der uns nur hin und wieder
- durch seine tierischen Instinkte in Erstaunen setzt, die übrigens für
- seine Nächsten völlig unschädlich sind. Auch Pljuschkin und Korobotschka
- verdienen eher unser Mitleid als unsere Verurteilung. Der Autor selbst,
- der die ganze Kleinheit und Hohlheit ihrer Seelen und die Armseligkeit
- ihres Lebens offen zur Schau stellt, beeilt sich, den Leser vor einer
- voreiligen Verurteilung dieser beiden zu warnen. Er zeigt uns Pljuschkin
- in der glücklichsten, schon weit zurückliegenden Zeit seines Lebens, und
- wir verstehen, daß ein Unglücklicher vor uns steht, der ein Opfer der
- Leidenschaft ist, gegen die er nicht zu kämpfen vermag. Der Dichter
- spricht mit tiefem Schmerz von der Erbärmlichkeit, Kleinheit und
- Häßlichkeit, bis zu der ein Mensch herabsinken kann; er weist hin auf
- diese Entartung des Menschenbildes und gibt uns den weisen Rat, wenn wir
- aus dem weichen, zarten Jugendalter hinaustreten in das strenge
- verhärtende Mannesalter, uns mit einem möglichst großen Vorrat von
- Begeisterung und Idealismus zu versehen und ihn unterwegs nicht
- leichtsinnig zu verschwenden. Gogol droht uns mit diesen lebendigen
- Leichen, und doch spricht er stets in einer Weise von ihnen, daß sie
- nicht Abscheu hervorrufen, sondern uns eine Träne des Mitleids
- entlocken. Selbst Nosdrjow, diese Synthese von Unrast, Unverfrorenheit,
- Spitzbüberei und Zynismus, hat Gogol etwas so Gutmütiges und von jeder
- Böswilligkeit Freies verliehen, daß er uns beinahe völlig entwaffnet und
- die Fähigkeit nimmt, ihm ernsthaft zu zürnen.
- So freundlich und milde verfuhr Gogol mit all jenen Personen, die er mit
- seinem Helden zusammenführte, d. h. mit jener Klasse von Freien, die
- keine eigentlichen Beamten darstellen. Dagegen war er weit strenger
- gegen dieselben Menschen, wenn sie irgend ein Amt im Staate bekleideten,
- mit andern Worten, wenn sie Beamte waren.
- Wie der »Revisor«, so enthalten auch die »Toten Seelen« keine Spur von
- einer politischen Anspielung. Die Satire berührte auch nicht mit einem
- Wort die höhere Obrigkeit und setzte sich bloß mit den niederen Klassen
- des Beamtenstandes auseinander.
- Die ganze Dichtung bietet das Muster einer guten Gesinnung dar und daher
- konnte sie auch den Leser zu keinerlei Betrachtungen veranlassen, die
- sich _gegen_ die Regierung und Administration richteten, mit Ausnahme
- etwa der schicksalsreichen »Geschichte vom Hauptmann Kopeikin«, die der
- Zensor durchaus nicht freigeben wollte, und die erst nach bedeutenden
- Änderungen und Zugeständnissen seitens des Autors die Zensur passierte.
- Diese Geschichte war die einzige gegen die souveräne Gewalt gerichtete
- Anspielung, die sich Gogol erlaubt hatte. In allen andern Fällen wählte
- er sich bloß die ausführenden Organe dieser Gewalt zur Zielscheibe,
- wobei er die Wucht seiner Angriffe genau nach Rang und Stellung seiner
- Helden abstufte. Je höher ein Beamter stand, um so milder beurteilte ihn
- der Verfasser, welcher freilich nicht die Absicht hatte, der Regierung
- durchaus nur Schmeichelhaftes zu sagen, sondern sich allein von der
- Erwägung leiten ließ, daß ein hohes Maß von Intelligenz den Menschen
- auch zu einer höheren Sittlichkeit verpflichte.
- So sind denn in den »Toten Seelen« alle höheren Beamten, selbst
- abgesehen vom Generalgouverneur und vom Gouverneur, lauter ehrenwerte
- und liebenswürdige Männer, die höchstens ein paar Seltsamkeiten oder
- Eigenheiten an sich haben. Diese ganze so nette Beamtengesellschaft gibt
- dem Moralisten nur wenig Anlaß zur Betrübnis, ja, er könnte sich nach
- Gogols Ausdruck unter ihnen ganz wie zu Hause fühlen.
- Aber das Bild wechselt jäh und mächtig, wenn wir aus dem Kreise dieser
- relativ hochgestellten Provinzbeamten in die niederen Sphären
- hinabsteigen und zusammen mit Tschitschikow die mit kleinen Beamten
- bevölkerten Amtszimmer und Bureaus betreten. Hier befinden wir uns im
- Reiche der Akten, der schmutzigen und der sauberen, innerhalb dessen
- Unrecht und Bosheit einen viel freieren Spielraum haben. Wir sind
- zugegen bei der Herbeischaffung falscher Zeugen, die ohne viel Umstände
- unter den gerade anwesenden, größtenteils ungebildeten Gerichtsbeamten
- ausgewählt werden; wir sehen wie Tschitschikows Spitzbubenstück die
- Sanktion des Gesetzes erhält, wobei dem letzteren aus reiner
- Liebenswürdigkeit gegen ihn nicht einmal die gesetzlichen Gebühren
- abgenommen, sondern unbegreiflicher Weise einem andern Bittsteller aufs
- Konto gesetzt werden ... mit einem Wort, wir befinden uns mitten in
- einer Gesellschaft von wirklichen Gaunern und Betrügern, denen jede Spur
- von Sentimentalität, welche ihre Vorgesetzten auszeichnete, fremd ist,
- und die einem nüchternen illusionslosen Utilitarismus huldigen.
- Wenn wir noch tiefer hinabsteigen, und uns aus der Stadt auf das Land
- begeben, so treffen wir hier schon auf ausgemachte Lumpen und Schurken,
- wie z. B. auf den Gendarmerieobersten Drobjaschkin, den Mann mit dem
- weichen und zärtlichen Herzen, der alle Dörfer heimsucht und sie wie
- eine verheerende Epidemie durchstreift, wofür er dann schließlich auch
- von den Bauern ins Jenseits befördert wird. Diese Seite, die uns von den
- Heldentaten der Dorfpolizei berichtet, ist sicher die kühnste in der
- gesamten Dichtung.
- Der erste Teil der »Toten Seelen« ist somit tatsächlich eine Epopöe der
- menschlichen Erbärmlichkeit und Nichtigkeit. Erbärmlich ist dieser
- _Erwerbsritter_ mit dem Instinkte des Raubtieres, erbärmlich und
- armselig -- diese ganze Stadtgesellschaft, Männer wie Frauen --
- erbärmlich dieses Reich der kleinsten, nichtigsten Interessen, dieses
- prinzipienlose Vegetieren, diese geistige Beschränktheit, dieser Klatsch
- und diese Verleumdung. Am charakteristischsten aber ist es wohl, daß
- auch der _Bauern_stand, von dem der Autor nur ganz kurz und bei
- Gelegenheit handelte, in den »Toten Seelen« vorzüglich nach seiner
- unansehnlichen und erbärmlichen Seite dargestellt ist. Der Bauer ist
- weder schlecht noch tugendhaft, weder gut noch böse, sondern nur
- armselig, beschränkt und stumpfsinnig. Der Dichter wollte weder seinen
- Verstand, noch sein Herz idealisieren und erheben, wie das viele
- sentimentale und romantische Schriftsteller unter Gogols Zeitgenossen
- taten; aber er wollte ihn auch nicht schlecht machen, wie das wohl der
- Satiriker getan hätte, der die Aufmerksamkeit des Lesers auf die Sünden
- und Laster unserer ärmeren und schwächeren Mitbrüder lenken will, um
- sein Nachdenken und sein Interesse für sie zu wecken.
- Daß der Dichter ein herzliches Mitgefühl für diese seine Mitbrüder
- hatte, daran ist gar kein Zweifel. Ein kurzer Einblick in die
- Betrachtungen, die Tschitschikow über das Schicksal der von ihm
- gekauften Bauern anstellt, genügt, um sich zu überzeugen, daß sich der
- Dichter in seiner Phantasie das Los dieser Armen, denen ihre Herrn nach
- ihrem Tode ein so schmeichelhaftes Zeugnis ausgestellt hatten, in
- lebhaften Farben ausmalte. Aber jedesmal, wenn Tschitschikow auf seinem
- Wege einem Bauern begegnet, bekommt er nichts zu hören außer dem
- törichten Gerede eines Onkel Mitjaj und Onkel Minaj. In der ganzen
- Dichtung findet sich auch nicht eine Seite, wo der russische Bauer etwas
- von dem ihm angeborenen Mutterwitz und der Pfiffigkeit spüren läßt, wo
- er uns durch jene geistigen und seelischen Fähigkeiten erfreut, von
- denen alle Freunde des Vaterlandes uns so oft und sicherlich nicht ohne
- Grund zu erzählen wußten.
- VII.
- Dies ist in seinen wesentlichen Zügen der Inhalt des _ersten_ noch
- erhaltenen Teils dieser großen Vaterlandsdichtung. Wie wir sahen, hatte
- dieses Werk für seinen Verfasser einen tiefen sittlichen Sinn gewonnen;
- es war seine Absicht, uns erst eine Reihe von hohlen, lasterhaften und
- erbärmlichen Menschen vorzuführen, um uns dann ein schönes Bild ihrer
- Erhebung zu geben; diese Dichtung war in den Augen des Autors eine an
- sein Vaterland gerichtete Verheißung, daß es sich einst von allem
- Häßlichen und Schmutzigen reinigen und der göttlichen Liebe würdig
- erweisen werde. Dieser ethische Sinn seines Werkes wurde Gogol durch
- seine religiösen Anschauungen, seinen Patriotismus und sein weiches,
- mitleidiges Herz diktiert. Es steht fest, daß Gogol als Ankläger des
- Lasters, der Schwäche, der Gemeinheit, der Trägheit und Indolenz, mit
- einem Wort, aller nur möglichen persönlichen und sozialen Schäden, einer
- der fortgeschrittensten russischen Männer gewesen ist, und dieses hohe
- Verdienst um das Vaterland vermag ihm niemand zu entreißen oder zu
- schmälern.
- Aber bei einer näheren Bekanntschaft mit seinen Werken überzeugt man
- sich leicht, daß seine Kraft und sein Talent nicht allein in der Anklage
- und Geißelung bestand. Dieser Satiriker war in Wahrheit ein weicher,
- milder, zum Mitleid geneigter Mensch, und wußte gegen dieselben Menschen
- gerechte Nachsicht zu üben, die er in seinen Werken an den Pranger
- stellte. Er fand Worte der Vergebung und Rechtfertigung noch für den
- Lasterhaftesten, ja er liebte es eigentlich gar nicht, von Lastern zu
- sprechen und zog es vor, sie Schwächen zu nennen, wobei er den Leser
- stets zur Milde gegen die Angeklagten und Verworfenen zu stimmen suchte.
- Er brachte die Menschen zur Erkenntnis ihrer Sündhaftigkeit. Nicht
- sowohl durch die Aufdeckung ihrer Schlechtigkeiten und ihrer Sünden, als
- vielmehr dadurch, daß er in ihnen das Mitleid für ihre Nächsten weckte,
- die durch eigene oder fremde Schuld ins Unglück geraten waren.
- Doch es sind nicht diese sittlichen Ideen und Anschauungen, die die
- große Bedeutung der »Toten Seelen« für die Literatur und das Leben
- Rußlands ausmachen. Das Werk blieb unvollendet, und der russische Leser
- erlebte nichts von den kühnen Verheißungen des Dichters. Der Leser
- behielt nichts in seiner Hand zurück, als eine große Anklageschrift
- gegen die Gesellschaft, in der er lebte, eine Anklageschrift freilich,
- die von der Hand eines Meisters der Wirklichkeitsdichtung und eines
- großen realistischen Künstlers stammte.
- Die »Toten Seelen« sind das erste Muster eines großen realistischen
- Romans in der Literatur Rußlands, und das Schicksal, das oft sein
- ironisches Spiel mit den Menschen treibt, wollte es, daß dieses große
- Vorbild eines realistischen Romans von einem Romantiker und von einem
- Dichter geschrieben werden sollte, der seine Schriftstellerlaufbahn mit
- einem romantischen Traum begann und sie mit einer religiösen Predigt
- beschloß.
- Aber die Natur hatte diesem Prediger ein wunderbares Talent in die Wiege
- gelegt, er besaß wie kein anderer die Fähigkeit einer reinen,
- ungeschminkten, von jeder Idealisierung freien Wirklichkeitsdarstellung
- -- und in der kurzen Periode, wo dieses Talent seinen Kulminationspunkt
- erreichte, um schnell und für immer zu erlöschen, erschuf der Dichter
- dieses großartige Gemälde von tiefster Wahrheit, in dem der Russe zum
- erstenmal sich selbst und sein eigenes Leben in einem Spiegelbilde von
- verblüffender Treue erblickte.
- Nestor Kotljarewski.
- Die Abenteuer des Grafen Tschitschikows
- oder
- Die Toten Seelen.
- Erster Teil
- Erstes Kapitel
- Durch das Tor eines Gasthofes der Provinzstadt N. N. rollte ein
- schmucker, leicht federnder, kleiner Wagen, wie ihn gewöhnlich
- Junggesellen zu benutzen pflegen, als da sind: Oberstleutnants a. D.,
- Majore, Edelleute, die etwa hundert Bauern besitzen, u. s. w. -- mit
- einem Worte jene Klasse von Menschen, die man wohlgeborene Herren
- mittleren Ranges nennt. Im Wagen saß ein Herr von nicht gerade
- überwältigender Schönheit, aber doch von angenehmem Äußeren; er war
- weder allzu dick noch allzu dünn, man konnte nicht sagen, daß er alt
- war, doch war er andererseits auch nicht übermäßig jung. Seine Ankunft
- erregte in dem Gasthofe nicht das geringste Aufsehen und war von
- keinerlei besonderen Ereignissen begleitet; nur zwei Bauern, die vor der
- Türe der dem Gasthof gegenüberliegenden Schenke standen, machten ein
- paar Bemerkungen, die sich noch dazu mehr auf das Gefährt, als auf den
- Insassen bezogen. »Sieh dir mal das Rad an,« sagte der eine zum andern.
- »Was meinst du? Würde es wohl zum Beispiel bis Moskau halten, oder
- nicht?« -- »Gewiß,« antwortete der andere. »Aber bis Kasan wird es wohl
- nicht halten, denk ich.« -- »Bis Kasan wohl kaum,« versetzte der andere.
- Damit war die Unterhaltung zu Ende. Als dann der Wagen vor dem Gasthofe
- hielt, ging noch ein junger Mann vorüber. Er trug kurze, sehr enge weiße
- Nankinghosen und einen Frack, der modern sein sollte und unter dem ein
- Vorhemd hervorguckte, das eine Tulasche-Nadel mit einem Kopf in Form
- einer bronzenen Pistole schmückte. Der junge Mann drehte sich um, sah
- sich den Wagen an, während er seine Mütze, die der Wind fortzublasen
- drohte, mit der Hand festhielt, und ging seiner Wege.
- Als der Wagen in den Hof fuhr, wurde der Herr von dem Kellner oder
- Aufwärter, wie man sie in den russischen Schenken zu nennen pflegt,
- empfangen, einem so lebhaften und beweglichen Wesen, daß es ein Ding der
- Unmöglichkeit war, ein Bild von seinen Gesichtszügen zu gewinnen.
- Gewandt und sicher kam er mit der Serviette in der Hand herausgelaufen,
- ein hoch aufgeschossener Bursche in einem langen baumwollenen Rock,
- dessen Taille beinahe in der Höhe des Nackens saß, schüttelte seine
- Mähne und führte den Herrn flink durch den langen hölzernen Flurgang, um
- dem Reisenden das ihm von Gott bestimmte Gemach zu zeigen. -- Das Zimmer
- war eins von der bekannten Art; denn auch der Gasthof war einer von der
- bekannten Art, wie nämlich alle Gasthöfe in den Provinzstädten sind, wo
- die Reisenden für zwei Rubel täglich ein ruhiges Zimmer erhalten: mit
- Schwabenkäfern, die wie Pflaumen aus allen Ecken hervorgucken, und mit
- einer Kommode vor der Tür, die ins anstoßende Gemach führt, in dem der
- Nachbar wohnt, ein stiller, schweigsamer, aber äußerst neugieriger Mann,
- der sich aufs lebhafteste für den Reisenden und alle Einzelheiten seiner
- Person interessiert. Die äußere Fassade des Gasthofes entsprach durchaus
- dem Innern: sie war sehr lang und hatte zwei Stockwerke; das untere war
- nicht geweißt und ließ noch die dunkelroten Ziegelsteine erkennen,
- die, an sich schon nicht ganz sauber, infolge der heftigen
- Witterungsumschläge noch mehr nachgedunkelt waren. Die obere Etage war
- gelb angestrichen, wie überall. Unten waren Läden, wo Pferdegeschirr,
- Bindfaden und Bretzel verkauft wurden. In dem Eckladen, oder richtiger
- im Fenster des Ladens saß ein Sbitenverkäufer[1] mit einem Samowar aus
- Kupfer und einem Gesicht, das ebenso kupferrot war wie sein Samowar,
- sodaß man aus der Ferne fast glauben konnte, auf dem Fenster ständen
- zwei Samoware, wenn nicht der eine von ihnen einen pechschwarzen Bart
- gehabt hätte.
- Während der Reisende sich noch sein Zimmer näher ansah, wurde sein
- Gepäck hereingetragen. Zunächst ein etwas abgenutzter Koffer aus weißem
- Leder, dem man es ansah, daß er nicht zum erstenmal eine Reise machte.
- Der Koffer wurde vom Kutscher Seliphan, einem kleinen Mann in einem
- kurzen Pelz, und vom Lakaien Petruscha hereingebracht. Letzterer war ein
- Bursche von etwa dreißig Jahren und trug einen weiten abgetragenen Rock,
- der offenbar von seinem Herrn stammte; er machte einen etwas strengen
- und mürrischen Eindruck und hatte große dicke Lippen und eine ebensolche
- Nase. Nach dem Koffer wurden ein kleines Kästchen aus Mahagoni mit
- eingelegten Verzierungen aus Korelischem Birkenholz, ein Paar
- Schuhleisten und ein gebratenes Huhn hereingebracht, das in blaues
- Papier eingewickelt war. Als alles besorgt war, begab sich der Kutscher
- Seliphan in den Stall, wo er sich mit den Pferden zu schaffen machte,
- während sich der Lakai Petruscha in dem kleinen Vorzimmer einrichtete,
- einem finstern Loche, wohin er aber schon seinen Mantel und zugleich mit
- diesem einen merkwürdigen Geruch mitgebracht hatte, der nur ihm
- eigentümlich war. Dieser Geruch teilte sich auch einem Sack mit
- allerhand Utensilien der Bediententoilette mit, den er gleich darauf
- hereinschleppte. In dieser Kammer stellte er an der Wand ein enges
- dreibeiniges Bett auf und legte einen Gegenstand darauf, der einer
- Matratze ähnlich sah, flach und zusammengedrückt wie ein Pfannkuchen und
- vielleicht ebenso fettig wie dieser; er hatte sich das Ding von dem
- Gastwirte geben lassen.
- [Fußnote 1: Sbiten: ein Getränk aus Wasser, Honig und Lorbeerblättern
- oder Salbei, das von den niederen Klassen statt Tee getrunken wird.]
- Während die Diener mit der Einrichtung beschäftigt waren, begab sich der
- Herr in den Salon des Gasthofes. Jeder Reisende weiß aus Erfahrung, wie
- so ein Salon beschaffen zu sein pflegt: immer dieselben mit Oelfarbe
- gestrichenen Wände, die oben vom Rauche geschwärzt und tiefer unten wie
- poliert sind durch die Rücken der Reisenden und mehr noch durch die der
- einheimischen Kaufleute, die an Markttagen sechs oder sieben Mann hoch
- hierher kommen, um ihre bestimmte Anzahl Tassen Tee zu trinken; dieselbe
- rauchige Decke, derselbe geschwärzte Kronleuchter mit einer Unzahl
- herabhängender Glaskristalle, die jedesmal herumhüpften und klirrten,
- wenn der Kellner über den abgeriebenen Läufer von Wachstuch sprang und
- dabei gewandt das Tablett schwenkte, auf dem eine Unmenge von Teetassen
- ruhte, wie Vögel am Meeresstrande; dieselben Ölgemälde, die eine ganze
- Wand einnahmen, mit einem Wort: es war alles wie überall, höchstens mit
- dem Unterschied, daß auf einem der Bilder eine Nymphe mit so gewaltigen
- Brüsten dargestellt war, wie sie der Leser noch nicht gesehen hat.
- Übrigens begegnet man ähnlichen Naturspielen auf vielen historischen
- Gemälden, von denen man nicht weiß, woher sie, wann sie und von wem sie
- zu uns nach Rußland gebracht wurden; mitunter freilich waren es unsere
- vornehmen Würdenträger und Kunstliebhaber selbst, die sie in Italien auf
- Anraten der sie begleitenden Kuriere kauften. Der Herr warf seine Mütze
- hin und legte sein wollenes, regenbogenfarbenes Halstuch ab, wie es
- unsere Ehefrauen ihren Gatten eigenhändig zu häkeln pflegen, wobei sie
- stets noch allerhand nützliche Lehren hinzufügen, wie das Tuch umgelegt
- werden muß; wer sie dagegen den Hagestolzen anfertigt, das kann ich
- nicht mit Bestimmtheit sagen, Gott weiß es, ich habe nie ein solches
- Halstuch getragen. Nachdem also der Herr sein Halstuch abgelegt hatte,
- bestellte er sich ein Mittagessen. Während die verschiedenen Speisen,
- die einem gewöhnlich in den Gasthöfen vorgesetzt werden, aufgetragen
- wurden, als da sind: Krautsuppe mit Pasteten aus Blätterteig, die
- wochenlang für die Reisenden aufgehoben und bereit gehalten werden,
- ferner Hirn mit Schoten, Würstchen mit Kraut, eine gebratene Pularde,
- eine saure Gurke und das unvermeidliche jederzeit vorrätige
- Splittertörtchen; während also dies alles aufgetragen wurde, aufgewärmt
- oder kalt, ließ er sich von dem Diener oder Kellner allerhand törichte
- Geschichten erzählen: wer den Gasthof früher besessen habe, wer sein
- jetziger Besitzer sei, wie groß die Einnahmen seien, ob der Herr ein
- großer Hallunke sei usw., worauf der Kellner die gewohnte Antwort gab:
- »Oh! ein großer Spitzbube! gnädiger Herr!« Wie in dem aufgeklärten
- Europa, so gibt es jetzt auch in dem aufgeklärten Rußland eine Menge
- höchst ehrenwerter Leute, die es nicht über sich bringen, in einem
- Gasthaus zu speisen, ohne mit dem Kellner zu schwatzen oder gar mit ihm
- ihre Scherze zu treiben. Übrigens stellte der Ankömmling nicht nur
- sinnlose Fragen: er erkundigte sich auch ganz genau nach dem Gouverneur,
- nach dem Gerichtspräsidenten und Staatsanwalt der Stadt -- mit einem
- Wort: er überging auch nicht einen von den hohen Beamten; und mit fast
- noch größerer Ausführlichkeit erkundigte er sich nach allen bedeutenden
- Großgrundbesitzern der Umgegend: wieviel Bauern ein jeder von ihnen
- habe, wie weit von der Stadt er wohne, ja sogar was er für einen
- Charakter habe und wie oft er in die Stadt komme; er fragte genau nach
- den Zuständen, die im Kreise herrschten, ob es in der Provinz vielleicht
- Krankheiten oder Epidemieen, wie tödlich verlaufende Fieber, Blattern u.
- s. f. gegeben habe, und dies alles tat er mit einer Peinlichkeit und
- Ausführlichkeit, die weit mehr als bloße Neugierde erkennen ließ. Im
- Betragen des Herrn lag etwas Gesetztes und Solides; auch schneuzte er
- sich ungewöhnlich laut. Es läßt sich kaum sagen, wie er das machte,
- jedenfalls tönte seine Nase dabei gleich einer Trompete. Aber dieser
- scheinbar so harmlose und unbedeutende Vorzug eroberte ihm die
- Hochachtung des Kellners, welcher jedesmal, wenn er diesen Laut vernahm,
- seine Mähne schüttelte, sich ehrerbietig aufrichtete, seinen Kopf etwas
- von seiner Höhe herabsinken ließ und fragte: »Wünschen der Herr
- vielleicht etwas?« Nach dem Essen trank der Herr eine Tasse Kaffee und
- ließ sich auf dem Sofa nieder. Er schob sich ein Kissen in den Rücken,
- das in den russischen Gasthäusern statt mit weicher Wolle mit einem
- Etwas gestopft wird, das die größte Ähnlichkeit mit Kieseln oder
- Ziegelsteinen hat. Er begann zu gähnen und ließ sich in sein Zimmer
- führen, wo er sich niederlegte, um zwei Stunden lang zu schlummern.
- Nachdem er geruht hatte, schrieb er auf den Wunsch des Kellners seinen
- Stand, Vor- und Familiennamen auf einen Papierfetzen, damit diese, wie
- sich's gehört, der Polizei mitgeteilt werden könnten. Als der Kellner
- die Treppe hinabstieg, buchstabierte er den Inhalt des Geschriebenen:
- »Kollegienrat Pawel Iwanowitsch Tschitschikow, Gutsbesitzer, reist in
- eigenen Angelegenheiten.« Während der Kellner den Zettel noch immer zu
- entziffern suchte, verließ Pawel Iwanowitsch Tschitschikow den Gasthof,
- um sich die Stadt anzusehen, die offenbar einen befriedigenden Eindruck
- auf ihn machte; denn er fand, daß sie sich durchaus mit jeder andern
- Provinzhauptstadt messen konnte: die gelbe Farbe der steinernen und das
- bescheidene Dunkelgrau der hölzernen Häuser fielen besonders ins Auge.
- Die Häuser hatten ein, zwei oder anderthalb Stockwerke, mit den
- stereotypen Mansarden, die wohl nach der Ansicht der dortigen
- Architekten besonders schön waren. Stellenweise schienen diese Häuser
- wie verloren inmitten der Straße, die breit wie ein Feld war, und
- zwischen den Bretterzäunen, die gar kein Ende nehmen wollten; an andern
- Punkten dagegen stießen sie eng aneinander, und hier machte sich auch
- mehr Leben und Bewegung bemerkbar. Hie und da sah man vom Regen
- verwaschene Schilder, auf denen ein Bretzel oder ein Stiefel, oder ein
- Paar blaue Hosen abgebildet waren, und die die Unterschrift zierte:
- Arschawski, Schneidermeister. Oder ein Hutgeschäft, mit Mützen und Hüten
- und einem Schild mit der Inschrift: »Der Ausländer Wassili Fjodorow.«
- Auf einem dieser Schilder sah man ein Billard mit zwei Spielern in
- Fräcken abgebildet, wie sie in unseren Theatern die Gäste zu tragen
- pflegen, die im letzten Akte auf der Bühne erscheinen. Die Spieler waren
- in der Stellung dargestellt, wo sie mit den Queues gerade zum Stoße
- ausholen, mit ein wenig zurückgezogenen Armen und gekrümmten Beinen, als
- ob sie soeben einen Luftsprung gemacht hätten. Unter diesem Bilde befand
- sich die Inschrift: »Hier ist eine Schenke!« Hie und da standen unter
- freiem Himmel auf der Straße Tische mit Nüssen, Seife, und Honigkuchen,
- die gleichfalls wie Seife aussahen. Etwas weiter befand sich eine
- Garküche, auf deren Aushängeschild ein mächtiger Fisch abgebildet war,
- in dem eine Gabel steckte. Am häufigsten aber begegnete man den
- zweiköpfigen schwarzen Staatsadlern, welche heute bereits durch die
- lakonische Inschrift: »Ausschank« ersetzt sind. Das Pflaster war überall
- ziemlich schlecht. Der Herr warf auch einen Blick in den städtischen
- Garten, der aus ein paar dünnen Bäumchen bestand, welche offenbar sehr
- schlecht fortkamen und unten von Pfählen gestützt wurden, die ein
- Dreieck bildeten und mit grüner Ölfarbe angestrichen waren. Übrigens
- hieß es von ihnen in den Zeitungen, obwohl sie kaum Schilfhöhe
- erreichten, bei Beschreibung einer Illumination: »Dank der Fürsorge
- unseres Zivilgouverneurs ward unsere Stadt durch einen Garten voller
- breitkroniger, schattenreicher Bäume verschönt, die an heißen
- Sommertagen angenehme Kühle spenden.« Weiterhin hieß es: »Es sei rührend
- anzusehen, wie die Herzen der Bürger in überquellender Dankbarkeit
- erzitterten und Tränenströme in warmer Anerkennung der Verdienste
- unseres verehrten Stadtoberhauptes vergössen.« Der Herr erkundigte sich
- bei einem Polizisten ausführlich nach dem kürzesten Wege zur Domkirche,
- zu den Amtsgebäuden, zum Gouverneur und begab sich schließlich zum Fluß
- hinab, der mitten durch die Stadt floß. -- Unterwegs riß er einen
- Reklamezettel ab, der an einer Plakatsäule klebte, um ihn zu Hause in
- Ruhe durchzulesen. Dann betrachtete er aufmerksam eine Dame von recht
- angenehmem Äußeren, die auf den Holzbrettern des Bürgersteiges an ihm
- vorüberging, begleitet von einem Knaben in militärischem Aufputz, der
- ein Bündel in der Hand trug. Und nachdem er noch manchmal einen Blick
- auf das Ganze geworfen hatte, wie um sich die Örtlichkeit gründlich
- einzuprägen, ging er nach Hause und stieg geradewegs die Treppe zu
- seinem Zimmer empor, gefolgt vom Kellner, der ihn hierbei leicht
- unterstützte. Nachdem er seinen Tee getrunken hatte, setzte er sich an
- seinen Tisch, ließ sich eine Kerze bringen, nahm das Plakat aus der
- Tasche und begann zu lesen, wobei er sein rechtes Auge ein wenig
- zukniff. Übrigens stand nicht viel Bemerkenswertes auf dem Zettel. Man
- gab ein Drama von Kotzebue, in dem ein Herr Popljowin den Rolla und ein
- Fräulein Sjablowa die Kora spielten. Die übrigen Personen waren noch
- unbedeutender. Trotzdem las er sämtliche Namen durch, bis auf die Preise
- der Parterreplätze und erfuhr, daß der Zettel in der städtischen
- Buchdruckerei hergestellt worden war; dann drehte er ihn um, um sich zu
- überzeugen, ob nicht noch etwas auf der Rückseite stehe. Aber da er
- nichts fand, rieb er sich die Augen, faltete ihn sorgsam zusammen und
- legte ihn in das Kästchen, in dem er alles aufzubewahren pflegte, was
- ihm unter die Finger kam. Ich glaube der Tag wurde mit einer Portion
- kalten Kalbsbratens, einer Flasche Kislischtschi (Kaltschale) und einem
- festen Schlaf beschlossen, den ein Schnarchen begleitete, ähnlich dem
- Geknarr eines Pumpenkrahns, wie man sich in einigen Gegenden unseres
- geräumigen russischen Vaterlandes auszudrücken pflegt. --
- Der ganze folgende Tag war Besuchen gewidmet. Der Reisende stellte sich
- allen Honoratioren der Stadt vor. Er machte dem Gouverneur einen
- Achtungsbesuch, der, wie sich's herausstellte, ebenso wie Tschitschikow
- weder dick noch dünn war, den Annenorden im Knopfloch trug und, wie man
- sich erzählte, selbst Prätendent des Sternes war; im übrigen war er ein
- gutmütiger alter Herr, der sich sogar bisweilen in Tüllstickereien
- versuchte. Sodann begab er sich zum Vizegouverneur, zum Staatsanwalt,
- zum Gerichtspräsidenten, zum Polizeimeister, zum Branntweinpächter und
- Direktor der staatlichen Fabriken ... leider ist es nicht ganz leicht,
- all die Gewaltigen dieser Welt aufzuzählen; genug, unser Reisender
- entwickelte eine lebhafte Geschäftigkeit im Besuchemachen: er ging sogar
- zum Inspektor der Sanitätsverwaltung und zum Stadtbaumeister, um ihnen
- seine Aufwartung zu machen. Und lange noch saß er in seinem Wagen, bei
- sich erwägend, wem er wohl noch einen Besuch machen könne, aber leider
- fand sich in der Stadt kein Beamter mehr, den er nicht schon beglückt
- hätte. Im Gespräch mit den Machthabern verstand er es vorzüglich, einem
- jeden von ihnen eine Schmeichelei zu sagen. Zum Gouverneur sagte er wie
- beiläufig, wenn man in seine Provinz komme, glaube man sich im
- Paradiese, die Wege seien herrlich, es sei einem, als führe man über
- Samt; und er fügte hinzu, die Regierung, welche es verstände, weise
- Männer auf verantwortungsvolle Stellen zu setzen, verdiente das höchste
- Lob und die größte Anerkennung. Dem Polizeimeister sagte er etwas höchst
- Schmeichelhaftes über die städtischen Polizisten und den Vizegouverneur
- und den Gerichtspräsidenten, die erst Staatsräte waren, nannte er im
- Gespräche zweimal wie im Versehen »Exzellenz«, was ihnen sichtlich
- Freude bereitete. Der Erfolg von alledem war, daß der Gouverneur ihn
- noch am selben Tage zu einer kleinen Abendgesellschaft in seinem Hause
- einlud; auch von den übrigen Beamten erhielt er Einladungen, vom einen
- zum Diner, vom andern zu einer Partie Boston oder einer Tasse Tee.
- Über sich selbst viel zu reden, vermied der Reisende offenbar. Und wenn
- er etwas sagte, so waren es meist Gemeinplätze. Er drückte sich mit
- einer auffallenden Bescheidenheit aus, und sein Gespräch bewegte sich in
- diesen Fällen in Redewendungen aus der Büchersprache, wie etwa folgende:
- er sei ja nur ein unbedeutender Wurm auf dieser Welt, nicht wert, daß
- man sich viel um ihn kümmere. Er habe in seinem Leben schon viel
- erfahren und durchgemacht, für die Wahrheit gelitten und sich viele
- Feinde erworben, die ihm sogar nach dem Leben trachteten. Jetzt sehne er
- sich nach Ruhe, und daher suche er sich endlich ein Plätzchen, wo er
- ungestört leben könne. Er habe es bei seiner Ankunft in dieser Stadt für
- seine erste Pflicht gehalten, die hervorragenden Repräsentanten des
- Beamtenstandes aufzusuchen und ihnen seine Hochachtung auszusprechen.
- Das war alles, was man in der Stadt über den Fremden in Erfahrung
- bringen konnte, der nicht zögerte, bei der Soiree des Gouverneurs zu
- erscheinen. Die Vorbereitungen zu dieser Abendgesellschaft nahmen gute
- zwei Stunden in Anspruch, und hierbei legte der Reisende eine solche
- peinliche Aufmerksamkeit für seine Toilette an den Tag, wie man ihr nur
- selten begegnet. Nach einem kurzen Nachmittagsschläfchen ließ er sich
- ein Waschbecken reichen und rieb sich hierauf lange Zeit beide Wangen
- mit Seife, wobei er die Zunge von innen gegen die Backe drückte. Dann
- nahm er dem Hausdiener das Handtuch von der Schulter, trocknete sein
- rundliches Gesicht überall sorgfältig ab, indem er bei den Ohren anfing
- und dem Diener zuvor zweimal gerade ins Gesicht prustete. Dann trat er
- vor den Spiegel, um sich das Vorhemd anzulegen, riß sich zwei aus der
- Nase hervorragende Härchen aus und stand gleich darauf in einem
- preißelbeerfarbenen roten gesprenkelten Fracke da. Nachdem er so seine
- Toilette vollendet hatte, bestieg er seine eigene Equipage und fuhr
- durch die ungemein breiten Straßen, welche von dem spärlichen Lichte
- beleuchtet wurden, das aus einigen Fenstern fiel. Das Haus des
- Gouverneurs war indessen so glänzend erleuchtet wie bei einem Ball; vor
- dem Hause standen Wagen mit hellen Laternen, sowie zwei Gendarmen. Aus
- der Ferne klangen die Rufe der Vorreiter herüber; mit einem Wort, es war
- alles so, wie es sich gehörte. Als Tschitschikow den Saal betrat, mußte
- er die Augen für einen Moment schließen, weil der blendende Glanz der
- Lichter, der Lampen und Damentoiletten geradezu überwältigend war. Alles
- war wie mit Licht übergossen. Schwarze Fräcke schwirrten einzeln und in
- Gruppen durch den Saal, wie Fliegen um den Zuckerhut an einem heißen
- Julitag, während ihn die Wirtschafterin zerteilt und vor dem offenen
- Fenster in weiße leuchtende Stücke zerschlägt: alle Kinder umstehen sie
- und verfolgen mit Neugierde die Bewegungen ihrer arbeitsharten Hände,
- welche den Hammer schwingen, während geflügelte Schwadronen von Fliegen
- von einem leichten Winde emporgetragen, kühn herbeifliegen, als wären
- sie die Herren des Hauses, und sich die Kurzsichtigkeit der Frau und das
- Sonnenlicht, das ihr Auge blendet, zu nutze machend, die süßen
- Leckerbissen hier vereinzelt, dort in dichten Haufen umschwirren.
- Gesättigt vom reichen Sommer, der ohnehin auf Schritt und Tritt leckere
- Gaben austeilt, kamen sie herbeigeflogen, nicht etwa um zu naschen,
- sondern bloß um sich zu zeigen, auf dem Zuckerhaufen herumzuspazieren,
- eine an der anderen ihre Vorder- oder Hinterfüßchen zu wetzen und sie an
- den Flügelchen zu reiben oder endlich, die beiden Vorderpfötchen
- vorstreckend, sich das Köpfchen zu krauen und mit einer kühnen Wendung
- davonzufliegen, um bald in neuen, zudringlichen Schwärmen
- wiederzukehren. Tschitschikow fand kaum Zeit, sich umzusehen, als der
- Gouverneur ihn schon am Arme faßte und der Gouverneurin vorstellte. Auch
- bei dieser Gelegenheit vergab sich der Reisende nichts: er sagte der
- Dame ein Kompliment, wie es sich für einen Mann in mittleren Jahren
- schickt, dessen Rang und Titel weder sehr hoch noch sehr niedrig sind.
- Als die tanzenden Paare Aufstellung nahmen und alle Zuschauer an die
- Wand drückten, stand er, die Hände auf dem Rücken gekreuzt, da, und
- betrachtete die Tänzer einige Minuten lang sehr aufmerksam. Viele von
- den Damen waren sehr gut gekleidet und trugen moderne Toiletten, andre
- dagegen hatten an, was Gottes Vorsehung in eine Provinzstadt gelangen
- läßt. Die Herren zerfielen hier wie überall in zwei Kategorien: die
- einen waren sehr dünn und hager und drehten sich beständig um die Damen
- herum; unter diesen gab es einige, die man nicht leicht von Petersburger
- Herren hätte unterscheiden können; sie hatten ebenso sorgfältig
- gepflegte Backenbärte, und ihre Barttracht war ebenso wohl überlegt und
- geschmackvoll, oder sie hatten einfach hübsche, glattrasierte Ovale,
- nahmen ebenso ungezwungen neben den Damen Platz, sprachen ebensogut
- französisch und brachten die Damen genau so zum Lachen wie in
- Petersburg. Die andere Kategorie von Herren bildeten die dicken, oder
- die, welche Tschitschikow glichen, also weder sehr dick waren, ohne doch
- wiederum zu dünn zu sein. Diese waren ganz anders in ihrem Auftreten,
- sie sahen weg, gingen den Damen aus dem Wege und schauten immer aus, ob
- nicht der Kammerdiener des Gouverneurs irgendwo einen grünen Tisch für
- das Whistspiel aufgestellt habe. Ihre Gesichter waren rund und
- wohlgenährt, einzelne hatten sogar eine Warze oder Pockennarben; sie
- trugen ihr Kopfhaar weder in Form von Büscheln, noch Locken, noch >_a la
- Diable m'emporte_< (Hol mich der Teufel), wie die Franzosen es nennen.
- Das Haar war entweder kurz geschoren oder glatt ins Gesicht gekämmt, wie
- geleckt, und ihre Gesichtszüge waren rund und kräftig. Das waren die
- geachteten Würdenträger der Stadt. Ach ja! Die Dicken verstehen es
- besser, auf dieser Welt Geschäfte zu machen als die Dünnen. Die Dünnen
- sind meist Beamte für besondere Aufträge oder werden bloß in den Listen
- geführt und treiben sich müßig herum; ihre Existenz hat etwas gar zu
- Leichtes, Luftiges und ist ganz unsicher. Die Dicken besetzen dagegen
- nie einen Platz, der abseits vom geraden Wege liegt, sie nehmen immer
- die bedeutenden Stellungen ein, und wenn sie sich einmal hinsetzen, so
- sitzen sie fest und sicher, sodaß eher der Sitz unter ihnen kracht oder
- sich biegt, als daß sie herunterfallen. Jeder äußere Glanz ist ihnen
- verhaßt, der Frack sitzt ihnen freilich nicht so gut, wie den Dünnen,
- dafür sind ihre Schatullen voll, und es ruht der Segen Gottes auf ihnen.
- Der Dünne hat schon nach drei Jahren keine Seele mehr, die nicht
- verpfändet ist, der Dicke aber lebt ganz ruhig, und siehe da --
- plötzlich steht irgendwo am Ende der Stadt ein Haus da, das er sich auf
- den Namen der Frau erworben hat, dann am andern Ende ein zweites, ferner
- ein kleines Gut in der Nähe des Städtchens und ein Stück Land mit allem
- Zubehör. Und schließlich quittiert der Dicke, nachdem er Gott und dem
- Kaiser genug gedient und sich die allgemeine Achtung erworben hat,
- seinen Dienst, verläßt die Stadt und wird Landwirt, ein prächtiger
- russischer Landjunker, macht ein offenes Haus und lebt ruhig und
- herrlich und in Freuden. Seine dünnen Erben aber bringen wiederum nach
- guter russischer Sitte den ganzen väterlichen Besitz im Eilposttempo
- durch. Es läßt sich nicht verheimlichen, daß unseren Tschitschikow
- ähnliche Betrachtungen beschäftigten, während er sich die Gesellschaft
- näher ansah, und die Folge hiervon war, daß er sich schließlich zu den
- Dicken gesellte, wo er beinahe lauter bekannte Gesichter vorfand: da war
- der Staatsanwalt, ein Herr mit buschigen, schwarzen Augenbrauen, der ein
- wenig mit dem linken Augenlid zuckte, wie wenn er sagen wollte: »kommen
- Sie doch ins Nebenzimmer, ich möchte Ihnen etwas erzählen« -- übrigens
- ein ernster und schweigsamer Mann. Da war der Postmeister, ein kleines
- Männchen, aber ein Witzbold und Philosoph; ferner der Gerichtspräsident,
- ein sehr verständiger und liebenswürdiger Herr -- sie alle begrüßten ihn
- wie einen alten Bekannten, worauf Tschitschikow sich ein wenig linkisch,
- aber doch nicht ohne Grazie verbeugte. Hier machte er auch die
- Bekanntschaft eines sehr höflichen und freundlichen Herrn, eines
- Gutsbesitzers, namens Manilow, und eines etwas plump aussehenden Herrn
- Sabakewitsch, der ihm sofort auf den Fuß trat und »Bitte um
- Entschuldigung« dazu sagte. Zugleich reichte man ihm eine Spielkarte,
- als Aufforderung zu einer Partie Whist, die er mit der gleichen
- höflichen Verbeugung annahm. Man setzte sich an den grünen Tisch, und
- blieb bis zum Abendessen sitzen, ohne sich zu erheben. Die Unterhaltung
- hörte sogleich auf, wie das immer zu sein pflegt, wenn man nun endlich
- an eine ernste Beschäftigung geht. Und obwohl der Postmeister sehr
- redselig war, so erhielt doch auch _sein_ Gesicht einen nachdenklichen
- Ausdruck, er bedeckte seine Oberlippe mit der unteren und verharrte
- während des ganzen Spiels in dieser Stellung. Wenn er eine Figur
- ausspielte, dann schlug er mit der Hand kräftig auf den Tisch. War es
- eine Dame, dann fügte er hinzu: »Raus, alte Popin!« War es dagegen ein
- König, so rief er: »Raus mit dem Tambower Bauern!« Der Präsident aber
- antwortete: »Dem geb ich's auf den Schnauzbart! Dem geb ich's auf den
- Schnauzbart!« Zuweilen entschlüpften ihnen Ausdrücke, wie die folgenden,
- während sie mit den Karten auf den Tisch schlugen: »Ach was: Was nicht
- is, is nicht, in solchen Fällen spielt man Schellen!« oder einfache
- Ausrufe wie: »Herzen! Herzchen! Pikentia!« oder »Piekchen, Piekchen,
- Pickelchen!« oder einfach »Pikkolo«. Lauter Namen, mit denen sie in
- ihrer Gesellschaft die Farben zu bezeichnen pflegten. Nach Beendigung
- eines jeden Spieles wurde, wie das so zu geschehen pflegt, laut
- gestritten. Unser neu angekommener Gast beteiligte sich auch am Streit,
- aber er wußte das so geschickt zu machen, daß alle zwar sahen, daß er
- auch mitstritt, doch aber immer liebenswürdig blieb. Er sagte niemals:
- »Sie spielten ...« sondern stets: »Sie hatten die Güte ... zu spielen«
- oder: »ich habe mir erlaubt, Ihre Zwei zu stechen« u. s. w. Um seine
- Gegner noch mehr zu gewinnen, reichte er ihnen jedesmal seine
- emaillierte Tabaksdose, auf deren Grunde zwei Veilchen zu sehen waren,
- die er des Wohlgeruchs wegen hineingetan hatte. Am meisten
- interessierten unseren Reisenden die beiden Gutsbesitzer Manilow und
- Sabakewitsch, von denen schon oben die Rede war. Er erkundigte sich
- sogleich nach ihnen beim Präsidenten und beim Postmeister, die er
- hierbei ein wenig beiseite nahm. Die wenigen Fragen, die er ihnen
- vorlegte, ließen erkennen, daß der neue Gast nicht nur sehr wißbegierig,
- sondern auch sehr gründlich war, denn er suchte vor allem in Erfahrung
- zu bringen, wieviel Bauern ein jeder von ihnen besäße, und in welcher
- Verfassung sich ihre Güter befänden; erst hierauf fragte er auch nach
- ihren Vor- und Zunamen. In ganz kurzer Zeit wußte er sie alle zu
- bezaubern. Der Gutsbesitzer Manilow, ein Mann in den besten Jahren, mit
- Augen süß, wie Zucker, die er beim Lachen stets zusammenkniff, war ganz
- begeistert von ihm. Er drückte ihm lange die Hand und bat ihn inständig,
- ihm doch die Ehre eines Besuchs bei ihm auf dem Lande zu machen, und er
- fügte hinzu, sein Gut wäre nur fünfzehn Werst vom Stadttor entfernt,
- worauf Tschitschikow mit höflichem Kopfnicken und warmem aufrichtigem
- Händedruck erwiderte, er werde dieser freundlichen Aufforderung nicht
- nur mit dem größten Vergnügen nachkommen, sondern halte es sogar für
- seine heiligste Pflicht. Sabakewitsch aber sagte lakonisch: »Ich bitte
- gleichfalls darum,« dabei machte er eine kleine Verbeugung und zog den
- Fuß ein wenig an, der in einem Stiefel von so gewaltigen Dimensionen
- steckte, daß man wohl vergeblich nach einem zweiten Fuß suchen würde,
- der zu diesem Stiefel gepaßt hätte, besonders zu unserer Zeit, wo die
- Recken und Ritter in Rußland im Aussterben begriffen sind.
- Am folgenden Tag war Tschitschikow zum Mittagessen und zu einer
- Abendgesellschaft beim Polizeimeister geladen. Um drei Uhr, nach dem
- Mittagessen setzte man sich an den Tisch zum Whistspielen und spielte
- bis zwei Uhr nachts durch. Dort machte Tschitschikow unter anderm auch
- die Bekanntschaft eines Gutsbesitzers namens Nosdrjow, eines sehr
- gewandten Herrn von dreißig Jahren, der ihn nach drei bis vier Worten zu
- duzen begann. Den Polizeimeister und den Staatsanwalt duzte Nosdrjow
- gleichfalls und behandelte sie höchst familiär; aber als man sich
- hinsetzte und um einen hohen Einsatz zu spielen anfing, gaben der
- Polizeimeister und der Staatsanwalt sehr genau auf die Stiche acht, die
- er machte, und ließen keine Karte aus den Augen, die er ausspielte. Den
- nächsten Abend war Tschitschikow beim Gerichtspräsidenten, der seine
- Gäste, darunter zwei Damen, in einem etwas fettigen Schlafrock empfing.
- Dann besuchte er eine Soirée beim Vizegouverneur, ein großes Diner beim
- Branntweinpächter und ein _kleines_ Diner beim Staatsanwalt, das sich
- übrigens neben dem großen wohl sehen lassen konnte; und endlich noch ein
- Dejeuner nach der Messe, welches vom Stadthaupt veranstaltet wurde und
- gleichfalls ein Mittagessen aufwog. Mit einem Wort, er war kaum eine
- Stunde zu Hause und kam nur in den Gasthof, um zu schlafen. Der Reisende
- verstand es dabei, sich in jede Situation zu finden und zeigte sich
- überall als erfahrener Weltmann. Worauf auch die Rede kam, er wußte
- immer ein passendes Wort einzuflechten; sprach man von Pferdezucht, so
- wußte auch er etwas über die Pferdezucht zu sagen; sprach man von den
- Vorzügen der Hunde, so machte er auch hierbei ein paar feine
- Bemerkungen; unterhielt man sich über eine Untersuchung, die vom
- Gerichtshof angestellt wurde, -- so ließ er merken, daß ihm auch die
- gerichtlichen Kniffe nicht ganz unbekannt seien; war die Rede vom
- Billardspiel -- so gab er sich auch beim Billardspiel keine Blöße; kam
- das Gespräch auf die Tugend -- so konnte er auch sehr schön, und sogar
- mit Tränen im Auge von der Tugend reden; oder kam man auf die
- Branntweindestillation zu sprechen, auch über Branntweindestillation
- wußte er Bescheid -- oder auf die Zollwächter und Zollbeamten -- er
- sprach auch über diese, als ob er selbst Zollbeamter oder Zollwächter
- gewesen wäre. Das Merkwürdigste dabei war, daß er bei alledem eine
- gewisse Würde und Gesetztheit bewahrte, und immer ein feines und
- vornehmes Betragen zeigte. Er sprach weder zu laut noch zu leise,
- sondern ganz so, wie es sich schickt. Mit einem Wort: von welcher Seite
- man ihn auch betrachten mochte, er war durchaus ein Ehrenmann vom
- Scheitel bis zur Sohle. Alle Beamten waren hoch erfreut über die Ankunft
- dieser neuen Erscheinung. Der Gouverneur erklärte ihn für einen
- wohlgesinnten Mann -- der Staatsanwalt für einen tüchtigen Mann -- der
- Gendarmerieoberst für einen gelehrten -- der Gerichtspräsident für einen
- hochgebildeten und ehrenwerten -- der Polizeimeister für einen
- ehrenwerten und liebenswürdigen Mann und die Frau des Polizeimeisters
- für einen _sehr_ liebenswürdigen und galanten Mann. Ja selbst
- Sabakewitsch, der selten gut über seine Mitmenschen redete, sprach, als
- er spät abends aus der Stadt zurückkehrte, während er sich entkleidete
- und zu seiner mageren Frau ins Bett stieg: »Schatz, ich war heute abend
- beim Gouverneur und beim Polizeimeister zu Mittag, wo ich die
- Bekanntschaft des Kollegienrates Pawel Iwanowitsch Tschitschikow gemacht
- habe: ein äußerst angenehmer Herr!« Worauf seine Gemahlin »Hm« machte
- und ihm einen leichten Fußtritt gab.
- Diese für unseren Gast so schmeichelhafte Meinung bildete und erhielt
- sich so lange in der Stadt, bis eine seltsame Eigentümlichkeit des
- Reisenden sowie eine Unternehmung oder eine Passage, wie man sich in der
- Provinz auszudrücken pflegt, von der der Leser in Kürze Näheres erfahren
- soll, nahezu die ganze Stadt aufs höchste in Staunen und Zweifel
- versetzten.
- Zweites Kapitel
- Schon mehr als eine Woche lebte der Fremde in der Stadt, indem er
- beständig die Diners und Abendgesellschaften besuchte und so, wie man zu
- sagen pflegt, seine Zeit auf recht angenehme Weise verbrachte. Endlich
- entschloß er sich, seine Besuche auch über die Stadtgrenze auszudehnen
- und den beiden Gutsbesitzern, Manilow und Sabakewitsch, seinem
- Versprechen gemäß seine Aufwartung zu machen. Mag sein, daß ihn hierzu
- noch ein anderer triftigerer Grund veranlaßte, eine ernstere
- Angelegenheit, die ihm noch mehr am Herzen lag ... Doch von alledem wird
- der Leser schon nach und nach und an der richtigen Stelle etwas
- erfahren, vorausgesetzt, daß er die Geduld hat, diese lange Erzählung
- durchzulesen, die sich in ihrem weiteren Verlauf noch mehr ausdehnen und
- freier entfalten wird, je mehr sie sich dem Ende nähert, welches unser
- Werk krönen soll. Der Kutscher Seliphan empfing die Weisung, die Pferde
- in aller Frühe vor den uns schon bekannten Wagen zu spannen; Petruschka
- aber erhielt den Befehl, zu Hause zu bleiben und das Zimmer nebst dem
- Koffer zu bewachen. Es wird für den Leser nicht überflüssig sein, die
- Bekanntschaft dieser beiden Leibeigenen unseres Helden zu machen. Obwohl
- beide zwar nicht gerade bemerkenswerte und auffallende Persönlichkeiten,
- sondern wie man zu sagen pflegt, Leute zweiten oder sogar dritten Ranges
- sind, und obgleich die bedeutendsten Vorgänge und die Federn dieser
- Dichtung eben nicht auf ihnen ruhen, und sie höchstens einmal berühren
- oder leichthin streifen; -- der Verfasser liebt es nun einmal so sehr,
- in allen Dingen möglichst gründlich und ausführlich zu sein, und so
- möchte er auch hier, trotzdem er selbst ein sehr guter Russe ist, genau
- und peinlich verfahren, wie ein Deutscher. Auch wird es gar nicht viel
- Zeit und Raum in Anspruch nehmen, weil nicht mehr viel zu dem
- hinzuzufügen bleibt, was der Leser schon weiß, wie z. B. dies, daß
- Petruschka einen etwas weiten braunen Rock trug, der einmal seinem Herrn
- gehört hatte, und daß er wie alle Leute seines Schlages eine große Nase
- und dicke Lippen hatte. Er neigte eher zur Schweigsamkeit als zur
- Geschwätzigkeit und war sogar von einem hohen Trieb zur Bildung d. h.
- zur Lektüre beseelt, worin er sich nicht irre machen ließ, auch wenn er
- den Inhalt der Bücher nicht verstehen konnte: es war ihm vollkommen
- gleichgültig, was er las, ob es nun »Die Abenteuer eines verliebten
- Ritters,« eine einfache Fibel oder ein Gebetbuch war, -- er las alles
- mit der gleichen Aufmerksamkeit; hätte man ihm ein chemisches Lehrbuch
- in die Hand gegeben, -- er hätte auch dieses nicht verschmäht. Ihn
- freute nicht das, _was_ er las, sondern das Lesen selbst, oder richtiger
- der Prozeß des Lesens, daß sich nämlich aus den Buchstaben stets irgend
- ein Wort bildete, dessen Bedeutung freilich mitunter nur der Teufel
- selbst enträtseln mochte. Diese Lektüre wurde gewöhnlich im Vorzimmer in
- liegender Stellung, auf dem Bett oder auf der Matratze vorgenommen, die
- infolge dieses Umstandes ganz zusammengedrückt und dünn wie ein
- Pfannkuchen war. Außer der Lesewut hatte er noch zwei Gewohnheiten, die
- zwei weitere Charakterzüge seiner Person bildeten: er liebte es zu
- schlafen, ohne sich auszukleiden, so wie er ging und stand, in dem
- bekannten Rock, und ferner schleppte er immer eine eigene Atmosphäre,
- jenen ihm eigentümlichen Geruch mit sich, der ein wenig an den Duft
- eines Wohnzimmers erinnerte, so daß er nur irgendwo sein Bett
- aufzustellen und seinen Mantel und seine Habseligkeiten mitzubringen
- brauchte, um sofort den Eindruck zu erwecken, daß dieses Zimmer seit
- zehn Jahren von Menschen bewohnt werde, selbst wenn bislang noch niemand
- darin gewohnt hatte. Tschitschikow, ein sehr empfindlicher Herr, der
- leicht Ekel empfand, rümpfte gewöhnlich die Nase, wenn er morgens
- gleichsam auf nüchternen Magen mit dem ersten Atemzuge diese Luft
- einzog, schüttelte den Kopf und murmelte: »Hol' dich der Teufel, Kerl!
- Du schwitzt wohl? Geh doch einmal ins Bad!« Worauf Petruschka gar nichts
- erwiderte und sich nur mit etwas zu schaffen machte; er nahm wohl die
- Bürste, um den an der Wand hängenden Frack seines Herrn auszubürsten,
- oder er begann einfach die Stube aufzuräumen. Woran dachte er wohl,
- während er still schwieg? Vielleicht sagte er zu sich selbst: »Du bist
- mir auch der Rechte! Bist du's noch immer nicht satt, vierzigmal ein und
- dasselbe zu wiederholen ...« Gott mag es wissen, es ist schwer zu
- erraten, was ein leibeigener Bedienter sich denkt, wenn sein Herr ihm
- gute Lehren gibt. Das ist etwa alles, was sich zunächst über Petruschka
- sagen läßt. Der Kutscher Seliphan war ein ganz anderer Mensch ... Aber
- der Autor hat schwere Bedenken, seine Leser so lange mit Leuten der
- unteren Klasse zu unterhalten, da er aus Erfahrung weiß, wie ungern sie
- die Bekanntschaft der niederen Stände machen. So ist nun einmal der
- Russe: nach nichts verlangt ihn mehr, als die Bekanntschaft von Leuten
- zu machen, ja mit ihnen familiär zu werden, die auch nur um _einen_ Rang
- höher stehen als er, und der Gruß eines Grafen oder Fürsten gilt ihm
- mehr als die herzlichste Freundschaft. Der Autor macht sich sogar einige
- Sorgen, weil sein Held nur Kollegienrat ist. Ein Hofrat wird sich noch
- allenfalls dazu herablassen, ihn kennen zu lernen, aber die, welche
- bereits den Rang eines Generals erreicht haben -- werden am Ende gar,
- was Gott verhüte, einen jener verächtlichen Blicke auf ihn werfen, wie
- sie der Mensch stolz auf alles wirft, was ihm zu Füßen einherkreucht,
- oder werden was noch schlimmer wäre, mit einer Nichtachtung an ihm
- vorbeigehen, die für den Autor tödlich wäre. Doch so betrübend beides
- auch sein mag, wir müssen dennoch zu unserem Helden zurückkehren.
- Nachdem er also noch am Abend sämtliche notwendigen Anordnungen
- getroffen hatte, erwachte er in aller Frühe, wusch sich, rieb sich vom
- Kopf bis zu den Füßen mit einem nassen Schwamm ab, was er nur des
- Sonntags zu tun pflegte -- doch traf es sich gerade so, daß der Tag ein
- Sonntag war --, dann rasierte er sich, bis seine Wangen an Glanz und
- Glätte dem Atlas gleichkamen, zog den bekannten gesprenkelten
- preißelbeerfarbenen Frack und darüber einen mit Bärenfell gefütterten
- Pelzmantel an und ging die Treppe hinunter, wobei ihn der Kellner unter
- dem Arm faßte und bald auf der einen, bald auf der anderen Seite
- unterstützte. Er bestieg den Wagen, welcher rasselnd durch das Tor des
- Gasthofes auf die Straße hinaus rollte. Ein vorübergehender Pope lüftete
- seinen Hut und grüßte; ein paar Straßenjungen in schmutzigen Hemden
- streckten ihre Hand aus und murmelten: »Lieber Herr, eine Gabe für uns
- arme Waisen!« Als der Kutscher bemerkte, daß der eine nicht übel Lust
- hatte, auf den Wagentritt zu springen, langte er ihm eins mit der
- Peitsche und der Wagen polterte weiter über die Steine. Man war nicht
- wenig erfreut, als man in der Ferne einen gestreiften Schlagbaum
- erblickte, der anzeigte, daß die Qualen des holperigen Pflasters und
- noch manche andere bald überstanden seien. Und nachdem Tschitschikow
- noch ein paarmal gegen den Kutschbock geflogen war, rollte der Wagen
- jetzt auf ziemlich weichem Boden fort. Kaum lag die Stadt hinter ihnen,
- da bot sich ihnen die bekannte Aussicht mit ihren Geschmacklosigkeiten
- und Langweiligkeiten zu beiden Seiten der Landstraße: kleine mit Moos
- bewachsene Erdhügel, junger Tannenwald, junge, niedrige und dünne
- Fichtenstämme, angekohlte Baumstämme, wildes Heidekraut und ähnliches
- Zeug. Hie und da begegnete man schnurgerade angelegten Dörfern, deren
- Häuser in ihrer Bauart an alte Holzklaftern erinnerten. Die Hütten waren
- mit grauen Dächern gedeckt und mit hölzernem Schnitzwerk verziert, das
- die Form eines gestärkten Handtuches hatte und vom Dache herabhing. Ein
- paar Bauern saßen wie gewöhnlich in Schafpelzen auf den Bänken vor der
- Tür. Die Bäuerinnen mit dicken Gesichtern und eingeschnürten Brüsten
- sahen aus den oberen Fenstern heraus. Durch das untere Fenster guckte
- ein Kalb oder steckte ein Schwein seine blinde Schnauze hervor. Mit
- einem Wort: das bekannte Bild. Nachdem sie fünfzehn Werst zurückgelegt
- hatten, erinnerte sich Tschitschikow, daß nach Manilows Beschreibung
- sein Gut nicht mehr fern sein könne; aber auch der sechzehnte
- Streckenpfosten flog vorüber, ohne daß etwas von dem Gute zu entdecken
- gewesen wäre. Und wenn sie nicht zufällig zwei Bauern begegnet wären,
- wäre es ihnen sicher nicht geglückt, das Gut zu erreichen. Auf die
- Frage, ob das Dorf Samanilowka noch weit sei, nahmen die Bauern die
- Mützen ab, und der eine von ihnen, der etwas klüger zu sein schien und
- einen Spitzbart trug, antwortete: »Vielleicht meinen Sie Manilowka und
- nicht Samanilowka?« --
- »Nun ja, Manilowka« --
- »Manilowka! Wenn du noch eine Werst fährst, dann bist du da, d. h. dann
- liegt es gerade rechts.« --
- »Rechts?« sagte der Kutscher.
- »Rechts,« sagte der Bauer. »Das ist der Weg nach Manilowka. Ein
- Samanilowka gibt es überhaupt nicht. Es heißt so, d. h. sein Name ist
- Manilowka. Ein Samanilowka aber existiert hier nicht. Da gerad auf dem
- Berge wirst du ein steinernes, zweistöckiges Haus erblicken. Das ist das
- Herrenhaus. Da wohnt nämlich der Herr selbst. Und das ist Manilowka. Ein
- Samanilowka gibt es hier garnicht und hat es hier nicht gegeben.«
- Man machte sich also auf, Manilowka zu suchen. Nachdem sie noch zwei
- Werst gefahren waren, kamen sie an einem Feldweg vorüber. Dann fuhren
- sie noch zwei, drei oder sogar vier Werst; aber das zweistöckige,
- steinerne Haus war noch immer nicht zu sehen. Hier erinnerte sich
- Tschitschikow, daß, wenn uns ein Freund auf ein Landgut einlädt, das
- fünfzehn Werst entfernt ist, die Entfernung dann sicherlich dreißig
- Werst beträgt. Die Lage des Dorfes Manilowka hatte gewiß wenig
- Verlockendes. Das Herrenhaus stand einsam auf einer Anhöhe und war jedem
- Winde ausgesetzt, dem es einfiel, zu blasen. Der Abhang des Berges, auf
- dem es stand, war mit schön geschorenem Rasen bedeckt. Hie und da
- standen Bosquets nach englischer Manier aus Flieder und gelben Akazien.
- Fünf bis sechs Birken streckten stellenweise in kleinen Gruppen ihre
- dünnbelaubten, schmächtigen Wipfel empor. Unter zweien von ihnen befand
- sich eine Laube mit einer flachen grünen Kuppel auf blauen, hölzernen
- Säulen, welche die Inschrift trug: »Tempel einsamer Betrachtungen«;
- etwas weiter unten lag ein Teich ganz im Grünen, was übrigens in den
- englischen Gärten der russischen Gutsbesitzer keine Seltenheit ist. Am
- Fuße dieser Anhöhe und teilweise auch längs des Abhanges schimmerten
- überall kleine Blockhäuser, welche unser Held aus irgend einem Grunde
- sofort zu zählen begann und deren er mehr als zweihundert zählte. Sie
- standen ganz nackt da, nirgends erblickte man ein Bäumchen oder etwas
- frisches Grün. Nichts wie die kahlen Balken starrten einen an. Die
- Landschaft wurde durch zwei Bauersfrauen belebt, welche mit malerisch
- aufgesteckten und aufgepolsterten Kleidern bis an die Knie im Teich
- wateten und an zwei Stöcken ein zerrissenes Netz hinter sich her
- schleiften, in dem sich zwei Krebse und eine silbern schimmernde Forelle
- gefangen hatten. Die Weiber schienen sich veruneinigt zu haben und
- traktierten einander mit Schimpfworten. Etwas abseits in der Ferne
- schimmerte ein Fichtenwald in melancholischem Blau. Auch das Wetter
- entsprach ganz der Stimmung, der Tag war weder klar noch trübe, sondern
- zeigte eine Art hellgraue Färbung, wie man sie nur an den alten
- Uniformen unserer Garnisonssoldaten bemerken kann, dieses zwar recht
- friedlichen, aber besonders an Sonntagen recht unmäßigen Truppenteils.
- Zur Vervollständigung des Bildes fehlte es nicht an einem Hahn, der die
- Rolle eines Wetterpropheten spielte und jeden Witterungsumschlag
- vorausverkündigte. Und obwohl sein Kopf von den Schnäbeln anderer Hähne
- wegen gewisser Liebeshändel vollkommen bis auf die Hirnschale zerhackt
- war, krähte er noch immer aus vollem Halse und schlug sogar noch mit den
- Flügeln, die zerfetzt und zerzupft waren, wie ein Paar alte zertretene
- Matten. Als Tschitschikow sich dem Tore näherte, bemerkte er den
- Hausherrn, der in einem grünen Rock von Wolle auf der Freitreppe stand
- und die Hände wie einen Schirm über die Augen hielt, um den
- heranrollenden Wagen besser betrachten zu können. In dem Maße, als der
- Wagen sich dem Hause näherte, wurden seine Augen munterer und
- verbreitete sich ein Lächeln über sein Gesicht.
- »Pawel Iwanowitsch!« rief er schließlich aus, während Tschitschikow aus
- dem Wagen stieg. »Endlich haben Sie sich doch an uns erinnert!«
- Die beiden Freunde küßten sich sehr herzlich, und Manilow führte seinen
- Freund ins Zimmer. Obwohl die Zeit, während der sie den Flur, das
- Vorzimmer und den Speisesaal durchschreiten, nur sehr kurz ist, wollen
- wir doch zusehen, ob es uns nicht gelingt, sie uns zunutze zu machen, um
- ein paar Worte über den Hausherrn zu sagen. Hier aber muß der Autor
- leider gestehen, daß ein solches Unternehmen seine großen
- Schwierigkeiten hat. Es ist weit leichter einen Charakter von einer
- gewissen Größe zu schildern. Da braucht man die Farben nur so mit der
- Hand auf die Leinewand zu werfen -- schwarze flammende Augen, dicke
- buschige Augenbrauen, die große Stirnfalte, der schwarze oder feuerrote
- Mantel kühn über die Schulter geworfen -- und das Porträt ist fertig;
- aber all diese Herrschaften, deren es so viele auf der Welt gibt, die
- sich äußerlich so sehr ähnlich sehen, und doch bei näherem Studium
- und Anblick eine ganze Reihe äußerst feiner, kaum faßbarer
- Eigentümlichkeiten aufweisen -- diese Leute sind äußerst schwer zu
- porträtieren. Da muß man seine Aufmerksamkeit bis aufs Äußerste
- anspannen, ehe es einem gelingt, all die feinen, fast verschwindenden
- Züge hervortreten zu lassen, und es wird überhaupt nötig, den durch die
- Menschenkenntnis geschärften Blick bis tief auf den Grund der
- Menschenseele hinabzusenken.
- Nur Gott allein hätte vielleicht sagen können, was Manilow für einen
- Charakter hatte. Es gibt eine Gattung von Menschen, die man
- folgendermaßen zu bezeichnen pflegt: nicht Fisch, nicht Fleisch, nicht
- dies noch das, in der Stadt nicht Bogdan, noch auf dem Land Seliphan,
- wie das russische Sprichwort lautet. Vielleicht könnte man Manilow zu
- _ihnen_ zählen. Äußerlich machte er einen recht stattlichen Eindruck;
- seine Züge waren nicht unliebenswürdig, aber diese Liebenswürdigkeit war
- zu stark mit einer gewissen Süßigkeit versetzt; in seinem Betragen und
- Verhalten machte sich das Bestreben bemerkbar, Vertrauen und Zuneigung
- zu erwerben. Er lächelte einnehmend, war blond und hatte himmelblaue
- Augen. Wenn man sich mit ihm unterhielt, hätte ein jeder im ersten
- Augenblick ausgerufen: »Welch ein angenehmer und freundlicher Mensch!«
- Im darauffolgenden Augenblick sagt man nichts mehr, und noch einen
- Augenblick später denkt man sich: >Pfui Teufel!< und macht, daß man
- fortkommt; oder wenn man ihm nicht entfliehen kann, fühlt man eine
- geradezu tödliche Langeweile. Nie hörte man ein lebhaftes oder
- anmaßendes Wort von ihm, wie man es von jedem hören kann, wenn man einen
- Gegenstand berührt, der ihm am Herzen liegt. Jeder hat sein
- Steckenpferd: bei dem einen sind es die Windhunde; dem anderen kommt es
- so vor, als ob er ein großer Musikliebhaber sei, und die ganzen Tiefen
- dieser Kunst empfinde; ein dritter versteht sich auf ein feudales
- Mittagessen; ein vierter bemüht sich eine Rolle zu spielen, die um
- wenigstens einen Zoll höher, als die ihm vorgeschriebene ist; ein
- fünfter, dessen Ziele weniger hoch gesteckt sind, schläft und träumt
- davon, wie er bei einem Gartenfeste Seite an Seite mit einem
- Flügeladjutanten stolz vor allen Menschen, vor seinen Freunden und
- Bekannten, ja sogar vor denen die er nicht kennt, vorbeispaziert; ein
- sechster hat eine so kräftige Hand, daß ihm der unnatürliche Wunsch
- kommt, einem vornehmen Herrn oder auch irgend einer Null einen kleinen
- Hieb zu versetzen, während die Hand des Siebenten sich durchaus nicht
- enthalten kann, überall Ordnung zu stiften und sich an die Herrn
- Stationschefs oder die Postillons heranzumachen -- mit einem Wort, ein
- jeder hat etwas, was er sein Eigen nennt, nur Manilow hatte nichts
- derartiges. Zu Hause sprach er sehr wenig und dachte nur nach und
- philosophierte, worüber er aber nachdachte, das weiß wohl auch nur Gott
- allein. Man konnte auch nicht sagen, daß er sich mit der Landwirtschaft
- beschäftigte, denn er fuhr niemals aufs Feld; das ging alles wie von
- selbst, auch ohne ihn. Wenn der Verwalter zu ihm sagte: »Gnädiger Herr,
- es wäre doch gut, wenn wir es so und so machten,« dann antwortete er
- gewöhnlich »Ja, ja, gar nicht übel!« während er ruhig seine Pfeife
- weiter rauchte, eine Gewohnheit, die er noch zur Zeit seines Dienstes in
- der Armee angenommen hatte, wo er für einen der bescheidensten und
- höflichsten Offiziere gehalten wurde. »Ja, ja, durchaus nicht übel!«
- wiederholte er. Wenn ein Bauer zu ihm kam, sich hinterm Ohr kratzte und
- sprach: »Gnädiger Herr, darf ich auf einen Tag fortgehen, um mir das
- Geld für die Steuern zu verdienen,« dann sagte er: »Geh nur!« und fuhr
- fort, seine Pfeife zu rauchen, wobei es ihm gar nicht in den Kopf kam,
- daß der Bauer nur fortwollte, um sich zu betrinken. Zuweilen betrachtete
- er von der Flurtreppe aus seinen Hof und seinen Teich, dann verbreitete
- er sich wohl darüber, wie schön es doch wäre, wenn man vom Hause aus
- einen unterirdischen Gang anlegen oder eine steinerne Brücke über den
- Teich bauen könnte, zu dessen beiden Seiten Buden lägen, wo Kaufleute
- allerhand Waren, die die Bauern brauchten, feilböten. Hierbei hatten
- seine Augen etwas ungemein Süßes und sein Gesicht nahm einen äußerst
- zufriedenen Ausdruck an. Übrigens blieb es trotz aller Projekte stets
- nur bei den Worten. In seinem Arbeitszimmer lag immer ein Buch mit einem
- Lesezeichen auf Seite 14 aufgeschlagen, in diesem Buche las er
- beständig, schon seit zwei Jahren. Im Hause fehlte es immer an etwas; im
- Salon standen prachtvolle Möbel, die mit eleganten Seidenstoffen bezogen
- und sicherlich nichts weniger als billig waren; aber der Stoff hatte
- wohl für die letzten zwei Lehnstühle nicht gereicht, denn sie standen
- noch immer so da, bloß mit Sackleinwand überspannt; übrigens warnte der
- Hausherr seine Gäste schon seit vielen Jahren jedesmal davor, sich auf
- einen der Stühle niederzulassen und sagte: »Setzen Sie sich nicht auf
- diese Stühle, sie sind noch nicht fertig.« In einzelnen Zimmern standen
- überhaupt keine Möbel, obwohl Manilow zwei Tage nach der Hochzeit zu
- seiner Frau gesagt hatte: »Herz, wir müssen morgen dafür sorgen, daß wir
- uns wenigstens für die erste Zeit Möbel kommen lassen.« Abends wurde ein
- höchst eleganter Armleuchter aus dunkler Bronze, mit drei antiken
- Grazien und einem reizenden Perlmutterschirm auf den Tisch gestellt,
- neben ihm aber stand irgend ein gewöhnlicher kupferner, hinkender,
- verbogener, und ganz mit Talg bedeckter Invalide, und weder der Hausherr
- noch die Hausfrau, noch die Diener schienen etwas davon zu bemerken.
- Seine Frau ..., doch sie waren ja vollkommen mit einander zufrieden.
- Trotzdem sie schon mehr als acht Jahre miteinander verheiratet waren,
- schenkten sie sich noch immer Apfelscheibchen, Bonbons oder Nüsse und
- sprachen mit einer rührend zärtlichen Stimme, welche von inniger Liebe
- zeugte: »Mach doch dein Mündchen auf, Herzchen, ich will dir dies
- Stückchen hineinstecken.« Es versteht sich von selbst, daß sich das
- Mündchen in solchen Fällen äußerst graziös öffnete. Zum Geburtstag
- bereitete man sich allerhand Überraschungen -- man schenkte sich z. B.
- ein Perlenfutteral für die Zahnbürste usw. Und es geschah gar nicht
- selten, daß, während sie beide auf dem Sofa saßen, ohne besonderen Grund
- _er_ seine Pfeife und sie ihre Arbeit sinken ließ, die sie bis dahin in
- der Hand hatten, um sich einen langen schmachtenden Kuß auf die Lippen
- zu drücken, währenddessen man eine kleine Strohhalmzigarre hätte
- ausrauchen können. Mit einem Worte, sie waren das, was man glücklich
- nennt. Man könnte freilich einwenden, es gäbe im Hause noch manches
- andre zu tun, als sich lange Küsse zu geben und Überraschungen zu
- bereiten, man könnte überhaupt noch vieles andre einwenden. Warum wurden
- z. B. die Speisen so schlecht und so töricht zubereitet? Warum waren die
- Vorratskammern so leer? Warum stahl die Haushälterin? Warum waren die
- Diener immer so unsauber und betrunken? Warum schliefen die Knechte
- beständig oder lungerten müßig herum? Aber dies alles sind gemeine
- Dinge, und Frau Manilow war eine Dame von guter Erziehung. Wie bekannt
- wird die gute Erziehung in Pensionaten erworben, und in diesen
- Pensionaten gibt es, wie jedermann weiß, drei Gegenstände, die die
- Grundlage aller menschlichen Tugend ausmachen: die französische Sprache,
- deren man für das häusliche Glück der Familie bedarf: das Klavierspiel,
- das dazu dient, dem Gatten ein Paar angenehme Stunden zu bereiten, und
- schließlich der eigentlich wirtschaftliche Teil: das Häkeln von
- Geldbeuteln und ähnlichen Überraschungen. Übrigens gibt es mancherlei
- Verbesserungen und Vervollkommnungen in den Methoden, besonders in
- neuerer Zeit: es hängt eben alles von der Verständigkeit und der
- Fähigkeit der Pensionsvorsteherin ab. In gewissen Pensionaten ist es so,
- daß zuerst das Klavier, dann die französische Sprache und erst zuletzt
- der wirtschaftliche Teil kommt. Mitunter aber ist es auch gerade
- umgekehrt: erst kommt der wirtschaftliche Teil: das Häkeln von kleinen
- Geschenken usw., dann erst die französische Sprache und endlich das
- Klavierspiel. Die Methoden sind eben verschieden. Doch hier wäre es am
- Platze, noch die Bemerkung zu machen, daß Frau Manilow .... allein, ich
- muß gestehen, daß ich mich ein wenig fürchte, über die Damen zu reden,
- und außerdem ist es längst Zeit, daß ich zu unseren Helden zurückkehre,
- die schon seit einigen Minuten vor der Türe des Salons stehen und sich
- gegenseitig bitten, doch voranzugehen.
- »Bitte machen Sie sich doch meinetwegen keine Umstände, bitte nach
- Ihnen,« sagte Tschitschikow.
- »Nein, bitte, Pawel Iwanowitsch, Sie sind mein Gast,« antwortete Manilow
- und zeigte mit der Hand auf die Tür.
- »Aber ich bitte, bemühen Sie sich doch nicht, nein, bitte bemühen Sie
- sich nicht; bitte gehen Sie doch voran,« sagte Tschitschikow.
- »Nein, ich bitte um Entschuldigung, ich kann es nicht zugeben, daß mein
- Gast, ein so liebenswürdiger und feingebildeter Herr, nach mir
- eintrete.«
- »Warum denn feingebildet? Bitte gehen Sie voran!«
- »Nein, seien Sie doch so freundlich und treten Sie ein.«
- »Warum denn nur?«
- »Nun, so!« sagte Manilow mit einem freundlichen Lächeln. Endlich
- zwängten sich beide Freunde seitwärts durch die Tür, wobei einer den
- andern leicht zusammendrückte.
- »Erlauben Sie, daß ich Ihnen meine Frau vorstelle,« sagte Manilow.
- »Herzchen! Dies ist Pawel Iwanowitsch.«
- Tschitschikow erblickte jetzt eine Dame, die er gar nicht bemerkt hatte,
- während er und Manilow sich in das Zimmer hineinkomplimentierten. Sie
- war ziemlich hübsch und trug ein Kleid, das ihr gut zu Gesichte stand.
- Sie hatte einen hellen Kapott von Seidenstoff an, der ihr sehr gut saß;
- die kleine schmale Hand ließ schnell etwas auf den Tisch fallen und
- preßte ein Battisttaschentuch mit gestickten Ecken zusammen. Dabei erhob
- sie sich vom Sofa, auf dem sie gesessen hatte. Tschitschikow küßte ihr
- nicht ohne ein gewisses Vergnügen die Hand. Frau Manilow sagte mit ihrer
- etwas gaumigen Aussprache zu ihm, er habe ihnen eine große Freude mit
- seinem Besuch bereitet, und es verginge kein Tag, daß ihr Mann sich
- seiner nicht erinnere.
- »Ja!« murmelte Manilow, »meine Frau hat mich oft gefragt: >Warum kommt
- denn dein Freund nicht?< Ich aber antwortete: >Warte nur, er wird schon
- kommen!< Und nun haben Sie uns endlich doch noch mit Ihrem Besuche
- beehrt. Sie haben uns wirklich einen großen Genuß bereitet -- es ist wie
- ein Maitag, wie ein Fest des Herzens.« ...
- Als Tschitschikow vernahm, daß schon von Festen des Herzens die Rede
- war, wurde er ein wenig verlegen und versetzte, er sei weder ein Mann
- von berühmtem Namen, noch besitze er einen hohen Rang und Titel.
- »Sie besitzen alles,« unterbrach ihn Manilow mit demselben einnehmenden
- Lächeln, »Sie besitzen alles und sogar noch mehr!«
- »Wie haben Sie unsere Stadt gefunden?« fragte jetzt Frau Manilow. »Haben
- Sie Ihre Zeit angenehm verbracht?«
- »Eine vortreffliche Stadt, eine herrliche Stadt!« versetzte
- Tschitschikow, »ich habe dort wunderschöne Stunden verlebt; die
- Gesellschaft ist äußerst liebenswürdig und zuvorkommend!«
- »Und wie hat Ihnen unser Gouverneur gefallen?« fragte Frau Manilow
- weiter.
- »Nicht wahr? ein äußerst ehrenwerter und liebenswürdiger Mann?« fügte
- Manilow hinzu.
- »Sehr richtig,« sagte Tschitschikow, »ein höchst ehrenwerter Mann! Und
- wie vortrefflich er seine Stellung ausfüllt, welches Verständnis er für
- sie hat! Es wäre zu wünschen, wir hätten mehr solche Menschen!«
- »Wie er es versteht, einen jeden zu behandeln, und in all seinen
- Handlungen den richtigen Takt zu wahren,« fuhr Manilow lächelnd fort,
- und dabei kniff er vor Vergnügen die Augen zusammen wie ein Kater, den
- man sanft hinter den Ohren krabbelt.
- »Ein ungemein liebenswürdiger und höflicher Mann!« sagte Tschitschikow,
- »und welch ein Künstler! Ich hätte mir gar nicht vorstellen können, daß
- er so reizende Stickereien und Handarbeiten machen kann. Er hat mir eine
- Börse gezeigt, die er selbst verfertigt hat; man findet selten Damen,
- die so schön sticken.«
- »Und der Vizegouverneur? Ein reizender Mensch! nicht wahr?« bemerkte
- Manilow und kniff die Augen wieder zusammen.
- »Eine äußerst würdige und hochachtbare Persönlichkeit!« versetzte
- Tschitschikow.
- »Erlauben Sie mir noch eine Frage: Wie hat Ihnen der Polizeimeister
- gefallen? Auch ein sehr liebenswürdiger Herr? Nicht wahr?«
- »Oh, ein äußerst liebenswürdiger Herr! Und wie klug und belesen er ist!
- Ich habe zusammen mit dem Staatsanwalt und dem Gerichtspräsidenten bis
- zum frühen Morgen Whist bei ihm gespielt. Ein ganz ungemein würdiger
- Herr!«
- »Und wie denken Sie von der Gattin des Polizeimeisters?« fragte hier
- Frau Manilow. »Finden Sie nicht auch, daß es eine äußerst liebenswürdige
- Dame ist?«
- »Oh, das ist eine der würdigsten und achtbarsten Damen, die ich kennen
- gelernt habe!« erwiderte Tschitschikow.
- Auch der Gerichtspräsident und der Postmeister wurden nicht vergessen;
- so nahm man allmählich wohl sämtliche Beamten der Stadt durch, und es
- zeigte sich, daß es lauter höchst ehrenwerte Männer waren.
- »Leben Sie immer auf dem Lande?« fragte endlich Tschitschikow.
- »Den größten Teil des Jahres!« antwortete Manilow. »Wir fahren auch wohl
- hin und wieder in die Stadt, um mit gebildeten Menschen zusammen zu
- sein. Man verwildert ja ganz, wissen Sie, wenn man sich gänzlich vor der
- Welt verschließt.«
- »Sehr wahr, sehr richtig!« versetzte Tschitschikow.
- »Es wäre ja natürlich etwas andres,« fuhr Manilow fort, »wenn man
- angenehme Nachbarn, wenn man z. B. einen Menschen hätte, mit dem man
- sich sozusagen aussprechen, über die guten Manieren und feinen
- Umgangsformen unterhalten, irgend eine Wissenschaft treiben könnte, --
- wissen Sie, so was fürs Herz, was einen über sich selbst hinaushebt ...«
- Er wollte noch etwas hinzufügen, da er aber merkte, daß er sich ein
- wenig vergaloppiert hatte, fuhr er nur mit der Hand durch die Luft und
- sagte: »Dann hätten natürlich das Land und die Einsamkeit viele
- Annehmlichkeiten. Aber ich habe tatsächlich niemanden. Höchstens liest
- man einmal den »Sohn des Vaterlandes«.
- Tschitschikow war vollkommen damit einverstanden und fügte hinzu, es
- könne in der Tat gar nichts Schöneres geben, als ganz für sich allein zu
- leben, den herrlichen Anblick der Natur zu genießen und nur hin und
- wieder ein Buch zu lesen ...
- »Aber wissen Sie,« versetzte Manilow, »wenn man keinen Freund hat, dem
- man sich mitteilen kann ...«
- »Oh ja, das ist richtig, das ist ganz richtig!« unterbrach ihn
- Tschitschikow, »was könnten uns denn alle Schätze der Welt helfen?
- >_Gute Freunde sind besser als alle Reichtümer der Erde_< hat einmal ein
- weiser Mann gesagt.«
- »Und wissen Sie, Pawel Iwanowitsch,« sagte Manilow und machte dabei ein
- freundliches oder vielmehr unangenehm süßliches Gesicht, gleich einer
- Mixtur, die der allzu gewandte Arzt in der Absicht, dem Patienten einen
- besonderen Gefallen zu erweisen, mit garzuviel Syrup versetzt hat, »dann
- spürt man einen ganz besonderen, sozusagen -- geistigen Genuß ... Wie
- zum Beispiel gleich heute, wo mir der Zufall das Glück, ich möchte
- sagen, das seltene, ungetrübte Glück verschaffte, mich mit Ihnen
- unterhalten und Ihre angenehme Gesellschaft genießen zu können ...«
- »Nein, ich muß doch bitten, was für eine angenehme Gesellschaft? ... Ich
- bin nur ein unbedeutender Mensch und sonst nichts,« erwiderte
- Tschitschikow.
- »Ach, Pawel Iwanowitsch! Lassen Sie mich ganz aufrichtig sein! Ich würde
- mit Freuden die Hälfte meines Vermögens hingeben, um nur einen Teil
- Ihrer großen Vorzüge zu besitzen!«
- »Im Gegenteil, ich hätte vielmehr allen Anlaß, mich zu freuen ...«
- Es läßt sich kaum sagen, wie dieser gegenseitige Gefühlserguß der beiden
- Freunde geendigt hätte, wenn nicht der Diener eingetreten wäre, um zu
- melden, das Essen sei aufgetragen.
- »Darf ich bitten,« sagte Manilow.
- »Sie werden entschuldigen, wenn wir Ihnen nicht mit einem Mittagessen
- aufwarten können, wie Sie es wohl in den Hauptstädten und in vornehmen
- Häusern gewohnt sind: bei uns ist's nur einfach, nach russischer Sitte,
- nichts wie Kohlsuppe, aber es kommt von Herzen. Bitte seien Sie so
- freundlich.«
- Hierauf stritten sie sich noch eine Weile herum, wer zuerst eintreten
- solle, bis sich Tschitschikow endlich dazu entschloß und sich seitwärts
- durch die Tür drückte.
- Im Speisezimmer warteten zwei Knaben, Manilows Söhne; sie befanden sich
- in dem Alter, wo man die Kinder schon am Tische mitessen, aber sie noch
- auf hohen Stühlen sitzen läßt. Neben ihnen stand der Hauslehrer, der
- sich höflich lächelnd verbeugte. Die Hausfrau setzte sich vor die
- Suppenterrine; der Gast mußte zwischen dem Hausherrn und der Hausfrau
- Platz nehmen, der Diener band den Kindern die Servietten vor.
- »Was für reizende Knaben!« sagte Tschitschikow mit einem Blick auf die
- Kinder. »Wie alt sind sie?«
- »Der ältere ist sieben Jahre, der jüngere ist gestern sechs Jahre alt
- geworden,« erklärte Frau Manilow.
- »Themistokljus!« sagte Manilow und wandte sich an den älteren, der sein
- Kinn unter der Serviette hervorzuziehen suchte, die ihm der Diener
- vorgebunden hatte. Tschitschikow zog die Augenbrauen leicht in die Höhe,
- als er diesen halbgriechischen Namen hörte, dem Manilow aus einem
- unbekannten Grunde die Endung _jus_ gegeben hatte; aber er beeilte sich,
- seinem Gesicht sofort wieder den gewohnten Ausdruck zu verleihen.
- »Themistokljus, sage mir doch, welches ist die schönste Stadt in
- Frankreich?«
- Jetzt richtete der Lehrer seine ganze Aufmerksamkeit auf Themistokljus,
- als wolle er ihm in die Augen springen, aber schließlich beruhigte er
- sich wieder und nickte nur mit dem Kopf, als Themistokljus antwortete:
- »Paris.«
- »Und welches ist bei uns die schönste Stadt?« fragte Manilow wieder.
- Wieder heftete der Lehrer den Blick auf den Knaben.
- »Petersburg!« antwortete Themistokljus.
- »Und weiter?«
- »Moskau,« sagte Themistokljus.
- »Ein kluger Knabe! Brav, mein Junge!« sagte Tschitschikow. »Sagen sie
- bloß ...,« fuhr er fort, indem er sich mit dem Ausdruck höchsten
- Erstaunens an Manilow wandte. »So jung und schon ein solches Wissen. Ich
- muß Ihnen gestehen, dieses Kind hat außerordentliche Fähigkeiten!«
- »Oh, Sie kennen ihn noch nicht!« erwiderte Manilow, »er ist ungemein
- scharfsinnig. Bei dem Jüngeren, Alcid, geht es nicht so schnell, dieser
- dagegen ... wenn der irgend etwas bemerkt, einen Käfer oder ein
- Würmchen, da blitzen seine Augen nur so, gleich läuft er hin und merkt
- sich's. Ich will ihn die diplomatische Karriere ergreifen lassen.
- Themistokljus!« fuhr er fort, indem er sich wieder an den Knaben wandte,
- »willst du Gesandter werden?«
- »Ja« antwortete Themistokljus, während er an seinem Brot kaute und mit
- dem Kopfe hin und her wackelte.
- Jetzt aber wischte der hinter dem Stuhl stehende Diener dem Gesandten
- die Nase ab, und das war nötig, sonst wäre ihm ein großer, recht
- überflüssiger Tropfen in die Suppe gefallen. Das Gespräch wandte sich
- jetzt den Genüssen des stillen und zurückgezogenen Landlebens zu und
- wurde nur durch einige Bemerkungen der Hausfrau über das Stadttheater
- und die Schauspieler unterbrochen. Der Lehrer beobachtete die
- Sprechenden mit gespannter Aufmerksamkeit, und sowie er bemerkte, daß
- sie ihre Gesichter zu einem Lächeln verzogen, machte er seinen Mund weit
- auf und lachte krampfhaft. Wahrscheinlich hatte er ein dankbares Gemüt
- und wollte sich dem Hausherrn auf diese Weise für die gute Behandlung
- erkenntlich zeigen. Nur einmal machte er eine ernste Miene und klopfte
- streng auf den Tisch, wobei er seinen Blick auf die ihm
- gegenübersitzenden Kinder richtete. Und das hatte seinen guten Grund,
- denn Themistokljus hatte den Alcid ins Ohr gebissen, welcher die Augen
- zusammenkniff, den Mund weit öffnete und in ein klägliches Geschrei
- ausbrechen wollte; da er aber wohl ahnte, daß er dadurch um die süße
- Speise kommen würde, brachte er den Mund wieder in seine frühere
- Stellung und begann an seiner Hammelkeule zu nagen, während ihm die
- Tränen über die Wangen liefen, die nur so vom Fette glänzten.
- Die Hausfrau wandte sich mehrmals mit folgenden Worten an Tschitschikow:
- »Sie essen ja gar nichts, Sie haben sich aber so wenig genommen,« worauf
- Tschitschikow regelmäßig versetzte: »Ich danke bestens, ich bin satt.
- Eine angenehme Unterhaltung schmeckt besser als der schönste
- Leckerbissen.« Dann stand man vom Tische auf. Manilow war äußerst
- zufrieden und wollte seinen Gast eben in den Salon geleiten, indem er
- ihm die Hand auf den Rücken legte und ihn sanft unterstützte, als
- Tschitschikow plötzlich mit höchst bedeutungsvoller Miene erklärte, er
- müsse ihn in einer sehr wichtigen Angelegenheit sprechen.
- »Dann möchte ich Sie bitten, mir in mein Zimmer zu folgen,« versetzte
- Manilow und führte den Gast in ein kleines Gemach, dessen Fenster auf
- den bläulich schimmernden Wald hinausging. »Dies ist mein kleiner
- Winkel,« sagte Manilow.
- »Ein freundliches Stübchen,« sprach Tschitschikow und ließ seinen Blick
- durch das Zimmer schweifen. Dieses hatte in der Tat mancherlei
- Annehmlichkeiten: die Wände waren mit einer undefinierbaren Farbe, halb
- blau, halb grau angestrichen; das Ameublement bestand aus vier Stühlen,
- einem Lehnstuhl und dem Tisch, auf dem man das Buch mit dem eingelegten
- Lesezeichen, das wir schon bei Gelegenheit erwähnt haben, ein paar
- vollgeschriebene Bogen Papier und vor allem sehr viel Tabak erblickte.
- Der Tabak war in mancherlei Gestalt vertreten: in Form von Paketen, als
- Inhalt der Tabaksdose, oder er lag einfach in Häufchen auf dem Tische
- herum. Auf beiden Fensterbänken sah man auch ein paar Häuflein
- Pfeifenasche, die sorgfältig in hübschen und regelmäßigen Abständen
- angeordnet waren. Man hatte den Eindruck, daß diese Beschäftigung dem
- Hausherrn mitunter zum Zeitvertreib diente.
- »Darf ich Sie bitten, in diesem Lehnstuhl Platz zu nehmen,« sagte
- Manilow. »Hier sitzen Sie bequemer.«
- »Erlauben Sie mir, auf dem Stuhl Platz zu nehmen!«
- »Erlauben Sie mir, Ihnen das nicht zu erlauben!« sagte Manilow lächelnd.
- »Dieser Lehnstuhl ist nun einmal für den Gast bestimmt. Ob Sie nun
- wollen oder nicht -- Sie müssen drin Platz nehmen!«
- Tschitschikow setzte sich.
- »Gestatten Sie, daß ich Ihnen eine Pfeife anbiete!«
- »Nein danke, ich rauche nicht!« sagte Tschitschikow freundlich und wie
- bedauernd.
- »Warum nicht?« fragte Manilow ebenfalls freundlich und mit dem Tone des
- Bedauerns.
- »Ich bin es nicht gewöhnt und fürchte mich, es mir anzugewöhnen; man
- sagt, das Rauchen sei schlecht für die Gesundheit!«
- »Erlauben Sie mir, zu bemerken, daß dies ein Vorurteil ist. Ich bin
- sogar der Ansicht, daß das Pfeifenrauchen weit gesünder ist als das
- Tabakschnupfen. Wir hatten einen Leutnant in unserem Regiment, einen
- herrlichen, außerordentlich gebildeten Menschen, der legte die Pfeife
- nie aus dem Munde, und nicht nur bei Tisch, sondern mit Respekt zu
- sagen, auch nicht an anderen Orten. Und heute ist er bereits vierzig
- Jahre alt und Gott sei dank so gesund, wie nur möglich.«
- Tschitschikow wandte ein, daß dies in der Tat vorkomme; überhaupt gäbe
- es viele Dinge in der Natur, die auch ein großer Geist nicht begreifen
- könne.
- »Aber erlauben Sie mir, Ihnen zuvor eine Bitte vorzutragen ...« fuhr er
- mit einer Stimme fort, in der ein seltsamer, oder doch beinahe seltsamer
- Ausdruck lag, und dabei sah er sich aus irgend einem Grunde um. Auch
- Manilow sah sich um, ohne daß man hätte sagen können weshalb. »Wie lange
- ist es her, daß Sie die Revisionsliste zum letztenmal einreichten?«
- »Ja, das ist schon sehr lange her, oder um die Wahrheit zu sagen, ich
- erinnere mich nicht mehr.«
- »Sind Ihnen seitdem viele Bauern gestorben?«
- »Das weiß ich leider nicht; darnach muß man den Verwalter fragen.
- Hollah! Bursch! Ruf doch den Verwalter, er muß heute hier sein.«
- Bald darauf erschien der Verwalter. Das war ein Mann von etwa vierzig
- Jahren; er hatte ein glattrasiertes Kinn und einen Gehrock an, offenbar
- führte er ein sehr ruhiges Leben, denn sein Gesicht war rundlich und
- wohlgenährt, die gelbe Hautfarbe und die kleinen Äuglein waren ein
- Beweis dafür, daß er mit weichen Daunendecken und Plumeaus aufs beste
- vertraut war. Man sah sofort, daß er seine Laufbahn vollendet hatte,
- gleich allen Leibeigenen, die die Güter ihrer Herrn verwalten; erst war
- er ein gewöhnlicher Junge gewesen, der im Hause seines Herrn
- aufgewachsen und Lesen und Schreiben gelernt hatte; dann hatte er irgend
- eine Agaschka, die Wirtschafterin war und bei der Hausfrau in besonderer
- Gunst stand, geheiratet, und war dann selbst Hausmeister und endlich
- Verwalter geworden. In seinem neuen Amt als Verwalter benahm er sich
- natürlich genau so wie alle Verwalter: er verkehrte und befreundete sich
- mit den reicheren Leuten im Dorf, legte den Ärmeren noch neue Lasten
- auf, stand morgens früh gegen neun Uhr auf, wartete auf seine
- Teemaschine und trank Tee.
- »Hör mal, mein Lieber! Wieviel Bauern sind bei uns gestorben, seit wir
- die Revisionsliste zum letztenmal eingereicht haben?«
- »Wie meinen Sie das. Wie viele? Seitdem sind viele gestorben,« sagte der
- Verwalter, rülpste und hielt sich die Hand wie ein Schild vor den Mund.
- »Ja, ja, das habe ich mir auch gedacht,« nahm jetzt Manilow das Wort,
- »es sind sehr viele gestorben!« Hierbei wandte er sich an Tschitschikow,
- indem er noch hinzufügte: »Wirklich sehr viele!«
- »Und wieviel werden es ungefähr sein?« fragte Tschitschikow.
- »Ja, wie viele ungefähr?« fiel Manilow ein.
- »Ja, wie soll ich sagen -- wie viele ungefähr. Das weiß man ja nicht,
- wie viele gestorben sind. Niemand hat sie gezählt.«
- »Natürlich,« sagte Manilow, indem er sich an Tschitschikow wandte, »das
- dachte ich mir gleich, die Sterblichkeit war sehr groß; wir wissen gar
- nicht, wie viele gestorben sind.«
- »Bitte, zähle sie doch einmal,« sagte Tschitschikow, »und stelle mir ein
- ausführliches Verzeichnis aller Namen auf.«
- »Jawohl, aller Namen!« sagte Manilow.
- Der Verwalter sagte: »Zu Befehl!« und entfernte sich.
- »Und aus welchem Grunde interessieren Sie sich dafür?« fragte Manilow,
- nachdem der Verwalter fortgegangen war.
- Diese Frage schien dem Gast einige Verlegenheit zu bereiten: in dem
- Ausdruck seines Gesichtes machte sich eine gewisse Anstrengung
- bemerkbar, die ihn sogar ein wenig erröten ließ -- die Anstrengung, die
- man macht, wenn man etwas aussprechen will, und die Worte wollen sich
- nicht fügen. Und in der Tat, was Manilow endlich zu hören bekam, waren
- so seltsame und unerhörte Dinge, wie sie noch nie ein menschliches Ohr
- vernommen hat.
- »Sie fragen mich: aus welchem Grunde? Der Grund ist folgender: ich hätte
- Lust, die Bauern zu kaufen,« sagte Tschitschikow, fing an zu stottern,
- und schloß seine Rede.
- »Und darf ich mir die Frage erlauben,« sagte Manilow, »wie wollen Sie
- die Bauern kaufen, mit dem Lande, oder um sie mitzunehmen, d. h. also
- ohne Land?«
- »Nein, ich will eigentlich keine Bauern,« sagte Tschitschikow, »ich
- möchte tote ... haben.«
- »Wie? Verzeihen Sie ..., ich höre ein wenig schlecht, mir schien, ich
- hätte ein ganz seltsames Wort gehört ...«
- »Ich möchte die toten Bauern kaufen, die aber nach der letzten Revision
- noch als lebendig eingetragen sind,« erklärte Tschitschikow.
- Manilow ließ die Pfeife auf den Boden fallen, machte den Mund weit auf
- und saß ein paar Minuten lang mit offenem Munde da. Die beiden Freunde,
- die noch soeben von den Annehmlichkeiten der Freundschaft gesprochen
- hatten, blieben unbeweglich sitzen und starrten sich gegenseitig an wie
- zwei Porträts, die man in der guten alten Zeit zu beiden Seiten des
- Spiegels aufzuhängen pflegte. Endlich hob Manilow die Pfeife auf und sah
- seinem Gast von unten ins Gesicht, wie um zu erforschen, ob nicht ein
- Lächeln um seine Lippen spiele, und ob er sich nicht bloß einen Spaß
- erlaubt hätte: aber er konnte nichts derartiges entdecken, im Gegenteil,
- das Gesicht erschien ihm noch ernster und würdevoller als gewöhnlich.
- Dann überlegte er ein wenig, ob der Gast nicht plötzlich verrückt
- geworden sei, und sah ihn aufmerksam und mit einigem Grauen an, aber
- seine Augen waren ganz klar, er konnte nichts von jenem wilden,
- unruhigen Feuer in ihnen entdecken, wie es im Auge des Wahnsinnigen
- flackert: alles war in Ordnung, ganz wie es sich gehört. Und so sehr
- Manilow auch darüber nachsann, was nun geschehen sollte und was hier zu
- tun sei, es wollte ihm nichts andres einfallen, als den Tabakrauch in
- feinen Strahlen auszublasen.
- »Ich möchte also wissen, ob Sie mir diese zwar tatsächlich toten, aber
- vom Standpunkt der gesetzlichen Form noch lebenden Seelen, überweisen
- oder abtreten wollen, wie es Ihnen am besten erscheint.«
- Aber Manilow war so verwirrt und verlegen, daß er ihn nur ansah, ohne
- ein Wort finden zu können.
- »Mir scheint, Sie können sich nicht dazu entschließen?« bemerkte
- Tschitschikow.
- »Ich ... oh nein, das ist es nicht,« sagte Manilow, »aber ich kann nicht
- verstehen ... entschuldigen Sie ... ich war natürlich nicht in der Lage,
- mir eine so glänzende Bildung anzueignen, von der gewissermaßen jede
- Ihrer Bewegungen Zeugnis ablegt; auch besitze ich nicht die hohe Gabe,
- mich so kunstvoll auszudrücken .... Vielleicht ... verbirgt sich hier
- ... hinter Ihrer Erklärung, die Sie soeben abgaben ... etwas andres ...
- Vielleicht war es nur eine stilistische Schönheit, um deretwillen Sie
- sich so auszudrücken beliebten?«
- »Oh nein!« fiel hier Tschitschikow lebhaft ein, »nein, ich nehme den
- Gegenstand ganz buchstäblich, ganz so wie er ist, d. h. ich meine die
- Seelen, die tatsächlich schon gestorben sind.«
- Manilow kam ganz aus der Fassung. Er fühlte, daß hier etwas geschehen,
- daß er ihm irgend eine Frage stellen müsse, und doch konnte nur der
- Teufel wissen, was das für eine Frage war. Der einzige Ausweg, den er
- schließlich fand, bestand wiederum darin, daß er eine Wolke Tabakrauch
- ausblies, diesmal aber nicht durch den Mund, sondern durch die
- Nasenlöcher.
- »Wenn die Sache also keine Schwierigkeiten hat, so können wir mit Gottes
- Hilfe gleich an die Aufstellung des Kaufvertrages gehen,« sagte
- Tschitschikow.
- »Wie? Ein Kaufvertrag über tote Seelen?«
- »Nein! Das nicht!« antwortete Tschitschikow. »Wir sagen natürlich, sie
- seien lebendig, wie es ja in der Tat in den Revisionslisten steht. Ich
- pflege nie von den bürgerlichen Gesetzen abzuweichen; und obwohl ich
- schon oft im Dienste darunter zu leiden hatte, ich kann nun mal nicht
- anders; die Pflicht ist mir heilig, und das Gesetz ... vor dem Gesetz
- muß ich verstummen.«
- Die letzten Worte erregten Manilows Beifall, obgleich er den
- eigentlichen Sinn der Sache noch immer nicht erfassen konnte; statt zu
- antworten, nahm er ein paar so heftige Züge aus seiner Pfeife, daß diese
- zu tönen begann wie ein Fagott. Es war fast so, als ob er sich aus der
- Pfeife eine Ansicht über diesen geradezu unerhörten Fall herausholen
- wollte; die Pfeife aber gab nur heisere Töne von sich und sonst nichts.
- »Vielleicht haben Sie noch irgend einen Zweifel?«
- »Nicht doch! Nicht im geringsten! Sie dürfen nicht etwa glauben, ich
- hätte ein ... gewissermaßen kritisches Vorurteil in bezug auf Ihre
- Persönlichkeit. Aber darf ich mir die Frage gestatten: wird dieses
- Unternehmen ... oder um mich sozusagen deutlicher auszudrücken ... dies
- Geschäft ... wird dieses Geschäft nicht am Ende im Widerspruch mit den
- bürgerlichen Satzungen und den weiteren Perspektiven Rußlands stehen?«
- Bei diesen Worten machte Manilow eine lebhafte Kopfbewegung und sah
- Tschitschikow mit bedeutungsvoller Miene gerade ins Gesicht; hierbei lag
- in all seinen Zügen und besonders in den zusammengepreßten Lippen ein so
- ernster Ausdruck, wie man ihn wohl noch nie an einem Menschenantlitz
- beobachtet hat, es sei denn bei einem ganz ungewöhnlich klugen Minister,
- und auch bei dem nur, während er über ein ganz besonders schwieriges
- Problem nachsann.
- Aber Tschitschikow erklärte einfach, ein solches Unternehmen oder
- Geschäft könne den bürgerlichen Satzungen und den weiteren Perspektiven
- Rußlands durchaus nicht zuwiderlaufen, und fügte nach einem Augenblick
- noch hinzu, es würde dabei sogar noch etwas für den Fiskus abfallen, da
- der Staat ja seine gesetzlichen Gebühren erhalte.
- »So meinen Sie also ...?«
- »Ich glaube, es geht sehr gut!«
- »Nun, wenn es gut geht, ist es freilich eine andre Sache. Dann habe ich
- nichts dagegen,« sagte Manilow völlig beruhigt.
- »Jetzt müssen wir uns noch über den Preis einigen ...«
- »Wie? über den Preis?« sagte Manilow wieder ein wenig verblüfft. »Sie
- glauben doch nicht, daß ich Geld für Seelen nehmen werde, die doch
- gewissermaßen ... ihr Dasein vollendet haben? Aber selbst wenn Sie eine,
- ich möchte sagen, so phantastische Laune anwandelte, dann würde ich für
- meinen Teil sie Ihnen ohne jede Vergütung überlassen und auch den
- Kaufvertrag auf mich nehmen.«
- Der Geschichtsschreiber, der über die hier mitgeteilten Begebenheiten
- berichtet, verdiente sicherlich den schärfsten Tadel, wenn er an dieser
- Stelle zu erwähnen unterließe, daß unser Gast von einer hohen Freude
- erfüllt wurde, als er Manilow solche Worte aussprechen hörte. So gesetzt
- und besonnen er auch war, er hätte am liebsten einen Luftsprung gemacht,
- wie ein Ziegenbock, was, wie bekannt, nur im Ausbruche höchster Freude
- geschieht. Er drehte sich so heftig im Lehnstuhl um, daß der wollene
- Stoff, mit dem der Sitz überzogen war, platzte; auch Manilow wurde
- aufmerksam und betrachtete ihn mit einigem Erstaunen. In seiner
- überquellenden Dankbarkeit _überschüttete_ ihn der Gast förmlich mit
- Worten der Anerkennung, bis jener ganz verlegen wurde, errötete, eine
- abwehrende Bewegung mit dem Kopfe machte und endlich erklärte, das sei
- ja ein reines Nichts, er habe ihm eigentlich nur einen Beweis für seine
- herzliche Zuneigung und den magnetischen Zug seiner Seele geben wollen,
- und tote Seelen -- das sei doch sozusagen eine Bagatelle -- die reinste
- Lumperei.
- »Durchaus keine Lumperei,« sagte Tschitschikow und drückte ihm die Hand.
- Hierbei stieß er einen sehr tiefen Seufzer aus. Wie es scheint, hatte er
- große Lust, sein Herz auszuschütten; und nicht ohne Ausdruck und Gefühl
- sprach er zuletzt folgende Worte: »Oh! wenn Sie wüßten, was Sie einem
- Menschen ohne Namen und Titel mit diesem Geschenk, das anscheinend nur
- eine Kleinigkeit ist, für einen Dienst erwiesen haben. Wahrlich! Was
- habe ich nicht alles gelitten! Wie ein einsamer Kahn inmitten wütender
- Wogen ... Was für Verfolgungen hatte ich nicht zu erdulden! Welcher
- Schmerz blieb mir erspart! Und weswegen? Weil ich der Wahrheit treu
- blieb, mein Gewissen rein bewahrte, weil ich meine Hand den hilflosen
- Witwen und armen Waisen entgegenstreckte!« Und hierbei wischte er sich
- sogar eine Träne aus dem Auge.
- Manilow war ganz gerührt. Beide Freunde drückten sich fortwährend die
- Hand und sahen sich lange stumm in die Augen, in denen schöne Tränen
- blinkten. Manilow wollte die Hand unseres Helden durchaus nicht aus der
- seinen lassen und fuhr fort, sie so herzlich zu drücken, daß jener kaum
- noch wußte, wie er sie befreien solle. Nachdem er sie endlich sanft
- zurückgezogen hatte, sagte er, es wäre gut, wenn man den Kaufkontrakt
- gleich aufsetzen könnte und wenn Manilow selbst in der Stadt die nötigen
- Erkundigungen einziehen wollte; dann nahm er seinen Hut und
- verabschiedete sich.
- »Wie? Sie wollen schon fahren?« fragte Manilow, der wie aus einem Traum
- erwachte und beinahe erschrocken war.
- In diesem Augenblick trat Frau Manilow ins Zimmer.
- »Lisanka!« sagte Manilow mit etwas kläglicher Miene, »Pawel Iwanowitsch
- will uns verlassen!«
- »Pawel Iwanowitsch ist unser wohl überdrüssig,« versetzte Frau Manilow.
- »Gnädige Frau!« sagte Tschitschikow, »hier, sehen Sie hier« -- und dabei
- legte er seine Hand aufs Herz -- »Ja hier werde ich mir die Erinnerung
- an die schönen Stunden bewahren, die ich mit Ihnen verlebt habe! Und
- glauben Sie mir, ich kann mir keine größere Seligkeit vorstellen, als
- mit Ihnen, wenn auch nicht in einem Hause, so doch wenigstens in
- nächster Nachbarschaft zu leben!«
- »Wissen Sie was, Pawel Iwanowitsch!« sagte Manilow, dem dieser Gedanke
- offenbar sehr gefiel, »es wäre doch wirklich herrlich, wenn wir so
- zusammen unter einem Dach leben, im Schatten einer Ulme miteinander
- philosophieren und uns gemeinsam in die Dinge vertiefen könnten ...«
- »Oh, das wäre himmlisch!« sagte Tschitschikow mit einem Seufzer. »Leben
- Sie wohl, gnädige Frau!« fuhr er fort, indem er Frau Manilow die Hand
- küßte. »Leben Sie wohl, verehrter Freund! und vergessen Sie meine Bitte
- nicht!«
- »Oh, seien Sie ganz ruhig!« erwiderte Manilow, »wir trennen uns doch
- nicht auf länger als zwei Tage!«
- Sie betraten das Speisezimmer.
- »Adieu, meine lieben Kleinen!« sagte Tschitschikow, als er Alcid und
- Themistokljus erblickte, die mit einem hölzernen Husaren spielten, der
- übrigens weder Hände noch Nase mehr hatte. »Lebt wohl, liebe Kinder.
- Verzeiht, daß ich euch nichts zum Naschen mitgebracht habe, aber ich muß
- gestehen, ich wußte ja gar nicht, daß ihr auf der Welt seid. Aber wenn
- ich das nächstemal wiederkomme, bringe ich euch sicher etwas mit. Dir
- bringe ich einen Säbel. Willst du einen Säbel haben? Wie?«
- »Ja!« antwortete Themistokljus.
- »Und dir bringe ich eine Trommel mit. Nicht wahr, du möchtest doch eine
- Trommel haben?« fuhr Tschitschikow fort, indem er sich über Alcid
- beugte.
- »Ja, eine Prommel,« sagte Alcid leise, indem er den Kopf senkte.
- »Schön also, ich will dir eine Trommel kaufen. -- Weißt du eine feine
- Trommel. Die wird immer Trrr .... ru ... tra, ta, ta, tra, ta, ta
- machen. Leb wohl, Herzchen! Adieu!« Er küßte ihn auf den Kopf und wandte
- sich mit jenem Lächeln an Manilow und seine Frau, mit dem man sich an
- alle Eltern zu wenden pflegt, wenn man ihnen zu verstehen geben will,
- wie unschuldig doch die Wünsche ihrer Kinder sind.
- »Ach bleiben Sie doch noch ein wenig, Pawel Iwanowitsch!« sagte Manilow,
- als schon alle auf die Freitreppe hinausgetreten waren. »Sehen Sie doch,
- was dort für Wolken heraufziehen!«
- »Das sind nur kleine Wölkchen,« meinte Tschitschikow.
- »Kennen Sie aber auch den Weg zu Sabakewitsch?«
- »Danach wollte ich Sie gerade fragen.«
- »Erlauben Sie, ich will ihn Ihrem Kutscher erklären!« Und Manilow machte
- dem Kutscher die Sache in der liebenswürdigsten Weise klar, und sagte
- sogar einmal _Sie_ zu ihm.
- Als der Kutscher hörte, daß er zwei Wegkreuzungen abseits liegen lassen
- und erst bei der dritten einbiegen müsse, sagte er: »Wir werden's schon
- finden,« und Tschitschikow fuhr davon, begleitet von den Abschiedsgrüßen
- der Gatten, die noch lange auf den Fußspitzen standen und ihre
- Taschentücher schwenkten.
- Manilow blieb noch lange auf der Treppe stehen und folgte dem
- davonrollenden Wagen mit den Augen, und als dieser schon längst nicht
- mehr zu sehen war, stand er noch immer mit der Pfeife im Munde da.
- Endlich ging er wieder ins Haus zurück, ließ sich auf einem Stuhl nieder
- und versank in Sinnen, von Herzen froh, daß er seinem Gast eine kleine
- Freude bereitet hatte. Dann schweiften seine Gedanken, ohne daß er es
- merkte, zu anderen Gegenständen hinüber, um endlich, Gott weiß wo, zu
- landen. Er dachte an die Seligkeiten der Freundschaft, wie schön es doch
- wäre, mit dem Freunde am Ufer eines Flusses zu leben, dann baute er in
- Gedanken eine Brücke über den Fluß und darauf ein Haus mit einem
- gewaltigen Pavillon, von dem aus man sogar Moskau sehen konnte, und er
- stellte sich vor, wie herrlich es sein müßte, dort abends im Freien
- seinen Tee zu trinken und sich über angenehme Gegenstände zu
- unterhalten; oder er malte es sich aus, wie er und Tschitschikow, in
- eleganten Equipagen zu einer Abendgesellschaft fahren und alle
- Anwesenden durch ihr feines Benehmen in Entzückung versetzen, und wie
- dann der Kaiser, der von der Freundschaft der beiden gehört hatte, sie
- zu Generälen ernennt, und so träumte er immer weiter; was nun noch alles
- folgte, weiß Gott allein, wußte er es doch selbst nicht mehr genau. Aber
- plötzlich drängte sich Tschitschikows seltsame Bitte jäh in seine
- Träumereien, und dieser Gedanke wollte ihm nicht recht in den Kopf: er
- mochte ihn drehen und wenden soviel er wollte, er konnte sich nicht klar
- über ihn werden. So saß er noch lange mit der Pfeife im Munde da, bis
- das Abendessen auf dem Tische stand.
- Drittes Kapitel
- Unterdessen saß Tschitschikow vergnügt in seinem Wagen, der schon seit
- einiger Zeit auf der Landstraße dahinrollte. Aus dem vorigen Kapitel
- konnten wir schon erfahren, was der eigentliche Gegenstand seiner
- Neigung und seines Geschmacks war, und es war daher auch kein Wunder,
- wenn er sich bald mit Leib und Seele in ihn versenkte. Die Vermutungen,
- Überschläge und Berechnungen, die er anstellte und die sich auf seinem
- Gesichte spiegelten, mußten höchst angenehmer Art sein, denn sie
- hinterließen in einem fort die Spuren eines vergnügten Lächelns auf
- seinen Zügen. Ganz mit seinen Gedanken beschäftigt, achtete er gar nicht
- darauf, was für treffende Worte sein Kutscher, der offenbar von dem
- Empfang durch die Bedienten und Knechte Manilows äußerst befriedigt war,
- an den Schecken, das rechte Beipferd richtete. Dieser Schecke war sehr
- schlau, und _tat_ bloß so, als ob er den Wagen auch vorwärts ziehe,
- während sich das mittlere braune und der Fuchs, das linke Beipferd, das
- den Namen Assessor trug, weil man es irgend einem Assessor abgekauft
- hatte, aus allen Kräften abquälten, das Gefährt weiter zu bringen, so
- daß man ihnen das Vergnügen, welches ihnen das bereitete, von den Augen
- ablesen konnte: »Brauch soviel Listen als du willst! Es hilft dir doch
- nichts! Ich will dich doch überlisten!« sagte Seliphan, indem er sich
- etwas erhob und dem Trägen einen Peitschenhieb versetzte. »Tu deine
- Pflicht, du deutscher .......! Der Braune ... das ist ein braves Pferd,
- der tut seine Schuldigkeit; darum gebe ich ihm auch gern ein Maß Hafer
- mehr, weil er ein braves Pferd ist. Und der Assessor -- der ist auch ein
- gutes Pferd ... Nun, was schüttelst du die Ohren? Dummkopf, paß auf,
- wenn man mir dir spricht! Ich werde dich schon nichts Schlechtes lehren,
- du Esel! Seh einer, wo der hin will!« Hierbei gab er ihm wieder eins mit
- der Peitsche und murmelte: »Uf! Barbar! Bonaparte, Verfluchter!« Dann
- rief er allen miteinander ein: »He! Ihr Lieben!« zu, und gab allen
- dreien eins mit der Peitsche, nicht etwa, um sie zu strafen, sondern zum
- Beweise, daß er mit ihnen zufrieden war. Nachdem er ihnen diese kleine
- Freude bereitet hatte, wandte er sich wieder an den Schecken: »Du
- glaubst, es wird dir gelingen, dein schlechtes Betragen zu verbergen.
- Nein, mein Lieber, tue recht, wenn du willst, daß man Achtung vor dir
- haben soll. Siehst du! Die Leute des Herrn, bei dem wir waren -- das
- sind gute Menschen! Mit einem guten Menschen plaudere ich immer gern,
- ein guter Mensch -- das ist mein Freund und lieber Kamerad; mit ihm
- setze ich mich gerne zu Tisch oder trinke mein Glas Tee mit ihm. Ein
- guter Mensch wird von jedermann geachtet! Unseren Herrn zum Beispiel --
- den achten alle Leute, hörst du wohl, weil er unserem Kaiser gut gedient
- hat und Skollegenrat ist ....«
- In dieser Weise ging es weiter, bis Seliphan bei den entferntesten und
- abstraktesten Materien angelangt war. Hätte Tschitschikow aufmerksam
- zugehört, er hätte noch manche Einzelheit erfahren, die auf seine Person
- Bezug hatte; aber seine Gedanken waren so sehr mit seinen eigenen
- Angelegenheiten beschäftigt, daß erst ein heftiger Donnerschlag ihn aus
- seinen Träumen weckte und ihn veranlaßte, sich ein wenig umzusehen; der
- ganze Himmel war mit Wolken bedeckt, und große Regentropfen trafen die
- staubige Chaussee. Ein zweiter noch stärkerer Donnerschlag folgte dem
- ersten aus noch größerer Nähe, und plötzlich prasselte der Regen in
- Strömen wie aus Gießkannen nieder. Zuerst fiel er in schräger Richtung
- herab und peitschte bald die eine Seite, bald die andere Seite des
- Kutschbocks, dann änderte er seine Angriffsmethode und rieselte
- senkrecht auf den Kutschbock nieder, bis die Tropfen Tschitschikow ins
- Gesicht spritzten. Er ließ also das lederne Wagendeck mit den zwei
- kleinen runden Fensterchen aufspannen, die eine freie Aussicht auf die
- Landschaft gestatteten und befahl Seliphan, schneller zu fahren.
- Seliphan, mitten in der Rede unterbrochen, sah wohl auch ein, daß jetzt
- nicht Zeit zum Säumen war, holte etwas wie einen Mantel aus grauem Stoff
- unter dem Bock hervor, steckte die Hände in die Ärmel, ergriff die Zügel
- und spornte die drei Gäule durch einen Zuruf an, welche unter dem
- Eindruck seiner erbaulichen Reden eine angenehme Schwäche in den Beinen
- spürten und sie kaum vom Flecke brachten. Aber Seliphan konnte sich
- absolut nicht erinnern, wieviel Wegekreuzungen sie bereits hinter sich
- hatten, ob es zwei oder drei waren. Nachdem er sich die Sache überlegt
- und über den Weg nachgedacht hatte, kam er zur Überzeugung, daß sie
- schon manchen Weg gekreuzt und links liegen gelassen hatten. Da aber ein
- Russe im entscheidenden Augenblick die Fassung nie verliert und, ohne
- lange nachzudenken, immer irgend einen Ausweg findet, so machte er bei
- dem nächsten Kreuzweg eine Wendung nach rechts, indem er den Pferden
- zurief: »Hüh! liebe Freunde!« und dann jagte er im Galopp dahin, ohne
- sich viel Gedanken darüber zu machen, wohin sie der eingeschlagene Weg
- führen werde.
- Der Regen schien indessen nicht bald aufhören zu wollen. Der Staub, der
- die Landstraße bedeckte, verwandelte sich schnell in weichen Dreck, es
- wurde den Pferden mit jedem Augenblick schwerer, den Wagen
- fortzubewegen. Tschitschikow geriet bereits in eine lebhafte Unruhe, da
- noch immer nichts von dem Gute Sabakewitschs zu sehen war. Seiner
- Berechnung nach hätten sie schon längst da sein müssen. Er blickte nach
- beiden Seiten zum Fenster hinaus, aber es war stockfinster, und er
- konnte nichts sehen.
- »Seliphan!« rief er endlich, indem er den Kopf aus dem Fenster steckte.
- »Ja, Gnädiger Herr?« antwortete Seliphan.
- »Schau dich mal um; ist das Dorf noch nicht zu sehen!«
- »Nein, gnädiger Herr, es ist nichts zu sehen!« und Seliphan schwang
- seine Peitsche und stimmte etwas wie einen Gesang an. Ein Lied konnte
- man es nicht nennen, denn es dehnte und zog sich so in die Länge, daß es
- gar kein Ende nehmen wollte. Seliphan brachte alles darin unter, alle
- aufmunternden und anspornenden Rufe, mit denen man im weiten Rußland,
- von einem Ende bis zum andern, die Pferde zu beglücken pflegt, und alle
- nur möglichen Adjektiva, ohne jede Auswahl, wie sie ihm gerade auf die
- Zunge kamen. Schließlich ging er sogar so weit, daß er seine Pferde
- Sekretäre nannte.
- Jetzt aber machte Tschitschikow die Entdeckung, daß sein Wagen von einer
- Seite auf die andre schwankte, wobei der Insasse jedesmal einen
- kräftigen Stoß erhielt; das brachte ihn auf den Gedanken, daß sie von
- der Straße abgekommen seien und wahrscheinlich über ein gepflügtes
- Ackerfeld führen. Auch Seliphan mußte es wohl bemerkt haben, aber er
- sagte kein Wort.
- »Auf was für einem Wege fährst du eigentlich? du Spitzbube!« schrie
- Tschitschikow.
- »Was ist zu machen, gnädiger Herr, es ist halt schon spät am Abend. Ich
- sehe nicht einmal meine Peitsche, so finster ist es!« Bei diesen Worten
- neigte sich der Wagen so sehr auf die Seite, daß Tschitschikow sich mit
- beiden Händen festhalten mußte. Erst jetzt bemerkte er, daß Seliphan
- einen tüchtigen Rausch hatte.
- »Halt! Halt! Du wirfst mich um!« rief er ihm zu.
- »Nicht doch, gnädiger Herr, wie können Sie denken, daß ich Sie umwerfe,«
- sagte Seliphan. »Das wäre schlecht von mir, wenn ich das täte, das weiß
- ich selbst; o nein, das tue ich nicht, unter keinen Umständen werfe ich
- Sie um!« Hierauf versuchte er den Wagen umzuwenden, aber er drehte und
- wendete ihn so lange, bis er ihn ganz umwarf. Tschitschikow fiel mit
- Füßen und Händen in den Dreck. Übrigens gelang es Seliphan wenigstens
- die Pferde zum Stehen zu bringen; wahrscheinlich aber wären sie auch
- schon von selber stehen geblieben, weil sie sehr müde waren. Dieses
- unerwartete Ereignis brachte Seliphan ganz aus der Fassung. Er kroch von
- seinem Bock herunter, stellte sich vor den Wagen hin, stemmte beide
- Hände in die Seite und sagte, während sein Herr sich im Schmutze
- herumwälzte und sich vergeblich zu erheben versuchte: »Ist das Ding also
- doch umgefallen!«
- »Du bist betrunken wie ein Schwein!« sagte Tschitschikow.
- »Nicht doch, gnädiger Herr! Wie könnte ich auch betrunken sein! Ich weiß
- doch, daß es schlecht ist, betrunken zu sein. Ich hab' nur ein wenig mit
- einem guten Freunde geplaudert; mit einem guten Menschen darf man doch
- sprechen -- das ist doch nichts Schlimmes -- und nachher haben wir
- zusammen gegessen. Das ist doch auch nichts Unrechtes -- ein wenig mit
- einem guten Menschen zu schmausen.«
- »Was habe ich dir gesagt, als du das letztemal betrunken warst, wie?
- Hast du's schon wieder vergessen?« sagte Tschitschikow.
- »Gewiß nicht, Euer Gnaden, wie könnte ich so etwas vergessen? Ich kenne
- doch meine Pflicht! Ich weiß doch, wie unrecht es ist, betrunken zu
- sein. Ich habe doch nur mit dem braven Menschen da gesprochen, es ist
- doch nicht ...«
- »Ich lasse dir eine Tracht Prügel geben, dann wirst du schon wissen, was
- es heißt, mit einem braven Menschen zu sprechen ...«
- »Wie es Euer Gnaden belieben wird,« antwortete Seliphan, der mit allem
- zufrieden war. »Wenn's denn Prügel geben soll, nun gut, ich widersetze
- mich nicht. Warum sollte es keine Prügel geben, wenn man's verdient hat;
- das steht ganz bei Ihnen, dafür sind Sie der Herr! Der Bauer _muß_
- mitunter Prügel haben, sonst sticht ihn der Haber. Ordnung muß sein.
- Wenn ich's verdient habe, dann laß mich nur durchprügeln, warum sollte
- es auch keine Prügel geben?«
- Auf eine solche Überlegung fand Tschitschikow keine Antwort. In diesem
- Augenblick aber schien sich das Schicksal selbst seiner erbarmen zu
- wollen. Plötzlich erklang Hundegebell aus der Ferne. Hocherfreut gab
- Tschitschikow Seliphan den Befehl zum Aufbruch und schärfte ihm ein,
- recht schnell zu fahren. Ein russischer Kutscher hat einen feinen
- Instinkt, wo ihn seine Augen verlassen; so kann es geschehen, daß er die
- Augen zumacht, im Galopp dahinjagt und dennoch irgend ein Ziel erreicht.
- Obgleich Seliphan nichts mehr sah, steuerte er mit seinen Pferden gerade
- auf das Dorf los und machte erst Halt, als der Wagen mit der Deichsel
- auf einen Zaun stieß, und durchaus nicht mehr weiter kommen wollte.
- Tschitschikow konnte durch die dichte Nebelhülle nichts außer einem
- Fleck entdecken, der wie ein Dach aussah. Er gab Seliphan den Auftrag,
- nach dem Tor zu suchen, was ohne Zweifel recht lange gedauert hätte,
- wenn es in Rußland nicht statt des Portiers flinke Hunde gäbe, die in so
- lauter Weise Meldung von seiner Ankunft erstatteten, daß er sich die
- Ohren mit den Fingern zustopfte. In einem Fenster leuchtete ein Licht
- auf, dessen trübe Strahlen auch auf den Zaun fielen, und unseren
- Reisenden den Weg zum Tore wiesen. Seliphan klopfte an, worauf sich bald
- eine Pforte auftat und eine in einen Schlafrock gehüllte Gestalt sehen
- ließ. Herr und Diener hörten eine heitere Frauenstimme, die ihnen
- zurief: »Wer klopft da? Wer lärmt hier so?«
- »Wir sind Reisende, Mütterchen, wir suchen ein Nachtquartier,« sagte
- Tschitschikow.
- »So? Seh einer den Leichtfuß!« murmelte die Alte. »Kommt zu so später
- Abendstunde angefahren. Hier ist keine Herberge. Hier wohnt eine
- Gutsbesitzerin.«
- »Was soll ich machen, Mütterchen? Wir haben uns verirrt. Wir können doch
- bei dem Wetter nicht im Freien übernachten.«
- »Ja das Wetter ist trübe und schlecht,« bemerkte Seliphan.
- »Schweig! Esel,« sagte Tschitschikow.
- »Wer sind Sie?« fragte die Alte.
- »Ein Edelmann, Mütterchen.«
- Das Wort _Edelmann_ schien einigen Eindruck auf die Alte gemacht zu
- haben. »Wart' ich will's der gnädigen Frau melden,« murmelte sie,
- entfernte sich und kam nach zwei Minuten mit einer Laterne in der Hand
- wieder zurück. Das Tor öffnete sich. Jetzt wurde auch das andere Fenster
- hell. Der Wagen fuhr durch das Tor und machte vor einem kleinen Häuschen
- halt, das in der Dunkelheit nur mit Mühe zu erkennen war. Nur die eine
- Seite war von dem Lichte erleuchtet, das aus den Fenstern fiel; vor dem
- Hause sah man noch eine Pfütze im Lichte daliegen. Der Regen trommelte
- laut auf das Holzdach und rieselte wie ein rauschender Bach in eine
- daruntergestellte Tonne. Die Hunde heulten in allen Tonarten; der eine
- hatte den Kopf hoch empor geworfen und stieß fortgesetzt lange klägliche
- Töne hervor; dabei war er mit einem solchen Eifer bei der Sache, als ob
- er Gott weiß wieviel dafür bezahlt bekäme; ein anderer produzierte sich
- mit der Fertigkeit eines Küsters; zwischendurch erklang ununterbrochen
- wie ein Postglöckchen der Diskant eines wahrscheinlich noch jungen
- Köters, und dies ganze Konzert wurde getragen von dem gewaltigen Baß
- eines alten, der wohl mit einer robusten Hundenatur ausgestattet war,
- denn er schnarrte wie der Konterbaß eines Gesangchors, wenn das Konzert
- in vollem Gange ist; die Tenöre stellen sich auf die Fußspitzen, um die
- hohen Töne besser herauszubringen, alles strebt in die Höhe, und wirft
- die Köpfe in den Nacken; nur _er_ allein, der Konterbaßspieler, steckt
- das unrasierte Kinn in den Halskragen, hockt mit gebeugten Knieen fast
- am Fußboden, und schmettert nun plötzlich von dort aus seine Note in die
- Luft, daß alle Fensterscheiben erklirren und erzittern. Schon allein das
- Hundegebell, das von diesen Musikanten herrührte, brachte einen auf die
- Vermutung, daß dies ein recht ansehnliches Dorf sei; aber unser halb
- erfrorener und durchnäßter Held dachte an gar nichts mehr, außer an ein
- warmes Bett. Noch ehe der Wagen halten konnte, sprang er hinaus,
- stolperte und wäre beinahe auf der Treppe hingefallen. Aus dem Flur trat
- jetzt eine andere Frau, die etwas jünger war als die erste, aber ihr
- dennoch recht ähnlich sah. Sie geleitete Tschitschikow ins Zimmer. Hier
- angelangt, warf er einen flüchtigen Blick auf das Innere; das Zimmer war
- mit alten gestreiften Tapeten bekleidet; an den Wänden hingen ein paar
- Bilder, auf denen allerhand Vögel abgebildet waren, und zwischen den
- Fenstern waren kleine altertümliche Spiegel mit dunklen Rahmen
- aufgehängt, die die Form zusammengerollter Blätter hatten. Hinter jedem
- Spiegel steckte ein Brief, ein altes Spiel Karten, ein Strumpf oder
- dergleichen; dazu kam noch eine Wanduhr mit einem geblümten Zifferblatt
- ... Tschitschikow konnte nicht alles übersehen. Er fühlte, daß seine
- Augen zufielen und seine Augenlider zusammenklebten, wie wenn sie jemand
- mit Honig bestrichen hätte. Nach ein paar Minuten erschien die Hausfrau,
- eine ältere Dame mit einer Nachthaube, die sie offenbar in der Eile
- aufgesetzt hatte, und mit einem Flanelltuch um den Hals, eine von jenen
- Matronen und kleinen Gutsbesitzerinnen, die immer über Mißernte und
- Verluste jammern und den Kopf hängen lassen, während sie ganz im
- Stillen, wenn auch langsam ein Geldstück nach dem andern in ihren bunten
- Leinwandbeutel tun, den sie in der Schublade ihrer Kommode verschließen.
- In den einen Geldsack legen sie die Rubel, in den nächsten die
- Fünfzigkopeken-, in den dritten die Fünfundzwanzigkopekenstücke, und
- doch sieht es so aus, als wenn in der Kommode nichts sei, als Wäsche,
- Nachtjacken, Garnrollen und ein aufgetrennter Rock, der sich in ein
- neues Kleid verwandelt, wenn das alte vor dem Fest beim Backen von
- Stollen und Pfefferkuchen anbrennt oder von selbst verschleißt. Wenn das
- Kleid jedoch nicht anbrennt und noch weiter vorhält, dann läßt unsere
- sparsame Alte den Rock noch lange aufgetrennt in der Schublade liegen,
- um ihn in ihrem Testament, zugleich mit manchem anderen Gerümpel, irgend
- einer Nichte oder Cousine zweiten Grades zu vermachen.
- Tschitschikow bat um Entschuldigung wegen der Beunruhigung, die er ihr
- mit seiner Ankunft verursacht habe. »Macht nichts, macht nichts!« sagte
- die Hausfrau, »zu wie später Stunde Sie auch der Herrgott hierher
- geführt hat! Bei dem Sturm und Schneewetter! Nach dem langen Weg sollte
- ich Ihnen eigentlich was zu essen anbieten, aber es ist schon so spät in
- der Nacht; ich kann nichts mehr herrichten!«
- Die Worte der Hausfrau wurden durch ein merkwürdiges Zischen
- unterbrochen, sodaß Tschitschikow nicht wenig erschrak. Es war ein
- Geräusch, als wenn sich das Zimmer plötzlich mit Schlangen angefüllt
- hätte; aber ein Blick nach oben genügte, um ihn völlig zu beruhigen; er
- überzeugte sich, daß der Ton von der Wanduhr herrührte, die offenbar
- schlagen wollte. Auf das Zischen folgte denn auch gleich ein Schnarren,
- und endlich schlug sie, nachdem sie alle Kräfte zusammengenommen hatte,
- zwei Uhr und zwar in einem Ton, als ob jemand mit einem Stock auf einen
- zerbrochenen Topf klopfte, worauf das Pendel aufs neue fortfuhr, sich im
- ruhigen Takte hin- und herzubewegen.
- Tschitschikow dankte der Hausfrau, indem er versicherte, er brauche gar
- nichts, sie möge sich nur nicht beunruhigen, außer dem Verlangen nach
- einem Bett habe er keine anderen Wünsche. Zugleich erkundigte er sich,
- wohin er sich eigentlich verirrt habe, und ob es noch weit von hier bis
- zum Gut des Herrn Sabakewitsch sei, worauf die Alte erklärte, sie hätte
- diesen Namen noch nie gehört, einen Gutsbesitzer dieses Namens gäbe es
- überhaupt nicht.
- »Kennen sie wenigstens Manilow?« fragte Tschitschikow.
- »Wer ist das, Manilow?«
- »Ein Gutsbesitzer, Mütterchen.«
- »Nein, ich habe seinen Namen noch nie gehört, einen solchen Gutsbesitzer
- gibt es nicht.«
- »Was gibt es denn hier für Gutsbesitzer?«
- »Bobrow, Swinjin, Kanapatjew, Charankin, Trepakin, Pljeschako.«
- »Sind es reiche Leute oder nicht?«
- »Nein, Väterchen, allzu reiche gibt's hier nicht. Der eine hat zwanzig,
- der andere hat dreißig Seelen; solche mit hundert gibt's hier zu Lande
- nicht.«
- Jetzt erst merkte Tschitschikow in was für eine abgelegene Gegend er
- sich verirrt hatte.
- »Können Sie mir zum mindesten sagen, wie weit es von hier bis zur Stadt
- ist?«
- »Es werden wohl gegen 60 Werst sein. Es tut mir wirklich leid, daß ich
- Ihnen gar nichts vorsetzen kann! Haben Sie nicht Lust zu einem Glas Tee,
- Väterchen?«
- »Danke schön, Mütterchen. Ich brauche nichts als ein Bett.«
- »Ja, wahrhaftig, nach einem so weiten Weg will man sich ordentlich
- ausruhen. Sie können sich hier auf diesem Sofa ausstrecken, Väterchen.
- He! Fetinja, bring doch eine Decke, ein Kissen und ein Handtuch. Gott,
- was für ein Wetter! Wie das stürmt! Die ganze Nacht hindurch brennt bei
- mir die Kerze vor dem Heiligenbild. Ach, Herr Gott, dein Rücken und die
- eine Seite sind ja voller Dreck, wie bei einem Eber. Wo hast du dich
- denn so schmutzig gemacht?«
- »Gott sei dank, daß ich bloß schmutzig bin; ich kann froh sein, daß ich
- mir nicht das ganze Rückgrat zerbrochen habe!«
- »Heiliger Jesus, was sprichst du? Willst du nicht etwas, um dir den
- Rücken einzureiben?«
- »Nein, danke bestens! Bitte beunruhigen Sie sich nicht! Bitte sagen Sie
- nur Ihrem Mädchen, sie möchte mir meine Kleider ein wenig trocknen und
- rein machen!«
- »Hör mal, Fetinja!« sagte die Hausfrau, indem sie sich an das Weib
- wandte, das mit dem Licht auf die Treppe hinausgetreten war und schon
- ein Unterbett hereinbrachte, welches sie mit beiden Händen
- aufschüttelte, sodaß eine ganze Wolke von Daunen durch das Zimmer flog.
- »Nimm doch den Rock und den Mantel und trockne ihn am Feuer, wie du es
- dem seligen Herrn zu tun pflegtest, und klopfe und bürste ihn nachher
- gründlich aus.«
- »Jawohl, gnädige Frau!« sagte Fetinja, indem sie ein Laken über das
- Unterbett breitete und ein paar Kopfkissen darauflegte.
- »So, nun ist das Bett fertig!« sagte die Hausfrau. »Gute Nacht,
- Väterchen, schlaf gut. Brauchst du nicht noch irgend etwas? Vielleicht
- bist du es gewöhnt, daß dir jemand die Fersen streicht. Mein seliger
- Mann konnte ohne das gar nicht einschlafen.«
- Aber der Gast verzichtete auch auf dies Vergnügen. Die Hausfrau ging
- hinaus, worauf er sich schleunigst entkleidete. Er gab Fetinja seine
- ganze Rüstung, die obere wie die untere, und sie zog mit den nassen
- Trophäen ab, nachdem sie ihm gleichfalls eine gute Nacht gewünscht
- hatte. Als er allein war, vertiefte er sich nicht ohne Vergnügen in die
- Betrachtung seines Bettes, das beinahe bis an die Decke reichte. Er
- stellte einen Stuhl daran, stieg mit seiner Hilfe ins Bett, das unter
- ihm beinahe bis zum Fußboden herabsank, und die aus ihren Schranken
- verdrängten Daunen flogen nach allen Richtungen im Zimmer auseinander.
- Nachdem er das Licht ausgelöscht hatte, zog er sich die Kattundecke über
- den Kopf, rollte sich unter ihr wie eine Brezel zusammen und schlief
- ohne Verzug ein. Am andern Tage wachte er ziemlich spät auf. Die Sonne
- schien ihm durch das Fenster gerade ins Gesicht, und die Fliegen, die
- gestern abend ruhig an den Wänden und an der Decke geschlafen hatten,
- wendeten ihm jetzt ihre ganze Aufmerksamkeit zu: eine setzte sich ihm
- auf die Unterlippe, eine andre aufs Ohr, eine dritte traf Anstalten,
- sich ihm aufs Auge zu setzen; eine dagegen, welche so unvorsichtig war,
- gerade unterm Nasenloch Platz zu nehmen, zog er beim Erwachen mit einem
- Atemzuge in die Nase hinein, was ihn natürlich veranlaßte, kräftig zu
- niesen -- ein Umstand, der den Grund für sein Erwachen abgab. Er warf
- einen Blick auf das Zimmer und bemerkte jetzt, daß nicht nur Vogelbilder
- an der Wand hingen, es fand sich auch ein Porträt von Kutusow und ein
- Ölgemälde, das einen alten Mann in einer Uniform mit roten Aufschlägen,
- wie man sie unter Pawel Petrowitsch trug, darstellte. Die Wanduhr
- schnarrte und schlug neun; der Kopf einer Frau guckte zur Türe hinein
- und verschwand sofort wieder, denn Tschitschikow hatte seine sämtlichen
- Kleidungsstücke abgelegt, um besser einschlafen zu können. Das Gesicht
- kam ihm übrigens bekannt vor. Er suchte sich zu erinnern, wer das wohl
- gewesen sein könnte, und besann sich schließlich darauf, daß es die
- Wirtin selbst war. Er zog schnell sein Hemd an, seine Kleider lagen
- trocken und reingebürstet neben ihm. Nachdem er sich angekleidet hatte,
- trat er vor den Spiegel und nieste noch einmal so laut, daß ein
- Truthahn, der sich gerade dem Fenster genähert hatte -- es lag nicht
- sehr hoch über dem Erdboden -- plötzlich laut zu gackern anfing und ihm
- in seiner seltsamen Sprache ganz schnell etwas zurief, wahrscheinlich
- sollte es soviel bedeuten als »Prosit«, worauf ihn Tschitschikow einen
- Trottel nannte. Dann trat er ans Fenster, um sich die Gegend anzusehen;
- das Fenster ging, wie es schien, auf den Hühnerhof hinaus; wenigstens
- war der kleine enge Hof, der vor ihm lag, voller Vögel und anderer
- Haustiere. Eine unendliche Anzahl von Hühnern und Puten tummelte sich
- dort umher; zwischen ihnen hindurch stolzierte gemessenen Schrittes ein
- Hahn, schüttelte seinen Kamm und legte seinen Kopf auf die Seite, als
- lausche er auf etwas. Auch eine Schweinefamilie war hier vertreten; das
- alte Mutterschwein wühlte in einem Schutthaufen herum, wie im
- Vorbeigehen verschlang es ein Küchel und fuhr gleich darauf wieder ruhig
- fort, die Schalen alter Wassermelonen, die hier herumlagen, weiter zu
- fressen. Dieser kleine Hof oder Hühnerhof wurde von einem Bretterzaun
- umgrenzt, hinter dem sich große Gemüsegärten mit Kohl, Zwiebeln,
- Kartoffeln, roten Rüben und anderen Gemüsearten ausdehnten. In den
- Gemüsegärten bemerkte man hie und da Apfelbäume und andere Obstbäume,
- die zum Schutz gegen die Elstern und Sperlinge mit Netzen bedeckt waren.
- Und in der Tat schwirrten die Spatzen immerfort wie eine schräge Wolke
- von einer Stelle zur andern. Aus demselben Grunde waren mehrfach
- Vogelscheuchen auf langen Stangen und mit ausgebreiteten Armen
- aufgestellt; eine von ihnen hatte sogar die Haube der Hausfrau auf. Auf
- den Gemüsegarten folgten Bauernhütten, die zwar recht zerstreut dalagen
- und keine regelmäßige Häuserflucht mit Plätzen und Straßen bildeten,
- aber doch nach Tschitschikows Ansicht vom Wohlstand der Bewohner
- zeugten, denn sie waren alle gut instand gehalten: das Bretterdach war
- überall renoviert, wo es alt und schlecht zu werden begann, nirgends sah
- man ein schiefes verfallenes Tor, und in den gedeckten Scheunen und
- Ställen, in die man vom Fenster aus hineinsehen konnte, erblickte er
- meist _einen_, häufig aber auch zwei beinah neue Reservewagen. »Hm! Das
- Dörflein ist gar nicht so klein!« sagte er zu sich selbst und beschloß
- sogleich, mit der Hausfrau zu sprechen, um sie näher kennen zu lernen.
- Er guckte durch die Türspalte, durch die sie ihren Kopf hineingesteckt
- hatte, und als er sie am Teetisch sitzen sah, trat er ins Zimmer und
- ging ihr heiter und freundlich entgegen.
- »Guten Tag, Väterchen! Wie haben Sie geruht?« sagte die Hausfrau, indem
- sie sich von ihrem Platze erhob. Sie war heute eleganter gekleidet als
- gestern und hatte statt der Nachthaube ein schwarzes Häubchen auf dem
- Kopfe. Der Hals war jedoch noch immer mit allerhand Tüchern umwickelt.
- »Vortrefflich, ausgezeichnet,« sprach Tschitschikow und ließ sich im
- Lehnsessel nieder. »Und Sie, Mütterchen?«
- »Schlecht! Väterchen!«
- »Wieso?«
- »Ich kann nicht schlafen. Das Kreuz tut mir weh, und mein Bein schmerzt
- mich, hier über'm Knöchel.«
- »Das geht vorüber, Mütterchen, achten Sie nur nicht darauf.«
- »Gott gebe, daß es schnell vorübergeht. Ich habe es schon mit
- Schweinefett und Terpentin eingerieben. Was nehmen Sie zum Tee? Dort im
- Glas ist Fruchtsaft.«
- Der Leser wird wohl schon bemerkt haben, daß Tschitschikow trotz seiner
- Freundlichkeit sich viel ungezwungener ausdrückte und überhaupt nicht
- viel Umstände machte. Man kann zugeben, daß Rußland vielleicht noch in
- mancher Hinsicht hinter dem Ausland zurücksteht: was aber das feine
- Benehmen anbelangt, so haben wir die Ausländer weit hinter uns gelassen.
- Die vielen Schattierungen und Finessen in unseren Verkehrsformen sind
- gar nicht aufzuzählen. Ein Franzose oder ein Deutscher kommen ihr Lebtag
- nicht dahinter, nie werden sie die Eigenart und die feinen Unterschiede
- in unserem Verhalten verstehen; sie sprechen fast in dem nämlichen Ton
- und mit derselben Stimme mit einem Millionär und mit einem kleinen
- Tabakkrämer, wenn sie sich auch in ihrer Seele vor dem ersteren noch so
- sehr beugen und erniedrigen. Bei uns ist das ganz anders: wir haben
- solche Künstler, die mit einem Gutsherrn, der zweihundert Seelen hat,
- ganz anders sprechen, wie mit einem solchen, der dreihundert besitzt;
- und mit diesem sprechen sie wieder ganz anders, wie mit einem, dem
- fünfhundert gehören; und den letzteren behandeln sie wiederum anders,
- wie einen reichen Gutsbesitzer, der über achthundert Seelen gebietet; so
- kann man meinetwegen bis zu einer Million weiter fortgehen, immer findet
- sich eine bestimmte Nüance. Nehmen wir einmal an, es gäbe, nicht bei
- uns, sondern irgendwo in einem fernen Königreiche, eine Kanzlei, und
- nehmen wir ferner an, diese Kanzlei habe einen Vorsteher oder Chef. Ich
- bitte den Leser, sich diesen Mann einmal anzusehen, wenn er mitten unter
- seinen Untergebenen dasitzt -- ich wette, das Wort würde ihm vor
- Schrecken im Munde stecken bleiben. Stolz und Edelmut -- und was nicht
- alles _noch_ liegt in seinem Blick? Man möchte zum Pinsel greifen und
- ihn malen, um ihn in dieser Stellung festzuhalten: der reinste
- Prometheus! wahrhaftig: ein Prometheus! Er blickt wie ein Adler, und
- sein Gang ist biegsam, gesetzt und fest. Aber seht euch einmal diesen
- Adler an, wenn er den Saal verläßt und sich dem Zimmer seines Chefs
- nähert, er ist kaum wiederzuerkennen; wie ein flüchtiges Schneehuhn eilt
- er mit seinem Aktenbündel unterm Arme dahin, daß ihm fast der Atem
- ausgeht. In einer Gesellschaft oder auf einer Soiree, wo nicht allzu
- hochstehende Persönlichkeiten zugegen sind, bleibt unser Prometheus ein
- echter Prometheus, aber es braucht nur einer da zu sein, der etwas höher
- steht als er, und mit unserem Prometheus geht eine solche Verwandlung
- vor, wie sie sich selbst ein Ovid nicht träumen ließe: eine Fliege kann
- nicht kleiner sein, er ist ganz wie vernichtet, wie ein Sandkorn! »Aber
- das ist doch nicht Iwan Petrowitsch!« sagt man sich, wenn man ihn
- erblickt, »Iwan Petrowitsch ist größer, der da ist ja ganz klein und
- mager; jener spricht laut, hat eine Baßstimme und lacht niemals, aber
- dieser hier, Teufel auch, der piepst ja wie ein Vogel und lacht
- immerzu.« Kommt man aber näher und sieht genauer zu -- dann ist es
- _doch_ Iwan Petrowitsch. »Aha, soso!« sagt man zu sich selbst .... Aber
- wenden wir uns wieder zu den handelnden Personen. Wie wir sahen, war
- Tschitschikow entschlossen, keine Umstände zu machen; so nahm er denn
- eine Tasse Tee und etwas Fruchtsaft und sagte:
- »Sie haben aber ein schönes Gut, Mütterchen. Wieviel Seelen hat es
- wohl?«
- »Etwas weniger als achtzig,« sagte die Hausfrau, »leider haben wir bloß
- so schlechte Zeiten; voriges Jahr gab's wieder eine Mißernte, daß Gott
- erbarm!«
- »Aber die Bauern sehen doch recht kräftig aus, und die Hütten sind ganz
- stattlich. Gestatten Sie mir übrigens eine Frage: Wie ist Ihr
- Familienname? Ich war so zerstreut, als ich gestern so spät ankam ....«
- »Karobotschka,[2] Kollegiensekretärswitwe.«
- »Danke bestens. Und Ihr Vor- und Vatername?«
- »Nasstassja Petrowna.«
- »Nasstassja Petrowna? Ein schöner Name! -- Nasstassja Petrowna. Ich habe
- eine leibliche Tante, die Schwester meiner Mutter, die heißt auch
- Nasstassja Petrowna.«
- »Und wie ist Ihr Name?« fragte die Gutsbesitzerin. »Sie sind doch
- Assessor? Nicht?«
- »Nein, Mütterchen,« antwortete Tschitschikow lächelnd. »Ich bin nicht
- Assessor; ich reise in eigenen Geschäften.«
- »So sind Sie Lieferant? Wie schade! ich habe meinen Honig so billig
- verkauft; du hättest ihn mir sicher abgenommen, Väterchen, wie?«
- »Nein, Honig hätte ich wohl kaum gekauft.«
- »Nun, dann was anderes. Vielleicht Hanf? Davon habe ich jetzt zwar auch
- nicht mehr viel -- ein halbes Pud höchstens.«
- »Ach nein, Mütterchen, ich brauch' eine andere Ware; sagen Sie mal, sind
- bei Ihnen viele Bauern gestorben?«
- [Fußnote 2: Kästchen.]
- »Oh je! Väterchen, achtzehn Mann!« sagte die Alte seufzend. »Und lauter
- so prächtige Leute, alles tüchtige Arbeiter. Es ist ja freilich auch
- Nachwuchs da, aber was hat man davon, lauter schmächtiges Volk, und der
- Steuereinnehmer kommt und will seine Steuer für jede Seele haben. Sie
- sind doch schon tot, und doch muß man für sie zahlen, wie wenn sie noch
- am Leben wären. Vorige Woche ist mir ein Schmied verbrannt, ein so
- geschickter Schmied! Der hat auch das Schlosserhandwerk verstanden.«
- »War denn im Dorfe eine Feuersbrunst, Mütterchen?«
- »Gott verhüte ein solches Unglück! Eine Feuersbrunst, das wäre ja noch
- viel schrecklicher. Nein, er ist ganz von selbst verbrannt. Das Feuer
- ist da irgendwo im Innern bei ihm entstanden; er hat auch gar zu viel
- getrunken, man sah nichts wie ein blaues Flämmchen, und so ist er
- allmählich verkohlt, bis er auch ganz schwarz wurde wie eine Kohle; ach
- war das ein geschickter Schmied. Jetzt kann ich gar nicht mehr
- ausfahren. Es ist niemand da, der die Pferde beschlagen kann.«
- »Das war wohl Gottes Wille, Mütterchen,« sagte Tschitschikow seufzend,
- »gegen Gottes Weisheit darf man nicht murren. Wissen Sie was? Überlassen
- Sie sie mir, Nasstassja Petrowna?«
- »Wie Väterchen?«
- »Nun, all diese Leute, die gestorben sind.«
- »Wie kann ich sie Ihnen denn überlassen?«
- »Nun sehr einfach. Oder meinetwegen, ich kann sie Ihnen auch abkaufen.
- Ich will Ihnen Geld für sie geben.«
- »Ja wie denn nur? Wirklich, ich verstehe Sie noch nicht. Willst du sie
- aus der Erde ausgraben?«
- Tschitschikow merkte, daß die Alte übers Ziel hinausgeschossen hatte,
- und hielt es daher für notwendig ihr klar zu machen, worum es sich
- handele. Er erklärte ihr mit wenigen Worten, daß die Abtretung oder der
- Verkauf nur auf dem Papiere statthaben und die Seelen als lebende gelten
- sollten.
- »Ja, wozu brauchst du sie nur,« sagte die Alte, indem sie ihn verwundert
- anstarrte.
- »Das ist schon meine Sache!«
- »Aber sie sind doch tot!«
- »Ja wer sagt denn, daß sie lebendig sind? Es ist doch Ihr eigener
- Schade, daß sie tot sind. Sie zahlen doch Steuern für sie, und ich will
- Sie von dieser Last und Sorge befreien. Verstehen Sie jetzt? Und nicht
- nur befreien; ich will Ihnen noch fünfzehn Rubel dazu schenken. Nun,
- ist's Ihnen jetzt klar?«
- »Ich weiß wirklich nicht,« sagte die Alte zögernd, »Tote habe ich noch
- niemals verkauft.«
- »Das ist doch kein Wunder! Es wäre eher eins, _wenn_ Sie schon welche
- verkauft hätten. Oder glauben Sie tatsächlich, daß sie überhaupt irgend
- einen Wert haben?«
- »Nein, das glaube ich freilich nicht. Was könnten sie auch für einen
- Wert haben? Sie sind ja zu nichts nütze! Mich beunruhigt bloß dies eine:
- daß sie schon tot sind.«
- »Hat das Weib aber ein Brett vorm Kopf,« dachte Tschitschikow. »Hören
- Sie, Mütterchen; denken Sie doch ein wenig nach! Das ist doch eine
- bedeutende Einbuße für Sie. Sie müssen doch für jeden die Steuern
- bezahlen, als ob er noch am Leben wäre.«
- »Ach, Väterchen, erinnere mich bloß nicht daran,« unterbrach ihn die
- Gutsbesitzerin. »Vor drei Wochen habe ich erst wieder hundertfünfzig
- Rubel einzahlen müssen, und dabei mußte ich noch den Steuerbeamten
- gründlich spicken.«
- »Sehen Sie, Mütterchen, und nun denken Sie mal, von heute ab brauchen
- Sie den Beamten nicht mehr zu spicken, denn jetzt zahle ich die Steuern
- und nicht Sie. Ich nehme alle Lasten auf mich, auch die Kosten des
- Kaufvertrags. Verstehen Sie!«
- Die Alte wurde nachdenklich; sie fing an einzusehen, daß das Geschäft
- nicht so übel wäre; nur war es schon gar zu neu und unerhört, und sie
- fürchtete, der Käufer könne sie wohl gar übers Ohr hauen. War er doch
- Gott weiß woher und noch zu so später Stunde herein geschneit.
- »Also schlagen Sie ein, Mütterchen,« sprach Tschitschikow.
- »Wahrhaftig, Väterchen, Verstorbene habe ich noch nie verkauft.
- Lebendige schon öfters, so noch vor drei Jahren: da habe ich dem
- Protopopoff zwei Mädchen überlassen, jede für hundert Rubel; und er war
- sehr zufrieden. Es sind vorzügliche Arbeiterinnen geworden. Sie können
- sogar Servietten weben.«
- »Hier handelt es sich aber nicht um Lebende. Gott mit ihnen! Ich brauche
- Tote!«
- »Wirklich, ich fürchte vor allem, ein schlechtes Geschäft zu machen. Du
- willst mich am Ende betrügen, Väterchen. Vielleicht sind sie ..., kosten
- sie gar viel mehr.«
- »Hören Sie, Mütterchen ... Wie Sie sich bloß anstellen! Was können sie
- denn wert sein; überlegen Sie sich es doch nur! Das ist doch nichts!
- Begreifen Sie doch, ein reines Nichts! Nehmen Sie das letzte, unnützeste
- Ding, sagen wir sogar irgend einen alten Lappen: selbst der hat noch
- einen Wert; den kauft Ihnen noch der Lumpenhändler ab. Aber die da, die
- braucht doch überhaupt Keiner! Nein, sagen sie selbst, zu was sind sie
- nütze!?«
- »Das ist schon ganz richtig! Freilich sind sie nichts nütze. Mich hält
- auch nur ab, daß sie schon tot sind.«
- »Herr Gott, ist das eine klotzige Dickköpfigkeit,« sagte Tschitschikow
- zu sich selber, und fing bereits an, die Geduld zu verlieren. »Mit der
- soll einer auskommen. Wahrhaftig, ich schwitze! Verdammte Alte!« Und er
- nahm sein Schnupftuch aus der Tasche und wischte sich den Schweiß von
- der Stirne. Übrigens hatte Tschitschikow eigentlich keinen Grund zu
- seinem Ärger. Es gibt höchst achtbare Leute, sogar unter den
- Staatsmännern, die, wenn man näher zusieht, auch nicht besser wie
- Karobotschka sind. Hat sich so einer mal was in den Kopf gesetzt, so
- bringst du es mit zehn Pferden nicht wieder heraus. Mach ihm Einwände
- soviel du willst. Sie mögen so klar sein wie der lichte Tag, sie prallen
- doch immer wieder zurück wie ein Gummiball von einer Steinmauer. Nachdem
- sich Tschitschikow den Schweiß abgetrocknet hatte, kam er auf den
- Gedanken, noch einen Versuch zu machen, ob es ihm etwa gelänge, sie von
- einer anderen Seite her auf den rechten Weg zu bringen.
- »Mütterchen,« sagte er, »entweder Sie wollen mich nicht verstehen, oder
- Sie reden das alles nur, um nur überhaupt etwas zu reden ... Ich gebe
- Ihnen Geld, fünfzehn Rubel in Banknoten; verstehen Sie? Das ist doch
- Geld und liegt nicht auf der Straße. Wie teuer haben Sie zum Beispiel
- Ihren Honig verkauft? Gestehen Sie mal!«
- »Für zwölf Rubel das Pud.«
- »Versündigen Sie sich nicht, Mütterchen! Zwölf haben Sie gewiß nicht
- dafür bekommen.«
- »Bei Gott, Väterchen!«
- »Nun also sehen Sie, dafür war das auch Honig. Sie haben vielleicht ein
- Jahr gebraucht, voller Sorgen und Mühe und Arbeit, bis Sie ihn
- einsammeln konnten. Sind hin und her gefahren; haben die armen Bienen
- geplagt. Sie einen ganzen Winter über im Keller gefüttert. Sehen Sie
- wohl! Dagegen die toten Seelen, die sind doch nicht von dieser Welt. An
- die haben Sie keinerlei Mühe und Arbeit gewendet. Es war halt Gottes
- Wille, daß sie diese Welt verlassen und ihrem Hause Abbruch tun mußten.
- Dort haben Sie für alle Ihre Sorge und Mühe zwölf Rubel bekommen, und
- hier sollen Sie für ein reines Nichts, ganz umsonst, nicht zwölf,
- sondern sogar fünfzehn Rubel und nicht in Silber, sondern in lauter
- schönen blauen Scheinen ausbezahlt erhalten.« Nachdem Tschitschikow so
- starke und überzeugende Gründe ins Feld geführt hatte, zweifelte er kaum
- noch, daß die Alte endlich nachgeben werde.
- »Nein wirklich,« versetzte die Gutsbesitzerin, »ich bin eine arme und
- unerfahrene Witwe, lieber will ich noch ein wenig warten, bis noch
- andere Käufer kommen. Damit ich mich über den Preis vergewissern kann.«
- »Schämen Sie sich, Mütterchen! Denken Sie bloß selbst, was Sie da reden.
- Wer wird denn so etwas kaufen wollen. Was soll er denn bloß damit
- anfangen.«
- »Vielleicht kann man sie doch bei Gelegenheit in der Wirtschaft
- verwenden ...« erwiderte die Alte. -- Aber sie vollendete ihre Rede
- nicht, machte den Mund auf und starrte ihn beinahe mit Entsetzen an,
- gespannt auf seine Antwort harrend.
- »Die Toten in der Wirtschaft! -- Herr Gott, wozu Sie sich wieder
- verstiegen haben! Etwa um nachts die Spatzen in Ihrem Garten zu
- scheuchen?! Wie?«
- »Heiliger Jesus hilf uns! Welch schreckliche Dinge du da sprichst,«
- sagte die Alte, indem sie das Kreuz schlug.
- »Wozu wollen Sie sie denn sonst verwenden? Übrigens das Grab und die
- Knochen können sie ja behalten. Der Kauf findet ja nur auf dem Papiere
- statt. Nun also wie steht es? Geben Sie mir doch zum wenigsten eine
- Antwort.«
- Die Alte versank wieder in Nachdenken.
- »Woran denken Sie bloß, Nastassja Petrowna?«
- »Wirklich, ich weiß nicht recht, was ich da machen soll? Kaufen Sie mir
- lieber etwas Hanf ab!«
- »Ach was Hanf! Ich bitte Sie! Ich will was ganz anderes von Ihnen, und
- Sie schwatzen mir Ihren Hanf auf. Lassen Sie den Hanf ruhig Hanf
- bleiben! Wenn ich ein anderes Mal vorspreche, kaufe ich Ihnen vielleicht
- auch Hanf ab. Nun, wie ist es, Nastassja Petrowna?«
- »Bei Gott es ist eine so seltene Ware, mit der ich noch nie was zu tun
- gehabt habe.«
- Hier war Tschitschikows Geduld zu Ende. In seiner Wut packte er einen
- Stuhl, stieß ihn auf die Erde und wünschte ihr den Teufel an den Hals.
- Vor dem Teufel war die Gutsbesitzerin aufs höchste entsetzt.
- »Ach, sprich mir nicht von ihm! Gott mit ihm!« rief sie aus und
- erbleichte. »Noch die ganze vorige Nacht hab ich ihn fortwährend im
- Traume gesehen, den Verfluchten. Ich wollte mir nach dem Gebet noch
- einmal die Karten legen. Da hat ihn mir Gott offenbar zur Strafe
- hergesandt. So greulich sah er aus. Seine Hörner waren länger als die
- eines Ochsen.«
- »Ich wundere mich, daß sie Ihnen nicht zu Dutzenden erscheinen! Mich
- leitet nichts wie die reinste Christenliebe; ich sehe eine arme Witwe,
- die sich plagt und Not leidet ... Daß du doch krepiertest zusamt deinem
- Gute.«
- »Ach, was für schreckliche Flüche du da ausstößt,« sagte die Alte und
- sah ihn entsetzt an.
- »Wahrhaftig, es fehlen einem ja die Worte, rein wie ein -- entschuldigen
- Sie den harten Ausdruck -- wie ein Kettenhund, der auf seinem Stroh
- liegt; frißt das Stroh selbst nicht und läßt doch keinen andern ran. Ich
- wollte Ihnen allerhand von Ihren landwirtschaftlichen Erzeugnissen
- abkaufen, weil ich ja auch Lieferungen für den Staat übernehme ...« Hier
- log er etwas hinzu, so ganz nebenher, und ohne es sich recht überlegt zu
- haben, aber sehr geschickt.
- Diese Lieferungen für den Staat machten einen tiefen Eindruck auf
- Nastassja Petrowna; wenigstens sagte sie mit beinahe flehender Stimme:
- »Warum wirst du denn gleich so zornig? Hätte ich früher gewußt, daß du
- so wild werden kannst, dann hätte ich lieber garnicht widersprochen.«
- »Ach was, ich bin garnicht zornig! Die ganze Sache ist keine ausgepreßte
- Zitrone wert. Und ich sollte mich ärgern?«
- »Schön, schön, ich will sie dir ja für 15 Rubelscheine lassen. Nur eins,
- Väterchen, vergiß mich nicht bei den Lieferungen, wenn du etwa Roggen
- oder Gerstenmehl oder Buchweizen oder Fleisch brauchen solltest.«
- »Nein, nein, Mütterchen, ich werde dich schon nicht vergessen,« sagte
- er, während er sich den Schweiß mit der Hand abtrocknete, der in drei
- Sturzbächen über sein Gesicht floß. Er erkundigte sich bei ihr, ob sie
- nicht in der Stadt einen Vertrauensmann beim Gericht, einen Vertreter
- oder einen Bekannten habe, den sie zum Abschluß des Kaufkontraktes und
- aller übrigen notwendigen Maßnahmen bevollmächtigen könnte. »Gewiß, den
- Probst, Vater Kirill; sein Sohn ist am Gericht,« sagte Karobotschka.
- Hierauf bat Tschitschikow sie, ihm eine Vollmacht zu schicken, ja er
- übernahm es sogar, diese selbst aufzusetzen, um der Alten jegliche
- unnütze Arbeit zu ersparen.
- »Es wäre doch gut,« dachte unterdes Karobotschka, »wenn er mir etwas
- Mehl und Vieh für den Staat abnähme. Ich muß ihn für mich gewinnen. Es
- ist noch etwas Teig von gestern abend da. Ich will mal hingehen und der
- Fetinja sagen, sie soll Pfannkuchen backen. Auch eine Eierpastete von
- Butterteig wäre nicht übel. Die macht sich sehr gut, und es nimmt nicht
- viel Zeit weg.« Damit ging die Hausfrau hinaus, um ihren Plan mit der
- Pastete auszuführen und ihn noch durch andere Produkte der häuslichen
- Koch- und Backkunst zu ergänzen. Tschitschikow aber ging in den Salon,
- in dem er die Nacht zugebracht hatte, um die notwendigen Papiere aus
- seiner Schatulle zu holen. Das Zimmer war schon längst aufgeräumt, die
- üppigen Plumeaus und Unterbetten waren hinausgeschafft. Vor dem Sofa
- stand ein Tisch mit einer Decke darauf. Er setzte seine Schatulle auf
- ihn und ließ sich auf das Sofa nieder, um ein wenig auszuruhen; denn er
- fühlte, daß er ganz in Schweiß gebadet sei: alles, was er am Leibe trug,
- vom Hemd bis zu den Strümpfen, war vollständig naß. »Hat die mir
- zugesetzt, die verfluchte Alte,« sagte er, nachdem er ein wenig
- ausgeruht hatte, und öffnete die Schatulle. Der Autor ist überzeugt, daß
- mancher Leser neugierig sein wird, den Plan und die innere
- Fächereinteilung der Schatulle kennen zu lernen. Meinetwegen, warum
- sollte ich diese Neugierde nicht befriedigen. Also, da habt ihr sie, die
- Einteilung; in der Mitte befindet sich der Seifennapf; auf den
- Seifennapf folgen sechs bis sieben schmale Fächer für die Rasiermesser.
- Dann kommen zwei viereckige Behältnisse für die Streusandbüchse und das
- Tintenfaß. Zwischen beiden ist eine Rille für Federn, Siegellack und
- Gegenstände von längerer Statur. Weiter folgten allerhand Fächer _mit_
- Deckel und _ohne_ Deckel, für die kürzeren Gegenstände, welche mit
- Visitenkarten, Beerdigungsanzeigen, Theaterbilleten und anderen Zetteln
- angefüllt waren, die hier als Reminiszenzen ruhten. Das ganze obere
- Kästchen mit all seinen Fächern ließ sich herausheben. Unter ihm öffnete
- sich ein weiter Raum, in dem Stöße von Papier in Bogengröße
- aufgeschichtet lagen. Darunter befand sich ein kleines verborgenes
- Kästchen, das sich unauffällig seitlich auftat, in dem er sein Geld zu
- bewahren pflegte. Dieses Kästchen wurde von seinem Besitzer stets mit
- einer solchen Geschwindigkeit auf- und im selben Augenblick wieder
- zugemacht, daß man nicht mit Sicherheit angeben konnte, wieviel Geld es
- enthielt. Tschitschikow ging sogleich an die Arbeit, schnitt die Feder
- zurecht und begann zu schreiben. In diesem Moment trat die Hausfrau ins
- Zimmer.
- »Hast du aber einen schönen Kasten, Väterchen!« sagte sie, indem sie
- sich neben ihn setzte, »den hast du wohl in Moskau gekauft?«
- »Ja, in Moskau,« antwortete Tschitschikow und fuhr fort zu schreiben.
- »Ich weiß, dort kriegt man's nur gut. Vor zwei Jahren hat meine
- Schwester gefütterte Stiefel für die Kinder von dort mitgebracht.
- Vortreffliche Ware! So dauerhaft! Sie tragen sie noch heute. Ach, hast
- du viel Stempelpapier,« fuhr sie fort, während sie einen Blick in die
- Schatulle warf. Und in der Tat, es war sehr viel Papier darin. »Du
- könntest mir ein paar Bogen schenken. Bei mir herrscht solch ein Mangel
- daran. Es kommt doch vor, daß man ein Schreiben ans Gericht zu senden
- hat. Dann ist immer kein Papier da.«
- Tschitschikow erklärte ihr, das sei kein Papier, wie sie es wünschte. Es
- sei nur für Kaufkontrakte, und nicht für Gesuche geeignet. Übrigens gab
- er ihr, um sie zu beruhigen, einen Bogen im Werte von einem Rubel.
- Nachdem er seinen Brief vollendet hatte, ließ er sie unterschreiben und
- bat sie um ein kurzes Verzeichnis der Bauern. Es stellte sich heraus,
- daß die Gutsbesitzerin gar keine Listen über ihre Bauern führte, sondern
- ihre Namen nur auswendig wußte. Er forderte sie auf, ihm diese zu
- diktieren. Mehrfach geriet er in höchstes Erstaunen über ihre
- Familiennamen und mehr noch über ihre Spitznamen, sodaß er jedesmal beim
- Hören ein wenig innehielt, ehe er sie niederschrieb. Einen besondern
- Eindruck machte auf ihn ein gewisser Peter Saweljew genannt der
- Waschtrogverächter, sodaß er sich nicht enthalten konnte, auszurufen:
- »Ist das aber ein langer Kerl!« Ein anderer trug den Beinamen Kuhfladen.
- Ein dritter wurde einfach Johann das Rad genannt. Nachdem er mit dem
- Schreiben fertig war, sog er die Luft tief durch die Nase ein und roch
- den Duft einer in Butter schmorenden Speise.
- »Bitte bedienen Sie sich,« sagte die Wirtin. Tschitschikow sah sich um
- und bemerkte, daß der Tisch mit leckeren Gerichten reich besetzt war; da
- gab es Pilze, Gebäck, Spiegeleier, Pfannkuchen, Käsekeulchen,
- Splittertörtchen und Fladen mit allerhand Pastetchen: Pastetchen mit
- Zwiebeln, Pastetchen mit Mohn, Pastetchen mit Quark, Pastetchen mit
- Stinten und weiß Gott, was sonst noch alles.
- »Bitte, vielleicht eine Eierpastete aus Butterteig gefällig?« sagte die
- Wirtin.
- Tschitschikow rückte näher an die Eierpastete aus Butterteig heran, und
- sprach sich sehr lobend über sie aus, nachdem er eine gute Hälfte von
- ihr verspeist hatte. Und in der Tat, die Pastete war schon an und für
- sich nicht übel; nach all den Plackereien und dem Geplänkel mit der
- Alten aber schmeckte sie noch weit vorzüglicher.
- »Nehmen Sie Pfannkuchen?« sagte die Wirtin. Als Antwort auf diese Frage,
- spießte Tschitschikow gleich drei Pfannkuchen auf, rollte sie zusammen,
- tauchte sie in die geschmolzene Butter und beförderte sie in den Mund,
- worauf er sich Lippen und Hände mit der Serviette abwischte. Nachdem er
- dieses etwa dreimal wiederholt hatte, bat er die Hausfrau die Pferde
- anspannen zu lassen. Nasstassja Petrowna schickte Fetinja sofort in den
- Hof hinunter, und trug ihr zugleich auf, noch ein paar heiße Pfannkuchen
- mitzubringen.
- »Ihre Pfannkuchen sind ausgezeichnet, Mütterchen,« sagte Tschitschikow,
- indem er sich über die frischen Pfannkuchen hermachte.
- »Ja, das versteht meine Köchin sehr gut,« versetzte die Hausfrau,
- »leider war nur die Ernte so schlecht, und das Mehl ist nicht so gut
- geraten. Aber warum eilen Sie so? Väterchen?« fuhr sie fort, als sie
- sah, daß Tschitschikow schon seinen Hut in der Hand hielt, »der Wagen
- ist ja noch gar nicht fertig.«
- »Oh der ist schnell fertig, Mütterchen. Bei mir geht das sehr schnell.«
- »Nicht wahr, Sie vergessen mich also nicht bei den Lieferungen?«
- »Nein, nein,« sagte Tschitschikow, während er in den Flur hinaustrat.
- »Sie wollen mir also keinen Speck abkaufen?« sagte die Hausfrau, indem
- sie ihn hinausbegleitete.
- »Warum nicht? Gewiß kaufe ich Ihnen welchen ab. Nur nicht gleich jetzt.«
- »Zu Ostern werde ich schönen Speck haben.«
- »Seien Sie ruhig, ich kaufe Ihnen welchen ab; ich kaufe ihnen alles ab,
- was Sie wollen, auch Schweinespeck.«
- »Vielleicht brauchen Sie auch Daunen? Während der Weihnachtsfasten werde
- ich auch Daunen haben.«
- »Schön, schön,« sagte Tschitschikow.
- »Siehst du wohl, Väterchen, dein Wagen ist noch nicht fertig,« sprach
- die Hausfrau, als sie auf die Treppe hinaustraten.
- »Er ist gleich fertig. Sagen Sie mir bloß, wie ich auf die große
- Landstraße gelange.«
- »Wie mache ich das nur?« sagte die Hausfrau. »Es ist nicht leicht, dir
- das klar zu machen, man muß so oft wenden; vielleicht ist es das Beste,
- ich gebe dir ein Mädchen mit, die dir den Weg zeigt. Du wirst doch auf
- dem Bock noch einen Platz haben, wo sie sich hinsetzen kann.«
- »Natürlich.«
- »Nun gut, dann gebe ich dir das Mädel mit, sie kennt den Weg, entführt
- sie mir nur nicht gar, hörst du, neulich haben mir schon ein paar
- Kaufleute einmal eine weggeholt.«
- Tschitschikow gab ihr das Versprechen, das Mädchen nicht zu entführen
- und Karobotschka kehrte wieder beruhigt zur Durchmusterung ihres Hofes
- zurück. Erst glotzte sie die Haushälterin an, welche eine hölzerne Kanne
- mit Honig aus der Speisekammer holte. Dann warf sie einen Blick auf
- einen Bauern, -- der im Torweg erschien, um allmählich immer mehr in
- ihrem Haushalt unterzutauchen. Wozu aber beschäftigen wir uns eigentlich
- so lange mit Karobotschka? Was ist uns Karobotschka, Manilow,
- wirtschaftliches oder unwirtschaftliches Leben? Lassen wir sie! Ist es
- nicht wunderbar eingerichtet in dieser Welt! Jede Freude geht, ehe man
- sich's versieht, in Trauer über, wenn man sich gar zu lange bei ihr
- aufhält, und Gott weiß, was sich einem dann für Gedanken aufdrängen! Man
- könnte gar auf die Idee kommen: Wie!? Steht denn Karobotschka wirklich
- so tief auf der unendlich langen Stufenleiter menschlicher
- Vollkommenheit? Sollte er wirklich so tief sein, der Abgrund, der sie
- von ihrer Schwester trennt. Von ihr, welche unnahbare Mauern eines
- aristokratischen Hauses mit seinen lieblich duftenden gußeisernen
- Treppen beschützen, die mit Kupferglanz, Mahagoniholz und kostbaren
- Teppichen prunken. Von ihr, welche gähnend neben ihrem halbgelesenen
- Buche sitzt, in unruhiger Erwartung des weltmännisch-geistreichen
- Besuchers, in dessen Gegenwart sich ihrem Geiste ein Feld eröffnet, wo
- sie ihren Verstand leuchten und eingelernte Gedanken spielen lassen
- kann. -- Gedanken, welche nach der heiligen Satzung der Mode eine ganze
- Stadt wochenlang beschäftigen, Gedanken, die sich nicht darum drehen,
- was in ihrem Hause und auf ihren Gütern vorgeht, die in Unordnung
- geraten darniederliegen, sondern allein darauf gerichtet sind, welche
- Umwälzung in der französischen Politik bevorsteht, oder welche Wendung
- der moderne Katholizismus nehmen wird. Doch weiter, weiter! Wozu über
- diese Dinge reden? Aber warum fällt bisweilen in Augenblicken froher,
- sorgenfreier Gedankenlosigkeit wie von selbst ein wundersamer Strahl in
- uns hinein? Noch fand das Lächeln kaum Zeit, dem Gesichte zu
- entschwinden, und schon verwandelte es sich bei demselben Menschen in
- ein anderes, und ein neues Licht erleuchtet jetzt sein Antlitz?
- »Da ist er, da ist ja mein Wagen,« rief Tschitschikow, als er seine
- Kutsche heranrollen sah, »was hast du nur solange getrödelt, du Esel!
- Dein Rausch von gestern ist wohl noch nicht ganz verflogen.«
- Hierauf erwiderte Seliphan kein Wort.
- »Leben Sie wohl, Mütterchen! Nun wo ist Ihr Mädchen?«
- »Heh! Pelagia!« rief die Alte einem Mädchen von etwa elf Jahren zu, das
- in der Nähe der Treppe stand. Die Kleine hatte ein selbstgewebtes,
- farbiges Leinenkleid an. Sie war barfüßig, und schien doch Stiefeln
- anzuhaben, denn ihre Füße waren bis oben hinauf mit frischem
- Straßenschmutz bedeckt. »Zeig dem Herrn den Weg!«
- Seliphan half dem Mädchen auf den Bock, welches zuerst mit einem Fuß auf
- das Trittbrett stieg, das sie bei dieser Gelegenheit ein wenig
- beschmutzte. Hierauf schwang sie sich auf den Kutschersitz, wo sie sich
- neben Seliphan niederließ. Nach ihr setzte Tschitschikow seinen Fuß auf
- das Trittbrett und nahm endlich im Wagen Platz, der sich unter seinem
- Gewichte nach rechts beugte. »So, jetzt ist alles in Ordnung. Leben Sie
- wohl Mütterchen!« mit diesen Worten verabschiedete er sich von der
- Gutsbesitzerin und die Pferde zogen an.
- Seliphan war den Weg über sehr ernst und streng und widmete sich seinem
- Dienst mit großer Aufmerksamkeit, was immer dann zu geschehen pflegte,
- wenn er etwas verschuldet hatte oder betrunken gewesen war. Die Pferde
- waren von einer bewundernswerten Sauberkeit. Das Kummet bei dem einen,
- welches gewöhnlich zerlocht und zerfetzt war, sodaß das Werg unter dem
- Leder hervorquoll, war sorgfältig genäht und ausgebessert. Er war
- während des ganzen Weges sehr schweigsam, schwang nur hin und wieder die
- Peitsche und unterließ es vollkommen, seine Pferde mit lehrhaften Reden
- zu beehren, obwohl der Schecke natürlich gerne eine Belehrung
- entgegengenommen hätte. Denn während einer solchen Rede pflegte der
- wortfrohe Wagenlenker die Zügel immer recht lose in der Hand zu halten,
- und er ließ auch die Peitsche nur _pro forma_ über den Rücken der Pferde
- hüpfen. Aber der finstere Mund ließ dieses Mal nur monotone und
- unfreundliche Ausrufe vernehmen, wie: »Hüh! Hüh! alte Krähe! was
- trödelst du!« sonst nichts. Aber selbst der Braune und der Assessor
- waren nicht zufrieden, weil sie kein einziges freundliches und Achtung
- zollendes Wort zu hören bekamen. Der Schecke erhielt sogar häufig
- äußerst unangenehme Schläge auf seine weichen, wohlgerundeten
- Körperteile. »Sieh mal, was in den gefahren ist!?« dachte er sich, indem
- er seine Ohren ein wenig spitzte. »Der weiß auch, wohin er haut; sucht
- sich nicht etwa den Rücken aus, sondern gerade die empfindlichsten
- Stellen. Schlägt einem die Peitsche um die Ohren oder geht einem sogar
- an den Bauch.«
- »Rechts? Wie?« Mit dieser trockenen Frage wandte sich Seliphan an das
- neben ihm sitzende Mädchen, indem er mit der Peitsche auf den vom Regen
- geschwärzten Weg hinwies, der sich zwischen frischen, in hellem Grün
- leuchtenden Feldern dahinzog.
- »Nein, noch nicht! Ich werde es dir schon sagen!« antwortete das
- Mädchen.
- »Nun, wohin denn?« fragte Seliphan, als sie sich dem Kreuzweg näherten.
- »Dorthin!« sagte das Mädchen, indem es mit dem Finger die Richtung
- anzeigte.
- »Ach! du!« sagte Seliphan, »das ist doch rechts! Kann rechts und links
- nicht unterscheiden.«
- Obwohl der Tag sehr heiter war, war die Straße derartig schmutzig, daß
- der Kot an den Wagenrädern kleben blieb und sie bald wie mit einer
- Filzschicht bedeckte, was die Equipage am Fortkommen hinderte. Dazu war
- der Boden noch sehr locker und lehmig. Dieses war die Ursache, daß sie
- die Landstraße nicht vor Mittag erreichten. Ohne das Mädchen wäre es
- ihnen wahrscheinlich auch schwerlich gelungen, weil die Wege nach allen
- Richtungen auseinanderliefen, wie gefangene Krebse, wenn man sie aus dem
- Netze schüttet. Und Seliphan hätte sich ohne seine Schuld leicht
- verirren können. Bald darauf zeigte das Mädchen mit der Hand auf ein
- Gebäude, das in der Ferne sichtbar wurde, und sagte: »Da ist die
- Poststraße.«
- »Und was ist das für ein Gebäude?« fragte Seliphan.
- »Ein Wirtshaus,« sagte das Mädchen.
- »So, nun werden wir schon selbst den Weg finden. Du kannst jetzt nach
- Hause gehen.«
- Er hielt an und half ihr beim Absteigen, während er vor sich
- hinmurmelte: »Du Dreckbein!«
- Tschitschikow gab ihr eine Kupfermünze, und sie lief munter nach Hause,
- hocherfreut, daß sie auf dem Kutschbock hatte fahren dürfen.
- Viertes Kapitel
- Als man sich dem Wirtshause näherte, ließ Tschitschikow anhalten und
- zwar aus zwei Gründen. Einmal wollte er die Pferde ausruhen lassen, und
- dann wünschte er auch selbst etwas zu sich zu nehmen und sich zu
- stärken. Der Autor muß gestehen, daß er diese Art Leute um ihren guten
- Magen und ihren Appetit aufrichtig beneidet. Für ihn haben jene große
- Herren nur wenig Bedeutung, welche in Petersburg oder Moskau wohnen und
- deren ganze Zeit im Nachdenken darüber aufgeht, was sie morgen zu Mittag
- speisen werden, und was für ein Menu sie für übermorgen zusammenstellen
- könnten, sie, die sich nicht eher an die Mittagstafel setzen, bevor sie
- ein paar Pillen geschluckt und ein paar Austern oder Krabben und andere
- Meerwunder verschlungen haben, um sich zum Schluß nach Karlsbad oder in
- den Kaukasus zu begeben. Nein, diese Herrschaften haben nie den Neid des
- Autors wachrufen können. Wohl aber jene mittleren Leute, welche auf
- _einer_ Station eine Portion Schinken bestellen, auf der nächsten ein
- Spanferkel, auf der dritten ein Stück Stör oder Bratwurst mit Knoblauch,
- und die sich dann zu Tische setzen, wie wenn nichts passiert wäre, und
- zwar zu jeder beliebigen Zeit. Die Suppe aus Quappe, Sterlet und
- Fischmilch zischt und brodelt zwischen ihren Zähnen, begleitet von
- Fischpasteten oder einer Welspirogge, sodaß bei jedem Unbeteiligten der
- Appetit rege werden muß. -- Diese Leute erfreuen sich einer
- beneidenswerten Himmelsgabe. Mehr als einer von den großen Herren würde
- sofort die Hälfte seiner Bauern und der verpfändeten und unverpfändeten
- Güter mit all ihren modernen Errungenschaften, die das In- und Ausland
- hervorbrachten, darangeben, um nur einen solchen Magen zu haben, wie so
- ein Mann des guten Bürgerstandes. Das Unglück ist leider nur, daß man
- sich weder für Geld noch Güter mit und ohne Errungenschaften einen
- solchen Magen zulegen kann, wie ihn ein Herr der mittleren Stände
- besitzt.
- Das hölzerne, verwitterte Wirtshaus nahm Tschitschikow unter sein
- gastliches Vordach, welches auf gedrechselten Säulen ruhte, die große
- Ähnlichkeit mit altertümlichen Kirchenleuchtern hatten. Dieses Wirtshaus
- war eine Art russische Bauernhütte, nur in etwas größerem Maßstab. Die
- mit Schnitzwerk verzierten Karnise aus frischem Holze um die Fenster
- herum und unter dem Dach hoben sich lebhaft von den dunklen Wänden ab.
- Auf den Fensterläden waren Krüge mit Blumen abgebildet.
- Nachdem Tschitschikow die enge Holztreppe hinaufgestiegen war, betrat er
- den breiten Flur. Hier stieß er auf eine Tür, welche sich knarrend
- auftat, sowie auf ein dickes altes Weib in einem bunten Kattunkleid, das
- ihn mit folgenden Worten anredete: »Hierher, bitte!« In dem Gastzimmer
- fand er lauter alte Bekannte, denen man immer in den kleinen hölzernen
- Wirtshäusern an der Landstraße begegnet; den dampfbeschlagenen Samowar,
- die glatt gehobelten Wände aus Fichtenholz, ein dreieckiges Spind mit
- Teekannen und Tassen in der Ecke, vergoldete Porzellaneier vor den
- Heiligen-Bildern, die an blauen und roten Bändern hingen, eine Katze,
- die vor kurzem Junge geworfen hatte, einen Spiegel, der statt zwei Augen
- vier und statt eines Gesichtes eine Art Pfannkuchen erkennen ließ,
- endlich Sträuße aus wohlriechenden Kräutern und Nelken, welche hinter
- die Heiligenbilder gesteckt und schon so stark vertrocknet waren, daß
- jeder, den die Lust anwandelte an ihnen zu riechen, zu niesen begann,
- sonst aber unbefriedigt blieb.
- »Haben Sie Spanferkel?« Mit dieser Frage wandte sich Tschitschikow an
- die dicke Alte.
- »Gewiß!«
- »Mit Meerrettich und saurer Sahne?«
- »Freilich mit Sahne und Meerrettich.«
- »Her damit!«
- Die Alte ging, kramte im Speiseschrank umher und brachte einen Teller,
- eine Serviette, steif gestärkt wie getrocknete Baumrinde, ferner ein
- Messer mit einem gelblichen Knochengriff, und einer Klinge, dünn wie die
- eines Federmessers und schließlich eine zweizinkige Gabel und ein
- Salzfaß, das durchaus nicht geradestehen wollte.
- Unser Held ließ sich nach seiner Gewohnheit sogleich in ein Gespräch mit
- ihr ein. Er erkundigte sich, ob sie selbst die Besitzerin des Gasthofes
- oder ob noch ein Wirt da sei; wieviel das Geschäft abwerfe; ob ihre
- Söhne bei ihr wohnten; was der älteste Sohn für einen Beruf habe und ob
- er schon verheiratet oder noch Junggeselle sei; was er für eine Frau
- genommen habe, mit oder ohne Mitgift; ob der Schwiegervater zufrieden
- und ob der Sohn nicht ärgerlich gewesen sei, daß er zu wenig
- Hochzeitsgeschenke bekommen habe. Mit einem Wort, er vergaß nicht das
- Mindeste. Es versteht sich von selbst, daß er auch Erkundigungen darüber
- einzog, was für Gutsbesitzer in der Nähe wohnten, und er erfuhr, daß es
- deren verschiedene gäbe, einen gewissen Blochin, Potschitajew, Mylny,
- Oberst Tscherpakow, Sabakewitsch. »Ah! du kennst Sabakewitsch?« fragte
- er die Alte, und er hörte sogleich, daß sie nicht nur Sabakewitsch,
- sondern auch Manilow kenne, und daß Manilow etwas »dewikater« sei als
- Sabakewitsch. »Er bestellte sofort ein Huhn oder Kalbsbraten; gibt es
- Hammelleber, so verlangt er auch Hammelleber und ißt von allem nur ein
- wenig. Dagegen bestellt Sabakewitsch immer nur ein einziges Gericht, das
- er dann aber auch ganz aufißt. Ja, er verlangt sogar noch eine größere
- Portion für dasselbe Geld.«
- Während er sich in dieser Weise unterhielt und vergnügt sein Spanferkel
- verzehrte, von dem nur noch ein kleines Stück auf dem Teller übrig
- blieb, hörte er plötzlich das Rädergerassel einer heranrollenden
- Equipage. Er blickte zum Fenster hinaus und sah eine zierliche Kutsche
- vor dem Wirtshaus halten, die mit drei braven Pferden bespannt war. Aus
- dem Wagen stiegen zwei Herren heraus. Der eine von ihnen war blond und
- von hohem Wuchs, der andere etwas kleiner und brünett. Der Blonde trug
- eine dunkelblaue Joppe, der andere hatte eine gewöhnliche buntgestreifte
- Morgenjacke aus Bucharischem Stoffe an. Von ferne sah man noch ein
- leeres Wägelchen herankommen, das von einem langhaarigen Viergespann mit
- zerrissenen Halsbügeln und Halftern von Hanf gezogen wurde. Der Blonde
- lief sofort die Treppe hinauf, während der Dunkelhaarige noch ein wenig
- unten blieb, den Wagen untersuchte und, während er sich mit dem Knechte
- unterhielt, dem herankommenden Gefährt allerhand Zeichen gab.
- Tschitschikow kam seine Stimme ein wenig bekannt vor. Während er ihn
- betrachtete, hatte der Blonde bereits die Tür gefunden und öffnete sie
- eben. Dies war ein hochgewachsener Mann mit schmalem Gesicht oder, wie
- man zu sagen pflegt, mit etwas verlebten Zügen und kleinem roten
- Schnurrbart. Nach seiner gebräunten Gesichtsfarbe zu urteilen, hatte er
- schon oft im Dampfe gestanden, wenn nicht im Pulverdampf, so doch im
- Tabaksdampf. Er verbeugte sich höflich gegen Tschitschikow, worauf jener
- mit einer gleichen Verbeugung antwortete. Sie hätten sicherlich schon
- nach wenigen Minuten eine Unterhaltung angeknüpft und nähere
- Bekanntschaft mit einander gemacht, weil der erste Schritt dazu ja schon
- getan war und beide fast zu gleicher Zeit ihre Freude darüber äußerten,
- daß der Staub auf der Landstraße durch den gestrigen Regen vollständig
- niedergeschlagen und daß die Reise jetzt angenehm und kühl sei, wenn
- nicht sein schwarzhaariger Gefährte plötzlich ins Zimmer getreten wäre;
- er riß seinen Hut vom Kopfe und warf ihn auf den Tisch, indem er sich
- mit einer kühnen Handbewegung durch das Haar fuhr. Dies war ein Mann von
- mittlerem Wuchs, ein stattlicher Kerl mit vollen rosigen Wangen,
- schneeweißen blitzenden Zähnen und pechschwarzem Backenbart. Dazu hatte
- er so frische Farben wie Blut und Milch; sein Gesicht strotzte förmlich
- vor Gesundheit.
- »Ba, Ba, Ba,« rief er plötzlich und breitete beim Anblick Tschitschikows
- die Arme weit aus. »Was führt Sie hierher?«
- Hier erkannte Tschitschikow, daß es Nosdrjow war, jener Herr mit dem er
- beim Staatsanwalt gespeist und der sich mit ihm schon nach wenigen
- Minuten so vertraut gemacht hatte, daß er ihn zu duzen begann, obwohl
- ihm Tschitschikow seinerseits nicht die geringste Veranlassung dazu
- gegeben hatte.
- »Wo warst du?« fragte Nosdrjow und fuhr ohne die Antwort abzuwarten,
- sogleich fort: »Ich komme von der Messe lieber Freund; du kannst mir
- gratulieren. Ich bin blank; ich habe den letzten Heller dagelassen. Du
- wirst mir's nicht glauben, daß ich noch nie in meinem Leben so blank
- war. Ich habe mir eine Droschke mieten müssen. Sieh einmal aus dem
- Fenster; da steht sie noch!« Hierbei drückte er Tschitschikows Kopf
- herunter, sodaß dieser sich beinah am Fensterkreuz gestoßen hätte. »Sieh
- doch die Klepper an, die verdammten Viecher haben mich kaum bis hierher
- geschleppt. -- Ich mußte schließlich sogar in seinen Wagen steigen.« Bei
- diesen Worten zeigte Nosdrjow mit dem Finger auf seinen Gefährten:
- »Ah -- ihr seid noch nicht bekannt. Mein Schwager Mishujew! Wir haben
- schon den ganzen Morgen von dir gesprochen. >Paß mal auf,< habe ich
- gesagt, >wenn wir Tschitschikow treffen.< Nein, wenn du wüßtest, Bruder,
- wie blank ich bin. Glaub's oder nicht, ich bin nicht nur meine vier
- Gäule los geworden, ich habe tatsächlich alles verjuchzt. Ich habe nicht
- mal mehr Uhr und Kette.« Tschitschikow sah ihn an und überzeugte sich,
- daß er wirklich weder Uhr noch Kette trug. Ja, es schien ihm sogar, daß
- die eine Hälfte seines Backenbartes etwas kleiner und dünner war, als
- die andre.
- »Und doch, wenn ich nur zwanzig Rubel in der Tasche gehabt hätte,« fuhr
- Nosdrjow fort, »genau zwanzig und nicht mehr noch weniger, ich hätte
- wahrhaftig Alles wieder gewonnen, d. h. ich hätte es nicht nur
- wiedergewonnen, sondern, -- so wahr ich ein ehrlicher Mann bin, ich
- hätte jetzt noch dreißigtausend dazu in der Tasche.«
- »Das hast du auch schon da gesagt,« wandte ihm hier der Blonde ein.
- »Aber als ich dir die fünfzig Rubel gab, hast du sie doch gleich darauf
- verspielt.«
- »Ich hätte sie bei Gott nicht verloren. Wahrhaftig nicht. Hätte ich
- damals keine Dummheit gemacht, so besäße ich sie noch jetzt.
- Hätte ich nach dem Paroli der verdammten Sieben keine Ecke geschlagen,
- ich hätte die ganze Bank sprengen können.«
- »Du hast sie doch aber nicht gesprengt,« sagte der Blonde.
- »Natürlich nicht, weil ich eben die Ecke nicht zur rechten Zeit
- geschlagen habe. Du glaubst wohl, daß dein Major sehr schön spielt?«
- »Schön oder nicht schön, er hat dich doch gerupft.«
- »Auch was Großes,« sagte Nosdrjow.
- »So hätte ich ihn auch reinlegen können. Er sollte mal versuchen,
- Doublet zu spielen, dann wollen wir mal sehen, was der Kerl kann. Dafür
- haben wir aber auch die letzten Tage fein durchgebummelt, Freund
- Tschitschikow. Nein wirklich, die Messe war großartig. Selbst die
- Kaufleute sagen, daß es noch niemals so ein Leben gab. Wir haben alles,
- was von meinem Gut kam, zu den höchsten Preisen losgeschlagen. Ach,
- Freund, wie wir gezecht haben. Wenn ich jetzt noch daran denke, Teufel
- .... es ist doch schade, daß du nicht dabei warst. Stell dir vor, drei
- Werst vor der Stadt stand ein Dragonerregiment und denk dir nur,
- sämtliche Offiziere, soviel überhaupt da waren, ich glaube, an die
- vierzig Mann hoch, kamen in die Stadt, und als dann erst das Saufen
- losging ...... der Stabsrittmeister Patzelujeff, das ist doch ein
- famoser Mensch; -- hat der einen Schnurrbart, -- -- -- so groß. Statt
- Kognak sagt er einfach Jäckchen. >Bring mir doch schnell ein Jäckchen,<
- ruft er dem Kellner zu. Leutnant Kufschinnikow ... Weißt du, Freund, ein
- zu netter Mensch! Ein richtiger Zechbruder, das kann man wohl sagen. Wir
- waren immer zusammen. Und was uns der Ponomarjow für einen Wein
- vorgesetzt hat! Der ist nämlich ein Gauner, mußt du wissen. Bei dem darf
- man nichts kaufen. Der Teufel mag wissen, womit der den Wein vermengt.
- Der Kerl färbt ihn mit Sandelholz, gebranntem Kork und Holundermark;
- wenn man ihm aber aus dem letzten Zimmer, das er sein Allerheiligstes
- nennt, eine Flasche herausschmuggelt, wahrhaftig Freund, dann glaubt man
- sich gleich im siebenten Himmel. Einen Champagner hatten wir, sage ich
- dir! ... Dagegen ist der des Gouverneurs das reinste Weißbier. Stell dir
- vor, nicht Cliquot, sondern irgend ein Cliquot-Matradura, gewissermaßen
- ein potenziertes Cliquot. Und dann holte ich noch eine Flasche
- französischen Wein, Marke Bonbon. Na, der Geruch -- ff., wie
- Rosenknospen und sonst noch alles, was dein Herz begehrt .. Donner,
- haben wir gezecht! .. Nach uns kam noch ein Fürst hin. Der ließ nach
- Champagner schicken. -- Denk dir, in der ganzen Stadt keine Flasche
- aufzutreiben: die Offiziere hatten den ganzen Sekt ausgetrunken. Du
- kannst mir's glauben, ich allein hab während des Diners siebzehn
- Flaschen hinter die Binde gegossen!«
- »Na, na! siebzehn Flaschen, das bringst du denn doch nicht fertig,«
- bemerkte der Blonde.
- »So wahr ich ein ehrlicher Mann bin, ich hab sie doch ausgetrunken.«
- »Du magst reden was du willst. Ich sage dir, du kannst nicht einmal zehn
- bewältigen.«
- »Was gilt die Wette!?«
- »Wozu denn wetten!«
- »Gut, wetten wir um die Flinte, die du dir in der Stadt gekauft hast!«
- »Ich mag nicht.«
- »Ach was, tu's doch, versuch's nur!«
- »Ich will's aber nicht versuchen.«
- »Du hast wohl keine Lust, deine Flinte zu verlieren! Hör mal, Freund
- Tschitschikow, hab ich's aber bedauert, daß du nicht dabei warst. Ich
- bin sicher, du hättest dich von Leutnant Kufschinnikow garnicht trennen
- können. Ihr hättet euch gleich verstanden. Der ist nicht wie der
- Staatsanwalt und die hiesigen Provinzgrößen unserer Stadt, die für jede
- Kopeke zittern. Der macht alles mit: einen Landsknecht, Pharao, ein
- Pokerchen, hält ein Bänkchen und alles, was du willst. Ach,
- Tschitschikow, nun was hätte es dich gekostet, mitzumachen. Wirklich, du
- bist ein Schwein, alter Saukerl du! Gib mir 'nen Kuß! Ich hab dich
- schrecklich lieb. Nimm mal den Mishujew, das Schicksal hat uns
- zusammengeführt; was ist er mir und was bin ich ihm? Kommt eines schönen
- Tages angefahren, Gott weiß woher! Zufälliger Weise muß ich auch gerade
- hier wohnen .... Und wieviel Wagen da waren, lieber Freund! Es ging
- alles ins Große, weißt du. Engros! Ich hab auch mal Fortuna versucht und
- zwei Büchschen Pomade, eine Porzellantasse und eine Gitarre gewonnen.
- Dann hab ich nochmal mein Glück probiert und alles wieder verloren, so
- 'ne Gemeinheit, und noch sechs Rubel dazu. Wenn du wüßtest, was für ein
- Don Juan der Kufschinnikow ist. Ich war auf allen Bällen mit ihm
- zusammen. Da war eine, die war so aufgeputzt: Rüschen und Spitzen, und
- weiß der Teufel, was die nicht alles an sich sitzen hatte. Ich dachte
- mir immer, Teufel! Der Kufschinnikow aber -- so 'ne Bestie, was? --
- Setzt sich zu ihr und bekomplimentiert sie auf französisch. Du kannst
- mir's glauben, der würde nicht einmal ein Bauernweib durchlassen. Das
- nennt er »Erdbeeren pflücken«. Es waren auch herrliche Fische, und vor
- allem Störe angekommen. Ich habe einen mitgebracht -- noch gut, daß mir
- der Gedanke kam einen zu kaufen, solange ich noch Geld hatte. Wo reist
- du denn jetzt hin?«
- »Ach, ich will zu einem Menschen hier,« sagte Tschitschikow.
- »Zu was für einem Menschen? Ach was, laß ihn laufen! Komm! wir fahren
- zusammen zu mir nach Hause!«
- »Nein, nein, es geht nicht. Ich habe zu tun.«
- »Ach was, zu tun! Hat sich was ausgedacht! Oh du Opodeldok Iwanowitsch!«
- »Nein wirklich, ich habe zu tun, und sogar etwas sehr Wichtiges!«
- »Ich möchte darauf wetten, du lügst! Also sag mal, zu wem fährst du?«
- »Nun meinetwegen. Zu Sabakewitsch.«
- Hier brach Nosdrjow in jenes laute und helle Lachen aus, dessen nur ein
- frischer und gesunder Mensch fähig ist, der dabei seinen Mund weit
- auftut, uns die ganze Reihe seiner Zähne sehen läßt, die tadellos und
- blendend weiß sind wie Zucker, während seine Gesichtsmuskeln hüpfen und
- springen, sodaß der Nachbar im dritten Zimmer, das durch zwei Türen von
- ihm getrennt ist, aus dem Schlaf in die Höhe fährt, die Augen aufreißt
- und ausruft: »Was mag bloß in den gefahren sein!«
- »Was gibt es hier zu lachen?« sagte Tschitschikow, der sich ein wenig
- über das Gelächter ärgerte.
- Aber Nosdrjow fuhr fort, aus vollem Halse zu lachen, indem er
- zwischendurch rief: »Nein, bitte, verschone mich; ich berste vor
- Lachen!«
- »Das ist durchaus nicht lächerlich: ich habe ihm mein Wort gegeben,«
- sagte Tschitschikow.
- »Aber du wirst ja deines Lebens nicht froh, wenn du zu ihm hinfährst;
- das ist doch ein ganz gemeiner Geizhals, ein Halsabschneider! Ich kenne
- doch deinen Charakter; du befindest dich in einem ungeheueren Irrtum,
- wenn du glaubst, du findest dort Gelegenheit zu einem kleinen Spielchen,
- eine gute Flasche Bonbon oder sonst was. Hör mal, lieber Freund! Hol
- doch der Teufel diesen Sabakewitsch! Komm zu mir! Ich setze dir einen
- Stör vor. Der Ponomarjow, diese Bestie hat nur immer Kratzfüße gemacht
- und versichert: >Ich tue es nur für Sie! Sie können die ganze Messe
- absuchen und werden keinen solchen finden.< Übrigens ein durchtriebener
- Spitzbube. Ich habe es ihm gleich ins Gesicht gesagt: >Sie und unser
- Branntweinpächter, ihr seid die größten Gauner, die es auf der Welt
- gibt,< hab ich ihm gesagt. Dabei lacht die Bestie und streicht sich den
- Bart. Kufschinnikow und ich, wir haben jeden Tag in seinem Laden
- gefrühstückt. Richtig, lieber Freund, beinah hätte ich vergessen, es dir
- zu sagen: ich weiß zwar, du wirst mich nicht in Ruhe lassen, aber ich
- sage es dir im voraus, du kriegst ihn nicht einmal für zehntausend
- Rubel!« »He Porphyr!« rief er seinem Diener zu, indem er ans Fenster
- trat. Dieser stand mit einem Messer in der einen Hand da, während er in
- der andern eine Brotrinde und ein Stück Stör hielt, das er mit einem
- glücklichen Griff erwischt hatte, als er gerade etwas aus dem Wagen
- holen wollte. »He, Porphyr!« schrie Nosdrjow, »bring doch mal den
- kleinen Köter herauf!« »Ein feiner Köter! Was!« fuhr er fort, indem er
- sich an Tschitschikow wandte. »Natürlich gestohlen! Der Besitzer wollte
- ihn um keinen Preis hergeben. Ich bot ihm die hellbraune Stute dafür,
- weißt du, die, welche ich vom Chwostyrjow erstanden habe.« Übrigens
- hatte Tschitschikow sein Lebtag weder Chwostyrjow noch die braune Stute
- gesehen.
- »Wollen der gnädige Herr nichts zu sich nehmen?« sagte jetzt die Alte,
- indem sie sich ihm näherte.
- »Nein! Nichts! Ich sag dir Freund! Wir haben gebummelt! Übrigens kannst
- du mir einen Schnaps geben! Was habt ihr für welchen?«
- »Anis«, antwortete die Alte.
- »Nun meinetwegen, einen Anis,« rief Nosdrjow.
- »Dann gib mir gleich auch ein Gläschen!« sagte der Blonde.
- »Im Theater war eine Sängerin, die sang ganz wie 'ne Nachtigall, so'ne
- Kanaille! Kufschinnikow, der neben mir saß, sagte zu mir: >Weißt du
- Freund das wär so was! Da möcht ich mal Erdbeeren pflücken!< Ich glaube
- die Zahl der Meßbuden war allein größer als fünfzig. Thenardi drehte
- sich vier Stunden lang herum, wie eine Windmühle.« Hierbei nahm er das
- Gläschen aus der Hand der Alten, die sich tief vor ihm verneigte. »Her
- mit ihm!« rief er plötzlich aus, als er Porphyr erblickte, der mit einem
- jungen Hund ins Zimmer trat. Porphyr war ebenso gekleidet wie sein Herr,
- auch er trug eine wattierte bucharische Joppe, die nur ein wenig
- fettiger war.
- »Gib ihn her, leg ihn hierher, auf den Fußboden!«
- Porphyr legte das Hündchen auf den Fußboden, welches seine vier Pfoten
- weit ausstreckte und die Diele zu beschnüffeln begann.
- »Das ist ein Hund!« sagte Nosdrjow, indem er das Tier am Wickel nahm und
- mit einer Hand in die Höhe hob. Das Hündchen stieß einen recht
- kläglichen Ton aus.
- »Du hast wieder nicht getan, was ich dir befohlen habe,« sagte Nosdrjow
- zu Porphyr gewendet, während er den Bauch des Hündchens aufmerksam
- betrachtete. »Es ist dir garnicht eingefallen, ihn zu kämmen.«
- »Nein, ich habe ihn gekämmt.«
- »Wo kommen denn die Flöhe her!«
- »Das kann ich nicht wissen. So etwas kommt vor, vielleicht hat er sie
- sich im Wagen geholt!«
- »Du lügst! Unsinn! Es ist dir nicht im Traume eingefallen, ihn zu
- kämmen; ich glaube, der Esel hat ihm noch von den seinigen abgegeben.
- Sieh nur, Tschitschikow, sieh nur, was für Ohren! Komm doch, streichele
- ihn mal!«
- »Wozu! Ich sehe es ja auch so! Die Rasse ist gut,« sagte Tschitschikow.
- »Nein, streichele ihn nur mal; befühle mal die Ohren!«
- Tschitschikow tat Nosdrjow den Gefallen, und nahm den Hund bei den
- Ohren. »Ja, es wird ein schönes Tier,« fügte er hinzu.
- »Und fühle mal seine kalte Schnauze an! Nimm doch die Hand!« Um ihn
- nicht zu beleidigen, befühlte Tschitschikow auch die Schnauze, indem er
- bemerkte: »Kein übler Riecher!«
- »Ein echter Bullenbeißer!« fuhr Nosdrjow fort. »Ich muß gestehen, ich
- habe schon lange nach einem Bullenbeißer gefahndet. Da, Porphyr, trage
- ihn fort.«
- Porphyr nahm das Hündchen beim Bauche und brachte es in den Wagen
- zurück.
- »Hör mal, Tschitschikow, du mußt jetzt unbedingt zu mir kommen. Es sind
- ja nur fünf Werst von hier. Wir sind im Handumdrehen da. Nachher kannst
- du meinetwegen auch zu Sabakewitsch fahren.«
- »Hm!« dachte Tschitschikow, »ich könnte ja schließlich auch einen Besuch
- bei Nosdrjow machen. Er ist am Ende nicht schlimmer als die andern. Ein
- Mensch wie alle! Und zudem hat er noch Geld verloren. Der ist zu allem
- fähig. Dem werd ich schon umsonst etwas abtrotzen. -- Also gut,
- meinetwegen! Nur eins, du darfst mich nicht zurückhalten; meine Zeit ist
- mir teuer.«
- »Siehst du, Herzchen, so gefällst du mir; das ist nett von dir. Komm,
- laß dir einen Kuß dafür geben!« Und Nosdrjow und Tschitschikow umarmten
- und küßten sich herzlich. »Famos, jetzt fahren wir zu dritt!«
- »Nein, mich mußt du schon entschuldigen,« sagte der Blonde. »Ich muß
- nach Hause.«
- »Ach, Torheiten, Freund! Ich laß dich nicht fort.«
- »Nein wirklich, meine Frau wird sonst böse; übrigens kannst du ja jetzt
- in seinen Wagen steigen.«
- »Nein, nein, nein! Du sollst garnicht daran denken.«
- Der Blonde war einer von jenen Menschen, in deren Charakter man zuerst
- einen gewissen Starrsinn zu entdecken glaubt. Man hat kaum Zeit den Mund
- zu öffnen, da fallen sie einem schon streitlustig ins Wort, und niemals
- werden sie etwas zugeben, was ihrer Denkweise widerspricht. Es scheint
- einem, daß sie nie einen Dummen klug nennen und vor allem niemals nach
- der Pfeife eines anderen tanzen werden. Am Ende aber zeigt es sich, daß
- in ihrem Wesen etwas Weiches, Nachgiebiges liegt, daß sie schließlich
- gerade das zugeben, was sie erst bestritten haben, das Dumme -- klug
- nennen und den herrlichsten Tanz nach der fremden Pfeife aufführen. Sie
- fangen forsch an und enden schmählich.
- »Ah, Torheiten,« antwortete Nosdrjow auf einen Einwand des Blonden,
- drückte ihm den Hut auf den Kopf und -- der Blonde folgte ihnen auf dem
- Fuße.
- »Gnädiger Herr, der Schnaps ist noch nicht bezahlt,« rief die Alte ihnen
- nach.
- »Schon recht, schon recht, Mütterchen! Sei so gut, lieber Schwager,
- bezahle du für mich! Ich habe nicht mal Kupfer in der Tasche.«
- »Was bekommst du?« fragte der Schwager.
- »Es ist nicht der Rede wert, Väterchen. Es macht ja nur achtzig
- Kopeken.«
- »Du lügst! Gib ihr 'nen halben Rubel! das ist mehr als genug.«
- »Ein bissel wenig, gnädiger Herr,« sagte die Alte. Indessen nahm sie das
- Geld dankend an und lief atemlos voraus, um die Türe zu öffnen. Sie
- hatte nichts verloren, denn der Schnaps kostete nicht den vierten Teil
- von dem, was sie gefordert hatte.
- Die Reisenden stiegen ein und nahmen in ihren Kutschen Platz.
- Tschitschikows Wagen fuhr neben der Equipage, in der Nosdrjow und sein
- Schwager saßen, her, und so konnten sich alle drei während des ganzen
- Weges bequem miteinander unterhalten. Nosdrjows kleiner, mit den dürren
- Mietspferden bespannter Wagen folgte langsam nach und blieb immer mehr
- zurück. In ihm saß Porphyr mit dem jungen Hunde.
- Da das Gespräch, in welches unsere Reisenden vertieft waren, sicherlich
- kein großes Interesse für den Leser haben dürfte, werden wir gut tun,
- diese Zeit zu benutzen, um einige Worte über Nosdrjow selbst zu sagen,
- der vielleicht nicht die geringste Rolle in unserer Dichtung spielen
- wird.
- Nosdrjows Gesicht ist dem Leser wahrscheinlich schon ein wenig bekannt.
- Ein jeder von uns wird Leuten dieses Schlages sicherlich mehr als einmal
- begegnet sein. Man nennt sie forsche Burschen; schon als Knaben und in
- der Schule gelten sie als gute Kameraden und kriegen bei alledem ihre
- Prügel, die oft sehr schmerzhaft sind. Aus ihrem Gesicht spricht
- Offenheit, Gradheit und eine gewisse Bravour. Sie schließen schnell
- Freundschaften, und eh man sich's versieht, duzen sie einen schon. Sie
- schwören immer ewige Freundschaft, und fast scheint's, daß sie ihr
- Versprechen auch halten werden; aber dann kommt es beinahe immer so, daß
- der neue Freund sie noch am selben Abend beim freundschaftlichen Mahle
- durchprügelt. Das sind stets Schwätzer, Zechbrüder, feine Jungens, mit
- einem Wort Leute, die was bedeuten. Nosdrjow war mit fünfunddreißig
- Jahren noch genau derselbe, wie mit siebzehn und zwanzig: er liebte es
- noch immer, zu bummeln und sich zu amüsieren. Die Ehe hatte ihn nicht im
- geringsten verändert, um so weniger, als seine Frau sehr bald ins
- bessere Jenseits einging, und ihn mit zwei Kindern zurückließ, die er
- absolut nicht brauchen konnte. Übrigens hatte er die Aufsicht über die
- Kinder einer recht appetitlichen Wärterin anvertraut. Er konnte es zu
- Hause nie länger als einen Tag aushalten. Seine feine Nase roch es auf
- fünfzig Werst heraus, wenn es irgendwo eine Messe gab, wo viele Menschen
- zusammenkamen und Feste und Bälle gefeiert wurden; im selben Augenblick
- war er da, stiftete Streit und Unordnung am grünen Tisch, denn er war,
- wie all diese Leute ein leidenschaftlicher Kartenspieler. Wie wir schon
- aus dem ersten Kapitel erfahren haben, spielte er nicht ganz korrekt und
- sauber, er kannte eine Reihe von Kniffen und Kunststücken, und daher
- gab's am Ende des Spiels gewöhnlich ein andres Spiel: entweder er bekam
- eine Tracht Prügel und ein paar tüchtige Fußtritte oder man zupfte ihn
- an seinem schönen dicken Backenbart, so daß er manchmal nur mit einer
- Bart-Hälfte nach Hause kam, die auch nur noch recht dürftig aussah. Aber
- seine gesunden runden Backen waren aus so gutem Stoff gemacht und wurden
- von einer so intensiven animalischen Kraft durchflutet, daß der
- Backenbart bald wieder nachwuchs und noch schöner wurde, als früher. Und
- was dabei das Merkwürdigste war, und sicherlich nur allein in Rußland
- passieren kann, -- schon nach ganz kurzer Zeit war er wieder mit seinen
- Freunden zusammen, die ihn so hergenommen hatten, man begrüßte sich, wie
- wenn nichts vorgefallen wäre, und auch er tat seinerseits nicht im
- geringsten beleidigt.
- Nosdrjow war in gewisser Beziehung eine geschichtliche Persönlichkeit.
- Es gab keine einzige Gesellschaft, an der er teilnahm, wo nicht irgend
- eine »Geschichte« passierte. Irgendeine »Geschichte« gab es immer:
- entweder er wurde von ein paar Gendarmen beim Arm gefaßt und aus dem
- Saal geführt, oder seine eigenen Freunde sahen sich gezwungen, ihn
- hinauszubefördern. Und wenn es nicht gerade dies war, _etwas_ ereignete
- sich auf jeden Fall, was einem andern nie passiert wäre, sei es, daß er
- sich in der Restauration so sehr betrank, daß er garnicht aus dem Lachen
- herauskommen konnte, oder daß er sich so in seine eigenen Lügen
- verstrickte, sodaß ihm zuletzt selbst davor übel wurde. Dazu log er ohne
- jeden Grund und Anlaß. Plötzlich konnte es ihm einfallen, zu erzählen,
- er habe einmal ein Pferd mit blau und rot gestreiftem Fell gehabt oder
- irgend einen ähnlichen Blödsinn, bis alle Anwesenden weggingen und
- sagten: »Na Bruder, mir scheint, du fängst an zu schwindeln!« Es gibt
- Menschen, die eine wahre Leidenschaft haben, ihrem Nächsten einen üblen
- Streich zu spielen, ohne die geringste Ursache dazu zu haben. So gibt es
- zum Beispiel Leute von hohem Range, edlem Äußern und mit einem Stern auf
- der Brust, die einem freundlich die Hand drücken, sich über die tiefsten
- und erhabensten Gegenstände unterhalten, welche unseren Geist
- beschäftigen, um einem plötzlich ganz offen vor aller Augen einen
- niederträchtigen Streich zu spielen, wie er wohl eines ganz gewöhnlichen
- Kollegienregistrators, nicht aber eines Mannes würdig ist, der einen
- Stern auf der Brust trägt und über die tiefsten und erhabensten
- Gegenstände spricht, die unseren Geist beschäftigen, sodaß man dasteht
- und staunt, und höchstens mit den Achseln zuckt. Auch Nosdrjow hatte
- diese merkwürdige Liebhaberei. Je näher sich einer ihm anschloß, um so
- ärger trieb er es mit ihm: er verbreitete allerhand unmögliche Gerüchte,
- wie sie sich kaum törichter und dümmer erfinden lassen, machte
- Verlobungen rückgängig, verdarb einem das Geschäft und hielt sich dabei
- keineswegs für den Feind des Betreffenden; im Gegenteil, fügte es sich
- so, daß man wieder mit ihm zusammentraf, dann kam er einem höchst
- freundschaftlich entgegen und sagte sogar: »Du bist doch ein ganz
- gemeiner Kerl! Warum besuchst du mich niemals?« Nosdrjow war in mancher
- Beziehung ein wirklich vielseitiger Mensch, d. h. er war in allen
- Sätteln gerecht. In demselben Augenblick war er bereit, euch bis an alle
- vier Enden der Welt zu begleiten, an jedem Abenteuer teilzunehmen, jeden
- Tausch mit euch einzugehen. Flinten, Hunde, Pferde waren Tauschobjekte
- für ihn, aber er hatte durchaus nicht etwa den Hintergedanken, dabei zu
- gewinnen; dies war nur die Folge einer gewissen Lebhaftigkeit und
- Keckheit, die in seinem Charakter lagen. War es ihm geglückt, auf der
- Messe einem Einfaltspinsel zu begegnen und ihn im Spiel zu rupfen, dann
- kaufte er alles Mögliche zusammen, was er im ersten besten Laden
- vorfand: Halsbügel für seine Pferde, Räucherkerzchen, allerhand Tücher
- für das Kindermädchen, einen Hengst, Rosinen, eine silberne
- Waschschüssel, holländische Leinwand, Gerstenmehl, Tabak, Pistolen,
- Heringe, Bilder, Schleifsteine, Töpfe, Stiefel, Porzellangeschirr, bis
- ihm das Geld ausging. Übrigens passierte es nur höchst selten, daß er
- all die schönen Dinge mit nach Hause brachte: gewöhnlich wurde er sie
- noch am selben Tage wieder los, indem er sie an einen andern
- glücklichern Spieler verspielte, der häufig noch die eigne Pfeife, den
- Tabakbeutel und ein Mundstück, oder wohl gar noch das ganze Viergespann
- mit allem Zubehör: Wagen und Kutscher dazu bekam, sodaß der Herr selbst
- in einem kurzen Röckchen oder einer bucharischen Joppe auf die Suche
- nach einem Freunde gehen mußte, der ihn in seinem Wagen mitnahm. So war
- Nosdrjow! Vielleicht wird man ihn einen verbrauchten Typus nennen und
- sagen, heutzutage gebe es ja gar keine Nosdrjows mehr! Ach nein! Die
- Menschen, die so reden, haben sicherlich unrecht. Nosdrjow wird nicht so
- bald aus dieser Welt verschwinden. Er ist überall, mitten unter uns, und
- trägt vielleicht zufälligerweise nur einen andern Rock; aber die
- Menschen sind leichtsinnig und oberflächlich; wie oft halten sie jemand,
- wenn er nur einen andern Rock anhat, auch für einen ganz andern
- Menschen!
- Unterdessen hielten die drei Wagen bereits vor der Freitreppe des
- Nosdrjowschen Hauses. Im Hause waren keinerlei Vorbereitungen für ihren
- Empfang getroffen. Mitten im Speisezimmer standen zwei Arbeiter auf
- einer Stehleiter, weißten die Wände und sangen ein monotones Lied dazu,
- das gar kein Ende nehmen wollte; der ganze Fußboden war mit Kalk
- bespritzt. Nosdrjow rief den Leuten sogleich zu, sie sollten sich
- mitsamt ihrer Stehleiter hinauspacken und lief dann ins nächste Zimmer,
- um dort weitere Befehle zu erteilen. Die Gäste hörten, wie er beim Koch
- ein Mittagessen bestellte; Tschitschikow, der bereits wieder einigen
- Appetit verspürte, ersah daraus, daß sie sich wohl kaum vor 5 Uhr zu
- Tische setzen würden. Nosdrjow kam bald darauf zurück, um seine Gäste zu
- einem Spaziergang durch sein Gut mitzunehmen und ihnen alle
- Sehenswürdigkeiten desselben zu zeigen. Sie brauchten etwas mehr als
- zwei Stunden, um alles in Augenschein zu nehmen. Nosdrjow ruhte nicht
- eher, als bis er ihnen alles gezeigt hatte, bis ihm nichts mehr zu
- zeigen übrig blieb. Zuerst begab man sich in den Pferdestall, wo man
- zwei Stuten, einen grauen Apfelschimmel, einen Fuchs und einen braunen
- Hengst besichtigte. Der Hengst sah nicht gerade stattlich aus, aber
- Nosdrjow versicherte und schwor, daß er zehntausend Rubel für ihn
- bezahlt habe.
- »Zehntausend waren es sicher nicht,« bemerkte der Schwager, »der ist
- noch keine tausend wert.«
- »Bei Gott! Er kostet zehntausend!« sagte Nosdrjow.
- »Du kannst schwören, soviel du willst,« erwiderte der Schwager.
- »Nun gut, willst du wetten?« sagte Nosdrjow.
- Aber der Schwager wollte nicht wetten.
- Dann zeigte Nosdrjow den Gästen einen leeren Verschlag, in dem früher
- ein paar gute Pferde gestanden hatten. Daselbst befand sich auch ein
- Ziegenbock, der nach einem alten Aberglauben in keinem Pferdestall
- fehlen darf, und der sich mit seinen Genossen offenbar recht gut
- vertrug, denn er spazierte unter ihren Bäuchen hindurch, als ob er zu
- Hause wäre. Dann führte Nosdrjow die beiden Herren weiter, um ihnen
- einen kleinen Wolf zu zeigen, welcher an der Kette lag. »Das ist ein
- junger Wolf!« sagte er, »ich füttere ihn absichtlich mit rohem Fleisch!«
- Dann sah man sich noch einen Teich an, in dem sich, nach Nosdrjows
- Worten, Fische von solcher Größe befanden, daß mindestens zwei Menschen
- dazu gehörten, um einen davon aus dem Wasser zu ziehen. Übrigens
- unterließ es der Schwager auch diesmal nicht, seine Zweifel zu äußern.
- »Hör mal Tschitschikow,« sagte Nosdrjow, »ich will dir ein paar
- herrliche Hunde zeigen: man glaubt gar nicht, was die für kräftige
- Muskeln haben! Und die Nase! So spitz wie eine Nadel!« Mit diesen Worten
- führte er sie zu einem hübschen kleinen Häuschen, das von einem großen
- und ringsum eingefriedigten Hof umgeben war. Als sie diesen betraten,
- erblickten sie eine ganze Kollektion von Hunden, wollhaarige und
- schlichthaarige aller nur möglichen Farben und Rassen, dunkelbraune,
- schwarze, schwarz- und braungefleckte, halbgescheckte, getigerte,
- braungescheckte, schwarzohrige, grauohrige usw. usw. ... Hier bekam man
- sämtliche Hundenamen und alle nur möglichen Imperative zu hören wie
- Beiß, Wach, Schimpf, Funke, Frechdachs, Gottseibeiuns, Störenfried,
- Stich, Pfeil, Schwälbchen, Schätzchen, Vorstehdame. Nosdrjow bewegte
- sich unter ihnen ganz wie ein Vater in seiner Familie: sie kamen alle
- mit freudig erhobenen Schwänzen, die man in der Jägersprache Ruten
- nennt, auf die Gäste zugestürzt und begrüßten sie lebhaft. Etwa zehn
- Stück sprangen an Nosdrjow empor und legten ihm ihre Pfoten auf die
- Schultern. »Schimpf« bezeugte dieselbe Freundschaft für Tschitschikow
- und versetzte ihm, indem er sich auf die Hinterbeine stellte, einen
- herzhaften Kuß, sodaß jener schleunigst ausspie. Dann ging man zur
- Besichtigung der Hunde über, deren Muskelkraft Nosdrjows Stolz bildete
- -- und in der Tat, die Hunde waren gut. Hierauf sah man sich noch eine
- Hündin aus der Krim an, welche schon blind war und nach Nosdrjows Worten
- bald verrecken mußte. Vor zwei Jahren sei es noch eine recht gute Hündin
- gewesen. Man nahm auch diese Hündin in Augenschein, und siehe da, sie
- war wirklich blind. Von hier aus ging man weiter, um eine Wassermühle
- anzusehen, der die Achse fehlte, an welcher der obere Mühlstein
- befestigt ist, und um die er sich mit großer Geschwindigkeit dreht, oder
- an der er nach dem seltsamen Ausdruck des russischen Bauern herauf und
- herunter hüpft, weswegen er auch der »Hüpfer« genannt wird. »Nun kommt
- bald die Schmiede,« sagte Nosdrjow. Nach einigen Schritten erblickten
- sie tatsächlich eine Schmiede, deren Betrachtung man gleichfalls einige
- Augenblicke widmete.
- »Auf diesem Felde,« sagte Nosdrjow, indem er mit dem Finger hinzeigte,
- »gibt es eine solche Unmenge von Hasen, daß man die Erde garnicht sieht.
- Ich selbst habe neulich einen mit der Hand bei den Hinterläufen
- erwischt.«
- »Na, weißt du, mit der Hand erwischst du keinen Hasen.«
- »Und ich hab doch einen gefangen! Wahrhaftig!« antwortete Nosdrjow. »So,
- nun will ich dich an die Grenze meines Gutes führen,« setzte er hinzu,
- indem er sich an Tschitschikow wandte.
- Nosdrjow führte seine Gäste über das Feld, das stellenweise mit kleinen
- Mooshügeln bedeckt war. Die Gäste mußten den Weg über Brachland und
- geeggte Saatfelder nehmen. Tschitschikow verspürte eine gewisse
- Ermüdung. An vielen Stellen sanken ihre Füße in dem Sumpfe ein: so tief
- war das Land gelegen. Anfangs nahmen sie sich in acht und traten
- vorsichtig auf, da sie aber sahen, daß das doch nichts half,
- marschierten sie einfach drauflos, ohne zu fragen, wo der Dreck am
- höchsten lag. Nachdem sie ein beträchtliches Stück Weges zurückgelegt
- hatten, erblickten sie in der Tat die Grenze, welche durch einen
- hölzernen Pfahl und einen schmalen Graben markiert wurde.
- »Das ist die Grenze,« sagte Nosdrjow. »Alles was diesseits liegt -- dies
- alles ist mein Eigentum, und sogar jener Wald, den ihr da auf der
- anderen Seite schimmern seht, und das ganze Stück, das hinter dem Walde
- liegt, gehört mir.«
- »Seit wann ist denn das dein Wald?« fragte der Schwager. »Hast du ihn
- etwa neulich angekauft? Früher gehörte er dir doch nicht.«
- »Ja, ich habe ihn vor kurzem gekauft,« sagte Nosdrjow.
- »Wie ging denn das so schnell?«
- »Ich habe ihn erst vorgestern gekauft und teuer genug bezahlen müssen,
- weiß der Teufel!«
- »Aber du warst doch die ganze Zeit über auf der Messe?«
- »Ach, du alter Sophron, kann man denn nicht auf der Messe sein und
- zugleich Land kaufen. Nun ja, ich war auf der Messe und in meiner
- Abwesenheit hat der Verwalter das Gehölz gekauft.«
- »Es müßte denn schon der Verwalter sein,« sagte der Schwager, noch immer
- zweifelnd und schüttelte den Kopf.
- Die Gäste kehrten auf demselben elenden Wege nach Hause zurück. Nosdrjow
- führte sie in seine Stube, in der übrigens nichts von alledem zu
- entdecken war, was man gewöhnlich in einem Arbeitszimmer vorzufinden
- pflegt, d. h. weder Bücher noch Papiere, an der Wand hingen nur ein
- Säbel und zwei Flinten, eine zu dreihundert, und eine andere zu
- achthundert Rubel. Der Schwager sah sich im Zimmer um und schüttelte
- bloß den Kopf. Dann zeigte Nosdrjow seinen Freunden noch einige
- türkische Dolche; auf einem von ihnen las man die Inschrift »Meister
- Sawelij Sibirjakow«, die wohl nur durch ein Versehen in ihn eingegraben
- worden war. Darnach bekamen die Gäste eine Drehorgel zu sehen, auf der
- Nosdrjow sogleich irgend ein Stück vortrug. Die Drehorgel hatte keinen
- unangenehmen Klang, nur schien in ihrem Inneren etwas passiert zu sein,
- denn die Mazurka, welche Nosdrjow spielte, ging plötzlich in das Lied:
- »Held Malborough zog in die Schlacht« über, und dieses schloß wiederum
- mit einem altbekannten Walzer. Nosdrjow drehte schon lange nicht mehr,
- aber das Instrument hatte eine sehr kecke Pfeife, die durchaus nicht zum
- Schweigen zu bringen war und noch lange für sich allein weitertönte.
- Dann ging man zu den Tabakspfeifen über, deren Nosdrjow eine ganze
- Kollektion besaß: Holz-, Ton- und Meerschaumpfeifen, eingerauchte und
- nicht eingerauchte, mit Lederüberzügen und ohne solche usw.; man sah
- sich auch ein Pfeifenrohr mit einer Bernsteinspitze, das Nosdrjow erst
- vor kurzem im Spiele gewonnen und einen gestickten Tabaksbeutel an, das
- Geschenk einer Gräfin, welche sich auf einer Poststation bis über die
- Ohren in ihn verliebt hatte, und deren Händchen das »subtilste
- Superflüh« waren, ein Ausdruck, der für ihn wahrscheinlich soviel wie
- die höchste Vollkommenheit bedeutete. Nachdem man ein paar Schnitten
- Stör zu sich genommen hatte, setzte man sich gegen fünf Uhr zu Tisch.
- Das Mittagessen spielte offenbar in Nosdrjows Leben keine sehr
- bedeutende Rolle, denn er schien keinen sehr großen Wert auf die
- Zubereitung der Speisen zu legen; sie waren teils angebrannt, teils noch
- nicht ganz gar. Der Koch ließ sich wahrscheinlich mehr durch eine
- gewisse Inspiration leiten und bediente sich bei der Herstellung der
- Gerichte aller guten Dinge, die ihm gerade unter die Hand kamen: stand
- zufälligerweise die Pfefferdose in seiner Nähe, dann schüttete er
- Pfeffer in den Kochtopf -- lag ein Kohlkopf auf dem Tisch, so tat er
- auch Kohl hinein und gab noch Milch, Schinken und Erbsen dazu -- mit
- einem Wort: er schüttete aufs Geradewohl etwas zusammen, die Hauptsache
- war, daß das Gericht recht heiß war, irgend einen Geschmack würde es
- schon haben! Dafür legte Nosdrjow ein großes Gewicht auf die Weine: die
- Suppe stand noch nicht auf dem Tisch, da schenkte er den Gästen schon
- ein Glas Portwein und ein zweites mit Haut Sauterne ein. In den Provinz-
- und in den Kreisstädten gibt es nämlich keinen gewöhnlichen Sauterne.
- Dann ließ Nosdrjow noch eine Flasche Madeira auftragen, »wie ihn selbst
- der Feldmarschall nicht besser getrunken hat«. Und in der Tat, der
- Madeira brannte einem in der Kehle, denn die Kaufleute, welche den
- Geschmack ihrer Kunden -- der Gutsbesitzer kannten, die einen
- _kräftigen_ Madeira liebten, versetzten ihn tüchtig mit Rum und
- bisweilen auch mit Königswasser, in der richtigen Erwägung, daß ein
- russischer Magen alles vertragen könne. Zuletzt ließ sich Nosdrjow noch
- eine ganz besondere Flasche bringen, die, wie er sagte, eine Art von
- Synthese aus Champagner und Bourgognon enthielt. Er schenkte rechts und
- links mit großem Eifer die Gläser voll und erwies dabei seinem Schwager
- und Tschitschikow die gleiche Aufmerksamkeit; doch machte Tschitschikow
- die Beobachtung, daß er sich selbst dabei am schlechtesten bedachte.
- Dies veranlaßte ihn, auf der Hut zu sein; wenn Nosdrjow gerade ins
- Gespräch mit seinem Schwager vertieft war, oder ihm das Glas
- vollschenkte, benutzte Tschitschikow den Moment, um den Inhalt seines
- Glases in den Teller zu schütten. Bald darauf wurde auch eine Flasche
- Vogelbeerschnaps hereingetragen, die nach Nosdrjows Worten ganz wie
- Sahne schmeckte, aber seltsamerweise nur kräftig nach Fusel roch.
- Hierauf trank man noch einen Balsam, der einen Namen trug, welcher sich
- sogar äußerst schwer aussprechen ließ, und den der Wirt selbst bei der
- nächsten Gelegenheit ganz anders bezeichnete. Das Mittagessen war längst
- zu Ende, die Weine waren alle ausprobiert, aber die Gäste saßen noch
- immer an der Tafel, Tschitschikow konnte sich durchaus nicht
- entschließen, mit Nosdrjow in Gegenwart des Schwagers über den
- Gegenstand zu sprechen, der ihm am meisten am Herzen lag: der Schwager
- war schließlich doch ein fremder Mensch, die Sache selbst aber konnte
- nur in einer vertraulichen und freundschaftlichen Unterhaltung erledigt
- werden. Übrigens war der Schwager schwerlich ein Mensch, der ihm
- gefährlich werden konnte, denn wie es schien, hatte er gehörig geladen,
- er saß nämlich stumm auf seinem Stuhle und sank beständig mit dem Kopf
- vornüber. Endlich mußte er wohl selbst gemerkt haben, daß er sich in
- einem ziemlich hoffnungslosen Zustande befand, denn er bat Nosdrjow, ihn
- doch heimfahren zu lassen, und er tat dies mit einer so matten und müden
- Stimme, als zöge man -- um mich eines volkstümlichen russischen
- Ausdrucks zu bedienen -- dem Pferde das Zaumzeug mit der Zange über den
- Kopf.
- »Nein, nein, nein! Ich lasse dich nicht fort!« sagte Nosdrjow.
- »Quäl mich doch nicht, lieber Freund! Wirklich, ich will fahren!« bat
- der Schwager, »du mußt mich nicht so peinigen!«
- »Unsinn! Torheiten! Komm wir spielen noch einen kleinen Pharao.«
- »Nein, Bester, spiel lieber allein! Ich kann wirklich nicht, meine Frau
- wird es mir sehr übel nehmen; ich muß ihr auch noch von der Messe
- erzählen. Wahrhaftig Freund! es ist meine verfluchte Schuldigkeit, ihr
- dies kleine Vergnügen zu bereiten. Bitte halte mich nicht auf!«
- »Hol doch die Frau der T....! Als ob das so was wichtiges wäre, was ihr
- miteinander zu tun habt!«
- »Nein wirklich, Freund! Sie ist so gut, meine Frau -- so brav und treu,
- eine musterhafte Gattin! Sie tut mir jeden Gefallen. Das kannst du mir
- glauben, ich bin oft gerührt, bis zu Tränen gerührt. Nein, suche mich
- nicht zum Bleiben zu veranlassen; so wahr ich ein ehrlicher Mann bin --
- ich muß fahren. Ich gebe dir mein Wort darauf! Hand aufs Herz!«
- »Laß ihn doch fahren, was haben wir von ihm?« sagte Tschitschikow leise
- zu Nosdrjow.
- »Du hast eigentlich recht!« meinte Nosdrjow, »ich kann diese Waschlappen
- nicht leiden!« und er fügte laut hinzu: »Nun dann hol dich der Teufel.
- Geh! fahr nur zu deiner Frau, du alter Pantoffelheld!«
- »Nein, Freund! du darfst mich nicht Pantoffelheld schelten!« antwortete
- der Schwager: »ich verdanke ihr mein Leben. Wirklich! Sie ist so lieb,
- so gut, so sanft und zärtlich .... mir stehen oft die Tränen in den
- Augen. Sie wird mich fragen, was ich auf der Messe gesehen habe -- ich
- muß ihr alles erzählen -- sie ist so lieb ....«
- »Also mach, daß du fortkommst, und schwindele ihr irgend einen Blödsinn
- vor!«
- »Nein, hör mal, lieber Freund! du darfst nicht so von ihr sprechen,
- damit beleidigst du gewissermaßen auch mich, sie ist so gut und lieb.«
- »Nun dann packe dich doch! Mach, daß du zu ihr kommst!«
- »Ja, tatsächlich, Freund, ich will fahren; verzeih, daß ich nicht
- bleiben kann. Ich wäre von Herzen froh, aber ich kann wahrhaftig nicht.«
- Der Schwager stammelte noch lange allerhand Entschuldigungen, ohne zu
- merken, daß er längst im Wagen saß, schon durchs Tor gerollt war und
- sich unter freiem Himmel auf offenem Felde befand. Man darf annehmen,
- daß seine Frau recht wenig von der Messe zu hören bekommen hat.
- »So ein Dreckkerl!« sagte Nosdrjow, der ans Fenster getreten war und der
- davonjagenden Equipage nachblickte. »Da fährt er! Das Beipferd ist nicht
- übel, ich fahnde schon längst darauf. Aber mit dem Kerl wird man ja doch
- nicht einig. Ein alter Waschlappen und weiter nichts!«
- Man trat ins Nebenzimmer. Porphyr brachte Lichter herein und
- Tschitschikow bemerkte plötzlich ein Spiel Karten in der Hand des
- Hausherrn, ohne daß er hätte sagen können, woher er es genommen hatte.
- »Was meinst du zu einem kleinen Pharao, Freund!« sagte Nosdrjow, indem
- er das Spiel zusammendrückte und wieder los ließ, sodaß das Kreuzband
- zerriß und zu Boden fiel. »So zum Zeitvertreib weißt du. Ich will die
- Bank mit dreihundert Rubeln halten!«
- Aber Tschitschikow tat so, als ob er garnicht gehört hätte, wovon
- eigentlich die Rede war und sagte, wie wenn er sich plötzlich auf etwas
- besönne. »Ach ja, um es nicht zu vergessen, ich habe eine kleine Bitte
- an dich!«
- »Was für eine Bitte?«
- »Aber versprich mir zuerst, daß du sie erfüllen willst!«
- »Was ist das für eine Bitte?«
- »Nein, versprich mir's erst! Hörst du!«
- »Also gut. Meinetwegen!«
- »Dein Ehrenwort!«
- »Mein Ehrenwort!«
- »Also: du wirst doch wohl eine ganze Reihe von toten Bauern besitzen,
- die noch nicht aus den Revisionslisten gestrichen sind.«
- »Natürlich! und was soll das hier!«
- »Übergib sie mir. Übertrage sie auf meinen Namen!«
- »Und wozu brauchst du sie?«
- »Ich brauche sie.«
- »Nein, sag wozu?«
- »Ich brauche sie eben .... das ist doch meine Sache -- mit einem Wort,
- ich habe sie nötig.«
- »Da steckt bestimmt was dahinter. Du hast sicher irgend einen Plan mit
- ihnen ausgeheckt. Gesteh's nur. Was ist's?«
- »Ach was für ein Plan! Solch eine Bagatelle. Was könnte ich damit
- vorhaben?«
- »Ja, wozu brauchst du sie denn dann?«
- »Herr Gott! bist du neugierig! Du willst wohl jeden Dreck mit der Hand
- befühlen, und wohl gar noch dran riechen!«
- »Ja, warum willst du es denn nicht sagen?«
- »Was hast du denn davon, wenn ich's dir sage? Ganz einfach, es ist so
- eine Laune von mir!«
- »Nun gut, wenn du's mir nicht sagt, dann tu ich's eben nicht!«
- »Hör mal, das ist wirklich unanständig von dir. Hast mir dein Wort
- gegeben, und willst es jetzt wieder zurücknehmen!«
- »Schön, wie du willst. Ich tu's halt nicht, bevor du mir's sagst.«
- »Was könnte ich ihm bloß sagen?« dachte Tschitschikow; er überlegte ein
- wenig und erklärte dann, er brauche die toten Seelen, um sich Gewicht
- und Einfluß in der Gesellschaft zu verschaffen, er habe keine großen
- Besitzungen, und daher möchte er wenigstens einstweilen ein paar Seelen
- haben.
- »Du schwindelst,« sagte Nosdrjow, indem er ihm ins Wort fiel, »du
- schwindelst Bruder!«
- Tschitschikow mußte sich selbst gestehen, daß er nicht gerade geschickt
- gelogen hatte, und die ersonnene Ausflucht eigentlich recht schwach war.
- »Nun gut, dann will ich dir die Wahrheit sagen,« sagte er, indem er sich
- verbesserte, »ich bitte dich nur um eins, es nicht weiter zu plaudern.
- Ich habe die Absicht, mich zu verheiraten; aber leider sind der Vater
- und die Mutter meiner Braut höchst ehrgeizige Leute, die hoch hinaus
- wollen. Eine verfluchte Geschichte! ich ärgere mich beinahe, daß ich
- mich überhaupt darauf eingelassen habe: sie wollen partout, daß der
- Bräutigam mindestens dreihundert Seelen haben solle, und da mir beinahe
- ganze hundertfünfzig daran fehlen, so .....«
- »Ne Bruder, du schwindelst!« rief Nosdrjow wieder.
- »Nein wirklich, diesmal hab' ich auch nicht einmal _so_viel gelogen,«
- sagte Tschitschikow, indem er mit dem Daumen auf ein winziges Stück des
- kleinen Fingers wies.
- »Den Kopf zum Pfande, daß du schwindelst!«
- »Hör mal, du beleidigt mich! Wer bin ich denn eigentlich? Warum soll ich
- denn durchaus lügen?«
- »Aber ich kenne dich doch: du bist ja ein großer Spitzbube -- gestatte
- mir bitte, dir das einmal in aller Freundschaft zu sagen. Wenn ich dein
- Chef wäre, ich ließe dich am ersten besten Baum aufhängen.«
- Tschitschikow fühlte sich durch diese Bemerkung beleidigt. Jeder grobe,
- die Grenzen der Schicklichkeit verletzende Ausdruck berührte ihn
- peinlich. Alle Familiaritäten seitens anderer Personen waren ihm in der
- Seele zuwider, und er suchte sich ihnen zu entziehen, es sei denn, daß
- sie von hochgestellten Leuten ausgingen. Daher fühlte er sich jetzt im
- Innersten gekränkt.
- »Bei Gott, ich ließe dich hängen!« wiederholte Nosdrjow, »ich meine das
- ganz aufrichtig und sage das nicht um dich zu beleidigen, sondern
- erlaube es mir als dein Freund.«
- »Alles hat seine Grenzen,« sagte Tschitschikow mit Würde. »Wenn du dich
- mit solchen Redensarten brüsten willst, dann geh doch lieber in die
- Kaserne.« -- Und er fügte hinzu: »Willst du sie mir nicht schenken, so
- verkaufe sie mir wenigstens.«
- »Verkaufen! Aber ich kenne dich doch. Du bist ein Hallunke. Du wirst ja
- doch nicht viel dafür geben.«
- »Na, du kannst so bleiben! Sieh einer an, du glaubst wohl, sie sind von
- Edelstein, wie?«
- »Da siehst du es, ich kenne dich doch.«
- »Nein höre mal, Freund, was ist das für ein knickeriges Benehmen. Du
- solltest sie mir wahrhaftig schenken.«
- »Also gut, um dir zu beweisen, daß ich nicht so ein Filz bin, will ich
- dir garnichts für sie abnehmen. Kauf mir einen Hengst ab, dann kriegst
- du sie gratis.«
- »Ich bitte dich, was soll ich mit dem Hengst?« sagte Tschitschikow,
- höchst verwundert über diesen Vorschlag.
- »Was du damit sollst? Ich habe zehntausend Rubel für den Racker bezahlt,
- und du sollst ihn für viertausend haben.«
- »Aber was soll ich bloß damit anfangen! Ich habe doch kein Gestüt.«
- »Ja höre doch nur, du versteht mich noch nicht. Ich nehme dir doch jetzt
- nur dreitausend ab. Die übrigen tausend kannst du mir ja später
- bezahlen.«
- »Ja aber, wenn ich ihn nun doch durchaus nicht brauchen kann! Gott mit
- ihm!«
- »Nun gut, dann kauf mir die hellbraune Stute ab!«
- »Ich kann auch keine Stute brauchen.«
- »Ich gebe dir die Stute und das graue Pferd dazu, das du vorhin gesehen
- hat, für zweitausend Rubel.«
- »Ich brauche keine Pferde!« sagte Tschitschikow.
- »Du kannst sie ja weiter verkaufen. Auf jeder Messe kriegst du das
- Dreifache für sie.«
- »Dann verkauf sie doch lieber selbst, wenn du dir einen so großen Gewinn
- davon versprichst.«
- »Ich weiß, daß ich dabei gewinne: aber ich möchte dir auch einen kleinen
- Vorteil zukommen lassen.«
- Tschitschikow dankte ihm für seine freundliche Gesinnung und verzichtete
- rundweg auf die braune Stute und das graue Roß.
- »So kauf mir ein paar Hunde ab! Ich habe da ein Pärchen für dich; da
- läuft dir gleich ein Freudenschauer über den Rücken. Einen
- stichelhaarigen mit borstigem Bart; die Haare stehen ihm zu Berge wie
- die Stacheln eines Igels, und die Rippen -- die reinsten Faßreifen. Dazu
- die klumppatschigen Pfoten -- die berühren kaum die Erde! ...«
- »Ach! Ich brauche keine Hunde. Ich bin doch kein Jäger.«
- »Aber ich möchte gerne, daß du ein paar Hunde hast.
- Übrigens weißt du, wenn du die Hunde nicht haben willst, dann kauf mir
- die Drehorgel ab. Ein feines Stück, sage ich dir. Sie hat mich selbst,
- so wahr ich ein ehrlicher Mann bin, anderthalb Tausend gekostet. Dir
- will ich sie für neunhundert lassen.«
- »Was soll ich mit der Drehorgel anfangen? Ich bin doch kein Deutscher,
- daß ich mit ihr von Haus zu Haus wandern und um Geld betteln könnte!«
- »Aber das ist doch kein Leierkasten, wie ihn die Deutschen haben. Das
- ist eine Orgel, sieh sie dir mal genau an. Lauter echtes Mahagoni! Komm,
- ich will sie dir noch mal zeigen!« Und Nosdrjow ergriff Tschitschikows
- Hand und zog ihn nach sich in das Nebenzimmer, er mochte sich sträuben,
- die Füße gegen den Fußboden stemmen und versichern, soviel er wollte, er
- kenne die Drehorgel zur Genüge, es nützte ihm alles nichts, er mußte
- noch einmal hören, wie Malborough in die Schlacht zog.
- »Wenn du mir kein Geld geben willst, dann machen wir es folgendermaßen,
- weißt du. Ich gebe dir die Drehorgel und dazu alle toten Seelen, die ich
- habe und du überläßt mir dafür deine Kutsche und zahlst nur noch
- dreihundert Rubel drauf.«
- »Noch mehr? Und wie soll ich fortkommen?«
- »Ich gebe dir einen andern Wagen. Komm herunter in den Stall, ich will
- ihn dir gleich zeigen! Du mußt ihn nur neu anstreichen lassen. Dann ist
- es eine herrliche Kutsche!«
- »Ist der von einem unruhigen Geiste besessen,« dachte Tschitschikow und
- faßte den heroischen Entschluß, Nosdrjow mit seinen Kutschen, Drehorgeln
- und allen möglichen und unmöglichen Hunden, trotz der geradezu
- unerhörten, faßreifenähnlichen Rippen und klumppatschigen Pfoten ein für
- alle Mal loszuwerden.
- »Aber du kriegst doch alles zusammen: die Kutsche, die Drehorgel und die
- toten Seelen.«
- »Ich will aber nichts,« sagte Tschitschikow noch einmal.
- »Warum willst du bloß nicht?«
- »Ganz einfach, weil ich nicht will, und damit basta!«
- »Ach bist du ein Kerl! Mit dir kann man ja nicht verkehren wie mit einem
- guten Freunde oder Kameraden. Wirklich so ein .....! Man merkt gleich,
- daß du ein doppelzüngiger Mensch bist.«
- »Ja bin ich denn ein Esel, wie?! Wozu soll ich mir Dinge anschaffen, die
- ich absolut nicht brauchen kann.«
- »Nein, bitte, rede nicht! Jetzt habe ich dich durchschaut.
- So ein Schuft, wahrhaftig. Also gut, höre mal, machen wir ein Partiechen
- Pharao. Ich setze alle toten Seelen auf eine Karte und die Drehorgel
- dazu.«
- »Nein, mein Bester, ein Glücksspiel verlieren, das hieße sich dem
- dunklen Zufall aussetzen,« sagte Tschitschikow, während er nach den
- Karten schielte, die jener in der Hand hielt. Beide Spiele machten einen
- recht wenig Vertrauen erweckenden Eindruck auf ihn. Auch die Rückseite
- sah recht verdächtig aus.
- »Warum denn dem Zufall,« sagte Nosdrjow, »das ist doch kein Zufall; wenn
- das Glück dir günstig ist, Hölle und Teufel, was kannst du da nicht
- alles gewinnen. Sieh doch nur, welch ein Glück, du hast,« sagte er,
- indem er ein paar Karten auflegte, um Tschitschikows Spiellust
- anzuregen. »Nein, solch ein Glück, solch ein Glück! Das flutscht nur so.
- Siehst du, da ist die verfluchte Zehn, durch die ich alles verloren
- habe. Ich ahnte es, daß sie mich im Stiche lassen wird. Aber ich machte
- die Augen zu und dachte nur, hol dich der Teufel! Tu's nur Verräterin!«
- Während Nosdrjow noch sprach, brachte Porphyr eine Flasche herein. Aber
- Tschitschikow lehnte entschieden ab und wollte weder spielen noch
- trinken.
- »Warum willst du denn nicht spielen?« sagte Nosdrjow.
- »Weil ich keine Lust habe. Wenn ich ehrlich sein soll, bin ich überhaupt
- kein Freund vom Spiel.«
- »Warum bist du denn kein Freund davon?«
- »Weil ich halt kein Freund davon bin,« sagte Tschitschikow und zuckte
- die Achseln.
- »Jammerlappen, du!«
- »Was soll ich machen, wenn Gott mich mal so geschaffen hat.«
- »Ein Schlappschwanz und nichts weiter. Früher hielt ich dich doch
- wenigstens noch für einen etwas anständigeren Menschen. Aber du hast ja
- keine Ahnung vom guten Benehmen. Mit dir kann man nicht sprechen wie mit
- einem Freunde, keine Spur von Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit. Der
- reinste Sabakewitsch! Solch ein Lump!«
- »Sag mal, warum schimpfst du mich eigentlich? Bin ich denn schuld, daß
- ich nicht spielen kann? Verkauf mir doch die Seelen, wenn du schon so
- ein Kerl bist, der um jeden Dreck zittert!«
- »Den Teufel kriegst du! Und noch dazu ohne Haare. Ich wollte sie dir
- zuerst gratis geben, aber jetzt bekommst du überhaupt nichts, und wenn
- du mir ein Königreich dafür bötest, ich geb sie nicht her. So ein
- Beutelschneider! So'n dreckiger Lehmbudiker! Von nun ab will ich mit dir
- überhaupt nichts zu tun haben. Porphyr geh mal runter und sag dem
- Stalljungen, er soll seinen Pferden keinen Hafer geben. Die brauchen
- nichts wie Heu zu fressen.«
- Dieser Schluß kam Tschitschikow in der Tat unerwartet.
- »Hätt' ich dich doch lieber gar nicht gesehen!« sagte Nosdrjow.
- Dieser Zwist hinderte indessen den Hausherrn und seinen Gast nicht,
- zusammen zu Abend zu speisen, obwohl diesmal keine Weine mit
- komplizierten und merkwürdigen Namen auf dem Tische prangten. Nur eine
- einzige Flasche stand einsam da, mit einer Art Cypernwein, der aber im
- übrigen nichts anderes war, als was man einen sauren Krätzer zu nennen
- pflegt. Nach dem Abendessen führte Nosdrjow Tschitschikow in ein
- Seitengemach, wo bereits ein Bett für ihn aufgeschlagen war und sagte:
- »Da ist dein Bett. Ich mag dir nicht einmal gute Nacht wünschen.«
- Mit diesen Worten ging er hinaus und ließ Tschitschikow in der
- allerschlechtesten Laune zurück. Er ärgerte sich innerlich über sich
- selbst, und machte sich Vorwürfe, daß er mitgefahren war und seine
- schöne Zeit unnütz verloren hatte; was er sich jedoch am wenigsten
- verzeihen konnte, war dies, daß er über seine eigenste Angelegenheit mit
- ihm gesprochen hatte; das war sehr unvorsichtig von ihm gewesen, er
- hatte gehandelt wie ein Tor; denn die Sache selbst war durchaus nicht
- von der Art, daß sie Nosdrjow -- anvertraut werden konnte ... Nosdrjow
- war ein gemeiner Kerl; er konnte noch was hinzuschwindeln, weiß der
- Teufel, was für Lügen darüber verbreiten, und schließlich konnte noch
- eine dumme Klatschgeschichte daraus entstehen ... Fatal, höchst fatal!
- »Ich bin doch wirklich ein Esel!« sprach er zu sich selber. Er schlief
- die Nacht über sehr schlecht. Eine gewisse Gattung ganz kleiner aber
- äußerst kecker und zudringlicher Insekten verfolgten ihn fortwährend mit
- ihren Bissen, die unerträglich schmerzhaft waren, so daß er sich mit der
- ganzen Hand an den betreffenden Stellen kratzte und murmelte: »Hol euch
- der Teufel, mitsamt Nosdrjow!« Es war noch sehr früh, als er erwachte.
- Sein erster Gang, nachdem er Stiefel und Schlafrock angezogen hatte, war
- nach dem Stall, welcher sich am Ende des Hofes befand, wo er Seliphan
- den Auftrag gab, die Pferde sofort anzuspannen. Auf dem Rückwege traf er
- Nosdrjow, der ihm, gleichfalls im Schlafrock und mit der Pfeife im
- Munde, im Hofe entgegen kam.
- Nosdrjow grüßte ihn freundschaftlich und fragte, wie er die Nacht
- geschlafen habe.
- »Sehr mäßig!« antwortete Tschitschikow trocken.
- »Ich auch, Freund ...« sagte Nosdrjow ... »weißt du, die ganze Nacht hat
- mich dies verdammte Viehzeug geplagt, ich mag's garnicht erzählen; dazu
- habe ich nach dem gestrigen Abend einen Geschmack im Munde, wie wenn
- eine ganze Schwadron drin übernachtet hätte. Denk dir, mir träumte, daß
- ich Ruten bekomme. Wahrhaftig! Und weißt du von wem? Ich möchte wetten,
- daß du's nicht errätst: vom Stabsrittmeister Pozelyjew und von
- Kufschinnikow.«
- »Ja ja,« dachte Tschitschikow, »es wäre wirklich nicht schlecht, wenn du
- einmal gründlich durchgebläut würdest.«
- »Bei Gott! Es hat verflucht weh getan! Ich bin sogar davon aufgewacht;
- und in der Tat, es juckte mich am ganzen Körper; das verdammte
- Gelichter, diese Flöhe! So, gehe jetzt hinauf und zieh dich an; ich
- komme gleich wieder zu dir. Ich muß nur dem Schuft von Verwalter noch
- mal den Kopf waschen.«
- Tschitschikow begab sich auf sein Zimmer, um sich zu waschen und
- anzuziehen. Als er gleich darauf ins Speisezimmer trat, stand schon ein
- Teeservice und eine Flasche Rum auf dem Tisch. Im Zimmer waren noch
- Spuren vom gestrigen Diner und Souper bemerkbar; Bürste und Besen hatten
- noch ihres Amtes nicht gewaltet. Auf dem Fußboden lagen Brodkrumen und
- selbst auf dem Tischtuche sah man ganze Haufen von Tabakasche
- herumliegen. Der Hausherr, der bald darauf hereinkam, hatte nichts an,
- außer einem Schlafrock, unter dem die offene mit dichten Haaren
- bewachsene Brust hervorguckte. So mit dem Pfeifenrohr in der einen, und
- mit der Tasse, aus der er ab und zu nippte, in der anderen Hand, wäre er
- so recht ein Bild für einen Maler gewesen, welcher die gelockten und
- gekräuselten oder kurz geschorenen Köpfe nicht leiden kann, wie man sie
- auf den Aushängeschildern der Barbierläden abgebildet findet.
- »Nun also, wie denkst du?« fragte Nosdrjow nach einer kurzen Pause,
- »willst du um die Seelen spielen oder nicht?«
- »Ich hab dir doch schon gesagt, daß ich nicht mag; abkaufen -- tue ich
- sie dir gern.«
- »Verkaufen will ich sie nicht: das wäre nicht freundschaftlich. Ich will
- doch nicht weiß der Teufel wovon die Decke runterziehen. Ein Spielchen
- -- das ist eine andre Sache. Zieh doch eine Karte!«
- »Ich hab dir doch schon gesagt: ich mag nicht.«
- »Und tauschen willst du auch nicht?«
- »Nein!«
- »Nun dann höre, wollen wir Dame spielen? Gewinnst du -- so gehören sie
- dir -- alle zusammen. Ich habe ja eine ganze Menge, die aus der
- Revisionsliste gestrichen werden müssen. He Porphyr! Bring doch mal das
- Damenbrett herein!«
- »Bemühe dich bitte nicht: ich spiele _doch_ nicht!«
- »Aber das ist doch kein Glücksspiel; hier kann doch weder von Glück noch
- von Betrug die Rede sein, es hängt doch alles vom guten Spiel ab.
- Übrigens mache ich dich darauf aufmerksam, daß ich sehr schlecht spiele;
- du mußt mir etwas vorgeben.«
- »Vielleicht ist's das beste, ich setze mich hin und versuche es,« dachte
- Tschitschikow. »Ich habe doch früher einmal garnicht übel Dame gespielt,
- zudem wird es ihm hier schwer werden, zu mogeln.«
- »Also schön! Meinetwegen, eine Partie Dame will ich allenfalls mit dir
- spielen.«
- »Die Seelen -- gegen hundert Rubel? Gut?«
- »Warum? Ich denke fünfzig sind auch genug.«
- »Nein, hör mal, fünfzig, das ist doch kein Einsatz? Dann setze ich
- lieber noch einen gewöhnlichen Jagdhund oder eine goldene Petschaft
- dazu, weißt du, so eine, wie man sie an der Uhrkette trägt.«
- »Nun gut! ich bin's zufrieden,« sagte Tschitschikow.
- »Und wieviel gibst du mir vor?« fragte Nosdrjow.
- »Wie käme ich dazu? Natürlich nichts.«
- »Laß mich wenigstens die ersten zwei Züge machen!«
- »Nein, ich spiele selbst schlecht genug.«
- »Das kennt man schon, dies schlechte Spiel!« sagte Nosdrjow, während er
- anzog.
- »Ich habe schon lange keinen Stein mehr in die Hand genommen,« sprach
- Tschitschikow, der gleichfalls einen Zug machte.
- »Das kennt man schon -- dies schlechte Spiel,« sagte Nosdrjow und zog
- wieder.
- »Ich habe schon lange keinen Stein mehr in die Hand genommen,« sprach
- Tschitschikow und rückte weiter vor.
- »Das kennt man schon -- dies schlechte Spiel,« sagte Nosdrjow, während
- er wieder einen Zug machte, und dabei mit dem Ärmel seines Schlafrockes
- einen andern Stein verschob.
- »Ich habe schon lange keinen Stein mehr in die Hand genommen! .... He,
- was soll das lieber Freund? nimm mal den Zug wieder zurück!« rief
- Tschitschikow.
- »Was?«
- »Den Stein da sollst du zurückziehen,« sagte Tschitschikow; aber jetzt
- erblickte er plötzlich dicht vor seiner Nase noch einen zweiten Stein,
- der eben im Begriff war, ins Damenfeld einzurücken. Wie der dahin
- gekommen war, das wußte wohl nur Gott allein. »Nein,« sagte
- Tschitschikow, »mit dir kann man unmöglich spielen. Man macht doch nicht
- drei Züge auf einmal!«
- »Wieso denn drei? Das war doch nur ein Versehn. Der eine hat sich nur
- zufällig verschoben; ich zieh ihn wieder zurück, wenn du willst.«
- »Und wie kommt der hierher?«
- »Welchen meinst du?«
- »Hier diesen, der in die Damenreihe einrückt.«
- »Da haben wir's! Als ob du's nicht weißt!«
- »Nein, mein Bester, ich habe alle Züge gezählt und erinnere mich sehr
- gut an alles, du hast ihn erst eben vorgeschoben. _Da_ ist sein Platz!«
- -- »Was -- dort?« sagte Nosdrjow errötend, »du phantasierst wohl,
- Freund!«
- »Nein, Bester, _du_ scheinst zu phantasieren, aber leider nur mit wenig
- Glück.«
- »Für wen hältst du mich,« sagte Nosdrjow, »glaubst du etwa, ich mogele?«
- »Ich halte dich für gar nichts, ich werde mich nur hüten, jemals wieder
- mit dir zu spielen.«
- »Nein, jetzt kannst du nicht mehr vom Spiel zurücktreten,« ereiferte
- sich Nosdrjow, »das Spiel ist angefangen!«
- »Ich darf doch wohl verzichten, da du nicht spielst wie ein anständiger
- Mensch!«
- »Du lügst! Du hast kein Recht, so etwas zu behaupten!«
- »Nein, mein Bester, du bist es, der da lügt!«
- »Ich habe nicht gemogelt, und du kannst nicht mehr verzichten. Du mußt
- die Partie zu Ende spielen!«
- »Dazu kannst du mich nicht zwingen,« sprach Tschitschikow kaltblütig,
- trat ans Brett und warf die Steine durcheinander.
- Nosdrjow wurde rot vor Zorn und ging auf Tschitschikow los, so daß
- dieser zwei Schritte zurücktrat.
- »Ich werde dich doch zwingen, mit mir zu spielen. Das nützt dir nichts,
- daß du das Brett umgestoßen hast! Ich erinnere mich an sämtliche Züge!
- Wir können das Spiel wieder aufstellen.«
- »Nein, mein Bester, ich spiele nicht mit dir, und damit Basta!«
- »Du willst also nicht spielen? wie?«
- »Du mußt doch selbst einsehen, daß man nicht mit dir spielen kann!«
- »Nein, sag's gradheraus: Willst du spielen oder nicht?« sagte Nosdrjow,
- indem er Tschitschikow noch näher auf den Leib rückte.
- »Nein,« sprach Tschitschikow, während er seine Hände vor das Gesicht
- hielt, er war auf alles gefaßt und fühlte, daß es einen heißen Kampf
- geben würde. Diese Vorsicht war durchaus am Platze, denn Nosdrjow holte
- aus, und es hätte leicht passieren können, daß eine von den schönen
- runden Backen unseres Helden mit nie zu verwischender Schmach bedeckt
- worden wäre; aber er parierte geschickt den Schlag, packte Nosdrjows
- kampflustige Hände und hielt sie fest in den seinen.
- »Porphyr, Pawluschka!« schrie Nosdrjow wie ein Rasender, indem er
- versuchte sich loszuringen.
- Bei diesen Worten ließ Tschitschikow, der die Knechte nicht gern zu
- Zeugen dieser äußerst interessanten Szene machen wollte, und zugleich
- fühlte, daß es doch keinen Wert hatte, Nosdrjow länger festzuhalten,
- seine Hände fahren. In diesem Augenblick betrat Porphyr das Zimmer,
- gefolgt von Pawluscha, einem handfesten Burschen, mit dem nicht gut
- Kirschen essen war.
- »Du willst also die Partie nicht zu Ende spielen?« sagte Nosdrjow. »Sag
- ja oder nein.«
- »Es ist mir unmöglich, sie zu Ende zu spielen,« sprach Tschitschikow und
- warf einen Blick aus dem Fenster. Er sah seine Kutsche bereitstehen und
- neben ihr Seliphan, der nur auf den Moment zu warten schien, wo er
- vorfahren könnte; aber jeder Ausweg aus dem Zimmer war verschlossen,
- denn in der Türe standen zwei kräftige Esel, die Leibeigenen Nosdrjows.
- »Du willst also die Partie nicht beendigen?« wiederholte Nosdrjow,
- dessen Antlitz vor Zorn glühte.
- »Wenn du spielen würdest, wie ein anständiger Mensch .... aber so ....
- Nein!«
- »Also nicht? Du Schurke! Weil du merkst, daß du verlieren mußt, _kannst_
- du auf einmal nicht! Haut ihn!« schrie er plötzlich in rasender Wut,
- indem er sich an Porphyr und Pawluscha wandte und selbst sein
- Pfeifenrohr von Weichselholz packte. Tschitschikow wurde bleich wie ein
- Stück Leinwand. Er wollte etwas sagen, aber er fühlte, daß seine Lippen
- sich bewegten, ohne einen Laut von sich zu geben.
- »Haut ihn!« schrie Nosdrjow, während er mit seinem Weichselrohr auf ihn
- losstürzte, zornglühend und schwitzend, als ob er gegen eine
- unbezwingliche Festung Sturm liefe. -- »Haut ihn!« schrie er mit der
- Stimme eines tollen Leutnants, der während eines gewaltigen
- Sturmangriffes seiner Kompagnie: »Vorwärts, Kinder!« zuruft, und dessen
- unsinnige Kühnheit solch eine Berühmtheit erlangt hat, so daß die Ordre
- ausgegeben werden mußte, während eines heftigen Gefechtes, ihn an Händen
- und Füßen festzuhalten. Aber der Rausch der Schlacht hat ihn schon
- betört; um ihn herum scheint sich alles zu drehen. Die Gestalt des
- Feldmarschalls Suworow scheint ihm voranzuschweben. Das große Ziel winkt
- und blindlings stürzt er darauf zu. »Vorwärts, Kinder!« schreit er und
- schon fliegt er voran, ohne zu überlegen, wie sehr er damit dem
- wohlberechneten Angriffsplane schadet und ohne darauf zu achten, daß
- Millionen von Büchsenläufen aus den Schießscharten der unbezwinglichen,
- von Rauchwolken umzogenen Festungsmauern herlugen, daß seine ohnmächtige
- Kompagnie in die Luft fliegen muß wie leichter Federflaum und daß die
- verhängnisvolle Kugel sausend naht, um ihm den vorlauten Mund zu
- schließen. Aber, wenn Nosdrjow einen solchen verzweifelt gegen eine
- Festung anstürmenden tollköpfigen Leutnant darstellte, die Festung
- _selbst_, auf die er den wahnsinnigen Angriff unternahm, schien
- keineswegs uneinnehmbar, im Gegenteil, die Festung fühlte eine derartige
- Furcht, daß ihr das Herz in die Hosen fiel. Schon ward ihm der Stuhl,
- mit dem er sich verteidigen wollte, von den Leibeigenen aus den Händen
- gerissen, schon bereitete er sich geschlossenen Auges und mehr tot als
- lebendig, das tscherkessische Pfeifenrohr seines Gastfreundes mit dem
- Rücken in Empfang zu nehmen, und Gott weiß, was ihm noch sonst alles
- hätte blühen können. Aber der Vorsehung gefiel es, die Lenden, die
- Schultern und alle wohlgepflegten Körperteile unseres Helden zu retten.
- Ganz unerwartet erklangen plötzlich, wie die Stimme eines Himmelsboten,
- die Töne eines Glöckchens, das Rädergerassel einer vorfahrenden Kutsche
- und das bis ins Innerste der Stube vernehmbare schwere Schnaufen der
- erhitzten Pferde eines Dreigespanns. Alles eilte unwillkürlich ans
- Fenster: ein Mann mit einem martialischen Schnauzbart, im Interimsrock
- stieg aus dem Wagen. Nachdem er im Flure nach dem Hausherrn gefragt
- hatte, trat er ins Zimmer, noch bevor Tschitschikow sich von seinem
- Schreck hatte erholen können und während er sich noch in der
- jämmerlichsten Lage befand, die je ein Sterblicher durchgemacht hat.
- »Darf ich fragen, wer von den Anwesenden Herr Nosdrjow ist?« sagte der
- Unbekannte, indem er einen erstaunten Blick auf Nosdrjow, der mit dem
- Pfeifenrohr in der Hand dastand, und auf Tschitschikow warf, der eben
- aus seiner traurigen Lage wieder zu sich zu kommen begann.
- »Darf ich zuerst erfahren, mit wem ich die Ehre habe?« sagte Nosdrjow
- auf ihn zugehend.
- »Ich bin der Kreisrichter!«
- »Und was wünschen Sie?«
- »Ich komme, um ihnen eine mir zugegangene amtliche Mitteilung zu
- überbringen. Sie befinden sich im Anklagezustand bis zur gerichtlichen
- Beschlußfassung in dem gegen Sie schwebenden Prozeß.«
- »Ach Unsinn! Was für ein Prozeß?« sagte Nosdrjow.
- »Sie sind in die Sache des Gutsbesitzers Maksimow verwickelt, anläßlich
- einer persönlichen Beleidigung, die Sie ihm in trunkenem Zustande durch
- Verabfolgung von Rutenschlägen zugefügt haben sollen.«
- »Sie lügen, ich kenne den Gutsbesitzer Maksimow überhaupt nicht.«
- »Geehrter Herr! Gestatten sie, daß ich Sie darauf aufmerksam mache: ich
- bin Offizier. Sie können das ihrem Diener sagen, aber nicht mir.«
- Hier ergriff Tschitschikow, ohne abzuwarten, was Nosdrjow darauf
- antworten würde, schleunigst seine Mütze, schlüpfte hinterm Rücken des
- Kreisrichters zur Türe hinaus, bestieg eilig seinen Wagen, und befahl
- Seliphan die Pferde anzutreiben, so schnell er nur konnte.
- Fünftes Kapitel
- Unser Held hatte übrigens gehörige Angst bekommen. Obwohl der Wagen in
- wildem Galopp dahinjagte und Nosdrjows Gut hinter Hügeln, Feldern und
- Anhöhen verschwunden war, blickte er sich immer noch furchtsam um, wie
- in Erwartung, daß die Verfolger bald angesprengt kämen. Er atmete
- schwer, und als er seine Hand aufs Herz legte, fühlte er, daß es hüpfte
- wie eine Wachtel im Käfig. »Herr Gott, hat der mich schwitzen machen.
- Bist du ein Kerl!« Dann wünschte er ihm den Teufel und seine Großmutter
- an den Hals. Ja, es fielen sogar ein paar unschöne Ausdrücke; aber was
- ist da zu machen: ein Russe, und noch dazu wenn er zornig ist! Zudem war
- die Sache durchaus nicht scherzhaft: »Man mag sagen, was man will,«
- sprach er zu sich selber, »wäre der Kreisrichter nicht auf der
- Bildfläche erschienen, wer weiß, ob ich mich jetzt noch des Anblickes
- dieser schönen Gotteswelt erfreuen könnte! Vielleicht wäre ich geplatzt,
- wie eine Blase auf dem Wasser, ohne eine Spur meines irdischen Daseins,
- ohne Nachkommen, ohne meinen Kindern und Kindeskindern Geld und Gut und
- einen ehrlichen Namen zu hinterlassen!« Unser Held war sehr besorgt um
- seine Nachkommenschaft.
- »So ein böser Herr!« dachte Seliphan. »Solch einen Herren hab' ich in
- meinem Leben noch nicht gesehen. Wahrhaftig, dem sollte man ins Gesicht
- spucken für dieses Betragen. Einen Menschen mag man noch eher hungern
- lassen, aber einem Pferde muß man doch zu fressen geben. Denn so ein
- Gaul liebt nun mal den Hafer. Das ist sozusagen seine Nahrung; was für
- uns die Kost, ist für ihn der Hafer sozusagen. Das ist doch seine
- Nahrung.«
- Auch die Pferde schienen sich eine ungünstige Meinung von Nosdrjow
- gebildet zu haben. Nicht nur der Braune und der Assessor, selbst der
- Schecke war schlechter Laune. Obgleich er für seinen Teil immer etwas
- geringeren Hafer bekam und Seliphan ihm diesen nie anders in den Trog
- schüttete, als mit den Worten: »Da, du Lump!«, es war doch immer Hafer
- und nicht gewöhnliches Heu: er kaute mit Vergnügen daran und steckte
- sein langes Maul häufig in die Krippe seiner beiden Nachbarn, um zu
- kosten, was für eine Nahrung sie bekämen. Besonders tat er dies, wenn
- Seliphan nicht im Stalle war. Aber dieses Mal nichts wie Heu -- das war
- nicht schön! Sie alle waren unzufrieden.
- Aber bald wurden die Unzufriedenen mitten in ihren Herzensergießungen
- durch ein ganz plötzliches und unerwartetes Ereignis unterbrochen, alle
- Beteiligten mit Einschluß des Kutschers kamen erst wieder zur Besinnung,
- als ein mit sechs Pferden bespannter Wagen gegen sie anrannte und das
- Schreien der in dem Wagen sitzenden Damen und das Geschimpf und die
- Drohungen der Kutscher fast über ihren Köpfen erklangen. »Ach, du
- Spitzbube, verdammter, ich habe dir doch laut zugerufen: Weich aus nach
- rechts, alte Krähe! Du bist wohl besoffen, wie?« Seliphan mußte sich
- gestehen, daß er eine Ungeschicklichkeit begangen hatte; aber da der
- Russe seine Schuld vor andern Leuten nicht gerne zugibt, warf er sich in
- die Brust und rief: »Und was jagst du so blind darauf los?! Hast wohl
- deine Augen in der Schenke gelassen?« Hierauf zog er die Zügel kräftig
- an, um den Wagen zurückzulenken und aus dem Knäuel herauszuwickeln.
- Aber, ohweh, seine Bemühungen waren vergeblich; die Pferde hatten sich
- mit ihrem Geschirr verhakt. Der Schecke beschnupperte neugierig seine
- neuen Freunde, die ihn umringten. Unterdessen blickten die in dem Wagen
- sitzenden Damen mit ängstlichen Gesichtern auf die allgemeine
- Verwirrung. Die eine war schon alt, die andere ein sechzehnjähriges
- junges Mädchen mit goldigem Haar, welches glatt gescheitelt ihr Gesicht
- kleidsam einrahmte. Das reizende Oval ihres Antlitzes rundete sich wie
- ein junges Eichen und schimmerte gleich diesem von weißem durchsichtigen
- Glanze, wenn es frisch gelegt von der braunen, prüfenden Hand der
- Schließerin gegen das Licht gehalten wird, und die hellen Strahlen des
- Sonnenscheines es durchdringen. Ihre zarten, dünnen Ohrmuskeln
- erzitterten, als glühten sie, von der sie durchflutenden Wärme. Dazu der
- Ausdruck des Schreckens, der auf ihren offnen erstarrten Lippen lag, die
- Tränen, die im Auge schimmerten, dies alles war so reizend, daß unser
- Held sie einige Minuten lang traumverloren anblickte, ohne im geringsten
- auf den Wirrwarr von Kutschen, Pferden und Kutschern zu achten. »Zurück!
- Du Nowgorodsche Krähe!« rief der fremde Kutscher Seliphan zu. Dieser zog
- die Zügel an, sein fremder Kollege tat dasselbe, die Pferde stemmten
- sich rückwärts, um sogleich wieder zusammenzuprallen und sich aufs neue
- im Riemenwerk zu verwickeln. Bei dieser Gelegenheit machte die neue
- Bekanntschaft einen so tiefen Eindruck auf unsern Schecken, daß er
- durchaus nicht wieder aus der Rinne heraus wollte, in die er durch ein
- unverhofftes Schicksal geraten war. Er legte seine Schnauze auf den Hals
- des neuen Kameraden und schien ihm etwas ins Ohr zu flüstern:
- wahrscheinlich irgend ein schreckliches Blech. Denn dieser schüttelte
- beständig die Ohren. Während der großen Unordnung waren indessen Bauern
- aus einem Dorf, das zum Glück nicht sehr weit entfernt war, hilfsbereit
- herbeigeeilt. Da ein solches Schauspiel für einen Bauern eine wahre
- Himmelsgabe ist, wie für den Deutschen seine Zeitungen oder sein Klub,
- so hatte sich bald eine vielköpfige Schar um die Wagen gesammelt, und
- nur die alten Weiber und Wickelkinder waren zu Hause geblieben. Man
- schnürte die Riemen los, der Schecke bekam ein paar kräftige Püffe vor
- die Schnauze, die ihn zum Rückzug veranlaßten: mit einem Wort, die
- Pferde wurden getrennt und beiseite geführt. Aber war es der Ärger der
- neuangekommenen Pferde, daß man sie von ihren neuen Freunden getrennt
- hatte, war es Eigensinn, -- der Kutscher mochte auf sie loshauen soviel
- er wollte, sie blieben wie angewurzelt stehen. Die Teilnahme und das
- Interesse der Bauern wuchs bis zu ungeheuren Dimensionen an. Alle
- drängten sich um die Wette mit weisen Ratschlägen vor. »Geh,
- Andrjuschka, führ mal das rechte Beipferd vor. Onkel Mitjaj soll sich
- auf das mittlere setzen. Schwing dich auf, Onkel Mitjaj!« Der lange und
- hagere Onkel Mitjaj, ein Mann mit einem roten Bart, bestieg das
- Mittelpferd. So glich er dem Glockenturm einer Dorfkirche oder richtiger
- einem Brunnenhaken, mit dem man das Wasser aus dem Brunnen heraufzieht.
- Der Kutscher hieb auf die Pferde ein, aber es wollte nicht fruchten,
- auch Onkel Mitjaj konnte nicht viel ausrichten. »Halt! Halt!« riefen die
- Bauern, »setz dich lieber aufs Beipferd, Onkel Mitjaj; Onkel Minjaj soll
- aufs Mittelpferd steigen!« Onkel Minjaj, ein breitschultriger Bauer mit
- einem kohlschwarzen Bart und einem Bauch wie jener Riesensamowar, in dem
- das süße Zwetschengetränk für die frierenden Scharen gekocht wird, die
- einen ganzen Markt bevölkern, schwang sich vergnügt aufs Mittelpferd,
- welches sich unter seiner Last fast bis zur Erde beugte. »Jetzt wird's
- schon gehen,« riefen die Bauern: »Hau zu! Hau doch zu. Versetz ihm eins
- mit der Knute: hörst du, jenem Hellen, da! -- was sträubt und spreizt
- sich's wie 'ne Wassermücke.« Aber da sie sahen, daß die Sache doch nicht
- von der Stelle kam, und alle Prügel nichts nützten, setzten sich beide,
- Onkel Mitjaj und Onkel Minjaj zusammen auf das Mittelpferd und ließen
- Andrjuschka auf das Beipferd steigen. Endlich verlor der Kutscher die
- Geduld und jagte alle beide: Onkel Mitjaj samt Onkel Minjaj zum Teufel.
- Und er tat gut daran, denn die Pferde dampften so, als ob sie eine ganze
- Poststation zurückgelegt hätten, ohne auch nur einen Augenblick Halt
- gemacht zu haben. Er ließ sie sich erst verschnaufen, worauf sie den
- Wagen ganz von selbst fortzogen. Während sich dieser Vorgang abspielte,
- war Tschitschikow ganz in die Betrachtung der fremden jungen Dame
- versunken. Er versuchte es mehrmals, sie anzureden, aber es wollte ihm
- immer nicht recht gelingen. Unterdessen waren die Damen davongefahren,
- das reizende Köpfchen mit den feinen Gesichtszügen und der schlanken
- Gestalt war verschwunden, wie eine Vision; und wieder befand sich
- Tschitschikow auf der Landstraße, in seiner Kutsche mit den drei
- Pferden, die der Leser schon kennt, und in Gesellschaft von Seliphan,
- den öden, leeren Flächen der rings sich dehnenden Felder gegenüber.
- Überall im Leben, in seinen harten, rauhen und ärmlichen, in den
- unsaubern, schimmelbedeckten niederen Schichten -- wie in der sauberen
- Korrektheit und Monotonie der höheren Stände -- überall begegnet uns,
- wenn auch nur ein einziges Mal im Leben eine Erscheinung, die nichts
- gemein hat mit alledem, was wir bisher gesehen, die wenigstens _einmal_
- ein neues Gefühl in uns entzündet, das keine Ähnlichkeit mit jenen hat,
- die uns durch unser ganzes Leben begleiten. Bei jedem von uns bricht
- einmal ein heller Strahl der Freude durch das Dunkel jener Leiden und
- trüben Erfahrungen, aus denen unser Leben gewebt ist, so wie bisweilen
- eine glänzende Equipage mit goldgezäumten malerischen Rossen und
- blitzenden Fensterscheiben ganz plötzlich und unerwartet an einem öden
- elenden Dorf vorbeijagt, welches nie ein andres Gefährt, als den
- bekannten Bauernwagen gesehen hat: und lange noch stehen die Bauern
- staunend mit offenem Munde da, und wagen es nicht, ihre Mützen wieder
- aufzusetzen, obwohl die herrliche Equipage schon längst verschwunden und
- über alle Berge ist. So ist auch die junge Blondine ganz plötzlich und
- unerwartet in unserer Erzählung aufgetaucht, um auf dieselbe Weise
- wieder zu verschwinden. Wäre ihr statt Tschitschikow irgend ein
- zwanzigjähriger Jüngling begegnet -- ein Husar, oder ein Student oder
- auch nur ein gewöhnlicher Sterblicher, der eben im Begriff ist, seinen
- Lebensweg anzutreten. -- Du lieber Gott, was wäre nicht alles in ihm zum
- Leben erwacht, was hätte nicht alles nach Ausdruck gedrängt! Er hätte
- wohl noch lange wie betäubt auf demselben Flecke gestanden, während
- seine Augen stumm die Ferne suchten, hätte den Weg und das Reiseziel und
- alle Vorwürfe und Verweise, wegen seiner Saumseligkeit, ja er hätte sich
- selbst vergessen, seinen Dienst, die Welt und überhaupt alles, was auf
- der Welt existiert!
- Aber unser Held war schon ein Mann in mittleren Jahren und hatte einen
- kühlen, ruhigen, umsichtigen Charakter. Auch er versank in Sinnen und
- dachte über vieles nach, aber sein Denken war weit positiverer Natur:
- seine Gedanken waren bei weitem nicht so unklar und unbestimmt, sondern
- weit genauer und gründlicher. »Ein herrliches Weibchen!« sagte er, indem
- er seine Tabakdose öffnete und eine Prise nahm. »Was aber das Beste an
- ihr ist .... das Beste an ihr ist, daß sie soeben aus einem Institut
- oder Pensionat entlassen zu sein scheint und daß sie noch nichts
- spezifisch Weibliches an sich hat, nichts von jenen Zügen, die das ganze
- Geschlecht verunzieren. Jetzt ist sie noch das reine Kind, alles an ihr
- ist schlicht und einfach; sie spricht, wie ihr's ums Herz ist und lacht,
- wenn ihr darnach zumute ist. Es läßt sich noch alles aus ihr machen, sie
- kann ein herrliches Geschöpf, aber ebensogut auch ein verkrüppeltes
- Wesen werden -- und so wird es wohl auch kommen, wenn sich erst die
- Tanten und Mamas an ihre Erziehung machen. Die werden sie in einem Jahr
- mit ihrem Weiberkram vollpfropfen, daß ihr eigener Vater sie nicht
- wiedererkennen wird. Sie wird ein aufgeblasenes und affektiertes Wesen
- annehmen, wird sich nach auswendig gelernten Regeln drehen, wenden und
- knicksen, sich den Kopf darüber zerbrechen, _was_ sie, mit _wem_ sie und
- wie _viel_ sie sprechen, wie sie ihren Kavalier anblicken muß usw. usw.;
- wird fortwährend in der größten Angst schweben, ob sie nun kein
- überflüssiges Wort gesagt hat, schließlich garnicht mehr wissen, was sie
- zu tun hat, und wie eine große Lüge durch das Leben wandeln. Pfui
- Teufel!« Hier verstummte er einen Augenblick und fuhr dann fort:
- »Übrigens wüßte ich gern, wer sie eigentlich ist. Wer mag ihr Vater
- sein? Irgend ein ehrenwerter Gutsbesitzer oder nur ein rechtschaffen
- denkender Mensch, der sich im Dienst ein kleines Kapital erspart hat?
- Wenn die Kleine so ein paar Hunderttausende mitbekäme -- das wäre weiß
- Gott kein übler -- gar kein übler Bissen. Ein ordentlicher Mensch könnte
- mit ihr sein Glück machen.« Die Zweimalhunderttausend erschienen ihm in
- so reizendem Lichte, daß er sich innerlich Vorwürfe zu machen begann,
- weswegen er sich während des Trubels mit den Equipagen nicht beim
- Vorreiter nach dem Namen der Reisenden erkundigt habe. Doch das jetzt
- sichtbar werdende Dorf Sabakewitschs zerstreute seine Gedanken und
- lenkte sie auf ihren eigentlichen Gegenstand zurück.
- Das Dorf kam ihm recht groß vor; eine Birken- und eine Fichtenwaldung
- rahmten es von beiden Seiten ein, wie zwei Flügel, von denen der eine
- etwas dunkler erschien als der andre; in der Mitte stand ein hölzernes
- Haus mit einem Anbau, einem roten Dach und dunkelgrauen -- oder
- richtiger rohen Wänden -- eins von jenen Häusern, wie sie bei uns für
- Soldaten und Kolonisten gebaut werden. Man merkte deutlich, daß der
- Baumeister bei der Ausführung seines Planes beständig mit dem Geschmack
- des Besitzers zu kämpfen hatte. Der Baumeister war ein Pedant und liebte
- die Symmetrie, der Hausherr aber wollte es vor allem recht bequem haben
- und hatte aus diesem Grunde offenbar auf einer Seite alle
- korrespondierenden Fenster zumauern und statt ihrer nur eine kleine
- runde Öffnung stehen lassen, die zu einer dunklen Kammer gehörte. Auch
- der eine Erker war nicht in der Mitte des Hauses angebracht, so sehr
- sich der Architekt bemüht hatte, dies durchzusetzen; der Hausherr wollte
- durchaus die eine Säule beseitigt wissen, und so war es gekommen, daß
- statt der vier Säulen nur drei dastanden. Der Hof war von einem
- kräftigen und ungewöhnlich dicken Staketenzaun umgeben. Überhaupt schien
- der Gutsherr vor allem auf Dauerhaftigkeit und Solidität bedacht zu
- sein. Zum Bau der Ställe, der Scheunen und der Küche waren schwere dicke
- Balken verwandt worden, die auf die Ewigkeit berechnet zu sein schienen.
- Auch die Bauernhütten waren wunderbar fest und solide gebaut. Keine mit
- Schnitzwerk verzierten Wände noch sonstiger Firlefanz -- es war alles
- dicht und wie es sich gehört aneinandergepaßt und verkittet. Selbst der
- Brunnen war mit so kräftigem Eichenholz eingefaßt, wie es sonst nur bei
- Windmühlen und Schiffsbauten verwendet wird. Mit einem Wort -- alles was
- Tschitschikow sah, war solide, und stand fest auf der Erde, in Reih und
- Glied; wie es schien, nach einer plumpen unerschütterlichen Ordnung. Als
- der Wagen vor der Freitreppe hielt, sah Tschitschikow zwei Gesichter,
- die fast gleichzeitig zum Fenster hinausschauten: ein weibliches, das so
- lang und schmal war, wie eine Gurke und eine Haube auf dem Kopfe trug,
- und ein rundes männliches, so breit wie einer jener moldauischen
- Kürbisse, die man in Rußland »Flaschen« nennt und aus denen man bei uns
- die Balalaiken, jene leichten mit zwei Saiten bespannten
- Musikinstrumente macht -- den Stolz und die Freude aller kecken und
- lustigen Bauernburschen, dieser schmucken Jungen, welche den sie
- umstehenden Mädchen mit weißem Hals und Busen, die gekommen sind, ihrem
- sanften Saitengeklimper zu lauschen, kokett zublinzeln und zujuchzen.
- Beide Gesichter verschwanden sogleich wieder, nachdem sie einen Blick
- durchs Fenster geworfen hatten. Ein Lakai in einer grauen Jacke mit
- einem blauen Stehkragen trat auf die Freitreppe hinaus und geleitete
- Tschitschikow in den Flur, wo der Hausherr schon seiner wartete. Als er
- den Gast erblickte, sagte er kurz: »Ich bitte,« worauf er ihn in die
- inneren Gemächer führte.
- Als Tschitschikow hierbei einen kurzen Seitenblick auf Sabakewitsch
- warf, kam er ihm diesmal wie ein Bär von mittlerer Größe vor. Und wie um
- die Ähnlichkeit zu vollenden, hatte auch der Frack, den er trug, die
- Farbe des Bärenfells: Ärmel und Hosen waren sehr lang, seine Füße
- steckten in mächtigen Filzpantoffeln, dazu hatte er einen so
- tolpatschigen Gang, daß er andern Leuten beständig auf die Füße trat.
- Seine Gesichtsfarbe war glühend rot, wie die eines Kupfergroschens. Es
- gibt ja bekanntlich viele solche Gesichter auf der Welt, über deren
- detaillierterer Ausarbeitung sich die Natur nicht viel Kopfzerbrechens
- gemacht, bei der sie keine feineren Instrumente wie Feile, Bohrer usw.
- gebraucht, sondern die sie einfach mit ein paar kräftigen Axthieben
- herausgehauen hat. Ein Hieb -- und siehe da es entstand die Nase -- ein
- zweiter -- und die Lippen saßen am rechten Fleck; dann machte sie noch
- ein Paar Löcher an Stelle der Augen mit dem großen Bohrer und der ganze
- Kerl war fertig. Und ohne ihn erst noch zu behobeln und zu glätten,
- sandte sie ihn mit den Worten: »er lebt« in die Welt. Solch eine
- festgefügte aufs Geratewohl zurechtgezimmerte Gestalt war auch
- Sabakewitsch: seine Haltung war eher ein wenig gebeugt als aufrecht, nur
- selten drehte er seinen Kopf um, und sah infolge dieser Unbeweglichkeit
- seinen Mitunterredner nur selten an, sondern blickte stets auf die
- Ofenecke oder auf die Tür. Tschitschikow warf noch einmal einen
- Seitenblick auf ihn, als er mit ihm ins Speisezimmer trat, und wieder
- fuhr ihm der Gedanke durch den Sinn: »ein Bär, wahrhaftig ein
- vollkommener Bär.« Welch seltsames Spiel des Schicksals: zu alledem
- mußte er noch Michael[3] Semjonowitsch heißen. Da Tschitschikow
- Sabakewitschs Gewohnheit, andern Leuten auf die Füße zu treten, kannte,
- trat er selbst sehr vorsichtig auf, indem er ihn vorausgehen ließ. Der
- Hausherr schien sich übrigens dieser schlechten Angewohnheit selbst
- bewußt zu sein, denn er fragte immerfort: »Habe ich Sie vielleicht
- beunruhigt?« Aber Tschitschikow dankte und versicherte höflich, er habe
- bisher noch nichts von einer Beunruhigung gemerkt.
- Als sie in den Salon traten, zeigte Sabakewitsch auf einen Lehnstuhl und
- sagte wieder: »Bitte.« Tschitschikow nahm Platz, warf aber zuvor noch
- einen kurzen Blick auf die Wände und die Bilder, welche sie zierten. Es
- waren alles lebensgroße Stahlstiche, welche lauter tüchtige Kerle, d. h.
- griechische Feldherrn, wie Miauli, Kanari und Maurokordato darstellten,
- letzteren in Uniform mit roten Beinkleidern und einer Brille auf der
- Nase. All' diese Helden hatten so starke Lenden und so gewaltige
- Schnauzbärte, daß einen schon eine Gänsehaut überlief, wenn man sie bloß
- ansah. Unter diesen griechischen Athleten war wie durch einen
- wunderbaren Zufall auch Fürst Bagration geraten, ein magerer, dünner
- Mann mit einer kleinen Fahne und ein paar Kanonen zu seinen Füßen, der
- noch dazu in einem ganz schmalen Rahmen steckte. Dann folgte wieder eine
- griechische Heldin: die Bobelina, deren Beine allein größer waren, als
- die ganze Figur eines jener Stutzer, die heute unsere Salons bevölkern.
- Der Hausherr, der selbst ein ausnehmend gesunder und kräftiger Mann war,
- wollte offenbar auch, daß lauter gesunde und kräftige Leute die Wände
- seiner Zimmer zieren sollten. Neben der Bobelina, dicht am Fenster hing
- noch ein Vogelkäfig, aus dem eine schwarze Amsel mit kleinen weißen
- Pünktchen hervorguckte, die gleichfalls große Ähnlichkeit mit
- Sabakewitsch hatte. Der Wirt und der Gast hatten noch keine zwei Minuten
- stumm nebeneinander gesessen, als die Türe sich auftat, und die Frau des
- Hauses, eine große Dame in einer Haube mit Bändern, die zu Hause gefärbt
- zu sein schienen, ins Zimmer trat. Sie hatte einen wundervollen Gang und
- hielt ihren Kopf gerade wie eine Palme.
- [Fußnote 3: In Rußland werden die Bären wie bei uns »Petz« mit dem Namen
- »Mischa«, dem Diminutivum von Michael gerufen.]
- »Das ist meine Feodulia Iwanowna,« sagte Sabakewitsch.
- Tschitschikow küßte Feodulia Iwanowna die Hand, die sie ihm fast in den
- Mund stopfte; bei dieser Gelegenheit machte er die Beobachtung, daß ihre
- Hände mit Gurkenwasser gewaschen waren.
- »Herzchen, darf ich dir Pawel Iwanowitsch Tschitschikow vorstellen!«
- fuhr Sabakewitsch fort. »Wir haben uns beim Gouverneur und beim
- Postmeister kennen gelernt.«
- Feodulia Iwanowna bat Tschitschikow Platz zu nehmen, indem sie
- gleichfalls »Bitte« sagte, und eine Kopfbewegung dazu machte, wie jene
- Schauspielerinnen, die eine Königin darzustellen haben. Dann setzte sie
- sich auf das Sofa, hüllte sich in ihr wollenes Tuch ein und zuckte von
- nun ab weder mit den Augen noch mit den Brauen.
- Tschitschikow warf wieder einen Blick nach oben und wieder fiel ihm
- Kanari mit seinen starken Lenden und dem nicht endenwollenden
- Schnauzbart, die Bobelina und der Vogelbauer mit der Amsel in die Augen.
- Fast fünf Minuten beobachteten alle ein feierliches Schweigen, das nur
- durch das Lärmen der Amsel unterbrochen wurde, die fortwährend mit dem
- Schnabel gegen den Holzboden des Vogelkäfigs pochte, wenn sie ein paar
- Brotkrumen aufpickte. Tschitschikow sah sich noch einmal im Zimmer um:
- auch hier war alles klobig, fest und ganz ungewöhnlich derb, und hatte
- eine merkwürdige Ähnlichkeit mit dem Herrn des Hauses. In der Ecke des
- Salons stand ein bauchiges Schreibpult auf vier äußerst plumpen Füßen --
- ein richtiger Bär. Der Tisch, die Stühle, die Lehnsessel -- alles trug
- einen schwerfälligen und geradezu gefährlichen Charakter, jeder
- Gegenstand, jeder Stuhl schien sagen zu wollen: »Ich bin auch ein
- Sabakewitsch« oder »Auch ich bin Sabakewitsch ähnlich.«
- »Wir haben beim Gerichtspräsidenten Iwan Grigorjewitsch von Ihnen
- gesprochen,« sagte endlich Tschitschikow, als er sah, daß keiner von den
- Anwesenden Anstalten machte, das Gespräch zu beginnen: »Es war am
- vorigen Donnerstag. Ich habe dort einen sehr schönen Abend verbracht.«
- »Ja! ich war damals nicht beim Gerichtspräsidenten,« sagte Sabakewitsch.
- »Ein prächtiger Mensch! Nicht wahr?«
- »Wen meinen Sie?« sagte Sabakewitsch, indem er die Ofenecke anblickte.
- »Den Gerichtspräsidenten!«
- »Das ist Ihnen wohl nur so vorgekommen: er ist zwar Freimaurer, aber ein
- solcher Esel, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hat.«
- Tschitschikow wurde ein wenig stutzig durch diese denn doch etwas zu
- starke Charakteristik, aber er fand seine Fassung bald wieder und fuhr
- gleich darauf fort: »Natürlich, ein jeder Mensch hat seine Schwächen;
- aber nicht wahr? der Gouverneur, das ist doch ein ganz ausgezeichneter
- Mensch?«
- »Wie? der Gouverneur -- ein ausgezeichneter Mensch?«
- »Ja! hab ich nicht Recht?«
- »Ein Bandit, wie's keinen zweiten gibt.«
- »Wie? -- Der Gouverneur ein Bandit?!« sagte Tschitschikow, der durchaus
- nicht begreifen konnte, wie der Gouverneur unter die Banditen geraten
- war. »Ich muß gestehen, das hätte ich wirklich nicht gedacht,« fuhr er
- fort. »Doch erlauben Sie mir die Bemerkung: seine Handlungen sind gar
- nicht derart; man könnte eher sagen, daß er einen sehr weichen Charakter
- hat.« Und wie zum Beweise führte er die Geldtaschen an, die jener
- gestickt hatte und sprach mit hoher Anerkennung über den freundlichen
- Ausdruck seines Gesichtes.
- »Aber das ist doch ein Banditengesicht!« sagte Sabakewitsch. »Geben Sie
- ihm ein Messer in die Hand und schicken Sie ihn auf die Landstraße
- hinaus, -- der schlachtet Sie kaltblütig ab -- um einen Groschen! Er und
- der Vizegouverneur, -- das sind die reinsten -- Gogs und Magogs.«
- »Hm, die haben wohl was miteinander gehabt,« dachte Tschitschikow. »Ich
- will mal mit ihm über den Polizeimeister reden, der ist, glaub' ich,
- sein Freund.« -- »Übrigens, was mich betrifft,« fuhr er fort, »so muß
- ich gestehen, daß mir der Polizeimeister bei weitem am besten gefällt.
- Was ist das doch für ein gerader und offener Charakter; er hat etwas so
- Schlichtes und Treuherziges an sich.«
- »Ein Gauner!« sagte Sabakewitsch ganz kaltblütig, »der ist fähig, Sie
- zuerst zu betrügen und zu verraten und gleich darauf mit Ihnen zu Mittag
- zu essen. Ich kenne sie alle miteinander: lauter Spitzbuben. Und so ist
- die ganze Stadt; da sitzt ein Spitzbube auf dem andern, alles Judasse
- und niederträchtige Verräter. Der einzige, der noch was taugt, ist der
- Staatsanwalt -- aber auch der ist im Grunde genommen ein Schweinehund.«
- Nach diesen so wohlwollenden, wenn auch etwas kurzen biographischen
- Charakteristiken, sah Tschitschikow ein, daß eine Erwähnung der übrigen
- Beamten sich kaum noch verlohne, und er erinnerte sich, daß Sabakewitsch
- den Leuten nicht gern etwas Gutes nachsagte.
- »Wie denkst du, Herzchen, gehen wir zu Tische?« sagte Frau Sabakewitsch
- zu ihrem Gatten.
- »Bitte,« sagte Sabakewitsch und schritt auf den Anrichtetisch zu; Wirt
- und Gast tranken zuerst nach altem gutem Brauch einen Schnaps und ließen
- sich's gut schmecken, wie das im ganzen weiten Rußland in Städten und
- Dörfern üblich ist, wo man stets, eh man sich zum Mittagessen hinsetzt,
- zuvor einen kleinen Imbiß aus allerhand gesalzenen und appetiterregenden
- Speisen und allen möglichen guten Sachen zu sich nimmt, worauf sie sich
- alle ins Speisezimmer begaben. Allen voran schritt die Hausfrau, wie ein
- schlanker Schwan. Den kleinen Tisch schmückten vier Gedecke. Der vierte
- Platz wurde bald von einer Person besetzt, von der es schwer zu sagen
- war, was sie eigentlich vorstellte: eine Dame oder ein Fräulein, eine
- Verwandte, eine Haushälterin oder nur irgend eine Gesellschafterin, die
- mit im Hause wohnte -- ein Wesen von etwa dreißig Jahren, ohne Haube und
- mit einem Tuch um die Schultern. Es gibt solche Geschöpfe in dieser
- Welt, die nicht die selbständige Existenz eines Objekts besitzen,
- sondern gewissermaßen nur die Flecken oder Pünktchen auf einem
- Gegenstande darstellen. Sie sitzen immer auf derselben Stelle und haben
- alle dieselbe Haltung des Kopfes; man ist geneigt, sie für ein
- Möbelstück zu halten, und kann sich nicht denken, daß sie je in ihrem
- Leben den Mund geöffnet haben, um ein Wort zu sagen; dagegen braucht man
- sie nur im Mädchenzimmer oder in der Vorratskammer zu beobachten, um
- sich zu überzeugen, daß sie es faustdick hinter den Ohren sitzen haben.
- »Die Kohlsuppe ist heute ausgezeichnet, mein Schatz,« sagte
- Sabakewitsch, während er die Suppe kostete und sich dazu ein mächtiges
- Stück Saugbeutel vorlegte, von jenem berühmten Gericht, das gewöhnlich
- zur Kohlsuppe gegessen wird und aus einem mit Buchweizen, Hirn und
- Knöcheln gefüllten Hammelmagen besteht. »So eine Pastete,« fuhr er zu
- Tschitschikow gewendet fort, »finden Sie in der ganzen Stadt nicht; dort
- setzt man Ihnen, weiß der Teufel was vor!«
- »Beim Gouverneur ißt man übrigens gar nicht schlecht,« meinte
- Tschitschikow.
- »Ja wissen Sie denn, wie diese Speisen zubereitet werden? Sie würden den
- Appetit verlieren, wenn Sie das wüßten!«
- »Wie die Speisen zubereitet werden, darüber kann ich freilich nicht
- urteilen; aber die Schweinekoteletts und der Fisch waren vorzüglich.«
- »Das ist Ihnen wohl nur so vorgekommen. Ich weiß genau, daß sie auf dem
- Markte einkaufen. Der Schurke von Koch, der bei einem Franzosen in der
- Lehre war, kauft einfach einen alten Kater, zieht ihm das Fell ab, und
- serviert ihn dann als Hasen.«
- »Pfui! Was für häßliche Sachen du da erzählst!« sagte Sabakewitschs
- Gattin.
- »Was kann ich dafür, Schätzchen! So macht man's nun einmal dort; ich bin
- doch nicht schuld, daß das bei all den Leuten so Sitte ist. Alle
- Abfälle, alles was unsere Akula mit Verlaub zu sagen in den Mülleimer
- wirft, das tun die in die Suppe. Immer rein, alles rein.«
- »Immer redest du bei Tisch solche Sachen!« warf wiederum Frau
- Sabakewitsch ein.
- »Was schadet denn das, Schätzchen,« versetzte Sabakewitsch. »Ja wenn
- ich's noch selbst so machte, aber ich sage dir's ganz offen: solch ein
- ekelhaftes Zeug würde ich nie essen. Nie würde ich einen Frosch in den
- Mund nehmen, und wenn er in Zucker kandiert wäre, ebensowenig wie eine
- Auster; ich weiß ganz gut wie so'ne Auster aussieht. Bitte nehmen Sie
- doch noch ein Stück Hammelbraten,« fuhr er fort, indem er sich an
- Tschitschikow wandte. »Das ist Hammellende mit Brei, und kein Frikassé,
- wie es die vornehmen Herren lieben, wozu man Hammelfleisch nimmt, das
- schon vier Tage lang auf dem Markte herumliegt. Das sind alles Finessen,
- wie sie die Herrn Doktoren, die Deutschen und Franzosen erfunden haben;
- ich würde sie dafür am liebsten alle hängen lassen. Die Diät -- das ist
- auch so eine von ihren Erfindungen. Schöne Methode das -- einen mit
- Hunger zu kurieren. Weil sie selbst eine so dünnblütige Natur haben,
- bilden sie sich ein, sie könnten auch mit dem russischen Magen fertig
- werden. Nein, das ist alles nichts Richtiges -- das sind lauter
- Torheiten, das ist alles ...« Hierbei schüttelte Sabakewitsch sogar
- zornig den Kopf. »Da reden sie immer von Aufklärung, und doch ist ihre
- Aufklärung nichts als ein .... ff ....! Ich hätte fast was gesagt, aber
- sowas schickt sich ja nicht bei Tische. Bei mir ist das ganz anders.
- Wenn's bei mir Schweinebraten oder Gansbraten gibt, dann kommt gleich
- ein ganzes Schwein oder eine ganze Gans auf den Tisch. Lieber will ich
- nur zwei Gerichte haben, aber mich dafür auch ordentlich satt essen, bis
- die liebe Seele Ruhe hat.« Und Sabakewitsch unterstützte seine Worte
- eindrucksvoll durch die Tat: er legte sich den halben Hammelrücken auf
- den Teller, schlang ihn hinunter und nagte noch die Knochen ab, bis
- nichts mehr übrig blieb.
- »Ja, ja,« dachte Tschitschikow, »der weiß auch, was gut tut.«
- »Bei mir ist das anders,« sagte Sabakewitsch, indem er sich die Hände
- mit der Serviette abwischte: »ich bin nicht so, wie irgend ein
- Pljuschkin; der hat 800 Seelen und lebt und ißt dabei schlechter als
- unser Kuhhirt.«
- »Wer ist dieser Pljuschkin?« fragte Tschitschikow.
- »Ein Hallunke,« versetzte Sabakewitsch. »So ein Geizhals, das kann man
- sich gar nicht einmal vorstellen. Die Zuchthäusler leben noch besser als
- der: er läßt ja all seine Leute verhungern.«
- »Wahrhaftig?« unterbrach ihn hier Tschitschikow mit teilnehmender Miene.
- »Ist das wirklich so, wie Sie sagen, daß bei dem so viele Bauern
- sterben.«
- »Wie die Fliegen.«
- »Nein, wirklich? Wie die Fliegen? Und darf ich fragen, wohnt er weit von
- hier?«
- »Es werden etwa fünf Werst sein.«
- »Fünf Werst!« rief Tschitschikow aus, und dabei fing sogar sein Herz ein
- wenig an zu klopfen. »Wenn man das Tor verläßt, liegt dann sein Gut
- rechts oder links?«
- »Es ist besser, Sie wissen gar nicht, wie Sie zu diesem Hunde hinkommen!
- Ich rate Ihnen, kümmern Sie sich lieber gar nicht darum,« sagte
- Sabakewitsch, »es ist noch verzeihlicher, wenn jemand in ein
- unanständiges Lokal geht als zu dem.«
- »Nein, ich frage ja auch nicht, weil ich irgend welche Absichten ... ich
- erkundigte mich bloß, weil ich ein großes Interesse für Land und Leute
- habe,« entgegnete Tschitschikow.
- Nach dem Hammelrücken gab es Käsekuchen, von denen jeder allein größer
- war als ein Teller, und dann noch einen Truthahn von der Größe eines
- Kalbes, der mit allerhand guten Sachen gefüllt war: mit Reis, Eiern,
- Leber und weiß Gott mit was sonst noch, was einem nachträglich wie ein
- Stein im Magen liegt. Damit war das Mittagessen zu Ende; aber als man
- sich erhob, fühlte sich Tschitschikow um einen ganzen Zentner schwerer.
- Man begab sich in den Salon, wo bereits ein kleiner Teller mit Kompott
- und Marmelade auf dem Tische stand; -- es ließ sich nicht recht
- definieren, was es eigentlich für ein Kompott darstellte -- es waren
- weder Birnen, noch Pflaumen, noch Himbeeren -- übrigens rührte weder der
- Wirt noch der Gast die Marmelade an. Die Hausfrau ging hinaus, um noch
- ein paar Fruchttellerchen hereinzubringen. Diesen Augenblick benutzte
- Tschitschikow, um sich an Sabakewitsch zu wenden, der ausgestreckt in
- einem Lehnstuhl lag und nur noch stöhnte; so satt war er; hin und wieder
- öffnete er den Mund, um ein paar unartikulierte Laute von sich zu geben,
- wobei er das Kreuz schlug und sich die Hand vor den Mund hielt.
- Tschitschikow also wandte sich zu ihm und sagte: »Ich möchte gern über
- eine Sache mit Ihnen sprechen!«
- »Nehmen Sie nicht noch etwas Eingemachtes!« sagte die Hausfrau, die mit
- einem Fruchtteller zurückkehrte. »Es sind Rettichschnitten, in Honig
- gekocht!«
- »Nachher!« sagte Sabakewitsch, »geh jetzt mal auf dein Zimmer, Pawel
- Iwanowitsch und ich möchten uns die Röcke ausziehen und ein wenig
- ruhen!«
- Die Hausfrau wollte sogleich Unterbetten und Kopfkissen holen lassen,
- aber Sabakewitsch erklärte: »Laß nur, wir ruhen uns schon im Lehnstuhle
- aus,« und seine Gattin entfernte sich.
- Sabakewitsch streckte den Kopf ein wenig vor, um zu hören, um was für
- eine Sache es sich handle.
- Tschitschikow holte sehr weit aus, sprach zuerst ganz allgemein von dem
- russischen Staate, dessen Geräumigkeit und Größe er nicht genug loben
- konnte, meinte, selbst die alte römische Monarchie sei nicht so groß
- gewesen, die Ausländer hätten ganz recht, wenn sie sich wunderten ...
- (Sabakewitsch lauschte noch immer mit vorgestrecktem Kopfe) und nach den
- bestehenden Gesetzen zählten in diesem Reiche, dessen Ruhm ihm kein
- anderes Land streitig machen könne, die in die Revisionslisten
- aufgenommenen Seelen, selbst wenn sie ihren irdischen Lebenslauf
- abgeschlossen hätten, bis zur Aufstellung neuer Revisionslisten, genau
- so viel, wie die Lebenden, weil doch die zuständigen Behörden nicht noch
- mit neuen zeitraubenden Pflichten und Aufgaben belastet werden könnten,
- welche mit solchen überaus zahlreichen und detaillierten Erhebungen für
- sie verbunden wären; auch würde durch eine solche Maßregel die
- Kompliziertheit des ja ohnedies so verwickelten Staatsmechanismus noch
- gesteigert werden, (Sabakewitsch streckte den Kopf noch immer vor und
- hörte zu) indessen müsse man doch gestehen, daß diese Maßregel trotz
- ihrer unbestreitbaren Legalität doch für manchen Gutsbesitzer recht
- lästig sei, da sie ihn dazu verpflichte, nach wie vor seine Steuern für
- die Bauern zu bezahlen, ganz ohne Rücksicht darauf, ob sie noch leben
- oder nicht, doch sei er, Tschitschikow, bereit, aus einer besonderen
- persönlichen Hochachtung für ihn, einen Teil dieser so überaus
- drückenden Verpflichtung auf sich zu nehmen. Über den Hauptpunkt äußerte
- sich Tschitschikow nur mit großer Zurückhaltung und sprach nie von
- verstorbenen, sondern nur von »nichtexistierenden« Seelen.
- Sabakewitsch saß noch immer mit etwas vorgebeugtem Kopfe da und schien
- ihm aufmerksam zuzuhören, aber sein Gesichtsausdruck ließ nicht das
- leiseste Zeichen einer verborgenen Seelenregung erkennen. Man hätte
- beinahe glauben können, daß man einen leblosen und unbeseelten Körper
- vor sich habe, jedenfalls aber saß die Seele bei ihm nicht dort, wo sie
- eigentlich sitzen soll, sondern weilte wie beim unsterblichen
- Koschtschej[4] irgendwo in der Ferne hinter Bergen und Tälern und war
- mit einer so dicken Schale umgeben, daß alles, was sich auf ihrem Grunde
- regte, nicht die geringste Erschütterung an der Oberfläche hervorrief.
- »Nun also?« sagte Tschitschikow und wartete nicht ohne innere Aufregung
- auf die Antwort.
- »Sie brauchen tote Seelen?« sagte Sabakewitsch ganz ruhig, ohne jeden
- Ausdruck des Erstaunens, wie wenn hier von Roggen oder Weizen die Rede
- wäre.
- [Fußnote 4: Spielt in dem russischen Sagenkreis die Rolle des Thanatos,
- d. h. des Todes.]
- »Ja,« antwortete Tschitschikow, indem er versuchte, dem Wort etwas von
- seiner Härte zu nehmen und hinzufügte: »solche, die nicht mehr
- existieren.«
- »Es werden sich schon welche finden, gewiß! Warum nicht?« sagte
- Sabakewitsch.
- »Ja, nicht wahr? Und wenn Sie welche haben sollten, werden Sie ohne
- Zweifel froh sein, sie los zu werden?«
- »Bitte sehr! Ich bin gern bereit, die Ihnen zu verkaufen,« versetzte
- Sabakewitsch, indem er den Kopf wieder emporrichtete. Offenbar witterte
- er schon, daß der Käufer irgend einen Vorteil dabei haben mußte.
- »Teufel!« dachte Tschitschikow, »der Kerl verkauft sie mir, noch ehe ich
- überhaupt ein Wort fallen ließ!« Und er fügte laut hinzu: »Und darf man
- fragen: was Sie wohl dafür nehmen würden? Obwohl ... das eigentlich ein
- Gegenstand ist ... bei dem man nicht gut von einem Preise reden kann
- ...«
- »Also! um nicht viel zu verlangen: Hundert Rubel pro Stück,« sagte
- Sabakewitsch.
- »Hundert Rubel!« rief Tschitschikow aus, indem er den Mund weit aufriß
- und Sabakewitsch erschrocken ins Gesicht starrte; er war sich nicht ganz
- klar, ob er sich verhört, oder ob vielleicht Sabakewitschs Zunge infolge
- ihrer Schwerfälligkeit eine ungeschickte Wendung gemacht habe, und mit
- einem falschen Wort herausgeplatzt sei.
- »Ja finden Sie denn das zu teuer?« sagte Sabakewitsch und fügte sogleich
- hinzu: »Und was ist Ihr Preis?«
- »Mein Preis? Wir befinden uns wohl in einem kleinen Irrtum oder
- verstehen uns gegenseitig nicht und haben vergessen, worum es sich hier
- eigentlich handelt. Hand aufs Herz. Ich denke achtzig Kopeken -- das ist
- das äußerste.«
- »Herrgott! Ist das ein Einfall! Achtzig Kopeken?«
- »Nun, was denn? Meiner Ansicht nach kann man nicht mehr wie achtzig
- Kopeken dafür bieten.«
- »Ich handle doch nicht mit alten Schuhen!«
- »Sie müssen aber doch auch zugeben, daß es keine Menschen sind.«
- »Ja, glauben Sie wirklich, Sie finden jemand, der Ihnen eine
- eingetragene Seele für zwei Groschen verkauft!«
- »Nein, erlauben Sie, warum sagen Sie >eingetragene<? Die Seelen sind
- doch schon lange tot. Was von ihnen übrig geblieben ist, ist ja doch nur
- ein den Sinnen unfaßbarer Schall. Übrigens, um nicht noch viel Worte
- drüber zu verlieren, anderthalb Rubel will ich Ihnen allenfalls geben,
- aber auch keinen Heller mehr.«
- »Schämen Sie sich doch, von einer solchen Summe überhaupt zu reden!
- Seien Sie ehrlich, nennen Sie den richtigen Preis!«
- »Ich kann nicht, Michael Semjonowitsch; bei meiner Ehre, ich kann nicht!
- Was nicht geht, das geht nicht.« sagte Tschitschikow, bot aber aus
- Politik sogleich noch etwas mehr.
- »Warum wollen Sie so knausern,« sprach Sabakewitsch, »es ist wahrhaftig
- nicht zu teuer. Geraten Sie mal an einen andern, der wird Sie tüchtig
- übers Ohr hauen und Ihnen irgend einen Schund anstelle der Seelen
- aufhalsen. Bei mir dagegen kriegen Sie lauter auserlesene, vollkernige
- Exemplare, alles Handwerker und kräftige Ackerleute. Passen Sie mal auf,
- nehmen Sie zum Beispiel den Michejew, den Wagenbauer, der hat überhaupt
- nur Federwagen gebaut, und das war keine Moskauer Arbeit, die grad für
- eine Stunde reicht. Nein, was der machte, hatte Hand und Fuß; und dazu
- polsterte und lackierte er den Wagen noch selbst.«
- Tschitschikow erlaubte sich den Einwand, daß Michejew denn doch schon
- lange nicht mehr auf der Welt sei, aber Sabakewitsch war so sehr in den
- Redestrom geraten, daß er sogar beredt wurde und in immer reißendere
- Wortgefälle gelangte.
- »Und Stepan Probka, der Zimmermann? Ich setze meinen Kopf zum Pfande,
- daß Sie keinen besseren Arbeiter finden werden. Wenn der in der Garde
- gedient hätte, wozu der's noch gebracht hätte! Der war einen Meter 86
- groß!«
- Tschitschikow wollte wieder einwenden, daß doch auch Probka nicht mehr
- auf der Welt sei; aber Sabakewitsch wurde offenbar vom dem Redefluß
- fortgerissen. Der Wortschwall ergoß sich wie ein rauschender Gießbach,
- daß es eine Lust war ihm zuzuhören.
- »Und dann Milaschkin, der Töpfermeister, der setzte Ihnen einen Ofen
- hin, wo Sie nur wollten in jedem Hause. Oder Martin Teljatnikow, der
- Schuster, ein Stich mit der Ahle, und er hatte ein paar Stiefel fertig;
- und was für Stiefel! Dabei nahm er nie einen Tropfen Schnaps in den
- Mund. Und Jeremej Sorokobljochin! Der ist allein soviel wert als die
- andern zusammen. Der war in Moskau Händler, brachte allein 500 Rubel
- Erbzins jährlich ein. Das sind Kerle! Nicht so ein Plunder, wie ihn euch
- ein Pluschkin verkaufen wird.«
- »Aber erlauben Sie,« sagte Tschitschikow endlich, betroffen von solchem
- Überschwang der Rede, die wie es schien, gar kein Ende nehmen wollte.
- »Wozu zählen Sie mir alle ihre Vorzüge auf? Jetzt hat man ja doch nichts
- mehr davon. Das sind doch lauter tote Leute! Mit Toten kann man
- höchstens Vögel scheuchen, wie das Sprichwort sagt.«
- »Freilich sind sie tot,« sagte Sabakewitsch, der erst jetzt zu sich zu
- kommen und sich darüber klar zu werden schien, daß es sich in der Tat um
- Tote handele, fuhr aber sogleich fort: Ȇbrigens diese sogenannten
- Lebenden, was sind das für Leute! Es sind Fliegen und keine Menschen.«
- »Dafür sind sie doch wenigstens lebendig! Aber jene sind doch eigentlich
- nur ein Traum.«
- »O nein, durchaus kein Traum; ich sage Ihnen solch einen Kerl wie den
- Michejew finden Sie nicht so leicht wieder; so ein Gestell, der geht
- Ihnen nicht in dies Zimmer. Nein, das ist kein Traum. Hat der Kerl eine
- Kraft in den Schultern gehabt, da kommt ein Pferd nicht gegen auf. Ich
- möchte doch wissen, ob Sie noch anderswo so einen Traum antreffen
- werden.« Bei den letzten Worten wandte er sich schon nicht mehr an
- Tschitschikow, sondern an die die Wände zierenden Porträts Kolocotronis
- und Bagrations, wie das oft bei Unterhaltungen zu geschehen pflegt, wenn
- der eine der Mitunterredner aus einem unbekannten Grunde sich nicht an
- die Person wendet, an die seine Worte gerichtet sind, sondern an irgend
- einen zufällig hereingeschneiten Dritten, den er vielleicht garnicht
- kennt, und obwohl er weiß, daß er von ihm weder eine Antwort, noch eine
- Äußerung, noch ein Zeichen der Zustimmung zu gewärtigen hat. Und doch
- heftet er seinen Blick auf ihn, als rufe er ihn zum Schiedsrichter an,
- worauf der Unbekannte zunächst ein wenig verlegen wird und nicht recht
- weiß, ob er sich zu der Frage äußern soll, von der er nichts gehört hat,
- oder lieber zur Wahrung der Anstandsregeln noch ein wenig stehen bleiben
- und dann erst fortgehen soll.
- »Nein, mehr als zwei Rubel kann ich nicht geben,« sagte Tschitschikow.
- »Schön, damit Sie sich nicht beklagen können, daß ich zuviel verlangt
- habe und Ihnen garnicht ein bißchen entgegengekommen bin, bin ich
- bereit, sie Ihnen für 75 Rubel das Stück -- aber in Papiergeld -- zu
- lassen. Wirklich, ich tue es nur aus Freundschaft.«
- »Was fällt dem Kerl ein,« dachte Tschitschikow; »er hält mich wohl für
- einen Esel!« Und er fügte laut hinzu: »Es ist doch wirklich merkwürdig,
- es sieht fast so aus, als ob wir hier Theater oder Komödie spielen.
- Anders kann ich es mir nicht erklären! Sie machen doch den Eindruck
- eines klugen Mannes, der den gesamten Bildungsstoff beherrscht. Was ist
- denn das Objekt, um das es sich handelt. Das ist doch bloß Ppff, ein
- reines Nichts! Was für einen Wert hat es, wer braucht es!?!«
- »Sie wollen es aber doch kaufen; also brauchen Sie es doch wohl!« Hier
- biß sich Tschitschikow auf die Lippen, ohne eine Antwort finden zu
- können. Er murmelte etwas von Familienverhältnissen, aber Sabakewitsch
- erklärte bloß:
- »Ich will garnichts von Ihren Verhältnissen wissen; ich mische mich nie
- in Familienangelegenheiten -- das ist Ihre persönliche Sache. Sie
- brauchen Seelen, und ich biete Ihnen welche an. Sie werden es noch
- bereuen, daß Sie mir keine abgekauft haben.«
- »Zwei Rubel,« sagte Tschitschikow.
- »Ach sind Sie ein Mensch! Der Pirol pfeift stets dasselbe Lied, wie das
- Sprichwort sagt: Hat sich da auf die zwei Rubel versteift und kann nun
- durchaus nicht wieder davon loskommen. Nennen Sie doch einen
- vernünftigen Preis.«
- »Na, hol ihn der Teufel!« dachte Tschitschikow, »meinetwegen, ich will
- ihm noch einen halben Rubel spendieren, dem Hund! damit er sich was
- zugute kommen lassen kann. Also gut, ich gebe Ihnen zwei Rubel fünfzig!«
- »Schön, dann will ich Ihnen auch mein letztes Wort sagen: Fünfzig Rubel!
- Wahrhaftig. Sie kommen mir selbst teurer; billiger werden Sie sie
- nirgends kriegen, lauter so tüchtige Leute!«
- »Ist das aber ein Geizhals!« dachte Tschitschikow und fuhr ärgerlich
- fort: »Nein hören Sie mal! Sie tun wirklich so, als ob es sich hier um
- eine ernste Sache handelt! Jeder andere würde sie mir umsonst geben. Ich
- kriege sie überall gratis, weil jeder froh ist, wenn er sie los werden
- kann. Das müßte doch wirklich ein großer Esel sein, der sie behalten und
- Steuern für sie zahlen wollte.«
- »Aber wissen Sie auch, daß solche Käufe -- ich sage das ganz unter uns
- und in aller Freundschaft, nicht überall erlaubt sind; und wenn ich oder
- ein anderer davon erzählen wollte, so würde ein solcher Käufer jedes
- Vertrauen einbüßen; niemand würde einen Kontrakt mit ihm schließen
- wollen, und er käme in die größte Verlegenheit, wenn er seine Lage
- verbessern wollte.«
- »Schau, schau, wo der hinaus will, der Schuft!« dachte Tschitschikow,
- aber er verlor seine Geistesgegenwart nicht und erklärte mit der größten
- Kaltblütigkeit: »Ganz wie Sie wünschen; wenn ich Ihnen den Plunder
- abkaufen will, so tue ich das nicht, weil ich es nötig hätte, sondern
- aus einer gewissen Laune, aus einem Hang meines Charakters. Wenn Ihnen
- zwei Rubel fünfzig zu wenig sind, dann lassen wir es eben. Leben Sie
- wohl!«
- »Den bringt man nicht aus der Fassung! Der gibt nicht so leicht nach!«
- dachte Sabakewitsch. »Also gut, Gott mit Ihnen, geben Sie dreißig Rubel
- und sie gehören Ihnen.«
- »Nein, ich sehe, Sie wollen sie nicht verkaufen; Leben Sie wohl.«
- »Erlauben Sie, erlauben Sie,« sagte Sabakewitsch, ohne seine Hand los zu
- lassen, und trat ihm dabei auf den Fuß; unser Held hatte nämlich
- vergessen, sich in acht zu nehmen, und mußte jetzt zur Strafe
- aufschreien und auf einem Fuße hüpfen.
- »Bitte um Entschuldigung. Ich glaube, ich habe Sie etwas beunruhigt.
- Bitte setzen Sie sich doch, hierher, ich bitte.« Er geleitete ihn zu
- einem Lehnstuhl und hieß ihn hier Platz nehmen. Er tat das sogar mit
- einiger Geschicklichkeit, wie ein Bär, der schon mit Menschen in
- Berührung gekommen ist, ein paar Tanzdrehungen zu machen gelernt hat und
- auch einige Kunststücke auszuführen weiß, wenn man zu ihm sagt: »Zeig
- mal, Petz, wie es die Weiber im Dampfbad machen und wie stehlen kleine
- Kinder Nüsse?«
- »Nein, wirklich ich verliere nur unnütz Zeit. Ich muß fort, ich habe
- Eile!«
- »Bleiben Sie doch noch ein Augenblickchen. Ich will Ihnen gleich etwas
- sagen, was Ihnen Freude machen wird.« Und Sabakewitsch rückte näher an
- ihn heran und flüsterte ihm ins Ohr, wie wenn er ihm ein Geheimnis
- mitzuteilen hätte. »Wollen Sie eine Stange?«
- »Sie wollen sagen 25 Rubel? Nein, nein, nein! noch nicht den vierten
- Teil. Keine Kopeke mehr.«
- Sabakewitsch antwortete nichts und auch Tschitschikow wurde still.
- Dieses Schweigen währte etwa zwei Minuten. Fürst Bagration verfolgte von
- seinem Wandplatz diesen Kauf mit der größten Aufmerksamkeit.
- »Also was ist Ihr höchstes Angebot?« sagte Sabakewitsch endlich.
- »Zwei Rubel fünfzig!«
- »Ihnen scheint eine menschliche Seele auch nicht mehr zu gelten als eine
- abgebrühte Rübe. Geben Sie doch wenigstens drei Rubel!«
- »Ich sehe, mit Ihnen ist nichts anzufangen.«
- »Ich verkaufe mit Schaden! Aber was soll ich tun? Ich habe nun mal so
- 'ne Hundegutmütigkeit. Ich kann halt nicht anders, ich muß meinem
- Nächsten immer eine kleine Freude bereiten. Wir werden wohl einen
- Kaufvertrag aufsetzen müssen, damit alles seine Ordnung hat.«
- »Natürlich!«
- »Sehen Sie, wir werden also in die Stadt fahren müssen!«
- Damit war die Sache erledigt. Man beschloß, gleich am folgenden Tage in
- die Stadt zu fahren, um den Kauf zum Abschluß zu bringen.
- Tschitschikow bat um die Liste der Bauern. Sabakewitsch war
- einverstanden; er begab sich ins Büro, um die Bauernseelen
- aufzuschreiben, die er nicht nur alle namentlich aufzählte, sondern auch
- durch Aufzählung all ihrer Vorzüge charakterisierte. Unterdessen
- musterte Tschitschikow, da er nichts Besseres zu tun hatte, die
- voluminöse Silhouette seines Wirtes. Als er seinen Rücken, der so breit
- war wie der eines kurzstämmigen Wjatkapferdes, und seine Füße erblickte,
- welche große Ähnlichkeit mit ein paar Chausseepfeilern hatten, konnte er
- sich nicht enthalten auszurufen:
- »Hat dich aber der liebe Gott verschwenderisch ausgestattet, da kann man
- wirklich sagen, schlecht zugeschnitten aber gut genäht, wie es im
- Sprichwort heißt. Bist du _gleich_ als ein solcher Bär geboren, oder
- haben dich das Leben in der Wildnis, die Landwirtschaft, die Scherereien
- mit den Bauern dazu gemacht, daß du jetzt das geworden bist, was man
- einen Halsabschneider nennt; doch nein, ich glaube, du warst immer
- derselbe und wärst es auch geblieben, selbst wenn du in Petersburg die
- neueste, modernste Erziehung genossen hättest und dann erst losgegangen
- wärest, selbst wenn du dein ganzes Leben lang in Petersburg und nicht in
- der Wildnis gelebt hättest. Der ganze Unterschied besteht nur darin, daß
- du jetzt deinen halben Hammelrücken mit Brei nebst einem Käsekuchen von
- der Größe eines Suppentellers verschlingst, während du dort Kottelets
- mit Trüffeln zu Mittag gegessen hättest. Dafür herrschest du jetzt
- friedlich über deine Bauern, mit denen du so gut auskommst, und die du
- natürlich nicht kränkst und nicht zu kurz kommen läßt. Sind sie doch
- dein Eigentum, und du selbst hättest ja nur den Schaden davon, wenn du
- anders handeltest. Dort in der Stadt aber würdest du über Beamte
- herrschen, die du kräftig schuriegeln würdest, da du ja wüßtest, daß sie
- nicht deine Leibeigenen sind, und du tätest die Krone nach Noten
- plündern. Wer nun mal eine Teufelsfaust besitzt, dem glättest du sie
- nicht zum Sammetpfötchen. Und biegst du ihm auch einen oder zwei Finger
- gerade, um so mehr ist der Teufel los. Hat er erst einmal ein paar
- Tropfen von irgend einer Kunst oder Wissenschaft genippt und hat er sich
- zu einer hervorragenderen Gesellschaftsstellung emporgeschwungen, dann
- wehe denen, welche tatsächlich etwas von dieser Kunst und Wissenschaft
- verstehen; dann fällt es ihm wohl gar noch ein zu sagen, ich muß euch
- doch mal zeigen, wer ich bin. Und dann läßt er euch plötzlich eine so
- weise Verordnung vom Stapel, daß vielen Hören und Sehen vergeht. O, wenn
- doch alle diese Halsabschneider ...!«
- »Die Liste ist fertig,« sagte Sabakewitsch mit einer Wendung des Kopfes.
- »Fertig? Bitte geben Sie sie doch einmal her!« Er überflog sie und war
- erstaunt, mit welcher Genauigkeit und Pünktlichkeit sie aufgestellt war:
- nicht allein daß der Beruf, das Handwerk, das Alter und die
- Familienverhältnisse sorgfältig registriert waren, am Rande standen auch
- noch besondere Notizen über das Betragen, die Nüchternheit usw. des
- Betreffenden. Mit einem Wort, es war eine wahre Freude, die Liste
- anzusehen.
- »Und nun bitte ich Sie um eine kleine Anzahlung,« sagte Sabakewitsch.
- »Wozu eine Anzahlung? Sie bekommen die ganze Summe in der Stadt.«
- »Na, Sie wissen doch, es ist mal so Sitte,« wandte Sabakewitsch ein.
- »Ich weiß nicht, wie ich es machen soll? Ich habe leider kein Geld
- mitgenommen. Übrigens hier, nehmen Sie diese zehn Rubel!«
- »Ach was zehn! Geben Sie wenigstens fünfzig!«
- Tschitschikow machte allerhand Ausflüchte, er habe nicht soviel Geld bei
- sich usw.; aber Sabakewitsch erklärte so kategorisch, er habe doch
- welches, daß jener endlich noch einen Zettel aus der Tasche zog und
- sagte: »Na, meinetwegen! da haben Sie noch fünfzehn. Das macht also im
- ganzen fünfundzwanzig. Ich bitte jedoch um eine Quittung.«
- »Wozu denn eine Quittung?!«
- »Wissen Sie, es ist doch sicherer! Das Glück ist nun mal launisch! Es
- kann soviel passieren.«
- »Gut, dann geben Sie das Geld her!«
- »Warum nur? Ich halte es ja in der Hand. Schreiben Sie erst die
- Quittung, dann sollen Sie es sogleich haben!«
- »Ja, erlauben Sie mal, wie kann ich denn quittieren? Ich muß doch zuvor
- das Geld gesehen haben.«
- Tschitschikow ließ die Banknoten los, und Sabakewitsch griff eiligst zu.
- Er ging an den Tisch, und während er das Geld mit ein paar Fingern der
- linken Hand bedeckte, bescheinigte er mit der anderen auf einem
- Zettelchen, daß er fünfundzwanzig Rubel in staatlichen Banknoten für die
- verkauften Seelen erhalten habe. Nachdem er die Quittung ausgestellt
- hatte, prüfte er noch einmal das Papiergeld.
- »Der eine ist ein bissel alt,« murmelte er, während er einen der Scheine
- ans Licht hielt! »und auch ein bissel zerrissen und abgenutzt. Na, aber
- unter Freunden achtet man schließlich nicht darauf.«
- »Ein Halsabschneider! Ich sagte es ja,« dachte Tschitschikow. »Und noch
- 'ne Bestie dazu!«
- »Können Sie nicht Seelen weiblichen Geschlechtes brauchen?«
- »Nein, ich danke!«
- »Ich hätte sie Ihnen billig gelassen. Aus Freundschaft für Sie, schon
- für einen Rubel das Stück.«
- »Nein, das weibliche Geschlecht hat für mich keine Reize.«
- »Freilich! Wenn dem so ist, ist jedes weitere Wort Verschwendung. Über
- den Geschmack läßt sich nicht streiten: Der eine liebt den Popen, der
- andre des Popen Frau, wie das Sprichwort sagt.«
- »Ich wollte Sie noch bitten, daß diese Angelegenheit ganz unter uns
- bleibt,« sprach Tschitschikow, indem er sich verabschiedete.
- »Aber selbstverständlich! Einen dritten geht das doch garnichts an: was
- zwei nahe Freunde im Vertrauen miteinander verhandeln, muß natürlich
- unter ihnen bleiben. Leben Sie wohl! Ich danke Ihnen für Ihren Besuch
- und bitte Sie, mich auch weiterhin nicht zu vergessen! Kommen Sie doch,
- wenn es Ihre Zeit erlaubt, wieder einmal zum Mittagessen. Dann plaudern
- wir ein Stündchen zusammen. Vielleicht findet sich noch einmal eine
- Gelegenheit, einander einen Dienst zu erweisen.«
- »Nein, danke, mein Bester!« dachte Tschitschikow, indem er in den Wagen
- stieg. »Hat mir zwei und einen halben Rubel für eine tote Seele
- abgegaunert, dieser verfluchte Leuteschinder!«
- Tschitschikow war äußerst empört über Sabakewitschs Betragen. Er war
- doch immerhin ein Bekannter von ihm. Sie hatten sich ja schon beim
- Gouverneur und beim Polizeimeister gesehen, und doch hatte er ihn
- behandelt wie einen gänzlich Fremden und ihm Geld für irgend einen
- Plunder abgenommen. Als der Wagen durch das Hoftor rollte, sah er sich
- noch einmal um: Sabakewitsch stand noch immer auf der Treppe und schien
- ausspähen zu wollen, welche Richtung der Gast einschlagen werde.
- »Er steht noch immer da, der Schuft!« murmelte Tschitschikow durch die
- Zähne; und er befahl Seliphan, den Weg durch das Dorf zu nehmen und so
- zu fahren, daß man die Equipage vom Herrensitz aus nicht mehr sehen
- könne. Er hatte die Absicht, Pluschkin aufzusuchen, bei dem, nach
- Sabakewitschs Worten, die Menschen wie die Fliegen starben. Aber er
- wollte nicht, daß Sabakewitsch dies erführe. Als der Wagen am Ende des
- Dorfes war, rief er den ersten besten Bauern zu sich heran. Dieser hob
- gerade einen dicken Balken, der am Wege lag, auf die Schulter und wollte
- ihn wie eine unermüdliche Ameise nach seiner Hütte schleppen.
- »Heh! Du Langbart! Wie gelangt man denn von hier zu Pluschkin, ohne an
- dem herrschaftlichen Wohnhause vorüber zu kommen?«
- Dem Bauern schien diese Frage einige Schwierigkeiten zu bereiten.
- »Na, du weißt es wohl nicht?«
- »Nein, gnädiger Herr, ich weiß nicht.«
- »Ach, du! Und dabei kriegt der Kerl schon graue Haare! Kennt den
- Geizhals Pluschkin nicht, der seine Leute verhungern läßt.«
- »Ach so, der geflickte!« rief der Bauer aus. Er ließ diesem
- Eigenschaftswort »der geflickte« auch noch ein sehr treffendes
- Substantivum folgen, das wir jedoch unterdrücken, weil es in der Sprache
- der bessern Welt nur selten gebraucht wird. Übrigens wäre es nicht
- schwer zu erraten gewesen, daß dieser Ausdruck ein äußerst
- kennzeichnender war, weil Tschitschikow noch lange weiter lachte, als
- der Wagen schon ein beträchtliches Stück Weges zurückgelegt und die
- Insassen den Bauern schon längst aus den Augen verloren hatten. Es liegt
- eine gewaltige Kraft in der Ausdrucksweise des russischen Volkes. Wird
- mal einer mit einem solchen Wörtchen bedacht, so erbt es sich fort von
- Geschlecht zu Geschlecht; er schleppt es mit sich in den Dienst und in
- die Pension, bis nach Petersburg, und bis ans Ende der Welt. Mach
- Winkelzüge soviel und welcher Art du willst, such deinen Spitznamen zu
- veredeln, laß meinetwegen gedungene Schreiberseelen ihn für reichlichen
- Geldlohn von einem alten Fürstenadel ableiten, es hilft dir alles
- nichts. Dein Spitzname krächzt ohne dein Zutun aus voller Rabenkehle und
- verkündigt klar, woher der Vogel stammt. Ein treffend ausgesprochenes
- Wort ist wie ein schwarz auf weiß gedrucktes. Es läßt sich mit keiner
- Art herausbringen. Und wie wunderbar treffend ist alles, was aus den
- tiefsten Tiefen Rußlands hervordringt, wo es weder deutsche, noch
- finnische noch irgend welche anderen Volksstämme gibt, sondern alles ein
- urwüchsiges Urprodukt des lebendigen wagemutig-kecken russischen Geistes
- ist, der nicht lange nach dem rechten Worte sucht, der es nicht
- erbrütet, wie die Henne ihre Kücken, sondern es mit einem Ruck in die
- Welt setzt, wie einen Reisepaß für die Ewigkeit. Da brauchst du nicht
- erst hinzuzufügen, was du für eine Nase und was für Lippen hast, mit
- einem Strich bist du umrissen vom Scheitel bis zur Sohle.
- Wie das fromme heilige Rußland mit einer unübersehbaren Menge von
- Klöstern und Kirchen mit Spitzen, Kuppeln und Kreuzen übersät ist, so
- stoßen und drängen, schillern und wogen unzählbare Scharen von Völkern,
- Geschlechtern und Stämmen auf dem Angesicht der Mutter Erde. Und jedes
- dieser Völker, das in sich das Unterpfand der Kraft trägt, das
- ausgestattet ist mit schöpferischen Geistesmächten, mit einer
- helleuchtenden Eigenart und anderen Gottesgaben, hat sich sein
- eigentümliches Gepräge gegeben, in einem selbst eigenen Worte, mit dem
- es in der Bezeichnung eines Objekts einen Teil seines eigensten
- Charakters wiederspiegelte. Herzenskenntnis und tiefe Lebensweisheit
- klingt uns aus dem Worte des Britanniers entgegen; leicht beschwingt und
- elegant blitzt auf und zerflattert das kurzlebige Wort des Franzosen;
- klug und schlau ersinnt sein nicht leichtfaßlich dürres Rätselwort der
- Deutsche; aber es gibt kein Wort, das so weit ausladend, so keck sich
- losringt aus den tiefsten Tiefen des Herzens, so brodelt, glüht,
- vibriert von innerstem Leben, wie ein treffend urwüchsiges, russisches
- Wort.
- Sechstes Kapitel
- Einst, vor langer langer Zeit, in den Tagen meiner Jugend, meiner
- unwiederbringlich entschwundenen Jugend, da machte es mir stets Freude,
- wenn ich an einem unbekannten Ort vorüberfuhr: ganz gleich, ob es ein
- kleines Dorf, ein armes Kreisstädtchen, ein Flecken oder eine größere
- Ortschaft war. Wieviel Interessantes entdeckte da nicht der neugierige
- Blick des Kindes! Jedes Gebäude, alles was den Stempel einer scharf
- ausgeprägten Eigenart an sich trug, lenkte die Aufmerksamkeit auf sich
- und hinterließ einen tiefen Eindruck in der Seele des Knaben. Ein
- steinernes Haus oder ein Staatsgebäude von der bekannten Bauart, mit den
- vielen gemalten Fenstern, das in einsamer Höhe aus dem Haufen
- einstöckiger Blockhäuser der Stadtbewohner hervorragte; eine runde
- regelmäßige, mit weißem Eisenblech gedeckte Kuppel, die sich über der
- schneeweißen neuen Kirche erhob, ein Marktplatz, ein kleinstädtischer
- Galan, der im Städtchen umherschlenderte -- nichts entging dem scharf
- aufmerkenden kindlichen Spürsinn -- und ich steckte meine Nase aus
- meinem Zeltwagen heraus und betrachtete neugierig einen Rock von mir
- gänzlich unbekanntem Schnitt, die offenen Holzkisten mit der weithin
- leuchtenden Schwefelblüte, mit Nägeln, Seife und Rosinen, die mir
- zugleich mit allerhand Schachteln und Büchsen voll vertrockneter
- Moskauer Bonbons aus der Tür eines Gemüseladens entgegenschimmerten;
- oder ich sah mir einen vorübergehenden Infanterie-Offizier an, den
- irgend eine seltsame Schickung hierher in die Langeweile der Kreisstadt
- verschlagen hatte, oder einen Kaufmann in einem langen Rock, der auf
- einem Rennwagen an mir vorbeijagte -- und ließ mich von meinen Gedanken
- weit forttragen in ihr armseliges Dasein. Ging ein Beamter des
- Städtchens an mir vorüber, so fing ich schon an zu träumen und zu
- grübeln: wo mag er wohl hingehen? Zu einer Abendgesellschaft bei einem
- seiner Brüder oder vielleicht nur zu sich nach Hause, um ein halbes
- Stündchen vor der Haustür zu sitzen, bis die Nacht sich niedersenkt und
- sich dann mit Frau und Mutter, der Schwägerin und der ganzen Familie an
- den Tisch zum frühen Abendmahl zu setzen? Und wovon würden sie wohl
- sprechen, wenn das Mädchen mit dem Perlenbande, oder ein Knabe in einer
- dicken Hausjacke nach der Suppe den unverwüstlichen Leuchter mit der
- Talgkerze hereinträgt? Näherte ich mich dem Dorfe irgend eines
- Gutsbesitzers, dann blickte ich neugierig auf den hohen, schmalen
- hölzernen Glockenturm oder die alte geräumige hölzerne Kirche. Wie
- anheimelnd blickten dann zwischen dem dichten Blätterwerk der Bäume das
- rote Dach und die weißen Schornsteine des Herrenhauses hindurch, und ich
- wartete ungeduldig auf den Augenblick, wo es aus seinem Gartenverstecke
- heraustreten und daliegen würde mit seiner so gar nicht öden oder
- langweiligen Front. Und dann suchte ich wohl aus dem Äußeren zu erraten,
- wer der Besitzer sei, ob er dick oder dünn sei, ob er Söhne oder wohl
- gar ein halbes Dutzend Töchter habe, die das Haus mit ihrem hellen
- Mädchenlachen, ihren Mädchenspielen und Scherzen beleben, eine lustige
- Mädchenschar mit der unvermeidlichen Jüngsten und Schönsten; ob sie
- schwarzäugig seien und er selbst ein lustiger Bruder sei oder finster
- und mürrisch blicke, wie ein später Septembertag, beständig in sein
- Notizbuch und in den Kalender sehe und von nichts anderem spreche, als
- von dem für die Jugend, ach! so langweiligen Weizen oder Roggen.
- Heute fahre ich gleichmütig an jedem fremden Dorfe vorüber und blicke
- gleichgültig auf seine elende Außenseite, mein erkalteter Blick fühlt
- sich nicht angeheimelt, nichts reizt mich mehr zum Lachen, und was
- früher, in vergangenen Jahren, meinem Gesicht eine Bewegung oder ein
- Lächeln, und dem Munde nie versiegende Reden entlockte, das huscht jetzt
- an mir vorbei, und teilnahmloses Schweigen schließt mir die Lippen. O
- meine Jugend, o meine herrliche Frische!
- Während Tschitschikow in Sinnen versunken war und heimlich in sich
- hineinlächelte wegen des schönen Spitznamens, mit dem die Bauern
- Pluschkin bedacht hatten, hatte er garnicht darauf geachtet, daß der
- Wagen mitten durch ein großes und weitläufiges Dorf mit zahlreichen
- Straßen und Häusern hindurchrollte. Allein dies wurde ihm bald zum
- Bewußtsein gebracht durch einen recht kräftigen Stoß, der ihm von dem
- Knüppeldamm appliziert wurde, im Vergleich mit dem das städtische
- Straßenpflaster das reinste Kinderspiel war. Diese Knüppel hoben und
- senkten sich wie die Tasten eines Klaviers, und der Reisende, der sich
- nicht in acht nahm, hatte jeden Augenblick eine Beule am Hinterkopf oder
- einen blauen Fleck an der Stirn zu gewärtigen, oder er lief sogar
- Gefahr, sich eigenzähnig die Zungenspitze abzubeißen, was ja auch nicht
- gerade zu den größten Annehmlicheiten unseres irdischen Daseins gehört.
- Die Bauernhäuser machten alle einen morschen, verfallenen Eindruck. Die
- Balken waren wurmstichig und altersgrau. Manche Dächer glichen einem
- Sieb. An andern bemerkte man nichts von der Dachbekleidung außer dem
- Firstbalken, und darunter ein paar Latten, die sich wie die Rippen eines
- Skeletts ausnahmen. Wahrscheinlich hatten die Besitzer selbst die
- Bretter und Schindeln heruntergeholt, in der wichtigen Erwägung, daß man
- eine Hütte doch nicht zum Schutz gegen den Regen baut, und daß es bei
- heiterem Himmel ja nicht von selbst in den Eimer tropft, andererseits
- aber auch kein Grund vorliegt, gerade in ihr mit dem Weibe auf dem Ofen
- zu liegen, da ja anderswo Platz genug dazu da ist: in der Schenke, an
- der Landstraße -- mit einem Wort, wo es dein Herz nur begehrt. Überall
- fehlten die Scheiben. Hie und da waren die Fensteröffnungen mit einem
- alten Lappen oder einem Kleidungsstück zugestopft. Die kleinen Altane
- unter dem Dachvorsprung mit der bekannten Brüstung, die sich aus einem
- unbekannten Grunde an vielen russischen Bauernhäusern finden, hatten
- sich gesenkt und waren nachgedunkelt, was nicht einmal einen malerischen
- Anblick darbot. Hinter den Hütten sah man an mehreren Stellen lange
- Reihen von Getreidehaufen, die offenbar schon recht lange unbenutzt
- dalagen: ihre Farbe glich der eines alten schlechtgebrannten
- Ziegelsteins. Oben auf dem Haufen wuchs allerhand Plunder und an der
- Seite hatten Schlingpflanzen Wurzel geschlagen. Das Getreide gehörte
- anscheinend dem Gutsherrn; hinter den Kornhaufen und den morschen
- Dächern ragten bald rechts bald links, je nach den Wendungen, die der
- Wagen machen mußte, zwei Dorfkirchen empor, die ihre Türme in die klare
- Luft reckten. Beide lagen dicht nebeneinander, die eine von Holz, die
- andere von Stein mit gelb angestrichenen Mauern, die große
- Schmutzflecken und klaffende Risse zeigten. Hie und da blickte das Haus
- des Gutsherrn durch, bis es schließlich frei vor den Augen dastand, wo
- die Häuserkette abriß und statt dessen ein freier Platz sich öffnete,
- der etwas wie einen Gemüse- oder Kohlgarten darstellte und von einem
- niedrigen, stellenweise stark mitgenommenen Zaun eingefriedigt war. Wie
- ein hinfälliger, altersschwacher Invalide sah dieses sich hier endlos
- hinstreckende Schloß aus. Stellenweise hatte es nur ein Stockwerk,
- stellenweise auch zwei. Auf dem dunklen Dach, das sein Alter nicht immer
- sicher beschützte, befanden sich gerade gegenüber zwei Aussichtstürme,
- beide schon altersgebeugt und verblichen, da die Farbe, die sie
- einstmals deckte, längst verschwunden war. Hie und da ließen die Mauern
- die nackten Fachwerkfelder sehen. Offenbar hatten sie schon viel unter
- Regengüssen, Wirbelstürmen, Ungewittern und Herbstschauern zu leiden
- gehabt. Nur zwei von den Fenstern waren offen; die übrigen waren mit
- Läden verdeckt oder sogar mit Brettern vernagelt. Die beiden offenen
- Fenster waren jedoch ihrerseits auch schon ein wenig erblindet und das
- eine mit einem blauen Papierdreieck verklebt.
- Ein großer, alter Garten, der hinter dem Hause lag, sich von dort weit
- bis übers Dorf hinaus erstreckte und in den Feldern verlor, belebte
- allein, obwohl auch schon verwildert und zugewachsen, dieses große Dorf
- und bot in seiner malerischen Wildheit einen pittoresken Anblick dar.
- Wie grüne Wolken und unregelmäßige Kuppeln von zitternden Blättern
- ruhten im klaren Himmelsblau die verschlungenen Wipfel der Bäume, die in
- ungebändigter Freiheit sich üppig hatten entfalten können. Der mächtige
- weiße Stamm einer Riesenbirke ohne Krone, die der Sturm oder Blitz
- gebrochen hatte, erhob sich aus diesem grünen Dickicht und rundete sich
- in der Luft wie eine schlanke, schöngeformte Marmorsäule. Die schräge,
- scharfkantige Bruchstelle, in die sie auslief statt in ein Kapitäl, hob
- sich von dem schneeweißen Grund ab wie ein Hut oder ein schwarzer Vogel.
- Grünschimmernder Hopfen, der mit seinem dichten Geflecht
- Holundersträuche, Ebereschen und Haselbüsche in seinen engen Umarmungen
- zu ersticken versuchte, kletterte am Stamm empor und rankte sich um die
- halbgeborstene Birke. Auf halber Höhe ließ er sich wieder herabfallen,
- um sich an andere Baumwipfel zu klammern, oder er senkte seine langen
- Ranken in die Luft hinab, indem er seine Häkchen zu Ringen aufrollte,
- die im sanften Winde schaukelten. Hie und da trat das im hellen
- Sonnenlichte daliegende grüne Dickicht auseinander und ließ einen
- dunkelen schattigen Grund sehen, der wie ein finsterer Rachen aufgähnte;
- dieser war ganz in Schatten getaucht, man konnte mehr ahnen, als
- erkennen, was einem aus der dunklen Tiefe entgegenschimmerte: einen
- engen, schmalen Fußpfad, ein umgefallenes Geländer, eine verfallene
- Laube, den hohlen morschen Stamm einer Weide, silbergraues Strauchwerk,
- das stachelicht und dicht hinter der Weide hervorguckte, vertrocknete
- Blätter und Äste, die in der allgemeinen Verwilderung wirr durcheinander
- lagen, und endlich einen jungen Ahornschößling, der seine grünen
- gelappten Blätter weit ausstreckte, und deren _eines_ ein Sonnenstrahl,
- der sich Gott weiß auf welche Weise bis hierher den Weg gebahnt hatte,
- in einen durchsichtig goldigglühenden Stern verwandelte, welcher aus der
- dichten Finsternis herrlich hervorleuchtete. Ganz abseits am Rande des
- Gartens standen einige hochgewachsene, alle andern Bäume weit
- überragende Espen, die ein paar mächtige Krähennester in ihren
- zitternden Baumkronen trugen. Hie und da ließ eine von ihnen einen
- gebrochenen, aber noch lose am Stamm haftenden Ast mit seinen
- vertrockneten Blättern traurig herabhängen. Mit einem Wort es war alles
- sehr schön, wie weder Natur noch Kunst es _für sich allein_
- hervorzubringen vermögen, und wie es nur dort zu gelingen pflegt, wo
- sich beide zu gemeinsamem Werke vereinigen, wenn die Natur noch einmal
- über die oft ohne Sinn und Geschmack zusammengestoppelte Schöpfung des
- Menschen mit ihrem Meißel drübergeht, ihr den letzten Schliff gibt, die
- schweren Massen belebt, ihnen etwas Leichtes, Schwebendes verleiht, die
- grobe handgreifliche Regelmäßigkeit und Symmetrie verwischt und die
- elenden Mängel und Schnitzer beseitigt, welche die nackte Absicht allzu
- aufdringlich zur Schau stellen, um jene wundersame Wärme über alles zu
- ergießen, was in der frostigen Kälte wohldurchdachter, errechneter
- Sauberkeit und Peinlichkeit entstand.
- Nachdem der Wagen noch einige Wendungen gemacht hatte, blieb er endlich
- vor dem Hause selbst stehen, das jetzt fast noch düsterer und
- trübseliger erschien. Die Mauern und das Tor waren mit grünem Schimmel
- bedeckt. Im Hofe standen allerhand Gebäude: Vorratskammern,
- Kornspeicher, das Gesindehaus usw. dicht nebeneinander -- auch sie alle
- gleichfalls mit den deutlichen Spuren des Alters und der Baufälligkeit;
- rechts und links sah man je ein Tor, das nach einem andern Hofe führte.
- Alles legte Zeugnis davon ab, daß hier einmal in ganz großem Maßstabe
- gewirtschaftet worden war, heute aber blickte alles trübe und finster.
- Da gab es nichts, was das traurige Bild ein wenig erheitert hätte: --
- keine sich auftuenden Türen, keine ein- und ausgehenden Menschen, keine
- lebendigen häuslichen Sorgen! Nur das Haupttor stand offen, und auch
- dies nur, weil ein Mann mit einem schwerbeladenen Wagen, der mit
- Bastmatten zugedeckt war, in den Hof fuhr; wie mit Absicht, um diesen
- öden toten Ort ein wenig zu beleben: zu einer andern Zeit wäre auch
- dieses Tor fest verschlossen gewesen, denn an der eisernen Krampe hing
- ein mächtiges Riesenschloß. Vor einem der Gebäude entdeckte
- Tschitschikow bald eine Gestalt, die sich mit dem Wagenführer zankte. Er
- konnte sich lange nicht darüber klar werden, welchem Geschlechte die
- Gestalt angehörte; ob es ein Mann oder eine Frau war. Das
- Kleidungsstück, das sie anhatte, war völlig undefinierbar, und hatte
- eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Frauenrock; dazu trug sie noch eine
- Kappe auf dem Kopf, wie sie die Dorfweiber zu tragen pflegen.
- »Wahrhaftig, ein Weibsbild!« dachte er, er fügte aber gleich hinzu:
- »Nein, doch nicht!« -- »Natürlich ein Weibsbild!« sagte er endlich,
- nachdem er sich die Gestalt näher angesehen hatte. Diese beobachtete ihn
- ihrerseits gleichfalls mit großer Aufmerksamkeit. Der Ankömmling schien
- für sie eine Art Weltwunder zu sein, weil sie nicht bloß ihn, sondern
- auch Seliphan und selbst die Pferde vom Maule bis zum Schwanze aufs
- gründlichste musterte. Nach dem an ihrem Gürtel hängenden Schlüsselbund
- und den kräftigen Schimpfworten, mit denen sie den Bauern überhäufte,
- urteilte Tschitschikow, daß dies wohl die Schließerin sein müsse.
- »Hör mal, Mütterchen,« sagte er, während er aus dem Wagen stieg, »was
- macht der Herr?«
- »Ist nicht zu Hause!« versetzte die Schließerin, ohne den Schluß der
- Frage abzuwarten, und sie fügte gleich hinzu, »und was wollen Sie von
- ihm?«
- »Ich komme in einer geschäftlichen Angelegenheit.«
- »Dann treten Sie bitte ins Zimmer,« sagte die Schließerin, indem sie die
- Türe öffnete, ihm den mit Mehlstaub bedeckten Rücken zuwandte und dabei
- ein großes Loch in ihrem Rocke sehen ließ.
- Er betrat den großen dunklen Flur, aus dem ihn Grabeskälte wie aus einem
- Keller anwehte. Aus dem Flur gelangte er in ein dunkles Zimmer, in das
- nur wenig Licht aus einer breiten Spalte unter der Tür hineinfiel. Er
- öffnete diese Tür und befand sich endlich in hellem Tageslicht. Die
- Unordnung, die sich ihm überall aufdrängte, erregte sein Erstaunen. Es
- sah fast so aus, als ob im ganzen Hause die Dielen gewaschen würden und
- während dessen sämtliche Möbel in dieser Stube untergebracht worden
- wären. Auf einem Tische stand sogar ein zerbrochener Stuhl, daneben eine
- Uhr mit einem zerbrochenen Pendel, das eine Spinne bereits mit ihrem
- Gewebe umsponnen hatte. Hier standen auch ein seitlich an die Wand
- gelehnter Schrank mit altem Silbergerät und allerhand Karaffen aus
- chinesischem Porzellan. Auf dem Schreibpult, das mit Perlmuttermosaik
- ausgelegt, stellenweise seines Schmuckes entkleidet war und an seiner
- Stelle die mit trockenem Leim gefüllten Lücken sichtbar werden ließ, lag
- allerhand bunter Kram beieinander: ein Haufen eng beschriebener Zettel,
- auf denen ein grünlich angelaufener Briefbeschwerer von Marmor mit einem
- kleinen Ei als Griff ruhte, ein alter Schweinslederband mit rotem
- Schnitt, eine trockene ausgepreßte Zitrone, die nicht größer war als
- eine Walnuß, die abgebrochene Lehne eines Stuhles, ein Schnapsglas mit
- einer roten Flüssigkeit und drei darin schwimmenden Fliegen, das mit
- einem Briefbogen bedeckt war, ein Stückchen Siegellack, der Fetzen eines
- irgendwo aufgelesenen Lappens, zwei Schreibfedern, die mit Tinte
- beschmiert und ganz vertrocknet waren, wie wenn sie die Schwindsucht
- hätten, ein gelblicher Zahnstocher, mit dem sich sein Herr wohl noch vor
- der Einnahme Moskaus durch die Franzosen die Zähne gereinigt haben
- mochte, usw. An den Wänden hingen nahe beieinander und in recht
- geschmackloser Anordnung mehrere Bilder: ein schmaler Stahlstich von
- irgend einer Schlacht, auf dem man fürchterliche Trommeln, schreiende
- Soldaten mit Dreimastern auf den Köpfen und ersaufenden Pferden
- erblickte. Der Stich befand sich in einem Rahmen von Mahagoniholz mit
- schmalen Bronzeleisten und Bronzerosetten in den Ecken, jedoch ohne
- Deckglas. Daneben hing ein gewaltiges nachgedunkeltes Ölgemälde, das die
- halbe Wand einnahm, und auf dem Blumen, Früchte, eine zerschnittene
- Wassermelone, die Schnauze eines Wildebers und der herunterhängende Kopf
- einer wilden Ente abgebildet waren. Von der Mitte der Decke hing ein in
- einem Leinewandsack eingenähter Kronleuchter herab, der so dicht mit
- Staub bedeckt war, daß er dem Kokon eines Seidenwurmes glich. In einem
- Winkel des Zimmers lag ein Haufen alter Sachen; dies waren gewissermaßen
- die gröberen Gegenstände, die nicht gewürdigt wurden, auf dem Tisch zu
- liegen. _Was_ das eigentlich für Sachen waren -- das ließ sich nicht
- leicht angeben; denn es lastete eine so dicke Staubschicht auf ihnen,
- daß jede Hand, die sie berührte, große Ähnlichkeit mit einem Handschuh
- bekam; die einzigen Objekte, die sich mit einiger Deutlichkeit von dem
- Schutthaufen abhoben, waren: ein Stück von einer zerbrochenen hölzernen
- Schaufel und eine alte Schuhsohle. Kein Mensch hätte geglaubt, daß dies
- Zimmer von einem lebenden Wesen bewohnt werde, wenn nicht eine alte
- abgetragene Kappe, die auf dem Tische lag, davon Zeugnis abgelegt hätte.
- Während unser Held noch in die Betrachtung dieser merkwürdigen
- Zimmerausstattung versunken war, öffnete sich eine Seitentür, und
- dieselbe Schließerin, die er auf dem Hofe getroffen hatte, trat herein.
- Jetzt aber sah er, daß dies eher ein Schließer, als eine Schließerin
- war: wenigstens pflegte sich eine Schließerin gewöhnlich nicht den Bart
- zu rasieren, dieser Mensch aber tat es und zwar, wie es schien, recht
- selten, denn sein Kinn und die untere Partie seines Gesichts glich einem
- Striegel aus Eisendraht, mit dem man die Pferde im Stalle zu putzen
- pflegt. Tschitschikows Gesicht nahm einen fragenden Ausdruck an; er
- wartete mit Ungeduld darauf, was ihm der Schließer sagen würde. Dieser
- schien jedoch seinerseits wiederum auf Tschitschikows Anrede zu warten.
- Endlich entschloß sich der letztere, dem diese beiderseitige
- Unentschlossenheit recht peinlich wurde, zu der Frage:
- »Nun, was macht dein Herr? Ist er zu Hause?«
- »Der Hausherr ist hier!« antwortete der Schließer.
- »Wo denn nur?« wiederholte Tschitschikow.
- »Sie sind wohl blind, Väterchen? Was?« versetzte der Schließer.
- »Herrjeh! Ich bin doch der Herr des Hauses!«
- Hier wich unser Held unwillkürlich ein wenig zurück und sah jenen starr
- an. Er hatte in seinem Leben mancherlei Leute kennen gelernt, selbst
- solche wie wir, lieber Leser, sie wohl nie zu sehen bekommen. Aber einem
- ähnlichen Wesen war er noch nie begegnet. An seinem Gesichte war nichts
- Besonderes zu bemerken. Es unterschied sich kaum von dem der meisten
- hagern alten Leute; nur das Kinn sprang etwas weit vor, und er mußte es
- immer mit einem Taschentuch bedecken, um es nicht mit seinem Speichel zu
- befeuchten. Die kleinen Äuglein waren noch nicht erloschen und bewegten
- sich unter den buschigen Augenbrauen hin und her wie zwei Mäuschen, wenn
- sie die zierlichen Schnäuzchen aus dem finsteren Loche stecken, die
- Ohren spitzen, mit ihren feinen Schnurrbarthärchen spielend,
- hinauslugen, ob nicht irgendwo ein Kater oder ein mutwilliger Knabe
- versteckt liegt und argwöhnisch in der Luft herumschnüffeln. Das Kostüm
- war noch interessanter. Es wäre eine vergebliche Bemühung gewesen,
- herauskriegen zu wollen, woraus sein Schlafrock eigentlich
- zusammengeflickt war: die Ärmel und die Kragenschöße waren so schmutzig
- und glänzend, daß sie dem Juchtenleder glichen, aus dem man Stiefel
- macht; hinten baumelten ihm statt zweier vier Rockschöße hinunter, aus
- denen das Futter sich in Knäueln ans Tageslicht drängte. Um den Hals
- hatte er auch ein undefinierbares Etwas geschlungen, von dem man nicht
- sagen konnte, ob es ein alter Strumpf, eine Leibbinde oder eine Bandage
- war. Ein Halstuch war es jedenfalls nicht. Mit einem Wort, hätte ihn
- Tschitschikow in diesem Aufzug vor irgend einer Kirche getroffen, er
- hätte ihm sicherlich einen Kupfergroschen gereicht; denn, zur Ehre
- unseres Helden sei es gesagt, er hatte ein sehr mitleidiges Herz und
- konnte sich niemals enthalten, einem armen Mann eine Kupfermünze zu
- reichen. Aber der Mensch, der vor ihm stand, war kein Bettler, sondern
- ein vornehmer Gutsherr. Und dieser Gutsherr besaß mehr als tausend
- Seelen, ja man hätte lange nach einem zweiten suchen können, der soviel
- Getreide, Mehl und Ackerfrüchte in seinen Speichern barg, dessen
- Vorratskammern, Scheuern und Tennen gleich vollgepfropft waren mit Tuch
- und Leinewand, rohen und gegerbten Schafsfellen, getrockneten Fischen,
- mancherlei Gemüsearten und Früchten. Man brauchte bloß einen Blick in
- seinen Hof zu werfen, wo Holz aller Art und allerhand Geschirr
- aufgestapelt lagen, welches nie verwendet wurde -- und man hätte sich
- auf den Moskauer Holzmarkt versetzt geglaubt, wo sich täglich die
- geschäftigen Schwiegermütter und Basen versammeln, begleitet von ihren
- Köchinnen, um ihre Einkäufe zu machen, und wo uns ganze Berge von
- geschnitztem, gedrechseltem, geflochtenem und verzahntem Holze
- entgegenschimmern: Fässer, Bottiche, Teereimer, Kannen mit und ohne
- Maul, Wannen, Körbe, Hechelbretter, durch welche die Frauen ihren Flachs
- und anderes Zeug ziehen, Kästchen aus dünnem, gebogenem Espenholz,
- Körbchen aus geflochtener Birkenrinde und noch vieles, vieles andere zum
- Bedarf des reichen und armen Russenlandes. Man hätte meinen sollen, wozu
- brauchte Pluschkin eine solche Unmenge verschiedenartigster Erzeugnisse?
- Selbst zwei so große Güter, wie das seine, hätten mehrere Menschenalter
- lang keine Verwendung für sie gefunden. Ihm aber war auch das noch nicht
- genug. Unzufrieden ging er alltäglich durch die Straßen seiner Dörfer
- und blickte unter Brücken und Stege und alles, was ihm in den Weg kam:
- eine alte Schuhsohle, irgend ein Fetzen eines alten Kleiderstücks, ein
- eiserner Nagel, eine Dachziegelscherbe -- alles trug er mit sich fort
- und warf es auf jenen Haufen, den Tschitschikow in dem Winkel des
- Zimmers bemerkt hatte. »Da geht unser Fischer wieder auf die Jagd,«
- pflegten die Bauern zu sagen, wenn sie ihn beutelüstern nach allen
- Seiten ausspähen sahen. Und in der Tat: die Straße brauchte man hinter
- ihm nicht mehr zu fegen; hatte ein vorüberfahrender Offizier einen
- seiner Sporen verloren -- eh man sich's versah, lag sie auf dem Haufen;
- hatte ein Weib in ihrer Blödigkeit einen Eimer am Brunnen stehen lassen,
- -- flugs schleppte er auch schon den Eimer mit sich fort. Übrigens, wenn
- ein Bauer ihn dabei ertappte, dann widersetzte er sich nicht lange und
- lieferte den geraubten Gegenstand gutwillig wieder aus; aber lag dieser
- einmal im Haufen, dann war alles vorbei: er schwur und rief Gott zum
- Zeugen an, daß er das Ding dann und dann, und da und da gekauft, oder
- wohl gar von seinem Großvater geerbt habe. War er bei sich zu Hause,
- dann hob er alles auf, was auf dem Fußboden lag: ein Stückchen
- Siegellack, einen Papierfetzen, eine Feder, und legte alles auf das
- Schreibpult oder auf die Fensterbank.
- Und doch gab es eine Zeit, wo er nur ein _sparsamer Hausherr_ gewesen
- war! Auch _er_ war einst ein braver Ehemann und Familienvater, und seine
- Nachbarn besuchten ihn, um bei ihm zu Mittag zu speisen, die Kunst des
- Haushalts und weise Sparsamkeit von ihm zu lernen. Damals floß das ganze
- Leben noch rasch und wohlgeordnet dahin: die Mühlen und Walzen
- klapperten lustig, die Tuchfabriken, die Drechselbänke und Webstühle
- arbeiteten unermüdlich; in alle Ecken und Winkel des geräumigen
- Landgutes drang das scharfblickende Auge des Herrn und glitt wie eine
- fleißige Spinne besorgt und geschäftig von einem Ende des
- Wirtschaftsnetzes zum andern. In seinem Antlitz spiegelten sich freilich
- niemals allzu starke Leidenschaften und Gefühle, aber aus seinem Auge
- blitzte ein heller Verstand, aus seinen Reden sprachen Erfahrung und
- Weltkenntnis, und seine Gäste hörten ihm gerne zu; die liebenswürdige
- redselige Hausfrau war berühmt wegen ihrer Gastfreundschaft; zwei
- liebliche Töchter begrüßten den Ankömmling, beide blond und frisch, wie
- junge Rosen, der Sohn, ein lebhafter, munterer Junge kam ihm
- entgegengesprungen, und küßte den Gast, ohne viel danach zu fragen ob es
- diesem angenehm war, oder nicht. Alle Fenster im Hause standen offen. Im
- Zwischenstock wohnte der französische Gouverneur, welcher stets gut
- rasiert war und für einen glänzenden Schützen galt: jeden Tag brachte er
- ein Birkhuhn oder ein paar Enten, oder zuweilen gar einige Sperlingseier
- zum Mittagessen mit, aus denen er sich einen Eierkuchen backen ließ, den
- außer ihm kein Mensch im ganzen Hause aß. Im selben Stock wohnte auch
- eine Landsmännin von ihm, die Gouvernante der beiden Mädchen. Der
- Hausherr selbst erschien immer in einem schwarzen Rock, der zwar schon
- ein wenig abgetragen, aber stets ordentlich und sauber war, zu Tische;
- die Ellenbogen waren noch nicht durchgerieben, und er war auch noch
- nicht geflickt. Aber die gute Hausfrau starb, und ein Teil der Schlüssel
- und der kleinen Sorgen fielen von nun ab ihm zu. Pluschkin wurde
- unruhig, geizig und argwöhnisch, wie alle Witwer. Auf seine älteste
- Tochter Alexandra Stepanowna wollte er sich nicht in allem verlassen,
- und darin hatte er recht, denn Alexandra Stepanowna lief bald darauf mit
- einem Stabsrittmeister irgend eines Kavallerieregiments davon und ließ
- sich in aller Eile in einer Dorfkirche mit ihm trauen, da sie wußte, daß
- der Vater die Offiziere nicht leiden konnte: er hatte nämlich das
- merkwürdige Vorurteil, sie seien alle Spieler und Verschwender. Der
- Vater sandte ihr seinen Fluch nach, aber es fiel ihm nicht ein, ihr
- nachzureisen und sie zurückzuholen. Das Haus wurde von nun ab noch
- leerer und öder. Der Geiz des Besitzers trat immer offener zutage; die
- ersten grauen Haare, die bei ihm aufblitzten, die treuen Begleiter der
- Habsucht, begünstigten noch ihre Entwickelung. Der französische
- Hauslehrer erhielt seinen Abschied, weil der Sohn in den Staatsdienst
- treten sollte; Madame wurde weggejagt, weil sie nicht ganz unbeteiligt
- an der Entführung Alexandra Stepanownas war. Der Sohn, den der Vater in
- die Provinzhauptstadt geschickt hatte, um ihn hier den Staatsdienst
- gründlich kennen lernen zu lassen -- nämlich wie der Vater ihn verstand
- -- trat in ein Regiment ein, und schrieb dem Vater einen Brief, in dem
- er ihn -- bereits nachdem er Offizier geworden war -- um Geld für die
- Uniformierung bat; natürlich erhielt er hierauf nur das, was man im
- Volke eine Nase zu nennen pflegt. Schließlich starb auch noch die letzte
- Tochter, die bei Pljuschkin im Hause lebte, und der Alte blieb
- mutterseelenallein auf dieser Welt zurück als Hüter, Wächter und
- alleiniger Besitzer all seiner Reichtümer. Das einsame Leben gab der
- Habsucht neue, reiche Nahrung, denn der Geiz hat bekanntlich einen
- rechten Wolfshunger und wird nur um so unersättlicher, je mehr er
- verschlingt: die menschlichen Regungen, die ja ohnedies nicht allzutief
- in ihm wurzelten, wurden beinahe stündlich leichter und flacher, und
- jeder Tag bröckelte von dieser verfallenen Ruine noch ein weiteres
- Stückchen ab. In solch einem Augenblicke geschah es, daß der Sohn, wie
- absichtlich, um die schlechte Meinung des Vaters vom Offiziersstand noch
- zu bestätigen, sein ganzes Vermögen im Kartenspiele verlor; da sandte
- ihm Pljuschkin seinen aufrichtigen väterlichen Fluch, und von da ab
- kümmerte er sich überhaupt nicht um ihn, und interessierte sich nicht
- mehr dafür, ob er noch auf der Welt sei oder nicht. Jedes Jahr wurde ein
- neues Fenster im Gutshause verschlossen oder zugenagelt, bis schließlich
- nur noch zwei übrig blieben, von denen eins, wie der Leser schon gehört
- hat, mit Papier verklebt wurde; jedes Jahr verlor er ein neues richtiges
- Stück von seinem Haushalt aus dem Auge, und sein enger Blick wandte sich
- immer mehr allerhand Zettelchen und Federchen zu, die er in seinem
- Zimmer vom Fußboden auflas; er wurde immer unzugänglicher und
- unnachgiebiger gegen die Käufer, welche angereist kamen, um ihm etwas
- von seinen landwirtschaftlichen Produkten abzukaufen; sie handelten und
- feilschten mit ihm, gaben ihn endlich ganz auf und erklärten, dies sei
- ein Teufel und kein Mensch; sein Heu und sein Korn verfaulten, seine
- Vorräte und Heuschober verwandelten sich in reinen Dünger, es fehlte
- bloß, daß man auf ihnen Kohl pflanzte; das Mehl in den Kellerräumen
- wurde hart wie Stein, so daß man es mit dem Hammer zerklopfen mußte; die
- Leinwand, die Wolle und die zu Hause gewebten Stoffe durfte man gar
- nicht berühren, wenn sie sich nicht in Staub auflösen sollten.
- Pljuschkin wußte selbst nicht mehr recht, was er alles besaß; das
- einzige, dessen er sich noch erinnerte, war: ein Regal im Schrank, -- wo
- eine Karaffe mit irgend einem Likörrest stand, auf der er ein Zeichen
- eingeritzt hatte, damit sich nur niemand etwas vom Inhalt aneigne, --
- und ein Platz, wo eine Feder oder ein Stückchen Siegellack lag. Die
- Einkünfte aber liefen ein wie früher! Der Bauer mußte nach wie vor
- seinen Zins bezahlen, die Weiber hatten noch immer dieselbe Ration Nüsse
- abzuliefern, die Weberin war noch immer verpflichtet, eine bestimmte
- Menge ihres Ertrages an Gewebe dem Herrn abzugeben. Das wurde alles in
- den Vorratskammern aufgespeichert, wo es verfaulte und sich in Schutt
- verwandelte, und auch er wurde schließlich zu einem menschlichen
- Schutthaufen. Alexandra Stepanowna besuchte ihn ein paar Male mit ihrem
- kleinen Söhnchen, in der Hoffnung, etwas von ihm herauszubekommen; das
- Nomadenleben mit dem Stabsrittmeister war offenbar doch nicht so
- reizvoll, wie es ihr vor der Hochzeit erschienen war. Pljuschkin verzieh
- ihr und schenkte dem kleinen Enkel sogar einen Knopf zum Spielen, der
- gerade auf dem Tische lag, aber mit Geld wollte er nicht herausrücken.
- Ein andres Mal kam Alexandra Stepanowna mit zwei Kindern angefahren und
- brachte ihm einen Stollen zum Tee mit, sowie einen neuen Schlafrock,
- weil der Vater einen solchen Schlafrock trug, daß es nicht nur peinlich,
- sondern geradezu eine Schande war, ihn anzusehn. Pljuschkin liebkoste
- und streichelte beide Enkelkinder, setzte einen auf sein rechtes und den
- andern auf sein linkes Knie, und ließ sie auf- und niederhopsen, wie
- wenn sie auf einem Pferde säßen; den Stollen und den Schlafrock nahm er
- dankbar an, ohne jedoch der Tochter ein Gegengeschenk zu machen, so daß
- Alexandra Stepanowna unverrichteter Sache zurückkehren mußte.
- So also war der Mann, der jetzt vor Tschitschikow stand! Man muß
- zugeben, daß solche Gestalten einem in Rußland nicht allzuoft begegnen,
- wo sich der Mensch eher auszubreiten und zu entfalten, als
- zusammenzuziehen und zu konzentrieren liebt, und eine solche Erscheinung
- setzt einen um so mehr in Erstaunen, als man gleich daneben in der
- nächsten Nachbarschaft einen Gutsbesitzer treffen kann, der sein Leben
- mit jenem breit ausladenden Elan genießt, und sein Hab und Gut mit jener
- vornehmen Großartigkeit bis auf den letzten Heller verschwendet, die den
- Russen nun einmal auszeichnen. Ein Reisender, der noch nicht viel von
- der Welt gesehen hat, würde beim Anblick eines solchen Herrensitzes
- stutzig werden und sich fragen, wie es nur möglich sei, daß ein so
- mächtiger Prinz mitten unter diese kleinen unscheinbaren Bauern geraten
- sei: schier wie Paläste ragen seine weißschimmernden steinernen Häuser,
- mit ihren zahlreichen Schornsteinen, Aussichtstürmen und Seitenflügeln,
- die von einer ganzen Schar von Nebengelassen und Wohnräumen für die
- Besucher und Gäste umgeben sind. Was gibt es da nicht alles! Theater,
- Bälle, Maskenfeste, die ganze Nacht hindurch liegt der feenhaft
- illuminierte Garten im bunten Laternenglanze da, und rauschende Musik
- erfüllt die Luft. Die halbe Provinz lustwandelt in reichem Festtagsputze
- unter den Bäumen, niemand merkt und empfindet etwas von der wilden
- drohenden Disharmonie dieser gewaltsamen Helligkeit, wenn aus dem
- Baumdickicht von falschem Lichte beleuchtet sich plötzlich ein Ast
- theatralisch hervorstreckt; kahl ragen seine des lichten Blätterschmucks
- beraubten Arme in die Lüfte, hoch oben über allem breitet sich noch
- ernster fast und dunkler und furchtbarer als sonst, der nächtliche
- Himmel, und tief hinein in ewige Finsternis flüchten die rauhen Wipfel
- der Bäume und grollen ob des Flitterglanzes, der ihre Wurzeln bestrahlt.
- Schon mehrere Minuten stand Pljuschkin schweigend da, ohne ein Wort zu
- sagen; auch Tschitschikow wollte es nicht gelingen, ein Gespräch
- einzuleiten, da er durch den Anblick seines Wirtes und der ganzen
- seltsamen Umgebung immer wieder von seinem Vorhaben abgelenkt wurde. Es
- wollte ihm lange nichts einfallen, mit welchen Worten er seinen Besuch
- motivieren sollte. Es kam ihm schon der Gedanke, etwa folgendes
- zu sagen: da er von den Tugenden und den ausgezeichneten
- Charaktereigenschaften Pljuschkins gehört habe, habe er es für seine
- Pflicht gehalten, ihm persönlich einen Beweis seiner Achtung zu geben;
- aber er besann sich noch zur rechten Zeit und sagte sich, daß das denn
- doch zu weit gegangen wäre. Er warf noch einen verstohlenen Blick auf
- die ganze Zimmereinrichtung, und hatte die Empfindung, daß die Worte
- Tugend und seltene Charaktereigenschaften mit Erfolg durch die Worte
- Sparsamkeit und Ordnungsliebe ersetzt werden könnten; so verbesserte er
- denn seine Rede in dem angegebenen Sinne, und sagte: da er von der
- Sparsamkeit und der vortrefflichen Verwaltung der Pljuschkinschen Güter
- gehört habe, habe er es für seine Pflicht gehalten, ihn näher kennen zu
- lernen und ihm persönlich den Ausdruck seiner Hochachtung zu Füßen zu
- legen. Es wäre selbstverständlich möglich gewesen noch einen anderen
- besseren Grund anzuführen, aber es wollte ihm, wie gesagt, durchaus
- nichts Hübscheres einfallen.
- Pljuschkin murmelte etwas, wobei er nur die Lippen bewegte, -- denn er
- hatte keine Zähne mehr --; was er eigentlich sagen wollte, läßt sich
- nicht mit Bestimmtheit angeben, wahrscheinlich aber hatten seine Worte
- etwa folgenden Sinn: »Wenn du doch zum Teufel gingest, mit deiner
- Hochachtung!« Aber da bei uns die Gastfreundschaft für eine der ersten
- Pflichten und Tugenden gehalten wird, sodaß selbst der Geizhals ihre
- Gesetze nicht ungestraft übertreten darf, so fügte er etwas deutlicher
- hinzu: »Bitte nehmen Sie gefälligst Platz!«
- »Es ist schon sehr lange her, daß ich keine Gäste mehr empfangen habe,«
- sagte er, »wenn ich offen sein soll, kommt auch wenig dabei heraus. Da
- haben die Leute die höchst überflüssige und unsinnige Mode eingeführt,
- sich gegenseitig Besuche zu machen -- und dann wundert man sich noch,
- daß zu Hause alles drunter und drüber geht ... dazu muß man auch noch
- immer Heu für die Pferde bereit halten! Ich habe schon längst zu Mittag
- gespeist, meine Küche ist auch so niedrig und häßlich, und der
- Schornstein ist ganz eingefallen: ich darf den Herd gar nicht anheizen,
- damit es kein Schadenfeuer gibt.«
- »Steht es so!« dachte Tschitschikow, »gut, daß ich bei Sabakewitsch ein
- Stück Quarkkuchen und einen Happen Lammfilet gegessen habe!«
- »Denken Sie bloß, was für ein Pech! Wenn ich nur einen Büschel Heu im
- Hause hätte!« fuhr Pljuschkin fort. »Und in der Tat, woher soll man es
- bloß nehmen? Ich habe nur wenig Land, der Bauer ist faul, liebt nicht zu
- arbeiten und denkt nur immer an die Schenke ... man muß sich in acht
- nehmen, daß man auf seine alten Tage nicht noch betteln gehen muß!«
- »Man hat mir aber doch gesagt,« wandte hier Tschitschikow bescheiden
- ein, »daß Sie mehr als tausend Seelen haben!«
- »Wer hat Ihnen das gesagt, Sie hätten dem Kerle ins Gesicht spucken
- sollen, der solche Gerüchte verbreitet, Väterchen! Das ist wohl ein
- Spaßvogel, der sich über Sie lustig machen wollte. Da sagt man: tausend
- Seelen, aber wenn man nachrechnet, dann bleibt nicht viel übrig! Im
- vergangenen Jahr sind mir durch das verdammte Fieber ein ganzes Schock
- Bauern weggestorben.«
- »Wahrhaftig? Sind es wirklich so viele,« rief Tschitschikow teilnehmend
- aus.
- »O ja, sehr viele!«
- »Und darf ich fragen, wie viele?«
- »An die achtzig Mann!«
- »In der Tat?«
- »Ich lüge nicht, Väterchen!«
- »Und darf ich mir noch eine Frage erlauben? Diese Zahl bezieht sich doch
- auf die ganze Zeit nach der letzten Revision?«
- »Das wäre ja noch gut!« sagte Pljuschkin, »_so_ gerechnet sind es noch
- viel mehr: etwa hundert und zwanzig Seelen!«
- »Wirklich? Ganze hundert und zwanzig?« rief Tschitschikow aus und riß
- sogar den Mund vor Verwunderung auf.
- »Ich bin schon zu alt, um noch zu lügen, Väterchen: ich bin schon über
- die sechzig hinaus!« sprach Pljuschkin, der sich durch Tschitschikows
- beinahe freudigen Ausruf gekränkt zu fühlen schien. Tschitschikow sah
- ein, daß eine solche Kälte und Teilnahmslosigkeit gegen fremdes Leid in
- der Tat nicht schön sei, daher stieß er schnell noch einen Seufzer aus
- und äußerte sein Bedauern.
- »Ihr Bedauern nützt mir leider nichts! Ich kann es doch nicht in den
- Beutel stecken!« sagte Pljuschkin. »Sehen Sie, da wohnt neben mir ein
- Hauptmann. Weiß der Teufel, wie der hier hereingeschneit ist. Will ein
- Verwandter von mir sein: das geht immer Onkelchen hin, Onkelchen her,
- und dabei küßt er mir stets die Hand; wenn der anfängt einem seine
- Teilnahme zu äußern, dann erhebt er ein wahres Geheul, daß man sich rein
- die Ohren zuhalten möchte. Der Mann hat ein ganz blaurotes Gesicht, er
- liebt wohl die Branntweinflasche zu sehr. Wird sein Geld beim Regiment
- durchgebracht haben, oder irgend eine Schauspielerin hat es ihm aus der
- Tasche gelockt. Das wird der Grund sein, warum er so mitleidig ist!«
- Tschitschikow versuchte ihm zu erklären, daß seine Teilnahme ganz
- anderer Art als die des Hauptmanns, und daß er bereit sei, sie nicht
- allein mit Worten sondern auch durch die Tat zu beweisen; er schob daher
- die Sache nicht länger auf und erklärte ohne alle Umschweife seine
- Bereitwilligkeit, die schwere Pflicht der Steuerzahlung für sämtliche
- Bauern, die durch einen so unglücklichen Zufall hinweggerafft worden
- wären, auf sich nehmen zu wollen. Dieses Angebot brachte Pljuschkin
- anscheinend völlig aus der Fassung. Seine Augen quollen hervor und
- starrten ihr Gegenüber lange Zeit unverwandt an. Endlich sagte er:
- »Waren Sie etwa beim Militär?«
- »Nein!« antwortete Tschitschikow schlau ausweichend, »ich war nur im
- Zivildienst tätig.«
- »Im Zivildienst!« wiederholte Pljuschkin und kaute dabei an seinen
- Lippen, wie wenn er einen Bissen im Munde hätte. »Ja, wie denn nur? Das
- wäre ja doch nur zu Ihrem eigenen Schaden.«
- »Ihnen zu Gefallen würde ich selbst diesen Schaden auf mich nehmen.«
- »Ach, Väterchen! Ach, du mein Wohltäter!« rief Pljuschkin aus, ohne in
- seiner Freude zu merken, daß ihm ein Stückchen Schnupftabak wie dicker
- Kaffeesatz aus der Nase quoll, was keinen gerade malerischen Anblick
- bot, und daß die zurückgeschlagenen Schöße seines Schlafrockes die
- Unterkleidung sehen ließen, welche auch nicht appetitlich anzuschauen
- war. »Sie tun ein gutes Werk an einem armen Greise! O, du mein Gott, du
- mein Heiland!« Mehr brachte Pljuschkin nicht heraus. Aber es verging
- keine Minute, als die Freude, die so plötzlich in den erstarrten Zügen
- aufgeleuchtet war, ebenso schnell wieder verlosch, ohne eine Spur zu
- hinterlassen, und sein Gesicht nahm wieder den alten besorgten Ausdruck
- an. Er wischte es sich sogar mit dem Taschentuch ab, ballte es zu einem
- Klumpen zusammen und rieb sich damit die Oberlippe.
- »Wollen Sie denn wirklich -- ich möchte Sie unter keinen Umständen
- erzürnen -- mit Verlaub zu sagen, jedes Jahr diese Steuern bezahlen? Und
- soll _ich_ oder die Krone das Geld erhalten?«
- »Wissen Sie was? das machen wir einfach so: wir schließen einen
- Kaufkontrakt miteinander ab, als ob sie noch am Leben wären und Sie sie
- mir verkauft hätten.«
- »Ja, einen Kaufkontrakt ...« sagte Pljuschkin, wurde ein wenig
- nachdenklich und begann wieder an seinen Lippen zu kauen. »Sie sagen,
- einen Kaufkontrakt -- das macht wieder neue Unkosten! Die Beamten beim
- Gericht sind so unverschämt! Früher waren sie schon mit einem halben
- Rubel in Kupfer und einem Sack Mehl dazu abzufinden. Jetzt aber
- verlangen sie gleich eine ganze Fuhre Gerste und noch einen roten Lappen
- als Zugabe. So geldgierig sind sie heutzutage. Ich begreife garnicht,
- daß das niemand an die Öffentlichkeit bringt. Wenn man ihnen doch
- wenigstens eine Moralpredigt halten wollte. Mit einem guten Wort kann
- man schließlich jeden breitschlagen. Man mag sagen, was man will: einer
- tüchtigen Moralpredigt widersteht niemand!«
- »Na na, du würdest ihr gewiß widerstehen,« dachte Tschitschikow; aber er
- fügte gleich darauf laut hinzu, daß er aus persönlicher Hochachtung für
- ihn bereit sei, auch die Kosten des Kaufvertrags auf sich zu nehmen.
- Als Pljuschkin hörte, daß sein Gast sogar die Spesen des Kaufvertrages
- zu übernehmen gedenke, schloß er hieraus, daß er ein vollendeter Narr
- sein müsse, und sich bloß so _anstelle_, als ob er im Zivildienst
- gewesen sei, in Wahrheit aber bei irgend einem Regiment gedient und sich
- mit Schauspielerinnen herumgetrieben habe. Bei alledem vermochte er es
- jedoch nicht, seine Freude zu unterdrücken und überhäufte den Gast mit
- allerhand Segenswünschen für ihn selbst und seine Kinder, ohne sich
- übrigens erkundigt zu haben, ob er auch welche besitze. Dann trat er ans
- Fenster, trommelte mit den Fingern gegen die Glasscheibe und rief: »Heh!
- Proschka!« Gleich darauf hörte man, wie jemand atemlos über den Flur
- rannte, sich dort geräuschvoll hin und her bewegte und mit den Stiefeln
- aufstampfte. Endlich tat sich die Türe auf und Proschka, ein
- dreizehnjähriger Junge, trat herein. Er hatte so weite Wasserstiefel an,
- daß er sie beinahe bei jedem Schritte verlor. Warum Proschka eigentlich
- so große Stiefel anhatte, soll der Leser sofort erfahren. Pljuschkin
- besaß für seine sämtlichen Dienstboten nur ein Paar Stiefel, die immer
- im Vorzimmer stehen mußten. Ein jeder, der in die herrschaftlichen
- Gemächer beordert wurde, mußte erst quer über den ganzen Hof einen Tanz
- ausführen, bis er den Flur erreicht hatte, wo er die Stiefel anzog, um
- in diesem Aufzuge ins Zimmer zu treten. Beim Verlassen des Zimmers
- entledigte er sich im Flure wiederum seiner Fußbekleidung und trat den
- Rückweg auf seinen höchsteigenen Sohlen an. Wenn jemand zur Herbstzeit
- und besonders des Morgens, wenn schon der erste Reif gefallen war, aus
- dem Fenster geblickt hätte, so hätte er sich des schönen Anblicks
- erfreuen können, was für prächtige Sprünge Pljuschkins Diener
- vollführten.
- »Sehen Sie nun diese Visage, Väterchen,« sagte Pljuschkin zu
- Tschitschikow, indem er mit dem Finger auf Proschka zeigte. »Der Kerl
- ist so dumm wie ein Holzklotz. Aber lassen Sie bloß etwas liegen,
- schwupp, hat er es schon weggegrapst. Na, was willst du hier, du Esel?
- Ja, was denn nur?« Hier machte er eine kleine Pause, während der
- Proschka gleichfalls keinen Laut von sich gab. »Stell den Samowar auf!
- Hörst du? Hier hast du den Schlüssel! Gib ihn der Mawra und sag ihr, sie
- soll in die Speisekammer gehen. Da liegt auf dem Regal noch ein Zwieback
- von Ostern her, Alexandra Stepanowna hat ihn mir mitgebracht; den soll
- sie zum Tee servieren ... Wart, wo willst du hin, dummer Kerl? Bist du
- ein Schafskopf! Dir sitzt wohl der Teufel in den Fersen. Hör mich doch
- erst an! Der Zwieback ist oben nicht mehr ganz frisch. Sie soll ihn ein
- bissel mit dem Messer abschaben; aber daß sie mir die Krumen nicht
- wegwirft! Die müssen für die Hühner übrig bleiben. Und daß du mir nicht
- mit ins Speisezimmer gehst: sonst gibt's was mit der Birkenrute,
- verstehst du? daß du Geschmack daran bekommst. Du hast ja jetzt schon so
- einen guten Appetit. Den wollen wir noch ordentlich vermehren. Geh mir
- nur ins Speisezimmer! Ich werde schon auf deine Schliche kommen, hier
- vom Fenster aus. Man kann den Kerlen in nichts trauen,« fuhr er fort,
- indem er sich an Tschitschikow wandte, als Proschka mit seinen
- Siebenmeilenstiefeln bereits in der Türe verschwunden war. Hierbei warf
- er einen argwöhnischen Blick auf Tschitschikow. Dieser Zug einer
- geradezu unerhörten Großmut und Großherzigkeit kam ihm unwahrscheinlich
- und verdächtig vor, und er dachte sich: »Weiß der Teufel, vielleicht ist
- er auch nur so ein Prahlhans, wie alle diese Prasser und Verschwender!
- Lügt einem was vor, um ein Stündchen zu verplaudern und ein paar Tassen
- Tee zu trinken und macht dann, daß er fortkommt!« Er sagte daher teils
- aus Vorsicht, teils um dem Gast ein wenig auf den Zahn zu fühlen, daß es
- nicht übel wäre, den Kaufvertrag so bald als möglich abzuschließen, denn
- der Mensch sei ein gar unzuverlässiges und gebrechliches Ding: heute
- rot, morgen tot.
- Tschitschikow erklärte sich bereit, den Kontrakt auf Wunsch sofort zu
- unterschreiben und bat nur um ein Verzeichnis sämtlicher Bauern.
- Dies beruhigte Pljuschkin. Man merkte es ihm an, daß er irgend einen
- Plan überdachte, und in der Tat zog er jetzt den Schlüsselbund hervor,
- näherte sich dem Schrank, öffnete ihn, suchte lange unter den Gläsern
- und Schalen herum und rief schließlich aus: »Jetzt kann ich ihn nicht
- finden; ich hatte da doch einen feinen Likör; wenn die Bande ihn nur
- nicht wieder ausgetrunken hat! Diese Leute sind die reinsten Banditen.
- Ah da ist er schon?« Tschitschikow bemerkte in seinen Händen eine kleine
- Karaffe, die in einer Staubhülle steckte wie in einem Trikothemd. »Der
- stammt noch von meiner seligen Frau her,« fuhr Pljuschkin fort, »die
- Schließerin, diese Spitzbübin hat ihn hier stehen lassen und sich
- überhaupt nicht mehr um ihn gekümmert, nicht einmal zugekorkt hat sie
- ihn, die Kanaille! Weiß Gott was für Würmer und Fliegen und sonstiger
- Plunder drin herum schwammen, aber ich habe alles herausgefischt, jetzt
- ist er wieder ganz rein, ich will Ihnen doch ein Gläschen einschenken.«
- Aber Tschitschikow lehnte dies Anerbieten mit einigem Eifer ab und
- bemerkte, daß er schon gegessen und getrunken habe.
- »Schon gegessen und getrunken!« sagte Pljuschkin. »Freilich, freilich.
- Einen Mann von gutem Stande erkennt man doch auf den ersten Blick: er
- hat keinen Hunger und ist immer satt, so einen Schwindler kann man
- füttern, soviel man will .... Da ist z. B. der Hauptmann: wenn der
- angefahren kommt, dann heißt es gleich: >Onkelchen, haben Sie nicht
- etwas zu essen?< Dabei bin ich ebensowenig sein Onkel, wie er mein
- Großvater ist. Wahrscheinlich hat er selbst zu Hause nichts zu essen,
- darum treibt er sich überall herum! Sie brauchen also ein Verzeichnis
- von all diesen Faulenzern? Natürlich, Sie haben ganz recht! Ich habe sie
- alle miteinander, so gut es ging, auf einen besonderen Zettel
- geschrieben, um sie bei der nächsten Revision gleich streichen zu
- lassen.« Pljuschkin setzte die Brille auf und begann in seinen Papieren
- herumzuwühlen. Dabei löste er die Schnur von so manchem Päckchen und
- warf die Papiere so durcheinander, daß eine Staubwolke dem Gaste in die
- Nase stieg, und dieser niesen mußte. Endlich zog er einen Zettel hervor,
- der beiderseits eng beschrieben war. Die Bauernnamen bedeckten ihn so
- dicht wie Fliegenschmutz. Da waren alle Kategorien vertreten, da gab es
- einen Paramonoff und Pimenow, einen Panteleimonow, ja es tauchte sogar
- ein gewisser Grigorij »Immerlangsamvoran« aus der ganzen Menschenflut
- hervor. Im ganzen waren es etwas mehr als hundertundzwanzig.
- Tschitschikow lächelte unwillkürlich als er diese stattliche Zahl
- übersah. Er steckte den Zettel in die Tasche und erklärte Pljuschkin, er
- werde wohl zum Abschluß des Kaufes nach der Stadt fahren müssen.
- »Nach der Stadt? Wie kann ich denn ...? Ich kann doch mein Haus nicht
- sich selbst überlassen! Meine Dienstboten sind lauter Diebe und
- Spitzbuben; die ziehen mich in einem Tage so aus, daß ich keinen Nagel
- mehr übrig behalte, an dem ich meinen Rock aufhängen könnte.«
- »Haben Sie nicht wenigstens irgend einen Bekannten?«
- »Wer sollte das sein? Meine Bekannten sind alle schon tot, oder wollen
- nichts mehr von mir wissen. Ach ja, _doch_, Väterchen! Wie denn
- nicht! Natürlich habe ich einen,« rief er plötzlich aus. »Der
- Gerichtspräsident, das ist ja mein guter Freund! Der hat mich früher oft
- besucht; wie sollte ich den nicht kennen! Das ist ja mein Jugendfreund.
- Wie oft sind wir zusammen über so manchen Zaun geklettert. Keinen
- Bekannten? Ich sage Ihnen, das ist ein Bekannter! ... Ich könnte doch an
- ihn schreiben?«
- »Aber natürlich.«
- »Ein so guter Bekannter! Ein alter Schulkamerad!«
- Und über das erstarrte Gesicht huschte plötzlich etwas wie ein warmer
- Strahl, ein schwacher Ausdruck oder doch wenigstens ein matter Abglanz
- eines Gefühls belebte die toten Züge; wie wenn auf der Oberfläche eines
- Gewässers ganz plötzlich und unerwartet ein Ertrinkender auftaucht und
- nun die am Ufer versammelte Menge in freudiges Jauchzen ausbricht; aber
- vergebens werfen die freudig erregten Schwestern und Brüder das rettende
- Seil aus und warten ungeduldig darauf, daß sich eine Schulter oder der
- vom Todeskampfe ermattete Arm aus den Fluten emporstrecke -- er war zum
- letzten Mal emporgetaucht. Und stumm wird's ringsumher, und
- schrecklicher noch, und öder erscheint jetzt die glatte ruhige Fläche
- des launischen Elementes. So wurde auch Pljuschkins Gesicht, nachdem der
- Schimmer eines Gefühls darüber hinweggeglitten war, fast noch kälter,
- gemeiner und gefühlloser.
- »Auf dem Tisch lag doch ein Stückchen reines Papier,« sagte er, »aber
- ich weiß nicht, wo es hingekommen ist: diese Taugenichtse von
- Dienstboten!« -- Und er guckte _unter_ den Tisch und _auf_ den Tisch,
- kramte überall herum und rief schließlich: »Mawra, he! Mawra!« Auf sein
- Geschrei erschien ein Weib mit einem Teller in der Hand, auf dem der dem
- Leser schon bekannte Zwieback thronte. Jetzt entspann sich folgendes
- Gespräch zwischen beiden:
- »Wo hast du das Papier gelassen, du Diebin?«
- »Bei Gott, gnädiger Herr! Ich habe kein Papier gesehen, außer dem
- Stückchen, mit dem Sie das Spitzglas bedeckt haben.«
- »Man sieht dir's ja an den Augen an, daß du es stibitzt hast.«
- »Wie käme ich dazu, es zu stibitzen? Ich wüßte doch nichts damit
- anzufangen. Ich kann ja nicht einmal lesen und schreiben.«
- »Das lügst du, du hast es zum Küster hingetragen, das ist ein
- Tintenklexer, dem wirst du's wohl gegeben haben.«
- »Wenn der will, so kann er sich jederzeit Papier verschaffen. Der Küster
- hat Ihren Papierfetzen überhaupt nicht zu sehen bekommen!«
- »Warte nur! Die Teufel werden dir beim jüngsten Gericht tüchtig zusetzen
- mit ihren eisernen Halseisen. Paß einmal auf, wie die dich plagen
- werden!«
- »Wofür sollten sie mich denn quälen, wenn ich doch das Papierstückchen
- garnicht in der Hand gehabt habe. Sie können mir jede andere weibliche
- Schwäche vorwerfen, aber daß ich stehle, das hat mir noch niemand
- gesagt.«
- »Du wirst schon sehen, wie die Teufel dir zusetzen werden! Das hast du
- dafür, daß du deinen Herrn beschwindelt hast, werden sie sagen und dich
- mit ihren glühenden Zangen zwacken!«
- »Dann werd' ich eben antworten: Ich bin unschuldig, bei Gott, ich bin
- unschuldig ... Aber da liegt es ja auf dem Tisch. Immer machen Sie einem
- unnütze Vorwürfe!«
- Pljuschkin sah den Papierschnitzel in der Tat daliegen, hielt einen
- Augenblick inne, kaute an seinen Lippen und sagte: »Na was regst du dich
- denn gleich so auf? So ein Trotzkopf. Man sagt ihr ein Wort, und sie
- kommt einem gleich mit einem ganzen Dutzend. Geh', bring mir etwas
- Feuer, damit ich den Brief versiegeln kann. Halt! du bringst mir
- womöglich noch eine Talgkerze; der Talg schmilzt so schnell, weg ist er,
- und man hat das Nachsehen! Bring mir lieber einen brennenden Kienspan!«
- Mawra entfernte sich, Pljuschkin aber setzte sich in den Lehnstuhl, nahm
- die Feder in die Hand und drehte und wendete den Zettel noch lange in
- den Fingern hin und her; er überlegte wohl, ob er nicht noch die Hälfte
- davon abschneiden könne, aber schließlich sah er wohl ein, daß das nicht
- ging; er tauchte also die Feder ins Tintenfaß, das mit einer
- verschimmelten Flüssigkeit angefüllt war, in der eine Menge Fliegen
- herumschwammen, und begann zu schreiben; er setzte die Buchstaben, die
- große Ähnlichkeit mit Noten hatten, dicht nebeneinander, und mußte
- fortwährend den Lauf der Feder hemmen, die sich auf dem Papier in
- übermütigen Sprüngen erging. Ängstlich fügte er Zeile an Zeile mit dem
- lebhaften Bedauern, daß trotzdem noch immer etwas leerer Raum zwischen
- ihnen übrig blieb.
- Und bis zu einer solchen Armseligkeit, Kleinlichkeit und Erbärmlichkeit
- konnte ein Mensch herabsinken? So furchtbar konnte er sich wandeln? Hat
- das überhaupt noch den Schein der Wahrheit? -- Jawohl! -- Es gibt
- überhaupt nichts Unwahrscheinliches. Alles kann mit dem Menschen
- geschehen! Ein feuriger Jüngling von heute würde vielleicht mit
- Entsetzen zurückprallen, wenn man ihm das Bild seines eigenen
- Greisenalters vorhielte. O, hütet sorgsam auf eurem Lebenswege, wenn ihr
- heraustretet aus euren milden zarten Jugendtagen in das ernste härtende
- Mannesalter -- o, hütet sorgsam jede menschliche Regung, verschwendet,
- verliert sie nicht unbedacht unterwegs: ihr findet sie nie wieder!
- Furchtbar und grauenvoll ist das in der Ferne drohende Greisenalter, es
- liefert nichts wieder aus, es gibt uns nichts zurück. Das Grab selbst
- ist barmherziger; auf dem Leichenstein wird vielleicht die Inschrift
- stehen: »hier liegt ein Mensch begraben.« Aber kein Schriftzeichen
- belebt die kalten gefühllosen Züge des menschlichen Alters.
- »Haben Sie nicht vielleicht einen Freund,« sagte Pljuschkin, während er
- den Brief zusammenfaltete, »der flüchtige Bauern brauchen könnte?«
- »Haben Sie auch flüchtige?« fragte Tschitschikow schnell, wie aus einem
- Traume erwachend.
- »Das ist es ja gerade, daß ich welche habe. Mein Schwager hat schon
- Erkundigungen eingezogen, und sagt, er hätte gar keine Spur von ihnen
- entdecken können; aber er ist Soldat, der kann nur mit den Sporen
- klirren, wenn man sich dagegen beim Gericht darum bemühen wollte, so
- ....«
- »Und wieviel werden's wohl sein?«
- »So an die siebzig Mann, mindestens.«
- »Wahrhaftig?«
- »Bei Gott! Es vergeht kein Jahr, ohne daß mir ein paar davonlaufen. Die
- Leute sind heutzutage alle so unmäßig; tun den ganzen Tag nichts und
- wollen nur immer fressen, und ich habe doch selbst nichts zu essen ...
- Wahrhaftig ich würde sie fast umsonst hergeben. Nicht wahr, Sie sagens
- doch Ihrem Freunde: wenn er auch nur ein Dutzend wiederbekommt, hat er
- ein hübsches Sümmchen verdient. Eine eingetragene Seele ist doch an die
- fünfhundert Rubel wert.«
- »Die soll der Freund nicht einmal zu riechen bekommen!« dachte
- Tschitschikow, und erklärte, daß er leider keinen solchen Freund besäße,
- und daß allein die Kosten dieses Verfahrens mehr betragen würden; die
- Gerichte hält man sich am liebsten ganz vom Leibe, denn da muß man ja
- selbst noch die Rockschöße hingeben. Aber wenn Pljuschkin sich wirklich
- in einer so bedrängten Lage befände, dann sei er, Tschitschikow, aus
- Sympathie für ihn bereit, eine kleine Summe zu bezahlen ... Aber das
- sei, wie gesagt, eine solche Kleinigkeit, die nicht einmal der Rede wert
- sei.
- »Und wieviel würden Sie geben?« fragte Pljuschkin, der vor Habgier
- bebte, und seine Hände zitterten wie Espenlaub.
- »Ich könnte fünfundzwanzig Kopeken pro Stück anlegen.«
- »Und zahlen Sie bar?«
- »Ja, Sie können das Geld gleich bekommen.«
- »Hören Sie Väterchen, Sie wissen doch, wie arm ich bin, Sie könnten mir
- wirklich vierzig Kopeken geben.«
- »Verehrtester, ich würde Ihnen gerne nicht nur vierzig Kopeken, sondern
- selbst fünfhundert Rubel pro Kopf bezahlen! Mit dem größten Vergnügen,
- denn ich sehe, daß ein hochachtbarer, edler Geist infolge seiner
- Gutmütigkeit Not leidet.«
- »Ja, nicht wahr! Bei Gott!« sagte Pljuschkin, ließ den Kopf hängen und
- schüttelte ihn heftig. »Das macht alles die Gutmütigkeit.«
- »Nun sehen Sie, ich habe Ihren Charakter sofort erkannt. Warum sollte
- ich nicht fünfhundert Rubel pro Mann geben? Aber ich bin eben auch nicht
- vermögend; fünf Kopeken will ich meinetwegen noch zulegen, dann kostet
- jede Seele rund dreißig Kopeken.«
- »Legen Sie noch zwei Kopeken zu, Väterchen!«
- »Also gut, meinetwegen noch zwei Kopeken! Wieviel Seelen waren es doch,
- sagten Sie nicht siebzig?«
- »Nein, es sind sogar achtundsiebzig.«
- »Achtundsiebzig, achtundsiebzig zu dreißig Kopeken, das macht ...« hier
- dachte unser Held eine Sekunde und nicht einen Augenblick länger nach
- und sagte, »das macht vierundzwanzig Rubel sechsundneunzig Kopeken!« Er
- war sehr stark in der Arithmetik. Dann ließ er Pljuschkin die Quittung
- schreiben und händigte ihm das Geld aus, welches jener mit beiden Händen
- ergriff und mit ängstlicher Vorsicht nach dem Schreibpulte trug, als
- hielte er in seinen Händen eine Flüssigkeit, die er jeden Augenblick zu
- verschütten fürchtete. Als er vor dem Pulte stand, betrachtete er die
- Banknoten noch einmal genau und legte sie ebenso vorsichtig in eines der
- Schubfächer, wo das Geld wahrscheinlich begraben blieb, bis Pater Karp
- und Pater Polikarp, die zwei Priester des Dorfes, ihn selbst zur ewigen
- Ruhe bestatteten: zur unbeschreiblichen Freude seiner Tochter und des
- Schwiegersohnes -- und vielleicht auch des Hauptmanns, der durchaus mit
- ihm verwandt sein wollte. Nachdem Pljuschkin das Geld eingeschlossen
- hatte, ließ er sich auf dem Lehnstuhle nieder, ohne, wie es schien,
- einen neuen Gesprächsstoff finden zu können.
- »Wie, Sie wollen schon fahren,« sagte er, als er Tschitschikow, der im
- Begriff war, sein Taschentuch herauszuholen, eine kleine Bewegung machen
- sah. Diese Frage erinnerte jenen daran, daß es in der Tat zwecklos sei,
- sich hier noch länger aufzuhalten. »Ja, es ist Zeit!« sprach er und
- griff nach dem Hute.
- »Wollen Sie denn keinen Tee?«
- »Nein, ich danke! Ich spreche lieber bei anderer Gelegenheit einmal zum
- Tee vor.«
- »Ja, wie denn nur? Ich habe doch die Teemaschine aufsetzen lassen! Wenn
- ich ehrlich sein soll, ich mache mir auch nichts aus Tee: es ist ein
- teures Getränk, und dann sind auch die Zuckerpreise so unerhört
- gestiegen. Proschka! Wir brauchen die Teemaschine nicht mehr. Und den
- Zwieback bringst du der Mawra! Hörst du? Sie soll ihn wieder auf den
- alten Platz legen; oder nein, gib ihn lieber her, ich will ihn schon
- selbst hintragen. Leben Sie wohl, Väterchen; Gott segne Sie! Und den
- Brief geben Sie dem Gerichtspräsidenten, nicht wahr? Er soll ihn lesen!
- Er ist doch ein alter Freund von mir. Ja, ja, ein Jugendgespiele.«
- Hierauf begleitete ihn diese seltsame Gestalt, dieser merkwürdig
- eingeschrumpfte alte Mann in den Hof hinab. Nachdem Tschitschikow
- davongefahren war, ließ Pljuschkin das Tor sofort schließen. Dann
- schritt er durch alle Vorratskammern und Speicher, um sich zu
- überzeugen, ob auch alle Wächter an ihrem Platze seien, die an jeder
- Ecke standen und mit Holzschaufeln auf ein leeres Faß statt auf eine
- Blechtrommel schlugen; er warf auch einen Blick in die Küche, sah dort
- nach, ob auch das Essen für die Dienstboten gut und schmackhaft
- zubereitet sei, was für ihn jedoch nur ein Vorwand war, sich selbst
- gründlichst an Brei und Kohlsuppe satt zu essen. Nachdem er schließlich
- noch alle bis auf den letzten wegen ihrer schlechten Aufführung tüchtig
- gescholten und ihnen Diebstahl vorgeworfen hatte, kehrte er in sein
- Zimmer zurück. Als er allein war, kam ihm einen Augenblick sogar die
- Idee, sich dem Gast gegenüber für dessen beispiellosen Edelmut
- erkenntlich zu erweisen: »Ich will ihm die Taschenuhr zum Geschenk
- machen,« dachte er -- »es ist doch eine schöne silberne Uhr, und nicht
- etwa von Tomback oder Bronze; sie ist freilich etwas verdorben, aber er
- kann sie ja reparieren lassen; er ist noch ein junger Mann, und braucht
- eine Taschenuhr, wenn er bei seiner Braut Eindruck machen will. Oder
- nein!« -- fuhr er nach einigem Nachdenken fort: »ich will sie ihm lieber
- vermachen; er soll sie erst nach meinem Tode erhalten, damit er sich
- später noch meiner erinnert.«
- Aber unser Held war auch ohne Uhr in höchst vergnügter Stimmung. Eine so
- unerwartete Akquisition war eine wahre Gottesgabe. In der Tat, dagegen
- ließ sich nichts einwenden: nicht nur ein Paar Schock tote Seelen,
- sondern auch noch einige Dutzend flüchtige dazu: zusammen etwa
- zweihundert Stück! Er hatte ja freilich schon so eine Ahnung gehabt, als
- er sich Pljuschkins Landgute näherte, daß es hier was zu verdienen geben
- würde, aber auf ein so gutes Geschäft hatte er nicht gerechnet. Den
- ganzen Weg über war er außergewöhnlich lustig, pfiff und sang vor sich
- hin, indem er sich die Faust vor den Mund hielt und hineinblies wie in
- eine Trompete. Zuletzt stimmte er sogar ein Lied an, welches so seltsam
- und sonderbar klang, daß selbst Seliphan verwundert aufhorchte, den Kopf
- schüttelte und sagte: »Sieh mal an, wie mein Herr singen kann!« Es war
- schon ganz dunkel, als sie sich der Stadt näherten. Licht und Finsternis
- gingen vollkommen ineinander über, und alle Gegenstände schienen
- zusammenzufließen. Der gestreifte Schlagbaum hatte eine ganz unbestimmte
- undefinierbare Farbe angenommen; dem Posten vor der Stadt schien der
- Schnurrbart hoch über den Augenbrauen zu sitzen, und seine Nase schien
- überhaupt nicht mehr vorhanden zu sein. Das Gerassel der Räder und die
- Luftsprünge, die die Equipage machte, ließen erkennen, daß man sich
- bereits wieder auf der gepflasterten Straße befand. Die Laternen waren
- noch nicht angezündet, hie und da blitzte in den Fenstern der Häuser ein
- Licht auf, und in den Winkeln und Gassen spielten sich die bekannten
- Vorgänge ab; man hörte es munkeln und flüstern, was um die nächtlichen
- Stunden in Städten stets zu geschehen pflegt, wo es viele Soldaten,
- Kutscher, Arbeiter und jene besondere Menschengattung gibt, eine Art von
- Damen mit roten Shawls, in Schuhen und ohne Strümpfe, die an den
- Straßenkreuzungen herumschwirren wie die Fledermäuse. Aber Tschitschikow
- bemerkte sie nicht, ebensowenig wie die schlanken Beamten, die mit
- Spazierstöckchen in der Hand wohl von einer Promenade außerhalb der
- Stadt zurückkehrten. Hie und da drangen Rufe an sein Ohr, die von
- weiblichen Stimmen herzurühren schienen: »Das lügst du, du bist wohl
- besoffen; ich hätte ihm nie eine solche Frechheit erlaubt!« oder »du
- suchst wieder Händel du Grobian, komm mal mit auf die Polizei, da will
- ich dir's schon zeigen.« Mit einem Wort, all jene Reden, die wie ein
- Dampfbad auf einen phantasiereichen zwanzigjährigen Jüngling wirken,
- wenn er aus dem Theater zurückkehrend eine spanische Gasse, eine dunkle
- Mondnacht und ein herrliches Frauenbild mit einer Gitarre in seinem
- Kopfe trägt. Welch wundersame Träume, welche tollen Phantasien wirbeln
- in seinem Hirne durcheinander. Er glaubt im siebenten Himmel zu
- schweben, und stattet sogar dem Dichter Schiller einen Besuch ab -- da
- schlagen plötzlich jene verhängnisvollen Worte wie ein Donnerschlag
- neben ihm ein, er fühlt sich wieder auf die Erde zurückversetzt, ja
- sogar auf den »Heumarkt« in die nächste Nähe einer Schenke, und aufs
- neue verschlingt ihn des Werktages altersgraue Öde.
- Endlich machte der Wagen noch einen kräftigen Satz und tauchte wie in
- einem Erdloch im Tore unter. Tschitschikow wurde von Petruschka
- empfangen, welcher, einen seiner Rockschöße in der einen Hand haltend --
- denn er liebte es nicht, daß die Schöße sich entzweiten -- mit der
- anderen seinem Herrn aus dem Wagen half. Auch der Kellner kam mit einer
- Kerze, die Serviette über die Schulter geworfen, angelaufen. Es läßt
- sich nicht sagen, ob Petruschka über die Ankunft seines Herrn sehr
- erfreut war, jedenfalls zwinkerten Seliphan und er sich verständnisinnig
- mit dem Auge zu, und sein sonst so strenges Gesicht schien sich ein
- wenig zu erhellen.
- »Sie haben aber eine lange Spazierfahrt zu machen geruht,« sagte der
- Kellner, indem er ihm auf der Treppe voranleuchtete.
- »Ja,« sagte Tschitschikow und stieg die Stufen empor. »Und wie gehts bei
- euch?«
- »Gottlob!« antwortete der Kellner mit einer Verbeugung. »Gestern ist ein
- Offizier angekommen. Er wohnt auf Nummer sechzehn.«
- »Ein Leutnant?«
- »Ich weiß nicht. Er kommt aus Rjasan und hat braune Pferde.«
- »Schön, schön! Benimm dich auch fernerhin gut!« sagte Tschitschikow und
- trat in sein Zimmer. Während er durch den Flur schritt, rümpfte er die
- Nase und sprach zu Petruschka gewandt: »Du hättest auch die Fenster
- aufmachen können.«
- »Ich habe sie ja aufgemacht,« entgegnete Petruschka; aber er log.
- Uebrigens wußte sein Herr selbst, daß es eine Lüge war. Doch er wollte
- nicht widersprechen. Nach der langen Fahrt bemächtigte sich eine starke
- Ermattung aller seiner Glieder. Er bestellte sich eine ganz leichte
- Abendplatte, die nur aus einem Stück Spanferkel bestand, entkleidete
- sich sofort, kroch unter die Decke und versank sogleich in einen tiefen,
- festen Schlaf, in jenen wundersamen Schlaf, den nur die Glückspilze
- kennen, welche nichts ahnen: weder von Hämorrhoiden, noch von Flöhen,
- noch von einer allzu regen Geistestätigkeit.
- Siebentes Kapitel
- Glücklich der Reisende, der nach einer weiten, langweiligen Fahrt mit
- ihrer Kälte, ihrem Schmutz und Kot, ihren verschlafenen Posthaltern,
- ihrem Schellengeklingel, ihren Reparaturen, ihrem Herumgezanke, ihren
- Postknechten, Schmieden und ähnlichen Vagabunden, endlich das traute
- Dach mit dem immer heller werdenden Lichterglanz erblickt -- schon
- taucht vor seinem geistigen Auge sein liebes Heim mit den bekannten
- Zimmern auf, schon hört er die jubelnden Rufe der ihm entgegeneilenden
- Hausgenossen, die freudige Aufregung und das Gelärm der Kinder, stille
- sanfte Worte unterbrochen von glühenden Zärtlichkeiten, die die Kraft
- haben, alles vergangene Leid aus dem Gedächtnis zu tilgen. Glücklich der
- Familienvater, dem ein solches Heim beschieden ward; aber wehe dem
- Hagestolzen! Glücklich der Schriftsteller, der an den langweiligen,
- widerwärtigen, durch ihre traurige Blöße erschreckenden Gestalten der
- Wirklichkeit flüchtig vorüber eilend sich Charakteren nähert, welche des
- Menschen hohe Würde verkörpern und erscheinen lassen, der aus dem großen
- Wirbel ewig wechselnder Formen sich nur die wenigen Ausnahmen erkiest,
- der auch nicht _einmal_ dem heiligen Schwunge seiner Leier untreu ward,
- der nie von seiner eigenen Höhe zu seinen armseligen, schwachen Brüdern
- herab stieg und, ohne das Irdische zu berühren, sich selig stürzte in
- den erdentrückten Chor erhabener Gestalten. Doppelt beneidenswert ist
- sein herrliches Los, er wandelt unter ihnen wie im trauten Kreise der
- Familie; indes schallt weit und laut sein Ruhm durch alle Lande. Mit
- Weihrauchwolken hat er die Augen der Menschen umhüllt, mit Zauberworten
- nahm er schmeichelnd ihren Geist gefangen, verbergend vor ihnen des
- Lebens rauhe Wirklichkeit und ihnen den schönen Menschen weisend.
- Händeklatschend folgt alles seiner Spur und umschwärmt jauchzend seinen
- Wagen. Einen großen Weltendichter nennt man ihn, der im hohen Raume
- schwebt ob allen andern Genien dieser Welt, wie der Aar über allem
- hochfliegenden Getier. Sein Name schon weckt heilige Schauer in jungen
- glühenden Herzen, Tränen der Sympathie erglänzen in jedem Auge ... An
- Macht kommt ihm kein Wesen gleich -- er ist ein Gott! Wie ganz anders
- ist das Los des Schriftstellers, der sich erkühnte, all das ans Licht zu
- ziehen, was jederzeit vor jedem Auge liegt und doch dem gleichgültigen
- Blicke entgeht: den grauenvollen Schlamm des Nichtigen, der unser Leben
- umstrickt, die ganze abgründige Tiefe jener kalten zerklüfteten
- Alltagscharaktere, die unsern dornigen, oft öden Erdenweg bevölkern, und
- mit dem kräftigen Schlag des unerbittlichen Meißels es wagte, sie klar
- und plastisch dem Blick der Menschen preiszugeben! Er erntet nicht des
- Volkes lauten Beifall, kein Dank strahlt ihm aus den Tränen und der
- einmütigen Begeisterung tieferregter Seelen, die sein Wort tief im
- Innersten aufwühlte; ihm fliegt keine sechzehnjährige Jungfrau
- entzückten Sinnes voll heroischer Leidenschaft entgegen; er kann sich
- nicht berauschen am süßen Klang der Töne, die er der eigenen Leier
- entlockte, und nicht wird er dem Gerichte des Tages entgehen, dem
- heuchlerisch gefühllosen Richterspruch des Augenblicks, der die am
- eignen warmen Busen genährten Geschöpfe armselig, gemein und nichtig
- nennen, ihm einen elenden Winkel anweisen wird inmitten jener
- Schriftsteller, die die Menschheit schänden, ihm die Charakterzüge
- seiner eigenen Helden beilegen und ihm Herz und Seele und den göttlichen
- Funken des Talentes rauben wird; denn das Gericht des Tages erkennt
- nicht an, daß gleich bewundernswürdig _jene_ Gläser sind, in denen sich
- die Sternenheere spiegeln und jene, durch die man die zarten Bewegungen
- unsichtbarer Lebewesen wahrnehmen kann, denn das Gericht des Tages
- erkennt nicht an, daß hohes begeistertes Lachen sich wohl messen kann
- mit hohem lyrischen Schwunge, und daß ein Abgrund gähnt zwischen jenem
- und den unwürdigen Fratzen des Jahrmarktgauklers. Das Gericht des Tages
- versteht dies nicht und verwandelt alles in Schimpf und Vorwurf für den
- verachteten Dichter: ohne Mitleid, ohne Antwort, ohne Teilnahme wie ein
- heimatloser Wanderer steht er allein auf öder Straße. Schwer und hart
- ist sein Beruf und bitter fühlt er seine Einsamkeit.
- Und lange noch ist mir's von der geheimnisvollen Schicksalsmacht
- beschieden, den Weg fortzuwandeln Hand in Hand mit meinem Helden, das
- ganze gewaltig treibende Leben zu überschauen, durch das aller Welt
- _sichtbare_ Lachen und die keinem bekannten _unsichtbaren_ Tränen. Und
- noch fern ist die Zeit, wo ein andrer Springquell hoher Begeisterung wie
- ein Wirbelsturm aus dem von heiligem Schauer erschütterten flammenden
- Haupte aufsteigen, und wo verzagt die Menge dem majestätischen Donner
- anderer Reden lauschen wird ...
- Vorwärts! Vorwärts! fort mit der finsteren Miene, fort mit der
- grämlichen Runzel, die deine Stirne furcht. Laßt uns geschwind wieder
- untertauchen in das Leben mit all seinem tonlosen Gelärm und
- Schellengeklingel: laßt uns zusehen was Tschitschikow macht.
- Tschitschikow war soeben aufgewacht, er dehnte und streckte sich, denn
- er hatte das behagliche Gefühl, sich gut ausgeschlafen zu haben. Nachdem
- er noch ein paar Minuten ruhig auf dem Rücken gelegen hatte, schnalzte
- er mit den Fingern, und sein Gesicht verklärte sich bei dem Gedanken,
- daß er jetzt nahezu vierhundert Seelen besaß. Dann sprang er aus dem
- Bett, betrachtete sich nicht einmal im Spiegel, und warf keinen Blick
- auf sein Gesicht, das er aufrichtig liebte, und an dem ihm das Kinn ganz
- besonders gefiel, denn er pries es bei jeder Gelegenheit vor seinen
- Freunden, ganz besonders während des Rasierens. »Sieh mal,« pflegte er
- dann gewöhnlich zu sagen, »was ich für ein schönes rundes Kinn habe.«
- Und dabei streichelte er es mit der Hand. Heute aber warf er keinen
- einzigen Blick weder auf sein Kinn noch auf sein Antlitz, sondern zog
- sich sogleich seine Saffianstiefel mit dem gestickten Blumenbesatz an,
- mit denen die Stadt Torshok einen so schwunghaften Handel treibt,
- welcher in unserer russischen Bequemlichkeit eine so reiche Nahrung
- findet. Hierauf machte Tschitschikow in einem kurzen schottischen
- Hemdchen zwei kühne Luftsprünge, wobei er sich nicht ohne
- Geschicklichkeit eins mit dem Hacken auswischte. Und dann ging er sofort
- ans Werk: er rieb sich vor der Schatulle ebenso vergnügt die Hände wie
- ein unbestechlicher Kreisrichter, der hinausfuhr, um eine Untersuchung
- vorzunehmen und nun vor das Anrichtetischchen tritt, beugte sich über
- das Kästchen und holte ein Päckchen Papier hervor. Er wollte die Sache
- so schnell als möglich erledigen, um sie nicht auf die lange Bank zu
- schieben. Daher ging er rasch entschlossen an die Aufsetzung des
- Kaufkontraktes und kopierte ihn dann eigenhändig, um sich die Unkosten
- für den Notar zu sparen. Auf die Formalitäten verstand er sich
- vortrefflich; zuerst malte er mit schwungvollen, großen Buchstaben die
- Jahreszahl achtzehnhundert und so und so viel hin; hierauf schrieb er
- mit kleinen Buchstaben darunter: Gutsbesitzer Soundso und was noch sonst
- drum und dran hängt. In zwei Stunden war alles fix und fertig. Als er
- danach auf diese Blätter hinblickte, auf die Namen der Bauern, welche
- tatsächlich einmal gelebt, gearbeitet, geackert, getrunken,
- Kutscherdienste geleistet, ihre Herren betrogen hatten oder vielleicht
- einfach brave Bauern gewesen waren, da beschlich ihn ein wundersames,
- unheimliches Gefühl. Jeder Zettel schien seinen eigenen Charakter zu
- besitzen, und das schien den Bauern selbst eine eigentümliche Wesensart
- zu verleihen. Die Bauern, welche Karobotschka gehört hatten, trugen alle
- irgend einen Spitznamen als Anhängsel. Pljuschkins Liste zeichnete sich
- durch Kürze und Gedrängtheit des Stiles aus: oft standen nur die
- Anfangssilben der Vor- und Beinamen da, worauf ein paar Punkte folgten.
- Sabakewitschs Register setzte durch seine außerordentliche
- Ausführlichkeit und Vollständigkeit in Erstaunen; da gab es keine noch
- so geringe Eigentümlichkeit, die nicht sorgfältig gebucht war: von einem
- hieß es: »Ein guter Tischler,« von einem andern: »Er versteht seine
- Sache und säuft nicht.« Ebenso sorgfältig waren die Eltern eines jeden
- aufgezählt und ihr Charakter wie ihr Benehmen genau beschrieben. Nur von
- einem gewissen Fedotow stand vermerkt: »Der Vater ist unbekannt, die
- Mutter ist eine meiner Dienstmägde, namens Kapitolina, die jedoch einen
- guten Charakter hat und nicht stiehlt.« All diese Einzelheiten verliehen
- dem Ganzen eine gewisse Frische. Man gewann den Eindruck, als hätten die
- Bauern gestern noch gelebt. Tschitschikow überlas die Namen noch einmal
- genau und sorgfältig. Eine seltsame Rührung erfaßte ihn, er seufzte und
- sprach leise vor sich hin: »Herrgott welche Menge da dichtgedrängt
- beieinander steht! Was mögt ihr wohl alles getrieben haben, euer Leben
- lang, ihr Lieben? Wie mögt ihr euch durchgeschlagen haben?« Und seine
- Augen hefteten sich auf eine Stelle, wie unwillkürlich angezogen von
- einem Namen. Dies war der bekannte Peter Saweljewitsch, der
- Trogverächter, welcher einst der Gutsbesitzerin Karobotschka gehört
- hatte. Und abermals konnte er den Ausruf nicht unterdrücken: »Herrjeh,
- ist der aber lang, der nimmt ja die ganze Zeile ein! Was magst du wohl
- gewesen sein: ein Meister deines Handwerks, oder ein schlichter Bauer,
- und wie hat der Tod dich ereilt? War's in der Schenke, oder hat dich gar
- auf breiter Straße eine plumpe Fuhre überfahren, du Schlafmütze? --
- Stepan Probka, der Tischler, _ein braver nüchterner Mann_. -- Sieh da
- bist du ja, mein Stepan Probka, du großer Held, der du für die Garde
- geboren warst! Hast wohl manch weites Stück Weges durchwandert, die Axt
- am Gürtel und die Stiefel über die Schulter geworfen, für einen Groschen
- Brod verzehrt und für zwei Groschen gedörrten Fisch und du brachtest
- dann wohl jedes Mal einen Hunderter in deinem Beutel mit oder nähtest
- dir gar einen Tausender in deine Nangkinghose ein oder stecktest ihn dir
- in den Stiefel. Wo holte dich der Tod? Bist du vielleicht nur um des
- gemeinen Mammons willen bis auf die Kirchenkuppel hinaufgestiegen oder
- gar bis aufs Kreuz emporgeklettert und von dem Gerüst herabgestürzt zu
- Füßen irgend eines Onkel Michei, der sich nur den Kopf kratzte und
- mitleidig murmelte: >Ach Wanja, was ist nur in dich gefahren!< um sich
- sogleich den Strick um den Leib zu binden und ruhig an deiner Stelle
- hinaufzuklettern. -- Maxim Telhatnikow, der Schuster. Der Schuster? He?
- >Besoffen wie ein Schuster<, sagt ein Sprichwort. Ich kenn' dich, kenne
- dich, mein Liebling; willst du's, so erzähle ich dir deine ganze
- Lebensgeschichte. Du kamst zu einem Deutschen in die Lehre, der euch
- allesamt fütterte, für eure Nachlässigkeit mit dem Riemen züchtigte und
- nie auf die Straße ließ, damit ihr keine Streiche macht. Du warst ein
- wahres Weltwunder und kein Schuster, und der Deutsche konnte dein Lob
- nicht hell genug singen, wenn er mit seiner Frau oder seinem Kameraden
- über dich sprach. Und als deine Lehrzeit aus war, da sprachst du zu dir
- selbst: >Jetzt will ich mir ein eigenes Häuschen kaufen, aber ich will's
- nicht machen wie der Deutsche, der einen Groschen zum andern legt, ich
- will mit einem Schlage ein reicher Mann werden!< Und du zahltest deinem
- Herrn einen reichen Erbzins, schafftest dir einen Laden an, besorgtest
- dir einen Haufen Aufträge und legtest los. Dann triebst du irgendwo zum
- Drittel des Preises ein Stück halbverfaulten Leders auf und verkauftest
- jeden Stiefel mit doppeltem Gewinn, aber deine Schuhe platzten schon
- nach zwei Wochen und deine Kunden schimpften dich kräftig aus, wie du's
- verdientest. So kam es, daß es in deinem Laden leer ward, du fingst an
- zu trinken, dich auf der Straße herumzutreiben und sprachst: >Ist das
- eine schlimme Welt! Wir Russen können rein verhungern: und an alledem
- ist niemand schuld als der Deutsche!< -- Und was ist das für ein Mann:
- Jelisawetus Sperling? Verdammt noch einmal: das ist ja ein Weibsbild!
- Wie ist die hierhergekommen? Der Sabakewitsch, der Schurke hat sie mit
- hineingeschmuggelt!« Tschitschikow hatte ganz recht: dies war wirklich
- eine Frau. Wie sie in diese Gesellschaft gekommen war, das wußte Gott
- allein; aber ihr Name war so geschickt und kunstvoll hingemalt, daß man
- sie von ferne wirklich für ein Mannsbild halten konnte, ja der Vorname
- hatte sogar die männliche Endung und lautete: Jelisawetus, statt
- Jelisaweta. Allein Tschitschikow nahm keine Rücksicht darauf und strich
- sie einfach aus der Liste. -- »Und du Grigorij Immerlangsamvoran! Was
- warst du wohl für ein Mensch? Warst du ein Postknecht, der sich ein
- Dreigespann samt einem gedeckten Wagen anschaffte, und dem eignen Heim,
- dem trauten Winkel für immer Valet sagte, um sich mit den Kaufleuten auf
- den Jahrmärkten herumzuplagen? Gabst du unterwegs deinen Geist auf,
- brachten dich deine eigenen Freunde wegen eines dicken rotbackigen
- Soldatenweibes um, oder fand irgend ein Wegelagerer Gefallen an deinen
- ledernen Fausthandschuhen und dem Dreigespann deiner kleinen aber
- kräftigen Pferde, oder fiel's dir vielleicht ein, derweil du auf deinem
- Lager lagst und vor dich hingrübeltest, plötzlich ohne jeden Grund und
- Anlaß in die Schenke hineinzuspazieren und von dort geradewegs in ein
- Eisloch, so daß keine Menschenseele weiß, wo du verschwunden bist? Oh du
- mein russisches Volk! Du liebst es nicht, eines natürlichen Todes zu
- sterben! -- Und ihr meine Lieblinge,« fuhr er fort, indem er einen Blick
- auf die Liste warf, auf der Pljuschkins flüchtige Seelen verzeichnet
- standen: »ihr freut euch zwar noch eures Lebens, aber was für einen Wert
- habt ihr? Ihr seid so gut wie tot. Und wohin tragen euch wohl jetzt eure
- schnellen Füße! Hattet ihr's wirklich gar so schlecht bei dem
- Pljuschkin, oder machte es euch bloß Spaß im Walde herumzustreichen und
- die Reisenden auszuplündern? Sitzt ihr vielleicht im Gefängnis oder habt
- ihr euch einen anderen Herrn gesucht, dessen Felder ihr nun pflügt?
- Jeremej Leichtfuß, Nikita Renner, Anton Renner, dessen Sohn, euch merkt
- man's schon an euren Namen an, daß ihr gute Läufer seid; Popor, der
- Knecht ... War wohl ein gelehrter Mann, der sich auf's Lesen und
- Schreiben verstand! der hat sicher kein Messer in die Hand genommen und
- sich ein hübsches Vermögen zusammengestohlen. Paß auf! paßloses
- Individuum, du fällst noch einmal dem Polizeihauptmann in die Hände.
- Zwar stellst du mutig deinen Mann: >Wer ist dein Herr?< fragt dich der
- Hauptmann und begleitet, da sich eine so gute Gelegenheit dazu bietet,
- seine Worte mit einem kräftigen Fluch: -- >Gutsbesitzer Soundso,<
- antwortest du keck. >Und wie kommst du hierher?< fragt dich der
- Hauptmann. >Ich bin gegen Bezahlung des Erbzinses freigelassen,<
- erwiderst du ohne Zaudern. >Wo ist dein Paß?< >Bei meinem Herrn, dem
- Kleinbürger Pimenow.< Pimenow wird gerufen. >Bist du Pimenow?< >Jawohl.<
- >Hat er dir seinen Paß gegeben?< >Nein, er hat mir keinen Paß gegeben.<
- >Du lügst also?< sagt der Polizeihauptmann und läßt wieder ein kräftiges
- Wort folgen. >Zu Befehl,< antwortest du frech: >ich gab ihm den Paß
- nicht, weil ich sehr spät nach Hause kam, ich habe ihn dem Glöckner zur
- Aufbewahrung gegeben.< -- >Der Glöckner soll herkommen! Hat er dir
- seinen Paß gegeben.< -- >Nein, ich habe keinen Paß von ihm bekommen.<
- >Warum lügst du schon wieder!< fragt der Polizeihauptmann aufs neue und
- flicht zur Bestätigung abermals ein kräftiges Wörtlein ein. >Wo ist denn
- dein Paß?< >Ich weiß genau, daß ich ihn bei mir hatte,< antwortest du
- sicher, >wahrscheinlich werde ich ihn wohl unterwegs irgendwo verloren
- haben.< -- >Und warum hast du dem Soldaten den Mantel und dem Pfarrer
- einen Kasten mit Kupfermünzen gestohlen?< sagt der Polizeihauptmann,
- indem er zur Bekräftigung wiederum ein kerniges Wörtlein anfügt.
- >Wahrhaftig nicht,< sagst du ohne mit der Wimper zu zucken, >beim
- Stehlen hat mich noch keiner ertappt.< >Und wie kommt es, daß man den
- Mantel bei dir gefunden hat?< >Ich weiß nicht, wahrscheinlich hat ihn
- ein anderer bei mir liegen lassen!< -- >O, du Hallunke, du Bestie!< sagt
- der Polizeihauptmann kopfschüttelnd, und stemmt die Hände in die Seiten.
- >Legt ihm Fußschellen an und führt ihn ins Gefängnis.< -- >Zu Befehl,
- ich habe nichts dagegen,< antwortet du. Und du ziehst deine Tabaksdose
- aus der Tasche, reichst sie gutmütig den zwei Invaliden, die dir die
- Fußschellen angelegt haben und fragt sie aus, ob es schon lange her ist,
- daß sie beim Militär waren und an welchem Kriege sie teilgenommen haben.
- Und dann wanderst du ins Gefängnis und bleibst ruhig drin sitzen,
- während das Gericht deine Sache prüft. Schließlich fällt es seinen
- Spruch, und du wirst aus Zarewo-Kokschaisk nach dem ***er Gefängnis
- transportiert. Das dortige Gericht läßt dich nach Wessjegonsk oder sonst
- wohin weiterbefördern usw.; so wandert du aus einem Gefängnis ins andre
- und sprichst jedesmal, wenn du dein neues Heim erblickst: >Nein das
- Wessjegonskische Gefängnis ist doch netter, da ist doch mehr Platz, da
- kann man auch einmal das Knöchelspiel spielen, und da gibt's auch mehr
- Gesellschaft.< -- Abakum Fyrow? Na und du mein Bester? Wo, in welcher
- Gegend treibst du dich herum? Lebst _du_ vielleicht irgendwo an der
- Wolga und bist ein Fährmann geworden, weil du ein freies Leben liebst?
- ...« Hier hielt Tschitschikow inne und wurde ein wenig nachdenklich.
- Worüber sann er wohl nach? Dachte er an das Schicksal Abakum Fyrows,
- oder war es jene natürliche, fast selbstverständliche Nachdenklichkeit,
- die jeden Russen in jedem Lebensalter überfällt, welchem Stande und
- Berufe er auch angehören mag, wenn er an die Lust eines freien
- ungebundenen Lebens denkt? »In der Tat wo war jetzt Fyrow?
- Wahrscheinlich spazierte er laut und fröhlich am Landungsplatze herum,
- sich heiter unter die Kaufleute mischend. Mit Blumen und Bändern an den
- Hüten plaudert und lärmt der ganze Troß der Bootsführer, welche sich von
- ihren schlanken, hohen Frauen und Schätzen verabschieden, die
- Perlenbänder um den Hals und bunte Schleifen im Haar tragen; es schwingt
- sich der Reigen, helle Lieder ertönen aus fröhlichen Kehlen, der ganze
- Landungsplatz wogt auf und nieder, während die Last- und Gepäckträger
- unter Lärmen, Gezänk und ermunternden Zurufen sich mit einem Haken neun
- Pud schwere Ballen auf den Rücken laden, Weizen und Erbsen geräuschvoll
- in geräumige Schiffe schütten und Säcke mit Hafer und Buchweizen
- fortschleppen; weithin blinken die gewaltigen Haufen gleich einer
- Pyramide von Kanonenkugeln aufeinander getürmter Säcke und Ballen, die
- den ganzen Platz bedecken, und machtvoll ragt dieses ganze
- Getreidearsenal empor, bis es in all' die geräumigen Barken und
- Fahrzeuge verladen ist, und diese endlose Flotte zugleich mit dem
- Frühjahrseise den Fluß hinabschwimmt. Da gibt's Arbeit für euch in Hülle
- und Fülle, ihr Schiffer, und vereint, so wie ihr einst munter geschwärmt
- und über alle Stränge geschlagen, geht ihr nun ans Werk und zieht im
- Schweiße eures Angesichts an dem Strange, unter Liedern und Gesängen,
- die so unendlich sind, wie die russische Heimat selbst!
- »Herrjeh! Schon zwölf Uhr!« rief Tschitschikow plötzlich aus, indem er
- auf die Uhr blickte. »Was säume ich bloß so lange? Wenn ich noch etwas
- Vernünftiges getan hätte, aber da rede ich erst allerhand albernes Zeug
- und versinke dann noch in törichte Träumereien! Ich bin doch ein rechter
- Narr! Wahrhaftig!« Mit diesen Worten vertauschte er sein schottisches
- Kostüm mit einem europäischen, zog seine Hosenschnalle etwas fester an,
- um sein kräftiges Bäuchlein nicht so hervortreten zu lassen, besprengte
- sich mit Eau de Cologne, nahm seinen warmen Hut in die Hand und die
- Aktenmappe unter den Arm und begab sich nach dem Zivilgericht, um die
- Kaufkontrakte perfekt zu machen. Dabei beeilte er sich sehr, nicht weil
- er sich zu verspäten fürchtete -- davor brauchte er keine Angst zu
- haben, denn der Präsident war sein guter Bekannter und konnte auf Wunsch
- die Sitzung ausdehnen oder aufheben, ganz wie der alte Zeus Homers, der
- die Tage verlängerte und frühe Nächte herabsandte, wenn er den Streit
- seiner geliebten Helden unterbrechen oder ihnen ein Mittel an die Hand
- geben wollte, um ihn auszutragen; aber Tschitschikow hatte selbst den
- lebhaften Wunsch, die Sache so schnell als möglich zum Abschluß zu
- bringen; solange dies nicht geschehen war, fühlte er sich unruhig und
- unbehaglich: denn er konnte den Gedanken nicht ganz los werden, daß es
- sich hier doch eigentlich nicht um richtige Seelen handele und daß es in
- solchen Fällen besser sei, eine solche Last möglichst schnell
- abzuwerfen. Unter solchen Gedanken hüllte er sich in einen warmen Pelz
- von braunem Tuch, der mit Bärenfell gefüttert war, und kaum war er auf
- die Straße getreten, als er an der Ecke der Gasse mit einem Herrn
- zusammenstieß, der gleichfalls einen mit Bärenpelz gefütterten Überwurf
- um die Schultern geschlagen hatte und eine Pelzkappe mit Ohrenklappen
- auf dem Kopfe trug. Der Herr stieß einen Freudenschrei aus -- es war
- Manilow. Beide schlossen einander in die Arme und verharrten etwa fünf
- Minuten lang in dieser Stellung. Dabei waren die Küsse, die sie
- austauschten, so kräftig und inbrünstig, daß ihnen beiden nachher den
- ganzen Tag über die Vorderzähne schmerzten. Von Manilows Gesicht blieben
- vor Freude nichts wie die Nase und die Lippen übrig, seine Augen waren
- überhaupt nicht mehr zu sehen. Etwa fünfzehn Minuten lang hielt er
- Tschitschikows Hand in seinen beiden Händen, bis sie ganz warm wurde. In
- der feinsten und liebenswürdigsten Weise erzählte er ihm, wie er
- herbeigeflogen wäre, um Pawel Iwanowitsch in seine Arme zu schließen,
- und er schloß seine Rede mit einem Kompliment, wie man es höchstens
- einem jungen Mädchen zu sagen pflegt, das man zum Tanze auffordert.
- Tschitschikow hatte kaum seinen Mund geöffnet, ohne noch recht zu
- wissen, wie er ihm danken sollte, als Manilow einen zusammengerollten
- Bogen Papier, der mit einem roten Bändchen zusammengebunden war, aus
- seinem Pelze hervorholte.
- »Was ist das?«
- »Das sind die Bauern.«
- »Ah!« -- Er rollte den Bogen sogleich auf, überflog ihn schnell mit den
- Augen und war erstaunt über die Schönheit und Sauberkeit der
- Handschrift. »Ist das aber schön geschrieben!« sagte er, »man braucht es
- gar nicht erst abschreiben zu lassen. Dazu noch der Rand rund herum! Wer
- hat denn diese wundervolle Einfassung gezeichnet!«
- »Ach fragen Sie lieber gar nicht,« sagte Manilow.
- »Sie?«
- »Meine Frau!«
- »O mein Gott! Es tut mir wirklich leid, daß ich Ihnen soviel Mühe
- gemacht habe!«
- »Für Pawel Iwanowitsch ist uns keine Mühe zu groß!«
- Tschitschikow verbeugte sich dankend. Als Manilow erfuhr, daß er nach
- der Zivilkammer ging, um den Kaufkontrakt abzuschließen, erklärte
- Manilow sich bereit, ihn dorthin zu begleiten. Die Freunde faßten sich
- unter und gingen zusammen weiter. Bei jeder kleinen Erhöhung, bei jedem
- Hügel, oder jeder Stufe stützte Manilow Tschitschikow mit der Hand und
- hob ihn beinahe in die Höhe, wobei er angenehm lächelte und hinzufügte,
- er werde es nie zugeben, daß Pawel Iwanowitsch sich weh tue.
- Tschitschikow wurde verlegen, da er nicht wußte, wie er sich erkenntlich
- erweisen solle, denn er fühlte, daß er nicht ganz leicht war. So halfen
- sie sich gegenseitig, bis sie endlich auf dem Platze anlangten, wo das
- Gerichtsgebäude lag -- ein großes dreistöckiges Haus, das so weiß war,
- wie ein Stück Kreide, wahrscheinlich, um die Seelenreinheit der in ihm
- tätigen Beamten zu symbolisieren. Die andern Häuser, die sich noch sonst
- auf dem Platze befanden, konnten sich an Größe nicht im geringsten mit
- dem steinernen Amtsgebäude messen. Dies waren: ein Wächterhäuschen, vor
- dem ein Soldat mit einer Flinte stand, zwei bis drei Standplätze für
- Mietskutschen, und endlich gab es noch hie und da einen von jenen langen
- Bretterzäunen, mit den bekannten Aufschriften und Zeichnungen, die mit
- Kohle oder Kreide hingemalt waren. Sonst war nichts auf diesem einsamen,
- oder wie man sich bei uns zu Lande auszudrücken pflegt, _schönen_ Platze
- zu sehen. Aus den Fenstern des zweiten oder dritten Stockes guckten ein
- paar unbestechliche Häupter der Themispriester heraus, um im selben
- Augenblick wieder zu verschwinden: wahrscheinlich weil der Kanzlei-Chef
- gerade ins Zimmer trat. Die beiden Freunde _traten_ nicht ein, sondern
- liefen eilig die Treppe hinauf, weil Tschitschikow seine Schritte
- beschleunigte, da er nicht wollte, daß Manilow ihn mit der Hand
- unterstützen solle, dieser aber lief seinerseits wieder voraus, weil er
- Tschitschikow nicht müde werden lassen wollte, und so kam es, daß beide
- ganz atemlos waren, als sie den dunkelen Korridor betraten. Weder der
- Korridor noch die Säle fielen ihnen durch ihre Reinlichkeit besonders
- auf. Damals kümmerte man sich noch recht wenig darum, und was einmal
- schmutzig war, blieb schmutzig und nahm niemals ein freundlicheres und
- angenehmeres Äußeres an. Themis empfing ihre Gäste ganz so wie sie war,
- im Negligé und im Schlafrock. Eigentlich sollten wir auch noch die
- Kanzleiräume beschreiben, durch die unsere Helden hindurchschritten,
- aber der Autor hat eine große Ehrfurcht vor allen Amtsgebäuden. Selbst
- wenn er Gelegenheit hatte, sie in der Periode ihres höchsten Glanzes, in
- einem gleichsam veredelten und verschönten Zustande kennen zu lernen und
- zu durchwandeln, das heißt, wenn die Dielen frisch gewichst und die
- Tische neu lackiert waren, lief er eilig, mit demütig gesenktem Blicke
- hindurch, daher hat er auch keine Ahnung davon, wie wohl sich dort alles
- fühlt und wie dort alles blüht und gedeiht. Unsere Helden sahen
- gewaltige Mengen Papier, reines und vollgeschriebenes, über den Tisch
- gebeugte Köpfe, breite Nacken, Fräcke und Röcke von kleinstädtischem
- Schnitt, oder sogar eine ganz gewöhnliche hellgraue Jacke, die recht
- stark von den andern abstach und deren Besitzer den Kopf auf die
- Schulter gebeugt, sodaß er fast auf dem Papier lag, mit schwungvollen
- Lettern ein Protokoll niederschrieb; wahrscheinlich handelte es von
- einem Gut, welches sein friedlicher Besitzer, irgend ein Gutsherr, der
- ein Menschenalter lang darum prozessiert und im ruhigen Genuß seines
- Eigentums Kinder und Enkel gezeugt, nun verloren hatte, oder das ihm
- irgendwo konfisziert worden war. Hie und da hörte man ein paar Worte
- oder kurze Sätze, die von einer heiseren Stimme gesprochen wurden:
- »Fedossej Iwanowitsch, reichen Sie mir doch die Akten Nr. 368! Immer
- werfen Sie den Deckel von dem Tintenfaß weg; er gehört doch dem Staat!«
- Dazwischen hörte man eine majestätische Stimme, die ohne Zweifel einem
- Kanzleichef angehörte, gebieterisch rufen: »Da, schreib das ab, sonst
- laß ich dir die Schuhe ausziehen und dich einsperren, daß du mir sechs
- Tage lang nichts zu essen kriegst!« Das Geräusch vom Federgekritzel war
- sehr stark und erinnerte an den Lärm, den ein paar Fuhren mit Reisig
- verursachen, wenn sie durch einen Wald fahren, dessen Wege einen Fuß
- hoch mit dürren Blättern bedeckt sind.
- Tschitschikow und Manilow traten an den ersten Tisch, an dem zwei
- jüngere Beamten saßen, und fragten diese: »Bitte! Können Sie uns sagen,
- wo hier die Abteilung für Kaufverträge ist?«
- »Was wollen Sie?« sagten die beiden Beamten zugleich, indem sie sich
- umwandten.
- »Ich habe ein Gesuch einzureichen!«
- »Haben Sie etwas gekauft?«
- »Ich möchte zuvor wissen, wo die Abteilung für Kaufverträge ist? Hier
- oder anderswo?«
- »Sagen Sie uns doch, was Sie gekauft haben, und zu welchem Preise, dann
- werden wir Ihnen sagen, wohin Sie sich wenden müssen. So geht es doch
- nicht!«
- Tschitschikow merkte sogleich, daß die Beamten einfach neugierig waren,
- wie alle jungen Beamten, und sich und ihrer Stellung mehr Gewicht und
- Bedeutung geben wollten.
- »Hören Sie, meine verehrten Herren,« sagte er, »ich weiß sehr gut, daß
- alle Angelegenheiten, die sich auf Kaufverträge beziehen, in ein und
- dasselbe Ressort gehören, ich bitte Sie daher, mir den Ort zu nennen,
- wohin ich mich zu wenden habe; wenn Sie nicht wissen, was in diesen
- Räumen vorgeht, dann müssen wir uns eben bei jemand anders erkundigen!«
- Hierauf antworteten die Beamten gar nicht mehr, der eine zeigte bloß mit
- einem Finger auf eine Zimmerecke, wo ein alter Herr saß, der damit
- beschäftigt war, Akten zu numerieren. Tschitschikow und Manilow
- schritten zwischen den Tischen hindurch gerade auf ihn los. Der Alte war
- ganz in seine Tätigkeit versunken.
- »Darf ich fragen,« sagte Tschitschikow mit einer Verbeugung, »ob dies
- die Abteilung für Kaufverträge ist?«
- Der Alte sah auf und sagte gedehnt: »Nein, hier ist keine Abteilung für
- Kaufverträge.«
- »Wo denn?«
- »Die ist in der Kontraktabteilung.«
- »Und wo ist die Kontraktabteilung?«
- »Bei Iwan Antonowitsch.«
- »Und wo ist Iwan Antonowitsch?«
- Der Alte zeigte mit dem Finger auf eine andere Zimmerecke, worauf
- Tschitschikow und Manilow sich zu Iwan Antonowitsch begaben. Iwan
- Antonowitsch hatte schon mit einem Auge nach ihnen hingeschielt und sie
- von der Seite angesehen, aber er beugte sich sogleich wieder über sein
- Papier und schrieb eifrig weiter.
- »Darf ich fragen, ob dies die Abteilung für Kaufverträge ist,« sagte
- Tschitschikow mit einer Verbeugung.
- Iwan Antonowitsch schien ihn nicht gehört zu haben, denn er war ganz in
- seine Akten vertieft und antwortete nichts. Man sah sofort, daß dies ein
- Mann von reiferen Jahren war und kein junger Schwätzer und
- Springinsfeld. Anscheinend war Iwan Antonowitsch ein hoher Vierziger; er
- hatte dichtes, schwarzes Haar, die ganze mittlere Partie seines Gesichts
- trat stark hervor und schien sich gewissermaßen in der Nase konzentriert
- zu haben; mit einem Wort, es war eins von jenen Gesichtern, die man bei
- uns gewöhnlich als »Kannenschnauze« zu bezeichnen pflegt.
- »Darf ich fragen, wo hier die Abteilung für Kaufverträge ist?«
- wiederholte Tschitschikow.
- »Hier,« sagte Iwan Antonowitsch, indem er seinen Rüssel ein wenig empor
- hob und sogleich wieder zu schreiben begann.
- »Ich komme in folgender Angelegenheit: ich habe bei einigen
- Gutsbesitzern dieser Provinz Bauern gekauft, die ich zu
- Ansiedlungszwecken benutzen will; ich habe den Kontrakt mitgebracht, er
- muß bloß noch unterschrieben werden.«
- »Und sind die Verkäufer zugegen?«
- »Einige sind da, und von den anderen habe ich Vollmachten.«
- »Haben Sie das Gesuch mitgebracht?«
- »Jawohl, ich habe es hier! Ich möchte gern ... Ich habe große Eile ...
- Könnte ich die Sache nicht schon heute erledigen?«
- »Hm! Heute! Nein heute geht es nicht,« sagte Iwan Antonowitsch. »Man muß
- noch Erkundigungen einziehen, ob sie nicht verpfändet sind.«
- »Übrigens ist Iwan Grigorowitsch, der Präsident, ein guter Freund von
- mir; da ließe sich ja etwas zur Beschleunigung der Sache tun.«
- »Es handelt sich hier doch nicht bloß um Iwan Grigorowitsch; es sind
- doch noch andere da,« sagte Iwan Antonowitsch mürrisch.
- Tschitschikow merkte jetzt, wo der Hase im Pfeffer lag und sagte: »Die
- anderen sollen schon nicht zu kurz kommen. Ich habe selbst gedient und
- kenne den Instanzenweg.«
- »Gehen Sie also zu Iwan Grigorowitsch,« sagte Iwan Antonowitsch etwas
- besänftigt. »Er mag an passender Stelle seine Order geben. An uns soll
- es nicht liegen.«
- Tschitschikow nahm einen Schein aus der Tasche und legte ihn vor Iwan
- Antonowitsch hin. Dieser nahm gar keine Notiz von ihm und deckte ihn
- sofort mit einem Buche zu. Tschitschikow wollte ihn darauf aufmerksam
- machen, aber Iwan Antonowitsch gab ihm durch eine Kopfbewegung zu
- verstehen, daß er das nicht wünsche!
- »Der da wird Euch in die Kanzlei führen!« sagte Iwan Antonowitsch, indem
- er mit dem Kopfe nickte. Und einer von den anwesenden Hohenpriestern,
- welcher Themis mit solchem Eifer opferte, daß seine beiden Ärmel an den
- Ellenbogen geplatzt waren und das Futter aus den Löchern hervorquoll,
- wofür er seinerzeit den Rang eines Kollegienregistrators erhalten hatte,
- übernahm die Führerrolle bei unseren Freunden, wie einst Vergil bei
- Dante, und geleitete sie in die Kanzlei, in der lauter breite Lehnstühle
- standen, auf deren einem vor einem Spiegeltisch und zwei dicken Büchern
- der Präsident gleich dem Sonnengott thronte. Hier fühlte sich der neue
- Vergil von einer solchen Ehrfurcht beseelt, daß er sich durchaus nicht
- entschließen konnte, seinen Fuß über die Schwelle zu setzen. Er kehrte
- daher um, indem er den Freunden seinen Rücken zuwandte, welcher
- abgerieben war wie eine Bastmatte, und an dem eine Hühnerfeder klebte.
- Als sie ins Zimmer traten, bemerkten sie, daß der Präsident nicht allein
- war, neben ihm saß Sabakewitsch, der ganz von dem Spiegel verdeckt
- wurde. Die Ankunft der Gäste entlockte den Anwesenden ein paar freudige
- Rufe, und der Präsidentensessel wurde geräuschvoll beiseite geschoben.
- Auch Sabakewitsch erhob sich und stand nun mit seinen langen Ärmeln von
- allen Seiten sichtbar da. Der Präsident umarmte Tschitschikow, und das
- Amtszimmer hallte wieder von den Küssen der Freunde. Man erkundigte sich
- gegenseitig nach dem Wohlergehen, und hierbei stellte sich heraus, daß
- beide an Hexenschuß litten, was man flugs der sitzenden Lebensweise aufs
- Konto setzte. Wie es schien war der Präsident von Sabakewitsch schon
- über das Kaufgeschäft unterrichtet; denn er gratulierte Tschitschikow
- aufs herzlichste, was unsern Helden zunächst ein wenig in Verlegenheit
- setzte, besonders jetzt, wo Sabakewitsch und Manilow, die beiden
- Verkäufer, mit denen er doch im geheimen, unter vier Augen verhandelt
- hatte, sich nun Aug in Auge gegenüberstanden. Er bedankte sich indessen
- beim Präsidenten und sagte dann, indem er sich zu Sabakewitsch wandte:
- »Und wie befinden Sie sich?«
- »Gott sei Dank, ich kann nicht klagen,« sagte Sabakewitsch, und in der
- Tat, er hatte wirklich keinen Grund zur Klage, eher hätte sich ein Stück
- Eisen erkälten und den Husten bekommen können, als dieser wunderbar
- gebaute Gutsbesitzer.
- »Ja, Sie durften sich immer einer guten Gesundheit rühmen,« sagte der
- Präsident. »Ihr seliger Herr Vater war auch so stark wie Sie.«
- »Ja, der ging auch allein auf die Bärenjagd!« antwortete Sabakewitsch.
- »Mir scheint, Sie würden es auch fertig bringen, einen Bären
- umzuschmeißen, wenn Sie allein mit ihm in den Kampf gerieten,« meinte
- der Präsident.
- »Nein, das bringe ich doch nicht fertig,« antwortete Sabakewitsch. »Mein
- seliger alter Herr war doch kräftiger als ich,« und er fuhr seufzend
- fort: »Nein, heutzutage gibt's keine solchen Menschen mehr. Nehmen Sie
- z. B. gleich mein Leben. Was ist das für ein Leben, nur so, so, lala
- ...«
- »Und warum ist Ihr Leben nicht schön?« fragte der Präsident.
- »Nein, schön kann man es wirklich nicht nennen,« sagte Sabakewitsch
- kopfschüttelnd. »Denken Sie doch selbst, Iwan Grigorjewitsch, ich bin
- schon in den Fünfzigern und bin noch nie krank gewesen; wenn ich auch
- nur ein einziges Mal Halsschmerzen, ein Geschwür, oder einen Furunkel
- gehabt hätte .... Das nimmt sicher kein gutes Ende! Das wird sich noch
- einmal rächen ...« Bei diesen Worten wurde Sabakewitsch sehr
- melancholisch.
- »Daß dich der ...!« dachten fast gleichzeitig Tschitschikow und der
- Präsident: »Worüber der nicht zu klagen hat!«
- »Ich habe auch einen Brief für Sie,« sagte Tschitschikow, während er
- Pljuschkins Schreiben aus der Tasche zog.
- »Von wem?« fragte der Präsident. Er nahm den Brief in Empfang,
- entsiegelte ihn und rief erstaunt aus: »Von Pljuschkin! Existiert der
- auch noch auf dieser Welt? Das ist auch ein Leben! Was war das doch für
- ein kluger und wohlhabender Mann! Und nun ...«
- »Ein Schweinehund!« sagte Sabakewitsch. »So ein Schuft, der läßt all
- seine Leute verhungern!«
- »Gern, mit Vergnügen!« rief der Präsident, nachdem er den Brief gelesen
- hatte, »ich will ihn gerne vertreten! Wann wünschen Sie den Kauf
- abzuschließen? Jetzt gleich oder etwas später?«
- »Gleich!« versetzte Tschitschikow: »Ich möchte Sie sogar bitten, dafür
- zu sorgen, daß es gleich _heute_ geschieht. Ich möchte nämlich schon
- morgen wieder weiterreisen, den Kontrakt und das Gesuch habe ich gleich
- mitgebracht!«
- »Das ist alles sehr schön und gut, aber Sie werden schon verzeihen: so
- früh können wir Sie unmöglich fortlassen. Die Kontrakte sollen noch
- heute unterschrieben werden, aber Sie werden sich schon entschließen
- müssen, noch ein paar Tage mit uns zu verleben. Ich will sogleich Order
- erteilen,« fuhr er fort, indem er die Tür der Kanzlei öffnete, welche
- ganz voll von Beamten war, die wie ein Bienenschwarm ihre Zellen
- umschwärmten, wenn nur ein Vergleich der Akten mit Bienenzellen zulässig
- ist: »Ist Iwan Antonowitsch hier?«
- »Ja! Hier!« antwortete eine Stimme aus dem Innern des Zimmers.
- »Er soll herkommen!«
- Iwan Antonowitsch, die Kannenschnauze, deren Bekanntschaft der Leser
- schon gemacht hat, erschien im Amtszimmer und machte eine devote
- Verbeugung.
- »Bitte, Iwan Antonowitsch, nehmen Sie doch alle diese Kaufverträge und
- ...«
- »Iwan Grigorjewitsch!« fiel hier Sabakewitsch ein, »bitte vergessen Sie
- nicht, daß wir auch noch Zeugen brauchen, wenigstens zwei Mann von jeder
- Partei. Schicken Sie doch gleich zum Staatsanwalt, er hat nicht viel zu
- tun und sitzt sicher zu Hause: Solotucha, der Anwalt, besorgt all seine
- Arbeiten; einen größeren Räuber wie den gibt's auf der Welt nicht
- wieder! Der Sanitätsinspektor ist auch nicht sehr beschäftigt, und ist
- wahrscheinlich auch zu Hause, wenn er nicht bei einem Bekannten sitzt
- und Karten spielt; ach, und dann gibt's ja noch eine ganze Reihe von
- Leuten, die hier in der Nähe wohnen: Truchatschewski, Bjeguschkin --
- lauter Leute, die der lieben Erde durch ihren Müßiggang zur Last
- fallen!«
- »Richtig! Sehr richtig!« sprach der Präsident, und schickte sofort einen
- Kanzleibeamten fort, um sie holen zu lassen.
- »Ich habe noch eine Bitte,« sagte Tschitschikow: »Schicken Sie doch
- bitte noch nach dem Vertrauensmann einer Gutsbesitzerin, mit der ich
- auch ein kleines Geschäft abgeschlossen habe -- es ist der Sohn des
- Oberpriesters Pater Cyrill; er dient bei Ihnen.«
- »Mit Vergnügen, ich will ihn gleich holen lassen!« sprach der Präsident:
- »es wird alles besorgt, ich bitte Sie nur eins, geben Sie den Beamten
- nichts. Meine Freunde brauchen nicht zu zahlen.« Hierauf gab er Iwan
- Antonowitsch noch einen Auftrag, der diesem recht wenig zu gefallen
- schien. Die Verträge schienen einen vortrefflichen Eindruck auf den
- Präsidenten gemacht zu haben, besonders als er sah, daß die Kaufsumme
- nahezu hunderttausend Rubel betrug. Er sah Tschitschikow einige Minuten
- lang in die Augen und sagte schließlich: »Sehen Sie wohl, Pawel
- Iwanowitsch. Sie haben also eine Akquisition gemacht!«
- »Sehr richtig!« antwortete Tschitschikow.
- »Daran haben Sie wohl getan. Wahrhaftig! Daran haben Sie sehr wohl
- getan!«
- »Ja, jetzt sehe ich selbst, daß ich nichts Besseres tun konnte. Mag es
- sein, wie es will, der Lebenszweck des Menschen ist noch nicht endgültig
- fixiert, solange er nicht festen Fuß auf dauerndem Grunde gefaßt hat,
- und noch irgend einem chimärischen Jugendideal der Freidenker nachjagt.«
- Bei dieser Gelegenheit verfehlte er nicht ein paar tadelnde Worte über
- die jungen Leute und ihren Liberalismus zu sagen, und das von Rechts
- wegen. Aber, was sehr merkwürdig war, es lag in seinen Worten noch immer
- eine gewisse Unsicherheit, wie wenn er gleich darauf zu sich sagen
- wollte: >Ach was? Bester, du schwindelst, und nicht zu knapp!< Ja, er
- wagte es nicht einmal, Sabakewitsch und Manilow anzusehen, weil er sich
- fürchtete, einem unliebsamen Ausdruck in ihren Gesichtern zu begegnen.
- Aber seine Sorge war unnütz; in Sabakewitschs Gesicht regte und rührte
- sich nichts, Manilow aber war ganz hingerissen von der schönen Rede,
- schüttelte bloß den Kopf vor Vergnügen, und geriet dabei in eine solche
- seelische Verzücktheit, wie sie sich wohl eines Musikkenners zu
- bemächtigen pflegt, wenn die Sängerin noch die Violine überbietet und
- einen so feinen hohen Ton in die Luft schmettert, wie ihn selbst eine
- Vogelkehle nicht herauszubringen vermag.
- »Warum sagen Sie denn Iwan Grigorjewitsch nicht, was Sie eigentlich
- gekauft haben?« bemerkte Sabakewitsch. »Und Sie, Iwan Grigorjewitsch?
- Fragen Sie denn garnicht, was für einen Kauf er gemacht hat? Wüßten Sie
- nur, was für prächtige Leute das sind! Gold ist nichts dagegen! Ich habe
- ihm doch auch den Wagenmacher Michejew verkauft.«
- »Wahrhaftig? Nein?« versetzte der Präsident. »Ich kenne den Michejew;
- der Mann ist ein Meister in seinem Fach; er hat mir einmal eine Droschke
- repariert. Aber erlauben Sie mal ... Wie ist denn das? ... Haben Sie mir
- denn nicht gesagt, daß er gestorben ist? ...«
- »Wer? Michejew tot?« fragte Sabakewitsch, der auch nicht einen
- Augenblick die Fassung verlor. »Sie meinen wohl seinen Bruder, der ist
- allerdings tot; dieser hier ist so gesund, wie ein Fisch im Wasser; der
- fühlt sich noch wohler als früher. Vor kurzem hat er mir noch eine
- solche Kutsche gebaut, wie Sie sie nicht einmal in Moskau bekommen. Der
- sollte eigentlich zum Hoflieferanten des Kaisers ernannt werden.«
- »Ja, Michejew ist ein Meister,« versetzte der Präsident, »ich wundere
- mich eigentlich, daß Sie sich so leicht von ihm trennen konnten.«
- »Ja, wenn's nur der eine Michejew wäre! Stepan Probka, der Tischler, der
- Ziegelbrenner Miluschkin, der Schuster Maksim Teljatnikow -- sie gehen
- alle fort, ich habe sie alle zusammen verkauft.« Und als der Präsident
- fragte, warum er sie denn gehen lasse, wenn es doch lauter nützliche
- Leute und Handwerker seien, die er in seinem Haushalt brauchen könne,
- antwortete Sabakewitsch, indem er eine gleichgültige Handbewegung
- machte: »Ich weiß nicht, es ist mir mal so'ne dumme Idee in den Kopf
- gekommen! Ich habe mir halt gedacht: ach was, ich verkaufe sie, und hab'
- sie dann dummer Weise wirklich verkauft!« Hierauf ließ er den Kopf
- hängen, wie wenn es ihn jetzt tatsächlich reute, und er fügte hinzu: »Da
- wird man alt und grau und wird doch nicht klüger!«
- »Aber erlauben Sie mal, Pawel Iwanowitsch,« sagte der Präsident. »Wozu
- kaufen Sie eigentlich Bauern, ohne Land? Brauchen Sie sie etwa zu
- Ansiedelungszwecken?«
- »Natürlich zu Ansiedelungszwecken!«
- »So, das ist freilich was andres. Und wo wollen Sie sie ansiedeln?«
- »In dem .... Im Gouvernement Cherson.«
- »O, da gibt es ausgezeichneten Boden!« sprach der Präsident, und er
- sprach sich sehr lobend über die Höhe und Güte des dortigen Grases aus.
- »Und haben Sie auch Land genug?«
- »Vollkommen genug -- genau soviel, als ich brauche, um die Bauern
- anzusiedeln.«
- »Gibt's dort auch einen Fluß oder nur einen Teich?«
- »Einen Fluß. Übrigens ist auch ein Teich da.« Bei diesen Worten sah
- Tschitschikow im Versehen Sabakewitsch an, und obwohl dieser ebenso
- unbeweglich wie vorher in seiner Stellung verharrte, schien es
- Tschitschikow doch, als läse er in dessen Gesichte die Worte: »Du
- schwindelt, mein Lieber! Ich bezweifle sehr, daß dieser Teich und Fluß
- und das ganze Land überhaupt existieren.«
- Während die Unterhaltung noch ihren Fortgang nahm, erschienen allmählich
- die Zeugen: der Staatsanwalt, den der Leser schon kennt und der ewig mit
- dem linken Augenlide zuckte, der Inspektor der Sanitätskommission,
- ferner die Herren Truchatschewski, Bjeguschkin und die andern, die nach
- Sabakewitschs Worten der Erde durch ihren Müßigang zur Last fallen.
- Viele von ihnen kannte Tschitschikow noch garnicht; die fehlenden Zeugen
- wurden durch einige diensthabende Beamte ersetzt. Man hatte nicht nur
- den _Sohn_ des Oberpriesters, Pater Cyrill, sondern auch den
- Oberpriester selbst herangeholt. Jeder von den Zeugen setzte seine
- Unterschrift mit Aufführung all seiner Titel und Würden unter das
- Dokument, der eine in runder, der andre in schräger Schrift; bei einem
- dritten schienen sozusagen die Buchstaben auf dem Kopf zu spazieren,
- oder es liefen solche Lettern mit unter, wie sie im russischen Alphabet
- garnicht einmal vorkommen. Iwan Antonowitsch erledigte alles gewandt und
- sicher, die Kontrakte wurden notifiziert, mit dem Datum versehen, und in
- die Bücher und wohin sich's sonst noch gehört, eingetragen, nachdem die
- ein halbes Prozent betragenden Gebühren und Spesen für die Ankündigung
- im Amtsblatt erhoben worden waren, sodaß Tschitschikow nur eine
- Kleinigkeit zu bezahlen brauchte. Ja, der Präsident gab sogar Order ihm
- nur die Hälfte von den Gebühren anzurechnen, während die andre Hälfte
- einem andern Kontrahenten auf die Rechnung gestellt wurde. Wie man das
- fertig brachte, weiß der liebe Himmel.
- »Und nun,« sagte der Präsident, nachdem alles glücklich erledigt war,
- »hätten wir das Geschäft nur noch zu begießen.«
- »Mit Vergnügen,« sagte Tschitschikow. »Ich überlasse es Ihnen, die Zeit
- zu bestimmen. Es wäre eine Sünde, wenn ich meinerseits mich weigern
- wollte, in so angenehmer Gesellschaft ein paar Flaschen Sekt springen zu
- lassen.«
- »Nein, das fassen Sie falsch auf: den Sekt stellen wir selbst,« sagte
- der Präsident; »das ist nur unsere Pflicht und Schuldigkeit. Sie sind
- unser Gast: also laden wir Sie ein. Wissen Sie was meine Herren? Gehen
- wir doch einstweilen mal zum Polizeimeister: das ist ein richtiger
- Zauberkünstler; wenn der am Fischmarkt oder an einer Weinhandlung
- vorübergeht, braucht er nur zu winken, und es steht gleich ein
- glänzendes Frühstück da, zu dem man sich gratulieren kann. Bei dieser
- Gelegenheit können wir auch eine Partie Whist machen.«
- Ein solch vernünftiges Anerbieten konnte niemand ausschlagen. Den Zeugen
- lief schon bei der bloßen Erwähnung des Fischmarktes das Wasser im Munde
- zusammen; alles griff sofort zu Hut oder Mütze, und die Sitzung war zu
- Ende. Als man durch die Kanzlei schritt, sagte Iwan Antonowitsch -- die
- Kannenschnauze -- mit einer höflichen Verbeugung zu Tschitschikow: »Sie
- haben für hunderttausend Rubel Bauern gekauft, und ich habe nur
- fünfundzwanzig für meine Mühe bekommen.«
- »Ja, was sind denn das für Bauern,« flüsterte ihm Tschitschikow leise
- zu: »lauter schlechtes nichtsnutziges Volk, die sind noch nicht die
- Hälfte wert.« Iwan Antonowitsch begriff, daß er einem Mann von festem
- Charakter gegenüberstand, von dem er nicht mehr herausbekommen würde.
- »Wieviel hat Ihnen Pljuschkin für die Seele abgenommen?« flüsterte ihm
- Sabakewitsch ins andere Ohr.
- »Und warum haben Sie den Sperling eingeschmuggelt?« antwortete ihm
- Tschitschikow.
- »Welchen Sperling?« fragte Sabakewitsch.
- »Na das Weibsbild, die Elisabetha Sperling. Sie haben ja noch us statt a
- geschrieben.«
- »Von diesem Sperling weiß ich nichts,« sagte Sabakewitsch und mischte
- sich unter die anderen Gäste.
- Die Gäste begaben sich schließlich _in corpore_ nach dem Hause des
- Polizeimeisters. Der Polizeimeister war tatsächlich ein Zauberkünstler;
- kaum hatte er gehört, worum es sich handelte, als er schon einen
- Polizeikommissar, einen schneidigen Kerl in hohen Lackstiefeln, zu sich
- heranrief und ihm, wie es schien, kaum mehr als zwei Worte ins Ohr
- flüsterte; dann fragte er ihn nur noch kurz: »Hast du verstanden?«, und
- schon erschienen im andern Zimmer, während die Gäste noch ihren Whist
- droschen, die herrlichsten Dinge auf dem Tische: Störe, Hausen,
- geräucherter Lachs, frischer und gepreßter Kaviar, Hering, Wels,
- allerhand Käsesorten, geräucherte Zunge -- dies wenigstens war das Menu,
- soweit es den Fischmarkt betraf. Dazu kamen noch einige Zugaben, die aus
- dem eigenen Haushalt und der eigenen Küche stammten: eine Fischpastete,
- die mit dem Knorpel und den Kiemen eines neun Pud schweren Störs gefüllt
- war, eine Pastete mit Pfifferlingen, Pastetchen aus Butterteig,
- Splittertörtchen usw. Der Polizeimeister war in gewissem Sinne der Vater
- und der Wohltäter der Stadt. Er benahm sich im Kreise der Bürger ganz
- wie im eigenen Familienkreise, und in den Läden oder auf dem Tuchmarkt
- wußte er Bescheid wie in seiner eigenen Speisekammer. Er war überhaupt,
- wie man zu sagen pflegt, ganz an seinem Platz und hatte seinen Beruf aus
- dem ff heraus. Es wäre sicherlich schwer zu entscheiden gewesen, ob _er_
- für sein _Amt_ oder sein _Amt_ für _ihn_ geschaffen war. Er wußte seinen
- Posten so gut auszufüllen, daß seine Einnahmen sich beinahe auf das
- Doppelte von dem beliefen, was seine Vorgänger erhalten hatten, und doch
- war er in der ganzen Stadt allgemein beliebt. Die Kaufleute schätzten
- ihn am meisten, ganz besonders weil er gar nicht stolz war; und in der
- Tat, er hob ihre Kinder aus der Taufe, stand mit ihnen Gevatter, und
- obwohl er sie tüchtig bluten ließ, machte er doch auch dies mit einer
- ganz besonderen Geschicklichkeit: entweder klopfte er ihnen freundlich
- auf die Schulter und lächelte ihnen zu, oder er lud sie zum Tee ein,
- ließ sich zu einer Partie Dame auffordern und fragte sie nach allem aus:
- wie die Geschäfte gehen und wie es sonst stände; wenn er erfuhr, daß
- eins der Kinder krank sei, dann wußte er gleich Rat und verschrieb ihm
- die richtige Arzenei; mit einem Wort, er war ein ganz famoser Kerl. Kam
- er in seinem Wagen daher gefahren, um überall für Ordnung zu sorgen,
- dann hatte er immer für den einen oder andern das rechte Wort bereit:
- »Nun Michej, sollen wir nicht einmal unser Spielchen zu Ende spielen.«
- -- »Freilich, Alexei Iwanowitsch,« antwortet dieser und zieht die Mütze,
- »freilich sollten wir!« »Hör doch, Ilja Paramonowitsch, komm doch mal zu
- mir und sieh dir mein Rennpferd an; das läuft noch schneller als das
- deine; laß es doch auch mal vor den Rennschlitten spannen, und dann
- wollen wir sehen!« Der Kaufmann, der ein passionierter Pferdefreund war,
- lächelte hierbei ganz besonders zufrieden, strich sich den Bart und
- sagte: »Gut, wir wollen sehen! Alexei Antonowitsch!« Selbst die
- Ladendiener nahmen hierbei ihre Mützen ab und sahen sich vergnügt an,
- wie wenn sie sagen wollten: »Alexei Antonowitsch ist doch ein prächtiger
- Mensch!« Mit einem Wort, er war sehr populär, und die Kaufleute hatten
- eine sehr hohe Meinung von ihm und sagten: »Alexei Antonowitsch nimmt
- zwar ein bissel viel, dafür hält er aber auch sein Wort.«
- Als der Polizeimeister sich überzeugte, daß das Frühstück fertig sei,
- forderte er seine Gäste auf, den Whist nach Tisch fortzusetzen, und alle
- begaben sich in das Zimmer, von dem aus sich schon lange ein angenehmer
- Geruch bis in die Nebengemächer verbreitete. Dieser Geruch hatte die
- Nasen unserer Gäste schon längst in angenehmer Weise gekitzelt, und
- Sabakewitsch schielte fortwährend durch die Türe nach dem Tisch, da er
- bereits von dem Stör Notiz genommen hatte, der etwas abseits auf einem
- großen Teller lag. Nachdem die Gäste erst einen Likör von jener
- dunkelgrünen Olivenfarbe gekostet hatten, wie man sie nur an den
- durchsichtigen sibirischen Steinen beobachtet, aus denen bei uns in
- Rußland Petschaften gemacht werden, trat man von allen Seiten mit Gabeln
- bewaffnet an den Tisch. Hierbei zeigten sich, wie man zu sagen pflegt,
- der Charakter und die Neigungen eines jeden in ihrem wahren Lichte,
- indem der eine sich an den Kaviar, ein anderer an den Lachs, ein dritter
- an den Käse heranmachte. Sabakewitsch würdigte indessen all diese
- Kleinigkeiten keines Blickes und richtete sich in nächster Nachbarschaft
- vom Stör ein; während jene aßen, tranken und sich unterhielten,
- verleibte er ihn sich in einer kurzen Viertelstunde völlig ein, und als
- der Polizeimeister sich an den Fisch erinnerte und mit den Worten: »Und
- was denken Sie von diesem Naturprodukt, meine Herren!« zugleich die
- andern aufforderte, ihm zu folgen und mit der Gabel in der Hand vor den
- Stör hintrat, da merkte er, daß von dem Naturprodukt nur noch der
- Schwanz übrig geblieben war; Sabakewitsch aber tat so, als ob ihn die
- Sache garnichts anginge, trat vor einen Teller, der etwas abseits von
- den andern stand, und stocherte mit der Gabel auf einem kleinen
- getrockneten Fischchen herum. Nachdem er den Stör verarbeitet hatte,
- ließ sich Sabakewitsch in einen Lehnstuhl sinken und aß und trank von da
- ab nichts mehr, sondern blinzelte nur noch mit den Augen. Der
- Polizeimeister liebte, wie es schien, nicht mit dem Wein zu sparen. Der
- erste Toast wurde, wie die Leser vielleicht selbst erraten werden, auf
- das Wohl des neuen Gutsbesitzers von Cherson ausgebracht. Der zweite
- galt dem Wohlergehen seiner Bauern und ihrer glücklichen Ansiedlung.
- Dann trank man auf die Gesundheit seiner künftigen reizenden Ehehälfte,
- was unserm Helden ein freundliches Lächeln entlockte. Dann drängten sich
- alle um ihn und suchten ihn zu überreden, daß er doch noch wenigstens
- zwei Wochen in der Stadt bleiben möge. »Nein, Pawel Iwanowitsch! Das
- hieße ja die Wohnung kalt werden lassen: über die Schwelle und gleich
- wieder fort! Nein, bleiben Sie doch noch eine Zeitlang bei uns! Kommen
- Sie, wir wollen Sie verheiraten. Nicht wahr, Iwan Grigorjewitsch, wir
- verschaffen ihm eine Frau?«
- »Ja, ja, eine Frau!« fiel der Präsident ein, »sträuben Sie sich mit
- Händen und Füßen, soviel Sie wollen, Sie werden doch verheiratet! Nichts
- da, mein Bester! Mitgefangen, mitgehangen! Da dürfen Sie sich nicht
- beklagen, wir lieben nicht zu spaßen!«
- »Warum nicht, wozu sollte ich mich mit Händen und Füßen dagegen stemmen?
- Die Heirat ist doch nicht solch eine Sache, daß man darüber gleich ...
- Wenn nur eine Braut da wäre.«
- »Die Braut wird sich schon finden! Wie sollte sie nicht? Es wird sich
- alles finden, alles was Sie nur wollen.«
- »Nun, unter diesen Umständen ...«
- »Bravo, er bleibt!« schrieen alle: »Vivat Hurrah! Pawel Iwanowitsch,
- Hurrah!« Und alle traten mit den Gläsern in der Hand auf Tschitschikow
- zu, um mit ihm anzustoßen. Tschitschikow stieß mit allen an.
- »Nein, noch einmal!« sagten die Tollsten, und die Gläser mußten noch
- einmal erklingen; ja sie wollten noch zum dritten Mal anstoßen, und so
- machte man es denn zum dritten Male. In kurzer Zeit wurden alle
- außerordentlich lustig. Der Präsident, welcher in angeheitertem Zustande
- ein äußerst lieber Mensch war, schloß Tschitschikow mehrmals in seine
- Arme und stammelte im Übermaß seines Gefühles: »Mein liebes Herz, mein
- liebes Mamachen!« Ja, er knipste sogar mit den Fingern und begann um
- Tschitschikow herumzutanzen, wobei er das bekannte Volkslied anstimmte:
- »Ach du Hundesohn! du Bauer aus Komarinsk.« Nach dem Sekt ging man zu
- den Ungarweinen über, welche die Stimmung noch mehr hoben und noch mehr
- zur Erheiterung der Gesellschaft beitrugen. Der Whist war ganz und gar
- vergessen: man schrie, man zankte, man unterhielt sich über alle
- möglichen und unmöglichen Dinge -- über Politik, ja sogar über
- militärische Fragen, man führte freie Reden, für die ein jeder unter
- gewöhnlichen Umständen seine eigenen Kinder durchgeprügelt hätte. Bei
- dieser Gelegenheit wurde eine ganze Reihe höchst schwieriger Probleme
- zur Lösung gebracht. Tschitschikow hatte sich noch nie so froh und
- heiter gefühlt, er kam sich tatsächlich schon als Chersonscher
- Gutsbesitzer vor, sprach von allerhand wirtschaftlichen Neuerungen und
- Verbesserungen, von dem Dreifeldersystem, von dem Glück und der
- Seligkeit zweier Seelen und deklamierte Sabakewitsch sogar eine gereimte
- Epistel von Werther an Charlotte vor, wozu jener nur mit den Augen
- blinzelte, denn er saß in seinem Lehnstuhl und fühlte nach dem Stör eine
- starke Neigung zum Schlafen. Tschitschikow sah bald selbst ein, daß er
- sich vielleicht zu sehr habe gehen lassen, er erkundigte sich, ob er
- nicht einen Wagen bekommen könne und benutzte schließlich die Equipage
- des Staatsanwalts, um nach Hause zu fahren. Der Kutscher war, wie es
- sich unterwegs herausstellte, ein gewiegter Wagenlenker, denn er hielt
- die Zügel in der einen Hand, während er die andere zurückstreckte, um
- den bedenklich hin und her schwankenden Tschitschikow festzuhalten. So
- langte dieser im Wagen des Staatsanwalts im Gasthof an, wo er noch lange
- Zeit allerhand tolles Zeug schwatzte: von einer blonden Braut mit roten
- Backen und einem Grübchen auf der rechten Wange, von Chersonschen
- Gütern, Kapitalien und dergleichen mehr. Seliphan erhielt sogar
- verschiedene Aufträge, die sich auf die Gutsverwaltung bezogen: so
- sollte er zum Beispiel alle neu angesiedelten Bauern herbeiholen und
- jeden einzeln aufrufen. Seliphan hörte lange schweigend zu und verließ
- dann das Zimmer, nachdem er zu Petruschka gesagt hatte: »Geh, kleide den
- Herrn aus!« Petruschka versuchte es zunächst, Tschitschikow die Stiefel
- auszuziehen, wobei er ihn beinahe selbst vom Bette heruntergezogen
- hätte. Schließlich war er damit fertig, der Herr entkleidete sich, wie
- es sich gehört, wälzte sich noch ein paar Minuten im Bette herum,
- welches gewaltig krachte und ächzte, und schlief tatsächlich als
- Chersonscher Gutsbesitzer ein. Unterdessen trug Petruschka die Hosen und
- den preißelbeerfarbenen Frack mit den Sternchen ins Vorzimmer hinaus,
- hängte sie über den hölzernen Kleiderhalter und bearbeitete sie so
- kräftig mit dem Ausklopfer und der Kleiderbürste, daß der ganze Korridor
- in eine Staubwolke gehüllt zu sein schien. Als er die Kleider oben
- herunternehmen wollte, erblickte er Seliphan von der Gallerie aus, der
- soeben aus dem Stall zurückkehrte. Ihre Augen begegneten sich, und sie
- verstanden sich sofort wie durch einen gewissen Instinkt: der Herr
- schlief, warum sollte man da nicht einem bekannten Lokal einen kleinen
- Besuch abstatten? Petruschka trug also Frack und Hosen schnell wieder
- ins Zimmer, lief die Treppe hinunter, und beide machten sich, ohne ein
- Wort über ihr eigentliches Reiseziel zu verlieren, unter ganz
- gleichgültigen Gesprächen auf den Weg. Ihr Spaziergang nahm nicht
- allzuviel Zeit in Anspruch, sie gingen bloß über die Straße, bewegten
- sich auf ein Haus zu, das dem Gasthof gerade gegenüberlag, und traten
- durch eine niedrige rauchgeschwärzte Glastür, die in eine Art Kellerraum
- führte, in das Lokal, wo schon eine ganze Gesellschaft von allerhand
- Leuten ihrer wartete: da gab's Rasierte und Unrasierte, Männer mit
- Pelzen und ohne solche, im bloßen Hemd und hie und da auch einen in
- einem Mantel. Wie Petruschka und Seliphan hier ihre Zeit verbrachten, --
- weiß nur der liebe Gott; genug sie kamen nach einer Stunde Arm in Arm
- und stumm wieder heraus, wobei sie sehr besorgt umeinander zu sein
- schienen und sich gegenseitig auf jede Straßenecke aufmerksam machten.
- Dann stiegen sie wohl eine Viertelstunde lang Arm in Arm und ohne
- einander auch nur einen Augenblick loszulassen, die Treppe hinauf, bis
- auch dies Hindernis genommen war und sie oben anlangten. Petruschka
- blieb einen Moment vor seinem niedrigen Bette stehen, still erwägend,
- wie er sich wohl am besten darin plazieren könnte, dann legte er sich
- quer darüber, sodaß seine Füße den Fußboden berührten. Seliphan stieg in
- dasselbe Bett, indem er seinen Kopf auf Petruschkas Bauch legte; er
- hatte ganz vergessen, daß dies ja nicht seine eigentliche Schlafstätte,
- und daß sein Platz irgendwo in der Bedientenstube oder im Stall bei den
- Pferden war. Beide schliefen sofort ein, indem sie ein Schnarchduett von
- gewaltiger Kraft und Stärke anstimmten, dem ihr Herr mit seinem feinen
- Zephyrsäuseln durch die Nase sekundierte. Bald darauf wurde es auch im
- ganzen Gasthofe still, und ein tiefer Schlaf bemächtigte sich aller
- Bewohner; nur in einem Fenster schimmerte noch ein schwacher
- Lichtschein; dort wohnte ein angereister Leutnant aus Rjasan, der eine
- große Leidenschaft für Stiefel zu haben schien, denn er hatte sich
- bereits vier Paar Schuhe bestellt, und ließ sich nun schon das fünfte
- Paar anmessen. Wiederholt trat er ans Bett, um sich die Stiefel
- auszuziehen und sich niederzulegen, aber er konnte sich nicht dazu
- entschließen: die Stiefel saßen wirklich vorzüglich und immer wieder hob
- er den Fuß in die Höhe und betrachtete wohlgefällig den schneidigen,
- wunderbar geformten Absatz.
- Achtes Kapitel
- Tschitschikows Einkäufe waren bereits der Gegenstand des Stadtgespräches
- geworden. Man stritt, man unterhielt sich und debattierte darüber, ob es
- vorteilhaft sei, Bauern zu Ansiedelungszwecken anzukaufen. Viele von
- diesen Debatten zeichneten sich durch Gründlichkeit und Sachlichkeit
- aus: »Natürlich ist das so,« sagten die einen, »das läßt sich nicht
- bestreiten, der Boden ist in den südlichen Gouvernements wirklich gut
- und sehr fruchtbar; aber was werden Tschitschikows Bauern ohne Wasser
- anfangen? da gibt's doch gar keine Flüsse.« -- »Das wäre noch nicht
- schlimm, daß es kein Wasser gibt, das macht noch nichts, Stepan
- Dimitrwejewitsch; aber die Kolonisation ist eine sehr riskante Sache.
- Man weiß ja, wie so'n Bauer ist: da wird er auf eine ganz jungfräuliche
- Scholle verpflanzt, und soll nun Ackerbau treiben -- und dabei ist
- nichts da -- weder Haus noch Hof -- ich sag Ihnen, der läuft davon, das
- ist so sicher wie zwei mal zwei vier, schnallt sich seine Schuhe an,
- macht daß er fortkommt, dann können Sie lange suchen, bis Sie ihn
- finden!« -- »Nein, erlauben Sie mal, Alexei Iwanowitsch, ich bin
- durchaus nicht Ihrer Ansicht, wenn Sie sagen, die Bauern werden dem
- Tschitschikow davonlaufen. Ein rechter Russe ist zu allem fähig und
- gewöhnt sich an jedes Klima. Geben Sie ihm nur ein Paar warme
- Handschuhe, dann können Sie ihn schicken, wohin Sie wollen, meinetwegen
- bis nach Kamtschatka, der läuft ein bißchen herum, bis er warm ist,
- nimmt die Axt und baut sich eine neue Hütte.« »Aber lieber Iwan
- Grigorjewitsch, du hast eins ganz vergessen: du hast garnicht
- berücksichtigt, was das für Leute sind, die Tschitschikow da gekauft
- hat. Du vergißt ganz, daß ein Gutsbesitzer doch einen tüchtigen Kerl
- nicht so leicht ziehen läßt, ich möchte meinen Kopf dafür geben, daß das
- lauter Säufer, Trunkenbolde und wilde arbeitsscheue Leute sind.« --
- »Schon gut, das gebe ich zu, das ist freilich richtig, daß niemand einen
- tüchtigen Kerl verkaufen wird, und daß Tschitschikows Leute
- wahrscheinlich größtenteils Trinker sind, aber man muß doch beachten,
- daß ja gerade dies die Moral von der Geschichte ist: jetzt sind es
- vielleicht lauter Taugenichtse, wenn man sie aber ansiedelt, können
- plötzlich brave und tüchtige Untertanen daraus werden. Das ist doch
- nicht der erste Präzedenzfall in der Welt und in der Geschichte.« »Nie
- -- niemals,« versetzte der Verwalter der Staatsfabriken: »glauben Sie
- mir, das kann niemals passieren, denn gegen Tschitschikows Bauern werden
- sich jetzt zwei mächtige Feinde erheben. Der eine Feind -- das ist die
- Nähe der kleinrussischen Gouvernements, wo, wie bekannt, der
- Branntweinverkauf frei ist. Ich versichere Ihnen, in zwei Wochen werden
- sie dem Suff verfallen und Faullenzer und Tagediebe sein. Der zweite
- Feind -- das ist die Gewohnheit und der Hang zum Vagabundenleben, den
- sich die Bauern durch die Übersiedelung erwerben werden. Es müßte denn
- sein, daß Tschitschikow sie beständig im Auge behält und beaufsichtigt,
- er müßte sie sehr streng behandeln, für jede Kleinigkeit hart bestrafen
- und sich dabei nicht etwa auf einen anderen verlassen, sondern selbst
- überall, wo es nötig ist, Püffe und Maulschellen austeilen.« -- »Wozu
- soll Tschitschikow denn die Püffe selbst austeilen? Dazu kann er sich
- doch einen Verwalter nehmen.« -- »Ja finden Sie gefälligst einen guten
- Verwalter? Das sind lauter Gauner und Halunken!« -- »Sie sind nur darum
- Gauner, weil die Besitzer es eben nicht richtig anzustellen wissen.« --
- »Das ist richtig,« fielen hier viele ein. -- »Wenn der Gutsherr nun
- selbst etwas von der Landwirtschaft versteht, und seine Leute kennt --
- dann wird er immer einen tüchtigen Verwalter finden.« Aber der Direktor
- der Staatsfabriken wandte ein, für weniger als 5000 Rubel könne man
- keinen guten Verwalter finden. Dagegen bemerkte der Präsident, man könne
- auch schon für 3000 einen haben, worauf der Direktor erklärte: »Wo
- wollen Sie ihn denn hernehmen? Sie können ihn sich doch nicht aus der
- Nase ziehen?« worauf der Präsident versetzte: »Aus der Nase freilich
- nicht, nein, aber hier, im hiesigen Kreise, da gibt es einen, nämlich
- Peter Petrowitsch Samoilow: das ist der rechte Mann, wie ihn
- Tschitschikow für seine Bauern braucht!« Viele versuchten sich in
- Tschitschikows Lage zu versetzen, und die große Schwierigkeit, eine
- solche Menge von Bauern in einem fremden Lande anzusiedeln, erfüllte sie
- mit Angst und Besorgnis; jemand äußerte sogar die Befürchtung, es könne
- noch ein Aufruhr unter diesen unruhigen Elementen, wie die Bauern
- Tschitschikows es wären, ausbrechen. Darauf bemerkte der Polizeimeister,
- einen Aufruhr brauche man nicht zu befürchten; um dies zu verhindern,
- gebe es ja Gottlob eine Macht: nämlich den Kreisrichter; der
- Kreisrichter brauche sich nicht einmal selbst an Ort und Stelle zu
- begeben, sondern nur seinen Hut hinzusenden, dieser Hut würde schon
- genügen, um die Bauern zur Raison zu bringen, sodaß sie sich zerstreuen
- und ruhig nach Hause gehen würden. Viele äußerten ihre Ansichten und
- machten Vorschläge, wie der aufrührerische Geist niederzuhalten sei, der
- Tschitschikows Bauern ergriffen habe. Die Meinungen darüber gingen recht
- weit auseinander. Es gab solche, die sich gar zu sehr durch eine gewisse
- militärische Strenge und überflüssige Grausamkeit auszeichneten, und
- dann wieder andere, welche eine gewisse Milde ausströmten. Der
- Postmeister machte die Bemerkung, Tschitschikow sehe sich jetzt einer
- heiligen Pflicht gegenüber; er könne gewissermaßen der Vater seiner
- Bauern werden, und, wie er sich auszudrücken beliebte, eine wohltuende
- Aufklärung unter ihnen verbreiten. Bei dieser Gelegenheit unterließ er
- es nicht, sich höchst lobend über die Lancastersche Methode des
- gegenseitigen Unterrichts zu äußern.
- So redete und disputierte man in der Stadt, und viele teilten
- Tschitschikow aus persönlichem Interesse ihre Ansicht mit, gaben ihm
- gute Ratschläge und boten ihm sogar eine Eskorte an, um die Bauern auch
- sicher an ihren Bestimmungsort zu transportieren. Für die Ratschläge
- dankte Tschitschikow höflichst, indem er versprach, sie bei Gelegenheit
- zu verwerten, dagegen verzichtete er sehr entschieden auf die Eskorte
- und erklärte, sie sei vollständig überflüssig; die von ihm gekauften
- Bauern hätten einen ganz besonders friedfertigen Charakter. Sie würden
- den Umzug bereitwilligst mitmachen und begrüßten ihn sogar freudig. Von
- einem Aufruhr könne überhaupt nicht die Rede sein.
- All diese Gespräche und Unterhaltungen hatten indessen für Tschitschikow
- die allergünstigsten Folgen, die er für sich nur erhoffen konnte. Es
- verbreitete sich nämlich das Gerücht, er sei nicht mehr und nicht
- weniger als ein Millionär. Die Stadtbewohner hatten, wie wir schon im
- ersten Kapitel gesehen haben, Tschitschikow auch ohnedies in ihr Herz
- geschlossen. Nach diesen Gerüchten aber gewannen sie ihn noch weit
- lieber. Übrigens, um die Wahrheit zu sagen: es waren lauter brave,
- gutmütige Leute, die sich gut miteinander vertrugen, auf
- freundschaftlichem Fuße miteinander lebten, und ihre Unterhaltungen
- trugen den Stempel ganz besonderer Treuherzigkeit und Milde: »Lieber
- Freund, Ilja Iljitsch!« »Hör mal, Antipater Zararowitsch, mein Bester!«
- »Du schwindelst, Mütterchen, Iwan Grigorowitsch!« Zum Postmeister, der
- Iwan Andrejewitsch hieß, pflegte man gewöhnlich zu sagen: »Sprechen Sie
- deutsch, Iwan Andreitsch?«
- Mit einem Wort, es ging dort sehr familiär zu. Viele waren nicht ganz
- ohne Bildung: der Gerichtspräsident kannte sogar die »Ludmilla« von
- Shukowski auswendig, welche damals noch den vollen Reiz der Neuheit
- hatte, und er trug manche Stellen daraus geradezu meisterhaft vor, so
- zum Beispiel den Vers: »Es schläft der Wald, die Täler schlummern«, ganz
- besonders schön aber klang das Wort »hu« in seinem Munde, sodaß man
- tatsächlich zu sehen glaubte, wie die Täler schlummerten; um die
- Ähnlichkeit noch vollkommener zu machen, kniff er bei dieser Gelegenheit
- auch noch die Augen zusammen. Der Postmeister neigte mehr der
- Philosophie zu und las ganze Nächte hindurch sehr fleißig in Youngs
- »Nächten«, sowie im »Schlüssel zu den Geheimnissen der Natur« von
- Eckartshausen, aus dem er sich lange Exzerpte machte; worauf sie sich
- bezogen, konnte freilich niemand mit Bestimmtheit angeben. Übrigens war
- er ein großer Witzbold, er hatte eine überaus blühende Sprache und
- liebte es, wie er sich selbst ausdrückte, seine Rede »auszuschmücken«.
- Und zwar schmückte er seine Reden mit einer Menge von Flickworten aus,
- als da sind: »Lieber Herr, so und so, wissen Sie, verstehen Sie, können
- Sie sich vorstellen, gewissermaßen, sozusagen« und andre mehr, mit denen
- er nur so um sich warf; ferner schmückte er seine Reden noch recht
- geschickt durch ein verständnisinniges Augenblinzeln aus, oder indem er
- das eine Auge ganz zukniff, womit er vielen von seinen satirischen
- Anspielungen einen recht boshaften Ausdruck lieh. Auch die übrigen
- Herren waren meist recht gebildete und aufgeklärte Leute: der eine las
- Karamsin, der andre die »Moskauer Nachrichten« und ein dritter las sogar
- überhaupt _nichts_. Der eine war was man eine Schlafmütze zu nennen
- pflegt, d. h. ein Mensch, dem man immer erst einen kräftigen Rippenstoß
- geben muß, wenn man ihn zu etwas bewegen will, ein anderer war ganz
- einfach ein Faulpelz, der sein ganzes Leben lang auf der Bärenhaut lag
- und bei dem jeder Versuch vergeblich gewesen wäre, ihn überhaupt
- aufzurütteln, da er ja doch nicht aufgestanden wäre. Was ihr Äußeres
- anbelangt, so waren sie natürlich alle hübsche, stattliche,
- vertraueneinflößende Leute -- einen Schwindsüchtigen gab es unter ihnen
- nicht. Sie gehörten alle zu jener Menschengattung, welcher die Frauen in
- zärtlichen Schäferstündchen unter vier Augen Namen wie die folgenden zu
- geben pflegen: mein Dickerchen, mein lieber Dickwanst, mein
- Schnudelchen, mein Tönnchen, mein Moppelchen usw. Aber im allgemeinen
- war es ein guter Menschenschlag, liebe, freigiebige Leute, und ein
- Mensch, der ihre Gastfreundschaft genossen oder einen Abend mit ihnen am
- Whisttisch verbracht hatte, kam ihnen sehr schnell nahe und wurde
- gewissermaßen einer der ihren. -- Dies traf aber noch mehr auf
- Tschitschikow mit seinem bezaubernden Wesen zu, denn er kannte wirklich
- das Geheimnis, sich beliebt zu machen. Sie schlossen ihn so in ihr Herz,
- daß er garnicht wußte, wie er aus der Stadt herauskommen sollte; er
- hörte immer nur: »Ach nur noch eine Woche; bleiben Sie doch noch eine
- einzige Woche bei uns, Pawel Iwanowitsch« -- mit einem Worte, er wurde
- geradezu auf Händen getragen, wie man zu sagen pflegt. Aber
- unvergleichlich viel stärker und bedeutender, ja höchst erstaunlich und
- wunderbar war der Eindruck, den Tschitschikow auf die Damen machte. Um
- das einigermaßen verständlich zu machen, müßten wir eigentlich
- mancherlei über die Damen selbst sagen, über ihre Gesellschaften usw.,
- müßten sozusagen ihre seelischen Eigenschaften mit lebendigen
- leuchtenden Farben ausmalen: aber das wird dem Autor sehr schwer.
- Einerseits hält ihn seine unbegrenzte Achtung und Ehrfurcht vor den
- Gattinnen der hohen Beamten davon ab, und andererseits ... ja
- andererseits ... ist es eben einfach sehr schwierig. Die Damen der Stadt
- N. waren ... nein es geht unmöglich: tatsächlich, ich habe Angst. -- Was
- an den Damen der Stadt N. am bemerkenswertesten war ... Nein, es ist zu
- seltsam, die Feder will nicht vom Fleck, wie wenn sie ein Bleiklumpen
- wäre. Also gut: ich werde es wohl schon einem andern überlassen müssen,
- der eine reichere Auswahl von hellen und leuchtenden Farben auf seiner
- Palette hat, als ich, ihren Charakter zu schildern; wir werden uns
- darauf beschränken müssen, zwei, drei Worte über ihr Äußeres und das,
- was gewissermaßen mehr an der Oberfläche liegt, zu sagen. Die Damen der
- Stadt N. waren das, was man präsentabel nennt, und in dieser Beziehung
- dürften alle Frauen sie sich zum Muster nehmen. Was korrektes Benehmen,
- was guten Ton, Etikette und jene feinsten und zartesten Gebote des
- Anstands anbelangt, vor allem was die Beobachtung der Mode in ihren
- letzten Einzelheiten anbetrifft, so waren sie hierin selbst den
- Petersburger und Moskauer Damen um eine Ellenlänge voraus. Sie kleideten
- sich mit großem Geschmack, fuhren in schönen Equipagen durch die Stadt:
- wie die letzte Mode dies vorschrieb, begleitet von einem Lakai mit
- goldenen Tressen, der auf dem Trittbrett hin- und herschwankte. Eine
- Visitenkarte war, selbst wenn der Name auf einer Treff-Zwei oder einem
- Karo-Aß stand, eine heilige Sache. Zwei Damen, die vordem große
- Freundinnen und Basen gewesen waren, kamen wegen solch einer
- Visitenkarte ganz auseinander -- eine von ihnen hatte es nämlich
- unterlassen, der anderen einen Gegenbesuch abzustatten. Und so sehr sich
- ihre Männer und Verwandten nachher bemühten, sie wieder zu versöhnen, es
- war vergebens -- es stellte sich vielmehr heraus, daß alles auf der Welt
- möglich ist, nur dies eine nicht: zwei Damen zu versöhnen, die sich
- wegen eines unterlassenen Gegenbesuches verfeindet haben. Die Damen
- verharrten also in »gegenseitiger Abneigung«, wie sich die Gesellschaft
- der Stadt ausdrückte. Wegen der Frage, wem der Vorrang gebühre, gab es
- auch eine Menge äußerst erregter Auftritte, welche in den Herren oftmals
- höchst erhabene und ritterliche Vorstellungen von ihrer Beschützerrolle
- entstehen ließen. Zu einem Duell kam es unter ihnen natürlich nicht,
- weil sie alle Zivilbeamte waren; dafür aber suchten sie einander etwas
- am Zeuge zu flicken, wo sie nur konnten, was bekanntlich unter Umständen
- weit schwieriger ist als ein Duell. In ihren Sitten waren die Damen der
- Stadt N. sehr streng und voll edler Entrüstung gegen alle Laster und
- Versuchungen, sie verurteilten unbarmherzig jede Schwäche, wo sie nur
- eine solche wahrnahmen. Und wenn in ihrem Kreise selbst etwas vorkam,
- was man das eine oder andere nennt, so spielte es sich stets ganz im
- Geheimen ab, und niemand ließ sich merken, was eigentlich vorgegangen
- war. Das Dekorum wurde stets gewahrt. Selbst der Mann wurde rechtzeitig
- vorbereitet, sodaß er, auch wenn er dies eine oder andere bemerkte oder
- davon hörte, kurz und bündig antworten konnte: »Was ich nicht weiß,
- macht mich nicht heiß,« wie das Sprichwort sagt. Hier muß noch erwähnt
- werden, daß die Damen der Stadt N. sich wie ihre Petersburger
- Gefährtinnen stets einer großen Vorsicht und eines sicheren Taktes in
- Worten und Ausdrücken befleißigten. Niemals hörte man sie sagen: »Ich
- habe mich geschneuzt.« »Ich schwitze.« »Ich habe ausgespuckt,« sondern
- sie drückten sich stattdessen folgendermaßen aus: »Ich habe mir die Nase
- geputzt« oder »Ich habe von meinem Taschentuch Gebrauch gemacht.« Unter
- keinen Umständen aber durfte man sagen: »Dieses Glas oder dieser Teller
- stinkt.« Ja, man durfte nicht einmal etwas sagen, was wie eine
- Anspielung darauf erscheinen konnte, sondern, man wählte stattdessen
- einen Ausdruck wie den folgenden: »Dieses Glas benimmt sich nicht gut«
- oder sonst etwas in dieser Art. Um die russische Sprache noch mehr zu
- veredeln, wurde nahezu die Hälfte aller Worte aus dem Sprachgebrauch
- verbannt, weswegen man sehr oft seine Zuflucht zum Französischen nehmen
- mußte. Das war dann eine ganz andere Sache. Im Französischen waren noch
- ganz andere, weit kräftigere Worte gestattet als die oben erwähnten. Das
- also ist es, was sich von den Damen der Stadt N., oberflächlich
- gesprochen, sagen läßt. Freilich, wenn man etwas tiefer hineinblickte,
- so würden noch ganz andere Dinge zum Vorschein kommen; aber es ist sehr
- gefährlich, zu tief in ein Frauenherz zu blicken. Ich bleibe also an der
- Oberfläche und fahre fort. Bis dahin hatten alle Damen merkwürdigerweise
- nur wenig von Tschitschikow gesprochen, obwohl sie ihm natürlich, was
- seine angenehmen und weltmännischen Umgangsformen anbelangt, volle
- Gerechtigkeit widerfahren ließen. Aber seitdem sich das Gerücht von
- seinen Millionen verbreitet hatte, wurde die Aufmerksamkeit auch auf
- seine sonstigen Eigenschaften gelenkt. Übrigens waren unsere Damen
- keineswegs eigennützig oder gar habgierig. An alledem war nur das Wort
- Millionär -- nicht der Millionär selbst, sondern eben das Wort allein
- schuld; denn in dem bloßen Klang dieses Wortes ist neben der Anspielung
- auf den Geldsack noch ein gewisses Etwas enthalten, welches in gleicher
- Weise auf die Schurken wie auf die guten Menschen und auch die, welche
- weder das eine noch das andere sind, einen starken Eindruck macht; mit
- einem Wort, es verfehlt seine Wirkung auf keinen. Der Millionär hat den
- Vorzug, daß er die ganz uneigennützige Niedertracht, die reine
- Niedertracht, die auf keinerlei Berechnung und Hintergedanken beruht,
- vortrefflich beobachten kann: Viele Menschen wissen sehr gut, daß sie
- nichts von ihm bekommen werden und auch gar keinen Anspruch darauf
- haben, und doch laufen sie vor ihm her, lächeln ihm freundlich zu,
- nehmen den Hut vor ihm ab, oder provozieren eine Einladung zu einem
- Mittagessen, an dem der Millionär teilnehmen wird. Man kann nicht sagen,
- daß diese sanfte Hinneigung zur Niedertracht auch von den Damen geteilt
- wurde. Allein man fing doch in vielen Salons an, darüber zu reden, daß
- Tschitschikow zwar kein Ausbund von Schönheit, aber doch ein stattlicher
- Mann sei, wie er sein soll, und daß er schon nicht mehr so hübsch wäre,
- wenn er auch nur ein ganz klein wenig dicker und voller wäre. Bei dieser
- Gelegenheit fielen sogar einige beinahe verletzende Worte über die
- dünnen Männer: das seien ja eigentlich Zahnstocher und keine Männer. An
- den Toiletten der Damen konnte man auch allerhand Ergänzungen
- wahrnehmen. Auf dem Tuchmarkt herrschte ein großes Gedränge, man schob
- und stieß sich dort geradezu. Es war die reinste Kirmeß. Soviel
- Equipagen reihten sich aneinander. Die Kaufleute waren erstaunt, als sie
- sahen, daß ein paar Tuchsorten, die sie von der Messe mitgebracht und
- wegen ihres allzu hohen Preises bisher nicht hatten loswerden können,
- eine gesuchte Ware wurden und reißenden Absatz fanden. Während des
- Gottesdienstes bemerkte man bei einer der Damen unten am Kleide eine
- Schleppe, welche den Rock so aufbauschte, daß er die ganze Kirche
- einnahm, und daß der anwesende Polizeikommissar dem Volke befehlen
- mußte, Platz zu machen und sich in die Vorhalle zurückzuziehen, um das
- Kleid der Gnädigen nicht zu beschädigen. Auch Tschitschikow mußte
- schließlich etwas von der ungewöhnlichen Aufmerksamkeit auffallen, die
- ihm gezollt wurde. Als er eines schönen Tages zu sich nach Hause kam,
- fand er einen Brief auf seinem Schreibtisch. Es ließ sich durchaus nicht
- herausbekommen, von wem er stammte und wer ihn gebracht habe: Der
- Kellner erzählte, der Überbringer habe ihm verboten, zu sagen, wer der
- Absender sei. Der Brief fing sehr bestimmt und entschlossen an und zwar
- folgendermaßen: »Nein, ich muß dir schreiben!« Dann war davon die Rede,
- daß es eine geheime Sympathie der Seelen gebe, und diese Wahrheit fand
- ihre Bekräftigung in einer Reihe von Punkten und Gedankenstrichen,
- welche beinahe eine halbe Zeile einnahmen. Weiter folgten einige
- Sentenzen, deren Richtigkeit ihnen eine so hohe Bedeutung verleiht, daß
- wir es fast für unsere Pflicht halten, sie hier anzuführen: »Was ist
- unser Leben? -- Ein Tal, in dem sich unsere Leiden angesiedelt haben.
- Was ist die Welt? -- Ein Haufen von Menschen, der nichts empfindet.«
- Hierauf erwähnte die Schreiberin, daß sie die Briefe ihrer zärtlichen
- Mutter, welche seit fünfundzwanzig Jahren nicht mehr auf der Welt sei,
- mit Tränen benetze; sie forderte Tschitschikow auf, ihr in eine Wüste zu
- folgen und die Stadt für immer zu verlassen, wo die Menschen in der
- Gefangenschaft geistiger Mauern und aus Luftmangel erstickten; das Ende
- des Briefes strömte sogar eine wirkliche Verzweiflung aus, und folgende
- Zeilen bildeten den Abschluß:
- Zwei Turteltäubchen bringen
- Dich flugs zum Grabesstein,
- Sie werden girren und singen
- Dir von meiner Todespein.
- In der letzten Zeile war zwar das Versmaß nicht ganz in Ordnung, aber
- das machte nichts: der Brief war ganz im Geiste der damaligen Zeit. Auch
- fehlte die Unterschrift, der Vor- und Familienname, selbst Datum und
- Jahreszahl fehlten. In einem Postskriptum hieß es bloß, Tschitschikows
- eigenes Herz müsse die Schreiberin des Briefes erraten, und auf dem Ball
- des Gouverneurs, der morgen stattfinde, werde das Original persönlich
- zugegen sein.
- Das war alles sehr interessant. In der Anonymität lag soviel Reiz und
- Lockung, soviel was die Neugierde herausforderte, daß Tschitschikow den
- Brief noch ein zweites und drittes Mal überlas und schließlich ausrief:
- »Es wäre doch höchst interessant, zu erfahren, wer eigentlich die
- Schreiberin ist!« Mit einem Wort, die Sache begann ersichtlich eine
- ernste Wendung zu nehmen; mehr als eine Stunde sann er über sein
- seltsames Abenteuer nach, dann machte er eine nachlässige Gebärde, ließ
- den Kopf herabsinken und murmelte: »Der Brief hat doch etwas
- außerordentlich Geziertes!« Hierauf wurde der Bogen, wie sich das von
- selbst versteht, sorgfältig zusammengefaltet und in die Schatulle
- gelegt, wo er in nächster Nachbarschaft mit einem Theaterzettel und
- einer Hochzeitseinladung zu liegen kam, welche nun schon sieben Jahre
- unberührt auf demselben Flecke lag. Bald darauf brachte man ihm
- tatsächlich eine Einladung zum Ball beim Gouverneur. Das ist in
- Provinzstädten etwas sehr Gewöhnliches: wo es einen Gouverneur gibt, da
- muß es auch Bälle geben, sonst könnte es der Adel leicht an der
- gebührenden Liebe und Achtung fehlen lassen.
- Er ließ nun sofort alles nicht zur Sache Gehörige liegen und machte sich
- davon frei, um sich voll und ganz den Vorbereitungen zum Balle zu
- widmen; denn dazu gab's so manchen Sporn und Stachel. Dafür ist aber
- wohl auch noch nie seit Erschaffung der Welt soviel Zeit und Sorgfalt
- auf die Toilette verwendet worden. Die Besichtigung und Prüfung des
- eigenen Angesichts vor dem Spiegel nahm allein eine ganze Stunde in
- Anspruch. Er versuchte es, seinem Antlitz eine ganze Reihe und Skala
- verschiedenartigster Ausdrücke zu verleihen: bald sollte es Ernst und
- Würde, bald eine gewisse durch ein Lächeln gemilderte Achtung, bald
- wieder nur Achtung ohne jedes Lächeln widerspiegeln; dann verbeugte er
- sich einige Male vor dem Spiegel, welche Bewegung von einigen
- unartikulierten Lauten begleitet wurde, die einige Ähnlichkeit mit
- französischen Worten hatten, obwohl Tschitschikow absolut kein
- Französisch verstand. Hierbei bereitete er sich selbst eine Menge höchst
- angenehmer Überraschungen, zwinkerte sich mit den Augenbrauen und den
- Lippen zu und bewegte sogar die Zunge ein paar Mal hin und her; du
- lieber Gott, was macht man nicht alles, wenn man mit sich allein und
- sich bewußt ist, daß man ein schöner Mann ist, und noch dazu die sichere
- Überzeugung hat, daß niemand durch das Schlüsselloch guckt. Endlich
- kraute er sich noch ein bißchen am Kinn und sagte: »Ei, ei, du kleiner
- Bullenbeißer!« und begann sich anzuziehen. Während dieses Prozesses
- befand er sich die ganze Zeit über in der glücklichsten Stimmung: wenn
- er die Hosenträger anlegte, oder sich den Schlips umband, machte er
- Kratzfüße, anmutige Verbeugungen und sogar einen Luftsprung, obwohl er
- nie tanzen gelernt hatte. Dieser Luftsprung hatte nun allerdings einige
- Folgen, die übrigens recht harmloser Natur waren: die Kommode fing an zu
- zittern, und die Kleiderbürste fiel vom Tisch herunter.
- Sein Erscheinen auf dem Ball machte einen ganz außerordentlichen
- Eindruck. Alle Anwesenden eilten ihm entgegen -- der eine hatte noch ein
- Spiel Karten in der Hand, ein anderer brach das Gespräch am
- interessantesten Punkte ab, als er gerade sagte: »Und denken Sie,
- hierauf erwiderte das Kreisgericht ...« Was das Kreisgericht eigentlich
- erwiderte, führte er gar nicht mehr aus, und stürmte auf unseren Helden
- los, um ihn zu begrüßen: »Pawel Iwanowitsch!« »O, mein Gott, Pawel
- Iwanowitsch!« »Lieber Pawel Iwanowitsch!« »Verehrtester Pawel
- Iwanowitsch!« »Pawel Iwanowitsch, Herzchen!« »Da sind Sie ja Pawel
- Iwanowitsch!« »Da ist er, _unser_ Pawel Iwanowitsch!« »Lassen Sie sich
- umarmen, Pawel Iwanowitsch!« »Her mit ihm, seien Sie recht herzlich
- geküßt, mein teurer Pawel Iwanowitsch!« Tschitschikow fühlte, wie er
- fast gleichzeitig von mehreren umarmt wurde. Er hatte noch nicht Zeit,
- sich aus der Umarmung des Gerichtspräsidenten zu befreien, als ihn schon
- der Polizeimeister in _seine_ Arme schloß, dieser gab ihn an den
- Inspektor des Sanitätswesens weiter, der Inspektor an den
- Branntweinpächter, der Branntweinpächter an den Stadtbaumeister .... Der
- Gouverneur, der währenddessen mit ein paar Damen zusammenstand und in
- der einen Hand einen Zettel aus einer Bonbonniere, in der andern ein
- Bologneserhündchen hielt, ließ, als er Tschitschikow erblickte, beides
- -- Zettel und Hündchen -- auf den Boden fallen, sodaß das Hündchen laut
- aufheulte ... mit einem Wort, der Ankömmling verbreitete Heiterkeit und
- Freude um sich her. Es gab kein Gesicht, das nicht vor Vergnügen
- strahlte, oder doch wenigstens etwas von der allgemeinen Freude
- widerspiegelte. So glänzen die Gesichter der Beamten während des Besuchs
- ihres Chefs, der gekommen ist, die ihrer Leitung unterstehenden Ressorts
- zu inspizieren; nachdem der erste Schreck vorüber ist, bemerken sie, daß
- manches seinen Beifall findet, ja daß er sich sogar leutselig zu einem
- kleinen Scherz herabläßt, d. h. ein paar Worte sagt und angenehm dazu
- lächelt -- und nun lachen die ihn umringenden, ihm zunächst stehenden
- Beamten doppelt herzlich, und ebenso herzlich lachen jene, die zwar die
- gesprochenen Worte kaum gehört und noch weniger verstanden haben, ja
- selbst der weit abseits an der Tür stehende Polizist, der noch nie in
- seinem Leben gelacht, und eben erst dem Volke die Faust gezeigt hat --
- selbst er verzieht nach den unwandelbaren Gesetzen der Reflexion und der
- Nachahmung sein Gesicht zu einem Lächeln, welches aber so wenig
- Ähnlichkeit mit einem Lächeln hat, daß man eher meinen könnte, er habe
- eine starke Prise genommen und müsse nun niesen. Unser Held beglückte
- alle und jeden einzelnen mit einer Antwort und fühlte sich ganz
- außergewöhnlich leicht und sicher: er verneigte sich nach rechts und
- nach links, und zwar etwas seitwärts, wie das seine Gewohnheit war, aber
- doch so ungezwungen, daß er alle Anwesenden entzückte. Die Damen
- umringten ihn sogleich wie eine glänzende Girlande und hüllten ihn in
- eine Wolke von Wohlgerüchen aller Art ein: die eine roch nach Rosen, die
- andere brachte den Duft von Veilchen und Frühling mit, die dritte
- strömte einen starken Resedaduft aus. Tschitschikow hob bloß die Nase
- und zog den süßen Duft ein. In ihren Toiletten entwickelten sie
- unendlich viel Geschmack; die Farben ihrer Mousselin-, Atlas- und
- Tüllstoffe waren von einer so modernen Blässe und Mattigkeit, daß es
- schwer wäre, auch nur einen Namen für jede Nuance zu finden -- eine
- solche Höhe und Feinheit hatte Kultur und Geschmack hier erreicht!
- Schleifen, Bänder und Blumensträuße umflatterten die Kleider in
- malerischer Unordnung, obwohl an dieser Unordnung manch ordentlicher
- Kopf sich viele Stunden abgemüht hatte. Der leichte Kopfputz ruhte
- allein auf den Ohren und schien sagen zu wollen: »Halt! Ich fliege fort!
- Schade nur, daß ich meine Schöne nicht mit mir forttragen kann!« Sie
- hatten alle stark und eng geschnürte Taillen, welche dem Auge feste und
- angenehme Formen darboten. (Bei dieser Gelegenheit muß ich erwähnen, daß
- alle Damen der Stadt N. sich durch eine gewisse Fülle auszeichneten,
- aber sie verstanden es, sich so kunstvoll zu schnüren und hatten dabei
- so angenehme Umgangsformen, daß man es ihnen garnicht anmerkte, daß sie
- dick waren). Alles war bei ihnen wohldurchdacht und zeugte von Umsicht
- und Ueberlegung: der Hals und die Schultern waren nur gerade so weit
- entblößt, als es unumgänglich notwendig war, auch nicht um einen Zoll
- weiter: eine jede zeigte von ihren Besitzungen nur gerade soviel, als
- nach ihrem eigenen Gefühl und ihrer Überzeugung nötig war, um einen Mann
- zugrunde zu richten; der Rest war mit großem Takt und Geschmack verhüllt
- und zugedeckt: irgend ein leichtes Halstuch aus einem Band, das noch
- leichter und luftiger war, als jenes Gebäck, welches unter dem Namen
- »Baiser« oder »Kuß« bekannt ist, schlang sich ätherisch um den Hals,
- oder es ragte im Nacken unter dem Kleide eine kleine Spitzenwand aus
- feinem Battist hervor, die man bei uns zu Lande »Sittenschild« zu nennen
- pflegt. Diese Spitzenwand bedeckte vorn und hinten all das, was zwar
- keinen Mann mehr zugrunde richten konnte, doch aber den Argwohn rege
- hielt, daß gerade hier das eigentliche Verderben lauere. Lange
- Handschuhe, die nicht ganz bis zu den Ärmeln reichten, ließen die
- reizenden Teile des Armes oberhalb des Ellenbogens frei, welche bei
- vielen eine beneidenswerte Fülle erkennen ließen; bei manchen waren die
- Glacéhandschuhe sogar geplatzt, da sie zu hoch hinaufgeschoben waren --
- mit einem Wort, es war so, als ob ein jedes Ding hätte sagen wollen:
- »Nein, dies ist keine Provinz, das ist Paris!« Nur hie und da guckte
- plötzlich eine Haube, wie noch nie ein Mensch sie gesehen hat, oder eine
- Pfauenfeder, oder sonst was, das jeder Mode Hohn sprach und einer
- Eingebung des eigensten Geschmackes entsprang, hervor. Aber ohne das
- geht es halt nicht ab -- das ist nun einmal die Eigentümlichkeit einer
- Provinzstadt: es gibt immer einen Punkt, wo sie sozusagen aus der Rolle
- fällt. Tschitschikow stand vor den Damen und dachte sich: »Welche ist
- denn nun aber die Verfasserin des Briefes?« Er versuchte es, einen
- Augenblick seine Nase hervorzustrecken; aber da stieß er mit ihr gegen
- eine ganze Reihe von Ellenbogen, Aufschlägen, Ärmeln, Schleifen,
- duftigen Hemdchen und Kleidern. Eine wilde Galoppade jagte wie toll an
- ihm vorüber: die Frau des Postmeisters, der Kreisrichter, eine Dame mit
- einer blauen Feder, eine Dame mit einer weißen Feder, der Georgische
- Prinz Tschiphaihilidsew, ein Beamter aus Petersburg, ein Beamter aus
- Moskau, ein Franzose namens Coucou, ein Herr Perchunowski und ein Herr
- Berebendowski -- dies alles wuchs plötzlich vor ihm aus der Erde und
- stürmte davon ....
- »Da haben wir die Provinz!« murmelte Tschitschikow, indem er zurückwich.
- Aber als sich dann die Damen auf ihre Plätze begaben, fing er wieder an,
- auszuschauen, ob er nicht nach dem Ausdruck des Gesichts und der Augen
- erkennen könne, welche die Verfasserin des Briefes sei; allein weder die
- Gesichter noch die Augen wollten ihm verraten, wer die Unbekannte sei.
- Überall auf jedem Antlitz schwebte etwas kaum Merkliches, unendlich
- Feines -- oh! wie Feines ...! »Nein,« sagte Tschitschikow zu sich
- selbst: »Die Frau -- das ist ein Objekt« -- hierbei machte er eine
- sprechende Handbewegung -- »darüber ist überhaupt kein Wort zu
- verlieren! Es soll mal einer versuchen, all das zu erzählen oder
- wiederzugeben, was über ihr Gesicht huscht, all diese Schlangenwindungen
- und dies Wellengekräusel ... das läßt sich eben garnicht ausdrücken!
- Ihre Augen allein sind ein so unendliches, grenzenloses Reich, wenn sich
- da ein Mensch hinein verirrt, dann ist er verloren! Da holt ihn kein
- Haken und keine Winde wieder heraus. Versuch' doch mal einer ihren Glanz
- zu beschreiben: diesen feuchten, samtnen, zuckersüßen Glanz ... Gott
- allein weiß, was es nicht alles für Arten solchen Glanzes gibt: einen
- harten und weichen, ja selbst einen matten oder wie einige sich
- ausdrücken, >wonnetrunkenen< Glanz und dann wieder einen ohne
- Trunkenheit, der aber noch weit gefährlicher ist -- der einen nur so
- beim Herzen packt und wie mit dem Fidelbogen über die Seele fährt. Nein,
- da findet man kein Wort dafür: Es ist halt die >jalante< Hälfte des
- Menschengeschlechts und weiter nichts!«
- Oh weh! Ich fürchte, unserem Held entschlüpfte ein Wort, das er von der
- Straße her kannte. Aber was soll ich tun? Das ist nun einmal das Los des
- Schriftstellers in Rußland! Aber selbst wenn ein Wort von der Straße in
- dies Buch hineingetragen wäre, so ist das nicht die Schuld des
- Schriftstellers, sondern die der Leser und vor allem der Leser aus den
- besseren Gesellschaftskreisen: sie sind die ersten, von denen man kein
- anständiges russisches Wort zu hören bekommt, sie beglücken euch mit
- deutschen, französischen und englischen Reden in solchem Übermaß, daß
- man gern darauf verzichten würde, und selbst mit Beibehaltung und
- Wahrung jeder nur möglichen Aussprache: sprechen das Französisch durch
- die Nase oder schnarren es, reden englisch wie irgend ein Vogel es nicht
- besser fertig brächte, ja sie machen ein richtiges Vogelgesicht dazu und
- lachen einen noch aus, wenn man ihnen dies nicht nachmachen kann. Das
- einzige, was sie sorgfältig vermeiden, ist alles Russische -- höchstens
- lassen sie sich auf dem Lande eine Villa in russischem Stile bauen. So
- sind nun mal die Leser aus den höheren Ständen, und alle, die sich
- selbst zu den höheren Ständen rechnen! Aber andererseits wieder: welche
- Strenge, welche Ansprüche! Sie wollen durchaus, daß alles in einem
- absolut korrekten, reinen und edlen Stile abgefaßt werde -- wollen mit
- einem Wort, daß die russische Sprache wie von selbst, ganz reif und
- fertig aus den Wolken herabfalle und sich ihnen auf die Zunge setze,
- sodaß sie nur den Mund zu öffnen und ihr freien Lauf zu lassen brauchen.
- Die weibliche Hälfte des Menschengeschlechts ist freilich höchst
- rätselhaft; aber ich muß gestehen, die verehrten Herren Leser sind mir
- oft noch weit rätselhafter.
- Unterdessen wurde Tschitschikows Ratlosigkeit immer größer, wie er die
- Verfasserin des Briefes unter allen anwesenden Damen herauserkennen
- sollte. Er machte noch einen Versuch, jede einzelne von den Damen mit
- forschendem Blick zu mustern und bemerkte, daß in den Augen der holden
- Weiblichkeit ein Etwas aufblitzte, was Hoffnung und süße Qual ins Herz
- des armen Sterblichen einziehen ließ, sodaß er schließlich ausrief:
- »Nein, es ist vergebens, ich errate es doch nicht!« Das hatte indessen
- nicht den geringsten Einfluß auf seine gute Laune, die ihn die ganze
- Zeit über nicht verließ. In seiner galanten ungezwungenen Art wechselte
- er ein paar liebenswürdige Worte mit einigen Damen, ging mit schnellen
- kleinen Schritten bald auf die eine und bald auf die andere zu, wie das
- jene alten Gecken auf hohen Absätzen, welche man in Rußland
- »Mäusehengste« nennt, zu tun pflegen, die sich gewandt und leicht um die
- Damen herumbewegen. Wenn er sich schnell und sicher zwischen den
- einzelnen Menschengruppen durchgewunden hatte, machte er einen Kratzfuß
- und schlug dabei mit dem Füßchen ein wenig aus, was gewissermaßen die
- Bedeutung eines Schnörkels oder eines Häkchens am Namenszug hatte. Die
- Damen waren sehr glücklich und befriedigt und entdeckten an ihm nicht
- nur einen ganzen Haufen von angenehmen und liebenswürdigen Seiten,
- sondern fanden sogar etwas Majestätisches, Kriegerisches und
- Martialisches im Ausdruck seines Gesichts, was den Frauen bekanntlich
- sehr gefällt. Ja man hätte sich seinetwegen beinahe ein wenig gezankt:
- es war bald von vielen bemerkt worden, daß Tschitschikow meist in der
- Nähe der Türe stand, und nun suchte alles die der Türe zunächstehenden
- Stühle zu besetzen, und als hierbei eine der Damen einer andern
- zuvorkam, hätte es beinahe einen unangenehmen Auftritt gegeben, wobei
- viele, die es selbst gern ebenso gemacht hätten, höchst empört über
- diese Unverfrorenheit und Taktlosigkeit waren.
- Tschitschikow verwickelte sich bald in eine lebhafte Unterhaltung mit
- den Damen, oder wurde vielmehr von diesen in eine lebhafte Unterhaltung
- verwickelt, wobei er von ihnen mit einer wahren Fülle höchst feiner und
- geistreicher allegorischer Bemerkungen überschüttet wurde, die alle
- gedeutet und enträtselt werden mußten, so daß ihm der Schweiß auf die
- Stirn trat, und er sogar die vornehmste Anstandsregel zu erfüllen
- vergaß: nämlich der Frau des Hauses seine Aufwartung zu machen. Er
- erinnerte sich erst daran, als er dicht neben sich die Stimme der Frau
- Gouverneurin vernahm, die ihm schon einige Minuten lang gegenüberstand.
- Die Gouverneurin schüttelte freundlich den Kopf und sagte in zärtlichem
- und etwas schelmischem Tone zu ihm: »So sind Sie also, Pawel
- Iwanowitsch! ...« Ich kann die Rede der Gouverneurin hier nicht genau
- reproduzieren, ich weiß nur, daß sie ihm einige äußerst freundliche und
- liebenswürdige Worte sagte, in der Art, wie sich die Damen und Kavaliere
- in den Romanen und Erzählungen unserer vornehmsten Schriftsteller
- auszudrücken pflegen, die mit besonderer Vorliebe das Leben in unseren
- Salons beschreiben und bei dieser Gelegenheit merken lassen, daß sie
- große Kenner des feinen Tones sind: sie sagte etwa: »Hat man sich
- bereits so sehr Ihres Herzens bemächtigt, daß darin gar kein Plätzchen,
- ja nicht einmal ein kleiner Winkel für die übrig geblieben ist, die Sie
- in so hartherziger Weise vergessen konnten?« Unser Held wandte sich
- sogleich an die Gouverneurin und war schon im Begriff, ihr mit einer
- Antwort aufzuwarten, die sicherlich nicht schlechter gewesen wäre, als
- die, welche wir in unseren modernen Romanen und Novellen von den
- Swonskijs, Linskis, Lidins, Gremins und andern weltmännisch-gewandten
- Militärpersonen hören können, als er unwillkürlich die Augen aufschlug
- und plötzlich wie vom Schlage gerührt stehen blieb.
- Vor ihm stand die Gouverneurin, aber nicht allein: sie hielt ein
- sechzehnjähriges junges Mädchen am Arm, eine frische Blondine, mit
- feinen regelmäßigen Zügen, spitzem Kinn und schön gerundetem Oval des
- Gesichts, das wohl einem Künstler als Modell zu einer Madonna hätte
- dienen können, wie man es in Rußland nur selten findet, wo alle Dinge
- mehr ins Weite schweifen: Berge und Wälder, Steppen, Gesichter, Lippen
- und Füße -- es war dieselbe Blondine, welcher er unterwegs begegnet war,
- als er von Nosdrjow kam, und als ihre Wagen durch die Dummheit der
- Kutscher oder der Pferde auf so seltsame Weise zusammenstießen und mit
- ihrem Geschirr in einander gerieten, und als Onkel Mitjai und Onkel
- Minai den Knoten der Verwirrung lösen wollten. Tschitschikow wurde so
- verlegen, daß er kein vernünftiges Wort über die Lippen bringen konnte
- und einen so tollen Blödsinn herausstotterte, wie ihn allerdings weder
- Gremin noch Swonskij noch Lidin jemals vom Stapel gelassen hätten.
- »Kennen Sie meine Tochter noch nicht?« sagte die Gouverneurin. »Sie hat
- soeben das Pensionat verlassen.«
- Er erwiderte, er habe bereits das Vergnügen gehabt, ganz unerwartet ihre
- Bekanntschaft zu machen; dann wollte er noch etwas hinzufügen, aber das
- mißglückte ihm vollständig. Nachdem die Gouverneurin noch ein paar Worte
- gesagt hatte, entfernte sie sich mit ihrer Tochter nach dem andern Ende
- des Saals, um sich den andern Gästen zu widmen, und ließ Tschitschikow
- wie angewurzelt stehen. Lange noch stand er auf demselben Fleck wie ein
- Mensch, welcher heiter auf die Straße hinaustritt, um einen Spaziergang
- zu machen, dessen Augen jedem Eindruck der Umgebung offen stehen, und
- der plötzlich stehen bleibt, weil er sich erinnert, daß er noch etwas
- vergessen hat; man kann sich überhaupt nichts Unbehilflicheres
- vorstellen, als solch einen Menschen: Mit einem Schlage ist die
- unbesorgte Miene von seinem Gesichte verschwunden. Mühsam sucht er sich
- zu erinnern, was er denn eigentlich vergessen hat: das Taschentuch? Aber
- das Taschentuch steckt in der Tasche! Sein Geld? Aber auch das Geld ist
- da! Nichts scheint zu fehlen, und doch raunt ihm ein unbekannter Dämon
- ins Ohr, er habe dennoch etwas vergessen. Verwirrt und kopflos blickt er
- auf die vorüberwogende Menge, die vorbeijagenden Equipagen, auf die
- Helme und Gewehre der Soldaten, die Aushängeschilder usw. und doch kommt
- ihm nichts klar zu Bewußtsein. So auch wurde Tschitschikow allem
- entfremdet, was um ihn her vor sich ging. Unterdessen flogen ihm von
- duftigen Frauenlippen mancherlei Fragen und Anspielungen zu, die
- Feinheit und Zärtlichkeit atmeten. »Dürften wir armen Erdenbewohner uns
- wohl erkühnen, Sie zu fragen, worüber Sie nachsinnen?« -- »Wo liegen die
- seligen Gefilde, wo Ihr Gedanke weilt?« -- »Kann man den Namen
- derjenigen erfahren, die Sie in dieses holde Tal der Träume gelockt
- hat?« Aber er beachtete keine dieser Fragen, und die freundlichen Worte
- waren wie in den Wind gesprochen, ja er war so unliebenswürdig, daß er
- die Damen ruhig stehen ließ und sich nach der andern Seite des Saales
- begab, um auszuspähen, wohin die Gouverneurin mit ihrer Tochter
- entschwunden war. Aber die Damen wollten ihn doch nicht so leichten
- Kaufes davonkommen lassen -- eine jede von ihnen war innerlich fest
- entschlossen, keins von jenen Mitteln, die unsern Herzen so gefährlich
- werden und keinen ihrer stärksten Reize unbenutzt zu lassen. Hier muß
- ich einschalten, daß einige Damen, ich sage einige und keineswegs alle
- -- an einer kleinen Schwäche leiden: wenn sie etwas Reizvolles an sich
- bemerken, sei es nun die Stirn, der Mund oder die Hände -- dann denken
- sie gleich, dieser höchste Vorzug müsse auch allen anderen sofort
- auffallen, sodaß alle wie ein Mann ausrufen sollten: »Seht, seht doch
- nur, was sie für eine herrliche griechische Nase hat!« oder »Welch eine
- entzückende regelmäßige Stirn!« Hat aber gar eine schöne Schultern, dann
- ist sie im voraus überzeugt, daß alle jungen Leute von ihrem Anblick
- ganz benommen sind und unbedingt ausrufen werden, wenn sie vorübergeht:
- »Nein, was hat sie für herrliche Schultern!« während sie Gesicht, Haare,
- Augen und Stirne keines Blickes würdigen, und wenn sie doch hinsehen,
- diese Dinge als etwas ganz Nebensächliches behandeln werden. Wie gesagt,
- so denken einzelne unter den Damen. Diesen Abend aber hatte sich eine
- jede geschworen, beim Tanz so entzückend wie möglich zu erscheinen und
- die Vorzüge ihrer größten Reize in vollem Glanze erstrahlen zu lassen.
- Die Frau Postmeisterin ließ, während sie sich nach den Klängen eines
- Walzers drehte, ihr Köpfchen so matt und müde auf die Schulter sinken,
- daß man sich wirklich in eine höhere Welt versetzt glaubte. Eine äußerst
- liebenswürdige Dame, welche garnicht in der Absicht zu tanzen auf den
- Ball gekommen war, und bei der sich eine kleine Unannehmlichkeit oder
- Inkommodität, wie sie sich selbst ausdrückte, in Form eines Hühnerauges
- von der Größe einer Erbse auf dem rechten großen Zeh eingestellt hatte,
- sodaß sie sogar Plüschstiefel hatte anziehen müssen, -- selbst diese
- litt es nicht auf ihrem Platze, und auch sie machte einige Walzertouren
- in ihren Plüschstiefeln, nur damit der Postmeisterin ihre Triumphe nicht
- allzusehr zu Kopfe stiegen.
- Aber dies alles übte nicht die gewünschte Wirkung auf Tschitschikow; er
- blickte kaum hin auf die Pas und Figuren, welche die Damen ausführten,
- sondern erhob sich nur immer auf den Zehenspitzen, um über die Köpfe
- hinweg auszuschauen, wo sich die interessante Blondine gerade befand;
- bald hockte er wieder ein wenig nieder, um zwischen Schultern und Armen
- etwas von ihr zu erhaschen; und jetzt endlich hatte er gefunden, er sah
- sie neben der Mutter sitzen, über deren Haupt sich majestätisch eine Art
- orientalischer Turban mit einer Feder schaukelte. Fast schien es, als
- wolle er die Festung im Sturme nehmen. War es die Frühlingsstimmung, die
- so stark auf ihn wirkte, oder gab es jemand, der ihn von hinten stieß?
- Genug, er drängte sich entschlossen und unter Mißachtung aller
- Hindernisse bis zu ihnen durch: der Branntweinpächter erhielt von ihm
- einen Rippenstoß, daß er sich nur mit Not auf einem Beine zu erhalten
- vermochte, was noch ein Glück war, da er sonst den ganzen Reigen bei
- seinem Falle in Mitleidenschaft gezogen hätte; auch der Postmeister
- sprang zurück und sah ihn mit Staunen an, in das sich etwas wie feine
- Ironie mischte; aber Tschitschikow würdigte sie keines Blickes: er hatte
- für nichts ein Auge, als für die ferne Blondine, die gerade im Begriff
- war, einen langen Handschuh anzuziehen und sicherlich vor Verlangen
- brannte über das Parkett dahinzuschweben. Währenddessen holzten in der
- andern Ecke schon vier Paare eine Mazurka ab: die Absätze zerstießen
- fast den Boden, und ein Hauptmann der Armee arbeitete mit Leib und
- Seele, Händen und Füßen, indem er sich in solchen Figuren produzierte,
- wie sie die lebhafteste Phantasie sich nicht hätte träumen lassen.
- Tschitschikow schoß fast über die Füße der Tänzer hinweg geradenwegs auf
- den Platz zu, wo die Gouverneurin mit ihrer Tochter saß. Allein, er
- näherte sich ihnen doch nur sehr zaghaft und trippelte nicht so forsch
- und keck mit den Füßen, ja er wurde sogar etwas verlegen und in all
- seinen Bewegungen kam eine gewisse Hilflosigkeit zum Ausdruck.
- Es läßt sich nicht mit Bestimmtheit sagen, ob in unserm Helden sich
- wirklich etwas wie Liebe regte; es ist sogar zweifelhaft, ob Männer wie
- er, oder solche, die nicht gerade dick, aber doch auch nicht allzu dünn
- sind, überhaupt der Liebe fähig sind; und doch spielte sich hier etwas
- so Seltsames ab, daß er es sich selbst nicht erklären konnte: es kam ihm
- so vor, wie er es nachher selbst eingestand, als ob der ganze Ball mit
- all seinem Rausch und Trubel auf einige Augenblicke wie in weite Ferne
- gerückt sei, die Geigen und Trompeten schienen wie hinter den Bergen zu
- verhallen, und alles lag wie im Nebel gehüllt da, der einem nachlässig
- hingemalten Felde auf einem Gemälde glich. Und von dem Hintergrunde
- dieses trüben, nachlässig auf die Leinwand geworfenen Feldes hoben sich
- allein die feinen Züge der entzückenden jungen Blondine scharf und
- deutlich ab: das reizende Oval ihres Gesichtes, ihre schlanke elastische
- Gestalt, wie man sie nur bei einem jungen Mädchen trifft, das eben aus
- dem Pensionate kommt, ihr beinahe schlichtes weißes Kleid, welches sich
- frei und leicht an die zarten jungen Glieder schmiegte, und überall die
- herrlichen reinen Linien erkennen ließ. So glich sie einem wunderbaren,
- kunstvoll geschnitzten Spielzeug aus Elfenbein; sie allein leuchtete
- schneeweiß, klar und hell aus der trüben dunkelen Masse hervor.
- Es ist wohl nicht anders auf dieser Welt; offenbar werden auch die
- Tschitschikows einmal in ihrem Leben, wenn auch nur für einen kurzen
- Augenblick, zu Dichtern; doch das Wort _Dichter_ ist ein wenig
- übertrieben. Wenigstens kam er sich in diesem Moment ganz wie ein junger
- Mann oder gar wie ein fescher Husar vor. Sowie ein Stuhl neben der
- Schönen frei wurde, nahm er sofort auf ihm Platz. Das Gespräch wollte
- zuerst nicht recht vom Flecke kommen, aber nach einiger Zeit kam es in
- Fluß, er bekam sogar Mut, aber .... Hier muß ich zu meinem großen
- Bedauern bemerken, daß ältere, würdige Leute, die wichtige Ämter im
- Staate bekleiden, gerade in der Unterhaltung mit Damen ein bißchen
- schwerfällig werden; so richtig raus haben das nur die Leutnants,
- dagegen gilt dies nicht mehr für die höheren Offiziere, vom Hauptmann
- aufwärts. Wie sie das anfangen, das weiß der liebe Gott: es sind doch
- wahrhaftig keine abgrundtiefen Dinge, die sie da vorbringen, aber die
- jungen Mädchen schütteln sich auf ihren Stühlen vor Lachen; dagegen kann
- euch ein Staatsrat die wundersamsten Dinge erzählen: sich etwa darüber
- verbreiten, daß Rußland ein gewaltiges Reich ist, oder ein Kompliment
- vom Stapel lassen, das natürlich nicht ohne Geist ist, aber dies alles
- schmeckt doch zu sehr nach Bücherweisheit, und wenn er etwas Komisches
- sagt, dann lacht er sicherlich unvergleichlich viel mehr darüber, als
- seine Dame. Ich mache diese Bemerkung an dieser Stelle, damit die Leser
- verstehen, warum unsere Blondine während der Erzählungen unseres Helden
- zu gähnen begann. Unser Held aber schien das garnicht zu bemerken und
- fuhr fort all die schönen Dinge auszukramen, die er schon mehrfach und
- bei verschiedenen Gelegenheiten zum Besten gegeben hatte, und zwar: im
- Gouvernement Simbirsk bei Sophron Iwanowitsch Bespetschny, in Gegenwart
- von dessen Tochter Adelheide Sophronowna und drei Schwägerinnen: Marha
- Gawrilowna, Alexandra Gawrilowna und Adelheid Gawrilowna; ferner bei
- Fjoder Fjodorowitsch Perekrojew im Gouvernement Rjasan; bei Frol
- Wossiljewitsch Pobedonski im Gouvernement Pensa und bei dessen Bruder
- Pjotr Wassiljewitsch, in Gegenwart von dessen Schwägerin Katarina
- Michailowna und deren Enkelkindern: Rosa Fjodorowna und Emilia
- Fjodorowna; und endlich im Gouvernement Wjatka bei Pjotr
- Warßonowjewitsch in Gegenwart der Schwester seiner Schwiegertochter
- Pelageja Jegorowna und seiner Nichte Sofja Rostislawna und deren beiden
- Stiefschwestern Sofja Alexandrowna und Maklatura Alexandrowna.
- Tschitschikows Benehmen erregte das Mißfallen aller Damen. Eine von
- ihnen ging absichtlich an ihm vorbei, um ihm dies zu verstehen zu geben,
- und streifte die Blondine sogar etwas nachlässig mit der breiten
- Schleppe ihres Kleides, während sie den Shawl, der um ihre Schultern
- flatterte, so dirigierte, daß sie die junge Dame mit dem Zipfel gerade
- ins Gesicht traf; um dieselbe Zeit entfloh dem Munde einer anderen Dame
- hinter Tschitschikows Rücken zugleich mit dem Veilchengeruch der von ihr
- ausströmte, eine recht boshafte und bissige Bemerkung. Aber sei es nun,
- daß er in der Tat nichts davon gehört hatte, sei es, daß er bloß so tat,
- als ob er nichts höre, genug, seine Handlungsweise war in diesem Falle
- nicht sehr korrekt und schön, denn man soll etwas auf die Meinung der
- Damen geben: er sollte seinen Fehler bereuen, aber leider erst nachher,
- als es schon zu spät war.
- Eine wirklich berechtigte Empörung malte sich in vielen Zügen. So groß
- auch Tschitschikows Ansehen in der Gesellschaft war, so sehr man davon
- überzeugt war, daß er Millionär sei, und obwohl sein Gesicht einen
- majestätischen und sogar martialischen Ausdruck hatte, -- es gibt Dinge,
- welche die Damen keinem Manne verzeihen, er mag sein, wer er will, und
- sein Untergang ist besiegelt. Es gibt Fälle, wo die Frau, so
- charakterschwach sie auch im Vergleich mit dem Manne ist, plötzlich
- nicht nur fester und unbeugsamer wird, als der _Mann_, sondern _als
- alles in der Welt_. Die Mißachtung, die Tschitschikow, ohne es
- eigentlich selbst zu bemerken, den Damen erwiesen hatte, führte wieder
- zum Frieden und zur Einigung, die durch den Vorfall mit dem Stuhl
- beinahe in die Brüche gegangen wäre. In den von ihm leicht hingeworfenen
- ganz unwichtigen und belanglosen Reden entdeckte man plötzlich boshafte
- und spitzige Anspielungen. Um das Unglück zu vollenden, hatte noch ein
- junger Mann ein paar satirische Strophen auf die Tänzer gedichtet, ohne
- das es bekanntlich bei Bällen in der Provinz, beinahe nie abgeht. Sofort
- wurden diese Verse Tschitschikow zugeschrieben. Die Empörung wurde immer
- größer, die Damen standen in den verschiedenen Ecken des Saales zusammen
- und tuschelten miteinander, wobei einige sehr unfreundliche Äußerungen
- über ihn fielen; die arme Blondine aber ward vollkommen vernichtet, ihr
- Todesurteil war unterschrieben.
- Inzwischen wartete unseres Helden eine höchst peinliche Überraschung;
- während seine junge Nachbarin gähnte, und er ihr allerhand Geschichten
- aus den entferntesten Zeitläuften erzählte, und sogar den griechischen
- Philosophen Diogenes erwähnte, erschien plötzlich Nosdrjow auf der
- Bildfläche, der gerade aus einem der hinteren Zimmer in den Saal trat.
- Kam er aus dem Restaurationsraum oder war er aus dem kleinen grünen
- Zimmer entsprungen, wo nicht bloß Whist, sondern weit weniger harmlose
- Spiele gespielt wurden, erschien er aus freien Stücken, oder war er
- herausgeschmissen worden, genug, er trat plötzlich fröhlich und sehr
- aufgeräumt in den Saal, den Staatsanwalt am Arme, den er wohl schon eine
- ganze Weile mit sich herumschleppte, denn der arme Staatsanwalt runzelte
- seine Stirne und schaute nach allen Seiten aus, wahrscheinlich weil er
- darüber nachsann, wie er sich von seinem freundlichen Reisebegleiter
- befreien könne. Und in der Tat, seine Lage war wirklich unerträglich.
- Nosdrjow hatte zwei Tassen Tee -- natürlich nicht ohne Rumzusatz
- heruntergeschlürft und sich Mut getrunken. Jetzt log er wieder, daß sich
- die Balken bogen. Als Tschitschikow ihn von ferne erblickte, entschloß
- er sich sogar ein Opfer zu bringen, das heißt seinen angenehmen Platz zu
- verlassen, und sich so schnell als möglich zu entfernen: denn er
- versprach sich nichts Gutes von dieser Begegnung. Aber wie zum Trotz
- tauchte plötzlich der Gouverneur neben ihm auf, um ihm seine große
- Freude darüber auszudrücken, daß er Pawel Iwanowitsch endlich gefunden
- habe, und hielt ihn fest, indem er ihn bat, Schiedsrichter in einem
- kleinen Streit mit zwei Damen zu sein; man konnte sich nämlich nicht
- darüber einigen ob die Liebe der Frau von Dauer sei oder nicht; jetzt
- aber hatte Nosdrjow ihn schon bemerkt und ging geradewegs auf ihn zu:
- »Ah! Der Chersoner Gutsbesitzer! Der Chersoner Gutsbesitzer!« schrie er,
- während er näher kam und so laut lachte, daß seine frischen Backen, die
- so rot waren wie Frühjahrsrosen, nur so zitterten: »Nun? Hast du viel
- Tote gekauft? Sie wissen doch Exzellenz!« schrie er aus vollem Halse,
- indem er sich an den Gouverneur wandte, »er handelt mit toten Seelen!
- Bei Gott! Hör mal Tschitschikow! Hör doch, ich sag dir's in aller
- Freundschaft, wir sind doch hier unter lauter Freunden, da ist ja auch
- Seine Exzellenz, ich würde dich hängen lassen, bei Gott, ich lasse dich
- hängen!«
- Tschitschikow wußte nicht mehr, wie ihm wurde. »Sie werden mir's nicht
- glauben, Exzellenz!« fuhr Nosdrjow fort: »wie er mir sagte: >Hör mal,
- verkauf mir doch deine toten Seelen,< da bin ich fast geplatzt vor
- Lachen. Dann komme ich in die Stadt, und da sagt man mir, er habe drei
- Millionen Bauern gekauft, die er zur Kolonisation verwenden will, schöne
- Kolonisation das! Er wollte mir doch Tote abkaufen. Hör mal
- Tschitschikow: du bist ein Schwein, bei Gott, du bist ein Schwein! Da
- ist ja auch seine Exzellenz, nicht wahr, Herr Staatsanwalt?«
- Aber der Staatsanwalt und Tschitschikow waren so verlegen und verwirrt,
- daß sie gar keine Antwort fanden; unterdessen aber fuhr Nosdrjow, der
- ein wenig angeheitert war, ohne auf irgend jemand Rücksicht zu nehmen,
- in seiner Rede fort: »Ja, ja mein Bester ... ich lasse dich nicht eher
- los, als bist du mir sagst, wozu du die toten Seelen gekauft hast. Hör
- mal, Tschitschikow, du solltest dich schämen; du weißt ja selbst, daß du
- keinen besseren Freund hast, als mich. Sieh mal, da ist ja auch Seine
- Exzellenz ... nicht wahr, Herr Staatsanwalt? Sie werden es nicht
- glauben, Exzellenz, wie wir aneinander hängen, tatsächlich, wenn Sie
- mich fragten -- hier steh ich, und wenn Sie mich fragten: >Nosdrjow, sag
- mal auf Ehre und Gewissen, wer ist dir lieber, dein eigener Vater oder
- Tschitschikow!< so müßte ich sagen: Tschitschikow! Bei Gott! ...
- Herzchen komm laß mich dir einen Kuß, einen Baiser geben. Sie werden
- wohl erlauben, daß ich ihn küsse, Exzellenz. Sträube dich doch nicht
- Tschitschikow, laß mich dir doch ein Baiserchen auf deine schneeweiße
- Wange drücken!« Aber Nosdrjow kam mit seinem Baiser so übel an, daß er
- beinahe auf den Boden geflogen wäre. Alle zogen sich von ihm zurück und
- hörten nicht mehr auf ihn. Allein seine Worte von dem Kauf der toten
- Seelen waren doch so laut aus vollem Halse herausgeschrieen und von
- einem so schallenden Gelächter begleitet worden, daß sie selbst die
- Aufmerksamkeit _der_ Gäste auf sich lenkten, die sich in den
- entferntesten Ecken des Zimmers befanden. Diese Nachricht klang so
- seltsam, daß alle starr und stumm, mit einem halb fragenden, halb
- törichten Ausdruck auf dem Gesichte dastanden. Tschitschikow bemerkte,
- wie mehrere Damen sich mit den Augen Zeichen machten und sich boshaft
- und gehässig zulächelten, und er glaubte in manchen Gesichtern etwas
- ganz Eigentümliches und Zweideutiges zu entdecken, was die allgemeine
- Verlegenheit noch verstärkte. Daß Nosdrjow ein Erzlügner und Schwindler
- war, das wußte jedermann, und es wäre keinem Menschen aufgefallen, wenn
- er etwas ganz Unsinniges und Törichtes von ihm gehört hätte; aber der
- sterbliche Mensch ist -- nein, es ist wirklich schwer zu verstehen, wie
- dieser sterbliche Mensch nun eigentlich beschaffen ist; so albern und
- läppisch eine Neuigkeit auch sein mag, wenn es nur eine _Neuigkeit_ ist,
- so wird er sie unbedingt einem andern Sterblichen mitteilen, wenn auch
- nur um zu sagen: »Was sie da wieder für ein Lügenmärchen verbreiten!«
- Und der andre Sterbliche wird höchst vergnügt die Ohren spitzen, wenn er
- auch später sagen wird: »Aber das ist doch eine gemeine Lüge, der man
- gar keine Beachtung schenken sollte!« Und gleich darauf wird er sich
- aufmachen und sich einen dritten Sterblichen suchen, um ihm die
- Geschichte zu erzählen und dann mit ihm zusammen in edler Empörung
- auszurufen: »Was für eine gemeine Lüge!« Und so wird das Gerücht die
- Runde durch die ganze Stadt machen, und alle Sterblichen, soviel ihrer
- da sind, werden solange über die Sache sprechen, bis sie sie satt
- kriegen, und dann behaupten, die ganze Geschichte sei es nicht wert, daß
- man über sie rede.
- Diese anscheinend so unbedeutende und belanglose Begebenheit hatte
- unseren Helden indessen merklich verstimmt. So dumm und albern auch die
- Reden eines Narren sind, oft reichen sie doch hin, um auch einen klugen
- Mann in Verlegenheit zu bringen. Er fühlte sich plötzlich sehr
- unbehaglich und peinlich berührt, wie wenn er mit einem schöngeputzten
- Stiefel in eine schmutzige, stinkende Pfütze getreten wäre; mit einem
- Wort, es war nicht schön, garnicht schön! Er versuchte es, nicht daran
- zu denken, sich zu vergessen, zu zerstreuen, setzte sich sogar an den
- Whisttisch, aber es ging alles schief wie ein verbogenes Rad: zweimal
- spielte er die falsche Farbe aus, er vergaß sogar einmal, daß er eine
- Karte nicht stechen durfte, holte mit der Hand aus und übertrumpfte
- seine eigene Karte. Der Gerichtspräsident konnte es durchaus nicht
- verstehen, wie es bloß möglich war, daß Pawel Iwanowitsch, der ein so
- guter, ja man kann sagen feiner Spieler war, sich solche Schnitzer
- zuschulden kommen und sogar seinen Pique-König übertrumpfen lassen
- konnte, auf den er seine ganze Hoffnung gesetzt hatte, wie auf den
- lieben Gott; dies waren seine eigenen Worte. Natürlich machten sich der
- Postmeister, der Gerichtspräsident und sogar der Polizeimeister, wie das
- zu geschehen pflegt, ein wenig über unsern Helden lustig und neckten ihn
- damit, daß er wohl gar verliebt sei und daß Pawel Iwanowitsch, wie sie
- ja wüßten, ein leicht entzündliches Herz habe. Auch sei es ihnen
- bekannt, wer es verwundet hätte. Aber dieses war kein Trost für ihn, so
- sehr er es auch versuchte, zu lächeln und die Scherze mit Scherzen zu
- beantworten. Beim Abendessen wollte es ihm auch nicht gelingen, sich so
- recht zur Geltung zu bringen, obwohl die Tischgesellschaft sehr angenehm
- war und trotzdem man Nosdrjow schon längst hinausbefördert hatte, weil
- selbst die Damen schließlich anerkennen mußten, daß sein Benehmen gar zu
- skandalös war. Während des Kotillons hatte er nämlich ganz plötzlich auf
- dem Parkett Platz genommen und die Tänzer bei den Frackschößen gepackt,
- was nach dem Ausdruck der Damen, schon ein ganz unmögliches Betragen
- war. Das Abendessen war sehr lustig: Alle Gesichter, die zwischen den
- dreiarmigen Leuchtern, Blumen, Flaschen und Schüsseln mit Konfekt
- hindurchschimmerten, glänzten vor eitel Freude und Befriedigung. Die
- Offiziere, die Damen und die befrackten Herren -- flossen alle über vor
- Liebenswürdigkeit bis zum Überdruß. Ein Oberst überreichte sogar seiner
- Dame die Saucenschüssel, indem er sie auf der nackten Degenspitze
- balancierte. Die älteren Herren, in deren Mitte auch Tschitschikow saß,
- debattierten eifrig, und jedes treffende Wort wurde von einem kernhaften
- Bissen Fisch oder Fleisch, der nur so von Senf triefte, begleitet; man
- stritt gerade über die Gegenstände, für die sich Tschitschikow immer
- lebhaft interessiert hatte, und doch glich er heute Abend einem
- Menschen, der müde und zerschlagen von einem langen Wege heimgekehrt
- ist, dessen Gehirn ihm den Dienst verweigert und dem nichts mehr
- einfallen will. So wartete er denn nicht einmal das Ende des Soupers ab,
- und fuhr viel früher nach Hause, als dies sonst seine Gewohnheit war.
- Dort in jenem Zimmer, das der Leser so gut kennt, mit der Kommode, die
- vor der Türe stand, und den hie und da aus den Ecken herausguckenden
- Schwabenkäfern, wollten indessen sein Geist und seine Gedanken ebenso
- wenig zur Ruhe kommen, wie der wacklige Lehnstuhl, in dem er saß. Es war
- ihm sehr schwer ums Herz. Eine lastende Leere quälte ihn: »Wenn doch
- alle die Menschen, welche diese Bälle erfunden haben, der Teufel holte!«
- rief er wütend. »Welchen Anlaß haben sie nur, so zu jubeln? In der
- Provinz herrschen Mißernte, Teuerung und Hungersnot, und sie geben
- Bälle! Auch was Rechtes: hüllen sich da in alte Weiberlappen. Denken
- Wunder was sie sind, wenn sie mehr als tausend Rubel auf ihrem Leibe
- tragen! Das muß doch schließlich der Bauer mit seiner Steuer bezahlen,
- und am Ende fällt es gar auf unsereinen zurück. Man weiß doch, weswegen
- die Herren so heucheln und sich dennoch bezahlen lassen: um ihrer Frau
- einen teuren Shawl, Roben und weiß der Teufel wie sie es sonst noch
- nennen zu kaufen! Und wozu das alles? Damit nur ja keins von diesen
- liederlichen Frauenzimmern sagen kann, die Frau Postmeisterin habe ein
- besseres Kleid angehabt, -- deswegen schmeißt man tausend Rubel aus dem
- Fenster. Da schreit man: ein Ball, ein Ball, wie amüsant! Ich mache mir
- einen Dreck aus so 'nem Ball, das entspricht dem russischen Wesen gar
- nicht, das ist eine ganz unrussische Einrichtung. Pfui Teufel noch
- einmal: kommt da plötzlich ein reifer erwachsener Mensch im schwarzen
- Frack wie ein nackter, gerupfter Teufel angesprungen und fuchtelt mit
- den Beinen hin und her. Und ein anderer steht wohl gar mit einem andern
- zusammen, unterhält sich mit ihm über eine ernste Angelegenheit und
- führt rechts und links allerlei Arabesken auf dem Fußboden aus ... Das
- ist alles nichts wie Nachäfferei; nichts wie Nachäfferei. Weil der
- Franzose mit vierzig Jahren noch gerad so ein Kind ist, wie mit
- fünfzehn, darum müssen wir's auch so machen! Nein wirklich, nach jedem
- Ball ist mir zumute als hätte ich irgendein Verbrechen begangen, man
- möchte lieber gar nicht daran denken! Der Kopf ist einem so leer wie
- nach einem Gespräch mit einem vornehmen Weltmann: der schwatzt einem was
- vor, berührt alles nur ganz obenhin, tischt einem was auf, was er sich
- aus Büchern zusammengerafft hat; das klingt alles sehr schön und nett,
- und doch ist einem der Kopf grad so leer, wie vordem; so daß man
- schließlich überzeugt ist, daß eine Unterhaltung mit einem einfachen
- Kaufmann, der nichts kennt wie sein Geschäft, es dafür aber auch
- gründlich und aus dem ff kennt, mehr wert ist als all diese
- Kinkerlitzchen. Was hat man nun von solch einem Ball? Wenn es zum
- Beispiel einem Schriftsteller einfiele, diese ganze Szene zu schildern,
- genau so wie sie sich abgespielt hat? Sie würde sich doch in einem Buche
- genau so töricht und albern ausnehmen wie in Natur. Man weiß wirklich
- nicht, wie sie wirken würde: sittlich oder unsittlich? Weiß der Teufel,
- was das ist. Man würde nur ausspucken und das Buch zuklappen!« So
- unfreundlich äußerte sich Tschitschikow über die Bälle im allgemeinen;
- aber ich glaube, sein Unwillen hatte auch noch einen andern Grund. Was
- ihn am meisten ärgerte, war in Wahrheit garnicht der Ball, sondern der
- Umstand, daß er hereingefallen, plötzlich vor allen Leuten in Gott weiß
- was für einem Lichte erschienen war, und dabei eine so seltsame und
- höchst zweideutige Rolle gespielt hatte. Freilich, wenn er das
- Vorgefallene mit dem Auge eines vernünftigen Menschen überschaute, sah
- er, daß das alles nur Kleinigkeiten waren, und daß ein törichtes Wort
- gar nichts zu bedeuten habe, besonders jetzt, wo die Hauptsache bereits
- glücklich vollendet und erledigt war. Aber -- so seltsam ist nun einmal
- der Mensch: was ihn so tief betrübte, war dies, daß er sich die
- Zuneigung derselben Menschen verscherzt hatte, die er doch selbst nicht
- achtete, über die er so hart urteilte und die er wegen ihrer Eitelkeit
- und Putzsucht so scharf getadelt hatte. Das ärgerte ihn um so mehr, als
- er sich bei genauerer Prüfung eingestehen mußte, daß er selbst einige
- Schuld daran trug. Trotzdem zürnte er sich selber nicht im geringsten
- und darin hatte er natürlich recht. Wir leiden alle an dieser kleinen
- Schwäche, daß wir uns selbst gerne etwas schonen und uns lieber irgend
- einen von unseren Nächsten aussuchen, an dem wir unseren Ärger auslassen
- können, entweder einen Diener oder einen von unseren Untergebenen, der
- uns gerade in den Weg läuft, oder unsere Frau, oder endlich gar einen
- Stuhl, den wir gegen die Türe oder weiß der Teufel wohin schleudern,
- sodaß ein Bein oder die Lehne bricht, damit die Herrschaften unseren
- Zorn einmal gründlich kennen lernen! So fand auch Tschitschikow bald
- einen Nächsten, der alles auf seinen Schultern davon tragen mußte, was
- ihm sein Zorn eingab. Dieser liebe Nächste war Nosdrjow, und es läßt
- sich nicht leugnen, daß er so kräftig von hinten und vorne und von allen
- Seiten vermöbelt wurde, wie höchstens noch irgend ein Spitzbube von
- einem Dorfschulzen oder ein Postkutscher von einem Reisenden, einem
- Hauptmann mit reicher Erfahrung oder unter Umständen auch von einem
- General vermöbelt wird, welcher zu den vielen klassischen Schimpfworten,
- die er ihm an den Kopf wirft, noch eine ganze Reihe von andern
- unbekannten auskramt, die seinem eigensten Erfindergeist entspringen.
- Nosdrjows ganzer Stammbaum wurde hergenommen, und vielen Mitgliedern
- seiner Familie in aufsteigender Linie wurde stark mitgespielt.
- Aber während Tschitschikow so von trüben Gedanken geplagt, schlaflos in
- seinem harten Lehnstuhle saß und Nosdrjow samt seiner ganzen Familie
- tüchtig durchhechelte, während das Talglicht langsam niederbrannte,
- dessen Docht schon ellenlang verkohlt war, sodaß die Kerze jede Minute
- zu verlöschen drohte, während undurchdringliche nächtliche Finsternis
- durchs Fenster blickte, und bei der nahenden Morgenröte schon im Begriff
- war, in blaue Dämmerung umzuschlagen, während sich in der Ferne ab und
- zu ein paar Hähne ihren Weckruf zukrähten, und irgendwo ein
- Unglücklicher von unbekanntem Stand und Herkommen in einfachem
- Wollmantel heimlich durch die stillen Straßen der verschlafenen Stadt
- schlich, er, der nur den einen (leider nur den einen!) von dem
- unbändigen russischen Volke ausgetretenen Weg kennt -- spielte sich am
- andern Ende der Stadt ein Vorgang ab, welcher die peinliche Lage unseres
- Helden noch verschlimmern sollte. Durch die entlegenen Straßen und
- Gäßchen rasselte nämlich in diesem Augenblick ein gar seltsames Gefährt,
- für welches nicht gleich ein Name zu finden wäre. Es hatte weder
- Ähnlichkeit mit einem Bauernwagen, noch mit einer Kutsche, noch mit
- einer Equipage, sondern glich eher einer pausbäckigen, dickbauchigen
- Wassermelone, die man auf ein paar Räder gestellt hatte. Die Backen
- dieser Wassermelone, d. h. die Wagentüren, welche noch Spuren von gelber
- Farbe aufwiesen, schlossen sehr schlecht wegen des üblen Zustandes, in
- dem sich die Klinken und Schlösser befanden, die nur notdürftig mit ein
- paar Stricken zusammengebunden waren. Diese Wassermelone war mit
- Kattunkopfkissen, die wie Tabaksbeutel, Rollkissen oder gewöhnliche
- Kissen aussahen, und mit Säcken voll Getreide, Semmeln, Wecken und
- Bretzeln aus gebrühtem Teig angefüllt. -- Oben guckten sogar eine
- Hühner- und eine Salzpastete heraus. Auf dem Trittbrett stand eine
- Gestalt, von lakaienhaftem Aussehen in einer gesprenkelten Jacke. Sie
- war unrasiert, und ihre Haare begannen schon zu ergrauen. Mit einem
- Wort, es war die bekannte Figur, die bei uns zu Lande »Bursch« genannt
- zu werden pflegt. Der Lärm und das Gerassel der eisernen Klammern und
- rostigen Schrauben weckten den Wächter am andern Ende der Stadt, sodaß
- er seine Hellebarde aufrichtete und noch schlaftrunken aus voller Kehle:
- Wer da? rief. Als er jedoch bemerkte, daß niemand da war, und nur ein
- starkes Rasseln aus der Ferne herüber tönte, machte er sich flugs daran
- ein Tierchen, das auf seinem Kragen saß, zu fangen, worauf er sich der
- Laterne näherte, um hier eigenhändig das Todesurteil auf seinem Nagel zu
- vollstrecken. Dann ließ er die Hellebarde wieder aus der Hand sinken, um
- nach den Satzungen seines Ritterordens wieder einzuschlafen. Die Pferde
- stolperten über ihre Vorderbeine, weil sie nicht beschlagen waren und
- weil sie offenbar das bequeme Stadtpflaster noch nicht genügend kannten.
- Die Kalesche machte noch ein paar Wendungen, indem sie aus einer Straße
- in die andere einbog, und nahm endlich ihren Weg durch eine dunkle Gasse
- an der kleinen Pfarrkirche St. Nikolaus vorüber, um vor dem Hause der
- Frau Oberpfarrer Halt zu machen. Aus dem Wagen kroch ein Mädchen in
- einem Flausrock und einem Tuch um den Kopf, und hämmerte mit beiden
- Fäusten so stark auf das Tor los, wie ein Mann. (Der Bursche in dem
- gesprenkelten Rock wurde erst nachher an den Füßen von seinem Standort
- heruntergezogen, denn er schlief so fest wie ein Toter.) Die Hunde
- fingen an zu bellen. Nach einiger Zeit öffnete sich auch das Tor und
- verschlang, wenn auch nicht ohne Mühe, dieses plumpe Vehikel. Der Wagen
- rollte in den engen Hof, in dem Holz aufgestapelt war, und in dem sich
- mehrere Hühnerställe und andere Ställe befanden; zuletzt stieg noch eine
- Dame aus dem Wagen; dies war die Gutsbesitzerin und Kollegiensekretärin
- Korobotschka. Die alte Dame war bald nach der Abreise unseres Helden in
- große Unruhe und Aufregung darüber geraten, daß sie von ihm betrogen
- sein könnte, und hatte sich nach drei schlaflos verbrachten Nächten
- endlich entschlossen, nach der Stadt zu fahren, obwohl die Pferde nicht
- beschlagen waren, um dort Erkundigungen darüber einzuziehen, welchen
- Kurs die toten Seelen hätten, und ob es nicht am Ende eine große Torheit
- war, als sie sich überreden ließ, sie so billig zu verkaufen. Was ihre
- Ankunft für Folgen hatte, kann der Leser aus einer Unterhaltung
- entnehmen, welche bald darauf zwischen zwei Damen stattfand. Diese
- Unterhaltung .... doch diese Unterhaltung mag lieber im nächsten Kapitel
- stattfinden.
- Neuntes Kapitel.
- Eines Morgens, noch vor der Stunde, wo in der Stadt N. die Besuchszeit
- beginnt, flatterte aus der Türe eines orangefarbenen, hölzernen Hauses
- mit einem Erker und einigen blau angestrichenen Säulen, eine Dame in
- einem eleganten gestreiften Kleidchen heraus, begleitet von einem Lakai
- in einem Mantel mit mehreren Kragen und einem runden glänzenden Hut mit
- goldenen Tressen. Die Dame hüpfte eilig die steile Treppe hinab, um
- gleich darauf in dem vor der Türe haltenden Wagen zu verschwinden. Der
- Lakai warf sogleich die Wagentüre zu, sprang auf das Trittbrett und
- schrie dem Kutscher »Vorwärts!« zu. Die Dame brachte eine Neuigkeit mit,
- die sie soeben erfahren hatte, und spürte ein schier unüberwindliches
- Verlangen, sie auch anderen Leuten mitzuteilen. Sie blickte jeden
- Augenblick aus dem Fenster und mußte sich zu ihrem unendlichen Ärger
- überzeugen, daß sie kaum mehr als die Hälfte des Weges zurückgelegt
- hatte. Jedes Haus kam ihr heute länger vor als gewöhnlich, das armselige
- Asyl für alte Frauen mit seinen schmalen Fenstern schien gar kein Ende
- nehmen zu wollen, so daß die Dame es schließlich nicht mehr aushielt und
- ausrief: »Das verfluchte Haus, ist es denn noch immer nicht zu Ende!«
- Der Kutscher hatte schon zweimal den Befehl erhalten, sich doch zu
- beeilen: »Schneller, schneller, Andrjuschka! Du fährst ja heute
- unerträglich langsam!« Endlich war das Ziel erreicht. Die Kutsche hielt
- vor einem einstöckigen hölzernen Haus von dunkelgrauer Farbe mit weißen
- Basreliefs über den Fenstern, vor denen sich ein hohes Holzgitter
- befand; ein schmaler Staketenzaun friedigte das Ganze ein, dahinter
- standen ein paar magere Bäumchen, die beständig mit Straßenstaub bedeckt
- waren und daher ganz weiß aussahen. An den Fenstern sah man einige
- Blumentöpfe, einen Papagei, der sich in seinem Käfig schaukelte, indem
- er sich mit seinem Schnabel an ein Stäbchen anhakte, und zwei Hündchen,
- die in der Sonne schliefen. In diesem Hause wohnte eine treue und
- aufrichtige Freundin der soeben eingetroffenen Dame. Der Autor ist in
- großer Verlegenheit, wie er beide Damen bezeichnen soll und zwar so, daß
- ihm niemand deswegen zürne, wie man dies ehemals zu tun pflegte. Irgend
- einen Familiennamen erfinden -- das wäre zu gefährlich. Was er auch für
- einen Namen wählen würde -- es würde sich ganz sicher in irgend einem
- Winkel unseres Landes -- groß genug ist es dazu -- jemand finden, der
- denselben Namen trägt, ihm ganz ernstlich böse sein, sein Todfeind
- werden und sagen würde, der Autor sei allein deswegen hingereist, um im
- geheimen zu erforschen und zu erfahren, wer dieser Jemand eigentlich
- sei, in was für einem Pelz er spazieren gehe, bei welcher Frau Agrafena
- Iwanowna er verkehre, und was seine Lieblingsgerichte seien; oder nenne
- ihn bei seinem Rang und Titel -- so begibst du dich in eine noch größere
- Gefahr. Gott behüte! Heutzutage sind alle Berufe und Stände bei uns so
- empfindlich geworden, daß sie alles, was sie in einem Buche gedruckt
- lesen, sofort für eine persönliche Beleidigung halten: das liegt nun mal
- so in der Luft. Man braucht nur zu erklären: in der und der Stadt gebe
- es einen dummen Kerl -- sofort ist's eine persönliche Beleidigung: im
- Handumdrehen meldet sich schon ein Herr von sehr würdigem Äußeren und
- schreit einen an: »Ich bin doch auch ein Mensch, also bin ich wohl
- dumm?« Mit einem Wort, er hat es sogleich heraus, um was es sich
- handelt. Und darum wollen wir, um all diesen unangenehmen Eventualitäten
- aus dem Wege zu gehen, _die_ Dame, welche den Besuch erhielt, so nennen,
- wie sie fast einstimmig von der ganzen Stadt N. genannt wurde: nämlich:
- die _in jeder Beziehung angenehme_ Dame. Diesen Namen hatte sie von
- Rechts wegen erhalten, denn sie hatte in der Tat kein Mittel gescheut,
- um im höchsten Grade angenehm und liebenswürdig zu erscheinen, obwohl
- freilich aus ihrer Liebenswürdigkeit oft die ganze Schlauheit und
- Gewandtheit des weiblichen Charakters hervorblickte, und in manch einem
- ihrer stets angenehmen Worte eine ganz gefährliche Spitze verborgen lag!
- Garnicht erst davon zu reden, was für ein Grimm gegen jede in ihrem
- Herzen kochte, die es gewagt hätte, auf irgend eine Weise in eine erste
- Stellung einzurücken. Aber dies alles kleidete sich in das Gewand
- feinster weltmännischer Formen, wie man sie nur in einer Provinzstadt
- finden kann. Jede ihrer Bewegungen war geschmackvoll, sie schwärmte sehr
- für lyrische Gedichte, verstand es sogar, hin und wieder ihr Köpfchen
- träumerisch auf die Schulter sinken zu lassen, mit einem Wort, alle
- waren einverstanden, daß sie wirklich eine _in jeder Beziehung angenehme
- Dame_ sei. Die andre Dame, das heißt jene, welche soeben angekommen war,
- hatte keinen so vielseitig veranlagten Charakter, und daher wollen wir
- sie _bloß die angenehme Dame_ nennen. Ihre Ankunft weckte die Hündchen,
- welche sich auf der Fensterbank sonnten: die zottige Adèle, die sich
- beständig in ihrem eigenen Pelze verstrickte und den Rüden Potpourri,
- der zwei Paar äußerst dünne Beinchen hatte. Beide stürzten mit
- geringelten Schwänzen und unter lebhaftem Gebell ins Vorzimmer, wo die
- neuangekommene Dame sich soeben ihres Shawles entledigte und nun in
- einem Kleid von neustem Schnitt und moderner Farbe, mit einer langen Boa
- um den Hals dastand. Ein intensiver Jasmingeruch verbreitete sich durch
- das ganze Zimmer. Kaum hatte die in jeder Beziehung angenehme Dame von
- der Ankunft der bloß angenehmen Dame erfahren, als auch sie schon ins
- Vorzimmer gelaufen kam. Beide Freundinnen ergriffen sich bei der Hand,
- küßten sich und schrieen dabei auf, wie zwei junge Mädchen, die sich
- bald nach ihrer Entlassung aus dem Pensionat wieder treffen, bevor noch
- die beiden Mütter ihnen klar gemacht haben, daß der Vater der einen
- ärmer und kein so hoher Beamter ist, als der Vater der andern. Sie
- küßten sich so laut, daß beide Hündchen wieder zu bellen begannen, wofür
- sie einen sanften Schlag mit dem Tuche erhielten, -- und beide Damen
- begaben sich in den natürlich blautapezierten Salon, in dem ein Sofa,
- ein ovaler Tisch und ein paar Fensterschirme standen, um die sich Efeu
- rankte; nach ihnen kam die zottige Adèle und der große Potpourri mit den
- langen Beinen knurrend ins Zimmer gelaufen. »Hierher, hierher, in dieses
- Eckchen!« sagte die Hausfrau, indem sie den Gast in einer Ecke des Sofas
- Platz nehmen ließ. »So ist's schön, so ist's recht! Da haben Sie auch
- ein Kissen!« Mit diesen Worten schob sie jener ein schön gesticktes
- Kissen in den Rücken; die Stickerei stellte einen von jenen Rittern dar,
- wie sie gewöhnlich auf Tülle gestickt werden: seine Nase hatte große
- Ähnlichkeit mit einer Treppe und die Lippen waren viereckig. »Wie froh
- ich bin, daß Sie ... Ich höre jemand vorfahren und denke mir, wer könnte
- das wohl sein, schon so früh? Parascha meinte, es sei die Frau
- Vizegouverneur, und ich sage noch zu ihr: sollte die dumme Person schon
- wieder gekommen sein, um mich zu langweilen? ich wollte mich schon
- verleugnen lassen ...«
- Die andre Dame war schon im Begriff zur Sache zu kommen und ihre
- Neuigkeit auszukramen, aber ein Ausruf, den die in jeder Beziehung
- angenehme Dame in diesem Augenblick tat, gab dem Gespräch eine ganz neue
- Wendung.
- »Was für ein hübscher heller Kattunstoff!« rief die in jeder Beziehung
- angenehme Dame, während sie das Kleid der bloß angenehmen Dame
- aufmerksam musterte.
- »Ja ein sehr heller lebhafter Stoff! Praskowja Fjodorowna findet aber,
- daß es hübscher aussehen würde, wenn die Karos noch etwas kleiner und
- die Pünktchen nicht braun, sondern blau wären. Ich habe meiner Schwester
- einen Stoff geschickt; der ist so entzückend! ich kann's gar nicht
- sagen! Denken Sie nur: ganz schmale schmale Streifchen, auf blauem
- Grunde, so schmal wie man sich's überhaupt nur vorstellen kann und
- zwischen zwei Streifen immer Äuglein und Pfötchen, Äuglein und Pfötchen
- .... Mit einem Wort, ganz herrlich! Man kann getrost behaupten, etwas
- Schöneres hat es noch nie auf der Welt gegeben.«
- »Wissen Sie, Liebste, das wirkt zu bunt.«
- »Oh nein! Gar nicht bunt!«
- »Oh doch! Viel zu bunt!«
- Hier muß ich einschalten, daß die in jeder Beziehung angenehme Dame in
- gewissem Sinne Materialistin war, eine starke Neigung zur Negation und
- zum Zweifel hatte und sehr vieles an diesem Leben verneinte.
- Jetzt aber erklärte die bloß angenehme Dame, daß es durchaus nicht zu
- bunt sei, und rief: »Ach ja, ich gratuliere, man trägt keine
- Faltenbesätze mehr!«
- »Wieso trägt man keine mehr?«
- »Statt dessen werden jetzt nur noch Festons getragen!«
- »Ach! Festons sind doch aber nicht hübsch!«
- »Ja man trägt nur noch Festons, nichts wie Festons. Pelerinen aus
- Festons, auf den Ärmeln Festons, Aufsätze aus Festons, unten Festons,
- mit einem Wort überall Festons.«
- »Das ist aber schade Sofja Iwanowna, Festons sind nicht hübsch!«
- »Doch Anna Grigorjewna, sie machen sich reizend, ganz entzückend, man
- näht sie so: erst faltet man sie zweimal, läßt einen breiten Schlitz und
- oben ... Aber warten Sie, jetzt muß ich Ihnen etwas erzählen, worüber
- Sie sich wundern werden und sagen werden, daß ... Ja wundern Sie sich
- nur: die Taillen werden jetzt viel länger getragen, vorn laufen sie ein
- wenig spitz aus und das vordere Fischbein ragt ganz weit hervor; der
- Rock wird rings herum gerafft wie bei den alten Reifröcken, und sogar
- hinten ein wenig wattiert, ganz _à la belle femme_.«
- »Nein, wissen Sie, das geht zu weit! Das muß ich denn doch sagen!« rief
- die in jeder Beziehung angenehme Dame aus, machte eine empörte
- Kopfbewegung und richtete sich im Gefühl ihrer Würde stolz auf.
- »Sehr richtig, das geht zu weit, das muß ich auch sagen!« antwortete die
- bloß angenehme Dame.
- »Nein, Verehrteste, machen Sie was Sie wollen, aber da tue ich nicht
- mit!«
- »Ich auch nicht ... Wenn man sich vorstellt, was nicht alles Mode wird
- ... da hört doch alles auf! Ich habe meine Schwester um den Schnitt
- gebeten, bloß so zum Scherz, wissen Sie. Meine Melanie ist eben am
- Nähen.«
- »Was, Sie haben den Schnitt?« rief die in jeder Beziehung angenehme Dame
- aus, nicht ohne daß man ihr eine gewisse innere Bewegung angemerkt
- hätte.
- »Natürlich. Meine Schwester hat ihn mitgebracht!«
- »Herzchen, geben Sie ihn mir, bei allem, was Ihnen heilig ist!«
- »Schade, ich habe ihn schon Proskowja Iwanowna versprochen. Vielleicht
- nach ihr?«
- »Wer wird denn etwas tragen, was Proskowja Iwanowna schon getragen hat?
- Ich fände das sehr merkwürdig von Ihnen, wenn Sie eine Fremde ihrer
- nächsten Freundin vorzögen!«
- »Aber sie ist doch meine Tante zweiten Grades?«
- »Ach, was ist das für eine Tante. Sie sind doch nur durch Ihren Mann mit
- ihr verwandt ... Nein, Sofja Iwanowna, davon will ich gar nichts hören
- -- Sie wollen mich beleidigen, Sie haben mich wohl schon satt bekommen
- und wollen die Bekanntschaft mit mir abbrechen ...«
- Die arme Sofja Iwanowna wußte garnicht, was sie anfangen sollte. Sie
- merkte sehr gut, in welch ein Kreuzfeuer sie geraten war. Das kam von
- der Wichtigtuerei! Sie hätte sich ihre dumme Zunge mit Nadeln zerstechen
- mögen.
- »Nun, und was macht unser Galan?« fuhr jetzt die in jeder Beziehung
- angenehme Dame fort.
- »Ach Gott, ach Gott. Und da sitze ich die ganze Zeit über mit Ihnen
- zusammen. Eine schöne Geschichte! Wissen Sie Anna Grigorjewna, was ich
- Ihnen für eine Neuigkeit mitgebracht habe?« Hier ging ihr der Atem aus,
- ein ganzer Schwall von Worten drängte sich ihr auf die Zunge wie eine
- Schar von Habichten, die wie ein Sturmwind dahinjagen und sich in
- schnellem Fluge zu überholen streben. Es gehörte schon die ganze
- unmenschliche Härte und Grausamkeit ihrer treusten Freundin dazu, um ihr
- an dieser Stelle ins Wort zu fallen.
- »Loben Sie ihn und heben Sie ihn in den Himmel, soviel Sie wollen,«
- sagte sie mit einer ungewöhnlichen Lebhaftigkeit. -- »Und ich sage Ihnen
- -- ich will es ihm meinetwegen selbst ins Gesicht sagen: er ist ein
- nichtswürdiger Mensch; ein _nichts_würdiger, nichts_würdiger_ Mensch!«
- »Ja aber hören Sie doch nur, was ich Ihnen mitzuteilen habe!«
- »Da redet alle Welt davon, daß er schön sei, und dabei ist er nichts
- weniger als schön, nichts weniger -- seine Nase -- er hat eine geradezu
- widerwärtige Nase.«
- »Aber lassen Sie mich, lassen Sie mich Ihnen doch erzählen, Herzchen,
- Anna Grigorjewna, so lassen Sie mich doch nur erzählen. Das ist ja eine
- ganze Geschichte, ich sage Ihnen, eine Geschichte >Bö kon apell
- istoar<,« sprach die Freundin mit dem Ausdruck vollkommenster
- Verzweiflung und mit flehender Stimme. -- Es ist vielleicht nicht
- überflüssig, bei dieser Gelegenheit zu erwähnen, daß beide Damen sehr
- viel fremde Worte und sogar lange französische Phrasen in ihr Gespräch
- einflochten. Aber so groß die Ehrfurcht ist, die der Verfasser für die
- französische Sprache hegt, wegen der heilsamen Folgen, die sie für unser
- Vaterland hat, so groß seine Achtung vor jener löblichen Sitte unserer
- besseren Kreise ist, welche diese Sprache zu allen Tageszeiten,
- natürlich nur aus innigster Liebe für ihr Vaterland, zu ihrer
- Verständigung gebrauchen, er kann es trotzdem nicht über sich gewinnen,
- einen Satz aus einer fremden Sprache in diese rein russische Dichtung
- hineinzunehmen, und so fahren wir denn auch russisch fort.
- »Was für eine Geschichte?«
- »Ach, meine liebste Anna Grigorjewna, wenn Sie sich bloß vorstellen
- könnten, in was für einer Lage ich mich befand! Denken Sie sich, da
- kommt heute die Oberpfarrerin, die Frau Oberpfarrer, die Frau des Vater
- Cyrill zu mir; na, und was denken Sie? unser sanfter Heinrich! Sie
- wissen schon: der neue Gast, ja was sagen Sie bloß zu ihm?«
- »Wie? Er schneidet doch nicht am Ende der Frau Oberpfarrer die Kur?«
- »Ach, je! Anna Grigorjewna! Das wäre noch nicht das schlimmste! Nein,
- hören Sie bloß, was die Frau Oberpfarrer mir erzählt hat! >Denken Sie
- sich,< sagte sie, >kommt da plötzlich die Gutsbesitzerin Karobotschka
- bleich wie der Tod zu mir gestürzt und erzählt mir, nein, Sie glauben
- garnicht, was die mir erzählt hat. Hören Sie doch nur, was die mir
- erzählt hat! Das ist ja der reinste Roman! Mitten in der Nacht, während
- im Hause schon alles schlief, hört sie plötzlich einen Höllenlärm, wie
- man ihn sich schlimmer garnicht denken kann; mit aller Gewalt wird ans
- Tor geklopft, und sie hört eine menschliche Stimme rufen: >Macht auf!
- Macht auf! Sonst stoß ich das Tor ein ...< Nun, wie gefällt Ihnen das?
- Was sagen Sie bloß zu unserm Galan?«
- »Ja, ist denn die Karobotschka jung und hübsch?«
- »Ach, was! Eine alte Schachtel!«
- »Das sind aber schöne Geschichten! Also hat er sich wohl an die Alte
- rangemacht? Na, unsere Damen haben auch einen guten Geschmack, das kann
- man wohl sagen. Haben gerade den Rechten erwischt zum Verlieben!«
- »Aber nicht doch, Anna Gregorjewna! Es ist ganz anders, wie Sie
- vermuten. Denken Sie sich, plötzlich steht er bis an die Zähne bewaffnet
- vor ihr, der reinste Rinaldo Rinaldini, und brüllt sie an: >Verkaufe mir
- die Seelen derer, die gestorben sind,< sagte er. Die Karobotschka
- antwortet natürlich ganz vernünftig: >Ich kann sie nicht verkaufen; sie
- sind doch schon tot.< -- >Nein,< ruft er, >sie sind nicht tot. Das ist
- meine Sache, zu wissen, ob sie tot sind oder nicht,< sagte er. >Sie sind
- nicht tot, sind nicht tot!< schreit er. >Sie sind nicht tot!< Mit einem
- Wort, er macht einen furchtbaren Skandal, das ganze Dorf läuft zusammen,
- die Kinder heulen, alles schreit durcheinander, kein Mensch versteht den
- andern, kurz: ein Orrörrr, Orrörrr, Orrörrr! Sie können sich garnicht
- vorstellen, Anna Grigorjewna, wie erschrocken ich war, als ich dies
- alles hörte. >Liebe gnädige Frau,< sagt meine Maschka zu mir. >Besehen
- Sie sich doch in dem Spiegel! Sie sind ganz bleich!< >Ach, jetzt ist mir
- nicht darum zu tun,< sage ich, >ich muß schnell zu Anna Grigorjewna
- hinfahren und es ihr erzählen.< Ich lasse sofort anspannen. Mein
- Kutscher Andruschka fragt mich, wohin er fahren soll, aber ich bringe
- kein Wort heraus und sehe ihm nur ganz blöde ins Gesicht. Ich glaube
- wahrhaftig, er hat gedacht, ich sei verrückt geworden. Ach, Anna
- Grigorjewna, wenn Sie sich nur vorstellen könnten, wie mich das
- aufgeregt hat!«
- »Hm! Das ist sehr merkwürdig!« sagte die in jeder Beziehung angenehme
- Dame. »Was hat das wohl zu bedeuten, das mit den toten Seelen? Ich muß
- gestehen, von dieser Geschichte verstehe ich nichts, rein garnichts.
- Jetzt höre ich bereits zum zweiten Male von diesen toten Seelen. Und da
- behauptet mein Mann, daß Nosdrjow lügt! Irgend etwas steckt sicher
- dahinter!«
- »Nein, aber denken Sie sich bloß in meine Lage hinein, Anna Grigorjewna,
- wie mir zu Mute war, als ich das hörte!»Und jetzt,« sagt Karobotschka,
- »weiß ich gar nicht, was ich anfangen soll! Er hat mich gezwungen irgend
- eine falsche Urkunde zu unterschreiben,« sagt sie, »und mir dann
- fünfzehn Rubel in Papier auf den Tisch geworfen. Ich,« sagt sie, »bin
- eine unerfahrene hilflose Witwe und verstehe nichts von diesen Sachen.«
- Das ist 'ne Geschichte! Nein, wenn Sie sich bloß vorstellen könnten, wie
- mich das alles aufgeregt hat.«
- »Nein, sagen Sie was Sie wollen! Hier handelt es sich nicht um die toten
- Seelen! Da steckt etwas ganz anderes dahinter.«
- »Ich muß gestehen, ich dachte schon selbst daran,« sagte die bloß
- angenehme Dame ein wenig erstaunt. Sie wurde sofort von der heftigsten
- Begierde gepeinigt, zu erfahren, was wohl dahinter stecken könne, und
- daher sprach sie gedehnt: »Und was glauben Sie, was dahinter steckt?«
- »Nun, was denken Sie wohl?«
- »Was ich denke ...? Ich muß sagen ich stehe wie vor einem Rätsel.«
- »Ich möchte aber doch wissen, was Sie sich wohl dabei gedacht haben?«
- Allein der angenehmen Dame fiel nichts ein und daher schwieg sie. Sie
- konnte sich bloß über die Dinge aufregen, aber feine Vermutungen und
- Kombinationen aufzustellen, das war nicht ihre Sache, und daher empfand
- sie mehr als jede andere ein starkes Bedürfnis nach zärtlicher
- Freundschaft, Rat und Beistand.
- »Nun gut, dann will ich es Ihnen sagen, was diese toten Seelen zu
- bedeuten haben,« sagte die in jeder Beziehung angenehme Dame und ihre
- Freundin horchte auf und war ganz Ohr; ihre Ohren spitzten sich wie von
- selbst. Sie richtete sich im Sitzen auf, sodaß sie das Sofa kaum noch
- berührte und obwohl sie etwas kompakt war, wurde sie plötzlich beinahe
- schlank und leicht wie Federflaum, sodaß man hätte glauben können, ein
- noch so leichter Lufthauch müßte sie mit sich emportragen.
- So scheint ein vornehmer russischer Junker, ein Hundefreund, Jäger und
- Draufgänger, wenn er sich dem Walde nähert, aus dem eben ein von den
- Treibern halb tot gehetzter Hase herausspringt, sich mit seinem Roß und
- der hocherhobenen Koppelpeitsche in der Hand in einem geronnenen
- Augenblick in ein Pulverfaß zu verwandeln, in das im nächsten Moment der
- zündende Funke fallen soll. Seine Augen möchten die trübe Luft
- durchbohren, und für das arme Tier gibts kein Entrinnen mehr. Er setzt
- ihm unaufhaltsam nach, und selbst wenn tausend wirbelnde Schneefelder
- sich gegen ihn erhöben, die ihm mit ganzen Garben silberner Sterne Mund
- und Augen, Schnurrbart, Augenbrauen und die kostbare Bibermütze
- überschütteten.
- »Die toten Seelen ..« sagte die in jeder Beziehung angenehme Dame.
- »Wie? Was?« fuhr die Freundin ganz aufgeregt dazwischen.
- »Die toten Seelen ...!«
- »Ach so sprechen Sie doch, um Gottes Willen!«
- »Sind eine bloße Erfindung und nichts wie ein Vorwand. Hier handelt es
- sich in Wahrheit um folgendes: er will die Tochter des Gouverneurs
- entführen.«
- Diese Schlußfolgerung kam in der Tat sehr unerwartet und war in jeder
- Beziehung ungewöhnlich. Als die angenehme Dame dieses hörte, blieb sie
- wie versteinert auf ihrem Platze sitzen; sie erbleichte, wurde blaß wie
- der Tod, und geriet diesmal ernstlich in Aufregung. »Oh mein Gott!« rief
- sie, indem sie die Hände zusammenschlug: »das hätte ich mir wirklich
- nicht träumen lassen!«
- »Ich muß sagen, Sie hatten kaum den Mund aufgetan, da wußte ich schon,
- worum es sich handelt« antwortete die in jeder Beziehung angenehme Dame.
- »Was soll man aber nach alledem von der Erziehung im Pensionat denken.
- Die liebe Unschuld!«
- »Schöne Unschuld! Ich habe die Dinge reden hören! wahrhaftig ich hätte
- nicht den Mut gehabt, so etwas auszusprechen.«
- »Wissen Sie, Anna Grigorjewna, es ist wirklich zu schmerzlich, wenn man
- sieht, wie weit heute die Unsittlichkeit geht!«
- »Und die Herren sind ganz verschossen in sie. Ich dagegen muß gestehen,
- daß ich nichts an ihr finden kann.«
- »Sie ist schrecklich affektiert, geradezu unerträglich affektiert.«
- »Ach liebste Anna Grigorjewna, sie ist kalt wie ein Marmorbild, ohne den
- geringsten Ausdruck im Gesicht.«
- »Nein, wie affektiert, wie schrecklich affektiert sie ist, Gott, wie
- affektiert! Wer sie das nur gelehrt haben mag? Aber ich habe noch nie
- ein Mädchen gesehen, das ein so geziertes Wesen gehabt hätte.«
- »Liebste, Sie ist eine Marmorstatue, und bleich wie der Tod.«
- »Ach, sagen Sie doch das nicht, Sofia Iwanowna, sie legt ja Rot auf, daß
- es 'ne Schande ist.«
- »Nein, was sprechen Sie, Anna Grigorjewna; sie ist ja bleich wie Kreide,
- ganz wie Kreide.«
- »Meine Liebe, ich habe doch neben ihr gesessen, die Schminke sitzt ihr
- ja fingerdick auf den Wangen, und bröckelt stückweise ab wie der Kalk
- von der Wand. Das hat sie von ihrer Mutter. Die ist selbst eine
- abgefeimte Kokette, aber die Tochter ist der Mutter noch über.«
- »Nein, erlauben Sie, nein, sagen Sie selbst, wobei ich schwören soll,
- ich gebe gleich alles hin, meinen Mann, meine Kinder, all mein Hab und
- Gut, wenn sie auch nur ein bißchen, ein Fünkchen, auch nur einen Anflug
- von Farbe hat!«
- »Ach, was reden Sie bloß, Sofia Iwanowna,« sagte die in jeder Beziehung
- angenehme Dame, und schlug die Hände zusammen.
- »Nein, wie sonderbar Sie sind! wirklich, Anna Grigorjewna, ich sehe Sie
- bloß an und staune!« sagte die angenehme Dame, und schlug gleichfalls
- die Hände zusammen.
- Der Leser darf sich nicht darüber wundern, daß beide Damen sich durchaus
- nicht über das einigen konnten, was sie doch fast zu gleicher Zeit
- gesehen hatten. Es gibt tatsächlich sehr viele Dinge auf der Welt, die
- diese merkwürdige Beschaffenheit haben; werden sie von _einer_ Dame
- betrachtet, so sind sie ganz weiß; betrachtet sie dagegen eine andre
- Dame, so sind sie ganz _rot_, rot wie Preißelbeeren.
- »Nun, da haben Sie _noch_ einen Beweis dafür, daß sie blaß ist,« fuhr
- die angenehme Dame fort: »ich erinnere mich noch ganz deutlich, wie wenn
- es heute wäre, daß ich neben Manilow saß und zu ihm sagte: >Sehen Sie
- doch, wie bleich sie ist!< Wirklich, man muß schon so unvernünftig sein,
- wie unsere Herren, um sich für sie zu begeistern. Und unser Herr Galan
- ... Herrgott, wie er mir in diesem Augenblick widerwärtig war! Sie
- können sich garnicht vorstellen, wie er mir widerwärtig war!«
- »Und doch gab es gewisse Damen, denen er nicht ganz gleichgültig war.«
- »Meinen Sie mich, Anna Grigorjewna? Das können Sie doch wirklich nicht
- sagen. Niemals, niemals!«
- »Ich spreche doch nicht von Ihnen, es gibt doch noch andre Frauen auf
- der Welt!«
- »Niemals, niemals, Anna Grigorjewna. Erlauben Sie mir zu bemerken, daß
- ich mich sehr gut kenne; das trifft mich wirklich nicht, aber vielleicht
- andre Damen, die sich den Schein der Unnahbarkeit zu geben suchen.«
- »Nein, verzeihen Sie Sofia Iwanowna, bitte lassen Sie sich sagen, daß
- ich noch nie in eine solche Skandalgeschichte verwickelt war. So etwas
- mag vielleicht jeder andern begegnen, aber mir nicht, Sie müssen mir
- schon gestatten, Ihnen dieses zu bemerken.«
- »Warum sind Sie denn so gekränkt? Außer Ihnen waren doch noch andre
- Damen anwesend, welche den Stuhl an der Türe zu allererst besetzen
- wollten, um möglichst nahe bei ihm zu sitzen.«
- Man hätte meinen sollen, diese Worte der angenehmen Dame hätten
- unbedingt ein Ungewitter zur Folge haben müssen; aber merkwürdigerweise
- verstummten beide Damen ganz plötzlich, und der erwartete Sturm blieb
- aus. Die in jeder Beziehung angenehme Dame erinnerte sich noch zur
- rechten Zeit, daß der Schnitt zum neuen Kleide noch nicht in ihrer Hand
- war, und die bloß angenehme Dame war sich darüber klar, daß sie noch gar
- keine Einzelheiten über die Entdeckung ihrer besten Freundin wußte, und
- daher schloß man sehr schnell wieder Frieden. Übrigens kann man nicht
- sagen, daß beide Damen von Natur das Bedürfnis hatten, sich
- Unannehmlichkeiten zu bereiten, auch hatten sie nicht eigentlich einen
- boshaften Charakter, es kam gleichsam ganz von selbst, daß sich während
- des Gespräches der fast unmerkliche Wunsch in ihnen regte, einander
- einen kleinen Hieb zu versetzen; da ereignete es sich denn zuweilen, daß
- es der einen von beiden eine kleine Freude machte, der Freundin bei
- Gelegenheit ein herzhaftes Wort zu sagen: »Da hast du's! nimm und friß
- es!« So verschieden sind Herzensbedürfnisse beim männlichen und
- weiblichen Geschlechte.
- »Ich kann nur eins nicht verstehen,« sagte die bloß angenehme Dame, »wie
- Tschitschikow, der doch hier nur auf der Durchreise ist, sich zu einem
- so tollkühnen Abenteuer entschließen konnte. Er muß doch irgend welche
- Helfershelfer haben.«
- »Und Sie glauben wohl er hat keine?«
- »Und was meinen Sie, wer könnte ihm dabei helfen?«
- »Nun, zum Beispiel -- Nosdrjow!«
- »Glauben Sie wirklich -- Nosdrjow?«
- »Warum nicht. Der ist doch zu allem fähig. Wissen Sie denn nicht, er hat
- seinen leiblichen Vater verkaufen oder richtiger am Kartentisch
- verspielen wollen.«
- »Gott, was für interessante Neuigkeiten ich von Ihnen erfahre! Ich hätte
- nie gedacht, daß auch Nosdrjow in diese Geschichte verwickelt sei.«
- »Und ich hab es mir gleich gedacht!«
- »Wenn man denkt, was in der Welt alles vorfällt! Sagen Sie bloß, wer
- hätte es damals vermuten können, als Tschitschikow zum Besuch in unsere
- Stadt kam, daß er solche tolle Sprünge machen würde? Ach Anna
- Grigorjewna, wenn Sie wüßten, wie mich das aufregt! Wenn ich Sie nicht
- hätte, Ihre Freundschaft und Ihre Güte .... Ich stände wirklich wie vor
- einem Abgrund .... Wo sollte ich nur hin? Meine Maschka schaut mich an,
- sieht daß ich bleich bin wie der Tod, und sagt zu mir: >Liebe gnädige
- Frau, Sie sind ja bleich wie der Tod!< Und ich sage ihr noch: >Ach
- Maschka, mir gehen jetzt ganz andere Gedanken im Kopf herum!< Nein so
- etwas! Und der Nosdrjow steckt auch dahinter! Schöne Geschichte das!«
- Die angenehme Dame brannte darauf, noch weitere Details über die
- Entführung d. h. etwas über den Tag, die Stunde und so weiter zu
- erfahren, aber sie verlangte zu viel. Die in jeder Beziehung angenehme
- Dame erklärte ganz einfach, sie wüßte nichts darüber. Und sie log
- niemals: eine kühne Hypothese aufstellen -- das war eine andre Sache,
- aber auch dies gelang ihr nur dann, wenn diese Hypothese auf einer
- tiefen inneren Überzeugung beruhte; war diese innere Überzeugung aber
- wirklich vorhanden, dann verstand es die Dame auch für sie einzustehen,
- da hätte es der größte Advokat, der berühmteste Wortfechter und Sieger
- über fremde Überzeugungen nur versuchen sollen, sich mit ihr im
- Wettkampfe zu messen --: hier hätte er erst gemerkt, was das bedeutet:
- eine innere Ueberzeugung.
- Daß beide Damen zuletzt ganz fest davon überzeugt waren, was sie vordem
- auf die bloße Vermutung hin angenommen hatten, das ist durchaus nicht
- merkwürdig. Unser einer, mit einem Wort wir, die wir uns gescheidte
- Leute nennen, handeln doch genau ebenso, und der beste Beweis dafür sind
- unsere gelehrten Erörterungen. So ein Gelehrter geht zuerst auch an die
- Sache heran wie ein richtiger Gauner, er beginnt ganz vorsichtig und
- fast schüchtern mit einer ganz bescheidenen Frage: »Hat nicht dies Land
- seinen Namen von dorther, von jenem Winkel der Erde?« oder »Gehört nicht
- vielleicht diese Urkunde einer anderen, späteren Zeit an?« oder »Müssen
- wir nicht dies Volk für das und das Volk halten?« Hierauf zitiert er
- sofort den und den Schriftsteller des Altertums, kaum aber hat er irgend
- eine Anspielung entdeckt oder doch etwas was _er_ für eine Anspielung
- hält, so legt er auch schon im kühnen Galopp los, bekommt Mut, beginnt
- mit den alten Schriftstellern zu sprechen wie mit seinesgleichen,
- richtet Fragen an sie, die er sogar selbst in ihrem eigenen Namen
- beantwortet, und er hat plötzlich ganz vergessen, mit welch bescheidener
- Hypothese er angefangen hat; jetzt kommt es ihm schon so vor, als sähe
- er dies alles vor Augen, so klar ist es ihm jetzt und er beschließt
- seine Betrachtung mit den Worten: »Und so ist es gewesen. Dies Volk also
- war es. Das ist der Standpunkt, von dem aus dieser Gegenstand beurteilt
- werden muß!« Und dann wird es feierlich vom Katheder verkündet, daß alle
- es hören können -- und die neue Wahrheit spaziert in die Welt hinaus, um
- weitere Anhänger und Bewunderer zu gewinnen.
- Während unsere beiden Damen eine so höchst verworrene und komplizierte
- Sache so glücklich und mit soviel Scharfsinn geklärt und entwirrt
- hatten, trat der Staatsanwalt mit seinem starren und ewig unbeweglichen
- Gesicht, den dichten Augenbrauen und dem blitzenden Auge in den Salon.
- Beide Damen teilten ihm sofort alle Neuigkeiten mit, erzählten ihm von
- dem Kauf der toten Seelen, von Tschitschikows Absicht, die Tochter des
- Gouverneurs zu entführen und redeten so lange auf ihn ein, bis er ganz
- konfus wurde. Verwirrt stand er auf demselben Fleck, blinzelte mit dem
- linken Augenlid, staubte sich mit einem Taschentuch den Tabak von seinem
- Bart ab, und verstand auch nicht ein Wort von dem, was er vernahm. In
- einer solchen Verfassung überließen ihn die Damen sich selbst und
- stürmten davon, jede in ihrer Richtung, um die Stadt in Aufruhr zu
- setzen. Dieses Unternehmen gelang ihnen in kaum mehr als einer halben
- Stunde. Die Stadt war in ihrem Innersten aufgewühlt, alles befand sich
- in wilder Gährung und bald begriff kein Mensch überhaupt noch etwas. Die
- Damen verstanden es, einen solchen Rauch und Nebel zu erzeugen, daß
- alle, besonders aber die Beamten, ihrer Sinne kaum noch mächtig waren.
- Ihre Lage glich im ersten Moment der eines Schuljungen, dem seine
- Kameraden während des Schlafes eine Papierdüte mit Tabak, oder wie man's
- bei uns nennt »einen Husaren« in die Nase gesteckt haben. Schnaufend und
- mit der ganzen Gewalt des Schnarchenden zieht der Schläfer den Tabak
- ein, erwacht, springt auf, sperrt die Augen auf, sieht sich nach allen
- Seiten um, wie ein Narr, und kann nicht begreifen, wo er sich befindet,
- und was mit ihm vorgeht; doch nun erkennt er die Mauer, auf die der
- schwache Lichtreflex eines Sonnenstrahles fällt, das Gelächter der
- Kameraden, die hinter der Ecke hervorgucken, das nahende Morgenlicht,
- das heiter durch das Fenster strahlt, den erwachenden Wald, aus dem
- tausende von Vogelstimmen wiedertönen, das in der Morgensonne
- erstrahlende Flüßchen, hie und da zwischen Schilfrohr versteckt, in
- dessen glänzender Flut sich unzählige feuchte Knabenleiber tummeln, und
- zum Bade laden -- und nun erst merkt er, daß ihm der Husar in der Nase
- steckt. Genau so war im ersten Moment die Lage der Bewohner und Beamten
- unserer Stadt. Ein jeder blieb stehen wie ein Hammel und sperrte die
- Augen weit auf. Die toten Seelen, die Tochter des Gouverneurs, und
- Tschitschikow; dies alles wogte und wirbelte in wunderlichster Weise in
- ihren Köpfen durcheinander; erst später, nachdem die erste Verwirrung
- sich gelegt hatte, fingen sie an diese verschiedenen Dinge einzeln
- voneinander zu unterscheiden, eins vom andern zu trennen, Rechenschaft
- zu fordern, und sie wurden zornig, als sie sahen, daß durchaus keine
- Klarheit über die ganze Angelegenheit zu gewinnen war. »Was ist denn das
- für eine Fabel, nein wirklich, was ist das für ein Gefasel von den toten
- Seelen? Wo bleibt denn da die Logik in dieser Geschichte mit den toten
- Seelen? Wie kann man denn tote Seelen kaufen? Wo gibt es denn einen
- solchen Esel, der so etwas täte? Und für was für ein unnützes Geld wird
- er sie denn kaufen? Und schließlich, wozu kann er diese toten Seelen
- bloß brauchen? Und dann: was hat nur die Tochter des Gouverneurs mit der
- Sache zu tun? Wenn er sie aber wirklich entführen wollte, warum sollte
- er zu diesem Zwecke der toten Seelen bedürfen? Und wenn er sich tote
- Seelen kaufen will, was braucht er dann die Tochter des Gouverneurs zu
- entführen? Wollte er ihr etwa die toten Seelen schenken? Was für einen
- Unsinn sie da in der Stadt verbreiten! Was ist das wieder für eine
- Ordnung: man darf sich kaum bewegen, dann werden sofort Geschichten über
- einen verbreitet ... Und wenn die Sache nur überhaupt irgend einen Sinn
- hätte! ... Andererseits aber muß doch etwas dahinter stecken, sonst wäre
- doch dies Gerücht nicht entstanden. Irgend einen Grund muß es doch
- haben. Aber was könnten die toten Seelen für ein Grund sein? Da fehlt es
- doch sogar an einem vernünftigen Grunde! Das ist doch wirklich fast so
- wie: »ein hölzernes Eisen«, »ein paar weichgekochte Stiefel« oder »ein
- gläserner Stelzfuß!« Mit einem Wort, man sprach, man klatschte, man
- tuschelte, und die ganze Stadt redete von nichts anderem als von den
- toten Seelen und von der Tochter des Gouverneurs, von Tschitschikow und
- von den toten Seelen, von der Tochter des Gouverneurs und von
- Tschitschikow, und alles kam in Bewegung. Wie ein Wirbelwind ging es
- durch die Stadt, die bisher in Schlaf versunken schien. Sämtliche
- Faullenzer und Stubenhocker, die jahrelang in ihren Schlafröcken hinter
- dem Ofen hockten und die Schuld bald auf den Schuster, der ihnen zu enge
- Stiefel gemacht hatte, bald auf den Schneider oder auf ihren betrunkenen
- Kutscher schoben, kamen aus ihren Höhlen gekrochen, all die, welche
- längst alle Beziehungen zu ihren Freunden und Bekannten abgebrochen
- hatten und nur noch mit den beiden Gutsbesitzern Herrn Bärenhäuter und
- Herrn Ofenhocker verkehrten (zwei berühmte Namen, die von den Ausdrücken
- »auf der Bärenhaut« liegen und »hinterm Ofen hocken« abgeleitet und bei
- uns sehr beliebt sind, ebenso wie die Redensart: Herrn Schnarchelaut und
- Schlummersüß einen Besuch abstatten jenen totenähnlichen Schlaf auf der
- Seite, auf dem Rücken und in allen möglichen anderen Lagen, bezeichnen
- soll, der von einem kräftigen Schnarchen, sanftem Zephyrsäuseln durch
- die Nase und allem sonstigen Zubehör begleitet ist); alle die, welche
- man nicht einmal durch die Aussicht auf eine teure Fischsuppe mit
- meterlangen Sterlets und allen nur erdenklichen Pasteten, die einem auf
- der Zunge zergehen, aus ihrem Hause locken konnte, kamen hervor; mit
- einem Worte, es zeigte sich, daß die Stadt menschenreich und groß war,
- und daß ein so lebhafter Verkehr in ihr herrschte, wie man es nur
- wünschen konnte. Es tauchten sogar ein Herr Ssyssoi Pafnutjewitsch und
- ein Herr Makdonald Karlowitsch auf, von denen man bis dahin noch nie
- etwas gehört hatte; in den Salons erschien plötzlich ein baumlanger Kerl
- mit einem durchschossenen Arm, ein wahrer Riese, von einer Größe, wie
- sie überhaupt noch nie dagewesen war. Auf den Straßen sah man gedeckte
- Wagen, vorsintflutliche Droschken, Klapperkästen, Rumpelkutschen -- und
- der Brei war eingerührt. Zu einer anderen Zeit und unter anderen
- Umständen hätten diese Gerüchte vielleicht gar keine Beachtung gefunden,
- aber die Stadt N. war schon lange ohne Neuigkeiten geblieben. Ja, es war
- während der letzten drei Monate so gut wie gar nichts passiert, was man
- in der Hauptstadt eine Kommerage oder eine Klatschgeschichte zu nennen
- pflegt und was bekanntlich für eine Stadt unter Umständen ebenso wichtig
- ist, wie die rechtzeitige Zufuhr der Lebensmittel. Die Bevölkerung der
- Stadt teilte sich plötzlich in zwei völlig entgegengesetzte Parteien,
- die zwei ganz verschiedene Standpunkte vertraten: die männliche und die
- weibliche. Der Standpunkt der Männer war ganz unvernünftig und töricht;
- sie legten das Hauptgewicht auf die toten Seelen. Die weibliche Partei
- beschäftigte sich dagegen ausschließlich mit der Entführung der Tochter
- des Gouverneurs. In dieser Partei -- zur Ehre der Damen sei es gesagt --
- herrschte weit mehr Umsicht, Ordnung und Überlegung. Es ist offenbar
- schon mal Bestimmung der Frauen, gute Wirtinnen zu sein und überall für
- die richtige Ordnung zu sorgen. Bei ihnen nahm alles sehr bald ein
- bestimmtes lebendiges Ansehen, scharfe und handgreifliche Formen an,
- alles klärte sich und wurde durchsichtig und deutlich wie ein
- vollendetes scharf umrissenes Gemälde. Jetzt kam es an den Tag, daß
- Tschitschikow schon längst in jene Person verliebt war, daß sie sich im
- Garten beim Mondenschein getroffen, daß der Gouverneur Tschitschikow
- seine Tochter längst zur Frau gegeben hätte, weil jener reich wie ein
- Jude war, wenn nicht Tschitschikows Frau, die von ihm verlassen worden
- war, dazwischen gestanden hätte (woher man erfahren hatte, daß er
- verheiratet war, wußte niemand anzugeben), daß diese Frau, die eine
- hoffnungslose Liebe in ihrem Herzen hegte, einen rührenden Brief an den
- Gouverneur geschrieben, und daß sich Tschitschikow angesichts der
- entschiedenen Weigerung von Mutter und Vater, zu einer Entführung
- entschlossen habe. In manchen Häusern wurde diese Geschichte allerdings
- etwas anders erzählt: darnach hatte Tschitschikow überhaupt keine Frau,
- hätte aber als der feine und stets sicher gehende Mann, sich, da er die
- Tochter haben wollte, zunächst an die Mutter gemacht, und mit dieser
- eine kleine Herzensaffäre angebahnt, erst später habe er um die Hand der
- Tochter angehalten; die Mutter aber hätte gefürchtet, hier könne leicht
- ein Verbrechen geschehen, das den heiligen Geboten der Religion
- zuwiderlaufe und habe es ihm daher von Gewissensbissen gefoltert ganz
- kurz abgeschlagen, erst jetzt habe sich Tschitschikow dazu entschlossen,
- die Tochter zu entführen. Dazu kamen noch eine Menge von Aufklärungen
- und Richtigstellungen, deren Zahl um so mehr anwuchs, je weiter die
- Gerüchte sich verbreiteten und bis in die entlegensten Gassen und Winkel
- der Stadt eindrangen. Bei uns in Rußland haben auch die unteren
- Schichten der Gesellschaft eine große Vorliebe für Klatschgeschichten,
- die aus den vornehmen Kreisen kommen, so begann man denn bald auch in
- solchen Häusern von diesem Skandal zu reden, wo man Tschitschikow
- überhaupt nicht kannte, und so entstanden bald wiederum neue Erklärungen
- und Gerüchte. Der Gegenstand wurde jeden Augenblick interessanter, nahm
- mit jedem neuen Tage immer neue und bestimmtere Formen an und kam so
- schließlich in voller Bestimmtheit und Abgeschlossenheit der Frau
- Gouverneurin selbst zu Ohren. Die Gouverneurin fühlte sich, als Mutter
- einer Familie, und als erste Dame der Stadt, durch diese Geschichten
- aufs tiefste beleidigt, besonders da sie nichts derartiges auch nur
- vermutet hatte, und geriet in eine große und auch in jeder Beziehung
- berechtigte Empörung. Die arme Blondine hatte ein höchst unangenehmes
- Tete-a-tete mit ihr, wie es nur je ein sechzehnjähriges junges Mädchen
- zu überstehen hatte. Eine ganze Flut von Fragen, Verweisen, Vorwürfen,
- Ermahnungen und Drohungen ergoß sie über das arme Mädchen, sodaß diese
- in Tränen ausbrach und laut zu schluchzen begann, ohne ein einziges Wort
- von alledem zu verstehen; der Portier erhielt strengste Order
- Tschitschikow nie wieder und unter keinem Vorwande mehr vorzulassen.
- Nachdem die Damen ihre Mission, soweit diese nämlich die Gouverneurin
- betraf, erfüllt hatten, nahmen sie sich die männliche Partei vor, um sie
- für sich zu gewinnen. Sie erklärten die Sache mit den toten Seelen für
- eine pure Erfindung, nur dazu geschaffen, um jeden Verdacht ablenken und
- so den Mädchenraub ungestört ausführen zu können. Viele von den Männern
- ließen sich bekehren und schlossen sich der Partei der Damen an,
- trotzdem sie sich dadurch dem Tadel und den Vorwürfen ihrer Genossen
- aussetzten, welche sie Pantoffelhelden und Weiberröcke nannten -- zwei
- Epitheta, die bekanntlich für das männliche Geschlecht einen recht
- kränkenden Sinn haben.
- Aber so sehr sich auch die Männer wappnen, so großen Widerstand sie auch
- leisten mochten, es fehlte in ihrer Partei schließlich doch an jener
- Ordnung und Disziplin, welche die Frauenpartei auszeichneten. Bei ihnen
- war alles plump, ungeschickt, unzweckmäßig, unharmonisch und schlecht;
- in den Köpfen herrschte Unordnung und Wirrwarr, in den Gedanken
- Unklarheit und Verworrenheit -- mit einem Worte, es kam eben die
- unglückliche Natur des Mannes so recht zum Vorschein, diese grobe plumpe
- schwerfällige Natur, die weder zur Verwaltung des Haushalts zu brauchen,
- noch tiefer ehrlicher Überzeugungen fähig ist, diese kleingläubige,
- träge, von ewigen Zweifeln, von Ängstlichkeit und Furcht zerrüttete
- Natur. Die Männer behaupteten, das seien alles Torheiten, die Entführung
- einer Gouverneurstochter sei weit eher etwas für einen Husaren, als für
- eine Zivilperson, so etwas würde Tschitschikow auf keinen Fall tun, den
- Frauen sei nicht zu trauen, sie lögen alle, ein Weib sei wie ein leerer
- Sack, was man in ihn hineinschütte, das käme auch wieder aus ihm heraus:
- der Hauptpunkt, auf den man sein Augenmerk richten müsse, das seien die
- toten Seelen, zwar wisse der Teufel allein, was sie zu bedeuten hätten,
- sicherlich aber stecke etwas sehr Schlimmes und Häßliches dahinter.
- Warum es den Männern aber schien, daß etwas so Häßliches und Schlimmes
- dahinter stecke -- dies werden wir sogleich erfahren. Es war soeben ein
- neuer Generalgouverneur für die Provinz ernannt worden -- bekanntlich
- ein Ereignis, das die Beamten stets in einen Zustand voller Unruhe und
- Aufregung versetzt: da gibt's dann immer allerhand Untersuchungen und
- Rüffel, da wird einem der Kopf ordentlich gewaschen und zurechtgesetzt,
- da muß man von Amts wegen alle Suppen ausessen, mit denen der
- Vorgesetzte seine Untergebenen zu traktieren pflegt. -- »Herr Gott!«
- dachten die Beamten, »wenn er auch nur das erfährt, daß in der Stadt
- solche Gerüchte zirkulieren, dann wird er nicht zum Scherze, sondern
- ernstlich zornig werden.« Der Inspektor der Sanitätsverwaltung wurde
- plötzlich ganz bleich, ihm fiel etwas ganz Schreckliches ein, ob nicht
- das Wort »tote Seelen« eine Anspielung auf die vielen Leute sei, die bei
- der letzten Fieberepidemie erkrankt und wegen der mangelhaften
- Vorsichtsmaßregeln in den Häusern und Lazaretten gestorben waren, und ob
- Tschitschikow nicht am Ende ein Beamter aus der Kanzlei des
- Generalgouverneurs sei, der hier im geheimen eine Untersuchung in die
- Wege leiten solle. Er teilte seine Befürchtungen dem Gerichtspräsidenten
- mit. Der Gerichtspräsident erklärte sie für Torheiten, erblaßte aber
- gleich darauf selbst bei dem Gedanken: wie aber, wenn die von
- Tschitschikow gekauften Seelen wirklich tot wären? Hatte er es doch
- zugelassen, daß der Kaufvertrag abgeschlossen wurde und noch dazu selbst
- die Rolle eines Vertrauensmannes bei Pljuschkin übernommen. Wie, wenn
- das dem Generalgouverneur zu Ohren käme, was dann? Er teilte diesem und
- jenem seine Besorgnisse mit, und plötzlich erblaßte auch dieser und
- jener: die Angst ist ansteckender als die Pest und teilt sich in einem
- Augenblicke mit. Alle entdeckten plötzlich solche Sünden an sich selbst,
- wie sie sie garnicht mal begangen hatten. Die Worte »tote Seelen« hatten
- einen so unbestimmten Klang, daß sogar der Argwohn laut wurde, ob es
- sich hier nicht um zwei Fälle handle, wo zwei Menschen zu früh begraben
- worden waren. Beide Ereignisse lagen noch nicht sehr weit zurück. Das
- erste war mit ein paar Kaufleuten aus Ssolwytschiegodsk passiert, welche
- zur Messe in die Stadt gekommen waren und nach Erledigung ihrer
- Geschäfte mit ein paar befreundeten Kaufleuten aus Ustssyssolsk eine
- solenne Zecherei veranstaltet hatten. Eine Zecherei nach russischer Art
- aber mit deutschen Finessen: Grogs, Punschen, Bowlen usw. Diese Zecherei
- endigte natürlich, wie das gewöhnlich zu passieren pflegt, mit einer
- weidlichen Prügelei. Die Herren aus Ssolwytschiegodsk setzten denen aus
- Ustssyssolsk tüchtig zu, obwohl sie von diesen ebenfalls ein paar
- kräftige Rippenstöße und Püffe in die Bauch- und Magengegend erhielten,
- welche von den ungeheuerlichen Dimensionen der Fäuste zeugten, mit denen
- die seligen Prügelhelden begabt waren. Dem einen von den Siegern war
- sogar der Erker eingetrommelt, wie sich unsere Boxer auszudrücken
- pflegen, d. h. die Nase derart platt geschlagen, daß kaum mehr als ein
- Fingerglied von ihr übrig war. Die Kaufleute gestanden ihre Schuld ein
- und erklärten, sie hätten sich einen kleinen Scherz erlaubt. Man sprach
- sogar davon, daß sie für jeden der von ihnen Erlegten je vier
- Hundertrubelscheine bezahlt hätten; übrigens aber blieb das eine sehr
- dunkle Sache. Aus den angestellten Ermittlungen und Nachforschungen ging
- hervor, daß die Kaufleute von Ustssyssolsk an Kohlengasvergiftung
- zugrunde gegangen seien. Und so wurden sie denn auch als solche
- begraben. Der andere Fall, der sich vor kurzem ereignet hatte, war
- folgender: die Ministerialbauern des Dorfes Wschiwaja Speß hatten sich
- mit ebensolchen Bauern der Dörfer Borow, Borowka und Sadirailowo
- vereinigt und angeblich die Gendarmerie in der Person eines gewissen
- Schöffen, namens Drobjaschkin vom Erdboden vertilgt. Die Gendarmerie, d.
- h. der Schöffe Drobjaschkin sollte sich gar zuviel herausgenommen und
- allzuoft ihr Dorf heimgesucht haben, was unter Umständen fast so
- gefährlich war, wie eine Epidemie. Der Grund aber sei gewesen, daß die
- Gendarmerie aus einer gewissen Herzschwäche den Weibern und Dorfmädeln
- gar zu eifrig nachgestellt habe. Ganz klar ist zwar die Sache nicht,
- obwohl die Bauern geradezu aussagten, die Gendarmerie sei lüstern
- gewesen, wie ein Kater, mehr als einmal hätten sie _ihn_ vertreiben und
- einmal sogar ganz nackt aus einer Bauernhütte hinausjagen müssen.
- Natürlich hatte die Gendarmerie wegen ihrer Herzschwäche eine harte
- Strafe verdient, andererseits ließ sich aber die Eigenmächtigkeit der
- Bauern von Wschiwaja Speß und Sadirailowo auch nicht rechtfertigen und
- verteidigen, wenn sie wirklich an dem Morde teilgenommen hatten.
- Immerhin blieb es doch eine ganz dunkle Sache; man fand die Gendarmerie
- am Wege liegen; ihre Uniform oder ihr Rock glich einem Haufen von
- Lumpen, und das Gesicht war auch fast unkenntlich. Die Sache kam vor die
- Behörden und schließlich vor das Kriminalgericht, wo man sie zuerst ganz
- unter sich erörterte und in folgendem Sinne entschied: da es unbekannt
- sei, wer von den Bauern eigentlich an dem Tode der Gendarmerie Schuld
- trug, alle zusammen jedoch eine zu respektable Anzahl ausmachten, da
- Drobjaschkin andererseits aber ein toter Mann sei, und daher wenig davon
- haben würde, wenn er den Prozeß gewönne, die Bauern hingegen noch am
- Leben seien, weshalb denn auch eine günstige Wendung des Prozesses von
- großer Bedeutung für sie sei, so habe das Gericht beschlossen: daß der
- Schöffe Drobjaschkin selbst die Schuld an seinem Tode trage, weil er die
- Bauern von Wschiwaja Speß und Sadirailowo in ungerechter Weise bedrückt
- und verfolgt habe, und daß er demgemäß, als er eines Abends in seinem
- Schlitten nach Hause zurückkehrte, an einem Schlaganfall gestorben sei.
- Die Sache schien damit nach allen Regeln der Kunst erledigt; plötzlich
- aber fingen die Beamten an zu glauben, daß es sich in diesem Falle um
- die genannten toten Seelen handele. Dazu kam noch, daß gerade um die
- Zeit, als sich die Herren Beamten ohnedies in einer schwierigen Lage
- befanden, beim Gouverneur zwei Papiere eingingen. Das eine enthielt die
- Mitteilung, daß auf gewisse Anzeichen hin sich in der Provinz ein
- Falschmünzer aufhalte, welcher falsches Papiergeld herstelle und sich
- hinter verschiedenen Namen verstecke. Und daher sei es nötig, eine
- strenge Untersuchung in die Wege zu leiten. Das andere Papier enthielt
- eine Mitteilung des Gouverneurs der Nachbarprovinz über einen Räuber,
- der sich der gerichtlichen Verfolgung entzogen hatte, und die
- Aufforderung, wenn in der Provinz des Herrn Kollegen eine verdächtige
- Person auftauchen sollte, welche weder Paß, noch sonstige
- Legitimationspapiere vorlegen könne, diese sofort zu verhaften. Beide
- Papiere riefen eine allgemeine Bestürzung hervor; alle bisherigen
- Vermutungen und Folgerungen waren plötzlich über den Haufen geworfen. Es
- lag natürlich nicht der geringste Anlaß zur Annahme vor, daß sich auch
- nur ein Wort davon auf Tschitschikow bezöge. Wenn man sich dagegen
- überlegte und daran erinnerte, daß eigentlich niemand recht wußte, wer
- Tschitschikow sei, daß er sich selbst nur sehr unklar und unbestimmt
- über seine Person geäußert und bloß erklärt hatte, daß er in seiner
- Karriere Schiffbruch gelitten, weil er der Wahrheit hätte dienen wollen,
- so mußte das frischen Verdacht erregen. Aber das alles war doch zu
- unklar und verschwommen. Und wenn er weiter sagte, er habe sich viele
- Feinde erworben, die ihm nach dem Leben trachteten, so gab das noch mehr
- Grund zum Nachdenken: also hatte er in Lebensgefahr geschwebt, also
- wurde er doch verfolgt: also mußte er doch irgend etwas begangen haben
- ... Ja wer war er denn nun eigentlich? Man durfte natürlich nicht
- annehmen, daß er falsches Papiergeld verfertige, oder gar ein Räuber sei
- -- hatte er doch eine so gesinnungstüchtige Physiognomie; aber bei
- alledem: wer war er denn nun tatsächlich? Und jetzt endlich stellten
- sich die Herren Beamten die Frage, die sie sich gleich im Anfang, d. h.
- im ersten Kapitel dieser Dichtung, hätten stellen sollen. Man beschloß
- noch einige Nachforschungen bei all den Leuten anzustellen, die ihm die
- toten Seelen verkauft hatten, um wenigstens zu erfahren, was das für ein
- Geschäft gewesen sei, was man nun eigentlich unter diesen toten Seelen
- zu verstehen habe und ob Tschitschikow nicht wenigstens einem von ihnen
- zufällig oder so nebenher etwas von seinen Plänen und Absichten verraten
- oder ihnen erzählt hätte, wer er sei. Zuerst wandte man sich an die
- Karobotschka; aber aus der war nicht viel herauszubekommen: er hätte
- halt für fünfzehn Rubel tote Seelen gekauft und kaufe auch Daunen ein,
- ja er habe versprochen, ihr noch alles mögliche andere abzunehmen. Er
- liefere auch Speck an den Staat und sei daher ganz gewiß ein Gauner;
- denn es sei schon einmal einer dagewesen, der ihr Daunen abgekauft und
- Specklieferungen an den Staat übernommen habe. Der habe alle miteinander
- übers Ohr gehauen und die Frau Oberpfarrer um ganze hundert Rubel
- betrogen. Mehr war nicht aus ihr herauszuholen; sie wiederholte immer
- nur ein und dasselbe, und die Beamten überzeugten sich bald, daß
- Karobotschka ganz einfach eine dämliche alte Schachtel sei. Manilow
- erklärte, für Pawel Iwanowitsch werde er stets einstehen wie für sich
- selber. Er würde gerne sein ganzes Gut dafür hingeben, wenn er nur einen
- hundertsten Teil jener vortrefflichen Eigenschaften besäße, die
- Pawel Iwanowitsch zierten; überhaupt äußerte er sich in der
- schmeichelhaftesten Weise über ihn, indem er die Augen zusammenkniff und
- noch einige Gedanken über Freundschaft von sich aus zugab. Diese
- Gedanken zeugten natürlich in ausreichender Weise von den zarten
- Regungen seines Herzens; aber sie klärten die Sache selbst eigentlich
- doch nicht auf. Sabakewitsch erwiderte: seiner Ansicht nach sei
- Tschitschikow ein braver Mensch, er Sabakewitsch habe ihm nur seine
- besten Bauern verkauft: es seien Leute, die in jeder Hinsicht wohlauf
- und munter seien; aber er könne natürlich nicht dafür garantieren, was
- in Zukunft nicht noch alles geschehen könne. Wenn sie die Strapazen der
- Übersiedelung nicht überstehen und unterwegs sterben sollten, so sei das
- nicht seine Schuld; das liege in Gottes Hand. Es gäbe ja genug Epidemien
- und andere tödliche Krankheiten in der Welt, und es habe schon Fälle
- gegeben, wo ganze Dörfer ausgestorben seien. Die Herren Beamten nahmen
- noch zu einem andern Mittel ihre Zuflucht, das man zwar nicht allzu
- vornehm nennen kann, das aber doch zuweilen zur Anwendung kommt. Sie
- ließen die Bedienten Tschitschikows auf allerhand Umwegen durch
- befreundete Lakaien ausfragen, ob ihnen nicht irgend welche Einzelheiten
- aus der Vergangenheit und den Lebensverhältnissen ihres Herrn bekannt
- seien. Aber auch hier bekamen sie nur wenig zu hören. Von Petruschka
- nahmen sie nichts mit als jenen etwas dumpfigen Geruch der Wohnstube,
- und Seliphan erklärte nur kurz: »Er ist früher Beamter gewesen und hat
- beim Zollamt gedient.« Das war alles. Diese Klasse von Menschen hat eine
- seltsame Gewohnheit: wenn man sie direkt nach etwas fragt, dann können
- sie sich nie auf etwas besinnen. Sie können sich die Dinge in ihrem
- Kopfe nicht zusammenreimen, oder sagen einfach, daß sie nichts wissen.
- Fragt man sie aber nach etwas anderem, dann bringen sie alles vor, was
- ihr nur wünscht, und erzählen es euch mit solchen Einzelheiten, wie ihr
- sie gar nicht mal hören wollt. Alle Nachforschungen, die von den Beamten
- angestellt wurden, machten ihnen nur eins klar, daß sie wirklich nicht
- wußten, wer Tschitschikow eigentlich war, und daß er doch aber sicher
- etwas sein müßte. Schließlich beschlossen sie, sich endgültig über
- diesen Gegenstand zu einigen, und wenigstens eine definitive
- Entscheidung zu treffen, was hier zu tun sei, welche Maßregeln sie
- ergreifen und wie sie ermitteln sollten, wer er sei: ob er ein Mensch,
- den man als politisch unzuverlässig arretieren und verhaften müsse, oder
- vielmehr ein solcher sei, der _sie selbst_ als politisch unzuverlässig
- arretieren und verhaften könne. Zu diesem Zwecke verabredete man sich,
- im Hause des Polizeimeisters zusammenzukommen, den der Leser ja schon
- als Vater und Wohltäter der Stadt kennengelernt hat.
- Zehntes Kapitel.
- Man versammelte sich also im Hause des Polizeimeisters, der ja dem Leser
- schon als Vater und Wohltäter der Stadt bekannt ist. Hier hatten die
- Beamten die Gelegenheit, einander darauf aufmerksam zu machen, wie
- eingefallen und abgemagert ihre Wangen von den beständigen Sorgen und
- Aufregungen waren. Und in der Tat, die Ernennung des neuen
- Generalgouverneurs, dann die kürzlich eingegangenen Papiere so
- bedeutsamen Inhalts und endlich noch die schrecklichen Sorgen -- dies
- alles hatte merkliche Spuren auf ihren Gesichtern hinterlassen, selbst
- die Fräcke waren ihnen allen zu weit geworden. Alle waren ein wenig
- heruntergekommen: der Gerichtspräsident, der Inspektor der
- Sanitätsverwaltung, der Staatsanwalt sahen mager und bleich aus, ja
- sogar ein gewisser Semjon Iwanowitsch, welchen man nie bei seinem
- Familiennamen nannte, ein Herr mit einem goldenen Ring am Zeigefinger,
- den er mit besonderer Vorliebe den Damen zeigte, selbst der war ein
- wenig abgemagert. Natürlich gab es darunter auch ein paar von jenen
- verwegenen Rittern ohne Furcht und Tadel, welche nie die
- Geistesgegenwart verloren: aber ihre Zahl war nur klein: ja es gab
- eigentlich nur einen einzigen den man dazu zählen konnte, nämlich den
- Postmeister. Er allein blieb völlig unverändert in dem ruhigen Gleichmaß
- seines Wesens und sagte wie gewöhnlich in derartigen Fällen: »euch kennt
- man schon, ihr Herren Generalgouverneure. Von euch wird noch so mancher
- dem anderen Platz machen müssen, ich aber stehe bald dreißig Jahre auf
- meinem Posten.« Worauf die andern Beamten gewöhnlich zu erwidern
- pflegten: »Sie haben es gut Herr!« »Sprechen Sie deutsch, Iwan
- Andreitsch.« »Dein Geschäft ist der Postdienst -- du hast bloß die
- eingelaufenen Briefe in Empfang zu nehmen und zu expedieren; du kannst
- höchstens einmal dein Postamt eine Stunde zu früh schließen und dann
- irgend einem Kaufmann, der sich verspätet hat, für die Annahme des
- Briefes nach geschlossenem Schalter etwas abverlangen, oder du expediert
- vielleicht ein Paket, welches nicht abgeschickt werden sollte. Unter
- diesen Umständen kann natürlich jeder ein Heiliger sein. Aber versetze
- dich mal in unsere Lage, wo dir täglich der Teufel in eigner Person
- erscheint und dir fortwährend etwas in die Hände spielt. _Du selbst_
- willst ja garnichts nehmen, er aber steckt es dir in die Hand. Bei dir
- ist das Malheur nicht so groß; du hast bloß ein Söhnchen. Mir aber hat
- Gott meine Praskowja Fjodrowna so reich gesegnet, daß sie mich jedes
- Jahr mit irgend einem Praskuschka oder Petruschka beschenkt. Da würdest
- du auch auf einer anderen Flöte pfeifen.« So sprachen die Beamten. Ob es
- aber in der Tat möglich ist, dem Teufel auf die Dauer zu widerstehen,
- das zu beurteilen, ist nicht Sache des Verfassers. In unserm Konzilium,
- das sich bei dieser Gelegenheit versammelt hatte, machte sich vorzüglich
- der Mangel dessen bemerkbar, was man in der Sprache des Volkes den
- gesunden Menschenverstand zu nennen pflegt. Überhaupt sind wir, wie es
- scheint, nicht so recht geschaffen für repräsentative Versammlungen. Bei
- all unsern Sitzungen von denen der ländlichen Bauerngemeinden an bis zu
- allen gelehrten und ungelehrten Komitees, herrscht, wenn nicht eine
- leitende Persönlichkeit an der Spitze steht, ein recht bedenklicher
- Wirrwarr. Es ist eigentlich schwer zu sagen warum das so ist;
- wahrscheinlich ist unser Volk nun einmal so veranlagt, daß ihm nur _die_
- Versammlungen und Beratungen gelingen, die irgend ein Diner oder eine
- Zecherei zum Gegenstand haben, wie die Salon- und Klubversammlungen auf
- deutsche Manier. Dagegen ist der gute Wille jederzeit und zu allen guten
- Dingen vorhanden. Plötzlich fällt es uns ein, wenn der Wind günstig ist,
- irgend welche Wohltätigkeits-, Hilfs- und Gott weiß was für andere
- Vereine zu gründen. Und wenn die Sache nur einen guten Zweck hat, kann
- man sicher sein, daß nichts dabei herauskommt. Vielleicht rührt das
- daher, daß wir gleich im Anfang, d. h. zu früh, befriedigt sind, und
- glauben, es sei schon alles getan. Wenn wir z. B. irgend eine
- Gesellschaft mit wohltätigem Zweck gründen wollen und schon bedeutende
- Summen dazu gestiftet haben, müssen wir unbedingt, um unsere so löbliche
- Absicht bekannt zu machen, irgend ein Diner geben, zu dem alle Spitzen
- der Stadt geladen sind und das mindestens die Hälfte der gezeichneten
- Summe verschlingt. Für die andere Hälfte richtet sich das Komitee eine
- prachtvolle Wohnung mit Heizung und Portier ein, worauf von der ganzen
- Summe fünf und ein halber Rubel übrig bleiben. Aber auch hier sind sich
- die Mitglieder des Komitees noch nicht einig über die Verwendung und
- Verteilung dieser Summe, und ein jeder schiebt irgend eine arme Tante
- oder Base vor. Übrigens war das Kollegium, das sich heute versammelt
- hatte, ganz anderer Art: ein dringendes Bedürfnis hatte die Anwesenden
- zusammengeführt. Und es handelte sich auch nicht um irgend welche Arme
- oder Abseitsstehende, sondern die zur Verhandlung stehende Sache ging
- jeden Beamten persönlich an; es handelte sich hier um eine Gefahr, die
- allen in gleicher Weise drohte, und daher war es auch kein Wunder, wenn
- sich alle Beteiligten unter solchen Verhältnissen einmütiger und enger
- zusammenschlossen. Aber dennoch und trotzalledem nahm die Sitzung einen
- ganz tollen Ausgang. Abgesehen von den Meinungsverschiedenheiten und
- Streitigkeiten, wie sie ja bei all solchen Versammlungen
- vorzukommen pflegen, kam in den Anschauungen und Äußerungen der
- Versammlungsteilnehmer auch noch eine merkwürdige Unentschlossenheit zum
- Ausdruck: der eine behauptete, Tschitschikow stelle falsche
- Staatspapiere her, fügte jedoch gleich darauf hinzu: »vielleicht ist es
- aber auch nicht so,« ein anderer erklärte, er sei ein Beamter aus dem
- Büro des Generalgouverneurs, verbesserte sich aber sofort wieder und
- meinte ȟbrigens: der Teufel mag wissen, wer er ist, vom Gesicht kann
- man es einem Menschen doch nicht ablesen.« Gegen den Verdacht aber, daß
- er ein verkleideter Dieb oder Räuber sei, lehnten sich alle in gleicher
- Weise auf, man war der Ansicht, daß er doch ein vertraueneinflößendes
- und gesinnungstüchtiges Äußeres besitze, aber auch in seinen Worten läge
- nichts, was auf einen Menschen schließen ließe, der einer solch
- gewalttätigen Handlungsweise verdächtig sei. Plötzlich rief der
- Postmeister, der eine Zeitlang, in tiefes Sinnen versunken, dagestanden
- hatte -- sei es nun, daß ihm eine momentane Erleuchtung gekommen war,
- sei es aus einem andern Grunde -- ganz unerwartet aus: »Wissen Sie,
- meine Herren, wer er ist?« Er hatte diese Worte mit einer Stimme
- herausgeschrieen, die geradezu etwas Erschütterndes an sich hatte, so
- daß sich allen Anwesenden wie aus einem Munde der Ruf entrang: »Nun
- wer?« »Das ist niemand anderes, meine Herren, das Verehrtester, ist kein
- anderer, als der Hauptmann Kopeikin!«[5] Und als ihn darauf alle
- zugleich fragten: »Wer ist denn dieser Kopeikin?« antwortete der
- Postmeister erstaunt: »Wie? Sie wissen nicht, wer der Hauptmann Kopeikin
- ist?«
- Alle erwiderten, sie hätten noch nie etwas von diesem Hauptmann Kopeikin
- gehört.
- »Der Hauptmann Kopeikin,« versetzte der Postmeister, indem er seine
- Tabakdose nur ganz wenig öffnete, weil er sich fürchtete, es könnte am
- Ende noch einer von den ihm Zunächststehenden mit den Fingern
- hineinlangen, von deren Sauberkeit er nicht recht überzeugt war; pflegte
- er doch zuweilen sogar zu sagen: »Weiß schon, weiß schon, mein Bester,
- wo Sie Ihre Finger reingesteckt haben mögen! Tabak -- das ist ein
- Objekt, das mit peinlichster Sorgfalt und Sauberkeit behandelt sein
- will.« -- »Der Hauptmann Kopeikin,« wiederholte er, nachdem er eine
- Prise genommen hatte: »ja -- übrigens, wenn ich Ihnen von ihm erzählen
- wollte -- das gäbe eine höchst interessante Geschichte; selbst für einen
- Schriftsteller: sozusagen ein ganzes Poema.«
- [Fußnote 5: Groschen.]
- Alle Anwesenden äußerten den Wunsch, diese Geschichte oder dieses für
- einen Schriftsteller so interessante »Poema«, wie sich der Postmeister
- ausgedrückt hatte, kennen zu lernen, und er begann folgendermaßen:
- »Die Geschichte vom Hauptmann Kopeikin.
- Nach dem Feldzuge vom Jahre 1812, verehrter Herr,« hub der Postmeister
- an, trotzdem nicht _ein einzelner_ Herr, sondern ganze sechs im Zimmer
- saßen, »nach dem Feldzug vom Jahre 1812 wurde zusammen mit anderen
- Verwundeten auch ein Hauptmann namens Kopeikin ins Lazarett
- eingeliefert. Ein Bruder Leichtfuß und launenhaft wie der Teufel, hatte
- er alles durchgemacht, was es auf der Welt gibt, war auf der Hauptwache
- gewesen und hatte manche Stunde Arrest abgesessen. War es bei Krasnoje
- oder in der Schlacht von Leipzig gewesen, genug, er hatte im Kriege ein
- Bein und einen Arm verloren. Sie wissen doch, damals gab's noch keine
- von den bekannten Einrichtungen für die Verwundeten: dieser
- Invalidenfond, das können Sie sich wohl denken, der wurde sozusagen erst
- viel später gegründet. Der Hauptmann Kopeikin sieht also, daß er
- arbeiten muß, aber sehen Sie wohl, er hatte eben nur einen Arm, nämlich
- den linken. Er wandte sich also nach Hause an seinen Vater, aber der
- Vater gab ihm zur Antwort: >Ich kann dich nicht auch noch ernähren;
- ich,< denken Sie sich nur, >ich verdiene mir selbst mit knapper Not
- meinen Unterhalt.< Da beschloß denn mein Hauptmann Kopeikin, sehen Sie
- wohl, Verehrtester, da beschloß er nach Petersburg zu reisen und sich an
- die Behörden zu wenden, ob sie ihm nicht eine kleine Unterstützung
- zukommen lassen könnten, er habe doch gewissermaßen, sozusagen sein
- Leben geopfert und sein Blut vergossen ... Er fuhr also in einem
- Gepäckwagen oder einem staatlichen Transportwagen nach der Hauptstadt,
- sehen Sie wohl Verehrtester, genug, er gelangte mit Mühe und Not nach
- Petersburg. Und nun stellen Sie sich vor: da befindet sich _nun_ dieser
- selbige, d. h. dieser Hauptmann Kopeikin in Petersburg, das sozusagen in
- der ganzen Welt nicht seinesgleichen hat! Plötzlich ist es um ihn herum
- licht und hell, gewissermaßen ein weites Feld des Lebens, so eine Art
- märchenhafte Scheherazade, verstehen Sie mich wohl. Also denken Sie nur,
- plötzlich liegt vor ihm so ein Newski-Prospekt oder solch eine
- Erbsenstraße oder, hol's der Teufel, irgend so eine Liteinaja, _da_ ragt
- irgend so ein Turm in die Luft und dort _hängen_ ein paar Brücken,
- wissen Sie, so ohne jegliche Stützen und Pfeiler, mit einem Wort die
- reinste Semiramis. Tatsächlich, Verehrtester! Erst trieb er sich eine
- Weile in den Straßen herum, um sich eine Wohnung zu mieten; aber das war
- ihm alles zu brenzlich: all diese Gardinen, Rouleaux und all das
- Teufelszeug, verstehen Sie, diese Teppiche, das reinste Persien,
- Verehrtester ... Mit einem Wort, beziehungsweise, man tritt das Kapital
- nur so mit Füßen. Man geht über die Straße, und die Nase merkt schon von
- ferne, daß es nach Tausenden riecht; und, Sie wissen doch, die ganze
- Staatsbank meines Hauptmannes Kopeikin besteht aus fünf blauen Scheinen
- und noch ein paar Silbergroschen ... Nun also, Sie wissen ja, ein
- Landgut läßt sich dafür nicht kaufen, d. h. es ließe sich vielleicht
- kaufen, wenn man noch vierzig Tausend dazulegte; aber die vierzig
- Tausend muß man sich erst beim König von Frankreich leihen. Genug, er
- mietet sich schließlich in einem Gasthaus zur Stadt Reval ein, für einen
- Rubel pro Tag. Sie wissen, ein Mittagessen aus zwei Gängen, eine
- Kohlsuppe und ein Stück Suppenfleisch dazu ... Er sieht also, daß sein
- Geld nicht mehr allzu lange reicht. Er erkundigte sich, wohin er sich
- wenden soll. >Wohin könntest du dich wenden,< sagt man ihm. >Die Beamten
- der Regierung sind nicht mehr in der Stadt. Sehen Sie wohl, das ist
- alles in Paris. Die Armee ist noch nicht zurück. Aber es gibt hier eine
- sogenannte provisorische Kommission. Versuchen Sie's,< sagt man ihm,
- >vielleicht können Sie dort was ausrichten.< -- >Nun gut, dann gehe ich
- zur Kommission,< spricht Kopeikin. >Ich werd' es ihnen schon klar
- machen. So und so steht die Sache. Ich habe, sozusagen, mein Blut
- vergossen und gewissermaßen mein Leben geopfert.< So stand er denn also
- eines Morgens etwas früher auf, kratzte sich mit der linken Hand seinen
- Bart, denn, sehen Sie wohl, wäre er zum Barbier gegangen, so hätte das
- in gewissem Sinne neue Ausgaben verursacht, zog seine Uniform an und
- begab sich auf seinem Holzfuß einherhinkend zum Vorsitzenden der
- Kommission. Stellen Sie sich bloß vor! Er fragt also, wo der Vorsitzende
- wohnt. Da sagt man ihm, jenes Haus dort am Kai, das gehört ihm. Eine
- richtige Bauernhütte, verstehen Sie! Fensterscheiben, meterlange
- Spiegel, Marmor, Lack, denken Sie sich nur, Verehrtester! Mit einem
- Wort, die Sinne schwinden einem. So 'ne Türklinke aus Metall, der
- feinste Komfort, sodaß man zuerst in den Laden laufen, sich für einen
- Groschen Seife kaufen und sich dann, sozusagen, stundenlang die Hände
- reiben muß, ehe man es wagt, sie anzufassen. Vorn am Eingang, verstehen
- Sie, da steht ein Portier mit einem großen Säbel, mit so 'ner
- Grafenphysiognomie, und Batistkragen, rein wie ein wohlgepflegter Mops
- ... Mein Kopeikin schleppt sich also auf seinem Holzfuß ins Vorzimmer,
- setzt sich in einen Winkel, um nur nicht mit dem Arm gegen irgend so ein
- Amerika oder Indien, gegen so eine vergoldete Porzellanvase, verstehen
- Sie wohl, zu stoßen. Sehen Sie wohl, natürlich mußte er eine halbe
- Ewigkeit dort warten, weil er zu einer Zeit gekommen war, wo der
- Vorsitzende, sozusagen, noch kaum aus dem Bett gestiegen war und sein
- Kammerdiener ihm eben irgend so ein silbernes Becken reichte, verstehen
- Sie wohl, wo man sich drin wäscht. Mein Kopeikin wartet also vier
- Stunden lang; da kommt endlich der diensthabende Beamte und sagt:
- >Gleich kommt der Präsident!< Und schon füllt sich das Zimmer mit
- allerhand Epauletten und Achselbändern. Mit einem Worte die Menschen
- drängen sich wie Bohnen in der Schüssel. Endlich, Verehrtester, tritt
- auch der Präsident herein. Na, Sie können sich natürlich vorstellen: der
- Präsident in eigener Person sozusagen. Und, natürlich, seinem Rang und
- Titel entsprechend so eine Physiognomie, so ein Ausdruck, verstehen Sie.
- Aus allem spricht die »Condewite« des Großstädters. Erst geht er zu
- einem dann zum andern: >Warum sind Sie hier?< >Und Sie?< >Was wünschen
- Sie?< >In welcher Angelegenheit kommen Sie?< Zuletzt kommt auch mein
- Kopeikin an die Reihe: >So und so,< sagt er, >ich habe mein Blut
- vergossen, ein Bein und einen Arm verloren, sozusagen. Ich kann nicht
- mehr arbeiten und erlaube mir die Anfrage, ob ich nicht eine kleine
- Unterstützung, irgend so 'ne Anweisung, beziehungsweise auf eine kleine
- Gratifikation oder Pension, verstehen Sie wohl, bekommen kann.< Der
- Vorsitzende sieht der Mann hat einen Stelzfuß und der rechte Ärmel
- baumelt leer herunter. >Gut!< sagt er, >fragen Sie nach ein paar Tagen
- mal wieder an!< Mein Kopeikin ist ganz selig. >Na,< denkt er, >die Sache
- macht sich.< Er ist in einer Laune, können Sie sich vorstellen; hüpft
- geradezu auf dem Trottoir. Dann ging er ins Restaurant von Palkiku um
- einen Schnaps zu nehmen, aß in der Stadt London zu Mittag, ließ sich
- eine Kotelette mit Kapern kommen, dazu 'ne Poularde und allerhand
- Filets, nebst einer Flasche Wein -- mit einem Wort, es war eine feudale
- Zeche, sozusagen. Auf dem Trottoir sieht er plötzlich eine Engländerin
- kommen. Wissen Sie, schlank wie irgend so'n Schwan. Mein Kopeikin,
- dessen Blut in Wallung geriet, läuft ihr trach, trach, trach auf seinem
- Stelzfuß nach; >ach nein!< denkt er, >hol die Kurmacherei einstweilen
- der Teufel; das kommt nachher, wenn ich meine Pension habe. Ich bin
- schon gar zu sehr aus Rand und Band geraten.< Dabei hatte er an diesem
- einen Tage, bitte ich zu bemerken, fast die Hälfte seines Geldes
- durchgebracht. Nach drei vier Tagen, sehen Sie wohl, da kommt er wieder
- in die Kommission zum Präsidenten: >Ich bin gekommen,< sagt er, >um mir
- Bescheid zu holen, so und so, infolge der überstandenen Krankheiten und
- meiner Verwundungen .... Ich habe sozusagen mein Blut vergossen usw.,
- verstehen Sie wohl.< Alles in der amtlichen Sprache, natürlich! >Ja,
- ja,< sagt der Präsident, >zunächst aber muß ich Ihnen mitteilen, daß ich
- in Ihrer Sache ohne die Zustimmung der Regierung nichts zu tun vermag.
- Sie sehen selber, was das für eine Zeit ist. Die kriegerischen
- Operationen sind gewissermaßen, sozusagen, noch nicht beendigt. Warten
- Sie die Ankunft des Herrn Ministers ab und gedulden Sie sich bis dahin
- noch ein wenig. Sie können überzeugt sein, man wird Sie nicht vergessen.
- Sollten Sie indessen nichts zum Leben haben, so nehmen Sie dies. Das ist
- alles was ich geben kann ...< Na, Sie verstehen, er gab ihm natürlich
- nicht viel, aber bei bescheidenen Ansprüchen hätte man bis zum
- Entscheidungstermin damit auskommen können. Aber mein Kopeikin hatte
- keine Lust dazu. Er dachte er würde gleich morgen ein paar Tausender
- erhalten: >Da hast du was, mein Lieber, trink eins und amüsier dich!<;
- statt dessen aber muß er warten und weiß nicht einmal, bis zu welchem
- Termin. Und dabei spuken ihm, sehen Sie wohl, all diese Engländerinnen
- und Soupers und Kotelettes im Kopfe herum. Da kommt er nun wie so'n Uhu,
- oder Pudel, den der Koch mit Wasser begossen hat, vom Präsidenten heraus
- -- hat den Schwanz eingezogen und läßt die Ohren hängen. Das Leben in
- Petersburg hatte ihn schon ein wenig mitgenommen, von diesem und jenem
- hatte er auch schon gekostet. Und nun heißt es: sieh zu, wie du
- weiterkommt, von all diesen Schleckereien nicht die Spur, sehen Sie
- wohl. Und dabei war er noch ein junger frischer Mensch mit gutem
- Appetit, einem wahren Wolfshunger sozusagen. Wie oft kam er nicht an
- irgend so einem Restaurant vorüber: und nun stellen Sie sich vor: der
- Koch ist ein Ausländer, so ein Franzose, wissen Sie, mit solch einem
- offenen Gesicht, trägt immer nur die feinste holländische Wäsche, und
- eine Schürze, so weiß wie Schnee sozusagen, da steht nun der Kerl vor
- seinem Herd und bereitet euch irgend so ein Finserb, oder Koteletts mit
- Trüffeln, mit einem Wort, irgend so eine Delikatesse, daß unser
- Hauptmann sich am liebsten selbst aufgefressen hätte vor Appetit. Oder
- er kommt an den Miljutinschen Läden vorbei: lacht ihm da sozusagen
- irgend so ein geräucherter Lachs, oder ein Körbchen mit Kirschen -- zu
- fünf Rubel das Stück, oder so 'ne Riesin von Wassermelone, so'n ganzer
- Omnibus, wissen Sie, aus dem Fenster entgegen, und sucht nach einem
- Narren, der einen überflüssigen Hunderter in der Tasche hat, verstehen
- Sie, mit einem Wort, nichts wie Verführungen auf Schritt und Tritt, es
- läuft einem sozusagen das Wasser im Munde zusammen, für ihn aber
- heißt's: warte gefälligst. Und nun stellen Sie sich seine Lage vor:
- einerseits, sehen Sie wohl, dieser Lachs und die Wassermelone, und
- andererseits irgend so ein bitteres Gericht unter dem Namen: >_Komm
- morgen wieder._< >Ach was,< denkt er, >mögen Sie dort machen, was sie
- wollen, ich gehe hin, setze die ganze Kommission und all die
- Vorsitzenden in Bewegung und erkläre: nein, bitte schön, das geht nicht
- so weiter!< Und in der Tat, frech und aufdringlich, wie er ist, -- je
- weniger einer im Oberstübchen los hat, desto mehr Mut hat er -- kommt er
- also in die Kommission: >Nun was wünschen Sie?< fragt man ihn, >was
- wollen Sie noch weiter, Sie haben doch schon Bescheid erhalten.< -- >Ich
- bitt' Sie,< sagt er, >ich kann doch nicht so von der Hand in den Mund
- leben. Ich muß doch meine Kottelette und eine Flasche französischen
- Rotwein zum Mittagessen haben und mich ein wenig zerstreuen, einmal ins
- Theater gehen, verstehen Sie,< sagte er -- >Nein, da müssen Sie uns
- schon entschuldigen,< sagte da der Vorsitzende .. >Was das anbelangt, so
- müssen Sie sich schon gewissermaßen gedulden. Sie haben doch etwas
- bekommen, um sich über Wasser zu halten, bis die Order von oben
- eingelaufen ist, und Sie können überzeugt sein, daß Sie nach Gebühr
- entschädigt werden sollen: denn es ist bisher ohne Beispiel, daß bei uns
- in Rußland ein Mann, der seinem Vaterland gewissermaßen, sozusagen,
- einen Dienst geleistet hat, daß der unversorgt geblieben wäre. Aber,
- wenn Sie sich freilich jetzt an Koteletts delektieren und ins Theater
- gehen wollen, nein, wissen Sie, dann müssen Sie schon entschuldigen.
- Dazu verschaffen Sie sich nur gefälligst selbst die Mittel. Da müssen
- Sie sich schon selbst helfen.< Aber denken Sie bloß, mein Kopeikin
- verzieht keine Miene. Die Worte prallen von ihm ab wie Erbsen von einer
- Wand. Er erhob ein großes Geschrei und brachte die ganze Gesellschaft in
- Aufruhr. Er ließ ein wahres Hagelwetter über all diese Regierungsbeamten
- und Sekretäre los ... >Ja dann seid ihr ja dies und jenes,< sagte er,
- >ja, dann kennt ihr ja eure Pflicht und Schuldigkeit nicht, ihr
- Gesetzesverdreher!< Mit einem Wort, er wischte ihnen allen kräftig eins
- aus. Zufällig kam ihm auch noch irgend so'n General aus einem andern
- Ressort unter die Finger. Und auch der bekam seinen Teil, verstehen Sie
- wohl. Kurz, er brachte sie alle durcheinander. Was soll man nur mit so
- einem rasenden Kerl anfangen? Der Präsident sieht, es gibt keinen andern
- Ausweg, man muß gewissermaßen, sozusagen, zu strengeren Maßregeln seine
- Zuflucht nehmen. >Schön,< sagte er, >wenn Sie nicht damit zufrieden sind
- was man Ihnen gibt, und hier in der Hauptstadt nicht ruhig auf die
- Entscheidung Ihrer Sache warten wollen, so lasse ich Sie sozusagen in
- Ihre Heimat abschieben. Der Feldjäger soll kommen und ihn nach der
- Heimat transportieren!< Der Feldjäger aber, verstehen Sie wohl, der
- steht schon da und wartet schon hinter der Tür: so'n baumlanger Kerl,
- wissen Sie, mit einer Hand wie von der Natur selbst für den Kurierdienst
- geschaffen. Mit einem Wort: ein richtiger Zahnzieher. So wird denn unser
- braver Knecht Gottes in den Wagen befördert und ab geht's in Begleitung
- des Feldjägers. >Na,< denkt Kopeikin, >da spar' ich wenigstens das
- Reisegeld. Auch dafür bin ich den Herren dankbar.< So fährt er denn,
- Verehrtester, mit dem Feldjäger, und während er so an der Seite des
- Feldjägers sitzt, spricht er gewissermaßen, sozusagen, zu sich selber:
- >Schön,< sagt er, >du erklärst mir, ich soll mir selbst helfen und die
- Mittel suchen! Gut, schön,< sagt er, >ich will mir die Mittel schon
- verschaffen!< Wie er nun an seinen Bestimmungsort befördert, und wohin
- er eigentlich gebracht wurde, darüber ist nichts bekannt geworden. Und
- daher sind denn auch die Nachrichten über den Hauptmann Kopeikin im
- Strome der Vergessenheit untergegangen, in so einer Lethe, wissen Sie,
- wie die Poeten es nennen. Doch hier, sehen Sie wohl, meine Herren, hier
- schürzt sich, kann man wohl sagen, der Knoten unseres Romans. Wo also
- Kopeikin verschwunden ist, das weiß niemand; aber stellen Sie sich vor,
- es vergingen auch nicht zwei Monate, als in den Wäldern von Rjasan eine
- Räuberbande auftauchte, und der Hauptmann dieser Räuberbande, sehen Sie
- wohl, war kein anderer als ...«
- »Aber erlaube mal, Iwan Andrejewitsch,« unterbrach ihn plötzlich der
- Polizeimeister, »du sagtest doch selber, dem Hauptmann Kopeikin habe ein
- Bein und ein Arm gefehlt; und Tschitschikow hat doch ...«
- Da schrie der Postmeister laut auf, schlug sich mit aller Kraft vor die
- Stirne und nannte sich vor versammeltem Publikum ein Rindvieh. Er konnte
- garnicht verstehen, wie dieser Umstand ihm nicht gleich zu Anfang dieser
- Erzählung eingefallen war, und erklärte, das russische Sprichwort: »der
- Verstand des Russen ist von hinten am stärksten!« sei vollkommen wahr.
- Aber gleich darauf fing er an, Winkelzüge zu machen und versuchte sogar
- sich aus der Affäre zu ziehen, indem er behauptete, die Engländer
- hätten, wie man aus den Zeitungen ersehen könne, die Mechanik sehr
- vervollkommnet, und einer hätte sogar hölzerne Füße mit einem solchen
- Mechanismus erfunden, daß man nur auf eine Spirale zu drücken brauche,
- damit diese Füße einen in unbekannte Gegenden forttrügen, sodaß man den
- Menschen überhaupt nicht mehr auffinden könne.
- Aber trotzdem zweifelten alle, daß Tschitschikow der Hauptmann Kopeikin
- sei, und fanden, daß der Postmeister schon gar zu weit über das Ziel
- hinausgeschossen habe. Übrigens wollten sie sich ihrerseits auch nicht
- lumpen lassen und verirrten sich, angeregt durch die geistvolle
- Hypothese des Postmeisters, womöglich noch weiter. Unter den vielen in
- ihrer Art geistreichen Vermutungen war besonders eine bemerkenswert: so
- seltsam es klingt, es wurde die Ansicht laut, daß Tschitschikow
- vielleicht _Napoleon_ sein könne, der sich verkleidet in ihrer Stadt
- aufhielte; die Engländer seien schon längst eifersüchtig auf Rußland,
- auf seine Macht und seine Größe, und es wären schon mehrmals Karikaturen
- erschienen, auf denen ein Russe im Gespräch mit einem Engländer
- abgebildet war: der Engländer steht da und hält einen Hund an der Leine,
- dieser Hund aber soll _Napoleon_ vorstellen: >Paß auf,< sagt der
- Engländer, >wenn mir etwas nicht behagt, dann hetze ich diesen Hund auf
- dich.< Wer weiß, vielleicht hatten sie jetzt diesen Hund von St. Helena
- losgelassen, und er schweifte nun unter der Maske Tschitschikows in
- Rußland umher, während er doch in Wahrheit garnicht Tschitschikow sei.
- Natürlich schenkten die Beamten dieser Hypothese keinen Glauben, aber
- sie wurden doch nachdenklich und, wenn jeder von ihnen sich im stillen
- die Sache überlegte, konnte er sich's nicht verhehlen, daß
- Tschitschikows Profil eine verdächtige Ähnlichkeit mit dem Napoleons
- hatte. Der Polizeimeister, welcher den Feldzug von 1812 mitgemacht
- hatte, hatte Napoleon persönlich gesehen und mußte gleichfalls zugeben,
- daß er sicherlich nicht größer als Tschitschikow und auch von Statur
- weder allzu dick, aber andererseits auch wiederum nicht allzu dünn
- gewesen sei. Vielleicht wird mancher Leser dies alles für sehr
- unwahrscheinlich halten, -- nun auch der Autor ist bereit ihm zuliebe
- zuzugestehen, daß die Geschichte sehr unwahrscheinlich ist; aber wie zum
- Tort mußte sich alles geradeso abspielen, wie wir es hier erzählen, was
- um so seltsamer ist, da die Stadt nicht irgendwo abseits vom Wege,
- sondern in nächster Nähe von beiden Hauptstädten lag. Übrigens darf man
- nicht vergessen, daß all diese Ereignisse bald nach der glorreichen
- Vertreibung der Franzosen stattfanden. Um diese Zeit waren alle unsere
- Gutsbesitzer, Beamten, Kaufleute, Handlungsgehilfen und alle gebildeten
- und ungebildeten Leute wenigstens für die ersten acht Jahre
- eingefleischte Politiker geworden. Die »Moskauer Nachrichten« und der
- »Sohn des Vaterlandes« wurden so zerlesen, daß sie an den letzten Leser
- nur noch als ein Häuflein Papierfetzen gelangten, der zu nichts mehr zu
- gebrauchen war. Statt Fragen, wie die folgenden: Wie teuer haben Sie den
- Scheffel Hafer verkauft, Väterchen? -- Was denken Sie vom gestrigen
- Schneefall? -- hörte man nur noch Fragen: Nun, was steht in der Zeitung?
- -- Ist Napoleon nicht wieder entwischt? -- Besonders die Kaufleute
- fürchteten sich sehr davor, denn sie glaubten fest an die Prophezeiung
- eines Wahrsagers, welcher schon seit drei Jahren im Kerker saß. Dieser
- neue Prophet war plötzlich -- kein Mensch wußte woher -- in Bastschuhen
- und in Felle gehüllt, die schrecklich nach faulen Fischen rochen, in der
- Stadt aufgetaucht und hatte verkündigt, Napoleon sei der Antichrist, der
- jetzt hinter sechs Mauern und sieben Meeren an einer steinernen Kette
- schmachte, aber bald werde er seine Ketten sprengen und sich die ganze
- Welt unterwerfen. Dieser Prophet war wegen seiner Prophezeiungen ins
- Gefängnis geworfen worden, und das von Rechts wegen. Trotzdem aber hatte
- er seine Mission erfüllt und die Kaufleute vollkommen um ihr bißchen
- Verstand gebracht. Und lange noch, selbst während des flottesten
- Geschäftsganges kamen die Kaufleute im Wirtshaus zusammen, um sich hier
- beim Tee über den Antichrist zu unterhalten. Viele von den Kaufleuten
- und den vornehmen Adeligen dachten auch, selbst ohne es zu wollen, über
- die Sache nach und glaubten unter dem Einflusse der mystischen Stimmung,
- welche bekanntlich damals alle Geister beherrschte, in jedem Buchstaben,
- der in dem Wort Napoleon vorkam, einen besonderen, bedeutungsvollen Sinn
- zu entdecken; viele wollten in ihm sogar die Zahlen aus der Apokalypse
- wiedererkannt haben. Daher war es durchaus nicht so wunderbar, wenn auch
- die Beamten in diesem Punkte stutzig wurden. Allein bald kamen sie
- wieder zur Besinnung und merkten, daß ihre Phantasie schon allzu üppig
- wucherte, und daß die Sache doch ganz anders liege. Sie dachten hin und
- dachten her, überlegten her und überlegten hin, und kamen schließlich
- zur Überzeugung, daß es vielleicht nicht übel wäre Nosdrjow einmal
- gründlich auszuhorchen. Da er es ja gewesen war, der die Geschichte mit
- den toten Seelen zuerst in die Welt gebracht hatte und, wie man sagte,
- in so nahen Beziehungen zu Tschitschikow stand, mußte er doch etwas über
- dessen Lebensverhältnisse wissen; und so beschloß man denn, erst einmal
- zu hören was Nosdrjow sagen werde.
- Höchst seltsame Leute, diese Herren Beamten, und mit ihnen die Vertreter
- aller anderen Berufe: sie wußten doch ganz genau, daß Nosdrjow ein
- Lügner sei, daß man ihm kein Wort glauben könne, selbst da nicht, wo es
- sich um eine Bagatelle handelte und doch nahmen sie zu ihm ihre
- Zuflucht. Da mag einer den Menschen verstehen! Er glaubt nicht an Gott,
- aber glaubt dafür, daß er unbedingt sterben müsse, wenn ihm seine Nase
- juckt; er geht gleichgültig an einer Schöpfung des Dichters vorbei,
- welche so deutlich für sich zeugt, wie das Licht der Sonne, ganz
- durchdrungen ist von innerer Harmonie und schlichter weiser Einfalt, um
- sich gierig auf das Erzeugnis eines kecken Kopfes zu stürzen, der ihm
- irgend ein wirres, krauses Zeug vorschwatzt und die Natur verrenkt und
- vergewaltigt. Und das gefällt ihm. Da tut er den Mund weit auf und
- schreit mit lauter Stimme: »Seht ihr! das ist reine Herzenskündigung!«
- Sein ganzes Leben lang pfeift er auf die Ärzte, um am Ende zu einem
- alten Weibe zu laufen, welches die Leute mit Sympathiemitteln und Spucke
- kuriert, oder er braut sich gar selbst ein Dekokt aus irgend einem Zeug,
- weil ihm plötzlich die tolle Idee kommt, es könne ihm etwas gegen seine
- Krankheit nützen. Man hätte natürlich die Herren Beamten mit ihrer
- schwierigen Lage entschuldigen können. Man sagt ja, daß ein Ertrinkender
- nach einem Strohhalm greife, und daß er nicht soviel Überlegung habe, um
- sich zu sagen, auf einem Strohhalm könne höchstens eine Fliege einen
- Spazierritt wagen, nicht aber er, der vier oder gar fünf Zentner wiegt;
- aber wie gesagt, in der Gefahr stellt er diese Überlegung überhaupt
- nicht an und greift nach dem Strohhalm. So nahmen denn auch unsere
- Herren schließlich ihre Zuflucht zu Nosdrjow. Der Polizeimeister schrieb
- ihm sofort einen Brief, in dem er ihn einlud, bei ihm zu Abend zu
- speisen, und ein Polizeikommissar in hohen Wasserstiefeln und mit
- freundlichen roten Backen machte sich spornstreichs auf den Weg, nahm
- seinen Säbel in die Hand und lief im Galopp zu Nosdrjow, um ihm das
- Schreiben zu überbringen. Nosdrjow war gerade mit einem sehr wichtigen
- Gegenstande beschäftigt; schon den vierten Tag verließ er das Haus
- nicht, empfing keinen Menschen und ließ sich sogar das Mittagessen durch
- das Fenster reichen -- mit einem Wort, er war ganz abgemagert und sah
- beinah grün im Gesicht aus. Die Sache selbst erforderte die größte
- Aufmerksamkeit und Sorgfalt: sie bestand in der Auswahl und
- Zusammenstellung _eines_ Kartenspieles von gleicher Zeichnung aus einem
- ganzen _Schock_. Dabei mußte die Zeichnung aber so scharf sein, daß man
- sich auf sie verlassen konnte, wie auf seinen besten Freund. Eine solche
- Arbeit erfordert mindestens zwei Wochen. Während dieser ganzen Zeit
- mußte Porphyr dem kleinen Bullenbeißer den Nabel mit einer besonderen
- Bürste reinigen und ihn dreimal am Tage mit Seife waschen. Nosdrjow war
- sehr ärgerlich, daß er in seiner Einsamkeit gestört wurde; zuerst
- schickte er den Polizeikommissar zum Teufel, als er jedoch von dem
- Polizeimeister erfuhr, daß sich heute abend ein kleines Geschäftchen
- machen ließe, da irgend ein Neuling zum Souper erwartet werde, war er
- sofort milder gestimmt; er schloß also sein Zimmer schnell ab, kleidete
- sich in aller Eile an und begab sich zum Polizeimeister. Nosdrjows
- Aussagen, Zeugnisse und Vermutungen standen in so scharfem Gegensatz zu
- denen der Herren Beamten, daß selbst ihre _kühnsten_ Hypothesen über den
- Haufen geworfen wurden. Dies war tatsächlich ein Mensch, für den es
- überhaupt kein Schwanken und kein Zweifeln gab; und so schüchtern und
- vorsichtig _ihre_ Vermutungen waren, so fest und sicher waren die
- _seinen_. Er antwortete sogleich, _ohne_ auch nur einen Moment zu
- stocken auf alle Fragen. Er erklärte, Tschitschikow habe für einige
- tausend Rubel tote Seelen gekauft, und er, Nosdrjow selbst, habe ihm
- welche verkauft, weil er den Grund einsehe, warum man das nicht tun
- solle. Auf die Frage, ob jener nicht ein Spitzel sei, der gekommen wäre,
- um herumzuschnüffeln, antwortete Nosdrjow: natürlich sei er ein Spitzel;
- schon in der Schule, die sie zusammen besucht hätten, sei er allgemein
- eine Petze gescholten worden, sämtliche Kameraden, und unter ihnen auch
- er, hätten ihn dafür einmal so kräftig durchgebläut, daß man ihm nachher
- allein an den Schläfen zweihundertvierzig Blutegel setzen mußte -- er
- hatte ursprünglich nur vierzig sagen wollen, aber die zweihundert waren
- ihm wie von selbst entschlüpft. -- Auf die Frage, ob er nicht falsches
- Papiergeld mache, antwortete Nosdrjow: natürlich mache er welches. Bei
- dieser Gelegenheit erzählte er eine Geschichte von Tschitschikows
- unglaublicher Geschicklichkeit und Gewandtheit: es sei nämlich
- herausgekommen, daß er in seinem Hause für zwei Millionen falsches
- Papiergeld versteckt habe. Da habe man denn das Haus gerichtlich
- gesperrt, einen Posten vor den Eingang und zwei Soldaten vor jede Tür
- gestellt; Tschitschikow aber hätte die Banknoten in einer Nacht alle
- miteinander vertauscht, sodaß man am anderen Tage, als die Siegel gelöst
- wurden, lauter echte Scheine vorfand. Auf die Frage: ob Tschitschikow
- tatsächlich die Absicht habe, die Tochter des Gouverneurs zu entführen,
- und ob es denn wahr sei, daß er, Nosdrjow, ihm seine Hilfe und Beistand
- dazu angeboten habe, antwortete dieser: gewiß habe er ihm geholfen, und
- wenn er nicht dabei gewesen wäre, so wäre die ganze Sache mißglückt.
- Hier stockte er ein wenig; er sah nämlich, daß er ohne allen Grund
- gelogen habe und dadurch leicht in Unannehmlichkeiten geraten konnte,
- aber er hatte eben die Zunge nicht im Zaum halten können. Und dies war
- auch keine Kleinigkeit, denn es drängten sich seiner Phantasie gleich so
- interessante Einzelheiten auf, daß es tatsächlich ein Ding der
- Unmöglichkeit war, ganz auf sie zu verzichten: so nannte er denn sogar
- das Dorf, wo sich die Kreiskirche befand, in der die Trauung stattfinden
- sollte; dies sei nämlich das Dorf Truchmatschowka, der Pope heiße Pater
- Sidor, die Trauung sollte fünfundsiebzig Rubel kosten, trotzdem aber
- hätte der Priester seine Einwilligung nie gegeben, wenn ihm
- Tschitschikow nicht gedroht hätte, er werde es bekannt machen, daß jener
- den Kaufmann Michael mit einer Verwandten getraut habe; er, Nosdrjow,
- habe ihnen sogar seinen Wagen zur Verfügung gestellt und auf allen
- Stationen für Pferde gesorgt. Er verlor sich bereits soweit in Details,
- daß er sogar die Postillone bei ihrem Namen nannte. Hier wagte es
- jemand, Napoleon zu erwähnen, aber er wurde dessen selbst nicht froh,
- denn Nosdrjow schwatzte einen solchen Unsinn zusammen, der nicht nur gar
- keine Ähnlichkeit mit der Wahrheit hatte, sondern in jeder Beziehung
- unmöglich war, sodaß die Beamten schließlich aufstanden und seufzend
- weggingen; nur der Polizeimeister hörte ihm noch lange aufmerksam zu,
- weil er immer noch erwartete, daß sich was aus ihm herausholen ließe,
- aber schließlich machte auch er eine hoffnungslose Gebärde und sagte
- nur: »Pfui Teufel!« Und alle Anwesenden waren mit ihm einverstanden,
- jede weitere Bemühung gliche wahrhaftig bloß dem Versuch, den Bock zu
- melken. So war denn die Lage unserer Beamten noch schlimmer als vorher,
- und man kam zum Schluß, daß es ganz unmöglich sei, herauszukriegen, wer
- nun Tschitschikow eigentlich sei. Und hier kam es wieder so recht ans
- Licht, was für ein Wesen der Mensch ist: er ist nur da klug, vernünftig
- und weise, wo es sich um Sachen handelt, die _andere_ Leute, nicht aber
- _ihn selbst_ was angehen. Mit was für umsichtigen und wohlüberlegten
- Ratschlägen versorgt er euch nicht in den schwersten Lebenslagen! »Welch
- ein gescheiter Kopf!« ruft die Menge: »welch ein unbeugsamer Charakter!«
- Aber laßt nur einmal irgend ein Unglück über diesen »gescheiten Kopf«
- hereinbrechen, laßt ihn selbst einmal in schwere Lebenslagen kommen --
- wo ist da plötzlich sein Charakter geblieben! dieser unbeugsame Mann
- steht völlig fassungslos da, er hat sich in einen erbärmlichen Feigling,
- in ein schwaches, jammerndes Kind oder einfach in einen Waschlappen
- verwandelt, wie Nosdrjow sich auszudrücken liebte.
- All dies Gerede, diese Gerüchte und Hypothesen machten aus irgend einem
- Grunde den größten Eindruck auf den armen Staatsanwalt. Dieser Eindruck
- war so stark, daß er nach Hause ging, zu grübeln begann und so ins
- Grübeln hineinkam, daß er sich eines schönen Tags ganz plötzlich, und
- ohne daß man hätte sagen können, warum, hinlegte und starb. Hatte ihn
- ein Schlag gerührt, oder war es etwas anders, genug, er fiel mit einem
- Mal vom Stuhl herab und streckte sich lang auf den Fußboden aus. Wie das
- in solchen Fällen zu geschehen pflegt, schrieen alle laut auf vor
- Schrecken; schlugen die Hände zusammen, riefen: »Ach Gott, ach Gott!«
- ließen den Arzt holen, um ihn zur Ader zu lassen, und überzeugten sich
- schließlich, daß der Staatsanwalt nur noch ein seelenloser Leichnam war.
- Jetzt erst erfuhr man zum allgemeinen Bedauern, daß der Verstorbene
- tatsächlich eine Seele gehabt hatte, trotzdem er sich in seiner
- Bescheidenheit nichts davon hatte merken lassen. Und doch war die
- Erscheinung des Todes _hier_ genau so schrecklich, wo sie sich nur an
- einem der kleinen Menschen offenbarte, wie wenn sie sich an einem großen
- manifestiert hätte: er, der noch vor kurzem unter den Lebenden gewandelt
- war, sich bewegt, Whist gespielt, alle möglichen Papiere unterschrieben
- und so oft mit seinen buschigen Augenbrauen und den blinzelnden Augen
- unter den Beamten geweilt hatte, er lag jetzt auf dem Tische, das linke
- Auge blinzelte nicht mehr, und bloß die eine Augenbraue war noch ein
- wenig emporgezogen, was dem Gesichte einen seltsamen fragenden Ausdruck
- verlieh. Was das wohl für eine Frage war, die auf seinen Lippen
- schwebte? ob er wissen wollte, wozu er gelebt hatte, oder wozu er
- gestorben sei -- das weiß Gott allein.
- »Aber das ist doch unmöglich, das ist ganz undenkbar! das kann doch
- garnicht sein, daß die Beamten sich gegenseitig so in Furcht und
- Schrecken jagten, eine solche Verwirrung anrichteten und sich so von der
- Wahrheit entfernen konnten, wo doch jedes Kind einsehen mußte, um was es
- sich hier handelte!« So wird mancher Leser sprechen und dem Autor
- vorwerfen, er bringe unwahrscheinliche und unmögliche Dinge vor, oder
- man wird die armen Beamten für Narren erklären, weil der Mensch ja
- bekanntlich sehr freigiebig mit dem Worte »_Narr_« und zwanzigmal am
- Tage dazu bereit ist, seinen Mitmenschen, diesen Kosenamen an den Kopf
- zu werfen. Es genügt schon, daß man eine törichte Eigenschaft unter zehn
- vernünftigen habe, um trotz alledem für einen Narren erklärt zu werden.
- Der Leser hat es leicht, zu urteilen, wo er ruhig in seinem stillen
- Winkel sitzt und von seinem hohen Standort, von dem aus sich ihm der
- ganze weite Horizont auftut, auf das Treiben da unten herabzusehen, wo
- der Mensch nur gerade _die_ Gegenstände erkennen kann, die sich
- unmittelbar vor seiner Nase befinden. Und es gibt in der Chronik der
- Weltgeschichte so manches Jahrhundert, das er einfach streichen und für
- überflüssig erklären möchte. Wie reich an Irrtümern ist doch die Welt,
- an Irrtümern die heute vielleicht ein Kind zu vermeiden wüßte. Was für
- seltsame Schlangenwindungen, was für enge, verwachsene, unzugängliche,
- abseitsführende Wege wählte die Menschheit in ihrem Streben nach der
- ewigen Wahrheit, während der gerade Weg offen vor ihren Augen lag, wie
- der Weg, der in das prunkende Heiligtum des königlichen Palastes führt.
- Breiter und herrlicher ist er als alle Wege, im strahlenden Sonnenglanze
- liegt er da und nachts erhellen ihn leuchtende Flammen; und doch irrten
- die Menschen an ihm vorbei in düsterer Finsternis, oft schon stieg die
- Vernunft vom Himmel herab und wies sie zurecht. Aber auch jetzt noch
- schreckten sie zurück, kamen sie immer aufs neue vom rechten Wege ab,
- verstanden sie es am hellichten Tage, sich in verborgene wüste Gegenden
- zu verlaufen, immer wieder den andern undurchdringliche Nebel vor die
- Augen zu weben, und trügenden Irrlichtern nachjagend, bis zu Abgründen
- vorzudringen, um sich dann mit Entsetzen zu fragen: wo ist ein Steg, wo
- gibt es einen Ausweg? Wohl ist dies alles unserem in der Klarheit
- wandelnden Geschlechte bekannt. Es wundert sich über die Verirrungen, es
- lacht über die Torheiten seiner Vorfahren, aber es sieht nicht, daß
- diese Chronik mit der Flammenschrift des Himmels geschrieben ist, daß
- jeder Buchstabe die Wahrheit laut verkündet, daß auf allen Seiten der
- mahnenden Finger auf es selbst weist, auf unser heute lebendes
- Geschlecht; aber es lacht das Geschlecht von heute, und stolz und seiner
- selbst bewußt beginnt es eine neue Reihe von Verirrungen, über welche
- die Nachkommen ebenso stolz lächeln werden.
- Tschitschikow hatte nichts von alledem erfahren; wie mit Absicht hatte
- er sich gerade um diese Zeit eine leichte Erkältung, Reißen im Gesicht
- und eine kleine Halsentzündung zugezogen, eine von jenen Krankheiten,
- mit denen das Klima vieler unserer Provinzstädte die Einwohner besonders
- freigebig bedenkt. Damit nur sein Leben um Gottes Willen kein jähes Ende
- nähme, ehe er noch Zeit gehabt, für seine Nachkommenschaft zu sorgen,
- beschloß er lieber drei, vier Tage zu Hause zu bleiben. Während dieser
- Zeit gurgelte er beständig mit Milch, in der eine Feige schwamm, welche
- er jedesmal mit Genuß verzehrte, auch trug er ein kleines Säckchen mit
- Kamillen und Kampfer auf der Wange. Um sich ein wenig zu zerstreuen,
- legte er sich ein ausführliches Verzeichnis über die von ihm gekauften
- Bauern an, las dann noch irgend ein Buch von der Herzogin Savallière,
- das er in seinem Koffer fand, sah noch einmal alle Zettelchen und
- Sächelchen durch, die sich in seiner Schatulle befanden, und überflog
- manches noch einmal, bis ihm auch dies alles langweilig wurde. Er konnte
- durchaus nicht verstehen, was es zu bedeuten habe, daß kein einziger von
- den Beamten der Stadt zu ihm kam, um sich nach seiner Gesundheit zu
- erkundigen, während doch noch vor wenigen Tagen fast immer ein Wagen vor
- seiner Tür gehalten hatte -- bald der des Staatsanwalts, bald der des
- Postmeisters, bald der des Präsidenten. Er zuckte fortwährend mit den
- Achseln, während er im Zimmer auf- und abging. Endlich fühlte er sich
- etwas besser, und er war ganz glücklich, als er wieder soweit
- hergestellt war, daß er an die frische Luft gehen konnte. Er machte sich
- ohne Verzug an die Toilette, öffnete die Schatulle, goß etwas warmes
- Wasser in ein Glas, nahm Seife und Bürste heraus und ging daran, sich zu
- rasieren, wozu es übrigens schon längst Zeit war, denn als er sein Kinn
- mit der Hand befühlte und in den Spiegel blickte, rief er aus: »Das ist
- ja der reinste Wald!« Und in der Tat: wenn's auch gerade kein Wald war,
- so ließ sich's doch nicht leugnen, daß auf Kinn und Wangen die Saat
- üppig sproßte. Nachdem er sich rasiert hatte, kleidete er sich ganz
- schnell an, ja er sprang beinahe aus seinen Hosen heraus. Endlich war er
- angezogen; er besprengte sich noch mit Kölnischem Wasser, hüllte sich
- recht warm in seinen Mantel und trat auf die Straße hinaus, nachdem er
- sich vorsichtiger Weise vorher noch ein Tuch um die Wange gebunden
- hatte. Sein erster Ausgang hatte, wie der jedes wiedergenesenen Menschen
- -- etwas wahrhaft Festliches. Alles, was er erblickte, schien ihm
- freundlich zuzulächeln, die Häuser und die Bauern auf der Straße, die
- eigentlich eine sehr ernste Miene zur Schau trugen und von denen schon
- mancher seinen Bruder übers Ohr gehauen hatte. Sein erster Besuch sollte
- dem Gouverneur gelten. Unterwegs kamen ihm allerhand Gedanken in den
- Sinn: bald dachte er an die junge Blondine, ja seine Phantasie schlug
- sogar ein wenig über die Schnur, und er begann über sich selbst zu
- lachen und sich über sich selbst lustig zu machen. In solcher Stimmung
- fand er sich plötzlich dem Hause des Gouverneurs gegenüber. Schon hatte
- er den Flur betreten und war eben im Begriff, eilig seinen Mantel
- abzulegen, als der Portier plötzlich auf ihn zuging und ihn durch
- folgende Worte überraschte: »Ich habe den Befehl erhalten, Sie nicht
- vorzulassen!«
- »Wie? Was fällt dir ein? Du erkennst mich wohl nicht? Sieh mich doch
- ordentlich an!« fiel Tschitschikow erstaunt ein.
- »Gewiß habe ich Sie erkannt! Ich sehe Sie doch nicht zum ersten Mal,«
- sagte der Portier. »Sie _allein_ darf ich ja gerade nicht vorlassen;
- jeden andern, nur Sie nicht!«
- »Ach was! Weswegen nur nicht, warum denn nicht?«
- »So lautet der Befehl; es wird wohl seinen Grund haben,« sagte der
- Portier und fügte noch ein »Ja« hinzu, worauf er in nachlässiger Haltung
- vor ihm stehen blieb, ganz ohne jenes freundliche Lächeln, mit dem er
- ihm sonst so dienstbeflissen aus seinem Mantel herausgeholfen hatte.
- Wahrscheinlich dachte er sich: »He! wenn dich die Herrschaften von der
- Schwelle jagen, dann bist du sicherlich irgend ein Prolet!«
- »Unbegreiflich!« dachte Tschitschikow und begab sich sofort zum
- Gerichtspräsidenten; aber der Präsident wurde bei seinem Anblick so
- verlegen, daß er keine zwei Worte stammeln konnte und solch ein
- törichtes Zeug zusammenschwatzte, daß alle beide verlegen wurden.
- Tschitschikow entfernte sich und gab sich unterwegs alle mögliche Mühe,
- herauszubekommen, was der Präsident eigentlich gemeint, und was seine
- Worte für einen Sinn gehabt hätten, aber es wollte ihm durchaus nicht
- gelingen. Dann ging er zu den andern: zum Polizeimeister, zum
- Vize-Gouverneur, zum Postmeister, aber sie weigerten sich entweder, ihn
- zu empfangen, oder bereiteten ihm einen so seltsamen Empfang, führten so
- eigentümliche Reden, wurden so verlegen und benahmen sich so merkwürdig,
- daß er wirklich annehmen mußte, sie seien nicht ganz bei Verstande. Er
- machte noch einen Versuch und ging zu einigen Bekannten, um den Grund
- dieser Veränderung zu erfahren, aber auch hier wollte es ihm nicht
- glücken. Wie im Halbschlaf irrte er durch die Stadt, ohne entscheiden zu
- können, ob er selbst verrückt sei, oder die Beamten den Kopf verloren
- hätten, ob dies alles nur ein Traum, oder alberne törichte Wirklichkeit
- sei, die noch abgeschmackter war als ein Traum. Erst spät am Abend, als
- es schon dunkel zu werden begann, kehrte er in seinen Gasthof zurück,
- den er in so glänzender Stimmung verlassen hatte, und ließ sich vor
- Ärger und Langeweile Tee bringen. Nachdenklich und in Grübeln über die
- Seltsamkeit seiner Lage versunken, schenkte er sich eine Tasse Tee ein,
- als sich plötzlich die Zimmertür auftat und Nosdrjow, den er am
- allerwenigsten erwartet hatte, hineintrat.
- »Für einen Freund ist kein Weg zu weit! wie das Sprichwort sagt,« rief
- dieser und nahm seinen Hut ab: »ich komme eben vorüber und sehe Licht in
- deinem Fenster. >Wahrscheinlich schläft er noch nicht, denke ich mir,
- ich muß doch mal rauf gehen und nachsehen.< Ah! das ist aber schön, daß
- du Tee hast, ich trinke mit Vergnügen ein Täßchen mit: ich hab' heute
- allerhand Zeug gegessen und fühle schon, daß mein Magen zu rebellieren
- beginnt! Laß mir doch bitte eine Pfeife stopfen. Wo ist denn deine
- Pfeife?«
- »Ich rauche doch keine Pfeife,« sagte Tschitschikow trocken.
- »Unsinn, als ob ich nicht weiß, daß du ein enragierter Raucher bist. He!
- Wie heißt doch gleich dein Diener? He Bachrameus, hör mal!«
- »Er heißt nicht Bachrameus, er heißt Petruschka.«
- »Wie? Du hattest doch früher einen Bachrameus?«
- »Ist mir nicht eingefallen!« sagte Tschitschikow. »Richtig, es ist ja
- wahr. Das ist ja Derebin, der hat einen Bachrameus. Denk mal, was der
- Derebin für ein Schwein hat: seine Tante hat sich mit ihrem Sohn
- gezankt, weil der eine Leibeigne geheiratet hat, und nun hat sie dem
- Derebin ihr ganzes Vermögen zugeschrieben. Das wär doch fein, wenn unser
- einer so eine Tante hätte, weißt du, das wären schöne Aussichten, was?
- Sag mal, Freund, was ist denn das mit dir, warum ziehst du dich
- plötzlich so von uns allen zurück, man sieht dich ja überhaupt nicht
- mehr. Ich weiß, du beschäftigst dich mit wissenschaftlichen
- Gegenständen, du liest sehr viel (woraus Nosdrjow schloß, daß unser Held
- sich mit wissenschaftlichen Gegenständen beschäftigt und sehr viel
- liest, das können wir, wie wir zu unserem Bedauern gestehen müssen,
- leider nicht verraten, noch weniger aber hätte es Tschitschikow können).
- Hör mal Tschitschikow! Wenn du bloß gesehen hättest ... das wär' was für
- deinen satirischen Geist gewesen. (Warum Tschitschikow einen satirischen
- Geist haben sollte -- ist leider auch ganz unbekannt.) Denk mal, lieber
- Freund, beim Kaufmann Liebatschew da haben wir neulich Karten gespielt,
- nein, und haben wir da aber gelacht! Pererependjew, der mit mir dort
- war, sagte immer, >wenn doch Tschitschikow bloß hier wäre, das wäre was
- für ihn!< (Tschitschikow hatte Pererependjew überhaupt nie gesehen.)
- Nein, gesteh's nur, Bester, damals hast du wirklich gemein an mir
- gehandelt, weißt du noch, als wir Dame spielten? Ich hatte ja gewonnen
- ... Aber, du hast mich einfach beschwindelt! Aber, hol's der Teufel, ich
- kann halt nicht lange böse sein. Neulich beim Präsidenten ... Ach ja,
- ich muß dir noch sagen: in der Stadt sind alle gegen dich aufgebracht!
- Sie glauben, daß du falsches Papiergeld machst .. Plötzlich fallen alle
- über mich her -- na, ich stelle mich natürlich wie ein Berg vor dich hin
- -- ich habe ihnen was vorerzählt: daß wir zusammen in die Schule
- gegangen sind, und daß ich deinen Vater gekannt habe; mit einem Wort,
- ich habe ihnen tüchtig was vorgeschwindelt!«
- »Ich soll falsches Papiergeld machen?« rief Tschitschikow aus und sprang
- vom Stuhl auf.
- »Warum hast du sie denn auch so in Schrecken gejagt?« fuhr Nosdrjow
- fort, »sie sind ja halb toll vor Angst: sie halten dich für einen
- Spitzel und Räuber. -- Der Staatsanwalt ist ja vor lauter Schreck
- gestorben .. morgen ist die Beerdigung. Du kommst doch bestimmt? Offen
- gestanden, sie haben Furcht vor dem neuen Generalgouverneur, und haben
- Angst, es könnte deinetwegen noch eine Geschichte geben; was den
- Generalgouverneur anbetrifft, so bin ich freilich der Ansicht, daß er
- mit dem Adel nichts ausrichten wird, wenn er allzu hochnäsig ist und gar
- zu dicke tut. Der Adel will mit Liebe behandelt sein: nicht wahr? Man
- kann sich natürlich in seinem Zimmer verstecken und nie einen Ball
- geben, aber was nützt das? Damit ist noch nichts gewonnen. Aber hör mal,
- Tschitschikow, du hast da eine gefährliche Sache unternommen?«
- »Was für eine gefährliche Sache?« fragte Tschitschikow unruhig.
- »Na, das mit der Entführung der Gouverneurstochter. Offen gesagt, ich
- habe das von dir erwartet, bei Gott, ich hab es erwartet! Gleich als ich
- euch zum ersten Mal zusammen auf dem Ball sah: >Na! denke ich mir, der
- Tschitschikow ist nicht umsonst hier ...< Übrigens hast du keine gute
- Wahl getroffen; ich finde gar nichts Gutes an ihr. Es gibt da eine
- andre, eine Verwandte von Bikussow, eine Tochter seiner Schwester, das
- ist ein Prachtmädel! Da kann man sagen: Einfach entzückend!«
- »Was redest du da für ein Blech zusammen? Wer will denn die Tochter des
- Gouverneurs entführen. Was fällt dir ein?« sagte Tschitschikow und
- starrte ihn verständnislos an.
- »Mach doch keine Sachen, lieber Freund: so ein Geheimniskrämer! Ich will
- ganz offen sein, ich bin eigentlich nur deswegen zu dir gekommen, um dir
- meine Hilfe anzubieten. Ich will meinetwegen den Brautkranz halten und
- dir meinen Wagen und meine Pferde zur Verfügung stellen, nur unter einer
- Bedingung: du mußt mir dreitausend Rubel leihen. Ich hab sie unbedingt
- nötig, ich bin in einer verzweifelten Lage.«
- Während dieser törichten Reden Nosdrjows rieb sich Tschitschikow
- mehrmals die Augen, um sich zu überzeugen, ob er nicht etwa träume. Das
- falsche Papiergeld, die Entführung der Tochter des Gouverneurs, der Tod
- des Staatsanwalts, dessen Ursache _er_ sein sollte, die Ankunft des
- Generalgouverneurs, dies alles jagte ihm keinen geringen Schreck ein.
- »Oh weh, wenn die Sache so steht,« dachte er, »dann darf ich nicht
- länger säumen, dann muß ich mich schleunigst davonmachen.«
- Er suchte sich Nosdrjow möglichst schnell vom Halse zu schaffen, ließ
- sofort Seliphan rufen und befahl ihm, sich bei Sonnenaufgang bereit zu
- halten, weil er am nächsten Morgen um 6 Uhr die Stadt verlassen wolle.
- Daher trug er ihm noch einmal auf, nach allem zu sehen, den Wagen
- ordentlich zu schmieren usw. usw. Seliphan sagte nur: Zu Befehl, Pawel
- Iwanowitsch, blieb aber trotzdem eine Weile an der Türe stehen, ohne
- sich vom Fleck zu rühren. Der Herr befahl Petruschka, sofort den Koffer
- unter dem Bett hervorzuholen, der schon mit einer dicken Staubschicht
- bedeckt war, und begann zusammen mit seinem Burschen all seine Sachen
- einzupacken; dabei machte er nicht viel Umstände und warf alles, was ihm
- unter die Hände kam, in einen Korb hinein: Strümpfe, Hemden, die _reine_
- und die _schmutzige_ Wäsche, Stiefelbürsten, einen Kalender usw. Dies
- alles wurde in aller Eile eingepackt, denn er wollte unbedingt noch am
- selben Abend damit fertig sein, um am anderen Morgen nicht unnütz Zeit
- zu verlieren. Seliphan stand noch ein paar Minuten an der Türe und
- verließ dann leise das Zimmer. Ganz bedächtig und so langsam, wie man
- sich's nur vorstellen kann, stieg er die Treppe hinunter, indem er den
- Abdruck seiner feuchten Stiefel auf den abgetretenen Stufen zurückließ.
- Und lange noch stand er da und kratzte sich den Hinterkopf. Was bedeutet
- diese Gebärde? und was hat sie überhaupt zu bedeuten? War es der Ärger,
- daß die für morgen verabredete Zusammenkunft mit irgend einem Kollegen
- in einem ebenso ärmlichen Pelze und einem ähnlichen Gürtel um die Taille
- in irgend einer kaiserlichen Schenke sich zerschlagen hatte; oder hatte
- sich an dem neuen Ort schon eine Herzensaffäre angesponnen, und nun
- sollte es aus sein mit dem Stehen unter dem Toreingange und mit dem
- höflichen Händedrücken abends in der Dämmerung, wenn die Burschen im
- roten Hemde vor den Mägden auf der Balalaika[6] klimperten und die bunte
- Volksmenge nach des Tages Last und Mühe leise Reden wechselt -- oder war
- es nur der Schmerz, das warme Plätzchen in der Küche am Ofen unter dem
- Pelze, die Genossen, die Kohlsuppe und die weiche Pastete, wie man sie
- nur in der Stadt bekommt, verlassen zu müssen, um sich aufs neue in den
- Regen und Schnee hinauszubegeben und die Strapazen und Unbill der Reise
- auf sich zu nehmen? Das mag Gott wissen -- errate wer's will. Gar
- vielerlei hat es zu bedeuten, wenn sich das russische Volk hinter den
- Ohren kratzt.
- [Fußnote 6: Ein Saiteninstrument: eine Art Guitarre.]
- Elftes Kapitel.
- Es kam jedoch ganz anders als Tschitschikow vermutet hatte. Erstlich
- wachte er viel später auf, als er beabsichtigte -- dies war die erste
- Unannehmlichkeit -- dann stand er auf und schickte sofort jemand
- hinunter, um zu erfahren, ob der Wagen in Ordnung, die Pferde angespannt
- und alles zur Abreise bereit sei, mußte aber zu seinem Leidwesen
- erfahren, daß die Pferde nicht angespannt und noch gar keine Anstalten
- zur Abreise getroffen seien -- und dies war die zweite Unannehmlichkeit.
- Das brachte ihn geradezu in Wut, er nahm sich sogar schon vor, unserem
- Freunde Seliphan einen ordentlichen Nasenstüber zu versetzen, und
- wartete mit Ungeduld, was der wohl für eine Ausrede zu seiner
- Entschuldigung vorbringen würde. Bald erschien Seliphan auch in der Tür,
- worauf sein Herr das Vergnügen hatte, dieselben Reden über sich ergehen
- zu lassen, die man stets von den Bedienten zu hören bekommt, wenn man
- verreisen will und große Eile hat.
- »Man muß doch aber die Pferde zuerst beschlagen lassen, Pawel
- Iwanowitsch!«
- »Ach du Hundsfott! Du Klotz du! Warum hast du mir das denn nicht früher
- gesagt? Du hast doch wohl Zeit genug dazu gehabt?«
- »Hm, ja, Zeit hätt' ich freilich dazu gehabt ... Aber dann ist da noch
- was mit dem Rade los, Pawel Iwanowitsch ... Man wird einen neuen Reifen
- aufsetzen müssen, der Weg hat so viele Gruben und Löcher, und ist so
- holperig ... Ja, und dann habe ich noch etwas vergessen: der Kutschbock
- ist entzwei, der ist so wackelig, daß er keine zwei Stationen mehr
- halten kann.«
- »Schurke!« schrie Tschitschikow, schlug die Hände zusammen und ging auf
- Seliphan los, daß dieser Angst bekam, sein Herr könne ihm ein recht
- unangenehmes Geschenk machen, auswich und ein paar Schritte zurücktrat.
- »Willst du mich umbringen? Willst du mich töten? Was? Du willst mich
- wohl am Wege ermorden, wie ein Räuber und Strauchdieb? Du Schwein du, du
- Meerungeheuer! Drei Wochen lang rühren wir uns nicht vom Fleck! Und wenn
- er nur ein einziges Wort gesagt hätte, der nichtsnutzige Kerl! Statt
- dessen verschiebt er alles bis auf die letzte Stunde! Jetzt wo schon
- alles so weit ist, daß man einsteigen und fortfahren möchte, gerade da
- muß er einem solch einen Streich spielen! Was ...? Du hast es doch
- gewußt? Hast du es etwa nicht gewußt? Wie? Antworte! Nun?«
- »Freilich!« antwortete Seliphan und ließ den Kopf hängen.
- »Nun warum hast du dann nichts gesagt? Wie?« Auf diese Frage erfolgte
- keine Antwort. Seliphan stand noch immer mit gesenktem Kopfe da, und
- schien zu sich selbst zu sprechen: »Siehst du wohl, wie das gekommen
- ist: ich hab's doch gewußt, und trotzdem nicht gesagt!«
- »So, lauf jetzt zum Schmied und laß ihn kommen. In zwei Stunden muß
- alles fertig sein, verstanden? Spätestens in zwei Stunden! Wenn's dann
- nicht fertig ist, dann -- dann nehm ich dich und binde dich zu einem
- Knoten zusammen!« Unser Held war ganz außer sich vor Wut.
- Seliphan wollte schon hinausgehen, um den Befehl seines Herrn
- auszuführen; aber er besann sich noch einen Augenblick, blieb stehen und
- sagte: »Wissen Sie, gnädiger Herr, den Schecken, den sollte man
- eigentlich verkaufen, wirklich Pawel Iwanowitsch, das ist so ein Schurke
- ... bei Gott, solch ein gemeiner Gaul, der hindert einen ja nur!«
- »So? ich soll wohl gleich auf den Markt laufen und ihn verschachern.
- Was?«
- »Bei Gott, Pawel Iwanowitsch. Der sieht nur so kräftig aus; in
- Wirklichkeit ist er höchst verschlagen und unzuverlässig, so ein Pferd
- gibt's gar nicht wieder ...«
- »Esel! Wenn es mir paßt, dann verkaufe ich ihn schon selbst. Hält der
- Kerl hier noch lange Reden! Paß mal auf; wenn du mir nicht gleich ein
- paar Schmiede holst, und wenn mir nicht in zwei Stunden alles fix und
- fertig ist, dann kriegst du einen Nasenstüber, daß du nicht weißt, wo
- dir der Kopf steht! Mach, daß du raus kommt! Marsch!« Seliphan verließ
- das Zimmer.
- Tschitschikow war in der schlechtesten Laune, die man sich denken kann,
- und warf seinen Säbel, den er auf Reisen immer bei sich trug, um die
- Leute in Furcht und Respekt zu halten, wütend auf den Boden. Mehr als
- eine Viertelstunde zankte er sich mit den Schmieden herum, ehe er mit
- ihnen einig wurde, denn diese waren, wie das zu geschehen pflegt, ganz
- abgefeimte Gauner und forderten das Sechsfache, als sie merkten, daß
- Tschitschikow es sehr eilig hatte. So sehr er sich auch ereiferte, sie
- Diebe, Räuber und Wegelagerer nannte, es wollte alles nichts fruchten;
- er versuchte es sogar, sie mit dem jüngsten Gericht zu schrecken; aber
- auch das machte keinen Eindruck auf die Schmiedegesellen, sie blieben
- fest, und ließen nicht nur nichts vom geforderten Preise ab, sondern
- brauchten noch dazu statt zwei Stunden ganze fünfeinhalb, um den Wagen
- in Ordnung zu bringen. Während dieser Zeit konnte Tschitschikow in
- vollen Zügen jene schönen Minuten genießen, die jeder Reisende so gut
- kennt, wenn die Koffer gepackt sind und nur noch einige Stücke
- Bindfaden, ein paar Papierfetzen und anderer Plunder im Zimmer
- herumliegen, wenn der Mensch noch nicht im Wagen sitzt, aber auch nicht
- ruhig zu Hause bleiben kann, und schließlich ans Fenster tritt, um sich
- die Leute anzusehen, die unten auf der Straße vorüber gehen oder eilen,
- über ihre Groschen sprechen, ihre blöden Blicke neugierig auf ihn
- richten und ruhig ihrer Wege gehen, was den armen Reisenden, der
- durchaus nicht fort kann, noch mehr verstimmt. Alles was er sieht: der
- vor ihm liegende Kaufladen, der Kopf der alten Frau, die im
- gegenüberliegenden Hause wohnt, und von Zeit zu Zeit immer wieder an das
- mit kurzen Gardinen verhängte Fenster tritt, -- alles widert ihm an, und
- doch kann er sich nicht entschließen, vom Fenster wegzugehen. Er rührt
- sich nicht vom Fleck, seine Gedanken verlieren sich ins Uferlose, er
- vergißt _sich_ und seine ganze Umgebung, um gleich darauf wieder zu den
- vertrauten Gegenständen zurückzukehren. Stumpfen Sinnes betrachtet er
- alles, was um ihn herum lebt und webt, und zerdrückt schließlich
- ärgerlich eine Fliege, die summend gegen die Fensterscheibe fliegt und
- ihm dabei gerade unter die Finger kommt. Aber alles in der Welt hat ein
- Ende, und der ersehnte Augenblick bricht an: endlich war alles in
- Ordnung: der Kutschbock war repariert, wie es sich gehörte, das Rad
- hatte einen neuen Reifen, die Pferde hatten zu trinken bekommen, und die
- Schmiede entfernten sich, nachdem sie ihr Geld noch einmal nachgezählt
- und Tschitschikow eine glückliche Reise gewünscht hatten. Endlich waren
- auch die Pferde vor den Wagen gespannt; dann wurden noch schnell zwei
- warme Bretzel, die man soeben gekauft hatte, in die Kutsche gepackt,
- auch Seliphan steckte sich noch etwas in die Tasche, die am Kutschbock
- angebracht war, und unser Held verließ den Gasthof, um seinen Wagen zu
- besteigen, begleitet vom Kellner, der wie immer seinen baumwollenen Rock
- anhatte, und grüßend seinen Hut schwenkte, sowie von ein paar Kutschern
- und Lakaien, die teils zum Gasthof gehörten, teils herbeigelaufen waren,
- um zu sehen, wie der fremde Herr abfährt; nebst allem sonstigen Zubehör,
- wie es bei einer Abreise nie fehlen darf; Tschitschikow setzte sich in
- die Equipage, und die bekannte Junggesellenkutsche, die so lange
- unbenutzt im Stall gestanden hatte und den Leser vielleicht schon zu
- langweilen beginnt, rollte zum Tore hinaus. »Gott sei Dank!« dachte
- Tschitschikow und schlug ein Kreuz. Seliphan knallte mit der Peitsche,
- Petruschka, der erst eine Weile auf dem Trittbrett gestanden hatte, nahm
- neben ihm Platz, unser Held setzte sich recht bequem auf dem grusischen
- Teppich zurecht, legte sich ein Lederkissen in den Rücken, wobei er die
- beiden warmen Bretzel kräftig zusammendrückte, und der Wagen setzte sich
- aufs neue, hopsend und springend in Bewegung, dank dem Pflaster, welches
- ja bekanntlich eine beträchtliche Schwungkraft besaß. Mit einem
- seltsamen unklaren Gefühl blickte Tschitschikow auf die Häuser, die
- Mauern, die Zäune und Straßen, die gleichfalls auf und ab zu hüpfen
- schienen und langsam an seinen Augen vorüberzogen. Weiß Gott, ob es ihm
- beschieden sein würde, sie in seinem Leben noch einmal wiederzusehen.
- Bei einer Straßenkreuzung mußte der Wagen Halt machen, er wurde nämlich
- durch einen Leichenzug aufgehalten, der sich die ganze Straße entlang
- dahin bewegte. Tschitschikow steckte den Kopf aus dem Wagen, und sagte
- Petruschka, er solle einmal fragen, wer da beerdigt werde. Es stellte
- sich heraus, daß es der Staatsanwalt war. Äußerst unangenehm berührt,
- lehnte Tschitschikow sich schnell in eine Ecke zurück, ließ den Wagen
- aufklappen und zog die Vorhänge zu. Während die Equipage still stand,
- nahmen Seliphan und Petruschka fromm ihre Mützen ab und sahen sich den
- Zug aufmerksam an, wobei sie sich besonders für die Wagen und ihre
- Insassen zu interessieren und genau nachzuzählen schienen, wie viele von
- den Leidtragenden fuhren, und wie viele zu Fuß gingen; auch ihr Herr,
- der ihnen befohlen hatte, sich nicht zu erkennen zu geben und keinen von
- den bekannten Lakaien zu grüßen, sah sich den Zug durch ein kleines
- Fenster im ledernen Verdeck an. Alle Beamten folgten entblößten Hauptes
- dem Sarge. Tschitschikow fürchtete sich einen Augenblick, sie könnten
- seine Equipage erkennen; aber sie achteten gar nicht auf sie. Sie
- unterhielten sich nicht einmal über jene praktischen Fragen, welche
- gewöhnlich gestreift werden, wenn man an einer Beerdigung teilnimmt. All
- ihre Gedanken konzentrierten sich auf sich selber; sie dachten darüber
- nach, was der neue Generalgouverneur wohl für ein Mann sei, wie er die
- Geschäfte verwalten, und wie er sich zu ihnen stellen werde. Auf die
- Beamten, welche zu Fuß gingen, folgte eine Reihe von Wagen, aus denen
- Damen mit schwarzen Hauben und Schleiern hervorblickten. Nach den
- Bewegungen ihrer Hände und Lippen mußte man schließen, daß sie in einer
- lebhaften Unterhaltung begriffen waren: vielleicht sprachen auch sie
- über die Ankunft des neuen Generalgouverneurs, äußerten ihre Vermutungen
- über die Bälle die er geben würde und sorgten schon jetzt für ihre neuen
- Rüschen und Aufsätze. Zuletzt kamen noch einige leere Droschken hinter
- den Equipagen hergefahren, eine hinter der andern, und dann kam lange
- nichts mehr, die Bahn war frei, und unser Held konnte weiterfahren. Er
- ließ das Lederverdeck herunter, seufzte aus tiefster Seele, und sagte:
- »Das war der Staatsanwalt! Er lebte und lebte, und nun ist er tot! Jetzt
- werden sie in den Zeitungen schreiben, er sei gestorben zum großen
- Schmerz all seiner Untergebenen und der ganzen Menschheit, er der stets
- ein geachteter Bürger, ein seltener Vater, das Muster von einem Gatten
- gewesen sei; was werden sie nicht _noch_ alles schreiben: vielleicht
- fügen sie auch noch hinzu, daß die Tränen der Witwen und Waisen ihn bis
- ans Grab begleiteten; sieht man sich aber die Sache aus der Nähe an, und
- geht man ihr ordentlich auf den Grund, dann war an dir eigentlich nichts
- merkwürdig, außer deinen buschigen Augenbrauen.« Und er rief Seliphan
- zu, er solle sich beeilen und sprach zu sich selber: »Eigentlich ist es
- doch ganz gut, daß wir einem Leichenzuge begegnet sind, man sagt, es
- bedeute Glück, wenn ein Leichenwagen vorüberfährt.«
- Unterdessen fuhr der Wagen schon durch die öden und leeren Straßen der
- Vorstadt, und bald sah man zu beiden Seiten nichts mehr, als lange
- Bretterzäune, welche das Ende der Stadt ankündigten. Nun hörte auch
- schon das Straßenpflaster auf, da war der Schlagbaum, die Stadt lag
- hinter den Reisenden -- man befand sich auf der öden einsamen
- Landstraße. Und wieder jagte der Wagen den Postweg entlang mit seinen
- altbekannten Bildern zu beiden Seiten: seinen Meilensteinen,
- Stationsbeamten, Brunnen, Fuhren, Lastwagen, den grauen Dörfern mit
- ihren Teemaschinen, den Bauernfrauen und dem forschen bärtigen
- Hausherrn, der mit einem Hafersack aus der Herberge gelaufen kommt, dem
- Wanderer, in zerrissenen Bastschuhen, welcher vielleicht schon
- siebenhundert Werst zurückgelegt hat, den munteren Städtchen mit ihren
- hölzernen Läden, Mehlfässern, Bastschuhen, Bretzeln und dem übrigen
- Plunder, den scheckigen Schlagbäumen, den ewig in Reparatur befindlichen
- Brücken, den unübersehbaren Feldern hüben und drüben, den Erntewagen,
- dem reitenden Soldaten, der einen grünen Kasten voll Artilleriefutter
- mit der Inschrift: An die so und so vielste Artilleriebrigade! mit sich
- führt, den grünen, gelben oder frisch aufgeworfenen _schwarzen_ Streifen
- Ackerlandes, die hie und da in der Steppe auftauchen, dem aus der Ferne
- herüberklingenden melancholischen Gesang, den Kiefernwipfeln in zartem
- Nebeldunst, dem verhallenden Glockengeläute, den Scharen wilder Raben,
- die vorüberziehen gleich Fliegenschwärmen und dem endlosen grenzenlosen
- Horizont ... Oh, Rußland! mein Rußland! ich sehe dich, sehe dich aus
- meiner herrlichen wundersamen Ferne. Arm, weit verstreut und
- unfreundlich sind deine Gaue, kein frohes Wunder der Natur, gekrönt von
- frechen Wunderwerken kühner Kunst -- erheitern oder schrecken hier den
- Blick, keine Städte mit vielfenstrigen hohen Palästen in wilde Felsen
- eingebaut, keine malerischen Bäume und Efeuranken, in Häuser
- eingewachsen, umbraust vom Staube ewiger Wasserfälle; nicht braucht das
- Haupt sich zurückzuneigen, um mit dem Blick den grenzenlos zur Höhe
- emporgetürmten Gebirgsblöcken folgen zu können; nicht blitzen hinter
- langgestreckten, dunklen Säulengängen, um die sich Rebenzweige, Efeu und
- Millionen wilder Rosen schlingen: nicht blitzen hinter ihnen auf die
- ewigen Linien ferner leuchtender Berge, die sich in silberklaren Himmeln
- verlieren. Frei, wüst und offen liegst du da; wie kleine Pünktchen oder
- Zeichen, so ragen aus der Ebene deine niedrigen Städte auf: nichts
- lockt, verführt, bezaubert unseren Blick. Und dennoch, welch
- unbegreifliche, geheimnisvolle Kraft zieht mich zu dir? Warum klingt
- unaufhörlich dein melancholisches, nie verstummendes, die ganze
- unermeßliche Weite durcheilendes, von Meer zu Meere dringendes Lied uns
- im Ohr? Welch ein geheimer Zauber liegt in diesem Liede? Was ruft und
- lockt, was schluchzt darin und greift so seltsam uns ans Herz? Was sind
- das für Töne, die unsere Seele so zärtlich umschmeicheln und küssen, zum
- Herzen dringen und es süß umspinnen? O, Rußland! sag, was willst du nur
- von mir? Welch unbegreiflich Band ist zwischen uns geknüpft? Was blickst
- du mich so an, und warum hält alles, alles was dich erfüllt, seine Augen
- so erwartungsvoll auf mich gerichtet? ... Noch immer steh' ich zweifelnd
- und unbeweglich da, schon hat die finstere regenschwangere Wolke mein
- Haupt beschattet, und schon verstummt der Gedanke von deiner
- grenzenlosen Ausdehnung. Was verheißt diese unermeßliche Freiheit und
- Weite? Oder sollte hier, in deinem Schoße, auch der unendliche Gedanke
- geboren werden, wo du doch selber kein Ende hast? Nicht hier der Held
- erstehn? wo frei der Raum sich weitet, auf daß _er_ sich entfalte und
- ausbreite und frei dahinschreite? Und furchtbar umfängt mich der
- majestätische Raum, der tief mein Inneres erschüttert mit all seinen
- Schrecken; von einer übernatürlichen Macht ward mein Auge erleuchtet ...
- O, welch eine schimmernde, wunderbare unbekannte Ferne! Mein Rußland!
- ...
- »Halt, halt, du Esel!« rief Tschitschikow Seliphan zu.
- »Ich hau dir gleich eins mit meinem Pallasch runter!« schrie ihn ein
- vorübersprengender Feldjäger an, der einen Schnurrbart von der Länge
- eines Meters hatte. »Siehst du denn nicht, daß das ein staatlicher Wagen
- ist? hol dich der Teufel!« Und wie eine Vision verschwand unter Donner
- und Staubwolken das Dreigespann.
- Welch eine seltsame, wunderbare Lockung liegt doch in dem Worte:
- Landstraße! Und wie _herrlich_ ist sie selbst, diese _Landstraße_! Ein
- heller Tag, Herbstblätter, die Luft ist kalt ... Hüll dich tiefer in
- deinen Regenmantel! Die Mütze über die Ohren, und schmieg dich enger und
- gemütlicher in deine Wagenecke! Ein letztes Mal noch läuft uns ein
- Schauer durch unsere Glieder, und schon durchströmt uns behagliche
- Wärme. Die Rosse jagen dahin ... Wie lockend naht der Schlummer. Die
- Augenlider senken sich. Und wie im Halbschlaf erklingt noch einmal das
- Lied: »Nicht weißer Schnee ...«, das Schnauben der Pferde und das
- Rasseln der Räder und schon schnarchst du laut, indem du deinen Nachbar
- tief in die Wagenecke drückst. Doch nun erwachst du: fünf Stationen
- liegen hinter dir; der Mond steht hoch am Himmel; du fährst durch eine
- unbekannte Stadt, vorbei an Kirchen mit altertümlichen Holzkuppeln und
- dunkelen Turmspitzen, an finsteren hölzernen und weißen steinernen
- Häusern vorüber: hie und da ein breiter Streifen schimmernden
- Mondlichts, gleich als ob weiße Leinentücher über Wände und Straßen
- gebreitet wären, kohlschwarze Schatten legen sich schräg darüber, wie
- flimmerndes Metall glänzen die helleuchtenden Holzdächer: und keine
- Seele rings umher: alles schläft. Nur ein einsamer Lichtschein fällt
- hier oder dort aus einem kleinen Fenster: ist es ein Bürgersmann, der
- seine Stiefel stopft, oder ein Bäcker, der sich beim Ofen zu schaffen
- macht? -- was kümmert's dich, o, welche Nacht! Himmlische Mächte! welch
- eine Nacht webt droben in der Höhe! O Luft, o Himmel, weiter hoher
- Himmel in deiner unerreichbaren Tiefe, der du dich so unfaßbar klar und
- helltönend über uns breitest! ... Kühl weht dir in die Augen der kalte
- Atem der Nacht und lullt dich ein in süßen Schlaf; nun schlummerst du,
- vergißt dich ganz und schnarchst -- doch zornig bewegt und schüttelt
- sich dein armer, in die Ecke gezwängter Nachbar unter deiner allzu
- schweren Bürde. Von neuem erwachst du, und wieder liegen vor dir Felder
- und Steppen; leer ist's um dich herum, frei dehnt die Ebene sich in die
- Weite. Ein Meilenstein nach dem andern fliegt an dir vorüber; der Morgen
- steigt empor; am bleichen kalten Horizont erscheint ein matter
- Goldstreifen, kühler und kräftiger weht dir der Wind um die Ohren. Hüll
- dich tiefer in deinen Mantel! Welch herrliche Kälte! Wie wunderbar
- umfängt aufs neue dich der Schlummer! Ein Stoß und abermals erwachst du.
- Die Sonne steht schon im Zenith. »Vorsicht, Vorsicht!« ruft's neben dir,
- der Wagen jagt den steilen Berg hinab. Unten wartet eine Fähre: ein
- breiter, klarer Teich, der wie ein kupferner Kessel in der Sonne glänzt;
- ein Dorf, mit malerischen Hütten an den Hängen; wie ein Stern blitzt
- abseits das Kreuz der Dorfkirche; wie tiefes Summen tönt der Bauern
- munteres Geplauder, und unbezwinglicher Appetit regt sich im Magen ...
- Mein Gott, wie schön ist doch bisweilen solch weiter, weiter Reiseweg!
- Wie oft schon klammerte ich mich gleich einem Untergehenden und
- Ertrinkenden an dich, und jedes Mal noch zogst du mich empor und
- rettetest hochherzig mich Armen! Und wieviel herrliche Gedanken und
- Träume voll wundersamer Poesie wurden auf solche Weise geboren, wie
- viele beglückende Eindrücke erfüllen schon die Seele! ... Indessen auch
- Freund Tschitschikows Träume waren durchaus nicht so ganz prosaischer
- Art. Sehen wir einmal zu, was für Gefühle ihn beseelten! Anfangs empfand
- er überhaupt nichts und sah sich immer wieder um, weil er sich
- überzeugen wollte, ob die Stadt auch wirklich hinter ihm läge; aber als
- er sah, daß sie längst verschwunden war, und keine Schmiede, keine
- Mühle, noch sonst etwas von alledem, was um eine Stadt herum zu liegen
- pflegt, mehr zu entdecken war, und selbst die weißen Spitzen der
- steinernen Kirchen längst in die Erde gesunken waren, da richtete sich
- seine ganze Aufmerksamkeit auf den Weg; er blickte nach rechts und nach
- links, die Stadt N. war ganz vergessen, wie wenn er vor _langer, langer_
- Zeit, in seiner frühesten Kindheit dort gewesen wäre. Schließlich fing
- auch der Weg an, ihn zu langweilen, er machte die Augen ein wenig zu und
- lehnte den Kopf an das Kissen. Der Autor muß gestehen, daß er sich
- eigentlich darüber freut, da er doch _so_ endlich einmal Gelegenheit
- findet, einige Worte über seinen Helden zu sagen, denn bisher wurde er
- ja immer -- der Leser weiß es ja selbst -- bald durch Nosdrjow, bald
- durch irgend einen Ball, bald durch die Damen oder den Stadtklatsch,
- oder durch tausend andere Kleinigkeiten daran gehindert, die immer erst
- dann als Kleinigkeiten erscheinen, wenn sie im Buche stehen, dagegen
- immer für höchst wichtige Angelegenheiten gehalten werden, solange sie
- noch in der Welt umherschwirren. Nun aber wollen wir alles beiseite
- legen und uns ganz der Sache selbst widmen.
- Ich bin sehr im Zweifel, ob der Held meiner Dichtung dem Leser gefallen
- wird. Den Damen wird er ganz sicher nicht gefallen, das läßt sich schon
- im Voraus mit Bestimmtheit behaupten -- denn die Damen wollen, daß ihr
- Held ein Muster jeglicher Vollkommenheit darstelle, und wenn ihm nur der
- kleinste leibliche oder seelische Makel anhaftet, dann ist es für immer
- vorbei. Der Autor mag ihm noch so tief in die Seele hineinleuchten, sein
- Bild reiner zurückstrahlen lassen, als ein Spiegel -- der Mann hätte
- doch nicht den geringsten Wert in ihren Augen. Schon die Fülle und das
- Alter Tschitschikows müssen ihm sehr schaden: diese Fülle wird man
- unserem Helden nie verzeihen, und viele Damen werden sich verächtlich
- abwenden und sagen: »Pfui, wie häßlich er ist!« Ach ja! Das alles ist
- dem Autor wohl bekannt, und dennoch -- und trotz alledem kann er sich
- keinen tugendhaften Menschen zum Helden wählen ... Allein ... vielleicht
- wird man in dieser selben Erzählung noch nie angeschlagene Saiten
- vernehmen, wird der russische Geist in ihr in seinem unendlichen
- Reichtum vor uns erscheinen, ein Mann begabt mit göttlichen Vorzügen und
- Tugenden an uns vorüberschreiten, oder ein herrliches russisches
- Mädchen, wie man es auf der ganzen Welt nicht wieder findet,
- ausgestattet mit allen Schönheiten der weiblichen Seele voll
- hochherzigen Strebens und zu jedem höchsten Opfer bereit! Verblassen und
- dahinschwinden werden vor ihnen alle tugendhaften Männer und Frauen
- anderer Stämme, wie der tote Buchstabe vor dem lebendigen Wort! Zum
- Lichte drängen werden sich alle mächtigen Regungen der russischen Seele,
- .. und es wird an den Tag kommen, wie tief die slavische Natur ergreift
- und festhält, was nur die Oberfläche fremder Völker streifte ... Allein,
- warum soll ich davon reden, was noch vor uns liegt? Nicht ziemt sich's
- für den Dichter, der längst des Mannes reifes Alter erreichte, und den
- die ernste Strenge inneren Lebens und die erfrischende Nüchternheit der
- Einsamkeit härteten und stählten, dem Knaben gleich sich zu vergessen.
- Jedes Ding hat seinen Platz und seine Zeit! Und doch, trotz alledem ward
- nicht der Tugendhafte zum Helden erwählt. Wir können es sogar sagen
- warum er nicht erwählt ward. Weil es endlich einmal Zeit ist dem armen
- Tugendbold etwas Ruhe zu gönnen; weil das Wort »tugendhafter Mensch«
- fortwährend auf allen Lippen schwebt; weil man den tugendhaften Menschen
- zu einem Steckenpferd gemacht hat, und weil es keinen Schriftsteller
- mehr gibt, der nicht beständig auf ihm herumreitet und ihn fortgesetzt
- mit seiner Peitsche und Gott weiß womit sonst noch, vorwärts treibt;
- weil man den tugendhaften Menschen so zu Tode gehetzt hat, daß bald auch
- nicht der Schatten einer Tugend mehr an ihm sein wird, und nur noch ein
- paar Rippen und etwas Haut statt des Leibes von ihm übrig bleiben
- werden, weil man den tugendhaften Menschen einfach nicht mehr achtet.
- Nein, es ist endlich Zeit, auch mal den Schurken vor den Wagen zu
- spannen. Und so wollen wir ihn denn vor unseren Wagen spannen!
- Bescheiden und dunkel ist die Herkunft unseres Helden. Seine Eltern
- waren Edelleute, ob freilich von altem oder _nur_ von persönlichem Adel
- -- das weiß der liebe Gott. Äußerlich zeigte er keine Ähnlichkeit mit
- ihnen: wenigstens hatte eine Verwandte, die bei seiner Geburt zugegen
- war, eine kleine kurze Dame, die man bei uns zu Lande einen Kiebitz zu
- nennen pflegt, das Kind auf die Arme genommen und ausgerufen: »Ach
- herrjeh! der ist aber ganz anders, wie ich ihn mir vorgestellt habe! Er
- sollte eigentlich der Großmama von mütterlicher Seite ähnlich sein, das
- wäre sicherlich das Beste gewesen, statt dessen gleicht er, wie das
- Sprichwort sagt: weder Vater noch Mutter sondern 'nem wandernden
- Junker.« Das Leben sah ihn anfangs unfreundlich und mürrisch, wie durch
- ein trübes vom Schnee verwehtes Fenster an: er hatte weder einen Freund,
- noch Genossen seiner Kinderjahre! Ein kleines Stübchen, mit kleinen
- Fensterchen, die weder im Sommer noch im Winter geöffnet wurden; sein
- Vater war ein kranker Mann in einem langen mit Lammfell gefütterten
- Rock, und in gestrickten Pantoffeln, die er über die nackten Füße zog;
- beständig ging er im Zimmer auf und ab, seufzte und spuckte in den
- Sandnapf in der Ecke, ewig mußte der Knabe auf der Bank sitzen, die
- Feder in der Hand, Finger und Lippen mit Tinte beschmiert, die
- unvermeidliche Vorschrift vor Augen: »Du sollst nicht lügen, sollst die
- älteren Leute ehren und die Tugend im Herzen tragen!« Das ewige Klappern
- und Schlürfen der Pantoffeln, die bekannte, ewig rauhe und strenge
- Stimme: »Machst du schon wieder Dummheiten?« die sich immer dann
- vernehmen ließ, wenn das Kind, angewidert von der Einförmigkeit seiner
- Beschäftigung, irgend ein Häkchen oder Schnörkelchen an einem Buchstaben
- anbrachte; und dann das lang bekannte aber immer peinliche Gefühl, das
- den Worten folgte, wenn die Nägel der langen Finger sich von hinten
- heranbewegten und das Ohrläppchen so schmerzhaft zusammendrehten. Das
- ist das traurige Bild seiner ersten Kindheit, an die ihm nur eine
- schwache Erinnerung geblieben war. Aber im Leben ändert sich alles
- schnell und plötzlich: eines schönen Tages, als die ersten Strahlen der
- Frühlingssonne die Erde erwärmten, und die Bäche zu rauschen begannen,
- nahm der Vater seinen Sohn bei der Hand und bestieg mit ihm einen
- Bauernwagen, der von einem braungescheckten Pferdchen gezogen wurde,
- einem von jener Sorte, welche unsere Pferdehändler »Elstern« zu nennen
- pflegen; der Wagen wurde von einem kleinen, buckligen Kutscher gelenkt,
- dem Stammvater der einzigen Leibeigenenfamilie, die Tschitschikows Vater
- gehörte. Fast anderthalb Tage lang dauerte die Fahrt, unterwegs
- übernachtete man einmal, setzte über einen Fluß, nährte sich von kalten
- Pasteten und gebratenem Hammelfleisch, und erreichte erst am dritten
- Tage gegen Morgen die Stadt. Diese machte einen tiefen Eindruck auf den
- Knaben durch den ungeahnten Glanz und die Pracht ihrer Straßen, daß er
- den Mund vor Erstaunen weit aufriß. Dann plumpste die »Elster« mitsamt
- dem Wagen in eine Grube, welche den Anfang einer engen, abschüssigen und
- ganz mit Schmutz bedeckten Straße bildete; lange arbeitete sie dort aus
- aller Kraft, watete mit den Beinen im Kot herum, angespornt und
- ermuntert von dem buckligen Kutscher und dem Herrn selbst, bis sie die
- Kutsche schließlich aus dem Dreck herauszog und in einem kleinen Hof
- landete; dieser lag an einem kleinen Hügel; vor dem alten Häuschen
- standen zwei blühende Apfelbäume und hinter demselben befand sich ein
- kleines niedriges Gärtchen, das nur aus ein paar Ebereschen,
- Hollunderbüschen und einem ganz tief im Innern liegenden kleinen
- hölzernen Hüttchen bestand, welches mit Dachschindeln gedeckt war und
- ein einziges halberblindetes Fensterchen hatte. Hier wohnte eine
- Verwandte von Tschitschikow, ein altes vertrocknetes Mütterchen, die
- aber noch jeden Morgen auf den Markt ging und ihre Strümpfe an der
- Teemaschine trocknete. Sie klopfte den Jungen auf die Wange und freute
- sich darüber, daß er so dick und wohlgenährt aussah. Hier sollte er von
- nun ab bleiben und die städtische Schule besuchen. Der Vater blieb die
- Nacht über bei der Alten. Am andern Tage machte er sich wieder auf den
- Weg, um nach Hause zu fahren. Als er sich von seinem Sohne
- verabschiedete, vergoß er keine Träne: er gab ihm einen halben Rubel
- Kupfergeld für die kleinen Ausgaben und Naschwerk, und was bei weitem
- wichtiger war, noch ein paar weise Lehren dazu: »Merk dir's Pawluscha,
- lerne was Ordentliches, treib keine Dummheiten und mach keine schlechten
- Streiche, vor allem aber: such stets deinen Vorgesetzten und Lehrern zu
- gefallen. Wenn du's deinen Vorgesetzten recht machst, wird dir alles
- gelingen, selbst wenn du unbegabt bist und keine großen Fortschritte in
- den Wissenschaften machen solltest; und du wirst all deine Mitschüler
- überholen. Laß dich nicht zu viel mit den Kameraden ein; sie werden dir
- nicht viel Gutes beibringen; aber wenn es dennoch dazu kommt, dann wähle
- dir die zu Freunden, die wohlhabend und reich sind, denn sie können dir
- helfen und von Nutzen sein. Sei nicht zu freigiebig und gastfrei,
- sondern mache es immer so, daß die anderen dich einladen und freihalten;
- vor allem aber: sei sparsam und ehre den Pfennig: auf ihn kannst du dich
- eher verlassen, als auf alles in der Welt. Deine Freunde und Kameraden
- werden dich übers Ohr hauen, sie sind die ersten, die dich im Unglück
- verlassen, der Pfennig aber wird dich _nie_ verlassen, weder in Not noch
- Gefahr! Mit dem Pfennig kannst du alles durchsetzen, wirst du alles
- erreichen, wonach dein Herz nur begehrt.« Nach diesen weisen Lehren
- verabschiedete sich der Vater von seinem Sohne und trat die Rückreise
- mit seiner »Elster« an. Der Sohn sollte ihn nie wiedersehen, allein, er
- bewahrte seine Worte und Lehren tief in der Seele.
- Noch am folgenden Tage fing Pawluscha an, die Schule zu besuchen.
- Besondere Fähigkeiten für eine bestimmte Wissenschaft legte er nicht an
- den Tag; er zeichnete sich mehr durch Fleiß und Ordnungsliebe aus; dafür
- aber kam bei ihm bald eine andere Fähigkeit zum Durchbruch: ein großer
- praktischer Verstand. Er begriff sofort, worum es sich handelte und
- benahm sich im Verkehr mit den Kameraden ganz so, wie der Vater es ihn
- gelehrt hatte, d. h., er ließ sich stets einladen und freihalten, er
- selbst dagegen tat nie etwas derartiges, ja, er hob sich sogar mitunter
- die erhaltenen Gaben und Geschenke auf, um sie später bei Gelegenheit an
- den Geber selbst zu verkaufen. Schon als Kind hatte er es gelernt, sich
- alles zu versagen. Von dem halben Rubel, den er vom Vater erhalten
- hatte, nahm er keine Kopeke, sondern fügte noch im selben Jahre etwas zu
- dieser Summe hinzu, wobei er einen großen Unternehmungsgeist an den Tag
- legte: er knetete aus Wachs einen Dompfaffen, strich ihn hübsch an und
- verkaufte ihn sehr vorteilhaft. Dann versuchte er es eine Zeitlang mit
- andern Spekulationen und zwar mit folgenden: er kaufte auf dem Markte
- Eßwaren ein und setzte sich in der Schule neben die, welche am reichsten
- waren und das meiste Geld hatten; und wenn er bemerkte, daß einem
- Kameraden schlecht wurde -- was ein Zeichen des eintretenden
- Hungergefühles war -- ließ er ihn unter der Bank, wie im Versehen, die
- Ecke eines Pfefferkuchens oder eines Brötchens sehen. Hatte er ihn dann
- ganz wild gemacht, so nahm er ihm eine bestimmte Summe ab, die stets in
- einem gewissen Verhältnisse zur Größe seines Appetites stand. Zwei
- Monate lang machte er sich in seiner Wohnung ununterbrochen mit einer
- Maus zu schaffen, die er in einen kleinen hölzernen Käfig eingesperrt
- hielt; er brachte es endlich soweit, daß sich die Maus auf die
- Hinterbeine stellte, sich auf Befehl hinlegte und wieder aufrichtete,
- worauf er sie dann gleichfalls mit hohem Gewinn losschlug. Als er sich
- auf diese Weise ungefähr fünf Rubel zurückgelegt hatte, nähte er sie in
- ein Säckchen ein, und fuhr fort, neues Geld zu sparen. In seinem
- Verhalten zur Schulobrigkeit war er noch klüger. Niemand verstand es so
- gut, wie er, mäuschenstill auf der Bank zu sitzen. Hier müssen wir
- bemerken, daß der Lehrer ein großer Freund der Ruhe und eines guten
- Betragens war und die klugen und gescheiten Jungen nicht leiden konnte;
- es schien ihm immer, daß diese über ihn lachten. Es braucht nur einer,
- der im Verdacht stand, gescheit und witzig zu sein, sich ein wenig auf
- der Bank zu bewegen oder im Versehen mit der Wimper zu zucken, um den
- Zorn des Lehrers auf sich zu lenken. Er verfolgte und strafte ihn ganz
- unbarmherzig. »Ich will dir deinen Hochmut und deine Aufsässigkeit
- austreiben!« rief er, »ich kenne dich durch und durch, so wie du dich
- selbst nicht kennst! Kniee einmal nieder! Du sollst schon erfahren, wie
- der Hunger schmeckt!« Und der arme Knabe mußte sich die Kniee
- durchscheuern und tagelang hungern, ohne selbst zu wissen, warum.
- »Fähigkeit, Begabung, Talent -- das ist alles Unsinn!« pflegte der
- Lehrer zu sagen, »ich sehe vor allem aufs Betragen. Einem Schüler, der
- sich anständig benimmt, würde ich auch dann noch die besten Noten in
- allen Fächern geben, wenn er keinen Deut von allem versteht; wo ich
- dagegen jenen bösen Geist des Widerspruches und der Spottlust entdecke
- -- da gibt's eine 0 selbst wenn er einen Solon in die Tasche steckte!«
- So pflegte der Lehrer zu sprechen; daher haßte er auch Krylow so
- ingrimmig, weil dieser in einer seiner Fabeln gesagt hatte: »Sauf
- meinethalben, doch verstehe deine Sache!« Auch erzählte er immer mit
- großer Befriedigung, wobei sein Gesicht und seine Augen leuchteten, wie
- in der Schule, in der er früher unterrichtet hatte, eine solche Stille
- geherrscht habe, daß man eine Mücke durchs Zimmer fliegen hören konnte;
- daß keiner von den Schülern während des ganzen Jahres auch nur _einmal_
- zu husten und sich während der Stunde zu schneuzen wagte, und daß bis
- zum Glockenzeichen niemand hätte entscheiden können, ob jemand in der
- Klasse war oder nicht. Tschitschikow erfaßte sofort den Geist und die
- Absichten des Lehrers und was dieser unter einem guten Betragen
- verstand. Er bewegte kein Auge und zuckte während der ganzen Stunde auch
- nicht _einmal_ mit der Wimper, man mochte ihn kneifen und zwicken,
- soviel man wollte; sowie das Glockenzeichen ertönte, stürzte
- Tschitschikow kopfüber an die Türe, um dem Lehrer als erster die Mütze
- zu reichen -- der Lehrer trug eine gewöhnliche Bauernmütze; hierauf
- verließ er zuerst die Klasse und suchte ihm recht häufig auf der Straße
- zu begegnen, wobei er jedesmal ehrerbietig den Hut abnahm. Sein
- Verhalten war vom schönsten Erfolge gekrönt. Die ganze Zeit über,
- während er die Schule besuchte, war er sehr gut angeschrieben, und bei
- seinem Abgang erhielt er ein vorzügliches Zeugnis mit den besten Noten
- in sämtlichen Fächern und außerdem noch ein Buch mit einer Inschrift in
- goldenen Lettern: »Für lobenswerten Fleiß und musterhaftes Betragen.«
- Bei seinem Abgang von der Schule war er bereits ein Jüngling von recht
- anziehendem Äußeren, mit einem Kinn, das der sorgsamen Pflege durchs
- Rasiermesser bedurfte. Um diese Zeit starb sein Vater. Er hinterließ
- seinem Sohne vier völlig abgetragene Flaushemden, zwei alte Röcke, die
- mit Lammfell gefüttert waren und eine ganz unbedeutende Geldsumme. Der
- Vater verstand es offenbar nur, gute Lehren im Sparen zu erteilen, er
- selbst aber hatte nur wenig zurückgelegt. Tschitschikow verkaufte
- sogleich das alte Häuschen samt dem dazugehörigen dürftigen Grund und
- Boden für tausend Rubel, und schickte die Leibeigenen-Familie die es
- bewohnt hatte, nach der Stadt, da er beabsichtigte, sich daselbst
- niederzulassen und in den Staatsdienst einzutreten. Um diese Zeit wurde
- sein armer Lehrer, der soviel Wert auf Ruhe und gutes Betragen legte,
- wegen seiner Unfähigkeit oder einer andern Verfehlung halber entlassen;
- er begann vor Gram zu trinken; aber bald reichten die Mittel nicht
- einmal mehr dazu; krank, hilflos, ohne einen Bissen Brot verkam und
- verhungerte er in irgend einer ungeheizten abgelegenen Dachkammer. Als
- seine früheren Schüler, hinter deren Witz und Scharfsinn er immer
- Ungehorsam und Aufsässigkeit gewittert hatte, von seiner Lage erfuhren,
- veranstalteten sie sofort eine kleine Geldsammlung für ihn, und
- verkauften sogar einige von ihren eigenen Sachen, die sie nur schwer
- entbehren konnten; nur Pawluscha Tschitschikow machte Ausflüchte, er
- habe nichts, und opferte bloß ein armseliges silbernes Fünfkopekenstück,
- das ihm die Kameraden mit den Worten: Oh, du Geizhals! vor die Füße
- warfen. Der arme Lehrer bedeckte sein Gesicht mit beiden Händen, als er
- von dieser Handlung seiner früheren Schüler erfuhr; die Tränen stürzten
- ihm in Bächen, wie bei einem hilflosen Kinde aus den erlöschenden Augen.
- »Noch auf dem Totenbett schickt Gott mir diese Tränen!« rief er mit
- schwacher Stimme, er seufzte schmerzlich, als er vernahm, wie
- Tschitschikow an ihm gehandelt hatte und fügte hinzu: »Ach, Pawluscha,
- Pawluscha! Wie sich doch der Mensch verändert! Was für ein braver
- artiger Junge er doch war! Er hatte so gar nichts Wildes und war so
- weich wie Seide. Wie hat er mich betrogen, o, wie hat er mich doch
- betrogen! ...«
- Und doch kann man nicht sagen, daß die Natur unseres Helden so rauh und
- hart, und daß sein Gefühl so abgestumpft war, daß er weder Mitleid noch
- Teilnahme kannte. Beide Gefühle waren ihm sehr wohl bekannt, und er wäre
- zu jeder Hilfe bereit gewesen, nur durfte sie nicht in einem gar zu
- großen Geldopfer bestehen, denn unter keinen Umständen hätte er die
- Summe angegriffen, die er beschlossen hatte, nie auszugeben; mit einem
- Wort, der väterliche Rat: »sei sparsam und ehre den Pfennig« war auf
- guten Boden gefallen. Und doch hing er nicht am Gelde, um des Geldes
- selbst willen; Geiz und Habsucht waren keineswegs die Triebfedern, die
- ihn ganz beherrschten. Nein, nicht sie waren die Motive, von denen er
- sich leiten ließ; was ihm vorschwebte, war ein Leben in Wohlstand und
- Überfluß, mit jeglichem Komfort, Equipagen, ein wohlgeordneter Haushalt,
- schmackhafte Diners -- das war es, was ihn ganz erfüllte und fortwährend
- beschäftigte. Und dazu sparte und ehrte er die Kopeke, die er sich
- selbst und andern versagte, um, wenn die Stunde schlagen würde, all
- diese Herrlichkeiten voll auszukosten. Wenn irgend ein reicher Mann in
- einem leichten eleganten Wagen, mit stolzen Pferden in schimmerndem
- Geschirr an ihm vorüberjagte, dann blieb er wie festgewurzelt stehen,
- und sprach dann wie wenn er aus tiefem Traum erwachte: »Und er war doch
- ein gewöhnlicher Handlungsgehilfe und trug gekräuseltes Haar!« Alles,
- was von Reichtum und Wohlstand zeugte, machte einen so tiefen Eindruck
- auf ihn, daß er es mitunter selbst nicht recht verstehen konnte. Als er
- die Schule verließ, ruhte er nicht einmal ein wenig aus: so stark war
- sein Wunsch, so schnell als möglich ans Werk zu gehen und in den
- Staatsdienst einzutreten. Allein trotz der vorzüglichen Zeugnisse gelang
- es ihm nur eine unbedeutende Stelle in der Finanzkammer zu erhalten;
- selbst in den entlegensten Nestern kommt man nicht ohne Protektion aus!
- Schließlich fand sich doch noch ein kleines Pöstchen, mit einem Gehalt
- von dreißig bis vierzig Rubel jährlich. Aber er war fest entschlossen,
- sich ganz dem Dienste zu widmen und alle Hindernisse zu besiegen und zu
- überwinden. Und in der Tat, er legte eine geradezu unerhörte
- Selbstverleugnung und Geduld an den Tag, und schränkte seine Bedürfnisse
- auf das Allernotwendigste ein. Vom frühen Morgen bis zum späten Abend
- saß er unermüdlich hinter seinem Tische, ohne daß seine geistigen und
- körperlichen Kräfte nur im geringsten nachließen, schrieb und schrieb,
- verschwand vollkommen hinter seinen Akten, ging kaum nach Hause, schlief
- in der Kanzlei auf dem Tische, aß mitunter mit den Hausknechten und
- Wächtern zu Mittag und verstand es bei alledem, sich ein sauberes
- wohlgepflegtes Äußeres zu bewahren, sich anständig zu kleiden, seinem
- Gesicht einen angenehmen Ausdruck zu verleihen und sogar seinen
- Bewegungen einen gewissen Adel zu geben. Man muß sagen, daß die Beamten
- der Finanzkammer sich besonders durch ihre Unscheinbarkeit und
- Häßlichkeit auszeichnen. Sie hatten alle Gesichter wie schlecht
- gebackene Semmel; eine Backe war geschwollen, das Kinn war schief, die
- Oberlippe aufgedunsen wie eine Blase, und noch dazu gesprungen; mit
- einem Wort es sah gar nicht hübsch aus. Sie führten alle eine sehr
- strenge Sprache, und ihre Stimme war so rauh, als wollten sie einen
- durchhauen; sie brachten dem Gott Bachus reichliche Opfer, sie bewiesen,
- daß sich bei den Slaven noch mancherlei Reste von Heidentum erhalten
- haben; ja sie kamen sogar häufig etwas angeheitert in den Dienst, so daß
- es im Amtszimmer recht ungemütlich wurde, da man die Luft nichts weniger
- als aromatisch nennen konnte. Unter solchen Beamten mußte Tschitschikow
- natürlich auffallen, war er doch fast in allem das vollkommene Gegenteil
- von ihnen; seine Züge waren eindrucksvoll, seine Stimme angenehm, auch
- enthielt er sich aller geistigen Getränke. Und doch wurde ihm die
- Karriere durchaus nicht leicht gemacht. Er erhielt einen ganz alten
- Aktuar zum Chef, ein wahres Muster starrer Gefühllosigkeit und
- Unerschütterlichkeit; er blieb immer gleich unnahbar, nie belebte ein
- Lächeln sein Gesicht, nie kam er einem freundlich grüßend entgegen, oder
- erkundigte sich nach dem Befinden. Noch nie hatte ihn jemand anders
- gesehen, als er sich immer zu geben pflegte, nicht einmal zu Hause oder
- auf der Straße; nie äußerte er das geringste Interesse oder etwas wie
- Teilnahme an fremdem Schicksal; nie war es ihm begegnet, daß er
- betrunken gewesen wäre und in diesem Zustand einmal herzhaft gelacht
- hätte; nie hatte er sich einem wilden Taumel hingegeben, wie es selbst
- der Räuber in Augenblicken des Rausches tut; -- von alledem war auch
- nicht ein Schatten bei ihm zu finden. Er war frei von Bosheit und Güte,
- aber gerade in diesem vollständigen Mangel aller starken Gefühle und
- Leidenschaften lag etwas Grauenerregendes. Sein hartes Marmorgesicht, an
- dem man keinen unsymmetrischen Zug entdeckte, erinnerte an kein
- Menschenantlitz und in seinen Linien herrschte eine rauhe Proportion.
- Nur die zahlreichen Pockennarben und -Gruben, mit denen es übersät war,
- machten es zu einem von jenen Gesichtern, auf denen der Teufel nachts
- Erben drischt. Man sollte meinen, es hätte über alle Menschenkraft gehen
- müssen, einem solchen Menschen näher zu treten und seine Zuneigung zu
- gewinnen; Tschitschikow aber wagte dennoch diesen Versuch. Zuerst suchte
- er sich ihm in allerhand unbedeutenden Kleinigkeiten gefällig zu
- erweisen; er untersuchte sorgfältig wie die Federn geschnitten waren,
- mit denen der Aktuar schrieb, dann besorgte er sich ein paar von der
- genannten Art, und legte sie so hin, daß jener sie leicht finden konnte;
- er blies und wischte den Streusand und Tabak von seinem Tische ab;
- schaffte einen neuen Lappen für das Tintenfaß an; ferner lief er stets
- nach seiner Mütze -- der häßlichsten Mütze, die es je auf der Welt gab,
- und legte sie jedesmal kurz vor dem Schluß der Sitzung neben ihn hin;
- oder er bürstete ihm den Rücken ab, wenn er sich an der Wand weiß
- gemacht hatte u. s. f. Aber dies alles machte nicht den geringsten
- Eindruck, gerad als ob es überhaupt nicht geschehen wäre. Schließlich
- jedoch gelang es Tschitschikow, einen Einblick in das Familienleben
- seines Chefs zu gewinnen: er erfuhr, daß er eine erwachsene Tochter
- hatte, deren Gesicht gleichfalls so aussah, als ob »nachts Erbsen darauf
- gedroschen« würden. Und nun versuchte er die Festung von dieser Seite zu
- bestürmen. Er hatte in Erfahrung gebracht, welche Kirche sie Sonntags
- besuchte; er stellte sich also jedesmal aufs feinste und tadelloseste
- gekleidet, mit einem prachtvoll gestärkten Vorhemd _vis à vis_ von ihr
- auf, und die Sache hatte Erfolg: der gestrenge Aktuar ließ sich
- erweichen und lud ihn zum Tee ein! Im Handumdrehen war es so weit
- gekommen, daß Tschitschikow zu ihm ins Haus zog und sich hier bald
- geradezu unentbehrlich zu machen wußte; er kaufte Mehl und Zucker ein,
- verkehrte mit der Tochter wie mit seiner Braut, nannte den Herrn Aktuar
- »Papachen« und küßte ihm die Hand. Im Gericht war alles überzeugt, daß
- Ende Februar, vor den großen Fasten die Hochzeit stattfinden werde. Der
- gestrenge Aktuar bemühte sich sogar bei seinem Vorgesetzten für ihn, und
- bald darauf saß Tschitschikow selbst als Aktuar auf einem Platz, der
- gerade frei geworden war. Das war wohl der Hauptzweck seiner Annäherung
- an den greisen Aktuar gewesen, denn noch am selbigen Tage ließ er seinen
- Koffer heimlich zu sich nach Hause tragen und am folgenden Tage nahm er
- sich schon eine andere Wohnung. Er hörte auf, den Aktuar »Papachen« zu
- titulieren und ihm die Hand zu küssen, die Sache mit der Heirat wurde
- immer weiter hinausgeschoben, fast als ob überhaupt niemals davon die
- Rede gewesen wäre. Trotzdem drückte er dem Aktuar auch fürderhin, wenn
- er ihm begegnete, zärtlich die Hand, lud ihn zu sich zum Tee ein, so daß
- der Alte trotz seiner großen Schwerfälligkeit und seiner hartnäckigen
- Gleichgültigkeit jedesmal den Kopf schüttelte und murmelte: »Hat der
- mich beschwindelt, dieser Satan!«
- Dies war das schwierigste Hindernis, das aber nun genommen war. Von da
- ab ging es leichter und mit noch größerem Erfolge vorwärts. Man fing an,
- ihn zu beachten. Besaß er doch alles, was man braucht, wenn man sich auf
- dieser Welt durchschlagen will: die angenehmen Manieren, das feine
- Betragen und den kecken Wagemut in allen geschäftlichen Unternehmungen.
- Mit diesen Mitteln eroberte er sich in kürzester Zeit das, was man ein
- »warmes Plätzchen« zu nennen pflegt, und wußte es aufs trefflichste
- auszunützen. Man muß nämlich wissen, daß man um diese Zeit streng gegen
- die Bestechlichkeit vorzugehen begann. Alle Maßnahmen hatten indes für
- ihn keine Schrecken, da er sie vielmehr zu seinem eigenen Vorteil
- auszunutzen wußte, und er legte hierbei einen echt russischen
- Erfindungsgeist an den Tag, der sich während der Zeiten starken Drucks
- stets in seiner höchsten Blüte zeigt. Er machte es nämlich
- folgendermaßen: sobald ein Bittsteller erschien, und die Hand in die
- Tasche steckte, um eins von den sattsam bekannten »Empfehlungsschreiben
- des Fürsten Chowanski« wie man sich bei uns in Rußland ausdrückt,
- hervorzuziehen -- sagte er sogleich mit einem freundlichen Lächeln,
- wobei er den Bittsteller an der Hand festhielt: »Sie denken wohl, daß
- ich .... nein, bitte! nein! Das ist unsere Pflicht und Schuldigkeit, das
- müssen wir auch ohne jede Entschädigung tun! Was das anbelangt, so
- können Sie ganz ruhig sein. Morgen ist alles in schönster Ordnung! Darf
- ich fragen, wo Sie wohnen? Sie brauchen sich selbst garnicht zu bemühen.
- Es wird Ihnen alles nach Hause geschickt!« Der entzückte Bittsteller
- kehrte ganz begeistert nach Hause zurück und dachte sich: »Endlich mal
- ein Mensch! ach, wenn es doch mehr solcher gäbe, das ist ja ein wahres
- Kleinod!« Jedoch der Bittsteller wartet einen Tag, wartet zwei, aber
- seine Akten wollen noch immer nicht kommen. Am dritten Tag ist es
- ebenso. Er geht noch einmal in die Kanzlei -- man hat seine Papiere noch
- garnicht angesehen. Er geht wieder zu seinem Kleinod. »Ach entschuldigen
- Sie,« sagt Tschitschikow sehr höflich, indem er den Herrn bei beiden
- Händen ergreift: »Wir hatten so schrecklich viel zu tun, aber morgen,
- morgen sollen Sie sie unbedingt haben! Es ist mir selbst höchst
- peinlich!« All diese Worte wurden von geradezu bezaubernden Gesten
- begleitet. Wenn bei dieser Gelegenheit der Rock aufgeknöpft wurde, so
- suchte die Hand diesen Fehler sofort wieder gut zu machen, indem sie den
- Bittsteller daran hinderte. Aber die Akten wollen trotzdem nicht kommen,
- weder morgen, noch übermorgen, noch überübermorgen. Der Bittsteller
- fängt an zu überlegen: »Hm! stimmt da vielleicht etwas nicht?« Er
- erkundigt sich, und erhält die Antwort: »Die Schreiber müssen was
- bekommen!« »Meinetwegen, warum sollte ich ihnen nichts geben: Sie sollen
- ihre fünfundzwanzig, meinetwegen sogar fünfzig Kopeken haben.« -- »Nein,
- damit ist's nicht getan, Sie müssen schon mindestens einen _weißen_
- Zettel[7] hinlegen.« »Was? den Schreibern einen weißen?« ruft der
- Bittsteller erstaunt aus. »Ja, warum regen Sie sich nur so auf?«
- antwortet man ihm: »das stimmt doch: die Schreiber erhalten wirklich nur
- ihre fünfundzwanzig Kopeken, der Rest geht an die Herren Vorgesetzten
- weiter!« Hier schlägt sich der harmlose Bittsteller vor den Kopf und
- flucht wütend über die neue Ordnung, über die Maßnahmen gegen das
- Bestechungswesen, und die verfeinerten Umgangsformen der Beamten.
- Früher, da wußte man wenigstens, was man zu machen hatte: da legte man
- dem Geschäftsführer einen _roten_ Zettel auf den Tisch, und die Sache
- war erledigt; jetzt muß man dagegen einen _weißen_ opfern und verliert
- noch dazu eine ganze Woche, ehe man überhaupt heraus kriegt, was hier
- eigentlich los ist! ... hol der Teufel diese Uneigennützigkeit und die
- Vornehmtuerei der Herren Beamten! Der Bittsteller hat natürlich ganz
- recht: aber dafür gibt's eben heute keine Bestechungen mehr: alle
- geschäftsführenden Beamten sind rechtschaffene, ehrliche Leute und nur
- die Schreiber und Sekretäre sind noch Halunken und Gauner. Bald jedoch
- tat sich vor Tschitschikow ein weites Feld der Tätigkeit auf: es bildete
- sich eine Kommission für den Bau eines großen Staatsgebäudes. In diese
- Kommission ließ auch er sich hineinwählen, und wurde eins ihrer
- tätigsten Mitglieder. Man schritt sofort zur Tat. Sechs Jahre lang
- bemühte man sich um das Staatsgebäude, aber war es nun das Klima, oder
- lag es an den Materialien, genug, der Bau wollte durchaus nicht
- fortschreiten und kam nicht über das Fundament hinaus. Dafür aber
- schafften sich die Mitglieder der Kommission an verschiedenen Enden der
- Stadt eine Reihe von schönen Häusern in gut bürgerlichem Stile an;
- offenbar war dort der Boden etwas besser. Die Herren Mitglieder fingen
- schon an, sich eines gewissen Wohlstandes zu erfreuen und sich eine
- Familie zu gründen. Erst jetzt und unter den neuen Verhältnissen begann
- auch Tschitschikow, sich von dem schwer lastenden Druck seiner strengen
- Enthaltsamkeitsprinzipien und der Selbstverleugnung zu befreien. Erst
- jetzt entschloß er sich zu einer milderen Handhabung der
- Fastenvorschriften, die er solange aufs strengste beobachtet hatte, und
- nun erst stellte es sich heraus, daß er eigentlich nie ein Feind jener
- Genüsse gewesen war, deren er sich in den Tagen einer feurigen Jugend so
- gut zu enthalten verstand, gerade in den Jahren, wo der Mensch noch
- nicht Herr seiner selbst ist. Er erlaubte sich sogar einen gewissen
- Luxus: schaffte sich einen Koch und feine holländische Hemden an. Auch
- kaufte er sich solche Stoffe, wie sie in der Provinz keineswegs
- allgemein getragen wurden und bevorzugte besonders die braunen und
- glänzenden hellroten Farben, er schaffte sich auch ein Paar stattliche
- Pferde an und lenkte selbst seinen Wagen, wobei er wohl die Zügel selbst
- in der Hand hielt und das Beipferd elegante Seitensprünge machen ließ;
- jetzt wurde auch die Sitte eingeführt, sich mit einem Schwamm, der in
- eine Mischung von Wasser und _Eau de Cologne_ getaucht wurde, zu
- waschen; schon kaufte er sich teure Seife, um seine Haut weich und glatt
- zu erhalten, schon ...
- [Fußnote 7: Fünfundzwanzig Rubel.]
- Da wurde plötzlich anstelle der alten Schlafmütze ein neuer Sektionschef
- ernannt, ein strenger Herr, der beim Militär gedient hatte, und ein
- geschworener Feind des Bestechungssystems, und alles dessen war, was man
- Ungerechtigkeit und Unehrlichkeit nennt. Schon am folgenden Tage
- scheuchte er alle Beamten bis auf den letzten auf, verlangte
- Rechenschaftsberichte, entdeckte auf Schritt und Tritt Mißstände, sah,
- daß überall Summen fehlten, bemerkte sofort die stattlichen Häuser im
- bürgerlichen Stil -- und ordnete sogleich eine Untersuchung an. Die
- Beamten wurden ihres Dienstes entsetzt; die Häuser im bürgerlichen Stil
- vom Staate beschlagnahmt und in allerhand wohltätige Anstalten und
- Schulen für Kantonisten umgewandelt; alle Beamten erhielten eine
- kräftige Moralpauke, am meisten aber unser Freund Tschitschikow. Sein
- Gesicht erregte plötzlich trotz seines angenehmen Ausdrucks das höchste
- Mißfallen des Chefs -- warum eigentlich -- das weiß Gott allein; oft
- gibt es überhaupt keinen Grund dafür -- genug, er warf einen tödlichen
- Haß auf Tschitschikow. Und der unerbittliche Chef war geradezu furchtbar
- in seinem Zorn! Da er aber schließlich doch nur ein alter Soldat war und
- all die feinen Kniffe und Kunstgriffe des Zivils nicht kannte, gelang es
- den andern Beamten durch Vortäuschung eines ehrlichen Gesichts und durch
- die Kunst, sich an alles anzupassen, sich seine Gnade zu erwerben, und
- der General kam bald in die Hand noch weit größerer und schlimmerer
- Halunken, die er noch dazu garnicht dafür hielt; ja er war schließlich
- sogar noch zufrieden, daß er die rechten Leute gefunden habe und rühmte
- sich ernstlich, wie gut er es verstehe, die Menschen nach ihren Talenten
- und Fähigkeiten zu würdigen und abzuschätzen. Die Beamten kamen sogleich
- hinter seinen Charakter und seine Eigenschaften. Alle, die unter ihm
- standen, wurden gewaltige Wahrheitsfanatiker, die jedes Unrecht und
- jegliche Ungerechtigkeit unbarmherzig ahndeten; überall, wo sie
- dergleichen antrafen, verfolgten sie es, so wie ein Fischer mit seiner
- Harpune einem fetten Stör nachjagt, und zwar mit so großem Erfolg, daß
- ein jeder von ihnen in ganz kurzer Zeit im Besitz von einigen Tausend
- Rubeln Kapital war. Um dieselbe Zeit bekehrten sich auch mehrere von den
- früheren Beamten und wurden wieder in Gnaden aufgenommen. Tschitschikow
- allein wollte es nicht glücken, sich wieder beim Chef einzuschmeicheln;
- so sehr sich auch der erste Sekretär des Generals unter dem Eindruck
- eines Empfehlungsbriefes des Fürsten Chowanski um ihn bemühte und für
- ihn einsetzte, er, der so vortrefflich die Lenkung und Steuerung der
- Nase des Gouverneurs verstand -- er vermochte dennoch nichts
- auszurichten. Der General war nun einmal ein solcher Mensch, der sich
- wohl an der Nase herumführen ließ (übrigens ohne, daß er es selbst
- wußte); hatte sich aber einmal ein Gedanke in seinem Kopfe festgesetzt,
- dann saß er so fest, wie ein eiserner Nagel und keine Macht der Welt
- hätte ihn wieder herausziehen können. Alles was der kluge Sekretär
- erreichen konnte, war, daß die alte schmutzige Dienstliste vernichtet
- wurde, aber selbst hierzu konnte er seinen Chef nur veranlassen, indem
- er an sein Mitleid apellierte und ihm in glühenden Farben das traurige
- Schicksal Tschitschikows und seiner unglücklichen Familie ausmalte, die
- ja Gott sei Dank garnicht existierte.
- »Was tun!« sprach Tschitschikow: »ich hab eingehakt, raufgezogen, und
- das Ding ist mir doch wieder abgeschnappt -- da ist kein Wort zu
- verlieren. Durch Geheul und Gegrein macht man das Unglück nicht wieder
- gut. Man muß ans Werk gehen und handeln!« Und er beschloß, seine
- Laufbahn von neuem zu beginnen, sich aufs neue mit Geduld zu wappnen und
- sich wieder zu beschränken, so schön und herrlich er sich auch vordem zu
- entfalten begonnen hatte. Er entschloß sich, in eine andere Stadt
- überzusiedeln und dort bekannt und berühmt zu werden. Aber es wollte
- alles nicht recht glücken. In ganz kurzer Zeit mußte er zwei- oder
- dreimal sein Amt und seinen Beruf wechseln, denn die damit verbundene
- Tätigkeit war höchst unsauber und widerwärtig. Der Leser muß nämlich
- wissen, daß Tschitschikow soviel auf Anstand und Sauberkeit gab, wie
- kaum sonst jemand in der Welt. Und obwohl er sich im Anfang auch in
- einer unsauberen Gesellschaft bewegen mußte, blieb seine Seele doch
- immer rein und fleckenlos, daher liebte er es auch, wenn die Tische in
- den Amtsstuben lackiert waren und alles fein und nobel aussah. Nie
- erlaubte er sich in seinen Reden ein unanständiges Wort, und es kränkte
- ihn tief, wenn er in den Worten eines anderen die schuldige Achtung
- gegen seine Titel und Würden vermißte. Ich glaube, es wird dem Leser
- angenehm sein, zu erfahren, daß er jeden zweiten Tag seine Wäsche
- wechselte; im Sommer während der heißesten Zeit sogar zweimal täglich:
- jeder unangenehme Geruch beleidigte sein empfindliches Geruchsorgan.
- Daher steckte er sich auch jedesmal, wenn Petruschka erschien, um ihn
- anzukleiden und ihm die Stiefel auszuziehen, ein paar Nelken in die
- Nase; und oft waren seine Nerven zarter als die eines jungen Mädchens;
- daher wurde es ihm auch so schwer, wieder in jene Schichten
- unterzutauchen, wo alles nach Fusel roch und die feinen Manieren ganz
- unbekannt waren. So sehr er sich auch beherrschte, er magerte dennoch
- ein wenig ab und bekam eine grünliche Gesichtsfarbe von all diesen
- Widerwärtigkeiten und Schicksalsschlägen. Eben hatte er angefangen, dick
- zu werden und sich jene runden und gefälligen Körperformen zuzulegen, in
- deren Besitz der Leser ihn angetroffen hat, als er seine erste
- Bekanntschaft machte; und oft schon hatte er, wenn er sich im Spiegel
- betrachtete, an mancherlei irdische Annehmlichkeiten gedacht: an ein
- reizendes Weibchen, eine volle Kinderstube, und ein Lächeln hatte bei
- diesem Gedanken sein Gesicht belebt; wenn er jetzt dagegen unversehens
- in den Spiegel blickte, konnte er nicht umhin, auszurufen: »Heilige
- Mutter Gottes, wie häßlich ich geworden bin!« Und es verging ihm für
- lange Zeit die Lust, sich im Spiegel zu betrachten. Aber unser Held
- ertrug alles, ertrug es geduldig und mutig -- und so erhielt er denn
- endlich eine Stellung beim Zollamt. Hier müssen wir erwähnen, daß ein
- solcher Posten schon längst Gegenstand seiner geheimen Wünsche gewesen
- war. Er hatte gesehen, was sich die Zollbeamten für wunderschöne
- ausländische Sachen anschafften, was für herrlichen Batist und Porzellan
- sie ihren Schwestern, Vettern und Basen zum Geschenk machten. Oft schon
- hatte er seufzend ausgerufen: »Das wär so etwas für mich: die Grenze ist
- nahe, man ist in der Nähe von gebildeten Leuten, was für feine
- holländische Hemden man sich da zulegen könnte!« Und wir müssen
- hinzufügen, daß er auch noch an eine besondere Sorte französischer Seife
- dachte, welche der Haut eine außerordentliche Weiße und Geschmeidigkeit
- und den Wangen Frische und Glanz verlieh; was das für eine Marke war,
- das mag Gott wissen, jedenfalls hatte er Grund zu vermuten, daß sie nur
- an der Grenze zu haben war. Genug, er sehnte sich schon lange nach dem
- Zollamt, aber die augenblicklichen Vorteile, die ihm aus dem Dienst in
- der Baukommission erwuchsen, hielten ihn noch zurück, und er sagte sich
- mit Recht, daß das Zollamt eben doch nicht mehr als eine Taube auf dem
- Dache sei, während die Baukommission doch immerhin ein Sperling in der
- Hand war. Jetzt aber hatte er sich entschlossen, unter allen Umständen
- beim Zollamt unterzukommen -- und das setzte er denn auch tatsächlich
- durch. Mit wahrem Feuereifer machte er sich ans Werk. Das Schicksal
- selbst schien ihn zum Zollbeamten prädestiniert zu haben. Eine gleiche
- Geschäftigkeit und ein solch durchdringender Scharfblick war noch nie
- vorgekommen. In drei oder vier Wochen hatte er sich bereits eine solche
- Sicherheit im Zollfach angeeignet, daß er buchstäblich alles wußte: er
- brauchte garnicht abzumessen oder nachzuwiegen; denn er erkannte sofort
- nach der Faktur, wieviel Meter Stoff in einem Paket enthalten waren; und
- wenn er ein Gepäckstück in die Hand nahm, konnte er sofort sagen,
- wieviel es wog; was aber die Untersuchung anbetraf, so hatte er, wie
- seine eigenen Kameraden sich ausdrückten, geradezu »eine Witterung wie
- ein guter Jagdhund«: es war wirklich wunderbar, wie geduldig er jeden
- Knopf befühlte, und dies alles geschah mit einer vernichtenden
- Kaltblütigkeit und einer geradezu unglaublichen Höflichkeit. Während die
- unglücklichen Objekte der Untersuchung vor Wut rasten, alle
- Selbstbeherrschung verloren und eine unwiderstehliche Lust verspürten,
- sein angenehmes Gesicht tüchtig durchzubläuen, verzog er keine Miene und
- sagte immer mit der gleichen Liebenswürdigkeit: »Wollen Sie nicht die
- Gefälligkeit besitzen, sich ein wenig zu bemühen und aufzustehen!« oder
- »Wollen Sie nicht die Güte haben, gnädige Frau, und ein wenig ins
- Nebenzimmer treten. Die Gattin eines unserer Beamten möchte ein paar
- Worte mit Ihnen sprechen«, oder »Sie erlauben wohl, daß ich Ihnen das
- Unterfutter Ihres Mantels ein wenig mit dem Messer auftrenne«. Und mit
- diesen Worten zog er ganz kaltblütig alle möglichen Tücher, Shawls usw.
- von dort hervor, ganz wie aus seinem eigenen Koffer. Selbst die
- Vorgesetzten erklärten, das sei ein Teufel und kein Mensch. Überall fand
- er etwas: zwischen den Rädern, in der Deichsel, in den Ohren der Pferde
- und Gott weiß, wo noch sonst, wo es wohl selbst keinem Dichter in den
- Kopf käme, etwas zu suchen, und wohin sich höchstens ein Zollbeamter
- verirren kann. Der arme Reisende konnte sich noch lange, nachdem er die
- Grenze passiert hatte, nicht auf sich selbst besinnen, wischte sich den
- Schweiß, der ihm aus allen Poren getreten war, ab, schlug ein Kreuz und
- murmelte: »Na, na!« Seine Lage erinnerte sehr an die eines Schuljungen,
- der eben dem Karzer entronnen ist, wohin der Lehrer ihn rief, um ihm
- eine kleine Standrede zu halten und ihn statt dessen zu seinem höchsten
- Erstaunen kräftig durchwalkte. Bald wußten sich die Schmuggler vor ihm
- nicht mehr zu retten: er war der Schrecken und die Verzweiflung der
- gesamten polnischen Judenschaft. Seine Ehrlichkeit und Unbestechlichkeit
- waren unvergleichlich und geradezu unnatürlich. Er legte sich nicht
- einmal ein kleines Kapital aus den konfiszierten Waren und den
- beschlagnahmten Sachen an, welche dem Staate vorenthalten wurden, um die
- unnützen Schreibereien zu vermeiden. Ein solcher uneigennütziger Eifer
- im Dienst mußte natürlich allgemeines Staunen erregen und schließlich
- auch der Regierung zu Ohren kommen. Er erhielt einen Titel und wurde
- befördert, woraufhin er der Regierung ein Projekt vorlegte, wie man
- sämtliche Schmuggler fangen und dingfest machen könnte. Diesem Projekte
- legte er nur noch die Bitte um Einsendung der hierzu erforderlichen
- Mittel bei. Sogleich wurde ihm das Oberkommando und die unbeschränkte
- Vollmacht zur Ausführung aller möglichen Untersuchungen und
- Ermittelungen erteilt. Das war es allein, was er brauchte. Um diese Zeit
- hatte sich gerade eine große Gesellschaft von Schmugglern gebildet,
- welche ganz bewußt und planmäßig vorgingen: das freche Unternehmen
- versprach, Millionen abzuwerfen. Tschitschikow hatte schon längst etwas
- davon erfahren und sich sogar geweigert, die Abgesandten zu kaufen,
- indem er ganz trocken erklärte, die Zeit sei noch nicht gekommen.
- Nachdem er jedoch alle Fäden in seiner Hand hatte, benachrichtigte er
- die Gesellschaft sofort, indem er ihr sagen ließ: Jetzt ist es Zeit. Er
- hatte fast zu sicher gerechnet. In einem Jahre hätte er hier mehr
- gewinnen können, als er sich je in zwanzig Jahren durch noch so eifrige
- Diensttätigkeit erwerben konnte. _Vordem_ wollte er sich nicht mit ihnen
- einlassen, weil er doch nichts wie eine Schachfigur war, und daher nicht
- viel erhalten hätte. Jetzt dagegen lagen die Dinge ganz anders, jetzt
- konnte er ihnen seine Bedingungen diktieren. Damit die Sache sich
- möglichst glatt abwickle, versuchte er noch einen andern Beamten auf
- seine Seite zu bringen und das Unternehmen gelang, der Kollege konnte
- der Versuchung nicht widerstehen, trotzdem seine Haare schon zu grauen
- begannen. Der Pakt wurde geschlossen und die Gesellschaft schritt zur
- Tat. Ihre ersten Operationen waren von glänzenden Erfolgen gekrönt. Der
- Leser hat sicher schon jene berühmte Geschichte von der Reise der
- gescheidten, spanischen Hammel gehört, welche die Grenze in doppelten
- Häuten überschritten und dabei für eine Million Brabanter Spitzen unter
- dem Pelze mitnahmen. Dieses ereignete sich gerade zu der Zeit, als
- Tschitschikow beim Zollamt war. Hätte er selbst nicht an diesem
- Unternehmen teilgenommen, kein Jude in der ganzen Welt hätte es fertig
- gebracht, einen ähnlichen Streich auszuführen. Nachdem die Hammel die
- Grenze drei oder viermal überschritten hatten, stellte es sich heraus,
- daß beide Beamten je vierhunderttausend Rubel Kapital besaßen. Ja man
- munkelte, daß es bei Tschitschikow sogar in die Fünfhunderttausend
- gegangen wäre, weil er noch etwas kecker war, als der andre. Gott weiß,
- welche gewaltige Höhe diese gepriesenen Summen erreicht hätten, wenn
- nicht irgend ein vertraktes Tier ihnen über den Weg gelaufen wäre. Der
- Teufel verdrehte beiden Beamten den Kopf. Der Haber stach sie, und sie
- gerieten ohne jeden Grund aneinander. Während einer lebhaften
- Unterhaltung nannte Tschitschikow, der vielleicht auch etwas zu viel
- getrunken hatte, den andern Beamten einen _Popensohn_, worauf dieser,
- der _wirklich_ der Sohn eines Popen war, sich aus irgend einem Grunde
- aufs tiefste beleidigt fühlte und ihn sehr heftig und außerordentlich
- scharf anfuhr. Und zwar sagte er ihm folgendes: »Das lügst du! Ich bin
- Staatsrat und kein Popensohn. Du bist vielleicht ein Popensohn,« und
- dann fügte er, um ihm einen Stich zu versetzen und ihn noch mehr zu
- ärgern, noch hinzu: »Jawohl, so ist's!« Obwohl er unseren Tschitschikow
- damit noch übertrumpfte, indem er ihm das auf ihn selbst gemünzte
- Schimpfwort zurückgab, und trotzdem die Wendung: »Jawohl, so ist's«
- schon stark genug war, genügte ihm dies jedoch noch nicht, sondern er
- sandte noch außerdem eine geheime Denunziation an die Behörde. Übrigens
- ging die Rede, beide hätten überdies noch einen Streit wegen eines
- frischen handfesten Weibleins gehabt, die nach dem Ausdruck der Beamten
- »kernig« gewesen sei, wie eine Rübe, ja es seien sogar ein paar kräftige
- Kerle gedungen worden, die unseren Helden eines Abends in einer dunkelen
- Gasse tüchtig durchwalken sollten; schließlich aber hätten beide Beamten
- eine Nase erhalten, und ein gewisser Hauptmann Schamschajew habe sich
- der betreffenden Dame bemächtigt. Wie sich die Sache in Wahrheit
- zugetragen hat, das weiß Gott allein. Genug, die geheimen Abmachungen
- mit den Schmugglern wurden ruchbar und kamen an den Tag. Der Staatsrat
- wurde zwar gleichfalls gestürzt, aber er zog seinen Kollegen mit in
- seinen Sturz hinein. Die Beamten wurden vor Gericht gestellt, ihr ganzer
- Besitz konfisziert und versiegelt, und dies alles brach über ihre
- schuldigen Häupter herein, wie ein Donnerschlag aus heitrem Himmel. Ihr
- Geist war wie von Rauch und Dunst umnebelt, und als sie wieder zu sich
- kamen, bemerkten sie mit Entsetzen, was sie angerichtet hatten. Der
- Staatsrat überlebte diesen Schicksalsschlag nicht und ging irgendwo
- elendiglich zugrunde, der Kollegienrat aber hielt dem Schicksal stand
- und blieb fest. Er verstand es, einen Teil der Summe in Sicherheit zu
- bringen, so fein auch die Witterung der Beamten war, die erschienen
- waren um die Untersuchung zu leiten; er wandte alle Schliche und
- Ausflüchte an, deren sich ein erfahrener Mann, welcher die Menschen nur
- allzu gut kennt, zu bedienen pflegt: hier suchte er durch seine
- angenehmen Umgangsformen Eindruck zu machen, dort durch rührende Reden,
- hier wirkte er durch Schmeicheleien, die nie etwas schaden können, und
- da erwarb er sich die Gunst der Beamten, indem er ihnen etwas zusteckte,
- mit einem Wort, er wußte seine Sache so gut zu führen, daß er wenigstens
- keinen so schmählichen und unehrenhaften Abschied erhielt, wie sein
- Kollege und, wenn auch mit knapper Not, dem Strafrichter entrann.
- Freilich: das Kapital und all die schönen ausländischen Sachen waren
- dabei draufgegangen; für diese Dinge hatten sich andre Liebhaber
- gefunden. Es gelang ihm, sich höchstens zehntausend Rubel aus diesem
- Zusammenbruch zu retten, die er sich für alle Fälle zurückgelegt hatte,
- dazu noch zwei Dutzend holländische Hemden, eine kleine Kutsche, wie sie
- Junggesellen zu besitzen pflegen und zwei Leibeigene: den Kutscher
- Seliphan und den Bedienten Petruschka, außerdem hatten ihm die
- Zollbeamten, aus reiner Herzensgüte noch fünf oder sechs Stück Seife
- geschenkt: damit er sich seine Wangen rein und frisch erhalte -- das war
- alles. In so trauriger Lage befand sich nun mit einem Male wieder unser
- Held. Welch ungeheueres Mißgeschick war plötzlich über ihn
- hereingebrochen! Das nannte er im Dienste der Wahrheit leiden. Man
- sollte meinen, nach all diesen Stürmen, Versuchungen, Schicksalsschlägen
- und den bösen Zufällen dieses Lebens hätte er sich mit seinen letzten
- teuren Zehntausend in den friedlichen Erdenwinkel eines
- Provinzstädtchens zurückgezogen, um dort für immer einzurosten: da hätte
- er wohl im geblümten Schlafrock am Fenster eines niedrigen Häuschens
- gesessen und zugesehen wie Sonntags die Bauern rauften, oder er wäre
- vielleicht zur Erholung einmal in den Hühnerhof hinabgegangen, um sich
- persönlich das Huhn anzusehen, aus dem die Suppe gekocht werden sollte,
- und so hätte er sein Dasein zwar still, doch in seiner Art auch nicht
- ganz nutzlos hingebracht. Aber es kam anders; man muß der
- unbezwinglichen Charakterstärke unseres Helden Gerechtigkeit widerfahren
- lassen. Nach all diesen Schlägen, welche genügt hätten, einen Menschen
- wenn nicht umzubringen, so doch für immer gegen alles abzukühlen und
- zahm zu machen, war in ihm jene unerhörte Leidenschaft noch immer nicht
- erloschen. Er war ärgerlich und zornig, murrte wider die ganze Welt,
- schimpfte über die Ungerechtigkeit des Schicksals, war empört über die
- Schlechtigkeit der Menschen, und konnte es dennoch nicht lassen, neue
- Versuche zu unternehmen. Mit einem Wort: er legte eine Mannhaftigkeit an
- den Tag, vor der die träge Geduld des Deutschen zu Nichts
- zusammenschrumpft, welche ja in dem ruhigen, langsamen Blutumlauf seinen
- Grund hat. Tschitschikows Blut dagegen wallte feurig durch die Adern,
- und es bedurfte eines starken, vernünftigen Willens, um all jene Triebe
- zu zügeln, welche in ihm nach außen drängten, um sich hier frei zu
- ergehen und auszuleben. Er überlegte lange hin und her, und in seinen
- Überlegungen war immer etwas Richtiges enthalten. Warum bin _ich_ es
- gerade? Warum mußte das Unglück jetzt über _mich_ hereinbrechen? Wer
- säumt denn jetzt in seinem Berufe? Alles strebt nach _Erwerb_. Ich habe
- doch niemand unglücklich gemacht, habe keine Witwe beraubt, keinen
- Menschen an den Bettelstab gebracht, nur von dem Überflusse genommen
- dort wo jeder andere an meiner Stelle auch die Hand ausgestreckt hätte.
- Hätte ich nicht die Gelegenheit beim Schopfe gepackt, so hätten andere
- es statt meiner getan. Warum sollen denn andere schwelgen und glücklich
- sein? Und warum soll ich denn verfaulen wie ein Wurm? Was bin ich jetzt?
- Wozu tauge ich? Wie soll ich jetzt einem braven Familienvater ins Auge
- sehen? Muß ich nicht Gewissensbisse empfinden, wenn ich daran denke, daß
- ich nur die Erde unnütz belaste? Und was sollen einst meine Kinder
- sagen? -- »Seht unsern Vater an,« werden sie sagen; »er war ein
- Schweinehund, und hat uns kein Vermögen hinterlassen.«
- Wir wissen bereits, daß Tschitschikow sehr besorgt um seine Nachkommen
- war. Es ist damit eine kitzliche Sache. So mancher würde nicht so tief
- in den fremden Beutel greifen, wenn sich ihm nicht immer die seltsame,
- unbegreifliche Frage wie von selbst auf die Lippen drängte: »Und was
- werden meine Kinder sagen?« Und der künftige Stammvater greift eilig
- nach dem, was ihm zu allererst unter die Finger kommt, wie ein
- vorsichtiger Kater, welcher ängstlich zur Seite schielt, ob nicht der
- Hausherr in der Nähe ist: sieht er ein Stück Seife liegen, eine Kerze,
- ein Endchen Speck, kommt ihm ein Kanarienvogel unter die Pfoten, er
- nimmt alles mit und verschmäht nichts. So jammerte und klagte unser
- Held, und doch arbeitete sein Kopf unaufhörlich weiter. Unabläßlich
- wollte sich etwas formen und wartete nur auf den Plan zu dem neu zu
- errichtenden Bau. Und wiederum schrumpfte er zusammen, wieder begann er
- ein hartes Arbeitsleben, wieder schränkte er sich in allem ein, wieder
- stieg er aus der Sphäre des Wohlstandes und der Reinheit in den Schmutz
- und das Elend des Daseins hinab. In Erwartung eines Besseren ließ er
- sich sogar dazu herbei, das Amt eines Gerichtsvollziehers zu übernehmen,
- ein Beruf, der sich bei uns noch nicht das Bürgerrecht erkämpft hat,
- dessen Träger von allen Seiten Püffe und Stöße erdulden müssen, von den
- niederen Gerichtsbeamten und von ihren Vorgesetzten verachtet werden und
- zum Antichambrieren, zum Erleiden jeglicher Grobheiten und Beleidigungen
- verurteilt sind. Allein die Not machte unsern Helden zu allem fähig.
- Unter den mancherlei Aufträgen, mit deren Ausführung er betraut wurde,
- gab es auch folgenden: es sollten einige hundert Bauern bei
- Vormundschaftsgericht verpfändet werden. Das Gut, zu dem die Bauern
- gehörten, stand vor dem Ruin. Furchtbare Viehseuchen, die Mißwirtschaft
- spitzbübischer Verwalter, Epidemien, denen die besten Arbeiter zum Opfer
- fielen, Mißernten und nicht zum mindesten die Unvernunft des Gutsherrn
- hatten es dem Ruin entgegengeführt. Der Besitzer hatte sich in Moskau
- ein modernes Haus im neusten und vornehmsten Geschmack erbaut, dabei
- aber war sein ganzes Vermögen bis zur letzten Kopeke draufgegangen, so
- daß ihm kaum noch was zum Essen übrig blieb. So sah er sich denn
- gezwungen, sein einziges Gut, das ihm noch übrig geblieben war, zu
- verpfänden. Hypothekengeschäfte mit dem Staate waren damals noch
- ziemlich unbekannt und erst vor kurzem eingeführt, daher entschloß man
- sich nicht ohne inneres Unbehagen zu einem solchen Schritt.
- Tschitschikow hatte in seiner Eigenschaft als Gerichtsvollzieher
- sämtliche Vorbereitungen zu treffen; vor allem sorgte er, daß auch alle
- Anwesenden in der rechten Stimmung waren (ohne diese vorbereitende
- Maßnahme ist es bekanntlich nicht einmal möglich, die einfachsten
- Erkundigungen einzuziehen -- unter einer Flasche Madeira pro Kopf geht's
- jedenfalls nicht ab), nachdem er also alle, auf die es hierbei ankam, in
- die rechte Geistesverfassung versetzt hatte, erklärte er ihnen: es gäbe
- bei dieser Sache noch einen Umstand, der unbedingt berücksichtigt werden
- müsse: »die Hälfte der Bauern sei gestorben, da müsse man sich in acht
- nehmen, daß später nicht etwa Klagen laut würden ...« »Sie stehen aber
- doch in der Revisionsliste, nicht wahr?« sagte der Sekretär. »Freilich,«
- erwiderte Tschitschikow. »Nun was fürchten Sie denn dann noch?« sagte
- der Sekretär. »Der eine stirbt, ein andrer wird geboren, nun gut, dann
- ist doch nichts verloren.« Wie man sieht, verstand es der Sekretär in
- Versen zu sprechen. Hier aber blitzte in unserem Helden der genialste
- Gedanke auf, der je einem Menschen in den Kopf gekommen war. »O, ich
- Einfaltspinsel!« sprach er zu sich selbst, »ich suche meine Handschuhe
- und sie stecken ruhig in meinem Gürtel! Hätte ich mir all diese Leute,
- welche gestorben sind, gekauft, noch ehe die neuen Revisionslisten
- aufgestellt wurden; hätte ich sie mir, sagen wir einmal, für tausend
- Rubel erworben und dann beim Vormundschaftsgericht verpfändet; dann
- hätte ich zweihundert Rubel für die Seele bekommen, und das würde heute
- genau zweimal hunderttausend Rubel ausmachen! Und dazu ist jetzt gerade
- der günstigste Augenblick: die Epidemie ist erst eben vorüber, die hat
- gottlob nicht wenige das Leben gekostet! Die Gutsbesitzer haben ihr Geld
- verspielt, zechen jetzt herum, und haben ihr ganzes Vermögen
- durchgebracht; alles will nach Petersburg und in den Staatsdienst
- treten: die Güter liegen darnieder, die Verwalter kümmern sich kaum um
- sie, mit jedem Jahre wird's schwerer, die Steuern einzutreiben; wie gern
- wird mir da jeder seine toten Bauern abtreten, nur um keine Kopfsteuer
- für sie bezahlen zu müssen, ja am Ende nehme ich noch diesem oder jenem
- ein paar Kopeken dafür ab. Das ist natürlich nicht leicht, es kostet
- viele Mühe, man muß ewig in Sorgen schweben, daß man hereinfällt, und
- daß eine neue Geschichte daraus entsteht. Aber wozu hat denn der Mensch
- schließlich seinen Verstand? Das Gute dabei ist ja eben dies: daß die
- Sache so unwahrscheinlich ist: niemand wird es recht glauben wollen.
- Freilich ohne Land kann man sie weder kaufen noch verpfänden; aber ich
- werde sie eben zu Ansiedelungszwecken kaufen, natürlich: zu
- Ansiedelungszwecken; jetzt bekommt man ja das Land im Gouvernement
- Taurien und Cherson fast umsonst; dort kannst du kolonisieren soviel
- dein Herz begehrt! Ich führe sie eben einfach dorthin: ins Chersonsche
- Gouvernement; da mögen sie meinetwegen leben! Und die Ansiedelung läßt
- sich ja auf ganz gesetzlichem Wege vollziehen, nach allen Regeln der
- Kunst, durch das Gericht. Wenn sie ein Zeugnis verlangen, gut, ich habe
- nichts dagegen: Warum nicht? Ich werde auch ein Zeugnis mit der
- eigenhändigen Unterschrift irgend eines Kreisrichters vorlegen. Das Gut
- wird »Tschitschikowka« oder nach meinem Taufnamen »Pawlowskoje«
- genannt.« So kam im Kopfe unseres Helden dieser seltsame Plan zustande;
- ich weiß garnicht, ob ihm die Leser sehr dankbar für ihn sein werden,
- dagegen läßt es sich kaum ausdrücken, wie sehr der Verfasser sich ihm
- verpflichtet fühlt; wie dem auch sei, wäre Tschitschikow nicht auf
- diesen Gedanken gekommen -- nie hätte diese Dichtung das Licht der Welt
- erblickt.
- Er schlug nach russischer Sitte ein Kreuz und ging an die Ausführung
- seines großen Planes. Indem er vorschützte, er suche sich ein Plätzchen,
- wo er sich niederlassen könne, und noch unter mancherlei anderen
- Vorwänden, begann er damit, sich alle Ecken und Enden unseres Reiches
- anzusehen, vorzüglich aber die, welche mehr als andere unter allerhand
- Unglücksfällen zu leiden hatten, als da sind: Mißernten, Todesfälle usw.
- usw. Mit einem Wort, wo sich ihm die günstigste Gelegenheit bot, sich
- möglichst billig Bauern zu erwerben, deren er ja bedurfte. Dabei wandte
- er sich nicht aufs geradewohl an den ersten besten Gutsbesitzer, sondern
- wählte sich Leute nach seinem Geschmack aus, nämlich solche, mit denen
- sich ein Geschäft dieser Art ohne große Schwierigkeiten abwickeln ließ.
- Hierbei suchte er zunächst ihre nähere Bekanntschaft zu machen und ihre
- Zuneigung zu gewinnen, um die Bauern womöglich zum Geschenk zu erhalten
- und sie nicht bar bezahlen zu müssen. Daher darf der Leser auch dem
- Autor nicht böse sein, wenn die Personen, die bisher im Laufe unserer
- Erzählung auftraten, nicht immer nach seinem Geschmacke waren: das ist
- Tschitschikows Schuld; denn hier ist _er_ der Herr der Situation, und
- wir müssen ihm folgen, wohin zu wandern es ihm einfällt. Wir
- unsererseits können, wenn man uns den Vorwurf macht, unsere Personen und
- Charaktere seien unscheinbar und blaß, nur immer wieder sagen, daß man
- im Beginn einer Sache nie ihren ganzen Umfang und die ganze Breite und
- Tiefe ihres Verlaufs ermessen kann. Die Einfahrt in eine Stadt, und sei
- es selbst die in die Reichshauptstadt, ist immer uninteressant. Zunächst
- erscheint alles grau und einförmig. Endlose Fabriken und
- rauchgeschwärzte Werkstätten ziehen sich in trübseliger Monotonie dahin.
- Erst später erscheinen die Ecken sechsstöckiger Häuser, vornehme Läden,
- Aushängeschilder, die langen Zeilen der Straßen mit Türmen, Säulen,
- Denkmälern, Kirchen, mit ihrem Straßenlärm und Glanz und all den
- Wundern, die Menschenhand und Menschengeist erschaffen. Wie die ersten
- Einkäufe zustande kamen hat der Leser selbst gesehen; wie die Sache
- weiter gehen wird, welche Erfolge und Mißerfolge unsern Helden erwarten,
- was für Hindernisse weit schwierigerer Art er zu besiegen und zu
- überwinden haben wird, wie dann gewaltige Gestalten vor uns auftreten,
- wie sich die geheimsten Hebel unserer sich breit ergießenden Erzählung
- in Bewegung setzen werden, wie der Horizont auseinander treten, und sie
- selbst in majestätisch-lyrischem Strome dahinfluten wird, dies werden
- wir später sehen. Ein weiter Weg ist's, den unsere Brigade zurückzulegen
- hat bestehend aus einem Herrn mittleren Alters, einer Kutsche, wie die
- Junggesellen zu benutzen pflegen, dem Diener Petruschka, dem Kutscher
- Seliphan und dem Dreigespann edler Rosse, denen wir ja vorgestellt sind,
- vom Assessor bis zum niederträchtigen Schecken. Da haben wir unsern
- Helden wie er leibt und lebt. Aber vielleicht wird man noch eine
- Charakteristik durch einen letzten Strich von mir verlangen: was ist er
- für ein Mann nach der Seite seiner moralischen Qualitäten? Daß er kein
- Held, erfüllt von allen Tugenden, Vorzügen und allen nur möglichen
- Vollkommenheiten ist -- das ist evident. Wer also ist er? Folglich wohl
- ein Schurke? Warum ein Schurke? Warum sollen wir so streng gegen andere
- Leute sein? Jetzt gibt's bei uns keine Schurken mehr. Es gibt
- wohlgesinnte, gesinnungstüchtige, angenehme Menschen, aber solche, die
- ihre Physiognomie zur öffentlichen Beschimpfung darbieten müßten, um den
- Streich auf die Wange in Empfang zu nehmen, gibt es nur sehr selten. Von
- dieser Sorte werden wir kaum zwei bis drei finden und selbst sie reden
- heute schon laut von der Tugend. Das Richtigste wäre es wohl, ihn einen
- guten Wirt oder ein Erwerbsgenie zu nennen. Der Erwerbstrieb -- trägt
- die Schuld an allem: er ist die Ursache all jener Affären und Geschäfte,
- die die Welt »nicht ganz sauber« nennt. Freilich, so ein Charakter hat
- schon etwas Abstoßendes an sich, und derselbe Leser, der sich auf seinem
- Lebenswege mit so einem Menschen anfreundet, ihn in sein Haus einführt
- und manche angenehme Stunde mit ihm verbringt, wird ihn mißtrauisch
- ansehen, sowie er ihm in irgend einem Drama oder einer Dichtung
- begegnet. Aber dreimal weise ist der, der überhaupt keinen Charakter
- verabscheut, sondern prüfend seinen Blick auf ihn heftet und ihn
- begreifen lernt in seinen innersten Triebfedern; wie schnell wandelt
- sich alles im Menschen: eh man sich's versieht, hat sich im Innern ein
- furchtbarer Wurm eingenistet, der wächst und wächst und alle
- Lebenskräfte herrisch in sich aufsaugt. Und mehr als einmal schon
- geschah es, daß in einem Menschen, der zu Höherem geboren war, nicht nur
- eine übermächtige Leidenschaft gewaltig emporwuchs und erstarkte, nein
- oft schon ließ ein armseliger minderwertiger Trieb ihn all seine hohen
- und heiligen Pflichten vergessen und in elenden Nichtigkeiten etwas
- Großes und Verehrungswürdiges sehen. Unendlich wie der Sand am Meere
- sind des Menschen Leidenschaften, und keine gleicht der andern, alle
- sind sie dem Menschen im Anfang gefügig und gehorsam, die hohen wie die
- niedrigen, und erst später werden sie zu furchtbaren Despoten. Selig ist
- der zu preisen, der sich unter allen die herrlichste Leidenschaft
- erwählte: er wächst und mehrt sich täglich und stündlich sein
- grenzenloses Glück, tiefer und immer tiefer dringt er ein in das
- unendliche Paradies seiner Seele. Aber es gibt Leidenschaften, deren
- Wahl nicht vom Menschen abhängt. Sie werden mit ihm geboren in der
- Stunde, da er zur Welt kommt, und keine Kraft ward ihm gegeben, sie weit
- von sich zu stoßen. Ein höherer Plan ist es, der sie lenkt, und es liegt
- etwas in ihnen, das ewig ruft und lockt und keinen Augenblick im Leben
- verstummt. Ihre große irdische Laufbahn zu vollenden ist ihre
- Bestimmung, ob sie nun als finstere Gestalten vorüberwandeln oder als
- herrlich leuchtende Erscheinungen, die den lauten Jubel der Welt
- entfachen, indem sie an uns vorüberziehen -- ganz gleich -- sie kamen,
- um das dem Menschen unbekannte Gute zu erfüllen. Und vielleicht stammt
- auch die Leidenschaft die unseren Helden Tschitschikow lenkt und
- vorwärtstreibt nicht aus ihm selber, und es liegt auch in seinem kalten
- frostigen Dasein etwas beschlossen, was einstmals den Menschen auf die
- Kniee und in den Staub niederzwingen wird vor der Weisheit des Himmels.
- Und es ist noch ein Geheimnis, warum diese Gestalt gerade in dieser
- Dichtung erscheinen mußte, die hiermit den Schauplatz der Welt betritt.
- Aber nicht das ist das Bittere, daß man mit unserem Helden unzufrieden
- sein wird; weit bitterer und schmerzlicher ist dieses: in meiner Seele
- lebt die unumstößliche Gewißheit, daß die Leser dennoch und trotz
- alledem mit diesem Helden, mit demselben Tschitschikow zufrieden sein
- könnten. Hätte der Autor ihm nicht so tief ins Herz geblickt, hätte er
- nicht alles aufgerührt, was im tiefsten Grunde seiner Seele lebt und nur
- dem Blick der Welt entgeht und verborgen bleibt, hätte er nicht seine
- geheimsten Gedanken enthüllt, die kein Mensch dem andern vertraut,
- sondern ihn so gezeigt, wie er der ganzen Stadt, Manilow und all den
- anderen -- erschienen war, -- so wären alle Leute sehr befriedigt, und
- jeder würde ihn für einen äußerst interessanten Menschen halten.
- Freilich wäre dann sein Bild und seine Gestalt nicht so lebendig vor
- unser Auge getreten: dafür hätte auch keine Erregung in unserer Seele
- nachgezittert, nachdem wir das Buch aus der Hand gelegt hätten, und wir
- könnten uns ruhig wieder an unseren Kartentisch setzen, welcher der
- Trost und die Freude ganz Rußlands ist. Ja meine braven Leser, ihr wollt
- der Menschen nackte Armut lieber nicht sehen: »Warum nur?« sprecht ihr,
- »wozu dient das alles? Wissen wir denn nicht selber, daß es gar viel
- Verächtliches und Törichtes in der Welt gibt? Auch ohnedies muß man oft
- Dinge sehen, die keineswegs tröstlich sind. Zeigt uns doch lieber das
- Schöne, das was entzückt und begeistert! Helft uns, uns lieber selbst zu
- vergessen!« -- »Warum sagst du mir, daß es schlecht um meine Wirtschaft
- steht, Bruder?« sagt ein Gutsbesitzer zu seinem Verwalter »ich weiß das
- auch _ohne_ dich, lieber Freund: kannst du denn wirklich nicht von etwas
- andrem reden? Wie? Hilf mir lieber das alles zu vergessen, und nicht
- daran zu denken -- dann bin ich glücklich.« Und so wird das Geld, das
- dazu hätte dienen können, um das Gut etwas in die Höhe zu bringen, für
- allerhand Mittelchen ausgegeben, um sich selbst zu vergessen. Der Geist
- wird eingeschläfert, der vielleicht plötzlich einen Quell gewaltiger
- Reichtümer entdeckt hätte; das Gut kommt unter den Hammer, der Gutsherr
- muß betteln gehen, um sich zu vergessen; mit einer Seele, die zu jeder
- äußersten Niedertracht und Gemeinheit bereit ist, vor denen er selbst
- einst zurückgeschreckt wäre.
- Noch eine andere Klage wird gegen den Autor laut; sie rührt von den
- sogenannten Patrioten her, welche ruhig in ihren Winkeln sitzen und sich
- mit ganz gleichgültigen Dingen abgeben: sich ein Kapital aufhäufen und
- sich ein schönes Los auf Kosten anderer bereiten; sowie aber etwas
- geschieht, was nach ihrer Meinung dem Vaterland zur Unehre gereicht,
- _sowie_ irgend ein Buch erscheint, das eine bittre Wahrheit enthält --
- dann kommen sie aus allen Ecken und Winkeln herausgekrochen, wie die
- Spinnen, welche eine Fliege entdeckt haben, die sich in ihr Netz
- verstrickte, und erheben ein lautes Geschrei: »Ja, ist es denn gut,
- solche Dinge ans Licht zu bringen, sie offen zu verkünden. All das, was
- da beschrieben wird, gehört ja zu _uns_ -- ist's also klug, so etwas zu
- tun? Und was sollen die Ausländer sagen? Ist es denn angenehm, zu hören,
- daß andre Leute schlecht von uns reden?« Und sie denken: tut es uns denn
- nicht weh? Denken: sind wir etwa nicht Patrioten? Auf solch weise
- Bemerkungen, besonders hinsichtlich der Ausländer, kann ich keine
- passende Antwort finden. Es wäre denn etwa diese: In irgend einem
- entlegenen Winkel Rußlands lebten einmal zwei Männer. Der eine war der
- Vater einer großen Familie und hieß Kifa Mokiewitsch; er war ein sanfter
- friedlicher Mensch, der ein Freund eines bequemen und ruhigen Lebens
- war. Mit seiner Familie beschäftigte er sich kaum; sein Dasein war mehr
- der Spekulation gewidmet, ihn beschäftigten in erster Linie
- »philosophische Fragen« wie er sie nannte: »Nehmt z. B. das Tier,«
- pflegte er zu sagen, indem er im Zimmer auf und abging, »das Tier wird
- doch ganz nackt geboren. Warum gerade nackt? Warum nicht vielmehr
- befiedert wie der Vogel: warum kriecht es z. B. nicht aus dem Ei? Nein,
- wirklich, es ist sonderbar ... man versteht die Natur immer weniger, je
- mehr man sich in sie vertieft!« So dachte der Bürger Kifa Mokiewitsch.
- Aber das war noch nicht das Wichtigste. Der andre Bürger war Mokij
- Kifowitsch, sein leiblicher Sohn. Er war das, was man in Rußland einen
- Helden zu nennen pflegt, und während sich der Vater mit der Geburt des
- Tieres beschäftigte, drängte es _seine_ zwanzigjährige, breitschultrige
- Gestalt mit aller Macht danach, sich zu entfalten und auszuleben. Er
- konnte nie eine Sache leicht und nur so obenhin in Angriff nehmen --
- stets brach sich jemand dabei den Arm oder er trug eine Beule auf der
- Nase davon. Zu Hause und in der Nachbarschaft liefen alle, von den
- Mädchen auf dem Hofe -- bis auf den letzten Hund -- davon, wenn sie ihn
- erblickten, sogar sein eigenes Bett, das in seinem Schlafzimmer stand,
- schlug er in Trümmer. So war Mokij Kifowitsch, sonst aber war er ein
- braver, gutmütiger Mensch. Jedoch das ist nicht das Wichtigste. Das
- Wichtigste hierbei ist das, was nun kommt: »Ich bitt dich gnädiger Herr
- Kifa Mokiewitsch,« sagten die eigenen und fremden Knechte und Mägde zum
- Vater: »was ist dein Mokij Kifowitsch doch für ein Herr? Der läßt keinen
- Menschen in Ruhe, ist der zudringlich!« »Ja, ja, etwas mutwillig ist er
- schon,« erwiderte gewöhnlich der Vater: »aber was ist da zu tun? Hauen
- kann ich ihn doch nicht mehr, alle Menschen würden über meine Härte und
- Grausamkeit schreien, und dann ist er ein so ehrgeiziger Mensch; wenn
- ich ihm in Gegenwart anderer Leute einen Vorwurf machte -- würde er sich
- wohl in acht nehmen; aber vergeßt auch die Öffentlichkeit nicht -- das
- ist eben das Unglück. Wenn die Stadt es erfährt, wird sie ihn gleich
- einen Schweinehund nennen. Glaubt ihr denn, daß mir das nicht weh tun
- würde? Bin ich denn nicht sein Vater? Meint ihr, weil ich mich mit der
- Philosophie beschäftige und mitunter keine Zeit für andere Dinge habe,
- sei ich nicht Vater? O nein, ihr irrt euch. Ich _bin_ Vater, jawohl ich
- bin _Vater_, zum Teufel noch einmal, das laß ich mir nicht nehmen. Mokij
- Kifowitsch -- der sitzt mir hier ganz tief im Herzen.« Und Kifa
- Mokijewitsch schlug sich mit der Faust kräftig auf die Brust und geriet
- in die größte Erregung: »Und wenn er schon sein Leben lang ein
- Schweinehund bleiben sollte, so soll man es wenigstens nicht von mir
- erfahren; ich kann ihn doch nicht verraten!« Nachdem er so von seinem
- väterlichen Gefühl Zeugnis abgelegt hatte, ließ er Mokij Kifowitsch
- ruhig seine Heldentaten fortsetzen und kehrte selbst zu seinen geliebten
- Gegenständen zurück, indem er sich plötzlich irgend eine Frage wie etwa
- die folgende vorlegte: »Hm, wenn die Elefanten Eier legten, müßten die
- Eierschalen da nicht so dick sein, daß keine Kanonenkugel sie
- zertrümmern könnte; ja, ja, es ist Zeit ein neues Schießwerkzeug zu
- erfinden!« So verbrachten unsere zwei Bewohner des friedlichen
- Erdenwinkels ihr Leben, sie, die am Schluß unserer Dichtung so plötzlich
- wie aus einem Fenster hervorguckten, um ihre bescheidene Antwort auf den
- Vorwurf glühender Patrioten vorzubringen, welche sich vielleicht lange
- ganz ruhig mit irgendwelchen Philosophemen oder mit der Vergrößerung
- ihres Wohlstandes auf Kosten des von ihnen so glühend geliebten
- Vaterlandes beschäftigten und keineswegs darum besorgt sind, daß nur
- nichts Böses geschieht, sondern allein darum, daß nur ja niemand sage,
- sie täten Schlimmes. Doch nein, weder der Patriotismus noch jenes erste
- Gefühl sind der Grund all dieser Anklagen und Vorwürfe. Dahinter
- versteckt sich etwas ganz andres. Warum soll ich es verheimlichen? Wer
- anders, wenn nicht der Autor hätte die Pflicht, die heilige Wahrheit zu
- verkündigen? Ihr fürchtet den tiefen forschend auf euch gerichteten
- Blick. Ihr wagt es nicht, diesen Blick selbst auf die Gegenstände zu
- richten, ihr liebt es, mit blinden Augen gedankenlos über alles
- hinwegzugleiten. Ihr werdet vielleicht auch von Herzen über
- Tschitschikow lachen: vielleicht sogar den Autor _loben_ und sagen:
- »Übrigens, manches hat er wirklich sehr fein beobachtet! Das muß doch
- ein Mensch von heiterem Temperament sein!« Und nach diesen Worten werdet
- ihr mit verdoppeltem Stolze zu euch selbst zurückkehren, ein
- selbstgefälliges Lächeln wird euer Gesicht verklären, und ihr werdet
- fortfahren: »Man muß doch sagen: in einigen Gegenden Rußlands gibt es
- wirklich höchst merkwürdige und komische Menschen, und recht abgefeimte
- Schurken dazu!« Doch wer von euch wird sich voll christlicher Demut,
- nicht laut und öffentlich, sondern in aller Stille, in jenen
- Augenblicken wo die Seele einsame Selbstgespräche mit sich führt, tief
- im Innern die Frage vorlegen: »Wie? lebt nicht vielleicht auch in _mir_
- etwas von Tschitschikow?« Warum nicht gar. Laßt dagegen irgend einen
- Beamten, einen Mann mittleren Ranges an einem andern vorübergehn --
- sofort wird er seinen Nachbarn anstoßen, und während er sich fast
- ausschütten möchte vor Lachen, zu ihm sagen: »Sieh, sieh, das ist
- Tschitschikow, da geht er vorüber!« Und er wird allen Anstand, den er
- seinem Rang und Alter schuldig ist, vergessen, ihm wie ein Kind
- nachlaufen, ihn verhöhnen, necken und ihm nachrufen: »Tschitschikow!
- Tschitschikow! Tschitschikow!«
- Aber wir sprechen so laut und vergessen ganz, daß unser Held, der
- während der Erzählung seiner Lebensgeschichte fest schlief, schon
- aufgewacht ist und leicht hören könnte, daß man seinen Familiennamen so
- oft wiederholt. Er ist doch ein Mensch, der sich leicht gekränkt fühlt
- und sehr unzufrieden ist, wenn man ohne die schuldige Achtung von ihm
- spricht. Dem Leser kann's freilich ziemlich gleich sein, ob ihm
- Tschitschikow böse ist oder nicht; was dagegen den Autor anbelangt, so
- darf er sich unter keinen Umständen mit seinem Helden veruneinigen: er
- hat noch manches Stück Weges Hand in Hand mit ihm zurückzulegen; noch
- liegen zwei große Teile dieser Dichtung vor ihm, und das ist doch
- wirklich keine Kleinigkeit.
- »He, he! Was fällt dir ein!« rief Tschitschikow Seliphan zu, »du ...?«
- »Wie?« sagte Seliphan langsam.
- »Wie? fragst du! Trottel du! Wie fährst du denn? Vorwärts, rühr dich!«
- Und in der Tat, Seliphan saß schon lange auf seinem Bock und blinzelte
- mit den Augen. Nur hie und da schlug er im Halbschlaf die gleichfalls
- schlafenden Pferde mit den Zügeln leicht auf den Rücken. Auch Petruschka
- hatte schon lange und, Gott weiß, wo seine Mütze verloren, er war auf
- dem Bock zurückgesunken und stützte seinen Kopf auf Tschitschikows Knie,
- von dem er manchen kräftigen Puff empfing. Seliphan wurde munter und
- versetzte dem Schecken ein paar tüchtige Hiebe, worauf dieser einen
- lebhaften Trab anschlug; dann ließ er seine Peitsche über den Rücken der
- Pferde sausen und rief mit dünner Stimme gleichsam singend: »Nur keine
- Furcht!« Die Pferde wachten auf und zogen den leichten Wagen mit sich
- fort, der wie ein Flaum dahinflog. Seliphan schwenkte bloß die Peitsche
- und rief: »He, he, he!« indem er auf seinem Bock rhythmisch hin und her
- hopste, während der Wagen über die Berge und Täler der Landstraße
- dahinjagte, welche langsam bergab führte. Tschitschikow wurde auf seinem
- Polster leicht emporgehoben, er lächelte vergnügt, denn er liebte das
- schnelle Fahren. Und welcher Russe liebt das schnelle Fahren nicht?
- Sollte seine Seele, die sich überall und immer nach dem Taumel und
- Wirbel sehnt, und oft laut ausrufen möchte: »Ach was, hol' doch alles
- der Teufel,« sollte seine Seele es nicht lieben? Es nicht lieben, wenn
- etwas so Wundersames, Beseeligendes darin liegt? Wie eine unbekannte
- Gewalt hebt dich's auf seinen Flügel, du fliegst dahin und mit dir alles
- um dich her: die Meilensteine, die Kaufleute auf ihren Wagensitzen, der
- Wald zu beiden Seiten mit den dunklen Reihen seiner Tannen und Fichten,
- dem Lärm der Äxte und dem Rabengekrächze: der ganze Weg flieht vorüber
- -- weit fort in unbekannte Fernen; und etwas Furchtbares, Schreckliches
- liegt in diesem rasenden Aufblitzen und Verschwinden, wo der
- vorübergleitende Gegenstand kaum Zeit hat, feste Formen anzunehmen und
- nur der Himmel über uns, die leichten Wolken und der sich Bahn brechende
- Mond allein unbeweglich still zu stehen scheinen. Mein Dreigespann, o du
- Vogeldreigespann! wer hat dich erfunden? Nur aus einem kecken mutigen
- Volk konntest du hervorgehen -- in jenem Lande, das nicht zu spaßen
- liebt, sondern sich wie die unendliche Ebene streckt und breitet über
- die halbe Erde: versuch's doch die Meilensteine zu zählen, ohne daß
- dir's vor den Augen flimmert! Wahrlich kein schlau ersonnenes Gefährt
- bist du, genietet durch eiserne Klammern. Sondern schnell, aufs
- geratewohl mit Axt und Meißel hat dich ein flinker Jaroslawscher Bauer
- verfertigt und zusammengefügt. Dich lenkt kein Postillon in deutschen
- Stulpenstiefeln, bebartet und behandschuht sitzt er da, der Teufel weiß
- worauf; und wenn er aufsteht, seine Peitsche schwingt und sein
- unendliches Lied anstimmt -- dann stürmen die Rosse dahin wie ein
- Wirbelwind. Zu einer runden, glatten Fläche fließen die Speichen der
- Räder zusammen. Es donnert der Weg. Erschrocken schreit der Fußgänger
- auf und bleibt wie angewurzelt stehen. -- Und dahin fliegt das Gefährt,
- fliegt und fliegt! ... Und schon sieht man in der Ferne nichts wie eine
- dichte Staubwolke, und wirbelnd folgt die Luft.
- Jagst nicht auch du, Rußland, so dahin, wie ein keckes unerreichbares
- Dreigespann? Rauchend dampft unter dir der Boden; es dröhnen die Stege.
- Und alles bleibt zurück, weit hinter dir zurück. Wie durch ein
- göttliches Wunder betäubt, steht festgebannt der staunende Zuschauer.
- Ist es ein Blitz, der aus den Wolken zuckte? Was bedeutet diese
- grauenerweckende Bewegung? Und was für unbekannte Kräfte wohnen in
- diesen, nie gesehenen Rossen? Oh, ihr Rosse! Ihr wunderbaren Rosse! Lebt
- ein Wirbelwind in euren Mähnen? Bebt ein wachsames Ohr euch in jeder
- Ader? Lauscht ihr auf ein trautes altbekanntes Lied von oben, und spannt
- jetzt einträchtig eure ehernen Brüste? Kaum rühren eure flüchtigen Hufe
- die Erde, in eine langgestreckte Linie verwandelt fliegt ihr durch die
- Lüfte, und fort stürmt das ganze, gottbegeisterte! ... Rußland? Wohin
- jagst du, gib Antwort! Du bleibst stumm. Wundersam ertönt der Gesang des
- Glöckchens. Wie von Winden zerfetzt, braust und erstarrt die Luft;
- alles, was auf Erden lebt und webt, fließt vorüber; und es weichen vor
- dir, treten zur Seite, und geben dir Raum alle anderen Staaten und
- Völker.
- Anhang zum ersten Teil
- I.
- Vorrede
- zur zweiten Auflage des ersten Bandes
- der
- »Toten Seelen«
- 1846
- Der Verfasser an den Leser
- Wer du auch sein magst, lieber Leser, auf welchem Platze du stehst,
- welches Amt du bekleidet, ob du Rang und Würden dein eigen nennt, ein
- schlichter Mann von einfachem Stande bist, wenn dir Gott die edle Gabe
- des Lesens verliehen hat und dir ein Zufall dieses Buch in die Hände
- spielte, so bitte ich dich, mir zu helfen.
- In dem Buche, das vor dir liegt und dessen erste Auflage du
- wahrscheinlich schon gelesen hat, ist ein Mensch dargestellt, der mitten
- aus dem russischen Staate herausgegriffen ward. Er bereist unser
- russisches Vaterland, und trifft hier mit Menschen jeder Art und jedes
- Standes, mit vornehmen und einfachen zusammen. Er ward mehr _darum_ zum
- Helden ausersehen, um die _Laster_ und _Mängel_, als die _Vorzüge_ und
- _Tugenden_ des Russen aufzuzeigen; aber auch all die Menschen, die ihn
- umgeben, sind so gewählt worden, daß sie unsere Fehler und Schwächen
- widerspiegeln, die besseren Menschen und Charaktere sollen erst in den
- folgenden Teilen vorgeführt werden. In diesem Buche ist manches
- unrichtig dargestellt, und nicht so, wie die Dinge sich wirklich im
- russischen Vaterlande zutragen, weil ich ja nicht alles kennen lernen
- und in Erfahrung bringen konnte. Ein ganzes Menschenleben würde nicht
- ausreichen, um auch nur den hundertsten Teil von dem zu erforschen, was
- in unserer Heimat vorgeht. Zudem mögen sich infolge meiner eigenen
- Unachtsamkeit, Unreife und Übereilung mancherlei Irrtümer und
- Fehlschlüsse eingeschlichen haben, sodaß es wohl keine Seite in diesem
- Buche gibt, an der nicht irgend etwas zu berichtigen wäre, und daher
- bitte ich dich, lieber Leser, wo du es kannst, mich zu verbessern. Du
- darfst diese Mühe nicht gering schätzen. Auf welch hoher Stufe der
- Bildung und des Lebens du auch stehen mögest, so unbedeutend und nichtig
- dir auch mein Buch erscheinen und so kleinlich und unwichtig dir es
- vorkommen mag, mein Werk zu verbessern und deine Bemerkungen dazu
- niederzuschreiben, ich bitte dich dennoch darum, es zu tun. Aber auch
- du, lieber Leser, von _schlichter_ Bildung und einfachem Stande, sollst
- dich nicht für zu unwissend halten, mich zu belehren. Ein jeder Mensch,
- der gelebt, die Welt gesehen hat, und mancherlei Menschen begegnet ist,
- hat sicher vielerlei gemerkt, was einem andern entgangen ist, und vieles
- erfahren, was andere nicht wissen. Ich möchte daher nicht gerne auf
- deine Bemerkungen verzichten. Es ist unmöglich, daß du nicht etwas zu
- irgend einer Stelle meines Buches zu sagen hättest, wenn du es nur
- aufmerksam durchliest.
- Wie schön wäre es zum Beispiel, wenn auch nur _einer_ von jenen Leuten,
- deren Kenntnisse so groß, deren Lebenserfahrung so reich ist, und die
- den Kreis von Menschen, die ich beschrieben habe, genau kennen, seine
- Anmerkungen zu dem ganzen Buche niederschreiben und _gar nicht anders_
- an die Lektüre gehen wollte, als mit einer Feder in der Hand und einem
- Stück Papier, das er vor sich auf dem Tische liegen hat. Wie schön wäre
- es, wenn er jedesmal, nachdem er einige Seiten gelesen hat, sich an sein
- ganzes Leben und das aller der Menschen, denen er auf seinem Wege
- begegnet ist, an alle Ereignisse, die sich vor seinen Augen abspielten,
- und auch an alles das erinnern wollte, was er selbst sah oder hörte, ob
- es nun Ähnlichkeit mit den Begebenheiten hat, die in meinem Buche
- geschildert sind, oder ihnen gerade entgegengesetzt ist -- und wenn er
- dann alles genau so beschriebe, wie es sich in seiner Erinnerung
- darstellt und mir hierauf jedes vollgeschriebene Blatt zusenden würde,
- bis er auf diese Weise das ganze Buch zu Ende gelesen hätte. Welch einen
- großen wahrhaften Dienst würde er mir damit erweisen. Der Stil und die
- Schönheit des Ausdrucks brauchen ihm hierbei keine Sorge zu machen: hier
- handelt es sich nur um die Sache selbst und um ihre Wahrheit und nicht
- um den Stil. Auch braucht er sich nicht zu zieren, wenn er mich tadeln,
- oder mir einen Vorwurf machen, oder mich auf eine Gefahr und auf den
- Schaden hinweisen wollte, den ich durch die falsche und unüberlegte
- Darstellung einer Sache gestiftet habe, wo doch nur Nutzen und Besserung
- meine wahre Absicht war. Für all dieses wäre ich ihm von Herzen dankbar.
- Ferner wäre es sehr gut, wenn sich ein Mensch aus dem höheren Stande
- finden würde, welcher durch alles -- durch das Leben selbst und durch
- seine Bildung -- jenen Kreisen fernsteht, die in meinem Buche
- geschildert sind, der aber das Leben des Standes kennt, zu dem er selbst
- gehört, und wenn ein solcher Mensch sich entschließen könnte, mein Buch
- auf die gleiche Weise von Anfang an zu lesen, alle Menschen der höheren
- Stände an seinem geistigen Auge vorüber ziehen zu lassen und streng
- darauf zu achten, ob es nicht doch etwas Gemeinsames zwischen allen
- Ständen gibt, ob sich nicht doch zuweilen in den höheren Kreisen
- dasselbe wiederholt, was in den niederen Sphären zu geschehen pflegt?
- Und wenn er nun alles, was ihm hierüber einfällt, das heißt also jedes
- Vorkommnis aus den höheren Gesellschaftskreisen, das zur Bestätigung
- oder Widerlegung dieses Gedankens dienen kann, ganz so schildern wollte,
- wie es sich vor seinen Augen abspielte, ohne die Menschen selbst mit
- ihren Sitten, Neigungen und Gewohnheiten zu vergessen oder die
- seelenlosen Sachen, die sie umgeben, zu übergehen, von der Kleidung bis
- hinab zu den Möbeln und den Mauern der Häuser, die sie bewohnen. Ich
- _muß_ diesen Stand kennen, der die Blüte der Nation repräsentiert. Ich
- kann die letzten Bände meines Werkes nicht in die Welt hinausgehen
- lassen, bevor ich das Leben Rußlands nach all seinen Seiten kennen
- gelernt habe, wenigstens in dem Maße, als dies für mein Werk notwendig
- ist.
- Auch wäre es nicht schlecht, wenn irgend jemand, der mit einer reichen
- Phantasie und der Fähigkeit ausgestattet ist, sich alle möglichen
- menschlichen Verhältnisse recht lebhaft vorzustellen, und die Menschen
- in Gedanken auf Schritt und Tritt in allen Lebenslagen zu begleiten --
- mit einem Wort, wenn jemand der es versteht, sich in den Geist eines
- jeden Autors, den er liest, hinein zu versetzen oder seine Ideen weiter
- zu führen und zu entfalten -- jede Person, die ich in meinem Buche
- auftreten lasse, aufmerksam verfolgen und mir dann sagen wollte, wie sie
- sich in diesem oder jenem Falle verhalten muß, was ihr, nach dem Anfang
- zu schließen, im weiteren Verlauf der Erzählung zustoßen müßte, was für
- neue Situationen sich hieraus ergeben könnten, und was ich wohl noch zu
- meiner Beschreibung hinzufügen sollte; ich würde nämlich dies alles
- sorgsam berücksichtigen bis zu der Zeit, wo mein Buch in einer neuen,
- besseren und würdigeren Ausgabe vor den Leser treten wird.
- Um eines noch möchte ich den, der mich durch seine Anmerkungen erfreuen
- will, herzlichst bitten: wenn er sie niederschreibt, soll er nicht daran
- denken, daß er sie für einen Menschen schreibt, der ihm an Bildung
- gleich steht, der denselben Geschmack und dieselben Gedanken hat, wie er
- selbst, und vieles auch ohne weitere Erklärungen verstehen wird;
- vielmehr bitte ich ihn, so zu tun, als ob er einen Menschen vor sich
- hat, der sich in bezug auf Bildung nicht mit ihm messen kann, und der
- fast gar nichts gelernt hat. Es wäre vielleicht noch besser, wenn er
- sich an meiner Statt irgend einen Wilden vorstellen würde, der sein
- ganzes Leben in einem entlegenen Dorfe verbracht hat, dem man jede
- kleinste Einzelheit umständlich erklären muß, wenn er sie verstehen
- soll, und dem gegenüber man sich der einfachsten Ausdrucksweise
- befleißigen muß, fast wie vor einem Kinde, um nur ja kein Wort zu
- gebrauchen, das über seinen Horizont geht. Wenn jeder das stets im Auge
- behalten wird, wenn jeder von denen, die dazu bereit sind, ihre
- Bemerkungen zu meinem Buche niederzuschreiben, das stets im Auge behält,
- dann werden diese Anmerkungen noch weit interessanter werden und noch
- mehr an Wert gewinnen, als er es selbst glaubt; mir aber wird er einen
- großen und wahrhaften Dienst erweisen.
- Wenn es sich also so fügen sollte, daß meine Leser meinen Herzenswunsch
- berücksichtigen und erfüllen, und wenn sich unter ihnen wirklich ein
- paar Menschen von so gutem Herzen finden sollten, die bereit wären,
- meine Bitte zu erfüllen, dann können sie mir ihre Anmerkungen auf
- folgendem Wege übersenden: sie mögen ein an mich adressiertes Paket in
- ein andres Paket einpacken und dieses an eine der hier nambar gemachten
- Personen schicken: entweder an den Rektor der St. Petersburger
- Universität Seine Exzellenz Peter Alexandrowitsch Pletnew (zu
- adressieren an die Universität von St. Petersburg) oder an den Professor
- der Moskauer Universität S. H. Stepan Petrowitsch Schewyrew (zu
- adressieren an die Universität Moskau) je nachdem, welche Stadt dem
- Absender näher liegt.
- Zuletzt spreche ich noch allen Journalisten und Literaten überhaupt,
- meinen aufrichtigen Dank aus für die Rezensionen und Besprechungen,
- welche sie meinem Buche angedeihen ließen; sie haben meinem Herzen und
- meiner Seele, trotz mancher Maßlosigkeiten und Übertreibungen, wie sie
- nun mal in der menschlichen Natur liegen, einen großen Vorteil und
- Nutzen gebracht, und daher bitte ich sie alle, mich auch diesmal mit
- ihrem Urteil nicht im Stiche zu lassen. Ich kann ihnen das aufrichtige
- Versprechen geben, daß ich alles was sie mir zu meiner Aufklärung und
- Belehrung zu sagen haben, mit Dank entgegennehmen werde.
- II.
- Reflexionen,
- die sich auf den ersten Teil beziehen.
- Die Idee einer Stadt -- äußerster Grad von Hohlheit des in ihr
- herrschenden Treibens. Klatschereien und Zwischenträgereien, die alle
- Grenzen übersteigen. Wie dies alles aus dem Müßiggang entspringt und den
- höchsten Grad der Lächerlichkeit angenommen hat, und wie ganz gescheite
- Leute schließlich dazu kommen, die größten Dummheiten zu begehen.
- Einzelheiten aus den Gesprächen der Frauen. Wie sich in die allgemeinen
- Klatschereien noch solche von privatem Charakter mischen, und wie
- hierbei keine die andere schont. Wie Gerüchte und Vermutungen entstehen.
- Wie diese Vermutungen den Gipfel der Lächerlichkeit erreichen. Wie alle
- unwillkürlich an diesen Klatschereien teilnehmen, und wie
- Pantoffelhelden und Weiberknechte entstehen.
- Wie die Hohlheit, die Ohnmacht und Tatenlosigkeit des Lebens abgelöst
- werden durch einen trüben, nichtssagenden Tod. Wie sinnlos dieses
- furchtbare Ereignis eintritt und vorübergeht. Nichts bewegt sich. Der
- Tod überrascht dieses völlig unbewegte Leben. Dem Leser muß jedoch die
- tote Gefühllosigkeit des Lebens dadurch noch furchtbarer erscheinen.
- Die entsetzliche Dämmerung des Lebens zieht vorüber, darin liegt ein
- tiefes Mysterium verborgen. Ist das nicht etwas ganz Furchtbares? Dieses
- sich aufbäumende rebellierende müßige Leben -- ist es nicht eine
- Erscheinung von furchtbarer Größe? ... Leben! ... Im Ballkostüm, im
- Frack, da, wo man klatscht und Visitenkarten wechselt -- da glaubt
- keiner an den Tod ....
- _Einzelheiten._ Die Damen zanken sich gerade deswegen, weil die eine
- haben möchte, daß Tschitschikow dies sei, während die andere wünscht,
- daß er etwas anders sei -- und daher merken sie sich nur die Gerüchte,
- die zu ihrer Idee von ihm passen.
- Andere Damen erscheinen auf der Bildfläche.
- Die in jeder Beziehung angenehme Dame hat einen Hang zur Sinnlichkeit
- und liebt davon zu erzählen, wie sie diesen Hang zuweilen besiegt habe,
- und zwar mit Hilfe ihres Verstandes, und wie sie es immer verstanden
- habe, die Männer in einer gewissen Distanz zu halten. Übrigens geschah
- das eigentlich ganz von selbst und auf ganz unschuldige Weise. Es trat
- ihr nie einer zu nahe, aus dem einfachen Grunde, weil sie schon in ihrer
- Jugend eine große Ähnlichkeit mit einem Nachtwächter hatte, trotzdem sie
- so angenehm war und trotz all ihrer guten Eigenschaften. -- »Nein, meine
- Liebe, wissen Sie, ich liebe es, den Mann erst ein wenig anzulocken, ihn
- dann abzustoßen und dann _wieder_ anzulocken.« So verfährt sie auch auf
- dem Ball mit Tschitschikow. Die andern überlegen sich es gleichfalls,
- wie sie sich benehmen sollen. Die eine tritt sehr respektvoll auf. Zwei
- Damen fassen sich unter, gehen auf und ab und nehmen sich vor, solange
- als möglich zu lachen. Dann finden sie plötzlich, daß Tschitschikow
- keine guten Manieren hat.
- Die in jeder Beziehung angenehme Dame liebt es, Beschreibungen von
- Bällen zu lesen. Auch die Beschreibung des Wiener Kongresses
- interessiert sie sehr. Ferner interessiert sich diese Dame sehr für
- Toiletten, d. h. sie liebt es, andre Damen daraufhin zu beobachten, ob
- ihnen ein Kleid gut sitzt oder nicht.
- Während sie auf ihrem Stuhl sitzt, beobachtet sie die Eintretenden. »Die
- N. versteht sich garnicht zu kleiden, nein wirklich sie versteht es
- nicht. Dieses Tuch kleidet sie garnicht.« -- »Wie reizend die Tochter
- des Gouverneurs gekleidet ist!« -- »Aber Liebste, sie ist doch
- abscheulich gekleidet.« -- Und wenn es selbst so wäre -- --
- Die ganze Stadt mit ihrem wilden Durcheinander von Klatschereien und
- Zwischenträgereien -- ist das Urbild der Tatenlosigkeit und Hohlheit des
- menschlichen Lebens in seiner Masse. Das Geschwätz ist in die Welt
- gesetzt und mit ihm alle nur möglichen Kombinationen. Die Hauptzüge der
- Ballgesellschaft.
- Das Urbild des Gegensatzes im II. Teil, der sich mit der in sich
- zerrissenen und zerklüfteten Tatenlosigkeit beschäftigt.
- Wie könnte man alle Welten der Tatenlosigkeit und des Müßigganges in all
- ihren Spielarten auf die eine Art des städtischen Müßigganges
- zurückführen, und wie könnte man den städtischen Müßiggang zum Urbild
- der Untätigkeit und des Müßigganges der ganzen Welt erheben.
- Dazu müssen alle ähnlichen Züge mit eingeschlossen werden, und es muß
- eine gewisse Stetigkeit in die Erzählung kommen.
- III.
- Ende des neunten Kapitels
- in veränderter Fassung.
- Sie dachten nach und überlegten und beschlossen endlich, die Verkäufer
- auszufragen, mit denen Tschitschikow verhandelt, und denen er diese
- rätselhaften toten Seelen abgekauft hatte. Dem Staatsanwalt fiel die
- Aufgabe zu, zu Sabakewitsch zu gehen und mit ihm zu sprechen, und der
- Präsident erbot sich persönlich zu Karobotschka zu fahren. Wir wollen
- uns daher gleichfalls aufmachen, ihnen nachgehen und zusehen, was sie
- dort alles erfuhren.
- Kapitel ...
- Sabakewitsch lebte mit seiner Gemahlin in einem Hause, das etwas abseits
- von dem lauten und lärmenden Getriebe lag. Er hatte sich ein massives,
- solide gebautes Haus gewählt, wo ihm die Decke nicht überm Kopfe
- einzustürzen drohte, und in dem es sich bequem und glücklich leben ließ.
- Der Besitzer des Hauses war ein Kaufmann namens Kolotyrkin, auch ein
- sehr solider Herr. Sabakewitsch hatte nur seine Frau bei sich, seine
- Kinder waren nicht mitgekommen. Er fing schon an, sich zu langweilen,
- dachte bereits an die Abreise und wartete nur noch auf den Zins für ein
- Stück Land, das drei Bürger der Stadt bei ihm gepachtet hatten, um Rüben
- darauf zu pflanzen, sowie ferner auf ein modernes wattiertes Kleid, das
- seine Frau bei einen Schneider bestellt hatte, und das bald fertig sein
- sollte. Er wurde bereits ein wenig ungeduldig und schimpfte, während er
- in seinem Lehnstuhl saß, beständig auf die Gaunereien und Launen anderer
- Leute, wobei er an seiner Frau vorbeisah und auf die Ofenecke blickte.
- In einem solchen Moment trat der Staatsanwalt ins Zimmer. Sobakewitsch
- sagte: »Ich bitte,« indem er sich einen Augenblick erhob, um sich jedoch
- sogleich wieder zu setzen. Der Staatsanwalt ging auf Feodulia Iwanowna
- zu, küßte ihr die Hand und nahm gleichfalls auf einem Stuhle Platz. Auch
- Feodulia Iwanowna ließ sich auf einem Stuhle nieder, nachdem sie den
- Handkuß in Empfang genommen hatte. Alle drei Stühle waren mit grüner
- Ölfarbe angestrichen, und die Ecken waren mit gelben Wasserlilien, der
- rohen Malerei eines Dilettanten geziert.
- »Ich bin gekommen, um über eine wichtige Angelegenheit mit Ihnen zu
- sprechen,« sagte der Staatsanwalt.
- »Herzchen, geh doch auf dein Zimmer! Die Schneiderin wartet
- wahrscheinlich auf dich.«
- Feodulia ging auf ihr Zimmer.
- Der Staatsanwalt begann folgendermaßen: »Gestatten Sie mir eine Frage:
- was für Bauern haben Sie an Pawel Iwanowitsch Tschitschikow verkauft?«
- »Wie meinen Sie das: was für Bauern?« sagte Sabakewitsch. »Wir haben
- doch einen Kaufkontrakt aufgesetzt; da steht es drin, was es für Leute
- waren: der eine ist Wagenbauer ...«
- »In der Stadt kursieren jedoch ....« versetzte der Staatsanwalt ein
- wenig verlegen .... »In der Stadt kursieren Gerüchte ....«
- »Es gibt eben zuviel Narren in der Stadt, von denen werden wohl die
- Gerüchte herstammen,« sagte Sabakewitsch ruhig.
- »Nein, nein, Michael Semjonytsch, das sind so merkwürdige Gerüchte, daß
- einem davon ganz wirr im Kopfe wird, es heißt, es handele sich hier
- garnicht um Bauern, und ihre Ansiedelung, und man behauptet, dieser
- Tschitschikow sei eine höchst rätselhafte Persönlichkeit. Es werden
- höchst verdächtige Vermutungen laut, man redet so eigentümliche Dinge in
- der Stadt ...«
- »Gestatten Sie mir bitte eine Frage: Sind Sie etwa ein altes Weib?«
- fragte Sabakewitsch.
- Diese Frage verblüffte den Staatsanwalt aufs äußerste. Er hatte sich
- noch nie gefragt, ob er ein altes Weib sei, oder irgend etwas andres.
- »Sie sollten sich schämen, solche Fragen zu stellen und noch damit zu
- mir zu kommen,« fuhr Sabakewitsch fort.
- Der Staatsanwalt stammelte einige Entschuldigungen.
- »Gehen Sie doch zu den alten Klatschweibern, die hinter ihrem Webstuhl
- sitzen und sich abends Schauergeschichten über Gespenster und Hexen
- erzählen. Oder wenn Ihnen mit Gottes Hilfe nichts Besseres einfallen
- will, dann spielen Sie doch lieber Knöchel mit den kleinen Jungen. Was
- kommen Sie und beunruhigen Sie einen ehrlichen Menschen? Bin ich etwa
- Ihr Hanswurst, wie? Sie kümmern sich zu wenig um Ihren Beruf, und denken
- zu wenig daran, dem Vaterland zu dienen, Ihren Nächsten nützlich zu sein
- und Ihre Kollegen zu schonen. Sie wollen immer der erste sein und laufen
- gleich hin, wenn irgend ein Esel Sie irgendwo hinschickt. Passen Sie
- auf, Sie werden noch einmal um nichts und wieder nichts zu Falle kommen,
- und elendiglich zugrunde gehn, ohne eine gute Erinnerung an sich zu
- hinterlassen.«
- Der Staatsanwalt war ganz bestürzt und wußte absolut nicht, was er auf
- diese unerwartete Moralpredigt antworten sollte. Ganz beschämt und
- vernichtet verließ er Sabakewitsch: dieser aber rief ihm noch nach:
- »Pack dich zum Teufel, du Hund!«
- In diesem Augenblick erschien Feodulia: »Warum ist der Staatsanwalt so
- plötzlich fortgegangen?« fragte sie.
- »Der Kerl hat Gewissensbisse bekommen und ist weggelaufen,« versetzte
- Sabakewitsch. »Da hast du wieder so ein Beispiel, Herzchen. So ein alter
- Knabe! hat schon graue Haare und doch weiß ich, daß er noch immer den
- Frauen anderer Leute keine Ruhe läßt. Das ist einmal die Art dieser
- Menschen: sie sind eben Hundesöhne alle miteinander. Nicht genug, daß
- sie der lieben Erde durch ihren Müßiggang zur Last fallen, sie machen
- solche Sachen, daß man sie allesamt in einen Sack stecken und ins Wasser
- werfen sollte! Die ganze Stadt ist nichts wie eine Räuberhöhle. Wir
- haben hier nichts mehr zu suchen. Wir wollen nach Hause fahren.«
- Frau Sabakewitsch wollte einwenden, daß ihr Kleid noch nicht fertig sei,
- und daß sie sich noch zu den Feiertagen ein paar Haubenbänder kaufen
- müsse, aber Sabakewitsch erklärte: »Das sind alles Modetorheiten,
- Herzchen; das nimmt noch ein schlechtes Ende.« Er befahl, alles für die
- Reise vorzubereiten; begab sich selbst mit einem Polizeikommissar zu den
- drei Bürgern der Stadt, um die Pacht für die Rüben einzukassieren; ging
- hierauf zu der Schneiderin, nahm ihr das unfertige Kleid, an dem noch
- gearbeitet wurde, weg, ganz so wie es war, mit der darinsteckenden Nadel
- und dem Faden, um es zu Hause fertig nähen zu lassen, und fuhr bald
- darauf zur Stadt hinaus. Unterwegs wiederholte er fortwährend, es sei
- geradezu gefährlich, in diese Stadt zu kommen, denn hier säße ja ein
- Schuft und Gauner auf dem andern, und da könne es einem noch leicht
- passieren, daß man mit ihnen in dem allgemeinen Sumpfe versinke.
- Inzwischen eilte der Staatsanwalt in der höchsten Bestürzung über den
- Empfang, den ihm Sabakewitsch bereitet hatte, nach Hause. Er befand sich
- in einer solchen Verlegenheit, daß er sich nicht einmal darüber klar
- werden konnte, wie er dem Präsidenten das Resultat seines Besuches
- mitteilen sollte.
- Indessen auch der Präsident hatte nur wenig zur Aufklärung der Sache
- beigetragen. Er fuhr zuerst in seiner Kutsche in die Stadt und geriet
- dabei in eine so enge und schmutzige Gasse, daß während des ganzen Weges
- bald das rechte, bald das linke Rad seines Wagens höher stand als das
- andre. So kam es, daß er erst mit seinem Kinn und dann mit dem
- Hinterkopf sehr heftig auf seinen Spazierstock aufstieß und seine
- Kleider ganz mit Kot bespritzt wurden. Quatschend und schlürfend bahnte
- sich der Wagen den Weg durch den Kot, bis man endlich beim Probst
- anlangte, wo die Insassen von lebhaftem Schweinegegrunze begrüßt wurden.
- Der Präsident ließ seine Kutsche halt machen und ging zu Fuß an
- allerhand Zimmern und Stuben vorüber nach dem Hausflur. Hier bat er sich
- zunächst ein Handtuch aus, um sich das Gesicht abzuwischen. Karobotschka
- empfing ihn ganz so wie Tschitschikow, mit demselben melancholischen
- Ausdruck im Gesicht. Um den Hals hatte sie etwas wie ein Flanelltuch
- geschlungen. In dem Zimmer schwirrten unzählige Scharen von Fliegen, und
- auf dem Tisch stand ein undefinierbares Gericht, das ihnen offenbar sehr
- widerwärtig war, an das sie sich jedoch schon gewöhnt zu haben schienen.
- Korobotschka bat ihn Platz zu nehmen.
- Der Präsident begann zuerst damit, daß er ihren Mann gekannt habe und
- ging dann plötzlich zu der Frage über: »Sagen Sie bitte, ist es wahr,
- daß neulich in der Nacht ein Mensch mit der Pistole in der Hand zu Ihnen
- gekommen ist und Ihnen gedroht hat, Sie zu ermorden, wenn Sie ihm nicht,
- der Teufel weiß was für Seelen abtreten wollten? Können Sie uns nicht
- erklären, was er damit eigentlich für eine Absicht verfolgte.«
- »Gewiß, warum sollte ich das nicht können! Versetzen Sie sich doch in
- meine Lage: fünfundzwanzig Rubel in Banknoten! Ich weiß wirklich nicht:
- ich bin Witwe und habe ja gar keine Erfahrung; es ist doch so leicht,
- mich zu betrügen und noch dazu in einer Sache, von der ich wahrhaftig
- auch nicht das Mindeste verstehe, Väterchen. Was Hanf kostet, das weiß
- ich, Speck habe ich auch schon verkauft, noch voriges ...«
- »Nein, bitte, erzählen Sie mir doch die Sache erst recht ausführlich.
- Wie war das doch? Hatte er wirklich eine Pistole in der Hand?«
- »Nein, Väterchen. Gott behüte, Pistolen habe ich keine gesehen. Aber ich
- bin bloß eine Witwe -- ich kann doch wirklich nicht wissen, wie hoch die
- toten Seelen im Preise stehen. Nicht wahr Väterchen, Sie werden mich
- nicht im Stiche lassen, sagen Sie es mir doch bitte, damit ich den
- richtigen Preis erfahre.«
- »Was für einen Preis? Was für einen Preis, Mütterchen? Was für einen
- Preis meinen Sie?«
- »Den Preis für tote Seelen, Väterchen!«
- »Ist sie dumm geboren oder ist sie übergeschnappt?« dachte der
- Präsident, indem er ihr starr ins Gesicht sah.
- »Fünfundzwanzig Rubel? Ich weiß wirklich nicht, vielleicht sind sie
- fünfzig Rubel wert, oder sogar noch mehr.«
- »Bitte zeigen Sie mir doch den Schein,« sagte der Präsident und hielt
- ihn ans Licht, um sich zu überzeugen, ob er nicht falsch sei. Aber es
- war ein ganz gewöhnlicher ordentlicher Schein.
- »Aber so erzählen Sie doch bloß, wie der Kauf zustande kam, und was er
- Ihnen eigentlich abgekauft hat. Es will mir nicht in den Kopf ... ich
- kann absolut nichts verstehen ...«
- »Gewiß hat er mir welche abgekauft,« sagte Karobotschka, »aber warum
- wollen Sie mir bloß nicht sagen, was die tote Seele kostet, damit ich
- doch ihren richtigen Preis kennen lerne.«
- »Ich bitte Sie, was reden Sie da! Wo hat man denn je davon gehört, daß
- tote Seelen verkauft werden?«
- »Warum wollen Sie mir den Preis durchaus nicht sagen?«
- »Ach was Preis! Ich bitte Sie, von was für einem Preise kann denn hier
- die Rede sein? Sagen Sie mir doch ernstlich, wie die Sache war. Hat er
- Ihnen mit etwas gedroht? Wollte er Sie etwa verführen?«
- »Nein, Väterchen, was Sie für Dinge reden! ... Jetzt sehe ich, daß Sie
- auch ein Käufer sind.« -- Und sie sah ihm argwöhnisch in die Augen.
- »Ach was! ich bin doch Gerichtspräsident, Mütterchen!«
- »Nein, Väterchen, sagen Sie, was Sie wollen, Sie wollen mich wohl auch
- .... Sie haben auch die Absicht ... mich zu betrügen. Aber was haben Sie
- bloß davon? Sie haben doch nur selbst den Schaden davon. Ich hätte Ihnen
- gern Daunen verkauft: ich werde zu Weihnachten schöne Daunen haben.«
- »Mütterchen! Ich sage Ihnen doch, daß ich der Gerichtspräsident bin. Was
- mache ich mit ihren Daunen, sagen Sie doch selbst! Ich will Ihnen doch
- gar nichts abkaufen.«
- »Aber das ist doch ein ganz christliches Werk, Väterchen,« fuhr
- Karobotschka fort. »Heute verkaufe _ich_ Ihnen was und morgen werden
- vielleicht _Sie_ mir etwas verkaufen wollen. Sehen Sie, wenn wir uns
- gegenseitig übers Ohr hauen, wo blieben da Recht und Gerechtigkeit? Das
- wäre doch eine Sünde gegen Gott!«
- »Ich bin aber doch kein Kaufmann, Mütterchen, ich bin
- Gerichtspräsident!«
- »Gott weiß, vielleicht sind Sie wirklich der Gerichtspräsident. Ich kann
- das doch nicht wissen. Nun also? Ich bin doch eine arme Witwe? Warum
- fragen Sie mich denn so aus? Nein, Väterchen, ich sehe, daß Sie selbst
- ... auch ... welche kaufen wollen.«
- »Mütterchen, ich rate Ihnen, sich an den Arzt zu wenden,« sagte der
- Gerichtspräsident wütend. »Bei Ihnen scheint's wirklich dort oben nicht
- ganz richtig zu sein« -- fuhr er fort, indem er mit dem Finger auf seine
- Stirn zeigte. Mit diesen Worten stand er auf und ging hinaus.
- Karobotschka aber blieb dabei, daß sie es mit einem Kaufmann zu tun
- gehabt habe und wunderte sich bloß, wie unfreundlich und bösartig die
- Leute heutzutage geworden seien, und wie schwer es doch eine arme Witwe
- auf dieser Welt habe. Der Präsident aber gelangte mit Mühe und Not, von
- unten bis oben mit Kot bespritzt, nach Hause, nachdem ihm unterwegs noch
- ein Wagenrad gebrochen war. Das war das Resultat dieser unfreundlichen
- und erfolglosen Reise, wenn man nicht noch die Beule am Kinn mitrechnen
- wollte, die er sich mit seinem Stock beigebracht hatte. In der Nähe
- seines Hauses traf er den Staatsanwalt, der ihm in einer Kutsche
- entgegengefahren kam. Er schien sehr schlechter Laune zu sein und ließ
- den Kopf hängen.
- »Nun was haben Sie von Sabakewitsch erfahren?«
- Der Staatsanwalt senkte das Haupt und versetzte: »In meinem ganzen Leben
- bin ich noch nicht so behandelt worden.« ...
- »Wieso?«
- »Er hat mir einen Fußtritt gegeben,« sagte der Staatsanwalt mit
- betrübter Miene.
- »Wie?«
- »Er hat mir gesagt, ich sei ein unnützer Mensch und tauge nicht für
- meinen Posten: und doch habe ich meine Kollegen noch nie denunziert.
- Andere Staatsanwälte schreiben jede Woche Denunziationen, ich habe doch
- unter jedes Aktenstück mein »Gelesen« gesetzt, selbst in solchen Fällen,
- wo es eigentlich meine Pflicht gewesen wäre, über die Kollegen Bericht
- zu erstatten. -- Ich habe auch nie eine Sache absichtlich in die Länge
- gezogen.«
- Der Staatsanwalt war ganz zerknirscht.
- »Nun und was sagt er über Tschitschikow?« fragte der Präsident.
- »Was er gesagt hat? Er hat uns alle alte Weiber und Schafsköpfe
- genannt.«
- Der Präsident wurde nachdenklich. Doch in diesem Augenblick kam eine
- dritte Kutsche angefahren: es war der Vize-Gouverneur.
- »Meine Herren! Ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß wir auf der Hut
- sein müssen. Man sagt, unsere Provinz soll wirklich einen
- Generalgouverneur erhalten.« Der Präsident und der Staatsanwalt rissen
- den Mund auf, und der Gerichtspräsident dachte sich: »Der kommt auch
- gerade zur rechten Zeit, um die Suppe auszuessen, die wir hier
- eingebrockt haben, und für die sich der Teufel selbst bedanken würde.
- Wenn der erfährt, was für eine Unordnung in der Stadt herrscht!«
- »Schlag auf Schlag!« dachte der Staatsanwalt, der ganz geknickt dastand.
- »Und wissen Sie nichts darüber, wer zum Generalgouverneur ernannt werden
- soll, was er für ein Mensch ist, und was für einen Charakter er hat?«
- »Davon ist noch nichts bekannt,« sagte der Vizegouverneur.
- In diesem Moment kam der Postmeister in einer Droschke angefahren.
- »Meine Herren! Ich gratuliere Ihnen zum neuen Generalgouverneur.«
- »Wir wissen schon, wir wissen schon, aber es ist doch noch gar nichts
- bekannt,« versetzte der Vizegouverneur.
- »O, nein, man weiß schon, wer es ist,« erwiderte der Postmeister: »Fürst
- Odnosorowski-Tschementinski.«
- »Nun und was spricht man von ihm?«
- »Er soll ein sehr strenger Herr sein,« sagte der Postmeister, »ein sehr
- weitsichtiger Mann von sehr starkem Charakter. Er soll früher bei irgend
- einer staatlichen Baukommission gewesen sein, verstehen Sie wohl. Da
- seien einmal kleine Unregelmäßigkeiten vorgekommen. Nun, was denken Sie
- wohl Verehrtester, er hat alle miteinander zerschmettert, er hat sie
- ganz zu Staub zermalmt, sodaß überhaupt nichts mehr von ihnen übrig
- blieb, sehen Sie wohl.«
- »Hier in der Stadt sind doch aber die strengen Maßregeln garnicht am
- Platze.«
- »O je, das ist ein gelehrtes Haus! lieber Herr! Ein Mensch von
- kolossalen Dimensionen!« fuhr der Postmeister fort. »Einmal passierte
- was ....«
- »Aber meine Herren,« sagte der Postmeister, »wir reden hier ganz offen
- auf der Straße in Gegenwart unserer Kutscher. Fahren wir doch lieber zu
- ...«
- Erst jetzt kamen die Herren wieder zu sich. Auf der Straße hatten sich
- nämlich schon mehrere Zuschauer angesammelt, welche dastanden und die
- vier Herren, die sich von ihren Droschken aus miteinander unterhielten,
- angafften. Die Kutscher spornten ihre Pferde an und die vier Droschken
- fuhren eine hinter der andern zum Gerichtspräsidenten.
- »Daß uns der Teufel diesen Tschitschikow auch gerade im ungünstigsten
- Augenblick hierher senden mußte!« dachte der Präsident, während er im
- Vorzimmer seinen bis oben mit Dreck bespritzten Pelz auszog.
- »Mir wirbelt alles im Kopfe herum,« sagte der Staatsanwalt und legte
- gleichfalls den Pelz ab.
- »Aus dieser Sache werde ich nicht klug,« sprach der Vizegouverneur,
- indem er sich seines Pelzes entledigte.
- Der Postmeister sagte gar nichts und begnügte sich damit, seinen Pelz
- abzulegen.
- Man trat ins Zimmer, wo sofort ein kleiner Imbiß hereingetragen wurde.
- Die Provinzialbehörden können nun mal nicht ohne solch einen Imbiß
- auskommen, und wenn sich zwei Beamte in einer Provinz zusammenfinden, so
- stellt sich der Imbiß ganz von selbst als dritter im Bunde ein.
- Der Gerichtspräsident trat an den Tisch, goß sich ein Gläschen bitteren
- Wermuth ein und sagte: »Schlagt mich tot, ich weiß nicht, wer dieser
- Tschitschikow ist.«
- »Ich noch weniger,« versetzte der Staatsanwalt. »Eine so verwickelte
- Affäre ist mir in meiner ganzen Praxis noch nicht vorgekommen, ich habe
- wirklich nicht den Mut, die Sache in die Hand zu nehmen.«
- »Und doch! trotzalledem. Was der Mensch für einen weltmännischen Schliff
- besitzt!« meinte der Postmeister, indem er sich erst einen dunklen Likör
- einschenkte, ein paar Tropfen von einem rosafarbenen hinzugoß und beide
- miteinander mischte: »Er war sicher in Paris. Ich glaube bestimmt, er
- ist etwas Ähnliches, wie ein Diplomat gewesen.«
- In diesem Augenblick betrat der Polizeimeister das Zimmer, der
- allbekannte und so hoch verehrte Wohltäter der Stadt, der Abgott der
- Kaufmannschaft und berühmte Künstler und Arrangeur opulenter Diners,
- Soupers und sonstiger Festivitäten.
- »Meine Herren,« rief er aus, »ich habe nicht das Geringste über
- Tschitschikow erfahren können. Ich konnte doch nicht in seinen eigenen
- Papieren herumstöbern: er verläßt ja auch sein Zimmer garnicht mehr, und
- scheint krank zu sein. Ich habe mich auch bei seinen Leuten erkundigt.
- Seinen Bedienten Petruschka und den Kutscher Seliphan ausgefragt. Der
- erste war ein wenig betrunken, übrigens scheint er sich immer in solch
- einem Zustande zu befinden.« Bei diesen Worten trat der Polizeimeister
- an das Anrichtetischchen und bereitete sich eine Mischung aus drei
- Likören. »Petruschka behauptet, sein Herr hätte mit allerhand Leuten zu
- tun gehabt, ich glaube, es sind lauter ehrenwerte Männer, die er nannte,
- so z. B. Perekrojewski ..... er führte dann noch eine Reihe von
- Gutsbesitzern an -- alles Kollegienräte oder sogar Staatsräte. Der
- Kutscher Seliphan erzählt, alle hätten ihn für einen gescheiten Mann
- gehalten, weil er sich im Dienste vortrefflich bewährt und ausgezeichnet
- habe. Er habe im Zollamt gedient und hätte in irgend einer staatlichen
- Baukommission gesessen! Was das für eine Kommission gewesen sei, das
- konnte er mir jedoch nicht sagen. Er habe drei Pferde: »Eins hätten sie
- vor drei Jahren gekauft, den Schecken hätten sie gegen ein anderes von
- gleicher Farbe umgetauscht und das dritte hätten sie gleichfalls gekauft
- .....« sagte er. Er erklärt ganz bestimmt, Tschitschikow heiße wirklich
- Pawel Iwanowitsch und sei Kollegienrat.«
- Alle Beamten versanken in tiefes Sinnen.
- »Ein anständiger Mensch, und dazu noch Kollegienrat!« dachte der
- Staatsanwalt, »und entschließt sich zu einer solchen Sache! Will die
- Tochter des Gouverneurs entführen, kommt auf die wahnsinnige Idee, tote
- Seelen zu kaufen und in tiefer Nacht alte Scharteken von
- Gutsbesitzerinnen aus dem Schlafe zu stören -- das schickt sich wohl für
- einen Husarenleutnant, aber doch nicht für einen Kollegienrat!«
- »Wenn er Kollegienrat ist, wie kann er sich denn dann zu einer so
- verbrecherischen Handlung, zur Fälschung von Banknoten, entschließen,«
- dachte der Vizegouverneur, der selbst auch Kollegienrat war, die Flöte
- spielte und in seinem Innern weit mehr zu den schönen Künsten als zum
- Verbrechen neigte.
- »Sagen Sie, was Sie wollen, meine Herren, aber wir müssen dieser Sache
- ein Ende machen! Komme was da wolle! Denken Sie doch, wenn der
- Generalgouverneur erscheint und dahinter kommt, daß bei uns weiß der
- Teufel was los ist!«
- »Und wie denken Sie, daß wir handeln müssen?«
- Der Polizeimeister versetzte: »Ich glaube wir müssen entschlossen
- vorgehen.«
- »Wie meinen Sie das: entschlossen?« wandte der Präsident ein.
- »Wir müssen ihn verhaften lassen, als einen Menschen, der sich
- verdächtig gemacht hat.«
- »Ja aber wie? wenn er statt dessen _uns_ als verdächtige Individuen
- verhaften läßt?«
- »Waaas?«
- »Nun, ich meine, wenn er etwa hierhergesandt worden ist und geheime
- Vollmachten hat! Tote Seelen? Hm! Wenn das nur kein Vorwand ist, daß er
- sie kauft, ein Vorwand, um etwas über jene Toten zu erfahren, die, wie
- es im Bericht heißt, >aus unbekannten Ursachen< verstorben sind.«
- Diese Worte ließen alle verstummen. Der Staatsanwalt war aufs äußerste
- überrascht. Auch der Präsident, der sie selbst ausgesprochen hatte,
- wurde nachdenklich. Beiden ...
- »Also meine Herren, was sollen wir tun?« sagte der Polizeimeister, der
- Wohltäter der Stadt und der Liebling der Kaufleute, indem er die
- wunderbare Mischung aus dem süßen und bitteren Likör hinabstürzte und
- einen Bissen in den Mund steckte.
- Ein Diener brachte eine Flasche Madeira und einige Weingläser herein.
- »Ich weiß wirklich nicht, was wir anfangen sollen?« sagte der Präsident.
- »Meine Herren,« erklärte hier der Postmeister, nachdem er ein Glas
- Madeira hinabgegossen und ein Stück holländischen Käse mit Butter nebst
- einem Bissen Stör verschlungen hatte, »ich bin der Meinung, daß wir
- diese Sache gründlich untersuchen müssen, wir müssen sie gründlich
- durchforschen und gemeinsam _in corpore_ beraten, d. h. wir sollten alle
- zusammenkommen wie im englischen Parlament, verstehen Sie wohl, um den
- Gegenstand zu ergründen, damit er uns in all seinen feinsten Details
- deutlich und durchsichtig wird, verstehen Sie?«
- »Meinetwegen wollen wir uns irgendwo versammeln,« sagte der
- Polizeimeister.
- »Ja, wir wollen uns versammeln,« fiel der Präsident ein, »und gemeinsam
- entscheiden, wer dieser Tschitschikow ist.«
- »Ja, das wird das vernünftigste sein -- wir müssen entscheiden, wer
- Tschitschikow ist.«
- »Wir wollen jeden um seine Meinung fragen, und dann entscheiden, wer
- Tschitschikow ist.«
- Bei diesen Worten verspürten alle zugleich eine unbändige Lust nach ein
- paar Flaschen Champagner. Man trennte sich, höchst befriedigt darüber,
- daß das Komitee alles aufklären und den sicheren Beweis erbringen werde,
- wer eigentlich Tschitschikow war.
- IV.
- A. Die Geschichte vom Hauptmann Kopeikin.
- (Nach einer der ersten Fassungen.)
- »Nach dem Feldzuge vom Jahre 1812, werter Herr,« hub der Postmeister an,
- obwohl nicht ein einzelner Herr, sondern ganze sechs im Zimmer anwesend
- waren, »nach dem Feldzuge von 1812 wurde zusammen mit andern Verwundeten
- auch ein Hauptmann namens Kopeikin ins Lazarett eingeliefert. War es bei
- Krasnoje oder in der Schlacht von Leipzig gewesen, genug, lieber Herr,
- er hatte im Kriege ein Bein und einen Arm verloren. Sie wissen doch,
- damals gabs noch keine von den bekannten Veranstaltungen und
- Einrichtungen für die Verwundeten: dieser Invalidenfonds -- das können
- Sie sich wohl denken -- der wurde sozusagen erst viel später gegründet.
- Unser Hauptmann Kopeikin sieht also, daß er arbeiten muß, aber verstehen
- Sie wohl, er hatte ja doch nur einen Arm, nämlich den linken. Er schrieb
- also nach Hause an seinen Vater, aber der Vater gab ihm zur Antwort:
- >Ich kann dich nicht auch noch ernähren.< Denken Sie sich! >Ich verdiene
- mir nur selbst mit knapper Not meinen Unterhalt.< Nun sehen Sie wohl,
- werter Herr, da beschloß denn mein Kopeikin nach Petersburg zu reisen
- und an die Gnade des Monarchen zu apellieren, ob dieser ihm nicht eine
- kleine Unterstützung bewilligen wolle: er habe doch gewissermaßen,
- sozusagen sein Leben geopfert und sein Blut vergossen ... Er fuhr also
- in einem Gepäckwagen oder in einem staatlichen Transportwagen nach der
- Hauptstadt, Verehrtester, und gelangte so mit Mühe und Not nach
- Petersburg. Und nun stellen Sie sich vor: da befindet sich nun dieser
- selbe, d. h. dieser Hauptmann Kopeikin plötzlich in der Hauptstadt, die
- sozusagen in der ganzen Welt nicht ihresgleichen hat! Mit einem Male ist
- es um ihn herum licht und hell, gewissermaßen ein weites Feld des
- Lebens, so eine Art märchenhafte Scheherazade, verstehen Sie mich wohl.
- Also denken Sie nur, plötzlich liegt vor ihm so ein Newski-Prospekt oder
- solch eine Erbsenstraße oder, hol's der Teufel, irgend so eine
- Liteinaja, _da_ ragt irgend so ein Turm in die Luft und dort _hängen_
- ein paar Brücken, wissen Sie, so ohne jegliche Stützen und Pfeiler, mit
- einem Wort die reinste Semiramis. Verehrtester, tatsächlich! Erst trieb
- er sich eine Weile in den Straßen herum, um sich eine Wohnung zu mieten;
- aber das war ihm alles zu brenzlich: all diese Gardinen, Rouleaux und
- all das Teufelszeug, verstehen Sie, diese Teppiche, das reinste Persien,
- Verehrtester ... Mit einem Wort, beziehungsweise, man tritt das Kapital
- nur so mit Füßen. Man geht über die Straße, und die Nase merkt schon von
- ferne, daß es nach Tausenden riecht; und, Sie wissen doch, die ganze
- Staatsbank meines Hauptmannes Kopeikin besteht aus fünf blauen Scheinen
- das war alles, verstehen Sie wohl. So mietete er sich denn schließlich
- ein Zimmer in einem Gasthaus zur Stadt Reval für einen Rubel pro Tag.
- Sie wissen: ein Mittagessen aus zwei Gängen, eine Kohlsuppe und ein
- Stück Suppenfleisch dazu. Er sieht also: große Sprünge kann er da nicht
- machen. Er beschloß daher, am folgenden Tage zum Minister zu gehen,
- Verehrtester. Der Kaiser war nämlich damals nicht in der Hauptstadt,
- denn die Armee war noch nicht aus dem Kriege zurückgekehrt, das können
- Sie sich wohl denken. So stand er denn eines Morgens etwas früher auf,
- kratzte sich mit der linken Hand seinen Bart, denn sehen Sie wohl, wäre
- er zum Barbier gegangen, so hätte das im gewissen Sinne neue Ausgaben
- verursacht, zog sich seine Uniform an und begab sich auf seinem Holzfuß
- umherhumpelnd zum Minister. Und nun stellen Sie sich vor, er fragt erst
- einen Schutzmann, wo der Minister wohnt. >Dort,< antwortet dieser und
- zeigt auf ein Haus am Schloßquai. Eine feine Bauernhütte kann ich Ihnen
- sagen! Große Fensterscheiben, meterlange Spiegel, Marmor und überall
- Metall, denken Sie sich bloß, Verehrtester! So'ne Türklinke, wissen Sie,
- da muß man zuerst in einen Laden laufen, sich für einen Groschen Seife
- kaufen und sich sozusagen stundenlang die Hände reiben, ehe man es wagt
- sie anzufassen! Mit einem Wort, nichts als Ebenholz und Lack, daß einem
- fast die Sinne schwinden, Verehrtester! Am Eingang, verstehen Sie, da
- steht so ein Portier: der reinste Generalissimus: so'ne
- Grafenphisiognomie, mit einem Säbel in der Hand und einem Battistkragen,
- Teufel auch! Wie ein wohlgepflegter Mops. Mein Kopeikin schleppt sich
- also auf seinem Holzfuß ins Vorzimmer, setzt sich in einen Winkel, um
- nur nicht mit dem Arm gegen irgend so ein Amerika oder Indien, gegen so
- eine vergoldete Porzellanvase zu stoßen, verstehen Sie. Sehen Sie wohl,
- natürlich mußte er eine halbe Ewigkeit dort warten, weil er zu einer
- Zeit gekommen war, wo der Minister sozusagen noch kaum aus dem Bette
- gestiegen war und sein Kammerdiener ihm eben irgend so ein silbernes
- Becken reichte, verstehen Sie wohl, wo man sich drin wäscht. Mein
- Kopeikin wartet also vier Stunden lang, da kommt endlich der Adjutant
- oder ein anderer diensthabender Beamter und sagt: Der Minister wird
- gleich erscheinen. Im Vorzimmer aber drängen sich schon die Menschen wie
- die Bohnen in einer Schüssel. Lauter hohe Beamte der vierten Klasse,
- Oberste und hie und da sogar einer mit Markronen auf den Achselklappen,
- verstehen Sie wohl, mit einem Wort sozusagen die ganze Generalität.
- Schließlich betritt denn auch der Minister das Zimmer, Verehrtester! Sie
- können sich vorstellen: er geht erst zum einen und dann zum andern:
- Warum sind Sie gekommen? Und Sie? Was wünschen Sie? Zuletzt kommt auch
- mein Kopeikin an die Reihe, nimmt seinen ganzen Mut zusammen und sagt:
- >so und so, ich habe mein Blut vergossen und ein Bein und einen Arm
- verloren, sozusagen: ich kann nicht mehr arbeiten, und habe daher die
- Kühnheit, an die Gnade des Monarchen zu apellieren.< Der Minister sieht:
- der Mann hat einen Stelzfuß und der rechte Ärmel baumelt leer herunter.
- >Gut,< sagte er, >fragen Sie nach ein paar Tagen wieder an.< Na also
- Verehrtester, es vergehen keine vier oder fünf Tage, da erscheint mein
- Kopeikin schon wieder bei dem Minister. Dieser erkennt ihn sogleich
- wieder, verstehen Sie wohl. >Ah!< sagt er, >leider kann ich Ihnen
- diesmal keinen andern Rat geben, als sich bis zur Rückkunft des Kaisers
- zu gedulden. Dann wird sicherlich etwas für die Verwundeten und die
- Invaliden geschehen, aber ohne die Einwilligung des Monarchen,
- sozusagen, vermag ich nichts für Sie zu tun.< Hierauf macht er eine
- kurze Verbeugung und die Audienz ist zu Ende. Sie können sich denken,
- daß mein Kopeikin sich in einer recht prekären Lage befand, als er den
- Minister verließ; hatte er doch gewissermaßen weder eine Zusage noch
- eine Absage erhalten. Das Leben in der Hauptstadt aber wurde natürlich
- immer schwieriger für ihn, das können Sie sich wohl vorstellen. Er denkt
- sich also: >ich will doch noch einmal zum Minister gehen und ihm sagen:
- Machen Sie was Sie wollen, Exzellenz, ich habe bald nichts mehr zu
- essen; wenn Sie mir nicht helfen, dann muß ich gewissermaßen vor Hunger
- sterben.< Aber wie er zum Minister hinkommt, da heißt es: >Es geht
- nicht, der Minister empfängt heute niemand, kommen Sie morgen wieder.<
- Am folgenden Tage -- dieselbe Geschichte, der Portier sieht ihn kaum
- noch an. Mein Kopeikin hat nur noch ein Fünfzig-Kopekenstück in der
- Tasche. Früher da leistete er sich noch einen Teller Kohlsuppe, und ein
- Stück Suppenfleisch dazu, jetzt aber kauft er sich höchstens irgend so
- einen Häring oder so eine Salzgurke und für zwei Groschen Brot -- mit
- einem Wort, der arme Kerl hungert tatsächlich, und doch hat er einen
- Appetit wie ein Wolf. Oft kommt er an irgend so einem Restaurant vorüber
- und nun stellen Sie sich vor: der Koch das ist ein Teufelskerl, so ein
- Ausländer, wissen Sie, der trägt immer nur die feinste holländische
- Wäsche, steht vor seinem Herd und bereitet euch irgend so ein Finserb
- oder Kottelets mit Trüffeln, mit einem Wort, irgend so eine Delikatesse,
- daß unser Hauptmann sich am liebsten selbst aufgefressen hätte vor
- Appetit. Oder er kommt an den Miljutinschen Läden vorbei: lacht ihm da
- sozusagen irgend so ein geräucherter Lachs, oder ein Körbchen mit
- Kirschen -- zu fünf Rubel das Stück, oder so 'ne Riesin von
- Wassermelone, so'n ganzer Omnibus, wissen Sie, aus dem Fenster entgegen,
- und sucht nach einem Narren, der einem überflüssigen Hunderter in der
- Tasche hat, verstehen Sie, mit einem Wort, nichts wie Verführungen auf
- Schritt und Tritt, es läuft einem sozusagen das Wasser im Munde
- zusammen, für ihn aber heißt's: warte gefälligst bis morgen. Und nun
- stellen Sie sich seine Lage vor: einerseits, sehen Sie wohl, dieser
- Lachs und die Wassermelone, und andererseits irgend so ein bitteres
- Gericht unter dem Namen: >_Komm morgen wieder._< Endlich hielt es der
- arme Kerl nicht mehr aus und beschloß, sich um jeden Preis noch einmal
- eine Audienz zu verschaffen. Er stellte sich also am Eingang auf und
- wartete, ob nicht noch irgend ein Bittsteller erscheinen werde;
- schließlich schlüpft er denn auch mit irgend so einen General, wissen
- Sie, ins Haus, und humpelt auf seinem Stelzfuß bis ins Vorzimmer. Der
- Minister erscheint wie gewöhnlich zur Audienz: >Was haben Sie? und was
- wünschen Sie?< >Ah,< ruft er, wie er Kopeikin erblickt, >ich habe Ihnen
- doch schon erklärt, daß Sie warten sollen, bis über Ihr Gesuch
- entschieden wird.< -- >Ich bitte Sie, Exzellenz, ich habe nichts mehr zu
- essen, sozusagen ...< -- >Was soll ich denn machen? Ich kann nichts für
- Sie tun, Sie müssen sich schon selbst helfen und sich selbst die Mittel
- zu verschaffen suchen.< -- >Aber Eure Exzellenz, das können Sie doch
- selbst gewissermaßen beurteilen, was kann ich mir denn für Mittel
- verschaffen, wo mir eine Hand und ein Fuß fehlt.< Er wollte noch
- hinzufügen: >mit der Nase aber kann ich erst recht nichts anfangen; da
- kann man sich höchstens einmal schneuzen, aber selbst dazu muß man sich
- ein Taschentuch kaufen.< Allein der Minister, sehen wohl, lieber Herr,
- -- sei es nun, daß Kopeikin ihn langweilte, oder daß er tatsächlich mit
- wichtigen Staatsangelegenheiten beschäftigt war -- der Minister also,
- können Sie sich vorstellen, wird ganz aufgeregt und zornig. >Gehen Sie!<
- ruft er, >solche wie Sie, sind noch viele da, gehen Sie und warten Sie
- ruhig, bis die Reihe an Sie kommt!< Jedoch mein Kopeikin antwortete --
- der Hunger treibt ihn zum äußersten, wissen Sie --: >Tuen Sie was Sie
- wollen, Exzellenz; ich rühre mich nicht vom Flecke, bevor Sie die
- entsprechende Ordre erteilt haben.< Da aber, lieber Herr, können Sie
- sich vorstellen, da geriet der Minister ganz außer sich. Und in der Tat,
- bis dahin war es wohl in den Annalen der Weltgeschichte noch nie
- vorgekommen, daß sich sozusagen irgend ein Kopeikin erkühnte, so mit
- einem Minister zu sprechen. Sie können sich vorstellen, was ein
- erzürnter Minister ist, das ist doch gewissermaßen ein Staatsmann
- sozusagen. >Sie frecher Mensch!< schrie er: >Wo ist der Feldjäger? Der
- Feldjäger soll kommen und ihn nach seiner Heimat abschieben!< Der
- Feldjäger aber, verstehen Sie wohl, der steht schon da und wartet schon
- hinter der Tür: so'n baumlanger Kerl, wissen Sie, mit einer Hand wie von
- der Natur selbst für den Kurierdienst geschaffen. Mit einem Wort: ein
- richtiger Zahnzieher. So wird denn unser braver Knecht Gottes in den
- Wagen befördert, und ab geht's in Begleitung des Feldjägers. >Na,< denkt
- Kopeikin, >da spar' ich wenigstens das Reisegeld. Auch dafür bin ich den
- Herren dankbar.< So fährt er denn, Verehrtester, mit dem Feldjäger, und
- während er so an der Seite des Feldjägers sitzt, spricht er
- gewissermaßen, sozusagen, zu sich selber: >Schön,< sagt er, >der
- Minister erklärt mir, ich soll mir selbst helfen und die Mittel suchen!
- Gut, meinetwegen< sagt er, >ich will mir die Mittel schon verschaffen!<
- Wie er nun an seinen Bestimmungsort befördert, und wohin er eigentlich
- gebracht wurde, darüber ist nichts bekannt geworden. Und daher sind denn
- auch die Nachrichten über den Hauptmann Kopeikin im Strome der
- Vergessenheit untergegangen, in so einer Lethe, wissen Sie, wie die
- Poeten es nennen. Doch hier, sehen Sie wohl, meine Herren, hier schürzt
- sich, kann man wohl sagen, der Knoten unseres Romans. Wo also Kopeikin
- verschwunden ist, das weiß niemand; aber stellen Sie sich vor, es
- vergingen auch nicht zwei Monate, als in den Wäldern von Rjasan eine
- Räuberbande auftauchte, und der Hauptmann dieser Räuberbande, sehen Sie
- wohl, war kein anderer als der Hauptmann Kopeikin. Er sammelte sich
- allerhand fahnenflüchtige Soldaten und bildete aus ihnen gewissermaßen
- eine ganze Räuberbande. Dies war, können Sie sich, natürlich vorstellen,
- sogleich nach dem Kriege: da war noch alles an ein ungebundenes Leben
- gewöhnt, wissen Sie -- das Leben galt damals kaum mehr als einen
- Groschen: eine Freiheit und Zügellosigkeit sag ich Ihnen, man pfiff auf
- alles -- mit einem Wort, Verehrtester, er hatte eine ganze Armee zu
- seiner Verfügung. Kein Reisender konnte mehr ruhig passieren, und dies
- alles richtete sich, sozusagen, nur gegen den Reichsschatz. Wenn einer
- vorüber kam, der in seinen eigenen Geschäften reiste -- na, dann fragte
- man nur: >was wollen Sie?< und ließ ihn laufen! Handelte es sich dagegen
- um einen staatlichen Transport; Viehfutter, Proviant oder Geld, -- mit
- einem Wort alles, was sozusagen den Namen des Staates trägt -- da gab's
- kein Pardon. Nun, Sie können sich vorstellen, er brandschatzte den
- Beutel des Fiskus gründlich. Oder er hört etwa, daß der Termin für die
- Bezahlung der Staatssteuern vor der Tür steht -- sofort ist er an Ort
- und Stelle. Er läßt sogleich den Dorfschulzen zu sich rufen und schreit:
- >her mit dem Zins und den Staatssteuern.< Na, Sie können sich denken,
- der Bauer sieht: >so ein hinkender Teufel, sein Rockkragen ist rot und
- glänzt vor lauter Gold wie die Federn eines Phönix, Teufel auch, das
- schmeckt nach Ohrfeigen.< >Da nimm, Väterchen, aber laß uns nur in
- Ruhe.< Er denkt natürlich: >das ist irgend so ein Kreisrichter oder
- womöglich noch was Schlimmeres sozusagen.< Das Geld aber, Verehrtester,
- das nimmt er natürlich in Empfang, ganz wie es sich gehört, und stellt
- den Bauern eine Quittung aus, um sie gewissermaßen vor den Behörden zu
- entschuldigen, und ihnen zu bescheinigen, daß sie das Geld wirklich
- abgeliefert und ihre Steuern vollzählich bezahlt haben, empfangen aber
- habe es _der_ und _der_ d. h. der Hauptmann Kopeikin; ja er setzte sogar
- noch sein Siegel darunter, mit einem Wort, Verehrtester, er raubt und
- stiehlt, daß es nur so eine Art hat. Mehrere Male wurden
- Soldatendetachements ausgesandt, um ihn zu fangen, aber mein Kopeikin
- kümmert sich den Teufel darum. Das waren eben lauter Schinderhannesse,
- verstehen Sie, die da zusammen gekommen waren ... Schließlich aber bekam
- er doch wohl Angst, als er sah, daß dies kein Spaß war, und daß er sich
- da sozusagen eine schöne Suppe eingebrockt hatte; die Verfolgungen
- nahmen jeden Augenblick zu, er selbst aber hatte sich unterdessen ein
- recht hübsches Kapitälchen zurückgelegt lieber Herr, na, und da rückte
- er denn sozusagen eines Tages ins Ausland aus, ins Ausland,
- Verehrtester, verstehen Sie wohl, d. h. in die Vereinigten Staaten. Von
- dort aus schreibt er einen Brief an den Kaiser, können Sie sich denken,
- einen äußerst redegewandten und so großartig stilisierten Brief, wie Sie
- sich nur vorstellen können. All diese Platos und Demosthenesse im
- Altertum -- das sind sozusagen die reinsten Waschlappen oder Küster
- gegen ihn: >du darfst nicht glauben, Kaiser,< schreibt er, >daß ich
- dieses und jenes< ... Mit einem Wort, er ließ euch Perioden vom Stapel
- -- geradezu glänzend! >Nur die Notwendigkeit war die Ursache meines
- Handelns,< sagt er; >ich habe sozusagen mein Blut vergossen und
- gewissermaßen mein Leben nicht geschont und nun habe ich, denken Sie
- sich bloß, nichts mehr zum Leben. Ich bitte dich, meine Kameraden
- straflos ausgehen zu lassen,< sagt er, >sie sind unschuldig, denn ich
- habe sie sozusagen verführt, übe Gnade und verfüge, daß in Zukunft, wenn
- die Verwundeten aus dem Kriege zurückkehren, können Sie sich denken,
- gewissermaßen für sie gesorgt werde ..< Mit einem Wort, der Brief war
- außerordentlich gewandt stilisiert. Na, Sie können sich denken, der
- Kaiser war natürlich gerührt. Es tat seinem kaiserlichen Herzen leid um
- den Mann, obwohl er tatsächlich ein Verbrecher war, und gewissermaßen
- sozusagen die Todesstrafe verdient hatte, na, und da er sah, wie ein
- Unschuldiger sozusagen zum Verbrecher werden kann und zugeben mußte, daß
- hier eine Unterlassungsünde vorlag -- übrigens konnte man in jener
- unruhigen Zeit auch nicht für alles sorgen -- Gott allein, kann man wohl
- sagen, ist ganz ohne Verfehlungen -- mit einem Wort, lieber Herr, der
- Kaiser geruhte diesmal, sozusagen ein einzig dastehendes Beispiel seiner
- hochherzigen Gesinnung zu geben: er befahl, die Schuldigen nicht weiter
- zu verfolgen und gab zugleich strenge Ordre, ein Komitee zu gründen, das
- sich ausschließlich mit der Fürsorge um die Verwundeten zu beschäftigen
- habe sozusagen und dies ... Verehrtester -- war gewissermaßen der Anlaß
- für die Gründung des Invalidenfonds, durch den jetzt sozusagen in jeder
- Hinsicht für die Verwundeten gesorgt ist, und ein ähnliches Institut
- gibt es tatsächlich weder in England noch in allen übrigen aufgeklärten
- Staaten, können Sie sich denken. Das also ist der Hauptmann Kopeikin,
- Verehrtester. Nun aber glaube ich folgendes: wahrscheinlich wird er all
- sein Geld in den Vereinigten Staaten vertan haben, und ist nun zu uns
- zurückgekehrt, um noch einmal zu versuchen, ob es ihm nicht vielleicht
- sozusagen, gewissermaßen mit einem neuen Unternehmen gelingen mag.«
- B. Die Geschichte vom Hauptmann Kopeikin.
- (In der vom Zensor gestrichenen Fassung.)
- »Nach dem Feldzuge vom Jahre 1812, verehrter Herr,« hub der Postmeister
- an, trotzdem nicht _ein einzelner_ Herr, sondern ganze sechs im Zimmer
- saßen, »nach dem Feldzug vom Jahre 1812 wurde zusammen mit anderen
- Verwundeten auch ein Hauptmann namens Kopeikin ins Lazarett
- eingeliefert. War es bei Krasnoje oder in der Schlacht von Leipzig
- gewesen, genug, er hatte im Kriege ein Bein und einen Arm verloren. Sie
- wissen doch, damals gab's noch keine von den bekannten Einrichtungen für
- die Verwundeten: dieser Invalidenfond, das können Sie sich wohl denken,
- der wurde sozusagen erst viel später gegründet. Der Hauptmann Kopeikin
- sieht also, daß er arbeiten muß, aber sehen Sie wohl, er hatte eben nur
- einen Arm, nämlich den linken. Er wandte sich also nach Hause an seinen
- Vater, aber der Vater gab ihm zur Antwort: >Ich kann dich nicht _auch_
- noch ernähren; ich,< denken Sie sich nur, >ich verdiene mir selbst nur
- mit knapper Not meinen Unterhalt.< Da beschloß denn mein Hauptmann
- Kopeikin, sehen Sie wohl, Verehrtester, nach Petersburg zu reisen und an
- die Gnade des Monarchen zu apellieren, ob dieser ihm nicht eine kleine
- Unterstützung bewilligen wolle. So und so, er habe doch gewissermaßen,
- sozusagen sein Leben geopfert und sein Blut vergossen .... Er fuhr also
- in einem Gepäckwagen oder einem staatlichen Transportwagen in die
- Hauptstadt, sehen Sie wohl Verehrtester, genug er gelangte mit Mühe und
- Not nach Petersburg. Und nun stellen Sie sich vor: da befindet sich
- _nun_ dieser selbige, d. h. dieser Hauptmann Kopeikin in Petersburg, das
- sozusagen in der ganzen Welt nicht seinesgleichen hat! Plötzlich ist es
- um ihn herum licht und hell, gewissermaßen ein weites Feld des Lebens,
- so eine Art märchenhafte Scheherazade verstehen Sie mich wohl. Denken
- Sie nur, plötzlich liegt vor ihm so ein Newski-Prospekt oder solch eine
- Erbsenstraße oder, hol's der Teufel, irgend so eine Liteinaja, _da_ ragt
- irgend so ein Turm in die Luft und dort _hängen_ ein paar Brücken,
- wissen Sie, so ohne jegliche Stützen und Pfeiler, mit einem Wort die
- reinste Semiramis. Tatsächlich, Verehrtester! Erst trieb er sich eine
- Weile in den Straßen herum, um sich eine Wohnung zu mieten; aber das war
- ihm alles zu brenzlich: all diese Gardinen, Rouleaux und all das
- Teufelszeug, verstehen Sie, diese Teppiche, das reinste Persien,
- Verehrtester ... Mit einem Wort, beziehungsweise, man tritt das Kapital
- nur so mit Füßen. Man geht über die Straße, und die Nase merkt schon von
- ferne, daß es nach Tausenden riecht; und, Sie wissen doch, die ganze
- Staatsbank meines Hauptmannes Kopeikin besteht aus zehn blauen Scheinen
- ... Genug, er mietet sich schließlich in einem Gasthaus zur Stadt Reval
- ein, für einen Rubel pro Tag. Sie wissen, ein Mittagessen aus zwei
- Gängen, eine Kohlsuppe und ein Stück Suppenfleisch dazu ... Er sieht
- also, daß sein Geld nicht mehr allzu lange reicht. Er erkundigte sich,
- wohin er sich wenden soll. Man sagt ihm, es gäbe so'ne Oberkommission,
- gewissermaßen so ein Direktorium sozusagen, an dessen Spitze der General
- _en chef_ soundso stehe. Der Kaiser, müssen Sie wissen, war nämlich um
- jene Zeit noch nicht in der Hauptstadt, und die Armee, können Sie sich
- vorstellen, war noch nicht aus Paris zurückgekehrt, alles war noch im
- Ausland. So stand denn mein Kopeikin eines Morgens etwas früher auf,
- kratzte sich mit der linken Hand seinen Bart, denn, sehen Sie wohl, wäre
- er zum Barbier gegangen, so hätte das in gewissem Sinne neue Ausgaben
- verursacht, zog seine Uniform an und begab sich auf seinem Holzfuß
- einherhinkend zum Vorsitzenden der Kommission. Stellen Sie sich bloß
- vor! Er fragt also, wo der Vorsitzende wohnt. >Da< antwortet man ihm und
- zeigt auf ein Haus am Schloßquai. Eine feine Bauernhütte, können Sie
- sich vorstellen. Meterlange Spiegelscheiben in den Fenstern, kann ich
- Ihnen sagen, sodaß die Vasen und alles, was sich sonst noch in den
- Zimmern befindet, gleichsam draußen vor einem zu stehen scheinen, und
- man all diese schönen Dinge geradezu greifen zu können glaubt: die Wände
- sind von kostbarem Marmor, wissen Sie, alles ist von Metall, und so'ne
- Türklinke, denken Sie sich, da muß man zuerst in einen Laden laufen,
- sich für einen Groschen Seife kaufen und sich dann sozusagen zwei
- Stunden lang die Hände reiben, ehe man sie anzufassen wagt. Dazu alles
- lackiert, mit einem Wort die Sinne schwinden einem gewissermaßen. Der
- Portier sieht aus wie ein Generalissimus: so eine Grafenphisiognomie mit
- einem goldenen Säbel in der Hand und einem Battistkragen, Teufel auch,
- wie ein wohlgepflegter Mops. Mein Kopeikin schleppt sich also auf seinem
- Holzfuß ins Vorzimmer, setzt sich in einen Winkel, um nur nicht mit dem
- Arm gegen irgend so ein Amerika oder Indien, gegen so eine vergoldete
- Porzellanvase, verstehen Sie wohl, zu stoßen. Sehen Sie wohl, natürlich
- mußte er eine halbe Ewigkeit dort warten, weil er zu einer Zeit gekommen
- war, wo der General, sozusagen, noch kaum aus dem Bett gestiegen war und
- sein Kammerdiener ihm eben irgend so ein silbernes Becken reichte,
- verstehen Sie wohl, wo man sich drin wäscht. Mein Kopeikin wartet also
- vier Stunden lang; da kommt endlich der Adjutant oder irgend ein
- diensthabender Beamter herein und sagt: >Gleich kommt der General!< Im
- Empfangszimmer aber drängen sich schon die Menschen, wie die Bohnen in
- einer Schüssel. Lauter hohe Beamte der vierten und fünften Klasse, nicht
- solche elende Sklaven wie unsereiner sondern alles Oberste, und hie und
- da sogar einer mit Makronen auf den Achselklappen, mit einem Wort, die
- ganze Generalität sozusagen. Plötzlich geht eine kaum merkliche Bewegung
- durch das Zimmer, wie so'n feiner Äther, wissen Sie. Hie und da hört man
- jemand Pst ... Pst ... rufen und dann tritt eine fürchterliche Stille
- ein. Der hohe Staatsbeamte hatte das Zimmer betreten. Na, Sie können
- sich vorstellen, ein Staatsmann, sozusagen. Natürlich seinem Rang und
- Titel entsprechend, so ein _Physionomio_, so ein Ausdruck, verstehen Sie
- wohl. Alles was sich im Empfangszimmer befand, stand natürlich sofort
- stramm, alles zittert und bebt und wartet auf die Entscheidung seines
- Schicksals sozusagen. Der Minister oder Staatsmann geht erst zum einen,
- und dann zum andern. >Warum sind Sie hier? Und Sie? Was wünschen Sie? In
- welcher Angelegenheit kommen Sie?< Zuletzt kommt auch mein Kopeikin an
- die Reihe, nimmt seinen ganzen Mut zusammen und sagt: So und so,
- Exzellenz ich habe sozusagen mein Blut vergossen, und gewissermaßen
- einen Arm und ein Bein verloren. Ich kann nicht mehr arbeiten und habe
- die Kühnheit, an die Gnade des Monarchen zu apellieren. Der Minister
- sieht: der Mann hat einen Stelzfuß, und der rechte Ärmel baumelt leer
- herunter verstehen Sie wohl. >Gut,< sagt er, >fragen Sie nach ein paar
- Tagen mal wieder an!< Mein Kopeikin ist ganz seelig: schon allein, daß
- ihm eine Audienz bewilligt wurde sozusagen, daß er gewürdigt wurde mit
- einem der ersten Würdenträger des Staats zu sprechen, können Sie sich
- denken, und dann die Hoffnung, daß sich endlich sein Schicksal,
- gewissermaßen die Frage nach der Pension entscheiden sollte! Er ist in
- der besten Laune, kann ich Ihnen sagen. Er hüpft geradezu auf dem
- Trottoir. Dann ging er ins Restaurant von Palkin, um einen Schnaps zu
- nehmen; aß in der Stadt London zu Mittag, ließ sich eine Kotelette mit
- Kapern kommen, dazu 'ne Poularde und allerhand Filets, nebst einer
- Flasche Wein, ging abends ins Theater -- mit einem Wort, es war eine
- feudale Zeche, sozusagen. Auf dem Trottoir sieht er plötzlich eine
- Engländerin kommen. Wissen Sie, schlank wie irgend so'n Schwan. Mein
- Kopeikin, dessen Blut in Wallung geriet, läuft ihr trach, trach, trach
- auf seinem Stelzfuß nach; >ach nein!< denkt er, >hol die Kurmacherei
- einstweilen der Teufel; das kommt nachher, wenn ich meine Pension habe.
- Ich bin schon gar zu sehr aus Rand und Band gekommen.< Nach drei vier
- Tagen erscheint mein Kopeikin abermals beim Minister. Der Minister tritt
- ein. >So und so,< sagt Kopeikin, >ich bin gekommen um zu erfahren, was
- Eure Exzellenz über das Schicksal der Kranken und Verwundeten zu
- verfügen geruht haben ... und dergleichen mehr, können Sie sich denken,
- in der amtlichen Sprache natürlich!< Der hohe Staatsbeamte, stellen Sie
- sich vor, erkennt ihn sogleich wieder. >Ah, gut,< sagt er, >leider kann
- ich Ihnen diesmal keinen andern Rat geben, als sich bis zur Rückkunft
- des Kaisers zu gedulden; dann wird sicherlich etwas für die Verwundeten
- und Invaliden geschehen, aber ohne die Einwilligung des Monarchen,
- sozusagen, vermag ich nichts für Sie zu tun.< Damit verbeugt er sich,
- und die Audienz ist zu Ende, verstehen Sie. Sie können sich denken, daß
- sich mein Kopeikin hiernach in einer höchst prekären Lage befand. Er
- hatte schon damit gerechnet, daß ihm morgen das Geld ausbezahlt werden
- würde. >Da hast du was, mein Lieber, trink eins und amüsier dich!<;
- statt dessen aber muß er warten und weiß nicht einmal, bis zu welchem
- Termin. Da kommt er nun wie so'n Uhu, oder Pudel, den der Koch mit
- Wasser begossen hat, vom Präsidenten heraus -- hat den Schwanz
- eingezogen und läßt die Ohren hängen. >Nee,< denkt er, >ich will doch
- _noch_ einmal hingehen und dem Minister erklären, ich habe bald nichts
- mehr zu essen, wenn Sie mir nicht helfen, muß ich, sozusagen, vor Hunger
- sterben.< Mit einem Wort lieber Herr, er geht wieder an den Schloßquai
- und fragt nach dem Minister: >Es geht nicht,< heißt es, >der Minister
- empfängt heute niemand, kommen Sie morgen wieder.< Am folgenden Tage --
- dieselbe Geschichte, der Portier will ihn kaum noch ansehen. Mein
- Kopeikin aber hat nur noch einen blauen Schein in der Tasche, verstehen
- Sie wohl. Früher da leistete er sich noch einen Teller Kohlsuppe und ein
- Stück Suppenfleisch, jetzt aber kauft er sich höchstens so einen Häring
- oder irgend so eine Salzgurke und für zwei Groschen Brot --, mit einem
- Wort, der arme Kerl hungert tatsächlich, und doch hat er einen Appetit
- wie ein Wolf. Oft kommt er an irgend so einem Restaurant vorüber und,
- nun stellen Sie sich vor, der Koch -- das ist irgend so ein Ausländer,
- so ein Franzose, wissen Sie, mit solch einem offenen Gesicht, trägt
- immer nur die feinste holländische Wäsche, und eine Schürze, so weiß wie
- Schnee sozusagen, da steht nun der Kerl vor seinem Herd und bereitet
- euch irgend so ein Finserb, oder Koteletts mit Trüffeln, mit einem Wort,
- irgend so eine Delikatesse, daß unser Hauptmann sich am liebsten selbst
- aufgefressen hätte vor Appetit. Oder er kommt an den Miljutinschen Läden
- vorbei: lacht ihm da sozusagen irgend so ein geräucherter Lachs, oder
- ein Körbchen mit Kirschen -- zu fünf Rubel das Stück, oder so 'ne Riesin
- von Wassermelone, so'n ganzer Omnibus, wissen Sie, aus dem Fenster
- entgegen, und sucht nach einem Narren, der einen überflüssigen Hunderter
- in der Tasche hat, verstehen Sie, mit einem Wort, nichts wie
- Verführungen auf Schritt und Tritt, es läuft einem sozusagen das Wasser
- im Munde zusammen, für ihn aber heißt's: warte gefälligst bis morgen.
- Und nun stellen Sie sich seine Lage vor: einerseits, sehen Sie wohl,
- dieser Lachs und die Wassermelone, und andererseits irgend so ein
- bitteres Gericht unter dem Namen: >_Komm morgen wieder._< Schließlich
- hielt es der arme Kerl nicht mehr aus und beschloß, die Festung
- sozusagen im Sturme zu nehmen, verstehen Sie. Er stellte sich also am
- Eingang auf und wartete, ob nicht noch ein Bittsteller erscheinen werde,
- und richtig, es gelang ihm denn auch, mit irgend einem General
- hindurchzuschlüpfen und auf seinem Stelzfuß bis ins Vorzimmer zu
- humpeln. Der hohe Staatsmann erscheint wie gewöhnlich. >Was wünschen
- Sie? Und Sie?< >Ah!< ruft er, wie er Kopeikin erblickt, >ich habe Ihnen
- doch schon erklärt, daß Sie warten sollen, bis über Ihr Gesuch
- entschieden wird.< -- >Ich bitte Sie, Exzellenz, ich habe nichts mehr zu
- essen, sozusagen ...< >Was soll ich denn machen? ich kann nichts für Sie
- tun, Sie müssen sich gewissermaßen einstweilen selbst helfen und sich
- selbst die Mittel zu verschaffen suchen.< -- >Aber Exzellenz, daß müssen
- Sie doch sozusagen selbst einsehen, wie kann ich mir denn die Mittel
- verschaffen, wo mir ein Arm und ein Bein fehlt?< >Aber verstehen Sie
- doch!< sagte der Minister, >ich kann Sie doch gewissermaßen nicht auf
- meine Kosten erhalten, wir haben noch viele Verwundete, die könnten doch
- alle dieselben Ansprüche machen. Wappnen Sie sich mit Geduld. Ich gebe
- Ihnen mein Ehrenwort: wenn der Kaiser kommt, wird er Gnade üben und Sie
- nicht im Stiche lassen.< -- >Aber ich kann doch nicht warten,
- Exzellenz,< versetzte Kopeikin, und zwar fängt er schon an, grob zu
- werden sozusagen. Da aber wurde der Staatsmann etwas ärgerlich,
- verstehen Sie, und in der Tat: rings herum stehen lauter Generäle und
- warten auf eine Antwort oder eine Ordre; hier handelte es sich sozusagen
- um wichtige Staatsangelegenheiten, die gewissermaßen eine schleunige
- Erledigung erfordern -- jeder verlorene Augenblick kann von Bedeutung
- sein -- und da kommt so ein aufdringlicher Teufel und läßt einen nicht
- los, können Sie sich denken. -- >Entschuldigen, ich habe keine Zeit --
- ich habe noch andere wichtigere Dinge zu tun, als mit Ihnen zu reden.<
- Er sagt es gewissermaßen durch die Blume, es sei nun die höchste Zeit,
- daß er sich aus dem Staube mache, verstehen Sie wohl. Jedoch mein
- Kopeikin antwortet -- der Hunger treibt ihn nämlich zum äußersten,
- müssen Sie wissen. >Tun Sie, was Sie wollen, Exzellenz, ich rühre mich
- nicht vom Flecke, bevor Sie die entsprechende Ordre erteilt haben.< Na,
- Sie können sich denken: einem Staatsmann so zu antworten, der nur ein
- Wort zu sagen braucht, damit man kopfüber rausfliegt, sodaß der Teufel
- selbst einen nicht mehr auffinden kann sozusagen ... Wenn ein Beamter,
- der auch nur um _einen_ Rang tiefer steht als wir, unsereinem so etwas
- sagen wollte, so würde man es schon eine Frechheit nennen. Nun aber
- denken Sie sich -- diese Distanz, diese gewaltige Distanz! Ein General
- _en chef_ -- und irgend ein Kopeikin sozusagen! Neunzig Rubel und eine
- Null. Der General, verstehen Sie, der maß ihn bloß mit einem Blick --
- der reinste Kanonenschuß sozusagen: da hätte keiner Stand gehalten, da
- wäre jedem das Herz in die Hosen gefallen. Mein Kopeikin aber, können
- Sie sich vorstellen, rührt sich nicht vom Flecke und steht da wie
- angewurzelt. >Nun? Was warten Sie?< sagt der General und packt ihn mit
- beiden Händen bei den Schultern. Übrigens, um die Wahrheit zu sagen, er
- behandelt ihn noch ziemlich gnädig: ein anderer hätte ihn so
- angeschnauzt, daß die ganze Straße noch drei Tage nachher auf dem Kopfe
- gestanden und sich mit ihm im Kreise gedreht hätte sozusagen, er aber
- sagte nur >Gut, wenn das Leben für Sie hier zu teuer ist und Sie nicht
- ruhig in der Hauptstadt auf die Entscheidung Ihres Schicksals warten
- können, dann lasse ich Sie auf Staatskosten in die Heimat befördern. Der
- Feldjäger soll kommen und ihn nach der Heimat transportieren!< Der
- Feldjäger aber, verstehen Sie wohl, der steht schon da und wartet schon
- hinter der Tür: so'n baumlanger Kerl, wissen Sie, mit einer Hand wie von
- der Natur selbst für den Kurierdienst geschaffen. Mit einem Wort: ein
- richtiger Zahnzieher. So wird denn unser braver Knecht Gottes in den
- Wagen befördert und ab geht's in Begleitung des Feldjägers. >Na,< denkt
- Kopeikin, >da spar' ich wenigstens das Reisegeld. Auch dafür bin ich den
- Herren dankbar.< So fährt er denn, Verehrtester, mit dem Feldjäger, und
- während er so an der Seite des Feldjägers sitzt, spricht er
- gewissermaßen, sozusagen, zu sich selber: >Schön,< sagt er, >du erklärst
- mir, ich soll mir selbst helfen und die Mittel suchen! Gut, schön,< sagt
- er, >ich will mir die Mittel schon verschaffen!< Wie er nun an seinen
- Bestimmungsort befördert, und wohin er eigentlich gebracht wurde,
- darüber ist nichts bekannt geworden. Und daher sind denn auch die
- Nachrichten über den Hauptmann Kopeikin im Strome der Vergessenheit
- untergegangen, in so einer Lethe, wissen Sie, wie die Poeten es nennen.
- Doch hier, sehen Sie wohl, meine Herren, hier schürzt sich, kann man
- wohl sagen, der Knoten unseres Romans. Wo also Kopeikin verschwunden
- ist, das weiß niemand; aber stellen Sie sich vor, es vergingen auch
- nicht zwei Monate, als in den Wäldern von Rjasan eine Räuberbande
- auftauchte, und der Hauptmann dieser Räuberbande, sehen Sie wohl, war
- kein anderer als ...«
- * * * * *
- 1. _Die Toten Seelen, Band I_, sind in der zweiten Hälfte des Jahres
- 1835 begonnen und 1841 vollendet. Sie erschienen am 21. Mai (2. Juni)
- 1842. Die Unterschrift des Zensors trägt das Datum: den 9. Mai (21. Mai)
- 1842. Die vom Zensor gestrichene »Geschichte vom Hauptmann Kopeikin«
- wurde vom Autor in fünf Tagen vom 5.-9. (17.-21.) Mai 1842 umgearbeitet.
- 2. _Die Vorrede zur zweiten Auflage des I. Bandes der Toten Seelen_
- (pag. 431) wurde Ende Juli entworfen und im September 1846 vollendet.
- Sie erschien zugleich mit der zweiten Auflage dieser »Dichtung«. Die
- Unterschrift des Zensors trägt das Datum: den 25. August (6. September)
- 1846.
- 3. _Die Reflexionen zum ersten Teil der Toten Seelen_ (pag. 436) stammen
- wahrscheinlich aus dem Jahre 1846.
- 4. _Das Ende des IX. Kapitels in veränderter Fassung_ (pag. 439) wurde
- etwa im Jahre 1843 niedergeschrieben.
- 5. _Die Geschichte vom Hauptmann Kopeikin_: _Variante A_ (pag. 452) ist
- im August 1841, _Variante B_ (pag. 461), die vom Zensor gestrichen
- wurde, im November 1841 vollendet. Der Text der vorliegenden deutschen
- Ausgabe geht auf die russischen Ausgaben von N. S. Tichonrawow und W. I.
- Schönrock zurück.
- _Der Herausgeber._
- * * * * *
- Druck von Mänicke & Jahn, Rudolstadt.
- Anmerkungen zur Transkription
- Die Schreibweise der Buchvorlage wurde weitgehend beibehalten. Auch
- Variationen in der Transliteration der russischen Namen wurden nicht
- verändert.
- Einige Übertragungsfehler wurden ebenfalls unverändert belassen. Auf
- Seite 194 heißt es »jedes Jahr verlor er ein neues richtiges Stück von
- seinem Haushalt aus dem Auge«. Tatsächlich steht im Original hier
- »Hauptteil«, was wohl eher der Formulierung »wichtiges Stück«
- entsprechen würde. An zwei Stellen im Anhang heißt es »Markronen« oder
- »Makronen auf den Achselklappen«. Auch dies wurde so beibehalten. Das
- russische Original hat aber an dieser Stelle »Makkaroni«, was wohl eher
- die Fransen der Epauletten beschreibt.
- Offensichtliche Fehler wurden, teilweise unter Zuhilfenahme des
- russischen Originaltextes, korrigiert wie hier aufgeführt
- (vorher/nachher):
- [S. XXXV]:
- ... und Leibeigenen gesellen. Aber das Gemälde erscheint ...
- ... und Leibeigene gesellen. Aber das Gemälde erscheint ...
- [S. 8]:
- ... denen ein Bretzel oder ein Stiefel, oder eine Paar blaue ...
- ... denen ein Bretzel oder ein Stiefel, oder ein Paar blaue ...
- [S. 11]:
- ... Zum Gouverneuer sagte er wie beiläufig, wenn man in ...
- ... Zum Gouverneur sagte er wie beiläufig, wenn man in ...
- [S. 12]:
- ... wie es sich gehörte. Als Ttschitschikow den Saal betrat, ...
- ... wie es sich gehörte. Als Tschitschikow den Saal betrat, ...
- [S. 15]:
- ... müssig herum; ihre Existenz hat etwas gar zu Leichtes, ...
- ... müßig herum; ihre Existenz hat etwas gar zu Leichtes, ...
- [S. 17]:
- ... »Herzen! Herzchen! Pikentia!« oder »Pieckchen, Piekchen, ...
- ... »Herzen! Herzchen! Pikentia!« oder »Piekchen, Piekchen, ...
- [S. 18]:
- ... mit höflichem Kopfnicken und warmem aufrichtigen ...
- ... mit höflichem Kopfnicken und warmem aufrichtigem ...
- [S. 18]:
- ... nochkommen, sondern halte es sogar für seine heiligste ...
- ... nachkommen, sondern halte es sogar für seine heiligste ...
- [S. 19]:
- ... anfing, gaben der Polizeimeister und Staatsanwalt sehr ...
- ... anfing, gaben der Polizeimeister und der Staatsanwalt sehr ...
- [S. 25]:
- ... also noch am Abend sämliche notwendigen Anordnungen getroffen ...
- ... also noch am Abend sämtliche notwendigen Anordnungen
- getroffen ...
- [S. 29]:
- ... alten Uniformen unserer Garnisonsoldaten bemerken kann, ...
- ... alten Uniformen unserer Garnisonssoldaten bemerken kann, ...
- [S. 42]:
- ... werden!« ...
- ... werden?« ...
- [S. 48]:
- ... aber er konnte nicht derartiges entdecken, im Gegenteil, ...
- ... aber er konnte nichts derartiges entdecken, im Gegenteil, ...
- [S. 53]:
- ... konnten ...« ...
- ... könnten ...« ...
- [S. 55]:
- ... sagte er: »Wir werden's schon finden,« und Ttschitschikow ...
- ... sagte er: »Wir werden's schon finden,« und Tschitschikow ...
- [S. 72]:
- ... »Das geht vorüber, Mütterchen, achten sie nur nicht ...
- ... »Das geht vorüber, Mütterchen, achten Sie nur nicht ...
- [S. 79]:
- ... noch einen Versuch zu machan, ob es ihm etwa gelänge, ...
- ... noch einen Versuch zu machen, ob es ihm etwa gelänge, ...
- [S. 87]:
- ... »Nicht war, Sie vergessen mich also nicht bei den ...
- ... »Nicht wahr, Sie vergessen mich also nicht bei den ...
- [S. 106]:
- ... »Hm!« dachte Titschikow, »ich könnte ja schließlich ...
- ... »Hm!« dachte Tschitschikow, »ich könnte ja schließlich ...
- [S. 118]:
- ... eine ganze Kollektion besaß: Holz-, Ton- und
- Merschaumpfeifen, ...
- ... eine ganze Kollektion besaß: Holz-, Ton- und
- Meerschaumpfeifen, ...
- [S. 128]:
- ... »Nein, nein Bester, ein Glücksspiel verlieren, das ...
- ... »Nein, mein Bester, ein Glücksspiel verlieren, das ...
- [S. 135]:
- ... »Für wen hälst du mich,« sagte Nosdrjow, »glaubst ...
- ... »Für wen hältst du mich,« sagte Nosdrjow, »glaubst ...
- [S. 149]:
- ... erblickte, sagt er kurz: »Ich bitte,« worauf er ihn in die ...
- ... erblickte, sagte er kurz: »Ich bitte,« worauf er ihn in die ...
- [S. 157]:
- ... Hammelbraten,« fuhr er fort, indem er sich an Tschischikow ...
- ... Hammelbraten,« fuhr er fort, indem er sich an Tschitschikow ...
- [S. 158]:
- ... links!« ...
- ... links?« ...
- [S. 169]:
- ... »Also was ist Ihr höchstes Angebot!« sagte Sabakewitsch ...
- ... »Also was ist Ihr höchstes Angebot?« sagte Sabakewitsch ...
- [S. 174]:
- ... Wohnhause vorüber zu kommen.« ...
- ... Wohnhause vorüber zu kommen?« ...
- [S. 176]:
- ... klingt uns aus dem Worte der Britanniers ...
- ... klingt uns aus dem Worte des Britanniers ...
- [S. 176]:
- ... schlau ersinnt sein nicht leichtfaßlich dürres Räselwort ...
- ... schlau ersinnt sein nicht leichtfaßlich dürres Rätselwort ...
- [S. 195]:
- ... und zu konzentieren liebt, und eine solche Erscheinung ...
- ... und zu konzentrieren liebt, und eine solche Erscheinung ...
- [S. 196]:
- ... den Anblick seines Wirtes uud der ganzen seltsamen ...
- ... den Anblick seines Wirtes und der ganzen seltsamen ...
- [S. 199]:
- ... eine solche Kälte und Teilnahmlosigkeit gegen fremdes ...
- ... eine solche Kälte und Teilnahmslosigkeit gegen fremdes ...
- [S. 210]:
- ... flüchtige Bauern brauchen könnte!« ...
- ... flüchtige Bauern brauchen könnte?« ...
- [S. 212]:
- ... Frage erinnerte jenen daran, das es in der Tat zwecklos ...
- ... Frage erinnerte jenen daran, daß es in der Tat zwecklos ...
- [S. 213]:
- ... »Wollen Sie denn keinen Tee.« ...
- ... »Wollen Sie denn keinen Tee?« ...
- [S. 233]:
- ... freundlicheres und angenehmeres Äußere an. Themis ...
- ... freundlicheres und angenehmeres Äußeres an. Themis ...
- [S. 244]:
- ... es doch lauter nützliche Leute und Handwerker seinen, die ...
- ... es doch lauter nützliche Leute und Handwerker seien, die ...
- [S. 245]:
- ... Iwan Antonowitsch erledigt alles gewandt und sicher, die ...
- ... Iwan Antonowitsch erledigte alles gewandt und sicher, die ...
- [S. 251]:
- ... verheiraten. Nicht war, Iwan Grigorjewitsch, wir verschaffen ...
- ... verheiraten. Nicht wahr, Iwan Grigorjewitsch, wir verschaffen ...
- [S. 256]:
- ... Alexei Iwanowitsch, ich bin durchaus nicht ihrer Ansicht, ...
- ... Alexei Iwanowitsch, ich bin durchaus nicht Ihrer Ansicht, ...
- [S. 280]:
- ... Feinheit und Zärtlichkeit atmeten. »Dürften wir arme ...
- ... Feinheit und Zärtlichkeit atmeten. »Dürften wir armen ...
- [S. 306]:
- ... nichtwürdiger Mensch; ein nichtswürdiger, nichtswürdiger ...
- ... nichtswürdiger Mensch; ein nichtswürdiger, nichtswürdiger ...
- [S. 309]:
- ... »Nein, aber denken Sie sich blos in meine Lage ...
- ... »Nein, aber denken Sie sich bloß in meine Lage ...
- [S. 309]:
- ... ich das hörte!« Und jetzt,« sagt Karobotschka, »weiß ...
- ... ich das hörte!»Und jetzt,« sagt Karobotschka, »weiß ...
- [S. 310]:
- ... daher schwieg sie. Sie konnte sich blos über die Dinge ...
- ... daher schwieg sie. Sie konnte sich bloß über die Dinge ...
- [S. 311]:
- ... in einen geronnenen Augenblick in ein Pulverfaß zu ...
- ... in einem geronnenen Augenblick in ein Pulverfaß zu ...
- [S. 313]:
- ... sie auch nur ein bischen, ein Fünkchen, auch nur einen ...
- ... sie auch nur ein bißchen, ein Fünkchen, auch nur einen ...
- [S. 318]:
- ... demselben Fleck, blinzelte mit dem linken Augenlied, staubte ...
- ... demselben Fleck, blinzelte mit dem linken Augenlid, staubte ...
- [S. 335]:
- ... günstig ist, irgend welche Wohltätigkeit-, Hilfs- und ...
- ... günstig ist, irgend welche Wohltätigkeits-, Hilfs- und ...
- [S. 336]:
- ... und gesinnungstüchtiges Äußere besitze, aber auch in ...
- ... und gesinnungstüchtiges Äußeres besitze, aber auch in ...
- [S. 338]: (mehrfache Fälle)
- ... meinen Unterhalt.< Da beschloß denn mein Hauptman Kopeikin, ...
- ... meinen Unterhalt.< Da beschloß denn mein Hauptmann Kopeikin, ...
- [S. 339]:
- ... oder einem statlichen Transportwagen nach der Hauptstadt, ...
- ... oder einem staatlichen Transportwagen nach der Hauptstadt, ...
- [S. 348]:
- ... aber andererseis auch wiederum nicht allzu dünn gewesen ...
- ... aber andererseits auch wiederum nicht allzu dünn gewesen ...
- [S. 348]:
- ... um so seltsamer ist, da die Stadt nicht irgenwo abseits ...
- ... um so seltsamer ist, da die Stadt nicht irgendwo abseits ...
- [S. 364]:
- ... Offen gestanden, Sie haben Furcht vor dem neuen ...
- ... Offen gestanden, sie haben Furcht vor dem neuen ...
- [S. 370]:
- ... In zwei Stunden muß alles fertig sein, Verstanden? ...
- ... In zwei Stunden muß alles fertig sein, verstanden? ...
- [S. 370]:
- ... »Esel! Wenn es mir paßt, dann verkaufe ich ihm schon ...
- ... »Esel! Wenn es mir paßt, dann verkaufe ich ihn schon ...
- [S. 377]:
- ... tief mein Inneres erschüttet mit all seinen Schrecken; ...
- ... tief mein Inneres erschüttert mit all seinen Schrecken; ...
- [S. 378]:
- ... und schon durchströmmt uns behagliche Wärme. Die ...
- ... und schon durchströmt uns behagliche Wärme. Die ...
- [S. 378]:
- ... -- was kümmert's dich, O, welche Nacht! ...
- ... -- was kümmert's dich, o, welche Nacht! ...
- [S. 383]:
- ... die sich immer dann vernehmen ließ, wenn das Kind,
- angewiedert ...
- ... die sich immer dann vernehmen ließ, wenn das Kind, angewidert ...
- [S. 388]:
- ... wo ich dagegen jenem bösen Geist des Widerspruches ...
- ... wo ich dagegen jenen bösen Geist des Widerspruches ...
- [S. 390]:
- ... angegriffen, die er beschlossen hätte, nie auszugeben; mit ...
- ... angegriffen, die er beschlossen hatte, nie auszugeben; mit ...
- [S. 392]:
- ... wohlgepflegtes Äußere zu bewahren, sich anständig zu kleiden, ...
- ... wohlgepflegtes Äußeres zu bewahren, sich anständig zu
- kleiden, ...
- [S. 400]:
- ... überall, wo sie dergleichen sie antrafen, verfolgten sie es,
- so ...
- ... überall, wo sie dergleichen antrafen, verfolgten sie es, so ...
- [S. 401]:
- ... Mitleid appellierte und ihm in glühenden Farben das ...
- ... Mitleid apellierte und ihm in glühenden Farben das ...
- [S. 408]:
- ... draufgegangen; für diese Dinge hatten sich andre Liebehaber ...
- ... draufgegangen; für diese Dinge hatten sich andre Liebhaber ...
- [S. 411]:
- ... Beruf, der sich bei uns noch nicht das Bügerrecht erkämpft ...
- ... Beruf, der sich bei uns noch nicht das Bürgerrecht erkämpft ...
- [S. 413]:
- ... gottlob nicht wenigen das Leben gekostet! Die Gutsbesitzer ...
- ... gottlob nicht wenige das Leben gekostet! Die Gutsbesitzer ...
- [S. 425]:
- ... machen kräftigen Puff empfing. Seliphan wurde ...
- ... manchen kräftigen Puff empfing. Seliphan wurde ...
- [S. 460]:
- ... er; >ich habe sozusagen mein Blut vergossen und
- gewissermassen ...
- ... er; >ich habe sozusagen mein Blut vergossen und gewissermaßen ...
- [S. 460]:
- ... sagt er, >Sie sind unschuldig, denn ich habe Sie sozusagen ...
- ... sagt er, >sie sind unschuldig, denn ich habe sie sozusagen ...
- [S. 460]:
- ... können Sie sich denken, gewissermaßen für Sie gesorgt ...
- ... können Sie sich denken, gewissermaßen für sie gesorgt ...
- [S. 460]:
- ... werde ..< mit einem Wort, der Brief war außerordentlich ...
- ... werde ..< Mit einem Wort, der Brief war außerordentlich ...
- [S. 460]:
- ... gründen, daß sich ausschließlich mit der Fürsorge um ...
- ... gründen, das sich ausschließlich mit der Fürsorge um ...
- [S. 461]:
- ... in einem Gepäckwagen oder einem stattlichen Transportwagen ...
- ... in einem Gepäckwagen oder einem staatlichen Transportwagen ...
- [S. 463]:
- ... in der Hand und einem Battisikragen, Teufel auch, wie ...
- ... in der Hand und einem Battistkragen, Teufel auch, wie ...
- [S. 464]:
- ... Wort, die ganze Generalität sozuzagen. Plötzlich geht ...
- ... Wort, die ganze Generalität sozusagen. Plötzlich geht ...
- End of the Project Gutenberg EBook of Sämmtliche Werke 1: Die Toten Seelen I, by
- Nikolaj Gogol
- *** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK SÄMMTLICHE WERKE 1: DIE ***
- ***** This file should be named 54262-8.txt or 54262-8.zip *****
- This and all associated files of various formats will be found in:
- http://www.gutenberg.org/5/4/2/6/54262/
- Produced by Jens Sadowski and the Online Distributed
- Proofreading Team at http://www.pgdp.net. This book was
- produced from images made available by the HathiTrust
- Digital Library.
- Updated editions will replace the previous one--the old editions will
- be renamed.
- Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright
- law means that no one owns a United States copyright in these works,
- so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United
- States without permission and without paying copyright
- royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part
- of this license, apply to copying and distributing Project
- Gutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tm
- concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark,
- and may not be used if you charge for the eBooks, unless you receive
- specific permission. If you do not charge anything for copies of this
- eBook, complying with the rules is very easy. You may use this eBook
- for nearly any purpose such as creation of derivative works, reports,
- performances and research. They may be modified and printed and given
- away--you may do practically ANYTHING in the United States with eBooks
- not protected by U.S. copyright law. Redistribution is subject to the
- trademark license, especially commercial redistribution.
- START: FULL LICENSE
- THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE
- PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK
- To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free
- distribution of electronic works, by using or distributing this work
- (or any other work associated in any way with the phrase "Project
- Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full
- Project Gutenberg-tm License available with this file or online at
- www.gutenberg.org/license.
- Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project
- Gutenberg-tm electronic works
- 1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm
- electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to
- and accept all the terms of this license and intellectual property
- (trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all
- the terms of this agreement, you must cease using and return or
- destroy all copies of Project Gutenberg-tm electronic works in your
- possession. If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a
- Project Gutenberg-tm electronic work and you do not agree to be bound
- by the terms of this agreement, you may obtain a refund from the
- person or entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph
- 1.E.8.
- 1.B. "Project Gutenberg" is a registered trademark. It may only be
- used on or associated in any way with an electronic work by people who
- agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few
- things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works
- even without complying with the full terms of this agreement. See
- paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project
- Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this
- agreement and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm
- electronic works. See paragraph 1.E below.
- 1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the
- Foundation" or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection
- of Project Gutenberg-tm electronic works. Nearly all the individual
- works in the collection are in the public domain in the United
- States. If an individual work is unprotected by copyright law in the
- United States and you are located in the United States, we do not
- claim a right to prevent you from copying, distributing, performing,
- displaying or creating derivative works based on the work as long as
- all references to Project Gutenberg are removed. Of course, we hope
- that you will support the Project Gutenberg-tm mission of promoting
- free access to electronic works by freely sharing Project Gutenberg-tm
- works in compliance with the terms of this agreement for keeping the
- Project Gutenberg-tm name associated with the work. You can easily
- comply with the terms of this agreement by keeping this work in the
- same format with its attached full Project Gutenberg-tm License when
- you share it without charge with others.
- 1.D. The copyright laws of the place where you are located also govern
- what you can do with this work. Copyright laws in most countries are
- in a constant state of change. If you are outside the United States,
- check the laws of your country in addition to the terms of this
- agreement before downloading, copying, displaying, performing,
- distributing or creating derivative works based on this work or any
- other Project Gutenberg-tm work. The Foundation makes no
- representations concerning the copyright status of any work in any
- country outside the United States.
- 1.E. Unless you have removed all references to Project Gutenberg:
- 1.E.1. The following sentence, with active links to, or other
- immediate access to, the full Project Gutenberg-tm License must appear
- prominently whenever any copy of a Project Gutenberg-tm work (any work
- on which the phrase "Project Gutenberg" appears, or with which the
- phrase "Project Gutenberg" is associated) is accessed, displayed,
- performed, viewed, copied or distributed:
- This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and
- most other parts of the world at no cost and with almost no
- restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it
- under the terms of the Project Gutenberg License included with this
- eBook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the
- United States, you'll have to check the laws of the country where you
- are located before using this ebook.
- 1.E.2. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is
- derived from texts not protected by U.S. copyright law (does not
- contain a notice indicating that it is posted with permission of the
- copyright holder), the work can be copied and distributed to anyone in
- the United States without paying any fees or charges. If you are
- redistributing or providing access to a work with the phrase "Project
- Gutenberg" associated with or appearing on the work, you must comply
- either with the requirements of paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 or
- obtain permission for the use of the work and the Project Gutenberg-tm
- trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or 1.E.9.
- 1.E.3. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is posted
- with the permission of the copyright holder, your use and distribution
- must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any
- additional terms imposed by the copyright holder. Additional terms
- will be linked to the Project Gutenberg-tm License for all works
- posted with the permission of the copyright holder found at the
- beginning of this work.
- 1.E.4. Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg-tm
- License terms from this work, or any files containing a part of this
- work or any other work associated with Project Gutenberg-tm.
- 1.E.5. Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this
- electronic work, or any part of this electronic work, without
- prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with
- active links or immediate access to the full terms of the Project
- Gutenberg-tm License.
- 1.E.6. You may convert to and distribute this work in any binary,
- compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including
- any word processing or hypertext form. However, if you provide access
- to or distribute copies of a Project Gutenberg-tm work in a format
- other than "Plain Vanilla ASCII" or other format used in the official
- version posted on the official Project Gutenberg-tm web site
- (www.gutenberg.org), you must, at no additional cost, fee or expense
- to the user, provide a copy, a means of exporting a copy, or a means
- of obtaining a copy upon request, of the work in its original "Plain
- Vanilla ASCII" or other form. Any alternate format must include the
- full Project Gutenberg-tm License as specified in paragraph 1.E.1.
- 1.E.7. Do not charge a fee for access to, viewing, displaying,
- performing, copying or distributing any Project Gutenberg-tm works
- unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9.
- 1.E.8. You may charge a reasonable fee for copies of or providing
- access to or distributing Project Gutenberg-tm electronic works
- provided that
- * You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from
- the use of Project Gutenberg-tm works calculated using the method
- you already use to calculate your applicable taxes. The fee is owed
- to the owner of the Project Gutenberg-tm trademark, but he has
- agreed to donate royalties under this paragraph to the Project
- Gutenberg Literary Archive Foundation. Royalty payments must be paid
- within 60 days following each date on which you prepare (or are
- legally required to prepare) your periodic tax returns. Royalty
- payments should be clearly marked as such and sent to the Project
- Gutenberg Literary Archive Foundation at the address specified in
- Section 4, "Information about donations to the Project Gutenberg
- Literary Archive Foundation."
- * You provide a full refund of any money paid by a user who notifies
- you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he
- does not agree to the terms of the full Project Gutenberg-tm
- License. You must require such a user to return or destroy all
- copies of the works possessed in a physical medium and discontinue
- all use of and all access to other copies of Project Gutenberg-tm
- works.
- * You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of
- any money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the
- electronic work is discovered and reported to you within 90 days of
- receipt of the work.
- * You comply with all other terms of this agreement for free
- distribution of Project Gutenberg-tm works.
- 1.E.9. If you wish to charge a fee or distribute a Project
- Gutenberg-tm electronic work or group of works on different terms than
- are set forth in this agreement, you must obtain permission in writing
- from both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and The
- Project Gutenberg Trademark LLC, the owner of the Project Gutenberg-tm
- trademark. Contact the Foundation as set forth in Section 3 below.
- 1.F.
- 1.F.1. Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable
- effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread
- works not protected by U.S. copyright law in creating the Project
- Gutenberg-tm collection. Despite these efforts, Project Gutenberg-tm
- electronic works, and the medium on which they may be stored, may
- contain "Defects," such as, but not limited to, incomplete, inaccurate
- or corrupt data, transcription errors, a copyright or other
- intellectual property infringement, a defective or damaged disk or
- other medium, a computer virus, or computer codes that damage or
- cannot be read by your equipment.
- 1.F.2. LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the "Right
- of Replacement or Refund" described in paragraph 1.F.3, the Project
- Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project
- Gutenberg-tm trademark, and any other party distributing a Project
- Gutenberg-tm electronic work under this agreement, disclaim all
- liability to you for damages, costs and expenses, including legal
- fees. YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT
- LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE
- PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3. YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE
- TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE
- LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR
- INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH
- DAMAGE.
- 1.F.3. LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a
- defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can
- receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a
- written explanation to the person you received the work from. If you
- received the work on a physical medium, you must return the medium
- with your written explanation. The person or entity that provided you
- with the defective work may elect to provide a replacement copy in
- lieu of a refund. If you received the work electronically, the person
- or entity providing it to you may choose to give you a second
- opportunity to receive the work electronically in lieu of a refund. If
- the second copy is also defective, you may demand a refund in writing
- without further opportunities to fix the problem.
- 1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth
- in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS', WITH NO
- OTHER WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT
- LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.
- 1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied
- warranties or the exclusion or limitation of certain types of
- damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement
- violates the law of the state applicable to this agreement, the
- agreement shall be interpreted to make the maximum disclaimer or
- limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or
- unenforceability of any provision of this agreement shall not void the
- remaining provisions.
- 1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
- trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
- providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in
- accordance with this agreement, and any volunteers associated with the
- production, promotion and distribution of Project Gutenberg-tm
- electronic works, harmless from all liability, costs and expenses,
- including legal fees, that arise directly or indirectly from any of
- the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this
- or any Project Gutenberg-tm work, (b) alteration, modification, or
- additions or deletions to any Project Gutenberg-tm work, and (c) any
- Defect you cause.
- Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm
- Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
- electronic works in formats readable by the widest variety of
- computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
- exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
- from people in all walks of life.
- Volunteers and financial support to provide volunteers with the
- assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
- goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
- remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
- Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
- and permanent future for Project Gutenberg-tm and future
- generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
- Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
- Sections 3 and 4 and the Foundation information page at
- www.gutenberg.org
- Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
- The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
- 501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
- state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
- Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
- number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
- Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
- U.S. federal laws and your state's laws.
- The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the
- mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its
- volunteers and employees are scattered throughout numerous
- locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt
- Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to
- date contact information can be found at the Foundation's web site and
- official page at www.gutenberg.org/contact
- For additional contact information:
- Dr. Gregory B. Newby
- Chief Executive and Director
- gbnewby@pglaf.org
- Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
- Literary Archive Foundation
- Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
- spread public support and donations to carry out its mission of
- increasing the number of public domain and licensed works that can be
- freely distributed in machine readable form accessible by the widest
- array of equipment including outdated equipment. Many small donations
- ($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
- status with the IRS.
- The Foundation is committed to complying with the laws regulating
- charities and charitable donations in all 50 states of the United
- States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
- considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
- with these requirements. We do not solicit donations in locations
- where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
- DONATIONS or determine the status of compliance for any particular
- state visit www.gutenberg.org/donate
- While we cannot and do not solicit contributions from states where we
- have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
- against accepting unsolicited donations from donors in such states who
- approach us with offers to donate.
- International donations are gratefully accepted, but we cannot make
- any statements concerning tax treatment of donations received from
- outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.
- Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
- methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
- ways including checks, online payments and credit card donations. To
- donate, please visit: www.gutenberg.org/donate
- Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works.
- Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
- Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be
- freely shared with anyone. For forty years, he produced and
- distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of
- volunteer support.
- Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
- editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
- the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
- necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper
- edition.
- Most people start at our Web site which has the main PG search
- facility: www.gutenberg.org
- This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
- including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
- Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
- subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.