- The Project Gutenberg EBook of Sämmtliche Werke 3: Abende auf dem Gutshof
- bei Dikanka, by Nikolaj Gogol
- This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most
- other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
- whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of
- the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
- www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have
- to check the laws of the country where you are located before using this ebook.
- Title: Sämmtliche Werke 3: Abende auf dem Gutshof bei Dikanka
- Phantastische Novellen
- Author: Nikolaj Gogol
- Commentator: B. Schenrock
- Editor: Otto Buek
- Translator: Ludwig Rubiner
- Frieda Ichak
- Alexandra Ramm
- Release Date: July 2, 2017 [EBook #55026]
- Language: German
- *** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK SÄMMTLICHE WERKE 3: ABENDE ***
- Produced by Jens Sadowski and the Online Distributed
- Proofreading Team at http://www.pgdp.net. This book was
- produced from images made available by the HathiTrust
- Digital Library.
- Nikolaus Gogol
- Abende auf dem Gutshof bei Dikanka
- Nikolaus Gogol
- Sämmtliche Werke
- In 8 Bänden
- Herausgegeben
- von
- Otto Buek
- Band 3
- München und Leipzig
- bei Georg Müller
- 1910
- Nikolaus Gogol
- Abende auf dem Gutshof bei Dikanka
- Phantastische Novellen
- Deutsch
- von
- Ludwig Rubiner
- und
- Frida Ichak.
- München und Leipzig
- bei Georg Müller
- 1910
- Inhalt
- Abende auf dem Gutshof bei Dikanka I 1
- Vorrede 3
- Der Jahrmarkt in Sorotschintzy 11
- Die Johannisnacht 55
- Mainacht oder die Ertrunkene 83
- Der verschwundene Brief 133
- Abende auf dem Gutshof bei Dikanka II 155
- Vorrede 157
- Die Nacht vor dem Weihnachtsfest 163
- Schreckliche Rache 239
- Iwan Fjodorowitsch Schponjka und seine Tante 311
- Der verhexte Ort 355
- Biographische Skizze von B. Schenrock 373
- Anhang 399
- Abende auf dem Gutshof bei Dikanka.
- Erster Teil
- Erzählungen
- Herausgegeben von _Rotfuchs Panjko_, Bienenzüchter.
- Übersetzt von _Ludwig Rubiner_
- und _Frida Ichak_
- Vorrede
- Was ist denn das wieder für ein Ding: Abende auf dem Gutshof bei
- Dikanka? Was für »Abende« sind denn das? Und die dazu gar noch ein
- Bienenzüchter in die Welt gesetzt hat! Gott bewahr' uns! Hat man etwa
- noch zu wenig Gänsefedern gerupft und allzu wenig Lumpen zu Papier
- verarbeitet! Hat etwa noch zu wenig Pack, haben etwa noch zu wenig Leute
- von jeglichem Stand ihre Finger mit Tinte bekleckst! Da muß der Teufel
- nach all dem anderen Volk auch noch einen Bienenzüchter reiten, es den
- andern nachzumachen! Wahrhaftig! Es gibt doch schon so viel bedrucktes
- Papier, daß man bald nicht mehr recht weiß, was alles man hineinwickeln
- soll!
- All diese Reden hat meine Prophetie schon gehört, schon vor einem Monat
- gehört! Ich will nämlich sagen, daß es für unsereins, daß es für uns
- Vorwerksbesitzer genau dasselbe ist, wenn man -- o du grundgütiger
- Himmel --, die Nase aus seinem Loch in die große Welt steckt, als wenn
- man in die Gemächer eines feinen Herrn tritt: alle bilden einen Kreis um
- einen, und der Schabernack geht los; derartiges könnte man sich am Ende
- noch von besseren Lakaien gefallen lassen, -- aber nein, irgend so ein
- zerlumpter Junge, irgendein Lümmel, der sich im Hinterhof herumdrückt,
- auch so einer traut sich heran. Da stampfen sie mit den Füßen und rufen
- einem von allen Seiten zu: »Wohin willst du? Zu wem? Pack dich du
- Bauernkerl! Scher dich zum Teufel!« ..... Ich kann euch sagen .... Aber
- was sollen alle Worte! Mir fällt's wahrhaftig leichter, zweimal im Jahr
- nach Mirgorod zu reisen, wo mich schon seit fünf Jahren weder der
- Schreiber vom Landgericht noch seine Hochwürden zu Gesicht bekommen
- haben, als zu den großen Leuten zu steigen; tu ich's aber mal, dann
- heißt's, ob's dir nun paßt oder nicht, Rede und Antwort stehen.
- Nichts für ungut, meine lieben Leser (und ihr nehmt's vielleicht übel,
- daß ein einfacher Bienenzüchter zu euch redet wie zu seinem Gevatter
- oder Ehestifter), wir Vorwerksleute haben von jeher solche Bräuche:
- sowie die Feldarbeiten zu Ende sind, der Bauer übern Winter zur Ruh'
- hintern Ofen kriecht und unsereins seine Bienen in den dunklen Keller
- steckt; sowie es keinen Kranich mehr am Himmel und auf dem Baum keine
- Birne mehr gibt, da kann man, wenn es Abend wird, sicherlich irgendwo am
- Ende der Dorfstraße ein Licht blinken sehen; von ferne hört man lachen
- und singen, die Balalaika klimpert, oft auch vernimmt man Geigenklänge,
- lauten Schwatz und Lärmen .... Das sind die _Unterhaltungen_ unserer
- _Abende_! Sie ähneln sozusagen euren Bällen, aber doch nicht ganz. Wenn
- ihr auf einen Ball fahrt, so geschieht's doch nur, um herumzuspringen
- und in die hohle Hand zu gähnen. Bei uns dagegen, wenn da in einer Stube
- ein Haufen Mädchen mit Spinnrocken und Spindelkamm zusammenkommt, so ist
- das durchaus kein Ball. O nein! -- Zuerst sieht's aus, als ob sie
- ernstlich an die Arbeit gehen wollten. Die Spindeln surren, die Lieder
- schwirren, und keine wagt es, zur Seite zu blicken. Kaum aber kommen die
- Burschen mit dem Fiedelmann in die Stube, da beginnt ein Toben und
- Schreien, es wird getanzt, und solche Streiche geschehen da oft, daß
- man's gar nicht erzählen kann.
- Aber am schönsten ist's doch, wenn alle sich zu einem Haufen
- zusammentun, und man beginnt, Rätsel zu raten, oder ganz einfach -- zu
- schwatzen. O mein Gott! Was wird da nicht alles erzählt! Was wird da
- nicht für alter Kram ausgegraben! Was für Gruselzeug wird da nicht
- herangeschleppt! Aber nirgends ward wohl soviel Wunderliches erzählt wie
- an den Abenden beim Rotfuchs Panjko, dem Bienenzüchter. Warum mich die
- Leute den »Rotfuchs Panjko« nennen, das vermag ich, weiß Gott, nicht zu
- sagen. Auch ist ja mein Haar, sollt' ich wohl glauben, eher grau als
- rot. Aber das ist bei uns nun eben, mit Verlaub zu sagen, so Sitte:
- haben die Leute einem mal 'nen Spitznamen gegeben, so behält er ihn in
- alle Ewigkeit. Oft kamen am Vorabend hoher Feiertage allerlei brave
- Leute in die Hütte des Bienenzüchters zu Gaste, und wenn die sich erst
- an den Tisch gesetzt hatten, da gab's dann was zu hören. Das waren nicht
- etwa Leute aus den einfachen Ständen, nicht etwa Bauern aus einem
- Vorwerk; manch einem, der mehr als Bienenzüchter ist, würde ihr Besuch
- Ehre machen. Kennt ihr zum Beispiel Foma Grigorjewitsch, den Küster an
- der Kirche zu Dikanka? Das ist ein Kopf, sag' ich euch! Was konnte der
- nicht für Geschichten erzählen! Zwei davon sollt ihr in diesem Büchlein
- finden. Nie hat der einen Kittel aus Bast getragen, wie ihr ihn bei so
- vielen Küstern auf dem Lande findet; ja, kamt ihr selbst an Werkeltagen
- zu ihm, so empfing er euch immer in einer Joppe aus feinem Tuch von
- einer Farbe wie die von kaltem Kartoffelbrei, für das er in Poltawa fast
- sechs Rubel die Elle bezahlt hat. Von seinen Stiefeln wird niemand auf
- dem ganzen Weiler behaupten können, sie hätten nach Teer gerochen; jeder
- weiß, daß er sie mit dem allerfeinsten Schmalz geschmiert hat, das,
- glaub' ich, mancher Bauer sich wohl mit Freuden in den Brei getan hätte.
- Auch wird niemand zu sagen wagen, daß er sich je die Nase mit dem
- Rockschoß gewischt hat, wie es manche Leute seines Standes zu tun
- pflegen; nein, er zog ein weißes, säuberlich gefaltetes Tüchlein aus dem
- Busen, dessen Bänder mit rotem Zwirn bestickt waren, verrichtete sein
- Bedürfnis, faltete es nach seiner Gewohnheit zwölffach zusammen und barg
- es wieder im Busen. Und ein anderer Gast .... je nun, das war solch ein
- feines Herrchen, daß man ihn stracks zum Präsidenten oder Exekutor hätte
- machen können. Er pflanzte seinen Finger vor der Nase auf, und dann
- blickte er die Spitze an und erzählte so spitzfindig durch die Blume,
- akkurat wie es in den gedruckten Büchern steht! Wenn ihn unsereiner
- manchmal so hörte, da mußte man ja ganz nachdenklich werden. Kein
- Sterbenswörtchen war zu verstehen. Wo hat der bloß solche Worte
- hergenommen? Diesbezüglich hat Foma Grigorjewitsch einmal eine
- treffliche Schnurre erdacht: er erzählte ihm eine Geschichte von einem
- Schüler, der einst bei einem Küster zur Schule ging; als der wieder zu
- seinem Vater kam, da war er ein solcher Lateiner geworden, daß er sogar
- unsere rechtgläubige Sprache vergessen hatte -- alle Worte ließ er auf
- »us« endigen: statt Schaufel sagte er »Schaufelus«, statt Weib »Weibus«
- usw. Einmal ging er mit seinem Vater über Feld. Der Lateiner erblickt
- eine Harke und fragt: »Wie nennt man das bei euch, Vater?« und dabei
- sperrte er das Maul weit auf und trat der Hacke auf die Zähne. Der Vater
- hatte kaum antworten können, da flog der Griff der Harke dem Sohne mit
- einem Schwung gegen die Stirn. »Die verdammte Harke!« schrie der
- Schuljunge, fuhr sich mit der Hand an den Kopf und sprang eine Elle hoch
- in die Luft. »Der Satan soll den Mann holen, der das Harkenzeug gemacht
- hat! Sie tut so weh!« »So, bist du endlich auf den Namen gekommen, mein
- Täubchen?« -- Dieses Märchen wollte dem verblümten Erzähler nicht
- besonders gefallen. Ohne ein Wort zu sagen, stand er von seinem Platze
- auf, stellte sich breitbeinig mitten im Zimmer hin, neigte den Kopf
- etwas vor, schob die Hand in die Seitentasche seines erbsengrauen
- Rockes, holte seine runde lackierte Tabakdose hervor, schnippte mit dem
- Finger über das draufgemalte Gesicht eines ausländischen Generals, nahm
- eine ziemlich große Prise seines mit Asche und Liebstöckelblättern
- vermischten Tabaks, führte sie weit ausholend an die Nase und sog im Nu
- das ganze Häufchen ein, ohne auch nur den Daumen zu streifen, und dabei
- sprach er keine Silbe. Erst als er in die andere Tasche griff und ein
- blaukariertes Baumwollentuch hervorholte, da murmelte er etwas vor sich
- hin, wie: »_Man darf seine Perlen nicht vor die Säue werfen!_« ..... »Da
- gibt's einen Krach,« dachte ich, als ich sah, wie Foma Grigorjewitschs
- Finger sich zu einer Ohrfeige zusammenballten; zum Glück hatte meine
- Alte die gute Idee gehabt, gebackenes Weißbrot mit Butter auf den Tisch
- zu stellen. So machten sich denn alle daran; auch Foma Grigorjewitschs
- Hand griff, statt dem andern eine Nase zu drehen, danach, und alle
- begannen, wie üblich, die tüchtige Hausfrau zu loben. Dann gab's bei uns
- noch einen, der zu erzählen verstand; aber der (nie zur Nacht sei dran
- gedacht!) der erzählte so gruselige Geschichten, daß einem die Haare zu
- Berge standen. Ich habe sie absichtlich nicht hier hereingebracht: die
- guten Leute könnten gar noch solche Angst vor dem Bienenzüchter
- bekommen, wie -- Gott bewahre mich -- vor dem Teufel. Lieber will ich,
- wenn's Gott gefällt, bis Neujahr warten, und gebe dann noch ein Büchlein
- heraus. Da sollen uns meinetwegen Gestalten aus jener anderen Welt
- entsetzen, und Mirakel, die sich in alten Zeiten in unserem
- rechtgläubigen Lande zugetragen haben. Ihr werdet darunter vielleicht
- auch einige Parabeln vom Bienenzüchter selbst finden, wie er sie seinen
- Enkeln erzählt hat. Ihr braucht nur die Ohren zu spitzen. Ich hab' nur
- keine Lust herumzukramen, sonst könnte ich wohl noch zehn solche
- Büchlein zusammenbringen.
- Doch halt -- ich habe ja die Hauptsache vergessen: Wenn Ihr, lieben
- Herren, zu mir fahrt, dann schlagt die gerade Poststraße nach Dikanka
- ein. Ich hab' mit Fleiß den Ort an die erste Seite gestellt, damit Ihr
- den Weiler schneller zu erreichen wißt. Doch Ihr habt wohl schon zur
- Genüge von Dikanka gehört. Wahrlich, dort sind die Häuser stattlicher
- als die Strohbude eines bescheidenen Bienenzüchters. Ganz zu schweigen
- vom Garten: dergleichen findet ihr wohl nur noch in eurem Petersburg.
- Wenn ihr nach Dikanka kommt, so fragt bloß den ersten besten Jungen, der
- im schmierigen Hemde seine Gänse hütet: »Wo wohnt hier der Bienenzüchter
- Panjko?« -- »Da hier,« wird er sagen, und zeigt's euch mit dem Finger,
- und wenn ihr wollt, so bringt er euch sogar bis vors Haus. Doch bitte
- ich euch, legt nur nicht zu gemächlich die Hände auf den Rücken und
- springt mir nicht zu unbedacht herum, denn unsere Landstraßen sind nicht
- so glatt wie die vor euren feinen Häusern. Als Foma Grigorjewitsch vor
- zwei Jahren aus Dikanka hinausfuhr, geriet er mit seinem Wägelchen
- mitsamt dem vorgespannten Braunen in den Graben, obwohl er selbst die
- Zügel führte und sich zu seinen eignen Augen noch manchmal gekaufte
- aufsetzte.
- Wenn ihr nun aber doch zu Gaste kommt, so sollt ihr solche Melonen
- kriegen, wie ihr sie euer Lebtage noch nicht gegessen habt; und besseren
- Honig, das schwör' ich euch, werdet ihr auf keinem Vorwerk finden:
- stellt euch vor, wenn man so eine Wabe hereinbringt, da strömt euch ein
- Geruch durchs ganze Zimmer -- es läßt sich gar nicht ausdenken, was für
- ein Geruch! Klar wie eine Träne oder wie teures Kristall, das man in den
- Ohrringen trägt! Und was für Pasteten euch meine Alte vorsetzt! Was für
- Pasteten! Wenn ihr das wüßtet: Zucker, der reine Zucker! Und die Butter
- läuft einem beim Essen nur so über die Lippen. Es ist nicht zu glauben,
- was diese Weiber alles können! Habt ihr schon je Birnenmost mit
- Schlehdornbeeren gekostet, meine Herren? Oder Bier mit Rosinen und
- Pflaumen? Oder Gekröse in Milch? O Gott, was es alles für Gerichte in
- der Welt gibt! Man kann kaum genug bekommen. O, es ist ein Genuß: zum
- Fingerablecken! Im vergangenen Jahr ..... Aber was schwatz' ich da
- zusammen ..... kommt nur, kommt recht bald; ihr sollt so bewirtet
- werden, daß ihr's ganz sicher weit und breit erzählen werdet.
- _Rotfuchs Panjko_.
- Bienenzüchter.
- Der Jahrmarkt in Sorotschintzy
- I.
- Trüb wird mir in dieser Hütte,
- O so führ mich aus dem Haus!
- Führ mich hin zu Lärm und Braus,
- Dorthin, wo die Mädel springen
- Und die Burschen Gläser schwingen!
- Aus einer alten Legende.
- Wie köstlich und erquickend ist doch ein Sommertag in Kleinrußland! Wie
- schmachtend heiß sind jene Stunden, da der Mittag in Stille und Glut
- erstrahlt, der unermeßliche blaue Ozean wie eine Kuppel der Wollust über
- der Erde hängt und wie ein Schlafender, ganz versunken in Wonne, seine
- luftigen Arme um die Schöne schlingt! Keine Wolke steht am Himmel, kein
- Laut ist im Felde zu hören. Alles liegt da wie tot; nur oben in der
- Tiefe des Himmels schwirrt eine Lerche, silberne Lieder fliegen die
- luftigen Stufen herab zur verliebten Erde, und ab und zu hallt der
- Schrei einer Möve oder der gellende Ruf einer Wachtel durch die Steppe.
- Träg und allen Denkens bar, wie Lustwandelnde ohne Ziel, stehen bis zu
- den Wolken ragend die Eichen, und die blendende Glut der Sonnenstrahlen
- entzündet ganze Haufen von Laub, die malerisch daliegen, während sie
- andere in nachtschwarze Schatten hüllt, die nur bei starkem Winde wie
- Gold aufleuchten. Smaragde, Topase und Saphire ätherischer Insekten
- regnen auf die bunten Farben der Gärten herab, die von steilen
- Sonnenblumen geschirmt werden. Graue Heuschober und goldene Garben malen
- ein Kriegslager auf das Feld und wandern weit hinaus über den
- unermeßlichen Raum. Breite Zweige, die unter der Schwere der Früchte
- herabsinken, Kirschbäume, Pflaumen, Äpfel, Birnenbäume; der klare Himmel
- und sein heller Spiegel, der Fluß in grünem, stolz erhöhten Rahmen .....
- wie voll Wonne und Lust ist doch der kleinrussische Sommer!
- In solcher Pracht erglänzte einer der heißen Augusttage des Jahres
- achtzehnhundert ..... achtzehnhundert .... es werden wohl etwa dreißig
- Jahre her sein, -- da die Straße schon zehn Werst vorm Städtchen
- Sorotschintzy ganz schwarz von wimmelndem Volke war, das von allen nahen
- und fernen Vorwerken der Umgebung auf den Jahrmarkt eilte. Seit dem
- frühen Morgen zog sich eine endlose Reihe Wagen mit Salz und Fisch
- dahin. Ganze Berge von Töpfen, die in Stroh gewickelt waren, schwankten
- langsam hin und her und schienen sich höchlich zu langweilen über das
- Dunkel ihrer Verkerkerung; nur stellenweise guckte eine buntbemalte
- Schüssel oder ein tönerner Mörser prahlerisch unter dem hoch überm Wagen
- aufgespannten Schutznetz hervor und lenkte die entzückten Blicke aller
- Verehrer von Prunk und Luxus auf sich. Viele von den Vorübergehenden
- blickten neidisch auf den hochgewachsenen Töpfer, den Besitzer dieser
- Kostbarkeiten, der langsamen Schrittes hinter seiner Ware einherging,
- und seine tönernen Gecken und Koketten sorgfältig in das ihnen so
- verhaßte Stroh einwickelte.
- Ein einsamer Wagen schleppte sich abseits hinter müden Ochsen einher. Er
- war mit Säcken, Hanf, Flachs und allerhand Häuslichkeit beladen, und
- hinter ihm trollte sich der Besitzer in reinem Leinwandhemd und
- schmutzigen Hosen einher. Mit träger Hand wischte er den herabrieselnden
- Schweiß vom braunen Gesicht und dem langen Schnurrbart, der von jenem
- unerbittlichen Barbier gepudert war, der ebenso ungerufen, zum schönsten
- Mädchen wie zum Krüppel kommt und seit Tausenden von Jahren das ganze
- menschliche Geschlecht wider seinen Willen mit Puder bestreut. An der
- Seite des Mannes trottete eine an den Wagen gebundene Stute, deren
- demütiges Äußere ihr hohes Alter bezeugte. Viele Fußgänger, besonders
- die jungen Burschen, griffen an ihre Mütze, wenn sie den Bauer
- einholten. Allein es war weder sein Schnurrbart, noch sein stolzer Gang,
- was sie zu diesem Gruße veranlaßte; man brauchte nur die Augen etwas zu
- heben, um den Grund dieser Hochachtung wahrzunehmen: Oben auf dem Wagen
- saß sein hübsches Töchterlein mit rundem Gesichtchen, schwarzen
- Augenbrauen, die sich wie steil geschwungene Bögen über den hellgrauen
- Augen abzeichneten, und sorglos lächelnden rosigen Lippchen; sie hatte
- den Kopf mit roten und blauen Bändern umwunden, die zusammen mit den
- langen Zöpfen und einem Strauß aus Feldblumen wie eine prächtige Krone
- auf ihrem entzückenden Köpfchen ruhten. Alles schien sie zu locken;
- alles war ihr so seltsam neu .... Und die hübschen Äuglein sprangen
- unablässig von einem Ding zum anderen hinüber. Wie sollten sie auch
- nicht! War sie doch zum ersten Male auf dem Jahrmarkt! Ein Mädchen von
- achtzehn Jahren und das erstemal auf dem Jahrmarkt! ..... Aber keiner
- der Vorbeiziehenden und Vorüberwandernden konnte wissen, wieviel Mühe es
- sie gekostet hatte, ihren Vater zu erweichen, der es ja von Herzen gern
- getan hätte, wäre nicht die böse Stiefmutter dagewesen. Die verstand's
- nämlich, ihn ebenso geschickt zu lenken, wie er seine alte Stute, die er
- jetzt am Zügel hielt und nach langem Dienste zum Verkauf mit sich
- führte. Diese ruhelose Ehegattin ..... Aber wir haben ganz vergessen,
- daß sie ja auch da oben auf dem Wagen dasaß in einer schmucken, grünen
- Wolljacke, auf die, wie beim Hermelin, kleine Schwänzchen aufgenäht
- waren; allerdings waren es nur solche von roter Farbe. Das reiche Tuch
- sah fast so bunt aus wie ein Schachbrett, und das bunte baumwollene
- Häubchen verlieh ihrem hübschen runden Gesicht eine ganz besondere
- Würde. Aber ihre Züge hatten etwas so Unangenehmes und Wüstes an sich,
- daß jeder sich sofort beeilte, seinen erschreckten Blick dem heiteren
- Gesichtchen der Tochter zuzuwenden.
- Doch jetzt leuchtete vor den Augen unserer Reisenden bereits der
- Psjoll-Fluß auf; schon wehte aus der Ferne eine frische Kühle herüber,
- die nach der ermattenden, zehrenden Hitze um so deutlicher spürbar war.
- Durch das Dunkel und Hellgrün des Laubs schwarzer und schlanker Pappeln
- und Birken, die hie und da auf der Wiese verstreut waren, leuchteten
- feurige in schattige Kühle gehüllte Funken auf, und der Strom entblößte
- blitzend, wie ein schönes Weib, seine silberne Brust, auf die die
- dichten grünen Locken der Bäume üppig herabsanken.
- In jenen köstlichen Stunden, wo der treue und beneidenswerte Spiegel den
- stolzen und blendenden Glanz von des Flusses Stirn, seine lilienweißen
- Schultern und seinen Marmorhals, der von einer dunkel vom blonden Haupte
- fallenden Flut überschattet ist, in sich aufnimmt, wo der Strom
- verächtlich den einen Schmuck von sich streift, um ihn durch einen
- anderen zu ersetzen, und seine Launen kein Ende finden wollen, -- in
- diesen Stunden wechselt er mutwillig, wie er ist, fast jedes Jahr seine
- Umgebung, wählt sich einen neuen Weg und umgibt sich mit neuen,
- mannigfaltigen Landschaften. Die langen Reihen der Mühlen hoben die
- breiten Wellen auf ihre schweren Räder und warfen sie mächtig zurück,
- zerstäubten sie, ließen sie über die ganze Umgebung herabsprühen und
- erfüllten ringsherum alles mit Lärm. Um diese Zeit fuhr der Wagen mit
- den uns schon bekannten Passagieren über die Brücke, und nun streckte
- sich vor ihnen der Strom in seiner ganzen Pracht und Schönheit hin, wie
- eine riesige Fläche von Glas. Der Himmel, die grünen und blauen Wälder,
- die Menschen, die Wagen mit den Töpfen, die Mühlen -- alles schien
- umgestürzt, zog vorüber und stand auf dem Kopfe, ohne doch in den
- schönen, blauen Abgrund herabzufallen. Das schöne Mädchen wurde bei der
- Herrlichkeit der Aussicht ganz nachdenklich und vergaß sogar, an ihren
- Sonnenblumenkernen zu knabbern, was sie während des ganzen Weges getan
- hatte, als ihr auf einmal die Worte: »Ei was für ein Mädel!« ans Ohr
- drangen. Sie schaute sich um und sah auf der Brücke einen Haufen
- Burschen stehen, deren einer etwas feiner gekleidet war als die anderen;
- er hatte eine weiße Bluse an und eine graue Lammfellmütze auf dem Kopf,
- stützte die Hände auf die Hüften und sah sich keck die Vorüberfahrenden
- an. Die Schöne konnte ihn unmöglich nicht bemerken, ihr Blick streifte
- sein braungebranntes, doch angenehmes Gesicht und seine feurigen Augen,
- die sie gleichsam durchbohren wollten, aber sie senkte ihn wieder bei
- dem Gedanken, das Wort, das sie vernommen hatte, sei von ihm gekommen.
- »Ein prächtiges Mädel!« fuhr der Bursch in der weißen Bluse fort, ohne
- seine Augen von ihr abzuwenden. »Ich würde mein ganzes Hab und Gut darum
- geben, wenn ich sie einmal küssen könnte. Aber da vorne sitzt der
- Teufel!« Von allen Seiten erhob sich Gelächter, allein der geputzten
- Gefährtin des langsam voranschreitenden Gemahls war diese Begrüßung doch
- zu stark: ihre roten Backen wandelten sich in lauter Feuer, und eine
- Salve ausgesuchter Flüche regnete auf den Kopf des ausgelassenen Jungen
- herab:
- »Daß du erstickst, nichtsnutziger Kerl! Ein Topf möge deinem Vater den
- Schädel einschlagen! Er soll sich auf dem Eise die Beine brechen, der
- verdammte Antichrist! Möge ihm doch der Teufel in jener Welt den Bart
- verbrennen!«
- »Was die nur schimpfen kann,« sagte der Bursche die Frau anstarrend und
- gleichsam verblüfft durch dies Geknatter unerwarteter Begrüßungen: »Daß
- der hundertjährigen Hexe bei solchen Worten nicht die Zunge weh tut!«
- »Hundertjährig! ....« fiel die alte Schöne ein. »Du Heidendreck, geh,
- wasch dich mal zuerst! So ein unnützer Tunichtgut! Ich habe deine Mutter
- nie gesehen, aber das weiß ich, daß sie nichts taugt! Auch dein Vater
- ist ein Nichtsnutz, und deine Muhme ist es auch! ...... Hundertjährig!
- ..... Der ist ja noch grün hinter den Ohren ...«
- Hier begann der Wagen von der Brücke herunterzufahren, und man konnte
- die letzten Worte nicht mehr hören; aber der Bursche wollte offenbar
- noch nicht Schluß machen: ohne sich lange zu besinnen, packte er einen
- Haufen Schmutz und warf ihn hinter ihr her. Der Wurf war geschickter,
- als man erwarten konnte: das ganze neue baumwollene Häubchen wurde mit
- Dreck bespritzt, und so das Gelächter der ausgelassenen Windbeutel nur
- noch doppelt angefacht. Die wohlbeleibte Kokette entbrannte vor Zorn;
- aber der Wagen war schon ziemlich weit davongefahren, und ihre Rache
- sprang auf die unschuldige Stieftochter und den langsamen Ehemann über,
- der, schon lange an solche Vorkommnisse gewöhnt, hartnäckig Schweigen
- bewahrte und die tobenden Reden der erzürnten Gemahlin kaltblütig
- aufnahm. Trotzdem knarrte und zappelte ihre unermüdliche Zunge so lange
- im Munde herum, bis sie endlich in der Vorstadt, bei ihrem alten
- Bekannten und Gevatter, dem Kosaken Zybulja, dem »Zwiebelmann«,
- anlangten. Die Begegnung mit den Gevattersleuten, die sie lange nicht
- mehr gesehen hatten, verscheuchte für eine Zeitlang die Erinnerung an
- diese unangenehme Begebenheit aus ihrem Kopfe. Sie sprachen erst ein
- wenig über den Jahrmarkt und ruhten sich dann von der langen Reise aus.
- II.
- Ach du lieber Herrgott! Was gibt es nicht alles auf
- diesem Jahrmarkt! Räder, Glas, Teer, Tabak, Riemen,
- Zwiebel, Ware aus aller Welt ..... Und wenn man
- selbst dreißig Rubel in der Tasche hätte, man
- könnte noch lange nicht den ganzen Jahrmarkt
- aufkaufen.
- Aus einem kleinrussischen Schwank.
- Ihr habt wohl schon einmal einen Wasserfall in der Ferne sich
- herabwälzen hören? Die aufgestörte Gegend ist voller dröhnenden Getöses,
- und ein Chaos wundersamer und unbestimmter Geräusche braust im Wirbel an
- euch vorüber. Nicht wahr? Es sind dieselben Empfindungen, die euch
- plötzlich im Trubel eines ländlichen Jahrmarktes erfassen, wenn das
- ganze Volk zu einem riesigen Ungeheuer zusammenwächst und sich mit
- seinem riesigen Leibe über den Platz und durch die engen Straßen
- schiebt, schreit, johlt und tobt. Lärmen, Schimpfen, Meckern, Blöken,
- Brüllen -- alles verschmilzt zu einem verwirrenden Mißklang. Stiere,
- Säcke, Strohbündel, Zigeuner, Geschirr, Weiber, Lebkuchen, Mützen -- all
- dies Grelle, Bunte, Mißklingende wühlt und wimmelt haufenweise herum und
- schwirrt einem vor den Augen. Vielstimmige Reden verschlingen einander,
- und in dieser Sintflut läßt sich kein Wort retten und ist kein Ruf mehr
- deutlich zu vernehmen. Der Handschlag der Händler beim Kaufe ist noch
- das einzige, was man auf allen Seiten des Jahrmarktes hört. Wagen
- krachen, Eisenstangen klirren, Bretter fallen lärmend zur Erde nieder,
- und der schwindelnde Kopf weiß nicht, wohin er sich wenden soll. Unser
- zugereister Bauer mit dem schwarzbrauigen Töchterchen drückte sich schon
- lange unter dem Volk herum: bald trat er an einen Wagen heran, bald
- befühlte er den anderen und fragte nach den Preisen, unterdessen aber
- kreisten seine Gedanken unaufhörlich um die zehn Säcke Weizen und die
- alte Stute, die er zum Verkauf mitgebracht hatte. Aus dem Gesichte
- seiner Tochter konnte man ersehen, daß es ihr nicht besonders angenehm
- war, neben dem mit Mehl und Weizen beladenen Wagen herumlungern zu
- müssen. Sie hätte lieber dahin gewollt, wo unter Leinwandzelten rote
- Bänder, Ohrringe, Kreuze von Zinn und Messing und Schmuckdukaten kokett
- aufgehängt waren. Aber auch hier fand sie viel Dinge zu beobachten: es
- ergötzte sie höchlich, wie ein Zigeuner und ein Bauer einander den
- Handschlag gaben und dabei selbst vor Schmerz aufschreien mußten; wie
- ein betrunkener Jude einem Frauenzimmer von hinten Püffe versetzte; wie
- zankende Händlerinnen einander mit Schlägen und Schimpfworten
- überschütteten; wie ein Moskowiter sich mit der einen Hand sein
- Ziegenbärtchen strich und mit der anderen ...... Aber da fühlte sie, wie
- sie jemand am gestickten Ärmel zupfte. Sie wandte sich um -- und der
- Bursche im weißen Kittel und mit den hellen Augen stand vor ihr. Sie
- erbebte, ihr Herz schlug so heftig, wie es noch nie, bei keiner Freude
- und keinem Schmerz geschlagen hatte: Wunderlich und lieblich zugleich
- ward ihr zumute, und sie konnte sich selbst nicht erklären, was mit ihr
- geschah.
- »Fürchte dich nicht, Herzchen, fürcht' dich nicht!« sprach er halblaut
- zu ihr und ergriff ihre Hand: »Ich will dir nichts Schlimmes sagen!«
- »Es mag schon sein, daß du mir nichts Schlimmes sagen willst,« dachte
- die Schöne bei sich, »aber mir ist so wunderlich zumute ... das ist
- sicher der Satan! Ich weiß ja selbst, daß sich's nicht schickt ... aber
- mir fehlt die Kraft, meine Hand fortzuziehen.«
- Der Bauer drehte sich um und wollte seiner Tochter etwas sagen, aber da
- hörte er plötzlich aus nächster Nähe das Wort: »Weizen!« fallen. Dieses
- magische Wort veranlaßte ihn im Nu, sich an zwei laut miteinander
- sprechende Handelsmänner zu wenden, und seine Aufmerksamkeit konnte nun
- durch nichts mehr abgelenkt werden. Die Handelsmänner unterhielten sich
- über den Weizen und sprachen folgendermaßen.
- III.
- Schau, was für ein Kerl da steht!
- So gibt's wenige auf der Welt.
- Schnaps säuft der wie süßen Meth!
- Kotljarewski »Äneas«.
- »Du glaubst also, daß unser Weizen sich schlecht verkaufen wird,
- Landsmann,« sagte der eine Mann, nach seinem Äußeren zu urteilen ein
- zugereister Kleinbürger, in geteerten, fettigen und fleckigen
- Hanfleinwandhosen, offenbar der Bewohner irgendeines winzigen
- Städtchens, zu dem anderen, der einen blauen, stellenweise etwas
- geflickten Kittel trug, und dessen Stirn eine riesige Beule schmückte.
- »Was soll ich da groß von denken: ich will mir 'ne Schlinge um den Hals
- legen und an diesem Baum hier hin und her baumeln wie die Wurst vor
- Weihnachten in der Stube, wenn wir auch nur ein Maß verkaufen!«
- »Was schwatzst du da, Landsmann? Wir sind doch hier die einzigen
- Weizenleute,« erwiderte der Mann mit den Leinwandhosen.
- »Ihr könnt reden, was ihr wollt!« dachte der Vater unserer Schönen, der
- sich kein Wort vom Gespräch der beiden Handelsleute entgehen ließ: »Ich
- habe meine zehn Säcke im Vorrat!«
- »Das stimmt ja, aber wenn der Teufel sich ins Spiel mischt, richtet man
- gerad so viel aus, wie bei einem hungrigen Moskowiter,« sprach der Mann
- mit der Beule auf der Stirn bedeutungsvoll.
- »Was für ein _Teufel_?« fragte der Mann mit den Leinwandhosen.
- »Hast du nicht gehört, was die Leute da reden?« fuhr der mit der Beule
- auf der Stirne fort und sah ihn mit seinen mürrischen Augen von der
- Seite an.
- »Nun?«
- »Nun? Was >nun<? Der Präsident -- möge er sich doch nach der Rahmspeise
- die Lippen nicht mehr wischen können! -- Der Präsident hat einen ganz
- verdammten Ort für den Jahrmarkt ausgesucht, auf dem wird man kein
- Körnchen los, und wenn man platzt! Siehst du dort am Berge die
- verfallene Scheune?« (Hier rückte der neugierige Vater unserer Schönen
- noch näher und wurde ganz Ohr.) »In dieser Scheune treibt der Teufel
- sein Spiel, und an diesem Ort verläuft kein Jahrmarkt ohne Unglück.
- Gestern geht da spät abends der Gemeindeschreiber vorbei und plötzlich
- sieht er -- aus der Luke ein Schweinemaul herausgucken: das grunzte so,
- daß es ihn ganz kalt überlief. Bald wird uns noch der _rote Kittel_
- heimsuchen.«
- »Was für ein _roter Kittel_?«
- Hier sträubten sich unserem aufmerksamen Zuhörer die Haare. Voller Angst
- drehte er sich um und sah, wie sein Töchterchen und der Bursche ruhig
- dastanden, sich umarmt hielten, ein Liebesliedchen sangen und alle
- Kittel der Welt vergessen hatten. Das zerstreute seine Angst und gab ihm
- seine frühere Sorglosigkeit wieder.
- »Hehe! Landsmann! Du verstehst dich aber aufs Küssen! Ich habe es erst
- drei Tage nach der Hochzeit gelernt, meine selige Chwesjka zu küssen,
- und auch das nur dank dem Gevatter: der hat's mich als Brautführer
- gelehrt!«
- Der Bursche merkte sofort, daß der Vater seiner Liebsten da stand, und
- begann in Gedanken Pläne zu schmieden, wie er ihn für sich gewinnen
- könne.
- »Du bist sicher ein guter Mensch, du kennst mich zwar nicht, aber ich
- habe dich gleich erkannt!«
- »Kann schon sein.«
- »Wenn du willst, kann ich dir deinen Vor- und Zunamen nennen und dir
- auch alles andere sagen: du heißt Solopi Tscherewik!«
- »Stimmt!«
- »Sieh mich mal recht an, erkennst du mich nicht wieder?«
- »Nein. Nimm's mir nicht übel, ich erkenne dich nicht! Ich habe mein
- Lebtage so viel Fratzen gesehen, daß nur der Teufel sich auf alle
- besinnen könnte!«
- »Schade, daß du dich nicht mehr auf Golupupenkos Sohn besinnst!«
- »So bist du der Sohn des Achrim?«
- »Wer denn sonst? Bin ich etwa der kahlköpfige Satan?«
- Da faßten beide an die Mütze, und es begann ein gegenseitiges
- Abschmatzen; Golupupenkos Sohn beschloß sofort, ohne viel Zeit zu
- verlieren, seinen neuen Bekannten zu überfallen.
- »Sieh mal, Solopi, deine Tochter und ich, wir lieben uns und wollen
- immer beieinander bleiben!«
- »Nun, Paraßka,« sagte Tscherewik zu seiner Tochter und lachte,
- »vielleicht solltet ihr wirklich, wie man so sagt, gemeinsam ..... auf
- einer Weide grasen! Nun, schlag ein! Trinken wir eins darauf, mein Herr
- nagelneuer Schwiegersohn!«
- Und alle drei zogen miteinander zur wohlbekannten Jahrmarktsschenke --
- in die Bude des Judenweibes -- die mit einer zahlreichen Flotille von
- Kruken und Flaschen jeder Art und jeden Alters angefüllt war.
- »Brav, brav -- alle Achtung!« rief Tscherewik lustig, als er sah, wie
- sein künftiger Schwiegersohn sich ein Glas, das ein Viertelmaß faßte,
- vollschenkte, es, ohne eine Miene zu verziehen, auf einen Zug
- hinuntergoß und dann das Glas in Stücke schmiß. »Nun, was sagst du,
- Paraßka? Was ich dir für einen Bräutigam ausgesucht habe! Schau, schau,
- der säuft wie ein Held! ...«
- Und lachend und sich hin und her wiegend, schwankte er mit ihr bis zu
- seinem Wagen. Unser Bursche strich die Budenreihen ab, vor denen sogar
- Kaufleute aus Gadjatsch und Mirgorod, jenen beiden so berühmten Städten
- des Gouvernements Poltawa, standen; er wollte sich eine Holzpfeife mit
- Messingbeschlag, ein rotgeblümtes Tuch und eine Mütze kaufen; als
- Hochzeitsgeschenke für den Schwiegervater und die anderen, wie es sich
- nun einmal gehörte.
- IV.
- Hältst dich wohl für einen Mann,
- Aber rückt ein Weibsbild an,
- Dann setzt's Senge .......
- _Kotljarewski._
- »He, Frauchen, ich habe einen Bräutigam für unsere Tochter gefunden!«
- »'s ist wohl gerad die rechte Zeit, sich einen Bräutigam zu suchen! Du
- Dummkopf du, mußt wohl dein Leben lang ein Dummkopf bleiben! Wo hast du
- gesehen oder wo hast du gehört, daß ein anständiger Mensch jetzt hinter
- einem Bräutigam herläuft? Hättest du doch lieber daran gedacht, den
- Weizen loszuwerden. Das wird ein schöner Bräutigam sein! Sicher ist's
- der zerlumpteste aller Habenichtse!«
- »Ach was, davon ist keine Rede! Du solltest nur mal sehen, was das für
- ein Bursche ist! Sein Kittel allein kostet mehr als deine grüne Jacke
- und die roten Stiefel zusammengenommen. Und wie der großartig Schnaps
- saufen kann! ..... Der Teufel hole mich mit dir zusammen, wenn ich je
- gesehen habe, daß ein Bursche ein halbes Maß hinuntergießt, ohne mit der
- Wimper zu zucken .....«
- »Ei freilich, also ein Trunkenbold und ein Landstreicher wie du! das
- würde dir so passen! Ich möcht' darauf wetten, daß es derselbe Lümmel
- ist, der uns auf der Brücke angerempelt hat. Schade, daß ich ihn bis
- jetzt noch nicht erwischt habe -- ich hätte ihm schon was gezeigt!«
- »Und wenn's nun wirklich derselbe wäre, Chiwrja? Warum soll er denn ein
- Lümmel sein?«
- »Warum soll er _kein_ Lümmel sein? Ach du hirnloser Schädel! So hör doch
- -- warum soll er denn kein Lümmel sein! Wo hattest du denn deine
- kreuzdummen Augen versteckt, als wir an den Mühlen vorbeifuhren? So
- einem Mann kann man wahrhaftig geradeswegs vor seiner, mit Tabak
- beschmutzten Nase die eigene Frau beleidigen, und er kümmert sich nicht
- drum!«
- »Ich kann nichts Schlimmes dabei sehen: der Junge ist großartig!
- Höchstens, daß er dir die Fratze mit Mist vollgekleistert hat!«
- »Aha! Ich sehe schon, du willst mich nicht mehr zu Worte kommen lassen!
- Das wär' mir noch was Neues! Du hast wohl einen zu viel getrunken, noch
- bevor du überhaupt etwas verkauft hast!«
- Unser Tscherewik merkte jetzt selbst, daß er in seiner Rede zu weit
- gegangen war, und bedeckte schnell den Kopf mit den Händen, da er
- annehmen mußte, daß die erzürnte Gattin es nicht unterlassen würde, ihre
- ehelichen Tatzen in sein Haar zu krallen.
- »Den Teufel auch, da hast du deine Hochzeit!« dachte er bei sich,
- während er die heftig vordringende Gattin abwehrte. »Ich werde dem
- lieben Kerl ohne allen Grund eine Absage erteilen müssen. Himmel,
- Herrgott! Wofür strafst du uns arme Sünder so? Es gibt doch schon soviel
- Unrat, mußtest du auch noch die Weiber in die Welt setzen.«
- V.
- Bäumlein, Bäumlein, bück dich nicht,
- Weil du noch zu fein bist!
- Sei nicht bös, Kosakenbursch,
- Weil du noch zu klein bist!
- Kleinrussisches Lied.
- Zerstreut saß der Bursch im weißen Kittel neben seinem Wagen und blickte
- auf das rings um ihn dumpf rauschende Volk. Die müde Sonne, die Morgen
- und Mittag ruhig über den Himmel dahingeglüht hatte, verließ nun die
- Welt, und der erlöschende Tag bemalte sich in berückender Helligkeit mit
- rotem Gold. Blendend blitzten die Spitzen der weißen Zelte und Buden,
- von einem kaum merkbaren feurig rosigen Glanz überstrahlt; die Scheiben
- des zu Haufen aufgestapelten Fensterglases glühten; die grünen Flaschen
- und die Gläser auf den Tischen der Schankweiber verwandelten sich in
- Feuer; die Berge von Kürbissen und Melonen schienen aus Gold und dunklem
- Kupfer gegossen zu sein. Die Gespräche wurden merkbar leiser und
- dumpfer, und die müden Zungen der Händler, Bauern und Zigeuner regten
- sich träger und langsamer. Irgendwo glomm ein Feuerchen auf, und ein
- würziger Dampf von gekochten Klößen verbreitete sich in den immer
- stiller werdenden Gassen.
- »Was sinnst du, Grytzko?« rief ein hochgewachsener brauner Zigeuner, und
- schlug unserem Burschen auf die Schulter. »Also gibst du die Bullen für
- zwanzig her?«
- »Du denkst an nichts als an Bullen und wieder Bullen! Ihr Leute wollt
- nur immer Geschäfte machen und einen ehrlichen Menschen übers Ohr
- hauen!«
- »Pfui Teufel! Im Ernst, bei dir rappelt's wohl! Vielleicht gar aus
- Ärger, daß du dir selbst eine Braut zugelegt hast?«
- »Nein, so bin ich nicht: ich halte mein Wort. Was ich einmal getan habe,
- das bleibt ewig bestehn. Aber dieser alte Knaster, der Tscherewik, hat
- auch nicht für einen halben Heller Gewissen: erst versprochen, dann
- gebrochen .... Na, ihm kann man keine Schuld geben: der ist ein Klotz
- und nichts weiter. Das sind alles die Streiche der alten Hexe, die wir
- Jungen heut auf der Brücke so recht nach Noten ausgeschimpft haben. Ach,
- wenn ich ein König oder ein großer Herr wäre, ich wär' der erste, der
- alle die Dummköpfe an den Galgen brächte, die sich von Weibern in die
- Kandare nehmen lassen ....«
- »Gibst du uns die Bullen für zwanzig, wenn wir Tscherewik zwingen, dir
- Paraßka zu geben?«
- Ganz erstaunt blickte ihn Grytzko an. Die braunen Züge des Zigeuners
- hatten etwas Boshaftes, Grausames, Niedriges und zugleich Hochmütiges an
- sich: jeder, der ihn ansah, mußte gestehen, daß in dieser seltsamen
- Seele große Gefühle brodelten, für die es jedoch nur einen Lohn auf
- Erden gibt -- den Galgen. Den Mund, der zwischen der Nase und dem
- spitzen Kinn wie eingefallen erschien, umspielte ewig ein giftiges
- Lächeln, kleine Augen, die lebhaft wie Feuer waren, und ein ewig
- wechselndes Aufleuchten von Unternehmungen und Plänen im Gesicht, -- zu
- alledem schien nur ein ganz besonderes Kostüm zu passen und zwar gerad
- ein so sonderbares, wie er es trug. Dieser dunkelbraune Kaftan, der sich
- bei der geringsten Berührung sicherlich in Staub verwandelt hätte; das
- lang in Strähnen über die Schultern fallende Haar, die Schuhe an den
- nackten braunen Füßen, -- all das schien mit ihm verwachsen zu sein und
- seine eigentliche Natur auszumachen.
- »Nicht nur für zwanzig, ich geb' sie dir für fünfzehn, wenn du Wort
- hältst!« antwortete der Bursche, ohne seine prüfenden Augen von ihm
- abzuwenden.
- »Für fünfzehn? -- Gut! Paß auf und vergiß nicht: für fünfzehn! Hier hast
- du einen Blauen als Handgeld!«
- »Und wenn du lügst?«
- »Wenn ich lüge, ist das Handgeld wieder dein!«
- »Gut! Also schlag ein!«
- »Nun gut, 's ist recht!«
- VI.
- Welch ein Malheur: da seh ich Roman kommen, der
- bringt mir gewiß Schlimmes, aber auch Sie, Herr
- Choma, kriegen was ab!
- Aus einem kleinrussischen Schwank.
- »Hier, Afannassi Iwanowitsch! Da ist der Zaun etwas niedriger, steigt
- nur hinüber und habt keine Angst: mein Tölpel ist mit dem Gevatter zu
- den Wagen gegangen, um dort zu übernachten, damit die Moskowiter nichts
- stibitzen!«
- So ermutigte Tscherewiks gestrenge Herrin freundlich den Popensohn, der
- sich ängstlich an den Zaun quetschte. Eilig kletterte er hinauf und hing
- lange und unschlüssig dort oben, wie ein hageres schreckliches Gespenst,
- mit den Augen abmessend, wo er wohl am besten abspringen könne; endlich
- plumpste er mit viel Lärm ins Gras.
- »O jemine! Habt Ihr Euch nicht weh getan? Habt Ihr Euch nicht am Ende,
- was Gott verhüte, noch gar das Genick gebrochen?« jammerte Chiwrja
- besorgt.
- »Pst! es ist nichts passiert, meine Liebe!« sprach der Popensohn
- schmerzbewegt im Flüsterton, und sprang wieder auf die Füße: »abgesehen
- von der Blessur durch die Nesseln, dieses schlangengleiche Kraut, wie
- unser hochseliger weiser Protopope zu sagen pflegte.«
- »Kommt nur in die Stube, es ist niemand da. Ich habe schon gedacht, was
- hat bloß mein Afannassi Iwanowitsch? am Ende hat er gar das Reißen oder
- das Magendrücken, er kommt und kommt nicht! Wie geht es Euch? Ich habe
- gehört, Euer Herr Vater hat jetzt mancherlei schöne Dinge bekommen!«
- »Ach, 'ne reine Kleinigkeit, Chawronja Nikiforowna: Väterchen hat
- während der ganzen Fasten nur etwa fünfzehn Sack Korn, vier Sack Hirse
- und etwa hundert Laib Brot bekommen; was die Hühner betrifft, so waren's
- alles in allem höchstens fünfzig Stück; und die Eier waren zum größten
- Teil faul. Wahrhaftig, gute Gaben sind nur von Euch zu erwarten, meine
- Liebe!« fuhr der Popensohn fort, indem er sie süß ansah und näher
- rückte.
- »Da sind meine Gaben, Afanassi Iwanowitsch!« sprach sie, während sie die
- Schüsseln auf den Tisch stellte und geziert ihre Jacke zuknöpfte, die
- wie zufällig aufgegangen war, »da sind Zuckerfrüchte, Weizenklöße,
- Krapfen und Strizel!«
- »Ich wette darauf, daß dies hier die flinksten Hände aus Evas Geschlecht
- hergerichtet haben!« sprach der Popensohn, indem er sich an die Strizel
- machte und mit der anderen Hand die Krapfen zu sich heranzog. »Aber mein
- Herz schmachtet nach einer anderen Speise, die süßer ist, als alle
- Klößchen und Kräpfchen.«
- »Ich weiß nicht, was für eine Speise Ihr meint,« antwortete die
- wohlbeleibte Schöne, die so tat, als ob sie nicht verstände.
- »Natürlich Eure Liebe, meine unvergleichliche Chiwrja!« sagte der
- Popensohn im Flüsterton, indem er mit der einen Hand einen Krapfen
- ergriff und die andere um ihre breiten Hüften legte.
- »Weiß Gott, was Ihr Euch nur alles ausdenkt, Afanassi Iwanowitsch,«
- sagte Chiwrja, schämig die Augen senkend. »Am Ende wollt Ihr mich gar
- noch küssen!«
- »Was das anbetrifft, so will ich Euch sagen,« fuhr der Popensohn fort,
- »als ich gewissermaßen noch auf dem Seminar war -- ich erinnere mich
- noch als wär' es heute, da ....«
- Hier wurde auf dem Hof ein Bellen laut, und jemand klopfte ans Tor.
- Chiwrja lief eilig hinaus und kam ganz bleich zurück.
- »Wir sind verloren, Afanassi Iwanowitsch: ein ganzer Haufen Leute klopft
- ans Tor, und ich glaube, ich habe die Stimme des Gevatters gehört ....«
- Der Krapfen blieb dem Popensohn im Halse stecken .... Seine Augen
- quollen heraus, als ob eine Erscheinung aus jener Welt ihm soeben ihre
- Visite abgestattet hätte.
- »Kriecht hier herauf!« rief die erschrockene Chiwrja und zeigte auf die
- Bretter, die dicht unter der Stubendecke über zwei Balken angebracht
- waren, und auf denen allerlei Hausgerümpel herumlag.
- Die Gefahr verlieh unserem Helden Mut. Er kam wieder zur Besinnung,
- sprang auf die Ofenbank und kletterte von dort vorsichtig auf die
- Bretter; unterdessen lief Chiwrja ganz außer sich ans Tor, denn das
- Klopfen wiederholte sich mit immer größerer Kraft und Ungeduld.
- VII.
- Das ist ja ein Wunder, mein Herr!
- Aus einem kleinrussischen Schwank.
- Auf dem Jahrmarkt hatte sich ein sonderbares Ereignis zugetragen: alles
- war von dem Gerüchte erfüllt, daß irgendwo unter den Waren der _rote
- Kittel_ aufgetaucht sei. Die Alte, die Brezeln verkaufte, behauptete,
- den Satan in Gestalt eines Schweines gesehen zu haben, das unaufhörlich
- unter den Wagen umherschnüffelte, als ob es da irgend etwas suchte. Das
- Gerücht verbreitete sich schnell an allen Ecken und Enden des nun schon
- stillen Lagers, und jeder hätte es für ein Verbrechen gehalten, nicht
- daran zu glauben, obgleich die Brezelverkäuferin, die ihren Stand neben
- der Bude des Schankweibes aufgeschlagen hatte, den ganzen lieben Tag
- ohne jeglichen Grund Verbeugungen machte und mit den Füßen ähnliche
- Linien beschrieb wie ihre leckere Ware. Dazu kamen noch die
- übertriebenen Gerüchte von dem Mirakel, das der Gemeindeschreiber
- angeblich nachts in der verfallenen Scheune gesehen hatte, so daß sich
- alle, als es Nacht wurde, eng aneinander drängten; die Ruh war gestört,
- und die Angst ließ keinen ein Auge zutun. Die, welche ein Nachtlager in
- den Häusern haben konnten und nicht sehr wagemutig waren, zogen unter
- Dach und Fach. Zu diesen letzteren gehörten auch der Gevatter und
- Tscherewik mit seiner Tochter, die zusammen mit den Gästen, welche
- ebenfalls ins Haus drängten, das Gepolter verursacht hatten, das unsere
- Chiwrja so sehr erschreckte. Der Gevatter hatte schon etwas geladen. Das
- konnte man daraus ersehen, daß er bereits zweimal mit dem Wagen den Hof
- abgefahren hatte, bevor er sein Haus fand. Die Gäste waren ebenfalls
- alle schon sehr heiter und traten ganz ohne Umstände vor dem Wirt ins
- Haus. Die Frau unseres Tscherewik saß wie auf Nadeln, als sie in allen
- Ecken der Stube umherzuscharren begannen.
- »Nun, Frau Gevatter,« rief der eintretende Hausherr, »wirst du immer
- noch vom Fieber geschüttelt?«
- »Ja, mir ist nicht wohl!« antwortete Chiwrja, unruhig auf die Bretter
- unter der Decke blickend.
- »So, Frau, hole uns doch das Fäßchen dort vom Wagen!« sprach der
- Gevatter zu seiner Frau, die mit ihm gekommen war, »wir wollen eins mit
- den guten Leuten trinken, die verfluchten Weiber haben einem solche
- Angst eingejagt, daß es einfach eine Schande ist! Bei Gott, Brüder, wir
- sind ganz umsonst hierhergekommen!« fuhr er, aus dem Tonkrug schlürfend,
- fort. »Ich setz' eine neue Mütze zum Pfand, daß die Weiber uns zum
- besten gehalten haben. Und wenn es auch Satan wäre, -- was ist denn das,
- der Satan? Spuckt ihm auf den Kopf! Wenn er, beispielsweise jetzt im
- Augenblick hier vor mir erschiene: ich will ein Hundesohn sein, wenn ich
- ihm nicht einen Nasenstüber versetze!«
- »Warum bist du denn auf einmal so bleich geworden?« rief einer der
- Gäste, der alle anderen einen Kopf hoch überragte und sich stets als
- Held aufspielte.
- »Ich? ..... Was fällt dir ein! Du träumst wohl!«
- Die Gäste lachten. Ein zufriedenes Lächeln glitt über das Gesicht des
- prahlmutigen Helden.
- »Warum soll denn der bleich werden!« fiel da ein anderer ein: »seine
- Backen blühen ja wie Mohn; jetzt sieht Zibulja nicht mehr wie eine
- Zwiebel aus, sondern wie eine rote Rübe, oder richtiger wie der _rote
- Kittel_ selbst, der die Leute so erschreckt hat!«
- Das Fäßchen wurde auf den Tisch gerollt und machte die Gäste noch
- lustiger. Unser Tscherewik, der schon lange von dem Gedanken an den
- _roten Kittel_ gequält wurde, und dessen neugieriger Geist keinen
- Augenblick Ruhe fand, machte sich an den Gevatter heran.
- »Sag mir doch, Gevatter, sei so gut, ich frage und frage und kann's
- nicht herausbekommen, was für eine Bewandtnis es mit dem verdammten
- _Kittel_ hat!«
- »He, Gevatter! Das sollte man eigentlich nicht zur Nacht erzählen; aber
- um dir einen Gefallen zu tun und den guten Leuten da (dabei wandte er
- sich zu den Gästen), die, wie ich merke, die Geschichte genau so wie du
- kennen lernen wollen -- Meinetwegen, also hört!«
- Er kratzte sich die Schulter, wischte sich am Rockschoß ab, legte beide
- Arme auf den Tisch und begann:
- »Einst wurde -- ob er nun etwas verschuldet hatte oder nicht, das weiß
- ich bei Gott nicht -- ein Teufel aus der Hölle gejagt .....«
- »Wieso denn, Gevatter?« unterbrach ihn Tscherewik. »Wie ist das bloß
- möglich, daß ein Teufel aus der Hölle gejagt wird?«
- »Was kann man da machen, Gevatter! Man jagt ihn heraus und fertig! --
- wie ein Bauer seinen Hund aus der Stube jagt. Vielleicht hatte ihn die
- Lust überkommen, eine gute Tat zu tun: nun, da hat man ihn eben
- hinausgeworfen. Da ward dem armen Teufel so bang zumute, und er begann
- sich so nach der Hölle zu sehnen, daß er sich am liebsten aufgehängt
- hätte. Was war zu machen? Vor Kummer warf er sich aufs Saufen, er
- nistete sich in der verfallenen Scheune ein, die du dort am Berge
- gesehen hast, und an der jetzt kein guter Mensch vorübergeht, ohne
- vorher das Zeichen des heiligen Kreuzes zu machen, und der Teufel wurde
- zu so einem Säufer, wie man ihn selbst unter den Burschen kaum finden
- kann: vom frühen Morgen bis zum späten Abend saß er nur immer in der
- Schenke ......«
- Hier unterbrach der gestrenge Tscherewik wiederum unseren Erzähler:
- »Gott, was du da redest, Gevatter! Wie ist denn das möglich, daß jemand
- den Teufel in die Schenke hineinläßt? Er hat doch, Gott sei gelobt,
- Krallen an den Tatzen und Hörner auf dem Kopf.«
- »Das ist's ja eben! er hatte eine Mütze aufgesetzt und Däumlinge
- angezogen. Wie sollte man ihn da wohl erkennen? Er fing an, ein lustiges
- Leben zu führen und endlich kam es so weit, daß er alles versoffen
- hatte, was er bei sich trug. Der Schankwirt gab ihm längere Zeit Kredit,
- aber endlich hörte er damit auf. Da war der Teufel gezwungen, seinen
- roten Kittel fast für ein Drittel des Wertes bei dem Juden zu versetzen,
- der damals auf dem Jahrmarkt zu Sorotschintzy den Schnapsausschank in
- Besitz hatte. Er versetzte ihn also und sprach: »Gib acht, Jude, genau
- nach einem Jahre hole ich mir den Kittel wieder, heb ihn wohl auf!« --
- und weg war er, wie in die Erde gesunken. Der Jude sah sich den Kittel
- genau an: solches Tuch war in Mirgorod nicht zu bekommen, und die rote
- Farbe brannte wie Feuer, daß man sich an ihr gar nicht satt sehen
- konnte. Nun wurde es dem Juden aber zu viel, den Termin abzuwarten. Er
- kratzte sich die Schläfenlöckchen, und nahm einem zugereisten Pan ganze
- fünf Dukaten für den Kittel ab! denn den Termin hatte der Jude schon
- längst vergessen. Einmal, so gegen Abend, kam da ein Mensch angerückt:
- »Nun Jude, gib mir meinen Kittel!« Der Jude erkannte ihn zuerst nicht,
- aber dann tat er so, als ob er ihn nie gesehen hätte: »Was für einen
- Kittel? Ich weiß von keinem Kittel!« Jener ging seiner Wege, aber gegen
- Abend, als der Jude, der seine Bude schon geschlossen und das Geld in
- den Kästen gezählt hatte, ein Bettuch umnahm und nach Judenart zu Gott
- zu beten anfing, -- da hörte er ein Geräusch .... Sieh da -- aus allen
- Fenstern gucken Schweineschnauzen herein .....«
- Hier wurde tatsächlich ein undeutlicher Laut hörbar, der dem Grunzen
- eines Schweines sehr ähnlich war; alle erbleichten ... Der Schweiß trat
- dem Erzähler auf die Stirn.
- »Was gibt's!« fragte Tscherewik ganz erschrocken.
- »Es ist nichts!« .... antwortete der Gevatter, der am ganzen Leibe
- zitterte.
- »Ah!« rief einer der Gäste.
- »Hast du was gesagt?« ......
- »Nein!«
- »Wer hat da gegrunzt?«
- »Ach Gott, warum sind wir nur so erschrocken? Es war ja nichts!«
- Alle begannen sich scheu umzusehen und die Winkel abzusuchen. Chiwrja
- war mehr tot als lebendig. »Ach was seid ihr doch für Weiber, was seid
- ihr für Weiber!« rief sie laut aus: »Ihr wollt Kosaken und Männer sein!
- Man sollte euch ein Spinnrad in die Hände geben und an den Rocken
- setzen! Einem von euch ist wohl, mit Verlaub zu sagen, eine Sünde
- entfahren, oder die Bank hat unter jemandem geknarrt, und ihr springt in
- die Höhe, als ob ihr halb toll seid!«
- Das beschämte unsere Helden und gab ihnen neuen Mut. Der Gevatter
- schlürfte aus dem Krug und erzählte weiter: »Der Jude war fast tot vor
- Schreck; aber die Schweine krochen auf ihren Beinen, die so lang wie
- Stelzen waren, in die Fenster, machten ihn im Nu mit dem dreischwänzigen
- Kantschu wieder lebendig und ließen ihn höher springen, als dieser
- Balken da oben ist. Der Jude fiel auf die Knie und gestand alles ein.
- Aber der Kittel war nicht so schnell wieder zu finden. Der Pan war
- unterwegs von einem Zigeuner bestohlen worden, der den Kittel an eine
- Händlerin verkauft hatte. Die brachte ihn wieder auf den Jahrmarkt von
- Sorotschintzy, aber von Stund an wollte niemand etwas bei ihr kaufen.
- Die Händlerin wunderte sich lange Zeit, aber endlich kam sie der Sache
- auf den Grund. Sicher hatte der rote Kittel an allem schuld; daher
- fühlte sie auch immer, wenn sie ihn anzog, daß sie etwas drückte. Ohne
- lange zu überlegen, warf sie ihn ins Feuer -- aber der Teufelsrock
- wollte nicht brennen! .... »Ah so, das ist also ein Teufelsgeschenk!«
- Die Händlerin war so klug, ihn einem Bauern unter den Wagen zu schieben,
- der Butter zum Verkauf brachte. Der Dummkopf war hocherfreut, aber
- niemand fragte mehr nach seiner Butter. »O weh, da haben mir böse Hände
- den Kittel da unter den Wagen gesteckt!« Er ergriff eine Axt und hackte
- ihn in Stücke; aber sieh da, ein Stück kriecht zum andern, und wieder
- ist's ein ganzer Kittel! Er bekreuzigte sich, schlug noch mal darauf,
- streute die Stücke auseinander und machte sich davon. Und seit jener
- Stunde geht jedes Jahr, pünktlich zur Jahrmarktszeit, der Teufel in
- Gestalt eines Schweines auf dem Platze um, grunzt und sucht die Stücke
- seines Kittels zusammen. Jetzt soll ihm nur noch der linke Ärmel fehlen.
- Die Leute hüten sich seitdem vor jenem Orte, und bald werden es zehn
- Jahre sein, daß dort kein Jahrmarkt mehr gewesen ist. Da muß nun der
- Böse den Präsidenten reiten, daß er gerade _hier_ den Jahr......«
- Die andere Hälfte des Wortes erstarb dem Erzähler auf den Lippen:
- krachend sprang das Fenster auf; klirrend flogen die Scheiben herum, und
- eine schreckliche Schweinsfratze erschien in der Öffnung, die Augen
- rollend, als ob sie fragen wollte: »Was treibt ihr hier, ihr lieben
- Leute?«
- VIII.
- Dem Hunde gleich, dem man den Schwanz geklemmt,
- So steht dies Jammerbild, wie Kain zitternd,
- Und aus der Nase tropft Tabak aufs Hemd.
- Kotljarewski: »Äneas«.
- Entsetzen packte alle in der Stube. Der Gevatter saß offenen Mundes da
- und schien zu Stein erstarrt; seine Augen krochen hervor, als ob sie
- schießen wollten, und die Finger blieben regungslos in der Luft
- gespreizt. Der lange Kerl, der so mutig getan hatte, sprang in
- unverkennbarer Angst bis zur Decke und stieß mit dem Kopf gegen den
- Balken; die Bretter klafften auseinander, und der Popensohn flog Knall
- und Fall zu Boden.
- »Au! au! au!« schrie der eine verzweifelt, fiel entsetzt auf eine Bank
- und zappelte mit Armen und Beinen.
- »Hilfe!« brüllte ein anderer und zog sich schnell seinen Pelz über die
- Augen.
- Der Gevatter, den dieser zweite Schreck aus seiner Erstarrung geweckt
- hatte, kroch, an allen Gliedern zitternd, seiner Ehefrau unter den Rock.
- Der lange Maulheld kroch, trotz der kleinen Öffnung, in den Ofen und
- schlug selbst die Klappe zu. Tscherewik stülpte sich, wie von brühheißem
- Wasser begossen, statt der Mütze einen Topf über den Kopf, stürzte zur
- Tür hinaus und rannte besinnungslos, ohne auf den Weg zu achten, wie ein
- Wahnsinniger durch die Straßen; erst die Ermüdung zwang ihn, seinen
- schnellen Lauf zu hemmen. Sein Herz ratterte wie eine Mühlenstampfe, und
- die Schweißtropfen rollten an ihm herunter wie die Hagelkörner. Ganz
- erschöpft wäre er fast zu Boden gesunken, als er auf einmal hörte, wie
- jemand hinter ihm herjagte .... Sein Atem stockte ....
- »Der Teufel! der Teufel!« schrie er ganz außer sich, seine Kräfte
- verdreifachend, und einen Augenblick später stürzte er besinnungslos zu
- Boden.
- »Der Teufel! der Teufel!« schrie es hinter ihm her: er hörte nur noch,
- wie etwas lärmend auf ihn herabstürzte; aber da verließ ihn die
- Besinnung, und er blieb wie der grausige Bewohner eines engen Sarges
- stumm und reglos mitten auf dem Wege liegen.
- IX.
- Vorne geht die Sache noch halbwegs,
- Aber hinten ist's der ganze Teufel!
- Aus einem Volksmärchen.
- »Hörst du, Wlas!« sprach einer von den Leuten, die im Freien geschlafen
- hatten, nachts aus dem Schlafe auffahrend. »Jemand in der Nähe hat hier
- >Teufel< geschrien.«
- »Was geht mich das an?« brummte der neben ihm liegende Zigeuner, sich
- räkelnd. »Mag er doch nach der ganzen Sippe schreien!«
- »Aber er hat doch so geschrien, als ob man ihn abwürgte!«
- »Was schreit ein Mensch nicht alles im Schlaf!«
- »Na, wie du meinst. Ich geh' nachsehen. Mach mal Feuer!«
- Der andere Zigeuner stand brummend auf, ließ ein paar Funken wie Blitze
- vor sich aufstieben, blies den Zunder mit dem Munde an und ging mit
- seinem Lämpchen in der Hand -- einer der üblichen kleinrussischen
- Lampen, die aus einem zerbrochenen Scherben, der mit Hammelfett gefüllt
- ist, bestehen -- die Straße hinunter.
- »Halt, hier liegt jemand! Komm her und leuchte mir!«
- Noch einige Menschen schlossen sich ihm an.
- »Was liegt da, Wlas?«
- »Es sieht ganz nach zwei Menschen aus: der eine liegt oben, der andere
- unten; wer von ihnen der Teufel ist, weiß ich nicht!«
- »Wer liegt oben?«
- »Ein Frauenzimmer!«
- »Dann ist _das_ der Teufel!«
- Ein allgemeines Gelächter weckte fast die ganze Straße.
- »Ein Frauenzimmer ist auf einen Kerl raufgekrochen, na, die versteht das
- Kutschieren!« sprach einer aus der herumstehenden Menge.
- »Seht doch bloß, Brüder!« sprach ein anderer und hob einen Scherben des
- Topfes auf, von dem nur noch die eine Hälfte auf dem Kopfe Tscherewiks
- ganz geblieben war. »Was der gute Mann sich für eine Mütze aufgesetzt
- hat!«
- Der Lärm und das Gelächter, die immer mehr anschwollen, riefen unsere
- beiden Toten wieder ins Leben zurück, Tscherewik und seine Frau, die
- voll Entsetzen über den überstandenen Schreck, mit starrem Blick in die
- braunen Gesichter der Zigeuner schauten. Beim unsicheren Flackern des
- Lichts erschienen sie wie ein Haufen Gnomen, umhüllt von einem
- unterirdisch schweren Qualm in der Finsternis einer tiefen Nacht.
- X.
- Packe dich, Satansbrut!
- Aus einem kleinrussischen Schwank.
- Die Frische des Morgens wehte über der erwachten Stadt. Aus allen
- Schloten stiegen Rauchsäulen der Sonne entgegen. Auf dem Jahrmarkt wurde
- es wieder lebendig. Schafe blökten, Pferde wieherten, das Schnattern der
- Gänse und der Händlerinnen erfüllte wieder das ganze Lager -- und die
- schrecklichen Gerüchte vom _roten Kittel_, die in der geheimnisvollen
- Stimmung der Dämmerstunde die Menschen in eine solche Angst versetzt
- hatten, waren mit dem Heraufkommen des Morgens verschwunden.
- Gähnend und sich räkelnd schlummerte Tscherewik in der strohgedeckten
- Scheune seines Gevatters unter Ochsen, Mehlsäcken und Weizen weiter und
- schien gar keine Lust zu haben, sich von seinen Träumen zu trennen, als
- er auf einmal eine Stimme vernahm, die ihm ebenso vertraut vorkam, wie
- der gesegnete Ofen seiner Stube oder die Kneipe einer entfernten
- Verwandten, die keine zehn Schritt von der Schwelle seines Hauses
- entfernt war, diese Zufluchtsstätten seiner großen Faulheit.
- »Steh auf! Steh auf!« knurrte die zärtliche Gattin, die ihn aus aller
- Kraft am Arm zerrte, über seinem Ohre.
- Statt jeder Antwort blies Tscherewik die Backen auf und begann mit den
- Armen zu fuchteln wie ein Trommelschläger.
- »Du verrückter Kerl!« schrie sie und prallte vor dem Schwung seiner
- Hand, die ihr beinahe ins Gesicht gefahren wäre, zurück.
- Tscherewik erhob sich, rieb sich die Augen und sah sich um.
- »Hol' mich der Henker! Aber deine Fratze kam mir wie eine Trommel vor,
- auf der ich den Zapfenstreich schlagen mußte, mein Täubchen. Akkurat wie
- die Moskowiter! diese Schweinsfratzen, von denen der Gevatter sagt ....«
- »Laß das Tratschen! Geh, führ die Stute auf den Markt. Es ist einfach
- zum Lachen. Wir sind auf den Jahrmarkt gekommen, und bisher ist noch
- keine Handvoll Hanf verkauft ....«
- »Ja, Frauchen,« sagte Tscherewik, »jetzt wird man schön über uns
- lachen!«
- »Geh, geh! Man lacht ohnehin über dich!«
- »Du siehst ja, ich habe mich noch nicht gewaschen!« fuhr Tscherewik
- gähnend und sich den Rücken kratzend fort, um Zeit für seine Faulheit zu
- gewinnen.
- »Du hast dir ja eine recht passende Zeit für deine Reinlichkeit gewählt!
- Wann war sowas bei dir Sitte? Da ist ein Handtuch für dich, wisch dir
- deine Fresse ab.«
- Sie ergriff etwas, das zu einem Knäuel geballt dalag, und -- schleuderte
- es entsetzt von sich: es war der Ärmelaufschlag eines _roten Kittels_.
- »Geh schon, geh an deine Sachen!« wiederholte sie, bereits wieder
- ermutigt, als sie sah, daß ihm vor Angst die Beine gelähmt waren und die
- Zähne klapperten.
- »Das wird ja jetzt ein schönes Geschäft werden!« brummte er bei sich,
- während er die Stute losband und sie auf den Platz führte. »Nicht ohne
- Grund also lag mir's, als ich zu diesem verfluchten Jahrmarkt fuhr, so
- schwer auf der Seele, als hatte mir jemand eine krepierte Kuh
- aufgeladen; und die Ochsen sind ja auch zweimal von selbst mitten auf
- dem Wege umgekehrt. Und da fällt mir ein, wir sind ja auch am Montag
- abgereist. Da haben wir die Bescherung! .... Ein schöner Störenfried ist
- mir dieser verdammte Teufel: Kann er nicht seinen Kittel ohne den einen
- Ärmel tragen! Aber nein, er gönnt den Leuten ihre liebe Ruhe nicht. Wenn
- ich beispielsweise, was Gott bewahre, der Teufel wäre, -- hätte ich mich
- da um solch einen verfluchten Fetzen herumgetrollt?«
- Hier wurde unser Tscherewik durch eine fette und schrille Stimme in
- seinem Philosophieren unterbrochen. Vor ihm stand ein großer Zigeuner.
- »Was hast du zu verkaufen, guter Mann?«
- Der Händler blieb eine Weile stumm, sah ihn vom Kopf bis zu den Füßen an
- und sagte dann mit ruhiger Miene, ohne stehen zu bleiben oder die Zügel
- aus der Hand zu lassen: »Du siehst ja selbst, was ich zu verkaufen
- habe!«
- »Riemen?« fragte der Zigeuner und blickte auf die Zügel in Tscherewiks
- Hand.
- »Jawohl, Riemen -- wenn eine Stute 'nem Riemen ähnelt!«
- »Potztausend, Landsmann! Du hast sie wohl mit Stroh gefüttert!«
- »Mit Stroh?«
- Tscherewik wollte eben die Zügel anziehen, um seine Stute vorzuführen,
- und den schamlosen Beleidiger Lügen zu strafen; aber seine Hand fuhr ihm
- mit ungewöhnlicher Leichtigkeit ans Kinn. Was sah er! -- Die Zügel waren
- durchgeschnitten, und daran gebunden sah man -- oh Entsetzen! Seine
- Haare standen ihm zu Berge! -- den Ärmelfetzen eines _roten Kittels_!
- .... Ausspuckend, sich bekreuzigend, und mit den Armen fuchtelnd floh er
- von dannen vor diesem unerwarteten Geschenk, und verschwand flinker als
- irgendein junger Bursch in der Menge.
- XI.
- Wes das Korn, des die Prügel.
- Sprichwort.
- »Haltet ihn! Haltet ihn!« so schrien einige Burschen am schmalen Ende
- der Straße, und Tscherewik fühlte, wie er plötzlich von festen Händen
- gepackt wurde.
- »Bindet den Kerl! 's ist derselbe, der dem guten Mann die Stute
- gestohlen hat!«
- »Gott mit euch, warum wollt ihr mich denn binden?«
- »Er fragt noch! Und warum hast du dem fremden Bauern, dem Tscherewik,
- seine Stute gestohlen?«
- »Seid ihr bei Sinnen, Leute? Wo hat man denn je gesehen, daß einer sich
- selbst etwas stiehlt?«
- »Alte Possen, alte Possen! Warum bist du denn so atemlos davongelaufen,
- als wenn der Satan selbst dir auf den Fersen wäre?«
- »Soll man denn nicht laufen, wenn einem der Teufelsrock .....«
- »He, Bester, das lüg' du anderen vor. Du wirst noch was Schönes vom
- Präsidenten erleben, weil du die Leute mit Teufelsgeschichten
- erschreckst!«
- »Haltet ihn, haltet ihn!« ertönte da ein Ruf am anderen Ende der Straße,
- »da ist der Ausreißer!«
- Und vor unserem Tscherewik erschien der Gevatter im allerjämmerlichsten
- Aufzuge, er hielt die Arme auf dem Rücken und wurde von einigen Burschen
- vorwärts gestoßen.
- »Wunder über Wunder,« rief einer von ihnen.
- »Ihr solltet nur hören, was dieser Halunke erzählt. Man braucht ihm doch
- nur ins Gesicht zu schauen, und man sieht ihm den Dieb an! Als man ihn
- fragte, warum er so wahnsinnig davonrannte, da sagte er: >Ich steckte
- die Hand in die Tasche, um eine Prise zu nehmen, aber statt der
- Tabaksdose zog ich ein Stück von dem teuflischen _Kittel_ heraus, und
- eine rote Flamme sprang auf.< -- Darum sei er davongerannt!«
- »He he! Es sind also beides Vögel aus demselben Nest! Bindet sie alle
- beide!«
- XII.
- »Was hab' ich denn getan, ihr lieben Leute?
- Was glotzt ihr mich so an?« sprach unser Bursche,
- »Was spottet ihr und höhnt ihr denn mich Armen?
- Warum, warum?« so ruft er aus und flennt,
- Daß ihm die Träne auf der Backe brennt.
- Artemowski-Gulak: »Der Herr und der Hund«.
- »Gevatter, vielleicht hast du in der Tat etwas stibitzt?« fragte
- Tscherewik, der zusammen mit seinem Gevatter gebunden in einer
- Strohhütte lag.
- »Also auch du, Gevatter! Hände und Füße sollen mir verdorren, wenn ich
- je etwas gestohlen habe, höchstens Krapfen mit Rahm bei meiner Mutter,
- aber auch das nur, als ich erst zehn Jahr alt war.«
- »Wofür werden wir denn so gestraft, Gevatter? Bei dir ist's ja noch
- nicht schlimm: du wirst doch wenigstens nur beschuldigt, einen anderen
- bestohlen zu haben; aber mich Unglücksmenschen verleumdet der Satan: ich
- soll mir selbst 'ne Stute gestohlen haben. Es ist uns wohl nicht
- beschieden, auch mal ein bißchen Glück zu haben, Gevatter!«
- »O weh uns armen Waisen!«
- Und die beiden Gevatter fingen heftig an zu schluchzen.
- »Was hast du, Tscherewik?« fragte da Grytzko, der in diesem Augenblicke
- eintrat. »Wer hat dich gebunden?«
- »Ach, Golupupenko, Golupupenko!« schrie Tscherewik freudig. »Gevatter,
- das ist der, von dem ich dir erzählt habe. O, das ist ein tüchtiger
- Kerl! Gott soll mich hier auf der Stelle töten, wenn er nicht einen Krug
- ausgelutscht hat, so groß wie dein Kopf; und dabei verzog er keine
- Miene!«
- »Nun, Gevatter, und warum hast du einen solchen Prachtkerl abgewiesen?«
- »Sieh,« fuhr Tscherewik zu Grytzko gewandt fort: »Gott straft mich wohl,
- weil ich mich gegen dich versündigt habe. Vergib mir, lieber Junge! Bei
- Gott, ich hätte ja alles für dich getan .... Aber was soll man da
- machen! Der Satan sitzt in meiner Alten!«
- »Ich trage nie jemandem Böses nach! Wenn du willst, so befreie ich
- dich!«
- Er winkte den Burschen, und dieselben jungen Leute, die Tscherewik
- bewacht hatten, eilten herbei, ihn zu entfesseln.
- »Nun aber wird Hochzeit gemacht, wie's sich gehört! Und wir wollen
- tanzen, daß uns vom Hopsen die Beine ein ganzes Jahr lang weh tun!«
- »_Recht so!_« rief Tscherewik und klatschte in die Hände. »Nun bin ich
- wieder so vergnügt, als ob meine Alte von den Moskowitern geholt worden
- wäre! Was ist da viel zu bedenken! Ob's nun recht ist oder nicht --
- heute ist Hochzeit und damit Schluß!«
- »Nur sieh zu, Tscherewik, in einer Stunde komm' ich zu dir, und jetzt
- geh nach Hause, dort warten Käufer auf dich, die deine Stute und den
- Weizen haben wollen.«
- »Wie? Hat sich die Stute gefunden?«
- »Ja, sie hat sich gefunden!«
- Tscherewik blickte dem Grytzko starr vor Freude nach.
- »Na, Grytzko, haben wir unsere Sache gut gemacht?« fragte der lange
- Zigeuner den vorübereilenden Burschen. »Jetzt kriege ich doch die
- Bullen?«
- »Ja, ja, du sollst sie haben!«
- XIII.
- Fürcht dich nicht, lieb Mütterchen,
- Zieh die roten Schühchen an.
- Tritt mit Füßen
- Deine Feinde.
- Wenn die Schuh'
- Von Eisen klirren,
- werden alle Feinde schweigen.
- Hochzeitslied.
- Das liebliche Kinn auf die Hand gestützt saß Paraßka sinnend allein im
- Zimmer. Mancherlei Träume umschwirrten ihr blondes Köpfchen. Manchmal
- berührte plötzlich ein leichtes Lächeln ihre rosigen Lippen, und ein
- freudiges Gefühl ließ sie die dunklen Brauen emporheben, bald aber
- senkte sich wieder ein Sinnen wie eine Wolke auf ihre grauen klaren
- Augen.
- »Wie wenn es nun doch nicht so käme, wie er gesagt hat!« flüsterte sie
- mit einem Ausdruck des Zweifels. »Wenn er mich nun aber doch nicht
- bekommt? Wenn .... Nein, nein! Das kann nicht sein! Die Stiefmutter tut
- alles, was sie will! Kann ich nicht auch tun, was _ich_ will? Mein Trotz
- ist groß genug! Wie schön ist er doch! Wie wunderbar glühen seine
- schwarzen Augen! Wie lieb kann er sagen: >_Paraßja, mein Täubchen!_< --
- Wie gut steht ihm der weiße Kittel! Wenn er noch dazu einen hellen
- Gürtel .... Ja ich will ihm einen machen, wenn wir zusammen in die neue
- Wohnung ziehen. O wie ich mich darauf freue!« fuhr sie fort, indem sie
- ein kleines, mit rotem Papier beklebtes Spiegelchen aus dem Busen zog,
- das sie auf dem Jahrmarkt gekauft hatte, und in das sie mit geheimem
- Vergnügen hineinschaute. »Wenn ich ihr später begegne, so grüße ich sie
- nicht, und wenn sie platzt! Nein, Stiefmütterchen, du hast deine
- Stieftochter genug geprügelt! Eher wächst Sand auf Steinen, und neigt
- sich die Eiche wie eine Weide zum Wasser herab, als daß ich mich vor
- _dir_ neige! Aber ich habe ja ganz vergessen .... ich will doch das
- Häubchen umbinden; ob es mir wohl gut steht; wenn's auch der Stiefmutter
- gehört.«
- Sie stand auf, den Spiegel in der Hand und den Kopf über ihn geneigt,
- und ging behutsam durch die Stube, als fürchtete sie sich hinzufallen;
- denn statt des Fußbodens sah sie die Decke mit den Brettern, von denen
- neulich der Popensohn heruntergefallen war, und die Wandborde mit den
- Töpfen drauf vor sich.
- »Ich bin doch wirklich wie ein Kind!« rief sie lachend aus, »ich hab
- Angst, einen Fuß vor den andern zu setzen!«
- Und sie begann laut mit den Füßen aufzustampfen, immer mutiger und
- mutiger. Endlich sank ihre linke Hand herab und stemmte sich auf die
- Hüfte, und sie tanzte, mit den Sporen der Stiefelchen klirrend, drauf
- los, hielt sich den Spiegel vor und sang ihr Lieblingsliedchen:
- Grüne Gräser, grüne Auen,
- Wachset nicht zu sehr!
- Liebster mit den schwarzen Brauen,
- Schmieg dich zu mir her!
- Grüne Gräser, grüne Auen,
- Wachset nimmermehr!
- Liebster mit den schwarzen Brauen,
- Schmieg dich näher her!
- In diesem Augenblicke blickte Tscherewik durch die Türöffnung, und als
- er seine Tochter vor dem Spiegel tanzen sah, blieb er stehen. Lange sah
- er ihr zu, über die seltsame Laune des Mädchens lachend, das ganz in
- Gedanken versunken, nichts um sich herum zu bemerken schien; als er aber
- die bekannten Laute des Liedes hörte, da wurde es ihm heiß ums Herz;
- stolz die Hände auf die Hüften gestemmt, sprang er vor und begann so zu
- hopsen, daß er all seine andern Geschäfte vergaß. Das laute Lachen des
- Gevatters ließ beide auffahren.
- »Großartig! Vater und Tochter feiern hier selber Hochzeit! Kommt! kommt!
- der Bräutigam ist da!«
- Bei den letzten Worten glühte Paraßka in einem Rot auf, das tiefer war
- als das, welches das leuchtende Band auf ihrem Kopfe färbte. Dem
- sorglosen Vater fiel es erst jetzt ein, warum er eigentlich hierher
- gekommen war.
- »Töchterchen, komm schnell! Chiwrja ist vor Freude, daß ich die Stute
- verkauft habe, fortgelaufen, um sich feine Tücher und allerhand
- Schmucksachen zu kaufen!« sprach er und sah sich dabei ängstlich nach
- allen Seiten um. »Bis zu ihrer Rückkehr wollen wir alles erledigt
- haben!«
- Kaum hatte Paraßka die Schwelle des Hauses überschritten, da fühlte sie
- sich schon in den Armen des Burschen im weißen Kittel, der sie inmitten
- einer Menge von Leuten auf der Straße erwartete.
- »Gott segne euch!« sagte Tscherewik, ihre Hände vereinend. »In Glück und
- Glanz haltet fest wie ein Kranz!«
- Da gab's plötzlich einen Lärm.
- »Eher will ich zerspringen, als daß ich das zulasse!« schrie Tscherewiks
- Ehehälfte, die von der lachenden Menge zurückgedrängt wurde.
- »Wüt nicht so, wüte doch nicht!« sprach Tscherewik kaltblütig, als er
- sah, wie ein paar handfeste Zigeuner sich ihrer Arme bemächtigten.
- »Geschehen ist geschehen! Ich bin nicht für Änderungen!«
- »Nein, nein, das darf nicht sein!« schrie Chiwrja, aber niemand hörte
- auf sie; ein paar lustige Leute umringten das junge Paar und bildeten
- eine undurchdringliche, tanzende Mauer um sie.
- Ein sonderbares unsagbares Gefühl mußte einen Zuschauer ergreifen, der
- mit ansah, wie beim ersten Bogenstrich des Fiedelmanns in dem groben
- Rock, mit dem langgeschweiften Schnurrbart, alles unwillkürlich ein
- einiges Ganzes bildete und zu friedlicher Eintracht überging. Leute,
- deren mürrische Gesichter offenbar ihr Lebtag niemals ein Lächeln
- erhellt hatte, stampften mit den Füßen und warfen die Schultern empor.
- Alles wirbelte im Tanze durcheinander. Aber ein noch sonderbareres, noch
- unsagbareres Gefühl mußte in der Tiefe der Seele beim Anblick jener
- Greisinnen erwachen, über deren uralten Gesichtern schon die
- Gleichgültigkeit des Grabes wehte -- und die sich unter die neuen
- Menschen drängten, die dem Leben angehörten und dem Lachen. Die
- Sorglosen! Selbst sie, die keine kindliche Freude und keinen Funken des
- Mitgefühls kannten, die erst der Rausch, wie ein Mechaniker seine
- leblosen Automaten, zu einer menschlichen Äußerung zwingt, -- selbst
- _sie_ nickten leise mit den berauschten Köpfen und hüpften ein wenig
- hinter der lustigen Menge her, ohne auf das junge Paar zu achten.
- Das Lärmen, Lachen, Singen verklang zu einem leisen und immer leiseren
- Summen. Die Fiedel erstarb, ertönte schwächer und schwächer und ließ nur
- noch ein paar undeutliche Töne durch die leere Luft zittern. Noch hörte
- man hie und da ein Stampfen, gleich dem Tosen des fernen Meeres, aber
- bald lag alles wieder öde und stumm da.
- Fliegt uns nicht so auch die Freude davon, die schöne und flatterhafte
- Freundin? Vergeblich sucht ein einsamer Klang, von Lust und Seligkeit zu
- singen. Im eignen Echo schon vernimmt er die Laute der Trauer und
- Einsamkeit, und er lauscht ihnen voller Schrecken. Stieben nicht so auch
- die ausgelassenen Freunde der freien stürmischen Jugend einer nach dem
- andern in alle Winde und lassen ihren alten Herzensbruder allein? Bang
- wird dem Verlassenen! Voller Schwermut und Traurigkeit ist sein Herz,
- doch für ihn gibt es keine Hilfe!
- Die Johannisnacht
- Eine Sage
- Erzählt vom Küster an der --Kirche zu ***
- Foma Grigorjewitsch hatte eine merkwürdige Eigentümlichkeit: Er konnte
- es auf den Tod nicht leiden, ein und dieselbe Geschichte mehrmals
- erzählen zu müssen. Gab er aber schon einmal den Bitten nach und
- erzählte etwas zum zweiten Male, dann fügte er entweder hier eine neue
- Wendung hinzu, oder änderte dort etwas, so daß man die Geschichte kaum
- wiedererkennen konnte. Einmal hatte einer jener Herren -- wir einfachen
- Leute wissen nicht recht, wie wir sie nennen sollen: Schreiber oder
- dergleichen, so was ähnliches wie die Makler auf unseren Jahrmärkten;
- sie kramen, betteln und stehlen sich allerhand Zeug zusammen und senden
- dann jeden Monat oder gar jede Woche ein Büchelchen so dick wie eine
- Fibel in die Welt hinaus, -- einmal also hatte einer jener Herren
- unserem Foma Grigorjewitsch die folgende Geschichte hier abgeluchst, und
- der hatte das ganz vergessen. Aber eines Tages kommt dasselbe Herrchen
- im erbsengrauen Kaftan aus Poltawa, von dem ich schon einmal sprach, und
- von dem ihr wohl die eine Geschichte schon gelesen habt, -- er kommt
- also, bringt ein kleines Büchelchen mit, schlägt's in der Mitte auf und
- zeigt uns die Sache. Foma Grigorjewitsch war schon im Begriff, seine
- Nase mit der Brille zu besatteln, aber da fiel ihm ein, daß er vergessen
- hatte, ein Stück Faden um sie zu wickeln und Wachs drauf zu kleben, und
- so gab er denn mir das Buch. Ich verstehe mich nun mal leidlich aufs
- Lesen und brauche keine Brille, und so begann ich denn. Aber ich hatte
- noch keine zwei Seiten umgewendet, als er mich fest bei der Hand nahm
- und unterbrach.
- »Halt, sagt mir zuerst, was Ihr da lest?«
- Ich muß gestehen, diese Frage verblüffte mich ein wenig.
- »Wie, Foma Grigorjewitsch? Was ich da lese? Das ist doch Eure
- Geschichte, es sind Eure eigenen Worte!«
- »Wer hat Euch das erzählt, daß das meine Worte sind?«
- »Was wollt Ihr denn noch mehr? Da steht's doch gedruckt. Erzählt von dem
- Küster Soundso.«
- »Spuckt dem Jungen auf den Kopf, der das darauf gedruckt hat! Er lügt,
- der Saukerl! Das soll ich gesagt haben? Das ist ja fast so, als hätte
- der Satan einen Sparren! Hört zu, die muß ich Euch selbst erzählen!«
- Wir rückten am Tische zusammen, und er begann.
- * * * * *
- Mein Großvater (Gott hab' ihn selig! Möge er in jener Welt nur
- Weizenbrot und Mohnkuchen mit Meth zu essen bekommen!) mein Großvater
- verstand es wunderbar zu erzählen. Wenn der erst einmal damit anfing, so
- mochte man sich am liebsten den ganzen lieben Tag nicht vom Platze
- rühren und nur immer zuhören. Und er redete nicht etwa wie einer von den
- heutigen Faselhänsen; wenn so einer anfängt, sein Garn herunter zu
- spinnen, und dabei noch mit einem Maul, als hätte er drei Tage lang
- nichts zu essen gekriegt, dann möchte man am liebsten nach der Mütze
- greifen und davonlaufen. Ich erinnere mich noch, wie wenn es heute wäre,
- -- meine Mutter selig war noch am Leben, -- an die langen Winterabende,
- wenn draußen heftiges Frostwetter herrschte und das schmale Fensterchen
- unserer Stube dicht mit Schnee verklebte, wie sie da am Spinnrocken saß,
- mit der Hand den langen Faden zog, mit dem Fuß die Wiege schaukelte und
- ein Lied dazu sang, das ich jetzt noch im Ohr habe. Das Lämpchen
- beleuchtete zitternd und wie im Schreck aufflackernd die Stube. Die
- Spindel surrte; und wir Kinder hörten alle, zu einem Haufen
- zusammengedrängt, dem Großvater zu, der vor Alter schon über fünf Jahre
- nicht mehr hinterm Ofen hervorgekrochen war. Aber keiner der wundersamen
- Berichte aus den alten Tagen von den Ritten der Saporoger, von den
- Polen, von den kühnen Taten des Podkowa, des Poltora-Koschucha oder des
- Sagajdatschny ergriffen uns so stark wie die Berichte über eine alte,
- sonderbare Begebenheit, bei der einem ein Schauer über den Leib lief und
- das Haar sich sträubte. Manchmal kam eine solche Angst über einen, daß
- man abends Gott weiß was für Ungeheuer zu sehen meinte. Hattest du mal
- nachts die Stube verlassen, um etwas zu besorgen, so glaubtest du
- sicher, es habe sich ein Fremdling aus jener Welt in dein Bett gelegt,
- um zu schlafen. Ich will auf der Stelle sterben, wenn ich nicht oft
- meinen eignen Kittel am Kopfende des Bettes für einen zusammengekauerten
- Teufel hielt. Aber die Hauptsache an den Erzählungen des Großvaters war,
- daß er sein Lebtag nie gelogen hat, und wie er's sagte, genau so war es
- auch.
- Eine von seinen sonderbaren Geschichten will ich euch jetzt erzählen.
- Ich weiß wohl, es werden sich schon etliche Klüglinge finden, die
- Gerichtsschreiber sind oder gar neumodische Schriften lesen, -- welche
- zwar keinen Deut verstehen, wenn man ihnen ein Stundenbuch in die Hand
- drückt, -- aber dafür um so besser die Zähne zu fletschen wissen. Was
- man denen auch erzählen mag, sie lachen ja doch. Was hat sich doch jetzt
- für ein Unglaube in der Welt verbreitet! Gott und die unbefleckte
- Jungfrau mögen mir beistehen -- ihr werdet's vielleicht nicht glauben:
- als ich einmal von Hexen sprach -- da fand sich doch wahrhaftig so ein
- Springinsfeld, der nicht an Hexen glauben wollte! Gott sei Dank, ich
- lebe schon viele Jahre; ich habe schon Menschen gesehen, die solche
- Heiden waren, daß es ihnen leichter wurde, in der Beichte zu lügen, als
- unsereinem, eine Prise zu nehmen; aber auch die schlugen vor einer Hexe
- das Kreuz. Wenn denen einmal im Traum .... na, ich will's gar nicht erst
- über die Zunge bringen .... was soll man über sowas noch Redens machen.
- Vor vielen vielen Jahren, 's werden wohl sicher über hundert sein, --
- erzählte mein Großvater selig -- war unser Dorf noch etwas ganz anderes
- als jetzt! Da war's noch ein Weiler, der allerärmste Weiler! Zehn
- ungetünchte und ungedeckte Hütten lagen mitten im Felde verstreut, und
- es gab weder einen Zaun, noch einen anständigen Schuppen, in dem man
- Vieh oder einen Wagen hätte unterstellen können. Und die, die so lebten,
- das waren noch die Reichen, was aber erst unsereiner von der
- Brüderschaft der Habenichtse für ein Leben hatte, das läßt sich kaum
- beschreiben! Ein Loch in der Erde -- das war das ganze Haus! Nur an dem
- Rauch konnte man merken, daß da ein Menschenkind unseres lieben
- Herrgotts hauste. Ihr werdet nun fragen, warum lebten die wohl so? Armut
- allein war's nicht, denn damals war fast jeder ein freier Kosak und
- hatte sich in fremden Ländern nicht wenig Reichtümer erbeutet; nein, man
- sehnte sich gar nicht nach einem richtigen Hause. Was trieben sich
- damals nicht allerorts für Menschen herum: Leute aus der Krim, Polen,
- Litauer usw. Oft geschah es auch, daß man von den eigenen Landsleuten
- geschunden wurde. Ja ja, da kam mancherlei vor.
- In diesem Weiler nun tauchte zuweilen ganz plötzlich ein Mensch oder
- richtiger gesagt, ein Teufel in Menschengestalt auf. Woher er kam und zu
- welchem Zwecke -- das wußte niemand. Er soff, vergnügte sich, -- und auf
- einmal war er verschwunden, wie wenn er in die Erde gesunken wäre. Dann
- kam er wieder, wie vom Himmel gefallen, trieb sich auf den Straßen des
- Dorfes umher, von dem jetzt keine Spur mehr übrig ist, und das
- vielleicht nicht mehr als hundert Schritte von Dikanka entfernt war,
- sammelte die ersten besten Kosaken um sich, und dann ging ein Lachen und
- Singen an: das Geld wurde nur so ausgeschüttet, und der Schnaps rann
- dahin wie Wasser. Dann ging er zu den Mädchen und schenkte ihnen Bänder,
- Ohrringe und Perlen -- in vollen Haufen! Freilich, so manches Mädel
- wurde bedenklich bei diesen Geschenken: Weiß Gott, am Ende waren sie in
- der Tat durch unreine Hände gegangen. Die leibliche Tante meines
- Großvaters, die damals auf der heutigen Landstraße von Oposchnjani einen
- Ausschank hatte, in dem Bassawrjuk (so hieß dieser Teufelskerl) oft
- zechte, pflegte zu sagen, sie würde um keinen Preis in der Welt ein
- Geschenk von ihm annehmen. Aber wie konnte man wiederum etwas
- zurückweisen? -- Jedem wurde gruselig zumute, wenn _er_ seine borstigen
- Brauen runzelte und einen finstern Blick auf einen warf, daß man am
- liebsten ausgerissen wäre; nahm man aber das Geschenk an, so konnte man
- schon in der nächsten Nacht einen Gast aus dem Moor, einen mit Hörnern
- auf dem Kopfe, erwarten. Und der würgte einen, wenn man Perlen am Halse
- trug, biß einen in den Finger, wenn ein Ring darauf steckte, oder riß
- einer Frau fast den Zopf aus, wenn sie ein Band darein geflochten hatte.
- Zehn Schritt vom Leibe mit solchen Geschenken! Eine neue Not aber war
- es, sie los zu werden: Man wirft sie ins Wasser -- aber der teuflische
- Ring oder die Perlen schwimmen oben auf und springen einem wieder in die
- Hand zurück.
- Im Dorfe stand auch eine Kirche, die, wenn ich mich recht besinne, dem
- heiligen Pantelej angehörte. Damals nun waltete in ihr ein Priester
- namens Vater Afanassi, seligen Angedenkens. Als er gewahrte, daß
- Bassawrjuk sogar am Ostersonntag nicht in die Kirche kam, wollte er ihn
- ausschelten und ihm eine Kirchenbuße auferlegen; aber sieh da, er kam
- kaum mit heiler Haut davon. »Hör mal, _Herr_!« brüllte ihn jener an,
- »kümmere dich lieber um deine Geschäfte, anstatt dich in fremde zu
- mischen, wenn du nicht willst, daß dir dein Ziegenhals mit einem heißen
- Sterbekuchen verkleistert wird!« Was konnte man mit diesem
- Gottverdammten anfangen? Vater Afanassi erklärte nun jeden, der mit
- Bassawrjuk verkehren würde, für einen Römling, und für einen Feind der
- Christenkirche und des ganzen Menschengeschlechts.
- In demselben Dorfe hatte auch ein Kosak namens Korsch einen Arbeiter,
- den die Leute Peter Heimatlos nannten, vielleicht deshalb, weil er weder
- seinen Vater noch seine Mutter kannte. Der Kirchenvorstand hatte zwar
- gesagt, die wären schon in seinem zweiten Lebensjahr an der Pest
- gestorben; aber die Tante meines Großvaters wollte es nicht wahrhaben
- und war aus aller Kraft bemüht, ihm Eltern aufzudrängen, obgleich der
- arme Peter sich geradesoviel um diese Frage kümmerte, wie wir um den
- vorjährigen Schnee. Sie behauptete, sein Vater befinde sich jetzt noch
- in der Saporoger Gegend, sei in Gefangenschaft bei den Türken gewesen,
- habe Gott weiß welche Qualen erdulden müssen, und habe nur durch ein
- Wunder, als Eunuch verkleidet, Reißaus nehmen können. Die
- schwarzbrauigen Mädels und die jungen Weibsleute scherten sich wenig um
- seine Verwandtschaft. Sie äußerten nur, wenn man ihm einen feinen Rock
- -- etwa einen neuen Schupan -- anzöge, einen roten Gürtel umlegte, eine
- neue Mütze aus schwarzem Lammfell mit einer schmucken blauen Kappe
- aufsetzte, ihm einen türkischen Säbel an die Seite schnallte, und in die
- eine Hand einen langen Degen und in die andere eine hübsch eingefaßte
- Pfeife gäbe -- dann würde er alle andern Burschen in die Tasche stecken.
- Aber der arme Petrusj besaß alles in allem nur einen einzigen grauen
- Kittel, der mehr Löcher hatte, als mancher Jude Dukaten in der Tasche.
- Doch das wäre noch nicht schlimm gewesen, was schlimm war, war vielmehr
- dies: der alte Korsch hatte ein Töchterchen, eine Schönheit, wie ihr sie
- wohl kaum je gesehen habt. Die Tante des seligen Großvaters pflegte zu
- erzählen, -- und ihr wißt ja, ein Weib wird, mit Verlaub zu sagen, eher
- den Teufel küssen, als eine andere schön nennen, -- daß die runden
- Bäckchen des Kosakenmädchens so frisch und glänzend waren wie die
- allerzarteste rote Mohnblume, die sich in Gottes Tau gebadet hat und nun
- aufleuchtet, ihre Blättchen ausbreitet und sich vor der aufgehenden
- Sonne putzt. Wie schwarze Schnürchen, die die Mädchen heutzutage bei den
- Hausierern in den Dörfern für ihre Kreuze und Schmuckdukaten kaufen, so
- zart schwangen sich die Brauen über ihren Augen, als spiegelten sie sich
- in ihrem klaren Kristall. Ihr Mündchen, nach dem der ganzen jungen Welt
- von damals der Mund wässerte, schien wie geschaffen für die Gesänge
- einer Nachtigall. Ihr Haar, schwarz wie Rabenfittiche und weich wie
- junger Flachs (denn damals flochten es die jungen Mädchen noch nicht zu
- kleinen Zöpfchen, durch die sie sich jetzt hübsche bunte Bänderchen
- ziehen) fiel in vollen Locken auf den goldbestickten Überwurf herab. Ei,
- da soll mich doch Gott von der Kanzel nie wieder das Hallelujah singen
- lassen, wenn ich sie nicht auf der Stelle abküssen möchte, und wenn auch
- der alte Wald auf meinem Schädel schon so ziemlich grau ist, und meine
- Alte sich mir an die Seite heftet, wie ein Star ins Auge. Na, wenn ein
- Bursch und ein Mädel nah beieinander wohnen .... ja, da wißt ihr schon,
- was draus wird. Man konnte stets in aller Herrgottsfrühe den Abdruck der
- Stiefeleisen auf der Stelle sehen, wo Pidorka mit ihrem Petrusj
- gestanden hatte. Korsch hätte immer noch nichts Schlimmes geahnt, aber
- einst, -- und das kam durch nichts anderes als durch die List eines
- Teufels -- da fiel es Petrusj ein, ohne sich genauer im Flur umzusehen,
- sozusagen von ganzer Seele einen Kuß auf die rosigen Lippen des
- Kosakenmädchens zu pressen. Und dieser selbe Teufel, -- mag doch der
- Hundesohn vom heiligen Kreuz träumen! -- ritt den alten Knasterbart, daß
- er gerade zu dieser Zeit die Tür öffnete. Korsch stand da wie ein
- Holzklotz, sperrte den Mund auf und mußte sich an die Tür lehnen. Der
- verdammte Kuß schien ihn vollkommen betäubt zu haben. Er kam ihm lauter
- vor als der Schlag eines Mörserstößels auf ein Brett, mit dem zu unserer
- Zeit die Bauern in Ermangelung von Pulver und Flinte den Festschmaus zu
- Ehren Johannes des Täufers begleiten. Als er wieder zu sich gekommen
- war, nahm er seine Nagaika aus Urväter Zeiten von der Wand und wollte
- sie schon auf den Rücken des armen Peter niedersausen lassen, da
- erschien auf einmal Pidorkas sechsjähriges Brüderchen Iwasj, kam
- erschreckt herbeigelaufen, umschlang seine Beine mit den Händchen und
- schrie: »Vater, Vater, schlag den Petrusj nicht!« Was war da zu machen?
- Ein Vaterherz ist nicht von Stein: er hing die Nagaika an die Wand und
- führte ihn leise aus dem Zimmer hinaus. »Wenn du dich jemals wieder hier
- im Hause sehen läßt oder auch nur am Fenster, so höre, Petrusj: Bei
- Gott, dein schwarzer Schnurrbart ist dahin und auch deine Kosakenlocke,
- die du dir doppelt ums Ohr wickelst, -- ich will nicht Terenti Korsch
- sein, wenn sie nicht von deinem Schädel Abschied nimmt!« Bei diesen
- Worten versetzte er ihm einen leichten Stoß in den Nacken, so daß
- Petrusj Hals über Kopf hinausflog. So weit hatten sie es mit dem Küssen
- gebracht. Ein schwerer Kummer überfiel unser Täubchen; dazu ging noch im
- Dorfe das Gerücht um, zu Korsch ins Haus käme ein goldbeladener Pole mit
- Schnurrbart, Säbel und Sporen, dessen Taschen so klirrten wie der
- Klingelbeutel, den unser Meßner Taras täglich in der Kirche umgehen
- läßt. Nun man weiß ja, wozu man einen Vater besucht, der eine
- schwarzäugige Tochter hat. Einmal schlang Pidorka die Arme um ihren
- Bruder Iwasj: »Iwasj, mein Liebling, bester Iwasj! Lauf zu Petrusj, mein
- goldenes Kind, rasch wie ein Pfeil vom Bogen schnellt, und erzähl ihm
- alles: ich möchte seine grauen Augen liebkosen und sein weißes Antlitz
- küssen, aber das Schicksal will es nicht. Manches Tuch habe ich mit
- meinen heißen Tränen benetzt, mir ist so bang und so schwer ums Herz.
- Mein eigner Vater ist mir feind und zwingt mich, dem ungeliebten Polen
- in die Ehe zu folgen. Sag ihm, man bereite schon die Hochzeit vor, doch
- es soll keine Musik auf unserer Hochzeit geben, und nur die Küster
- werden plärren, statt daß Zither und Schalmei erklingen. Und nicht werde
- ich mit meinem Gemahl zum Tanze gehen, sondern hinaustragen wird man
- mich aus dem Hause. Dunkel und düster wird mein enges Haus sein -- aus
- Ahornbrettern wird es gezimmert sein, und statt eines Schlotes wird ein
- Kreuz auf dem Dache stehn!«
- Wie versteinert und ohne sich von der Stelle rühren zu können, hörte
- Petrusj das unschuldige Kind Pidorkas Worte nachlallen. »Dacht' ich
- Unglücklicher nicht schon daran, in die Krim oder ins Türkenland zu
- ziehen, mir Gold zu erbeuten und mit vielen Gütern beladen zu dir
- zurückzukehren, du meine Schönste? Doch es sollte nicht sein. Ein böser
- Blick hat uns getroffen. Wohl werden wir Hochzeit feiern, mein teures
- Fischlein du, aber kein Küster wird auf unserer Hochzeit singen -- statt
- eines Popen krächzt mir zu Häupten ein schwarzer Rabe, das weite Feld
- wird mein Haus und die graue Wolke mein Dach sein; meine grauen Augen
- hackt der Adler aus; der Regen wird mir die Kosakenknochen bleich
- waschen, und der Sturmwind wird sie austrocknen. Doch was tu ich? Wem
- klag' ich was vor? Gott hat's wohl so angeordnet! Verloren ist
- verloren!« -- Und stracks zog er in die Schenke.
- Die Tante meines seligen Großvaters war nicht wenig erstaunt, als sie
- Petrusj in der Schenke sah, und dazu noch zu einer Zeit, wo ein braver
- Mensch zur Frühmesse geht. Sie glotzte ihn mit ihren Augen an, wie wenn
- sie noch im Schlafe läge, als er einen Krug -- oder richtiger fast einen
- halben Eimer voll Branntwein bestellte. Allein vergebens suchte der
- Ärmste seinen Kummer zu ertränken. Der Schnaps brannte ihm auf der Zunge
- wie Nesseln und dünkte ihn bitterer als Wermut. Weit von sich warf er
- den Krug zu Boden. Da dröhnte es im Baß über seinem Kopfe: »Laß doch das
- Trauern, Kosak!« Er schaut auf: Es war Bassawrjuk! Uh, welche Fratze!
- Der hatte Haare wie ein Borstenvieh und Augen wie ein Bulle! »Ich weiß,
- was dir fehlt: das da!« rief er und klirrte teuflisch grinsend mit
- seiner ledernen Geldkatze, die ihm am Gürtel hing. Petrusj erbebte.
- »Hehe, wie die glühen!« brüllte er und schüttete sich die Dukaten auf
- die Hand. »Hehe, die klimpern! Und doch heißt's nur eine einzige Tat
- vollbringen, um einen ganzen Berg solcher Schnipsel!« -- »Satan!« schrie
- da Petrusj. »Her damit! Ich bin zu allem bereit!« Beide gaben sich den
- Handschlag und waren einig. »Sieh, Petrusj, du kommst gerade zur rechten
- Zeit: morgen ist Johannistag. Nur in dieser einen Nacht des Jahres
- treibt das Farnkraut Blüten. Du darfst es nicht verpassen. Ich erwarte
- dich um Mitternacht in der Bärenschlucht.«
- Ich glaube, die Hühner warten nicht so auf den Augenblick, wo ihnen die
- Hausfrau Krumen streut, wie Petrusj auf den Abend wartete. Immerwährend
- blickte er aus, ob die Baumschatten nicht länger würden, ob nicht die
- tief herabgesunkene Sonne in Purpur erglömme, und je länger er wartete,
- um so ungeduldiger wurde er. Wie lange dauerte das doch! Gottes Tag
- konnte wohl kein Ende finden. -- Nun ist die Sonne fort. Nur noch auf
- einer Seite rötet sich der Himmel noch. Und schon erlischt er. Es wird
- kälter im Felde; dunkler und dunkler wird's, und alles liegt in
- nächtlicher Finsternis da. Endlich! Das Herz wollte ihm schier aus der
- Brust springen, als er sich auf den Weg machte und mit Vorsicht durch
- den dichten Wald zu dem tiefen Grunde herabstieg, der Bärenschlucht
- genannt wurde. Bassawrjuk wartete schon auf ihn. Es war so finster, daß
- man die Hand vor den Augen nicht sah. Hand in Hand schlichen sie durch
- die Sümpfe des Moors, verfingen sich im dichten Gestrüpp und
- strauchelten fast bei jedem Schritte. Endlich fanden sie einen ebenen
- Platz. Petrusj sah sich um: Er war noch nie hier gewesen. Auch
- Bassawrjuk blieb stehen.
- »Siehst du: da vor dir liegen drei Hügel. Viel mannigfache Blumen
- wachsen dort; doch alle Mächte der Welt mögen dich bewahren, auch nur
- eine zu pflücken. Kaum aber erblüht der Farn, so greif nach ihm und
- blick dich nicht um, was du auch hinter dir dünken magst.«
- Petrusj wollte noch etwas fragen .... aber jener war verschwunden. Er
- ging auf die Hügel zu: wo waren die Blumen? Es war nichts zu sehen.
- Schwarz lag das wilde Steppengras da und überwucherte alles mit seinem
- Gestrüpp. Da blitzte ein Wetterleuchten auf, und vor ihm erschien ein
- ganzes Beet voll wundersamer und nie gesehener Blumen; darinnen sah er
- auch die einfachen Blätter des Farnkrautes. Voller Zweifel stemmte
- Petrusj beide Hände in die Hüften und stellte sich nachdenklich vor sie
- hin.
- »Was ist denn Wunderbares dabei? Zehnmal des Tages sehe ich solches
- Kraut: was ist denn das für ein Mirakel? Am Ende macht sich die
- Teufelsfratze nur über mich lustig!«
- Auf einmal aber glüht ein kleines Knöspchen rot auf und rührt sich wie
- wenn es lebendig wäre. Seltsam fürwahr! Rührt sich, wird immer größer
- und größer und glüht heiß wie eine rote Kohle. Da flammte ein Sternchen
- auf, etwas knisterte leise, und vor seinen Augen entfaltet sich die
- Blume wie eine Flamme, loht leuchtend auf und überstrahlt alles rings
- herum.
- »Jetzt ist's Zeit,« dachte Petrusj und streckte die Hand aus. Aber
- siehe, da strecken sich noch hundert andere zottige Hände nach der Blume
- aus, und hinter ihm läuft raschelnd etwas von Ort zu Ort. Er drückte die
- Augen zu, riß am Stengel, und die Blume blieb in seiner Hand. Alles
- verstummte. Da tauchte Bassawrjuk, auf einem Baumstumpf sitzend, empor:
- ganz bläulich wie eine Leiche. Er rührte keinen Finger, seine Augen
- waren starr auf etwas gerichtet, das nur ihm allein sichtbar war; sein
- Mund stand halb offen, aber er sprach nichts. Ringsum rührte sich
- nichts. Wie furchtbar war Petrusj zumute! .... Aber nun vernahm Petrusj
- ein Pfeifen, daß ihm das Herz im Leibe erstarrte, und es kam ihm so vor,
- als ob das Gras summe, und die Blumen sich mit dünnen Stimmchen
- unterhielten, die wie silberne Glöcklein klangen. Die Bäume donnerten
- grollend durcheinander .... Bassawrjuks Antlitz wurde auf einmal
- lebendig. Seine Augen funkelten. »Endlich ist sie da, die Hexe,« grunzte
- er durch die Zähne. »Petrusj schau, bald wird dir eine schöne Frau
- erscheinen: Tu alles, was sie dir befiehlt, sonst bist du auf ewig
- verloren!« Er zerteilte das Dickicht mit einem Knotenstock, und vor
- ihnen erschien ein Häuschen, das auf Hühnerfüßchen stand, wie es im
- Märchen heißt. Bassawrjuk schlug mit der Faust dagegen, und die Wand
- wankte. Ein großer, schwarzer Hund kam winselnd herausgelaufen,
- verwandelte sich plötzlich in eine Katze und warf sich ihnen entgegen.
- »Tobe nicht, wüte nicht, alte Teufelin,« rief Bassawrjuk und würzte
- seine Rede mit so einem Wörtlein, daß sich ein rechtschaffener Mensch
- dabei die Ohren zugestopft hätte. Da wurde die Katze zu einem alten
- Weibe mit einem so runzligen Gesicht wie ein gebratener Apfel, und
- krümmte sich wie ein Bogen; Nase und Kinn glichen einem Nußknacker.
- »Welch herrliche Schönheit!« dachte Petrusj, und es überlief ihn kalt.
- Die Hexe riß ihm die Blume aus der Hand, beugte sich über sie, flüsterte
- einen langen Spruch vor sich hin und besprengte sie mit einer
- unbekannten Flüssigkeit. Funken stoben aus ihrem Munde, und Schaum trat
- ihr auf die Lippen. »Wirf sie hin«, rief sie, indem sie ihm die Blume
- reichte. Petrusj warf die Blume hin, aber -- o Wunder: die Blume fiel
- nicht gleich zur Erde, sondern leuchtete lange wie eine Feuerkugel
- mitten im Dunkel und segelte wie ein Kahn durch die Luft; endlich begann
- sie sich leise zu senken und fiel so fern von ihnen herab, daß das
- Sternchen kaum mehr zu sehen war und nicht größer erschien, denn ein
- Mohnkorn. »Hier!« krächzte die Alte dumpf, und Bassawrjuk reichte ihm
- einen Spaten hin und rief: »Grabe hier nach, Petrusj! Da wirst du so
- viel Gold finden, als weder du noch Korsch je geträumt haben!« --
- Petrusj spie sich in die Hände, ergriff den Spaten, trat mit dem Fuß
- darauf und wühlte die Erde auf, einmal, noch einmal, ein drittes Mal,
- noch einmal .... Da stieß er auf etwas Hartes! .... Der Spaten klirrte
- und wollte nicht tiefer in die Erde hinein. Jetzt begannen seine Augen
- plötzlich ganz deutlich eine kleine, eisenbeschlagene Kiste
- wahrzunehmen. Schon wollte er sie mit der Hand erfassen, aber die Kiste
- begann immer tiefer und tiefer in die Erde zu sinken, und hinter sich
- vernahm er ein Lachen, das dem Zischen von Schlangen glich. »Nie sollst
- du das Gold erschauen, ehe du nicht Menschenblut herbeischaffst!« rief
- die Hexe und führte auf einmal ein etwa sechsjähriges Kind vor ihn hin,
- das mit einem weißen Tuch bedeckt war; sie deutete ihm mit Zeichen an,
- er müsse dem Kinde den Kopf abhacken. Petrusj erstarrte. Ist's denn eine
- Kleinigkeit, so mir nichts, dir nichts einem Menschen den Kopf
- abzuhacken, und dazu noch einem unschuldigen Kinde! Wütend riß er das
- Tuch vom Kopfe, und was sah er? Vor ihm stand Iwasj! Das arme Kind stand
- mit gekreuzten Händchen und gesenktem Köpfchen da .... Wie ein Rasender
- sprang Petrusj mit dem Messer auf die Hexe los und erhob die Hand ....
- »Was versprachst du, für das Mädchen zu tun?« donnerte ihn Bassawrjuk
- an, und versetzte ihm einen Schlag in den Rücken, der ihn traf wie ein
- Schuß. Die Hexe stampfte mit dem Fuße, und eine blaue Flamme sprang aus
- dem Boden. Das Innere der Erde strahlte auf und war wie aus Glas, und
- alles in der Erde wurde so deutlich sichtbar, gleich als läge es auf der
- flachen Hand! In Kisten und Kesseln waren Dukaten und Edelsteine
- haufenweise aufgestapelt, genau unter der Stelle, auf der sie standen.
- Des Petrusj Augen brannten, .... sein Verstand verfinsterte sich ....
- wie ein Toller packte er das Messer, und das unschuldige Blut spritzte
- ihm in die Augen. Ein teuflisches Gelächter toste auf allen Seiten. --
- Widerwärtige Ungeheuer sprangen scharenweise vor ihm auf und ab. Wie ein
- Wolf, die Hände in den enthaupteten Leichnam gekrallt, sog die Hexe das
- Blut. In Petrusj Kopf kreiste alles, und mit dem Aufwand seiner letzten
- Kräfte begann er zu laufen. Alles vor ihm versank in rotes Licht. Alle
- Bäume brannten in rotem Blut und stöhnten. In Rotglut getaucht wankte
- der Himmel hin und her. Feuerflecke zuckten glimmend vor seinen Augen
- auf. Entkräftet lief er bis in seine Hütte, sank dort zu Boden wie eine
- Ähre und ein totenähnlicher Schlaf umfing ihn.
- Zwei Tage und zwei Nächte schlief Petrusj, ohne zu erwachen. Als er am
- dritten Tage wieder zu sich kam, betrachtete er lange alle Ecken und
- Winkel seiner Stube, doch vergeblich suchte er sich an die Begebenheiten
- der letzten Zeit zu erinnern: sein Gedächtnis glich der Tasche eines
- alten Geizhalses, aus der man keinen Heller herauslocken kann. Nachdem
- er sich ein wenig gereckt hatte, vernahm er plötzlich zu seinen Füßen
- ein Klirren. Sieh da: vor ihm lagen zwei Säcke voll Gold. Erst jetzt
- erinnerte er sich wie in einem Träume, daß er einen Schatz gesucht
- hatte, und wie es grausig im Walde gewesen war .... Aber um welchen
- Preis er ihn erhalten hatte, darauf konnte er sich durchaus nicht mehr
- besinnen.
- Sowie Korsch die Säcke erblickte, da wurde er seidenweich. »Petrusj, so
- ein Herzensjung', den sollt' ich nicht lieben? Der war mir doch stets
- wie mein eigner Sohn!« Und der alte Knurrhahn begann so zu schwefeln,
- daß dem Petrusj die Tränen in die Augen kamen. Da lief Pidorka bestürzt
- herbei und begann zu erzählen, Iwasj sei von vorbeiziehenden Zigeunern
- gestohlen worden. Aber Petrusj konnte sich nicht einmal mehr auf ihn
- besinnen, so sehr stand er im Banne des verdammten Teufelsspukes! Nun
- war keine Zeit mehr zu verlieren. Der Pole wurde vor die Tür gesetzt,
- und man feierte Hochzeit: da wurden Kuchen gebacken, Wäsche genäht, man
- rollte ein Fäßchen Schnaps herbei, das junge Paar ward an den Tisch
- gesetzt, das Hochzeitsgebäck aufgeschnitten, da klimperten Harfen und
- die Saiten des Zymbals, es kreischten die Schalmeien und die Zithern
- summten -- und die Lustbarkeit begann ....
- Ein Hochzeitsfest aus alten Tagen ist nicht mit einem in unserer Zeit zu
- vergleichen. Die Tante meines Großvaters erzählte -- hei juchhei! Ei wie
- da die Mädels im prächtigen Kopftuch mit den gelben, blauen und rosa
- Bändern und der Goldtresse daran darauf lossprangen. Sie hatten feine
- Hemden an, deren Nähte mit roter Seide bestickt waren und die kleine
- silberne Blümchen zierten, und hohe Saffianstiefelchen, die mit Hufeisen
- beschlagen waren; stolz wie Pfauen flogen sie gleich einem Wirbelwind
- rauschend durchs Zimmer. Wie da die jungen Frauen eine nach der anderen
- hervortraten mit ihrem bootsartigen Kopfputz, dessen Kappe aus Brokat
- gewirkt war, mit einem Nackenausschnitt, durch den das goldene Häubchen
- mit den zwei herabbaumelnden Zipfelchen aus feinstem schwarzen Lammfell
- hervorguckte, in ihren blauen Ueberwürfen aus herrlichstem Seidenstoff
- mit roten Aufschlägen -- ei wie sie da gar würdig, die Hände auf die
- Hüften gestützt, eine nach der anderen hervortraten, und im Takt ihren
- Hopak tanzten. Wie da die Burschen in ihren hohen Kosakenmützen, in
- feinen Tuchkitteln mit silbergesticktem Gürtel, und die Pfeife zwischen
- den Zähnen um sie herum scharwenzelten und ihr Licht durchaus nicht
- unter den Scheffel stellten! Korsch selbst konnte beim Anblick des
- jungen Volkes nicht mehr an sich halten und legte los wie in alten
- Tagen. Mit der Harfe in der Hand, aus der Pfeife paffend und ein Lied
- vor sich hin singend, so begann der Alte, mit dem Schnapsglas auf dem
- Kopf, beim lauten Geschrei der lustigen Kumpanei seinen Hopser herunter
- zu stampfen. Was die nicht alles in ihrer Lustigkeit anstifteten! Schon
- wenn man anfing, Mummenschanz zu treiben, Gott, was gab's da nicht
- alles. Das war eine ganz andere Mummerei als auf unseren heutigen
- Hochzeiten. Was macht man denn heute? Man verkleidet sich als
- Zigeunerinnen und Moskowiter, das ist alles! Nein, damals verkleidete
- sich einer als Jude und der andere als Teufel; erst küßte man sich, und
- dann packte man einander beim Schopf .... Ich bitt' euch, das gab ein
- Lachen, daß man sich den Bauch halten mußte. Oder man legte türkische
- und tatarische Gewänder an, die da glühten wie das reine Feuer .... Und
- wenn man erst wirklich anfing, Unsinn und Schabernack zu treiben ....
- das war geradezu zum Platzen! Mit der Tante meines verstorbenen
- Großvaters, die mit auf dieser Hochzeit war, begab sich eine drollige
- Geschichte. Sie trug damals ein weites tatarisches Kleid und ging mit
- dem Schnapsglas in der Hand umher, um alle wohl zu versorgen. Da mußte
- einen der Teufel reiten, daß er sie von hinten mit Branntwein begoß, ein
- anderer mußte gerade in diesem Augenblick Feuer schlagen, und so setzten
- sie sie denn lichterloh in Brand. Die Flammen flackerten im Nu hoch auf:
- die arme Tante begann sich voller Schrecken in aller Gegenwart die
- Kleider vom Leibe zu reißen .... Was sich da für ein Lärm, Gelächter und
- ein wildes Durcheinander erhob, rein wie auf einem Jahrmarkt! Kurz, die
- ältesten Leute konnten sich nicht auf eine so lustige Hochzeit besinnen.
- Pidorka und Petrusj begannen ein Leben miteinander wie die feinsten
- Herrschaften. Alles war in Hülle und Fülle vorhanden, alles blinkte und
- funkelte nur so .... Doch die lieben Nachbarn, die ihren Wohlstand
- mitansahen, schüttelten nur den Kopf. »Vom Teufel kommt nichts Gutes!«
- sagten sie alle einstimmig. »Woher hat er denn den Reichtum, wenn nicht
- vom Versucher aller rechtgläubigen Christen? Wo hätte er einen solchen
- Haufen Goldes wohl hergenommen? Warum ist Bassawrjuk gerade an demselben
- Tage verschwunden, als Petrusj zu seinem Reichtum kam?« -- Und was die
- Leute noch alles redeten. Und in der Tat; es war noch kein Monat
- vergangen, da war Petrusj nicht mehr wiederzuerkennen. Was mit ihm
- geschehen war, das weiß Gott allein. Sitzt immer auf ein und derselben
- Stelle fest und redet kein Wort; er grübelt nur immer, als wollte er
- sich auf etwas besinnen. Wenn es Pidorka gelang, ein Wort aus ihm
- herauszupressen, sodaß er sich vergaß, ins Gespräch kam und sogar ganz
- heiter wurde, dann brauchte er nur wie zufällig auf die Geldsäcke zu
- blicken, und sofort schrie er los: »Halt, halt, ich hab's vergessen!«
- Und wieder verfiel er in Sinnen und quälte sich ab, eine Erinnerung
- heraufzurufen. Manchmal, wenn er lange Zeit still auf einem Flecke saß,
- kam es ihm so vor, als ob etwas Längstvergangenes wieder in sein
- Gedächtnis zurückkehrte .... aber gleich darauf verschwand alles wieder.
- Es dünkt ihn, er sitzt in der Schenke, man bringt ihm Schnaps, der
- Schnaps brennt ihm auf der Zunge und widert ihn an; jemand tritt zu ihm
- -- schlägt ihm auf die Schulter, und er .... Aber dann schien alles vor
- ihm in einen Nebel zu sinken, der Schweiß rann ihm vom Gesicht, und er
- sank erschöpft wieder auf seinen Platz zurück.
- Was auch Pidorka tun mochte: Kluge Frauen befragen, Zinndeuten, Wasser
- besprechen -- nichts wollte helfen. So verging der Sommer. Manch ein
- Kosak hatte schon sein Korn abgemäht und sein Heu geschnitten; manch
- kühnerer Kosak war ins Feld gezogen. Schwärme von Enten drängten sich
- auf unseren Weihern, und der Zaunkönig war schon längst verschwunden.
- Die Steppen färbten sich rot, Getreidehaufen lagen hie und da verstreut
- wie Kosakenmützen auf dem Felde. Auf den Wegen konnte man schon Wagen
- begegnen, die mit Reisig und Holz beladen waren. Die Erde wurde hart,
- und zeitweise gab es schon Frost. Schon rieselte der Schnee vom Himmel
- herab, und die Zweige der Bäume waren mit Rauhreif verziert wie mit
- Hasenpelzchen. Schon stolzierte in klaren Wintertagen der rotbrüstige
- Gimpel wie ein eitler, polnischer Schlachziz auf den Schneehaufen umher
- und suchte sich Körner, und die Kinder trieben mit Riesenstäben hölzerne
- Bälle übers Eis, während ihre Väter ruhig hinter den Öfen lagen und nur
- ab und zu mit der brennden Pfeife im Munde vors Haus gingen, um tüchtig
- auf den russischen Frost zu schimpfen, um sich mal auszulüften, oder
- weil sie das Korn in den Schobern noch einmal durchdreschen wollten.
- Endlich begann der Schnee zu schmelzen, und der Hecht schlug mit dem
- Schwanze das Eis auf; Petrusj aber war derselbe geblieben, und nur um so
- düsterer geworden, je weiter die Zeit vorrückte. Wie angeschmiedet saß
- er mitten im Zimmer, die Säcke mit dem Golde zwischen den Beinen. Er
- verwilderte, war ganz und gar mit Haaren bewachsen, und wurde ein wahres
- Schreckbild; immer denkt er an ein und dasselbe, will sich etwas ins
- Gedächtnis zurückrufen, grollt mit sich und wütet, daß es ihm nicht
- gelingt. Oft springt er wild von seinem Sitze auf, fährt mit den Händen
- umher und heftet seine Augen auf etwas, als ob er es festhalten wollte;
- seine Lippen bewegen sich, als wollten sie ein längst vergessenes Wort
- aussprechen und -- erstarren ...... Tobsucht packt ihn; wie toll nagt
- und beißt er an seinen Händen, und voll Grimm reißt er sich ganze
- Büschel von Haaren aus, bis er wieder still wird, bewußtlos hinsinkt,
- wieder zu sinnen anfängt; und dann wieder dieselbe Wut, und dieselbe
- Qual ..... Was für eine Strafe Gottes war das! Was Pidorka durchmachen
- mußte, das war kein Leben mehr! Zuerst graute sie's, allein im Hause zu
- bleiben, aber dann gewöhnte sich die Ärmste an ihr Unglück. Die Pidorka
- von einst war nicht mehr wiederzuerkennen. Ihr Gesicht hatte weder Farbe
- noch ein Lächeln mehr; abgehärmt und abgezehrt war's, ausgeweint waren
- die klaren Augen. Einst gab ihr jemand aus Erbarmen den Rat, sie solle
- zu der Zauberin gehen, die in der Bärenschlucht hauste, und von der der
- Ruf ausging, sie könne alle Gebreste der Welt heilen. Sie beschloß, dies
- letzte Mittel zu versuchen. Nach vielem Hin und Her überredete sie
- endlich die Alte, mit ihr mitzugehen. Es war gegen Abend und gerade vor
- Johannisnacht. Petrusj lag besinnungslos auf der Bank und nahm den neuen
- Gast gar nicht wahr. Doch bald begann er sich nach und nach aufzurichten
- und um sich zu blicken. Plötzlich erbebte er wie auf dem Schafott; sein
- Haar sträubte sich .... und er brach in ein solches Lachen aus, daß die
- Angst Pidorka ins Herz schnitt. »Ich hab's, ich hab's!« schrie er in
- fürchterlicher Lustigkeit, schwang das Beil hoch empor und ließ es aus
- aller Leibeskraft auf die Alte fallen. Das Beil sauste zwei Zoll tief in
- die Eichentür hinein. Die Alte war verschwunden, und mitten in der Stube
- stand ein Kind von sieben Jahren in weißem Hemdchen mit verhülltem
- Haupte .... Das Tuch flog herunter. »Iwasj!« schrie Pidorka und stürzte
- auf ihn zu; doch das Gespenst war vom Kopf bis zu Füßen mit Blut bedeckt
- und erglühte in rotem Lichte, das die ganze Stube in brennendes Rot
- tauchte. Voller Angst lief sie auf den Flur; als sie wieder ein wenig zu
- sich gekommen war, wollte sie ihm helfen; aber vergebens! Die Tür war so
- fest hinter ihr zugeschlagen, daß man nicht imstande war, sie wieder zu
- öffnen. Die Leute liefen zusammen, begannen zu klopfen, schlugen die Tür
- ein: Keine Seele war da! Die ganze Stube war voll Rauch, nur in der
- Mitte, wo Petrusj gestanden hatte, lag ein Haufen Asche, von dem hie und
- da ein Qualm aufstieg. Man eilte zu den Säcken, darin lagen statt der
- Dukaten nur zerbrochene Scherben. Mit glotzenden Augen, aufgesperrten
- Mäulern, und ohne den Mut, sich zu regen, standen die Kosaken wie
- angewurzelt da. In solche Angst hatte sie dies Wunder versetzt.
- Was weiter geschah, das weiß ich nicht. Pidorka legte das Gelübde ab,
- eine Pilgerfahrt zu machen; sie suchte ihr Hab und Gut zusammen, das ihr
- vom Vater übrig geblieben war, und war in der Tat einige Tage später aus
- dem Dorfe verschwunden. Wohin sie sich begeben hatte, das wußte niemand
- zu sagen. Geschwätzige alte Weiber wollten wissen, sie sei dort, wo auch
- Petrusj sei; aber ein Kosak, der aus Kiew kam, erzählte, er habe im
- Kloster eine zum Skelett abgemagerte Nonne gesehen, die immerwährend
- betete und in der ihre Landsleute allen Anzeichen nach Pidorka
- wiedererkannt hätten. Bis jetzt, hieß es, habe noch niemand von ihr ein
- einzig Wörtlein gehört, sie solle allein zu Fuß gekommen sein und habe
- eine Fassung für das Heiligenbild der Mutter Gottes mitgebracht, eine
- Fassung, die mit solchen bunten Steinen besetzt gewesen sei, daß allen
- die Augen flimmerten, wenn sie sie ansähen.
- Mit Verlaub, aber damit war noch nicht alles zu Ende. An demselben Tage,
- als der Böse Petrusj zu sich genommen hatte, tauchte auch Bassawrjuk
- wieder auf; aber alle mieden ihn von nun ab. Man wußte jetzt, was das
- für ein Vogel war: niemand anders als der Satan war's, der
- Menschengestalt angenommen hatte, um Schätze zu heben; und da unreine
- Hände nicht Schätze heben können, so lockte er brave Burschen an sich.
- Noch in demselben Jahre ließen alle ihre Lehmhütten stehen und liegen
- und zogen ins Kirchdorf; aber auch dort hatte man keine Ruhe vor dem
- verfluchten Bassawrjuk. Die Tante meines verstorbenen Großvaters
- erzählte, er habe eine besondere Wut auf sie gehabt, weil sie ihre alte
- Schenke auf der Landstraße nach Oposchnjany aufgegeben hatte, und er
- habe mit allen Mitteln versucht, seinen Zorn an ihr auszulassen. Einst
- waren die Dorfältesten in der Schenke beieinander; sie saßen und
- unterhielten sich, wie man so sagt, nach Amt und Würden am Tisch, auf
- dessen Mitte ein gewiß nicht allzu kleiner gebratener Hammel stand. Man
- schwatzte über dies und jenes, auch über mannigfache Wunder und
- Ungeheuerlichkeiten. Auf einmal schien's, und nicht nur einem, -- was ja
- nichts bedeuten würde, -- sondern allen, als ob der Hammel den Kopf
- erhob, die gebrochenen Augen wie lebendig leuchteten, und als ob
- plötzlich ein borstiger schwarzer Schnurrbart sich auf die Anwesenden
- zubewegte. Alle erkannten in dem Hammelkopf sofort die Fratze
- Bassawrjuks, und die Tante meines Großvaters dachte schon, er würde
- gleich Schnaps bestellen! .... Die guten Leutchen griffen nach ihren
- Mützen und zogen ihres Weges. Ein anderes Mal sah der Kirchenvorstand in
- eigener Person, der es liebte, ab und zu ein Stündchen bei Großvaters
- Schnapsglas zu verbringen, noch ehe er zum zweiten Male das Glas geleert
- hatte, auf einmal, wie das Glas anfing, sich ehrerbietigst vor ihm bis
- zur Erde zu verneigen. »Hol' dich der Teufel!« rief er und begann sich
- zu bekreuzigen ..... Aber da widerfuhr seiner Ehehälfte gleichfalls ein
- Wunder: sie hatte gerade begonnen, Teig in einem mächtigen Trog zu
- kneten, da sprang der Trog auf einmal in die Höhe. »Halt! Halt! Wohin
- willst du?« rief sie. Aber da begann er, die Henkel in die Hüften
- gestemmt, ehrwürdig in der Stube umherzutänzeln ..... Ja lacht nur! Aber
- unserem Großvater war's nicht zum Lachen zumute. Vergeblich ging Vater
- Afanassi im ganzen Dorfe mit Weihwasser umher und suchte den Teufel
- durch Besprengen aller Straßen zu vertreiben. Es half nichts. Noch lange
- klagte die Tante meines verstorbenen Großvaters darüber, daß, sobald es
- Abend wurde, jemand aufs Dach klopfte und an den Wänden kratzte.
- Aber das ist noch nicht alles! Jetzt scheint ja auf der Stelle, wo unser
- Dorf steht, alles ruhig zu sein; aber es ist noch garnicht so lange her,
- -- mein verstorbener Vater und ich haben es noch erlebt -- daß kein
- ehrenwerter Mensch an der verfallenen Schenke, die noch lange Zeit
- danach immer wieder von den unreinen Geistern ausgebessert wurde, ohne
- Furcht vorbeigehen konnte. Aus dem rußigen Schlot schlugen Säulen Qualms
- empor, die so hoch in die Luft stiegen, daß einem beim Hinaufsehen die
- Mütze herunterfiel, und aus dem Qualm fielen glühende Kohlen über die
- ganze Steppe. Und der Teufel -- gar nicht nennen dürft' man den
- Hundesohn -- schluchzte so jämmerlich in seiner Kammer, daß die Aasgeier
- erschreckt in ganzen Scharen aus dem nahen Eichenwäldchen emporstießen
- und mit wildem Geschrei am Himmel umherschossen.
- Mainacht
- oder
- Die Ertrunkene
- Der Teufel mag wissen wie's kommt! Machen sich
- ehrliche getaufte Leute an irgend etwas, so müssen
- sie sich abrackern, wie der Windhund hinterm Hasen,
- und kriegen's doch nie zu fassen. Kommt aber der
- Böse und wackelt bloß mit dem Schwänzchen -- da
- geht's auf einmal wie vom Himmel gefallen.
- I.
- Hanna
- Hell wie ein leuchtender Strom ergoß sich ein Lied durch die Straßen des
- Dorfes ***. Es war die Stunde, da Burschen und Mädchen, matt von des
- Tages Müh und Sorge, sich lärmend im Kreise versammeln, um im Glanz des
- reinen Abends ihre Lust in Klängen hinauszujubeln, in denen stets etwas
- wie eine geheime Trauer mitschwingt. Ganz in Sinnen versunken umschlang
- der Abend träumerisch den blauen Himmel und wandelte alles in
- Ungewißheit und Ferne. Schon begann es zu dämmern, aber die Lieder
- verstummten dennoch nicht. Mit der Harfe in der Hand zieht Lewko einher.
- Er hat sich von den Sängern weggeschlichen, der junge Kosak, des
- Dorfamtmanns Sohn. Mit seiner hohen Kosakenmütz' auf dem Kopfe zieht der
- Kosak durch die Gasse, zupft mit der Hand die Saiten und tänzelt dazu.
- Doch nun blieb er vor der Tür eines Häuschens stehen, das niedrige
- Kirschbäume umstanden. Wes Haus ist dieses? Und wes die Tür? Nach kurzem
- Verweilen spielte er und sang:
- Sonne sinkt, Abend winkt,
- Komm zu mir, mein Herzenskind!
- »Nein, mein helläugiges Liebchen schläft wohl schon fest,« sprach der
- Kosak, indem er sein Lied beendete und ans Fenster trat. »Halja, Halja!
- Schläfst du, oder willst du nicht zu mir kommen? Du fürchtest gewiß, es
- könnt' uns jemand erblicken, oder will sich am Ende gar dein weißes
- Gesichtchen nicht in die Kälte hinauswagen? Fürcht' dich nicht, niemand
- ist in der Nähe; der Abend ist warm. Ja, käm' auch jemand, ich deck'
- dich mit meinem Kittel zu, ich will dich mit meinem Gürtel umwinden, mit
- meinen Händen bedecken, -- und niemand wird uns sehen. Und wehte es
- selbst eisig kalt, ich drück' dich noch näher an mein Herz, ich wärm'
- dich mit Küssen und zieh meine Mütze über deine weißen Füßchen. Mein
- Herz, mein Fischchen, mein Kleinod! Schau nur einen Augenblick heraus.
- Steck nur dein weißes Händchen durchs Fensterchen ... Nein, du schläfst
- nicht, stolzes Mädchen!« rief er lauter und in einem Ton, wie ihn wohl
- jemand findet, der sich über einen Augenblick der Erniedrigung schämt.
- »Dir gefällt's, mich zu verhöhnen. Leb' wohl!«
- Er wandte sich ab, schob die Mütze schief aufs Ohr und zog stolz davon,
- leis die Saiten der Harfe zupfend. Da drehte sich der Holzgriff der Tür,
- knarrend öffnete sich die Pforte, und ein Mädchen, das etwa siebzehn
- Lenze zählte, trat, von Dämmerung umwoben, über die Schwelle; scheu sah
- sie sich um, ohne den hölzernen Griff aus der Hand zu lassen. Ihre
- hellen Augen leuchteten im ungewissen Dunkel freundlich wie Sternlein;
- die rote Korallenkette blinkte, und vor den Adleraugen des Burschen
- blieb nicht einmal die Röte verborgen, die ihr schamhaft über die Wangen
- flammte.
- »Wie ungeduldig du bist!« sprach sie halblaut zu ihm. »Gleich bist du
- böse! Warum hast du denn gerade diese Zeit gewählt? Eine Unmenge von
- Leuten lungert auf den Straßen umher .... ich zittere am ganzen Leibe.«
- »O zittere nicht, mein Knöspchen! Drück dich recht fest an mich!« sprach
- der Bursch, umarmte sie, streifte die Harfe ab, die ihm an einem langen
- Riemen um den Hals hing, und ließ sich neben ihr vor der Türe nieder.
- »Du weißt: dich auch nur eine Stunde nicht zu sehen, ist so bitter für
- mich!«
- »Weißt du, was ich glaube?« unterbrach ihn das Mädchen und richtete
- sinnend die Augen auf ihn. »Mir ist's, als raunte mir jemand ins Ohr,
- daß wir uns in Zukunft nimmer so oft mehr sehen werden. Die Menschen
- sind bei euch so schlimm, die Mädchen sehen mich so neidvoll an, und die
- Burschen .... Fühl' ich's doch gar, daß mich die Mutter seit einiger
- Zeit noch strenger bewacht. Ich will dir's gestehen, fröhlicher war's in
- der Fremde!«
- Bei den letzten Worten huschte ein schmerzlicher Zug über ihr Gesicht.
- »Du bist kaum zwei Monate in der Heimat, und schon wird dir's zu lang;
- bin ich dir vielleicht auch schon zuwider?«
- »O nein, du bist mit nicht zuwider!« sagte sie lächelnd, »ich liebe dich
- doch, du schöner Kosak! Ich liebe dich um deiner klaren Augen willen,
- und wenn du mit ihnen auf mich blickst, so lächelt alles in meiner
- Seele, und ihr wird so wohl und so heiter; ich liebe dich, weil du so
- freundlich mit dem schwarzen Schnurrbart zuckst, weil du auf der Straße
- singst und spielst, und lieblich ist's, dir zuzuhören.«
- »O meine Halja!« rief der Bursch, und drückte sie unter Küssen noch
- fester an seine Brust.
- »Halt ein, Lewko! Sag mir zuerst, hast du mit deinem Vater gesprochen?«
- »Was?« rief er, wie aus dem Schlafe auffahrend, »daß wir uns heiraten
- wollen? Ich habe mit ihm gesprochen.« Doch das Wort »gesprochen« klang
- voller Bitterkeit in seinem Munde.
- »Und nun?«
- »Was soll man mit ihm machen? Der alte Tropf stellt sich nach seiner
- Gewohnheit taub, will nichts hören, und schilt noch, daß ich mich, weiß
- Gott wo, umhertreibe und mich mit den Burschen in den Straßen vergnüge.
- Doch verzage nicht, meine Halja! Da hast du mein Kosakenwort drauf, daß
- ich ihn doch beuge!«
- »Ja, Lewko, du brauchst nur ein Wörtlein zu sagen, und alles geschieht
- nach deinem Willen. Weiß ich es doch von mir: Ich möchte mich dir so
- manches Mal widersetzen, doch du sagst nur ein Wort, und wider die
- eigene Absicht tu ich, was du willst. Sieh nur, sieh --« fuhr sie fort,
- indem sie den Kopf an seine Schultern lehnte und ihre Augen zur Höhe
- erhob. Dort blaute der warme unermeßliche Himmel der Ukraine, der unten
- von den krausen Zweigen der Kirschbäume verhängt war. »Sieh dort, --
- weit, weit, da blinken Sternchen: eins, zwei, drei, vier, fünf ....
- Nicht wahr, das sind doch Gottes Engel, die die Fensterchen ihrer hellen
- Himmelsstübchen aufmachen und uns ansehen? Sie blicken doch auf unsere
- Erde herab? O, wenn die Menschen doch Flügel hätten wie die Vögel, --
- und so hinauffliegen könnten, hoch, hoch in die Höhe .... O, wie
- schrecklich! Keine Eiche ragt bei uns in den Himmel. Aber es soll
- irgendwo in einem fernen Lande solch einen Baum geben, dessen Wipfel in
- den Himmel hineinrauscht, und Gott soll auf ihm in der Osternacht zur
- Erde herabsteigen.«
- »Nein, Halja, Gott hat eine lange Leiter, die vom Himmel bis zur Erde
- reicht. Am Ostersonntag wird sie von den heiligen Erzengeln
- aufgerichtet, und sowie Gott auf die erste Stufe tritt, da schwirren
- alle unreinen Geister empor und stürzen zu Haufen herab in die Hölle.
- Und darum ist zum Fest Christi kein böser Geist auf der Erde.«
- »Wie sanft wiegt sich das Wasser hin und her, wie ein Kind in der
- Wiege,« fuhr Hanna, auf den Teich weisend, fort, der mürrisch von
- dunklem Ahorngehölz umstanden war und von den Weiden beweint wurde, die
- ihre trauernden Zweige in ihn versenkt hatten. Wie ein kraftloser Greis
- hielt er den ferndunklen Himmel in seinen kalten Armen, überschüttete
- mit frostigen Küssen die brennenden Sterne, die trübe mitten im warmen
- Meer der nächtlichen Luft glimmten, in ängstlicher Vorahnung, daß bald
- der König der Nacht in blendendem Glanz aufleuchten würde. Auf dem Berge
- schlummerte neben dem Walde ein altes hölzernes Haus mit geschlossenen
- Läden; Moos und Unkraut bedeckten sein Dach; krausgelockte Apfelbäume
- wucherten vor den Fenstern, der Wald umarmte es mit seinen Schatten und
- warf eine wilde Düsternis darauf, und vor ihm breitete sich ein
- Nußbaumhain aus und glitt zum Teiche herab.
- »Ich erinnere mich wie im Traume,« sagte Hanna, ohne die Augen von ihm
- abzuwenden. »Vor langer, langer Zeit, als ich noch klein war und bei
- meiner Mutter lebte, da wurde gar Schreckliches von diesem Hause
- gesprochen. Lewko, du weißt es sicher, erzähle!«
- »Da sei Gott vor! Liebste! Was doch die Weiber und Dummköpfe nicht alles
- erzählen. Du bringst dich nur um deine Ruhe, du könntest dich ängstigen
- und nachher nicht gut schlafen!«
- »Erzähl, erzähl, liebster, schönster Junge!« rief sie, preßte ihr
- Gesicht an seine Wange und umschlang ihn fest. »Nein, du liebst mich
- nicht! Sicher liebst du noch ein anderes Mädchen! Ich ängstige mich doch
- nicht -- ich schlafe die Nacht über ganz ruhig. Aber wenn du mir's nicht
- erzählst, werde ich nicht einschlafen können. Ich werde mich quälen und
- werde grübeln .... erzähle, Lewko!«
- »Die Leute sprechen wohl die Wahrheit, die da sagen, daß ein Teufel in
- den Mädchen sitzt und beständig ihre Neugier reizt. So höre denn. Vor
- langer Zeit, mein Herz, da lebte ein Hauptmann in diesem Hause. Dieser
- Hauptmann hatte ein Töchterlein, ein hübsches Fräulein, so weiß wie
- Schnee, ganz so wie dein Gesichtchen. Des Hauptmanns Weib war schon
- lange tot, und der Hauptmann gedachte nun, sich eine andere Frau zu
- nehmen. >Wirst du mich auch liebkosen wie früher, Väterchen, wenn du dir
- eine andere Frau nimmst?< -- Freilich, mein liebes Töchterchen, noch
- fester als früher werd' ich dich an mein Herze drücken! Glänzendere
- Ohrringe noch und Perlen werd' ich dir schenken!«
- »Der Hauptmann brachte das junge Weib in sein Haus. Schön war das junge
- Weib, rosig und weiß war das junge Weib, und doch blickte sie so
- furchtbar auf ihre Stieftochter, daß die aufschrie bei ihrem Anblick,
- die strenge Stiefmutter aber sprach den ganzen Tag über kein Wort. So
- kam die Nacht heran. Der Hauptmann begab sich mit seinem jungen Weibe
- ins Schlafgemach; und auch das schneeweiße Fräulein schloß sich in ihre
- Kammer ein. Bitter ward ihr zumute und sie begann zu weinen. Plötzlich
- sieht sie, wie eine schreckliche Katze auf sie zuschleicht; ihr Fell
- glüht, und ihre eisernen Krallen schlagen laut auf die Diele. Voll Angst
- springt sie auf die Bank, -- die Katze ihr nach; sie springt auf die
- Ofenbank, die Katze folgt ihr dort hinauf, und mit einem Male springt
- sie dem Mädchen an den Hals und beginnt sie zu würgen. Mit einem Schrei
- riß das Mädchen sie von sich los und schleuderte sie zu Boden. Und
- wieder schleicht die schreckliche Katze heran. Ein Grausen erfaßt das
- Mädchen. An der Wand hing ihres Vaters Säbel. Sie packte ihn, und
- sausend fiel der Hieb, -- die Tatze mit den Eisenkrallen flog ab, und
- die Katze verschwand winselnd in der dunklen Ecke. Den ganzen Tag über
- verließ die junge Frau ihr Gemach nicht, erst am dritten Tage erschien
- sie wieder mit einer verbundenen Hand. Da ging dem armen Fräulein eine
- Ahnung auf, daß ihre Stiefmutter eine Hexe war, und daß sie ihr die Hand
- abgehauen hatte. Am vierten Tage befahl der Hauptmann seiner Tochter,
- Wasser herbei zu tragen und das Haus zu fegen wie eine gemeine Magd, und
- verbot ihr, sich in den herrschaftlichen Gemächern zu zeigen. Der
- Ärmsten ward so schwer ums Herz, doch was konnte sie tun, sie mußte ja
- den Willen des Vaters erfüllen. Am fünften Tage jagte der Hauptmann
- seine Tochter barfuß aus dem Hause, und gab ihr nicht einmal ein
- Stückchen Brot mit auf den Weg. Da schlug das Fräulein die Hände vor das
- Gesicht und begann bitterlich zu schluchzen. >O mein Vater, in Verderben
- gestürzt hast du deine eigne Tochter. Die Hexe hat deine sündige Seele
- ins Verderben gestürzt! Möge Gott dir verzeihen, mir hat Er wohl nicht
- länger zu leben beschieden ....< -- Siehst du da ....?« wandte sich
- Lewko an Hanna und wies mit dem Finger auf das Haus, »schau hin: dort
- hinter dem Hause ist das Ufer am steilsten. Von diesem Ufer stürzte sich
- das Fräulein ins Wasser, und ward seit dem Tage nicht mehr gesehen ....«
- »Und die Hexe?« unterbrach ihn Hanna ängstlich und richtete ihre
- tränenschweren Augen auf ihn.
- »Die Hexe? Alte Weiber haben das Märchen ersonnen, daß seit jener Zeit
- in mondhellen Nächten alle ertrunkenen Mädchen in den Garten des
- Hauptmanns kamen, um sich im Mondlicht zu wärmen, und des Hauptmanns
- Töchterlein war die erste unter ihnen. Eines Nachts erblickte sie ihre
- Stiefmutter neben dem Teich, fiel über sie her und schleppte sie mit
- Geschrei ins Wasser. Aber auch diesmal ließ sich die Hexe nicht aus der
- Fassung bringen, sie verwandelte sich unter dem Wasser in eine von den
- Ertrunkenen und entkam so der Peitsche aus grünem Schilf, mit der die
- Ertrunkenen sie schlagen wollten.
- Glaub' einer den Weibern! -- Man erzählt auch noch, daß das Fräulein
- seit jener Nacht die Ertrunkenen um sich sammelt, jeder einzelnen ins
- Gesicht blickt, und sich abmüht, zu erkennen, welche von ihnen die Hexe
- sei; aber bis jetzt hat sie es noch nicht erfahren. Und wenn sie einen
- _Menschen_ in die Hände bekommt, so zwingt sie ihn, die Hexe zu suchen,
- und droht ihm, ihn sonst zu ertränken. So erzählen die alten Leute,
- liebe Halja! .... Unser jetziger Pan aber will an dieser Stelle eine
- Schnapsbrennerei errichten und hat schon eigens dazu einen Brennmeister
- hergeschickt .... Doch ich höre reden. Die Unsrigen kommen vom Singen
- zurück. Leb' wohl, Halja! Schlafe ruhig und denk nicht an diese
- Weibermärchen.« --
- Mit diesen Worten umschlang er sie noch fester, küßte sie und ging.
- »Leb' wohl, Lewko!« sprach Hanna und richtete sinnend ihre Augen auf den
- dunklen Wald.
- In diesem Augenblicke begann ein riesenhafter Feuer-Mond majestätisch
- aus der Erde zu wachsen. Noch lag die eine Hälfte unter der Erde, aber
- schon erfüllte sich die ganze Welt mit einem feierlichen Lichte. Der
- Teich sprühte Funken. Der Schatten der Bäume löste sich scharf vom
- dunklen Grün.
- »Leb' wohl, Hanna!« tönt es hinter ihr, und ein Kuß begleitete diese
- Worte.
- »Du bist wieder zurückgekehrt?« sagte sie und schaute sich um. Aber als
- sie einen unbekannten Burschen sah, wandte sie sich zur Seite.
- »Leb' wohl, Hanna!« ertönte es da wieder, und wieder küßte sie jemand
- auf die Wange.
- »Hat der Teufel noch einen hierhergeführt!« rief sie voller Zorn.
- »Leb' wohl, liebe Hanna!«
- »Ein Dritter!«
- »Leb' wohl, leb' wohl, leb' wohl, Hanna!« Und von allen Seiten regneten
- Küsse auf sie herab.
- »Das ist ja eine ganze Horde!« schrie Hanna und mußte sich gewaltsam aus
- einem großen Haufen von Burschen losreißen, die sie um die Wette
- umarmten. »Wie ist ihnen nur das ewige Küssen nicht zuwider! Bei Gott,
- bald darf man sich nicht mehr auf der Straße zeigen!«
- Nach diesen Worten schlug die Türe zu, und man hörte nur noch, wie der
- eiserne Riegel sich klirrend vorschob.
- II.
- Der Dorfamtmann
- Kennt Ihr die Nächte der Ukraine? O Ihr kennt die Nächte der Ukraine
- nicht. Blickt nur recht tief in sie hinein, versenkt Euch tiefer in ihre
- Wunder. Mitten vom Himmel herab blickt der Mond; noch gewaltiger als
- sonst ist die unermeßliche Wölbung des Himmels, dehnt sich noch weiter
- in unermeßlichen Fernen und scheint brennend und lohend zu atmen. Die
- ganze Erde liegt in silbernem Lichte da, die wundersame Luft ist von
- einer schwülen Kühle und Wonne erfüllt, und strömt einen Ozean von
- Wohlgerüchen aus. Göttliche Nacht! Berückende Nacht! Regungslos und wie
- begeistert stehen die Wälder in tiefer Finsternis und werfen ungeheure
- Schatten. Still liegen die Teiche ruhend da; die Kälte und die
- Finsternis sind düster verkerkert in die dunkelgrünen Mauern der Gärten.
- Die jungfräulichen Hecken aus Faulbeer und Kirschbäumen strecken scheu
- ihre Wurzeln in die kühle Flut der Quellen, und ihre Blätter lispeln ab
- und zu, als ob sie zürnten oder sich empörten, wenn der schöne,
- flatterhafte Nachtwind schnell herangeschlichen kommt und sie küßt. Die
- ganze Natur schläft. Oben aber lebt und webt alles in herrlicher Feier.
- Und auch die Seele breitet sich herrlich aus ins Unermeßliche, und
- Reigen silberner Visionen steigen aus ihrer Tiefe auf. Göttliche Nacht!
- Berückende Nacht! Mit einemmal aber wird alles lebendig: Wälder, Teiche
- und Steppen. Majestätisch rollt das Schmettern der ukrainischen
- Nachtigall dahin, und man meint, selbst der Mond lausche ihr aus der
- Mitte des Himmels .... Wie verzaubert schlummert das Dorf auf der
- Anhöhe. Noch weißer und prächtiger strahlen die Haufen der Häuschen im
- Mondlichte, noch blendender heben sich ihre niederen Mauern von der
- Dunkelheit ab. Die Lieder sind verstummt. Alles ist still. Die frommen
- Leute schlafen schon. Nur hie und da leuchtet ein schmales Fensterchen
- auf. Auf den Schwellen einzelner Hütten sitzt noch eine Familie und
- verzehrt ihr spätes Nachtmahl.
- »I wo, ein Hopser wird ganz anders getanzt! Also darum ging's nicht vom
- Fleck! -- Was erzählt der Gevatter da? .... Nun also: Hop, trala! --
- hop, trala! -- hop, hop, hop!« So sprach ein angeheiterter Bauer
- mittleren Alters zu sich selbst und begann mitten auf der Straße zu
- tanzen. »Bei Gott, so wird kein Hopser getanzt! Was soll ich schwindeln?
- Bei Gott! So nicht! Nun also: Hop trala! -- Hop trala! -- hop, hop,
- hop!«
- »Der Mensch ist ja ganz närrisch. Wenn's noch ein junger Kerl wäre, aber
- so ein alter Bär .... der tanzt bloß den Kindern zum Spott hier nachts
- auf der Straße!« rief eine ältere Frau im Vorübergehen, die Stroh in der
- Hand trug. »Geh nach Haus! Es ist schon längst Schlafenszeit!«
- »Ich gehe ja schon,« sagte der Bauer und blieb stehen. »Ich geh' ja
- schon. Ich pfeife auf den Amtmann. Was denkt er sich denn. Der Teufel
- soll seinen Vater holen. Wenn er Amtmann ist und die Leute bei stärkstem
- Frostwetter noch mit kaltem Wasser begießt, hat er darum etwa das Recht,
- so hochnäsig und wichtig zu tun? Ei, ist das mir ein Amtmann! Ich bin
- mein eigner Amtmann! Gott soll mich schlagen -- ich bin mein eigner
- Amtmann! Jawohl,« fuhr er fort, »und nicht etwa ....« Er trat ans erste
- beste Häuschen heran, blieb vor dem Fenster stehen, und bemühte sich,
- mit den Fingern über die Scheibe gleitend, den hölzernen Griff zu
- finden. »Weib, mach auf! Schnell, Weib, ich sage dir, mach auf! Der
- Kosak will schlafen!«
- »Wo willst du hin, Kalenik? du bist an ein fremdes Haus geraten!«
- schrien lachend die Mädchen hinter ihm her, die vom fröhlichen Sang
- heimkehrten. »Sollen wir dir dein Haus zeigen?«
- »Zeigt mir's, meine lieben jungen Damen!«
- »Damen? Hört ihr's?« rief die eine, »wie artig Kalenik ist! Dafür müssen
- wir ihm sein Haus zeigen ....! Aber nein, erst tanz uns mal eins vor!«
- »Tanzen? .... Ah, ihr schlauen Mädel!« rief Kalenik gedehnt lachend, mit
- dem Finger drohend und stolpernd, denn er war etwas unsicher auf den
- Beinen. »Laßt Ihr euch auch küssen? Ich will euch alle küssen -- alle
- .... alle!« Und mit wankenden Schritten jagte er hinter ihnen her. Die
- Mädchen schrieen alle durcheinander; aber bald faßten sie Mut und liefen
- auf die andere Seite der Straße, als sie merkten, daß Kalenik nicht
- allzu flink auf den Beinen war.
- »Da ist dein Haus!« schrien sie ihm beim Fortgehen zu und zeigten auf
- ein Haus, das größer war als die übrigen und dem Dorfamtmann gehörte.
- Kalenik wankte gehorsam auf jene Seite hinüber und begann dann von neuem
- auf den Amtmann zu schimpfen.
- Wer aber ist denn eigentlich dieser Amtmann, der so böses Gerede über
- sich erregt? O, dieser Amtmann ist eine wichtige Person auf dem Lande.
- Bis Kalenik das Ende seines Weges erreicht hat, werden wir wohl Zeit
- finden, einiges über ihn zu sagen. Alle im Dorfe greifen bei seinem
- Anblick an die Mütze, und selbst die allerjüngsten Mädchen sagen ihm
- Guten Tag. Wer im Dorfe möchte nicht Amtmann sein? Dem Amtmann ist der
- Weg zu allen Tabaksdosen offen, und der kräftige Bauer steht die ganze
- Zeit über ehrfurchtsvoll mit der Mütze in der Hand da, solange jener
- seine dicken und groben Finger in seine Tabatiere von Bast steckt. Im
- Gemeinderat hat der Amtmann immer die Oberhand, obgleich seine Macht
- noch durch andere Stimmen beschränkt wird, und er heißt fast ganz nach
- seiner Willkür jeden, der ihm gerade paßt, den Weg ebnen oder einen
- Graben anlegen. Der Amtmann ist mürrisch, von plumpem Äußeren und redet
- nicht gern. Vor langer, langer Zeit, als noch die große Zarin Katharina
- seligen Angedenkens einmal in die Krim reiste, war er auserwählt worden,
- an ihrem Gefolge teilzunehmen; er bekleidete dieses Amt ganze zwei Tage
- und hatte sogar die Ehre, auf dem Bock neben dem Kutscher der Zarin
- sitzen zu dürfen. Seit dieser Zeit weiß der Amtmann würdevoll und
- sinnend den Kopf zu senken, seinen langen und an der Spitze etwas
- krausen Schnurrbart zu glätten und drohende Falkenblicke um sich zu
- werfen. Seit dieser Zeit weiß er auch, worüber man immer mit ihm
- sprechen mag, stets die Rede darauf zu bringen, daß er die Zarin
- begleitet und auf dem Kutschbock des kaiserlichen Wagens gesessen habe.
- Der Amtmann beliebt nur manchmal, sich taub zu stellen, besonders wenn
- er etwas hören muß, was er nicht gerne hört. Er liebt es nicht, Staat zu
- machen, trägt stets einen Kittel aus schwarzem Haustuch, umgürtet sich
- mit einem bunten Wollgürtel, und noch _nie_ hat ihn jemand in einem
- anderen Kostüm gesehen, ausgenommen vielleicht in der Zeit, wo die Zarin
- in die Krim reiste, und wo er einen blauen Kosakenrock, den Schupan,
- trug. Aber auf diese Zeit kann sich wohl kaum jemand aus dem ganzen
- Dorfe besinnen; den Schupan aber bewahrt er in einem Kasten unter Schloß
- und Riegel. Der Amtmann ist Witwer; aber in seinem hause lebt eine
- Schwägerin, die ihm Mittag- und Abendbrot kocht, die Bänke scheuert, die
- Stube weißt, ihm Hemdentuch webt und sein ganzes Hauswesen leitet. Im
- Dorfe heißt es, sie sei nicht richtig mit ihm verwandt; aber wir haben
- ja schon gesehen, daß der Amtmann viele Feinde hat, die ihn gern ein
- wenig verleumden. Übrigens hat vielleicht der Umstand Anlaß dazu
- gegeben, daß es der Schwägerin immer mißfiel, wenn der Amtmann aufs Feld
- ging, wo die Schnitterinnen an der Arbeit waren, oder zu einem Kosaken,
- der ein junges Töchterchen hatte. Der Amtmann ist einäugig, dafür aber
- ist sein einsames Auge ein Schelm und kann schon von fern ein hübsches
- Bauernmädchen erkennen. Doch bevor er sein Auge auf ein niedliches
- Gesichtchen richtet, sieht er sich erst sorgfältig um, ob ihm die
- Schwägerin auch nicht zuschaut.
- Nun haben wir schon fast alles Notwendige vom Amtmann erzählt, und der
- betrunkene Kalenik hat noch nicht die Hälfte des Weges zurückgelegt.
- Noch lange traktierte er den Amtmann mit den ausgesuchtesten Worten, die
- ihm auf seine faule und zusammenhangloses Zeug lallende Zunge kamen.
- III.
- Ein unerwarteter Nebenbuhler
- Die Verschwörung
- »Nein, Burschen, nein! Ich will nicht! Was soll diese Ausgelassenheit?
- Wie, wird euch das Tollen nicht zuwider? Wir gelten ohnehin schon für
- Gott weiß was für Raufbolde. Geht lieber schlafen!« So sprach Lewko zu
- seinen fröhlichen Kumpanen, die ihn zu neuen Streichen überreden
- wollten. »Lebt wohl, Brüder! Gute Nacht!« Und schnellen Schrittes eilte
- er davon.
- »Schläft meine helläugige Hanna?« dachte er, als er an das uns schon
- bekannte, von Kirschbäumen umstandene Häuschen trat. Mitten in der
- Stille vernahm er ein leises Gespräch. Lewko blieb stehen. Durch die
- Bäume schimmerte ein weißes Frauengewand .... »Was soll das?« dachte er,
- schlich näher heran und versteckte sich hinter einem Baum. Der
- Mondschein erhellte das Gesicht des vor ihm stehenden Mädchens.
- »Hanna?« Aber wer war der hochgewachsene Mann, der mit dem Rücken zu ihm
- stand? Vergeblich blickte er nach ihm hin: Der war vom Kopfe bis zu den
- Füßen in Schatten gehüllt. Nur von vorn fiel etwas Licht auf ihn, aber
- schon der kleinste und leiseste Schritt setzte Lewko der
- Unannehmlichkeit aus, entdeckt zu werden. Still an einen Baum gelehnt,
- blieb er stehen. Das Mädchen hatte ganz deutlich seinen Namen
- ausgesprochen.
- »Lewko? Lewko ist noch ein Milchbart!« rief der große Mann. »Wenn ich
- ihn bei dir treffe, reiße ich ihm den Schopf aus ....«
- »Ich möchte wohl wissen, welcher Lump damit prahlt, er werde mir meinen
- Schopf ausreißen!« sagte sich Lewko still und reckte den Hals empor, um
- ja kein Wort zu verlieren. Aber der Unbekannte fuhr so leise fort, daß
- man nichts mehr hören konnte.
- »Schämst du dich denn gar nicht!« sprach Hanna, als er zu Ende geredet
- hatte. »Du lügst, du willst mich betrügen. Du liebst mich nicht, ich
- werde dir nie glauben, daß du mich liebst!«
- »Ich weiß,« erwiderte der große Mann, »Lewko hat dir viel unsinniges
- Zeug vorgeschwatzt und dir den Kopf verdreht!« (Hier kam es dem Burschen
- so vor, als sei die Stimme des Unbekannten ihm nicht ganz fremd, und als
- habe er sie schon einmal gehört.) »Aber ich werd' es dem Lewko schon
- zeigen!« fuhr der Unbekannte fort. »Er glaubt, ich sehe alle seine
- Streiche nicht, er soll meine Fäuste schon zu kosten bekommen, der
- Hundesohn!«
- Bei diesen Worten konnte Lewko seinen Zorn nicht länger unterdrücken. Er
- schlich bis auf drei Schritte an ihn heran und holte aus aller Kraft
- aus, um ihm einen Hieb zu versetzen, dem der Unbekannte trotz seiner
- offenbaren Stämmigkeit vielleicht nicht standgehalten hätte; aber in
- diesem Augenblicke fiel das Licht auf des Unbekannten Antlitz, und Lewko
- erstarrte -- er sah seinen eigenen Vater vor sich. Nur ein
- unwillkürliches Kopfschütteln und ein leises Pfeifen durch die Zähne
- verrieten seine Verblüffung. Dann vernahm man ein feines Rascheln, Hanna
- floh eiligst ins Haus und schlug die Tür hinter sich zu.
- »Leb wohl, Hanna!« rief in diesem Augenblick einer der Burschen, der
- leise herangeschlichen war, und umarmte den Amtmann, aber er prallte
- entsetzt zurück, als er den struppigen Schnurrbart berührte.
- »Leb wohl, mein schönes Kind!« rief ein anderer, aber dieser flog Hals
- über Kopf, von einem schweren Stoß des Amtmanns getroffen, zur Erde.
- »Leb wohl, leb wohl, Hanna!« riefen einige Burschen und hingen sich ihm
- an den Hals.
- »Fahrt doch zur Hölle, ihr verdammten Lümmel!« schrie der Amtmann, indem
- er sie von sich abwehrte, und stampfte voller Wut mit den Füßen. »Bin
- ich etwa Hanna? Schert euch hinter euren Vätern her; an den Galgen mit
- euch, ihr Teufelsbrut! Kleben die fest an einem, rein wie die Bienen am
- Honig! Ich will euch schon zeigen wer Hanna ist ....«
- »Der Amtmann, der Amtmann! 's ist der Amtmann!« schrien die Burschen und
- liefen nach allen Seiten auseinander.
- »Ei, ei, Väterchen!« sprach Lewko, als er sich wieder von seinem Staunen
- erholt hatte, und blickte dem schimpfend davonziehenden Amtmann nach.
- »Solche Streiche machst du also? Großartig! Und ich habe mich noch
- gewundert und immer gedacht, was mag das nur bedeuten, daß er sich immer
- taub stellt, sobald ich mit ihm von dieser Sache zu sprechen anfange.
- Halt, alter Graubart, ich will dir schon beibringen, was das heißt, sich
- vor den Fenstern junger Mädchen herumzudrücken; fremde Bräute abspenstig
- machen? -- na, ich will dir's schon zeigen! Hollah, Jungens, hierher!«
- schrie er, mit der Hand die Burschen zu sich heranwinkend, die sich
- wieder versammelt hatten und in einem Haufen zusammenstanden. »Kommt
- doch her! Ich hab' euch zwar ermahnt, schlafen zu gehen, aber ich hab's
- mir wieder überlegt und will gern die ganze Nacht mit euch verbummeln.«
- »Das laß ich mir gefallen!« rief ein breitschultriger und stattlicher
- Bursche, der als der erste Herumstreicher und Wildfang im Dorf galt.
- »Mir ist nicht wohl zumute, wenn ich keine Gelegenheit habe, ein paar
- Streiche zu machen und mich ordentlich auszutoben. Mir ist, als fehlte
- mir etwas, es kommt mir dann so vor, als hätte ich die Mütze oder die
- Pfeife verloren, kurz, ich fühle mich nicht mehr als rechter Kosak!«
- »Wollt ihr heute den Amtmann mal tüchtig ärgern?«
- »Den Amtmann?«
- »Ja, den Amtmann. Wahrhaftig! Was denkt sich denn der? Der kommandiert
- bei uns herum wie ein Hetman! Nicht genug, daß er uns hin und her hetzt
- wie seine Knechte, nein, er macht sich auch noch an unsere Mädchen
- heran! Ich glaube, im ganzen Dorfe gibt's auch nicht _ein_ hübsches
- Mädchen, mit dem der Amtmann nicht anbändelte.«
- »'s ist wahr, 's ist wahr!« riefen alle Burschen wie aus einer Kehle.
- »Aber, Kinder, was sind wir denn für Kerle? Sind wir nicht Männer von
- altem Stamm wie er? Wir sind doch gottlob freie Kosaken! Jungens, zeigen
- wir ihm, daß wir freie Kosaken sind!«
- »Ja, ja, wir wollen's ihm zeigen!« riefen die Burschen. »Und kommt erst
- der Amtmann an die Reihe, so wollen wir auch den Schreiber nicht
- vergessen!«
- »Freilich, wir wollen auch den Schreiber nicht vergessen. Gerade eben
- ist mir so ein hübsches Liedchen auf den Amtmann eingefallen. Kommt, ich
- will es euch lehren,« fuhr Lewko fort und schlug mit der Hand die Saiten
- der Harfe an. »Aber hört: jeder muß sich verkleiden wie sich's gerad
- trifft!«
- »Los, Kosaken!« rief der wilde, stämmige Mensch, schlug die Beine
- zusammen und klatschte in die Hände. »Ist das eine Freude! Das nenn' ich
- Freiheit! Wenn das Toben beginnt, so möcht' ich fast glauben, die alten
- Tage erständen aufs neue. So herrlich und frei wird einem ums Herz und
- die Seele fühlt sich wie im Paradies. He, Jungens! Auf, drauf los!« ....
- Und die Menge zog lärmend durch die Straßen. Die frommen alten Frauen,
- die vom Geschrei geweckt wurden, schoben die Fenster in die Höhe,
- bekreuzigten sich mit ihren schläfrigen Händen und sprachen: »Ja, ja,
- jetzt gehen die Burschen bummeln!«
- IV.
- Die Burschen bummeln
- Nur in einem Hause, am Ende der Straße brannte noch Licht. Das war das
- Haus des Amtmanns. Der Amtmann hatte schon längst sein Nachtmahl beendet
- und wäre zweifellos schon lange schlafen gegangen, aber er hatte noch
- einen Gast, den Branntweinbrenner, der von einem Gutsbesitzer, welcher
- mitten im Kosakenlande ein kleines Gut besaß, hierher geschickt worden
- war, um eine Schnapsbrennerei zu errichten. Obenan auf dem Ehrenplatze
- unterm Heiligenbilde, saß der Gast -- ein kurzes, dickes Männchen mit
- ewig lachenden Äuglein, die das ganze Behagen wiederzuspiegeln schienen,
- mit dem er seine Pfeife rauchte; er spuckte jeden Augenblick zur Seite
- und preßte den aus der Pfeife kriechenden Tabak, der sich schon zu Asche
- verwandelt hatte, mit dem Daumen wieder hinein. Dichte Rauchwolken
- türmten sich schnell über ihm auf und hüllten ihn in ein Kleid von
- blauem Nebel. Es schien, als ob der breite Schlot einer Schnapsfabrik
- herunterspaziert wäre, weil er es überdrüssig geworden war, ewig auf
- seinem Dache zu hocken, und nun artig in der Stube des Amtmanns bei
- Tisch säße. Dicht unter seiner Nase befand sich ein kurzer dichter
- Schnurrbart; aber dieser Schnurrbart guckte so undeutlich aus der
- Tabaksluft hervor, als wäre er eine Maus, die der Branntweinbrenner
- gefangen hätte und nun im Munde hielte; wie wenn jener die Absicht
- hätte, das Monopol des Katers auf dem Speicher zu untergraben. Der
- Amtmann saß als Hausherr in bloßem Hemd und in einer Leinwandhose da;
- sein Adlerauge begann allmählich zu blinzeln und zu erlöschen wie die
- Abendsonne. Am Ende des Tisches rauchte einer der Dorfbüttel, die das
- Kommando des Amtmanns bildeten ein Pfeifchen; er saß aus Respekt vor dem
- Hausherrn im Kittel da.
- »Gedenkt ihr,« sprach der Amtmann zum Brennmeister gewandt, indem er ein
- Kreuz über seinen gähnenden Mund machte, »gedenkt ihr die Brennerei bald
- zu eröffnen?«
- »Mit Gottes Hilfe werden wir vielleicht schon in diesem Herbst zu
- brennen anfangen. Ich wette, zu Mariä Geburt werden der Herr Amtmann
- schon auf der Straße mit den Beinen die Linien von deutschen Bretzeln
- beschreiben!«
- Bei diesen Worten verschwanden die Augen des Branntweinbrenners, und an
- ihrer Stelle zogen sich lange Strahlen bis zu den Ohren hin. Der ganze
- Körper schüttelte sich vor Lachen, und seine lustigen Lippen trennten
- sich für einen Augenblick von der paffenden Pfeife.
- »Das gebe Gott!« sprach der Amtmann und drückte auf seinem Gesicht so
- etwas wie ein Lächeln aus. »Jetzt gibt's Gottlob, wenig
- Schnapsbrennereien. Aber in alten Zeiten, als ich die Zarin auf der
- Landstraße von Perejaslawl geleitete, und der verstorbene Besborodko
- ...«
- »An was für Zeiten du auch denkst, Gevatter! Damals konnte man auf dem
- ganzen Wege von Krementschug nach Romny noch nicht eine Schnapsbrennerei
- finden. Jetzt dagegen .. hast du gehört, was sich diese verdammten
- Deutschen ausgedacht haben? Bald wird man, wie es heißt, den Schnaps
- nicht mehr mit Holz brennen, wie das alle ehrlichen Christen tun,
- sondern mit irgend einem verteufelten Dampfe!« ... Bei diesen Worten
- blickte der Brandmeister nachdenklich auf seine Ellbogen, die er auf den
- Tisch stützte. »Wie das mit Dampf gemacht werden soll, das weiß ich bei
- Gott nicht!«
- »Was für Narren doch diese Deutschen sind! Lieber Gott erbarme dich!«
- sagte der Amtmann. »Die sollten den Knüppel zu kosten kriegen, diese
- Hundesöhne! Wo hat man je gehört, daß man mit Dampf kocht? Auf diese Art
- könnte man ja keinen Löffel Borschtschsuppe in den Mund nehmen, ohne
- sich die Lippen zu verbrühen und auch kein junges Ferkel ....«
- »Gevatter,« rief da die Schwägerin, die mit übereinandergeschlagenen
- Beinen auf der Ofenbank saß: »Wirst du denn die ganze Zeit über ohne
- deine Frau bei uns leben?«
- »Wozu brauche ich _die_? Wenn's noch was Rechtes wär'!«
- »Ist sie nicht nett?« fragte der Amtmann, sein Auge auf ihn richtend.
- »Gott bewahre, nett! Die ist so alt wie der Teufel! Und hat die Fratze
- voller Runzeln wie ein leerer Beutel!« Und die gedrungene Gestalt des
- Branntweinbrenners fing wieder an zu wackeln, so laut lachte er.
- In diesem Augenblick scharrte jemand an der Tür; die Tür ging auf -- ein
- Bauer trat über die Schwelle, ohne die Mütze abzunehmen, und pflanzte
- sich mitten in der Stube auf, wie nachdenklich, mit aufgesperrtem Munde
- die Decke musternd. Es war der uns schon bekannte Kalenik.
- »So, nun bin ich zu Hause!« rief er aus und setzte sich auf eine Bank
- neben der Tür, ohne im geringsten auf die Anwesenden zu achten. »Wie
- lang mir der Sohn des Bösen den Weg gemacht hat! Man geht und geht, und
- es nimmt kein Ende! Die Beine sind einem wie zerschlagen. Weib, gib mir
- doch den Schafspelz als Unterlage. Weiß Gott, ich kriech' nicht zu dir
- auf den Ofen, dazu tun mir die Beine zu weh! Gib ihn mir her. Dort liegt
- er neben dem Heiligenbilde, aber sieh zu, wirf den Topf mit dem
- geriebenen Tabak nicht um. Oder nein, laß ihn lieber! Du bist heute
- vielleicht betrunken .... ich hol ihn mir schon lieber selbst.«
- Kalenik wollte sich aufrichten, aber eine unüberwindliche Macht fesselte
- ihn an die Bank.
- »Das gefällt mir,« sagte der Amtmann, »der kommt in fremde Stuben und
- benimmt sich ganz wie zu Hause! Schafft ihn nur in Frieden wieder
- hinaus! ....«
- »Laßt ihn ausruhen, Gevatter,« sprach der Branntweinbrenner, den Amtmann
- an der Hand zurückhaltend. »Das ist ein nützlicher Mensch: noch mehr
- solche Leute -- und unsere Brennerei geht großartig!«
- Es war jedoch nicht Gutmütigkeit, die ihn zu diesen Worten veranlaßte.
- Der Branntweinbrenner glaubte an allerhand üble Vorzeichen, und einen
- Menschen, der sich schon gesetzt hatte, davonjagen, das hieß für ihn so
- viel wie ein Unglück heraufbeschwören.
- »Ach ja, das Alter rückt heran ....« brummte Kalenik und streckte sich
- auf die Bank hin. »Wäre ich noch wenigstens betrunken! Aber bei Gott,
- nein, ich bin nicht betrunken! Wozu sollte ich denn flunkern? Und das
- will ich auch dem Amtmann selbst sagen, wenn's sein muß! Was ist mir
- denn der Amtmann? Mag er verrecken, der Hundesohn. Ich spucke auf ihn.
- Ein Wagen soll ihn überfahren, den einäugigen Teufel! Was hat er den
- Leuten Wasser auf den Kopf zu gießen, wenn's friert! ....«
- »Oho! Kommt einem so ein Schwein ins Haus gekrochen und legt auch noch
- die Pfoten auf den Tisch!« sagte der Amtmann und stand zornig von seinem
- Platze auf; aber in diesem Augenblicke flog ein gewichtiger Stein, der
- die Fensterscheibe zerschmetterte, ihm vor die Füße. Der Amtmann blieb
- stehen. »Wenn ich wüßte,« sagte er, und hob den Stein auf, »welcher
- Galgenstrick den Stein da hereingeworfen hat, dem würde ich schon
- zeigen, was das heißt, Steine werfen! Was für Streiche!« fuhr er fort,
- indem er den Stein in die Hand nahm und mit brennendem Blicke musterte.
- »Er soll ersticken an diesem Stein! ....«
- »Halt, halt! Behüt dich Gott, Gevatter!« fiel der Branntweinbrenner mit
- bleichem Gesichte ein. »Behüt dich Gott in dieser und jener Welt, jemand
- mit einem solchen Fluch zu bedenken!«
- »Oho, der hat ja einen schönen Beschützer gefunden! Krepieren soll er
- ....«
- »Hör auf, Gevatter! Du weißt wohl nicht, was meiner seligen
- Schwiegermutter widerfahren ist?«
- »Deiner Schwiegermutter?«
- »Ja, meiner Schwiegermutter! Eines Abends, es war ein bißchen früher als
- heute, setzten sie sich zum Abendessen hin: meine verstorbenen
- Schwiegereltern, der Knecht, die Magd und fünf Kinder. Die
- Schwiegermutter schüttete ein paar Knödel aus dem großen Kessel in die
- Schüssel, damit sie ein wenig abkühlten, denn nach der Arbeit waren alle
- hungrig und wollten nicht warten, bis die Knödel kalt waren. Sie
- steckten ihre langen Holzstäbe hinein und begannen zu essen. Auf einmal
- taucht da ein Mann auf und bittet, ihn auch mitessen zu lassen; wer das
- war, mag Gott wissen. Nun, soll man etwa einem hungrigen Menschen nicht
- zu essen geben? Man reicht ihm also auch ein Stäbchen. Aber der Gast
- räumt mit den Knödeln auf wie die Kuh mit dem Heu. Bis jene einen Knödel
- gegessen und den Stab nach einem zweiten ausgestreckt hatten, war der
- Boden der Schüssel schon so glatt wie die Diele eines Herrenhauses. Die
- Schwiegermutter tat noch Klöße hinein; denn sie dachte, nun hat der Gast
- sich satt gegessen und wird nicht mehr so stark zugreifen. Aber ganz im
- Gegenteil: er schlang und schlang noch immer gewaltiger, und leerte auch
- die zweite Schüssel. »Daß du an den Knödeln ersticktest!« dachte die
- hungrige Schwiegermutter; aber da drehte sich jener auf einmal um und
- sank zu Boden. Man stürzte zu ihm hin -- aber sein Geist war schon
- entflohen. Er war erstickt!«
- »Geschah ihm ganz recht, dem verdammten Freßsack!« sagte der Amtmann.
- »Schon recht, aber es kam ganz anders: Seit jener Zeit hatte die
- Schwiegermutter keine Ruhe mehr. Kaum wird's Nacht, sofort kommt der
- Tote angerückt. Sitzt rücklings auf dem Schornstein, der Verdammte, und
- hält einen Knödel zwischen den Zähnen. Am Tage ist alles ruhig, er läßt
- weder etwas von sich sehen noch hören; kaum aber dämmert es, so braucht
- man nur auf's Dach zu blicken und schon reitet der Hundesohn da oben auf
- dem Schornstein!«
- »Mit einem Knödel zwischen den Zähnen?«
- »Ja mit einem Knödel zwischen den Zähnen!«
- »Wie wunderlich, Gevatter! Ich habe ja auch so was Ähnliches von meiner
- Seligen gehört ....«
- Da aber hielt der Amtmann inne. Vor dem Fenster wurde Geräusch, ein
- Stampfen und Tanzen laut vernehmbar. Zuerst hörte man die Harfensaiten
- leise klimpern und dann fiel eine Stimme ein. Die Saiten erklangen
- stärker, mehrere Stimmen fielen ein -- und wie ein Wirbel ertönte
- rauschend das Lied:
- Burschen, habt ihr schon vernommen?
- Sind wir wirklich solche Narren?
- Unser Amtmann hat bekommen
- In dem Schädel einen Sparren!
- Böttcher, schlag um unsern Amtmann
- Deine festen Eisenreifen!
- Böttcher, laß um unsern Amtmann
- Ruten, Ruten, Ruten pfeifen!
- Unserm Amtmann alt und grau,
- Fehlt ein Auge in dem Kopf!
- Unser Amtmann ist 'ne Sau,
- Schleicht zu Mädels, dieser Tropf!
- Läufst du zu den jungen Leuten,
- Bleib nur lieber fein zu Haus!
- Denk' mal: wenn sie dich verbläuten
- Und den Schopf dir rissen aus! ....
- »Ein ausgezeichnetes Lied, Gevatter!« sagte der Branntweinbrenner, indem
- er den Kopf etwas auf die Seite neigte und sich an den Amtmann wandte,
- der bei dieser Frechheit ganz starr vor Staunen geworden war.
- »Ausgezeichnet! 's ist nur schade, daß man in nicht ganz anständigen
- Worten vom Amtmann spricht ...«
- Und wieder stützte er mit einer süßlichen Rührung in den Augen die Arme
- auf den Tisch und bereitete sich vor, weiter zuzuhören, denn vor dem
- Fenster erdröhnte ein Gelächter, und man vernahm den Ruf: »Noch einmal,
- noch einmal!« Ein scharfes Auge hätte jedoch sofort bemerkt, daß nicht
- das Staunen allein den Amtmann so lange auf einem Fleck festhielt. So
- läßt oft ein alter erfahrener Kater die junge unerfahrene kleine Maus
- rings um seinen Schwanz herumlaufen, während er Pläne schmiedet, wie er
- ihr am besten den Rückzug in ihr Mauseloch abschneiden kann. Noch war
- das einsame Auge des Amtmanns auf das Fenster gerichtet, aber schon lag
- seine Hand, die dem Büttel ein Zeichen gegeben hatte, am Holzgriff der
- Tür; auf einmal erhob sich auf der Straße ein lautes Geschrei ..... Der
- Branntweinbrenner, zu dessen zahlreichen Vorzügen auch eine gewisse
- Neugierde gehörte, stopfte rasch den Tabak wieder in seine Pfeife und
- lief auf die Straße hinaus. Aber die Taugenichtse waren schon
- auseinandergestoben.
- »Nein, du wirst mir nicht entwischen!« schrie der Amtmann und zerrte
- einen Menschen in einem schwarzen Schafspelz hinter sich her, dessen
- Fell nach außen gekehrt war. Der Branntweinbrenner benutzte die Zeit und
- eilte herzu, um dem Friedensstörer ins Gesicht zu schauen; aber er wich
- angstvoll zurück, als er einen langen Bart und eine schreckhaft
- ausgemalte Fratze erblickte. »Nein, du wirst mir nicht entwischen!«
- schrie der Amtmann und schleppte seinen Gefangenen in den Flur; ruhig
- und ohne den geringsten Widerstand zu leisten, folgte ihm der Gefangene,
- als ob's sein eignes Haus wäre. »Karpo, mach' die Kammer auf!« rief der
- Amtmann dem Büttel zu. »Wir sperren ihn in die dunkle Kammer! Dann
- wecken wir den Schreiber, holen die Büttel herbei, fangen all diese
- Raufbolde ein und urteilen sie heute noch ab!«
- Der Büttel klapperte im Flur am Hängeschloß und öffnete die Kammer. In
- diesem Augenblick machte sich der Gefangene die Dunkelheit im Flur
- zunutze und riß sich plötzlich mit ungewöhnlicher Kraft aus den Händen,
- die ihn hielten.
- »Wohin?« rief der Amtmann und packte ihn noch fester am Kragen.
- »Laß los, ich bin's ja!« hörte man ein dünnes Stimmchen rufen.
- »Das nützt dir nichts, das nützt dir gar nichts, Brüderchen! Quiek du
- nur wie ein Weib oder wie ein Teufel! Mich wirst du nicht übertölpeln!«
- Und der Amtmann stieß ihn in die dunkle Kammer, so daß der arme
- Gefangene aufstöhnend zu Boden fiel. Er selbst begab sich in Begleitung
- des Büttels ins Haus des Schreibers, und hinter ihnen kam der
- Branntweinbrenner wie ein Dampfschiff dahergeraucht.
- Nachdenklich schritten alle drei mit gesenktem Kopfe dahin, doch auf
- einmal stießen sie beim Einbiegen in ein dunkles Gäßchen einen Schrei
- aus -- jeder hatte einen mächtigen Schlag vor die Stirn bekommen, und
- eben solch ein Schrei hallte ihnen zur Antwort entgegen. Der Amtmann
- kniff sein Auge zu und sah erstaunt den Schreiber mit zwei Bütteln vor
- sich.
- »Ich will gerade zu dir, Herr Schreiber!«
- »Und ich wollte gerade zu dir, Herr Amtmann!«
- »Es geschehen Wunder, Herr Schreiber!«
- »Ja, es gehen Wunderdinge vor, Herr Amtmann!«
- »Was denn?«
- »Die Burschen toben! In ganzen Scharen treiben sie Unfug auf den
- Straßen. Sie benennen Euer Gnaden mit solchen Worten .... Man schämt
- sich, eins davon zu nennen; selbst ein betrunkener Moskowiter würde sich
- hüten, mit seiner unreinen Zunge sowas auszusprechen! (All diese Worte
- begleitete der dürre Schreiber, der eine Hanfpluderhose und eine
- hefenfarbene Weste anhatte, mit einem Vorstrecken und schleunigem
- Zurückziehen des Halses.) Ich wollte gerade einnicken, da schleppten
- mich die verdammten Lümmel mit ihren unflätigen Liedern und ihrem
- Gepolter aus dem Bett! Ich wollte ihnen eine ordentliche Lehre geben,
- aber bis ich die Hose und Weste angezogen hatte, waren sie wieder nach
- allen Seiten auseinandergelaufen. Der Rädelsführer ist uns aber nicht
- entwischt. Jetzt brummt er in der Stube, wo man die Häftlinge festhält.
- Ich brannte darauf, zu erfahren, was das für ein Vogel sei, aber seine
- Fratze ist mit Ruß beschmiert, wie bei einem Teufel, der die Nägel für
- die Sünder schmiedet.«
- »Und wie ist er angezogen, Herr Schreiber?«
- »Er trägt einen schwarzen, nach außen gekehrten Pelz, der Hundesohn,
- Herr Amtmann!«
- »Lügst du auch nicht, Herr Schreiber? Wie, wenn nun dieser Taugenichts
- _bei mir_ in der Kammer säße?«
- »Nein, Herr Amtmann, sei nicht böse, aber da irrst du dich selbst ein
- wenig.«
- »Macht einmal Licht, wir wollen doch nachsehen!«
- Man holte Licht herbei, machte die Tür auf -- und der Amtmann stieß vor
- Verwunderung ein lautes »Ah!« aus, als er seine Schwägerin vor sich sah.
- »Nun sag mir doch, bitte, bist du denn ganz von Sinnen!« rief sie und
- ging mit diesen Worten auf ihn zu. »Wäre auch nur ein Quentchen Gehirn
- in deinem einäugigen Schädel, -- hättest du mich wohl dann in die dunkle
- Kammer hineingepufft? Noch ein wahres Glück, daß ich mir nicht den Kopf
- an der eisernen Türangel zerschlagen habe! Hab' ich dir nicht zugerufen,
- daß ich es bin? -- Muß mich dieser verfluchte Bär mit seinen eisernen
- Tatzen packen und mich herumstoßen. Daß dich in jener Welt der Teufel so
- stoßen möge! ....«
- Die letzten Worte sagte sie schon auf der Gasse, denn sie mußte aus
- gewissen Gründen hinausgehen.
- »Freilich sehe ich, daß du es bist!« sagte der Amtmann, der unterdes
- wieder zu sich gekommen war.
- »Was sagst du dazu, Herr Schreiber! Ist dieser verdammte Windbeutel
- nicht ein Schelm?«
- »Wahrhaftig, ein Schelm; Herr Amtmann!«
- »Wäre es nicht Zeit, alle diese Taugenichtse einmal tüchtig ins Gebet zu
- nehmen, damit sie an ihre Arbeit gehen?«
- »Es wäre schon Zeit, höchste Zeit, Herr Amtmann!«
- »Diese Narren haben .... Was Teufel? Ich glaube, ich höre meine
- Schwägerin auf der Straße schreien .... diese Narren haben sich in den
- Kopf gesetzt, ich sei ihresgleichen. Sie glauben offenbar, ich sei nur
- ein einfacher Kosak!« .... Aus dem nun folgenden Hüsteln und Blitzen des
- Auges, das er im Kreise umherschweifen ließ, konnte man erraten, daß der
- Amtmann vorhatte, etwas Wichtiges zu sagen. »Im Jahre Eintausend, ....
- Gott töte mich, ich kann diese verdammten Jahreszahlen nicht behalten
- .... Also im Jahre .... erhielt der damalige Kommissär Ledatschi den
- Befehl, einen Kosaken auszuwählen, der gescheiter sei, als die anderen.
- O, (der Amtmann sprach dieses »O« mit erhobenem Finger) gescheiter als
- die anderen, um der Zarin das Geleit zu geben. Ich bin damals ....«
- »Was ist da viel zu reden? Jeder kennt die Geschichte schon, Herr
- Amtmann! Alle wissen doch, daß du dir die Gnade der Zarin verdient hast.
- Gesteh jetzt, hatte ich nicht recht? Hast du dich nicht doch etwas
- geirrt, als du sagtest, du habest diesen Kerl im Pelz erwischt?«
- »Was diesen Teufel im Pelz betrifft, so soll er zur Lehre für die
- anderen in Ketten geschmiedet und tüchtig abgestraft werden. Sie sollen
- schon merken, was das heißt, Obrigkeit! Wer hat denn den Amtmann
- eingesetzt, wenn nicht der Zar? Und dann wollen wir uns um die anderen
- Lausbuben kümmern. Ich habe noch nicht vergessen, wie diese verfluchten
- Lümmel eine Schweineherde in meinen Gemüsegarten getrieben haben, die
- mir den ganzen Kohl und alle Gurken wegfraß. Ich habe auch nicht
- vergessen, wie diese Teufelskinder sich weigerten, mir mein Korn zu
- dreschen; o nein, ich hab's nicht vergessen! .... Aber sie sollen
- verrecken, ich muß auf jeden Fall erfahren, wer der Schelm im Pelz ist!«
- »Man merkt's, das ist ein flinker Vogel!« sagte der Branntweinbrenner,
- der sich während dieses ganzen Gespräches fortwährend die Backen mit
- Rauch vollpumpte, wie ein Belagerungsgeschütz, und dessen Lippen eine
- ganze Rauchfontäne ausstießen, wenn sie sich von der kurzen Pfeife
- trennten.
- »Es wäre auf jeden Fall nicht übel, diesen Menschen in der Brennerei zu
- haben, noch besser wär's freilich, ihn an einem Eichenwipfel
- aufzuhängen, wie einen Kirchenkronleuchter.«
- Dieser Witz kam dem Branntweinbrenner nicht ganz dumm vor, und er
- beschloß sofort, ohne erst die Billigung der anderen abzuwarten, sich
- selbst mit einem heiseren Lachen zu belohnen.
- In diesem Augenblick näherten sie sich einer kleinen, halb in die Erde
- gesunkenen Hütte. Die Neugierde unserer Wanderer hatte sich noch
- vergrößert; alle drängten sich vor der Türe zusammen. Der Schreiber nahm
- einen Schlüssel heraus und das Schloß klirrte; aber dieser Schlüssel
- gehörte zu seinem Spind. Die Ungeduld stieg. Er begann in der Tasche
- herumzuwühlen, fand jedoch den Schlüssel nicht.
- »Da!« sagte er endlich, und holte ihn aus der Tiefe seiner gewaltigen
- Tasche hervor, die sich in seiner Hanfpluderhose befand.
- Bei diesem Laut schienen die Herzen unserer Helden zu einem einzigen
- Herz zu verschmelzen, und dieses Riesenherz schlug so heftig, daß sein
- unregelmäßiges Hämmern nicht einmal von dem Klirren des Schlosses
- übertönt wurde. Die Tür ging auf, und .... der Amtmann wurde bleich wie
- ein Stück Leinwand; den Branntweinbrauer überlief's kalt, und sein Haar
- wollte gen Himmel fliegen. Entsetzen malte sich auf dem Gesicht des
- Schreibers; die Büttel wuchsen fest an die Erde und waren nicht einmal
- imstande, ihre aufgesperrten Mäuler zu schließen: vor ihnen stand die
- Schwägerin.
- Sie war nicht weniger betroffen als die anderen, aber bald erholte sie
- sich etwas und wollte gerade auf sie zugehen.
- »Halt!« schrie da der Amtmann mit wilder Stimme und schlug die Türe zu.
- »Leute, das ist der Satan!« rief er dann. »Feuer! Schnell Feuer her! Es
- ist nicht Schade um das Kronshaus! Steckt es an, damit die Satansknochen
- nicht länger auf dieser Erde bleiben!«
- Die Schwägerin schrie entsetzt auf, als sie hinter der Tür von der
- fürchterlichen Absicht vernahm.
- »Was macht ihr da, Brüder?« rief der Branntweinbrenner. »Euer Haar ist
- gottlob fast so weiß wie Schnee, trotzdem aber scheint's euch noch am
- Verstand zu fehlen: ein einfaches Feuer kann doch der Hexe nichts
- anhaben! Nur das Feuer aus einer Pfeife kann einen Werwolf in Brand
- stecken! Halt, ich mach gleich welches an!«
- Bei diesen Worten schüttete er die Glut aus der Pfeife auf ein Heubündel
- und begann zu blasen. Aber die Verzweiflung der armen Schwägerin verlieh
- ihr einen ungeahnten Mut; sie begann laut um Hilfe zu flehen und die
- Männer zu beschwichtigen.
- »Haltet ein, Brüder! Warum wollt ihr euch grundlos einer Sünde schuldig
- machen. Vielleicht ist's wirklich nicht der Satan,« rief der Schreiber.
- »Vielleicht kann das Wesen, das da drinnen in der Stube sitzt, doch das
- Zeichen des heiligen Kreuzes machen, und das bedeutet dann, daß es nicht
- der Teufel ist!«
- Der Vorschlag wurde angenommen.
- »Packe dich, Satanas!« fuhr der Schreiber fort und legte die Lippen an
- die Türspalte. »Wenn du dich nicht vom Platze rührst, machen wir dir die
- Tür auf.«
- Die Tür wurde aufgemacht.
- »Bekreuzige dich!« rief der Amtmann, und sah sich um, wie wenn er für
- den Fall des Rückzuges einen Zufluchtsort suchte.
- Die Schwägerin schlug ein Kreuz.
- »Was Teufel! Das ist wirklich die Schwägerin!«
- »Welche unsaubere Macht hat dich bloß in diese Kammer gebracht,
- Gevatterin?«
- Die Schwägerin erzählte schluchzend, wie die Burschen auf der Straße sie
- gepackt und sie trotz ihres Widerstandes durch das breite Fenster in die
- Hütte hineingeschoben und die Fensterläden geschlossen hatten. Der
- Schreiber sah sich die Sache an. Die Angeln waren heruntergerissen, und
- der breite Laden war oben nur mit einem Holzbalken festgerammelt.
- »Du bist mir ein feiner Kerl, du einäugiger Satan du,« schrie sie und
- ging auf den Amtmann zu, der zurückwich und sie immer noch mit seinem
- Auge maß. »Ich kenne deine Absichten schon, du hättest mich wohl am
- liebsten aufgefressen, damit du dann ungestört jeder Schürze nachlaufen
- kannst, und keiner mehr weiß, wie der Jammergreis sich selbst zum Narren
- macht. Du meinst, ich weiß nicht, was du heute abend mit Hanna
- gesprochen hast? O, ich weiß alles! Mich kann keiner so leicht betrügen,
- nicht einmal einer, der weniger blöd ist als du! Ich habe lange Geduld,
- aber dann: nimm dich in acht ....!«
- Bei diesen Worten ballte sie die Faust, machte sich rasch davon; und
- ließ den Amtmann in völliger Erstarrung zurück.
- »Nein, da ist der Satan ernsthaft mit im Spiel!« dachte er, sich den
- Kopf kratzend.
- »Wir haben ihn!« riefen die eintretenden Büttel.
- »Wen habt ihr?« fragte der Amtmann.
- »Den Teufel im umgewendeten Pelz!«
- »Bringt ihn her!« rief der Amtmann und packte den hereingeführten
- Gefangenen an der Hand. »Seid ihr verrückt geworden? -- Das ist doch der
- besoffene Kalenik!«
- »Pfui Teufel, wir hielten ihn doch schon fest, Herr Amtmann!«
- antworteten die Büttel. »In dem einen Gäßchen umringten uns die
- verdammten Kerls, fingen an zu tanzen und uns hin und her zu zerren,
- steckten die Zunge raus und rissen ihn uns aus den Händen. .... Der
- Henker soll sie holen! .... Aber wie wir statt seiner zu dieser Krähe
- hier gekommen sind, das mag Gott wissen!«
- »Kraft meiner Vollmacht und im Namen der ganzen Gemeinde ergeht die
- Verfügung, diesen Räuber unverzüglich gefangen zu nehmen,« sprach der
- Amtmann; »desgleichen alle anderen, die ihr auf den Straßen antrefft,
- und sie mir zur Aburteilung vorzuführen! ....«
- »Erbarm dich doch, Herr Amtmann!« riefen da einige Büttel und verneigten
- sich tief bis zur Erde vor ihm. »Hättest du nur gesehen, was das für
- Fratzen sind! Gott straf uns, aber seit unserer Geburt und Taufe haben
- wir keine so abscheulichen Larven gesehen. Wie leicht verfällt man der
- Sünde, Herr Amtmann! Die können einen rechtschaffenen Menschen so
- erschrecken, daß einem nachher kein Weib mehr ein Gebreste besprechen
- kann!«
- »Ich will euch schon zeigen, was ein Gebreste ist! Was? Ungehorsam? Ihr
- zieht wohl mit ihnen am selben Strang, ihr Rebellen! Was soll denn das?
- .... Ihr werdet sie noch zum Mord anstiften! .... ihr .... ihr .... Ich
- werde das dem Kommissär melden! Auf der Stelle, hört ihr, auf der
- Stelle! Lauft, fliegt schnell wie die Vögel! Ich werde euch schon ....
- Ihr sollt mir ....!«
- Alle stoben auseinander.
- V.
- Die Ertrunkene
- Unbekümmert, und ohne auf die abgesandten Verfolger zu achten, näherte
- sich der Urheber dieses ganzen Wirrwarrs dem alten Hause am Teich. Ich
- glaube, man braucht wohl nicht weiter hervorzuheben, daß es Lewko war.
- Sein schwarzer Pelz war aufgeknöpft, er hielt seine Mütze in der Hand,
- und der Schweiß rann ihm von der Stirn. -- Düster und hehr stand der
- schwarze Ahornhain da, und nur auf der Seite, die dem Monde zugewandt
- war, lag ein feiner Silberstaub über ihm ausgestreut. Vom regungslosen
- Teich wehte eine kühlende Frische dem müden Fußgänger entgegen und lud
- ihn ein, an seinen Ufern auszuruhen. Alles war still; nur im tiefen
- Dickicht des Waldes hörte man das Schmettern der Nachtigall. Ein
- unüberwindlicher Schlaf senkte sich rasch auf Lewkos Lider. Die
- ermatteten Glieder lösten sich und erschlafften; der Kopf suchte eine
- Stütze .... »Nein, auf die Art schlafe ich hier noch ein!« sprach er,
- stand auf und rieb sich die Augen. Er blickte um sich: die Nacht lag
- noch leuchtender vor ihm. Eine seltsam berauschende Helle mischte sich
- in den Glanz des Mondes. Noch nie hatte er etwas Ähnliches gesehen.
- Silberne Nebel senkten sich aufs Land. Ein Duft von blühenden
- Apfelbäumen und Nachtblüten war über die ganze Erde ausgegossen. Mit
- Verwunderung blickte er in die regungslosen Wasser des Teiches; das alte
- Herrenhaus spiegelte sich in ihm umgestürzt, klar und in lichter
- Erhabenheit. Statt der düsteren Fensterläden blinkten einem lustige
- Glasfenster und Türen entgegen und das Gold schimmerte durch die klaren
- Scheiben. Auch schien es ihm, als habe sich ein Fenster geöffnet. Er
- hielt den Atem an, regte sich nicht und glaubte sich in die Tiefe des
- Teiches versetzt. Und siehe: zuerst schob sich ein weißer Ellenbogen aus
- dem Fenster, dann schaute ein liebliches Köpfchen heraus mit glänzenden
- Augen, die sanft durch dunkelblonde Haarwogen hindurch leuchteten, und
- stützte sich auf den Ellenbogen. Lewko sah, wie sie leise den Kopf
- schüttelte, wie sie winkte und lächelte .... Sein Herz fing plötzlich an
- heftig zu pochen .... das Wasser erzitterte, und das Fenster schloß sich
- wieder. Leise ging er vom Teiche fort und sah das Haus unverwandt an:
- Die düsteren Fensterläden standen weit offen, und die Scheiben funkelten
- im Monde. »Wie wenig darf man doch auf das Gerede der Menschen geben!«
- dachte er bei sich. »Das Haus ist nagelneu, und die Farben sind frisch,
- als ob sie erst heute aufgetragen wären. Hier muß doch jemand wohnen!«
- Und er trat schweigend näher, aber im Hause war alles still. Mächtig und
- klingend tönten die leuchtenden Lieder der Nachtigall durcheinander, und
- wenn sie schmachtend wie in Wonne zu ersterben schienen, vernahm man das
- Rascheln und Zirpen der Heimchen oder das Schnarren eines Sumpfvogels,
- der mit seinem glatten Schnabel auf den weiten Wasserspiegel aufschlug.
- Lewko empfand eine süße Stille in seinem Herzen, es schien sich zu
- weiten und schlug so leicht und frei. Er stimmte seine Harfe und fing an
- zu spielen und zu singen:
- Du mein helles Licht der Nacht,
- Du mein Mond, ach bester Mond!
- Leucht mir über Haus und Hof,
- Wo mein liebstes Mädchen wohnt!
- Ein Fenster tat sich leise auf, und dasselbe Köpfchen, dessen
- Spiegelbild er im Teiche gesehen hatte, guckte heraus und lauschte
- aufmerksam dem Sang. Ihre schweren Lider waren halb über die Augen
- gesenkt. Sie war bleich wie Linnen, bleich wie der Mondenschein, aber
- wie köstlich und wundersam! Sie lachte! .... Lewko erschauerte. »Sing
- mir ein Lied, junger Kosak!« sprach sie leise, neigte den Kopf etwas zur
- Seite und senkte die dunklen Lider ganz über die Augen.
- »Was für ein Lied soll ich dir singen, du mein strahlendes Fräulein?«
- Stille Tränen flossen über ihr bleiches Antlitz. »Jüngling,« sprach sie,
- und etwas unsäglich Rührendes klang aus ihren Worten, »Jüngling, finde
- mir meine Stiefmutter! Nichts soll mir zu schön für dich sein. Ich will
- dich belohnen. Ich will dich reich und herrlich belohnen! Ich habe mit
- Seide bestickte Gewänder, Korallen und Kleinode, ich will dir einen
- Gürtel schenken, der mit Perlen besät ist. Ich habe Gold .... Jüngling,
- finde mir meine Stiefmutter. Sie ist eine furchtbare Hexe: ich hatte
- keine Ruh' vor ihr auf Gottes Erde. Sie hat mich gemartert, und ließ
- mich schaffen wie eine niedrige Magd. Blick in mein Angesicht: sie ließ
- die Röte von meinen Wangen schwinden mit ihrer unreinen Zauberkunst.
- Blick auf meinen weißen Hals: kein Wasser wäscht die blauen Flecke fort,
- keines wird sie je fortwaschen, die von ihren eisernen Krallen stammen!
- Sieh meine weißen Füße an, weit sind sie gewandert, und nicht nur auf
- Teppichen, auch über heißen Sand, durch sumpfiges Feld, durch stechende
- Nesseln sind sie gewandert! Und meine Augen! Blick in meine Augen: sie
- sehen nichts mehr vor Tränen! .... Finde sie mir, Jüngling, find mir die
- Stiefmutter! ...«
- Ihre Stimme, die immer mehr und mehr angeschwollen war, stockte auf
- einmal. Tränenströme flossen über ihr bleiches Antlitz. Ein drückendes
- Gefühl des Mitleids und der Trauer schnürte dem Burschen das Herz
- zusammen.
- »Zu allem bin ich für dich bereit, mein herrliches Fräulein,« rief er in
- tiefster Erregung. »Doch sag mir nur, wo soll ich sie finden?«
- »Sieh, sieh!« rief sie schnell, »sie ist hier! Sie tanzt am Wasser mit
- meinen Mädchen den Reigen und wärmt sich im Mondenlichte. Sie ist schlau
- und voller List: sie hat die Gestalt einer Ertrunkenen angenommen; aber
- ich weiß, ich hör' es, sie ist hier! Sie macht, daß mir so drückend
- schwer, so dumpf zumute wird. Durch sie ward mir's verwehrt, so leicht
- und frei dahin zu schwimmen wie ein Fisch. Ich sinke, versinke und falle
- zu Boden wie ein Schlüssel. Find sie mir, Jüngling!«
- Lewko blickte aufs Ufer: Im zarten Silbernebel sah man etwas schimmern.
- Eine Schar Mädchen tummelte sich, leicht wie ein Schatten, in lichten
- Gewändern, die so hell waren, wie die Maiglöckchen auf der Wiese;
- goldene Spangen, Perlenketten und Dukaten glänzten an ihren Nacken;
- allein sie waren bleich: ihr Leib war wie aus durchscheinenden Wolken
- gewoben und schimmerte durchsichtig im silbernen Mondenlicht. Spielend
- und tanzend näherte sich der Mädchenreigen und man hörte schon ihre
- Stimmen.
- »Laßt uns das Rabenspiel spielen, das Rabenspiel,« säuselten alle
- durcheinander, wie das Schilf am Flusse, das der Wind in stiller
- dämmernder Stunde mit seinen lustigen Lippen berührt.
- »Wer soll Rabe sein?«
- Das Los ward geworfen -- und ein Mädchen trat aus der Menge hervor.
- Lewko betrachtete sie aufmerksam. Ihr Gesicht und ihr Kleid war ganz so
- wie bei allen anderen. Man merkte ihr nur an, daß sie ihre Rolle nicht
- gern spielte. Die Menge bildete eine lange Reihe und wich behend den
- Angriffen des räuberischen Feindes aus.
- »Nein, ich will nicht Rabe sein!« rief das Mädchen, ganz schlaff vor
- Müdigkeit. »Es tut mir so leid, der armen Henne die Küken zu rauben.«
- »Du bist nicht die Hexe!« dachte Lewko.
- »Wer soll Rabe sein?«
- Die Mädchen wollten wiederum losen.
- »Ich will Rabe sein!« rief da eine aus ihrer Mitte.
- Lewko begann ihr Gesicht scharf zu mustern. Schnell und kühn machte sie
- Jagd auf die Schar und stürzte nach allen Seiten, um ihr Opfer zu
- fangen. Da sah Lewko, daß ihr Leib nicht so leuchtete, wie der der
- anderen: mitten im Innern gewahrte er etwas Dunkles. Plötzlich ertönte
- ein Schrei: der Rabe stieß auf ein Mädchen herab, fing es ein, und es
- deuchte Lewko, als habe sie ihre Krallen gezeigt, und als blitze in
- ihrem Gesicht eine boshafte Freude auf.
- »Hexe!« rief er, und zeigte, nach dem Hause gewandt, mit dem Finger auf
- sie.
- Das holde Fräulein lachte auf, und die Mädchen führten die, welche den
- Raben gespielt hatte, schreiend mit sich fort.
- »Womit soll ich's dir lohnen, Jüngling? Ich weiß, du brauchst kein Gold,
- du liebst Hanna. Doch der gestrenge Vater will dir's nicht erlauben, sie
- zu heiraten. Nun wird er dich nimmer hindern; nimm dies Briefchen und
- gib es ihm ...«
- Sie streckte ihm ihr weißes Händchen hin, ihr Antlitz leuchtete
- wundersam und erstrahlte .... Mit einem nie geahnten Schauer und
- sehnsüchtigen Pochen des Herzens griff er nach dem Briefchen und ....
- erwachte.
- VI.
- Erwachen
- »Hab' ich wirklich geschlafen?« sprach Lewko zu sich selbst, als er sich
- von der kleinen Böschung erhob. »Alles war doch so lebendig wie in
- Wirklichkeit« .... »Seltsam, seltsam!« wiederholte er, indem er sich
- umsah. Der Mond stand gerade über seinem Kopfe und wies auf Mitternacht.
- Alles war still; vom Teich wehte es kühl her; über ihm stand traurig das
- verfallene Haus mit den geschlossenen Läden; Moos und wildes Steppengras
- ließen erkennen, daß sich die Menschen schon lange von ihm getrennt
- hatten. Lewko öffnete seine Hand, die er während des Schlafes krampfhaft
- geballt hatte, und stieß einen Schrei der Verwunderung aus; er hatte
- einen Zettel in ihr entdeckt. »Ach, wenn ich doch lesen könnte!« dachte
- er, indem er ihn vor seinen Augen hin und her wandte. In diesem
- Augenblick vernahm er hinter sich ein Geräusch.
- »Fürchtet nichts! Packt ihn nur! Vor wem habt ihr Angst? Wir sind ja zu
- zehn! Ich will darauf wetten, das ist ein Mensch und kein Teufel! ....«
- Es war der Amtmann, der diese Worte seinen Begleitern zuschrie, und
- Lewko fühlte sich von mehreren Händen gepackt, von denen einige vor
- Furcht zitterten. »Nun Freundchen, wirf mal endlich deine schreckliche
- Maske ab, du hast die Leute schon genug in die Irre geführt!« rief der
- Amtmann und packte ihn am Kragen. Aber da glotzte er ihn voller Schreck
- mit seinem einzigen Auge an: »Lewko, mein Sohn!« schrie er
- zurückweichend, und ließ vor Staunen die Hände herabsinken. »Du bist's?
- Du Hundesohn! So eine Ausgeburt der Hölle! Ich denke: was für ein
- Schelm, was für ein verkleideter Teufel treibt da sein Unwesen? Und nun
- stellt sich heraus, daß du es bist. -- Der ungekochte Mehlbrei soll
- deinem Vater im Halse stecken bleiben! -- Du treibst böse Streiche auf
- den Straßen, du dichtest Lieder ....! Oho, Lewko! Was soll das? Dich
- juckt wohl der Rücken? Bindet ihn!«
- »Halt Vater! Ich hab' dir einen Zettel zu geben!« sagte da Lewko.
- »Jetzt ist keine Zeit für Zettel, mein Täubchen! Bindet ihn!«
- »Halt ein, Herr Amtmann!« sagte der Schreiber und entfaltete den Zettel.
- »Das ist ja die Handschrift des Kommissärs!«
- »Des Kommissärs?«
- »Des Kommissärs?« wiederholten die Büttel mechanisch.
- »Des Kommissärs? Wunderlich! Das ist noch unbegreiflicher!« dachte Lewko
- bei sich.
- »Lies, lies!« sagte der Amtmann, »was schreibt denn der Kommissär da?«
- »Hören wir, was der Kommissär schreibt,« sprach der Branntweinbrenner,
- mit der Pfeife in den Zähnen, und schlug Feuer.
- Der Schreiber hüstelte und begann zu lesen:
- »Verfügung: An den Amtmann Jewtuch Makohonenko. Wir haben vernommen, daß
- du alter Tropf statt die alten Steuerschulden einzutreiben und die
- Ordnung in dem Dorfe aufrecht zu erhalten, närrisch geworden bist und
- Unzucht treibst ....«
- »Bei Gott!« unterbrach der Amtmann die Verlesung, »ich kann nichts
- hören!«
- Der Schreiber begann von neuem.
- »Verfügung: An den Amtmann Jewtuch Makohonenko. Wir vernehmen, daß du
- alter Tro....«
- »Halt, halt, es ist nicht nötig,« schrie der Amtmann, »ich habe zwar
- nichts gehört, aber ich weiß, daß die Hauptsache noch kommt. Lies
- schnell weiter!«
- »Infolgedessen tu ich dir den Befehl kund und zu wissen, deinen Sohn
- Lewko Makohonenko alsogleich mit der Kosakentochter aus Eurem Dorf,
- Hanna Petrytschenkowa, zu verehelichen, insgleichen auf der Landstraße
- die Brücke instand zu setzen und ferner die Gutspferde nicht den Herren
- vom Gericht zu geben, selbst dann nicht einmal, wenn sie von einer
- Kronsitzung kommen. So ich bei meiner Ankunft obige Verfügung nicht
- erfüllt finden sollte, wirst du allein zur Verantwortung gezogen.
- Kommissär und Leutnant außer Diensten Kosjma Dergatsch-Drischpanowski.«
- »So?« meinte der Amtmann mit offenem Munde. »Hört ihr, hört ihr, für
- alles macht man den Amtmann verantwortlich. Da heißt's gehorchen,
- gehorchen ohne Widerrede! Sonst, mit Verlaub zu sagen .... Und du,« fuhr
- er, zu Lewko gewandt, fort, »sollst auf Befehl des Kommissärs
- verheiratet werden -- wenn's mich auch sonderbar dünkt, wie er das wohl
- erfahren haben mag! Aber vorher sollst du noch die Nagaika zu kosten
- bekommen! Kennst du _die_, die bei mir neben dem Heiligenbilde an der
- Wand hängt? Ich werde sie mal morgen frisch in Gang bringen .... Wo hast
- du diesen Zettel her?«
- Trotz seines Staunens über diese unerwartete Wendung der Sache, war
- Lewko so vernünftig gewesen, sich im Kopfe eine Antwort zurecht zu legen
- und die Wahrheit, wie er zu dem Zettel gekommen war, zu verschweigen.
- »Ich war gestern abend noch in der Stadt,« sagte er, »und da begegnete
- ich dem Kommissär, der gerade aus seinem Wagen stieg. Als er erfuhr, daß
- ich aus unserem Dorfe stamme, gab er mir diesen Zettel da und hieß mich,
- dir mündlich ausrichten, er würde auf dem Rückwege bei uns zu Mittag
- essen, Vater.«
- »Hat er das gesagt?«
- »Ja, das hat er gesagt!«
- »Hört ihr's,« sprach der Amtmann, sich mit wichtiger Gebärde an seine
- Begleiter wendend, »der Kommissär kommt in eigner Person zu unsereinem,
- das heißt zu mir, zur Tafel. Oh ....« Dabei hob der Amtmann den einen
- Finger in die Höhe und gab seinem Kopf eine Haltung, als ob er auf etwas
- lausche. »Der Kommissär, hört ihr's, der _Kommissär_ kommt zu mir zu
- Tisch! Wie denkst du, Herr Schreiber, und du, Gevatter, ist das etwa
- eine kleine Ehre, wie?«
- »Noch nie hat, so viel ich mich besinne,« fiel hier der Schreiber ein,
- »je ein Amtmann einem Kommissär mit einer Mahlzeit aufgewartet.«
- »Es gibt eben Amtmänner und Amtmänner!« sprach der Amtmann mit
- selbstzufriedener Miene. Sein Mund verzog sich, und etwas wie ein
- dumpfes, heiseres Lachen, das mehr dem Grollen eines fernen Donners
- glich, kam über seine Lippen.
- »Wie denkst du, Herr Schreiber? Müßte man nicht eigentlich zu Ehren des
- hochgestellten Gastes den Befehl erlassen, daß jedes Haus wenigstens ein
- Hühnchen, ein bißchen Leinwand oder dergleichen spendet .... was? ....«
- »Ja, das müßte man eigentlich, das müßte man, Herr Amtmann!«
- »Und wann ist die Hochzeit, Vater?« fragte Lewko.
- »Die Hochzeit? Ich möchte dir schon eine Hochzeit zeigen! .... aber, dem
- hochgestellten Gaste zu Ehren .... Morgen soll euch der Pope trauen. Der
- Teufel mag euch holen! Der Kommissär soll sehen, was Pünktlichkeit ist!
- Nun aber, Kinder, geht zu Bett! Geht jetzt heim! .... Der heutige
- Vorfall hat mich an die Zeit erinnert, wo ich ....!«
- Bei diesen Worten blickte der Amtmann nach alter Gewohnheit würdig und
- bedeutungsvoll drein.
- »Jetzt wird der Amtmann zu erzählen anfangen, wie er die Zarin begleitet
- hat!« sagte Lewko, und eilte schnellen Schrittes zu dem wohlbekannten
- Häuschen, das von niedrigen Kirschbäumen umstanden war. »Gott schenke
- dir die ewige Seligkeit, schönes gutes Fräuleinchen!« dachte er sich.
- »Mögen dir in jener Welt alle heiligen Engel zulächeln! Niemand soll je
- aus meinem Munde von dem Wunder hören, das in dieser Nacht geschah. Nur
- dir allein, Hanna, will ich's erzählen, du allein wirst mir glauben und
- wirst mit mir für die Seele der unglücklichen Ertrunkenen beten!«
- Und er näherte sich dem Häuschen; das Fenster stand offen, die
- Mondstrahlen fielen durchs Fenster auf die schlafende Hanna, ihr Kopf
- lag auf den Arm gestützt, ihre Wangen glühten sanft, und ihre Lippen
- bewegten sich und sprachen halblaut seinen Namen. »Schlaf, mein
- schönstes Mädchen! Mögest du träumen von dem Herrlichsten, was es auf
- der Welt gibt; doch unser Erwachen soll noch herrlicher sein!«
- Er schlug ein Kreuz über sie, schloß das Fenster, entfernte sich leise,
- und wenige Augenblicke später schlief alles im Dorfe. Der Mond allein
- segelte voller Glanz und Wunder durch die unermeßlichen Fernen des
- prunkenden Himmels der Ukraine. In hehrer Feier webten die Höhen dort
- oben, und die Nacht, die göttliche Nacht glomm majestätisch ihrem Ende
- entgegen. Und auch die Erde lag so voll Schönheit da, in ihrem
- wundervollen Glanz von Silber; aber es war niemand mehr, der es genießen
- konnte; alles war in Schlaf versunken. Nur ab und zu wurde das Schweigen
- für einen Augenblick von Hundegebell unterbrochen, und noch lange tappte
- der betrunkene Kalenik durch die schlafenden Gassen herum und suchte
- sein Haus.
- Der verschwundene Brief
- Eine Sage
- Erzählt vom Küster der -- Kirche zu ***
- Ihr möchtet also, daß ich euch noch mehr vom Großvater erzähle? --
- Meinetwegen. Warum soll ich euch nicht mit einer Schnurre einen Spaß
- machen? O ihr Tage der Vergangenheit! Welche Freude und Lust überkommt
- doch das Herz, wenn man vernimmt, was vor langer, langer Zeit einmal in
- der Welt geschah, und niemand weiß mehr Jahr noch Tag. Und wenn erst so
- ein Alter aus unserer Verwandtschaft mit im Spiel ist, irgendein
- Großvater oder ein Urgroßvater, -- dann ist's ganz um mich geschehen:
- Ich will beim Lobsingen auf die heilige Märtyrerin Barbara den Schlucken
- kriegen, wenn es mir nicht immer so vorkommt, als ob ich das alles
- selbst durchgemacht hätte: gerad als wenn ich in des Großvaters Seele
- hineingekrochen wäre, oder als wenn die Seele des Großvaters in mir
- selbst rumorte .... Nein, aber am ärgsten sind die Mädels und die jungen
- Weiber dahinter her; kaum erblicken sie einen, gleich heißt es: »Foma
- Grigorjewitsch, Foma Grigorjewitsch! Schnell ein Märchen recht zum
- Gruseln, bitte, bitte, ein Märchen zum Gruseln ....!« Taratata --
- taratata! Und los geht es .... Warum sollt man ihnen auch nicht ein
- Märchen erzählen, aber paßt mal auf, was nachher mit ihnen im Bett
- geschieht. Ich weiß doch, daß jede unter der Decke zittert, als wenn sie
- das Fieber hätte, und am liebsten den Kopf unter den Pelz stecken
- möchte. Da braucht nur eine Ratte an einem Topf zu scharren, oder sie
- gerät selbst mit dem Fuß an den Feuerhaken, Gott bewahre, -- gleich
- fliegt die Seele bis in die Strümpfe. Am anderen Tage aber ist alles
- vergessen; und sie drängen einen von neuem: man soll ihnen doch nur ein
- recht grusliges Märchen erzählen! Was soll ich euch nun erzählen? Es
- fällt mir gerade nichts ein .... Ach ja, ich will euch das erzählen, wie
- die Hexen mit meinem seligen Großvater Schafskopf gespielt haben. Aber
- darum muß ich im Voraus bitten, meine Herren, bringt mich nicht aus dem
- Geleis, sonst giebt's so einen Brei, daß man sich schämen muß, ihn ins
- Maul zu nehmen. Also mein seliger Großvater war, wie ich euch bemerken
- muß, durchaus nicht einer von den gewöhnlichen Kosaken. Der verstand's,
- auf jeden Topf seinen Deckel zu setzen. An Feiertagen konnte er seine
- Apostel so herunterschnurren, daß sich auch jetzt noch mancher Popensohn
- vor ihm verstecken könnte. Na, und das wißt ihr ja selbst, wenn man in
- der damaligen Zeit die Schriftkundigen aus ganz Baturin zusammentrommeln
- wollte, da brauchte man nicht erst die Mützen bereitzuhalten, -- die
- offene Hand hätte schon vollständig genügt. Was Wunder, daß jeder, der
- am Großvater vorüberging, sich tief vor ihm verneigte.
- Eines Tages fiel es dem hochwohlgeborenen Herrn Hetman ein, aus
- irgendeinem Grunde ein Schreiben an die Zarin zu senden. Der damalige
- Regimentsschreiber (daß dich der Geier hole, ich kann mich nicht auf
- seinen Namen besinnen .... hieß er Wisrjak oder Motusotschka oder
- Goloputzek .... ich weiß nur, daß er einen sehr komischen Namen hatte,
- der ganz absonderlich anfing) er ließ also den Großvater zu sich kommen
- und sagte ihm: so und so, der Hetman wolle ihn als Kurier mit einem
- Briefe zu der Zarin senden. Mein Großvater liebte die langen
- Vorbereitungen nicht, nähte den Brief in die Mütze ein, führte sein
- Pferd aus dem Stall, schmatzte seine Frau und seine zwei Ferkelchen (wie
- er sie selbst nannte) -- einer von ihnen war mein leiblicher Vater --
- ordentlich ab, und hinter ihm erhob sich eine solche Staubwolke, als ob
- fünfzehn Jungen auf der Straße Schlagball spielten. Am andern Tage hatte
- der Hahn noch nicht zum vierten Male gekräht, als der Großvater schon in
- Konotop war. Dort war gerade Jahrmarkt; und es wimmelten so viel Leute
- auf den Straßen herum, daß es einem vor den Augen flimmerte. Weil es
- aber noch früh am Morgen war, so schlief alles lang hingestreckt auf der
- Erde. Neben einer Kuh lag ein versoffener Kerl mit einer roten Nase, der
- wie ein Gimpel aussah; etwas weiter schnarchte eine Händlerin im Sitzen
- mit Feuersteinen, Waschblau, Schrot und Brezeln; unter einem Wagen lag
- ein Zigeuner; auf einem andern Wagen mit Fischen ein Frachtfuhrmann,
- mitten auf dem Wege lag mit gespreizten Beinen ein bärtiger Moskowiter
- mit Gürteln und Däumlingen .... mit einem Wort: allerhand Pack, wie
- man's auf den Jahrmärkten trifft. Der Großvater machte Halt, um sich's
- anzusehen. Unterdessen aber wurde es nach und nach in den Buden
- lebendig: die Judenweiber begannen mit ihren Flaschen zu klappern; der
- Rauch stieg hie und da in Ringen empor, und ein Duft von heißen Buchteln
- zog übers ganze Lager. Da fiel es dem Großvater ein, daß er weder Zunder
- noch Tabak vorrätig hatte, und so fing er denn an, auf dem Jahrmarkt
- herumzustreichen. Er hatte noch keine zwanzig Schritt gemacht, da kommt
- ihm ein Saporoger entgegen. Ein Draufgänger, man sieht's ihm schon am
- Gesicht an! Glutrote Pluderhosen, ein blauer Schupan, ein grellbunter
- Gürtel, ein Säbel an der Seite und 'ne Pfeife mit einer Messingkette,
- die bis zu den Fersen reicht -- mit einem Wort, ein Saporoger vom Kopf
- bis zu den Füßen! Ist das ein Völkchen! Wie der so dasteht, sich reckt,
- sich den prächtigen Schnurrbart streicht, mit den Hufeisen klirrt -- und
- dann loslegt! Ja, sag' ich euch, wie der loslegt: Die Beine schwirren
- nur so hin und her wie eine Spindel in Weiberhänden; wie ein Wirbelwind
- saust seine Hand über alle Saiten der Harfe, er stemmt sie in die
- Hüften, schnellt in Kniebeugestellung die Beine von sich und stimmt ein
- jauchzendes Lied an -- daß einem die Seele erzittert! .... Ja diese
- Zeiten sind vorbei; jetzt gibt's keine Saporoger mehr! Ja, ja. Sie
- trafen sich also, machten Bekanntschaft, begannen miteinander zu
- schwatzen, und der Großvater hatte bald seine Reise vergessen. Es ging
- ein Saufen an wie auf 'ner Hochzeit vor den großen Fasten. Endlich aber
- kriegten sie's satt, Töpfe zu zerschmeißen und Geld unters Volk zu
- werfen, und dann kann man ja auch nicht ewig auf dem Jahrmarkt bleiben!
- So verabredeten sich denn die neuen Freunde, sie wollten sich nicht mehr
- trennen und den Weg zusammen zurücklegen. Es war schon gegen Abend, als
- sie sich aufmachten und ins freie Feld hinausritten, die Sonne war schon
- zur Ruhe gegangen und nur hie und da flammten dort, wo sie noch vor
- kurzem gestanden hatte, ein paar rötliche Streifen auf. Bunte Saatwiesen
- lagen ausgestreut da wie die Sonntagstücher schwarzbrauiger, junger
- Frauen. Unsern Saporoger packte ein schrecklicher Drang zum Schwatzen.
- Mein Großvater und noch ein anderer Kumpan, der sich zu ihnen gesellt
- hatte, fragten sich schon, ob er nicht vom Teufel besessen sei: Wo hatte
- er bloß all das Zeug her, all diese Geschichten und Mären so
- verwunderlicher Art, daß der Großvater sich die Seiten halten mußte, um
- nicht vor Lachen zu platzen. In der Steppe aber ward es immer düsterer,
- je weiter man kam, und die Reden des Braven wurden immer
- unzusammenhängender. Endlich aber verstummte unser Erzähler und fing
- beim leisesten Geräusch an zu zittern.
- »Hoho, Landsmann! Du scheinst mir die Eulen zu zählen! Du möchtest wohl
- heim, hinter den Ofen?«
- »Ich will nichts vor euch verbergen,« sprach er, sich auf einmal
- umwendend, und seine Augen blickten starr. »Wißt ihr, daß ich meine
- Seele schon lange an den Bösen verkauft habe?«
- »Ei potztausend! Wer hat nicht schon mit dem Bösen zu tun gehabt? In
- solchen Fällen ist's das Beste, man ist lustig und geht lumpen.«
- »O je, Jungens, lumpen möcht ich schon gern, aber heut ist mein Termin!
- O je, Brüder!« sprach er und schüttelte ihnen kräftig die Hände. »O je,
- gebt mich nicht preis, schlaft nur diese eine Nacht nicht! Mein Lebtage
- will ich eure Freundschaft nicht vergessen!«
- Warum sollte man einem Menschen in so einem Unglück nicht beistehen? Der
- Großvater erklärte glattweg, er würde sich eher sein Kosakenhaar vom
- eignen Kopf scheren, als den Teufel mit seiner Hundeschnauze eine
- christliche Seele beschnüffeln lassen. Unsere Kosaken wären vielleicht
- noch weiter geritten, wenn nicht die Nacht den ganzen Himmel umwoben
- hätte, wie ein schwarzes dichtes Netz; im Feld war es so dunkel geworden
- wie unter einem Schafspelz. Nur von ferne blinkte ihnen ein Lichtschein
- entgegen, und die Pferde, die die nahe Krippe ahnten, sputeten sich, und
- starrten mit gespitzten Ohren in die Finsternis. Der Lichtschein schien
- ihnen entgegen zu eilen, und vor den Kosaken tauchte eine Schänke auf,
- die ganz morsch und auf die Seite geneigt war, wie ein Frauenzimmer, das
- von einer fröhlichen Taufe heimgeht. Zu jener Zeit war eine Schänke
- etwas ganz anderes wie heutzutage. Nicht nur, daß man nicht ordentlich
- losgehen und drinnen kein Tänzchen oder 'nen Hopser machen konnte, es
- gab nicht einmal Platz genug zum Hinlegen, wenn einen ein Rausch
- überkommen hatte, und die Füße von selbst anfingen, Zeichen in die Luft
- zu schreiben. Der Hof war mit Frachtfuhren vollgepfropft; in den
- Scheuern und den Krippen und auf dem Flur lagen Leute: der eine
- zusammengekrümmt, ein anderer lang ausgestreckt, und schnarchten wie die
- Kater. Nur der Wirt saß vorm Lämpchen und schnitt Kerben in einen Stock,
- um sich's zu merken, wieviel Viertel und Achtel die Fuhrleute
- ausgepfiffen hätten. Der Großvater bestellte ein drittel Eimer für drei
- Mann, ging in die Scheune, und alle drei legten sich nebeneinander
- nieder. Kaum aber hatte er sich auf die Seite gelegt, als er merkte, daß
- seine Landsleute schon in einen wahren Totenschlaf versunken waren. Der
- Großvater weckte den dritten Kosaken, der zu ihnen gestoßen war, und
- erinnerte ihn an das Versprechen, das sie ihrem Kameraden gegeben
- hatten. Jener richtete sich ein wenig auf, rieb sich die Augen und
- schlief wieder ein. Es war nichts zu machen, er mußte also allein Wache
- halten. Um den Schlaf zu verscheuchen, besah er sich alle Wagen,
- beguckte die Pferde, steckte sich eine Pfeife an, kam wieder zurück und
- setzte sich neben die Seinen. Alles war so still, daß man eine Fliege
- hätte hören können. Auf einmal war es ihm, als wenn ihm ganz in der
- Nähe, hinter einem Wagen, etwas Graues die Hörner zeigte .... Seine
- Augen begannen zuzufallen, und er mußte sie jeden Augenblick mit den
- Fäusten wach reiben und mit dem Rest vom Schnapse waschen. Kaum aber
- konnten sie wieder scharf blicken, da war alles wieder verschwunden.
- Nach einer kleinen Weile zeigte sich das Ungetüm von neuem hinterm Wagen
- .... Der Großvater riß die Augen auf, so weit er konnte; aber die
- verdammte Schlaftrunkenheit umnebelte alles vor ihm, seine Hände wurden
- steif, der Kopf sank hintenüber, und ein fester Schlaf übermannte ihn,
- so daß er hinfiel wie ein Toter. Der Großvater mußte wohl recht lange
- geschlafen haben, denn erst als die Sonne ihm tüchtig auf den Schädel
- brannte, sprang er auf die Beine. Er räkelte sich, kratzte sich den
- Rücken und merkte, daß schon nicht mehr so viele Wagen dastanden wie
- gestern. Die Fuhrleute waren also bereits vor Tagesanbruch davon
- gefahren. Was jedoch seine Leute anging, so schlief der Kosak noch, der
- Saporoger aber war weg. Er fragte herum, aber niemand wußte was. Nur
- sein Kittel lag noch auf demselben Platze. Mein Großvater wurde von
- Angst ergriffen und fing an zu grübeln. Er sah nach den Pferden -- sie
- waren fort, sowohl seins, wie das des Saporogers! Was hatte das zu
- bedeuten? Gesetzt, der Gottseibeiuns hatte den Saporoger geholt, wer
- aber hatte die Pferde mitgenommen?
- Nach reiflicher Überlegung kam der Großvater zum Schluß, daß der Teufel
- sicherlich zu Fuß herbeigelaufen sei; und da es gar weit bis zur Hölle
- wäre, hatte er das Pferd gestohlen. Es schmerzte ihn sehr, daß er sein
- Kosakenwort nicht gehalten hatte. »Nun,« dachte er, »da ist nichts zu
- machen. Ich gehe zu Fuß; am Ende treff' ich unterwegs einen
- Pferdehändler, der vom Jahrmarkt zurückkehrt, und dann kaufe ich mir bei
- dem ein Pferd.« Wie er aber nach der Mütze griff, war auch die Mütze
- fort. Da schlug mein seliger Großvater die Hände überm Kopf zusammen,
- denn er erinnerte sich, daß er ja gestern mit dem Saporoger die Mützen
- getauscht hatte! Wer konnte also wohl sonst der Dieb sein, wenn nicht
- der Unreine! Na, das war eine schöne Hetmans-Post! Da hatte er den Brief
- an die Zarin! Und der Großvater begann den Teufel mit solchen Namen zu
- traktieren, daß es dem in seiner Hölle wohl mehr als einmal in den Ohren
- klingen mochte. Aber alles Schimpfen hilft wenig, und so viel sich der
- Großvater auch den Kopf kratzte, es wollte ihm nichts einfallen. Was war
- da zu tun? Er suchte sich also eilig einen fremden Verstand zu borgen:
- sammelte all die guten Leute, die in der Schänke waren, die Fuhrleute
- und die anderen Reisenden, um sich und erzählte ihnen alles: so und so,
- und dies Malheur sei ihm geschehen. Die Fuhrleute saßen lange, das Kinn
- auf den Peitschenstiel gestützt, da, sannen nach, schüttelten die Köpfe
- und meinten, von so einem Wunder hätten sie wahrhaftig in Gottes
- getaufter Welt noch nie vernommen, daß ein Hetmans-Brief vom Teufel
- geholt worden sei. Andere fügten noch hinzu, wenn der Teufel oder ein
- Moskowiter etwas stibitzten, dann könne man hinterher nur noch drei
- Kreuze machen. Der Schankwirt allein saß schweigend in seinem Winkel.
- Der Großvater machte sich an ihn heran. Wenn ein Mensch schweigt, so
- bedeutet das, er hat's dick hinter den Ohren. Aber der Wirt war sehr
- wortkarg, und hätte der Großvater nicht fünf Gulden aus der Tasche
- geholt, so hätte er bis an sein Lebensende vor ihm stehen können.
- »Ich will's dir sagen, wie du wieder zu deinem Briefe kommen kannst,«
- sprach er endlich und führte ihn auf die Seite. Dem Großvater wurde
- bedeutend leichter ums Herz. »Ich sehe dir's an deinen Augen an, daß du
- kein Weib bist, Kosak! Gib acht: unweit von der Schänke führt ein Pfad
- rechts nach dem Walde. Sobald die Dämmerung sich über's Feld senkt, sei
- bereit. Im Walde da leben Zigeuner. Die kommen dann in solchen Nächten,
- wo sich keine Menschenseele zeigt, und nur die Hexen auf ihren
- Ofengabeln reiten, aus ihren Höhlen gekrochen, um Eisen zu schmieden.
- Was sie aber in Wahrheit treiben und womit sie handeln, das braucht dich
- nicht zu kümmern. Da wird's im Wald ein gewaltiges Getöse geben. Aber
- geh du nicht dahin, woher der Lärm kommt; ein enger Pfad wird vor dir
- liegen, der an einem verkohlten Baumstamm vorbeiführt: auf diesem Wege
- geh' weiter und immer weiter .... die Dornen werden dich stechen, und
- dichtes Gestrüpp versperrt dir den Weg, -- aber geh du nur immer weiter!
- Erst wenn du an einen kleinen Bach kommst, dann darfst du Halt machen.
- Dort wirst du finden, was du brauchst. Doch vergiß ja nicht, deine
- Taschen damit zu füllen, wofür die Taschen gemacht sind .... Du
- verstehst mich, diese Ware lieben die Teufel nicht weniger als die
- Menschen!« Nach diesen Worten zog sich der Wirt in seinen Verschlag
- zurück und wollte nichts weiter sagen.
- Mein Großvater seligen Angedenkens war ein Mann, der sich nicht so
- leicht ins Bockshorn jagen ließ; wenn er einem Wolf begegnete, so packte
- er ihn stracks am Schwanze; und machte er mal mit seinen Fäusten einen
- Gang durch die Kosaken, so sanken sie zu Boden, wie Birnen, die man vom
- Baum schüttelt. Als er aber in der stockfinsteren Nacht in den Wald kam,
- da überlief's ihn denn doch kalt. Kein Sternchen stand am Himmel und es
- herrschte eine düstere Finsternis, wie in einem Weinkeller; nur ganz
- hoch oben über dem Kopfe, da hörte man den kalten Wind durch die
- Baumwipfel streichen, und die Bäume wackelten wie berauschte
- Kosakenköpfe und die Blätter flüsterten sich trunkene Reden zu. Auf
- einmal wehte eine solche Kälte daher, daß der Großvater an seinen
- Schafpelz denken mußte; und plötzlich fing's an zu hämmern, wie wenn
- hundert Hämmer herunterfielen, und es ging so ein Riesenlärm durch den
- Wald, daß es ihm fürchterlich im Kopfe dröhnte. Der ganze Wald wurde auf
- einen Augenblick ganz hell wie bei einem Wetterleuchten. Der Großvater
- erspähte sogleich den Pfad, der zwischen niedrigem Gebüsch dahinführte:
- da war auch der verkohlte Baumstamm und das Dornendickicht! Alles genau
- so, wie's ihm gesagt worden war. Nein, der Schankwirt hatte ihn nicht
- betrogen. Aber besonders heiter war es doch nicht, sich durch das
- dastehende Gestrüpp hindurcharbeiten zu müssen. Sein Lebtag hatte er
- noch nie gespürt, daß die verfluchten Äste und Dornen so schmerzhaft
- stechen können: fast bei jedem Schritte wollte er aufschreien.
- Nach und nach hatte er sich auf einen freien Platz hinausgewunden. Er
- gewahrte, daß die Bäume seltener wurden, und als er weiter zusah, da
- waren sie so dick, wie er's nicht einmal jenseits vom Königreich Polen
- gesehen hatte. Bald schimmerte auch das Bächlein zwischen den Bäumen
- auf: schwarz wie eine Damaszener Klinge. Lange stand der Großvater am
- Ufer und spähte nach allen Seiten aus. Am anderen Ufer brennt ein Feuer.
- Schon will es erlöschen, da fällt sein Wiederschein aufs neue ins
- Bächlein, das aufzuckt wie ein polnischer Schlachziz unter einer groben
- Kosakenfaust. Da ist auch eine winzige Brücke! »Da drüber kann doch
- höchstens ein Teufelswägelchen fahren!« dachte der Großvater, aber er
- betrat sie schnell, und schneller noch als mancher die Dose aus der
- Tasche holt, um eine Prise zu nehmen, war er am anderen Ufer. Jetzt erst
- nahm er wahr, daß Leute am Feuer saßen; aber die hatten solche garstige
- Fratzen, daß er zu andern Zeiten Gott weiß was drum gegeben hätte, ihrer
- Bekanntschaft entgehen zu dürfen. Jetzt aber war ihm nicht zu helfen: Er
- mußte schon mit ihnen anbändeln. Der Großvater verneigte sich tief bis
- zur Erde vor ihnen. »Grüß Gott, gute Leute!« Aber auch nicht einer
- nickte mit dem Kopfe: sie saßen stumm da, schwiegen und streuten etwas
- ins Feuer. Da der Großvater fand, daß noch ein Platz frei war, so setzte
- er sich denn ohne weitere Umschweife. Die widerlichen Fratzen sprachen
- nichts, und auch der Großvater sagte nichts. Lange saßen sie schweigend
- so da, und der Großvater bekam die Sache schon satt; er griff in die
- Tasche, zog die Pfeife raus, blickte um sich -- aber keiner sah nach ihm
- hin. »Wollten Euer Gnaden mit Verlaub die hohe Güte haben, sozusagen«
- .... (Mein Großvater war ein vielerfahrener Mann, er verstand es, am
- rechten Fleck ein höfliches Wörtlein anzubringen; selbst vor dem Zaren
- hätte er, wenn's drauf ankam, in Ehren bestehen können.) ....
- »sozusagen, um weder von mir, noch von euch zu schweigen: ein Pfeifchen
- hab' ich wohl, aber wo soll ich Feuer herkriegen?« Auch auf diese Rede
- erfolgte keine Antwort. Nur eine von den Mißgestalten ergriff ein
- brennendes Holzscheit und stieß es dem Großvater geradewegs gegen die
- Stirn, und wenn er nicht etwas zurückgefahren wäre, hätte er auf ewig
- von seinem einen Auge Abschied nehmen müssen. Als er endlich sah, daß
- die Zeit unnütz verrann, beschloß er -- ob's die unreine Brut nun
- anhören wollte oder nicht -- ihnen seine Sache zu erzählen. Jene
- spitzten die Ohren und streckten die Pfoten vor. Der Großvater begriff,
- was sie wollten; nahm sein ganzes Geld und warf es mitten vor sie hin,
- wie man Hunden etwas vorwirft. Kaum hatte er das Geld hingeschmissen, da
- schien alles vor ihm durcheinanderzugehen, die Erde erzitterte, und er
- geriet -- _wie_, das konnte er selbst nicht erzählen -- schier in die
- Hölle. »Mein Gott!« schrie der Großvater auf, als er sich wieder umsah.
- Was für Ungeheuer! Fratze neben Fratze! Da gab's Hexen in so ungeheuerer
- Menge, wie die Schneeflocken, die zuweilen auf Weihnachten fallen, und
- alle so aufgeputzt und angemalt, wie die Fräulein auf dem Jahrmarkt. Sie
- alle begannen, soviel ihrer da waren, einen teuflischen Hopser zu
- tanzen. Der Staub wirbelte in die Höhe, -- Gott bewahr, welch ein Staub!
- Einen ehrlich getauften Menschen hätte ein Zittern erfassen müssen, wenn
- er gesehen hätte, wie hoch diese Teufelsbrut sprang. Aber den Großvater
- überkam, trotz seiner Angst, ein Lachen, als er sah, wie die Teufel mit
- ihren Hundeschnauzen zierliche Schritte machten und mit wedelnden
- Schweifchen um die Hexen herumscharwenzelten, wie junge Burschen um die
- hübschen Mädchen; und die Musikanten paukten auf ihren eignen Backen
- herum wie auf Trommeln, und pfiffen durch die Nasen wie auf Flöten. Kaum
- aber hatten sie den Großvater erblickt, da stürzten sie sich wie ein
- ganzes Heer auf ihn: Schweinemäuler, Hundemäuler, Bocksmäuler,
- Gänsemäuler, Pferdemäuler -- sie alle reckten sich vor und wollten,
- kam's wie's kam, von ihm geküßt werden. Der Großvater mußte ausspucken,
- so ein Ekel überkam ihn! Endlich aber wurde er gepackt und an einen
- Tisch gesetzt, der vielleicht so lang war, wie der Weg von Konotop nach
- Baturin. »Na, das ist wenigstens nicht übel,« dachte der Großvater, als
- er Schweinefleisch, Würste, Kohl mit Zwiebeln und noch viele andere
- Leckerbissen auf dem Tische stehen sah. »Das Satanspack hält wohl die
- Fasten nicht!« Der Großvater ließ die Gelegenheit, einen guten Bissen zu
- nehmen, nie außer acht. Er hatte stets Appetit, und darum rückte er ohne
- viel Federlesens die Schüssel mit dem angeschnittenen Speck und einen
- Schinken zu sich heran, ergriff eine Gabel, die nicht viel kleiner war
- als die Gabeln, mit denen die Bauern Heu aufladen, spießte ein riesiges
- Stück Fleisch auf, nahm noch ein mächtiges Stück Brot dazu und schob es
- geradewegs in -- einen fremden Mund, der eben neben seinen Ohren
- aufgetaucht war, er hörte sogar noch, wie das Maul kaute und über den
- ganzen Tisch hin mit den Zähnen klapperte. Der Großvater muckste nicht,
- gabelte ein anderes Stück auf, und schon glaubte er es auf seinen Lippen
- zu spüren, aber da geriet es wieder in einen fremden Rachen. Er
- versuchte es ein drittes Mal -- und wieder traf er vorbei. Der Großvater
- raste vor Wut. Er vergaß all seine Angst und in wessen Händen er sich
- befand, und sprang auf die Hexen los: »Was, ihr Herodesbrut, ihr! wollt
- ihr euch vielleicht über mich lustig machen? Wenn ihr mir nicht auf der
- Stelle meine Kosakenmütze herausgebt, so will ich ein Römling sein, wenn
- ich euch nicht die Schweineschnauzen auf den Nacken drehe!« Noch hatte
- er die letzten Worte nicht ausgesprochen, als alle Ungeheuer die Zähne
- zu fletschen begannen und ein solches Gelächter aufschlugen, daß dem
- Großvater die Seele zu Eis erstarrte.
- »Gut!« winselte eine der Hexen, die der Großvater für das Oberhaupt der
- anderen hielt, denn ihr Lärvchen war vielleicht noch wundervoller als
- die Fratzen der anderen. »Die Mütze wollen wir dir geben, aber nicht
- eher, als bis du dreimal mit uns _Schafskopf_ gespielt hast.«
- Was war da zu machen? Soll etwa ein Kosak mit Weibern zusammen sitzen
- und Schafskopf spielen? Der Großvater weigerte und weigerte sich immer
- wieder. Endlich aber ließ er sich doch dazu herbei. Man brachte Karten,
- und zwar so schmierige wie die, aus denen sich bei uns die Popentöchter
- wahrsagen, wenn sie wissen wollen, was für Bräutigams sie bekommen
- werden.
- »Hör'!« bellte die Hexe wieder los, »wenn du auch nur ein einziges Mal
- gewinnst, so ist die Mütze dein. Wenn du aber alle dreimal Schafskopf
- bleibst, so nimm's mir nicht übel, dann wirst du nicht bloß deine Mütze,
- sondern vielleicht auch die Welt nie mehr wiedersehen!«
- »Gib her, alte Vettel! Komme, was kommen mag!«
- Die Karten wurden verteilt und der Großvater nahm die seinen in die
- Hände. Nicht hinblicken mochte er auf den Schund! wenn auch bloß zum
- Scherz nur ein einziger Trumpf darunter gewesen wäre! Bei _einer_ Farbe
- war die _Zehn_ schon der höchste Stich, und nicht einmal ein Paar hatte
- er; die Hexe aber spielte immer Fünfer aus. So blieb er denn Schafskopf!
- Kaum war der Großvater Schafskopf geworden, so begannen die Mäuler von
- allen Seiten zu wiehern, zu bellen und zu grunzen: »Schafskopf,
- Schafskopf, Schafskopf!«
- »Mögt ihr doch platzen, ihr Satansbrut!« schrie der Großvater und
- stopfte sich mit dem Finger die Ohren zu. »Na,« denkt er, »die Hexe hat
- wohl falsch gemischt! Jetzt werde _ich_ mal mischen!« Er gab also die
- Karten, sagte Trumpf an und blickte in die Karten: waren das großartige
- Karten, auch Trümpfe waren dabei! Zuerst ging die Sache, wie's nicht
- besser gehen konnte; aber die Hexe hatte eine Fünf und alle Könige! Der
- Großvater jedoch hatte lauter Trümpfe in Händen! Ohne da groß zu
- überlegen, deckte er, bumms, alle Könige mit Trümpfen!
- »Oho, das ist nicht Kosakenart! Womit deckst du denn da, Nachbar?«
- »Was da -- womit? Mit Trümpfen natürlich!«
- »Das sind vielleicht bei euch Trümpfe, bei uns aber nicht!«
- Sieh mal an -- es war in der Tat nur eine einfache Farbe. So eine
- hundsföttische Zauberei! Er mußte zum zweitenmal Schafskopf werden, und
- das Teufelspack brüllte von neuem: »Schafskopf, Schafskopf!« so daß der
- Tisch wackelte und die Karten auf dem Tische herumhüpften. Der Großvater
- geriet in Hitze; er gab zum letzten Male Karten. Wieder ging es schlecht
- und recht. Die Hexe spielte wieder eine Fünf aus; der Großvater deckte
- sie und kaufte eine ganze Hand voll Trümpfe.
- »Trumpf!« schrie er und schlug mit der Karte so mächtig auf den Tisch,
- daß sie sich krumm bog. Jene deckte, ohne ein Wort zu sagen, mit einer
- Acht. »Und womit stichst du, alter Teufel?« Die Hexe hob die Karte auf,
- unter der eine einfache Sechs lag. »Ach verdammtes Satansgeflunker!«
- rief der Großvater und schlug vor Ärger aus aller Leibeskraft mit der
- Faust auf den Tisch. Ein wahres Glück, daß die Hexe schlechte Karten
- hatte; der Großvater hatte wie zu Fleiß lauter Paare in seiner Hand. Er
- begann zu kaufen, aber er war schon mit seiner Kraft zu Ende: er bekam
- so schlechte Karten, daß er die Hände sinken ließ. Es gab keine Karten
- mehr zu kaufen und nun ging er schon, ohne viel hineinzublicken, mit
- einer einfachen Sechs los. Die Hexe nahm sie auf. »Da hast du die
- Bescherung! Was sollte das bedeuten? Oho, da stimmt sicher etwas nicht!«
- Der Großvater nahm also heimlich die Karten unter den Tisch und schlug
- ein Kreuz über sie; und auf einmal hatte er Trumpf-Aß, Trumpf-König und
- Trumpf-Bube in Händen, und statt seiner Sechs hatte er Dame gespielt.
- »Ein schöner Narr bin ich gewesen,« dachte er sich. -- »Trumpf-König!
- Was? Hast du das? Du Katzenbrut! Willst du vielleicht ein Aß? Ein Aß!
- einen Buben! ....« Ein donnerndes Dröhnen rollte durch die ganze Hölle;
- die Hexe verfiel in Krämpfe, und auf einmal flog dem Großvater --
- patsch! -- die Mütze ins Gesicht. »Nein, das ist zu wenig!« schrie der
- Großvater schon viel dreister, als er erst seine Mütze aufgesetzt hatte.
- »Wenn nicht mein braves Pferd auf der Stelle vor mir erscheint, so soll
- mich an diesem unreinen Ort gleich der Donner treffen, oder ich schlage
- wahrhaftig das heilige Kreuz über euch alle!« Und schon erhob er die
- Hand, als er auf einmal Pferdeknochen vor sich klappern hörte.
- »Da hast du dein Pferd!«
- Der Ärmste brach bei diesem Anblick in Tränen aus, wie ein törichtes
- Kind. Schade um den alten Freund! »Gebt mir nur irgend ein Pferd, damit
- ich aus eurem Nest herauskomme!« Der Teufel knallte mit seiner
- Hetzpeitsche, -- ein Pferd sauste wie ein Feuer unter dem Großvater
- herauf, und er flog wie ein Vogel in die Höhe. Aber mitten im wilden
- Ritt ergriff ihn eine mächtige Angst, als das Pferd ohne auf seine Rufe
- oder auf die Zügel zu achten, über Gräben und Sümpfe dahinjagte. An was
- für Orten war er damals nicht überall gewesen! schon beim bloßen
- Erzählen überkam ihn ein Zittern. Er blickte vor sich hinab und
- erschrak: vor ihm lag ein Abgrund, eine furchtbare Schlucht! Doch das
- Satansvieh machte sich nichts daraus und setzt einfach drüber weg! Der
- Großvater wollte sich festhalten, aber es gelang ihm nicht. Hals über
- Kopf, durch Gestrüpp und über Felsen flog er hinab in den Schlund und
- prallte tief unten am Grunde so gewaltig auf, daß ihm der Atem verging.
- Wenigstens konnte er sich später auf nichts mehr besinnen, was damals
- mit ihm vorgegangen war; und als er wieder zu sich kam und sich umsah,
- da war es schon ganz hell geworden. Vor ihm schimmerte eine wohlbekannte
- Gegend, und er lag auf dem Dache seines eigenen Hauses.
- Als der Großvater heruntergeklettert war, schlug er ein Kreuz.
- »Teufelszeug! Was zum Henker einem Menschen nicht für Wunderdinge
- widerfahren können!« Er sah seine Hände an. Sie waren voll Blut; er sah
- in das vor ihm stehende Wasserfaß -- auch sein Gesicht war voller Blut.
- Er wusch sich gründlich, um die Kinder nicht zu erschrecken, trat leisen
- Schrittes in die Stube, und was sieht er da? Die Kinder gehen rücklings
- auf ihn zu, strecken die Finger aus und sagen: »Sieh doch, sieh -- die
- Mutter springt herum wie verrückt!« Und wahrhaftig: sein Weib sitzt
- eingeschlafen vorm Spinnrocken, hält die Spindel in der Hand und hüpft
- im Schlaf auf der Bank hoch und nieder. Der Großvater nahm sie sanft bei
- der Hand und weckte sie. »Grüß Gott, Frau, bist du auch ganz wohl?« Jene
- starrte ihn lange an. Endlich erkannte sie den Großvater und erzählte,
- sie habe geträumt, der Ofen sei in der Stube herumgefahren, habe mit der
- Schaufel alle Töpfe und Schüsseln hinausgejagt ... und der Teufel weiß,
- was noch alles! »Na ja,« sagte der Großvater, »dein Traum war meine
- Wirklichkeit, ich sehe schon, man muß unser Haus mit Weihwasser
- besprengen -- aber jetzt darf ich keine Zeit mehr verlieren.« So sprach
- der Großvater, und als er sich etwas ausgeruht hatte, holte er das Pferd
- und machte nicht eher Halt, weder bei Tag noch bei Nacht, als bis er
- sein Ziel erreicht und der Zarin selbst den Brief übergeben hatte. Da
- bekam der Großvater solche Wunderdinge zu sehen, daß er noch lange
- nachher davon erzählen konnte: wie er in ein Schloß geführt wurde,
- welches so hoch war, daß man zehn Häuser hätte übereinander bauen
- können, und es hätte noch nicht gereicht; wie er in ein Gemach
- hineinblickte -- die Zarin war nicht drin, -- dann in ein zweites --
- auch da war sie nicht, in ein drittes -- auch da nicht, -- in ein
- viertes -- sie war immer noch nicht da. Erst im fünften Zimmer saß sie
- selbst, mit einer goldenen Krone auf dem Haupte, in einem grauen,
- funkelnagelneuen Kittel und mit roten Stiefelchen, und aß goldene
- Knödel. Sie ließ ihm die ganze Mütze mit blauen Scheinen vollstopfen,
- und ihm .... aber man kann sich doch nicht an alles erinnern! Der
- Großvater hatte sogar die Plackerei mit den Teufeln ganz vergessen, und
- wenn es geschah, daß ihn jemand daran erinnerte, so schwieg er, als
- ginge ihn das nichts an, und es kostete gar viele Mühe, ihn so weit zu
- bringen, daß er's erzählte. Aber wohl zur Strafe dafür, daß er damals
- das Haus nicht sofort mit Weihwasser besprengt hatte, widerfuhr der Frau
- jedes Jahr, und zwar immer um dieselbe Zeit, das Wunder, daß sie immerzu
- tanzen wollte. Was sie auch beginnen mochte, die Beine taten das ihrige
- und zwangen sie förmlich, ein Tänzchen aufzuführen.
- Ende des ersten Teils.
- Abende auf dem Gutshof bei Dikanka.
- Zweiter Teil
- Vorrede
- Hier habt ihr das zweite Büchlein, oder richtiger gesagt, das letzte.
- Erst wollt' ich's ja nicht, nein, ich wollt' es ganz und gar nicht
- herausgeben. Wahrhaftig, man muß auch mal 'nen Schlußpunkt setzen
- können. Und ich kann euch nur mitteilen: auf dem Vorwerk fängt man schon
- an, über mich zu lachen. »Sieh mal einer an!« sagt man, »der alte Toback
- ist ja schon ganz närrisch: der amüsiert sich auf seine alten Tage noch
- mit Spielereien!« Ja wirklich, 's wäre doch längst Zeit, zur Ruhe zu
- gehen. Ihr, lieben Leser, glaubt natürlich, ich tue nur so, als ob ich
- schon so alt sei. Ach du lieber Gott, was heißt da Verstellung, wenn
- einem kein Zahn mehr im Munde sitzt! Was Weiches kann ich ja noch
- irgendwie kauen, aber Hartes kann ich nun schon gar nicht mehr beißen.
- Hier habt ihr also noch ein Büchlein! Bloß eins, aber schimpft nicht! 's
- ist nicht recht, beim Abschied zu schimpfen, besonders auf einen
- Menschen, den man Gott weiß wann wiedersieht. In diesem Büchlein werdet
- ihr Erzähler zu hören bekommen, die euch fast alle unbekannt sind,
- ausgenommen etwa Foma Grigorjewitsch. Was aber jenes erbsengraue
- Herrchen angeht, das immer so verblümt zu erzählen pflegte, so daß ihn
- selbst irgend so ein pfiffiger Moskowiter nicht recht verstehen konnte,
- -- der ist schon lange nicht mehr da. Erst hat er sich gründlich mit uns
- allen verkracht, und dann ließ er sich überhaupt nicht mehr blicken. Ja,
- hab' ich euch denn diesen Fall nicht erzählt? Hört doch nur, es war
- wirklich eine höchst possierliche Geschichte. Im vorigen Jahr, es war
- gegen Anfang des Sommers, -- ich glaube beinahe am Namenstage meines
- Schutzheiligen, -- kamen einige Gäste zu mir .... (Das muß ich euch
- sagen, lieben Leser; meine Landsleute -- Gott schenke ihnen ein langes
- Leben und eine gute Gesundheit -- haben mich alten Mann nicht vergessen.
- Es geht schon ins fünfzigste Jahr, daß ich mich auf meinen Namenstag
- besinne; aber wie alt ich nun genau bin, das kann weder _ich_ euch
- sagen, noch meine Alte. Wahrscheinlich so gegen siebzig. Der Pope von
- Dikanka, Vater Charlampi, hat's gewußt, wann ich geboren bin; aber
- leider sind's schon fünfzig Jahr, daß er tot ist.) Also es kamen Gäste
- zu mir: Sachar Kirilowitsch Tschuchopupenko, Stepan Iwanowitsch
- Kurotschka, Taras Iwanowitsch Smatschnenjki, und der Assessor Charlampi
- Kirilowitsch Chlosta; dann war noch .... sieh mal einer an, da hab' ich
- doch wahrhaftig seinen Vor- und Zunamen vergessen .... Ossip .... Ossip
- .... mein Gott, ganz Mirgorod kennt ihn ja! Wenn er redet, schnippt er
- zuerst mit den Fingern, und dann stemmt er die Hände in die Hüften ....
- Na, Gott helf' ihm! 's wird mir ein andermal einfallen. Ferner war auch
- der euch schon bekannte junge Herr aus Poltawa gekommen; Foma
- Grigorjewitsch rechne ich übrigens nicht mit; der gehört schon zur
- Familie. Man kam ins Gespräch (ich muß schon wieder was einschalten! Bei
- uns wird nämlich nie Firlefanz geredet: ich kann nur höchst anständige
- Gespräche leiden, damit, wie man so zu sagen pflegt, zugleich dem
- Vergnügen, und der Erbauung Genüge geschieht). -- Man kam also ins
- Gespräch darüber, wie man wohl am besten Äpfel einlegt. Meine Alte
- sagte, man müsse die Äpfel zuerst gut waschen, dann in Sauerbier
- einweichen, und dann erst .... »Aber kein Gedanke!« fiel das Herrchen
- aus Poltawa ein, schob die Hand in seinen erbsengrauen Kaftan und
- stolzierte würdevoll im Zimmer auf und ab. »Aber kein Gedanke! Erst muß
- man Minze auf sie streuen, und dann erst ....« Ich muß _euch_ zu Zeugen
- aufrufen, liebe Leser, sagt mal ganz ehrlich: habt ihr je gehört, daß
- man Minze auf die Äpfel streut? Freilich legt man Johannisbeerblätter,
- Nagelkraut und Kleeblatt hinein, aber daß man Minze einlegte .... nein,
- das habe ich noch nie gehört. Besser als meine Alte weiß wohl niemand
- Bescheid mit solchen Sachen. Seht, nun sagt ihr's selbst! Ich führte ihn
- also, als honetten Menschen, ein wenig zur Seite und sagte: »Höre, Makar
- Nasarowitsch, treib doch keine Narrenspossen! Du bist doch ein feiner
- Herr: hast doch, wie du selber sagst, einmal am Gouverneurstische mit
- gegessen. Wenn du da so etwas sagst, da werden dich ja alle auslachen!«
- Und was glaubt ihr nun, hat er drauf gesagt? -- Nichts! Er hat auf den
- Boden gespuckt, hat seine Mütze genommen und ist gegangen. Nicht einmal
- Abschied hat er von irgendeinem genommen, ja nicht einmal jemandem
- zugenickt; wir hörten bloß, wie sein Wägelchen mit den Schellen am Tore
- vorfuhr; und schon saß er drin und fuhr davon. Na, um so besser! Solche
- Gäste können wir nicht brauchen! Ich will euch nur sagen, meine lieben
- Leser, es gibt gar nichts Schlimmeres auf der Welt, als diese Ritter vom
- hohen Roß. Weil sein Ohm mal Kommissär war, muß er drum die Nase
- rümpfen? Als ob Kommissär schon so ein Rang wäre, daß es gar nichts
- Höheres auf der Welt gibt! Gott sei Dank, es gibt noch höhere Tiere, als
- so ein Kommissär. Nein, diese Vornehmtuerei kann ich nicht ausstehen!
- Nehmt doch zum Beispiel Foma Grigorjewitsch; das ist doch kein feiner
- Herr, aber seht ihn mal an: in seinem Gesicht glänzt stets eine gewisse
- Würde; sogar wenn er seinen gewöhnlichen Tabak schnupft, da hat man
- unwillkürlich Respekt. Und erst in der Kirche; wenn er da oben auf dem
- Chore steht und singt, -- da kommt es ordentlich wie Rührung über einen!
- Man möchte am liebsten vergehen! .... Aber jener .... na, Gott mit ihm!
- Der glaubt ganz gewiß, ohne seine Geschichten könne man gar nicht
- auskommen. Je nun, auch ohne ihn hat sich ein Büchelchen
- zusammengefunden.
- Ich habe euch, glaub' ich, versprochen, daß in diesem Büchlein auch ein
- Märchen von mir sein wird. Ich wollt' es auch wirklich so machen, aber
- da hab' ich gemerkt, daß man für meine Geschichte wenigstens drei
- solcher Büchelchen brauchte. Ich gedachte zuerst, es besonders drucken
- zu lassen, aber dann hab' ich mir's überlegt. Ich kenne euch ja: ihr
- werdet noch über mich alten Mann lachen. Nein, ich mag's nicht! Gehabt
- euch wohl! Wir sehen uns lange Zeit nicht wieder, oder vielleicht auch
- nie. Aber was ist daran gelegen? Euch kann's ja gleich sein, auch wenn
- ich gar nicht auf der Welt wäre. Ein Jahr wird dahingehn und noch eins
- -- und ich bin sicher, niemand von euch besinnt sich mehr auf mich, oder
- denkt mit Bedauern an den alten Bienenzüchter
- _Rotfuchs Panjko_.
- Die Nacht vor dem Weihnachtsfest
- Der letzte Tag vor dem Weihnachtsfeste war verstrichen. Klar brach die
- Winternacht an, die Sterne schauten hervor, der Mond stieg majestätisch
- am Himmel empor, um allen guten Leuten und der ganzen Welt zu leuchten,
- damit allen fröhlich ums Herz sei, wenn nach dem Weihnachtsbrauch unter
- den Fenstern zu Christi Lob und Preis gesungen würde. Der Frost war noch
- schneidender als am Morgen; aber dafür war es so still, daß man das
- Knirschen des Schnees unter den Stiefeln eine halbe Werst weit hören
- konnte. Noch war unter keinem Fenster eine einzige Schar von Burschen zu
- sehen; allein der Mond blickte verstohlen durch die Scheiben, als wollte
- er den sich putzenden Mädchen zuwinken, sie sollten schneller
- hinauslaufen in den knisternden Schnee. Da wälzten sich dichte Ballen
- von Qualm aus dem Schornstein einer Hütte und stiegen wie eine Wolke zum
- Himmel auf, und zugleich mit dem Rauch ritt eine Hexe auf einem
- Besenstiel in die Höhe.
- Wenn in diesem Augenblick der Herr Assessor aus Sorotschintzy in einem
- mit Gutspferden bespannten Dreispänner vorbeigefahren wäre, die Mütze
- mit der Hammelfellborde, wie sie die Ulanen tragen, auf dem Kopf, in
- seinem blauen, mit schwarzem Lammfell gefütterten Pelz, und mit seinem
- Teufelsding, der geflochtenen Peitsche, mit der er gewöhnlich seinen
- Kutscher anfeuerte, so hätte er sie bestimmt gesehen; denn dem Assessor
- von Sorotschintzy kann keine Hexe entgehen. Er kann sich's nämlich von
- jedem Frauenzimmer an den Fingern abzählen, wieviel Ferkelchen ihre Sau
- wirft, wieviel Leinwand in ihrem Kasten liegt, und er weiß aufs
- Tüpfelchen, was ein wackerer Mann an einem Sonntag in der Schenke an
- Kleidern und Wirtschaftssachen versetzt. Aber der Assessor von
- Sorotschintzy kam nicht vorbeigefahren, und dann kümmerte er sich auch
- nicht um fremde Leute -- er hatte ja seinen eigenen Bezirk. Unterdessen
- aber stieg die Hexe so hoch empor, daß sie da oben nur noch wie ein
- schwarzes Pünktchen aussah. Aber wo dies Pünktchen sich zeigte, dort
- verschwand ein Stern nach dem andern vom Himmel. Bald hatte die Hexe
- einen ganzen Ärmel voll von ihnen heruntergeholt. Nur noch drei oder
- vier blinkten so herum. Auf einmal jedoch tauchte an der
- entgegengesetzten Seite ein andres Pünktchen auf, wurde immer größer,
- dehnte sich in die Breite, und bald war es kein Pünktchen mehr. Ein
- Kurzsichtiger hätte sogar statt einer Brille die Räder vom Wagen des
- Kommissärs auf die Nase setzen können, aber auch dann hätte er nicht
- genau erkennen können, was das für ein Ding war. Von vorne sah es sich
- ganz an wie ein Welscher: das spitzige Mäulchen, das sich fortwährend
- bewegte und alles und alle beschnüffelte, lief in ein rundes
- Fünfkopekenstück aus, wie bei unsren Schweinen; die Beine waren so dünn,
- daß sie auch dem Jereskower Amtmann, wenn er solche gehabt hätte, schon
- beim ersten Sprung im Kosakentanz gebrochen wären. Dafür aber war's von
- hinten ein waschechter Gouvernementsprokurator in Uniform, denn ihm
- baumelte ein Schwanz herunter, der so lang war und so spitz zulief wie
- die Schöße an den neumodischen Uniformen; höchstens aus dem Bocksbart
- unterm Maul, aus den kleinen Hörnerchen auf dem Kopfe und daraus, daß er
- nicht viel weißer war als ein Schornsteinfeger, konnte man erraten, daß
- das weder ein Kerl aus dem Auslande, noch ein Gouvernementsprokurator
- war, sondern ganz einfach der Teufel in eigener Person, für den die
- letzte Nacht gekommen war, wo er sich in Gottes weiter Welt umhertreiben
- und die guten Menschen zu allerlei Sünden verführen durfte. Denn morgen
- schon sollte er beim ersten Glockenschlage der Frühmesse mit
- eingezogenem Schwanz zur Hölle fahren.
- Indessen aber schlich sich der Teufel leise an den Mond heran und
- streckte die Hand aus, um nach ihm zu greifen; plötzlich jedoch riß er
- seine Hand zurück, als wenn er sich verbrannt hätte, sog an den
- Fingerspitzen, schlenkerte mächtig mit dem einen Bein und schlüpfte dann
- auf die andere Seite; aber da prallte er wiederum zurück und zog
- schleunigst die Hand weg. Trotz dieser Mißerfolge ließ jedoch der
- listige Teufel nicht von seinen bösen Streichen. Mit einem Anlauf rannte
- er heran und packte den Mond mit beiden Händen; er krümmte sich hin und
- her, blies aus vollen Backen auf ihn und warf ihn aus einer Hand in die
- andere, wie ein Bauer, der sich mit bloßen Händen Feuer für seine Pfeife
- holt; endlich steckte er ihn rasch in seine Tasche und sauste weiter,
- als ob ganz und gar nichts geschehen wäre.
- In Dikanka hatte niemand gemerkt, daß der Teufel den Mond gestohlen
- hatte. Freilich, als der Gemeindeschreiber, übrigens auf allen Vieren,
- die Schänke verließ, sah er, daß der Mond plötzlich am Himmel
- umhertanzte, und er beschwor das bei allen Heiligen vor dem ganzen
- Dorfe; aber die Leute im Dorfe schüttelten nur die Köpfe und lachten ihn
- einfach aus. Doch was hatte den Teufel eigentlich zu einer so
- schändlichen Tat veranlaßt? Der Grund war folgender: er wußte, daß der
- reiche Kosak Tschub vom Küster zum Weihnachtsschmaus eingeladen war, und
- daß außerdem noch der Amtmann, ein Anverwandter des Vorsängers von der
- Bischöflichen Sängerkapelle, ein Mann im blauen Rock, der die tiefsten
- Baßtöne mühelos hervorbrachte, ferner der Kosak Swerbygus und noch
- dieser und jener da sein würden. Da würde es außer dem Weihnachtskuchen
- noch süßen Branntwein, Safranschnaps und noch allerhand Gutes zum Essen
- und Trinken geben. Unterdessen würde aber sein Töchterchen, die erste
- Schöne im ganzen Dorf, allein zu Hause bleiben; und dann würde sicher
- der Schmied zu dem Mädel kommen, ein handfester, kräftiger Bursch, ein
- Mordskerl, der dem Teufel noch widerwärtiger war als die Predigten des
- Vaters Kondrat. In seinen Mußestunden pflegte der Dorfschmied sich
- nämlich mit der Malerei zu beschäftigen, und er galt als der beste Maler
- in der ganzen Umgegend. Der Kosaken-Hauptmann L...ko, der damals noch
- lebte, hatte ihn sogar eigens dazu nach Poltawa kommen lassen, um den
- Bretterzaun vor seinem Hause zu tünchen. Alle Schüsseln, aus denen die
- Kosaken in Dikanka ihren Borschtsch schlürften, waren von ihm bemalt.
- Der Schmied war ein gottesfürchtiger Mann, malte oft Heiligenbilder, und
- man kann jetzt noch in der Kirche zu T..... einen Evangelisten Lukas von
- seiner Hand sehen. Aber der Triumph seiner Kunst war ein Bild, das er an
- die Wand der rechten Kirchenvorhalle gemalt hatte; da hatte er den
- heiligen Petrus dargestellt mit Schlüsseln in der Hand, wie er am
- jüngsten Tage den bösen Geist aus der Hölle vertreibt: der erschrockene
- Teufel rennt, seinen Untergang vorausahnend, hin und her, und die
- Sünder, die einst in die Hölle gesperrt waren, prügeln mit Knuten,
- Holzscheiten und allem, was ihnen unter die Hände kommt, auf ihn los.
- Zur Zeit, als der Maler an diesem Bilde arbeitete -- er malte es auf ein
- großes Brett -- hatte sich der Teufel aus aller Kraft bemüht, ihn dabei
- zu stören: er puffte ihn unsichtbar am Arm, holte Asche aus der
- Schmiede-Esse und streute sie auf das Bild; aber trotz alledem wurde das
- Werk zu Ende geführt, das Brett wurde in die Kirche gebracht, an der
- Wand der Vorhalle angenagelt, und seitdem hatte der Teufel dem Schmied
- Rache geschworen.
- Nur noch eine Nacht war ihm nun geblieben, durch die Welt zu ziehen; in
- dieser Nacht aber wollte er seine ganze Wut an dem Schmied auslassen,
- und darum beschloß er, den Mond zu stehlen; er hatte es sich nämlich
- folgendermaßen ausgedacht: der alte Tschub ist träge, und schwer auf die
- Beine zu kriegen, und dann ist es auch von seinem Hause bis zum Küster
- nicht sehr nahe. Der Weg zu ihm führte hinterm Dorfe an Windmühlen und
- am Friedhof, an einem Abgrund vorüber, und dann konnten bei hellen
- Mondnächten auch noch der süße Branntwein und der Safranschnaps den
- Tschub locken; aber bei dieser Finsternis konnte es wohl kaum jemandem
- gelingen, ihn von seinem Plätzchen hinterm Ofen hervor und auf die
- Straße hinaus zu lotsen. Und da würde der Schmied, der schon lange nicht
- im besten Einvernehmen mit ihm lebte, es sicher nicht wagen, seine
- Tochter aufzusuchen, und wenn er auch noch so kräftig war.
- Und so kam es, daß der Teufel kaum den Mond in die Tasche gesteckt
- hatte, als es plötzlich in der ganzen Welt so stockfinster wurde, daß
- manch einer den Weg ins Wirtshaus nicht gefunden hätte, geschweige denn
- _den_ in des Küsters Haus. Die Hexe fand sich auf einmal im Dunkeln und
- stieß einen Schrei aus. Da scharwenzelte der Teufel auf sie zu, faßte
- sie flink unterm Arm und begann ihr allerhand schöne Dinge ins Ohr zu
- flüstern, wie man sie den Weibern gewöhnlich zuzuraunen pflegt. Es geht
- doch recht wunderlich zu in unserer Welt! Alles was in ihr leibt und
- lebt, alles ist bemüht, einander was abzugucken und andere Leute
- nachzuäffen. Früher gab's einmal eine Zeit, da trugen in ganz Mirgorod
- nur der Richter und der Bürgermeister im Winter Pelze, die mit Tuch
- überzogen waren, während die übrigen Unterbeamten gewöhnlich die Pelze
- mit dem Fell nach außen trugen; jetzt dagegen haben sich der Assessor
- und der Unterrendant neue Pelze aus feinem Lammfell mit Tuchbezügen
- zugelegt. Vor zwei Jahren kauften der Kanzlist und der Gemeindeschreiber
- Nanking zu sechzig Kopeken die Elle, und der Kirchendiener hat sich zum
- Sommer gar eine Pluderhose aus Nanking und sogar eine Weste aus Kammgarn
- machen lassen. Kurz, alles will zur feinen Welt gehören! Wann werden die
- Menschen endlich einmal von ihrer Eitelkeit ablassen! Nun könnte man
- wetten, manchem kommt der Gedanke sonderbar vor, daß der Teufel sich
- ebenso benimmt. Am ärgerlichsten ist's aber, daß er sich am Ende gar
- noch auf seine Schönheit was zugute tut, und dabei hat er doch eine
- Fratze, daß es eine wahre Schande ist. Geradezu eine Fresse, wie Foma
- Grigorjewitsch zu sagen pflegt, das Garstigste vom Garstigen, und so
- einer geht auch noch auf Liebschaften aus! Aber am Himmel war es so
- stockfinster geworden, daß man durchaus nichts mehr von dem sehen
- konnte, was sich zwischen dem Pärchen weiter abspielte.
- * * * * *
- »Also, Gevatter, du bist noch nicht beim Küster in der neuen Hütte
- gewesen?« sprach der Kosak Tschub, trat aus der Tür seines Hauses und
- ging auf einen hageren, baumlangen Bauer in kurzem Schafspelz zu, mit
- einem dichten Bart, der davon Zeugnis ablegen konnte, daß dies Kinn
- schon über vierzehn Tage lang nicht mehr von dem Sensenstück berührt
- worden, mit dem sich die Bauern in Ermanglung eines Rasiermessers ihren
- Bart schaben. »Dort wird es jetzt ein schönes Gelage geben!« fuhr
- Tschub, übers ganze Gesicht schmunzelnd, fort. »Daß wir nur nicht zu
- spät kommen!«
- Dabei rückte Tschub seinen Gurt zurecht, der seinen Pelz fest
- zusammenzog, schob die Mütze tief in die Augen und nahm die Knute -- den
- Schrecken und die Angst aller lästigen Hunde -- fester in die Hand. Als
- er jedoch nach oben blickte, hielt er inne ....
- »Teufel noch einmal! Schau! schau nur, Panas! ....«
- »Was denn?« sprach der Gevatter und hob ebenfalls seinen Kopf.
- »Was? Der Mond ist fort!«
- »Verflucht! Wahrhaftig, der Mond ist fort!«
- »Das ist es ja eben,« rief Tschub, einigermaßen ärgerlich über die
- unerschütterliche Teilnahmslosigkeit des Gevatters. »Du scherst dich
- wohl wenig drum!«
- »Ja, was soll _ich_ denn dabei machen?«
- »Mußte sich da gerad so ein Teufel,« fuhr Tschub fort und wischte sich
- mit dem Ärmel den Schnurrbart, »grad so ein Teufel hineinmischen! So ein
- Hundsfott! Daß er morgens doch nie wieder sein Glas Schnaps zu trinken
- kriegte! .... Wahrhaftig! Es ist zum Lachen .... Als ich in der Stube
- saß, da sah ich zu meinem Vergnügen zum Fenster hinaus: die Nacht war
- ein reines Wunder! Es war ganz hell, der Schnee leuchtete im Mondlichte
- und alles war so klar zu sehen wie am lichten Tag; kaum aber trete ich
- aus der Tür -- da herrscht eine Dunkelheit, daß man die Hand vor den
- Augen nicht sieht! Mag er sich doch alle Zähne an hartem Buchweizenbrot
- ausbrechen!«
- Lange noch brummte und schimpfte Tschub, zugleich aber überlegte er,
- wozu er sich entschließen solle. Für sein Leben gern hätte er beim
- Küster über dies und jenes schwatzen mögen; denn sicher saßen dort schon
- der Amtmann, der zugereiste Baß und der Teersieder Mikita, der alle
- vierzehn Tage zum Markt nach Poltawa zu fahren pflegte und solche Possen
- trieb, daß die Leute auf dem Dorf sich den Bauch vor Lachen hielten.
- Schon sah Tschub in Gedanken den süßen Branntwein auf dem Tische stehn.
- Freilich, all das war verlockend, aber die Dunkelheit der Nacht lockte
- wieder zu jenem Faulenzerleben, das jedem Kosaken so lieb ist. Wie gut
- wäre es jetzt, mit untergeschlagenen Beinen auf der Ofenbank zu sitzen,
- seine Pfeife zu rauchen und in süß umnebelndem Schlummer den lustigen
- Burschen und Mädeln zuzuhören, die in Scharen vor den Fenstern ihre
- Lieder singen und die Weihnacht preisen! Ohne Zweifel hätte er sich auch
- für das letztere entschieden, wenn er allein gewesen wäre; aber zu zweit
- war es jetzt nicht mehr so langweilig und so gruselig, mitten durch die
- Nacht zu gehen, auch wollte er vor dem andern nicht faul und feige
- erscheinen. Als er mit dem Schimpfen fertig war, wandte er sich an den
- Gevatter.
- »Der Mond ist also weg, Gevatter?«
- »Ja, er ist weg!«
- »Wirklich sonderbar! Gib mir mal eine Prise! Du hast einen
- vortrefflichen Tabak, Gevatter! Wo hast du ihn her?«
- »Vortrefflich? Ei, da soll mich doch der und jener --« antwortete der
- Gevatter, indem er seine Dose aus Baumrinde mit den eingeritzten Mustern
- zuklappte. »Nicht einmal ein altes Huhn würde bei diesem Tabak niesen!«
- »Ich erinnere mich,« fuhr Tschub in demselben Tone fort, »der
- verstorbene Schankwirt Susulja hatte mir einmal etwas Tabak aus Njeschin
- mitgebracht. O, war das ein Tabak! Also, Gevatter, was machen wir nun?
- Es ist ja mächtig dunkel.«
- »So bleiben wir meinetwegen zu Hause!« rief der Gevatter und griff schon
- nach der Türklinke.
- Hätte der Gevatter das nicht gesagt, so hätte Tschub sich wohl
- entschlossen, zu Hause zu bleiben; jetzt aber schien ihn geradezu etwas
- zum Widerspruch zu reizen. »Nein, Gevatter, wir wollen gehen! Unmöglich!
- Wir müssen gehen!«
- Kaum hatte er das gesagt, so ärgerte er sich schon über seine eigenen
- Worte. Es war ihm höchst unangenehm, sich in solcher Nacht herumtreiben
- zu müssen, aber der Gedanke tröstete ihn, daß er es selbst so gewollt,
- und daß er wider den Ratschlag eines anderen gehandelt hatte.
- Der Gevatter ließ auch nicht die leiseste Regung von Verdrießlichkeit
- auf seinem Gesichte erkennen. Er war ein Mann, dem es durchaus gleich
- war, ob er zu Hause saß, oder ob er sich draußen umhertrieb. Er sah sich
- nur noch einmal um, kratzte sich mit dem Stiel der Knute die Achseln --
- und die beiden Gevattern machten sich auf den Weg.
- * * * * *
- Doch sehen wir nun zu, was seine schöne Tochter trieb, die allein zu
- Hause geblieben war. Oxana war noch nicht ganz siebzehn Jahre alt, als
- man schon beinah in der ganzen Welt, sowohl diesseits wie jenseits von
- Dikanka, von nichts anderem sprach als von ihr. Die Burschen erklärten
- einstimmig, ein herrlicheres Mädchen gäbe es im ganzen Dorfe nicht, habe
- es noch nie gegeben und werde es auch niemals geben. Oxana hörte und
- wußte alles, was über sie geredet wurde, und sie war so eingebildet, wie
- ein schönes Mädchen es eben ist. Hätte sie nicht ein Kopftuch und die
- Jacke einer Bäuerin getragen, sondern ein Stadtkleid, so hätte sie
- sicher alle Mädchen in den Schatten gestellt. Die Burschen liefen ihr
- scharenweise nach; aber sie verloren allmählich die Geduld, verließen
- nach und nach die eigensinnige Schöne und wendeten sich anderen, weniger
- verwöhnten Werbern zu. Nur der Schmied blieb hartnäckig und hörte nicht
- auf, sie zu umwerben, obwohl er keineswegs besser behandelt wurde als
- die anderen. Sobald nun der Vater fortgegangen war, putzte und schmückte
- sich Oxana noch lange vor dem kleinen Spiegel im Bleirahmen. Sie konnte
- sich nicht satt sehen an ihrer Schönheit.
- »Was fällt den Leuten nur ein, mich zu rühmen, ich sei schön?« sprach
- sie mit zerstreuter Miene, nur um einen Vorwand zu haben, mit sich
- selbst zu plaudern. »Die Leute lügen, ich bin gar nicht schön!«
- Aber das frische, lebhafte, kindlich jugendliche Gesicht im Spiegel, mit
- den strahlenden schwarzen Augen und dem unsagbar anmutigen Lächeln, das
- die Seele erglühen machte, bewies das Gegenteil.
- »Sind denn meine schwarzen Brauen und meine Augen in der Tat so schön?«
- fuhr sie fort, ohne den Spiegel aus der Hand zu legen, »daß sie nicht
- ihresgleichen in der Welt haben? Was ist nur Schönes an dieser
- Stumpfnase? an meinen Wangen? an meinen Lippen? Meine schwarzen Zöpfe
- sollen schön sein? O jeh, am Abend können sie einem Menschen einen
- ordentlichen Schreck einjagen: wie lange Schlangen winden und schlingen
- sie sich um meinen Kopf. Ich sehe jetzt, daß ich gar nicht schön bin!«
- Und sie rückte den Spiegel etwas von sich fort und rief: »Nein, ich bin
- doch schön! Ach, wie ich schön bin! Wundervoll! Welch eine Freude werde
- ich einst dem bereiten, dessen Frau ich werde. Wie wird mein Gemahl
- entzückt von mir sein! Er wird außer sich sein vor Freude. Er wird mich
- zu Tode küssen!«
- »Wunderbares Mädchen!« flüsterte der Schmied, der leise eingetreten war.
- »Aber sie ist nicht wenig eitel! Schon eine Stunde lang steht sie da,
- besieht sich im Spiegel und kann sich nicht satt sehen an sich selbst,
- und dazu lobt sie sich noch ganz laut!«
- »Ja, ihr Burschen, ich bin nicht euersgleichen, seht mich an,« fuhr die
- reizende Kokette fort. »Wie ist mein Gang so geschmeidig. Mein Hemd ist
- mit roter Seide genäht. Und was für Bänder ich auf dem Kopf habe! Euer
- Lebtag werdet ihr nicht mehr solche Goldborden sehen! All das hat mit
- mein Vater gekauft, damit mich der schönste Bursch der Welt zur Frau
- nimmt.« Sie lächelte, wandte sich um und erblickte den Schmied ....
- Sie schrie auf und blieb mit strenger Miene vor ihm stehen.
- Der Schmied ließ die Hände herabsinken.
- Es wäre schwer zu sagen, was das braune Gesicht des wundervollen
- Mädchens ausdrückte: ein strenger Ausdruck spiegelte sich in ihm und
- durch die Strenge hindurch blickte ein gewisser Hohn über den
- verblüfften Schmied, und eine kaum merkliche Röte, die ihr der Ärger ins
- Gesicht getrieben hatte; all das zusammen war so unbeschreiblich schön,
- daß das Beste, was man hier hätte tun können, dies gewesen wäre: -- sie
- eine Million Mal abzuküssen.
- »Wie bist du hierhergekommen?« begann Oxana. »Willst du denn, daß ich
- dich mit der Schippe davonjage? Ihr versteht euch meisterhaft darauf,
- euch an uns heranzumachen. Im Nu schnüffelt ihr aus, wann die Väter aus
- dem Hause sind. O, ich kenne euch schon! Nun, ist meine Truhe fertig?«
- »Sie ist bald fertig, mein Herzchen; nach den Feiertagen wird sie
- fertig. Wenn du wüßtest, wieviel Mühe ich mir gegeben habe: zwei Nächte
- lang habe ich die Schmiede nicht verlassen. Dafür soll aber auch keine
- Popentochter so eine Truhe haben. Ich habe Eisenbeschläge darauf getan,
- wie ich sie nicht einmal für den Wagen des Hauptmanns nahm, als ich noch
- in Poltawa auf Arbeit war. Aber wie wird sie erst bemalt sein! Und wenn
- du die ganze Umgegend mit deinen weißen Füßchen abläufst, du findest
- solch eine Truhe nicht mehr! Über den ganzen Grund werden rote und blaue
- Blumen verstreut sein, und es wird so leuchten wie Feuer. Zürne mir
- nicht! Erlaube mir wenigstens, zu dir zu reden und dich nur
- anzuschauen!«
- »Wer verbietet dir das? Rede und schau!«
- Und sie nahm Platz auf der Bank, blickte wieder in den Spiegel und
- begann ihre Flechten auf dem Kopfe zu ordnen. Sie blickte auf ihren
- Hals, auf das neue seidenbestickte Hemd, und ein leises Gefühl der
- Selbstzufriedenheit spiegelte sich auf ihren Lippen und auf ihren
- frischen Wangen und leuchtete aus ihren Augen.
- »Erlaube mir, daß ich neben dir Platz nehme!« sagte der Schmied.
- »Setze dich,« sprach Oxana immer noch mit demselben selbstzufriedenen
- Ausdruck auf den Lippen und in den Augen.
- »Wundervolle, herzallerliebste Oxana, erlaube mir nur, daß ich dir einen
- Kuß gebe!« sagte der Schmied ermutigt und preßte sie an sich, in der
- Hoffnung, ein Küßchen von ihr zu erwischen. Doch Oxana wandte ihre
- Wangen ab, die sich schon in erreichbarer Nähe von den Lippen des
- Schmiedes befanden, und stieß ihn von sich. »Was du nicht alles
- möchtest! Kaum hat er den Honig, so braucht er gleich auch noch einen
- Löffel dazu! Geh doch, deine Hände sind noch härter als Eisen. Auch
- riechst du nach Rauch. Ich glaube gar, du hast mich ganz mit deinem Ruß
- beschmiert.«
- Sie nahm den Spiegel und begann sich von neuem zu putzen.
- »Sie liebt mich nicht!« dachte der Schmied bei sich und ließ den Kopf
- hängen. »Für sie ist alles nur Spielerei; und ich stehe vor ihr da wie
- ein Narr, und kann meine Augen nicht von ihr wenden. Ja, ich möchte
- immer so vor ihr stehen und meine Augen nicht von ihr wenden. Welch
- herrliches Mädchen! Was würde ich alles darum geben, zu erfahren, was in
- ihrem Herzen vorgeht und wen sie eigentlich liebt. Aber nein, sie
- kümmert sich um niemand. Sie freut sich nur ihrer Schönheit, quält mich
- Armen, und ich bin so traurig, daß mir alles trüb und dunkel erscheint.
- Und dabei liebe ich sie doch so, wie kein Mensch in der Welt sie je
- geliebt hat oder lieben wird.«
- »Ist es wahr, daß deine Mutter eine Hexe ist?« fragte Oxana und brach in
- lautes Lachen aus; auch der Schmied fühlte, wie alles in seinem Innern
- auflachte. Dieses Lachen schien plötzlich in seinem Herzen
- wiederzuhallen und in den leise erschauernden Adern, aber gleich darauf
- erwachte ein Ärger in seiner Seele, weil er nicht die Macht hatte,
- dieses so anmutig lachende Antlitz zu küssen.
- »Was geht mich meine Mutter an? Du bist mir Mutter und Vater und alles,
- was es auf der Welt an Teurem für mich gibt! Wenn mich der Zar zu sich
- rufen ließe und zu mir sagte: »Wakula, du darfst mich um alles bitten,
- was es Schönes in meinem Reiche gibt, ich will dir alles geben. Ich will
- dir eine Schmiede aus purem Golde bauen lassen, und du sollst silberne
- Hämmer zum Schmieden bekommen,« -- dann würde ich zu dem Zaren sagen:
- »Ich will weder kostbare Edelsteine, noch eine goldene Schmiede, noch
- dein ganzes Reich. Gib mir lieber meine Oxana!«
- »Schau, schau, so einer bist du also! Aber mein Vater ist auch nicht auf
- den Kopf gefallen. Paß auf, er heiratet noch deine Mutter!« sagte sie
- und lächelte listig. »Aber, wo bleiben nur die Mädchen? .... Was soll
- das bedeuten? es ist schon höchste Zeit, daß man vor den Fenstern zu
- singen beginnt. Ich fange an, mich zu langweilen.«
- »Mögen sie nur bleiben, wo sie sind, du meine Holde!«
- »Warum nicht gar! Mit den Mädchen werden auch wohl die Burschen
- mitkommen. Da wird's was geben. Ich stell' mir vor, was für putzige
- Sachen sie da erzählen werden!«
- »Du sehnst dich also wohl nach ihrer Gesellschaft?«
- »Sicherlich mehr als nach dir. Ah! Jemand hat geklopft. Das sind wohl
- die Mädchen und Burschen.«
- »Worauf soll ich noch länger warten?« sprach der Schmied zu sich selbst.
- »Sie macht sich über mich lustig. Ich bin ihr ebensoviel wert, wie ein
- verrostetes Hufeisen. Wenn das aber wirklich so ist, dann soll
- wenigstens kein anderer über mich lachen. Sobald ich merke, daß ein
- anderer ihr besser gefällt als ich, dem will ich doch gleich ....«
- Hier wurden seine Gedanken durch ein Pochen an die Tür unterbrochen, und
- eine Stimme, die bei dem kalten Frost ziemlich scharf klang, rief: »Mach
- auf!«
- »Warte, ich mache schon selbst auf,« sagte der Schmied und trat in den
- Flur hinaus mit dem Vorsatz, dem ersten, der hereinkäme, aus Ärger die
- Rippen einzuschlagen.
- * * * * *
- Der Frost nahm zu, und oben in der Höhe wurde es so kalt, daß der Teufel
- von einem Huf auf den anderen hüpfte und sich in die Fäuste blies, um
- nur einigermaßen seine frierenden Hände zu erwärmen. Es war auch kein
- Wunder, wenn's einen fror, der sich Tag für Tag in der Hölle
- herumdrückte. Dort ist's bekanntlich längst nicht so kalt wie bei uns im
- Winter, er aber steht da unten vor dem Feuer, mit einer Zipfelmütze auf
- dem Kopf, akkurat wie ein wirklicher Küchenmeister, und brät die Sünder
- mit solchem Vergnügen, wie wohl die Weiber zu Weihnachten Wurst braten.
- Selbst die Hexe litt unter der Kälte, trotzdem sie recht warm angezogen
- war; daher hob sie die Arme in die Höhe, schob ein Bein vor, gab ihrem
- Körper die Haltung eines Schlittschuhläufers und sauste, ohne ein Glied
- zu rühren, durch die Luft, wie wenn's einen steilen Eisberg hinabginge,
- geradeswegs in den Schornstein hinunter.
- Der Teufel folgte ihr auf dieselbe Art. Da dieses Vieh aber viel
- gewandter ist als so mancher Geck in Seidenstrümpfen, so ist's kein
- Wunder, daß er gerad am Eingang zum Schornstein seiner Geliebten auf den
- Hals flog, und schnell sahen sich die beiden in dem geräumigen Ofen
- mitten unter den Töpfen.
- Die Besenreiterin schob leise das Ofentürchen auf, um zu sehen, ob ihr
- Sohn Wakula nicht die Stube voller Gäste geladen hatte; als sie aber
- sah, daß niemand da war außer etwa ein paar Säcke, die in der Stube
- umher lagen, so kroch sie aus dem Ofen, warf den warmen Pelz ab, ordnete
- ihre Kleidung, und niemand hätte ihr mehr ansehen können, daß sie noch
- vor einer Minute auf einem Besenstiel geritten war.
- Die Mutter des Schmieds Wakula war nicht mehr als vierzig Jahre alt und
- war weder schön noch häßlich. Es ist ja auch ziemlich schwer, in diesen
- Jahren schön zu sein. Sie verstand es aber, selbst die gesetztesten und
- würdigsten Kosaken an sich zu fesseln (denen es, nebenbei bemerkt, auch
- wenig um die Schönheit zu tun war), so daß sie ebensowohl der Amtmann,
- wie der Küster Ossip Nikiforowitsch (natürlich, wenn die Frau Küsterin
- nicht zu Hause war), der Kosak Korni Tschub und der Kosak Kassjan
- Swerbygus aufzusuchen pflegten. Zu ihrer Ehre muß übrigens gesagt
- werden, daß sie es vorzüglich verstand, mit ihnen umzugehen: keinem
- einzigen von ihnen kam es auch nur von ferne in den Sinn, er könne einen
- Nebenbuhler haben. Ging ein frommer Bauer oder ein »Edelmann«, wie die
- Kosaken sich selbst zu nennen pflegen, am Sonntag in seinem Mantel mit
- der Kapuze zur Kirche, oder -- wenn das Wetter schlecht war -- ins
- Wirtshaus, so ließ er sich's nicht nehmen, bei der Solocha
- vorzusprechen, um ein paar fette Käsekrapfen mit Rahm zu essen und ein
- Weilchen mit der gesprächigen und gefälligen Hausfrau in der warmen
- Stube zu schwatzen. Der Edelmann machte eigens zu diesem Zweck einen
- großen Umweg, bevor er im Wirtshaus anlangte -- und nannte das
- »unterwegs mal vorsprechen«. Oder ging die Solocha einmal an einem
- Festtag, in ihrem grellen Kopftuch und ihrem Nankingkittel und dem
- blauen Rock darüber, der hinten mit goldenen Bändern benäht war, zur
- Kirche, und stellte sie sich gerade neben dem rechten Chor auf, so fing
- der Küster sicherlich an zu hüsteln und blinzelte unwillkürlich nach
- jener Seite hinüber; der Amtmann aber strich sich den Schnurrbart,
- wickelte sich seine Kosakenlocke ums Ohr und sprach zu dem neben ihm
- stehenden Nachbar, »Ei, ei, das ist mir ein Weibsbild! Ein ganz
- verteufeltes Weib!« Die Solocha pflegte denn auch jeden Menschen zu
- grüßen, und jeder glaubte, sie grüße ihn allein.
- Aber wer es liebte, sich in fremde Angelegenheiten zu mischen, der
- konnte sofort merken, daß die Solocha am freundlichsten gegen den
- Kosaken Tschub war. Tschub war Witwer. Vor seinem Hause standen stets
- acht Schober Getreide, zwei Paar mächtige Ochsen streckten beständig
- ihre Köpfe durch das Geflecht des Schuppens auf die Straße hinaus und
- brüllten jedesmal, wenn sie eine Muhme oder einen Ohm, das heißt eine
- Kuh oder einen dicken Bullen kommen sahen. Ein bärtiger Bock kletterte
- hoch auf das Dach hinauf und meckerte mit einer gerad so schrillen
- Stimme von dort herab wie der Bürgermeister, um die auf dem Hofe umher
- stolzierenden Truthähne zu reizen, oder er kehrte seinen Hintern hervor,
- wenn er seine Feinde, die Dorfjungen, erblickte, die sich über seinen
- Bart lustig zu machen pflegten. In Tschubs Truhen lagen viele Ellen
- Leinwand, teure Schupans und altertümliche Röcke mit Goldborden: seine
- verstorbene Frau war nämlich sehr putzsüchtig gewesen. In seinem
- Gemüsegarten gab es außer Mohn, Kohl und Sonnenblumen auch noch zwei
- Beete mit Tabak. Von all dem, meinte die Solocha, wäre es ganz nett,
- wenn es ihrer eigenen Wirtschaft einverleibt würde; sie rechnete schon
- im voraus damit, welche Ordnung sie einführen wollte, wenn all das in
- ihre Hände gelangen würde, und daher verdoppelte sie ihr Wohlwollen
- gegen den alten Tschub. Damit aber ihr Sohn Wakula sich nicht an seine
- Tochter heran machte, alles Hab und Gut selbst einheimste, und ihr dann
- am Ende nicht mehr erlaubte, sich in irgend etwas einzumischen, so griff
- sie nach dem üblichen Mittel aller vierzigjährigen Weiber, das heißt,
- sie säte möglichst viel Fehde zwischen Tschub und dem Schmied.
- Vielleicht waren gerade diese Ränke und Listen der Grund davon, daß die
- alten Weiber, besonders wenn sie in fröhlicher Gesellschaft zusammen
- saßen und etwas über den Durst getrunken hatten, davon munkelten, die
- Solocha sei wirklich eine Hexe: der Bursche Kisjakolupenko habe hinten
- bei ihr einen Schwanz gesehen, der ungefähr so lang gewesen sei wie eine
- Weiberspindel; am verflossenen Donnerstag erst sei sie in Gestalt einer
- schwarzen Katze über die Straße gelaufen; auch sei einmal eine Sau zur
- Popenfrau gerannt gekommen, habe wie ein Hahn gekräht, dann sich die
- Mütze des Vaters Kondrat aufgesetzt und darauf sich wieder davongemacht
- ....
- Der Zufall wollte es, daß gerade zu der Zeit, als die alten Weiber über
- diese Dinge redeten, ein gewisser Kuhhirt namens Tymisch Korostjawi bei
- ihnen erschienen war. Er versäumte nicht, zu erzählen, wie er einmal im
- Sommer, kurz vor Peter und Paul, gerade als er sich im Stall schlafen
- gelegt und sich ein Bündel Stroh unter den Kopf gebettet hatte, mit
- eigenen Augen gesehen habe, wie eine Hexe mit aufgelöstem Haar und in
- bloßem Hemde angefangen habe, die Kuh zu melken; er habe sich nicht vom
- Fleck rühren können, so behext habe sie ihn, auch habe sie ihm die
- Lippen mit einem so widerlichen Zeug beschmiert, daß er noch einen
- ganzen Tag danach immer ausspucken mußte. Doch all das war immerhin
- zweifelhaft, denn nur der Assessor von Sorotschintzy kann eine Hexe
- sehen. Und daher wehrten sich alle Kosaken von Ansehen und Würden mit
- Händen und Füßen dagegen, wenn sie solche Reden mit anhören mußten. »Sie
- lügen, die hundsföttischen Weiber!« war gewöhnlich ihre Antwort.
- Kaum war die Solocha aus dem Ofen gekrochen und hatte sich ihre Kleider
- wieder ein wenig in Ordnung gebracht, so begann sie sofort als gute
- Wirtin die Stube aufzuräumen und alles auf seinen Platz zu stellen. Die
- Säcke aber rührte sie nicht an. »Die hat Wakula gebracht, mag er sie
- doch auch selbst wieder hinaustragen!« Der Teufel aber hatte sich, als
- er in den Schornstein hineinflog, zufällig umgeschaut, und da hatte er
- ganz nahe am Hause den Tschub Arm in Arm mit seinem Gevatter erblickt.
- Im Nu flog er wieder aus dem Ofen, rannte ihnen auf ihrem Wege voran und
- begann von allen Seiten Haufen hartgefrorenen Schnees aufzuwirbeln. Es
- erhob sich ein richtiges Schneegestöber, in der Luft flimmerte es nur so
- weiß durcheinander. Der Schnee wogte hin und her wie ein Netz und
- drohte, den Fußgängern Augen, Mund und Ohren zu verstopfen. Der Teufel
- aber flog wieder in den Schornstein hinein, fest davon überzeugt, daß
- Tschub und der Gevatter umkehren würden; dann würde Tschub den Schmied
- bei sich im Hause treffen und ihn sicherlich so traktieren, daß der auf
- lange Zeit nicht mehr imstande sein sollte, einen Pinsel in die Hand zu
- nehmen und Spottbilder zu malen.
- * * * * *
- Und in der Tat, kaum hatte sich das Schneegestöber erhoben und kaum fing
- der Wind an, ihnen gerade ins Gesicht zu fegen, so äußerte Tschub schon
- Reue. Er schob sich die Mütze tiefer über die Ohren und regalierte alle,
- sich selbst, den Teufel und den Gevatter mit Schimpfworten. Übrigens war
- diese Wut nur geheuchelt. Tschub war sehr froh über das Unwetter. Bis
- zum Hause des Küsters war es ungefähr achtmal so weit, wie die Strecke,
- die sie schon zurückgelegt hatten. Die Wanderer kehrten also um. Der
- Wind blies ihnen zwar in den Nacken, aber es war gänzlich unmöglich, in
- diesem Schneegestöber auch nur das geringste zu sehen.
- »Halt, Gevatter! Ich glaube, wir gehen falsch,« sagte Tschub nach einer
- kurzen Weile. »Ich sehe keine einzige Hütte. He, ist das ein
- Schneegestöber! Bieg doch mal etwas zur Seite, Gevatter, vielleicht
- findest du da einen Weg, unterdessen will ich hier nach ihm suchen.
- Mußte uns auch der Gottseibeiuns bei solchem Unwetter aus dem Hause
- locken! Vergiß nur nicht zu rufen, wenn du den Weg gefunden hast.
- Herrgott, was für einen Haufen Schnee hat mir der Satan in die Augen
- gejagt!«
- Der Weg war jedoch noch immer nicht zu sehen. Der Gevatter schlug einen
- Seitenweg ein und irrte in seinen langen Stiefeln hin und her, bis er
- endlich auf das Wirtshaus stieß. Diese Entdeckung freute ihn dermaßen,
- daß er alles vergaß, den Schnee von sich abschüttelte und ins Wirtshaus
- trat, ohne sich im Geringsten um seinen Gevatter auf der Straße zu
- scheren. Unterdessen war es Tschub so vorgekommen, als ob er den
- richtigen Weg gefunden hätte. Er machte Halt und schrie aus voller
- Kehle, als er aber sah, daß der Gevatter nicht zum Vorschein kam,
- beschloß er, den Weg allein fortzusetzen. Etwas weiter erblickte er sein
- Haus. Vor dem Hause und auf dem Dache lagen ganze Berge von Schnee. Er
- klatschte in die vor Kälte erstarrten Hände und begann, an die Tür zu
- klopfen und seiner Tochter gebieterisch zuzurufen, sie solle aufmachen.
- Da trat der Schmied aus dem Hause und schrie ihn grob an: »Was willst
- du?«
- Tschub erkannte die Stimme des Schmieds und wich etwas zurück. »Hm,
- nein, das ist nicht mein Haus,« sagte er sich, »in mein Haus würde sich
- der Schmied doch nicht hineinwagen, aber wenn ich's mir wiederum genauer
- ansehe, so ist's auch nicht das Haus des Schmieds. Wessen Haus könnte
- das bloß sein? Holla! Daß ich's nicht gleich erkannt habe! Das ist ja
- das Haus des lahmen Lewtschenko, der sich erst vor kurzem eine junge
- Frau genommen hat. Nur sein Haus sieht dem meinen so ähnlich. Daher kam
- es mir doch auch gleich etwas sonderbar vor, daß ich schon so schnell zu
- Hause war! Aber Lewtschenko sitzt jetzt ja beim Küster, das weiß ich
- genau. Was hat nur der Schmied hier zu suchen? .... Hahaha! Er besucht
- seine junge Frau. Das ist's also! Schön! .... Jetzt verstehe ich alles.«
- »Wer bist du und was treibst du dich vor fremden Türen herum?« rief der
- Schmied noch gröber als früher und rückte näher.
- »Nein, ich sag' ihm nicht, wer ich bin,« dachte sich Tschub, »am Ende
- krieg ich noch Hiebe von ihm, diesem verfluchten Bastard!« Und er
- antwortete mit verstellter Stimme: »Ich bin doch ein anständiger Mensch!
- Ich will euch nur ein paar Weihnachtslieder vorsingen, um euch einen
- kleinen Spaß zu machen!«
- »Scher' dich zum Teufel mit deinen Weihnachtsliedern,« schrie Wakula
- wütend. »Was stehst du noch da? Hörst du! Packe dich auf der Stelle!«
- Tschub hatte diesen vernünftigen Vorsatz schon selbst gefaßt; es war ihm
- nur unangenehm, dem Befehle des Schmieds folgen zu müssen. Es schien
- ganz so, als ob ihn ein böser Geist vorwärts stieß und ihn zum
- Widerstand nötigte. »Was schreist du da so?« rief er mit derselben
- Stimme. »Ich will euch Weihnachtslieder vorsingen und sonst nichts!«
- »Aha! du hast also wohl an Worten noch nicht genug?« rief der Schmied,
- und Tschub fühlte einen höchst schmerzhaften Schlag auf der Schulter.
- »Du bist gleich mit Prügeln bei der Hand, wie ich sehe!« sagte er und
- wich etwas zurück.
- »Pack' dich, marsch!« schrie der Schmied und regalierte ihn mit einem
- zweiten Schlag.
- »So!« rief Tschub mit einer Stimme, in die sich Schmerz, Ärger und
- Furcht mischten. »Wie ich sehe, machst du keinen Spaß, deine Prügel tun
- ja ordentlich weh!«
- »Marsch, vorwärts!« rief der Schmied und schlug die Türe zu.
- »Schau einer an, wie tapfer der tut!« sprach Tschub, als er nun allein
- auf der Straße stand. »Versuch's nur und komm bloß heran! He, wer bist
- du denn? Etwa ein großes Tier, was? Du glaubst wohl, ich kann dir nichts
- anhaben? Nein, mein Täubchen, ich gehe geraden Wegs zum Kommissär, da
- sollst du was von mir erleben! Ich werde keine Rücksicht darauf nehmen,
- daß du ein Schmied bist und noch ein Maler dazu. Hm, wenn ich mir meinen
- Rücken und meine Schultern ansehe, so werde ich wohl sicher blaue
- Flecken finden. Er hat mir tüchtig zugesetzt, der hundsgemeine Lümmel.
- Schade nur, daß es so kalt ist, ich möchte nämlich nicht gern den Pelz
- ausziehen. Warte nur, du Teufelsschmied! Der Satan soll dich und deine
- Schmiede in Stücke schlagen. Du sollst noch ein Tänzchen bei mir
- erleben! Verfluchter Hallunke! -- Also ist er jetzt nicht zu Hause?
- Solocha ist wohl allein! Hm .... Es ist ja nicht weit. -- Ob ich am Ende
- hingehe! Um diese Zeit wird uns niemand überraschen. Vielleicht hab' ich
- auch Glück und .... Seine Hiebe tun aber weh .... O, dieser
- gottsverdammte Schmied!«
- Und Tschub kratzte sich den Rücken und schlug die entgegengesetzte
- Richtung ein. Die Genüsse, die seiner bei der Solocha harrten,
- verringerten einigermaßen den Schmerz, und machten Tschub sogar weniger
- empfindlich gegen den Frost, der auf den Straßen knirschte, und der
- nicht einmal vom Sausen des Windes übertönt wurde. Eine sauersüße Miene
- erschien manchmal auf seinem Gesicht, dessen Kinn und Schnurrbart das
- Unwetter schneller mit Schnee eingeseift hatte, als irgendein Barbier,
- der sein Opfer tyrannisch an der Nase packt. Wäre jedoch der Schnee
- einem nicht kreuz und quer vor den Augen herumgewirbelt, so hätte man
- noch lange sehen können, wie Tschub immer wieder stehen blieb, sich den
- Rücken kratzte, ausrief: »Die Hiebe von diesem verfluchten Schmied tun
- aber mächtig weh!« und dann weiter zog.
- * * * * *
- Während der flinke Stutzer mit Schwanz und Bocksbart aus dem Schornstein
- und wieder in den Schornstein zurückflog, blieb ihm zufällig seine
- Tasche, die ihm an der Seite hing und in die er den gestohlenen Mond
- hineingesteckt hatte, im Ofen hängen und ging auf. Der Mond benutzte
- diese Gelegenheit, flog aus dem Schornstein des Hauses der Solocha in
- die Freiheit hinaus und stieg flugs zum Himmel empor. Alles wurde hell!
- das Schneegestöber war wie weggeblasen, der Schnee dehnte sich weit in
- die Ferne wie ein großes silbernes Gefild, über das kristallene Sterne
- ausgestreut waren. Selbst der Frost schien etwas nachgelassen zu haben.
- Burschen und Mädchen kamen in Scharen mit ihren Säcken herbei. Die
- Lieder schwirrten durcheinander, und beinahe vor keinem Fenster fehlten
- Sänger, die den heiligen Christ besangen.
- Der Mond leuchtet wundersam vom Himmel herab! Es ist schwer zu
- beschreiben, wie schön es ist, sich in solcher Nacht unter die Scharen
- laut lachender Mädchen und Burschen zu mischen, die zu allen Späßen und
- losen Streichen aufgelegt sind, wie sie nur eine lustig verbrachte Nacht
- eingeben kann. Unter dem dicken Pelze ist's warm; die Backen glühen nur
- noch lebhafter vor Kälte, und der Teufel scheint einen hinterrücks nur
- so zu mutwilligen Stückchen zu treiben.
- Scharen von Mädchen brachen mit Säcken in Tschubs Haus ein und umringten
- Oxana. Das Geschrei, das Gelächter und die Erzählungen betäubten den
- Schmied. Alle beeilten sich, der Schönen etwas Neues zu erzählen, sie
- luden ihre Säcke aus und prahlten mit dem Kuchen, den vielen Würsten und
- Krapfen, die ihnen ihr Straßengesang bereits eingebracht hatte. Oxana
- schien sehr vergnügt und fröhlich zu sein, schwatzte bald mit der einen,
- bald mit der anderen und lachte ohne Ende.
- Der Schmied sah dieses fröhliche Treiben voller Neid und Ärger an, und
- verfluchte diesmal das ganze Christsingen, obwohl er sonst wie besessen
- darauf war.
- »Du, Odarka!« rief die Schöne lustig, zu einem der Mädchen gewandt, »du
- hast ja neue Schuhe an. Ach, wie reizend! Mit Goldstickerei! Du hast es
- gut, Odarka, du hast jemand, der dir alles kauft, mir kauft niemand so
- entzückende Schuhe.«
- »Gräm dich nicht, meine herzallerliebste Oxana!« unterbrach sie der
- Schmied. »Ich will dir solche Schuhe schenken, wie sie selbst ein
- Edelfräulein selten trägt!«
- »Du?« rief Oxana sofort und blickte ihn stolz an. »Ich möchte doch
- sehen, wo du solche Schuhe herkriegen willst, die an meine Füße passen.
- Ja, wenn du mir die Schuhe brächtest, die die Zarin trägt ....!«
- »Sieh einer an, was die will!« riefen die Mädchen lachend.
- »Ja!« fuhr die Schöne stolz fort. »Seid ihr meine Zeugen: wenn mir der
- Schmied Wakula die Schuhe bringt, die die Zarin trägt, so habt ihr mein
- Wort darauf, daß ich sofort seine Frau werde.«
- Die Mädchen führten die launische Schöne mit sich fort.
- »Lache nur, lache!« sprach der Schmied, der gleich nach ihnen das Haus
- verließ. »Ich lache selbst über mich! Ich grüble und grüble und kann's
- nicht fassen, wo mein Verstand geblieben ist. Sie liebt mich nicht --
- nun, da ist nichts zu ändern! Als ob's in der Welt nur die eine Oxana
- gäbe. Gott sei Dank, es gibt auch außer ihr noch viele nette Mädchen im
- Dorfe. Was soll ich denn überhaupt mit der Oxana? Sie wird ja doch nie
- eine gute Hausfrau; sie versteht es nur, sich zu putzen. Nein, nun ist's
- genug! Nun soll die Narretei aufhören!«
- Aber gerade zur selben Zeit, als der Schmied diesen Entschluß fassen
- wollte, führte ihm ein böser Geist Oxanas lachendes Antlitz vor Augen,
- und das sprach höhnisch: »Schmied, hol mir die Schuhe der Zarin, und ich
- bin deine Frau!« Und alles in ihm geriet in Wallung, und er dachte nur
- noch an Oxana.
- Scharen von Sängern: Burschen und Mädchen in getrennten Trupps eilten
- aus einer Straße in die andere. Aber der Schmied schritt dahin, ohne
- etwas zu sehen, und teilnahmslos gegen die Lustbarkeit, die er einst
- mehr geliebt hatte, als alle andern Burschen.
- * * * * *
- Unterdessen wurde der Teufel allen Ernstes zärtlich gegen Solocha: er
- küßte ihr die Hand mit denselben Fratzen, mit denen der Assessor der
- Popentochter die Hand zu küssen pflegt, legte seine Hand aufs Herz,
- stöhnte und erklärte geradeheraus, wenn sie nicht seine Leidenschaften
- stillen und ihn nach Brauch und Sitte erhören würde, wäre er zu allem
- fähig: er würde sich ins Wasser stürzen und seine Seele geradeswegs in
- die Hölle schicken. Solocha war nicht so hartherzig; und dann unterhielt
- der Teufel ja bekanntlich auch mit ihr eine alte Freundschaft. Sie
- liebte es, sich von Anbetern umringt zu sehen, und selten war sie ohne
- Gesellschaft. Diesen Abend gedachte sie jedoch allein zu verbringen,
- denn alle angesehenen Bewohner des Dorfes waren zum Weihnachtsschmaus
- beim Küster geladen. Aber es kam alles anders: Kaum hatte der Teufel
- seine Werbung vorgebracht, da vernahmen sie plötzlich ein Klopfen und
- die Stimme des beleibten Amtmanns vor der Türe. Solocha lief hin, um ihm
- aufzumachen, der flinke Teufel aber sprang hurtig in einen der Säcke.
- Nachdem der Amtmann den Schnee von sich abgeschüttelt und ein Gläschen
- Schnaps aus Solochas Hand entgegengenommen und ausgetrunken hatte,
- erzählte er, er sei nicht zum Küster gegangen, denn es habe sich ein
- Schneegestöber erhoben; da habe er in ihrer Stube Licht gesehen und sei
- bei ihr eingekehrt, um den Abend mit ihr zu verbringen.
- Kaum aber hatte der Amtmann das gesagt, als an die Türe geklopft wurde
- und sich die Stimme des Küsters vernehmen ließ. »Versteck mich
- irgendwo,« flüsterte der Amtmann, »ich möchte jetzt nicht mit dem Küster
- zusammentreffen.«
- Solocha überlegte lange, wo sie einen so dicken Gast verstecken könnte;
- endlich wählte sie einen der größten Kohlensäcke, schüttete die Kohlen
- in einen Zuber, und der feiste Amtmann kroch mitsamt seinem Schnurrbart,
- Kopf und Mütze in den Sack.
- Der Küster kam ächzend und sich die Hände reibend, herein, und erzählte,
- es sei niemand zu ihm zum Essen gekommen, er sei aber herzlich froh über
- die Gelegenheit, sich mit ihr unterhalten zu können, und habe sich nicht
- einmal durch das Schneegestöber davon abhalten lassen. Dann trat er
- näher auf sie zu, räusperte sich, grinste, tippte mit seinen langen
- Fingern auf ihren nackten vollen Arm und sagte mit einer Miene, in der
- Schlauheit und Selbstzufriedenheit lagen: »Was habt Ihr denn da,
- reizende Solocha?« Und indem er das sagte, sprang er etwas zurück.
- »Was kann das wohl sein! Ein Arm, Ossip Nikiforowitsch!« antwortete
- Solocha.
- »Hm! Ein Arm! Hähähä!« rief der Küster herzlich zufrieden über diesen
- Anfang und ging im Zimmer auf und ab.
- »Und was habt Ihr hier, teuerste Solocha?« sprach er mit derselben
- Miene, ging wieder auf sie zu, betappte ihren Hals mit seiner Hand und
- sprang ganz so wie vorher wieder zurück.
- »Als ob Ihr das nicht seht, Ossip Nikiforowitsch,« erwiderte die
- Solocha, »mein Hals ist es, und dies hier ist ein Halsband!«
- »Hm! Ein Hals mit einem Halsband! Hähähä!« und der Küster ging wieder
- ein paarmal im Zimmer auf und ab und rieb sich die Hände.
- »Und was habt Ihr hier, unvergleichliche Solocha? ....« Es ist nicht
- ganz sicher, was der Küster jetzt mit seinen langen Fingern berührt
- hätte, denn auf einmal ertönte ein Klopfen an der Tür, und die Stimme
- des Kosaken Tschub ließ sich vernehmen.
- »Oh Gott, ein Fremder!« rief der Küster erschrocken. »Das soll nur
- werden, wenn man eine Person meines Standes hier antrifft .... Vater
- Kondrat wird es noch erfahren! .....................«
- Aber die Befürchtungen des Küsters lagen auf anderem Gebiet; am meisten
- fürchtete er, seine Ehehälfte könnte es erfahren, deren schreckliche
- Hand ohnehin aus seinem dicken Priesterzopfe ein dünnes Mauseschwänzchen
- gemacht hatte. »Um Gottes willen, tugendhafte Solocha!« sprach er, am
- ganzen Leibe zitternd. »Eure Güte, wie es im Evangelium Lucae heißt,
- Kapitel dreiz.... dreiz.... Man klopft, bei Gott, man klopft! Versteckt
- mich doch nur irgendwo!«
- Solocha schüttete die Kohlen aus noch einem Sack in den Zuber, und der
- nicht besonders umfangreiche Küster kroch hinein und kauerte sich ganz
- am Boden des Sacks zusammen, so daß man noch einen halben Sack voll
- Kohlen über ihn hatte ausschütten können.
- »Grüß Gott, Solocha!« sagte Tschub, der jetzt in die Stube trat. »Du
- hast mich vielleicht nicht erwartet, was? Nicht wahr, du hast mich nicht
- erwartet? Vielleicht störe ich?« .... fuhr Tschub fort und ließ auf
- seinem Gesichte eine verschmitzte und vielsagende Miene sehen, aus der
- man von vornherein erkennen konnte, wie sehr sein schwerfälliger Kopf
- sich abmühte, etwas recht Spitzes und Schelmisches zu sagen. »Vielleicht
- hast du dir gerade mit jemandem die Zeit vertrieben. Vielleicht hast du
- doch jemanden versteckt, was?« Und entzückt über diese Bemerkung brach
- Tschub in ein Gelächter aus, innerlich darüber triumphierend, daß nur er
- allein Solochas Gunst genieße. »Nun, Solocha, trinken wir jetzt ein
- Schnäpschen. Ich glaube, mir ist die Kehle ganz eingefroren von der
- verfluchten Kälte. Mußte uns Gott gerad zu Weihnachten solch eine Nacht
- schicken! Was das für ein Schneetreiben war! hörst du, Solocha, was das
- für ein Schneetreiben war .... Mir sind die Hände ganz steif geworden:
- ich kann nicht einmal den Pelz aufknöpfen! Wie das Schneegestöber
- losging ....«
- »Mach auf!« ertönte in diesem Augenblick eine Stimme von der Straße her,
- die von einem Stoß gegen die Tür begleitet wurde.
- »Es klopft jemand,« sagte Tschub und hielt inne.
- »Mach auf!« schrie es noch lauter.
- »Das ist der Schmied!« rief Tschub und griff rasch nach der Mütze.
- »Hörst du Solocha, versteck mich, wo es auch sei, um keinen Preis der
- Welt will ich mich hier vor dieser gottverdammten Mißgeburt sehen
- lassen. Diesem Satanskind sollen doch gleich unter beiden Augen Blasen
- anlaufen: so groß wie zwei Heuschober!«
- Solocha erschrak gleichfalls und rannte umher, als ob sie nicht ganz
- gescheit wäre. Ohne sich viel zu besinnen, machte sie Tschub ein
- Zeichen, er solle in denselben Sack hineinkriechen, in dem bereits der
- Küster steckte. Der arme Küster konnte nicht einmal durch Husten oder
- Ächzen seinen Schmerz kundgeben, als sich der schwere Mann ihm beinah
- auf den Kopf setzte und ihm seine hartgefrorenen Stiefel gegen die
- Schläfen drückte.
- Der Schmied trat ein und ließ sich, ohne ein Wort zu reden, und ohne die
- Mütze abzunehmen, auf eine Bank sinken. Er war ersichtlich schlechter
- Laune.
- Zur selben Zeit, als Solocha die Tür hinter ihm zumachte, ertönte ein
- neues Klopfen. Es war der Kosak Swerbygus. Aber den hätte man schon
- nicht mehr in einem Sack verstecken können, denn ein solcher Sack war
- nirgends mehr zu finden. Er war noch beleibter als selbst der Amtmann
- und höher von Wuchs als Tschubs Gevatter. Daher führte ihn Solocha in
- den Gemüsegarten, um alles von ihm zu hören, was er ihr zu sagen hatte.
- Der Schmied blickte zerstreut in alle Winkel seiner Stube und lauschte
- ab und zu den weit vom Dorfe herüber hallenden Liedern der Sänger;
- endlich blieben seine Augen an den Säcken haften. »Wozu liegen diese
- Säcke hier? Man hätte sie schon längst wegräumen sollen. Die dumme Liebe
- hat mich ganz wirr gemacht. Morgen ist Feiertag, und in der Stube liegt
- noch immer aller mögliche Plunder herum. Ich trage sie gleich in die
- Schmiede!«
- Der Schmied kauerte sich neben den riesigen Säcken hin, band sie fest
- zusammen und machte sich daran, sie auf seine Schultern zu heben. Aber
- es war ersichtlich, daß seine Gedanken Gott weiß wo herumspazierten;
- sonst hätte er hören müssen, wie Tschub keuchte, als ihm das Haar auf
- dem Kopfe vom Strick festgeklemmt wurde, und wie der feiste Amtmann
- ziemlich deutlich den Schlucken bekam.
- »Will mir diese abscheuliche Oxana denn gar nicht aus dem Sinne?« sprach
- der Schmied. »Ich will nicht an sie denken; und doch kreisen meine
- Gedanken, immerfort und wie zu Fleiß allein um sie. Wie kommt es, daß
- man wider Willen an etwas denken muß? Verflucht! Die Säcke scheinen ja
- schwerer geworden zu sein! Sicher hat man zu den Kohlen noch etwas
- hinein gestopft. Ich Dummkopf. Ich vergesse ja ganz, daß mir jetzt doch
- alles schwerer erscheint. Früher konnte ich mit einer Hand
- eine Fünfkopekenmünze und ein Hufeisen zusammen- und wieder
- auseinanderbiegen, und jetzt kann ich nicht einmal mehr ein paar
- Kohlensäcke aufheben. Bald wird mich noch ein Windhauch umblasen ....
- Nein!« rief er nach einem kurzen Schweigen und faßte Mut. »Was bin ich
- doch für ein Frauenzimmer! Ich erlaube niemandem, über mich zu lachen!
- Und wenn es auch zehn solche Säcke wären, -- ich trag sie alle weg!« Und
- rüstig warf er sich die Säcke über die Schultern, diese Säcke, die nicht
- einmal zwei kräftige Männer hätten aufheben können. »Ich nehme auch den
- da noch mit,« fuhr er fort und hob den kleinen Sack in die Höhe, auf
- dessen Boden der Teufel zusammengekauert lag. »Da hab ich meine
- Werkzeuge hineingetan.« Mit diesen Worten verließ er das Haus, und vor
- sich her summte er das Liedchen:
- »Ach vom Weibe sollt ich lassen!«
- * * * * *
- Immer lauter und lauter erklangen die Lieder und das Gelächter auf den
- Straßen. Den Scharen der umherziehenden Leute schlossen sich auch noch
- solche an, die aus den kleineren Nachbardörfern herbeigekommen waren.
- Die Burschen tobten umher und verübten nach Herzenslust allerhand
- Streiche. Oft auch klang in die Weihnachtsgesänge ein lustiges Liedchen
- hinein, das einer der jungen Kosaken eben erst verfaßt hatte. Oder
- plötzlich sang einer aus der Menge statt eines Weihnachtsliedes ein
- Silvesterliedchen und brüllte aus vollem Halse:
- Silvester, Bester!
- Will lecken 'nen Wecken!
- Will papfen 'nen Krapfen!
- Will Wurst nach'm Durst!
- Lautes Lachen belohnte den Spaßvogel. Die kleinen Fenster wurden
- zurückgeschoben, und die dürren Arme einer alten Frau, die allein mit
- den würdigen Vätern des Hauses daheimgeblieben war, streckten sich, mit
- einer Wurst oder einem Stück Kuchen in der Hand, hervor. Die Burschen
- und Mädchen hielten um die Wette ihre Säcke unter und fingen die Beute
- auf. An einer andern Stelle umringte ein Haufen von jungen Burschen
- mehrere Mädchen. Da gab es Lärm und Geschrei; der eine warf einen
- Schneeball, und ein anderer raubte einen Sack, der mit allerhand Kram
- angefüllt war. Wieder an einer anderen Stelle haschten Mädchen nach
- einem Burschen, sie stellten ihm ein Bein, und er flog mitsamt seinem
- Packen Hals über Kopf zu Boden. Es schien, als ob sie die ganze Nacht
- hindurch in toller Lust verbringen wollten. Die Nacht war, wie mit
- Absicht, so herrlich und milde! Und noch heller und weißer erschien der
- Mondschein vom Leuchten des Schnees!
- Der Schmied machte mit seinen Säcken halt. Er glaubte die Stimme und das
- feine Lachen Oxanas in der Mädchenschar vernommen zu haben. Er fühlte,
- wie ihm ein Schauder durch alle Adern rann, warf die Säcke zu Boden, so
- daß der Küster im Sack aufstöhnte und der Amtmann aus vollem Halse
- aufschluckte, und schloß sich mit dem kleinen Sack über der Schulter dem
- Haufen der Burschen an, die hinter der Schar der Mädchen herzogen, in
- der er die Stimme Oxanas vernommen zu haben glaubte.
- »Sie ist es! Steht da wie eine Zarin, und ihre schwarzen Augen leuchten.
- Ein stattlicher Bursch erzählt ihr etwas; sicher etwas Ergötzliches,
- denn sie lacht. Aber sie lacht ja immer.« Und unwillkürlich und ohne zu
- begreifen, wie es geschah, drängte sich der Schmied durch die Menge
- hindurch und stellte sich an ihre Seite.
- »Ah, Wakula, du bist hier! Grüß Gott!« rief die Schöne mit jenem
- Lächeln, das Wakula beinah wahnsinnig machte. »Nun, hast du dir viel
- ersungen? He, was hast du denn da für einen kleinen Sack bei dir! Und
- die Stiefelchen der Zarin? hast du mir die schon gekriegt? Schaff mir
- die Stiefelchen, so heirate ich dich« .... Und lachend lief sie mit
- einem Trupp Mädchen davon.
- Der Schmied stand wie angewurzelt auf einem Fleck. »Nein, ich kann
- nicht; ich hab keine Kraft mehr« .... rief er endlich. »Himmel Herrgott,
- warum ist sie nur so verteufelt schön? Ihr Blick, ihre Rede, alles
- brennt in mir, glüht und brennt! Nein, ich kann mich nicht mehr
- überwinden. Es muß ein Ende gemacht werden. So geh denn zugrunde, meine
- Seele! Ich will mich in einem Eisloch ertränken, dann ist alles aus!«
- Er eilte entschiedenen Schritts voraus, holte die Mädchen ein, erreichte
- Oxana und rief mit fester Stimme: »Leb wohl, Oxana! Suche dir einen
- Bräutigam, wie du ihn haben magst, halte zum Narren, wen du willst; mich
- wirst du nie mehr auf der Welt erblicken.«
- Die Schöne schien erstaunt und wollte etwas sagen, aber der Schmied
- wehrte mit der Hand ab und rannte davon.
- »Wohin, Wakula?« schrien die Burschen, als sie den Schmied davonlaufen
- sahen.
- »Lebt wohl, Brüder!« rief ihnen der Schmied zu. »Wenn Gott will, sehn
- wir uns in jener Welt wieder, in dieser werden wir uns nie mehr
- zusammenfinden. Lebt wohl! Gedenkt meiner nicht in Bösem! Sagt dem Vater
- Kondrat, er möge eine Totenmesse für meine sündige Seele lesen. Ich weiß
- es, ich bin schuldig und habe die Kerzen an den Bildern des heiligen
- Wundertäters und der Mutter Gottes nicht bemalt, ich war zu sehr in
- irdischen Dingen befangen. Mein ganzes Hab und Gut und alles, was sich
- in meinem Kasten findet, vermach' ich der Kirche. Lebt wohl!«
- Nach diesen Worten lief der Schmied mit dem Sacke auf dem Rücken weiter!
- »Er ist von Sinnen!« sprachen die Burschen.
- »Eine verlorene Seele!« murmelte fromm eine vorübergehende Alte. »Ich
- muß doch gleich herumgehen und allen erzählen, wie sich der Schmied
- erhängt hat!«
- * * * * *
- Unterdessen lief Wakula durch die Straßen; endlich blieb er stehen, um
- Luft zu schöpfen. »Wohin renne ich eigentlich so?« dachte er. »Als ob
- wirklich alles verloren wäre. Ich will noch das letzte Mittel versuchen.
- Ich gehe zum Saporoger, zu Patzjuk Schmerbauch. Der soll doch alle
- Teufel in der Welt kennen und alles machen können, was er will. Ich geh
- zu ihm, meine Seele ist ja ohnehin verloren!«
- Der Teufel, der lange regungslos dagelegen war, hüpfte im Sack vor
- Freude; der Schmied aber glaubte, er selbst hätte den Sack irgendwie mit
- der Hand berührt und diese Bewegung hervorgerufen, schlug mit seiner
- mächtigen Faust auf den Sack, rüttelte ihn und begab sich zu Patzjuk
- Schmerbauch.
- Dieser Schmerbauch Patzjuk war in der Tat vormals ein Saporoger Kosak
- gewesen; aber niemand wußte, ob er aus der Gemeinschaft vertrieben oder
- von selbst davongelaufen war. Er lebte schon seit langem in Dikanka,
- vielleicht an die zehn oder gar fünfzehn Jahre. Zuerst führte er den
- Lebenswandel eines echten Saporogers: arbeitete nicht, schlief
- dreiviertel des Tages, aß wie sechs Drescher und trank einen ganzen
- Eimer voll auf einen Zug; übrigens hatte der auch bequem Platz, denn
- obwohl Patzjuk klein von Statur war, war er doch recht stark in die
- Breite gegangen. Dazu trug er so weite Pluderhosen, daß seine Beine, so
- lang er auch ausschreiten mochte, kaum zu sehen waren, und daß es den
- Eindruck machte, als ob sich eine Branntweinkufe die Straße entlang
- bewege. Daher mochte wohl auch sein Spitzname Schmerbauch stammen. Noch
- waren keine vierzehn Tage seit seiner Ankunft im Dorfe verstrichen, da
- wußte schon jedermann, daß er ein Hexenmeister sei. Hatte jemand irgend
- eine Krankheit, sogleich wurde Patzjuk gerufen, Patzjuk brauchte nur ein
- paar Worte zu murmeln und das Gebrechen war wie mit der Hand
- weggewischt. Oder geschah es, daß einem unmäßigen Edelmann eine
- Fischgräte in der Kehle stecken geblieben war, so verstand es Patzjuk,
- den Rücken des Herrn so geschickt mit der Faust zu beklopfen, daß die
- Gräte den rechten Weg einschlug, ohne der adligen Kehle auch nur den
- leisesten Schaden zuzufügen. In der letzten Zeit hatte man ihn wenig
- gesehen. Der Grund davon lag vielleicht in seiner Faulheit, vielleicht
- aber auch in dem Umstande, daß es ihm mit jedem Jahre schwerer wurde,
- durch die Tür zu kommen. Und so mußten denn die Leute zu ihm in sein
- Haus kommen, wenn sie seiner bedurften.
- Nicht ohne Furcht öffnete der Schmied die Tür und erblickte Patzjuk, der
- wie ein Türke auf dem Boden und vor einem kleinen Fasse saß, auf dem
- eine Schüssel mit Klößen stand. Diese Schüssel stand wie mit Absicht
- gerade vor seiner Nase. Ohne auch nur einen Finger zu rühren, neigte er
- bloß den Kopf leise über die Schüssel und schlürfte die Brühe ein, ab
- und zu schnappte er auch mit den Zähnen nach einem Kloß.
- »Nein,« dachte Wakula bei sich, »der da ist noch fauler als Tschub:
- jener ißt doch wenigstens noch mit einem Löffel, dieser aber mag nicht
- einmal die Hand aufheben!«
- Patzjuk war sicherlich mächtig mit seinen Klößen beschäftigt, denn er
- schien das Kommen des Schmiedes gar nicht bemerkt zu haben; kaum aber
- war dieser über die Schwelle getreten, so machte er eine tiefe
- Verbeugung.
- »Ich komme zu Euer Gnaden, Patzjuk!« sagte Wakula und verbeugte sich von
- neuem.
- Der dicke Patzjuk erhob den Kopf und begann wieder die Kloßbrühe zu
- schlürfen.
- »Die Leute sagen, -- nimm es mir nicht übel ....« sagte der Schmied,
- indem er sich selbst Mut zusprach, »ich sag's nicht, um dich zu
- beleidigen -- die Leute sagen, du bist mit dem Teufel verschwägert!«
- Kaum hatte Wakula diese Worte gesprochen, so erschrak er schon, denn er
- dachte, er hätte sich zu eindeutig ausgedrückt und die herben Worte
- nicht genügend gemildert. Er erwartete, daß Patzjuk das Faß mitsamt der
- Schüssel packen und ihm an den Kopf werfen würde; darum wich er etwas
- zur Seite und hielt sich den Arm vor, damit die heiße Kloßbrühe ihm
- nicht das Gesicht bespritze.
- Aber Patzjuk blickte ruhig vor sich hin und aß weiter.
- Der Schmied entschloß sich ermutigt, fortzufahren: »Ich komme zu dir,
- Patzjuk; Gott schenke Dir viel Reichtum, gebe dir alles in Hülle und
- Fülle, und auch Brot in Proportion!« Der Schmied verstand es sehr wohl,
- ab und zu ein neumodisch Wörtchen in seine Rede einzuflechten. Das hatte
- er sich während seines Aufenthaltes in Poltawa angewöhnt, als er den
- Bretterzaun des Hauptmanns tünchte. »Ich armer Sünder muß zugrunde
- gehen!! Nichts in der Welt kann mir mehr helfen! Komme, was kommen mag.
- Es bleibt mir nichts mehr übrig, als den Teufel selbst um Beistand zu
- bitten. Also, Patzjuk,« rief der Schmied, als er bemerkte, daß jener
- unerschütterlich schwieg, »was soll ich anfangen!«
- »Wenn du den Teufel brauchst, so scher dich doch auch zum Teufel!«
- antwortete Patzjuk, richtete nicht einmal die Augen auf ihn, und fuhr
- fort, seine Klöße zu vertilgen.
- »Deshalb komme ich ja eben zu dir,« erwiderte der Schmied mit einer
- Verbeugung, »außer dir, glaube ich, weiß niemand den Weg zu ihm.«
- Patzjuk sprach kein Wort -- und aß seine Klöße zu Ende. »Erbarm dich,
- guter Mensch, schlag mir die Bitte nicht ab!« drängte der Schmied. »Ob
- Schweinefleisch oder Wurst, ob Leinewand oder Hirse, -- oder
- Buchweizenmehl, und alles, was du brauchst .... wie es so unter guten
- Leuten Sitte ist .... es soll dir an nichts fehlen. Sage mir doch nur so
- beispielsweise, welcher Weg zu ihm führt?«
- »Der braucht nicht weit zu gehen, der den Teufel auf dem Buckel hat,«
- sprach Patzjuk gleichgültig, ohne seine Stellung zu verändern.
- Wakula starrte ihn an, als stände die Erklärung dieser Worte auf seiner
- Stirne zu lesen. »Was spricht er?« schien seine Miene stumm zu fragen;
- und sein halbgeöffneter Mund bereitete sich vor, das erste Wort, das er
- sagen würde, zu verschlingen wie ein Klößchen. Aber Patzjuk schwieg.
- Da merkte Wakula, daß weder Klöße noch ein Faß vor Patzjuk standen;
- statt dessen aber standen zwei Holzschüsseln auf dem Boden: die eine war
- mit Krapfen, die andere mit Rahm gefüllt. Seine Gedanken und seine Augen
- wandten sich unwillkürlich diesen Gerichten zu. »Sehn wir mal zu, wie
- Patzjuk die Krapfen essen wird,« sagte er zu sich selbst. »Er wird sich
- sicher nicht bücken wollen, um sie mit dem Mund einzuschlürfen, wie die
- Klöße; es geht ja auch gar nicht: man muß den Krapfen ja zuerst in den
- Rahm tunken!«
- Doch kaum hatte er dies gedacht, da sperrte Patzjuk seinen Mund weit
- auf, blickte auf die Krapfen und riß dann den Mund noch weiter auf. Da
- plantschte ein Krapfen aus der Schüssel, fiel klatschend in den Rahm,
- drehte sich auf die andere Seite, hüpfte hoch empor und fiel ihm stracks
- in den Mund. Patzjuk verzehrte den Krapfen, machte den Mund wieder auf,
- und mit einem anderen Krapfen geschah dasselbe. Er selbst mußte sich nur
- die Mühe nehmen, zu kauen und ihn zu verschlucken.
- »Potztausend!« dachte der Schmied und machte vor Verwunderung den Mund
- weit auf; aber da merkte er, daß auch ihm ein Krapfen in den Mund
- hineinspazierte, und schon waren seine Lippen mit Rahm beschmiert. Der
- Schmied stieß den Krapfen verwirrt von sich, wischte sich die Lippen und
- begann darüber nachzudenken, was für Wunder es doch in der Welt gäbe,
- und bis zu welchen Spitzfindigkeiten des Satans Macht einen Menschen
- gelangen ließe; und er sagte sich beiläufig, daß nur Patzjuk imstande
- sei, ihm zu helfen.
- »Ich will mich noch einmal verbeugen, vielleicht sagt er's mir ....
- Aber, Teufel! Morgen ist ja Weihnachten, und er ißt Krapfen -- das ist
- doch kein Fastenessen! Was bin ich doch für ein Dummkopf: steh da und
- belade mich mit Sünde! Zurück! ....« Und der gottesfürchtende Schmied
- stürzte aus dem Hause.
- Da aber konnte der Teufel, der im Sack saß und sich schon im Voraus
- gefreut hatte, vor Angst, es könne ihm eine so großartige Beute
- entgehen, nicht mehr an sich halten. Kaum ließ der Schmied den Sack zu
- Boden gleiten, so sprang er flugs hinaus und setzte sich rittlings auf
- seinen Hals.
- Den Schmied überlief es kalt; er erschrak, wurde totenbleich, und wußte
- einfach nicht, was er tun sollte; schon wollte er sich bekreuzigen ....
- Aber der Teufel neigte sein Hundeschnäuzchen an Wakulas rechtes Ohr und
- sagte: »Ich bin's, dein Freund; ich werde alles für meinen Kameraden und
- Genossen tun! Ich gebe dir Geld, soviel du willst,« murmelte er ihm ins
- linke Ohr. »Oxana wird heute noch die Unsere sein,« flüsterte er, sein
- Maul wieder zum rechten Ohr neigend. Der Schmied stand da und sann.
- »Schön,« sagte er endlich, »um diesen Preis bin ich bereit, dir
- anzugehören!«
- Der Teufel schlug die Hände zusammen und begann vor Freude auf dem Halse
- des Schmiedes auf und ab zu hüpfen. »Jetzt habe ich den Schmied!« dachte
- er bei sich. »Gut, mein Täubchen, du sollst mir all deine Malereien und
- Schmierereien, mit denen du den Teufel verspottet hast, bezahlen! was
- werden meine Genossen dazu sagen, wenn sie erfahren, daß der frömmste
- Mann des Dorfes in meinen Händen ist?«
- Und der Teufel lachte und stellte sich vor, wie er in der Hölle die
- geschwänzte Rotte necken werde; und wie der hinkende Teufel, der als
- Meister aller satanischen Streiche galt, Wut schnauben würde.
- »Na Wakula!« piepste der Teufel, der den Hals des Schmiedes immer noch
- nicht verlassen hatte, gerade als ob er befürchtete, jener könne ihm
- entwischen. »Du weißt ja, daß ohne Vertrag nichts unternommen wird.«
- »Ich bin bereit!« sagte der Schmied. »Wie ich gehört habe, unterzeichnet
- man bei euch die Verträge mit Blut; halt, ich hol mir nur einen Nagel
- aus der Tasche!«
- Dabei griff er mit der Hand nach hinten -- und siehe -- er hatte den
- Teufel am Schwanze gepackt.
- »Ei ei, du Schäker!« rief der Teufel lachend, »jetzt aber laß los, genug
- der Schelmenstreiche!«
- »Nein, warte mein Täubchen!« schrie der Schmied. »Und was sagst du
- dazu?« Dabei machte er das Zeichen des Kreuzes, und der Teufel wurde
- lammstill. »Warte mal!« rief er und zerrte ihn am Schwanze zu Boden.
- »Ich will dich lehren, ehrliche Leute und anständige Christenmenschen in
- Sünden zu stürzen.«
- Und der Schmied sprang rittlings auf ihn und hob die Hand empor, um das
- Zeichen des Kreuzes zu machen.
- »Hab Erbarmen, Wakula!« stöhnte der Teufel kläglich. »Ich tue ja alles,
- was du willst; nur verschone mich; lege mir nur nicht dies furchtbare
- Kreuz auf.«
- »Jetzt singst du schon ein andres Lied, du gottverdammter Welschling du!
- Nun weiß ich, was ich zu tun habe. Führe mich sofort im Ritt auf und
- davon. Hörst du? eile dahin wie ein Vogel!«
- »Wohin?« rief der Teufel traurig.
- »Nach Petersburg, geradewegs zu der Zarin!« Aber da erstarrte der
- Schmied vor Schreck, denn er fühlte, wie er in die Lüfte emporgehoben
- wurde.
- * * * * *
- Noch lange stand Oxana da und dachte an die sonderbaren Reden des
- Schmieds. Schon regte sich etwas in ihrem Innern und raunte ihr zu, sie
- habe ihn zu hart behandelt. »Und wenn er sich wirklich etwas
- Schreckliches antut? Nichts ist unmöglich! Vielleicht verliebt er sich
- noch am Ende aus Kummer in eine andere und wird sie aus lauter Aerger
- für die Schönste im Dorfe erklären. Aber nein, er liebt mich. Ich bin ja
- auch so schön! Er wird mir keine andere vorziehen; er treibt nur Unsinn
- und tut nur so. Es werden noch keine zehn Minuten verstreichen, und er
- wird wiederkommen, um mich zu sehen. Ich bin wirklich zu hartherzig. Ich
- muß mich einmal scheinbar widerwillig von ihm küssen lassen. Das wird
- eine Freude für ihn sein!« Und die leichtsinnige Schöne fing schon
- wieder an, mit ihren Freundinnen zu scherzen.
- »Halt!« rief die eine von ihnen, »der Schmied hat seine Säcke vergessen;
- o schaut nur, was für gräßliche Säcke das sind! Er hat ganz andre
- Geschenke für seinen Gesang bekommen als wir; ich glaube, man hat ihm
- ein ganzes Viertel von einem Hammel geschenkt, und sicherlich Würste und
- Brote ohne Zahl. Prächtig! Da kann man die ganzen Feiertage davon
- essen.«
- »Sind das die Säcke des Schmiedes?« rief Oxana. »Schleppen wir sie doch
- zu mir in die Stube und sehn wir zu, was er alles drin hat.«
- Alle billigten lachend diesen Vorschlag.
- »Aber wir können sie nicht in die Höhe heben!« rief auf einmal die ganze
- Schar, die bemüht war, die Säcke vom Platze zu rücken.
- »Halt,« meinte Oxana, »holen wir einen Schlitten und schleppen wir sie
- auf dem Schlitten zu mir!«
- Und die ganze Schar lief fort, um einen Schlitten zu holen.
- Den Gefangenen wurde indessen in den Säcken die Zeit gewaltig lang, wenn
- auch der Küster sich ein tüchtiges Loch in den Sack gebohrt hatte. Wären
- keine Leute dagewesen, so hätte er vielleicht auch noch ein Mittel
- gefunden, herauszukriechen; aber in Gegenwart aller aus dem Sack zu
- kriechen, sich lächerlich zu machen .... dieser Gedanke hielt ihn
- zurück, und er beschloß daher, zu warten; und nur hie und da stöhnte er
- unter Tschubs unhöflichen Stiefeln schmerzlich auf. Tschub selbst aber
- sehnte sich nicht minder nach Freiheit, denn er fühlte, daß ein gewisses
- Etwas unter ihm lag, auf dem ganz grauenhaft unbequem zu sitzen war.
- Sobald er aber vom Entschluß seiner Tochter vernahm, beruhigte er sich
- und wollte jetzt schon selbst nicht mehr zum Vorschein kommen, denn er
- dachte daran, daß es bis zu seinem Hause noch mindestens hundert Schritt
- oder gar noch mehr waren; hätte er aber hinauskriechen wollen, so hätte
- er seine Kleidung ordnen, den Pelz zuknöpfen, und sich den Gurt umbinden
- müssen -- welche Arbeit! Und dann war auch seine Mütze bei der Solocha
- geblieben. Da sollten ihn doch lieber die Mädel nach Hause fahren! Es
- kam jedoch ganz anders, als Tschub erwartet hatte. Während die Mädchen
- davonliefen, um einen Schlitten zu holen, trat der hagere Gevatter
- verstört und mißgestimmt aus dem Wirtshaus. Die Schankfrau hatte sich
- durchaus nicht entschließen können, ihm zu borgen. Er wollte im
- Wirtshause abwarten, ob nicht irgendein frommer Edelmann kommen und ihm
- was vorsetzen würde; aber wie zum Trotz waren alle Edelleute zu Hause
- geblieben und verzehrten als ehrliche Christen ihren Weihnachtskuchen
- inmitten ihrer Familie. Wie nun der Gevatter so über die allgemeine
- Sittenverderbnis und das steinerne Herz des Judenweibs, das den Schnaps
- feilhielt, nachdachte, stieß er plötzlich auf die Säcke und blieb
- erstaunt stehen. »Schau, schau, hier hat jemand Säcke auf die Straße
- geworfen!« sagte er und sah sich um. »Wahrscheinlich ist Schweinefleisch
- drin. Es gehört doch ein großes Glück dazu, sich so viel zu ersingen!
- Was für riesige Säcke! Angenommen selbst, sie wären nur mit
- Buchweizenbroden und Brezeln gefüllt, das wär' auch gar nicht übel, aber
- selbst wenn nur einfaches Brot darin wäre, so ließe ich mir auch das
- gefallen: die verfluchte Jüdin gibt ein Achtel Schnaps für jeden Laib.
- Ich will sie rasch fortschleppen, so daß niemand es sieht.«
- Da wälzte er sich den einen Sack, gerade den mit Tschub und dem Küster,
- auf die Schulter, fühlte jedoch, daß er zu schwer sei. »Nein, für mich
- allein ist der zu schwer,« rief er. »Aber da kommt ja gerad wie gerufen
- der Weber Schapuwalenko. Grüß Gott, Ostap!«
- »Guten Abend!« erwiderte der Weber und blieb stehen.
- »Wohin gehst du?«
- »Ganz ohne Ziel, wohin mich gerad die Füße tragen.«
- »Hilf mir doch die Säcke forttragen, lieber Mensch, da hat jemand seine
- Weihnachtsgeschenke hergeschleppt und sie mitten auf der Straße
- hingeschmissen. Wir wollen das Gut redlich unter uns teilen.«
- »Die Säcke? Und was ist drin? Kuchen oder Brot?«
- »Ich glaube, es ist von allem etwas drin.«
- Sie rissen schnell eine Latte vom Zaun, legten die Säcke darauf und
- trugen sie auf den Schultern fort.
- »Wohin wollen wir sie tragen? Ins Wirtshaus?« fragte der Weber
- unterwegs.
- »Ich hab's mir auch gedacht; aber die verdammte Jüdin wird uns am Ende
- nicht recht trauen, sie wird glauben, wir hätten sie gestohlen, und
- außerdem _komme_ ich gerade aus dem Wirtshaus. Tragen wir den Sack zu
- mir. Niemand wird uns stören: meine Frau ist nicht zu Hause.«
- »Ist sie auch sicher nicht zu Hause?« fragte der vorsichtige Weber.
- »Wir sind ja, Gott sei Dank, noch bei vollem Verstande,« sagte der
- Gevatter, »nur der Teufel könnte mich dorthin bringen, wo sie jetzt ist.
- Ich glaube, sie wird sich bis morgen früh mit den Weibern herumtreiben.«
- »Wer ist da?« rief die Frau des Gevatters, als sie den Lärm hörte, den
- die beiden Freunde im Flur mit dem Sack machten, und öffnete die Tür.
- Der Gevatter war starr vor Schrecken.
- »Na, da haben wir die Bescherung!« rief der Weber und ließ die Arme
- sinken.
- Des Gevatters Frau war so ein Juwel, wie es deren durchaus nicht wenige
- in der Welt gibt. Genau wie ihr Gemahl saß sie fast niemals zu Hause und
- schmarotzte fast den ganzen Tag lang bei allerhand Basen und
- wohlhabenden Muhmen umher, schmeichelte sich bei ihnen ein, aß mit
- vielem Appetit und prügelte sich nur am Morgen mit ihrem Manne herum,
- denn bloß um diese Tageszeit pflegte sie ihn zuweilen zu sehen. Ihre
- Hütte war doppelt so alt wie die Pluderhosen des Gemeindeschreibers. Das
- Dach hatte an manchen Stellen gar kein Stroh mehr, und vom Zaun waren
- nur noch ein paar klägliche Überreste übrig, denn kein Mensch pflegte
- beim Ausgehen noch einen Stock zur Abwehr der Hunde mitzunehmen, weil
- jeder hoffte, am Gemüsegarten des Webers vorüberzugehen und sich da
- einen Knüppel aus seinem Zaun reißen zu können. Der Ofen wurde oft drei
- Tage lang nicht geheizt. Alles, was die zärtliche Gattin bei gutherzigen
- Leuten zu erbetteln pflegte, verbarg sie möglichst vor ihrem Manne, und
- manchmal nahm sie sogar Sachen als Beute an sich, die ihm gehörten,
- falls er sie noch nicht in der Schenke versoffen hatte. Der Gevatter
- wollte ihr trotz seiner ewigen Gleichgültigkeit doch nicht nachgeben,
- daher verließ er auch das Haus fast immer mit ein paar Beulen unter
- beiden Augen, und die geschätzte Ehehälfte trollte sich ächzend zu ihren
- alten Weibern, um ihnen von der Lüderlichkeit ihres Mannes und von den
- Schlägen vorzuklatschen, die sie zu ertragen hatte.
- Man kann sich ausmalen, wie verblüfft der Weber und der Gevatter durch
- ihr unerwartetes Erscheinen waren. Sie ließen den Sack zu Boden sinken,
- stellten sich vor ihn hin und bedeckten ihn mit ihren Rockschößen; aber
- schon war es zu spät; des Gevatters Frau hatte den Sack schon erblickt,
- obwohl ihre alten Augen nur noch schlecht sahen. »Das ist aber fein!«
- sagte sie mit einer Miene, in der die Freude eines Habichts aufzuckte.
- »Das ist fein, daß ihr euch so viel zusammengesungen habt! Anständige
- Leute machen es immer so. Aber nein, ich glaube doch, ihr habt es
- irgendwo stibitzt. Zeigt mir's sofort, hört ihr, zeigt mir sofort, was
- ihr in eurem Sacke habt!«
- »Vielleicht zeigt dir's ein kahlköpfiger Teufel, aber nicht wir,« sagte
- der Gevatter und stellte sich in Positur.
- »Was geht dich das an?« sagte der Weber, »_wir_ haben das für unseren
- Gesang bekommen und nicht du!«
- »Nein, du sollst es mir zeigen, du nichtsnutziger Trunkenbold!« rief die
- Frau, versetzte dem langaufgeschossenen Gevatter einen Schlag unters
- Kinn und drängte sich an den Sack heran. Jedoch der Weber und der
- Gevatter verteidigten den Sack tapfer und nötigten sie zum Rückzuge.
- Kaum aber hatten sie Zeit, sich recht zu besinnen, als die Gattin schon
- mit einem Feuerhaken in der Hand wieder auf den Flur herausgerannt kam.
- Sie schlug ihrem Mann flink mit dem Haken auf die Hände und dem Gevatter
- übern Rücken, und schon stand sie neben den Säcken.
- »Warum haben wir sie herangelassen?« rief der Weber, als er wieder zu
- sich gekommen war.
- »Ja, warum haben wir sie herangelassen! Warum hast du sie
- herangelassen?« sagte der Gevatter kaltblütig.
- »Ihr habt wohl einen eisernen Ofenhaken!« sagte der Weber nach kurzem
- Schweigen, indem er sich den Rücken kratzte. »Meine Frau hat im vorigen
- Jahr auf dem Jahrmarkt einen Ofenhaken gekauft und ein halb Schock Eier
- für ihn gegeben: der ist besser ..... er tut nicht so weh ......!«
- Unterdessen stellte die triumphierende Gattin ihr Lämpchen auf den
- Boden, band den Sack auf und blickte hinein.
- Aber ihre alten Augen, die den Sack doch so gut wahrgenommen hatten,
- täuschten sie wohl diesmal. »He, da liegt ja ein ganzer Eber!« rief sie,
- vor Freude in die Hände klatschend.
- »Ein Eber! Hörst du, ein ganzer Eber!« rief der Weber und puffte den
- Gevatter in die Seite, »du allein hast an allem schuld!«
- »Was ist da zu machen!« rief der Gevatter achselzuckend.
- »Was? Warum stehen wir auch so ruhig da? Nehmen wir ihr doch den Sack
- ab! Pack dich!«
- »Vorwärts marsch, du Teufelsweib! Der Eber gehört uns!« rief der
- Gevatter und rückte vor. Seine Gattin griff wieder zum Ofenhaken, aber
- in diesem Augenblick kroch Tschub aus dem Sack und stellte sich
- breitbeinig mitten im Flur hin, indem er sich dehnte und reckte, wie ein
- Mensch, der soeben aus einem langen Schlafe erwacht ist.
- Des Gevatters Frau stieß einen Schrei aus, schlug die Hände zusammen,
- und alle miteinander sperrten unwillkürlich die Mäuler auf.
- »Was faselt sie da von einem Eber, diese Närrin! Das ist doch kein
- Eber,« sagte der Gevatter, die Augen weit aufreißend.
- »Sieh einer an, was für einen Kerl sie da in den Sack gesteckt haben!«
- rief der Weber, vor Schreck zurückweichend. »Sag, was du willst, ich
- will auf der Stelle platzen, wenn da nicht der Böse seine Hand im Spiel
- hat. Der da kann doch durch kein Fenster, geschweige denn in einen Sack
- geraten!«
- »Das ist ja Gevatter Tschub!« rief der Gevatter, als er näher zusah.
- »Und was dachtest du?« rief Tschub schmunzelnd. »Was? habe ich euch
- einen Schabernack gespielt? Ihr wolltet mich wohl schon gar verspeisen,
- wie ein Stück Schweinefleisch? Wartet nur, ich will euch noch eine
- Freude bereiten: im Sacke liegt noch etwas, wenn das kein Eber ist, so
- ist's sicher ein Ferkel oder irgendein anderes Vieh. Es hat fortwährend
- unter mir gezappelt.«
- Der Weber und der Gevatter stürzten sich auf den Sack, die Hausfrau
- klammerte sich auf der anderen Seite an ihn und das Gefecht wäre wieder
- losgegangen, wenn nicht der Küster, der einsah, daß er sich nirgends
- mehr verbergen konnte, von selbst aus dem Sacke herausgekrochen wäre.
- Die Frau des Gevatters wurde starr wie Stein und ließ den Fuß los, an
- dem sie den Küster bereits aus dem Sacke ziehen wollte.
- »Also noch einer!« rief der Weber in heller Angst. »Der Teufel mag
- wissen, was in der Welt los ist .... Der Kopf dreht sich mir im Kreise
- herum .... Weder Würste noch Brot, sondern lauter Menschen wirft man
- jetzt in die Säcke!«
- »Das ist der Küster!« rief Tschub, der noch mehr erstaunt war, als die
- anderen. »Da haben wir's! Ei, ei, die Solocha! Die Menschen in einen
- Sack zu stecken .... Ich dachte mir gleich: warum ist nur die Stube
- voller Säcke .... Jetzt weiß ich alles: bei ihr saßen zwei Kerle in
- jedem Sacke. Und ich glaubte, daß sie mir allein .... Ei, ei! diese
- Solocha!«
- * * * * *
- Die Mädchen waren einigermaßen erstaunt, als sie den einen Sack nicht
- mehr fanden.
- »Nun, da ist nichts zu machen, wir werden auch an dem anderen genug
- haben!« meinte Oxana.
- Alle ergriffen den Sack und wälzten ihn auf den Schlitten. Der Amtmann
- beschloß zu schweigen, denn er bedachte die Folgen, wenn er schrie, man
- solle den Sack aufbinden; die dummen Mädel würden auseinanderlaufen,
- würden glauben, im Sacke sitze der Teufel, und er müßte dann vielleicht
- bis morgen auf der Straße bleiben.
- Indes flogen die Mädchen, Hand in Hand, wie der Sturmwind mit dem
- Schlitten über den knisternden Schnee. Einige von ihnen setzten sich
- mutwillig auf den Schlitten; und manche setzten sich sogar auf den
- Amtmann selbst. Der Amtmann aber war entschlossen, alles zu ertragen.
- Endlich waren sie angekommen, sie rissen die Türen zum Flur und zur
- Stube weit auf und schleppten den Sack unter lautem Gelächter hinein.
- »Sehn wir zu, was drin ist,« riefen alle auf einmal und beeilten sich,
- ihn aufzubinden.
- Da aber wurde der Schlucken, der nicht aufgehört hatte, den Amtmann
- während der ganzen Zeit seines Aufenthalts im Sack zu quälen, so arg,
- daß der laut aufzuschlucksen und zu husten begann.
- »Ach, da sitzt ja jemand drin!« schrien alle, und stürzten erschrocken
- zur Tür.
- »Was Teufel! Wohin rennt ihr denn alle, als ob ihr nicht gescheit seid?«
- fragte Tschub, der in die Türe trat.
- »O, Vater!« rief Oxana, »im Sacke sitzt jemand!«
- »Im Sacke? Wo habt ihr diesen Sack her?«
- »Der Schmied hat ihn mitten auf die Straße hingeschmissen,« riefen alle
- zugleich.
- »Na also; hab ich's nicht gleich gesagt? ....« dachte Tschub bei sich.
- »Worüber seid ihr so erschrocken? Wir wollen doch mal nachsehn. Holla,
- Menschenskind -- nimm's mir nicht übel, daß ich dich nicht bei deinem
- Vor- und Zunamen rufe -- kriech mal aus dem Sack heraus!«
- Der Amtmann kroch heraus.
- »Ah!« riefen die Mädchen.
- »Auch der Amtmann war also dabei,« sprach Tschub verblüfft zu sich, und
- maß ihn vom Kopfe bis zu den Füßen. »So so? .... Hehe! ....« Mehr konnte
- er nicht hervorbringen.
- Der Amtmann selbst war nicht minder verlegen und wußte nicht, was er
- anfangen sollte. »Es ist wohl recht kalt draußen?« fragte er, zu Tschub
- gewandt.
- »Ein mächtiges Frostwetter,« antwortete Tschub. »Darf ich dich fragen:
- womit schmierst du eigentlich deine Stiefel: mit Schmalz oder mit Teer?«
- Er hatte natürlich etwas ganz andres sagen wollen, und fragen wollen:
- »Wieso kommst du, der Amtmann, in den Sack?« und er wußte selbst nicht,
- wie es kam, daß er etwas ganz anderes gesagt hatte.
- »Mit Teer ist's besser,« erwiderte der Amtmann. »Leb wohl, Tschub!« Und
- er drückte die Mütze in die Stirn und verließ die Stube.
- »Warum habe ich so dumm gefragt, womit er seine Stiefel schmiert!« rief
- Tschub, auf die Tür blickend, durch die der Amtmann hinausgegangen war.
- »Ei, ei, diese Solocha! Solch einen Herrn in den Sack zu stecken! Dieses
- Teufelsweib! Und ich Dummkopf .... Aber wo ist nur der verfluchte Sack
- geblieben?«
- »Ich habe ihn in die Ecke geschmissen, es ist nichts mehr drin,« sagte
- Oxana.
- »Ich kenne diese Scherze schon. Nichts drin! Gib ihn mal her: dort sitzt
- doch noch jemand! Schüttelt ihn nur mal ordentlich. Wie? ist wirklich
- nichts drin? Ei, _so_ ein verfluchtes Weibsbild! Und dabei ist sie von
- Aussehen die reinste Heilige, als ob sie noch nie was anderes als
- Fastenspeisen gekostet hätte .....!«
- Aber lassen wir Tschub in aller Gemütlichkeit seinen Ärger verpuffen und
- kehren wir zu dem Schmied zurück; denn es geht gewiß schon in die neunte
- Stunde.
- * * * * *
- Zuerst war's Wakula sehr unheimlich zumute, besonders als er so hoch
- oben schwebte, daß er unten auf der Erde nichts mehr unterscheiden
- konnte, und als er wie eine Fliege hart am Monde vorbeigeflogen kam, so
- daß er, hätte er sich nicht etwas gebückt, den Mond mit der Mütze
- gestreift hätte. Bald darauf faßte er jedoch Mut, und begann wieder über
- den Teufel zu scherzen. Es ergötzte ihn außerordentlich, wie der Teufel
- jedesmal, wenn Wakula sein Kreuz aus Zedernholz vom Halse nahm und es
- ihm vor die Nase hielt, niesen und prusten mußte. Absichtlich erhob er
- die Hand, um sich den Kopf zu kratzen, aber der Teufel dachte, er greife
- nach dem Kreuze und flog noch rascher dahin. Alles in der Höhe leuchtete
- hell. Die Luft schimmerte durchsichtig in dem sanften silbernen Nebel.
- Alles war klar zu sehen und man konnte sogar wahrnehmen, wie ein
- Zauberer rittlings auf einem Topfe sitzend an ihnen vorüberjagte, wie
- die Sterne, zu einem Haufen geballt, Blindekuh spielten, wie ein ganzes
- Rudel Geister sich gleich Wolken dahin wälzte, wie ein im Mondschein
- tanzender Teufel beim Anblick des daherreitenden Schmiedes die Mütze
- zog, und wie ein Besen, auf dem offensichtlich soeben eine Hexe zu ihrem
- Ziel geritten war, heimwärts flog ......! Und noch vieles andere und
- mancherlei böses Gesindel trafen sie auf ihrem Wege. Beim Anblick des
- Schmiedes machten alle halt, um ihn anzusehen, und dann rasten sie zu
- ihren Verrichtungen weiter; der Schmied flog immer weiter und weiter,
- und auf einmal leuchtete Petersburg ganz in Feuer gehüllt vor ihm auf.
- (Damals fand dort aus irgend einem Anlaß gerade eine Illumination
- statt.) Der Teufel flog über den Schlagbaum hinweg, verwandelte sich in
- ein Roß, und der Schmied fand sich plötzlich mitten auf der Straße auf
- einem hitzigen Renner wieder.
- Himmel Herrgott! War das ein Lärmen, Rasseln und Funkeln; auf beiden
- Seiten ragten vier Stockwerk hohe Mauern in die Höhe; das Stampfen der
- Pferdehufe und das Rollen der Wagenräder hallte donnernd aus allen vier
- Himmelsrichtungen wider; da schossen Häuser empor und schienen auf
- Schritt und Tritt der Erde zu entsteigen; Brücken bebten; Equipagen
- flogen dahin, Kutscher und Vorreiter brüllten; der Schnee pfiff unter
- den tausenden, von allen Seiten vorbeifliegenden Schlitten; die
- Fußgänger drückten sich ängstlich an die Häuser, die mit Lämpchen
- übersät waren; und ihre riesigen Schatten huschten über die Wände und
- reichten mit den Köpfen bis an die Dächer und Schornsteine.
- Voller Staunen sah sich der Schmied nach allen Seiten um. Es schien ihm,
- als ob alle diese Häuser ihre zahllosen Feueraugen auf ihn richteten und
- ihn anschauten. Soviel feine Herren in ihren mit Tuch überzogenen Pelzen
- erblickte er, daß er nicht wußte, vor wem er zuerst die Mütze ziehen
- sollte. »O Gott, wieviel Herrschaften es hier gibt!« dachte der Schmied.
- »Ich glaube, hier ist jeder, der einem auf der Straße in einem Pelz
- begegnet, Assessor und wieder Assessor! Und die, die in diesem
- wunderbaren Wagen mit Glasscheiben dahinfahren, sind, wenn nicht
- Bürgermeister, so doch sicherlich Kommissäre oder vielleicht sogar noch
- mehr.« Hier wurden seine Betrachtungen durch eine Frage des Teufels
- unterbrochen: »Soll ich gradeswegs zur Zarin?« -- »Nein, ich habe
- Angst!« dachte der Schmied. »Ich weiß nicht, hier sind doch irgendwo die
- Saporoger Kosaken abgestiegen, die im Herbst durch Dikanka gekommen
- sind. Sie fuhren mit einem Schreiben zur Zarin; nicht übel wäre es, sie
- um Rat zu fragen. He, Satan! kriech mir in die Tasche und führe mich zu
- den Saporogern!«
- Im Nu magerte der Teufel ab und wurde so klein, daß er ohne Müh zu ihm
- in die Tasche hineinhüpfen konnte. Noch bevor Wakula sich umzusehen
- vermochte, stand er schon vor einem riesigen Hause und, ohne selbst zu
- wissen wie, stieg er die Treppe empor, machte die Türe auf und prallte
- ein wenig zurück vor dem blendenden Glanze, als er das geschmückte
- Gemach erblickte; doch er faßte wieder etwas Mut, als er die Saporoger
- erkannte, die durch Dikanka gekommen waren, und die nun auf seidenen
- Sofas saßen: mit geteerten Stiefeln an den übereinandergeschlagenen
- Beinen, und den allerstärksten Tabak rauchten, jenen Tabak, den man
- gewöhnlich Wurzeltabak nennt.
- »Grüß Gott, Herrschaften! Helf euch Gott! Wo wir uns wiedersehn!« sprach
- der Schmied, trat näher und verbeugte sich tief bis zur Erde.
- »Was ist das für ein Mensch?« fragte der dem Schmied zunächst Sitzende
- einen andern, der etwas abseits saß.
- »Habt ihr mich nicht wiedererkannt?« rief der Schmied. »Ich bins ja, der
- Schmied Wakula! Als ihr im Herbst durch Dikanka kamt, da wart ihr ja
- zwei Tage lang bei mir zu Gaste, Gott schenke euch Gesundheit und langes
- Leben. Ich hab euch doch noch damals einen neuen Reifen ans Vorderrad
- eures Wagens geschlagen!«
- »Ah!« rief da der Saporoger, »das ist ja derselbe Schmied, der so
- großartig malt. Gott zum Gruß, Landsmann! Was führt dich hierher?«
- »Ich wollte mich nur ein wenig umsehen .... Man sagt ja ....«
- »Nun, Landsmann,« rief der Saporoger wichtig und da er zeigen wollte,
- daß er nicht bloß seine Kosaken-Mundart, sondern auch reinstes Russisch
- sprechen konnte, sagte er: »Eine gewoltige Stadt, wie?«
- Der Schmied wollte sich auch nicht bloßstellen und als Neuling zeigen,
- außerdem verstand er sich auch selbst auf die Schriftsprache, wie wir
- bereits oben zu bemerken Gelegenheit hatten, und so antwortete er ruhig:
- »Eine mächtige Goubernie! Hier gibt's unstreitig große Häuser, und
- meisterhafte Bilder hängen darin. Gar viele Häuser sind mit köstlichen
- Lettern aus Blattgold bemalt. Man muß zugeben, eine herrliche
- Proportion!«
- Als die Saporoger den Schmied so frei sich ausdrücken hörten, bekamen
- sie die günstigste Meinung von ihm.
- »Wir wollen uns später weiter unterhalten, Landsmann: Jetzt müssen wir
- gleich zur Zarin fahren.«
- »Zur Zarin? O seid so lieb, meine Herren, nehmt mich auch mit!«
- »Dich?« rief der Saporoger in einem Ton, wie etwa ein Kinderwärter zu
- seinem vierjährigen Zögling redet, der bittet, ihn auf ein großes Pferd
- zu setzen.
- »Was willst du denn dort? Nein, das geht nicht.« Dabei nahm sein Gesicht
- eine wichtige Miene an. »Wir müssen mit der Zarin über unsere eigenen
- Angelegenheiten reden, Bruder!«
- »Nehmt mich doch mit!« drängte der Schmied. »Bitte du sie!« flüsterte er
- dem Teufel leise zu, indem er mit der Faust auf seine Tasche schlug.
- Kaum aber hatte er das gesagt, als ein anderer Saporoger ausrief:
- »Nehmen wir ihn doch wirklich mit, Brüder!«
- »Uns ist's recht, nehmen wir ihn mit!« sprachen die Anderen.
- »So leg ein Kleid an, wie wir es tragen.«
- Der Schmied beeilte sich, einen grünen Schupan anzuziehen, als auf
- einmal die Tür aufging und ein Mann mit Tressen am Rock eintrat und
- sagte, es sei die höchste Zeit, abzufahren.
- Dem Schmied war es wieder wunderlich zumute, als er in der riesigen
- Kalesche dahinfuhr, die auf Sprungfedern hin und her schaukelte; und als
- die vierstöckigen Häuser auf beiden Seiten an ihm vorbeirannten, und das
- Pflaster mit Gepolter wie von selbst unter den Füßen der Pferde
- dahinzurollen schien.
- »O Gott, wie hell es ist!« dachte der Schmied bei sich, »bei uns ist es
- nicht einmal am Tage so hell!«
- Die Wagen hielten vor einem Palaste. Die Saporoger stiegen aus, traten
- auf den prächtigen Vorplatz und begannen die blendend beleuchtete Treppe
- hinaufzusteigen.
- »Was für eine Treppe!« flüsterte der Schmied vor sich hin, »es wäre doch
- schade, mit den Füßen drauf zu treten. Welch ein Schmuck! Und da sage
- noch einer: die Märchen lügen! Wahrlich, die lügen nicht! O Gott, mein
- Gott, was für ein Geländer! Was für eine Arbeit! Da hat man allein fürs
- Eisen mindestens fünfzig Rubel ausgegeben!«
- Oben angelangt, durchschritten die Saporoger den ersten Saal. Scheu
- folgte ihnen der Schmied, voller Angst, er könnte bei jedem Schritt auf
- dem Parkett ausgleiten. Drei Säle durchschritten sie und der Schmied war
- noch immer nicht aus seiner Verwunderung herausgekommen. Wie sie in den
- vierten Saal traten, ging er unwillkürlich an ein Gemälde heran, das an
- der Wand hing. Es war ein Bild der heiligen Jungfrau mit dem Sohne auf
- dem Arm.
- »Was für ein Bild! Was für eine wunderbare Malerei!« dachte er und
- stellte seine Betrachtungen an. »Es sieht aus, als wollte es reden! Wie
- lebendig es ist! Und das Christkind! Wie es die Händchen faltet und
- lächelt, das Ärmste! Und diese Farben! O Gott! Welche Farben! Da hat man
- wohl auch nicht für eine Kopeke Ocker gebraucht, glaub ich, sondern
- nichts als Karmin und Grünspan. Und wie das Blau leuchtet! Eine
- meisterhafte Arbeit. Der Grund ist wahrscheinlich mit dem kostbarsten
- Bleiweiß angelegt. Aber wenn diese Malerei wunderbar ist, so ist doch
- dieser Messinggriff noch mehr der Bewunderung würdig,« fuhr er fort,
- indem er an die Tür trat und das Schloß betastete. »Was für eine saubere
- Arbeit! Ich bin sicher, das alles ist von ausländischen Schmieden
- gemacht und die haben sich sicherlich die höchsten Preise dafür zahlen
- lassen.«
- Der Schmied wäre vielleicht noch lange in seinen Betrachtungen
- fortgefahren, wenn ihn nicht ein betreßter Lakai am Arm gepufft und
- ermahnt hätte, nicht hinter den anderen zurückzubleiben. Die Saporoger
- durchschritten noch zwei Säle und machten dann halt. Da hieß man sie
- warten. Im Saale standen einige Generäle in goldbestickten Uniformen.
- Die Saporoger verbeugten sich nach allen Seiten und traten zu einer
- Gruppe zusammen.
- Einen Augenblick später kam, begleitet von einem ganzen Gefolge, ein
- korpulenter Mann von majestätischer Statur, in Hetmansuniform und mit
- feinen gelben Stiefeln herein. Sein Haar war wirr, das eine Auge
- schielte etwas, das Gesicht drückte Stolz und Erhabenheit aus, allen
- seinen Bewegungen merkte man die Gewohnheit, zu befehlen, an. Alle
- Generäle, die in ihren goldenen Uniformen umherstolzierten, gerieten in
- Bewegung und schienen jedes seiner Worte, ja die leiseste Bewegung von
- ihm unter tiefen Verbeugungen auffangen zu wollen, um alles schleunigst
- auszuführen. Aber der Hetman achtete nicht einmal darauf, nickte kaum
- mit dem Kopfe und ging auf die Saporoger zu.
- Sämtliche Saporoger verbeugten sich tief.
- »Seid ihr alle hier?« fragte er gedehnt und mit etwas näselnder Stimme.
- »Alle, alle miteinander, Väterchen!« antworteten die Saporoger und
- verbeugten sich von Neuem.
- »Vergeßt nicht, zu reden, wie ich's euch gelehrt habe!«
- »Nein, Väterchen, wir werden's nicht vergessen!«
- »Ist das der Zar?« fragte der Schmied den einen Saporoger.
- »Der Zar? Warum nicht gar! Das ist doch Potemkin in eigener Person!«
- antwortete jener.
- Im Nebenzimmer wurden Stimmen laut, und der Schmied wußte nicht, wo er
- seine Augen lassen sollte, soviel Damen in Atlaskleidern mit langen
- Schleppen und Höflinge in goldgewirkten Kaftans und mit steifen Zöpfchen
- traten jetzt herein. Er sah nur ein Aufleuchten -- sonst nichts.
- Auf einmal fielen alle Saporoger zu Boden und schrien wie ein Mann:
- »Gnade, Mütterchen! Erbarmen!«
- Der Schmied, der schon gar keine Ahnung mehr hatte, was da eigentlich
- vorging, streckte sich in seinem Eifer auch lang auf den Boden hin.
- »Steht auf!« erklang über ihnen eine gebieterische, aber zugleich
- angenehme Stimme. Einige Höflinge gaben den Saporogern geschäftig ein
- paar Rippenstöße.
- »Wir stehen nicht auf, Mütterchen! Wir wollen nicht aufstehen! Wir
- sterben lieber, als daß wir aufstehen!« schrien die Saporoger.
- Potemkin biß sich auf die Lippen; endlich trat er selbst zu ihnen und
- flüsterte dem einen Saporoger gebieterisch etwas zu. Die Saporoger
- erhoben sich sofort.
- Da wagte es auch der Schmied, den Kopf zu erheben und erblickte eine --
- etwas beleibte -- Frau von mittlerer Größe vor sich; sie war gepudert,
- hatte blaue Augen und jene erhaben lächelnde Miene, die es so gut
- verstand, sich alles untertan zu machen, und nur einem königlichen Weibe
- angehören konnte.
- »Durchlaucht haben mir versprochen, mich heute mit meinem Volke bekannt
- zu machen, das ich bisher noch nicht gesehen habe,« sprach die Dame mit
- den blauen Augen, während sie die Saporoger neugierig musterte. »Seid
- ihr hier gut aufgehoben?« fuhr sie fort und trat näher.
- »Danke, Mütterchen! Die Kost ist gut, obwohl die Hammel hier lange nicht
- so gut sind -- wie bei uns daheim -- aber es läßt sich leben! ....«
- Potemkin runzelte die Stirn, als er sah, daß die Saporoger keineswegs
- sagten, was er sie gelehrt hatte ....
- Ein Saporoger gab sich nun ein Ansehen und trat vor: »Erbarmen,
- Mütterchen! Womit hat dein treues Volk dich erzürnt? Haben wir etwa dem
- heidnischen Tatarenvolke beigestanden, haben wir gemeinsame Sache mit
- den Türken gemacht, haben wir dir in Wort oder Tat die Treue gebrochen?
- Womit haben wir deine Ungnade verdient? Erst hörten wir, du ließest
- überall Festungen gegen uns bauen; nachher vernahmen wir, du wollest
- Scharfschützen aus uns machen; jetzt hören wir von neuem Unheil. Welche
- Schuld trifft das Heer der Saporoger? Ist's etwa die, daß sie deine
- Armee über den Perekop geführt und deinen Generälen geholfen haben, die
- Männer der Krim niederzuwerfen? ....«
- Potemkin schwieg und putzte mit einem kleinen Bürstchen lässig die
- Brillanten, mit denen seine Hände besät waren.
- »Was wünscht ihr also?« fragte Katherina freundlich.
- Die Saporoger sahen einander vielsagend an.
- »Jetzt ist's Zeit! Die Zarin fragt, was wir wünschen,« sagte der Schmied
- zu sich selbst, und auf einmal stürzte er zu ihren Füßen nieder.
- »Eure kaiserliche Hoheit, straft mich nicht, sondern schenkt mir Eure
- Gnade! Mögen meine Worte Eure kaiserliche Hoheit nicht erzürnen: woraus
- sind die Schuhe gemacht, in denen Eure Füßchen stecken? Ich glaube, kein
- Schuster in der Welt vermag je wieder solche Schuhe zu machen. O Gott!
- Wenn mein Frauchen nur solche tragen könnte!«
- Die Kaiserin brach in Lachen aus. Die Höflinge lachten ebenfalls.
- Potemkin ärgerte sich, aber er lächelte gleichfalls. Die Saporoger
- glaubten, der Schmied sei verrückt geworden und begannen ihm Rippenstöße
- zu geben.
- »Steh auf!« sagte die Kaiserin freundlich. »Du willst durchaus solche
- Schuhe haben? Nun wohl, das hat keine Schwierigkeiten. Bringt ihm sofort
- die kostbarsten, mit Gold bestickten Schuhe. Wahrlich, diese Einfalt
- gefällt mir sehr! Da habt Ihr,« fuhr die Kaiserin fort, indem sie ihre
- Augen auf einen abseits stehenden Herrn mit einem vollen aber ein wenig
- bleichen Gesicht richtete, dessen bescheidener Kaftan mit den großen
- Perlmuttknöpfen erkennen ließ, daß er nicht zu den Höflingen gehörte,
- »da habt Ihr ein Sujet, das Eurer geistvollen Feder würdig ist!«
- »Majestät sind allzu gnädig. Dazu bedürfte es mindestens eines
- Lafontaine!« erwiderte der Mann mit den Perlmutterknöpfen, der Dichter
- Von Wisin, indem er sich verneigte.
- »Auf Ehre und Gewissen: ich muß sagen: ich bin jetzt noch von Eurem
- »Brigadier« in hellem Entzücken. Ihr lest aber auch ganz wunderbar vor.«
- Dann wandte sich die Kaiserin wieder dem Saporoger zu. »Ihr habe
- übrigens gehört, bei Euch in der Ssjetsch soll kein Kosak heiraten
- dürfen!«
- »Was sagst du, Mütterchen! Du weißt doch selbst: kein Mensch kann ohne
- ein Frauchen leben,« antwortete der Saporoger, mit dem der Schmied
- gesprochen hatte, und der Schmied mußte staunen, als er hörte, daß
- dieser Saporoger, der die Schriftsprache so gut beherrschte, gerade, wie
- absichtlich, mit der Zarin in der gröbsten Mundart redete, jener
- Mundart, die man gewöhnlich die Bauernsprache nennt. »Schlaue Leutchen!«
- dachte er bei sich, »sicher tut er es nicht ohne Absicht.«
- »Wir sind doch keine Mönche,« fuhr der Saporoger fort, »wir sind ja nur
- sündige Menschen. Wir sind, wie die ganze ehrliche Christenheit, der
- Fleischeslust verfallen. Es gibt nicht wenige unter uns, die Frauen
- haben, nur wohnen die Frauen nicht in der Ssjetsch. Es gibt auch solche,
- die ihre Frauen im Polenlande und in der Ukraine haben; es gibt aber
- auch solche, deren Frauen in der Türkei leben.«
- Unterdessen hatte man dem Schmied die Schuhe gebracht.
- »O Gott, was für eine Zier!« rief er freudig und ergriff die Schuhe.
- »Kaiserliche Hoheit! Wenn Ihr solche Schühchen anhabt und darin
- einhergeht, Euer Gnaden, oder gar noch übers Eis mit ihnen gleiten könnt
- -- wie müssen da die Füßchen selbst sein? Ich glaub', wahr und
- wahrhaftig, sie sind von reinstem Zucker.«
- Die Kaiserin, die in der Tat die zierlichsten und reizendsten Füßchen
- besaß, mußte lächeln, als sie ein solches Kompliment aus dem Munde eines
- einfältigen Schmiedes vernahm, der trotz seines braunen Gesichtes in
- seinem Saporogergewand für einen wirklich schönen Mann gelten konnte.
- Hocherfreut über diese wohlwollende Aufmerksamkeit wollte der Schmied
- die Zarin schon über alles ordentlich ausfragen: ob's wahr sei, daß die
- Zaren nichts wie Honig und Speck äßen und ähnliches mehr. Da aber fühlte
- er, wie die Saporoger ihn in die Rippen pufften, und er beschloß, zu
- verstummen. Und als die Zarin sich den alten Leuten zuwandte und sie
- über ihr Leben und Treiben in der Ssjetsch auszufragen begann, trat er
- zur Seite, neigte sich zu seiner Tasche hinab, sagte leise: »Bring mich
- schnell von hier weg!« Und auf einmal befand er sich wieder hinter dem
- Schlagbaum.
- * * * * *
- »Ertrunken! Bei Gott, er ist ertrunken! Ich will mich nicht mehr vom
- Fleck rühren, wenn er nicht ertrunken ist!« murmelte die dicke
- Webersfrau, die mitten auf der Straße in einem Haufen von Weibern stand.
- »Was, ich bin also eine Lügnerin? Hab' ich etwa jemandem eine Kuh
- gestohlen? Oder hab' ich jemand böse angesehen, daß ihr mir nicht trauen
- wollt?« schrie eine Frau mit violetter Nase und in einem Kosakenkittel,
- indem sie mit ihren Armen hin und her fuchtelte. »Ich will nie wieder
- Wasser trinken, wenn die alte Perepertschicha nicht mit eigenen Augen
- gesehen hat, wie der Schmied sich erhängt hat!«
- »Der Schmied hat sich erhängt? Eine schöne Bescherung!« rief der
- Amtmann, der eben aus dem Hause Tschubs kam; er blieb stehen und drängte
- sich unter die Keifenden.
- »Sage lieber, du willst keinen Schnaps mehr trinken, du alte Sauftrine
- du!« antwortete die Webersfrau. »Da müßte man ja gerad' so blöde sein,
- wie du, um sich aufzuhängen! Er ist ertrunken, er ist im Eisloch
- ertrunken! Das weiß ich so gewiß, wie daß du soeben im Wirtshaus gewesen
- bist.«
- »Was, du freches Frauenzimmer? Sieh mal einer an, was die mir vorwirft!«
- entgegnete wütend die Frau mit der violetten Nase. »Du hättest doch
- lieber das Maul halten sollen, du Weibsstück du! Als ob ich nicht wüßte,
- daß jeden Abend der Küster zu dir kommt!«
- Die Webersfrau geriet außer sich.
- »Was tut der Küster? Zu wem kommt er? Was faselst du da?«
- »Der Küster?« krähte die Frau des Küsters, sich in ihrem Hasenpelz, der
- mit blauem Nanking bezogen war, an die Streitenden herandrängend. »Ich
- will dir schon zeigen, was es heißt, so vom Küster zu reden! Wer sagt da
- was vom Küster?«
- »Man weiß ja doch, wen der Küster besucht!« schrie die Frau mit der
- violetten Nase und zeigte auf die Weberin.
- »Du also bist's, du Hündin«, rief die Frau des Küsters und ging auf die
- Webersfrau los, »du bist's, du Hexe, die ihn umnebelt und ihn mit
- Satanskräutern behext, daß er zu dir kommt?«
- »Pack dich fort, du Satan!« sprach die Webersfrau zurückweichend.
- »Sieh mal einer die verdammte Hexe an, du sollst's nicht mehr erleben,
- daß du deine Kinder jemals wiedersiehst! Du niederträchtiges Weib!
- Pfui!« Und dabei spuckte die Küsterin der Webersfrau gerade in die
- Augen.
- Die Webersfrau wollte dasselbe tun, aber statt dessen spuckte sie dem
- Amtmann, der näher an die Streitenden herangekommen war, um alles besser
- zu hören, in seinen unrasierten Bart.
- »Ah, du garstiges Weibsbild, du!« rief der Amtmann, wischte sich mit dem
- Rockschoß das Gesicht ab und schwenkte seine Knute.
- Diese Bewegung veranlaßte alle, schimpfend nach allen Seiten
- auseinanderzustieben. »So was Ekelhaftes!« wiederholte der Amtmann und
- wischte sich wieder ab. »Der Schmied ist also ertrunken! O du meine
- Güte! Was war das für ein großartiger Maler! Was für starke Messer,
- Sensen und Pflüge konnte der schmieden! Und wie kräftig der war! Ja,
- ja,« fuhr er nachdenklich fort, »bei uns im Dorfe haben wir wenig solche
- Leute. Ich hab's ja gleich gemerkt, als ich noch in diesem verfluchten
- Sacke saß, daß der Aermste ganz bedrückt und traurig war. Ja, da haben
- wir nun den Schmied! Einst war er, und nun ist er nicht mehr! Ich wollte
- doch gerade noch meine scheckige Stute beschlagen lassen! ....« Und
- solcher christlicher Gedanken voll, trottete der Amtmann langsam seinem
- Hause zu.
- Oxana war ganz bestürzt, als diese Gerüchte zu ihr drangen. Sie traute
- zwar den Augen der Perepertschicha und dem Weibergetratsch nur wenig,
- denn sie wußte, daß der Schmied fromm genug war, seine Seele nicht ins
- Verderben zu stürzen. Wie aber, wenn er in der Tat mit der Absicht
- davongegangen war, nie wieder ins Dorf zurückzukehren? Schwerlich konnte
- man wo anders einen so schmucken Burschen finden, wie der Schmied einer
- war. Und dann liebte er sie doch so sehr! Er ertrug auch ihre Launen
- länger als alle anderen ... Die Schöne drehte sich die ganze Nacht
- hindurch unter ihrer Decke von der rechten Seite auf die linke, und von
- der linken auf die rechte, und konnte doch nicht einschlafen. Bald warf
- sie sich in ihrer berückenden Nacktheit, die das nächtliche Dunkel sogar
- vor ihr selbst verbarg, hin und her, und schalt laut auf sich, bald
- verstummte sie, faßte den Entschluß, an nichts mehr zu denken -- und
- grübelte doch weiter und weiter. Sie lag da wie in lohendem Feuer, und
- gegen Morgen war sie bis über die Ohren in den Schmied verliebt.
- Als Tschub den Tod Wakulas vernahm, ließ er weder Freude noch Trauer
- erkennen. Seine Gedanken waren nur mit einer Sache beschäftigt: er
- konnte Solochas Treubruch nicht vergessen, und ließ sogar im Schlafe
- nicht davon ab, auf sie zu schimpfen.
- Der Tag brach an. Die Kirche war schon vor Morgengrauen voll von
- Menschen. Die alten Frauen in ihren weißen Kopftüchern und Tuchkitteln
- standen ganz nahe am Eingang und bekreuzigten sich fromm. Vor ihnen
- standen die adligen Damen in grünen und gelben Jacken, ja manche sogar
- in blauen Überwürfen, die hinten mit Brokatschleifen versehen waren. Die
- Mädchen, die einen ganzen Laden von aufgewickelten Bändern auf dem Kopfe
- und ebensoviel Perlenbänder, Kreuze und Dukaten um den Hals trugen,
- suchten so nahe als möglich an den Altar heran zu kommen. Ganz vorne
- aber standen die Edelleute und die einfachen Bauern mit Schnurrbärten,
- Haarschöpfen, mit dickem Hals und frisch rasiertem Kinn, die meisten in
- Mänteln, unter denen ein weißer, oder bei manchen auch ein blauer Kittel
- hervorguckte. Wohin man auch blicken mochte, auf allen Gesichtern
- spiegelte sich die Feiertagsstimmung wieder. Der Amtmann leckte sich
- schon die Lippen, wenn er an die Wurst dachte, mit der er die Festtage
- beschließen würde; die Mädel dachten daran, wie sie mit den Burschen auf
- dem Eise schlittern würden, und die alten Frauen murmelten eifriger denn
- je ihre Gebete. Durch die ganze Kirche konnte man hören, wie der Kosak
- Swerbygus niederkniete. Nur Oxana stand wie abwesend da: sie betete und
- betete doch auch nicht. Ihr Herz bestürmten so viele und mannigfaltige
- Empfindungen, von denen eine immer peinlicher war, als die andere, daß
- ihr Gesicht nichts wie eine starke Verwirrung ausdrückte, und in ihren
- Augen zitterten Tränen. Die Mädchen konnten natürlich den Grund davon
- nicht erkennen, und ahnten nicht, daß der Schmied daran schuld war.
- Jedoch der Schmied beschäftigte nicht nur Oxana allein. Alle Bewohner
- des Dorfes fühlten, daß der Feiertag kein rechter Feiertag war, und daß
- gewissermaßen etwas fehlte. Unglücklicherweise war auch der Küster nach
- seiner Reise im Sack vom Abend vorher noch heiser geworden, und sang
- seine Lieder mit kaum hörbarer krächzender Stimme; wohl brachte der
- zugereiste Sänger ein paar prächtige Baßtöne hervor, aber wieviel besser
- wäre es gewesen, wenn man auch noch den Schmied dagehabt hätte, der
- jedes Mal, wenn man das »Vaterunser« oder die »Himmlischen Heerscharen«
- sang, auf den Chor stieg und so schön sang, wie man es sonst nur in
- Poltawa hören konnte. Dazu kam noch, daß er ganz allein sich um das Amt
- des Kirchenvorstands kümmerte. Schon war die Frühmesse zu Ende und nach
- der Frühmesse war bald auch das Hochamt vorbei ..... In der Tat, wo war
- nun der Schmied geblieben?
- * * * * *
- Noch rascher fast flog der Teufel in den letzten Stunden der Nacht mit
- dem Schmied auf dem Rücken heimwärts, und im Nu befand sich Wakula vor
- seiner Hütte. In diesem Augenblick krähte der Hahn.
- »Wohin?« rief der Schmied und ergriff den Teufel, der ausreißen wollte,
- am Schwanz. »Halt, Freundchen, das ist noch nicht alles: ich hab mich
- noch nicht bei dir bedankt.«
- Und er ergriff eine Gerte und versetzte ihm drei mächtige Hiebe, daß der
- arme Teufel davonrannte wie ein Bauer, dem der Assessor eben
- tüchtig eingeheizt hat. Und so geschah's, daß der Erzfeind des
- Menschengeschlechts, statt andere Leute zu foppen, zu versuchen und zu
- narren, selbst genarrt wurde.
- Hierauf trat Wakula in den Flur seines Hauses, warf sich auf ein
- Heubündel und schlief bis spät in den Mittag hinein. Als er erwachte,
- erschrak er heftig, denn er sah, daß die Sonne schon hoch am Himmel
- stand. »Ei, Herrjeh, ich habe ja die Frühmesse und das Hochamt
- verschlafen!« rief er aus.
- Und der gottesfürchtige Schmied verfiel in eine tiefe Zerknirschung,
- denn er vermeinte, Gott habe zur Strafe für sein schlimmes Vorhaben, und
- um seine Seele zu verderben, einen Schlaf auf ihn herabgeschickt, der
- ihn verhindert habe, an einem so großen Feiertag die Kirche zu besuchen.
- Er beruhigte sich jedoch bald, nachdem er den Beschluß gefaßt hatte, in
- der künftigen Woche alles dem Popen zu beichten und von da ab ein ganzes
- Jahr lang täglich fünfzig Kniefälle zu machen. Er blickte in die Stube
- hinein: es war niemand da. Die Solocha war offenbar noch nicht
- zurückgekehrt.
- Behutsam zog er die Schuhe aus dem Busen, staunte von neuem die kostbare
- Arbeit an, und wunderte sich über die sonderbaren Ereignisse der
- vergangenen Nacht; er wusch sich, kleidete sich an, so gut er nur
- konnte, zog das Gewand an, das er von den Saporogern bekommen hatte,
- holte seine neue Lammfellmütze mit dem blauen Dach, die er, seit er sie
- seinerzeit in Poltawa gekauft, noch niemals aufgesetzt hatte, aus der
- Truhe; holte auch einen neuen, vielfarbigen Gurt hervor, packte alles,
- zusammen mit einer Nagaika, in ein Tüchlein ein und begab sich gradewegs
- zu Tschub.
- Tschub machte große Augen, als der Schmied eintrat und wußte nicht,
- worüber er mehr staunen sollte: darüber, daß der Schmied von den Toten
- auferstanden war, daß er es wagte, zu ihm zu kommen, oder darüber, daß
- er so stutzerhaft herausgeputzt und wie ein echter und rechter Saporoger
- angezogen war. Noch mehr aber staunte er, als Wakula das Tuch aufband,
- die funkelnagelneue Mütze nebst einem Gurt, wie man ihn noch niemals im
- Dorfe gesehen hatte, vor ihm auf den Tisch legte, ihm zu Füßen fiel und
- flehentlich ausrief: »Hab' Erbarmen, Väterchen! Zürne mir nicht! Da hast
- du eine Peitsche: schlag zu, soviel deine Seele verlangt. Ich gebe mich
- selbst in deine Hand, ich bereue ja alles; schlage mich, aber zürne mir
- nicht. Du warst ja vormals meinem seligen Vater wie ein Bruder, ihr habt
- doch zusammen gegessen und getrunken!«
- Nicht ohne heimliche Freude sah Tschub, wie der Schmied, der sich den
- Teufel um jemand im Dorfe scherte und der Fünfkopekenstücke und Hufeisen
- mit der Hand zusammendrückte wie Buchweizenflinsen, wie dieser selbe
- Schmied jetzt zu seinen Füßen lag. Um sich nichts zu vergeben, ergriff
- Tschub die Peitsche und schlug ihn dreimal auf den Rücken. »Nun ist's
- aber genug, steh auf! Hör stets auf die Alten! Wir wollen alles
- vergessen, was zwischen uns vorgefallen ist. Und nun sag, was du
- möchtest?«
- »Väterchen, gib mir Oxana zur Frau!«
- Tschub überlegte einen Augenblick und sah sich die Mütze und den Gurt
- an: die Mütze war wunderbar und der Gurt nicht minder; dabei fiel ihm
- auch noch die treulose Solocha ein, und er rief entschlossen: »'s ist
- recht! Schicke deine Brautwerber her!«
- »Ah!« schrie Oxana auf, die über die Schwelle getreten war und den
- Schmied erblickt hatte, und sie richtete freudig und ganz erstaunt ihre
- Blicke auf ihn.
- »Schau mal, was ich dir für kleine Schuhe mitgebracht habe!« sagte
- Wakula, »dieselben sind's, die die Zarin trägt.«
- »Nein, nein! Ich brauche keine Schuhe!« rief sie, ihn mit den Händen
- abwehrend und ohne ihre Augen von ihm abzuwenden; »ich bin auch ohne
- Schuhe ....« Und sie sagte nichts weiter, sondern errötete nur.
- Der Schmied kam näher heran, ergriff sie bei der Hand, und die Schöne
- schlug die Augen nieder. Noch nie hatte sie so wunderbar schön
- ausgesehen. Der Schmied küßte sie voller Entzücken auf die Lippen, ihr
- Antlitz verfärbte sich noch tiefer, und sie wurde nur noch schöner.
- * * * * *
- Der Bischof seligen Angedenkens kam einmal durch Dikanka, lobte die
- schöne Lage des Dorfes und hielt, als er die Straße herunterfuhr, vor
- einer der Hütten an.
- »Wem gehört diese schön bemalte Hütte?« fragten Seine Hochwürden die
- hübsche Frau, die mit einem Kinde auf dem Arm vor der Türe stand.
- »Dem Schmied Wakula!« antwortete ihm mit einer Verbeugung Oxana, denn
- sie war es.
- »Großartig! Eine wundervolle Arbeit!« sprachen Seine Hochwürden, als sie
- sich Türen und Fenster ansahen. Die Fenster waren ringsherum mit roter
- Farbe bestrichen und auf den Türen waren überall Bildnisse von reitenden
- Kosaken mit Pfeifen in den Zähnen aufgemalt.
- Noch mehr aber lobten Seine Hochwürden den Schmied Wakula, als sie
- erfuhren, daß er eine Kirchenbuße eingehalten, die er sich selbst
- auferlegt, und in der Kirche den ganzen linken Chor mit grüner Farbe
- gestrichen und mit roten Blumen bemalt habe.
- Das ist jedoch noch nicht alles. An die Wand, die, wenn man die Kirche
- betritt, sich gleich zur Linken befindet, hatte Wakula einen in der
- Hölle sitzenden Teufel gemalt und zwar einen so abscheulichen Teufel,
- daß jedermann, der vorbeiging, ausspeien mußte, und wenn einer Frau das
- Kind auf dem Arme zu weinen anfing, so trug sie es ans Bild und sprach:
- »Schau, schau, hu, hu, was da hingemalt ist!« Und das Kind verschluckte
- seine Tränen, schielte scheu nach dem Bilde und schmiegte sich enger an
- die Brust der Mutter.
- Schreckliche Rache
- I.
- Dröhnend braust's dahin durch Kijews Vorstadt: Da feiert Gorobetz, der
- Kosakenhauptmann, den sie Jessaul nennen, die Hochzeit seines Sohnes.
- Viel Leute sind beim Jessaul zu Gast. In alten Zeiten liebte man's wohl,
- gut zu essen, gut zu trinken und noch lieber mocht' man lustig sein. Auf
- braunem Roß kam Mikitka, der Saporoger Kosak, stracks vom gewaltigen
- Zechgelag auf dem Pereschlaj-Gefilde, allwo er sieben Nächte und sieben
- Tage des Königs Schlachta mit rotem Weine bewirtet hatte. Auch der
- Kriegskamerad des Jessaul, Danilo Burulbasch kam angefahren vom anderen
- Ufer des Dnjepr, wo zwischen zwei Bergen sein Landgut lag; er kam mit
- seinem jungen Weibe Katerina und seinem einjährigen Sohne. Die Gäste
- staunten über das weiße Gesicht der Pani Katerina, über die Brauen, die
- schwarz wie deutscher Sammet waren, über den prächtigen Rock und die
- Jacke aus altertümlich blauer Seide, und über die Stiefel mit den
- silbernen Hufen; aber mehr noch nahm sie's wunder, daß der alte Vater
- nicht mit ihnen zusammen gekommen war. Der lebte seit einem Jahr in dem
- Landstrich hinterm Dnjepr, einundzwanzig Jahre war er verschollen
- gewesen und erst zu seinem Töchterchen zurückgekehrt, als es vermählt
- war und einen Sohn geboren hatte. Gewiß hätt' er viel Wunderliches
- erzählen können. Ja, wie hätte er auch nicht erzählen können, da er doch
- so lange im fremden Lande geweilt! Dort ist doch alles so anders wie
- hier: die Menschen sind anders, und dort gibts auch keine christlichen
- Kirchen ..... Allein er war nicht gekommen.
- Den Gästen ward Schnaps mit Rosinen und Pflaumen und auf einer großen
- Schüssel Hochzeitsbrot gereicht. Die Musikanten griffen tief in den
- Brotlaib hinein, wo Geld eingebacken war; verstummten eine kurze Zeit
- lang und legten die Zymbeln, Geigen und Pauken beiseite. Indes wischten
- sich die jungen Frauen und die Mädchen mit gestickten Tüchern den Mund
- und traten wieder aus ihren Reihen hervor, während die Burschen, die
- Hände in die Hüften gestützt, stolz zur Seite blickend, gerad ihnen
- entgegen wollten, als der alte Jessaul zwei Heiligenbilder herbeitrug,
- um das junge Paar zu segnen. Er hatte diese Bilder von einem würdigen
- Eremiten, dem greisen Bartholomäus erhalten. Ihr Zierat war nicht reich,
- weder Silber noch Gold funkelte auf ihnen, und doch hätte keine unreine
- Macht es gewagt, den zu berühren, in dessen Haus sie sich befanden. Der
- Jessaul hob die Bilder in die Höhe und schickte sich an, ein kurzes
- Gebet zu sprechen ...... da schrien die Kinder, die am Boden spielten,
- auf einmal in hellem Schreck auf, das Volk wich zurück hinter ihnen, und
- alle wiesen voll Angst auf einen Kosaken, der in ihrer Mitte stand. Wer
- er war, das wußte niemand zu sagen, aber schon fing er wacker an, seinen
- Kosakentanz zu tanzen und ergötzte die Menge, die ihn umringte und
- brachte sie zum Lachen. Als jedoch der Jessaul die Heiligenbilder
- emporhob, da verwandelte sich auf einmal das Antlitz des Kosaken: die
- Nase fing an zu wachsen, wurde größer und größer und krümmte sich zur
- Seite; grüne Äuglein blitzten anstelle der grauen hervor, die Lippen
- wurden blau, das Kinn fing an zu zittern und wurde spitz wie ein Speer,
- aus dem Mund entsprangen zwei Hauer, hinter dem Kopfe wölbte sich ein
- Buckel empor, und der Kosak wurde zum Greise.
- »Das ist _er_! Das ist _er_!« schrien die Menschen, sich eng aneinander
- drängend.
- »Der Zauberer ist wieder da!« schrien die Mütter und faßten ihre Kinder
- schnell bei der Hand.
- Würdig und stolz trat der Jessaul vor, und während er die Heiligenbilder
- vor sich hinhielt, sprach er mit lauter Stimme:
- »Verschwinde, Satansbild! Für dich ist kein Platz hier!«
- Und siehe da, der seltsame Greis knirschte zischend mit den Zähnen wie
- ein Wolf, und verschwand.
- Da erhob sich ein Raunen und Reden unter dem Volke, schwoll immer mehr
- an und rollte dahin wie das Brausen des Meeres im Ungewitter.
- »Was ist das für ein Hexenmeister!« fragten die Jungen und Unerfahrenen.
- »Ein Unheil zieht herauf!« sprachen die Alten kopfschüttelnd, und
- überall im weiten Gehöfte des Jessaul lauschten die Haufen des Volkes
- den Geschichten von dem unheimlichen Zauberer. Doch beinahe alle wußten
- Verschiedenes zu erzählen, und niemand konnte etwas Sicheres von ihm
- berichten.
- Ein Faß Meth ward auf den Hof gerollt und nicht allzuwenige Eimer voll
- griechischen Weines stellte man hin. Und wiederum tobte es lustig
- weiter. Die Musikanten spielten drauf los -- und die Mädchen, die jungen
- Frauen und die noblen Kosaken in blanken Schupans wirbelten wild
- durcheinander. Das Greisenvolk der Neunzig- und Hundertjährigen wagte,
- auch schon bezecht, ein Tänzchen und gedachte so mancher Jahre, die
- nicht ganz tatenlos verflossen waren. Bis zur späten Nacht wurde gezecht
- und so wurde gezecht, wie man's jetzt nimmermehr tut. Dann strömten die
- Gäste auseinander, aber nur wenige gingen ihres Weges: viele blieben in
- dem weiten Hofraume des Jessaul über Nacht, und noch viel mehr Kosaken
- schliefen von selbst ein, ungebeten, unter den Bänken, auf dem Fußboden,
- neben den Rossen oder vor den Ställen: und wo ein rechter Kosak im
- Rausche hintaumelte, da lag er auch schon und schnarchte laut über ganz
- Kijew.
- II.
- Still leuchtete es über dem Weltall auf: der Mond schien hinterm Berg
- empor. Mit einem kostbaren Schleier aus schneeweißem Damast verhüllte er
- des Dnjepr gebirgiges Ufer und sein Schatten schlich weit zurück bis ins
- Dickicht der Fichten.
- Inmitten des Dnjepr schwimmt ein eichener Kahn, vorn sitzen zwei
- Burschen, die schwarzen Kosakenmützen schief in die Stirn gedrückt, und
- von ihren Rudern sprühen Wasserstrahlen nach allen Seiten auf, wie aus
- dem Feuerstein Funken.
- Warum singen die Kosaken nicht? Warum sprechen sie nicht davon, daß die
- römischen Pfaffen die Ukraine durchwandern, die Kosaken umzutaufen und
- zu Katholiken zu machen, und auch nicht davon, wie ihre Horde zwei ganze
- Tage lang am Salzsee gekämpft. Wie sollten sie auch singen und sagen von
- kühnen Taten? Pan Danilo, ihr Herr, war in Gedanken versunken, ein Ärmel
- seines rostroten Schupans glitt aus dem Boot und sank ins Wasser, aber
- ihre Herrin, Pani Katerina, wiegte leise das Kind und wendete kein Auge
- von dem Manne, und auf ihren festlichen Rock, der nicht von schützender
- Leinwand bedeckt war, sprühte das Wasser herab wie grauer Staub.
- Köstlich ist von der Mitte des Dnjepr die Schau auf die hohen Berge, die
- weiten Wiesen und die Wälder im Grün! Das sind nicht Berge wie andere
- auch: ihr Fuß ist nicht zu sehen, nach oben wie nach unten ragen die
- spitzen Gipfel empor, sich im Wasser spiegelnd, und über und unter ihnen
- dehnt sich hoch und weit der Himmel. Auch auf den Hügeln die Wälder sind
- keine Wälder: das sind Haare auf des Waldgreises zottigem Haupte. Unten
- umspült ihm das Wasser den Bart, und ganz hoch über dem Barte und über
- den Haaren erhebt sich der hohe Himmel. Auch die Wiesen sind keine
- Wiesen: ein grüner Gürtel ist's, der den runden Himmel in der Mitte
- umgürtet, und auf seiner oberen wie auf der unteren Hälfte lustwandelt
- der Mond.
- Pan Danilo blickt nicht zur Seite, er blickt auf sein junges Weib.
- »Warum versankst du in Gram, mein junges Weib, meine goldene Katerina?«
- »Nicht bin ich in Gram versunken, mein Herr Danilo! Mich erschreckten
- nur die seltsamen Sagen vom zaubernden Mann. Man sagt doch, gar
- furchtbar an Gestalt sei er zur Welt gekommen ..... und von klein auf
- wollte kein Kind mit ihm spielen. Hör', Pan Danilo, wie schrecklich das
- ist, was man erzählt: man sagt, es dünkte ihn stets, daß ihn alle
- verhöhnten. Geschieht's, daß abends, wenn's dunkelt, ein Mensch ihm
- begegnet, so meint der gleich zu sehen, wie jener den Mund auftut und
- die Zähne fletscht. Und dann ist der Mensch am folgenden Tage tot. Es
- ward mir so sonderbar, so grauenvoll ward mir zumute, als ich die Mären
- vernahm,« sprach Katerina, und sie nahm ein Tuch und wischte damit ihrem
- Kinde, das ihr in den Armen schlief, das Gesicht. Dies Tuch war mit
- Blättern und Beeren geziert, die mit roter Seide darauf gestickt waren.
- Pan Danilo sprach kein Wort. Er blickte ins Dunkel der Schatten hinüber,
- wo in der Ferne sich hinter dem Wald ein Erdwall gleich einem schwarzen
- Streifen dahinzog, und wo hinter dem Walle ein altes Schloß in die Höhe
- starrte. Da zeichneten sich in Danilos Antlitz drei Falten über den
- Brauen ab, und die linke Hand spielte mit dem kecken Schnurrbart. »Nicht
- das ist schrecklich, daß er ein Zauberer ist,« sprach er, »schrecklich
- ist's, daß er ein schlimmer Gast ist. Was fiel ihm ein, hierher zu
- kommen? Ich hörte, die Polen wollen eine Festung bauen, um uns den Weg
- zu den Saporogern abzuschneiden. Mag's wahr sein ..... Dies Teufelsnest
- will ich vernichten, sobald nur das Gerücht umzugehen beginnt, daß das
- ein Schlupfwinkel sei! Ich will den alten Zauberer verbrennen, daß
- selbst den Raben nichts zu picken mehr bleibt. Doch ich denke mir, er
- besitzt wohl nicht wenig Gold und allerhand Gut. Hier ist's, wo dieser
- Satan wohnt! Wär' Gold bei ihm zu finden, so ...... Wir rudern sogleich
- bei den Kreuzen vorbei -- da ist der Friedhof, wo das unreine Gebein
- seiner Ahnen modert. Sie alle, sagt man, waren bereit, sich für einen
- Groschen dem Satan zu verkaufen, mitsamt ihrer Seele und ihrem
- zerlumpten Schupan. Doch besitzt er in Wahrheit soviel Gold, dürfte man
- jetzt nicht lange mehr zögern, nicht immer kann man's im Kriege da
- erbeuten.«
- »Ich kenne dein Vorhaben wohl: nichts Gutes verkündet mir die Begegnung
- mit ihm. Du atmest so schwer, du blickst so rauh, deine Brauen sind so
- finster über den Augen geballt! ....«
- »Schweig, Weib!« rief Danilo wütend, »wer sich mit euch verbindet, wird
- selbst zum Weibe. Gib mir Feuer für meine Pfeife, Junge!«
- Er wandte sich an einen der Ruderer, der klopfte glühende Asche aus
- seiner Pfeife und tat sie in die Pfeife des Herrn.
- »Sie schreckt mich mit dem Zauberer!« fuhr Pan Danilo fort. »Der Kosak
- fürchtet, Gott Lob und Dank, weder Teufel, noch römische Priester. Das
- wär' was Rechtes, wenn wir auf die Weiber zu hören anfingen. Nicht wahr,
- Burschen? Unsere Frau ist die Pfeife und die Schärfe des Schwerts!«
- Katerina verstummte und ließ die Augen über das träge Wasser gleiten;
- der Wind kräuselte die stille Flut, und der ganze Dnjepr schimmerte
- silbern wie ein Wolfsfell zur Nacht.
- Der Kahn machte eine Wendung und glitt am waldigen Ufer entlang. Jetzt
- wurde der Friedhof am Ufer sichtbar. Haufen morscher Kreuze drängten
- sich da aneinander. Da blühte kein Wachholder zwischen ihnen, da grünte
- kein Moos, und nur der Mond schien von seiner himmlischen Höhe wärmend
- auf sie herab.
- »Hört ihr das Schreien, ihr Burschen? Jemand ruft uns zu Hilfe!« sprach
- da Pan Danilo, indem er sich an seine Ruderer wandte.
- »Ja, wir hören jemand rufen, und dort von jener Seite her, scheint's!«
- riefen alle Burschen zugleich und wiesen nach dem Friedhof. Doch es war
- schon wieder alles still. Der Kahn wendete nun und fuhr um eine
- Landzunge herum. Plötzlich ließen die Leute ihre Ruder sinken und
- blickten starr zum Ufer hinüber. Auch Pan Danilo hielt inne: Angst und
- kaltes Grauen rannen durch der Kosaken Adern.
- Das Kreuz auf einem der Gräber wankte, und plötzlich erhob sich daraus
- ganz leise ein vertrockneter Leichnam. Er hatte einen Bart, der bis auf
- den Gürtel reichte, und lange Krallen an den Fingern, die noch länger
- waren als die Finger. Leis erhob er die Arme, sein Gesicht erschauerte
- und verzerrte sich. Man sah ihm an, daß er entsetzliche Qualen litt.
- »Mir ist so schwül, so schwül!« stöhnte er mit wilder unmenschlicher
- Stimme. Seine Stimme bohrte sich einem ins Herz wie ein Messer. Aber
- plötzlich war der Leichnam wieder in der Erde verschwunden. Dann wankte
- ein anderes Kreuz, und wiederum entstieg ein Leichnam dem Grabe, noch
- schrecklicher und noch größer als jener: er war ganz von Haar
- überwachsen, sein Bart ging bis an die Knie und die Krallen an den
- Knochen waren noch länger. Er rief noch wilder: »Mir ist so schwül!« und
- sank in die Erde zurück. Jetzt wankte ein drittes Kreuz, und ein dritter
- Leichnam stand auf. Da schien's, als wenn ein riesenhaftes Knochengerüst
- sich hoch über die Erde erhob. Der Bart floß bis zu den Fersen herab,
- die Finger mit den riesigen Krallen gruben sich tief in die Erde,
- furchtbar warf er die Arme empor, als ob er bis an den Mond langen
- wollte, und er begann zu schreien, wie wenn ihm einer seine gelben
- Knochen zersägte ....
- Das schlafende Kind, das in Katerinas Armen lag, stieß einen Schrei aus
- und erwachte; die Pani selbst schrie auf, die Ruderer ließen die Mützen
- in den Dnjepr fallen, und auch der Pan erschauerte.
- Auf einmal aber war alles verschwunden, als wär' es überhaupt nie
- gewesen, doch die Burschen griffen noch lange nicht zu den Rudern.
- Besorgt blickte Burulbasch auf seine junge Frau, die das schreiende Kind
- voller Schrecken in ihren Armen in Schlaf wiegte; er drückte sie an sein
- Herz und küßte sie auf die Stirn. »Fürchte dich nicht, Katerina! Schau:
- es ist ja nichts!« sprach er und wies nach allen Seiten. »Der Zauberer
- will den Menschen nur Schrecken einjagen, damit ihm niemand bis an sein
- unsauberes Nest gelange. Nur Weiber kann er damit schrecken! Gib mir den
- Sohn doch herüber!«
- Bei diesen Worten hob Pan Danilo seinen Sohn in die Höhe und drückte ihn
- an seine Lippen. »Nun, mein Iwan, fürchtest du dich vor Zauberern? --
- Sag: >nein, Vater, ich bin ein Kosak!< Doch genug, hör auf zu weinen!
- Wir fahren nach Hause! Gleich sind wir wieder zu Haus, dann kocht Mutter
- dir Brei, legt den Iwan in die Wiege und singt ihm das Lied:
- Lulli, lulli, lulli, lulli!
- Schlaf, mein Söhnchen, schlafe ein!
- Bleib gesund und wachs mir fein!
- Bring Kosaken Ruhm und Freud,
- Und den Feinden Schmerz und Leid!
- Hör', Katerina, ich glaube, dein Vater will nicht in Frieden mit uns
- leben. So mürrisch kam er hier an und so verdrießlich, als zürnte er uns
- ... Wenn er nicht zufrieden ist -- wozu kam er denn her? Er wollte nicht
- mit uns trinken auf die Kosakenfreiheit und hat nicht einmal das Kind in
- den Armen gewiegt! Zuerst wollte ich ihm alles anvertrauen, was mir das
- Herze beschwert, doch etwas hielt mich zurück, und meine Rede stockte.
- Nein, er hat kein Kosakenherz! Ein Kosakenherz fängt gleich laut in der
- Brust an zu schlagen, wenn's einem andern begegnet! Nun, liebe Burschen,
- ist das Ufer schon nah? Ihr sollt auch neue Mützen bekommen. Du,
- Stetzko, kriegst eine, die mit Sammet und Gold verziert ist. Ich hab'
- sie dereinst einem Tataren mitsamt seinem Kopfe genommen; auch sein
- ganzes Rüstzeug fiel mir damals zu, nur seine Seele allein ließ ich
- frei. Legt an! Siehst du, Iwan, da sind wir schon, und du weinst noch
- immer! Nimm ihn, Katerina!«
- Alle gingen ans Land. Hinter dem Berge stieg ein Strohdach auf, das war
- Pan Danilos Erbsitz. Dahinter lag noch ein anderer Berg, dann kam gleich
- freies Feld, und hundert Werst weit konnte man laufen, ohne auf eine
- Kosakenseele zu stoßen.
- III.
- Das Landgut Pan Danilos liegt zwischen zwei Bergen in einem engen Tal,
- das auf den Dnjepr hinausgeht. Das Haus ist nicht hoch, gleicht von
- außen der Hütte eines einfachen Kosaken, und bloß eine Stube ist drin;
- doch ist Raum darinnen genug für ihn, wie für sein Weib und für die alte
- Magd und zehn auserlesene Burschen. An den Wänden entlang laufen oben
- eichene Bohlen. Dort stehen zahlreiche Schüsseln und Töpfe für die
- Mahlzeiten, darunter auch Pokale von Silber, in Gold gefaßte Becher, die
- der Pan zum Geschenke erhielt oder im Kriege erbeutete. Kostbare
- Musketen hängen von den Wänden herab, Säbel, Feuergewehr und Lanzen;
- freiwillig oder mit Gewalt nahm man sie aus Tatarenhänden oder von
- Türken und Polen, und darum haben sie auch so viele Scharten. Ihr
- Anblick gemahnte Pan Danilo gar oft wie Merkzeichen an seine vielen
- Gefechte. An den Wänden ziehen sich glatte, gehobelte Eichenbänke hin
- und daneben, vor der Ofenbank, hängt die Wiege an ein paar Stricken, die
- man durch einen Ring an der Zimmerdecke oben gezogen hat. In der ganzen
- Stube ist der Fußboden glatt gestampft und mit Lehm überstrichen. Auf
- den Bänken schläft Pan Danilo mit seiner Frau, auf der Ofenbank die alte
- Dienerin; in der Wiege spielt und schaukelt das kleine Kind, und auf dem
- Fußboden schlafen die Burschen. Doch ist's dem Kosaken lieber, auf
- nackter Erde unter dem freien Himmel zu schlafen, da braucht er weder
- Kissen noch Federbett: er bettet sich frisches Heu unter den Kopf und
- streckt sich wohlig hin aufs Gras. Dann freut's ihn wohl, wenn er mitten
- in der Nacht erwacht, nach dem hohen, von Sternen besäten Himmel zu
- sehen, und in der nächtlichen Kälte, die doch den Kosakenknochen soviel
- Frische verleiht, zu erschauern; er dehnt sich, murmelt schlaftrunken
- etwas, steckt seine Pfeife an und hüllt sich fester in seinen warmen
- Pelz.
- Es war nicht mehr ganz früh, als Burulbasch nach dem gestrigen Fest
- erwachte; er setzte sich auf eine Bank in der Ecke und begann seinen neu
- eingetauschten türkischen Säbel zu schleifen, Pani Katerina aber machte
- sich dran, ein seidenes Tuch mit Gold zu besticken.
- Auf einmal trat Katerinas Vater ein, griesgrämig und mürrisch, mit einer
- fremdländischen Pfeife zwischen den Zähnen. Er ging auf seine Tochter zu
- und begann streng sie auszuforschen, was wohl der Grund sei, daß sie so
- spät nach Hause gekommen.
- »Nach solcherlei Dingen hast du, Schwäher, nicht sie zu befragen,
- sondern mich! Nicht der Frau steht die Antwort zu, sondern dem Manne. So
- ist es nun einmal Sitte bei uns, nehmt es nicht übel!« sprach Danilo,
- ohne von seiner Arbeit zu lassen, »vielleicht ist es in manchen Ländern,
- wo Ungläubige wohnen, anders -- das freilich weiß ich nicht!«
- Das rauhe Gesicht des Schwiegervaters verfärbte sich, und seine Augen
- blitzten wild auf. »Wer hat denn sonst nach seiner Tochter zu sehen wenn
- nicht der Vater!« murmelte er vor sich hin. »Nun denn, so frage ich
- dich: wo bist du herumgestrichen bis spät in die Nacht?«
- »Das hört sich schon anders an, lieber Schwäher. Darauf will ich dir
- antworten, daß ich schon lange nicht mehr zu denen gehöre, die von einem
- Weib in Windeln gewickelt werden. Ich weiß wohl, hoch zu Pferde zu
- sitzen und in der Hand den scharfen Säbel zu schwingen; auch manches
- andere noch versteh' ich ... Ich versteh es auch, niemandem Rechenschaft
- zu geben über das, was ich treibe!«
- »Ich seh' es, Danilo, ich weiß, du suchst Hader! Wer Heimliches tut, der
- führt sicher nichts Gutes im Schilde.«
- »Denk doch, was dir beliebt,« sagte Danilo, »auch ich denke das Meine.
- Noch war ich nie in einen schändlichen Handel verwickelt, stets stand
- ich für rechten Glauben und das Vaterland ein, nicht so wie mancher
- Landstreicher, der sich, Gott weiß wo, umhertreibt, wenn rechtgläubige
- Leute sich bis aufs Blut schlagen müssen; der will dann das Korn ernten,
- das nie er gesät. Die gleichen nicht einmal den Unierten: nicht einmal
- in Gottes Kirchen schauen sie hinein. Diese Leute sollte man befragen,
- wo sie sich umhertreiben!«
- »Holla, weißt du wohl, Kosak!« rief jener .... »Ich schieße ja nicht
- gut, höchstens bis auf hundert Klafter trifft meine Kugel ins Herz, auch
- bin ich kein allzu starker Fechter: die Stücke, in die ich die Menschen
- schlage, sind kleiner als die Körner, draus man Brei kocht!«
- »Ich bin bereit,« rief Pan Danilo und schlug flink mit dem Schwert ein
- Kreuz in der Luft, als hätt' er gewußt, wozu er's geschliffen.
- »Danilo!« schrie Katerina laut, ergriff ihn beim Arm und hing sich an
- ihn, »du Wahnwitziger, bedenke doch, gegen wen du den Arm erhebst!
- Vater, dein Haar ist so weiß wie Schnee, und doch erhitzest du dich wie
- ein törichter Knabe!«
- »Weib!« rief Danilo streng, »du weißt, das leide ich nicht, bleibe bei
- deinen Weibergeschäften!«
- Furchtbar erklirrten die Säbel; Eisen schlug Eisen, und die Kosaken
- wurden von Funken besprüht wie von Staub. Weinend lief Katerina in eine
- gesonderte Kammer, warf sich aufs Bett und hielt sich die Ohren zu, um
- nichts von den Säbelhieben zu hören.
- Doch so schlecht kämpften die Kosaken nicht, daß man ihren Hieb
- überhören konnte. Das Herz wollte ihr springen, sie hört' es in ihrem
- ganzen Leibe erzittern bei den klirrenden Lauten: Klick -- klack!
- »Nein, ich halt es nicht aus, ich halt's nicht aus ... vielleicht
- sprudelt schon purpurnes Blut aus dem weißen Leibe, vielleicht hat
- meinen Liebsten schon seine Kraft verlassen, und ich liege noch hier!«
- Und bleich, und kaum atmend schlich sie in die Stube.
- Gleichmäßig und furchtbar schlugen sich die Kosaken, nicht der, noch
- jener hatte einen Vorteil errungen. Bald drang Katerinas Vater vor und
- Pan Danilo wich zurück oder Pan Danilo griff an, und der Vater wehrte
- sich finster, und dann standen beide wieder gleich. Die Wut kocht in
- ihnen. Sie holten aus .... hui! wie die Säbel schmettern .... und tosend
- fliegen die Klingen zur Seite.
- »Ich danke dir, Gott!« rief Katerina, doch tat sie gleich einen neuen
- Schrei, als sie sah, wie die Kosaken nach den Musketen griffen; sie
- richteten die Feuersteine und spannten die Hähne.
- Pan Danilo feuerte ab und traf nicht. Jetzt zielte der Vater. Er war
- alt, er sah nicht so scharf wie ein Junger und doch zittert ihm die Hand
- nicht. Da krachte der Schuß ..... Pan Danilo wankte, und rot lief sein
- helles Blut in den linken Ärmel des Kosakenschupans.
- »Nein!« rief er, »so billig verkauf ich mich nicht! Nicht der linke Arm
- ist der Herr, 's ist der rechte! Bei mir an der Wand hängt eine
- türkische Pistole: noch nie in meinem Leben ist sie mir untreu geworden.
- Komm von der Wand herab, alter Genosse! Erweis dem Freund deinen
- Dienst!« Und Danilo streckte die Hand aus.
- »Danilo!« schrie Katerina verzweifelt, packte ihn am Arm und warf sich
- vor ihm auf die Knie, »nicht meinetwegen fleh ich dich an. Dein Ende ist
- auch das meine: unwürdig ist die Frau, die ihren Mann überlebt; der
- Dnjepr, der kalte Dnjepr wird mein Grab sein .. Aber siehe deinen Sohn
- an, Danilo, sieh deinen Sohn! Wer wird das arme Kind beschirmen? Wer
- wird es hätscheln? Wer wird es lehren, auf rabenschwarzem Rosse
- dahinzufliegen, für Freiheit und Glauben zu kämpfen, nach Kosakenart zu
- trinken und zechen? Mein Sohn, geh dahin und verdirb! Dein eigner Vater
- will dich nicht mehr kennen! Schau, wie er sein Gesicht von dir
- abwendet. Oh, jetzt kenn ich dich erst! Du bist ein Tier und kein
- Mensch! Du hast das Herz eines Wolfs und den Sinn einer listigen
- Schlange! Glaubt' ich denn nicht, du hegest ein Tröpflein Erbarmen in
- deinem Herzen, und in deinem steinernen Leibe brenne ein menschlich
- Gefühl? Wie töricht täuschte ich mich. Ja, das bereitet dir Freude.
- Deine Knochen werden im Grabe vor Freude springen, wenn sie vernehmen,
- wie diese ungläubigen Tiere, die Polen, deinen Sohn in die Flamme
- werfen, wenn dein Sohn dann unter dem Messer und im siedenden Wasser
- liegt und schreit! Oh, ich kenne dich! Froh wärest du wahrlich,
- aufzustehn aus dem Grabe und das Feuer mit der Mütze zu schüren, das
- unter ihm lodert!«
- »Halt, Katerina! Komm her zu mir, lieber Iwan, ich will dich küssen!
- Nein, mein Kind, niemand soll dir ein Härchen krümmen. Du wirst
- aufwachsen zum Ruhm deines Vaterlands, wie im Sturm rasest du dereinst
- vor den Kosaken dahin, mit einer Sammetmütze auf dem Kopfe und mit dem
- scharfen Schwert in der Hand! Vater, reich mir die Hand! Wir wollen
- vergessen, was zwischen uns vorfiel. Hab' ich dir Unrecht getan, nun so
- gesteh' ich meine Schuld ein. Warum gibst du mir nicht deine Hand?«
- sprach Danilo zu Katerinas Vater, der immer noch auf seinem alten Platze
- dastand und dessen Gesicht weder von Zorn noch von Versöhnung sprach.
- »Vater!« rief Katerina, umarmte und küßte ihn, »laß dich erbitten.
- Vergib Danilo, er wird dich nimmermehr kränken!«
- »Nur deinetwegen vergebe ich ihm, meine Tochter,« erwiderte jener, küßte
- sie und seine Augen glänzten absonderlich auf.
- Katerina schrak leise zusammen: so seltsam erschien ihr der Kuß, so
- seltsam der Glanz seiner Augen. Sie stützte sich mit der Hand auf den
- Tisch, auf dem Pan Danilo seinen verwundeten Arm verband. Indessen sann
- Danilo darüber nach, daß er falsch gehandelt, und nicht nach rechter
- Kosakenart, als er um Vergebung gebeten, obwohl er sich keiner Schuld
- bewußt war.
- IV.
- Ein Tag kam herauf, doch ein Tag ohne Sonne: der Himmel war finster, und
- ein feiner Regen rieselte über die Felder und Wälder und über den
- breiten Dnjepr hernieder. Pani Katerina war aufgewacht, aber ihr war
- nicht recht froh zumute: ihre Augen waren verweint, und sie war wirr und
- ruhelos. »Geliebter Mann, teurer Mann,« sprach sie, »ich hab' einen
- wunderlichen Traum geträumt!«
- »Was für einen Traum, meine liebe Pani Katerina?«
- »Mir träumte etwas so Wunderliches, und wahrlich so lebensvoll, als ob
- ich wachte, mir träumte, mein eigner Vater sei jenes selbe Ungeheuer,
- das wir beim Jessaul geschaut. Doch ich bitt' dich, trau' dem Traume
- nicht: was träumt man nicht alles für Torheit! Mir war's, als stände ich
- vor ihm und zitterte, und bei jedem Wort von ihm stöhnte es auf in
- meinen Adern. O hättest du gehört, was er gesprochen ....«
- »Was sprach er denn, meine goldene Katerina?«
- »Er sprach: »Schau mich an, Katerina, ich bin schön! Zu Unrecht sagen
- die Leute, daß häßlich ich sei. Doch werde ich dir ein trefflicher Mann
- sein. Sieh, wie mein Auge glüht!« -- Da warf er einen flammenden Blick
- auf mich, und ich schrie auf und erwachte!«
- »Ja, vieles Wahre sagen die Träume. Ist es dir auch bekannt, daß hinter
- den Bergen nicht alles mehr ruhig ist? Die Polen sollen sich wieder
- gezeigt haben. Gorobetz ließ mir verkünden, ich solle nicht schlafen;
- doch seine Sorge ist grundlos: auch ohne dies bin ich kein Schläfer.
- Meine Burschen schlugen heut Nacht zwölf Schanzen auf. Wir wollen den
- Herren vom Polenreich mit Bleipflaumen aufwarten, und die Schlachzizen
- sollen unter der Zuchtrute tanzen lernen!«
- »Und weiß mein Vater das?«
- »Dein Vater sitzt mir auf dem Halse! Er blieb mir ein Rätsel bis zur
- Stunde. Er hat wohl viel gesündigt im fremden Lande. Wahrlich, was mag
- das für einen Sinn haben -- schon einen Monat fast lebt er hier, und
- noch nie war er lustig und froh, wie ein rechter Kosak! Er weigert sich,
- Meth zu trinken! Hörst, Katerina, weigert sich Meth zu trinken, den ich
- herausgesackt habe von den Brester Juden! Heda, Bursche!« rief Pan
- Danilo, »lauf schnell in den Keller, Junge, und hol mir Judenmeth! Auch
- trinkt er keinen Schnaps! Hölle und Teufel! mir scheint fast, Pani
- Katerina, er glaubt wohl auch nicht an Christus, unseren Herrgott! Was
- dünkt dir?«
- »Weiß Gott, was alles du sprichst, Pan Danilo!«
- »'S ist wunderlich, Pani,« fuhr Danilo fort und nahm den Tonkrug aus der
- Hand des Kosaken entgegen. »Selbst die Katholiken im heidnischen Rom
- sind Freunde des Schnapses. Nur die Türken trinken ihn nicht. Nun,
- Stetzko, hast du im Keller tüchtig vom Meth geschluckt?«
- »Ich habe nur gekostet, Pan!«
- »Du lügst, Hundesohn! Sieh nur, wie sich die Fliegen auf deinen
- Schnurrbart stürzen! Ich seh's an deinen Augen, daß du einen halben
- Kübel ausgesoffen hast. Hei, ihr Kosaken! Was für ein tolles Volk seid
- ihr doch! Ihr seid bereit, alles dem Freunde hinzugeben, doch wenn's
- gilt zu saufen, dann schluckt ihr's selbst herunter. Ich war schon lange
- nicht mehr betrunken, wie, Katerina?«
- »Ei, warum lange! Erst am letzten .....«
- »Fürchte dich nicht, fürchte dich nicht! Ich trink nicht mehr, als einen
- Krug! Da kommt der türkische Abt durch die Tür geschlichen!« murmelte er
- durch die Zähne, als er den Schwiegervater erblickte, der sich bückte,
- um durch die Tür zu kommen.
- »Nun, meine Tochter,« sagte der Vater, nahm die Mütze vom Kopf und
- ordnete seinen Gürtel, an dem ein Säbel mit wundersamem Gestein hing,
- »die Sonne steht schon hoch, und noch ist das Mittagsmahl nicht
- bereitet.«
- »Das Mahl ist bereit, Herr Vater, bald wird es gerichtet sein! Nimm den
- Topf mit den Klößen vom Feuer!« fuhr Pani Katerina zu der alten Dienerin
- gewandt fort, die das Holzgerät abwischte. »Nein, warte, ich tu' es
- lieber selbst, ruf mir die Burschen!«
- Alle ließen sich im Kreis auf die Erde nieder, der Vater gegenüber dem
- Heiligenbild, ihm zur Linken Pan Danilo, ihm zur Rechten Pani Katerina
- und zehn der allertreuesten Burschen in blauen und gelben Schupans.
- »Ich mag diese Klöße nicht!« sprach der Herr Vater; er aß nur wenig und
- legte den Löffel hin, »sie schmecken nach nichts!«
- »Ich weiß, besser schmecken dir Judennudeln!« dachte Danilo bei sich.
- »Warum, meinst du, die Klöße schmeckten nach nichts, Herr Schwäher?«
- fuhr er laut fort. »Oder sind sie vielleicht schlecht bereitet? Meine
- Katerina macht so gute Klöße, wie sie selbst der Hetman selten zu essen
- bekommt. So was verschmäht man nicht: 's ist ein christlich Gericht!
- Alle heiligen und gottesfürchtigen Männer haben stets Klöße gegessen!«
- Der Vater sagte kein Wort, und auch Pan Danilo verstummte. Hierauf wurde
- ein gebratener Eber mit Kohl und Pflaumen gebracht. »Ich mag das
- Schweinefleisch nicht!« sprach Katerinas Vater und steckte den Löffel in
- den Kohl.
- »Wie kann man Schweinefleisch verschmähen?« sagte Danilo: »nur Türken
- und Juden essen kein Schweinefleisch.«
- Des Vaters Stimmung wurde noch finsterer und düsterer; nichts als
- Mehlbrei mit Milch aß der Alte, und statt des Schnapses trank er nur
- dann und wann eine dunkle Flüssigkeit aus einer Flasche, die er im Busen
- verwahrt hielt.
- Nach dem Mahl legte sich Danilo zu einem kräftigen Schläfchen nieder und
- wachte erst gegen Abend auf. Er setzte sich hin, Sendbriefe zu schreiben
- an das Heer der Kosaken. Pani Katerina aber saß währenddessen auf der
- Ofenbank und schaukelte die Wiege mit ihrem Fuße. Pan Danilo sitzt da,
- blickt mit dem linken Aug' auf die Schrift und mit dem rechten nach dem
- Fenster. Und ins Fenster leuchten die Berge und glänzt der Dnjepr von
- ferne herein; hinter dem Dnjepr blauen die Wälder, und von oben glimmt
- der geklärte Himmel der Nacht. Doch nicht auf dem fernen Himmel noch auf
- dem blauen Walde ruht Danilos Blick; er schaut nach der vorspringenden
- Landzunge. Schwarz erhebt sich darauf das alte Schloß. Ihn deuchte, es
- blitzte im Schlosse ein schmales Fensterchen auf. Doch alles blieb
- still; gewiß hatte es ihm nur so geschienen. Unten hörte man nur den
- Dnjepr dumpf rauschen und von drei Seiten das Tosen der jäh erwachten
- Wogen herüber hallen. Nicht Aufruhr war's oder Empörung: der Dnjepr
- murrte und grollte wie ein Greis; nichts wollte ihm gefallen, denn alles
- um ihn herum war verändert; er führte einen heimlichen Krieg mit den
- Bergen, den Wäldern und den Wiesen am Ufer und Klage trägt er ob ihrer
- zum Schwarzen Meere hin.
- Da erschien plötzlich ein Kahn wie ein schwarzer Fleck auf dem breiten
- Spiegel des Dnjepr, und im Schlosse flammte es von neuem auf. Leise
- pfiff Danilo, und auf den Pfiff lief der treue Bursche herzu: »Nimm
- schnell den scharfen Säbel und das Gewehr, Stetzko, und folge mir!«
- »Du gehst?« fragte Pani Katerina.
- »Ja, Frau, ich gehe. Ich muß überall hingehen, zu sehen, ob alles in
- Ordnung ist.«
- »Ich fürchte mich so, allein zu bleiben. Der Schlaf kommt über mich.
- Wie, wenn ich heute wieder dasselbe träumte? Ich bin nicht gewiß, ob es
- auch wirklich nur ein Traum war, -- so lebendig stand alles vor mir!«
- »Die Alte bleibt bei dir, und auf der Diele und im Hof schlafen die
- Kosaken!«
- »Die Alte schläft auch schon, und auf die Kosaken vertrau ich nicht
- sehr. Hör, Pan Danilo: Schließ mich im Zimmer ein und nimm den Schlüssel
- mit dir. Dann ist mir nicht so schrecklich zumute, und die Kosaken laß
- vor der Tür schlafen.«
- »Sei's denn so,« sagte Danilo, wischte den Staub von der Flinte und
- schüttete Pulver auf.
- Der treue Stetzko stand schon angekleidet da in seiner ganzen
- Kosakenausrüstung. Danilo setzte die Lammfellmütze auf, machte das
- Fenster zu, schob den Riegel vor die Tür, schloß sie ab und ging
- zwischen den schlafenden Kosaken hindurch auf den Hof und in die Berge
- hinaus.
- Der Himmel war jetzt schon fast völlig klar. Ein frischer Wind wehte
- leise vom Dnjepr herüber. Und hätte man nicht von ferne den Schrei einer
- Möwe gehört, so wäre alles tot und starr erschienen. Doch jetzt vernahm
- man ein Rascheln ..... Burulbasch versteckte sich leise mit seinem
- treuen Diener hinter dem Gestrüpp, das einen Verhau verdeckte. Vom Berge
- kam jemand herabgeschritten, mit zwei Pistolen im roten Schupan, und an
- der Seite den Säbel. -- »Das ist der Schwäher!« sagte Pan Danilo,
- während er ihn hinterm Busch beschaute. »Wohin nur geht er zu dieser
- Stunde und wozu? -- Gähne nicht, Stetzko, und gib acht, welchen Weg der
- Herr Vater einschlägt!« Der Mann im roten Schupan schritt zum Ufer
- hinab, machte eine Wendung und ging auf die Landzunge zu: »Ah, dahin
- geht's also!« sprach Pan Danilo. »Wie, Stetzko, ist er nicht geradeswegs
- in die Höhle des Zaubrers geschlichen?«
- »Ja, sicher an keinen anderen Ort, Pan Danilo, sonst würden wir ihn auf
- jener Seite sehen, aber er ist vor dem Schlosse verschwunden.«
- »Halt, kriechen wir aus dem Verhau und gehen wir seinen Spuren nach.
- Dahinter steckt etwas. Nein, Katerina, hab's dir wohl gleich gesagt, daß
- dein Vater kein guter Mensch sei; sein Tun ist nicht das eines
- Rechtgläubigen!«
- Schon standen Pan Danilo und sein getreuer Bursch auf der Landzunge.
- Schon waren sie nicht mehr zu sehen, denn der dichte Wald, der das
- Schloß rings umgab, ließ nichts von ihnen gewahr werden. In der Höhe
- leuchtete schwach ein Fensterchen auf. Unten standen die Kosaken und
- trachteten hineinzukommen: doch waren weder Tor noch Tür zu sehen; vom
- Hof aus gab's sicher einen Zugang, aber wie sollte man dort hingelangen?
- Von ferne hörte man Ketten rasseln und Hunde herumlaufen.
- »Was grüble ich noch lange!« sprach Pan Danilo, als er eine hohe Eiche
- vor dem Fenster erblickte. »Bleib hier, mein Junge! Ich steig' auf die
- Eiche: von hier aus kann ich gerad ins Fenster schauen.«
- Da nahm er seinen Gürtel ab, legte den Säbel nieder, damit er nicht
- klirrte, griff in die Zweige und schwang sich hinauf. Das Fenster war
- immer noch hell. Dicht davor klammerte er sich mit einer Hand, auf einem
- Aste zusammengekauert, am Baum fest, und was sah er? Im Zimmer brannte
- kein Licht, doch es leuchtete ganz. Die Wände waren mit wunderlichen
- Zeichen bedeckt und mit Waffen behängt; doch war es höchst seltsames
- Gewaffen: solches tragen weder die Türken noch die Bewohner der Krim,
- weder Polen noch Christen, noch das wackere Schwedenvolk. Unter der
- Decke flogen Fledermäuse hin und her, und ihr Schatten huschte über die
- Wände, die Türen und die Diele. Doch da öffnete sich ganz leise und ohne
- zu knarren die Tür. Ein Mann im roten Schupan trat herein und ging
- geradewegs auf den Tisch zu, der mit einem weißen Tuche bedeckt war. »Er
- ist's! Es ist der Schwiegervater!« Pan Danilo kauerte sich noch mehr
- zusammen und drückte sich noch fester an den Baumstamm.
- Doch der Schwiegervater hatte nicht Zeit darnach zu sehen, ob ihm jemand
- ins Fenster guckte oder nicht. Finster trat er herein und zornig riß er
- die Decke vom Tisch herab -- und plötzlich ergoß sich fast unmerklich
- ein blau durchsichtiges Licht übers Zimmer, und nur die Wellen des alten
- bleichgoldigen Lichtes, die sich noch nicht mit dem neuen vermischt
- hatten, fluteten auf und ab wie ein azurenes Meer und zogen sich, wie
- ein buntscheinendes Aderngeflecht im Marmor, durch die Luft. Da stellte
- er einen Topf auf den Tisch und begann Kräuter hineinzuwerfen.
- Pan Danilo sah genauer hin, doch jetzt gewahrte er schon den roten
- Schupan nicht mehr; statt dessen hatte jener weite Pluderhosen an, wie
- sie die Türken tragen, in seinem Gürtel steckten Pistolen, und auf dem
- Kopfe hatte er eine wunderliche Mütze, ganz mit Zeichen bemalt, die aber
- weder dem russischen, noch dem polnischen Alphabet angehörten. Er sah
- ihm ins Antlitz -- und auch das Gesicht begann sich zu verwandeln: die
- Nase fing an sich zu dehnen und hing ihm bald über die Lippe herüber;
- der Mund breitete sich bis an die Ohren, ein Hauer kroch aus ihm hervor
- und bog sich zur Seite -- vor ihm stand derselbe Zauberer, der einst
- beim Jessaul auf der Hochzeit erschienen war. »Dein Traum ist wahr,
- Katerina!« dachte Burulbasch.
- Der Zauberer fing an, den Tisch schneller zu umkreisen, die Zeichen an
- der Wand begannen sich rascher zu ändern und Fledermäuse flatterten
- wilder herauf und herab, hin und her. Das blaue Licht ward milder und
- milder und schien ganz zu verlöschen. Und schon hellte die Kammer sich
- auf von sanft rosigem Licht. Wie ein zarter Klang, so floß das
- wundersame Licht in alle Winkel, doch plötzlich schwand es dahin, und es
- wurde ganz dunkel. Nur ein Geräusch war noch zu hören, wie wenn zur
- stillen Abendstunde der Wind kreisend auf dem Wasserspiegel spielt und
- die Silberweiden noch tiefer zum Wasser biegt. Und Pan Danilo ist's, als
- ob im Gemach ein Mond aufglänzte, Sterne auf und ab wandelten und ein
- dunkelblauer Himmel darüber aufleuchtete, ja sogar die Kühle der
- Nachtluft hauchte ihm ins Gesicht. Dann aber ist's Pan Danilo plötzlich
- so (er zupfte sich gar am Schnurrbart, ob er nicht schliefe), als breite
- sich im Gemach schon kein Himmel mehr aus, sondern als sei dies seine
- eigene Schlafkammer: an den Wänden hängen seine Säbel von Tataren und
- Türken; längs der Wände Bretter mit allerhand Geschirr und Hausgeräten;
- auf dem Tische Brot und Salz, und dort hängt die Wiege. Doch statt der
- Heiligen blickten schreckliche Larven aus den Bilderrahmen hervor, und
- auf der Ofenbank ..... aber nun sank ein Nebel hernieder und legte sich
- auf alles, und es wurde wieder dunkel. Und wieder erfüllt sich der Raum
- in wunderbarem Klingen mit rosigem Lichte und wieder steht der Zauberer
- regungslos da in seinem sonderbaren Turban. Die Klänge werden immer
- stärker und tiefer, das sanfte Rosenlicht wird immer heller, und etwas
- wie eine weiße Wolke strich durch das Zimmer. Und es kam Pan Danilo so
- vor, als sei die Wolke keine Wolke, sondern eine Frau; doch was war das,
- war sie gar aus Luft gewebt? Wie stand sie denn da, ohne die Erde zu
- berühren? Sie stützte sich auf nichts, und das rosige Licht und die
- Zeichen an der Wand schimmerten durch sie hindurch. Doch jetzt bewegte
- sie den durchsichtigen Kopf: die blaßblauen Augen leuchteten still auf,
- das Haar fiel ihr kraus wie ein fahlgrauer Nebel über die Schultern, ein
- blasses Rot färbte ihre Lippen, wie wenn in der Frühe das junge
- Morgenrot kümmerlich durch den bleichen durchsichtigen Himmel
- hindurchschimmert, ganz wie ein schwacher Schatten leuchteten ihre
- Brauen. »Ah! es ist Katerina.« Und Danilo fühlte, wie ihm die Glieder
- erstarrten; er wollte sprechen, doch seine Lippen bewegten sich lautlos.
- Der Zauberer stand regungslos auf seinem Platze. »Wo bist du gewesen?«
- fragte er, und sie, die vor ihm stand, erschauerte.
- »Oh, warum hast du mich gerufen?« stöhnte sie leise. »Ich war so froh.
- Ich befand mich an jenem Ort, wo ich geboren ward, und ich lebte
- fünfzehn Jahre lang dort. O, wie herrlich ist's da! Wie grün und duftig
- ist diese Wiese, auf der ich in meiner Kindheit spielte! Auch die
- Feldblümelein sind noch dieselben, und das Haus und der Garten auch! Wie
- zärtlich umarmte mich die gute Mutter! Wieviel Liebe ist in ihren Augen!
- Sie hat mich geherzt und auf Wange und Mund geküßt und meine blonden
- Flechten mit dem dichten Kamme gekämmt. Vater!« Sie heftete ihre
- bleichen Augen auf den Zauberer. »Warum hast du meine Mutter ermordet?«
- Der Zauberer drohte zornig mit dem Finger. »Hab' ich verlangt, du
- sollest davon sprechen?« Und die aus Luft gewobene Schöne erbebte.
- »Wo ist deine Herrin jetzt?«
- »Meine Herrin, Pani Katerina, ist jetzt eingeschlafen. Ich freute mich
- des, flatterte empor und flog von hinnen. Ich wollte meine Mutter schon
- lang wieder sehen. Auf einmal war ich wieder fünfzehn Jahre alt und so
- leicht wie ein Vogel. Warum hast du mich gerufen?«
- »Denkst du noch an all das, was ich dir gestern gesagt?« fragte der
- Zauberer so leise, daß man's kaum hören konnte.
- »Gewiß denk' ich dran, gewiß. Aber was würd' ich darum geben, es zu
- vergessen. Arme Katerina! Sie weiß gar manches von dem nicht, was ihre
- Seele weiß.«
- »Das ist die Seele Katerinas!« dachte Pan Danilo, aber er wagte es noch
- immer nicht, sich zu bewegen.
- »Tu Buße, Vater! Ist's dir denn nicht fürchterlich, wenn nach jedem
- deiner Morde die Toten aus den Gräbern steigen?«
- »Schon wieder die alten Reden!« unterbrach sie der Zauberer streng »Ich
- setz' meinen Willen durch, ich werde dich zwingen, mir zu gehorchen.
- Katerina wird mich lieben lernen!«
- »Oh, ein Ungeheuer bist du, du bist nicht mein Vater!« stöhnte sie auf.
- »Nein, nicht sei es so, wie du willst! Hast dir freilich mit unreinen
- Zauberkünsten die Macht erworben, meine Seele heraufzubeschwören und sie
- zu martern. Doch Gott allein kann sie zwingen, ihm den Willen zu tun.
- Nein, nie wird Katerina, solange ich in ihr lebe, die gottverfluchte Tat
- vollbringen. O, Vater! Das jüngste Gericht ist nahe! Und wärst du auch
- nicht mein Vater, nie würdest du mich zwingen können, meinen treuen,
- geliebten Gatten zu betrügen. Ja, wär' mir mein Gemahl auch nicht so
- lieb und so treu, ich würd' ihn dennoch nie betrügen; denn Gott liebt
- die meineidigen und treulosen Seelen nicht!«
- Da heftete sie ihre bleichen Augen auf das Fenster, vor dem Pan Danilo
- saß, und hielt starr inne ....
- »Wohin blickst du? Was siehst du dort?« schrie der Zauberer auf.
- Die luftgewobene Katerina erzitterte. Aber Pan Danilo war schon längst
- wieder unten auf der Erde und zog mit seinem getreuen Stetzko in die
- Berge.
- »Furchtbar, furchtbar!« sprach er bei sich selber und Angst umfing sein
- Kosakenherz.
- Bald war er wieder auf seinem Hofe, wo die Kosaken noch immer fest
- schliefen; nur der eine saß da, hielt Wache und rauchte sein Pfeifchen.
- Der Himmel war ganz mit Sternen besät.
- V.
- »Wie gut tatest du, daß du mich wecktest!« sprach Katerina, und während
- sie sich mit dem gestickten Ärmel ihres Hemdes die Augen rieb,
- betrachtete sie ihren Mann, der vor ihr stand, vom Kopf bis zu Füßen.
- »Welch schrecklichen Traum ich gehabt! Wie schwer atmete meine Brust!
- Oh! .... mir war's als stürbe ich ....«
- »Was war das für ein Traum? Vielleicht dieser?« und Burulbasch erzählte
- seinem Weibe alles, was er geschaut.
- »Wie konntest du das nur erfahren, mein Gemahl?« fragte Katerina
- erstaunt. »Doch, nein. Gar vieles, was du erzählt hast, ward mit nicht
- bekannt. Nein, mir hat nicht geträumt, der Vater habe meine Mutter
- getötet; auch hab' ich keine Toten gesehen, ich habe nichts gesehen.
- Nein, Danilo, es war ganz anders, wie du's erzählst. O, wie furchtbar
- ist doch mein Vater!«
- »Das ist fürwahr auch kein Wunder, daß du gar vieles davon nicht sahest!
- Du weißt doch nicht den zehnten Teil von dem, was deine Seele weiß.
- Weißt du -- dein Vater -- das ist der Antichrist! Erst im vorigen Jahr,
- als ich mich mit den Polen zum Feldzug in die Krim aufmachte (damals
- hielt ich's noch mit diesem Heidenvolk), da hat der Abt des
- Bruderklosters zu mir gesagt (und das ist ein heiliger Mann, Weib!), der
- Antichrist habe die Macht, jedes Menschen Seele zu beschwören; die
- lustwandle dann nach eigenem Willen, wenn er einschläft, und fliege
- zusammen mit den Erzengeln um Gottes Gemach herum. Schon auf den ersten
- Blick wollt' mir deines Vaters Gesicht nicht recht gefallen. Hätt' ich
- geahnt, daß du solch einen Vater hast, nie hätt' ich mich mit dir
- vermählt; ich hätt' dich verlassen und der Seele nimmer die Sünde
- aufgebürdet, mich der Sippe des Antichrist zu verschwägern.«
- »Danilo!« rief Katerina, verbarg ihr Gesicht in den Händen und
- schluchzte auf. »Hab' ich je eine Schuld gegen dich auf mich geladen?
- Ward ich dir je untreu, geliebter Gemahl? Womit hab' ich deinen Zorn auf
- mich gelenkt? Hab' ich dir nicht treu gedient? Hab' ich denn je ein
- widriges Wort gesprochen, wenn du angezecht vom lustigen Schmaus
- heimkamst? Gebar ich dir nicht einen schwarzbrauigen Sohn? ...«
- »Weine nicht, Katerina, jetzt kenne ich dich, und ich werde dich nie
- verlassen. Alle Sünden liegen bei deinem Vater!«
- »Nein, nenne ihn nicht meinen Vater! Er ist nicht mein Vater! Gott ist
- mein Zeuge, ich sage mich von ihm los! Er ist der Antichrist und ein
- Gottesverächter! Mag er verderben, mag er ersaufen, nie biet' ich die
- Hand ihm zur Rettung. Und wenn er dahinsiecht an einem todbringenden
- Kraut, so will ich ihm kein Wasser zum Trinken reichen. _Du_ bist mir
- mein Vater!«
- VI.
- In Pan Danilos tiefem Verließe sitzt der Zauberer in eiserne Ketten
- geschmiedet; fern über dem Dnjepr brennt sein satanisches Schloß, und
- blutrote Wellen gurgeln und lecken an den uralten Mauern empor. Nicht
- wegen Hexerei, noch um gottwidrige Taten sitzt der Zauberer im tiefen
- Verließ: die richtet nur Gott; um eines geheimen Verrates willen sitzt
- er dort, und wegen seines Bundes mit den Feinden des rechtgläubigen
- Russenlands -- den er mit den Römlingen eingegangen, um ihnen das
- ukrainische Volk zu verschachern und die christlichen Kirchen
- niederzubrennen. Gar finster und grimmig ist der Zauberer;
- nachtschwarzes Sinnen zieht durch seinen Kopf; nur ein Tag noch bleibt
- ihm zu leben, und morgen gilt's, Abschied zu nehmen von der Welt: morgen
- erwartet ihn Tod. Kein leichter Tod wartet auf ihn: es ginge noch gnädig
- ab, wenn er lebendig im Kessel gekocht oder wenn ihm die sündhafte Haut
- abgezogen würde. Düster und grimmig ist der Zauberer, und er läßt den
- Kopf hängen. Vielleicht geht er vor seiner Sterbestunde noch in sich;
- doch sind seine Sünden nicht so, daß Gott ihm verzeihen könnte. Hoch
- oben vor ihm ist ein schmales Fenster, das Eisenstäbe vergittern. Mit
- seinen klirrenden Ketten hat er sich bis zum Fenster emporgehoben, um zu
- schauen, ob seine Tochter nicht vorbeiginge. Sie ist mild wie ein
- Täubchen und nicht rachesüchtig. Würde sie sich nicht des Vaters
- erbarmen? ... Aber es war niemand da. Tief unten zieht der Weg sich hin,
- aber niemand wandert auf ihm. Und tiefer noch zieht der Dnjepr vorbei;
- aber der achtet auf niemand: er tost dahin, und schmerzlich ist's dem
- Gefesselten, seinem dumpfen Rauschen zu lauschen.
- Da erschien jemand auf dem Wege -- es war ein Kosak! Schwer seufzte der
- Gefangene auf, und wieder ward alles tot und leer. Doch dort in der
- Ferne kam jemand herab ...... Ein grüner Überwurf flatterte empor, ein
- goldener Kopfschmuck glänzte auf dem Haupte. Das war _sie_! Noch enger
- preßte er sich ans Fenster. Sie kam näher und immer näher ...
- »Katerina! Meine Tochter, erbarme dich! Hab' Mitleid mit mir! .......«
- Aber sie blieb stumm, sie wollte ihn nicht hören. Sie wendete nicht
- einmal die Augen nach dem Gefängnis, und schon war sie vorbei und wieder
- verschwunden. Leer wird die Welt, wehmütig rauscht der Dnjepr;
- hoffnungslose Trauer und Wehmut umfängt das Herz; aber wußte wohl der
- Zauberer, was Wehmut ist?
- Der Tag ging zur Neige. Schon sank die Sonne hinab, schon ist sie nicht
- mehr. Schon war es Abend. Kühl ward es, irgendwo brüllte ein Stier, von
- irgendwo tönten verwehte Klänge herüber; sicherlich kamen jetzt die
- Menschen von ihrer Arbeit, um auszuruhen und fröhlich zu sein: über den
- Dnjepr glitt ein Kahn ...... aber wer kümmerte sich um den Gefangenen?
- Die silberne Sichel leuchtet am Himmel auf; da schreitet jemand von der
- anderen Seite den Weg empor; schwer war's, im Dunkeln zu erkennen, wer
- das war: Es war Katerina, die jetzt zurückkehrte.
- »In Christi Namen, Tochter! Selbst das grausame Junge des Wolfes
- zerfleischt seine Mutter nicht! Tochter, so wirf doch nur einen Blick
- auf deinen sündigen Vater!«
- Aber sie hörte ihn nicht und ging weiter.
- »Tochter, im Namen deiner unglücklichen Mutter ...« Sie blieb stehen.
- »Komm und vernimm mein letztes Wort!«
- »Wozu rufst du mich, Gottesverächter? Nenn' mich nicht Tochter! Zwischen
- uns ist keine Verwandtschaft! Was willst du von mir im Namen meiner
- unglücklichen Mutter?«
- »Katerina, mein Ende ist nahe! Ich weiß, dein Mann gedenkt, mich an den
- Schweif eines Rosses zu binden und übers Feld zu schleifen, oder
- vielleicht erfindet er einen noch grauenvolleren Tod für mich ...«
- »Gibt es denn auf der Welt einen Tod, der deinen Sünden gleichkommt?
- Mach dich darauf gefaßt, für dich wird niemand bitten!«
- »Katerina, mich schreckt nicht der Tod, mich schrecken die Qualen in
- _jener_ Welt! ...... _Du_ bist frei von Schuld, Katerina: deine Seele
- wird im Paradies in Gottes Nähe weilen, aber die Seele deines gottlosen
- Vaters wird im ewigen Feuer brennen, und nimmer wird dieses Feuer
- erlöschen, nur noch höher und höher wird es emporlodern. Kein Tautropfen
- wird auf ihn herabfallen, und kein Wind wird ins Feuer hauchen.«
- »Ich habe nicht die Macht, deine Strafe durch Gebet zu mindern!« sprach
- Katerina und wandte sich ab.
- »Katerina, warte, noch ein Wort: Du kannst meine Seele erretten. Du
- weißt noch nicht, wie gut und gnädig Gott ist. Hast du je vom Apostel
- Paulus gehört, der voller Sünden war und dann in sich ging -- und ein
- Heiliger wurde?«
- »Was kann ich tun, deine Seele zu retten?« sprach Katerina. »Sollte ich,
- ein schwaches Weib, daran denken können?«
- »Wenn es mir gelänge, von hier zu entfliehen, so würde ich mein ganzes
- altes Leben aufgeben! Ich würde Buße tun, in die Wüste gehen, ein
- härenes Hemd anlegen und Tag und Nacht beten! Ja, nicht einmal
- Fastenkost und keinen Fisch soll mein Mund mehr berühren! Kein Gewand
- breit' ich mir hin, wenn ich mich zum Schlaf niederlege! Und immer nur
- werde ich beten und beten! Und wenn Gottes Gnade auch nicht den
- hundertsten Teil meiner Sünden von mir nimmt, dann will ich mich bis an
- den Hals in die Erde vergraben oder eine Wand von Stein um mich
- aufmauern, nicht Speise noch Trank will ich mehr zu mir nehmen und
- sterben, und all mein Hab und Gut will ich den Mönchen vermachen, auf
- daß sie vierzig Tage und vierzig Nächte lang Seelenmessen für mich
- lesen!«
- Katerina sann nach. »Selbst wenn ich dir das Tor aufschlösse, ich kann
- dir doch die Ketten nicht aufschmieden!«
- »Die Ketten fürchte ich nicht. Du meinst wohl, sie hätten mir Hände und
- Füße zusammengeschmiedet? O nein, ich senkte Nebel auf die Augen der
- Menschen und hielt ihnen statt der Hände ein trockenes Holz hin. Schau,
- hier bin ich: jetzt trag' ich keine Kette mehr!« sagte er und trat frei
- in die Mitte des Raumes. »Ich hätte ja auch die Wände nimmer gefürchtet
- und wäre hindurchgeschritten; aber dein Mann weiß nicht, was das hier
- für Mauern sind: Ein heiliger Anachoret hat sie einst errichtet und
- keine unreine Macht ist imstande, den Gefangenen zu befreien, ohne die
- Zelle mit jenem Schlüssel aufzuschließen, mit dem der Heilige sie
- verschloß. Solch eine Zelle will ich, schrecklichster aller Sünder, auch
- mir erbauen, wenn ich nur frei bin!«
- »Nun wohl, so höre: ich lass' dich hinaus, doch, wie wenn du mich
- trügst,« sprach Katerina und blieb vor der Tür starr stehen. »Wenn du,
- statt in dich zu gehen, wieder des Teufels Bruder wirst?«
- »Nein, Katerina, ich hab' nicht mehr lange zu leben; auch ohne diese
- Marter ist mein Ende nahe. Glaubst du denn, daß ich mich selbst zu
- ewigen Qualen verurteilen will?«
- Die Schlösser klirrten. »Leb' wohl, der barmherzige Gott behüte dich,
- mein Kind!« sprach der Zauberer und küßte sie.
- »Rühr mich nicht an, schrecklichster aller Sünder! Geh schnell von
- hinnen!« rief Katerina.
- Doch er war schon verschwunden.
- »Ich hab' ihn befreit!« flüsterte sie und blickte voller Schrecken wie
- irr auf die Mauern. »Was soll ich jetzt meinem Manne sagen? Ich bin
- verloren! Ich kann mich nur noch lebendig ins Grab legen.« Und sie sank
- schluchzend auf den Klotz, auf dem der Gefangene gesessen hatte. »Aber
- ich habe eine Seele gerettet!« sagte sie leise. »Ich tat ein Gott
- wohlgefälliges Werk. Jedoch mein Mann ...... Ich hab' ihn zum ersten
- Male betrogen. O, wie furchtbar, wie schwer wird mir's werden, ihm die
- Unwahrheit zu sagen! Da kommt jemand! O, _er_ ist es! es ist mein Mann!«
- rief sie verzweifelt, und besinnungslos fiel sie zu Boden.
- VII.
- »Ich bin's, meine liebe Tochter, ich bin's, mein Herzchen!« hörte
- Katerina jemand sagen, als sie wieder zu sich kam; sie sah ihre alte
- Dienerin vor sich. Die Alte beugte sich über sie, schien ihr etwas
- zuzuflüstern, und ihre vertrocknete Hand bespritzte sie mit kaltem
- Wasser.
- »Wo bin ich?« sagte Katerina, indem sie aufstand und um sich blickte.
- »Vor mir rauscht der Dnjepr und hinter mir liegen die Berge ... Wohin
- hast du mich geführt, Weib?«
- »Ich hab' dich nicht weggeführt, sondern hinausgetragen; auf meinen
- Armen trug ich dich aus dem dumpfen Gewölbe. Ich habe die Tür mit dem
- Schlüsselchen zugeschlossen, damit dich Pan Danilo nicht findet und
- bestraft!«
- »Wo ist der Schlüssel?« sprach Katerina und blickte auf ihren Gürtel,
- »ich seh' ihn nicht!«
- »Dein Mann hat ihn abgebunden, um nach dem Zauberer zu sehen, mein
- Kind!«
- »Um nach ihm zu sehen? .... Weib, ich bin verloren!« rief Katerina.
- »Davor mag Gott uns bewahren, mein Kind! Schweig du nur, liebe Herrin.
- Niemand wird etwas erfahren!«
- »Er ist entflohen, der verfluchte Antichrist! Hast du gehört, Katerina?
- Er ist entflohen!« rief Pan Danilo, der auf seine Frau zutrat. Seine
- Augen sprühten Feuer, und sein Säbel schüttelte sich klirrend an seiner
- Seite. Sein Weib erstarrte.
- »Es hat ihn wohl jemand befreit, lieber Mann?« sprach sie zitternd.
- »Befreit! Du hast recht. Aber der Teufel hat ihn befreit. Schau hin!
- Statt seiner liegt ein in Eisen geschmiedeter Klotz da. Gott hat's nun
- einmal so eingerichtet, daß der Teufel sich nicht vor Kosakenfäusten
- fürchtet! Wenn einer von meinen Kosaken auch nur von fern daran gedacht
- haben sollte, und ich erfahre es ..... O, ich würde keine Strafe
- ausdenken können, die schwer genug für ihn wäre!«
- »Und wenn ich es wäre?« sprach Katerina unwillkürlich und hielt
- erschrocken inne.
- »Wenn du's getan hättest, so wärest du mein Weib nicht mehr! Ich würde
- dich in einen Sack einnähen lassen und mitten im Dnjepr ertränken! ....«
- Katerina stockte der Atem und ihr war, als lösten sich ihr die Haare vom
- Haupte.
- VIII.
- In einer Schänke am Grenzwege sind die Polen versammelt und zechen schon
- zwei Tage lang. Nicht wenig Gesindel sitzt da beisammen. Sie sind wohl
- zusammengekommen, um einen Überfall auszuhecken! Manche von ihnen haben
- Musketen, die Sporen klirren und die Säbel rasseln. Die polnischen
- Herren sind lustig, schneiden auf und reden prahlerisch von unerhörten
- Taten, sie spotten über den rechten Glauben, nennen das Volk der Ukraine
- ihre »Knechte«, zwirbeln stolz den Schnurrbart in die Höhe, und mit
- hochmütig zurückgeworfenen Köpfen recken sie sich auf den Bänken. Auch
- ihr Priester ist bei ihnen; doch auch der ist vom selben Schlage wie
- sie. Er gleicht nicht einmal dem Äußern nach einem christlichen
- Priester, denn er schmaust und zecht mit ihnen, und seine unreine Zunge
- führt unzüchtige Reden. Auch das Gesinde gibt ihnen in nichts nach: sie
- haben die Ärmel der schäbigen Schupans aufgestreift und stolzieren so
- aufrecht einher, als wären sie was Rechtes! Sie spielen und hauen
- einander mit den Karten auf die Nasen. Dann haben sie fremde Weiber bei
- sich und das gibt ein Geschrei und ein Raufen! ... Die polnischen Herren
- toben nur so und treiben Schabernack mit den Leuten; sie packen einen
- Juden am Bart, malen ihm ein Kreuz auf seine gottlose Stirn, schießen
- mit blind geladenen Pistolen nach dem Weibsvolk und tanzen einen
- Krakowiak mit ihrem schändlichen Priester. Gab's doch nicht einmal von
- den Tataren solch Ärgernis im russischen Lande: Gott hat es ihm wohl
- beschieden, solche Schmach für seine Sünden zu erdulden. Und mitten in
- diesem Sodom hört man sie vom Gutshof des Pan Danilo am Dnjepr und von
- seinem schönen Weibe sprechen ..... Wahrlich, nichts Gutes sinnt die
- Rotte, die hier versammelt ist!
- IX.
- Pan Danilo sitzt in seiner Stube am Tisch, das Haupt auf den Ellenbogen
- gestützt, und sinnt nach. Auf der Ofenbank aber sitzt Pani Katerina und
- singt ein Lied.
- »Mir ist so traurig zumute, Weib!« spricht Pan Danilo, »der Kopf tut mir
- weh und das Herze auch. Es lastet etwas auf mir! Mein Tod ist wohl nicht
- mehr fern.«
- »O, mein herzliebster Gemahl, neig deinen Kopf zu mir her! Warum hegst
- du so schwarze Gedanken in deiner Brust?« dachte Katerina, wagte es aber
- nicht auszusprechen. Ihr, der Schuldbewußten, wurde es schwer, des
- Mannes Liebkosungen entgegenzunehmen.
- »Hör, liebes Weib!« sagte Danilo, »verlaß meinen Sohn nicht, wenn ich
- einst tot bin! Gott wird kein Glück auf dich herabsenden, weder in
- dieser, noch in jener Welt, wenn du ihn von dir stößt. Schwer würde es
- meinen Knochen werden, in der feuchten Erde zu verfaulen, und noch
- trauriger wär' meine Seele!«
- »Was sprichst du, mein Gemahl? Warst du es nicht, der uns schwache
- Frauen einst auslachte? Und jetzt redest du selbst wie ein schwaches
- Weib. Du wirst noch lange leben!«
- »Nein, Katerina, meine Seele ahnt schon den nahen Tod. Es wird so
- traurig in der Welt und schlimme Zeiten brechen an. Oh! ich besinne mich
- wohl auf die vergangenen Jahre; die kehren wohl nimmer wieder! Damals
- war noch der alte Konaschewitsch am Leben, der Ruhm und die Ehr' unseres
- Heeres! Und all die Kosakenregimenter ziehen wieder an meinen Augen
- vorüber. Ja, es war eine goldene Zeit, Katerina! Der alte Hetman saß auf
- seinem Rappen und in seiner Hand glänzte der Hetmansstab; rings um ihn
- standen die Führer, und auf den Seiten wogte das rote Meer der
- Saporoger. Und wenn der Hetman zu sprechen begann, dann stand alles da
- wie erstarrt. Der Alte weinte, als er der früheren Taten und Gefechte
- gedachte. Ach, wenn du wüßtest, Katerina, wie wir damals uns mit den
- Türken schlugen: Noch heute sieht man die Narbe auf meinem Haupte. Vier
- Kugeln durchbohrten mich an vier Stellen, und keine der Wunden ist je
- vollständig geheilt. O, wieviel Gold wir damals erbeuteten, und die
- Edelsteine schöpften die Kosaken wie Wasser mit ihren Mützen. Und was
- für Pferde, wenn du wüßtest, was für Pferde wir damals raubten,
- Katerina! Nein, solche Kriege erleb' ich nie wieder! Noch bin ich ja
- nicht alt, ich bin noch rüstig, doch das Kosakenschwert entsinkt meiner
- Hand, ich lebe tatenlos dahin und weiß selbst nicht, wozu ich lebe. In
- der Ukraine herrscht keine Ordnung mehr: die Feldherrn und Jessauls
- beißen sich herum wie die Hunde; 's ist keiner da, dem alle gehorchten
- und der ihr Haupt wäre. Unsere Schlachzizen haben alles geändert und
- polnische Sitten eingeführt, sie sind so schlau und so tückisch geworden
- und haben ihre Seelen verkauft, indem sie die Union annahmen und einen
- Bund mit dem Papst schlossen. Die Juden knechten das arme Volk. O
- Zeiten, Zeiten, vergangene Zeiten! Wo seid ihr geblieben, ihr, meine
- vergangenen Jahre? Geh ins Gewölbe hinab, Bursch, und hol mir einen Krug
- mit Meth! Ich will trinken auf unser altes Leben und die vergangenen
- Zeiten!«
- »Womit sollen wir die Gäste empfangen, Pan? Die Polen kommen von der
- Wiese her!« rief Stetzko, der in diesem Augenblick ins Zimmer
- hereinstürzte.
- »Ich weiß wohl, wozu sie kommen!« sprach Danilo, sich von seinem Platze
- erhebend. »Sattelt die Pferde, meine treuen Knechte! Schirrt sie rasch
- an und heraus mit den Säbeln! Vergeßt auch die blauen Bohnen nicht! Die
- Gäste sollen mit Ehren empfangen werden!«
- Kaum hatten die Kosaken ihre Pferde bestiegen und die Musketen geladen,
- da überschwemmten die Polen schon den Berg wie Laub, das im Herbst von
- den Bäumen fällt.
- »Hehe, da gibt's eine feine Gesellschaft!« rief Danilo und blickte auf
- die dicken Pans, die sich würdevoll auf ihren goldgeschirrten Rossen
- schaukelten. »Wohl denn, so werden wir uns einmal noch herrlich tummeln!
- Freu dich zum letzten Male, Kosakenseele. Wohlauf, ihr Burschen, das
- Fest hat begonnen!«
- Und auf den Bergen ward es fröhlich, und das Fest hub an: da schwirren
- die Säbel, da fliegen die Kugeln, da wiehern und trampeln die Pferde.
- Die Schädel dröhnen vom Rufen und Schreien, und der Rauch blendet die
- Augen. Alles geht wild durcheinander, aber der Kosak ahnt wohl, wo
- Freund und Feind ist. Eine Kugel kommt gepfiffen, und ein tapferer
- Reitersmann stürzt vom Roß; ein Säbel klirrt -- und ein Kopf wälzt sich,
- zusammenhanglose Reden lallend, am Boden.
- Aber mitten im Haufen, da sieht man die rote Kosakenmütze des Pan
- Danilo, und wie ein Blitz trifft das Auge das Gefunkel des goldenen
- Gürtels auf dem blanken Schupan; wie ein Wirbelwind flattert die Mähne
- des Rapphengstes daher; gleich einem Vogel eilt er bald hier hin, bald
- dort hin, schreit laut auf, schwenkt den Damaszener-Säbel und schlägt
- rechts und links um sich. Hau zu, Kosak! Frisch drauf und los, Kosak!
- Erfreu dein mutiges Herz, aber verguck dich nicht in das Gold der
- Gespanne und Schupans; tritt Gold und Edelsteine mit den Füßen! Stich
- zu, Kosak! Frisch drauf los, Kosak! Aber sieh dich nicht um: schon
- stecken die frevelnden Polen die Hütten in Brand und treiben das
- ängstliche Vieh fort. Wie ein Sturm wirbelt Pan Danilo zurück, die Mütze
- mit dem roten Dach blitzt schon dicht neben den Häusern auf, und rings
- um ihn wird der Haufen geringer.
- Nicht nur eine Stunde oder zwei kämpften die Kosaken und Polen. Immer
- weniger wurden ihrer auf beiden Seiten; doch Pan Danilo ermattete nicht:
- mit seiner langen Lanze hob er die Feinde aus dem Sattel, und trat mit
- seinem tapferen Roß das Fußvolk nieder. Schon leert sich der Hof, schon
- fliehen die Polen, schon reißen die Kosaken die goldenen Schupans und
- die reiche Rüstung von den Gefallenen herab. Schon will Pan Danilo zur
- Verfolgung aufbrechen, schon blickt er sich um, die Seinen zu sammeln
- ..... doch da kocht in ihm die Wut, vor ihm taucht Katerinas Vater auf.
- Nun steht er auf dem Berge und zielt mit seiner Muskete nach ihm. Danilo
- treibt sein Pferd grad auf ihn los .... Kosak, du eilst ins Verderben!
- Da kracht die Muskete, und der Zauberer ist hinter dem Berge
- verschwunden. Nur der getreue Stetzko hat noch gesehen, wie das rote
- Gewand und die seltsame Mütze im Husch vorbeiflogen. Danilo schwankt und
- stürzt zu Boden. Der treue Stetzko eilte zu seinem Pan: sein Herr liegt
- ausgestreckt auf der Erde, und hat die hellen Augen geschlossen, und das
- hellrote Blut quillt aus seiner Brust. Aber er erkannte den treuen
- Diener noch, leis hob er die Lider und blitzte ihn mit den Augen an:
- »Leb wohl, mein Stetzko! Sag Katerina, sie soll meinen Sohn nicht
- verlassen! Verlaßt auch ihr ihn nicht, ihr meine treuen Diener!« und er
- verstummte. Die tapfere Kosakenseele war aus dem adligen Leibe
- entflohen; blau sind seine Lippen, der Kosak schläft einen Schlaf, aus
- dem es kein Erwachen gibt.
- Da schluchzte der getreue Diener auf und winkte Katerina mit der Hand:
- »Komm, komm schnell herbei, Pani! Dein Pan hat ausgetobt; sieh, da liegt
- er, trunken auf feuchtem Erdreich; nimmer wird der aus seinem Rausche
- erwachen!«
- Da schlug Katerina die Hände zusammen und sank über den Leichnam hin wie
- eine Garbe. »O mein Gemahl, du mein Gemahl! Bist du's, der geschlossenen
- Auges daliegt? Steh auf, mein herzallerliebster Falke, rühr deine süße
- Hand! Erhebe dich doch! O, schau sie nur einmal noch an, deine Katerina,
- reg deine Lippen und sprich nur ein einziges Wörtlein! ... Doch ach, du
- schweigst, du schweigst, mein lieber herrlicher Pan! Bläulich wardst du
- wie das Schwarze Meer, und dein Herz schlägt nicht! Warum bist du so
- kalt, mein Pan? O, ich seh's, meine Tränen sind nicht heiß genug, sie
- können dich nicht erwärmen! Ich seh's, nicht laut genug ist meine Klage,
- denn sie kann dich nicht erwecken! Wer wird jetzt deine Heere anführen?
- Wer wird nun auf deinem Rappen dahinjagen und laut jauchzend vor den
- Kosaken den Säbel schwingen? Kosaken, Kosaken! Wo ist eure Ehre und euer
- Ruhm? Da liegt eure Ehre und euer Ruhm geschlossenen Augs auf der
- feuchten Erde. O, begrabt nun auch mich, begrabt mich zusammen mit ihm!
- Streut mir Erde auf die Augen, preßt die Bretter von Ahorn mir auf die
- weißen Brüste! Ich brauche meine Schönheit nicht mehr!«
- Und Katerina weinte und klagte bitterlich, da aber steigt eine
- Staubwolke in der Ferne auf: Gorobetz, der alte Jessaul, sprengt zu
- Hilfe heran.
- X.
- Voller Wunder ist der Dnjepr bei heiterem Wetter, wenn er frei und
- ungehemmt durch Gebirg und Wälder seine reichen Wasser trägt. Da ertönt
- kein leises Rauschen und kein mächtiger Donnerlaut. Du blickst hin und
- weißt es kaum, ob sich sein hehrer breiter Rücken regt, ob nicht; ganz
- aus Glas gegossen scheint die Flut und sein blauer Spiegelweg windet
- sich, breit ohne Maßen, lang ohn' Ende, in verschlungenen Bahnen durch
- die grüne Welt. Dann blickt auch die heiße Sonne selig von der Höhe
- herab und taucht ihre Strahlen in die kühlen gläsernen Wässer, und selig
- spiegeln sich die Wälder am Ufer in den klaren Fluten. O, ihr
- Grüngelockten! Ihr drängt euch mit den Feldblumen zum Wasser hin, beugt
- euch hinab, schaut hinein und könnt euch nicht satt sehen an eurem
- klaren Angesicht und ihr lächelt ihm zu und grüßt es, indem ihr die
- Zweige schüttelt. Aber in die Mitte des Dnjepr wagt ihr doch nicht zu
- blicken: in sie hinein blickt nur die Sonne und der blaue Himmel, und
- selten nur kommt ein Vogel bis mitten über den Dnjepr geflogen. O, du
- herrlicher Fluß! Kein Strom in der Welt kommt dir gleich. Voller Wunder
- ist auch der Dnjepr in einer stillen Sommernacht, wenn alles in
- Schlummer sinkt: Mensch und Tier und Vogel. Nur Gott allein blickt
- majestätisch auf Himmel und Erde und schüttelt gewaltig sein wunderbares
- Ornat. Und von dem Kleide regnen Sterne herab; die Sterne aber glühen
- und leuchten über die Welt, und spiegeln sich alle im Dnjepr wieder. Der
- Dnjepr birgt sie alle in seinem dunklen Schoße, und kein einziger kann
- ihm entrinnen -- es sei denn, daß er am Himmel erlischt. Der schwarze
- Wald mit seinen Reih an Reih schlafenden Raben und die in grauer Urzeit
- geborstenen Berge beugen sich vor und suchen ihn wenigstens mit ihren
- langen Schatten zu bedecken -- vergebens! Es gibt nichts auf der Welt,
- das den Dnjepr überdecken könnte. Azurblau fließt er gemessen dahin, und
- bei Nacht wie bei Tage sieht man ihn so, wie nur ein Menschenauge sehen
- kann. Wenn er sich wiegt und wie ein verzärteltes Kind bei der
- nächtlichen Kühle ans Ufer schmiegt, dann wird er zur silbernen Flut und
- die flammt auf, wie die stählerne Schneide einer Damaszenerklinge und
- dann liegt er wieder tiefblau da und schlummert. Und auch dann ist der
- Dnjepr voller Wunder und kein Fluß in der Welt kommt ihm gleich! Doch
- wenn sich am Himmel die blauen Wolken zu Bergen ballen, der schwarze
- Wald bis auf die Wurzeln bebt, die Eichen krachen und der Blitz, aus den
- Wolken splitternd, plötzlich die ganze Welt erhellt -- o, dann ist der
- Dnjepr schrecklich! Die Wasserhügel tosen, wenn sie gegen die steinigen
- Felsen anprallen, sinken blitzend und stöhnend zurück und ächzen und
- heulen in der Ferne. So jammert wohl die alte Kosakenmutter, wenn sie
- ihren Sohn ins Kriegslager geleitet: frei und kühn reitet er auf seinem
- rabenschwarzen Roß dahin, die Hand in die Hüfte gestemmt und die Mütze
- keck aufs Ohr geschoben, sie aber läuft schluchzend hinter ihm her,
- hängt sich an den Steigbügel, greift ihm in die Zügel, ringt die Hände
- und zerfließt in heißen Tränen.
- Wild und schwarz ragen zwischen den kämpfenden Wellen auf der Landzunge
- verkohlte Baumstümpfe und Steine in die Luft. Ein Boot, das landen will,
- wird ans Ufer geworfen, schießt hoch empor und sinkt dann wieder tief
- abwärts. Wer ist der Kosak, der sich in den Kahn gewagt, zu einer Zeit,
- da der alte Dnjepr grollt? Der weiß nicht, daß der Dnjepr die Menschen
- hinabschlingt wie Fliegen!
- Doch nun landete das Boot, und der Zauberer entstieg ihm. Ihm ist nicht
- heiter zumute. Er grollt über den Totenschmaus, den die Kosaken ihrem
- erschlagenen Herrn zu Ehren abhielten. Die Polen mußten ihn teuer
- bezahlen, vierundvierzig vornehme Herren in schönen Schupans, ihr ganzes
- Pferdegeschirr und dreiunddreißig Knechte dazu wurden in Stücke gehauen,
- und die übrigen saßen mit ihren Rossen gefangen und sollten an die
- Tataren verkauft werden.
- Er stieg die steinernen Stufen zwischen den verkohlten Baumstümpfen
- hinab, wo sich tief unten im Erdreich seine Hütte befand. Leise und ohne
- mit der Türe zu knarren, trat er ein, stellte einen Topf auf den
- gedeckten Tisch und begann mit seinen langen Armen unbekannte Kräuter in
- ihn hineinzuwerfen, dann holte er einen Krug herbei, der aus einem
- merkwürdigen Holz geschnitzt war, schöpfte Wasser und begann es wieder
- auszugießen, während seine Lippen Beschwörungen murmelten.
- Rosiges Licht erhellte die Kammer, und schrecklich war es, sein Gesicht
- zu schauen: es sah ganz blutig aus, tiefe schwarze Furchen gruben sich
- drein, und die Augen glühten wie ein Feuer. Schrecklicher Sünder! Der
- Bart war ihm längst ergraut, und das Gesicht von Runzeln durchfurcht,
- schon ist er fast gänzlich verdorrt, und noch immer trachtet er nach
- gottlästerlichen Taten. Inmitten des Raumes erhob sich jetzt eine weiße
- wehende Wolke, und etwas wie Freude huschte über des Zaubrers Gesicht.
- Doch warum stand er plötzlich regungslos mit weitgeöffnetem Munde da,
- warum wagte er es nicht, sich zu bewegen? Und warum sträubten sich die
- Haare wie Borsten auf dem Haupte? In der Wolke erschien ihm ein
- sonderbares Gesicht. Ungebeten und ungerufen kam es zu Gaste; immer
- deutlicher trat es hervor und bohrte die starren Augen in ihn hinein.
- Die Züge, die Brauen, die Augen, die Lippen -- alles war ihm unbekannt
- und noch nie in seinem Leben hatte er es gesehen. Auch war nichts
- eigentlich Grauenhaftes an ihm, und doch packte ihn ein unüberwindliches
- Entsetzen. Das seltsame unbekannte Haupt blickte ihn noch immer starr
- durch die Wolke an. Doch nun war die Wolke verschwunden, aber das
- unbekannte Gesicht hing noch klarer vor ihm, und die scharfen
- schneidenden Blicke wollten sich nicht von ihm wenden. Der Zauberer
- wurde so weiß wie Leinen; mit einer furchtbaren Stimme, die ihn selber
- fremd dünkte, schrie er auf, warf den Topf um. Alles war verschwunden.
- XI.
- »Sei ruhig, liebe Schwester!« sprach der alte Jessaul Gorobetz. »Träume
- reden selten die Wahrheit.«
- »Leg dich doch hin, Schwesterchen!« sagte seine junge Schwiegertochter.
- »Ich werde die alte Wahrsagerin rufen: ihr kann keine Macht der Welt
- widerstehen: sie wird deine Unruhe bannen.«
- »Fürchte nichts!« rief der Sohn und griff nach dem Säbel, »niemand soll
- dir etwas zuleide tun.«
- Mit trüben und düsteren Augen blickte Katerina sie alle an und fand kein
- Wort zur Antwort. »Ich habe mir selbst mein Verderben bereitet: ich hab
- ihn befreit!« Endlich aber sprach sie: »Ich habe keine Ruhe vor ihm.
- Schon sind's zehn Tage, daß ich bei euch in Kijew bin, und mein Schmerz
- ist um keinen Tropfen geringer. Ich hab mir gedacht, ich will nun in
- aller Stille mein Söhnchen als Rächer aufziehen ...... O, furchtbar,
- furchtbar war er, wie er mir im Traume erschien. Behüt euch Gott davor,
- ihn je zu erblicken! Mein Herz pocht noch immer!« -- »Ich hack dir dein
- Kind in Stücke, Katerina!« schrie er, »wenn du nicht mein Weib sein
- willst! ....« Schluchzend stürzte sie sich auf die Wiege, daß das
- erschrockene Kindlein die Hände ausstreckte und zu schreien begann.
- Des Jessauls Sohn brauste zornig auf, als er diese Rede hörte.
- Auch Gorobetz, der Jessaul, raste vor Wut: »Mag er's nur wagen, hierher
- zu kommen, der gottlose Antichrist -- er soll die Kraft meiner alten
- Kosakenarme kosten. Gott ist mein Zeuge!« rief er und hob die scharf
- blickenden Augen gen Himmel empor. »Bin ich denn Bruder Danilo nicht zu
- Hilfe geeilt? Doch es war Gottes heiliger Wille! Ich traf ihn schon auf
- dem kalten Lager, darauf schon so viel Kosakenvolk sich gebettet. Hat
- man ihm zu Ehren nicht dafür einen prächtigen Leichenschmaus gefeiert?
- Ist etwa auch nur ein Pole lebend entkommen? Sei ruhig, mein Kind!
- Niemand wird es wagen, dich zu berühren, solange wir leben, ich und mein
- Sohn!«
- Mit diesen Worten trat der alte Jessaul an die Wiege. Das Kindchen
- erblickte die rote Pfeife mit der silbernen Fassung am Riemen und den
- Beutel mit dem glänzenden Feuerstein, streckte die Händchen zu ihm hin
- und lachte. »Der wird ganz wie der Vater!« sprach der alte Jessaul, nahm
- die Pfeife aus dem Munde und reichte sie dem Kinde hin. »Noch hat er die
- Wiege nicht verlassen und schon will er ein Pfeifchen rauchen!«
- Katerina seufzte leise auf und begann die Wiege zu schaukeln. Man
- verabredete sich, die Nacht gemeinsam zu verbringen; nach einer kurzen
- Weile schliefen alle, und auch Katerina schlummerte bald ein.
- Im Hofe und in der Stube war alles still, nur die Kosaken, die Wache
- hielten, schlummerten nicht. Plötzlich wachte Katerina mit einem Schrei
- auf, und mit ihr erwachten alle aus ihrem Schlummer. »Er ist tot, man
- hat ihn ermordet!« schrie sie und stürzte zur Wiege hin ..... Alle
- umringten die Wiege und waren starr vor Entsetzen, als sie das leblose
- Kind daliegen sahen. Keiner sprach ein Wort und niemand wußte, was er
- von dem unerhörten Frevel denken sollte.
- XII.
- Fern vom Lande der Ukraine, wenn man das Polenreich durchreist und schon
- die volkreiche Stadt Lemberg hinter sich hat, stößt man auf eine
- Gebirgskette mit hohen Gipfeln. Berg an Berg umklammern hier von rechts
- und links wie mit steinernen Ketten die Erde und schmieden sie in einen
- Felsenring, damit das brausende tosende Meer nicht hereinbreche. Die
- Felsenketten ziehen sich bis in die Wallachei und das Siebengebirge
- hinein, und ragen wie ein gigantisches Hufeisen zwischen Galiziens und
- Ungarns Völkern empor. Solche Berge gibt's in unserer Gegend nicht, und
- das Auge wagt es nicht, sie zu umspannen. Einige von diesen Gipfeln hat
- noch kein menschlicher Fuß betreten. Wie ein Mirakel sind sie zu
- schauen: gleich als wäre ein trotziges Meer während eines Sturmes seinen
- weiten Ufern entflohen und als hätte es mißgestalte Wogen aufgetürmt,
- die dann zu Stein geworden, steil in der Luft emporstarrten. Oder sind
- es schwarze Wolken, die vom Himmel herabgestürzt sind und den Weg zur
- Erde versperrt haben? Denn ihre Farbe ist ebenso grau wie die der
- Wolken, und der weiße Gipfel blitzt und funkelt in der Sonne. Bis zu den
- Karpathen hin hört man die russische Zunge, und auch hinter den Bergen
- hallt's hie und da wieder wie ein Klang aus der Heimat; doch dann kommen
- Menschen mit einem andern Glauben und einer fremden Sprache. Hier lebt
- das zahlreiche Volk der Ungarn; die reiten, fechten und trinken nicht
- schlechter als die Kosaken und kargen nicht, wenn's gilt, goldene
- Dukaten für Pferdegeschirr und kostbare Kaftans aus dem Beutel zu holen.
- Groß und frei liegen ihre Seen zwischen den Bergen. Unbeweglich wie Glas
- sind sie, und wie ein Spiegel werfen sie die nackten Gipfel der Berge
- und die grünende Sohle zurück.
- Doch wer kommt dort inmitten der Nacht -- bei Finsternis oder
- Sternenglanz -- auf dem riesigen Rappen daher geritten? Welch ein Recke
- von übermenschlichem Körpermaß fegt die Berge entlang und über die Seen
- dahin und spiegelt sich samt seinem Riesenroß in den leblosen Gewässern,
- daß sein unermeßlicher Schatten furchtbar über die Berge hinhuscht? Es
- glänzt der Harnisch von herrlichem Schmiedeeisen; er trägt eine Pike auf
- der Schulter, am Sattel rasselt der Säbel, das Visier ist
- niedergelassen, schwarz hängt ihm der Schnurrbart herab, die Augen sind
- geschlossen, und die Lider gesenkt. -- Er schläft und hält im Schlafe
- die Zügel fest, hinter ihm auf demselben Roß sitzt der junge Page und
- auch er schläft und klammert sich schlafend an den Ritter. Wer ist er,
- wo reitet er hin und zu welchem Ziele? Wer weiß etwas von ihm? Nicht
- einen Tag nur oder zwei reitet er schon über die Berge dahin. Der Tag
- bricht an, die Sonne geht auf, aber _er_ ist nicht zu erblicken. Nur
- selten sehen die Bergbewohner einen langen Schatten durch die Berge
- huschen -- und doch ist der Himmel ganz klar, und keine Wolke zieht über
- ihn hin. Aber kaum bricht die Nacht an und mit ihr die Finsternis, so
- läßt er sich wieder sehen; dann spiegelt er sich in den Seen, und hinter
- ihm kommt zitternd sein Schatten einher gesprungen. Schon ist er an
- vielen Bergen vorbeigekommen und selbst auf den Kriwan ist er
- hinaufgeritten. Und doch ist in den Karpathen kein Berg höher als
- dieser, denn einem Könige gleich erhebt er sich über die andern. Da
- machte Roß und Reiter Halt; tiefer noch sank er in Schlaf, und
- herabsinkende Wolken bedeckten ihn.
- XIII.
- »Pst ... still doch, Weib! Lärme nicht so! Mein Kind ist eingeschlafen.
- Lang hat mein Kindchen geschrien, jetzt aber schläft es. Ich geh' in den
- Wald, Weib! Was siehst du mich denn so an? Du bist fürchterlich: eiserne
- Zangen strecken sich aus deinen Augen hervor -- -- oh, und wie lang sie
- sind, und brennen wie Feuer! Du bist gewiß eine Hexe! Hör, wenn du eine
- Hexe bist, so verschwinde! Du willst mir meinen Sohn stehlen! Wie
- töricht ist doch dieser Jessaul: er glaubt, es machte mir Vergnügen, in
- Kijew zu leben; doch nein, mein Mann und mein Sohn sind hier, wer soll
- denn das Haus überwachen? Ich bin so leise davongeschlichen, daß weder
- Katze noch Hund es hören konnten. Weib, du willst wieder jung werden? O,
- das ist garnicht so schwer: man muß nur recht viel tanzen. Schau, wie
- ich tanze .....« Und nachdem sie diese zusammenhanglosen Worte
- gesprochen hatte, fing Katerina an zu tanzen, sie drehte sich wie ein
- Wirbel herum -- blickte stier nach allen Seiten, stemmte die Arme in die
- Hüften, und ihre silbernen Hufeisen klirrten regellos und ohne Takt.
- Ihre schwarzen aufgelösten Flechten hingen ihr über den weißen Hals
- hinüber, sie schwirrte wie ein Vogel dahin, weiter und immer weiter ohne
- Halt, schwang die Arme im Kreise, schüttelte den Kopf, und es schien so,
- als müßte sie gleich matt zu Boden sinken oder weit hinausfliegen aus
- dieser Welt.
- Traurig stand die alte Amme vor ihr, und die Tränen strömten ihr über
- die tiefen Runzeln hinab, schwer wie ein Stein lastete es auf dem Herzen
- der treuen Burschen, die zusehen mußten, wie ihre Herrin tanzte. Doch
- schon fing sie an, müde zu werden, träg stampfte sie mit den Beinen auf
- ein und derselben Stelle herum und glaubte doch, sie tanze den
- Lachtaubentanz. »Ah, ich hab' auch ein Perlenhalsband, ihr Burschen!«
- rief sie endlich aus und hielt inne. »Ihr aber habt keins! .... Wo ist
- mein Mann?« schrie sie plötzlich auf und zog rasch einen Türkendolch aus
- dem Gürtel. »Oh, das ist kein Messer, wie ich es brauche!« und dabei
- flossen ihr die Tränen über ihr schmerzbewegtes Gesicht. »Das Herz
- meines Vaters ist weit, weit von hier, und dieses Messer wird's nicht
- erreichen. Sein Herz ist von Eisen, eine Hexe hat es ihm auf dem
- höllischen Feuer geschmiedet. Warum erscheint mein Vater nur nicht? Weiß
- er denn nicht, daß die Zeit gekommen ist, wo ich ihn töten muß? Er will
- wohl gar, daß ich selbst zu ihm komme ....« Und ohne ihre Rede vollendet
- zu haben, lachte sie seltsam auf. »Eine komische Mär kam mir in den
- Sinn: Ich erinnerte mich, wie sie mir den Gemahl begruben. Sie haben ihn
- lebendig begraben ... O, wie mußte ich lachen! ...... Hört, hört!« und
- statt weiterzureden, begann sie ein Lied zu singen:
- Da fährt 'ne Karre im Blut .....
- 'S liegt ein Kosak im Wagen
- Zerschossen und zerschlagen,
- Hält in der Rechten einen Spieß,
- Und von dem Spieß läuft soviel Blut
- Soviel Blut,
- Daß es 'nen Blutstrom wies.
- Überm Bach da steht ein Ahornschragen
- Und ein Rabe krächzt darüber her.
- Vom Kosaken will die Mutter klagen,
- Wein nicht, Mutter, gräm dich nicht zu sehr!
- Dein Sohn hat wohl genommen
- Ein Fräuleinchen gar fein,
- Drum soll er auch bekommen
- Ein Stübchen eng und klein,
- Ohne Fenster, ohne Tür,
- So geht's immer für und für.
- Ging ein Fisch mit 'nem Krebs zu Tanz ...
- Wer mich nicht leiden mag, den soll der Kuckuck ..
- So wirrten sich bei ihr alle Lieder durcheinander. Schon einen oder zwei
- Tage lang lebte sie in ihrem Hause und wollte nichts von Kijew hören;
- sie betete nicht, sie floh vor den Menschen und vom frühen Morgen bis in
- die späte Nacht hinein streifte sie im dunklen Eichwald umher. Spitzige
- Äste ritzten ihr weißes Gesicht und ihre Schultern, der Wind zerzauste
- ihr die aufgelösten Flechten, das Herbstlaub raschelte unter ihren Füßen
- -- sie aber achtete es nicht. Zu der Stunde, da das Abendrot erlischt,
- die Sterne noch nicht vom Himmel herab blinken und der Mond noch nicht
- leuchtet, ist es voll Grauen, durch den Wald zu wandern. Die ungetauften
- Kinder kratzen an den Baumstämmen, hangen an den Zweigen, heulen, lachen
- gellend auf und wälzen sich wie ein Knäuel über die Wege und durch das
- dichte Dornengestrüpp; den Fluten des Dnjepr entsteigt ein Reigen von
- Jungfrauen, die selbst ihre Seele verderbten, die Haare rieseln ihnen
- vom grünlichen Haupte auf die Schultern herab; das Wasser rinnt laut
- glucksend vom langen Haare hinunter, und der Leib der Jungfrau schimmert
- durchs Wasser hindurch wie durch ein gläsernes Hemd, seltsam lächeln die
- Lippen, die Wangen glühen, die Blicke locken einem die Seele aus dem
- Leibe .... sie möchte in Liebe entbrennen, sie sehnt sich nach heißen
- Küssen .... Fliehe, der du ein Mensch bist und ein Christ, ihre Lippen
- sind Eis, ihr Bett ist das kühle Wasser, sie wird dich zu Tode kitzeln
- und dich mit in den Fluß schleifen. Katerina aber blickt niemanden an.
- Sie, die Wahnsinnige, fürchtet die Waldgeister und Wasserjungfrauen
- nicht; zu später Stunde läuft sie umher mit dem Dolche im Busen und
- sucht nach dem Vater.
- Ganz früh am Morgen kam ein stattlicher Gast in rotem Schupan angeritten
- und fragte nach Pan Danilo; als er die traurige Kunde vernahm, wischte
- er sich die weinenden Augen mit dem Ärmel und zuckte die Achseln. Er
- habe manch einen Feldzug mit dem verstorbenen Burulbasch gemacht, und
- sie hätten gemeinsam gegen die Krimschen Tataren und Türken gefochten;
- wie hätt' er erwarten können, daß Pan Danilo so enden würde! Und noch
- von manchem anderen wußte der Gast zu berichten, und dann wünschte er
- Pani Katerina zu sehen.
- Katerina achtete zuerst nicht darauf, was der Gast erzählte; schließlich
- aber begann sie dennoch, seinen Reden zu lauschen, ganz als ob sie bei
- Vernunft wäre. Er sprach davon, daß er und Danilo miteinander wie Brüder
- gelebt, wie sie sich einst hinter einem Damm vor den Krimschen Tataren
- versteckt hielten und mehr dergleichen ....... Katerina hörte dies alles
- und wandte keinen Blick von ihm ab.
- »Sie kommt wieder zu sich,« dachten die Burschen, die sie aufmerksam
- beobachteten. »Der Gast wird sie heilen! Schon hört sie ihm zu wie ein
- vernünftiges Wesen!«
- Unterdessen aber begann der Gast zu berichten, wie Pan Danilo ihm in
- vertraulicher Stunde gesagt hatte: »Sieh, Bruder Koprian: ist es einmal
- Gottes Wille, und ich bin nicht mehr unter den Lebenden, dann nimm mein
- Weib zu dir, und sie soll deine Gattin sein ....«
- Da heftete Katerina die Augen mit einem fürchterlichen Ausdruck auf ihn.
- »Ah!« rief sie, »er ist es, er ist es. Es ist mein Vater!« und sie
- stürzte sich mit einem Messer auf ihn.
- Lange rang jener mit ihr und wollte ihr das Messer entwinden; endlich
- riß er ihr's aus den Händen, holte aus -- und die schaurige Tat geschah:
- der Vater erstach seine wahnsinnige Tochter.
- Entsetzt stürzten sich die Kosaken auf ihn, aber der Zauberer schwang
- sich aufs Pferd und war aller Blicken entschwunden.
- XIV.
- Vor Kijew begab sich ein unerhörtes Wunder. Alle hohen Herren und
- Hetmans kamen zusammen, dies Wunder anzustaunen, und plötzlich war es
- weithin zu sehen bis an alle Enden der Welt. Weit in der Ferne blaute
- die breite Mündung des Stroms, und hinter ihr rollte das Schwarze Meer.
- Weltkundige Leute wollten auch die Krim erkennen, die wie ein Berg aus
- dem Meere emporstieg, und auch den sumpfigen Siwasch erkannten sie. Zur
- Linken aber sah man das galizische Land.
- »Und was ist _das_?« fragte das versammelte Volk die großen Männer, und
- alle wiesen auf die fern am Himmel leuchtenden mächtigen weißen Spitzen,
- die grauen Wolken glichen.
- »Das sind die Karpathen!« sprachen die alten Männer. »Da gibt's auch
- solche darunter, von denen der Schnee nie verschwindet; dort landen und
- übernachten die Wolken.«
- Und nun geschah ein neues Wunder: die Wolken senkten sich vom höchsten
- Berggipfel herab, und auf seiner Spitze erschien ein Recke zu Roß und in
- voller Ritterrüstung; seine Augen waren geschlossen, und er war zu
- schauen, als ob er ganz in der Nähe vor allen dastände.
- Da sprang einer von der schreckvoll staunenden Menge aufs Pferd und
- jagte eilig und so schnell er konnte, fort.
- Er blickte wild um sich, als wollte er mit seinen Augen prüfen, ob nicht
- jemand ihm nachsetzte. Es war der Zauberer! Doch was hatte ihn so in
- Schrecken gesetzt? Als er den wunderbaren Ritter betrachtete, hatte er
- plötzlich dasselbe Gesicht erkannt, das ihm damals bei seinen schwarzen
- Künsten so ungerufen erschienen war. Er konnte es selbst nicht
- begreifen, warum bei diesem Anblick alles in ihm zusammenschrak, und er
- raste, scheu um sich blickend, auf seinem Rosse dahin, bis ihn der Abend
- überraschte und die Sterne am Himmel erschienen. Da erst machte er kehrt
- und floh heimwärts, vielleicht um die unreinen Mächte zu befragen, was
- dies Wunder wohl zu bedeuten hatte. Schon wollte er mit dem Roß über den
- schmalen Bach setzen, der wie ein Ärmel sich mitten über den Weg
- dahinzog, als sein Roß mit einem Male gerad vor dem Sprunge anhielt, das
- Maul zu ihm wandte, und -- o Wunder! -- zu lachen begann. Zwei Reihen
- weißer Zähne grinsten ihm aus der Dunkelheit entgegen. Das Haar sträubte
- sich auf dem Haupte des Zauberers, er schrie wild auf, kreischte laut
- wie ein Besessener und spornte sein Pferd stracks auf Kijew zu. Es war
- ihm, als ob jemand von überall her nach ihm haschte: die Bäume schienen
- zu einem dichten Wald zusammenzulaufen und ihn einzuschließen, sie
- schüttelten ihre schwarzen Bärte und reckten ihre langen Zweige heraus,
- als ob sie lebendig wären und ihn erdrosseln wollten. Die Sterne
- schienen ihm vorauszueilen und vor der ganzen Welt auf den Sünder zu
- weisen; selbst die Landstraße, schien ihm, jagte auf seinen Spuren
- hinter ihm her.
- Und der Zauberer floh voller Verzweiflung nach den heiligen
- Wallfahrtsorten der Stadt Kijew.
- XV.
- Ein Anachoret saß einsam in seiner Höhle vor einer Leuchte und wandte
- seine Blicke nicht von dem heiligen Buche ab, das vor ihm lag. Seit
- vielen Jahren schon hatte er sich in der Höhle eingeschlossen und schon
- hatte er sich den hölzernen Sarg gezimmert, in dem er zu ruhen pflegte,
- wie in einem Bett. Der heilige Greis schloß eben das Buch und begann zu
- beten .... Da stürzte plötzlich ein Mann von seltsamem und schrecklichem
- Äußeren herein. Zum ersten Male erstaunte der heilige Einsiedler und
- trat einen Schritt zurück vor diesem Menschen. Der aber bebte am ganzen
- Leibe wie Espenlaub, seine Augen irrten wild umher; ein schreckliches
- Feuer glomm furchtsam in ihnen, und sein verzerrtes Gesicht machte die
- Seele erschauern.
- »Bete, Vater! So bete doch!« schrie er verzweifelt. »Bete für eine
- verlorene Seele!« Und er stürzte zu Boden.
- Der heilige Anachoret machte das Zeichen des Kreuzes, holte das Buch
- hervor, schlug es auf, aber er wich entsetzt zurück und ließ das Buch
- wieder herabsinken. »Nein, du unerhörter Sünder! Es gibt keine Gnade für
- dich! Flieh von hinnen! Nie vermag ich für dich zu beten!«
- »Nie!« schrie der Sünder wie toll.
- »Blick hin: die heiligen Lettern dieses Buches sind blutüberströmt ....
- noch niemals hat die Welt einen solchen Sünder gesehen.«
- »Vater! Du spottest über mich!«
- »Geh, du gottverdammter Sünder! Ich spotte nicht. Angst ergreift mich.
- Nichts Gutes bedeutet es für einen Menschen, in deiner Nähe zu weilen.«
- »Nein, nein! Du spottest, rede nicht .... Ich sehe, wie dein Mund sich
- öffnet und mich die weißen Reihen deiner alten Zähne spöttisch
- anblicken!«
- Und er sprang rasend vor -- und erschlug den heiligen Einsiedler.
- Da stöhnte etwas schwer auf, und das Stöhnen hallte durch Feld und Wald
- weiter. Hinter dem Walde streckten sich ein Paar dürre hagere Hände mit
- langen Krallen hervor, fingen an zu beben und verschwanden wieder.
- Und schon war keine Angst mehr da, und er fühlte nichts mehr. Alles
- erschien ihm verschwommen: in seinen Ohren sauste es, es rauschte ihm im
- Kopfe wie wenn er trunken wäre. Er sprang aufs Roß und ritt gen Kanew,
- von dort gedachte er seinen Weg über Tscherkany geradeaus zu den Tataren
- und nach der Krim zu lenken, doch wußte er selbst nicht, zu welchem
- Zweck er es tat. Er ritt einen Tag lang und ritt einen zweiten, aber
- Kanew wollte sich immer noch nicht sehen lassen. Es war der richtige
- Weg, und er hätte schon längst in Kanew sein müssen, aber die Stadt
- wurde und wurde nicht sichtbar. Da leuchteten plötzlich in der Ferne die
- Kuppeln von Kirchen auf, aber es war nicht Kanew, sondern Schumsk. Der
- Zauberer war aufs höchste betroffen, als er sah, daß er eine falsche
- Richtung eingeschlagen hatte; er jagte sein Roß zurück auf Kijew zu, und
- einen Tag später tauchte eine Stadt vor ihm auf, aber es war wieder
- nicht Kijew, sondern Halitsch, eine Stadt, die noch weiter von Kijew
- entfernt ist als selbst Schumsk und schon nahe bei Ungarn liegt. Ohne zu
- wissen, was er tun sollte, riß er sein Pferd wieder herum. Aber wiederum
- fühlte er, daß er in der entgegengesetzten Richtung dahinritt, und immer
- weiter und weiter. Kein Mensch in der Welt hätte sagen können, was in
- der Seele des Zauberers vorging; und hätte jemand hinein geblickt und
- gesehen, was dort geschah, so hätte er keine Nacht mehr ruhig
- geschlafen, und nie hätt' er mehr gelacht. Das war nicht Wut, nicht
- Furcht noch wilder Groll. Es gibt kein Wort dafür in der Welt. Es glühte
- und siedete in ihm, die ganze Welt hätte er mit seinem Rosse
- zerstampfen, die ganze Erde von Kijew bis Halitsch mitsamt all den
- Menschen und allem, was drauf lebte, packen, und sie im Schwarzen Meere
- ertränken mögen. Doch war es nicht Grimm, warum er dies tun wollte, er
- wußte selbst nicht warum. Und er erbebte, als ganz nahe vor ihm die
- Karpathen und der hohe Kriwan erschienen, der sich eine schwarze Wolke
- wie eine Mütze auf seinen Schädel gestülpt hatte; aber das Roß jagte
- immer weiter dahin und trabte schließlich bis ins Gebirge. Plötzlich
- verschwanden die Wolken und vor ihm erschien in furchtbarer Erhabenheit
- der Reiter ..... Der Zauberer mühte sich, Halt zu machen und zog die
- Zügel straff, aber das Roß wieherte wild, warf den Kopf empor und raste
- dem Ritter entgegen. Da ward dem Zauberer zumute, als ob alles in ihm
- erstarrte und ihm schien, der regungslose Ritter rührte sich vom Fleck;
- er machte auf einmal die Augen weit auf, sah den ihm entgegeneilenden
- Zauberer an und lacht laut auf. Wie ein Donner rollte das wilde
- Gelächter durchs Gebirge, hallte dröhnend im Herzen des Zauberers wieder
- und erschütterte sein ganzes Innere. Es schien ihm, als ob ein
- furchtbares, gewaltiges Wesen in ihn hineingekrochen wäre und in seinem
- Inneren umherwandere, auf sein Herz und alle seine Sehnen loshämmerte,
- so gewaltig hallte das Gelächter in ihm wieder!
- Der Reiter packte den Zauberer mit seiner schrecklichen Hand und hob ihn
- hoch in die Lüfte, und im Nu war der Zauberer tot, doch er öffnete nach
- dem Tode noch die Augen; aber schon war er ein Leichnam und sah wie ein
- Toter vor sich hin. So fürchterlich blickt kein Lebender und auch kein
- Auferstandener. Er rollte die blinden Augen nach allen Seiten, und er
- sah, wie sich die Toten in Kijew, Galizien und in den Karpaten erhoben,
- und sie alle glichen ihm von Angesicht, wie zwei Tropfen Wasser einander
- gleichen.
- Bleich, totenbleich, der eine den anderen an Größe überragend, und der
- eine knochiger als der andere, so drängten sie sich um den Ritter, der
- seine furchtbare Beute in der Hand hielt. Noch einmal lachte der Ritter
- auf und dann schleuderte er sie in den Abgrund. Und alle Toten sprangen
- in den Abgrund herab, fingen den toten Zauberer auf und bohrten ihre
- Zähne in ihn hinein. Aber da war noch einer, der größer und furchtbarer
- war als alle; der wollte sich auch aus der Erde erheben, doch er
- vermochte es nicht, er hatte nicht mehr die Kraft, es zu tun. -- So
- riesengroß war er geworden in seiner Erdengrube; hätte er sich erhoben,
- so hätte er die Karpathen umgestürzt und das Siebengebirge und das
- Türkenreich dazu. Ein wenig nur rührte er sich im Grabe -- und es ging
- ein Beben über die ganze Erde, viele Häuser wurden allerorten
- umgeworfen, und viele Menschen erstickten.
- Oft hört man in den Karpathen ein Schnauben, wie wenn das Wasser über
- tausend Mühlräder dahinrauscht: das sind die Toten, die in einem
- Abgrund, dem man nicht entrinnen kann und den noch nie ein Mensch
- gesehen hat, an einem Leichnam nagen, und jeden graut es, vorbeizugehen.
- Gar oft geschieht es, daß die Erde von einem Ende bis zum andern erbebt:
- das kommt, wie die Schriftgelehrten sagen, daher, daß irgendwo, in der
- Nähe des Meeres ein Berg steht; aus dem schlagen Flammen und fließen
- brennende Ströme hervor. Aber die greisen Männer im Ungarlande und auch
- in Galizien wissen es besser und erzählen von dem ungeheueren Toten, der
- in die Erde hineinwuchs, sich erheben will und so das Weltall
- erschüttert.
- XVI.
- In der Stadt Gluchow hatte sich das Volk um einen greisen Harfenspieler
- geschart und lauschte wohl schon eine Stunde lang dem Spiele des
- Blinden. Kein Harfenspieler hatte je so wundersame Lieder, so herrlich
- hatte noch nie ein Harfenspieler gesungen. Er sang von den Hetmans der
- alten Zeiten: von dem Sagajdatschny und von Chmelnitzki. Ja, das war
- eine andere Zeit: weit berühmt und geehrt waren damals die Kosaken; sie
- zertraten ihre Feinde mit den Hufen ihrer Rosse, und niemand wagte es,
- ihrer zu spotten. Aber der Greis sang auch lustige Lieder und er ließ
- seine Augen im Kreise umherwandern wie ein Sehender, und die Finger mit
- den Knochenstäbchen flogen wie Fliegen über die Saiten, sodaß die Saiten
- von selbst zu spielen schienen; und ringsherum stand das Volk, -- die
- Greise gesenkten Hauptes, und die Jungen, die Augen zum Sänger erhoben,
- und wagten es nicht einmal, untereinander zu flüstern.
- »Wartet einmal!« sprach der Alte. »Ich will euch singen von einer
- längstvergangnen Begebenheit.«
- Die Leute drängten sich noch enger zusammen, und der Blinde begann:
- Zur Zeit Pan Stephans, des Fürsten von Siebenbürgen (der Fürst von
- Siebenbürgen war auch König der Polen), da lebten einmal zwei Kosaken:
- Iwan und Petro. Sie lebten wie zwei Brüder. »Hör, Iwan,« sagte Petro
- einst, »alles, was wir erbeuten, -- sei zu gleichen Teilen unter uns
- geteilt; des einen Freude sei des andern Freude und des einen Kummer sei
- des andern Schmerz; des einen Beute soll auch dem anderen zukommen, und
- wenn der eine in Gefangenschaft gerät, soll der andere alles verkaufen
- und Lösegeld zahlen, oder selbst in Gefangenschaft gehen.« Und so
- geschah's auch, alles, was die Kosaken erbeuteten, teilten sie
- untereinander: ob sie nun fremdes Vieh wegtrieben oder Pferde -- sie
- teilten alles zu gleichen Teilen unter sich.
- * * * * *
- Einst führte König Stephan Krieg mit dem Türkenvolk. Drei Wochen schon
- focht er gegen den Türken und konnte ihn immer noch nicht vertreiben.
- Die Türken aber hatten einen Pascha, der ganz allein mit zehn
- Janitscharen ein ganzes Heer in die Flucht schlagen konnte. Da tat König
- Stephan kund, wenn sich ein Wagehals fände, der ihm den Pascha lebend
- oder tot brächte, so wolle er ihm allein einen so hohen Lohn bezahlen,
- wie den, den er seinem ganzen Heere zukommen ließ. Da sprach Iwan zu
- Petro: »Komm, Herzensbruder, wir wollen den Pascha fangen!« Und die
- Kosaken ritten davon: der eine hierhin, der andere dorthin.
- * * * * *
- Ob ihn Petro nun gefangen hätte oder nicht, das läßt sich nicht sagen,
- doch schon führt Iwan den Pascha an einem Strick um den Hals vor den
- König. »Tapfrer Kosak,« sprach König Stephan und ließ ihm allein soviel
- Lohn ausbezahlen, als sonst sein ganzes Heer erhielt; und er hieß ihm
- Land zuzuteilen, wo er welches haben wollte, und Vieh schenken, soviel
- er nur wünschte. Wie Iwan nun den Lohn vom König erhalten hatte, teilte
- er ihn noch am selbigen Tage zu gleichen Teilen unter sich und Petro.
- Petro bekam die Hälfte vom Lohne des Königs, aber der konnte es nicht
- verwinden, daß Iwan vom Könige solche Ehren zuteil geworden waren, und
- in den Tiefen seiner Seele regten sich Rachegedanken.
- * * * * *
- Einst ritten die beiden Ritter jenseits der Karpathen durch das Land,
- das der König ihnen geschenkt hatte, und der Kosak Iwan hatte auch
- seinen Sohn neben sich auf dem Roß sitzen und ihn fest an sich gebunden.
- Schon senkte sich die Dämmerung aufs Land herab -- sie aber ritten immer
- weiter und weiter. Der Knabe schlief, und auch Iwan fing an
- einzuschlummern. »Schlaf nicht, Kosak, denn gefahrvoll sind die Pfade in
- den Bergen!« .... Doch der Kosak hatte ein Pferd, das alle Wege kannte,
- und nie stolperte oder strauchelte es. Ein Abgrund lag tief zwischen den
- Bergen versenkt, und noch niemand hatte den Grund des Schlundes gesehen,
- denn so hoch es von der Erde bis zum Himmel ist, so tief ist es bis zum
- Grunde jener Schlucht. Über den Abgrund führte ein Steg -- über dem noch
- gerade zwei Menschen hinweg reiten konnten, nicht aber drei. Behutsam
- schritt das Roß mit dem schlummernden Kosaken über den Steg. An seiner
- Seite aber ritt Petro, er bebte am ganzen Leibe und hielt vor Freude den
- Atem an, und nun blickte er um sich, stieß seinen selbst erkorenen
- Bruder in den Abgrund hinab, und das Roß stürzte mitsamt dem Kosaken und
- dem Kinde in die Tiefe.
- * * * * *
- Doch der Kosak vermochte noch einen Ast zu erfassen, und das Pferd
- stürzte allein hinab. So begann er denn, mit seinem Sohne auf dem
- Rücken, in die Höhe zu klimmen; und er war schon beinahe ganz oben, da
- erhob er die Augen und sah, wie Petro mit seiner Pike nach ihm zielte,
- um ihn wieder hinabzustoßen. »O, du gerechter Gott! Hätte ich doch
- lieber nicht die Augen erhoben; warum muß ich jetzt sehn, wie mein
- erkorener Bruder mit der Pike nach mir zielt, um mich wieder
- hinabzustoßen. O, lieber Bruder! Stich zu mit der Pike, wenn's mir denn
- schon so beschieden ist, nur nimm meinen Sohn zu dir: was hat das
- unschuldige Kind denn getan, daß es solch grimmen Tod erleiden soll?« Da
- lachte Petro, stieß mit der Pike nach ihm, und der Kosak flog samt dem
- Knaben in den Abgrund hinab. Und Petro nahm all sein Hab und Gut an
- sich, und lebte dahin wie ein Pascha. Niemand hatte solche Viehherden
- wie Petro, und nirgends gab's so viel Schafe und Hammel, wie er besaß.
- Doch eines Tages starb Petro.
- * * * * *
- Als Petro tot war, rief Gott die Seele der beiden Brüder, Petro und
- Iwan, vor Gericht. »Dieser Mensch ist ein großer Sünder!« sprach Gott.
- »Iwan! Ich weiß keine Strafe, die groß genug für ihn wäre; wähle du
- sie!« Lang grübelte Iwan nach, um eine Strafe zu ersinnen, und endlich
- sprach er: »Dieser Mensch hat mir einen großen Schmerz zugefügt: er hat
- seinen Bruder verraten wie ein Judas, und er hat mich meines edlen
- Geschlechts beraubt und meiner Nachkommenschaft auf Erden, und ein
- Mensch ohne ehrlich Geschlecht und ohne Nachkommen ist wie ein
- Getreidekorn, das man auf die Erde wirft, und das in der Erde umkommt.
- Da gibt's keine Saat, und niemand erfährt je, daß ein Same ausgesät
- ward.«
- * * * * *
- »So tu denn also, o Gott, daß sein ganzes Geschlecht auf Erden kein
- Glück habe und daß der letzte seines Geschlechts solch ein Bösewicht
- werde, wie es noch nie einen in der Welt gab: seine Ahnen und Urahnen
- mögen durch jede seiner Freveltaten aus der Ruhe ihrer Gräber aufgestört
- werden, und in Qualen, wie die Welt sie nicht kennt, ihren Gräbern
- entsteigen! Der Judas Petro aber soll nicht die Kraft haben, sich zu
- erheben, auf daß noch viel größere Martern ihn peinigen; wütend soll er
- Erde fressen und sich wie ein Rasender unter der Erde winden!«
- * * * * *
- »Und wenn das Maß der Freveltaten jenes Menschen voll ist, Gott, so
- erhebe mich mitsamt meinem Roß aus jenem Schlunde bis auf den höchsten
- Berg, dann soll jener zu mir kommen, und ich will ihn von dem Berge in
- den tiefen Abgrund stürzen, und alle Toten, seine Ahnen und Urahnen, sie
- sollen herbeieilen von allen Enden der Welt, wo sie auch bei Lebzeiten
- geweilet haben mögen, und an ihm nagen zum Dank für die Qualen, die er
- ihnen zugefügt; ewiglich sollen sie an ihm nagen, ich aber werde mich
- freuen beim Anblick seiner Qualen. Der Judas Petro aber soll sich nicht
- aus der Erde erheben können, er soll _auch_ den Wunsch haben, an dem
- andren zu nagen, aber er mag an sich selbst nagen, und seine Knochen
- sollen immer größer werden und höher empor wachsen, auf daß darob seine
- Qual noch stärker werde. Diese Qual ist die fürchterlichste von allen;
- denn es gibt keine größere Folter für den Menschen, als sich rächen zu
- wollen und nicht rächen zu können.«
- * * * * *
- »Furchtbar fürwahr ist die Strafe, die du ersonnen, o Mensch!« sprach da
- Gott. »Und alles möge so geschehen, wie du es gesprochen; aber auch du
- sitze nun ewiglich dort zu Pferde, und das Himmelreich sei dir nicht
- beschieden, solange du noch dort auf deinem Rosse sitzen mußt!« Und
- alles geschah, wie es gesagt ward: auch heute noch steht der wunderbare
- Ritter auf dem Karpathenberge und sieht im bodenlosen Schlunde die Toten
- an einem Leichnam nagen, und er fühlt, wie der Leichnam unter der Erde
- wächst, wie er in furchtbarer Pein an den eigenen Knochen nagt und
- schrecklich die Erde erschüttert ........
- Der Blinde hatte sein Lied beendet, schon fing er von neuem an, die
- Saiten zu zupfen und schon begann er wieder ergötzliche Märlein von
- Choma und Jerjoma, und von Stkljar Stokosa zu singen ... aber Alt und
- Jung konnten noch immer nicht zu sich kommen, und lange noch standen sie
- mit gesenktem Haupte da, in tiefes Sinnen versunken über die
- schreckliche Tat aus vergangenen Zeiten.
- Iwan Fjodorowitsch Schponjka
- und seine Tante
- Mit dieser Geschichte ist selbst eine Geschichte passiert: erzählt hat
- sie uns Stepan Iwanowitsch Kurotschka aus Gadjatsch. Nun muß ich euch
- vermelden, daß mein Gedächtnis ganz unmöglich schlecht ist: ob mir einer
- was sagt oder nicht, das kommt ganz auf dasselbe hinaus, es ist genau
- so, als wenn man Wasser in ein Sieb gießt. Weil ich aber meinen Fehler
- kenne, so habe ich ihn gebeten, die Geschichte in ein Heftchen
- einzutragen. Gott schenke ihm ein langes Leben, er hat sich mir
- gegenüber immer als guter Mensch erwiesen, und so hat er die Geschichte
- denn auch wirklich aufgeschrieben. Nun gut. Ich legte also das Heftchen
- in das kleine Tischchen: -- Ich glaube, ihr kennt es alle, es steht
- gleich in der Ecke, wenn man zur Tür hereinkommt ..... Ja, da hab' ich
- richtig vergessen, daß ihr noch niemals bei mir wart! Meine Alte, mit
- der ich schon an die dreißig Jahre zusammen lebe, hat, -- was soll ich
- ein Hehl daraus machen, -- ihr Lebtag nichts vom Lesen verstanden.
- Einmal bemerkte ich nun, wie sie Küchel auf Papier bäckt. Diese
- Küchelchen kann sie nämlich ganz wunderbar backen, lieber Leser; bessere
- Küchel bekommt ihr sicherlich nirgends zu essen. Wie ich mir nun so den
- Boden eines Küchelchens anschaue, da finde ich plötzlich geschriebene
- Worte! Ich laufe zum Tischchen, als ob mein Herz es geahnt hätte: -- vom
- Hefte ist kaum mehr als die Hälfte übrig! Sie hatte sich alle übrigen
- Blätter für ihre Kuchen weggeschleppt! Was sollte man da machen? Man
- kann sich doch nicht auf seine alten Tage noch raufen! Nun reiste ich
- aber im vorigen Jahre so einmal durch Gadjatsch hindurch: noch, bevor
- ich in die Stadt kam, hatte ich mir absichtlich einen Knoten ins
- Taschentuch gemacht, um nicht zu vergessen, daß ich Stepan Iwanowitsch
- meine Bitte vortragen wollte. Mehr noch, ich nahm mir selbst das
- Versprechen ab: mich, sobald ich in der Stadt niesen würde, daran zu
- erinnern. Aber es war alles vergebens. Ich kam durch die Stadt, nieste
- auch, schneuzte mich in mein Taschentuch und vergaß es dennoch; erst als
- ich schon sechs Werst hinterm Tor war, da fiel es mir wieder ein. Na, da
- war nichts mehr zu machen, und so mußte die Geschichte denn notgedrungen
- ohne Schluß abgedruckt werden. Übrigens, wenn jemand unbedingt wissen
- will, wie diese Geschichte weitergeht, braucht er nur nach Gadjatsch zu
- fahren und bei Stepan Iwanowitsch vorzusprechen. Der wird sie ihm mit
- dem größten Vergnügen von Anfang bis zu Ende erzählen. Stepan
- Iwanowitsch wohnt nicht weit von der steinernen Kirche. Da ist gleich so
- ein kleines Gäßchen: sobald ihr in dies Gäßchen einbiegt, ist's der
- zweite oder dritte Torweg. Oder noch besser: wenn ihr im Hofe eine lange
- Stange mit einer Wachtel erblickt und euch ein dickes Weibsbild in einem
- grünen Rocke entgegenkommt (nebenbei bemerkt, er führt ein
- Junggesellenleben), so ist das sein Hof. Ihr könnt ihm übrigens auch auf
- dem Markt begegnen, wo er jeden Morgen bis gegen neun Uhr Fische oder
- Gemüse für seinen Tisch einkauft und sich mit Vater Antip oder mit dem
- jüdischen Händler unterhält. Ihr werdet ihn sofort erkennen, denn
- niemand außer ihm trägt Hosen aus bedruckter Leinewand oder einen gelben
- Nankingrock. Oder, da habt ihr noch ein gutes Merkzeichen: wenn er geht,
- so schlägt er mit den Armen um sich. Der Assessor am Ort, Denis
- Petrowitsch, pflegte immer zu sagen, wenn er ihn von ferne herankommen
- sah: »Seht, seht doch, da kommt die Windmühle!«
- I.
- Iwan Fjodorowitsch Schponjka
- Es ist schon vier Jahre her, daß Iwan Fjodorowitsch Schponjka Abschied
- vom Militär genommen hatte und auf seinem Gutshof Wytrebenjki hauste.
- Als er noch der kleine Iwan hieß, besuchte er die Kreisschule zu
- Gadjatsch, und das muß man sagen, er war ein höchst sittsamer und
- fleißiger Junge. Sein Lehrer in der russischen Grammatik, Nikifor
- Timofejewitsch Dejepritschastje, behauptete immer, wenn alle so fleißig
- gewesen wären wie Schponjka, dann hätte er das Ahornlineal nicht in die
- Klasse mitzunehmen brauchen, denn er war, wie er selbst eingestand, es
- schon müde, den Faulen und Mutwilligen immer auf die Finger zu klopfen.
- Iwans Heftchen war stets sauber; es war rings herum mit einem Rande
- versehen, und nirgends war ein Fleckchen zu entdecken. Er saß stets
- still mit gefalteten Händen und die Augen auf den Lehrer gerichtet, da;
- nie heftete er einem vor ihm sitzenden Kameraden einen Zettel auf den
- Rücken, schnitzte nie Buchstaben oder Zeichen in die Bank und spielte
- auch nie »Drängeln,« bevor der Lehrer in die Klasse trat. Wenn jemand
- ein Messer brauchte, um sich eine Feder zu schneiden, so wandte er sich
- sofort an Iwan Fjodorowitsch, da jeder wußte, daß er stets ein
- Messerchen bei sich hatte; und Iwan Fjodorowitsch, der damals noch
- einfach »Wanjuscha« genannt wurde, holte das Messer aus dem kleinen
- Ledertäschchen, das am Knopfloch seines grauen Rockes hing, und bat nur
- darum, man möchte die Feder nicht mit der scharfen Seite des Messers
- schaben, denn er behauptete, daß die stumpfe Seite dazu da sei.
- Diese Sittsamkeit lenkte bald sogar die Aufmerksamkeit des lateinischen
- Lehrers auf ihn, der schon im Korridor durch sein Husten, und noch bevor
- sein Friesmantel und sein blatternarbiges Gesicht in der Tür erschien,
- die ganze Klasse in Angst und Schrecken jagte. Dieser fürchterliche
- Lehrer, auf dessen Katheder stets zwei Rutenbündel prangten, und bei dem
- die Hälfte aller Schüler auf den Knien stehen mußten, machte Iwan
- Fjodorowitsch zum Auditor der anderen, obwohl es in der Klasse viele
- Schüler gab, die bedeutend begabter waren als er. Hier darf ein Fall
- nicht übergangen werden, der einen gewissen Einfluß auf Iwans Leben
- gewann. Einer der ihm anvertrauten Schüler, der den Auditor bewegen
- wollte, ihm ein »_Scit_« ins Klassenbuch zu schreiben, obgleich er keine
- blasse Ahnung von seiner Lektion hatte, brachte einen in Papier
- eingewickelten und mit Butter übergossenen Eierkuchen in die Klasse mit.
- Trotzdem Iwan Fjodorowitsch sonst stets gerecht war, war er doch gerade
- in diesem Augenblick sehr hungrig und daher konnte er der Versuchung
- nicht widerstehen. Er nahm den Eierkuchen, pflanzte ein Buch vor sich
- auf und begann ihn zu verzehren. Er war so damit beschäftigt, daß er
- nicht einmal merkte, wie es plötzlich in der Klasse totenstill wurde. So
- kam er erst wieder zu sich, als sich eine schreckliche Hand aus dem
- Friesmantel hervorstreckte, ihn beim Ohr packte und mitten in die Klasse
- zerrte. »Gib den Eierkuchen heraus, gib ihn heraus! sagt man dir, du
- Taugenichts!« rief der schreckliche Lehrer, ergriff den fettigen
- Eierkuchen mit den Fingern und warf ihn durchs Fenster, wobei er es
- übrigens nicht vergaß, den im Hofe herumlaufenden Schuljungen aufs
- strengste zu verbieten, ihn aufzuheben. Darauf schlug er Iwan
- Fjodorowitsch gleich an Ort und Stelle kräftig auf die Finger, und das
- mit Recht: denn die Finger waren ja gerade die Schuldigen, _sie_ hatten
- sich ja den Eierkuchen genommen und kein anderer Körperteil. Wie dem
- auch sei, genug, seitdem wurde Iwans Schüchternheit, die aufs engste mit
- seiner Person verwachsen war, nur noch größer. Vielleicht war eben
- dieses Geschehnis der Grund davon, daß er später nie Lust hatte, in den
- Zivildienst einzutreten; hatte er doch aus eigener Erfahrung erkannt,
- daß es uns nicht immer gelingt, unsere Sünden zu verbergen.
- Er war nicht weniger als fünfzehn Jahre alt, als er in die zweite Klasse
- versetzt wurde, wo er vom kleinen Katechismus und den vier Spezies in
- der Arithmetik, zum großen Katechismus, zum Buch von den Pflichten des
- Menschen und zu den Brüchen überging. Aber da er merkte, daß, je größer
- der Wald, um so dichter die Baumstämme beieinander ständen, und als er
- die Nachricht erhielt, daß sein Vater das Zeitliche gesegnet habe, blieb
- er nur noch zwei Jahre dort und trat dann mit Einwilligung seiner Mutter
- in das P--er Infanterieregiment.
- Das P--er Infanterieregiment war nun keineswegs von der Sorte, zu der
- die meisten Infanterieregimenter gehören; und obwohl es gewöhnlich nur
- in Dörfern lag, lebte es doch auf großem Fuße, so daß es manchem
- Kavallerieregiment nichts nachgab. Der größte Teil der Offiziere trank
- den stärksten Schnaps, den man nur durch Gefrierenlassen gewinnt, und
- verstand es nicht schlechter als die Husaren, die Juden bei den
- Schläfenlöckchen zu packen und nach sich zu ziehen; einige von den
- Offizieren konnten sogar Mazurka tanzen, und der Oberst des P--schen
- Regiments ließ sich in Gesellschaft nie die Gelegenheit entgehen, dies
- besonders zu betonen. »Bei mir,« sagte er gewöhnlich und tätschelte sich
- bei jedem Wort seinen Bauch, »bei mir im Regiment tanzen viele Mazurka,
- jawohl viele, sogar sehr viele!« Um dem Leser den Grad der Bildung, der
- im P--er Infanterieregiment herrschte, noch deutlicher vor Augen zu
- führen, wollen wir noch hinzufügen, daß zwei seiner Offiziere ganz
- schreckliche Spielratten waren und Uniform, Mütze, Mantel samt ihrer
- Troddel und ihrer Unterkleidung im Bankspiel verloren, und das kommt ja
- selbst bei den Kavalleristen nicht immer vor.
- Der Umgang mit solchen Kameraden hatte jedoch nicht im geringsten dazu
- beigetragen, die Schüchternheit von Iwan Fjodorowitsch zu vermindern,
- und da er nur einfachen Schnaps trank, und zwar _ein_ Gläschen vor dem
- _Mittag_- und _ein_ Gläschen _vor_ dem _Abend_essen -- weder Mazurka
- tanzte noch Karten spielte, so blieb er natürlich immer allein. Auf
- diese Art pflegte er, während die anderen auf Gutspferden zu den
- kleineren Grundbesitzern zu Besuch fuhren, in seiner Wohnung zu sitzen
- und sich Beschäftigungen zu widmen, die nur zu einer sanften und gütigen
- Seele passen: bald putzte er seine Knöpfe, bald las er im Wahrsagebuch,
- bald stellte er in allen Winkeln seines Zimmers Mausefallen auf, und
- bald warf er endlich die Uniform ab und lag dann lang ausgestreckt auf
- dem Bette.
- Dafür aber gab es niemand im Regiment, der zuverlässiger gewesen wäre,
- als Iwan Fjodorowitsch, und er befehligte seine Korporaltruppen so gut,
- daß der Kompagniechef ihn den andern immer zum Vorbild aufstellte. Dafür
- wurde er auch, kaum elf Jahre, nachdem er die Fähnrichscharge erhalten
- hatte, zum Sekondeleutnant ernannt.
- Während dieser Zeit erhielt er die Nachricht, seine Mutter sei gestorben
- und seine Tante, die leibliche Schwester seiner Mutter, eine Tante, die
- er nur _daher_ kannte, weil sie ihm in seiner Kindheit einmal
- getrocknete Rosinen und äußerst schmackhafte, selbst gebackene Bretzeln
- mitgebracht hatte und die ihm später dergleichen schöne Dinge sogar nach
- Gadjatsch schickte (sie war mit seiner Mutter verfeindet, und daher
- bekam sie Iwan Fjodorowitsch später nicht mehr zu sehen), -- diese Tante
- habe aus reiner Gutherzigkeit die Verwaltung seines kleinen Gutes
- übernommen, wovon sie ihm rechtzeitig in einem Briefe Mitteilung machte.
- Iwan Fjodorowitsch, der von dem verständigen Sinn seiner Tante
- vollkommen überzeugt war, verrichtete indes seinen Dienst weiter wie
- früher. Manch einer an seiner Stelle wäre, wenn er solch einen Rang
- erklommen hätte, stolz geworden; aber jeglicher Stolz war ihm völlig
- fremd, und auch als Sekondeleutnant blieb er ganz derselbe Iwan
- Fjodorowitsch, der er auch als Fähnrich gewesen war. Er brachte nach
- diesem für ihn so denkwürdigen Ereignis noch weitere vier Jahre so zu,
- und war gerade im Begriff, mit seinem Regiment aus dem Gouvernement
- Mohilew nach Großrußland zu ziehen, als er einen Brief folgenden Inhalts
- erhielt:
- »Mein lieber Neffe Iwan Fjodorowitsch!
- Ich schicke Dir Wäsche: fünf Paar Zwirnsocken und vier feine
- Leinenhemden; auch möchte ich geschäftlich mit Dir reden: da Du ja
- schon einen nicht geringen Rang erklommen, und, wie ich glaube, ein
- Alter erreicht hast, wo man weiß, daß es an der Zeit ist, sich mit
- der Landwirtschaft zu beschäftigen, so solltest Du nicht länger noch
- beim Militär bleiben. Ich bin schon alt und kann auf Deinem
- Besitztum nicht alles selbst besorgen; auch muß ich Dir vieles
- persönlich mitteilen. Komm, mein Lieber. Indem ich sehnsüchtig auf
- das Vergnügen warte, Dich wiederzusehen, verbleibe ich Deine Dich
- innig liebende Tante
- Wassilissa Zuptschewska.
- _P. S._ Bei uns im Garten gibt's jetzt herrliche Rüben: sie gleichen
- schon mehr Kartoffeln als Rüben.«
- Acht Tage nach Empfang des Briefes erhielt Iwan Fjodorowitschs Tante
- folgende Antwort:
- »Liebe Tante Wassilissa Kaschparowna!«
- »Vielen Dank für die Wäschesendung. Besonders meine Socken sind
- schon sehr alt, so daß der Bursche sie bereits viermal stopfen
- mußte; dadurch sind sie mir auch zu eng geworden. Was Ihre Ansicht
- über den Dienst anbelangt, so bin ich ganz mit Ihnen einverstanden,
- und habe daher vorgestern meinen Abschied eingereicht. Sobald ich
- den Dispens erhalte, nehme ich mir sogleich einen Wagen. Ihren
- früheren Auftrag, Ihnen sibirischen Weizensamen zu besorgen, konnte
- ich leider nicht ausführen: im ganzen Gouvernement Mohilew gibt es
- keinen solchen Samen. Schweine werden hier meistenteils mit Mais
- gemästet, wobei man etwas gegorenes Bier hinzutut.
- Mit vorzüglicher Hochachtung verbleibe ich
- Ihr Neffe
- Iwan Schponjka.«
- Endlich erhielt Iwan Fjodorowitsch seinen Abschied, und wurde dabei zum
- Oberleutnant befördert; mietete sich für vierzig Rubel einen jüdischen
- Fuhrmann von Mohilew bis Gadjatsch und nahm im Wagen Platz, just zu der
- Zeit, da die Bäume sich mit den ersten jungen Blättern schmückten, die
- Erde in frischem Grün prangte, und alle Felder einen herrlichen
- Frühlingsduft ausströmten.
- II.
- Die Reise
- Unterwegs passierte nichts besonders Bemerkenswertes. Man reiste etwas
- über vierzehn Tage lang. Vielleicht wäre Iwan Fjodorowitsch noch früher
- angekommen, wenn der fromme Jude nicht seinen Sabbath eingehalten und
- nicht den ganzen Tag über, in seine Pferdedecke gehüllt, gebetet hätte.
- Wie ich übrigens schon gelegentlich bemerkt habe, war Iwan Fjodorowitsch
- ein Mensch, der keine Langeweile aufkommen ließ. Während dieser Zeit
- schnallte er seinen Koffer auf, nahm seine Wäsche heraus, musterte sie,
- ob sie auch gut gewaschen und richtig zusammengelegt sei, entfernte
- behutsam ein Federchen von seiner Uniform, die schon keine Epauletten
- mehr zierten, und legte alles wieder in schönster Weise zusammen. Er
- liebte im Allgemeinen das Bücherlesen nicht; und wenn er auch hie und da
- in das Wahrsagebuch hineinblickte, so geschah es nur deshalb, weil er es
- gern hatte, bekannten Dingen, die er schon einige Male gelesen, wieder
- einmal zu begegnen. Genau so besucht der Städter seinen Klub, nicht etwa
- um irgend etwas Neues zu hören, sondern um dort Freunde zu treffen, mit
- denen er seit unvordenklichen Zeiten im Klub zu plaudern gewohnt ist.
- Oder so liest ein Beamter ein paarmal täglich mit viel Genuß das
- Adreßbuch, nicht etwa um irgendwelcher tiefer diplomatischer Pläne
- willen, sondern weil ihn die gedruckten Namen amüsieren. »Ah! Das ist
- Iwan Gawrilowitsch so und so! ....« murmelt er dumpf vor sich hin. »Ah!
- Da bin ich! hm! ....« Und am folgenden Tage liest er's wieder, wobei er
- seine Lektüre mit denselben Interjektionen begleitet.
- Nach einer vierzehntägigen Fahrt erreichte Iwan Fjodorowitsch ein
- Dörfchen, das hundert Werst von Gadjatsch entfernt war. Es war gerade
- ein Freitag und die Sonne war schon längst untergegangen, als er samt
- seinem Wagen und dem Juden in den Hof des Gasthauses einfuhr.
- Dieses Gasthaus unterschied sich durch nichts von allen andren
- Gasthäusern, die man in kleinen Dörfern vorfindet. Dort bringt man dem
- Fremden zumeist mit viel Eifer Heu und Hafer entgegen, gleich als ob er
- ein Postgaul wäre. Will er dagegen frühstücken, wie anständige Leute es
- gewöhnlich zu tun pflegen, so soll er sich seinen Appetit ruhig und
- unversehrt bis zu einer anderen Gelegenheit aufsparen. Indessen, da Iwan
- Fjodorowitsch all das wußte, hatte er sich rechtzeitig zwei Bündel
- Brezeln und Wurst besorgt, bestellte sich jetzt nur einen Schnaps, an
- dem es in keinem Wirtshaus fehlt, und begann sein Abendmahl, indem er
- auf der Bank vor dem Eichentisch Platz nahm, der fest in den Lehmboden
- eingegraben war.
- Währenddessen kam unter mächtigem Gerassel ein Wagen heran. Das Tor
- knarrte, aber der Wagen fuhr noch lange nicht in den Hof hinein und man
- hörte jemand mit lauter Stimme auf die Alte losschimpfen, der das
- Wirtshaus gehörte. »Gut, ich steige hier ab,« hörte Iwan Fjodorowitsch
- den Fremden rufen, »wenn mich aber auch nur eine Wanze beißt, so prügle
- ich dich durch, bei Gott, du alte Hexe, ich prügle dich durch, und
- bezahle dir nichts für dein Heu!«
- Einen Augenblick später ging die Tür auf, und herein trat, oder
- richtiger gesagt, _kroch_ ein dicker Mann in einem grünen Rock. Sein
- Kopf saß unbeweglich auf dem kurzen Halse, der infolge des Doppelkinns
- noch dicker erschien. Schon nach dem bloßen Äußeren hätte man glauben
- können, einen Mann vor sich zu haben, der sich nie den Kopf über
- Alfanzereien zerbrach, und dessen Leben ruhig dahinglitt wie Öl.
- »Ich wünsche Ihnen eine gute Gesundheit, mein Herr!« rief er, als er
- Iwan Fjodorowitsch erblickte.
- Iwan Fjodorowitsch verneigte sich stumm.
- »Darf ich fragen, mit wem habe ich die Ehre, zu sprechen?« fuhr der
- dicke Fremde fort.
- Bei diesen Fragen erhob sich Iwan Fjodorowitsch unwillkürlich von seinem
- Platze und richtete sich stramm auf, wie er es zu tun pflegte, wenn sein
- Oberst sich bei ihm nach irgend etwas erkundigte. »Leutnant außer
- Diensten Iwan Fjodorowitsch Schponjka,« antwortete er.
- »Darf ich fragen, wohin Sie zu fahren belieben?«
- »Auf mein Gut Wytrebenjki«.
- »Wytrebenjki!« rief der gestrenge Frager. »Gestatten Sie, mein Herr,
- gestatten Sie!« rief er, indem er auf ihn zutrat und mit den Armen um
- sich schlug, gleich als ob er sich gegen jemanden wehren, oder sich
- durch eine Menschenmenge hindurchdrängen wollte. Dann aber trat er auf
- ihn zu, schloß Iwan Fjodorowitsch in die Arme und küßte ihn zuerst auf
- die rechte, dann auf die linke und dann wieder auf die rechte Wange.
- Iwan Fjodorowitsch fand Gefallen an diesem Zärtlichkeitsausbruch, denn
- die großen Wangen des Fremden erschienen seinen Lippen wie zwei weiche
- Kissen.
- »Erlauben Sie, mein Herr, daß wir einander kennen lernen!« fuhr der
- Dicke fort. »Ich bin Gutsbesitzer, und zwar ebenfalls im Kreise
- Gadjatsch; ich bin Ihr Nachbar, wohne höchstens fünf Werst von Ihrem
- Gutshof Wytrebenjki entfernt auf meinem Gute Chortystsche, und heiße
- Grigori Grigorjewitsch Stortschenko. Nein, unbedingt, mein Herr,
- unbedingt .... ich will nichts von Ihnen wissen, wenn Sie nicht zu mir
- nach Chortystsche zu Besuch kommen. Jetzt muß ich eilig in Geschäften
- weiter .... Was soll denn das da bedeuten?« sprach er mit sanfter Stimme
- zu seinem Reitknecht, einem Knaben in einem Kosakenkittel mit geflickten
- Ellenbogen und verwunderter Miene, der allerhand Pakete und Schachteln
- auf den Tisch stellte. »Was soll das? Wie?« -- und Grigori
- Grigorjewitschs Stimme wurde zusehends strenger und strenger. »Habe ich
- dir etwa befohlen, das hierher zu stellen, du Schurke? Habe ich dir
- nicht befohlen, zuerst das Huhn warm zu machen, Halunke du? Pack dich!«
- rief er und stampfte mit dem Fuße auf. »Halt, du Fratz du! Wo ist denn
- das Kästchen mit den Flaschen? Iwan Fjodorowitsch!« fuhr er fort, indem
- er ein Gläschen Kräuterschnaps einschenkte, »bitte ergebenst: ärztlich
- empfohlen!«
- »Bei Gott, ich kann nicht .... ich hatte schon Gelegenheit ....« sagte
- Iwan Fjodorowitsch stockend.
- »Nein, ich will nichts hören, mein Herr!« rief der Gutsbesitzer mit
- erhobener Stimme, »ich will nichts hören! Ich rühr' mich nicht vom
- Fleck, bis Sie getrunken haben ....«
- Iwan Fjodorowitsch sah ein, daß hier eine Weigerung unmöglich war, und
- trank den Schnaps nicht ohne Vergnügen.
- »Hier ist Huhn, mein Herr,« fuhr der dicke Grigori Grigorjewitsch fort,
- indem er das Huhn in seinem Holzkästchen mit dem Messer zerlegte. »Ich
- muß Ihnen sagen, meine Köchin Jawdocha liebt es manchmal, ein Gläschen
- hinter die Binde zu gießen, und daher macht sie's zuweilen zu trocken.
- He, Junge!« und hierbei wandte er sich an den Knaben im Kosakenkittel,
- der gerade ein Federbett und ein Kissen hereinbrachte, »mach mir das
- Bett auf dem Fußboden, mitten in der Stube! Paß aber auch gut auf, lege
- recht viel Heu unter das Kopfkissen! Und reiße dem Frauenzimmer ein
- bißchen Hanf aus der Decke, damit ich mir zur Nacht die Ohren zustopfen
- kann! Sie müssen nämlich wissen, mein Herr, daß ich die Gewohnheit habe,
- mir nachts die Ohren zuzustopfen, seit jener verfluchten Geschichte, wo
- mir einmal in einer großrussischen Kneipe eine Schwabe ins Ohr gekrochen
- ist. Wie ich später erfahren habe, essen diese verdammten Russen sogar
- Kohlsuppe mit Schwaben. Es ist unmöglich zu beschreiben, was damals mit
- mir vorging: es kitzelte und kitzelte mir nur so im Ohr ... na, um auf
- die Wände zu klettern! Schließlich hat mir ein einfaches altes Weib
- geholfen, aber das war schon hier in unserer Gegend, und womit glauben
- Sie? Ganz einfach, indem sie mich besprach. Was denken Sie über die
- Ärzte, mein Herr? Ich meine, die foppen uns nur und halten uns zum
- Besten; manche alte Frau weiß zwanzigmal mehr, als all diese Ärzte.«
- »In der Tat, was Sie da zu sagen belieben, ist vollkommen richtig. In
- der Tat, es gibt ....« Und Iwan Fjodorowitsch hielt inne, als ob er kein
- passendes Wort finden konnte. An dieser Stelle muß ich sagen, daß er
- überhaupt ziemlich wortkarg war. Vielleicht rührte das von seiner
- Schüchternheit her, vielleicht aber entsprach es auch nur dem Wunsche,
- sich möglichst hübsch auszudrücken.
- »Schüttle das Heu nur recht tüchtig; tüchtig, hörst du!« rief Grigori
- Grigorjewitsch seinem Lakai zu. »Hier ist das Heu so abscheulich, daß
- man nur allzuleicht auf ein Ästchen stoßen kann. Ich erlaube mir, Ihnen
- eine gute Nacht zu wünschen, mein Herr! Morgen werden wir uns wohl nicht
- mehr sehen: ich fahre noch vor Tagesanbruch weiter. Ihr Jude wird hier
- wohl seinen Sabbath halten, morgen ist nämlich Sonnabend; da brauchen
- Sie nicht so früh aufzustehen. Vergessen Sie nur meine Bitte nicht, ich
- will einfach nichts von Ihnen wissen, wenn Sie nicht nach Chortystsche
- kommen.«
- Der Kammerdiener zog dem Grigori Grigorjewitsch Rock und Stiefel aus,
- half ihm statt dessen in einen Schlafrock hinein, und Grigori
- Grigorjewitsch warf sich auf sein Bett, was genau so aussah, wie wenn
- ein riesiges Federbett sich auf ein anderes gelegt hätte.
- »He, Bursche! Wo steckst du nur, du Schuft? Komm her, leg mir die Decke
- zurecht! He, Junge, lege mir noch Heu unter den Kopf! Wie? sind die
- Pferde schon getränkt? _Noch_ mehr Heu! Hierher, _da_ unter die Seite!
- Aber so lege mir doch die Decke zurecht, du Schurke! So! Besser, noch
- besser .... Oh! ....«
- Und Grigori Grigorjewitsch seufzte noch ein paarmal tief auf, und
- erfüllte das ganze Zimmer mit einem fürchterlichen Pfeifen, das aus
- seiner Nase hervordrang; er schnarchte zuweilen so laut, daß die alte
- Frau, die auf der Ofenbank schlummerte, aufwachte, verwundert in alle
- Ecken und Winkel guckte, und erst, als sie nichts besonderes bemerkte,
- beruhigt wieder einschlief.
- Als Iwan Fjodorowitsch am nächsten Morgen erwachte, war der dicke
- Gutsbesitzer nicht mehr da. Das war das einzige merkwürdige Ereignis,
- das sich während seiner Reise zugetragen hatte. Zwei Tage darauf näherte
- er sich seinem Gutshof.
- Er fühlte, wie sein Herz heftig zu schlagen begann, als die Windmühle,
- ihre Flügel schwenkend, hervorschaute, und als in dem Maße, wie der Jude
- seine Stuten den Berg hinaufjagte, unten eine Reihe von Weiden
- auftauchte. Hell und lebhaft schimmerte der Teich zwischen ihnen auf und
- strömte eine kühlende Frische aus. Hier pflegte er früher zu baden; und
- in demselben Teiche war er einstmals mit den Dorfjungen, bis zum Halse
- im Wasser, herumgewatet, um Krebse zu fangen. Das Wägelchen fuhr den
- Damm hinauf, und jetzt erblickte Iwan Fjodorowitsch das alte mit Schilf
- gedeckte Häuschen, und die alten Äpfel- und Kirschbäume, auf denen er
- einstmals heimlich herumgeklettert war. Kaum war er in den Hof
- eingefahren, so kamen von allen Seiten Hunde aller möglichen Rassen
- herbeigelaufen: schwarze, dunkelbraune, graue, scheckige. Die einen
- warfen sich den Pferden bellend vor die Füße, die anderen liefen
- hinterdrein, da sie merkten, daß die Achse mit Fett eingeschmiert war;
- ein Hund stand neben der Küche, hatte die Pfote auf einen Knochen gelegt
- und kläffte aus Leibeskräften; ein andrer bellte von ferne, rannte hin
- und her, und wedelte mit dem Schweif, gleich als ob er sagen wollte:
- »Seht, ihr Christenmenschen, was ich noch für ein Jüngling bin!« Mehrere
- Jungen in schmutzigen Hemden kamen herausgelaufen, um zu gaffen. Eine
- Sau, die mit sechzehn Ferkeln im Hofe herumpromenierte, hob ihre
- Schnauze mit prüfender Miene in die Höhe und grunzte noch lauter als
- sonst. Im Hofe lag auf einem Stück grober Leinwand eine Unmenge Weizen,
- Gerste und Buchweizen, und all dieses trocknete in der Sonne. Auch auf
- dem Dache lagen allerhand Kräuter zum Trocknen: Nagelkraut, Grindkraut
- und mehr dergleichen.
- Iwan Fjodorowitsch war dermaßen in Betrachtung all dieser Herrlichkeiten
- versunken, daß er erst wieder zu sich kam, als ein scheckiger Hund den
- vom Bock herunterkriechenden Juden in die Wade biß. Das Gesinde, das
- auch herbeigeeilt war und aus einer Köchin, einer Frau und zwei Mädeln
- in wollenen Röcken bestand, meldete ihm, nachdem alle laut ausgerufen
- hatten »Da ist ja der junge Herr!«, daß sich die Tante im Gemüsegarten
- befände und zusammen mit der Dienstmagd Paloschka und dem Kutscher
- Omeljka, der manchmal auch das Amt eines Gärtners und Wärters versah,
- Weizen säe. Aber die Tante, die den Wagen von ferne erblickt hatte, war
- schon selbst erschienen. Iwan Fjodorowitsch erstaunte, als sie ihn fast
- in ihren Armen in die Höhe hob, und er fing beinahe an zu zweifeln, ob
- das auch wirklich dieselbe Tante sei, die ihm so viel von ihrer
- Gebrechlichkeit und Kränklichkeit geschrieben hatte.
- III.
- Die Tante
- Tante Wassilissa Kaschparowna war damals gegen fünfzig Jahre alt. Sie
- war nie verheiratet gewesen, und sie behauptete, das jungfräuliche Leben
- sei ihr wertvoller als alles auf der Welt. Übrigens hatte -- so viel ich
- mich besinnen kann, -- auch nie jemand um ihre Hand angehalten. Das kam
- daher, daß alle Männer ihr gegenüber eine gewisse Schüchternheit
- empfanden und nicht den Mut hatten, ihr ihre Gefühle zu erklären.
- »Wassilissa Kaschparowna hat sehr viel Charakter,« sagten die Freier,
- und sie hatten recht, denn Wassilissa Kaschparowna verstand es, einen
- sammetweich zu machen. Aus dem versoffenen Müller, der zu gar nichts
- mehr zu gebrauchen war, hatte sie ohne Anwendung irgendwelcher äußerer
- Mittel und nur indem sie ihn täglich ein paarmal am Schopfe rupfte,
- verstanden, einen ganzen Menschen, ja, mehr noch, geradezu einen
- Goldklumpen zu machen. Ihr Wuchs ging ins Riesenhafte, und ihre
- Beleibtheit und Kraft entsprachen ihm. Es hatte den Anschein, als ob die
- Natur einen unverzeihlichen Fehler begangen habe, als sie es ihr zum
- Schicksal bestimmte, an den Werktagen ewig einen dunkelbraunen
- Morgenrock mit kleinen Säumchen und am Ostersonntag und an ihrem
- Namenstage einen roten Kaschmir-Schal zu tragen, während ihr ein
- Dragonerschnurrbart und lange Schaftstiefel am besten gestanden hätten.
- Dafür aber entsprach ihre Beschäftigung vollkommen ihrem Charakter, sie
- konnte rudern, und zwar besser als irgend ein Fischer; sie ging auf die
- Jagd; sie beaufsichtigte die Schnitter, sie kannte die Zahl der Kürbisse
- und Melonen auf dem Felde auswendig; sie erhob eine Steuer von fünf
- Kopeken von jedem Wagen, der über ihren Damm fuhr; sie kletterte auf die
- Bäume und schüttelte die Birnen herunter; sie prügelte eigenhändig ihre
- faulen »Vasallen« mit ihrer schrecklichen Hand und belohnte die Würdigen
- mit einem Schnaps aus derselben gestrengen Hand. Und fast zur gleichen
- Zeit konnte sie schimpfen, Leinwand färben, in die Küche rennen, Kwas
- bereiten, und Honig einmachen; sie machte sich den ganzen lieben Tag zu
- schaffen und versäumte nichts. Die Folge davon war, daß Iwan
- Fjodorowitschs kleines Gut, das nach der letzten Revision achtzehn
- Leibeigene gezählt hatte, förmlich aufblühte, und zwar im vollen Sinne
- dieses Wortes. Übrigens liebte sie auch ihren Neffen viel zu sehr und
- hob sorgsam jede Kopeke für ihn auf.
- Seit Iwan Fjodorowitsch wieder zu Hause war, ging eine große Veränderung
- in seinem Leben vor und es schlug völlig neue Bahnen ein. Es schien so,
- als ob die Natur ihn geradezu dazu geschaffen hätte, ein Gut mit
- achtzehn Leibeigenen zu beaufsichtigen. Sogar die Tante merkte, daß er
- einen guten Landwirt abgeben würde, obwohl sie ihm übrigens nicht
- gestattete, sich in alle Fragen der Wirtschaft einzumischen. »Der Junge
- ist noch nicht alt genug!« pflegte sie gewöhnlich zu sagen, trotzdem
- Iwan Fjodorowitsch mindestens vierzig Jahre alt war; »woher soll er auch
- alles wissen!«
- Er wich jedoch auf dem Felde keinen Schritt von den Schnittern und
- Mähern, und dies bereitete seiner sanften Seele einen unaussprechlichen
- Genuß. Ein Dutzend glänzender Sensen und mehr fliegen einmütig in einem
- Schwunge in die Höhe; das Gras sinkt rauschend in harmonischen Reihen
- zur Erde; und nun erklingen die Lieder der Schnitterinnen, bald lustig,
- wie beim Empfang von Gästen, und bald wehmütig, wie bei einer Trennung;
- der Abend ist still und die Luft ist rein! -- O wie köstlich ist solch
- ein Abend! Wie leicht und frisch ist die Luft! wie erscheint dann alles
- belebt: die Steppe rötet sich, blaut und glüht in allen Farben auf;
- Wachteln, Trappgänse, Möwen, Heimchen und tausende von Insekten: sie
- alle pfeifen, summen, knarren, schreien, und auf einmal ist's ein
- harmonischer Chor; und nichts verstummt auch nur für einen Augenblick.
- Schon senkt sich die Sonne herab und versteckt sich. Ah! wie frisch und
- wohlig wird einem da! Auf dem Felde werden hie und da Feuer entzündet
- und Kessel aufgestellt, und die schnauzbärtigen Schnitter setzen sich
- rings um die Kessel herum; von den brodelnden Klößen steigt ein Dampf
- auf; der Abend graut .... Es wäre schwer zu sagen, was dann in Iwan
- Fjodorowitsch vorging. Er vergaß es, wenn er sich zu den Schnittern
- gesellte, von ihren Klößen zu kosten, obwohl er sie doch so gerne aß,
- stand regungslos auf einem Fleck da, verfolgte eine hoch im Himmel
- schwirrende Möwe mit den Augen oder zählte die Garben des abgemähten
- Kornes, die das Feld überfluteten.
- Bald erzählte man überall von Iwan Fjodorowitsch, er sei ein großer
- Landwirt vor dem Herrn. Die Tante konnte sich nicht genug über ihren
- Neffen freuen und ließ sich keine Gelegenheit entgehen, mit ihm zu
- prahlen und wichtig zu tun. Eines Tages aber -- es war am Ausgang des
- Juli und schon nach Beendigung der Ernte -- faßte Wassilissa
- Kaschparowna ihren Neffen mit geheimnisvoller Miene bei der Hand und
- erklärte ihm, sie wolle mit ihm über etwas sprechen, was sie schon seit
- langem beschäftigte.
- »Es ist dir wohl bekannt, lieber Iwan Fjodorowitsch,« begann sie, »daß
- dein Gutshof achtzehn Leibeigene zählt; übrigens nur laut der letzten
- Revision, in Wirklichkeit werden's vielleicht noch mehr sein, vielleicht
- gar bis an die vierundzwanzig. Doch es handelt sich nicht darum, du
- kennst wohl das Wäldchen, das sich hinter unserer Trift befindet, und
- wohl auch die breite Wiese hinter diesem Walde: sie ist mindestens
- zwanzig Deßjatin groß, und es wächst so viel Gras darauf, daß man jedes
- Jahr für mehr als hundert Rubel davon verkaufen kann, besonders wenn,
- wie man erzählt, ein Kavallerie-Regiment in Gadjatsch stehen wird.«
- »Gewiß, liebe Tante; das Gras ist sehr gut!«
- »Ich weiß selbst, daß es sehr gut ist; aber weißt du auch, daß dieses
- ganze Land eigentlich von Rechts wegen dir gehört? Was siehst du mich so
- groß an? Hör mich an, Iwan Fjodorowitsch! Erinnerst du dich noch an
- Stepan Kusmitsch? Warum sage ich eigentlich: erinnerst du dich? Du warst
- ja damals noch so klein, daß du nicht einmal seinen Namen aussprechen
- konntest. Wie solltest du dir da noch eine Erinnerung bewahrt haben! Ich
- weiß noch: als ich grad vor Philippi zu euch kam und ich dich auf die
- Arme nahm, da hättest du mir beinahe das ganze Kleid verdorben; zum
- Glück konnte ich dich noch der Amme Matrjona übergeben, so abscheulich
- warst du damals .... Aber es handelt sich ja nicht darum. Das ganze
- Land, das sich hinter unserem Gutshof befindet, und selbst das Dorf
- Chortystsche gehörte damals Stepan Kusmitsch. Und da muß ich dir sagen
- -- denn damals warst du noch nicht auf der Welt -- der kam zu jener Zeit
- oft zu deiner Mutter zu Besuch, -- freilich zu einer Zeit, da dein Vater
- nicht zu Hause war. Ich sag' es jedoch nicht, um ihr einen Vorwurf
- daraus zu machen. -- Gott sei ihrer Seele gnädig! Obwohl die Selige mir
- gegenüber im Unrecht war. Aber es handelt sich jetzt nicht darum. Wie
- dem auch sei, genug, Stepan Kusmitsch setzte eine Schenkungsurkunde auf,
- in der er dir das Gut vermachte, von dem ich dir eben sprach. Deine
- selige Mutter hatte jedoch, -- unter uns gesagt, einen ganz wunderlichen
- Charakter. Selbst der Teufel (Gott verzeih mir dies häßliche Wort!)
- hätte sie nicht verstehen können. Wohin sie diese Urkunde gesteckt hat
- -- das weiß der liebe Himmel. Ich glaube einfach, sie befindet sich in
- den Händen des alten Junggesellen, Grigori Grigorjewitsch Stortschenko.
- Und nun ist alles diesem dickbäuchigen Schurken zugefallen. Bei Gott,
- ich wäre bereit, um alles in der Welt zu wetten, daß er die Urkunde
- einfach unterschlagen hat.«
- »Darf ich fragen, liebe Tante, ob das derselbe Stortschenko ist, den ich
- auf der Station kennen gelernt habe?« Und Iwan Fjodorowitsch erzählte
- ihr von seiner Begegnung.
- »Wer weiß!« antwortete die Tante nach kurzem Nachdenken. »Vielleicht ist
- er doch kein Schuft. Es ist wahr, er lebt erst ein halbes Jahr lang
- hier, und in so kurzer Zeit kann man einen Menschen nicht genau kennen
- lernen. Die Alte, das heißt seine Mutter, soll, wie ich gehört habe,
- eine sehr vernünftige Frau sein und sich meisterlich darauf verstehen,
- Gurken einzulegen, und ihre Mägde sollen großartige Teppiche weben. Da
- er dich, wie du sagst, so freundlich empfangen hat, so fahre nur zu ihm
- hin: vielleicht wird der alte Sünder auf sein Gewissen hören und
- zurückgeben, was ihm nicht gehört. Du kannst meinetwegen die Kalesche
- nehmen, nur haben die verdammten Kinder hinten alle Nägel herausgezogen;
- man muß vorher dem Kutscher Omeljko sagen, daß er das Leder festnageln
- soll.«
- »Wozu nur, liebe Tante? Ich nehme lieber das Wägelchen, in dem Sie auf
- die Jagd fahren.«
- Damit schloß das Gespräch.
- IV.
- Das Diner
- Iwan Fjodorowitsch kam um die Mittagszeit im Dorfe Chortystsche an, und
- wurde etwas unruhig, als er sich dem Herrenhause näherte. Dieses Haus
- war sehr lang und nicht mit Schilf gedeckt, wie die Häuser so vieler
- Gutsbesitzer in der Umgegend, sondern hatte ein Holzdach. Die zwei
- Schuppen im Hofe waren ebenfalls mit Holzdächern versehen; und das Tor
- war aus Eichenholz. Iwan Fjodorowitsch glich einem jener Stutzer, die
- auf einen Ball kommen und plötzlich bemerken, daß, wohin sie auch
- blicken mögen, alle Leute feiner gekleidet sind als sie selbst. Er ließ
- sein Wägelchen respektvoll neben einem Schuppen halten und ging zu Fuß
- auf die Freitreppe zu.
- »Ah! Iwan Fjodorowitsch!« rief der dicke Grigori Grigorjewitsch, der
- gerade im Hof herumspazierte; er hatte einen Rock an, aber keine
- Kravatte, keine Weste und keine Hosenträger. Aber auch dies Kostüm
- schien ihn bei seiner Leibesfülle noch zu belästigen, denn der Schweiß
- rieselte ihm nur so vom Gesicht herunter.
- »Sie sagten doch, daß Sie sofort kommen würden, sobald Sie Ihre Tante
- gesehen hätten; warum sind Sie denn dann nicht früher gekommen?« Und bei
- diesen Worten berührten die Lippen Iwan Fjodorowitschs die ihm
- wohlbekannten Kissen.
- »Ich war meist in der Wirtschaft beschäftigt .... Ich komme auch nur auf
- einen Augenblick zu Ihnen, eigentlich sogar in Geschäften ....«
- »Was, nur für einen Augenblick? Nein, das gibt's nicht. He, Junge!« rief
- der dicke Hausherr, und der Bursche im Kosakenkittel, den Iwan schon
- kannte, kam aus der Küche gelaufen. »Sage dem Kaßjan, er solle sofort
- das Tor schließen, -- hörst du! -- fest zuschließen! Und die Pferde
- dieses Herrn sollen auf der Stelle ausgespannt werden. Bitte, kommen Sie
- mit mir ins Haus: hier ist es so heiß, daß mein Hemd schon ganz naß
- ist.«
- Im Zimmer angelangt, beschloß Iwan Fjodorowitsch, keine Zeit zu
- verlieren, und trotz seiner Schüchternheit, mit aller Entschiedenheit
- vorzugehen.
- »Meine Tante hatte die Ehre .... Meine Tante hat mir gesagt, daß die
- Schenkungsurkunde des verstorbenen Stepan Kusmitsch ....«
- Es ist schwer zu beschreiben, welch unangenehmen Ausdruck das breite
- Gesicht Grigori Grigorjewitschs bei diesen Worten annahm. »Bei Gott, ich
- höre rein gar nichts!« antwortete er. »Ich muß Ihnen sagen, daß eine
- Schwabe in mein linkes Ohr hineingekrochen ist, (bei diesen verfluchten
- Russen gibt's überall Schwaben in den Häusern); keine Feder kann Ihnen
- beschreiben, was das für eine Qual war -- es kitzelte so fürchterlich,
- sage ich Ihnen, -- es kitzelte und krabbelte ....! Aber eine kluge Frau
- hat mir mit einem ganz einfachen Mittel geholfen ....«
- »Ich wollte nur sagen ....« wagte Iwan Fjodorowitsch ihn zu
- unterbrechen, als er sah, daß Grigori Grigorjewitsch das Gespräch
- absichtlich auf ein andres Thema lenken wollte, »daß im Testament des
- verstorbenen Stepan Kusmitsch die Rede von .... sozusagen die Rede von
- einer Schenkungsurkunde ist .... nach der ich ....«
- »Ich weiß schon, was Ihre Tante Ihnen eingeredet hat. Das ist alles
- erlogen, bei Gott, es ist erlogen! Mein Onkel hat nicht die geringste
- Schenkungsurkunde hinterlassen. Im Testament ist allerdings von einer
- Urkunde die Rede, aber wo ist sie? Niemand hat sie vorlegen können. Ich
- sage Ihnen das nur deshalb, weil ich Ihnen von Herzen wohl will. Bei
- Gott, es ist erlogen!«
- Iwan Fjodorowitsch verstummte, da ihm der Gedanke kam, es könnte der
- Tante vielleicht in der Tat nur so vorgekommen sein.
- »Ah, da kommen ja auch meine Mutter und meine Schwestern!« rief Grigori
- Grigorjewitsch. »Das Mittagessen ist also schon fertig; gehen wir!«
- Und er zog Iwan Fjodorowitsch am Ärmel ins Zimmer, wo bereits allerhand
- Schnäpse und eine kalte Platte auf dem Tische standen.
- In demselben Augenblick trat eine alte Frau herein; sie war sehr klein
- und glich einer Kaffeekanne, die mit einer Haube bedeckt ist; zwei junge
- Mädchen, ein blondes und ein brünettes, begleiteten sie. Als
- wohlerzogener Kavalier küßte Iwan Fjodorowitsch erst der Alten und dann
- den beiden Fräuleins die Hand.
- »Das ist unser Nachbar, Iwan Fjodorowitsch Schponjka, Mütterchen!« sagte
- Grigori Grigorjewitsch.
- Die Alte sah Iwan Fjodorowitsch scharf an oder gab sich vielleicht auch
- nur den Anschein, als ob sie ihn anblickte. Übrigens war sie die Güte
- selbst; es schien, als ob sie Iwan Fjodorowitsch gleich hätte fragen
- wollen: »Wie viel Gurken machen Sie zum Winter ein?«
- »Haben Sie schon einen Schnaps genommen?« fragte die Alte.
- »Sie haben wohl nicht ausgeschlafen, Mütterchen,« meinte Grigori
- Grigorjewitsch. »Wer wird denn einen Gast fragen, ob er schon einen
- Schnaps getrunken hat? Reden Sie dem Gast nur zu; ob wir aber trinken
- oder nicht, das ist schon unsere Sache. Iwan Fjodorowitsch, bitte:
- Wollen Sie Tausendgüldenkräuterlikör oder diesen Schnaps? Welchen ziehen
- Sie vor? Iwan Iwanowitsch! Nun, was stehst du so da?« rief Grigori
- Grigorjewitsch, indem er sich rückwärts wandte, und Iwan Fjodorowitsch
- sah den soeben erwähnten Iwan Iwanowitsch auf den Schnaps zugehen; dies
- war ein Mann in einem Rock mit langen Schößen und mit einem riesigen
- Stehkragen, der seinen ganzen Nacken bedeckte, so daß sein Kopf ganz im
- Kragen steckte, wie in einer Kutsche.
- Iwan Iwanowitsch trat an den Schnaps heran, rieb sich die Hände, sah
- sich das Glas genau an, schenkte ein, hielt es gegen das Licht, und goß
- den Schnaps mit einem Male aus dem Glase in den Mund, aber er schluckte
- ihn nicht herunter, sondern spülte sich erst ordentlich den Mund,
- schluckte ihn erst darauf herunter, nahm etwas Brod und gesalzene
- Eierschwämme, und wandte sich dann an Iwan Fjodorowitsch.
- »Habe ich die Ehre, mit Herrn Iwan Fjodorowitsch Schponjka zu sprechen?«
- »Jawohl,« antwortete Iwan Fjodorowitsch.
- »Sie beliebten sich seit der Zeit, wo ich Sie kenne, sehr zu verändern.
- O ja!« fuhr Iwan Iwanowitsch fort: »ich kannte Sie, als Sie noch so groß
- waren!« Dabei hielt er die Hand eine halbe Elle weit über den Boden.
- »Ihr seliger Vater -- Gott schenke ihm die ewige Seligkeit -- war ein
- seltener Mann. Er hatte solche Kürbisse und Melonen, wie man sie jetzt
- nirgends mehr findet. Hier zum Beispiel«, fuhr er fort, indem er ihn zur
- Seite führte, »werden Ihnen auch Melonen vorgesetzt werden -- aber was
- sind das für Melonen? Nicht ansehen möchte man sie. Glauben Sie mir's,
- seine Melonen waren ....« rief er mit geheimnisvoller Miene und spreizte
- die Arme, als ob er einen dicken Baum umschlingen wollte, »bei Gott,
- seine Melonen waren so dick!«
- »Gehn wir zu Tisch!« sagte Grigori Grigorjewitsch und faßte Iwan
- Fjodorowitsch rasch unterm Arm.
- Grigori Grigorjewitsch ließ sich auf seinen üblichen Platz am Ende des
- Tisches nieder; er band sich seine riesige Serviette vor und glich so
- einem jener Helden, wie sie sich die Barbiere auf ihre Schilder malen
- lassen. Iwan Fjodorowitsch setzte sich errötend auf den ihm zugewiesenen
- Platz, den beiden Fräuleins gegenüber, und Iwan Iwanowitsch versäumte
- nicht, an seiner Seite Platz zu nehmen, innerlich hocherfreut, daß er
- jemanden hatte, dem er seine Kenntnisse mitteilen konnte.
- »Nehmen Sie doch lieber kein _Bürzelbein_, Iwan Fjodorowitsch! Da ist ja
- noch ein Truthahn!« rief die Alte, zu Iwan Fjodorowitsch gewandt, dem
- der Diener vom Lande in einem grauen Frack mit schwarzem Flicken gerade
- eine Schüssel reichte. »Nehmen Sie doch ein Stück vom Rücken!«
- »Mütterchen! Es hat Sie doch niemand gebeten, sich in fremde
- Angelegenheiten zu mischen!« rief Grigori Grigorjewitsch. »Seien Sie
- versichert, unser Gast weiß selbst, was er nehmen soll! Iwan
- Fjodorowitsch, nehmen Sie doch ein Flügelchen und noch dies zweite und
- den Magen dazu! Warum haben Sie sich nur so wenig genommen? Nehmen Sie
- noch ein Beinchen! Was stehst du mit der Schüssel da und sperrst den
- Mund auf? Du sollst ihn sofort darum bitten, auf die Knie, du Schurke
- und sag sofort: >Iwan Fjodorowitsch, nehmen Sie doch ein Beinchen!<«
- »Iwan Fjodorowitsch, nehmen Sie doch ein Beinchen!« brüllte der Diener,
- mit der Schüssel in der Hand, und kniete nieder.
- »Hm! Was sind denn das für Truthähne!« sagte Iwan Iwanowitsch halblaut
- und mit verächtlicher Miene zu seinem Tischnachbar. »Darf denn ein
- Truthahn so sein, wie der da? Sie hätten mal meine Truthähne sehen
- sollen! Ich versichere Ihnen, jeder einzelne hatte mehr Fett an sich,
- als zehn solche, wie die da. Glauben Sie mir, mein Herr, man mag gar
- nicht ansehen, wie sie bei mir auf dem Hof herumspazieren -- so fett
- sind sie! ....«
- »Du lügst, Iwan Iwanowitsch!« schrie Grigori Grigorjewitsch, der
- zugehört hatte.
- »Ich will Ihnen was sagen,« fuhr Iwan Iwanowitsch zu seinem Nachbar
- gewandt fort, indem er so tat, als ob er Grigori Grigorjewitschs Worte
- gar nicht gehört hätte. »Als ich sie im vorigen Jahre nach Gadjatsch
- brachte, da bot man mir fünfzig Kopeken pro Stück, und doch wollte ich
- sie nicht dafür hergeben.«
- »Ich sage dir, du lügst, Iwan Iwanowitsch!« rief Grigori Grigorjewitsch,
- hierbei betonte er, um noch deutlicher zu sein, jede Silbe und sprach
- noch lauter als vorher.
- Aber Iwan Iwanowitsch tat so, als ob ihn das gar nicht anginge und fuhr
- in seiner Rede fort, nur sprach er jetzt bedeutend leiser als früher.
- »Ja, mein Herr, ich wollte das Geld nicht nehmen. In Gadjatsch hatte
- kein Gutsbesitzer ....«
- »Iwan Iwanowitsch! du bist ganz dumm und weiter nichts,« rief Grigori
- Grigorjewitsch laut. »Iwan Fjodorowitsch weiß doch das alles besser als
- du und glaubt dir sicher nicht!«
- Da aber fühlte sich Iwan Iwanowitsch verletzt; er verstummte und begann,
- mit dem Truthahn aufzuräumen, trotzdem dieser lange nicht so fett war,
- wie die Truthähne, die man »gar nicht ansehen« mochte.
- Eine Zeitlang ersetzte das Klappern der Messer, der Löffel und Teller
- das Gespräch; am lautesten aber hörte man, wie Grigori Grigorjewitsch
- das Mark aus einem Hammelknochen aussog.
- »Haben Sie schon gelesen,« fragte Iwan Iwanowitsch nach einigem
- Stillschweigen, steckte den Kopf aus seinem Wagen und wandte ihn Iwan
- Fjodorowitsch zu, »haben Sie das Buch: >Korobejnikows Reise ins heilige
- Land< gelesen? Ein wahrer Genuß für Seele und Leib! Jetzt werden keine
- solchen Bücher mehr gedruckt. Leider habe ich nicht nachgesehen, aus
- welchem Jahre es stammt.«
- Als Iwan Fjodorowitsch hörte, daß es sich um ein Buch handelte, begann
- er, eifrig seine Sauce aufzulöffeln.
- »Ein wahres Wunder, mein Herr, wenn man bedenkt, daß ein einfacher
- Kleinbürger all diese Länder durchwandert hat: über dreitausend Werst,
- mein Herr! Über dreitausend Werst! Wahrlich, Gott selbst hat ihn würdig
- befunden, bis nach Palästina und Jerusalem zu kommen.«
- »Sie sagen, daß er auch in Jerusalem war,« rief Iwan Fjodorowitsch, der
- noch als Soldat von seinem Burschen viel über Jerusalem gehört hatte.
- »Worüber sprechen Sie, Iwan Fjodorowitsch?« rief Grigori Grigorjewitsch
- vom Ende des Tisches herüber.
- »Ich habe, das heißt, ich bemerkte gelegentlich, daß es in der Welt
- ferne Länder gibt!« antwortete Iwan Fjodorowitsch, innerlich
- hochbefriedigt, daß es ihm gelungen war, einen so langen und schweren
- Satz zu Ende zu bringen.
- »Glauben Sie ihm nicht, Iwan Fjodorowitsch!« sagte Grigori
- Grigorjewitsch, ohne genauer hinzuhören, »alles ist gelogen!«
- Das Diner war zu Ende. Grigori Grigorjewitsch zog sich nach seiner
- Gewohnheit zurück, um ein Nickerchen zu machen; und die Gäste folgten
- der alten Hausfrau und den jungen Mädchen ins Gastzimmer, wo derselbe
- Tisch, auf dem sie den Schnaps stehen gelassen hatten, als sie sich zum
- Mittagsmahl begaben, sich wie auf einen Wink verwandelt und mit
- Schälchen voll verschiedener Konfitüren und Schüsseln mit Melonen,
- Kirschen und Zuckerkürbissen bedeckt hatte.
- Grigori Grigorjewitschs Abwesenheit machte sich an allem bemerkbar: die
- Hausfrau wurde gesprächig und teilte ganz von selbst, ohne dazu
- aufgefordert worden zu sein, mancherlei Geheimnisse über die Zubereitung
- von Marmelade und das Trocknen von Birnen mit. Selbst die jungen Mädchen
- begannen zu sprechen, doch blieb die Blonde, die sechs Jahre jünger
- aussah als ihre Schwester und von Ansehen etwa fünfundzwanzig Jahre alt
- sein mochte, etwas schweigsam.
- Am meisten aber redete und betätigte sich Iwan Iwanowitsch. Da er sicher
- war, daß ihn nun niemand mehr unterbrechen und in Verlegenheit bringen
- würde, redete er von allem möglichen: von Gurken und Kartoffelsaat,
- davon, wie gescheit die Leute früher waren -- was wären die Heutigen
- dagegen? -- und davon, wie jetzt alle immer klüger würden, je weiter man
- komme, wie man noch die allergescheitesten Dinge ersinnen würde; kurz er
- war einer von den Menschen, die sich mit dem größten Vergnügen
- erbaulichen Gesprächen hingeben und über alles reden, worüber man nur
- reden kann. Wenn das Gespräch wichtige und heilige Gegenstände berührte,
- seufzte Iwan Iwanowitsch nach jedem Worte auf und nickte leise mit dem
- Kopfe; wenn es sich um Wirtschaftsangelegenheiten handelte, so steckte
- er den Kopf aus seinem Wagen hervor und schnitt seltsame Gesichter, aus
- denen man ganz deutlich entnehmen konnte, wie man den Birnenmost
- zubereiten müsse, wie groß die Melonen seien, von denen er sprach, und
- wie fett die Gänse wären, die bei ihm im Hofe herumliefen.
- Endlich gelang es Iwan Fjodorowitsch mit vieler Mühe und erst gegen
- Abend, sich zu verabschieden; aber obwohl er leicht zu überreden war und
- man ihn geradezu zwingen wollte, über Nacht dazubleiben, bestand er doch
- auf seiner Absicht, nach Hause zu fahren -- und fuhr richtig davon.
- V.
- Der neue Plan der Tante
- »Nun? Hast du die Urkunde von dem alten Schelm herausgelockt?« Dies war
- die erste Frage, mit der Iwan Fjodorowitsch von seiner Tante empfangen
- wurde, die ihn bereits seit einigen Stunden voller Ungeduld an der
- Freitreppe erwartete, und sich schließlich kaum hatte überwinden können,
- nicht bis vors Tor zu laufen.
- »Nein, liebe Tante!« sagte Iwan Fjodorowitsch indem er ausstieg.
- »Grigori Grigorjewitsch _hat_ gar keine Urkunde.«
- »Und du hast ihm geglaubt? Er lügt, der verdammte Kerl! O, ich bekomme
- ihn noch eines Tages zu sehen, wahrhaftig, und dann prügle ich ihn mit
- meinen eigenen Händen durch. Oh, ich werde ihm schon etwas von seinem
- Fett abzapfen! Übrigens wollen wir zuerst mit unsrem Gerichtsschreiber
- reden, ob man vielleicht auf gerichtlichem Wege .... Aber es handelt
- sich jetzt ja nicht darum. Nun, war das Diner gut?«
- »Sehr gut! .... sehr gut, liebe Tante!«
- »Nun, und was gab's dort zu essen? Erzähle! ich weiß schon, die Alte
- versteht sich gut auf die Küche.«
- »Käsekuchen mit Rahm, liebe Tante; Sauce mit gefüllten Tauben ....«
- »Und gab es auch einen Truthahn mit Pflaumen?« fragte die Tante, denn
- sie selbst verstand es meisterhaft, dieses Gericht zuzubereiten.
- »Es gab auch Truthahn! .... Die Schwestern von Grigori Grigorjewitsch
- sind sehr hübsche junge Mädchen, besonders die Blonde!«
- »Ah!« rief die Tante und sah Iwan Fjodorowitsch scharf an, er errötete
- und ließ die Augen sinken. Ein neuer Gedanke blitzte in ihr auf. »So?«
- fragte sie voll Neugierde, »und was für Augenbrauen hat sie?« Hier ist
- es nicht überflüssig zu bemerken, daß für die Tante das Schönste an der
- Frau die Augenbrauen waren.
- »Das Fräulein hat genau solche Augenbrauen, liebe Tante, wie Sie sie
- nach Ihren Erzählungen in Ihrer Jugend gehabt haben müssen, und ihr
- ganzes Gesicht ist voller Sommersprossen.«
- »Ah!« rief die Tante, äußerst befriedigt über Iwan Fjodorowitschs
- Bemerkung, der allerdings nie daran gedacht hatte, der Tante ein
- Kompliment machen zu wollen. »Und was für ein Kleid hatte sie an? Man
- findet zwar heutzutage keine solchen haltbaren Stoffe mehr wie zum
- Beispiel den, aus dem dieser Morgenrock gemacht ist. Aber es handelt
- sich jetzt nicht darum. Und hast du dich gut mit ihr unterhalten?«
- »Das heißt, wie meinen Sie .... liebe Tante? Sie glauben vielleicht
- schon ....«
- »Was denn? Was ist denn Wunderbares dabei? Das ist nun mal Gottes Wille!
- Vielleicht ist's euch beiden noch beschieden, einmal ein Paar zu
- werden.«
- »Ich verstehe nicht, liebe Tante, wie Sie nur so reden können. Das
- beweist doch nur, daß Sie mich absolut nicht kennen ....«
- »So, nun fühlt er sich richtig beleidigt!« sagte die Tante. »Der Junge
- ist noch nicht alt genug!« dachte sie bei sich. »Er weiß noch von
- nichts! Ich werde die beiden mal zusammenbringen, sie sollen einander
- näher kennen lernen!«
- Und die Tante ging nach der Küche und ließ Iwan Fjodorowitsch allein.
- Aber seit der Zeit dachte sie an nichts anderes, als daran, ihren Neffen
- möglichst bald zu verheiraten und seine kleinen Enkelkinder zu wiegen.
- Ihr Kopf war nur noch von Gedanken an die Vorbereitungen zur Hochzeit
- erfüllt, und man sah ganz deutlich, daß sie noch viel emsiger war als
- vorher, obwohl alles eher schlimmer als besser ging. Wenn sie jetzt
- einen Kuchen zubereitete, den sie übrigens niemals der Köchin
- anzuvertrauen pflegte, versank sie häufig in Gedanken, bildete sich ein,
- neben ihr stehe ein kleines Enkelchen, das ein Stückchen Kuchen haben
- wollte, und streckte zerstreut die Hand mit dem besten Stücke aus; der
- Hofhund machte sich das gewöhnlich zunutze, packte den leckeren Bissen
- und weckte sie durch sein lautes Schmatzen aus ihrer Nachdenklichkeit,
- wofür der Hund übrigens immer Schläge mit dem Ofenhaken bekam. Sie gab
- sogar ihre Lieblingsbeschäftigung auf und fuhr nicht mehr zur Jagd,
- besonders seitdem sie einmal statt eines Truthahns eine Krähe geschossen
- hatte, was ihr früher niemals widerfahren war.
- Vier Tage später sah man endlich die Kalesche aus dem Schuppen in den
- Hof fahren. Der Kutscher Omeljko, der gleichzeitig auch Gärtner und
- Aufseher war, fing schon seit dem frühen Morgen an zu hämmern und das
- Leder anzunageln, während er immerzu die Hunde davonjagen mußte, die
- herankamen und an den Rädern leckten. Hier halte ich es für meine
- Pflicht, dem Leser zu berichten, daß dies dieselbe Kalesche war, in der
- schon Adam gefahren ist, und sollte daher jemand eine andere für die
- Adams ausgeben, so wäre das sicherlich eine freche Lüge, und die
- Kalesche wäre unecht. Es ist nicht genau bekannt, wie sie der Sintflut
- entronnen ist, man kann nur annehmen, daß in der Arche Noah ein
- besonderer Schuppen für sie vorhanden war. Es ist sehr schade, daß ich
- dem Leser ihre Gestalt nicht lebendig vor Augen führen kann. Es genüge
- daher zu sagen, daß Wassilissa Kaschparowna mit ihrer Bauart äußerst
- zufrieden war und es stets bedauerte, daß die alten Equipagen aus der
- Mode gekommen seien. Selbst das, daß die Kalesche etwas schief, und daß
- die rechte Seite etwas höher war, als die linke, erregte ihren Beifall,
- denn so konnte von der _einen_ Seite, wie sie behauptete, ein Mensch von
- kleinem Wuchse, und von der anderen ein großer aussteigen. Im übrigen
- konnte die Kalesche etwa fünf Personen von kleiner Statur und drei
- solche, wie die Tante, in ihrem Inneren aufnehmen.
- Als er mit der Kalesche fertig war, führte Omeljko gegen Mittag drei
- Pferde aus dem Stall, die etwas jünger waren als die Kalesche und band
- sie mit einem Strick fest an die majestätische Equipage. Iwan
- Fjodorowitsch und die Tante stiegen ein, er von der einen, sie von der
- anderen Seite, und die Pferde zogen an. Alle Bauern, die ihnen
- begegneten, blieben beim Anblick dieser vornehmen Equipage (die Tante
- pflegte nämlich nur selten in ihr auszufahren) respektvoll stehen,
- nahmen die Mützen ab und verbeugten sich bis zur Erde.
- Nach etwa zwei Stunden machte der Wagen vor der Freitreppe Halt; ich
- glaube, es ist hier nicht erst nötig zu sagen, vor wessen Freitreppe er
- hielt. Grigori Grigorjewitsch war nicht zu Hause; und die Alte und die
- Fräuleins empfingen die Gäste im Speisezimmer; die Tante näherte sich
- ihnen mit majestätischen Schritten, stellte mit viel Geschicklichkeit
- einen Fuß vor und sagte laut:
- »Gnädige Frau, ich freue mich, daß ich die Ehre habe, Ihnen persönlich
- meine Hochachtung ausdrücken zu dürfen, zugleich erlaube ich mir mit
- Respekt, Ihnen meinen Dank für die gastfreundliche Aufnahme meines
- Neffen Iwan Fjodorowitsch auszusprechen, der Ihres Lobes voll ist. Sie
- haben einen wundervollen Buchweizen, gnädige Frau, das habe ich bemerkt,
- als ich mich dem Dorfe näherte. Darf ich fragen, wieviel Sie pro
- Deßjatin ernten?«
- Hierauf küßten alle einander aufs herzlichste ab und erst als man im
- Gastzimmer Platz genommen hatte, begann die Alte:
- »Was den Buchweizen anbetrifft, so kann ich Ihnen nichts Genaues darüber
- sagen. Das ist Grigori Grigorjewitschs Ressort; ich beschäftige mich
- schon längst nicht mehr damit, auch könnte ich's nicht, selbst wenn ich
- wollte: ich bin schon zu alt dazu! In früheren Zeiten wuchs, wie ich
- mich besinne, der Buchweizen bei uns so hoch, daß er einem bis an den
- Gürtel reichte, jetzt ist das nicht mehr so, obwohl man stets behauptet,
- es werde jetzt alles immer besser.« Die Alte stieß einen Seufzer aus,
- und ein aufmerksamer Beobachter hätte in ihm das Aufseufzen des alten
- achtzehnten Jahrhunderts vernehmen können.
- »Ich habe gehört, daß bei Ihnen im Hause großartige Teppiche gemacht
- werden, gnädige Frau,« sagte Wassilissa Kaschparowna und berührte damit
- die empfindlichste Seite der Alten: bei diesen Worten lebte jene auf,
- und nun strömten ihre Reden nur so hin: wie man das Gewebe färben,
- welchen Faden man dazu nehmen müsse und was dergleichen mehr ist.
- Von den Teppichen ging die Unterhaltung bald aufs Gurkeneinlegen und
- Birnentrocknen über. Kurz, es war noch keine Stunde verflossen, da
- unterhielten sich die beiden Damen schon so lebhaft, als ob sie ihr
- Lebtag miteinander bekannt gewesen wären. Ja, Wassilissa Kaschparowna
- sprach sogar über viele Dinge so leise mit der Alten, daß Iwan
- Fjodorowitsch nichts mehr hören konnte.
- »Wollen Sie nicht selbst sehen?« sagte die greise Hausfrau und erhob
- sich.
- Die Fräuleins und Wassilissa Kaschparowna erhoben sich mit ihr und
- begaben sich ins Mädchenzimmer. Die Tante machte Iwan Fjodorowitsch ein
- Zeichen, er solle zurückbleiben und flüsterte der alten Dame etwas zu.
- »Maschenjka!« sagte die Alte zu dem blonden Fräulein, »bleibe bei
- unserem Gaste und unterhalte ihn, damit ihm die Zeit nicht zu lang
- wird!«
- Das blonde Fräulein blieb zurück und setzte sich auf das Sofa. Iwan
- Fjodorowitsch saß auf seinem Stuhle wie auf Nadeln, errötete und schlug
- die Augen nieder; aber das Fräulein schien dies gar nicht zu bemerken,
- saß gleichgültig auf dem Sofa, beobachtete fleißig die Fenster und die
- Wände, oder verfolgte die Katze, die scheu unter den Stühlen umherlief,
- mit den Augen.
- Iwan Fjodorowitsch wurde etwas mutiger und wollte schon ein Gespräch
- anknüpfen, es war ihm aber so, als ob er unterwegs alle Worte verloren
- hätte. Es wollte ihm kein einziger Gedanke in den Sinn kommen.
- Dieses Schweigen dauerte eine Viertelstunde lang, aber das Fräulein saß
- noch immer ebenso da wie früher.
- Endlich faßte Iwan Fjodorowitsch sich ein Herz. »Im Sommer gibt's so
- viel Fliegen, gnädiges Fräulein!« rief er mit einer Stimme, die vor
- Erregung zitterte.
- »Ja, außerordentlich viele Fliegen!« versetzte das Fräulein. »Mein
- Bruder hat eigens deswegen aus Mamas altem Schuh eine Fliegenklappe
- hergestellt, aber es bleiben doch noch immer sehr viele übrig.«
- Hier stockte die Unterhaltung, und Iwan Fjodorowitsch wollte durchaus
- kein Wort mehr einfallen.
- Endlich kamen die Alte, die Tante und das dunkle Fräulein zurück.
- Nachdem man sich noch etwas unterhalten hatte, nahm Wassilissa
- Kaschparowna Abschied von der Dame und den Fräuleins, obwohl sie
- dringend gebeten wurde, über Nacht da zu bleiben. Die Dame und die
- Fräuleins begleiteten die Gäste bis zur Freitreppe und winkten der aus
- der Kalesche hinausblickenden Tante und ihrem Neffen noch lange zu.
- »Nun, Iwan Fjodorowitsch, worüber hast du dich mit dem Fräulein
- unterhalten?« fragte die Tante unterwegs.
- »Marja Grigorjewna ist ein sehr bescheidenes und sittsames Fräulein!«
- sagte Iwan Fjodorowitsch.
- »Höre, Iwan Fjodorowitsch: ich will ernst mit dir reden. Du bist, Gott
- sei Dank, schon fast achtunddreißig Jahre alt; und einen schönen Rang
- hast du _auch_ schon: es wird nun bald Zeit, an die Kinder zu denken! Du
- brauchst unbedingt eine Frau ....«
- »Wie, liebe Tante!« rief Iwan Fjodorowitsch ganz erschrocken: »Wie? Eine
- Frau! Nein, liebe Tante, seien Sie doch so lieb .... Sie beschämen mich
- .... Ich bin noch nie verheiratet gewesen .... Ich weiß ja gar nicht,
- was ich mit einer Frau anfangen soll!«
- »Du wirst's schon lernen, Iwan Fjodorowitsch, du wirst es schon lernen,«
- rief die Tante lächelnd und dachte bei sich: >Kein Gedanke! Der Junge
- ist noch ein richtiges Kind: er weiß ja von gar nichts!< -- »Ja, ja,
- Iwan Fjodorowitsch!« fuhr sie laut fort, »eine bessere Frau als Marja
- Grigorjewna wirst du wohl nie finden. Außerdem hat sie dir ja doch gut
- gefallen. Die Alte und ich haben schon viel darüber gesprochen: sie wäre
- sehr froh, dich zum Schwiegersohn zu bekommen. Freilich weiß man noch
- nicht, was dieser alte Sünder Grigori Grigorjewitsch dazu sagen wird;
- aber wir werden nicht darauf achten, und sollte er dir etwa die Mitgift
- nicht herausgeben wollen, so würden wir ihn auf gerichtlichem Wege ....«
- In diesem Augenblick fuhr der Wagen in den Hof und die uralten Stuten
- lebten auf, als sie die Nähe des Stalles witterten.
- »Höre, Omeljko! laß die Pferde zuerst gut ausruhen und führe sie nicht
- gleich zur Tränke. Die Pferde sind ja noch ganz heiß. -- Also, Iwan
- Fjodorowitsch, ich rate dir, dir die Sache gründlich zu überlegen. Ich
- muß noch etwas in der Küche nachschauen: ich habe vergessen, das
- Abendbrot bei der Solocha zu bestellen und das nichtsnutzige Weib hat
- sicher nicht von selbst daran gedacht.«
- Iwan Fjodorowitsch stand da wie vom Donner gerührt. Marja Grigorjewna
- war zwar ein sehr nettes Fräulein: aber heiraten! .... Das erschien ihm
- so sonderbar und wundersam, daß er nicht ohne Schreck daran denken
- konnte. Mit einer Frau zusammen leben! .... das war doch ganz
- unbegreiflich! Er sollte nicht mehr allein in seinem Zimmer sein können,
- sondern sie würden immer zu zwei sein! .... Und der Schweiß trat ihm auf
- die Stirn, je mehr er sich in die Betrachtung vertiefte.
- Früher als sonst ging er zu Bett, aber trotz aller Bemühungen konnte er
- nicht einschlafen. Endlich suchte ihn der ersehnte Schlaf, dieser
- Ruhebringer und Tröster aller Menschen auf. Aber was war das für ein
- Schlaf! Unzusammenhängendere Träume hatte er noch niemals gesehen. Bald
- träumte er, rings um ihn rausche und drehe sich alles, und er selbst
- laufe und laufe atemlos dahin .... Schon verließen ihn die Kräfte ....
- Plötzlich aber packte ihn jemand am Ohr. »O je! Wer ist das?« -- »Das
- bin _ich_, deine Frau!« sprach eine lärmende Stimme zu ihm -- und er
- erwachte. Bald schien es ihm, er sei schon verheiratet und alles in dem
- Häuschen sei so absonderlich und so merkwürdig; in seinem Zimmer stehe
- statt eines einfachen Bettes ein Doppelbett und auf dem Stuhle sitze
- seine Frau. Es war ihm ganz eigentümlich zumute: er wußte nicht, wie er
- an sie herantreten, worüber er mit ihr sprechen sollte, und nun erst
- merkte er, daß sie das Gesicht einer Gans hatte. Zufällig drehte er sich
- um und sah eine zweite Frau, die ebenfalls einen Gänseschnabel hatte, er
- drehte sich auf die andere Seite um -- da stand eine dritte Frau, er
- wandte sich nach hinten -- da stand noch eine Frau. Da erfaßte ihn eine
- wilde Angst; er stürzte in den Garten, aber im Garten war es heiß, er
- nahm den Hut ab, und siehe: auch im Hute saß eine Frau. Schweiß bedeckte
- sein Gesicht; er wollte das Taschentuch aus der Tasche holen -- aber
- auch in der Tasche saß eine Frau; er zog sich die Watte aus dem Ohre --
- auch da saß eine Frau .... Dann hüpfte er wieder auf einem Bein, und die
- Tante sah zu und sprach mit würdevoller Miene: »Ja, jetzt kannst du
- hüpfen und springen, denn du bist ja jetzt ein verheirateter Mann.« Er
- eilte auf sie zu; aber die Tante war nicht mehr die Tante, sondern ein
- Glockenturm. Und er fühlte, wie jemand ihn an einem Strick auf den
- Glockenturm hinaufzog. »Wer zieht mich da hinauf?« fragte Iwan
- Fjodorowitsch klagend. »Ich ziehe dich, ich, deine Frau, denn du bist
- eine Glocke!« »Nein, ich bin keine Glocke, ich bin Iwan Fjodorowitsch!«
- schrie er. »Nein, du bist eine Glocke!« sprach der Oberst des P--er
- Infanterieregiments im Vorübergehen.
- Oder er träumte, seine Frau sei gar kein Mensch, sondern ein wollener
- Stoff; er käme nach Mohilew in einen Laden, und der Kaufmann fragte ihn:
- »Was für einen Stoff wünschen Sie? Nehmen Sie doch Frau, das ist der
- modernste Stoff! Er ist sehr haltbar! Man macht jetzt Röcke daraus.« Und
- der Kaufmann maß und schnitt ein Stück von der Frau ab. Iwan
- Fjodorowitsch nahm sie unter den Arm und ging damit zum jüdischen
- Schneider. -- »Nein,« meinte der Jude, »das ist ein schlechter Stoff!
- Daraus läßt sich doch niemand einen Rock machen ....!«
- Voller Angst und ganz außer sich erwachte Iwan Fjodorowitsch; der kalte
- Schweiß troff nur so von ihm herunter wie ein Platzregen.
- Kaum war er aufgestanden, so wandte er sich sofort an sein Wahrsagebuch,
- dem ein tugendhafter Buchhändler in seiner seltenen Güte und
- Uneigennützigkeit noch einen kurzen Traumdeuter angehängt hatte. Aber
- dort stand nichts, was diesem sinnlosen Traume auch nur einigermaßen
- entsprochen hätte.
- Indessen aber reifte im Kopfe der Tante ein ganz neuer Plan, von dem Sie
- im nächsten Kapitel hören sollen.
- Der verhexte Ort
- Sage
- Erzählt vom Küster an der Kirche zu ***
- Bei Gott, ich hab' das Erzählen satt! Was glaubt ihr denn? Es ist
- wahrhaftig auch zu langweilig: man erzählt und erzählt, und kommt nie
- wieder davon los! Na, meinetwegen, ich will euch noch was erzählen, aber
- gebt acht, es ist das letztemal. Ja, ihr habt also davon gesprochen, daß
- ein Mensch mit dem unreinen Geiste fertig werden könne. Gewiß, das
- heißt, wenn man genauer zusieht, dann merkt man dennoch, daß es in der
- Welt allerhand sonderbare Vorfälle gibt .... Indessen sagt das nicht:
- will einen die Teufelsmacht blenden, so tut sie es, bei Gott, sie tut
- es! ..... Nun also, mein Vater hatte im ganzen vier Kinder; ich war
- damals noch ein Grünschnabel, und war erst elf Jahre alt ... Doch nein,
- ich war noch nicht elf Jahre alt, ich erinnere mich, wie wenn's heute
- wäre, daß ich einmal auf allen Vieren herumkroch und wie ein Hund zu
- bellen anfing, und wie da mein Vater den Kopf schüttelte und mich
- anschrie: »Ei, Foma, Foma! Es ist Zeit, daß man dich verheiratet, sonst
- wirst du noch so närrisch wie ein junges Maultier!«
- Mein Großvater war damals noch gesund und -- mag ihm in jener Welt der
- Schluckauf leicht werden -- noch ziemlich gut auf den Beinen. Wenn der
- nun manchmal so ..... Aber wozu erzähle ich euch das eigentlich? Der
- eine von euch wühlt schon seit einer Stunde im Ofen herum und sucht nach
- einer Kohle für seine Pfeife, und ein anderer ist in die Kammer
- gelaufen, um sich was zu holen ... Ach was! Wenn ich mich euch noch
- aufgedrängt hätte -- aber ihr habt ja selbst darauf bestanden .... Man
- hört entweder ordentlich zu oder gar nicht.
- Mein Vater war schon im Anfang des Frühlings in die Krim gefahren, um
- Tabak zu verkaufen. Ich kann mich nun nicht mehr daran erinnern, ob er
- zwei oder drei Wagen ausgerüstet hatte; aber der Tabak stand damals hoch
- im Preise. Er nahm meinen dreijährigen Bruder mit sich, um ihn
- frühzeitig an das Handwerk zu gewöhnen; wir dagegen: der Großvater, die
- Mutter, ich, ein Bruder und noch ein zweiter Bruder blieben zu Hause.
- Der Vater hatte dicht an der Landstraße ein Stück Land, das er bebaut
- hatte; er siedelte daher in seine Hütte auf dem Felde über, und nahm
- auch _uns_ mit, um ihm die Spatzen und die Elstern von den Feldern
- verscheuchen zu helfen. Man kann nicht sagen, daß es uns gerade schlecht
- ging. Den Tag über aß man sich so sehr an Gurken, Melonen, Rüben,
- Zwiebeln und Erbsen voll, daß es einem zumute war, als ob einem die
- Hähne im Bauche krähten. Dazu brachte es auch noch etwas ein: manch ein
- Reisender zog auf der Straße vorbei, und da wollte jeder gerne eine
- Wassermelone oder eine Zuckermelone kosten, oder man brachte von den
- umliegenden Vorwerken Hühner, Eier und Truthähne herbei und tauschte sie
- ein. Das war ein schönes Leben.
- Am meisten aber freute sich der Großvater, wenn jeden Tag an die fünfzig
- Frachtfuhrleute vorbeigezogen kamen. Das sind meist Leute, die was
- erlebt und erfahren haben: und dann ging ein Erzählen los, daß man nur
- so die Ohren aufsperren mochte! Für den Großvater aber war das halt, so
- wie Knödel für einen Hungrigen. Manchmal stieß er auf alte Bekannte, --
- denn meinen Großvater kannte jedermann, -- na, ihr könnt euchs ja wohl
- selbst denken, wie das ist, wenn die alten Leute zusammensitzen: dann
- geht's taratata und taratata, über dies und jenes, diese und jene
- Zeiten, da floß ihnen wohl der Mund über, wenn sie so anfingen, sich auf
- Anno dazumal zu besinnen.
- Einst ging der Großvater über Feld -- 's ist mir wahrhaftig, als wär's
- jetzt eben geschehen --; die Sonne war im Begriff unterzugehen, und
- Großvater war damit beschäftigt, die Blätter von den Zuckermelonen
- abzunehmen; er pflegte die Melonen nämlich den Tag über mit Blättern zu
- bedecken, damit sie nicht so in der Sonne brieten.
- »Schau, Ostap!« sagte ich zu meinem Bruder, »da kommen Frachtfuhrleute
- angefahren!«
- »Wo sind die Fuhrleute?« fragte der Großvater und machte ein Zeichen auf
- einer großen Melone, damit sie ihm die Buben nicht gelegentlich wegäßen.
- Und in der Tat, auf der Landstraße kamen so an die sechs Wagen
- dahergezogen. Vorn schritt ein Fuhrmann mit einem angegrauten
- Schnurrbart. Er kam uns -- nun, wie soll ich sagen, -- so etwa bis auf
- zehn Schritte nah' und blieb dann stehen.
- »Guten Tag, Maxim! Sieh nur, wo Gott uns wieder zusammengeführt hat!«
- Der Großvater kniff die Augen zusammen: »Ah! Guten Tag! Guten Tag! Woher
- des Wegs? Ist Boljatschka auch da? Grüß Gott, Bruder! Was Teufel! Da
- sind ja alle miteinander: Krutotrystschenko! Und Petzcherytzja, Kowelek
- und Stetzko! Grüß euch Gott! Haha, hoho! ...« Und alle umarmten und
- küßten sich.
- Die Ochsen wurden ausgespannt und auf die Wiese getrieben, die Wagen
- aber blieben auf der Landstraße stehen; alle setzten sich in einen Kreis
- zusammen und steckten sich ihre Pfeifchen an. Aber da kam keiner recht
- zum Rauchen! Vor lauter Erzählen und Klatschen kam kaum ein Zug auf
- jeden. Nach dem Essen begann der Großvater, die Gäste mit Melonen zu
- bewirten. Jeder nahm eine Melone und putzte sie hübsch mit dem
- Messerchen ab (das waren alles gerissene Kerle, die waren weit in der
- Welt herumgekommen, und hatten mancherlei erfahren, daher wußten sie
- auch, wie man in der vornehmen Welt ißt -- man hätte sie geradezu an
- einen herrschaftlichen Tisch setzen können), sie putzten die Melonen
- also hübsch ab, bohrten mit dem Finger ein Löchelchen in sie hinein,
- sogen den Saft raus, zerschnitten sie in Stücke und schoben sie in den
- Mund.
- »Und ihr, Jungens!« rief der Großvater uns zu, »was haltet ihr Maulaffen
- feil? Tanzt doch los, ihr Hundesöhne! Ostap, wo ist deine Schalmei? Nun
- also, einen Kosakentanz! Foma, die Hände auf die Hüften! Recht so! hei,
- hopp!«
- Ich war damals noch ein beweglicher Bursche. Ach ja, dieses verdammte
- Alter! Jetzt kann ich's nicht mehr so: anstatt zierliche Sprünge zu
- machen, stolpere ich über meine eigenen Beine. Lang schauten der
- Großvater und die Fuhrleute uns zu, und ich merkte, daß seine Beine
- nicht mehr ruhig bleiben wollten, gleich als ob jemand an ihnen zupfte.
- »Schau, Foma!« sagte Ostap, »der alte Knaster tritt wohl selbst noch zum
- Tanze an!«
- Was glaubt ihr? Kaum hatte er das gesagt, da konnte das Großväterchen
- wirklich nicht mehr an sich halten! Der wollte den Fuhrleuten nämlich
- zeigen, was er konnte. »Was, ihr Teufelskinder? tanzt man denn so? _So_
- tanzt man!« rief er, sprang auf die Beine, streckte die Arme vor und
- stampfte mit dem Hacken auf.
- Und in der Tat, man konnte nichts dawider sagen, er tanzte wahrhaftig so
- gut, daß er auch mit der Hetmansfrau hätte tanzen können. Wir traten ein
- wenig zur Seite, und nun begann der alte Knasterbart seine Beine auf dem
- glatten Plätzchen, das sich neben dem Gurkenbeet befand, in die Luft zu
- werfen. Kaum war er jedoch bis in die Mitte des Platzes gelangt -- und
- wollte nun erst richtig losgehen, wie ein Wirbel mit den Füßen
- dahinfahren und uns ein besonderes Kunststückchen zeigen -- da wollten
- die Beine plötzlich nicht vom Fleck und aus war es! War das ein
- sonderbarer Teufelsspuk! Er fing noch einmal an, gab sich einen Schwung,
- kam wieder bis zur Mitte, aber wieder ging es nicht weiter! Tu einer,
- was er will -- es ging und ging nicht! Die Beine waren plötzlich so
- steif wie ein Stück Holz. »So eine verteufelte Stelle, so ein
- Satansspuk! Da ist wohl gar der Herodes, dieser Feind des
- Menschengeschlechts mit im Spiel!« Und nun gar noch diese Schmach vor
- den fremden Lastführern! Er fing aber wiederum an, und begann von neuem
- mit ganz kleinen Schritten im Takt herumzuhüpfen, daß es nur so eine
- Freude war, es mit anzusehen; aber wie er bis zur Mitte kam, ging's
- wieder nicht weiter, und der Tanz wollte ihm durchaus nicht gelingen!
- »Ah, verdammter Satan! Daß du doch an einer faulen Melone erstickest!
- Als Kind schon sollst du krepieren, du Hundesohn! Mir in meinen alten
- Tagen noch eine solche Schmach anzutun ....« Und in der Tat, hinter ihm
- lachte jemand laut auf.
- Er sah sich um, das Feld und die Fuhrleute waren verschwunden, hinter
- ihm, vor ihm, und zu beiden Seiten sah man nichts als flaches Land. »He
- ... da haben wir die Bescherung!« Er begann mit den Augen zu blinzeln,
- der Ort kam ihm nicht unbekannt vor: auf der einen Seite lag ein Wald,
- und hinter dem Wald ragte eine hohe Stange empor, die bis weit in der
- Ferne zu sehen war. Was Teufel! Das ist ja der Taubenschlag im
- Gemüsegarten des Popen! Auch von der anderen Seite schimmerte etwas grau
- herüber; er sah näher hin. Es war die Scheune des Gemeindeschreibers.
- Teufel auch, wohin einen die unreine Macht forttragen kann! Er lief ein
- paarmal hin und her und im Kreise herum und entdeckte endlich einen
- kleinen Pfad. Der Mond war unsichtbar, und an seiner Stelle blinkte ein
- weißer Fleck durch eine Wolke. »Morgen wird's sehr windig sein!« dachte
- der Großvater, da leuchtete plötzlich, etwas abseits vom Wege auf einem
- kleinen Grabe, ein Flämmchen auf. »Sieh mal an!« und der Großvater blieb
- stehen, stemmte die Hände in die Hüften und sah näher hin: nun war das
- Flämmchen erloschen, aber weiter und noch etwas weiter, da flackerte ein
- anderes auf. »Ein Schatz!« schrie der Großvater, »bei Gott, ich möchte
- alles darum geben, daß das ein Schatz ist!« Und schon wollte er sich in
- die Hände spucken, um nach dem Schatz zu graben, da fiel ihm ein, daß er
- ja weder Schippe noch Spaten bei sich hatte. »Schade, schade! Aber wer
- weiß? Vielleicht braucht man nur den Rasen wegzuräumen, und der
- Herzensschatz liegt gleich darunter! Na, da ist eben nichts zu machen!
- Merken wir uns wenigstens den Platz, daß wir's später nicht vergessen.«
- Er nahm einen mächtigen Ast, der offenbar vom Sturm zerbrochen worden
- war, wälzte ihn auf das Grab, auf dem das Licht gebrannt hatte, und ging
- seines Weges. Der junge Eichenwald lichtete sich; und ein geflochtener
- Zaun tauchte vor ihm auf. »Na also, hab' ich's nicht gleich gesagt, daß
- es die Trift des Popen ist!« dachte der Großvater, »da ist ja auch sein
- Zaun. Jetzt ist's keine ganze Werst mehr bis zu meinem Melonenfeld.«
- Er kam aber erst spät am Abend heim und wollte nicht einmal von den
- Klößen kosten. Er weckte meinen Bruder Ostap, fragte nur, ob die
- Fuhrleute schon lange fort seien, und wickelte sich dann in seinen
- Schafspelz. Mein Bruder wollte ihn ausfragen. »Wo haben dich denn heute
- die Teufel hingebracht, Großvater?« begann er.
- »Frage nicht,« sagte dieser, sich noch fester in seinen Pelz hüllend,
- »frage nicht, Ostap, vom vielen Fragen kriegt man graue Haare!« Und er
- fing so an zu schnarchen, daß die Sperlinge, die sich im Melonenfelde
- niedergelassen hatten, vor Schreck in die Luft aufflogen. Aber in
- Wahrheit schlief er gar nicht! Es ist nicht zu sagen, was das für eine
- schlaue Bestie war -- Gott hab ihn selig -- aber er verstand es
- vorzüglich, sich mit allem abzufinden. Manchmal konnt' er einem ein
- Liedchen singen, daß man sich nur so in die Lippen biß.
- Kaum aber brach der nächste Tag an, und kaum begann es im Felde zu
- dämmern, da zog der Großvater seinen Kittel an, legte den Gürtel um,
- nahm einen Spaten und eine Schaufel unter den Arm, setzte die Mütze auf,
- trank einen Krug Brotkwas, wischte sich die Lippen mit dem Rockschoß und
- ging geradewegs in des Popen Gemüsegarten. Er war schon am Zaun und an
- dem niedrigen Eichenwäldchen vorbei. Da schlängelte sich zwischen den
- Bäumen ein Pfad hin, der gerad ins Feld führte; offenbar derselbe, den
- er gestern entdeckt hatte. Er betrat das Feld -- es war dieselbe Stelle,
- wo er gestern gewesen war. Da ragte auch der Taubenschlag in die Höhe,
- aber die Scheune war nicht zu sehen. »Nein, das ist nicht der rechte
- Ort. Der liegt also etwas weiter; ich muß offenbar umkehren und auf die
- Scheune zugehen!« Er kehrte also um, und ging auf einem andern Wege
- weiter: jetzt war die Scheune zu sehen, aber nun war der Taubenschlag
- fort! Er kehrte also wieder um und näherte sich dem Taubenschlag, doch
- nun war wieder die Scheune verschwunden. Und nun begann, wie zu Fleiß,
- noch ein Regen herunterzurieseln. Er lief wieder nach der Scheune --
- aber der Taubenschlag war fort; oder zum Taubenschlag -- dann war die
- Scheune fort.
- »Verfluchter Satan, daß du es nie mehr erlebtest, deine Kinder zu
- sehen!« Der Regen aber rauschte in Strömen herab. Der Großvater zog sich
- die neuen Stiefel aus, wickelte sie in ein Tüchlein ein, damit sie sich
- nicht vor Nässe zusammenzögen und gab Fersengeld wie ein
- herrschaftlicher Renner. Er kroch, ganz durchnäßt bis auf die Knochen,
- in die Hütte, bedeckte sich mit dem Schafspelz und begann etwas durch
- die Zähne zu murmeln und den Teufel mit so lieblichen Worten zu
- traktieren, wie ich sie mein Lebtag noch nicht gehört habe. Ich gestehe,
- ich wäre ganz rot geworden, wenn so etwas am helllichten Tage geschehen
- wäre.
- Am anderen Morgen erwache ich und sehe: der Großvater zieht auf dem
- Felde umher, als ob nichts geschehen wäre und bedeckt die Wassermelonen
- mit Blättern von Kletten. Beim Essen wurde der Alte erst wieder
- gesprächig und begann meinen jüngeren Bruder damit zu schrecken, daß er
- ihn gegen ein Paar Hühner umtauschen werde wie eine Wassermelone; nach
- Tisch schnitt er sich selbst eine Flöte aus Holz und fing an, auf ihr zu
- blasen; dann gab er uns eine Melone zum spielen, die ganz
- zusammengeschrumpft war wie eine Schlange, und die er eine türkische
- Melone nannte. Ich habe nie wieder eine solche Melone gesehen; er hatte
- den Samen von weit her gesandt bekommen.
- Abends, nach dem man gevespert hatte, ging der Großvater mit dem Spaten
- ins Feld, um ein neues Beet für die späten Kürbisse zu graben. Wie er
- nun an der behexten Stelle vorüberkam, da konnte er nicht an sich halten
- und murmelte durch die Zähne: »Verfluchter Ort!«, er trat in die Mitte
- des Platzes, wo er tags zuvor nicht hatte zu Ende tanzen können, und
- schlug wütend mit dem Spaten auf die Erde. Da lag plötzlich wieder
- dasselbe Feld vor ihm: auf der einen Seite ragte der Taubenschlag empor,
- auf der anderen stand die Scheune. »Noch gut, daß ich so klug war, einen
- Spaten mitzunehmen,« dachte er: »Da ist auch der Pfad, da ist das Grab,
- und da liegt noch der Ast! Sieh, da brennt ja auch das Flämmchen! Daß
- ich mich nur nicht irre!«
- Leise lief er herzu, hob den Spaten in die Höhe, als ob er einem Eber,
- der sich bis ins Feld verirrt hatte, einen Schlag versetzen wollte, und
- blieb vor dem Grabe stehen. Das Flämmchen war erloschen und auf dem
- Grabe lag ein mit Gras bewachsener Stein. »Diesen Stein muß ich heben!«
- dachte der Großvater und begann rings um ihn herum die Erde aufzugraben.
- Der verfluchte Stein war verdammt groß! Doch, nun stemmte er die Füße
- fest gegen die Erde und stieß ihn vom Grabe herab. »Bums --!« dröhnte es
- weit durch's Tal. »Nun sind wir dich los! Jetzt wird die Arbeit
- schneller gehen!« dachte der Großvater.
- Und der Alte machte ein wenig Halt, holte seinen Tabaksbeutel hervor,
- schüttete sich etwas Tabak auf die Faust und wollte ihn an die Nase
- bringen, als plötzlich über seinem Kopfe ein »Pschü!« ertönte und jemand
- so laut nieste, daß die Bäume zu schwanken begannen und das ganze
- Gesicht des Großvaters bespritzt wurde. »Du könntest dich doch auch
- abwenden, wenn du niesen willst!« rief der Großvater und rieb sich die
- Augen. Er sah sich um, aber es war niemand da. »Der Teufel liebt wohl
- den Tabak nicht!« fuhr er fort, steckte den Beutel wieder in die Brust
- und nahm den Spaten wieder in die Hand. »Er ist wirklich dumm genug
- dazu! Solch einen Tabak hat weder sein Großvater noch sein Vater je
- geschnupft!« Und er begann zu graben. Die Erde war weich, und der Spaten
- versank nur so in ihr. Jetzt klirrte etwas. Er schaufelte die Erde weg
- und erblickte einen Kessel.
- »Ah, Täubchen, hier also bist du!« rief der Großvater und schob den
- Spaten unter den Kessel.
- »Ah, Täubchen, hier also bist du!« piepte ein Vogel und pickte auf den
- Kessel.
- Der Großvater wich zur Seite und ließ den Spaten fallen.
- »Ah, Täubchen, hier also bist du!« blökte ein Hammelkopf von einem
- Baumwipfel herab.
- »Ah, Täubchen, hier also bist du!« brüllte ein Bär, seine Schnauze
- hinter dem Baum hervorschiebend.
- Den Großvater überlief es kalt. »Hier hat man ja rein Angst, noch ein
- Wort zu sagen«, brummte er vor sich bin.
- »Hat man ja rein Angst, ein Wort zu sagen!« piepte der Vogelschnabel.
- »Angst, ein Wort zu sagen!« blökte der Hammelkopf.
- »Wort zu sagen!« brüllte der Bär.
- »Hm ....« machte der Großvater, und schrak zusammen.
- »Hm!« piepte der Vogel.
- »Hm!« blökte der Hammelkopf.
- »Hum!« brüllte der Bär.
- Voll Angst blickte der Großvater um sich: O Gott, was für eine Nacht!
- Weder Mond, noch Sterne; und ringsumher nichts wie Schluchten; ihm zu
- Füßen lag ein schier bodenloser Abgrund, ihm zu Häupten hing ein Fels
- herab, der gerade auf ihn herunterstürzen wollte! Und es deuchte den
- Großvater, als blinzelte ihn hinter dem Felsen eine Fratze an: Hu! Hu!
- Die hatte eine Nase wie der große Blasebalg in der Schmiede; die Nüstern
- waren so groß, daß man einen Eimer Wasser in jede hinein gießen konnte,
- und zwei Lippen hatte sie, bei Gott, rein wie zwei Holzklötze! Die roten
- Augen glotzten nach oben und dazu steckte sie noch die Zunge heraus und
- bläkte ihn an! »Hol dich der Teufel!« rief da der Großvater und warf den
- Kessel hin. »Da hast du deinen Schatz! Solch eine widerwärtige Fratze!«
- Und schon wollte er Reißaus nehmen, aber da sah er sich um, und siehe
- da, es war alles wie früher. »Der Satan will mich nur schrecken!« dachte
- er sich.
- Er ging wieder daran, den Kessel auszugraben -- doch nein, er war zu
- schwer! Was war da zu machen? Er konnte ihn doch nicht etwa da lassen!
- So nahm er denn alle Kraft zusammen und packte ihn mit beiden Händen:
- »Nun also, eins -- zwei, drei!« und er hatte ihn emporgehoben. »So,
- jetzt nehmen wir mal erst eine Prise!« dachte er sich.
- Er holte den Tabaksbeutel hervor. Zuerst aber sah er sich um, ob auch
- niemand da war. Nein, es war niemand da, so schien es wenigstens! Aber
- auf einmal kam es ihm so vor, als ob der Baumstamm ihn anfauchte und
- sich aufblies, zwei Ohren traten hervor, ein Paar rote Augen quollen
- heraus, die Nüstern bliesen sich auf und eine Nase zog sich kraus, als
- wollte sie niesen. »Nein, ich will lieber doch nicht schnupfen!« dachte
- der Großvater und steckte den Tabak wieder ein. »Sonst spuckt mir der
- Satan wieder in die Augen!« Er ergriff also schnell den Kessel und
- begann aus allen Leibeskräften zu laufen, da fühlte er, wie ihm von
- hinten jemand wie mit Ruten auf die Beine schlug ..... »O je, o je!«
- schrie der Großvater und rannte weiter, als ob er nicht gescheit wäre;
- erst als er an des Popen Gemüsegarten vorbeikam, schöpfte er wieder ein
- wenig Atem.
- »Wo mag nur der Großvater geblieben sein?« dachten wir, nachdem wir drei
- Stunden auf ihn gewartet hatten. Die Mutter war schon längst vom Vorwerk
- zurückgekommen und hatte einen Topf mit heißen Klößen mitgebracht. Der
- Großvater aber kam und kam nicht! Wir setzten uns also allein hin, um zu
- vespern. Nach dem Abendessen wusch die Mutter den Topf und suchte mit
- den Augen nach einer Stelle, wo sie das Spülicht ausgießen konnte; denn
- ringsum gab es nichts als Beete, da sieht sie auf einmal, wie ihr eine
- Tonne entgegengerollt kommt. Es war ziemlich dunkel. Sicherlich hatte
- sich jemand von den Burschen mutwillig hinter die Tonne gesteckt und
- schob sie vor sich hin. »Ei, da kann ich ja das Spülicht in die Tonne
- gießen,« sagte sie und goß das heiße Spülicht hinein.
- »O weh!« schrie da eine tiefe Baßstimme auf. Sieh da. Es war der
- Großvater! Ja, wer konnte denn das wissen! Bei Gott, wir dachten
- einfach, ein Faß käme herangerollt! Offen gestanden, wenn's auch eine
- Sünde ist, aber es war wirklich furchtbar komisch, als der graue Kopf
- des Großvaters ganz von Spülicht triefend und mit Melonenschalen behängt
- hervorschaute.
- »So ein Teufelsweib!« rief der Großvater und wischte sich den Kopf mit
- dem Rockschoß ab. »Wie die mich verbrüht hat, rein wie ein Schwein vor
- Weihnachten! Na, Jungens, jetzt sollt ihr aber Bretzeln bekommen. Ihr
- sollt nur in goldenen Schupans herumlaufen, ihr Hundesöhne. Seht her!
- Seht, was ich euch mitgebracht habe!« rief der Großvater und deckte den
- Kessel auf.
- Und was glaubt ihr wohl, was drin war? Überlegt's euch wohl, hört ihr --
- ihr denkt wohl: Gold? Aber das ist's ja eben, daß es kein Gold war:
- Mist, Unrat und sowas ..... Es ist eine Schande zu sagen, was alles da
- drin war. Der Großvater spuckte aus, warf den Kessel hin und wusch sich
- die Hände.
- Und seit der Zeit beschwor uns der Großvater, niemals dem Teufel zu
- trauen. »Denkt lieber gar nicht dran!« sagte er oft zu uns. »Alles, was
- der Feind Jesu Christi spricht, hat er erlogen, dieser Hundesohn! Der
- hat auch nicht für einen Deut Wahrheitsliebe!« Und kaum vernahm der
- Alte, daß es irgendwo rumore, so rief er uns schon zu: »Schnell Kinder,
- machen wir ein Kreuz darüber! So, so, so geschieht's ihm recht! Tüchtig
- soll er's kriegen!« und dann legte er los mit dem Kreuzschlagen. Jenen
- verhexten Ort aber, an dem er nicht zu Ende tanzen konnte, ließ er
- umzäunen und ließ von da ab alles, was man nicht brauchen konnte, also
- den ganzen Schutt und Unrat, den er auf dem Felde ausgrub, dort
- hinwerfen.
- So also foppte des Satans Macht den Menschen! Ich kenne diesen Ort sehr
- gut: später haben ein paar Kosaken aus der Nachbarschaft ihn von meinem
- Vater gepachtet, um ihn zu bebauen. Der Boden ist prachtvoll, und die
- Ernte war immer ganz herrlich; aber von einem behexten Orte kann ja nie
- Gutes kommen. Man sät etwas, was man braucht, dann aber geht etwas auf,
- wovon nur der Teufel weiß, was es ist: Es ist kein Kürbis, keine Melone
- und auch keine Gurke ..... Weiß der Teufel, was es ist.
- Biographische Skizze
- von
- B. Schenrock
- Übersetzt von _Alexandra Ramm_
- Nikolaj Wassiljewitsch Gogol, der mit vollem Recht als einer der großen
- schöpferischen Geister im Gebiete der Wortkunst anerkannt wird, hat
- sich, wie bekannt, seinen Anspruch auf Unsterblichkeit nicht nur durch
- die großen Qualitäten seiner Werke, sondern auch durch die entscheidende
- Wirkung erworben, die er als richtunggebende Kraft auf die gesamte
- Entwicklung des russischen Schrifttums ausübte. Als ein Schriftsteller,
- der der Literatur unschätzbare Dienste erwies: indem er sie von der
- Nachahmung befreite und sie endgültig auf die Darstellung des wirklichen
- Lebens richtete, hat Gogol sich für immer einen der ersten Plätze in der
- Literaturgeschichte gesichert, wie groß auch die Verdienste seiner
- Nachfolger sein mögen.
- Die persönlichste Note Gogols, des Menschen wie des Dichters, ist die
- unbezweifelbare Eigenart seiner Erscheinung, dies Wort in seinem
- höchsten Sinne genommen. Ihr hat er es zu verdanken, daß er fast allein
- durch sein natürliches Temperament die hohe Vollkommenheit erreichte,
- die seine Werke auszeichnet. Es ist kaum möglich, einen ähnlich
- bedeutsamen Vertreter der russischen Literatur zu nennen, der in gleich
- geringem Maße fremden Einflüssen verpflichtet ist.
- Gogol war ein echter Kleinrusse. Im Gegensatz zu der Mehrzahl der großen
- russischen Dichter war er sowohl seiner Abstammung wie seiner Erziehung
- nach fast gänzlich frei von jeder Beimischung fremder Einwirkungen. Mit
- den frühesten Eindrücken seiner Kindheit sog er zugleich alle nationalen
- Eigenheiten des Kleinrussentums ein, als er noch die Luft seiner
- heimatlichen, so inniggeliebten Ukraine atmete. Immer blieb ihm
- Kleinrußland, das der Gegenwart wie der Vergangenheit, teuer und er
- forschte lebhaft nach seinen Ahnen, wenn auch nicht in dem Sinne
- genealogischen Nachspürens. Im Gegenteil: Gogol empfand aufs tiefste den
- _dichterischen_ Zauber der Erinnerung an die Ahnen, dem er in folgenden
- tief gefühlten Zeilen Ausdruck gab: »O Vergangenheit, Vergangenheit!
- Welch ein Jubel, welch eine Befreiung erfüllt unsere Seele, wenn wir von
- dem hören, was vor langer, langer Zeit, vor Jahr und Tag einmal in der
- Welt geschah! Und wenn nun noch ein Blutsverwandter, ein Großvater oder
- Urgroßvater an jenen Ereignissen teilnahm, ah -- dann verstummt der
- sonst so beredte Mund.« Wir wollen hier nicht die Geschichte Ostaps
- erzählen, der vermutlich ein Ahne Gogols war und bemerken nur, daß diese
- echt kleinrussische Familie, wenn auch nur für kurze Zeit, mit zweien
- ihrer Mitglieder in die Reihen der polnischen Schlachta eingetreten war,
- was eine Erklärung für den zweiten polnischen Namen liefert, dem die
- Gogols dem ihren anfügten: Gogols Urgroßvater hieß Jan, nach ihm nannten
- sie sich auch Janowski, und ihr Erbgut im Kreise Mirgorod,
- Regierungsbezirk Poltawa, erhielt den Namen Janowschtschina (wie ein
- anderes Gut, Wassiljewka, seinen Namen nach Gogols Vater Wassilij
- erhalten hatte). Später war Gogol bemüht, diesen zweiten Namen
- abzulegen, denn er behauptete, daß »die Polen« dieses Anhängsel erfunden
- hätten.
- Und doch war Gogol den Professoren und Mitschülern fast ausschließlich
- unter dem Namen Janowski bekannt. Schon der Sohn Jan Gogols war
- griechisch-katholisch geworden; er wurde in der Kiewer Akademie erzogen
- und trat sogar in den geistlichen Stand ein; sein Enkel, der Großvater
- unseres Dichters, war den Zeugnissen nach, die sich erhalten haben, ein
- echter Kleinrusse. Für uns hat die Bekanntschaft mit den Ahnen Gogols
- vor allem die Bedeutung, daß sie uns von der Überlieferung alle als
- hochbegabte Menschen geschildert werden -- jedenfalls waren sie keine
- gewöhnlichen Erscheinungen. Auch der Vater Gogols, Wassilij
- Afanaßjewitsch, war ein außerordentlich begabter und herzensguter
- Mensch, mit einem lebendigen und wißbegierigen Verstand, literarischen
- Neigungen und einem ausgesprochenen Erzählertalent. Sorglos und geliebt
- von Nachbarn und Freunden begnügte er sich mit seinem bescheidenen
- Familienglück und träumte nie von dem lockenden Ruhm des Dichters. Ein
- Zufall, die Übersiedelung nach dem Gute des bekannten kleinrussischen
- Magnaten Troschtschinsky, einem Verwandten seiner Frau, Kibinzu,
- erschloß der dichterischen Begabung Wassilij Afanaßjewitschs ein
- würdigeres Feld. Dank der weitherzigen Gastfreundschaft Troschtschinskys
- war dieser immer von Freunden umringt: stets standen Zimmer und ganze
- Flügel für die Ankömmlinge bereit. In seinem Hause herrschte ewiger
- Feiertag: man musizierte, spielte Theater, arrangierte Feste -- und
- alles war immer von einer erregten Atmosphäre von Freude und Glanz
- umgeben. Nicht minder hing man in diesem Schlosse geistigen Interessen
- nach: selbst bloße Vergnügungen trugen das Merkmal vollendeten Taktes
- und Geschmacks, und keiner widerstand dem bezaubernden Eindruck des
- Ganzen. Gogols Eltern wurden hier gern gesehen, und man schien in diesem
- zeitgenössischen Athen dem alltäglichen Leben ganz entrückt zu sein.
- Am 19. März 1800 wurde W. A. Gogol, das ältere von den zwei am Leben
- gebliebenen Kindern, unser Dichter, geboren. Von dem ersten Tag an war
- er der Abgott der Familie, vor allem der Mutter, deren Güte und
- Freundlichkeit allgemein hochgeschätzt wurde. Es ist selbstverständlich,
- daß der Knabe von seinen Eltern mit zartester Sorgfalt behütet wurde,
- und so wuchs er mitten unter Gutsherrn und Bauern alten Schlages auf.
- Schon als Kind hatte ihm die Natur eine außerordentliche
- Beobachtungsgabe verliehen, und so prägte sich ihm von früher Jugend an
- das Bild eines kleinrussischen Dorfes ein: unmerklich schleichen sich
- die kleinrussischen Sagen, Sitten und Tänze in sein Herz. Auf dem Gute
- Troschtschinskys lernt er vieles kennen, was ihm in der Enge seines
- väterlichen Hauses ewig unbekannt geblieben wäre. Und hier erlebte er
- seinen ersten künstlerischen Genuß: als er bezaubert den Dramen
- Kotlarewskis zuschaute, die von Leibeigenen auf dem Haustheater gespielt
- wurden. Mit zehn Jahren brachte man ihn nach Poltawa, um ihn dort für
- sein späteres Studium vorbereiten zu lassen; bald jedoch wurde er nach
- Njäschin geschickt in das »Gymnasium der höheren Wissenschaften,« wo er
- vom Mai 1821 bis Juni 1828 als Schüler verblieb. In der Schule machte
- der kränkliche, nicht allzufleißige Knabe, der seine geringe Zuneigung
- zu den Wissenschaften durch eine innige Hingabe an allerlei kleine
- Streiche und Neckereien ersetzte, weder auf seine Altersgenossen noch
- auf die älteren Schüler einen besonders guten Eindruck: die einen
- lachten ihn als einen Spaßmacher aus, die andern verachteten ihn als
- einen Faulenzer. Der natürlichen Begabung des Knaben, die sich vorläufig
- nur dadurch kundgab, daß er den Lehrern treffende Spitznamen gab und
- ihre Eigenheiten geschickt nachahmte, schenkte keiner irgendwelche
- ernstere Beachtung: aber die von ihm erfundenen Spitznamen werden von
- den andern sogleich aufgegriffen, und alles belacht seine närrischen
- Streiche, wenn auch keiner glaubt, daß sich hierin irgend etwas
- ungewöhnliches ausdrückt. In dieser Zeit faßt er plötzlich eine
- leidenschaftliche Hinneigung zur Malerei, wohl auch zu Büchern: aber
- bald beherrscht das Theater widerspruchslos seine Sehnsucht. Er bemüht
- sich, im Njäjiner Lyzeum kleine Aufführungen zu arrangieren und als
- Schauspieler gelingen ihm vor allem die Rollen der komischen Alten.
- Seine Leidenschaft entflammte auch seine Kameraden. Bald gibt er eine
- Schülerzeitschrift heraus und träumt von seiner Zukunft, die sich in
- lichten Farben vor ihm eröffnet. Als er sechzehn Jahre alt ist, stirbt
- sein Vater plötzlich. Dadurch wird seine Entwicklung entscheidend in
- eine andere Bahn gelenkt. Aus dem spielerischen Knaben wird unversehens
- ein Jüngling. Sein und seiner Angehörigen Schicksal, dem er sich ganz
- widmen will, bemächtigt sich seiner Phantasie: vor allem will er der
- jüngeren Schwester den Vater ersetzen. Noch immer sind seine
- Fortschritte in der Schule gering, nur für Geschichte wird ein größeres
- Interesse bei ihm bemerkbar, ebenso für die Poesie, wenn ihn auch der
- Literaturunterricht im Gymnasium wenig anzieht. Er macht sich über den
- Professor, dessen vorsintflutliche Anschauungen noch in der »guten alten
- Zeit« wurzeln und der Puschkin verachtet, lustig ... Und dann erwacht
- die jugendliche Sehnsucht nach Freundschaft in ihm. Außer seiner
- Knabenfreundschaft mit Danilewski, dem Sohne des Gutsnachbars, gewinnt
- er noch Wyssozki und die Brüder Prokopowitsch zu Freunden. Die letzten
- Jahre der Schulzeit eilen schnell vorüber; Wyssozki, der die Schule
- absolviert hat, reist nach Petersburg, und Gogol, der oft mit dem
- Freunde von der Hauptstadt im Norden geträumt hat, sehnt sich heiß nach
- den Ufern der Newa. Seine Träume zaubern ihm das herrliche Leben in
- Petersburg vor, wo die großen Ziele locken: gereizt empfindet er das
- Provinzielle seiner Umgebung. Seine scharfe Beobachtungsgabe verbindet
- sich mit schneidendem Humor zu bissigen Ironien. Aus den kühnen Träumen
- der Jugend gestaltet sich das Idyll »Hans Küchelgarten«. Endlich naht
- die Zeit der Abschlußprüfung. Gogol fühlt, daß er noch große Lücken
- auszufüllen hat und beginnt angestrengt zu arbeiten. In den Briefen an
- seine Mutter, die in dieser Zeit geschrieben sind, macht er der Schule
- bittere Vorwürfe, daß sie ihn so lange aufgehalten hat, ohne ihm sichere
- Kenntnisse beizubringen. Aber endlich besteht er die Prüfling.
- Er kehrte auf kurze Zeit in seine Heimat zurück, um dann mit seinem
- treuen Kameraden Danilewski nach Petersburg zu fahren. Bald enttäuscht
- die grausame Wirklichkeit die großartigen Träume der Jugend: statt in
- einem großen Zimmer mit hohen Fenstern auf die Newa hinaus zu wohnen,
- muß er sich mit einem Raum in einer höheren Etage in einer viel
- prosaischeren Gegend begnügen; die hohen Preise machen ihn
- niedergeschlagen. Die Empfehlungsbriefe, mit denen ihn die sorgliche
- Mutter ausgerüstet hatte, öffnen ihm zwar die Häuser einiger angesehener
- Personen, bleiben aber ohne jegliches praktisches Resultat. Er leidet
- Not und muß im Winter mit einem Sommermantel herumlaufen. Er muß allen
- Vergnügungen entsagen: nicht einmal das heißgeliebte Theater kann er
- besuchen ... Er fühlt sich tief unglücklich und mit fieberhafter Eile
- unternimmt er einen Versuch nach dem andern; aber alles mißglückt ihm.
- Er erinnert sich der Erfolge, die er auf der Bühne des Schultheaters
- errungen hatte und läßt sich als Schauspieler prüfen: aber sein Organ,
- klar und jeder Übertreibung bar, macht auf die zeitgenössischen
- Theateraristarchen einen ungünstigen Eindruck. Er selbst bemerkt es
- während der Probe und entfernt sich heimlich, ohne das Resultat
- abzuwarten. Dann fiel es ihm ein, sein Idyll »Hans Küchelgarten« drucken
- zu lassen, aber die Kritik nahm es kühl auf, und der gekränkte Dichter
- warf eiligst seinen Erstling in die Flammen. Inzwischen war ihm aber das
- Interesse der Petersburger für alles Kleinrussische aufgefallen, und der
- unternehmungslustige Jüngling beschäftigt sich mit dem Plan, die
- Komödien seines Vaters aufzuführen. Ebenso beginnt er, mit Hilfe der
- Mutter und seiner Freunde näheres Material für einige geplante
- kleinrussische Erzählungen zu sammeln, die er auch wirklich
- niederschreibt und die unter dem Namen »Abende auf dem Gutshof bei
- Dikanka« bald eine umfassende Popularität erlangten. Über seine Stimmung
- zu dieser Zeit mögen einige Zeilen Auskunft geben, die einem
- gleichzeitigen Brief an seine Mutter entnommen sind: »Ist das eine ein
- Mißerfolg, kann man zum andern greifen, und mißglückt das auch -- dann
- zum dritten usw. Das Kleinste kann manchmal eine große Hilfe bedeuten.«
- In dieser Stimmung reifte plötzlich der Plan in ihm, ins Ausland zu
- reisen -- in das Ausland, von dem er seit seiner Schülerzeit zu Njäschin
- geträumt hatte! Er sehnte sich nach einem phantastischen Land des Glücks
- und der schöpferischen Arbeit. Aber auch diesmal enttäuschte die
- Wirklichkeit die farbige Glut seiner Jugendträume. In der »Beichte des
- Dichters« bekannte er, daß »er sich kaum auf dem Meere, auf dem Dampfer,
- unter fremden Menschen« befand, als schon die frohen Träume von einem
- glücklichen exotischen Leben in nichts zerflossen. Kaum hatte er sich
- flüchtig umgesehen, kaum hatte er Lübeck, Travemünde, Hamburg kennen
- gelernt, als er schon zurück nach Petersburg eilte. (Nach A. S.
- Danilewskis Angabe war Gogol aus Petersburg fortgefahren, um sich in
- Amerika anzusiedeln.) Bald nach seiner Rückkehr erhielt er eine Stellung
- im Apanagen-Departement. So kläglich hatten seine herrlichen
- Dichterträume geendet. Und gerade diesen Ausgang hatte er wie das Feuer
- gefürchtet, und mit allen Kräften sträubte er sich gegen den Gedanken,
- daß »das Schicksal ihm ein düsteres Heim des Ungekanntseins zugedacht
- hätte«.
- Inzwischen aber gediehen die »Abende auf dem Gutshof bei Dikanka«
- fleißig weiter; außerdem begann Gogol seine ersten literarischen
- Versuche in Zeitschriften zu veröffentlichen und Beziehungen zu
- Schriftstellern anzuknüpfen. So war er endlich auf der Bahn, die zu
- einer Verwirklichung seiner Träume führen konnte. Delwig, Schukowski,
- Pletniew -- vor allem der letztere -- erkannten seine glänzende Begabung
- und entwickelten für seine Zukunft eine geradezu väterliche Besorgnis.
- Pletniew verschaffte ihm eine Stellung als Geschichtslehrer am
- »Patriotischen Institut,« wo er selbst Geschichtsunterricht erteilte,
- und ebenso einige Stunden in vornehmen Häusern. Er war es auch, der ihn
- mit Puschkin bekannt machte. Noch ein paar Mißerfolge hatte Gogol zu
- überwinden, und dann erhaschte er das Glück, das phantastische,
- zauberhafte Glück ... Plötzlich fühlte er sich in die Sphäre der höheren
- literarischen Welt gehoben ... aussichtsreiche Beziehungen eröffneten
- sich ihm. Vor allem befreundete er sich mit dem vielumworbenen Fräulein
- A. O. Rosset, der späteren Frau Smirnowa. Ihre gemeinsame heiße Liebe
- zur Ukraine hatte sie zusammengeführt, und das war für ihn um so
- bedeutungsvoller, als sich sein Verhältnis zur Heimat in den seelischen
- Erschütterungen der letzten Jahre wesentlich verändert hatte. War es
- früher seine leidenschaftliche Sehnsucht, nur schnell in die Hauptstadt
- zu kommen, so sehnte er sich jetzt aus den schweren Enttäuschungen der
- großen Stadt in seine geliebte Ukraine zurück, obwohl er die Bedeutung
- Petersburgs für seine Zukunft wohl erkannt hatte. Im Jahre 1831 gab er
- unter dem ihm von Pletniew empfohlenem Pseudonym Rudy Panjko die »Abende
- auf dem Gutshof bei Dikanka« heraus. Den Sommer verbrachte er in
- Zarskoje Selo, in glücklicher Gemeinschaft mit Puschkin und Schukowski.
- (Nunmehr war er überhaupt einer »derer um Puschkin« geworden.) Erst im
- Sommer 1832 benutzte er seine Ferien, um die Heimat aufzusuchen. Eine
- neue Idee hatte sich um diese Zeit seiner bemächtigt: er wollte eine
- Komödie schreiben, deren Stoff dem alltäglichen Leben entnommen sein
- sollte. Seine eminente Beobachtungsgabe mußte einmal einen solchen
- Gedanken gebären, um sich vollkommen entladen zu können: durch sie
- wurden Züge seiner Umgebung hell bestrahlt, die dem gewöhnlichen Blick
- für immer verborgen bleiben, obwohl sie in Wahrheit die am tiefsten
- charakteristischen sind. Das zeitgenössische Repertoire bestand in der
- Mehrzahl aus affektierten Dramen und Tragödien: teils waren es lärmende
- Trauerspiele im pseudoklassischen Geschmack, teils anspruchslose
- Komödien, die, ohne jede Bedeutung, nur der Abwechslung dienten. Es kann
- nicht stark genug betont werden, daß in dieser Lage Gogols Plan geradezu
- eine Offenbarung bedeutete: und wenn um Gogols schöpferischer Stellung
- in der Literatur vielleicht gestritten werden kann, so kann über seine
- Bedeutung für die dramatische Kunst nicht der geringste Zweifel
- herrschen. Denn die Entwicklung des russischen Dramas kann selbst durch
- so starke ästhetische Schöpfungen wie Puschkins »Geizige Ritter«,
- »Mozart und Salieri« oder »Der steinerne Gast« nicht erklärt werden:
- überall wird man der entscheidenden Einwirkung Gogols begegnen. Seine
- Ansicht von der Bedeutung des Dramas, die ihm aus tiefstem Innern
- zugeflossen war, war so selbstständig und neu, daß sie ihm bei einem
- vorübergehenden Aufenthalt in Moskau die gerühmten Produkte der
- zeitgenössischen dramatischen Literatur ganz bedeutungslos erscheinen
- ließ; diesen Aufenthalt in Moskau -- übrigens auf seiner Reise in die
- Heimat -- benutzte er, um literarische Beziehungen anzuknüpfen, die er
- sich vorher sorgfältig ausgewählt hatte und von denen er eine Förderung
- seiner dramatischen Absichten erwarten konnte, oder die ihm bei einer
- praktischen Ausnutzung seiner Geschichtsstudien behilflich sein konnten.
- Gogols Ansichten frappierten allgemein und selbst ein so kultivierter
- Kenner des Theaters wie S. T. Aksakow war von einigen gelegentlichen
- Äußerungen aufs tiefste überrascht, deren tiefe Wahrheit er trotz ihrer
- scheinbaren Seltsamkeit sofort einsah. In Moskau kam Gogol mit M. P.
- Pogodin und seinen Landsleuten Maximowitsch und dem Schauspieler
- Schtschepkin in nähere Berührung. Seine Rückkehr in die Heimat
- bereicherte ihn um viele trostlose Erfahrungen: er kehrte ja nicht mehr
- als der glückliche, von lichten Träumen erfüllte Jüngling zurück, als
- der er vor drei Jahren mit Danilewski fortgezogen war. In diesen drei
- Jahren hatte er etwas köstliches verloren: die frohen Träume der Jugend.
- Die Träume der Jugend, die voll blühender Sehnsucht die Welt als einen
- Triumphpfad träumt, mit bunten Blumen überschüttet. Aber der rosa
- Vorhang ist gesunken, und nackt starrt vor dem bestürzten Auge die kahle
- Mittelmäßigkeit des Alltags. Und Gogol erfüllt die ernste Tragik des
- Lebens, die sich unter dem grauen Einerlei des Weltlaufs verbirgt.
- Alles, was ihm der Traum in verlockenden Bildern gemalt hat, was in der
- Ferne ihm begehrenswert erschienen war -- alles zeigte sich noch
- nichtiger und trostloser, als es ihm vor drei Jahren erschienen war. Und
- in der Nähe wartete das gleiche Petersburg auf ihn: aber ohne die
- magische Aureole, die es ihm vor drei Jahren verklärt hatte. Das alles
- drückt sich in der veränderten Stimmung seiner nächsten Werke aus:
- deutlich scheidet sich schon »Mirgorod« hierin von den »Abenden auf dem
- Gutshof bei Dikanka,« die in allem die zärtliche Verklärung der Jugend
- atmen. Aber kaum ist er wieder in Petersburg angelangt, als er sich
- schon den Traum einer neuen glücklichen Zukunft ausmalt: er will nach
- Kiew gehen, um sich dort um die Geschichtsprofessur an der eben
- eröffneten Universität zu bewerben. Erfüllt von dem Gefühl seiner
- reichen inneren Kräfte, durchdrungen von der Überzeugung, die im Kreise
- Puschkins alle beherrschte, daß das Genie der Masse und ihrer Meinung
- absolut überlegen sei -- hatte er sich nie ernste Gedanken über die
- Verantwortlichkeit einer akademischen Stellung gemacht. Er war fest
- überzeugt, daß allein durch die Kraft der lebendig-bildlich-bewegten
- Vorstellung die Künste der »welken Schulmeister« in Schatten gestellt
- würden. Nachdem er sich mit Puschkins und Schukowskis Hilfe den
- Lehrstuhl für mittelalterliche Geschichte an der Petersburger
- Universität erobert hatte, hielt er es natürlich auch nicht für nötig,
- sich für die bevorstehenden Vorlesungen ernsthaft vorzubereiten: statt
- dessen überläßt er sich der geliebten Arbeit des dichterischen
- Schaffens. In dieser Zeit schreibt er den »Revisor.« Sein
- Selbstvertrauen wächst maßlos: er denkt daran, eine Geschichte
- Kleinrußlands im Mittelalter zu schreiben. Das Resultat ist nicht
- anders, als man erwarten konnte: in seiner Universitätszeit entstehen
- dichterische Schöpfungen von hohem Werte, würdig seines Talents -- aber
- seine wissenschaftlichen Pläne scheitern jammervoll, und seine
- Vorlesungen sind, wenn man von einigen wirklich glänzenden absteht,
- flüchtig und mittelmäßig. Die Hörer verlieren Achtung und Vertrauen vor
- ihrem Professor, und wenn sie ab und zu in sein Auditorium hineinsehen,
- geschieht es nur, um sich »durch seine phantastische Diktion unterhalten
- zu lassen.« Gogols Professur endete mit einem vollständigen Fiasko,
- zumal er seine Vorlesungen bald aus Mangel an gelehrtem Material
- ausfallen lassen mußte. Und da gerade zu dieser Zeit die Anforderungen
- an die Professoren erhöht wurden, blieb ihm nichts anderes übrig, als
- seinen Abschied zu nehmen. Kurz vorher hatte er auch die Stunden im
- »Patriotischen Institut« verloren.
- Nach diesen Mißerfolgen richtete er all seine Kraft auf die Aufführung
- des »Revisors«. Am 19. April 1836 wurde dieses große Werk, das bis heute
- noch eine hohe Zierde der russischen Bühne ist, endlich zum erstenmal
- gegeben. Anders als jene Dutzendautoren, deren kühnste Hoffnung nur bis
- zum freundwilligen Applaus des Publikums reicht, blickte Gogol auf die
- Bühne: mit tiefer Angst und Wehmut verfolgte er das Schicksal seines
- Werkes, in das er seine ganze Seele, seine edelsten Kräfte gelegt hatte.
- Die Pfeile der Komödie trafen scharf ins Ziel, und im Publikum wogte
- eine außerordentliche Erregung gegen das Werk. Kaiser Nilolaj
- Pawlowitsch, der bei der ersten Vorstellung des Revisors anwesend war,
- entschlüpften folgende denkwürdige Worte: »Das ist ein Stück! Alle haben
- ihr Teil bekommen -- aber ich am meisten!« Von tiefer Anteilnahme für
- die schonungslose Entblößung sozialer Schäden erfüllt, ebnete der Kaiser
- durch seine Protektion dem Werk den Weg zur Bühne. Aber statt daß der
- Dichter über eine so offensichtliche Wirkung erfreut ist, ist er
- überrascht und niedergeschlagen und wehmütig ruft er aus: »Herrgott,
- wenn nur einer oder zwei geschimpft hätten -- Gott segne sie. Aber alle
- ... alle!« Bitter beklagt er sich bei seinen Freunden, daß alle das Werk
- schmähten und doch abends in die Vorstellung liefen. Die Aufführungen
- werden durch die üblichen Schikanen und Intriguen der Theaterbehörden
- immer wieder gestört: und das alles bringt den Kelch schließlich zum
- Überlaufen. Von den schweren Erlebnissen der letzten Jahre gequält und
- zerrüttet, reist er mit seinem unzertrennlichen Freunde Danilewski ins
- Ausland, um dort Ruhe und Zerstreuung zu finden.
- Trotz der vielen Mißerfolge blickt er mit unzerstörbarer Heiterkeit in
- sein zukünftiges Leben. Und so reisten beide Freunde in die Welt hinaus,
- jung, frei, und fortgerissen von dem Drange, sich in das lockende,
- fremde, westeuropäische Leben zu stürzen. Fröhlich, als hätten sie die
- Last düsterer, ewig gleicher Eindrücke für immer abgeworfen, eilten sie
- einer hellen, rosigen Zukunft entgegen. Die goldenen Träume der Jugend
- schwebten noch über ihnen, und vor ihnen erhob sich die Morgenröte eines
- besseren poetischeren Lebens, erfüllt von Jubel und lichtem Glück.
- Mit dieser Reise in das Ausland begann für Gogol eine neue Epoche seines
- Lebens. Von allen Interessen der offiziellen Petersburger Welt getrennt,
- gab er sich ungehemmt der ihm entgegenbrausenden neuen Welle hin. Er
- schließt neue Bekanntschaften, und die Distanz zwischen ihm und seiner
- Vergangenheit wird mit jedem Tage größer, entscheidender. Ein, zwei
- Monate vergehen -- und er fühlte sich allen ehmaligen Sorgen und
- Ärgernissen entfremdet. Nur die innige Liebe zur Heimat erwacht wieder:
- und jede Erinnerung wird ihm zu einem sorgsam gehegten Schatz. Aber die
- Bitterkeit, mit der sie die schönste Zeit seines Lebens erfüllt hatte,
- ließ sich doch nicht ganz vergessen, und in seinen intimen Bekenntnissen
- stehen neben begeisterten Hymnen auf die Heimat bittere Klagen über ihre
- Schattenseiten. Beides ist gleichbezeichnend für des Dichters
- unübertroffene Aufnahmefähigkeit. Mit der Hingabe eines Jünglings weiß
- er die zahllosen neuen Eindrücke zu genießen, er reist von einem Land in
- das andere, um sich endlich für längere Zeit in Italien niederzulassen,
- das er später seine »zweite Heimat« nennt. Die Wunder der italienischen
- Natur und Kunst, die große Eigenart Roms, die Lebensführung, die allem
- früher Gesehenen nur allzu Gewohntem direkt widersprach -- wie stark
- mußte das alles auf die empfängliche Seele des Künstlers wirken! Und
- gierig schlürft Gogol den Kelch dieses erregten Lebens, oft mit seinem
- Freund Danilewski, oft auch mit einem andern Enthusiasten, dem edlen und
- reinen Maler A. A. Iwanow. In einer glücklichen poetischen Umgebung
- geben sie sich bis zur Selbstvergessenheit dem ästhetischen Genießen der
- Natur hin, und voll tiefer Seligkeit empfinden sie sich als freie
- Menschen, unendlich fern von allem Kalten und Offiziellen, von allen
- materiellen Ablenkungen. Hier in Italien berührten alle Dinge die Seele
- unserer Einsiedler zärtlich: das stille Genießen der Kunst, der Zauber
- der wundervollsten Sprachmelodie, das Ergreifende überraschender
- Farbenwechsel und die mit nichts zu vergleichende Pracht des südlichen
- Himmels. Jede durchkreuzte Straße dieser hingebend geliebten Stadt,
- jeder unbedeutende Winkel in den dunklen und nicht immer ganz sauberen
- Osterien wird ihnen teuer. Eine besondere Freude war es für Gogol, hier
- in der Fremde Seelenverwandte zu treffen, und er fand ihrer viele. Mit
- einem Wort: es war die glücklichste, hellste Zeit seines Lebens.
- Aber wie es immer im Leben geht, diese Zeit war nicht von langer Dauer,
- und ihr Glück mußte hart gebüßt werden. Das Schicksal ist nicht
- freigiebig mit solchen Geschenken, und es war Gogol nicht lange
- beschieden, in dieser Hochflut ästhetischer Genüsse zu leben. Allein in
- dieser Zeit hatte er den ersten Band der »Toten Seelen« geschrieben,
- eines Werkes, das nunmehr zu seiner Lebensaufgabe heranwächst. Das
- glückliche Leben verdüsterte sich durch materielle Sorgen, und auch
- Wolken anderer Art bedrohten seinen heiteren Horizont. Bald mußte er
- eine kostspielige Reise nach der Heimat machen, um seine Schwestern aus
- dem Institut zu nehmen und die jungen unerfahrenen Mädchen wenigstens
- nach Moskau zu begleiten, und die Rückreise brachte neue Sorgen, die
- eine erhebliche Anleihe verlangten. Bald vergifteten Krankheiten sein
- Leben; im Jahre 1840 überstand er nacheinander in Wien und Rom zwei
- schwere Krankenlager. Eine Zeitlang glaubte er sich sogar am Rande des
- Grabes. Jede Genesung empfindet der von Kindheit an religiös gestimmte
- Gogol als eine göttliche Erlösung von dem Tode, die ihm das Schicksal
- nur gewährt hat, um durch neue Schöpfungen dem Nutzen der Menschheit in
- einem höheren Sinne dienen zu können oder, wie er sich später äußerte,
- »um einen Hymnus auf die göttliche Schönheit zu singen«.
- Das alles geschah an der Grenze der dreißiger und vierziger Jahre. Die
- sensible Natur des Künstlers hatte sich der schweren Anfechtungen zu
- erwehren, die unbarmherzig auf ihn niederprasselten. Einer der
- schwersten Schicksalsschläge, die ihn betroffen hatten, war der frühe
- Tod des jungen Josef Wielgorski, an dem er während der letzten Monate
- seines langsamen Dahinschwindens mit ganzer Seele gehangen hatte. Gogol
- war für die Freundschaft aufs äußerste empfindlich, und gerade darum
- blieb der Kreis seiner Freunde immer sehr klein. Aber nicht minder
- zerrütteten ihn die kleinlichen Sorgen des Alltags. Fern von den
- aktuellen Tagesfragen und den Interessen der zeitgenössischen
- literarischen Welt, beschränkt durch seine persönlichen Beziehungen und
- materiellen Verpflichtungen, konnte er seinen Freunden kaum etwas recht
- tun. Unter dem Kreuzfeuer ihrer Ansprüche und gegenseitiger
- Gereiztheiten geriet er unwillkürlich in eine unangenehme und unbequeme
- Lage, da sie sich alle für berechtigt hielten, eine Unterstützung ihrer
- zahlreichen Zeitschriften durch Arbeiten aus seiner Feder zu verlangen.
- So entzweite er sich mit dem ihm einst in Moskau (1841) sehr
- nahestehenden Pogodin, der ihm Geld geliehen hatte und sich berechtigt
- fühlte, Arbeiten von ihm zu verlangen. Pletniew und seinen andern
- Petersburger Freunden gefiel wiederum seine Annäherung an die Moskauer
- nicht, und die Aksakows mit ihrer aufrichtigen, aber wie Gogol selbst
- sagte, übertriebenen Liebe zu ihm waren durch seine Anhänglichkeit an
- Italien verletzt. Die Mühen, die das Erscheinen der »Toten Seelen« im
- Jahre 1842 verursachte, machten in Gogol die Erinnerung an die
- schrecklichen Seelenqualen lebendig, die er bei der Aufführung des
- Revisors erlitten hatte. Wieder die gleichen offiziellen Scherereien,
- vor allem mit der Zensur, die Meinungen äußerte wie folgende: der Titel
- »Tote Seelen« schon könne nicht zugelassen werden, da die Seele
- unsterblich sei! Besonders hatte die Erzählung vom Kapitän Kopeikin
- darunter zu leiden. Wieder war Gogol gezwungen, durch Bitten und Besuche
- hochgestellte Persönlichkeiten zu interessieren, wieder allerlei
- quälende Intrigen. Und waren es früher nur die Intrigen im Theater, die
- ihn marterten, so bereiteten ihm jetzt seine Freunde allerlei
- Schwierigkeiten: vor den Aksakows mußte er seine Beziehungen zu
- Belinski[1] verbergen, und bei Pogodin war es ihm unangenehm, daß er mit
- dem von ihm erborgten Gelde dem Maler Iwanow geholfen hatte. Zu gleicher
- Zeit beunruhigten ihn die finanziellen Verhältnisse seiner Familie auf
- das äußerste, und er durfte nicht einmal daran denken, zu helfen, da
- seine eigene materielle Lage eher alles andere als glänzend war. Noch
- während seines Petersburger Aufenthaltes hatte er in dieser Beziehung
- allen Boden unter den Füßen verloren. Nachdem er seinen früheren Beruf
- aufgegeben hatte, war es ihm nie wieder in den Sinn gekommen, zu einer
- bestimmten Tätigkeit zurückzukehren -- ausgenommen natürlich die Arbeit
- an seinen Dichtungen. Wiederholt wandte er sich an die Regierung mit der
- Bitte um eine Subvention, wobei er immer wieder darauf hinwies, daß es
- sein heißer Wunsch sei, dem Vaterlande zu nützen, und daß er, da er sich
- in keiner Stellung befände, ohne bestimmte Einnahmen sei. Gleichzeitig
- befestigt sich in ihm die Überzeugung, daß er sich ganz dem heiligen
- Werk der Arbeit an den »Toten Seelen« widmen müsse. Er glaubt sich von
- Gott dazu berufen, in den folgenden Bänden die Ganzheit des russischen
- Menschen darzustellen und die besseren helleren Seiten seiner Natur. Für
- Gogol beginnt sich nunmehr die Frage nach der Fortsetzung seiner Arbeit
- immer stärker mit dem Problem der Rettung seiner Seele zu verknüpfen;
- und um die ihm gestellte Aufgabe würdig lösen zu können, glaubt er sich
- geistig ganz neu gebären zu müssen. Er bittet Gott, ihm Kraft zu
- verleihen, die ihm bevorstehende heroische Tat vollbringen zu können.
- Inzwischen geht er immer mehr in sich und verschließt seine Seele vor
- den andern. Er beginnt, seinen früheren Arbeiten wenig Bedeutung
- beizulegen, er findet sie leer, und mit der ganzen Kraft seiner Seele
- geht er in dem innig gehegten Traum auf, seinem Volke das ihm so nötige,
- noch nie gesagte Wort zu verkünden. Grandiose Perspektiven eröffnen sich
- vor seinem Auge, und unwillkürlich drängt sich ihm die Empfindung auf,
- daß der erste Teil der »Toten Seelen« nur die Vorhalle zu einem
- mächtigen, noch im Bau befindlichen Palast sei. In dieser Stimmung
- schreibt er Zeilen, wie jene über Rußland, die tiefster Inspiration
- entsprungen sind und die ihn den von diesem Anspruch gereizten
- Zeitgenossen als mehr denn anmaßend erscheinen ließen. Tönend verkündet
- er in diesen Zeilen, daß nunmehr aller Augen auf ihn gerichtet seien und
- daß er der Sendbote einer anderen neuen Zeit sei, »wo aus einem anderen
- Quell ein furchtbarer Sturm der Begeisterung sich erheben wird, aus
- einem Haupte, das von heiligem Schrecken und strahlendem Glanz umweht
- ist: und in verwirrtem Zittern wird man den erhabenen Donner anderer
- Reden hören«. Gogol träumt von seiner messianischen Sendung: wenn er
- auch nicht, wie es der Traum seiner Jugend war, der ganzen Menschheit
- Segen bringen könne, so doch zumindest seinem geliebten Vaterlande. Er
- vergißt seine Bitterkeit und die tiefen Wunden, dankbar segnet er die
- Vorsehung für sein hohes, über der Ebene des gewöhnlichen Lebens
- gelegenes Schicksal, und er heißt alle Prüfungen willkommen: selbst die
- Armut, die er nach seinen eigenen Worten liebgewonnen hat, wie der
- Liebhaber seine Geliebte. Mit starrer Entschlossenheit beschränkt er
- seine Habe auf ein »Köfferchen« mit den Handschriften seiner Werke und
- einigen Büchern religiösen Inhalts; und zuletzt sucht er Tröstung selbst
- in den physischen Leiden, die seinen von Natur schwachen Körper mehr und
- mehr untergraben. Diese Idee, an die er sich klammert und die sein
- ganzes sittliches Sein erfüllt, wandelt seine moralische Persönlichkeit
- vollkommen um, obschon es keine wurzelhafte Veränderung ist, vielmehr
- erhalten einige Seiten seiner moralischen Konstitution, die in der
- Jugend durch Sehnsucht, Lebensfrische, Gestaltungslust im Gleichgewicht
- gehalten wurden, jetzt mehr und mehr das Übergewicht. Dieser Prozeß
- beginnt Ende der dreißiger Jahre und erfüllt das ganze nächste
- Jahrzehnt, er spiegelt sich deutlich in den Briefen dieser Periode, und
- wenn er mitunter so abweichende, leidenschaftlich vertretene
- Beurteilungen findet, so ist dies eine Folge der Verschiedenheit des
- Gesichtswinkels, unter dem man ihn betrachtet; ob man auf das stürmische
- Wachsen des inneren Menschen in Gogol achtet, der sich bis zum reinsten
- Idealismus läutert, oder ob man die seelische Krise Gogols vom
- Standpunkt des Ästhetikers bewertet, der ihren zerstörenden Einfluß auf
- seine schöpferische Kraft betrachtet. Unter diesem ästhetischen
- Gesichtspunkt ergibt sich diese Wandlung als notwendige Folge des
- Zwiespaltes, in den die freie schöpferische Kraft durch ihre Bindung mit
- -- wenn auch zweifellos idealen -- religiösen Motiven geraten muß. Eines
- aber ist unzweifelhaft: das letzte Jahrzehnt des Dichters stellt einen
- schmerzlichen und langwierigen Auflösungsprozeß seiner physischen Kräfte
- dar und ihm parallel einen stetigen Niedergang seiner ästhetischen
- Schöpfungskraft und eine sich bis zum Krankhaften steigernde religiöse
- Ekstase. Aber trotz der hartnäckigen Gerüchte, die sich bis über seinen
- Tod hinaus erhielten, hat keiner seiner Freunde je bei ihm eine geistige
- Störung festgestellt. Andererseits hat jeder von der äußerst schroffen
- Umwandlung Gogols während seiner letzten Jahre berichtet, und dieser
- Eindruck, der von seiner Familie wie von seinem Vertrauten Danilewski
- bestätigt wird, muß bei der Beurteilung dieser Epoche Gogols durchaus
- mit berücksichtigt werden. Keime der mystischen Stimmung, die
- Maximowitsch schon 1835 bei Gogol beobachtet hat, und nach ihm -- aber
- immer noch früher als die andern Freunde -- S. T. Aksakow, sind unter
- dem Eindruck der überstandenen Qualen und der ewigen Angst vor der Not
- der Todesstunde schnell gereift, außerdem fanden sie auch einen
- günstigen Boden in der Umgebung, in der Gogol sich während seines Lebens
- im Auslande befand. Die Gesellschaft der Schukowski, Frau Smirnowas, A.
- P. Tolstois und des kranken Dichters Jasykow schien geradezu auserwählt
- zu sein, um Gogol, der von der Heimat getrennt und von allen Einflüssen
- des westeuropäischen Lebens ganz abgeschlossen war, immer tiefer und
- hemmungsloser in einen bodenlosen Mystizismus versinken zu lassen.
- Gogols Umwandlung in seinen letzten Lebensjahren war eine endgültige:
- mitgerissen von seelischen Entdeckungen, Prophetien, und zermarternden
- Selbstbespiegelungen und bestürmt von grausamen unablässigen Leiden
- zerrann ihm sein früheres Dasein in nichts. Seine Verschlossenheit und
- innere Einsamkeit wuchs: seine Zuneigung zu seinen Jugendfreunden
- verwandelte sich in eine mißtrauische Gespanntheit, seine dichterische
- Schöpfungskraft nahm an Umfang und Wert ab. Lange noch lebte Gogol im
- Ausland, mitunter auch in dem von ihm so innig geliebten Italien, aber
- er ist nicht mehr der frühere Enthusiast, der sich vor der wundervollen
- italienischen Landschaft begeistert. Immer ausschließlicher beschränkten
- sich seine Gedanken auf das Religiöse: es zieht ihn nach Palästina, und
- eine Zeitlang läßt er sogar die Arbeit an den »Toten Seelen«, um die
- »Ausgewählten Stellen aus dem Briefwechsel mit meinen Freunden« zu
- schreiben. 1847 erscheint der Briefwechsel: es entspinnen sich
- leidenschaftliche Diskussionen, und vor allem gefällt er in seiner von
- der Zensur entstellten und verkürzten Gestalt dem Autor nicht. Gogol ist
- bis zum Äußersten gequält und niedergedrückt.
- [Fußnote 1: berühmter russischer Kritiker.]
- Der bekannte Brief Belinskis und eine andere Äußerung seiner Freunde,
- verstärkt durch eine Anzahl Kritiken zerrütteten Gogol endgültig. Er
- fühlt sich zu einer Gegenäußerung gezwungen und schreibt die »Beichte
- des Dichters«. Und Anfang 1848 gibt er seiner heißen Sehnsucht nach und
- reist nach Jerusalem. Nach seiner Rückkehr bleibt er in der Heimat,
- langsam nur schreitet die Arbeit an den »Toten Seelen« vorwärts. Sein
- Lebensmut sinkt und allmählich unterliegt er in dem schweren Kampfe
- zwischen der ungeheuren Aufgabe, die er sich gestellt hat, und seinen
- immer schwächer werdenden geistigen und körperlichen Kräften. In dieser
- Zeit gewinnt der Geistliche von Rschew, Pater Mathäus, einen
- tiefgehenden Einfluß auf ihn, und seine strengen asketischen Worte
- peinigen die kranke Seele des Dichters so, daß er die Predigt des
- Geistlichen einmal mit dem Angstschrei unterbricht: »Genug, genug, es
- ist furchtbar!« Hier soll bemerkt werden, daß ein starker Bestandteil
- von Gogols Religiosität die Furcht vor dem Jenseits war.
- Kurz vor seinem Tode verbrannte er den zweiten Teil der »Toten Seelen«.
- Hartnäckig verweigert er die Annahme von Nahrung: er will sterben.
- Beides, Verzweiflung und Todessehnsucht, erklärt sich aus der
- peinigenden Ungewißheit des Dichters, ob seine Werke Gutes stiften
- würden oder nicht: bis zu seinem Tode kämpften in Gogol flammende
- Hoffnung und dumpfes Verzweifeln. Und hinzu kommt die unerträgliche
- Angst vor der Qual der Todesstunde, die nur einen Wunsch gestattet, sich
- so weit wie möglich auf den furchtbaren Augenblick der Abrechnung mit
- dem Irdischen vorzubereiten, um die Seele vor der ewigen Verdammnis zu
- retten.
- Gogol starb in Moskau am 21. Februar 1852. Zu seinem Begräbnis
- erschienen die Spitzen der Stadt, die Leichenfeier fand in der
- Universitätskirche statt. Eine große Menge Volk hatte sich eingefunden,
- um dem Dichter die letzte Ehre zu erweisen.
- Die feindlichen Stimmen verstummen, und die große Bedeutung Gogols
- stellt sich immer klarer, wahrnehmbarer heraus. Und in unsern Tagen wird
- keiner versuchen, an der Bedeutung seiner gewaltigen Dichtungen zu
- zweifeln, an diesem starken Darsteller der Wirklichkeit -- dem ersten,
- den Rußland aus eigener Kraft hervorgebracht hat.
- Anhang
- Abende auf dem Gutshof bei Dikanka
- (Erster Teil.)
- Der erste Teil der in diesem Bande vereinigten Erzählungen erschien im
- September des Jahres 1831. Die Unterschrift des Zensors trägt das Datum
- »den 26. Mai 1831.«
- I. _Der Jahrmarkt in Sorotschintzy_ stammt aus dem Jahre 1830. 1851
- wurde diese Novelle mit unwesentlichen stilistischen Änderungen in der
- Gesamtausgabe von Gogols Werken wieder abgedruckt.
- II. _Die Johannisnacht._ Diese Erzählung erschien zuerst im Februar- und
- Märzheft der »Vaterländischen Annalen« (Otetschestwennye Sapiski),
- Jahrgang 1830 und zwar anonym unter dem Titel: »_Basawrjuk oder die
- Johannisnacht_«. Eine kleinrussische Novelle (nach einer Volkssage),
- erzählt vom Küster an der Kirche zu Pokrowsk. Gogol arbeitete die
- Novelle später für die »Abende auf dem Gutshof bei Dikanka« um. Hierbei
- beseitigte er einige Änderungen, die _Swinjin_ bei der Drucklegung in
- den Vaterländischen Annalen eingefügt hatte, und schickte der Erzählung
- eine kleine Vorrede voraus, in der er auch auf Swinjins Änderungen
- hinwies.
- III. _Mainacht oder die Ertrunkene._ Ist im Jahre 1829 entworfen und
- dann für die »Abende« neu bearbeitet worden. 1851 fügte Gogol noch
- einige kleine Änderungen ein.
- IV. _Der verschwundene Brief._ Stammt wahrscheinlich aus dem Jahre 1831,
- und wurde von Gogol für die Gesamtausgabe (II. Aufl.) noch einmal
- durchgesehen.
- Abende auf dem Gutshof bei Dikanka
- (Zweiter Teil.)
- Der zweite Teil der »Abende« erschien Anfang März 1832; die Unterschrift
- des Zensors trägt das Datum: »den 31. Januar 1832.«
- I. _Die Nacht vor dem Weihnachtsfest_ wurde 1831 niedergeschrieben und
- 1851 noch einmal durchgesehen.
- II. _Schreckliche Rache_ stammt wahrscheinlich aus dem Jahre 1831. In
- der ersten Ausgabe der »Abende« lautete der Titel dieser Novelle
- »Schreckliche Rache« (»eine alte Sage«). In der zweiten und den
- folgenden Auflagen der »Abende« vom Jahre 1836 wurde der Untertitel
- (»eine alte Sage«) fortgelassen.
- III. _Iwan Fjodorowitsch Schponjka und seine Tante._ Die Zeit der
- Entstehung dieser Novelle ist unbekannt.
- IV. _Der verhexte Ort._ Auch über die Entstehungszeit dieser Erzählung
- liegen keine Nachrichten vor.
- _Der Herausgeber._
- * * * * *
- Druck von Mänicke und Jahn, Rudolstadt.
- Anmerkungen zur Transkription
- Die Schreibweise der Buchvorlage wurde weitgehend beibehalten. Auch
- Variationen in der Transliteration der russischen Namen wurden nicht
- verändert.
- Offensichtliche Fehler wurden, teilweise unter Zuhilfenahme des
- russischen Originaltextes, korrigiert wie hier aufgeführt
- (vorher/nachher):
- ... Frieda Ichak. ...
- ... Frida Ichak. ...
- [S. 6]:
- ... Dikanka? Das ist ein Kopf, sag' ich euch! Was konten ...
- ... Dikanka? Das ist ein Kopf, sag' ich euch! Was konnte ...
- [S. 92]:
- ... Die Hexe hat deine sündige Seele in Verderben gestürzt! ...
- ... Die Hexe hat deine sündige Seele ins Verderben gestürzt! ...
- [S. 127]:
- ... »Verfügung: An den Amtman Jewtuch Makohonenko. ...
- ... »Verfügung: An den Amtmann Jewtuch Makohonenko. ...
- [S. 198]:
- ... erschien der Mondschein vom Leuchten der Schnees! ...
- ... erschien der Mondschein vom Leuchten des Schnees! ...
- [S. 205]:
- ... Dem Schmied überlief es kalt; er erschrak, wurde ...
- ... Den Schmied überlief es kalt; er erschrak, wurde ...
- [S. 210]:
- ... Weber Schapuwalenko. Grüß Gott, Ostop!« ...
- ... Weber Schapuwalenko. Grüß Gott, Ostap!« ...
- [S. 219]:
- ... Herrschaften es hier gibt!« dache der Schmied. ...
- ... Herrschaften es hier gibt!« dachte der Schmied. ...
- [S. 228]:
- ... kein Mensch kann ohne ein Frauchen leben,« anwortete der ...
- ... kein Mensch kann ohne ein Frauchen leben,« antwortete der ...
- [S. 242]:
- ... hät' er viel Wunderliches erzählen können. Ja, ...
- ... hätt' er viel Wunderliches erzählen können. Ja, ...
- [S. 243]:
- ... Und siehe da, der seltsame Greis knirrschte zischend ...
- ... Und siehe da, der seltsame Greis knirschte zischend ...
- [S. 244]:
- ... schon und schnarrchte laut über ganz Kijew. ...
- ... schon und schnarchte laut über ganz Kijew. ...
- [S. 260]:
- ... Hetmann selten zu essen bekommt. So was verschmäht ...
- ... Hetman selten zu essen bekommt. So was verschmäht ...
- [S. 299]:
- ... von seltsamem und schrecklichen Äußeren herein. Zum ...
- ... von seltsamem und schrecklichem Äußeren herein. Zum ...
- [S. 309]:
- ... vergangener Zeiten. ...
- ... vergangenen Zeiten. ...
- [S. 313]:
- ... und so hat er die Geschiche denn auch wirklich
- aufgeschrieben. ...
- ... und so hat er die Geschichte denn auch wirklich
- aufgeschrieben. ...
- [S. 322]:
- ... Unterwegs passierte nicht besonders Bemerkenswertes. ...
- ... Unterwegs passierte nichts besonders Bemerkenswertes. ...
- [S. 322]:
- ... etwa um irgendwelcher tiefer diplomatischen Pläne willen, ...
- ... etwa um irgendwelcher tiefer diplomatischer Pläne willen, ...
- [S. 326]:
- ... Kopfkissen! Und reiße dem Frauenzimmer ein bischen ...
- ... Kopfkissen! Und reiße dem Frauenzimmer ein bißchen ...
- [S. 342]:
- ... Burschen viel über Jerusalem gehört hatte? ...
- ... Burschen viel über Jerusalem gehört hatte. ...
- [S. 359]:
- ... »Wo sind die Fuhrleute,« fragte der Großvater und ...
- ... »Wo sind die Fuhrleute?« fragte der Großvater und ...
- [S. 365]:
- ... Stömen herab. Der Großvater zog sich die neuen ...
- ... Strömen herab. Der Großvater zog sich die neuen ...
- [S. 368]:
- ... bei Gott, rein wie zwei Holzklötze! Die roten Augen glotzen ...
- ... bei Gott, rein wie zwei Holzklötze! Die roten Augen glotzten ...
- [S. 369]:
- ... Augen nach einer Stelle, wo sie das Spülicht aufgießen ...
- ... Augen nach einer Stelle, wo sie das Spülicht ausgießen ...
- [S. 383]:
- ... Sommer verbrachte er in Zarskoje Selow, in glücklicher ...
- ... Sommer verbrachte er in Zarskoje Selo, in glücklicher ...
- [S. 391]:
- ... Pletniew und seinen andern Petursburger Freunden gefiel ...
- ... Pletniew und seinen andern Petersburger Freunden gefiel ...
- End of the Project Gutenberg EBook of Sämmtliche Werke 3: Abende auf dem
- Gutshof bei Dikanka, by Nikolaj Gogol
- *** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK SÄMMTLICHE WERKE 3: ABENDE ***
- ***** This file should be named 55026-8.txt or 55026-8.zip *****
- This and all associated files of various formats will be found in:
- http://www.gutenberg.org/5/5/0/2/55026/
- Produced by Jens Sadowski and the Online Distributed
- Proofreading Team at http://www.pgdp.net. This book was
- produced from images made available by the HathiTrust
- Digital Library.
- Updated editions will replace the previous one--the old editions will
- be renamed.
- Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright
- law means that no one owns a United States copyright in these works,
- so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United
- States without permission and without paying copyright
- royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part
- of this license, apply to copying and distributing Project
- Gutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tm
- concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark,
- and may not be used if you charge for the eBooks, unless you receive
- specific permission. If you do not charge anything for copies of this
- eBook, complying with the rules is very easy. You may use this eBook
- for nearly any purpose such as creation of derivative works, reports,
- performances and research. They may be modified and printed and given
- away--you may do practically ANYTHING in the United States with eBooks
- not protected by U.S. copyright law. Redistribution is subject to the
- trademark license, especially commercial redistribution.
- START: FULL LICENSE
- THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE
- PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK
- To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free
- distribution of electronic works, by using or distributing this work
- (or any other work associated in any way with the phrase "Project
- Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full
- Project Gutenberg-tm License available with this file or online at
- www.gutenberg.org/license.
- Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project
- Gutenberg-tm electronic works
- 1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm
- electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to
- and accept all the terms of this license and intellectual property
- (trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all
- the terms of this agreement, you must cease using and return or
- destroy all copies of Project Gutenberg-tm electronic works in your
- possession. If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a
- Project Gutenberg-tm electronic work and you do not agree to be bound
- by the terms of this agreement, you may obtain a refund from the
- person or entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph
- 1.E.8.
- 1.B. "Project Gutenberg" is a registered trademark. It may only be
- used on or associated in any way with an electronic work by people who
- agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few
- things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works
- even without complying with the full terms of this agreement. See
- paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project
- Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this
- agreement and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm
- electronic works. See paragraph 1.E below.
- 1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the
- Foundation" or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection
- of Project Gutenberg-tm electronic works. Nearly all the individual
- works in the collection are in the public domain in the United
- States. If an individual work is unprotected by copyright law in the
- United States and you are located in the United States, we do not
- claim a right to prevent you from copying, distributing, performing,
- displaying or creating derivative works based on the work as long as
- all references to Project Gutenberg are removed. Of course, we hope
- that you will support the Project Gutenberg-tm mission of promoting
- free access to electronic works by freely sharing Project Gutenberg-tm
- works in compliance with the terms of this agreement for keeping the
- Project Gutenberg-tm name associated with the work. You can easily
- comply with the terms of this agreement by keeping this work in the
- same format with its attached full Project Gutenberg-tm License when
- you share it without charge with others.
- 1.D. The copyright laws of the place where you are located also govern
- what you can do with this work. Copyright laws in most countries are
- in a constant state of change. If you are outside the United States,
- check the laws of your country in addition to the terms of this
- agreement before downloading, copying, displaying, performing,
- distributing or creating derivative works based on this work or any
- other Project Gutenberg-tm work. The Foundation makes no
- representations concerning the copyright status of any work in any
- country outside the United States.
- 1.E. Unless you have removed all references to Project Gutenberg:
- 1.E.1. The following sentence, with active links to, or other
- immediate access to, the full Project Gutenberg-tm License must appear
- prominently whenever any copy of a Project Gutenberg-tm work (any work
- on which the phrase "Project Gutenberg" appears, or with which the
- phrase "Project Gutenberg" is associated) is accessed, displayed,
- performed, viewed, copied or distributed:
- This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and
- most other parts of the world at no cost and with almost no
- restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it
- under the terms of the Project Gutenberg License included with this
- eBook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the
- United States, you'll have to check the laws of the country where you
- are located before using this ebook.
- 1.E.2. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is
- derived from texts not protected by U.S. copyright law (does not
- contain a notice indicating that it is posted with permission of the
- copyright holder), the work can be copied and distributed to anyone in
- the United States without paying any fees or charges. If you are
- redistributing or providing access to a work with the phrase "Project
- Gutenberg" associated with or appearing on the work, you must comply
- either with the requirements of paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 or
- obtain permission for the use of the work and the Project Gutenberg-tm
- trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or 1.E.9.
- 1.E.3. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is posted
- with the permission of the copyright holder, your use and distribution
- must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any
- additional terms imposed by the copyright holder. Additional terms
- will be linked to the Project Gutenberg-tm License for all works
- posted with the permission of the copyright holder found at the
- beginning of this work.
- 1.E.4. Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg-tm
- License terms from this work, or any files containing a part of this
- work or any other work associated with Project Gutenberg-tm.
- 1.E.5. Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this
- electronic work, or any part of this electronic work, without
- prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with
- active links or immediate access to the full terms of the Project
- Gutenberg-tm License.
- 1.E.6. You may convert to and distribute this work in any binary,
- compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including
- any word processing or hypertext form. However, if you provide access
- to or distribute copies of a Project Gutenberg-tm work in a format
- other than "Plain Vanilla ASCII" or other format used in the official
- version posted on the official Project Gutenberg-tm web site
- (www.gutenberg.org), you must, at no additional cost, fee or expense
- to the user, provide a copy, a means of exporting a copy, or a means
- of obtaining a copy upon request, of the work in its original "Plain
- Vanilla ASCII" or other form. Any alternate format must include the
- full Project Gutenberg-tm License as specified in paragraph 1.E.1.
- 1.E.7. Do not charge a fee for access to, viewing, displaying,
- performing, copying or distributing any Project Gutenberg-tm works
- unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9.
- 1.E.8. You may charge a reasonable fee for copies of or providing
- access to or distributing Project Gutenberg-tm electronic works
- provided that
- * You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from
- the use of Project Gutenberg-tm works calculated using the method
- you already use to calculate your applicable taxes. The fee is owed
- to the owner of the Project Gutenberg-tm trademark, but he has
- agreed to donate royalties under this paragraph to the Project
- Gutenberg Literary Archive Foundation. Royalty payments must be paid
- within 60 days following each date on which you prepare (or are
- legally required to prepare) your periodic tax returns. Royalty
- payments should be clearly marked as such and sent to the Project
- Gutenberg Literary Archive Foundation at the address specified in
- Section 4, "Information about donations to the Project Gutenberg
- Literary Archive Foundation."
- * You provide a full refund of any money paid by a user who notifies
- you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he
- does not agree to the terms of the full Project Gutenberg-tm
- License. You must require such a user to return or destroy all
- copies of the works possessed in a physical medium and discontinue
- all use of and all access to other copies of Project Gutenberg-tm
- works.
- * You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of
- any money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the
- electronic work is discovered and reported to you within 90 days of
- receipt of the work.
- * You comply with all other terms of this agreement for free
- distribution of Project Gutenberg-tm works.
- 1.E.9. If you wish to charge a fee or distribute a Project
- Gutenberg-tm electronic work or group of works on different terms than
- are set forth in this agreement, you must obtain permission in writing
- from both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and The
- Project Gutenberg Trademark LLC, the owner of the Project Gutenberg-tm
- trademark. Contact the Foundation as set forth in Section 3 below.
- 1.F.
- 1.F.1. Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable
- effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread
- works not protected by U.S. copyright law in creating the Project
- Gutenberg-tm collection. Despite these efforts, Project Gutenberg-tm
- electronic works, and the medium on which they may be stored, may
- contain "Defects," such as, but not limited to, incomplete, inaccurate
- or corrupt data, transcription errors, a copyright or other
- intellectual property infringement, a defective or damaged disk or
- other medium, a computer virus, or computer codes that damage or
- cannot be read by your equipment.
- 1.F.2. LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the "Right
- of Replacement or Refund" described in paragraph 1.F.3, the Project
- Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project
- Gutenberg-tm trademark, and any other party distributing a Project
- Gutenberg-tm electronic work under this agreement, disclaim all
- liability to you for damages, costs and expenses, including legal
- fees. YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT
- LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE
- PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3. YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE
- TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE
- LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR
- INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH
- DAMAGE.
- 1.F.3. LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a
- defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can
- receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a
- written explanation to the person you received the work from. If you
- received the work on a physical medium, you must return the medium
- with your written explanation. The person or entity that provided you
- with the defective work may elect to provide a replacement copy in
- lieu of a refund. If you received the work electronically, the person
- or entity providing it to you may choose to give you a second
- opportunity to receive the work electronically in lieu of a refund. If
- the second copy is also defective, you may demand a refund in writing
- without further opportunities to fix the problem.
- 1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth
- in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS', WITH NO
- OTHER WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT
- LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.
- 1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied
- warranties or the exclusion or limitation of certain types of
- damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement
- violates the law of the state applicable to this agreement, the
- agreement shall be interpreted to make the maximum disclaimer or
- limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or
- unenforceability of any provision of this agreement shall not void the
- remaining provisions.
- 1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
- trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
- providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in
- accordance with this agreement, and any volunteers associated with the
- production, promotion and distribution of Project Gutenberg-tm
- electronic works, harmless from all liability, costs and expenses,
- including legal fees, that arise directly or indirectly from any of
- the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this
- or any Project Gutenberg-tm work, (b) alteration, modification, or
- additions or deletions to any Project Gutenberg-tm work, and (c) any
- Defect you cause.
- Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm
- Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
- electronic works in formats readable by the widest variety of
- computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
- exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
- from people in all walks of life.
- Volunteers and financial support to provide volunteers with the
- assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
- goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
- remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
- Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
- and permanent future for Project Gutenberg-tm and future
- generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
- Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
- Sections 3 and 4 and the Foundation information page at
- www.gutenberg.org
- Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
- The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
- 501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
- state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
- Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
- number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
- Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
- U.S. federal laws and your state's laws.
- The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the
- mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its
- volunteers and employees are scattered throughout numerous
- locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt
- Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to
- date contact information can be found at the Foundation's web site and
- official page at www.gutenberg.org/contact
- For additional contact information:
- Dr. Gregory B. Newby
- Chief Executive and Director
- gbnewby@pglaf.org
- Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
- Literary Archive Foundation
- Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
- spread public support and donations to carry out its mission of
- increasing the number of public domain and licensed works that can be
- freely distributed in machine readable form accessible by the widest
- array of equipment including outdated equipment. Many small donations
- ($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
- status with the IRS.
- The Foundation is committed to complying with the laws regulating
- charities and charitable donations in all 50 states of the United
- States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
- considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
- with these requirements. We do not solicit donations in locations
- where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
- DONATIONS or determine the status of compliance for any particular
- state visit www.gutenberg.org/donate
- While we cannot and do not solicit contributions from states where we
- have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
- against accepting unsolicited donations from donors in such states who
- approach us with offers to donate.
- International donations are gratefully accepted, but we cannot make
- any statements concerning tax treatment of donations received from
- outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.
- Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
- methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
- ways including checks, online payments and credit card donations. To
- donate, please visit: www.gutenberg.org/donate
- Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works.
- Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
- Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be
- freely shared with anyone. For forty years, he produced and
- distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of
- volunteer support.
- Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
- editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
- the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
- necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper
- edition.
- Most people start at our Web site which has the main PG search
- facility: www.gutenberg.org
- This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
- including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
- Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
- subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.