- The Project Gutenberg EBook of Sämmtliche Werke 4: Mirgorod, by Nikolai Gogol
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- Title: Sämmtliche Werke 4: Mirgorod
- Gutsbesitzer der alten Zeit / Taraß Bulba / Wij / Wie Iwan
- Iwanowitsch und Iwan Nikiforowitsch sich entzweiten / Die
- Equipage
- Author: Nikolai Gogol
- Editor: Otto Buek
- Translator: Charlotte König
- Eugenie Chmelnitzky
- S. Bugow
- Release Date: August 2, 2015 [EBook #49576]
- Language: German
- *** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK SÄMMTLICHE WERKE 4: MIRGOROD ***
- Produced by Jana Srna, Norbert H. Langkau, Jens Sadowski,
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- Nikolaus Gogol
- Mirgorod
- Nikolaus Gogol
- Sämmtliche Werke
- In 8 Bänden
- Herausgegeben
- von
- Otto Buek
- Band 4
- München und Leipzig
- bei Georg Müller
- 1910
- Nikolaus Gogol
- Mirgorod
- Herausgegeben
- von
- Otto Buek
- München und Leipzig
- bei Georg Müller
- 1910
- Inhalt
- Vorrede des Herausgebers IX
- Mirgorod I 1
- Gutsbesitzer der alten Zeit 3
- Taraß Bulba 41
- Mirgorod II 241
- Wij 245
- Wie Iwan Iwanowitsch und Iwan Nikiforowitsch sich entzweiten 309
- Novellen 391
- Die Equipage 393
- Anhang 415
- Vorrede des Herausgebers
- Die in diesem Bande vereinigten Erzählungen bilden die Fortsetzung der
- Novellensammlung »Abende auf dem Gutshofe bei Dikanka«, durch welche
- Gogols Name zuerst in der breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde und die
- ihn sogleich an die Seite der ersten Schriftsteller Rußlands stellte. Es
- ist jedoch kein eigentlich gedanklicher Zusammenhang, der die beiden
- Novellenbände miteinander verbindet; sie bilden nicht etwa ein
- durch eine fortlaufende Handlung oder eine einheitliche Idee
- zusammengehaltenes Ganzes, sondern sind durchaus selbständig und
- voneinander unabhängig, so wie auch jede einzelne Novelle in ihrer Art
- ein in sich geschlossenes und für sich dastehendes Kunstwerk ist. Was
- Gogol trotzdem veranlaßte, die Novellen »Mirgorod« als Fortsetzung des
- ersten Sammelbandes zu bezeichnen -- das war der gemeinsame Schauplatz
- und der gemeinsame Charakter und Stil, der diese Novellen kennzeichnet.
- Es ist das Leben jenes eigenartigen kleinrussischen Volksstammes, aus
- dem Gogol selbst hervorgegangen ist, das durchgehend den Stoffkreis
- dieser Novellen bildet, und es ist jene seltsame Mischung von
- ungebundener Phantastik und derber Realistik, in der ihre stilistische
- Einheit liegt.
- Gogols starkes schriftstellerisches Talent hat sich schon sehr früh
- angekündigt; schon während seiner Schulzeit bildete sich ein
- ausgesprochen parodistischer und karikaturistischer Hang bei ihm aus,
- der ihn bei seinen Kameraden und Mitschülern gefürchtet machte. Allein
- der Jüngling maß diesen Talenten keine ernstere Bedeutung bei, da sein
- hochfliegendes Streben eine ganz andere Richtung eingeschlagen hatte. Er
- wollte seinen Namen durch eine Großtat verewigen, und seinem Traume
- winkte kein geringeres Ziel, als die Reformation und Beglückung seines
- Vaterlandes und des ganzen Menschengeschlechtes. Der Staatsdienst
- erschien ihm als das einzige Feld, auf dem er seine ehrgeizigen Pläne
- verwirklichen konnte, und so trieb es ihn gleich nach Vollendung seiner
- Studien im Lyzeum zu Njeschin aus seiner kleinrussischen Heimat nach
- Petersburg, wo er einen seiner Begabung und seinen Fähigkeiten
- angemessenen Wirkungskreis zu finden hoffte. Doch schon die ersten
- Schritte auf dem schlüpfrigen Boden der Großstadt brachten ihm eine
- Enttäuschung. Er fand hier keineswegs die Beachtung, die seinem Talente
- entsprach und hatte mit schweren Entbehrungen und Nahrungssorgen zu
- kämpfen. In diese Zeit fällt sein erster literarischer Versuch, die
- Dichtung »_Hans Küchelgarten_«: ein Idyll im Stile von Johann Heinrich
- Voß mit einem starken Einschlag romantischer Stimmungen. Es schildert
- die Flucht eines schwärmerischen, für große Taten begeisterten Jünglings
- aus der Enge und Dumpfheit eines friedlichen provinziellen Daseins an
- der Seite der Geliebten, seine Irrfahrten und die Rückkehr des
- Enttäuschten in den Schoß der Familie. Doch dieser Erstling, auf den
- Gogol so große Hoffnungen gesetzt hatte, trug ihm keinen Erfolg ein und
- erfuhr von der Kritik eine entschiedene Ablehnung. Erbittert und
- verärgert kaufte der Dichter alle Exemplare von dem Verleger zurück, um
- sie für immer zu vernichten, und floh aus Petersburg, wo er so viele
- zerstörte Illusionen zurückließ, ins Ausland, um die häßlichen Eindrücke
- zu vergessen und als neuer Mensch ein neues Leben zu beginnen. Indessen
- auch dieser Versuch mißglückte. Gogol hielt es im Auslande nicht lange
- aus und kehrte schon nach einem Monat wieder nach Petersburg zurück, wo
- er als Beamter in das Apanagedepartement eintrat. Allein der Aufstieg
- auf der Leiter der Beamtenhierarchie vollzog sich viel zu langsam für
- den hochstrebenden Jüngling, auch stand die Tätigkeit, der er sich hier
- widmen mußte, in einem zu krassen Gegensatze zu jenem Ideal eines freien
- Wirkens im Dienste des Vaterlandes und der Menschheit, das ihm
- unablässig vorschwebte, und sein Beamtengehalt war viel zu klein, um ihm
- eine gesicherte Existenz zu gewähren. Da mochte ihm denn der Gedanke
- gekommen sein, sein schriftstellerisches Talent und seine Kenntniß
- Kleinrußlands zu verwerten, um sich die Mittel zum Leben zu erwerben. Er
- wollte das russische Publikum mit seiner Heimat und ihren Bewohnern
- bekannt machen, zumal sich gerade in jenen romantischen Zeiten ein
- besonderes Interesse für neuentdeckte Länder und Volksstämme bemerkbar
- machte. So entstanden die prachtvollen leben- und kraftstrotzenden
- Erzählungen: »Abende auf dem Gutshofe bei Dikanka«, durch die Gogol zum
- Entdecker einer völlig neuen, damals noch ganz unbekannten Welt wurde,
- und die seinen Namen mit einem Schlage berühmt machten. Diese Novellen
- zeigen Gogol sogleich auf der Höhe seines Könnens. Das sind wunderbare
- farbensatte Bilder kleinrussischen Volkslebens, vorzüglich der niederen
- Schichten, mit einer derben Realistik und naiven Sinnenfreude an der
- knorrigen Urkraft und der grellen Buntheit dieses Lebens gestaltet, und
- das Ganze ist in eine phantasievolle Märchensphäre hinaufgerückt, wo die
- Geschöpfe der Volkssage: die Nixen, Hexen, Wald- und Hausgeister
- humorvoll in das irdische Treiben hineinspielen. Gogols junger
- Dichterruhm brachte ihn bald in nähere Berührung mit den bedeutendsten
- Vertretern der russischen Dichterschule, vorzüglich mit Puschkin, der
- mit sicherem Blick sogleich die stärkste Seite an Gogols Talent, seine
- einzigartige Begabung für die Darstellung des Engen, Beschränkten,
- Gemeinen und Trivialen herausfand, und in ihm den Dichter des Alltags
- entdeckte. Von nun ab gewann Puschkin einen immer stärkeren und
- entscheidenderen Einfluß auf Gogols Schaffen. Diese Zeit geistiger
- Freundschaft und Gemeinschaft mit Puschkin ist zugleich die schönste und
- heiterste Epoche im Leben Gogols, denn Puschkin verstand es, die
- finsteren Schatten, die Gogols Seele schon damals bedrängten, und sie
- nachmals völlig in ihren Bannkreis zogen, zu verscheuchen; es ist
- zugleich die fruchtbarste Periode in Gogols dichterischem Schaffen, in
- der solche Meisterwerke, wie die ersten Kapitel der toten Seelen und der
- Revisor entstanden. Auch der Novellenzyklus Mirgorod gehört diesem
- Zeitabschnitt an. Die einzelnen Novellen dieser Sammlung sind unabhängig
- von einander entstanden, sie stehen, wie schon erwähnt, ganz selbständig
- da, und bedürfen zu ihrem Verständnis keineswegs der Kenntnis der
- vorhergehender Erzählungen; trotzdem aber geht etwas wie eine gemeinsame
- Idee oder doch eine Grundstimmung durch das Ganze, die das ästhetische
- Band dieser Novellen bildet. Das ewige Thema in Gogols Leben und Dichten
- kündigt sich hier zum ersten Male an: der furchtbare Kontrast zwischen
- dem, was für ihn Leben bedeutet: einem von einem beherrschenden Zweck
- erfüllten und durchdrungenen Streben, einer Beseelung der materiellen
- Daseinsäußerungen, ihre Erhebung zu einer geistigen Bedeutung, -- und
- dem wirklichen Abbild des menschlichen Treibens, wie es sich uns in
- Wahrheit darbietet und das erdrückende Übergewicht in allem menschlichen
- Geschehen bildet. In dem ersten Teil des Mirgorod tritt dieses Motiv in
- einem stark abgetönten Gegensatz hervor. Die Erzählung »Gutsbesitzer aus
- der alten Zeit« läßt es noch kaum merklich anklingen, und die kritische
- Stimmung tritt noch stark gegenüber dem Gefühl freundlicher Sympathie
- für die Helden dieser Novelle zurück. Mit mildem Humor und warmer Liebe
- zeichnet uns Gogol hier das Bild zweier alter Leute, die in zärtlicher
- Zuneigung verbunden, langsam dahinwelken. Ihre ganze Existenz wurzelt in
- den allerprimitivsten natürlichsten Lebensfunktionen und erhebt sich
- keinen Augenblick über das Niveau der gewöhnlichsten materiellen
- Bedürfnisse. Sie sind ganz Trieb, ganz Natur, alle geistigen Ansprüche
- liegen ihnen völlig fern, und das verleiht ihrer Existenz etwas Ganzes,
- Harmonisches, von keinem Mißklang Getrübtes. Ihre schlichte Einfalt und
- ihre natürliche Güte gewinnt unsere Herzen, dennoch aber erscheint uns
- dies Dasein mit all seiner ruhigen Heiterkeit und in dem Frieden, der
- über ihm ruht, arm und inhaltsleer, da es in seinem ewig gleichmäßigen
- Abfluß durch keinen Zweck und Sinn geadelt wird. So konnte es Gogol wohl
- reizen, das Gegenbild dieses Lebens aufzustellen, das trotz all den
- freundlichen Seiten, die er ihm abzugewinnen vermochte, doch nur ein
- Schatten des wahren Lebens war. Die Gegenwart konnte ihm nicht bieten,
- was er suchte, sie erschien ihm grau, öde und tot, und so flüchtete er
- in die Vergangenheit, in die er wie ein echter Romantiker sein
- Ideal verlegte, und die er mit der ganzen Farbenpracht einer
- verschwenderischen Phantasie ausstattete. Die Geschichte seiner Heimat
- hatte von jeher eine starke Anziehungskraft auf ihn ausgeübt, und ihr
- entnahm er auch den Stoff zu seiner großen Heldendichtung »Taraß Bulba«.
- In der freien Ungebundenheit des Kosakentums, in dem großartigen Schwung
- dieses noch von keinen staatlichen Schranken beengten und durch die
- großen Kämpfe um Volkstum und Religion zu hoher Bedeutung emporgehobenen
- Lebens trat ihm eine neue Welt entgegen, in der er sich heimisch fühlte,
- und die den stärksten Kontrast zu der Monotonie des stumpfen
- Dahinvegetierens bildete, das ihn an der Gegenwart so sehr abstieß. Die
- eigentümlichen Verhältnisse des geschichtlichen Werdens hatten in der
- Tat in dem Kosakentum ein Volksgebilde von kraftvoller Eigenart und
- Ursprünglichkeit geschaffen. Die Not der Zeit, die Raubzüge der Tataren,
- die verheerend und verwüstend über Südrußland hinweggezogen waren,
- hatten eine Anzahl verwegener Männer zur Abwehr dieser Horden an den
- Ufern und auf den Inseln des Dnjepr zusammengeführt. Flüchtlinge, Räuber
- und Freibeuter aus aller Herren Länder stießen hinzu, und so bildete
- sich hier allmählich jener merkwürdige Freistaat der Saporoger Kosaken
- heraus, der bereits gegen Ende des XIV. Jahrhunderts eine imponierende,
- den benachbarten Polen und Tataren Schrecken einflößende kriegerische
- Macht repräsentierte. Das befestigte Hauptlager der Kosaken, die
- sogenannte Sjetsch, von dem aus sie ihre Feldzüge unternahmen, lag auf
- einer der Inseln des Dnjepr; sie hatten ihre eigene originelle
- Organisation und eigenartige Sitten und Gebräuche, über die sie mit
- Eifersucht wachten. Die höchste Bewegungsfreiheit paarte sich hier mit
- einem quellenden Tatendrang, der in den ständig drohenden Gefahren und
- in den kriegerischen Aktionen zum Schutze der angestammten Religion und
- des eigenen Volkstums eine willkommene Aufgabe fand und so das Entstehen
- mächtiger und starker Individualitäten begünstigte, die doch durch das
- gemeinsame Ziel zu einer festen Gemeinschaft zusammengeschlossen wurden.
- Den reichen Stoff, der hier vorlag, hat Gogol mit vollendeter
- Meisterschaft bewältigt. Hierbei sind ihm seine tiefen historischen
- Studien zustatten gekommen, die er einst mit der Absicht, eine
- Geschichte Kleinrußlands zu schreiben, unternommen hatte; allein die
- streng wissenschaftliche Darstellung war nicht die adäquate Form für
- seine geschichtlichen Forschungen. Erst in der Gestalt der Dichtung
- gewannen diese für ihn Leben und Realität. Indem sich Gogol dem freien
- Fluge der Einbildungskraft überließ, gab er uns in einer gewaltigen
- Anschauung ein getreueres, lebensvolleres Bild jener historischen
- Epoche, als dies je eine wissenschaftliche Rekonstruktion vermöchte. In
- »Taraß Bulba« steigt ein entschwundenes Zeitalter leibhaftig vor uns
- auf. Wir lernen die Völker in ihrer nationalen Eigenart, in ihrem Hassen
- und Lieben kennen, wir erleben den Kampf der Religionen, die Gegensätze
- der feindlichen Stämme: der Russen und Polen, des Katholizismus und der
- Orthodoxie, die furchtbaren Leiden der Juden usw., und all diese
- einzelnen Züge vereinigen sich für uns zu einem großen historischen
- Gemälde und zu einem mächtigen Bardengesang auf das kleinrussische Volk.
- »Taraß Bulba« ist neben den »Toten Seelen« die stärkste Dichtung Gogols
- und zugleich einer der Gipfelpunkte der russischen Literatur.
- In dem patriotischen Heldenlied der Taraß Bulba-Dichtung klingt der
- erste Teil von Mirgorod aus. Der zweite Teil führt uns durch das Grauen
- der Gespensternovelle Wij, die wieder an den Stil der Abende auf dem
- Gutshofe bei Dikanka anknüpft und uns alle Schrecken des
- Gespensterglaubens mit einer an die Realistik des Traumes gemahnenden
- Intensität erleben läßt, wieder in die Welt des Alltags und zur
- Erbärmlichkeit der Gegenwart zurück. Die köstliche Satire vom Streite
- Iwan Iwanowitschs und Iwan Nikiforowitschs bildet den äußersten Abstich
- gegen das großzügige Epos slawischen Lebens: den Taraß Bulba. Der Traum
- der Phantasie ist ausgeträumt, und die heroische Geste wird abgelöst
- durch die Grimasse. Die ganze Misere kleinstädtischen Daseins, der
- trostlose Stumpfsinn einer geistlosen, jeden ernsten Interessen
- entfremdeten Existenz erscheint hier in dem Zerrspiegel eines Humors,
- der nur ein Ausdruck für den Pessimismus des Dichters ist, welcher die
- Nichtigkeit und Fratzenhaftigkeit der Welt an dem Ideal freier
- Menschlichkeit mißt und seine Tränen hinter der Maske des Spottes und
- des Gelächters verbirgt.
- Diese Erzählung, mit der der Novellenkreis Mirgorod schließt, leitet
- bereits zu dem neuen Stil Gogols hinüber, der seine vollkommenste
- Ausprägung in dem Roman »Die toten Seelen« gefunden hat. Die kleine
- Erzählung »Die Equipage«, die wir dem Mirgorodzyklus als Anhang folgen
- lassen, stammt aus einer späteren Zeit, hängt jedoch in bezug auf ihren
- Charakter und ihre Grundidee eng mit dem letzteren zusammen.
- Erster Teil
- Gutsbesitzer aus der alten Zeit
- Übersetzt von
- _Charlotte König_
- Ich liebe es sehr, dies bescheidene Leben jener einsamen Bewohner
- entlegener Dörfer, die man in Kleinrußland gewöhnlich »Gutsbesitzer aus
- der alten Zeit« nennt, und die uns gleich verwitterten malerischen
- Häuschen durch ihre schlichte Einfachheit anziehen. Der Reiz besteht in
- dem absoluten Gegensatz zu den neuen, sauberen Gebäuden, deren Mauern
- noch kein Regen verwaschen hat, deren Dächer kein grüner Schimmel
- bedeckt und deren vom Mörtel entblößte Fassade noch nicht ihre roten
- Ziegel hervorstreckt. Ich liebe es, mich mitunter auf Augenblicke in die
- Sphäre dieses ganz einsamen Lebens zu versenken: da schwingt sich kein
- Wunsch über den Zaun, der das kleine Gehöft umgibt, oder über die Hecke,
- die den mit Apfel- und Birnbäumen reich bestandenen Garten einschließt.
- Kein Verlangen reckt sich über die von Weiden, Holunder und Birnbäumen
- beschatteten, schiefen Hütten. Auch das Leben der Bewohner ist so still
- -- so still daß man zeitweise sich selbst vergißt und glaubt, die
- Leidenschaften, die Begierden und die seltsamen Gelüste des bösen
- Geistes, die diese Welt beunruhigen, existierten gar nicht und wären nur
- Gesichte eines glänzenden, leuchtenden Traumes.
- Es ist mir, als sähe ich es vor meinen Augen -- das niedrige Häuschen
- mit der Galerie aus kleinen geschwärzten Holzstäben, die rund herum das
- Haus umgibt, damit man bei Regen und Hagel die Läden schließen kann,
- ohne selbst naß zu werden. Hinter ihr erhebt sich ein duftender Faulbaum
- und eine lange Reihe niedriger Obstbäume, die im Purpurrot der Kirschen
- und im saphirblauen Meer der mattbereiften Pflaumen ertrinken. Dort
- steht ein langgestreckter Ahorn, in dessen Schatten ein ausgebreiteter
- Teppich zur Ruhe einladet, vor dem Hause befindet sich ein geräumiger
- Hof, der von frischem kurzem Gras bedeckt ist, in welchem emsige Füße
- von dem Speicher bis zur Küche und von der Küche bis zu den
- Herrschaftszimmern einen schmalen Weg ausgetreten haben. Eine
- langhalsige Gans steht umringt von jungen, flaumigen Kücheln und trinkt
- Wasser; der Staketenzaun ist mit Bündeln von getrockneten Äpfeln, Birnen
- und Teppichen behängt, die hier ausgelüftet werden; eine Fuhre mit
- Melonen steht neben dem Speicher, und der ausgespannte Stier ruht träge
- daneben aus. Das alles hat für mich einen unerklärlichen Zauber,
- vielleicht weil ich es nun nicht mehr sehe und weil uns alles so teuer
- ist, von dem wir getrennt sind. Gleichviel warum, jedenfalls zog auch
- schon damals eine wunderbare angenehme Ruhe durch meine Seele, wenn sich
- mein Wagen dem Häuschen näherte; fröhlich trabten die Pferde auf die
- Freitreppe zu, und der Kutscher stieg behaglich vom Bock und zündete
- sich ein Pfeifchen an, als käme er zu sich nach Hause -- ja selbst das
- Gebell, das die phlegmatischen, schwarzen und braunen Köter anstimmten,
- war meinen Ohren angenehm.
- Am meisten aber gefielen mir die Besitzer dieser bescheidenen Nester,
- die alten Männer und Frauen, die einem geschäftig entgegenkamen und
- einen so freundlich begrüßten. Heut noch im Lärm und Trubel des Lebens,
- inmitten moderner Fräcke meine ich manchmal ihre Gesichter zu sehen: und
- im Halbschlummer steigt dann die Vergangenheit vor mir auf. In ihren
- Zügen liegt immer soviel Güte, soviel Treuherzigkeit und Herzensreinheit
- -- daß man unwillkürlich, wenn auch nur für kurze Zeit, seine
- vermessenen Pläne und Absichten vergißt und unbewußt mit allen Fühlern
- in dies schlichte und idyllische Leben hinabtaucht. Bis heute kann ich
- zwei von diesen alten Leuten aus dem vorigen Jahrhundert nicht
- vergessen, die längst nicht mehr unter den Lebenden weilen: aber auch
- heut noch ist meine Seele von Trauer erfüllt, und mein Herz zieht sich
- bei dem Gedanken seltsam zusammen, daß ich wieder einmal an ihrer
- einstigen nun verödeten Wohnung vorbeikommen könnte, und dort, wo einst
- ihr niedriges Häuschen stand, nur einen Haufen verfallener Hütten, einen
- moosüberzogenen Teich, den verwilderten Garten finden könnte -- und
- weiter nichts. Es wird einem so traurig dabei zumute! Wie traurig ist
- schon der bloße Gedanke daran. Aber wenden wir uns unserer Erzählung zu.
- Afanassji Iwanowitsch Towstogub und Pulcheria Iwanowna »Towstogubicha«,
- (wie die Bauern aus der Umgegend sie zu nennen pflegten), so hießen jene
- alten Leute, von denen ich zu erzählen begonnen habe. Wenn ich ein Maler
- wäre und das Bild von Philemon und Baucis auf der Leinwand darstellen
- wollte: ich würde mir nie ein anderes Modell wählen, als diese beiden.
- Afanassji Iwanowitsch war 60 Jahre alt, Pulcheria Iwanowna 55. Afanassji
- Iwanowitsch war groß von Wuchs, trug beständig einen mit Kamelot
- überzogenen Schafpelz, saß gebeugt da und lächelte immer, sei es nun daß
- er selbst sprach und erzählte oder daß er einfach zuhörte. Pulcheria
- Iwanowna dagegen war stets ernst und lächelte fast nie: in ihren Zügen
- und in ihren Augen lag soviel Güte, und soviel Bereitwilligkeit, Sie mit
- dem Besten zu bewirten, was sie besaß, daß Sie ein Lächeln auf diesen
- guten Zügen sicher als süßlich empfunden hätten. Die feinen Runzeln auf
- ihren Gesichtern hatten etwas so Angenehmes und Liebenswürdiges, daß ein
- Maler sie sich sicher gemerkt und bei Gelegenheit verwertet hätte. Es
- schien als konnte man die ganze Geschichte ihres Lebens von ihnen
- ablesen: dieses lauteren, ruhigen Lebens, wie es die alten
- bodenständigen, braven und wohlhabenden Familien führen, die so sehr von
- jenen gewöhnlichen Kleinrussen abstechen, welche aus den Kreisen von
- Teerbrennern und Krämern hervorgehen. Diese erfüllen alle Staatsbehörden
- und Kanzleien wie die Heuschrecken, ziehen ihren eigenen Landsleuten die
- letzten Groschen aus der Tasche, überschwemmen Petersburg mit ihrem
- Klatsch, erwerben sich endlich ein Vermögen und hängen dann ihrem
- Familiennamen, der immer auf o endet, breitspurig noch ein w an. Nein,
- unsere alten Leute hatten keine Ähnlichkeit mit diesen verächtlichen,
- traurigen Geschöpfen, ebensowenig wie die wurzelechten kleinrussischen
- Familien. Man konnte nicht gleichgültig bleiben, wenn man sah, wie innig
- sie einander liebten; obwohl sie sich nicht duzten sondern sich stets
- mit Sie anredeten: Sie, Afanassji Iwanowitsch! Sie! Pulcheria Iwanowna!
- »Afanassji Iwanowitsch, haben Sie den Stuhl durchgesessen?«
- »Jawohl, Pulcheria Iwanowna, seien Sie mir deshalb nicht böse!«
- Sie hatten nie Kinder gehabt, und daher konzentrierte sich all ihre
- Liebe aufeinander. Früher einmal, in seiner Jugend, hatte Afanassji
- Iwanowitsch gedient, und hatte es sogar bis zum Sekonde-Major gebracht
- -- aber das war schon lange her und längst vorbei -- Afanassji
- Iwanowitsch dachte selbst fast nie mehr an diese Zeit. Mit dreißig
- Jahren hatte er geheiratet; er war damals ein forscher Kerl, trug ein
- gesticktes Kamisol; und hatte es sogar sehr gescheit angefangen,
- Pulcheria Iwanowna zu entführen, deren Verwandte gegen die Heirat waren,
- aber auch dies schien seinem Gedächtnis entschwunden zu sein, jedenfalls
- sprach er nie davon. All diese längst vergangenen und außerordentlichen
- Ereignisse waren verdrängt durch das ruhige, einsame Leben, und
- verwischt durch jene einschläfernden und doch wieder harmonischen
- Träumereien, die Sie überfallen, wenn Sie auf der Veranda sitzen und in
- den Garten schauen, wo ein herrlicher Regen niedergeht; klatschend fällt
- er auf das Laub der Bäume nieder, läuft in rieselnden Bächlein ab und
- träufelt einen süßen Schlummer in Ihre Glieder: unterdessen aber steigt
- langsam ein Regenbogen hinter den Bäumen auf und leuchtet wie ein
- halbzerstörtes Tor in seinen blassen sieben Farben am Himmel auf, ....
- oder wenn Sie sanft hin- und hergewiegt in Ihrem Wagen zwischen grünen
- Sträuchern hindurchfahren, wenn die Steppenwachtel schlägt, und
- duftendes Gras, Kornähren und Feldblumen durch die Türen Ihres Wagens
- dringen und Ihnen liebkosend Gesicht und Hände streicheln.
- Er hörte seinen Gästen, die zu ihm zu Besuch kamen, immer freundlich
- lächelnd zu; manchmal sagte er auch selbst wohl ein Wort, aber
- größtenteils fragte er sie bloß aus. Er gehörte nicht zu jenen Greisen,
- die allen Leuten durch ihr unaufhörliches Preisen der alten Zeit und
- durch das Schmähen des Neuen lästig fallen: im Gegenteil, er erkundigte
- sich stets nach allem und zeigte großes Interesse und lebhafte Teilnahme
- für Ihre Lebensverhältnisse, Ihre Erfolge und Mißerfolge -- gewöhnlich
- interessieren sich ja alle guten alten Leute dafür, obwohl ihre
- Teilnahme uns an die Neugierde eines Kindes erinnert, das mit Ihnen
- spricht und dabei eingehend das Zifferblatt Ihrer Uhr mustert. Man kann
- wohl sagen, daß sein Gesicht in solchen Augenblicken vor Güte strahlte.
- Die Zimmer des Häuschens, in dem unsere Alten lebten, waren klein und
- niedrig, wie wir sie gewöhnlich bei Leuten aus der guten alten Zeit
- antreffen. Jede Stube war mit einem riesigen Ofen versehen, der fast den
- dritten Teil des Raumes einnahm. In diesen Zimmern war es immer
- furchtbar warm, weil Afanassji Iwanowitsch und Pulcheria Iwanowna beide
- die Wärme sehr liebten. Das gesamte Heizmaterial war im Flur
- aufgestapelt, der fast bis zur Decke mit Stroh angefüllt war, welches in
- Kleinrußland gewöhnlich statt des Holzes verwendet wird. Das Knistern
- und die Farbe des brennenden Strohs geben dem Flur an den Winterabenden
- etwas besonders Anziehendes, wenn die ausgelassene Jugend, die wohl
- draußen einer braunen Schönen nachjagte, plötzlich ganz erfroren
- hereinstürmt und sich lachend die Hände wärmt. Die Zimmerwände waren mit
- Bildern und Bildchen in alten, schmalen Rahmen geschmückt: ich bin
- überzeugt, daß die Sujets dieser Bilder selbst von den Wirten längst
- vergessen waren, und wenn man ein paar davon entfernt hätte, wäre es den
- Alten sicherlich nicht aufgefallen. Zwei dieser Bilder waren größer und
- in Öl gemalt: das eine stellte einen Bischof dar, das andre Peter III.
- Aus einem schmalen Rahmen blickte das ganz von Fliegen beschmutzte
- Gesicht der Herzogin von La Vallière hervor. Um die Fensterrahmen herum
- und über den Türen hing eine Menge kleinerer Bilder, die man
- unwillkürlich für Flecke an der Wand hält und daher nicht näher
- betrachtet. Der Fußboden bestand fast in allen Zimmern aus Lehm; aber er
- war so schön gepflegt und so sauber gehalten, wie kaum ein Parkett in
- einem vornehmen Hause, welches von faulen, schläfrigen Livreedienern
- gefegt wird.
- Pulcheria Iwanownas Zimmer war ganz mit Kisten und Kasten, Kistchen und
- Kästchen verstellt. An den Wänden hingen unzählige Bündelchen und
- Säckchen mit Blumen-, Gemüse- und Wassermelonensamen. In den Ecken
- standen mehrere Koffer; in diesen und zwischen diesen wurden viele
- Knäule buntfarbiger Wolle, sowie Stoffreste von altmodischen Kleidern,
- die vor einem halben Jahrhundert genäht waren, aufbewahrt. Pulcheria
- Iwanowna war eine sorgsame Hausfrau und hob alles auf, obschon sie
- selbst nicht wußte, warum.
- Aber das allerbemerkenswerteste im Hause waren die singenden Türen.
- Sobald der Morgen graute, hörte man den Gesang der Türen durchs ganze
- Haus erschallen. Ich weiß nicht, warum sie eigentlich sangen. Vielleicht
- waren die verrosteten Angeln schuld daran, vielleicht aber hatte auch
- der Mechaniker, der sie gebaut, ein Geheimnis in sie hineingelegt. Was
- jedoch am meisten auffiel war dies, daß jede Tür ihre eigene Stimme
- hatte. Die Schlafzimmertür sang im höchsten Sopran, die des
- Speisezimmers krächzte im Baß, dafür gab die Flurtür einen ganz
- seltsamen, dröhnenden und ächzenden Laut von sich, so daß man bei
- längerem Hinhören deutlich die Worte »Väterchen, mich friert!« zu
- vernehmen glaubte. Ich weiß wohl, daß vielen dieses Geräusch nicht
- gefällt, aber ich liebe es sehr, und wenn ich es zufällig höre, steigt
- sofort das Dorf vor meinem Geiste auf: das niedrige, nur schwach vom
- Licht altmodischer Leuchter erhellte Zimmerchen, der Tisch mit dem
- Abendessen, die dunkle Mainacht, die durch das geöffnete Fenster über
- den gedeckten Tisch fällt, die Nachtigall, welche Garten und Haus und
- den Fluß in der Ferne mit ihrem Gesang erfüllt, das Raunen und Flüstern
- der Zweige .... Herrgott, welch eine unabsehbare Kette von Erinnerungen
- zieht dann an mir vorüber!
- Die hölzernen Stühle im Zimmer waren, wie das in der alten Zeit üblich
- war, alle massiv; sie hatten hohe, geschnitzte Lehnen, in der
- Naturfarbe, ohne Lack und Anstrich; ja sie waren nicht einmal mit Stoff
- bezogen und erinnerten einigermaßen an die Stühle, auf welchen auch in
- unserer Zeit noch die Bischöfe zu sitzen pflegen. In den Ecken standen
- _dreieckige_ und vor dem Sopha und dem Spiegel mit dem schmalen,
- goldenen Rahmen -- dessen geschnitzte Blätter die Fliegen mit schwarzen
- Punkten übersät hatten -- _viereckige_ Tische; vor dem Sopha war ein
- Teppich mit Vögeln, die wie Blumen, und mit Blumen, die wie Vögel
- aussahen, ausgebreitet; das war so ziemlich die gesamte Ausstattung des
- anspruchslosen Häuschens, in dem unsere alten Leutchen lebten.
- Das Mädchenzimmer war von jungen und alten Mädchen in gestreiften
- Leinwandröcken erfüllt; dann und wann gab Pulcheria Iwanowna ihnen etwas
- zu nähen, oder sie ließ sie Beeren aussuchen, gewöhnlich aber liefen sie
- in der Küche umher, oder sie schliefen. Pulcheria Iwanowna hielt es für
- nötig, sie im Hause zu halten und wachte streng über ihr Betragen; aber
- zu ihrem großen Erstaunen verging kaum ein Monat, ohne daß der Umfang
- des einen oder des andern Mädchens in ganz ungewöhnlicher Weise zunahm.
- Dies war um so merkwürdiger, als es im ganzen Hause keinen Junggesellen
- gab, ausgenommen den Zimmerburschen, der barfuß, in einem kurzen grauen
- Frack umherlief und entweder aß, oder wenn er nicht _da_mit beschäftigt
- war, ganz sicher schlief. Pulcheria Iwanowna schalt die Schuldige
- gewöhnlich aus und bestrafte sie streng, um in Zukunft einem
- Wiederholungsfall vorzubeugen. An den Scheiben der Fenster summten
- unzählige Fliegen, übertönt von dem tiefen Baß einer Hummel, der
- mitunter noch von dem grellen Summen der Wespen unterstützt wurde;
- sobald man jedoch ein Licht hineintrug, suchte die ganze Gesellschaft
- ihr Nachtlager auf, und eine schwarze Wolke bedeckte die ganze
- Zimmerdecke.
- Afanassji Iwanowitsch kümmerte sich sehr wenig um die Wirtschaft,
- obgleich er manchmal zu den Mähern und Schnittern hinausfuhr und dann
- ohne Unterlaß zusehen konnte, wie sie arbeiteten; die ganze Last der
- Verwaltung lag auf den Schultern Pulcheria Iwanownas. Die
- wirtschaftliche Leitung Pulcheria Iwanownas bestand in einem
- unablässigen Öffnen und Schließen der Vorratskammern und im Salzen,
- Trocknen und Einkochen einer unzähligen Menge von Früchten und Gemüsen.
- Ihr Reich sah auf ein Haar einem chemischen Laboratorium ähnlich. Unter
- dem Apfelbaum flackerte beständig ein Feuer und der Kessel oder das
- Kupferbecken standen fast immer auf dem eisernen Dreifuß: dort kochte
- sie ihr Eingemachtes, ihre Gelées und Marmeladen aus Honig, Zucker und
- weiß Gott woraus sonst noch. Unter dem andern Baum vor einem kupfernen
- Kessel stand der Kutscher, der beständig Spiritus auf Pfirsichblätter --
- Faulbaumblüten -- Tausendgüldenkraut -- Kirschkerne usw. destillierte.
- Am Schluß dieses Verfahrens war er natürlich nie imstande ein
- vernünftiges Wort zu reden, sprach einen solchen Unsinn zusammen, daß
- Pulcheria Iwanowna nichts verstehen konnte, und ging endlich in die
- Küche, um sich schlafen zu legen. Von all diesem unnützen Zeug wurde so
- unendlich viel gekocht, getrocknet, eingesalzen usw., daß es
- wahrscheinlich den ganzen Hof überschwemmt hätte (Pulcheria Iwanowna
- liebte es, sich über ihren Bedarf hinaus noch einen Reservevorrat
- anzulegen; wenn nur nicht die größere Hälfte all dieser schönen Dinge
- von den Dienstmädchen verzehrt worden wäre. Sie schlichen sich in die
- Vorratskammern und aßen sich dort so voll, daß sie danach den ganzen Tag
- lang stöhnten und über Leibweh klagten.)
- In den Ackerbau und die andern wirtschaftlichen Ressorts hatte Pulcheria
- Iwanowna nur einen geringen Einblick. Der Verwalter und der Dorfälteste
- bestahlen sie gemeinsam ganz unbarmherzig. Diese beiden hatten die
- Gewohnheit angenommen, im herrschaftlichen Walde ganz wie in ihrem
- eigenen zu schalten: sie ließen eine Menge von Schlitten herstellen und
- verkauften sie dann auf dem nächsten Markte; außerdem verkauften sie den
- benachbarten Kosaken, welche Balken für ihre Mühlen brauchten, die
- dicken Eichenstämme. Einmal wollte Pulcheria Iwanowna ihren Wald
- inspizieren. Es wurde auch eine Kutsche mit einer riesigen Schutzdecke
- angespannt, als jedoch der Kutscher die Leinen anzog und die Pferde, die
- noch in der Miliz gedient hatten, davontrabten, da erfüllte die Kutsche
- die Luft mit ganz merkwürdigen Tönen, sodaß man plötzlich Flöten,
- Schellen und Trommeln zu hören glaubte: jeder Nagel, jede eiserne
- Klammer stöhnte so laut, daß man es sogar bei den über zwei Werst
- entfernten Mühlen hören konnte, wie die Herrschaften ausfuhren. Die
- furchtbare Verwüstung im Walde konnte Pulcheria Iwanowna natürlich nicht
- entgehen: sie sah daß viele Eichen fehlten, die ihr schon in ihrer
- Jugend als hundertjährige Bäume bekannt gewesen waren. Sie wandte sich
- daher an den anwesenden Verwalter, und fragte: »Nitschipor, wie kommt
- es, daß so wenig Eichen da sind? Paß mal auf, daß dir die Haare auf
- deinem Kopf nicht ausgehen!«
- »Warum?« antwortete der Verwalter wie gewöhnlich, »sie sind
- verschwunden, glatt verschwunden. Der Blitz hat sie getroffen, die
- Würmer haben sie gefressen -- sie sind verschwunden, gnädige Frau, --
- ganz verschwunden.«
- Pulcheria Iwanowna begnügte sich vollkommen mit dieser Antwort. Als sie
- jedoch nach Hause kam, befahl sie, die Zahl der Wächter bei den
- spanischen Kirschen und bei den großen Winterbirnen zu verdoppeln.
- Diese würdigen Herren, der Verwalter und der Dorfälteste, hielten es
- auch für ganz überflüssig, dem herrschaftlichen Speicher alles Mehl
- zukommen zu lassen, und meinten, daß die Herrschaft schon an der Hälfte
- genug hätte: zu guter Letzt bestand diese Hälfte gar nur aus allerhand
- verschimmelten und feuchten Resten, die auf den Märkten nicht verkauft
- worden waren. Gewiß stahlen der Verwalter und Dorfälteste
- außerordentlich viel, und das Gesinde, von der Wirtschafterin abwärts
- bis hinab zu den Schweinen, vertilgten eine schreckliche Menge von
- Äpfeln und Pflaumen -- diese Tiere stießen nämlich mit ihren Rüsseln oft
- gegen die Bäume, um sich einen ganzen Fruchtregen herabzuschütteln --
- gewiß pickten die Sperlinge und Krähen sehr viel an -- gewiß beschenkten
- die Knechte und Mägde ihren Verwandten in den andern Dörfern auf das
- reichlichste (sie holten sogar ganze Stücke Leinwand und alter
- Hausgewebe aus dem Speicher). Auch fand außerordentlich viel den Weg ins
- allgemeine Reservoir d. h. zum Gastwirt, und auch die Gäste, die
- phlegmatischen Kutscher und Diener mochten nicht wenig wegstehlen:
- jedoch die fruchtbare Erde brachte alles in solcher Überfülle hervor,
- und Afanassji Iwanowitsch und Pulcheria Iwanowna hatten so wenig
- Bedürfnisse, daß diese verheerenden Räubereien in der Wirtschaft
- vollkommen unbemerkt blieben.
- Unsere beiden alten Leutchen liebten vor allen nach Art der Gutsbesitzer
- aus der alten Zeit auch sehr -- zu essen. Kaum brach die Morgenröte an,
- (sie standen immer sehr zeitig auf), und kaum begannen die Türen ihr
- vielstimmiges Konzert, -- da saßen die beiden auch schon bei Tisch und
- tranken Kaffee. Nach dem Kaffee ging Afanassji Iwanowitsch gewöhnlich in
- den Flur, schwenkte sein Taschentuch und rief: »Ksch, Ksch! Marsch! fort
- von der Treppe ihr Gänse!« Im Hofe traf er meist den Verwalter und ließ
- sich gewohnheitsmäßig mit ihm in ein Gespräch ein, ließ sich mit der
- größten Ausführlichkeit von allen Arbeiten erzählen und gab
- dann Anweisungen und Befehle, die jeden durch die gediegene
- Wirtschaftskenntnis, von der sie zeugten, in Staunen gesetzt hätten; ein
- Neuling hätte es sich sicher nicht träumen lassen, daß man einem so
- aufmerksamen Hausherrn etwas stehlen könne. Aber der Verwalter war ein
- geriebener Herr: er wußte, welche Antworten er geben mußte, noch besser
- aber verstand er sich auf das Wirtschaften.
- Dann ging Afanassji Iwanowitsch ins Haus zu Pulcheria Iwanowna zurück
- und fragte: »Pulcheria Iwanowna, wie denken Sie, wäre es nicht Zeit,
- einen kleinen Imbiß nehmen?«
- »Was könnte man jetzt wohl essen, Afanassji Iwanowitsch? Vielleicht ein
- paar in Schmalz gesottene Pfannkuchen? Oder kleine Mohnkuchen? Oder ein
- paar gesalzene Pilze?«
- »Meinetwegen -- Pilze oder auch Mohnkuchen,« antwortete Afanassji
- Iwanowitsch, und plötzlich deckte sich der Tisch mit einem Tischtuch,
- Pilzen und Mohnkuchen.
- Eine Stunde vor dem Mittagessen nahm Afanassji Iwanowitsch wieder einen
- Imbiß, trank aus einem alten silbernen Becherchen einen Schnaps und aß
- ein paar Pilze, getrocknete Fischchen und dergleichen. Um zwölf Uhr
- setzte man sich zu Tisch. Außer den verschiedenen Schüsseln und
- Saucièren standen auf dem Tisch noch zahlreiche Töpfchen, die sorgfältig
- zugedeckt und verklebt waren, damit die zahlreichen angenehmen
- Erzeugnisse der alten, wohlschmeckenden Küche nicht ihr Aroma verlören.
- Beim Mittagstisch drehte sich die Unterhaltung gewöhnlich um
- Gegenstände, die eng mit der Mahlzeit verknüpft waren.
- »Mir scheint,« sagte zum Beispiel Afanassji Iwanowitsch, »daß diese
- Grütze etwas angebrannt ist. Meinen Sie nicht auch, Pulcheria Iwanowna?«
- »Nein, Afanassji Iwanowitsch, nehmen Sie nur etwas mehr Butter, so wird
- sie nicht mehr angebrannt schmecken, oder hier, gießen Sie etwas
- Pilzsauce darüber --«
- »Hm! vielleicht haben Sie recht,« sagte Afanassji Iwanowitsch und
- reichte seinen Teller hin. »Ich will es mal versuchen.«
- Nach dem Mittag legte sich Afanassji Iwanowitsch auf ein Stündchen
- nieder. Hierauf brachte ihm Pulcheria Iwanowna eine angeschnittene
- Wassermelone und sagte: »Afanassji Iwanowitsch, versuchen Sie einmal,
- sehen Sie nur, was das für eine schöne Melone ist.«
- »Lassen Sie sich nicht dadurch täuschen, daß sie in der Mitte so schön
- rot ist, Pulcheria Iwanowna,« sagte Afanassji Iwanowitsch, indem er sich
- eine gute Portion vorlegte, »es kommt vor, daß Melonen rot und doch
- schlecht sind!«
- Die Melone wurde sofort verzehrt. Hierauf aß Afanassji Iwanowitsch noch
- einige Birnen und machte mit Pulcheria Iwanowna einen Spaziergang durch
- den Garten. Wenn sie wieder nach Hause kamen, besorgte Pulcheria
- Iwanowna ihre Geschäfte und er setzte sich vor die Tür und sah zu, wie
- der Speicher dem Beschauer bald sein Innerstes preisgab, bald wieder
- verbarg, und wie die Dienstmädchen sich unaufhörlich stoßend und
- drängend, allerhand Kram in Holzkisten, Sieben, Mulden und sonstigen
- Obstbehältern hin- und hertrugen. Nach einer Weile schickte er nach
- Pulcheria Iwanowna, oder er ging selbst zu ihr hin und sagte: »Was
- sollte ich jetzt wohl essen, Pulcheria Iwanowna?«
- »Ja, was könnte man wohl essen ....!« meinte Pulcheria Iwanowna, »soll
- ich Ihnen vielleicht Quarkkuchen mit Beerenfüllung bringen lassen, die
- ich eigens für Sie aufbewahren ließ?«
- »Ja, das wäre ausgezeichnet,« sagte Afanassji Iwanowitsch.
- »Oder vielleicht wollen Sie etwas rote Grütze essen?«
- »Auch das läßt sich hören,« antwortete Afanassji Iwanowitsch, und gleich
- darauf wurde all dieses hereingebracht und, wie zu erwarten war, mit
- Appetit verzehrt.
- Vor dem Abendbrot versorgte sich Afanassji Iwanowitsch noch mit diesem
- oder jenem. Um ½10 Uhr setzte man sich zum Abendbrot. Darauf ging man
- sofort schlafen, und eine allgemeine Stille senkte sich auf diesen
- tätigen und doch ruhevollen Erdenwinkel herab.
- Das Schlafzimmer Afanassji Iwanowitschs und Pulcheria Iwanownas war so
- warm, daß ein anderer kaum einige Stunden in ihm hätte zubringen können;
- aber Afanassji Iwanowitsch schlief noch eigens auf der Ofenbank, um es
- wärmer zu haben, obgleich die Hitze ihn des Nachts einige Male zwang,
- aufzustehen und im Zimmer auf und ab zu laufen. Hin und wieder stöhnte
- er leise im Gehen.
- Gewöhnlich fragte dann Pulcheria Iwanowna: »Warum stöhnen Sie so,
- Afanassji Iwanowitsch?«
- »Weiß Gott, Pulcheria Iwanowna,« sagte Afanassji Iwanowitsch, »ich habe
- wohl ein wenig Leibdrücken!«
- »Sollten Sie nicht vielleicht etwas zu sich nehmen, Afanassji
- Iwanowitsch?«
- »Ich weiß nicht, Pulcheria Iwanowna; wird mir das auch bekommen?
- Übrigens, was könnte ich denn essen?«
- »Nun, etwas saure Milch oder ein paar geschmorte Birnen?«
- »Ja, so etwas -- das wäre noch das Einzige,« murmelte Afanassji
- Iwanowitsch; die schläfrige Magd mußte alle Schränke durchsuchen, und
- Afanassji Iwanowitsch aß einen Teller Milch oder Birnen, wonach er
- gewöhnlich erklärte: »Mir scheint, es ist mir schon wieder besser.«
- Mitunter, wenn es schon heller war und eine angenehme Wärme im Zimmer
- herrschte, wurde Afanassji Iwanowitsch ganz munter; dann liebte er es
- wohl, ein wenig mit Pulcheria Iwanowna zu scherzen.
- »Was würden wir machen, Pulcheria Iwanowna, wenn plötzlich Feuer im
- Hause ausbräche? Wohin würden wir uns flüchten?« fragte er.
- »Gott behüte uns davor!« sagte Pulcheria Iwanowna und schlug ein Kreuz.
- »Gewiß -- aber nehmen wir einmal an, unser Haus würde niederbrennen?
- Wohin würden wir dann ziehen?«
- »Gott weiß, was Sie da schwatzen, Afanassji Iwanowitsch! Wie kann denn
- unser Haus abbrennen! Das wird Gott nie zulassen!«
- »Hm -- und wenn es doch abbrennt?«
- »Nun dann werden wir in die Küche übersiedeln. Sie müßten dann für
- einige Zeit in dem Zimmer wohnen, wo jetzt die Wirtschafterin haust.«
- »Und wenn die Küche mit abbrennt?«
- »Auch das noch! Das würde Gott nie zulassen, daß Haus und Küche so
- plötzlich niederbrennen. Dann müßten wir ja in den Speicher ziehen, bis
- das neue Haus fertig ist.«
- »Hm -- wenn nun aber auch der Speicher mit abbrennt?«
- »Herrgott, was Sie nur reden! Ich will nichts davon hören, es ist eine
- Sünde, so zu sprechen. Gott straft einen für solche Reden!«
- Aber Afanassji Iwanowitsch saß zufrieden lächelnd auf seinem Stuhl und
- freute sich, daß er Pulcheria Iwanowna ein wenig geneckt hatte.
- Am allerinteressantesten erschienen mir jedoch die alten Leutchen, wenn
- sie Besuch hatten. Dann nahm in ihrem Hause alles einen andern Anstrich
- an. Man kann wohl sagen, diese prächtigen Menschen lebten ganz für ihre
- Gäste. Das Beste, was sie hatten, wurde herausgesucht, und sie
- wetteiferten miteinander, dem Gast die schönsten Erzeugnisse der ganzen
- Wirtschaft vorzusetzen. Und was dabei das Angenehmste war: in all ihrer
- Liebenswürdigkeit lag auch nicht eine Spur von Aufdringlichkeit. Die
- Treuherzigkeit, Gefälligkeit und Güte leuchtete ihnen aus den Augen und
- stand ihnen so gut, daß man unwillkürlich ihren Einladungen Folge
- leistete. Diese Güte und Freundlichkeit quoll aus der schlichten Einfalt
- ihrer braven und ehrlichen Seelen, und ihre Liebenswürdigkeit hatte
- nichts mit der eines Staatsbeamten gemein, der es mit Ihrer Hilfe zu
- etwas gebracht hat, Sie seinen Wohltäter nennt und vor Ihnen kriecht.
- Der Gast durfte nie am selben Tag wieder gehn: er mußte durchaus bei den
- Alten übernachten.
- »Wie kann man bloß zu so später Stunde noch einen so weiten Weg
- antreten?« pflegte Pulcheria Iwanowna zu sagen. (Gewöhnlich wohnte der
- Gast drei oder vier Werst weit von ihnen.)
- »Natürlich,« sagte Afanassji Iwanowitsch, »wer weiß, was einem alles
- passieren kann: es gibt doch Räuber und andres Gesindel, die einen
- überfallen können!«
- »Gott möge Sie vor Räubern bewahren,« sagte Pulcheria Iwanowna, »warum
- sprichst du zur Nacht von solchen Dingen. Ich sage es nicht der Räuber
- wegen, -- man sollte überhaupt nicht in solch einer Dunkelheit fahren!
- Ja, und Ihr Kutscher -- ich kenne doch Ihren Kutscher, er ist so ein
- dürftiger, kleiner Kerl, den wirft jede Stute um -- und dann ist er
- jetzt sicherlich schon betrunken und schläft irgendwo.«
- Und dem Gast blieb nichts anderes übrig: er mußte bleiben. Übrigens
- waren der Abend in dem niedrigen, warmen Zimmer, die treuherzige,
- erwärmende und zugleich einschläfernde Unterhaltung, und der Geruch, der
- von den nahrhaften und meisterhaft zubereiteten Gerichten, die den Tisch
- besetzten, aufstieg, eine entsprechende Belohnung. Ich sehe Afanassji
- Iwanowitsch noch ganz deutlich vor mir, wie er gebeugt im Lehnstuhl
- sitzt und dem Gaste voller Aufmerksamkeit, ja mit Entzücken zuhört.
- Zuweilen war auch von Politik die Rede. Der Gast, der meist auch nur
- selten aus dem Dorf herauskam, teilte dann wohl mit wichtiger und
- geheimnisvoller Miene seine Vermutungen mit und erzählte, daß die
- Franzosen sich heimlich mit den Engländern verbündet hätten, um
- Bonaparte wieder einmal auf Rußland loszulassen; oder er erzählte
- einfach von dem bevorstehenden Kriege. Dann pflegte Afanassji
- Iwanowitsch wohl zu antworten, indem er Pulcheria Iwanowna scheinbar gar
- nicht beachtete:
- »Ich denke auch daran, in den Krieg zu gehen --: warum sollte ich auch
- nicht in den Krieg gehen?«
- »Was er da wieder redet -- das fehlt gerade noch,« unterbrach ihn
- Pulcheria Iwanowna. »Glauben Sie ihm nicht,« wandte sie sich an den
- Gast, »wie kann er in seinem Alter noch in den Krieg ziehen -- der erste
- beste Soldat schießt ihn ja gleich tot; bei Gott, er schießt ihn tot.
- Ja, er wird auf ihn anlegen, zielen und ihn niederschießen.«
- »Nun und was ist dabei?« erwiderte Afanassji Iwanowitsch, »ich werde ihn
- auch niederschießen!«
- »Hören Sie nur, was er wieder spricht,« fiel ihm Pulcheria Iwanowna ins
- Wort, »wie kann er denn in den Krieg gehen! Seine Pistolen sind ja
- längst verrostet und liegen schon lange in der Rumpelkammer. Sie sollten
- sie nur ansehen: das sind ganz gräßliche Dinger, bevor man abdrückt,
- sprengt einem das Pulver das ganze Zeug auseinander. Er wird sich die
- Hände verstümmeln, und das Gesicht verunstalten, er wird sich noch für
- ewige Zeiten unglücklich machen!«
- »Und wenn schon,« sagte Afanassji Iwanowitsch, »ich werde mir eben ein
- neues Gewehr kaufen -- und mir einen Säbel und einen Kosakenspieß
- anlegen.«
- »Dummheiten, Dummheiten! Plötzlich fällt ihm etwas ein, und dann geht es
- los!« sagte Pulcheria Iwanowna ganz ärgerlich. »Ich weiß ja, daß er
- spaßt, aber es ist doch unangenehm, so etwas anhören zu müssen. Sehen
- Sie, so spricht er immer, mitunter wird einem ganz bange, wenn man ihn
- so reden hört.«
- Aber Afanassji Iwanowitsch saß höchst befriedigt darüber, daß er
- Pulcheria Iwanowna etwas geängstigt hatte, ganz zusammengebeugt in
- seinem Stuhl und lachte vergnügt.
- Pulcheria Iwanowna war immer am interessantesten für mich, wenn sie
- einen Gast zu Tische führte. »Dies hier«, -- sagte sie, indem sie den
- Verschluß einer Karaffe entfernte, »ist ein Schnaps, der auf Holz oder
- Salbei abgesetzt ist, der ist besonders gut gegen Schmerzen im
- Schulterblatt oder im Kreuz -- oder der hier ist aus Tausendgüldenkraut
- und sehr nützlich gegen Ohrensausen und Flechten im Gesicht; und der da
- ist aus Pfirsichkernen destilliert, nehmen Sie doch ein Gläschen -- ein
- herrlicher Duft nicht wahr? Wenn man beim Aufstehen zufällig gegen eine
- Tisch- oder Schrankecke stößt und sich eine Beule auf der Stirn holt,
- dann hat man nur nötig, vor dem Mittag-Essen ein Gläschen davon zu
- nehmen -- und die Beule ist wie weggeblasen; in einer Minute ist alles
- spurlos verschwunden.« Hierauf folgte eine Lobrede auf die übrigen
- Karaffen, und fast alle hatten irgend eine heilkräftige Wirkung. Wenn
- sie den Gast in diese vollständige Apotheke eingeführt hatte, so
- geleitete sie ihn vor eine ganze Sammlung von Tellern. »Das hier sind
- Pilze mit Pfefferkraut, und da das mit Nelken und Walnüssen. Eine Türkin
- hat mich gelehrt, sie einzusalzen -- das war damals, als noch die Türken
- bei uns in der Gefangenschaft lebten. Eine so brave Türkin, man merkte
- es ihr garnicht an, daß sie Mohammed anbetete; sie betrug sich ganz
- unauffällig, ganz wie unsereiner und wollte nur kein Schweinefleisch
- essen: »unser Gesetz verbietet uns das«, pflegte sie zu sagen. Diese
- Pilze da sind mit Johannisbeerblättern und Muskatnüssen angerichtet, und
- das da sind große Feldnelken, es ist das erste Mal daß ich es versuche,
- sie mit Essig aufzukochen, ich weiß nicht, ob sie gut schmecken werden.
- Der Priester Iwan hat mir das Geheimnis mitgeteilt: man muß vor allem
- einen kleinen Zuber mit Eichenblättern auslegen, dann Pfeffer und Salz
- darauf streuen und zuletzt die Blüten von Mauseöhrchen darüber legen:
- aber so, daß die Schwänzchen alle nach oben zu liegen kommen. -- Dies
- hier sind Pastetchen, mit Käsefüllung -- die dort mit Schmalz, und das
- sind Afanassji Iwanowitschs Lieblingspasteten mit Kraut und
- Buchweizengrütze.«
- »Ja,« fügte Afanassji Iwanowitsch hinzu, »ich liebe sie sehr, sie sind
- so weich und etwas säuerlich.«
- Pulcheria Iwanowna war überhaupt immer in bester Laune, wenn sie Besuch
- hatte. Die brave Alte! Sie ging vollkommen in ihren Gästen auf. Ich
- besuchte sie sehr gern, obgleich ich mich jedesmal schrecklich überaß,
- wie alle ihre Gäste, was mir sehr schädlich war, aber ich freute mich
- doch immer wieder, zu ihnen zu fahren. Übrigens glaube ich, daß die Luft
- in Kleinrußland eine besondere, die Verdauung befördernde Eigenschaft
- haben muß: wenn es _hier_ jemand einfiele, sich so zu überessen, so
- würde er zweifellos sehr bald auf dem Tisch statt auf dem Bette liegen.
- Die guten alten Leutchen .... Jedoch meine Erzählung nähert sich einem
- sehr traurigen Ereignis, das das Leben dieses friedlichen Winkels für
- immer veränderte. Dieses Ereignis wirkt um so überraschender, als es
- durch einen ganz belanglosen Vorfall verursacht wurde. Aber nach dem
- seltsamen Lauf der Welt haben kleine Ursachen noch immer große Wirkungen
- gezeitigt, und umgekehrt große Unternehmungen oft nur winzige Erfolge
- gehabt. Irgend ein Eroberer sammelt alle Kräfte seines Reichs und kämpft
- viele Jahre lang, seine Feldherrn zeichnen sich aus und werden berühmt,
- und die ganze Geschichte schließt mit der Eroberung eines Fleckchens
- Erde, auf welchem man kaum ein paar Kartoffeln pflanzen kann. Und
- umgekehrt, ein andermal geraten zwei Wurstfabrikanten aus zwei
- verschiedenen Städten wegen irgendeiner Bagatelle aneinander, der Streit
- zieht die Städte und alle Dörfer und Flecken mit hinein, und plötzlich
- ist das ganze Reich in Mitleidenschaft gezogen. Aber lassen wir diese
- Betrachtungen -- sie gehören nicht hierher; ich liebe überhaupt keine
- Betrachtungen, die nur Betrachtungen bleiben.
- Pulcheria Iwanowna besaß ein graues Kätzchen, welches fast immer zu
- einem Knäul zusammengeballt zu ihren Füßen lag. Manchmal streichelte
- Pulcheria Iwanowna es freundlich und kraute ihm mit den Fingern den
- Hals, den das verwöhnte Kätzchen so hoch als möglich emporstreckte. Man
- kann nicht gerade sagen, daß Pulcheria Iwanowna das Kätzchen besonders
- liebte, aber sie hatte sich daran gewöhnt, es immer bei sich zu haben.
- Afanassji Iwanowitsch neckte sie mitunter wegen ihrer Zuneigung zu dem
- Tierchen.
- »Ich begreife nicht, was Sie an der Katze finden, Pulcheria Iwanowna,
- was für einen Nutzen hat sie? Wenn Sie noch einen Hund hätten, -- das
- wäre ganz etwas anderes -- einen Hund kann man mit auf die Jagd nehmen;
- aber was macht man mit einer Katze?«
- »Schweigen Sie nur still, Afanassji Iwanowitsch. Sie wollen ja nur so
- reden, und weiter nichts. Ein Hund ist nicht reinlich, ein Hund macht
- viel Schmutz, und wirft alles um -- aber eine Katze ist ein stilles
- Geschöpf, die wird niemandem etwas zuleide tun.«
- Übrigens machte sich Afanassji Iwanowitsch weder aus Hunden noch Katzen
- etwas, er redete nur so, um Pulcheria Iwanowna wieder einmal zu necken.
- Hinter dem Garten befand sich ein großer Wald, der von dem
- unternehmenden Verwalter bisher noch verschont geblieben war; vielleicht
- weil der Lärm des Fällens leicht bis zu den Ohren Pulcheria Iwanownas
- dringen konnte. Dieser Wald war sehr verwildert und verwahrlost; die
- alten Baumstämme waren mit wilden Haselnußsträuchern bewachsen und sahen
- wie befiederte Taubenfüße aus. In diesem Walde hausten auch wilde
- Waldkater. Diese wilden Waldkater darf man jedoch nicht mit jenen kühnen
- Helden verwechseln, die auf den Häuserdächern herumlaufen; sie sind in
- der Stadt trotz ihrer schlechten Manieren weit zivilisierter als im
- Walde. Die Waldkatzen sind dagegen ein finsteres und wildes Volk; sie
- sind immer elend und mager, und miauen mit einer groben, unartikulierten
- Stimme. Manchmal dringen sie durch unterirdische Gänge in die Speicher
- ein und stehlen Speck, oder sie springen durch das Küchenfenster, wenn
- sie merken, daß der Koch ins Feld gegangen ist. Überhaupt fehlt es ihnen
- an allen edleren Regungen, sie leben nur von Raub und würgen die jungen
- Sperlinge in den eigenen Nestern. Diese Kater hatten seit längerer Zeit
- ein Liebesverhältnis mit dem schüchternen Kätzchen Pulcheria Iwanownas
- angeknüpft, sie beschnüffelten es durch ein Loch im Speicher und lockten
- es endlich zu sich, so wie wohl ein Trupp Soldaten eine dumme
- Bauerndirne verführt. Pulcheria Iwanowna bemerkte bald das Verschwinden
- der Katze und schickte Leute aus, um sie zu suchen; aber die Katze
- konnte nicht aufgespürt werden. So vergingen drei Tage, Pulcheria
- Iwanowna bedauerte den Verlust der Katze, aber bald war sie ganz
- vergessen. Eines Tages, als Pulcheria Iwanowna eben ihren Gemüsegarten
- revidiert hatte und mit einer Menge eigenhändig gepflückter frischer
- Gurken für Afanassji Iwanowitsch zurückkehrte, vernahm sie zu ihrer
- Überraschung ein jämmerliches Miauen. Unwillkürlich lockte sie das
- Kätzchen, rief »Ksch, ksch«, und plötzlich kam eine graue, magere,
- elende Katze aus dem Steppengras hervorgekrochen, der man es deutlich
- ansah, daß sie schon einige Tage nichts zu fressen bekommen hatte.
- Pulcheria Iwanowna ließ nicht nach, sie zu rufen, aber die Katze blieb
- stehen, miaute und wagte es nicht, näher zu kommen; sie war
- augenscheinlich in der Zwischenzeit sehr verwildert. Pulcheria Iwanowna
- ging voraus und hörte nicht auf, die Katze zu locken, die ihr allmählich
- ängstlich bis zum Speicher nachschlich. Als die Katze jedoch die alten
- Plätze wiedererkannte, folgte sie ihrer Herrin bis ins Zimmer. Pulcheria
- Iwanowna befahl sogleich, ihr Milch und Fleisch zu bringen, setzte sich
- vor ihr nieder und freute sich über die Gier, mit der ihr Liebling ein
- Stück nach dem andern verschlang und die Milch ausleckte. Die graue
- Vagabundin wurde zusehends dicker und fraß schon nicht mehr so gierig.
- Pulcheria Iwanowna streckte die Hand aus, um sie zu streicheln, aber die
- Undankbare hatte sich offenbar schon zu sehr an die wilden Kater
- gewöhnt, oder sie hatte den Kopf voll romantischer Ideen und glaubte
- wohl, Armut und Liebe sei besser als ein Palast (und die Kater waren arm
- wie Kirchenmäuse), kurzum, sie sprang aus dem Fenster und keiner von den
- Knechten und Mägden vermochte sie einzufangen.
- Die alte Frau wurde nachdenklich. »Der Tod ist zu mir gekommen,«
- murmelte sie vor sich hin, und hinfort konnte sie nichts mehr
- zerstreuen.
- Den ganzen Tag war sie traurig. Vergeblich scherzte Afanassji
- Iwanowitsch und wollte wissen, warum sie plötzlich so melancholisch
- geworden sei, Pulcheria Iwanowna schwieg, oder sie gab Antworten, die
- Afanassji Iwanowitsch unmöglich befriedigen konnten. Am nächsten Tage
- sah sie ganz verändert aus.
- »Was fehlt Ihnen, Pulcheria Iwanowna? Am Ende sind Sie gar krank?«
- »Nein, ich bin nicht krank, Afanassji Iwanowitsch! Ich muß Ihnen etwas
- sehr Merkwürdiges mitteilen. Ich weiß, daß ich diesen Sommer sterben
- werde: der Tod ist schon bei mir gewesen, um mich zu holen.« Afanassji
- Iwanowitschs Mund verzog sich schmerzlich, aber er suchte das in seiner
- Seele aufsteigende traurige Gefühl zu überwinden und sagte lächelnd:
- »Gott weiß, was Sie reden, Pulcheria Iwanowna. Sie haben gewiß statt des
- üblichen Kräutertranks ein Gläschen Pfirsichschnaps getrunken!«
- »Nein, Afanassji Iwanowitsch, ich habe keinen Pfirsichschnaps
- getrunken,« antwortete Pulcheria Iwanowna.
- Afanassji Iwanowitsch bereute, daß er Pulcheria Iwanowna geneckt hatte:
- er sah sie an, und eine Träne hing an seiner Wimper.
- »Ich bitte Sie, Afanassji Iwanowitsch, erfüllen Sie meinen Wunsch,«
- sagte Pulcheria Iwanowna, »und lassen Sie mich wenn ich sterbe, an der
- Kirchhofsmauer beerdigen. Ziehen Sie mir das graue Kleid an, wissen Sie
- -- das mit den kleinen Blümchen auf dem braunen Saum. Ziehen Sie mir
- nicht das Atlaskleid mit dem himbeerroten Streifen an -- Tote brauchen
- keine Kleider -- was sollte ich auch damit? Aber Ihnen kann es noch von
- Nutzen sein, Sie können sich einen schönen Schlafrock daraus machen
- lassen: wenn Gäste kommen, können Sie sich doch sehen lassen, und sie
- würdig empfangen.«
- »Gott weiß, was Sie da schwatzen, Pulcheria Iwanowna,« sagte Afanassji,
- »wer kann denn wissen, wann er sterben wird, und Sie erschrecken mich
- jetzt mit solchen Worten.«
- »Nein, Afanassji Iwanowitsch, ich weiß schon, wann ich sterben werde.
- Aber Sie dürfen nicht um mich trauern. Ich bin schon alt, wir werden uns
- bald im Jenseits wiedersehen.«
- Aber Afanassji Iwanowitsch schluchzte wie ein Kind.
- »Afanassji Iwanowitsch, es ist eine Sünde, so zu weinen. Versündigen Sie
- sich nicht an Gott, erzürnen Sie ihn nicht mit Ihrem Schmerz. Ich
- bedaure nicht, daß ich sterben soll, nur das eine tut mir leid (ein
- tiefer Seufzer unterbrach für einen Augenblick ihre Rede), es tut mir
- leid, daß ich nicht weiß, wem ich _Sie_ anvertrauen soll. Wer wird für
- Sie sorgen, wenn ich sterbe? Sie sind ja wie ein kleines Kind -- wer für
- Sie sorgen will, müßte Sie lieb haben!« Und bei diesen Worten lag ein
- solch tiefes, herzinniges Mitleid in ihren Zügen, daß ich nicht weiß, ob
- ihr jemand in diesem Augenblick ohne Bedauern hätte in die Augen sehen
- können.
- Hierauf wandte sie sich an die Wirtschafterin, die sie hatte rufen
- lassen, und sagte: »Paß mir auf, Jawdocha, und sorge für den Herrn, wenn
- ich sterbe, hüte ihn wie deinen Augapfel, und wie dein eigenes Kind.
- Achte darauf, daß man in der Küche stets seine Lieblingsgerichte kocht,
- und daß Du ihm immer reine Wäsche und reine Kleider gibst, achte darauf
- daß er anständig angezogen ist, wenn Gäste kommen: sonst kann es noch am
- Ende passieren, daß er im einen alten Schlafrock herauskommt, er vergißt
- doch jetzt schon manchmal, ob es Feiertag oder ein Wochentag ist. Laß
- ihn nicht aus den Augen, Jawdocha, ich werde in jener Welt für dich
- beten, und Gott wird dich belohnen. Vergiß nicht, Jawdocha, du bist
- schon alt, und hast auch nicht mehr lange zu leben, häufe keine Sünde
- auf deine Seele. Wenn du nicht auf den Herren acht gibst, so wirst du
- nie wieder glücklich werden auf dieser Erde, ich werde Gott selbst
- bitten, dir kein seliges Ende zu gewähren. Du selbst wirst unglücklich
- sein, deine Kinder werden unglücklich werden, und dein ganzes Geschlecht
- wird ohne Gottes Segen sein.«
- Die arme Alte! In diesem Moment dachte sie nicht an den gewaltigen
- Augenblick, der ihrer harrte, nicht an ihre eigene Seele, noch an das
- zukünftige Leben -- sie dachte nur an ihren armen Kameraden, mit dem sie
- ihr Leben geteilt und den sie nun verwaist und hilflos zurücklassen
- mußte. Mit der größten Geschäftigkeit und Eile richtete sie alles so
- ein, daß Afanassji Iwanowitsch nach ihrem Tode ihre Abwesenheit nicht
- merken sollte. Ihre Überzeugung von der Nähe ihres Todes war so stark,
- ihre Seele war so davon erfüllt, daß sie wirklich nach einigen Tagen
- bettlägerig wurde und keine Nahrung mehr zu sich zu nehmen vermochte.
- Afanassji Iwanowitsch war die Aufmerksamkeit selbst, er wich keinen
- Augenblick von ihrem Bette. »Vielleicht sollten Sie doch etwas essen,
- Pulcheria Iwanowna,« sagte er, und sah ihr ängstlich in die Augen. Aber
- Pulcheria Iwanowna sprach kein Wort. Endlich, nach langem Schweigen,
- schien es, als wollte sie etwas sagen, ihre Lippen bewegten sich, und --
- ihre Seele war entflohen.
- Afanassji Iwanowitsch war aufs höchste betroffen. Das alles erschien ihm
- so unsinnig und schrecklich, daß er nicht einmal zu weinen vermochte.
- Trüben Auges blickte er auf die Tote, wie wenn er nicht verstünde, was
- dieser kalte Leichnam zu bedeuten hätte.
- Man legte die Verstorbene auf den Tisch, zog ihr das Kleid an, welches
- sie sich selbst ausgesucht hatte, und gab ihr eine Wachskerze in die
- gefalteten Hände. Teilnahmslos sah er allem zu. Eine große Volksmenge
- aus den verschiedensten Ständen erfüllte den Hof; eine große Anzahl
- Gäste war zur Beerdigung gekommen; im Hofe wurden lange Tische gedeckt,
- Gebäck aus Reis und Rosinen (das russische Gericht, das bei keinem
- Totenmahl fehlen darf), Schnäpse und Kuchen standen in großen Massen
- umher, die Gäste weinten, betrachteten die Tote, unterhielten sich über
- ihren Charakter und sahen Afanassji Iwanowitsch an: er aber ging wie
- abwesend herum. Endlich trug man die Verstorbene hinaus, das Volk
- strömte hinterher, und auch er folgte mechanisch nach. Die Geistlichkeit
- erschien in vollem Ornat, die Sonne stand leuchtend am Himmel, die
- Säuglinge schrien auf den Armen ihrer Mütter, die Lerchen sangen, und
- eine Unzahl nur mit einem Hemde bekleideter Kinder lief durcheinander
- und tollte am Wege herum. Endlich stellte man den Sarg neben dem Grabe
- nieder, und bat ihn heranzutreten und die Verstorbene zum letztenmal zu
- küssen. Er trat hinzu und küßte sie, Tränen füllten seine Augen, aber es
- waren kalte, gefühllose Tränen. Der Sarg wurde hinabgelassen, der
- Priester ergriff als erster die Schaufel und warf eine Handvoll Erde
- hinunter: unter dem wolkenlosen Himmel stimmte der volle, langgezogene
- Chor des Vorsängers und zweier Kirchendiener das Lied vom ewigen
- Gedenken an. Die Totengräber ergriffen den Spaten, und bald füllte Erde
- das Grab und machte es dem Boden gleich. Da drängte Afanassji
- Iwanowitsch sich vor, und alle wichen zurück und machten ihm Platz, um
- zu sehen, was er tun würde. Er aber hob die Augen empor, blickte
- verstört um sich und sagte: »So also, ihr habt sie schon begraben! Warum
- ...? ...« Er stockte und brachte den Satz nicht zu Ende. Aber als er
- nach Hause kam, und sah, daß sein Zimmer leer war, und daß sogar der
- Stuhl, auf dem Pulcheria Iwanowna zu sitzen pflegte, fehlte: da weinte
- er, da weinte er trostlos und bitterlich -- und Tränenströme stürzten
- aus seinen trüben Augen.
- Seitdem sind fünf Jahre vergangen. Welches Leid stillt nicht die Zeit?
- Welche Leidenschaft hält stand im ungleichen Kampfe mit der Zeit? Ich
- kannte einen jungen blühenden Mann in voller Jugendkraft, erfüllt von
- Edelmut und herrlichen Gaben, ich kannte ihn damals, als er
- leidenschaftlich verliebt war: seine Liebe war zärtlich, glühend,
- wahnsinnig, brutal und schüchtern zugleich; und in meiner Gegenwart,
- fast vor meinen Augen, raffte der unersättliche Tod den Gegenstand
- seiner Liebe, -- ein zartes, engelgleiches Mädchen dahin. Ich habe nie
- solch' furchtbare Ausbrüche des Seelenschmerzes, eines wahnsinnigen,
- verzehrenden Jammers, und einer so brennenden Verzweiflung gesehen wie
- die, die den unglücklichen Liebenden durchrasten. Ich hätte nie gedacht,
- daß der Mensch selbst sich eine solche Hölle schaffen könnte, in der
- kein Schatten, kein Bild, -- nichts vorhanden ist, was auch nur im
- entferntesten einer Hoffnung ähnlich sieht ... Man gab sich Mühe, ihn
- nicht aus den Augen zu lassen. Man versteckte alle Waffen, mit denen er
- sich vielleicht hätte ein Leid antun können. Nach zwei Wochen aber hatte
- er plötzlich die Herrschaft über sich selbst wiedergewonnen, er begann
- wieder zu lachen und zu scherzen; man gab ihm die Freiheit, und das
- erste, wozu er sie benutzte, war -- sich einen Revolver zu kaufen. Eines
- Tages wurden seine Verwandten durch einen plötzlichen Schuß
- aufgeschreckt: sie liefen hinzu und fanden ihn mit zerschmettertem
- Schädel. Der schnell herbeigerufene Arzt, dessen Kunst damals in aller
- Munde war, fand noch einige Lebenszeichen bei ihm, auch war die Wunde
- nicht unbedingt tödlich; und zu aller Erstaunen wurde er wieder
- hergestellt. Die Aufsicht über ihn wurde noch verschärft, sogar bei
- Tisch legte man nie ein Messer in seine Nähe. Man versuchte alles von
- ihm fern zu halten, womit er sich hätte töten können. Aber nur zu bald
- fand er wieder eine Gelegenheit und warf sich unter die Räder eines
- Wagens. Arme und Beine wurden ihm zerquetscht: aber auch diesmal genas
- er wieder. Ein Jahr später sah ich ihn in einer großen Gesellschaft. Er
- saß auf einem Stuhl und sagte fröhlich: »^petit ouvert^«, indem er eine
- Karte verdeckte; und hinter ihm, auf die Stuhllehne gestützt, stand
- seine junge Frau und spielte mit seinen Marken.
- Fünf Jahre waren seit dem Tode Pulcheria Iwanownas vergangen, als ich
- wieder in diese Gegend kam. Ich fuhr nach dem Gut Afanassji
- Iwanowitschs, um meinen alten Nachbar zu besuchen, bei dem ich so
- manchen frohen Tag verbracht und mir so oft an den schmackhaften
- Erzeugnissen der liebenswürdigen Hausfrau den Magen verdorben hatte. Als
- ich in den Hof einfuhr, erschien mir das Haus um zehn Jahre älter: die
- Bauernhütten hatten sich zur Seite geneigt und ihre Bewohner
- wahrscheinlich auch; Zaun und Flechtwerk im Hofe waren ganz zerstört,
- und ich sah selbst, wie die Köchin einen Pfahl herauszog, um den Ofen
- anzuheizen, obwohl sie nur zwei Schritte hätte machen brauchen, um das
- dort aufgeschichtete Reisig zu erreichen. Melancholisch fuhr ich bei der
- Treppe vor; dieselben schwarzen und braunen Hunde, die aber jetzt schon
- blind waren oder verkrüppelte Beine hatten, schlugen an und wedelten mit
- ihren zottigen Schwänzen, die voller Kletten waren. Der Alte kam mir
- entgegen. Ja das war _er_! Ich erkannte ihn sofort, aber er war doppelt
- so tief zusammengesunken wie früher. Er erkannte und begrüßte mich mit
- dem wohlbekannten Lächeln. Ich trat nach ihm ins Zimmer. Es schien, als
- sei hier noch alles unverändert, aber ich entdeckte überall eine
- schreckliche Unordnung, -- überall machte sich ein empfindlicher Mangel
- von etwas bemerkbar -- mit einem Wort, ich empfand jenes Gefühl, das uns
- beschleicht, wenn wir zum erstenmal die Wohnung eines Witwers betreten,
- den wir nie anders, als an der Seite seiner Lebensgefährtin gesehen
- haben, von der er sich nie trennte: Ein Gefühl, _jenem_ gleich, das wir
- empfinden, wenn wir einen Menschen ohne Beine sehen, den wir nie anders
- als völlig gesund kannten. An allem merkte ich die Abwesenheit der
- sorgsamen Pulcheria Iwanowna; bei Tisch legte man ein Messer ohne Griff
- auf; die Speisen waren nicht mehr mit der gleichen Kunstfertigkeit
- zubereitet. Und nach der Wirtschaft wagte ich gar nicht erst zu fragen;
- ich fürchtete mich sogar, einen Blick in die Wirtschaftsräume zu werfen.
- Als wir uns zu Tisch setzten, band das Mädchen Afanassji Iwanowitsch die
- Serviette vor; und es war gut, daß sie es tat, sonst hätte er seinen
- Schlafrock ganz mit Sauce begossen. Ich versuchte es, ihn ein wenig zu
- zerstreuen und erzählte ihm allerlei Neuigkeiten. Er hörte mir mit dem
- gleichen Lächeln zu, aber mitunter war sein Blick völlig abwesend; kein
- Gedanke leuchtete aus ihm hervor, und er war ganz leer. Häufig erhob er
- den Löffel mit dem Brei, aber statt ihn zum Munde zu führen, führte er
- ihn zur Nase; statt mit seiner Gabel ein Stück Hühnchen aufzuspießen,
- stieß er mit ihr gegen die Karaffe, und dann nahm das Mädchen seine Hand
- und führte sie zum Huhn. Manchmal mußten wir einige Minuten lang warten,
- bis das nächste Gericht aufgetragen wurde. Afanassji Iwanowitsch
- bemerkte es auch und sagte: »Warum bringt man uns denn so lange nichts
- zu essen?« Aber ich sah durch den Spalt, daß der Junge, welcher uns
- bediente, garnicht darauf achtete, sondern den Kopf auf die Bank
- gelehnt, dalag und schlief.
- »Diese Speise,« sagte Afanassji Iwanowitsch, als man uns eine sogenannte
- Nonne mit saurer Sahne vorsetzte, »diese Speise,« fuhr er fort, und ich
- spürte wie seine Stimme zu zittern begann und Tränen seine bleischweren
- Augen erfüllten, -- aber er nahm alle Kraft zusammen, versuchte sich zu
- beherrschen -- »diese Speise, welche die Ver -- Ver -- Verstorb .....«
- und plötzlich schluchzte er laut auf, die Hand sank auf den Teller, der
- Teller fiel zu Boden und zerbrach, und die Sauce ergoß sich über ihn. Er
- saß wie leblos da, steif hielt er den Löffel in der Hand, und
- Tränenbäche flossen, wie ein nie versiegender Quell in Strömen auf die
- vorgebundene Serviette.
- Ich sah ihn an und dachte: »Mein Gott, fünf Jahre der alles
- verschlingenden Zeit -- und nun ist er ein Greis, ein stumpfsinniger
- Greis, er, dessen Leben scheinbar nie durch eine starke Gemütsbewegung
- erschüttert worden war, dessen ganzes Leben darin bestand, auf einem
- hohen Stuhl zu sitzen, und getrocknete Fische oder Beeren zu verzehren,
- -- oder harmlose Geschichten anzuhören: und nun dieser heiße, nie
- endende Gram! Was ist denn das Stärkere in uns: die Leidenschaft oder
- die Gewohnheit? Sind unsere heftigen Ausbrüche, ist der Sturm unserer
- Wünsche nur eine Folge der glühenden Jugend, und scheinen sie uns nur
- deshalb so schrecklich und verwirrend, weil wir jung sind?« Wie dem auch
- sein mag, in jenem Augenblick schienen mir all unsere Leidenschaften so
- kindisch im Vergleich zu dieser allmählichen, fast unbewußten Gewöhnung.
- Wiederholt versuchte er den Namen der Verstorbenen auszusprechen: aber
- schon bei der ersten Hälfte des Wortes verzerrte sich sein sonst so
- ruhiges, indifferentes Gesicht, und sein kindliches Weinen drückte mir
- das Herz ab. Nein, das waren andere Tränen als die, die alte Leute so
- leicht bei der Hand haben, wenn sie uns von ihrer trüben Lage und ihrem
- Unglück vorjammern; das waren auch nicht jene Tränen, die sie so leicht
- bei einem Glas Punsch vergießen: nein das waren Tränen, die ungewünscht
- und ungerufen hervorströmten, gehäuft durch das schneidende Weh eines
- schon erkalteten Herzens.
- Er lebte nicht mehr lange. Vor kurzem hörte ich, daß er gestorben sei.
- Und ist es nicht seltsam, daß die Art seines Todes eine gewisse
- Ähnlichkeit mit dem Pulcheria Iwanownas hatte. Eines Tages sollte
- Afanassji Iwanowitsch ein wenig im Garten spazieren gehen. Als er
- langsam und gedankenlos in seiner gewöhnlichen Sorglosigkeit des Weges
- einherschritt, da ereignete sich ein merkwürdiger Zufall. Er vernahm
- plötzlich, wie jemand hinter ihm mit klarer Stimme seinen Namen rief:
- »Afanassji Iwanowitsch!« Er drehte sich um, aber es war niemand da. Er
- spähte nach allen Seiten, blickte hinter die Büsche, -- aber er konnte
- niemand entdecken. Der Tag war still, und die Sonne strahlte am Himmel.
- Einen Augenblick versank er in Nachdenken, dann belebten sich seine
- Züge, und endlich sagte er. »Das ist Pulcheria Iwanowna -- sie ruft
- mich!«
- Sicherlich hat schon so mancher Leser einmal eine Stimme gehört, die ihn
- beim Namen ruft; der Volksmund erklärt das so, daß eine Seele sich vor
- Sehnsucht nach einem Menschen verzehrt und ihn ruft: die Folge aber sei
- unbedingt der Tod. Ich muß gestehn, mir war solch ein geheimnisvolles
- Rufen immer unheimlich. Ich erinnere mich, es in meiner Kindheit recht
- oft gehört zu haben: manchmal sprach plötzlich hinter mir jemand meinen
- Namen aus. Gewöhnlich war es ein besonders klarer und sonniger Tag, im
- Garten regte sich kein Blatt an den Bäumen; überall herrschte eine
- beklemmende Stille, selbst die Grille verstummte um diese Tageszeit, und
- keine Menschenseele war im Garten. Und doch muß ich sagen: hätte mich
- die fürchterlichste, stürmischste Nacht mit der ganzen Hölle der
- entfesselten Natur im einsamen Urwalde überfallen: ich wäre nicht so
- erschrocken gewesen, wie bei dieser schauervollen Stille mitten an
- diesem wolkenlosen Tag! Gewöhnlich lief ich dann, halb wahnsinnig vor
- Schreck, atemlos aus dem Garten und beruhigte mich erst, wenn irgend ein
- Mensch mir entgegenkam, dessen Anblick die furchtbare Öde aus meinem
- Herzen verjagte. -- Er gab sich ganz der Überzeugung hin, daß Pulcheria
- Iwanowna ihn gerufen habe. Er unterwarf sich wie ein Kind, magerte ab,
- hüstelte und schmolz dahin, wie eine Kerze und verlöschte endlich wie
- diese, wenn nichts mehr vorhanden ist, was ihre Flamme speist.
- »Legt mich neben Pulcheria Iwanowna« -- das war alles, was er vor seinem
- Tode zu sagen vermochte.
- Man erfüllte seinen Willen und beerdigte ihn neben der Kirche, ganz in
- der Nähe von Pulcheria Iwanownas Grab. Diesmal waren weniger Gäste zur
- Beerdigung erschienen, dafür aber zahlreiche arme Leute und Bettler. Das
- Herrenhaus wurde jetzt ganz leer. Der unternehmende Verwalter und der
- Dorfälteste trugen all die altertümlichen Gegenstände und alles
- Hausgerät, was die Wirtschafterin übrig gelassen hatte, mit sich fort.
- Bald erschien, Gott weiß woher, irgend ein entfernter Verwandter, der
- Erbe des Gutes; er war ein großer Reformer, und hatte, ich weiß nicht
- mehr, in welchem Regiment als Leutnant gedient. Er bemerkte sofort die
- große Unordnung und Verwahrlosung in der Wirtschaft und beschloß dies
- alles mit Stumpf und Stil auszurotten, zu reformieren und eine neue
- Ordnung einzuführen. Er schaffte sich sechs prachtvolle englische
- Sicheln an, ließ an jeder Hütte eine Nummer befestigen und richtete
- alles so vortrefflich ein, daß das Landgut nach sechs Monaten unter
- Kuratel gestellt wurde. Die wohlweise Vormundschaft (welche aus einem
- ehemaligen Assessor und irgend einem Stabsoffizier in einer verblichenen
- Uniform bestand), vertilgte in kürzester Zeit alle Hühner und Eier. Die
- Hütten, welche schon fast auf der Erde lagen, stürzten jetzt völlig ein,
- die Bauern ergaben sich dem Trunk und machten sich zum größten Teil aus
- dem Staube. Der Besitzer, der im übrigen mit seinen Vormündern auf
- freundschaftlichem Fuße lebte und mit ihnen Punsch trank, kam nur höchst
- selten auf sein Gut und verweilte nie lange dort. Er fährt bis heute auf
- allen Jahrmärkten Kleinrußlands umher und erkundigte sich genau nach den
- Preisen für die Erzeugnisse: als da sind: Mehl, Hanf, Honig usw., die
- ^en gros^ verkauft werden, aber er selbst kauft nur Kleinigkeiten: wie
- Feuersteine, einen Nagel zum Reinigen der Pfeife und überhaupt alles,
- was im Gesamtpreis den Wert eines Rubels nicht übersteigt.
- Taraß Bulba. Eine Erzählung
- Übersetzt von
- Eugenie Chmelnitzky
- Erstes Kapitel
- »Dreh dich mal um, Junge! Siehst du aber komisch aus! Was tragt ihr denn
- da für Talare? Geht ihr auf der Akademie alle so angezogen?«
- Mit diesen Worten begrüßte der alte Bulba seine beiden Söhne, die im
- Seminar von Kiew studiert hatten und nun in das väterliche Haus
- zurückkamen.
- Die jungen Leute waren eben vom Pferde gestiegen. Das waren zwei derbe
- Burschen, ernst und mißtrauisch dreinschauend wie alle, die das Seminar
- erst eben verlassen haben. Auf ihren frischen, wetterfesten Gesichtern
- keimte schon der erste Flaum, den noch kein Rasiermesser berührt hatte.
- Sie waren ganz verblüfft über den Empfang, den ihr Vater ihnen bereitet
- hatte, und standen mit unbeweglich zur Erde gesenkten Augen da.
- »Halt, so laßt euch doch erst mal gründlich ansehen,« fuhr er fort,
- indem er sie hin- und herschob und sie von allen Seiten betrachtete.
- »Herrgott, habt ihr lange Kittel an! So etwas gibt es ja gar nicht
- wieder! Lauft doch mal ein bißchen herum. Ich will doch mal sehen, ob
- ihr nicht über eure eigenen Rockschöße stolpert und hinfallt.«
- »Vater, hör doch auf und laß die Scherze,« sagte endlich der Ältere.
- »So ein stolzer Bursche! Und warum soll man denn nicht einmal lachen
- können?«
- »Weil es mir nicht gefällt. Du bist zwar mein Vater, aber wenn du dich
- über mich lustig machst -- bei Gott, so prügle ich dich durch!«
- »Na, du bist ja ein netter Sohn! Was sagst du? Mich verprügeln?« rief
- Taraß Bulba und trat vor Erstaunen einige Schritte zurück.
- »Jawohl, wenn es sein muß, prügele ich auch den eigenen Vater durch. Ich
- lasse mich von niemandem beleidigen, von niemandem!«
- »Und wie willst du dich mit mir schlagen? Welche Waffe wünschst du? Etwa
- die Faust?«
- »Das ist mir völlig gleichgültig.«
- »Na, dann meinetwegen los,« sagte Bulba und streifte seine Ärmel auf,
- »ich will doch mal sehen, ob du im Faustkampf deinen Mann stellen
- kannst.«
- Und statt sich nach so langer Trennung herzlich zu begrüßen und zu
- plaudern, begannen Vater und Sohn aufeinander loszuschlagen, daß es nur
- so von Rippenstößen und Faustschlägen auf Leib und Brust und Bauch
- hagelte. Bald traten sie zurück und blickten sich an, bald gingen sie
- wieder aufeinander los.
- »Seht euch das nur mit an, liebe Leute, der Alte ist ganz verrückt
- geworden, ganz und gar verrückt,« sagte die blasse, magere, gute Mutter,
- die auf der Schwelle stand und noch nicht dazu gekommen war, ihre teuren
- Sprößlinge zu umarmen. »Eben sind die Kinder nach Hause gekommen, man
- hat sie über ein Jahr nicht gesehen; ihm aber rappelt's, und er beginnt
- mit Fäusten auf sie einzuschlagen.«
- »Ja, der drischt wundervoll,« sagte Bulba und trat zurück. »Bei Gott,
- das hat er fein raus,« fuhr er fort, indem er sich etwas verschnaufte,
- »es wäre beinahe besser gewesen, ihn nicht erst in Versuchung zu
- bringen. Das gibt mal einen prachtvollen Kosaken. Ausgezeichnet, mein
- Junge, und jetzt wollen wir uns endlich ein paar ordentliche Küsse
- geben.« Und Vater und Sohn küßten sich. »Brav, mein Junge! Prügle nur
- jeden so durch, wie eben mich! Laß dir nichts gefallen. Aber Dein Anzug
- ist wirklich ein bißchen komisch. Was baumelt denn da herunter? -- Na
- und du? Was stehst du da und läßt die Arme hängen?« wandte er sich an
- den Jüngeren. »Warum drischst du nicht auch auf mich los, du Hundsfott?«
- »Das ist wieder ein echter Einfall von dir,« sagte die Mutter und
- umarmte den Jüngeren. »Wie einem nur so etwas in den Kopf kommen kann!
- Das eigene Kind soll seinen Vater prügeln! Ja, als ob jetzt Zeit dazu
- wäre, wo das arme Kind eben einen so weiten Weg zurückgelegt hat und
- noch ganz müde ist -- (das Kind war über zwanzig Jahre alt und genau
- einen Klafter groß) -- Es müßte sich jetzt ausruhen und etwas essen. Und
- du zwingst ihn, sich mit dir herumzuschlagen.«
- »Na, du bist mir der Rechte, das sehe ich schon,« sagte Bulba. »Höre
- nicht auf ihre Reden, mein Junge, sie ist ein Weib und versteht nichts
- davon. Solch eine Verzärtelung! Das weite Feld und ein gutes Pferd --
- das ist eure Erholung! Hm, seht ihr diesen Säbel? Das ist eure rechte
- Mutter! Das ist alles Schund, was man euch in die Köpfe gestopft hat:
- die Akademien, die Bücher, die Fibeln, die Philosophie und dieser ganze
- gelehrte Kram -- ich pfeife auf das alles!« (Hier bediente sich Bulba
- eines Wortes, das sich nicht gut drucken läßt.)
- »Na, es ist schon das beste, ich bringe euch nächste Woche gleich zu den
- Saporoger Kosaken. Das ist eine Wissenschaft, das ist die wahre
- Wissenschaft und die richtige Schule für euch. Dort werdet ihr erst zu
- Verstande kommen!«
- »Was, nur eine Woche sollen sie hier bleiben?« jammerte die alte, dürre
- Mutter mit Tränen in den Augen, »die Armen sollen sich nicht einmal ein
- bißchen erholen können, nicht das Vaterhaus kennen lernen, und ich werde
- mich nicht einmal richtig satt sehen können an ihnen!«
- »Genug, genug, hör auf zu heulen, Alte! Der Kosak ist nicht dazu da,
- sich mit Weibern herumzuplacken. Du möchtest sie dir wohl am liebsten
- unter den Rock stecken? und auf ihnen herumsitzen wie auf Hühnereiern!
- Schnell, schnell, geh und deck den Tisch und bring uns, was da ist.
- Plätzchen, Honigkuchen, Mohnstritzel und ähnliche Kindereien kannst du
- dir schenken! Schaff lieber einen ganzen Hammel heran und eine Ziege,
- und vierzigjährigen Meth dazu. Und recht viel Schnaps, aber keinen mit
- allerlei Unfug, mit allerhand Zusätzen, Rosinen und ähnlichen
- Geschichten, sondern einen unverfälschten, prickelnden, schäumenden
- Schnaps, der einen brennt wie toll.«
- Und Bulba führte seine Söhne in die gute Stube, aus der bei ihrem
- Eintritt zwei hübsche Dienstmädchen mit goldfarbenen Halsbändern
- herausliefen, die gerade die Zimmer aufräumten. Anscheinend waren sie
- über die Ankunft ihrer jungen Herren, denen man nicht gerade
- übertriebene Freundlichkeit nachsagte, erschrocken, oder sie wollten
- nach Weiberart, aufschreien, den fremden Männern entfliehen und sich
- lange schamhaft mit dem Ärmel die Augen verdecken. Die Stube war im
- Geschmack jener Zeit ausgestattet, an die sich nur noch in den Balladen
- und Volksliedern, wie sie früher in der Ukraine vor versammeltem Volk
- von blinden Greisen zu den stillen Klängen der Bandura gesungen wurden,
- eine lebendige Erinnerung erhalten hatte im Geschmack jener
- kampflustigen, rauhen Zeit, da in der Ukraine die Gefechte und
- Schlachten gegen die Union begannen. Alles war sauber und mit farbigem
- Ton bestrichen. An den Wänden hingen Säbel, Peitschen, Vogel- und
- Fischnetze, Waffen, ein schön gearbeitetes Pulverhorn, ein goldener Zaum
- und Zügel mit silbernen Beschlägen. Die Fenster dieser Stube waren
- klein, mit runden, trüben Scheiben, wie man sie wohl in alten Kirchen
- antrifft, und durch die man nur hindurch schauen kann, wenn man die eine
- bewegliche Scheibe hinwegschiebt. Fenster und Türen hatten rote
- Vorhänge. In den Ecken standen Krüge, große und kleine Flaschen aus
- grünem und blauen Glase, ziselierte silberne Becher, vergoldete Tassen
- von mannigfaltigster Arbeit: venezianische, türkische und
- tscherkessische, die auf mancherlei Wegen, aus dritter und vierter Hand,
- wie es in jenen tollen Zeiten üblich war, in die Stube des alten Bulba
- gelangt waren. Stühle aus Birkenholz standen ringsum an den Wänden, in
- der Vorderecke unter den Heiligenbildern ein ungeheurer Tisch, ferner
- ein breiter Ofen mit Stufen, Vorsprüngen und bunten farbigen Kacheln --
- das alles war unsern beiden tapfern Jünglingen wohlbekannt, die
- alljährlich während der Ferien nach Hause wanderten -- wobei sie ihre
- Füße gebrauchen mußten, weil sie noch keine Pferde hatten, und da es zu
- jener Zeit noch nicht Sitte war, daß Schüler ritten. Sie hatten noch
- lange, flatternde Mähnen, an denen sie jeder waffentragende Kosak packen
- durfte. Erst nach ihrer Entlassung aus der Schule hatte ihnen Bulba ein
- paar junge Hengste aus seiner Herde geschickt.
- Zur Feier der Ankunft seiner Söhne ließ Bulba alle anwesenden Hauptleute
- und Regimentskommandeure versammeln, und als zwei von ihnen sowie der
- Unterhetman Dmitro Towkatsch, sein alter Kampfgenosse, erschienen,
- stellte er ihnen sofort seine Söhne vor und sagte: »Seht euch mal die
- tapfren Jungens an! Ich will sie bald nach der Sjetsch schicken.« Die
- Gäste beglückwünschten Bulba und die beiden jungen Leute, und
- versicherten ihnen, daß das wohlgetan wäre, es gäbe für einen jungen
- Mann überhaupt keine bessere Schule als die Saporoger Sjetsch.
- »Nun Brüder, nehmt alle am Tisch Platz. Da, wo es jedem am bequemsten
- ist. Und jetzt, meine Jungens, wollen wir vor allen Dingen einen Schnaps
- trinken,« sagte Bulba. »Gott segne euch! Bleibt gesund, Kinder. Dein
- Wohl Ostap und deins Andrij. Gott gebe, daß ihr in der Schlacht immer
- Sieger bleibt, daß ihr alle Heiden, die Türken und die Tataren
- vernichtet, und wenn die Polen unsern Glauben antasten wollen, so gebt
- es auch ihnen ordentlich! Gib mal dein Glas her! He, der Schnaps ist
- gut? Wie heißt eigentlich Schnaps auf lateinisch? Ja, ja, das waren
- alles Dummköpfe, die Lateiner, die wußten nicht einmal, daß es Schnaps
- auf der Erde gibt. Wie hieß doch der, der lateinische Verse geschrieben
- hat. Ich kann nicht viel lesen und schreiben, und weiß es darum nicht
- mehr recht ... Horaz, hieß er nicht Horaz?«
- »Sieh mal einer den Vater an,« dachte der ältere Bruder Ostap, »der alte
- Mops weiß alles und verstellt sich so.«
- »Ich mein', der Archimandrit hat euch nicht einmal Schnaps zu riechen
- gegeben,« fuhr Taraß fort, »aber gesteht mal Jungens, man hat euch doch
- den Rücken und alles, was ein Kosak sonst noch hat, tüchtig mit Birken-
- und frischen Kirschenruten bestrichen? Oder hat's wohl gar
- Peitschenhiebe gegeben, da ihr mir schon gar zu klug zu sein scheint.
- Man hat euch wohl nicht nur Sonnabends, sondern auch am Mittwoch und
- Donnerstag damit regaliert?«
- »Laß das doch, Vater«, sagte Ostap kaltblütig, »was geschehen ist, ist
- geschehen.«
- »Mag's doch jetzt mal einer versuchen!« sagte Andrij, »er soll nur
- kommen, und uns anrühren; wenn mir so ein Tatarenkerl in den Weg käme,
- der sollte schon erfahren, was ein Kosakensäbel für ein Ding ist.«
- »Brav, Söhnchen, brav, bei Gott. Wenn die Sache so steht, so fahre ich
- selbst mit euch. Bei Gott, das tu ich. Was zum Teufel, soll ich denn
- hier sitzen und warten? Soll ich etwa Buchweizen säen, nach den Schafen
- und Schweinen schauen, den Hauswirt spielen oder gar mit meinem Weib
- schön tun? Der Teufel soll sie holen, ich bin ein Kosak und mache solche
- Dinge nicht! Was macht's, daß es jetzt keinen Krieg gibt! Ich gehe mit
- euch zu den Saporogern -- ich will mich dort ein wenig austoben. Bei
- Gott, ich fahre mit.«
- Und der alte Bulba regte sich immer mehr und mehr auf, und geriet
- endlich vollkommen in Zorn, stand auf, stampfte mit dem Fuß und nahm
- eine energische Haltung an. »Morgen geht's los. Wozu sollen wir es
- aufschieben! Welchen Feind können wir denn hier abfangen? Was soll mir
- diese Hütte? Wozu brauchen wir das alles? Wozu sind diese Töpfe?« Und
- bei diesen Worten nahm er die Töpfe und Flaschen, warf sie auf den Boden
- und zertrümmerte sie. Die arme alte Frau, die an dies Benehmen ihres
- Mannes schon gewöhnt war, saß auf der Bank und sah traurig vor sich hin.
- Sie wagte nichts zu sagen: als sie jedoch von dem schrecklichen
- Entschluß ihres Mannes hörte, konnte sie die Tränen nicht mehr
- zurückhalten; sie sah ihre Kinder an, von denen sie sich so schnell
- trennen sollte -- und niemand hätte wohl die ganze stumme verhaltene
- Kraft ihres Kummers beschreiben können, der, wie es schien, in ihren
- Augen und den krampfhaft aufeinandergepreßten Lippen zitterte.
- Bulba war schrecklich eigensinnig. Das war einer jener Charaktere, wie
- sie nur in dem harten XV. Jahrhundert, in einem von halben Nomaden
- bewohnten Winkel Europas geboren werden konnten, als noch das ganze alte
- Süd-Rußland, von seinen Fürsten verlassen, durch die unaufhaltsamen
- Überfälle der mongolischen Räuber von Grund auf verwüstet und verheert
- wurde; als die Menschen ihres Herdes und jeglicher Habe beraubt, immer
- tollkühner und verwegener wurden, sich im Angesicht der ständigen Gefahr
- und der furchtbaren Feinde in ihren abgebrannten Häusern niederließen
- und sich, der Furcht spottend -- daran gewöhnten, dem Kampf mutig ins
- Auge zu schauen; als der alte, friedliche slavische Geist von der
- kriegerischen Flamme erfaßt wurde, als das Kosakentum, dieses machtvolle
- Symbol der russischen Natur, erstand und alle an den Flüssen gelegenen
- Gegenden, alle Fähren und alle niedrigen und bequem liegenden Plätze von
- Kosaken überschwemmt wurden, deren Zahl niemand anzugeben wußte und
- deren kühne Kameraden einem Sultan auf seine Frage nach ihrer Anzahl
- antworten durften:
- »Wer soll das wissen? Die ganze Steppe ist mit ihnen übersät, und wo
- sich nur ein Hügelchen erhebt, da ist auch schon ein Kosak.« Es war
- wirklich eine ungewöhnliche Erscheinung der russischen Kraft, die der
- Feuerstrahl des Unglücks aus der russischen Brust geschlagen hatte. An
- Stelle der früheren Lehnsgüter, der mit Hundewärtern und
- Oberjägermeistern bevölkerten kleinen Städte, an Stelle der kleinen
- Fürsten, die sich gegenseitig bekriegten und ihre Städte verhandelten,
- entstanden trotzige Niederlassungen, Kosakendörfer und Ortschaften, die
- durch die gemeinsame Gefahr und den Haß gegen die heidnischen Räuber
- verbunden waren. Es ist jedem aus der Geschichte bekannt, wie ihr ewiger
- Kampf und ihr ruheloses Leben Europa vor den beständigen Angriffen der
- Mongolen gerettet haben, die es zugrunde zu richten drohten. Die
- polnischen Könige, die an Stelle der Lehnsfürsten die Herrscher dieser
- großen Ländereien geworden waren, begriffen -- obgleich sie zu weit
- entfernt und zu schwach waren -- sehr wohl die Bedeutung der Kosaken und
- den Vorteil dieses so kampffrohen und wachsamen Lebens.
- Sie spornten die Kosaken sogar an und leisteten ihren Neigungen
- Vorschub. Unter ihrer durch ihre Entfernung nur wenig drückenden
- Herrschaft schufen die Hetmane, die selbst aus der Mitte der Kosaken
- gewählt wurden, die Dörfer und Ansiedelungen in regelrechte Truppenlager
- und Reviere um. Dies waren zwar keine regulären Truppen -- die hätte man
- hier vergebens gesucht -- aber im Kriegsfall, wenn eine allgemeine
- Bewegung durch das Land ging, stellte sich jeder Kosak in höchstens acht
- Tagen hoch zu Roß in voller Rüstung ein. Ein jeder erhielt vom Könige
- für seine Dienste nur einen Dukaten, und doch wurde innerhalb zwei
- Wochen ein solches Heer aufgestellt, wie es keine Rekruten-Aushebung
- hätte schaffen können. Wenn der Krieg beendet war, kehrte jeder Krieger
- zu seinen Wiesen und Weideplätzen, oder zu den Ufern des Dniepr zurück,
- lebte dort als Fischer weiter, handelte, braute Bier, und wurde wieder
- ein freier Kosak.
- Die Ausländer waren damals mit Recht erstaunt über die außerordentlichen
- Fähigkeiten des Kosaken. Es gab kein Gewerbe, das er nicht verstand:
- Wein keltern, Wagen bauen, Pulver mahlen, Schmiede- und
- Schlosserarbeiten verrichten und dazu die ganzen Nächte hindurch
- bummeln, trinken und zechen, wie nur irgend ein Russe das vermag -- das
- alles war so recht nach seinem Geschmack. Neben den registrierten
- Kosaken, die es für ihre unabweisliche Pflicht hielten, sich im
- Kriegsfalle zur Verfügung zu stellen, konnte man im Notfalle auch noch
- jederzeit ganze Scharen von Freiwilligen zusammenbringen; zu diesem
- Zwecke mußten die Unterhauptleute nur einmal durch alle Märkte und
- Plätze der Dörfer und Städtchen hindurchfahren und von ihren Wagen herab
- laut verkündigen: »Hallo, ihr Bierbäuche und Bierbrauer! Hört doch
- endlich auf, immer nur Bier zu brauen, hinter dem Ofen herumzuliegen und
- die Fliegen mit euren dicken Wänsten zu mästen. Macht euch auf, Ruhm und
- Ritterehre zu erwerben! Hallo, ihr Ackerleute, ihr Bauern, Schafhirten
- und Weiberknechte! Ihr seid lange genug hinter dem Pfluge
- einhergelaufen, habt eure gelben Stiefel mit Erde beschmutzt und mit den
- Weibern scharwenzelt. Wollt ihr eure Ritterehre ganz vergessen? Auf,
- Kerls, es ist Zeit, wieder Kosakenruhm zu erwerben!« Solche Worte waren
- gleich Funken, die in trockenes Holz fielen. Der Ackermann zerbrach
- seinen Pflug, die Bierbrauer verließen ihre Kübel und zertrümmerten ihre
- Fässer, die Händler und Handwerker ließen ihr Handwerk und ihren Laden
- zum Teufel gehen, zerbrachen zu Hause das Geschirr, und wer es nur
- irgendwie durchsetzen konnte, schwang sich aufs Pferd. Kurz, der
- russische Charakter kam hier mächtig und herrlich zur Entfaltung und
- zeigte sich in einer neuen, kräftigen Gestalt.
- Taraß gehörte noch zu den alten Kosakenhäuptlingen von echtem Schrot und
- Korn: sein ganzer Charakter war dazu angetan, die Gefahren und die
- Unruhe des Krieges auf sich zu nehmen, und er zeichnete sich durch ein
- grobes, aber offenes und gerades Wesen aus. Damals machte sich bereits
- der Einfluß Polens im russischen Adel bemerkbar. Viele hatten polnische
- Sitten angenommen, führten ein üppiges Leben, besaßen eine glänzende
- Dienerschaft, Falken, Hunde und ein großes Gefolge, und hielten zudem
- rauschende Feste und Bankette ab. All das war Taraß verhaßt. Er liebte
- das einfache Leben der Kosaken, entzweite sich oft mit seinen Genossen,
- die der Warschauer Art zugeneigt waren, und nannte sie Sklaven der
- polnischen Pane. Nie gönnte er sich Ruhe und er hielt sich für den
- rechtmäßigen Beschützer der rechtgläubigen Kirche. Unerwartet und
- eigenmächtig kam er in die Dörfer, wo man über den Druck der Pächter
- oder über die allzu harten neuen Steuern klagte, die auf den Höfen
- lasteten. Dort hielt er selbst inmitten seiner Kosaken Gericht ab. Er
- hatte es sich zur Regel gemacht, in drei Fällen stets zum Säbel zu
- greifen, erstlich wenn die Kommissare den Ältesten der Gemeinde nicht
- die nötige Achtung erweisen wollten und mit der Mütze auf dem Kopfe vor
- ihnen standen; zweitens, wenn sie über die rechtgläubige Kirche
- spotteten und die Sitten der Vorfahren belächelten, und endlich
- drittens: wenn es sich um Feinde, Türken und Mohammedaner handelte,
- gegen die er es stets für erlaubt hielt, zum Ruhme der Christenheit das
- Schwert zu ziehen.
- Jetzt freute er sich schon im voraus bei dem Gedanken, mit seinen beiden
- Söhnen in der Sjetsch einzutreffen und dort laut verkündigen zu können:
- »Seht mal her, was ich euch für tüchtige Kerle mitgebracht habe!« Er
- freute sich darauf, sie all seinen kampferprobten Freunden zu zeigen und
- dann ihre ersten großen Taten in der Kriegs- und Fechtkunst, die er
- ebenfalls für die Haupttugend eines Ritters hielt, miterleben zu dürfen.
- Zuerst wollte er sie allein fortschicken; aber angesichts ihrer frischen
- Jugend, ihres kräftigen Wuchses und ihrer männlichen Schönheit loderte
- sein kriegerischer Geist empor, und er beschloß, sich schon am nächsten
- Tage selbst mit ihnen auf den Weg zu machen, wenn ihn auch keine andere
- Notwendigkeit zu dieser Reise veranlaßte, als allein sein eigensinniger
- Wille. Er war bereits aufs äußerste beschäftigt und erteilte Befehle,
- wählte die Pferde, Geschirr und Sattelzeug für seine jungen Söhne aus,
- sah sich in den Ställen und Speichern um und bestimmte die Diener, die
- morgen mit ihnen zusammen aufbrechen sollten. Seine Ämter übergab er dem
- Unterhauptmann Towkatsch, und befahl ihm zugleich aufs strengste, sich
- unverzüglich mit der ganzen Schar einzufinden, sowie er aus der Sjetsch
- eine Nachricht von ihm erhalte. Obgleich er noch ein wenig angeheitert
- war, und der Branntwein noch in seinem Kopfe rumorte, vergaß er doch
- nichts: er befahl sogar, die Pferde zu tränken, ihnen den schönsten und
- besten Weizen in die Krippe zu schütten, und kam endlich ganz ermüdet
- von all seinen Besorgungen zu Hause an.
- »Jetzt heißt es, ausschlafen, Kinder, und morgen, da machen wir, was
- Gott uns eingiebt. Ja, und mach uns keine Betten zurecht. Wir brauchen
- kein Bett; wir werden auf dem Hofe schlafen.«
- Die Nacht hatte ihre Schwingen noch kaum über den Himmel gebreitet, aber
- Bulba pflegte sich stets früh zur Ruhe zu begeben. Er streckte sich auf
- dem Teppich aus und bedeckte sich mit einem kurzen Schafspelz, denn die
- Nachtluft war ziemlich frisch, und Bulba hüllte sich gern tüchtig ein,
- wenn er zu Hause war. Es dauerte nicht lange, da begann er schon zu
- schnarchen, und bald folgte der ganze Hof seinem Beispiel; alles, was in
- den verschiedenen Ecken herumlag, schnarchte, pfiff und grunzte in den
- verschiedensten Tönen im schönsten Konzert. Zuallererst schlief der
- Wächter ein: er hatte zur Feier der Ankunft der jungen Herren am meisten
- getrunken.
- Nur die arme Mutter schlief nicht. Sie schlich sich an das Kopfende
- ihrer Herren Söhne, die nebeneinander lagen, kämmte ihre jungen, wirren
- Locken mit einem Kamme und netzte sie mit ihren Tränen. Sie blickte sie
- an, blickte sie vollen Herzens an, als wäre sie ganz Auge geworden --
- und konnte sich nicht satt an ihnen sehen. Sie hatte sie an ihrer
- eigenen Brust genährt; hatte sie selbst gehegt und gepflegt und
- großgezogen -- und jetzt sollte sie sie nur einen kurzen Augenblick bei
- sich sehen!
- »Meine Söhne, meine lieben Söhne! Was wird aus euch werden? Was erwartet
- euch?« sagte sie, und die Tränen blieben in den Runzeln hängen, die ihr
- einstmals so schönes Gesicht gänzlich verändert hatten. Wirklich, sie
- war zu bedauern, wie jede Frau in dieser kampflustigen Zeit. Nur _einen_
- Augenblick hatte sie die Liebe, die ersten hitzigen Triebe der
- Leidenschaft, die erste stürmische Glut der Jugend kennen gelernt, und
- schon hatte ihr rauher Geliebter sie verlassen, um sie gegen den Säbel,
- die Kameraden und Zechgelage einzutauschen. Gewöhnlich sah sie ihren
- Mann zwei, drei Tage im Jahr; es kam aber auch vor, daß sie jahrelang
- nichts von ihm hörte. Aber selbst wenn sie ihn dann sah, wenn sie
- zusammen lebten -- was war das für ein Leben! Sie mußte jede Beleidigung
- über sich ergehen lassen, sie erhielt sogar Schläge, und die
- Liebkosungen, die ihr zuteil wurden, warf man ihr nur wie aus Gnade hin.
- Sie war ein seltsames Wesen, mitten in diesem Kreise unbeweibter Reiter,
- denen das unbändige Saporoger Leben seinen rauhen Charakter mitgeteilt
- hatte. Ihre an Glück und Genüssen arme Jugend war dahingeschwunden; ihre
- wunderschönen frischen Wangen und Brüste waren ungeküßt verblüht und
- hatten sich vorzeitig mit Runzeln bedeckt. Alle Liebe, alle Gefühle,
- alles was eine Frau an Zartheit und Leidenschaft in sich birgt, hatte
- sich bei ihr ausschließlich in mütterliches Empfinden verwandelt. Voller
- Glut und Leidenschaft, und mit Tränen in den Lidern hing sie wachsam wie
- eine Steppenmöve an ihren Kindern. Ihre Söhne, ihre lieben Söhne sollten
- ihr genommen werden -- und sie würde sie niemals wiedersehen! Wer weiß,
- vielleicht würden die Tataren ihnen schon in der ersten Schlacht die
- Köpfe abhauen, und sie würde nie erfahren, wo ihre Leiber hingekommen
- seien, die unbeachtet am Wege lagen und die vielleicht ein
- vorbeifliegender Raubvogel zerfleischte. Wie gern hätte sie für jeden
- Tropfen ihres Blutes ihr ganzes Leben hingegeben! Weinend schaute sie
- ihnen in die Augen, die der allmächtige Schlaf schon zu schließen
- begann: »Vielleicht,« sprach sie leise vor sich hin, »vielleicht wird
- Bulba, wenn er aufwacht, die Reise doch noch auf zwei Tage verschieben,
- vielleicht wollte er nur deshalb so früh aufbrechen, weil er zu viel
- getrunken hat.«
- Der Mond beleuchtete schon längst den Hof, der voller Schläfer lag, und
- blickte auf das Weidengestrüpp und all das hohe Steppengras herab, das
- den Hof gleichsam umzäunte. Sie aber saß immer noch zu Häupten ihrer
- geliebten Söhne, blickte nicht einen Augenblick von ihnen weg und dachte
- nicht an Schlaf. Die Pferde, die bereits die Morgendämmerung witterten,
- lagen im Grase und fraßen bald nicht mehr; die Wipfel der Weiden
- zitterten, und ein leises Flüstern glitt wie ein Strom bis zu ihren
- Wurzeln herab. Sie saß da, bis es hell wurde, verspürte nicht die
- leiseste Müdigkeit und wünschte insgeheim, daß die Nacht recht lange
- dauern möchte. Von der Steppe her hörte man das leise Wiehern der
- Füllen, und am Himmel leuchtete der erste Streifen der Morgenröte auf.
- Plötzlich erwachte Bulba und sprang empor. Er erinnerte sich an alle
- Anordnungen, die er gestern getroffen hatte. »Hallo, ihr Burschen, jetzt
- ist es vorbei mit dem Schlafen! Es ist Zeit, höchste Zeit. Tränkt die
- Gäule! Und wo ist die Alte? (So nannte er gewöhnlich seine Frau.)
- Schnell, schnell Alte, mach das Essen bereit: wir haben einen langen Weg
- vor uns!«
- Die arme Alte ging traurig und ihrer letzten Hoffnung beraubt, ins Haus.
- Während sie tränenden Auges alles vorbereitete, was zum Frühstück
- erforderlich war, erteilte Bulba seine Befehle, machte sich im Stall zu
- schaffen und suchte selbst den kostbarsten Schmuck für seine Söhne aus.
- Die Seminaristen schienen plötzlich wie umgewandelt. Statt der alten
- schmutzigen Stiefel hatten sie nun welche aus rotem Saffianleder mit
- silbernen Beschlägen; die Beinkleider, die so weit waren, wie das
- schwarze Meer, schlugen tausend Falten und wurden durch einen goldenen
- Gurt zusammengehalten, an dem lange schmale Riemen mit Troddeln und
- anderem Zierat für die Tabakspfeife angebracht waren. Ihre feuerroten
- Kosakenröcke schnürten bunt gestickte Gürtel ein, in denen schön
- ziselierte türkische Pistolen staken, und ihre Füße umklirrte ein
- mächtiger Säbel. Ihre nur wenig gebräunten Gesichter schienen noch
- schöner und weißer geworden zu sein, und ihre jünglingshaften schwarzen
- Schnurrbärte ließen die helle Farbe und die gesunde kraftvolle Blüte
- ihrer Jugend noch stärker hervortreten. Mit ihren in eine goldene Spitze
- auslaufenden Schaffellmützen sahen sie tatsächlich wunderschön aus. Die
- arme Mutter! Als sie sie erblickte, vermochte sie kein Wort
- hervorzubringen, und die Tränen blieben ihr in den Augen stecken.
- »Nun Jungens, es ist alles fertig. Jetzt ist keine Zeit mehr zu
- verlieren!« sagte Bulba endlich. »Doch wir wollen uns vor der Abreise
- nach christlichem Brauch erst noch einmal niedersetzen.«
- Alle ließen sich nieder, selbst die Knechte, die bisher ehrerbietig an
- der Tür gestanden hatten.
- »So, jetzt segne deine Kinder, Mutter,« sagte Bulba, »bete zu Gott, daß
- sie wacker kämpfen, stets die Ritterehre hochhalten und den christlichen
- Glauben beschützen mögen -- sonst sollen sie lieber zugrunde gehen, und
- ihre Spur mag vom Erdboden getilgt werden! Kinder, geht zu eurer Mutter
- hin, das mütterliche Gebet schützt einen zu Wasser wie zu Lande!«
- Die Mutter umarmte sie, schwach wie jede Mutter, zog zwei kleine
- Heiligenbildchen hervor und legte sie ihnen schluchzend um den Hals.
- »Die heilige Jungfrau möge euch beschirmen ... Vergesst eure Mutter
- nicht, Kinder ... laßt uns ab und zu eine Nachricht zukommen ...« Mehr
- vermochte sie nicht zu sagen.
- »Nun kommt, Jungens,« sagte Bulba. Die gesattelten Pferde standen vor
- der Tür. Bulba schwang sich auf seinen »Teufel«, der sich wütend
- aufbäumte, wie wenn er eine Last von zwanzig Zentnern auf sich fühlte.
- -- Taraß war nämlich außerordentlich schwer und umfangreich.
- Als die Mutter sah, daß ihre Söhne bereits die Pferde bestiegen,
- schmiegte sie sich an den Jüngeren, dessen Züge mehr Zärtlichkeit für
- sie verrieten. Sie ergriff seine Zügel, klammerte sich an seinen Sattel
- und wollte, die Augen voll Verzweiflung auf ihn geheftet, nicht von ihm
- lassen. Zwei kräftige Kosaken packten sie vorsichtig an und trugen sie
- in das Haus zurück. Aber als die Kavalkade gerade das Tor passiert
- hatte, lief sie, was in keinem Verhältnis zu ihrem Alter stand, mit der
- Behendigkeit einer jungen Ziege vor das Tor, hielt das Pferd mit
- unbegreiflicher Kraft an und umarmte ihren Sohn mit einer geradezu
- rasenden und sinnlosen Leidenschaft. Man mußte sie zum zweiten Male
- fortschleppen.
- Trübsinnig ritten die jungen Kosaken davon, indem sie sich aus Furcht
- vor dem Vater krampfhaft bemühten, die Tränen zurückzuhalten, der selbst
- etwas bewegt war, obgleich er sich's nicht merken ließ. Es war ein
- trüber Tag, das Grün schimmerte grell, und die Vögel zwitscherten wild
- durcheinander. Nachdem unsere Freunde ein Weilchen geritten waren,
- schauten sie sich um: das Gehöft schien wie in den Boden gesunken zu
- sein, nur die beiden Schornsteine ihres bescheidenen Häuschens und die
- Wipfel der Bäume waren noch zu erblicken, in deren Ästen sie früher wie
- Eichhörnchen herumgeklettert waren. Nun lag die weite Wiese vor ihnen,
- die die Erinnerungen an ihr ganzes Leben wachrief: seit den Jahren da
- sie sich auf dem betauten Gras herumgetummelt hatten, bis zu der Zeit,
- wo sie den schwarzäugigen Kosakenmädchen auflauerten, die mit ihren
- flinken jungen Füßchen ängstlich über die Wiese liefen. Jetzt sah man
- nur noch die Stange über dem Brunnen, die mit ihrem oben befestigten
- Wagenrad einsam in den Himmel ragte, und die Ebene, die sie durchritten
- hatten, schien ihnen fast wie ein Berg, der alles verdeckte. -- Lebt
- wohl, ihr kindlichen Spiele, lebt alle, alle wohl!
- Zweites Kapitel
- Die drei Reiter ritten schweigend vor sich hin. Der alte Taraß dachte an
- die Vergangenheit, seine Jugend zog an ihm vorüber: die
- dahingeschwundenen Jahre, die der Kosake beweint, der sein ganzes Leben
- lang jung zu bleiben wünscht. Er dachte daran, wem von seinen einstigen
- Kameraden er wohl in der Sjetsch begegnen würde. Er rechnete aus, welche
- von ihnen bereits gestorben wären, und wer wohl noch am Leben sein
- mochte. In seinem Auge glänzte eine stumme Träne, und sein ergrauter
- Kopf hing traurig herab ...
- Seine Söhne waren mit ganz andern Gedanken beschäftigt. Doch es ist
- Zeit, etwas Näheres über sie mitzuteilen. Mit zwölf Jahren waren sie auf
- das Seminar von Kiew geschickt worden, denn alle höheren Würdenträger
- jener Zeit hielten es für nötig, ihren Söhnen eine gelehrte Erziehung
- zuteil werden zu lassen, obschon dies zu keinem andern Zweck geschah,
- als damit sie nachher alles Gelernte wieder vollständig vergessen. Bei
- ihrem Eintritt ins Seminar waren sie, wie alle Jünglinge ihrer Art, noch
- sehr wild und richtige Naturburschen; dort aber wurden sie gewöhnlich
- etwas abgeschliffen und nahmen bald durch die gleichmäßige Erziehung
- Gewohnheiten an, die da machten, daß sie sich alle ein wenig ähnlich
- sahen. Ostap, der ältere, begann seine Laufbahn damit, daß er noch im
- ersten Jahre die Flucht ergriff. Man brachte ihn zurück, prügelte ihn
- fürchterlich durch und setzte ihn hinter die Bücher. Viermal vergrub er
- sein Lesebuch in die Erde, und viermal wurde ihm ein neues angeschafft,
- nachdem er das alte unmenschlich zerrissen hatte. Er hätte es zweifellos
- noch zum fünftenmal versucht, wenn ihm sein Vater nicht feierlich
- geschworen hätte, ihn volle zwanzig Jahre als Knecht ins Kloster zu
- schicken und ihm nicht angedroht hätte, er solle die Sjetsch niemals zu
- Gesicht bekommen, wenn er sich auf der Akademie nicht alle
- Wissenschaften aneignen werde. Es ist interessant, daß derselbe Taraß
- Bulba dies sagte, der über alle Gelehrsamkeit spottete und, wie wir
- gesehen haben, seinen Kindern empfahl, sich nicht mit solchen Dingen zu
- beschäftigen! Seit dieser Zeit begann Ostap mit außerordentlichem Fleiß
- über dem langweiligen Buche zu brüten und wurde bald einer der besten
- Schüler. Das damalige Unterrichtssystem nahm nicht die geringste
- Rücksicht auf das wirkliche Leben; denn diese scholastischen,
- grammatikalischen, rhetorischen und logischen Finessen paßten gar nicht
- zu dem Zeitalter, wurden nie angewendet und wurden im Leben nie wieder
- gebraucht. Die, die sie beherrschten, konnten ihr Wissen, auch wenn es
- weniger scholastisch war, nirgends anbringen. Die damaligen Gelehrten
- waren bei ihrer Weltfremdheit, und weil es ihnen an der nötigen
- Erfahrung fehlte, fast noch unwissender, als die andern Menschen.
- Außerdem mußte ihnen auch die republikanische Verfassung der Seminare --
- diese ungeheuere Anzahl gesunder, kräftiger, junger Leute, Lust zu einer
- Tätigkeit einflößen, die gar nichts mit den Studien, die sie trieben, zu
- tun hatte. Oft genug erzeugten auch die schlechte Kost, die häufigen
- Hungerstrafen und die Bedürfnisse, die in einem frischen, gesunden,
- jungen Manne erwachen, jenen Unternehmungsgeist in ihnen, dem sie
- nachher in der Saporoger Sjetsch ungehemmten Lauf lassen konnten. Die
- hungrigen Seminaristen streiften durch die Straßen Kiews und zwangen
- alle zur peinlichsten Vorsicht. Die Hökerfrauen, die auf dem Markte
- saßen, bedeckten ihre Pasteten, Brezeln und Kürbissamen stets mit den
- Händen wie das Adlerweibchen seine Jungen, wenn sie einen Seminaristen
- vorbeikommen sahen. Der Konsul, dessen Pflicht es war, die ihm
- untergebenen Kameraden im Zaum zu halten, hatte so riesige Taschen in
- seinen weiten Beinkleidern, daß er den ganzen Kramladen der etwas
- eingeschlafenen Handelsfrau darin hätte unterbringen können. Diese
- Seminaristen bildeten eine abgeschlossene Welt für sich. Zu den höheren
- Kreisen, die sich aus dem russischen und polnischen Adel
- zusammensetzten, hatten sie keinen Zutritt. Selbst der Wojewode Adam
- Kissel führte sie trotz des Protektorates über das Seminar, das er
- übernommen hatte, nicht in die gute Gesellschaft ein, und erließ den
- Befehl, sie recht streng zu halten. Übrigens war diese Anordnung ganz
- überflüssig, denn der Rektor und die geistlichen Professoren sparten
- weder Ruten noch Peitsche, und oft genug züchtigten die Liktoren ihre
- Konsuln auf ihren Befehl so fürchterlich, daß jene sich noch wochenlang
- die Beinkleider kratzten. Vielen machte das kaum etwas aus, und brannte
- es nur ein wenig stärker, als ein gut gepfefferter Schnaps; andere
- jedoch bekamen die ständigen Züchtigungen gründlich satt und brannten
- nach dem Saporog durch, wenn sie den Weg dorthin zu finden wußten und
- nicht wieder eingefangen wurden. Ostap Bulba blieb, obschon er die Logik
- und die Gottesgelahrtheit mit großem Eifer zu erlernen begonnen hatte,
- keineswegs von den ewigen Prügelstrafen verschont. Es ist nur zu
- natürlich, daß diese Behandlung schließlich den Charakter verhärten und
- ihm jene gewisse Festigkeit geben mußte, die den Kosaken stets eigen
- war. Ostap galt immer für einen der besten Kameraden. Er verführte
- selten andere zu frechen Unternehmungen -- wie etwa zu Raubzügen in
- fremde Obst- und Gemüsegärten; dafür aber war er einer der ersten, die
- sich unter die Fahne eines kühnen, unternehmungslustigen Seminaristen
- stellten, und nie, und unter keinen Umständen hätte er einen Kameraden
- verraten: weder Peitschenhiebe noch Rutenstreiche konnten ihn dazu
- veranlassen. Er war gleichgültig und voller Verachtung gegen alle
- Leidenschaften, die nicht auf den Krieg oder ein Freß- und Saufgelage
- abzielten. Wenigstens dachte er fast an nichts anderes. Gleichgestellten
- gegenüber besaß er eine große Offenheit. Er besaß eine gewisse Güte,
- soweit dies in dieser Zeit und bei einem solchen Charakter möglich war.
- Die Tränen der armen Mutter hatten sein Herz außerordentlich bewegt, und
- es war allein dies Gefühl, das ihn jetzt verwirrte und ihn zwang,
- nachdenklich den Kopf zu senken.
- Sein jüngerer Bruder Andrij hatte lebhaftere und bestimmtere
- Empfindungen. Das Lernen machte ihm mehr Vergnügen, und er bedurfte dazu
- keiner besonderen Anstrengung, die ein schwerfälliger und harter
- Charakter stets dabei anwenden muß. Er war erfinderischer als sein
- Bruder, war öfter Anführer bei gefährlichen Unternehmungen und verstand
- es, dank seiner Schlauheit und Intelligenz manches Mal der Strafe zu
- entgehen; während sein Bruder Ostap gleichmütig und ganz von selbst
- seinen Rock ablegte und sich auf den Boden streckte, ohne auch nur daran
- zu denken, daß er um Gnade bitten könnte. Andrijs Seele dürstete
- gleichfalls nach Heldentaten, aber sie war auch andern Empfindungen
- zugänglich. Als er das achtzehnte Jahr überschritten hatte, bemächtigte
- sich seiner ein heftiges Bedürfnis nach Liebe. Immer häufiger tauchte
- das Weib vor seinen erregten Sinnen auf; während er philosophischen
- Disputen beiwohnte, umschwebte es ihn: jung, schwarzäugig und zart.
- Unablässig glaubte er ein Paar glänzende kräftige Brüste oder einen
- wundervollen zarten nackten Arm vor sich zu sehen; das Kleid, das die
- jungfräulichen und zugleich starken Glieder einhüllte, hauchte in seiner
- Phantasie eine unaussprechliche Wollust aus. Er verbarg diese
- leidenschaftlichen Wallungen seiner Seele sorgfältig vor den Kameraden;
- denn in jener Zeit galt es für schmachvoll und ehrlos, wenn ein Kosak an
- Weiber und Liebe dachte, ehe er an einer Schlacht teilgenommen hatte.
- Überhaupt war er in den letzten Jahren, die er im Seminar verbrachte,
- immer seltener Anführer einer Rotte, und irrte meist in irgend einem
- einsamen Winkel Kiews, zwischen Kirschgärten und kleinen Häusern umher,
- die verführerisch auf die Straße hinausblickten. Hin und wieder geriet
- er auch in das aristokratische Stadtviertel, in das jetzige »Alte Kiew«,
- wo die kleinrussischen und polnischen Adligen wohnten und die Häuser
- einen etwas bizarren Baustil hatten. Als er dort eines Tages tief in
- Gedanken versunken umherschlenderte, hätte ihn beinahe die Kutsche eines
- polnischen Pans überfahren, und der auf dem Bock sitzende Kutscher mit
- einem fürchterlichen Mundwerk versetzte ihm unter greulichen Flüchen
- einige ziemlich kräftige Peitschenhiebe. Der junge Seminarist geriet in
- Wut: voll unsinniger Kühnheit packten seine kräftigen Fäuste das hintere
- Rad, und brachten den Wagen zum Stehen. Aber der Kutscher, der eine
- Abrechnung befürchtete, versetzte den Pferden einen heftigen Schlag, sie
- zogen stark an -- sodaß Andrij, der glücklicherweise seine Hand
- zurückgezogen hatte, umgeworfen wurde, und mit dem Gesicht mitten in den
- Schmutz fiel. Da vernahm er plötzlich ein helles wohlklingendes Lachen
- über sich. Er sah empor und erblickte am Fenster ein Mädchen von
- wunderbarer Schönheit, wie er noch nie ein ähnliches gesehen hatte; ihre
- Augen waren schwarz, und ihr Antlitz schimmerte so weiß wie Schnee, den
- die Morgensonne bescheint. Sie lachte aus voller Kehle, und ihr Lachen
- verlieh ihrer blendenden Schönheit einen geradezu überwältigenden Reiz.
- Er stand ganz verdutzt da. Traumverloren starrte er sie an und wischte
- sich zerstreut den Schmutz von seinem Gesicht, jedoch so ungeschickt,
- daß er sich nur noch mehr entstellte. Wer war dieses schöne Mädchen? Er
- suchte es von den Bedienten zu erfahren, die reichgeschmückt vor dem
- Tore standen und einen jungen Bandura[1]spieler umringten. Die Knechte
- und Mägde brachen jedoch in ein stürmisches Gelächter aus, als sie sein
- schmutziges Gesicht erblickten, und würdigten ihn keiner Antwort.
- Endlich hörte er, daß die Unbekannte die Tochter des für einige Zeit
- hier weilenden Wojewoden von Kowno sei. In der nächsten Nacht kletterte
- er mit einer nur den Seminaristen eigenen Frechheit über den Zaun,
- gelangte so in den Garten und erklomm geschwind einen Baum, dessen
- Zweige das Dach des Hauses berührten. Von dort schwang er sich auf das
- Dach und gelangte so durch den Schornstein direkt in das Schlafzimmer
- der Schönen, die gerade vor einer Kerze saß und ihre kostbaren Ohrringe
- ablegte. Als die schöne Polin plötzlich einen unbekannten Mann vor sich
- erblickte, erschrak sie derartig, daß sie kein Wort hervorzubringen
- vermochte, als sie jedoch bemerkte, daß der Seminarist mit gesenkten
- Augen vor ihr stand und vor Schüchternheit kaum zu atmen wagte, und als
- sie denselben Jüngling in ihm erkannte, der vor ihren Augen in den
- Straßenkot gefallen war, brach sie in ein erneutes übermütiges Lachen
- aus. Allerdings kam noch dazu, daß Andrij garnicht schrecklich aussah,
- sondern ein sehr hübscher Junge war. Sie lachte von ganzem Herzen und
- trieb allerlei Kurzweil mit ihm. Wie alle Polinnen war auch sie sehr
- launenhaft; aber ihre Augen, ihre wundervollen, durchdringend klaren
- Augen hatten jenen langen Blick, der Beständigkeit verrät. Der
- Seminarist rührte keinen Finger, er stand wie gefesselt da, als endlich
- die Tochter des Wojewoden kühn auf ihn zutrat, ihm ihr strahlendes
- Diadem auf den Kopf setzte, ihm die Lippen mit ihren Ohrringen behängte
- und ihn in ein durchsichtiges, golddurchwirktes, mit Festons verziertes
- Hemdchen aus Nesseltuch hüllte. Sie putzte ihn heraus und trieb tausend
- Dummheiten mit ihm -- keck und kindlich, wie es die Art der
- leichtsinnigen Polinnen ist, was unsern armen Seminaristen in noch
- größere Verlegenheit brachte. Er machte eine recht komische Figur, wie
- er mit offenem Mund dastand und regungslos in ihre leuchtenden Augen
- starrte. Plötzlich vernahm man ein Geräusch an der Tür; sie erschrak
- aufs heftigste und befahl ihm, sich unter dem Bett zu verstecken. Als
- die Gefahr vorüber schien, rief sie ihre Kammerzofe, eine gefangene
- Tatarin, und befahl ihr, ihn vorsichtig in den Garten hinaus zu führen,
- damit er von dort aus über den Zaun auf die Straße gelangen könne. Aber
- diesmal kam der Seminarist nicht so glücklich hinüber: der Wächter
- erwachte, packte ihn kräftig an den Beinen, und die herbeieilenden
- Knechte walkten ihn auf der Straße so lange durch, bis ihn seine flinken
- Beine retteten. Seit dieser Zeit war es für ihn gefährlich, an dem Hause
- seiner Angebeteten vorüberzugehen, denn der Wojewode verfügte über eine
- sehr zahlreiche Dienerschaft. Dagegen sah er sie einmal in der
- katholischen Kirche: sie bemerkte ihn und lächelte ihm aufs
- liebenswürdigste zu, wie einem guten, alten Bekannten. Hierauf begegnete
- er ihr noch einmal ganz flüchtig; bald darauf reiste der Wojewode von
- Kowno ab, und statt der schönen, schwarzäugigen Polin starrte ein
- feistes, gleichgültiges Gesicht aus den Fenstern heraus.
- [Fußnote 1: Eine Art Mandoline.]
- Das war es, woran Andrij dachte, als er mit gesenktem Kopf, und die
- Augen starr auf die Mähne seines Pferdes gerichtet, dahinritt.
- Unterdessen hatte sie die Steppe in ihre grünen Arme aufgenommen, und
- das hohe Gras verbarg sie von allen Seiten, daß nur noch die schwarzen
- Kosakenmützen zwischen den Ähren hervorschimmerten.
- »He, Jungens, weshalb seid ihr denn plötzlich so still geworden,« sagte
- Bulba, endlich aus seinen Träumen erwachend, »ihr seid mir rechte
- Mönche! Ah, jagt doch alle trüben Gedanken zum Teufel! Steckt euch eine
- Pfeife in den Mund, wir wollen eins rauchen, den Gäulen die Sporen geben
- und dahinsausen, daß uns kein Vogel einholen soll!«
- Und die Kosaken beugten sich über die Pferde und verschwanden im Grase.
- Bald konnte man auch die schwarzen Mützen nicht mehr sehen. Nur die
- lange Flucht des niedergetretenen Grases zeugte von ihrem schnellen
- Ritte.
- Die Sonne strahlte längst am klaren Himmel und ergoß ihr belebendes,
- wärmespendendes Licht über die ganze Steppe. Alle Schläfrigkeit und
- Traurigkeit verschwand augenblicklich aus der Seele der Kosaken, und
- ihre Herzen schwangen sich empor gleich flinken Vögeln.
- Je tiefer sie in die Steppe hineinkamen, um so schöner wurde sie. Damals
- war der ganze Süden, jene große Strecke, die jetzt Neurußland bildet und
- sich bis zum schwarzen Meer erstreckt, noch eine grüne, jungfräuliche
- Wüste. Der Pflug hatte diese unermeßlichen Wogen wilden Grases noch nie
- berührt, und nur die Pferde, die wie in einem Walde in ihm
- untertauchten, stampften es zuweilen nieder. Es gab kaum etwas Schöneres
- in der Natur: die ganze Erdoberfläche glich einem grüngoldenen Ozean,
- übersät von Millionen der mannigfaltigsten Blumen. Zwischen den
- schlanken, hohen Grashalmen schimmerten hellblaue, blaue und lila Blüten
- hervor; gelber Ginster ragte mit seiner pyramidenförmigen Spitze empor;
- weißer Klee glänzte mit seinen schirmartigen Köpfchen auf der
- Oberfläche; die weiß Gott wie hierher verpflanzten Weizenähren schossen
- gleich einem Dickicht in die Höhe, und ab und zu flogen ein paar
- Schnarchhühner mit vorgestreckten Hälsen hindurch. Die Luft war von
- tausend verschiedenen Vogelstimmen erfüllt. Mit weit ausgebreiteten
- Flügeln schwebten die Habichte unbeweglich am Himmel, ihre Augen
- unverwandt auf das Gras gerichtet. Von einem fernen See tönten die
- Schreie einer weit abseits vorüberziehenden Wolke wilder Gänse herüber.
- Mit gemessenem Flügelschlage erhob sich eine Möve aus dem Grase und
- badete sich voller Lust in den blauen Luftwellen. Da war sie schon in
- der Höhe verschwunden und erglänzte nur noch ganz fern wie ein schwarzer
- Punkt, aber plötzlich wendete sie ihren Flug und leuchtete hell auf in
- den blendenden Sonnenstrahlen -- hol' euch der Teufel, ihr Steppen, wie
- herrlich seid ihr doch ...!
- Unsere Reisenden machten nur auf wenige Minuten Rast, um Mahlzeit zu
- halten. Ihr Gefolge, das aus zehn Kosaken bestand, sprang von den
- Pferden und band die hölzernen Branntweinflaschen und die Kürbisse, die
- als Trinkgefäße dienten, ab. Man aß nur etwas Brot, Speck oder Zwieback
- und ähnliches, trank nicht mehr als ein einziges Glas, und auch dies nur
- der Stärkung wegen, denn Taraß Bulba erlaubte es nie, sich unterwegs
- vollzutrinken, und darauf wurde der Weg bis zum Abend fortgesetzt.
- In der Dämmerung veränderte die Steppe vollkommen ihr Gesicht. Ihre
- ganze bunte, von den letzten hellen Sonnenstrahlen beschienene
- Oberfläche wurde allmählich immer dunkler, sodaß der Schatten der
- Kosaken in scharfen Konturen über sie hinglitt, und nahm bald einen
- dunkelgrünen Schimmer an. Der Erde entströmten immer stärkere Düfte:
- jedes Blümchen, jeder Grashalm atmete Ambra aus, und die ganze Steppe
- schien ein Meer von Wohlgerüchen geworden zu sein. An dem dunkelblauen
- Himmel schien ein riesenhafter Pinsel rötlichgoldene Streifen gezogen zu
- haben; hin und wieder sah man ein paar durchsichtige Wölkchen
- aufleuchten, und ein frischer, wohltuender Wind strich lockend, wie
- grüne Meereswellen, kaum merklich über die Spitzen der Gräser hin, so
- lind, daß er kaum die Wangen berührte. Die ganze Musik, die den Tag
- erfüllte, war verklungen und durch eine andere ersetzt. Bunte Ziesel
- kamen aus ihren Schlupflöchern, setzten sich auf ihre Hinterpfötchen und
- pfiffen durchdringend über die Steppe hin; immer deutlicher wurde das
- Zirpen der Grillen. Zuweilen tönte von irgend einem einsamen See her der
- silberhelle Schrei eines Schwanes durch die Luft. Die Reisenden machten
- mitten auf dem Felde halt, suchten sich ein Nachtlager und zündeten ein
- Feuer an, auf welches sie einen Kessel stellten, um sich ihr Kulisch zu
- kochen. Bald dampfte der Kessel und der Rauch stieg schräg in die
- Luft. Nachdem die Kosaken ihr Abendbrot eingenommen und die
- aneinandergekoppelten Pferde freigelassen hatten, damit diese ruhig
- grasen konnten, begaben sie sich zur Ruhe und lagerten sich auf ihren
- Kitteln. Die nächtlichen Gestirne blickten hell und klar auf sie hinab.
- Das Knistern, Pfeifen und Summen der ganzen unendlichen Insektenwelt,
- die im Grase schwirrte, klang an ihr Ohr. All diese Töne hallten wie
- Musik durch die Nacht, läuterten sich in der frischen Luft und wiegten
- den müden Sinn langsam in Schlaf. Wenn einer der Reisenden erwachte und
- sich erhob, lag die Steppe, besät mit den blitzenden Funken schwirrender
- Leuchtkäfer, vor ihm. Bisweilen wurde der Nachthimmel an verschiedenen
- Stellen vom fernen Flammenschein des trockenen Schilfrohres beleuchtet,
- das auf den Wiesen und Flüssen verbrannt wurde. Eine dunkle Schaar von
- Schwänen, die nach Norden flog, erschien plötzlich in rosig-silbernes
- Licht getaucht am Himmel, was so aussah, wie wenn rote Tücher am
- dunkelen Horizont flatterten.
- Die Reisenden ritten vorwärts, ohne irgend ein Abenteuer zu erleben.
- Nirgends gewahrten sie Bäume; überall umgab sie die gleiche endlose,
- freie, herrliche Steppe. Hin und wieder nur sah man in der Ferne an den
- Ufern des Dniepr die Wipfel eines Waldes blau aufleuchten, und nur
- einmal machte Taraß seine Söhne auf einen kleinen schwarzen Punkt fern
- im Grase aufmerksam und sagte: »Seht mal Jungens, da trabt ein Tatar.«
- Ein kleiner, mit einem Schnurrbart geschmückter Kopf richtete seine
- schmalen Augen auf sie, schnüffelte vorsichtig wie ein Jagdhund in der
- Luft herum und verschwand wie ein Reh, als er bemerkte, daß die Kosaken
- dreizehn Mann hoch waren. »Hallo, Jungens, versucht mal den Tataren
- einzuholen! Ah -- laßt es lieber sein, ihr werdet ihn ja doch nicht
- fangen. Sein Gaul ist schneller als mein >Teufel<.« Bulba traf jedoch
- entsprechende Vorsichtsmaßregeln, da er einen Hinterhalt befürchtete. Er
- ritt mit seinem Zuge bis zu einem kleinen Fluß, der Tatarka hieß und in
- den Dnjepr mündet; dort sprangen sie ins Wasser, ließen sich mitsamt
- ihren Pferden eine Zeitlang von der Strömung treiben, um ihre Spur zu
- verwischen, und setzten erst hiernach an dem andern Ufer ihren Ritt
- fort.
- Drei Tage nach diesem Abenteuer befanden sie sich endlich in der Nähe
- des Ortes, der das Ziel ihrer Reise war. Die Luft wurde plötzlich
- merklich kühler, ein Zeichen, daß der Dnjepr nicht mehr fern war. Da
- glänzte er auch schon in der Ferne, und hob sich als ein dunkler
- Streifen vom Horizont ab. Seine kalten Wellen rollten dahin, kamen immer
- näher und näher heran, und schienen endlich die Hälfte der ganzen
- Erdoberfläche zu umfassen. Das war jene Stelle, wo der Dnjepr, bis dahin
- von Stromschnellen eingeengt, seinen Lauf ungehindert entfalten und dem
- Meere gleich, fessellos, dahinrauschen kann, wo die in ihm verstreuten
- Inseln seine Ufer noch weiter zurückdrängen, und seine Wellen, weder von
- Felsen noch Dämmen gebrochen, sich breit über das Land ergießen.
- Die Kosaken saßen ab, bestiegen die Fähre und gelangten nach einer
- dreistündigen Überfahrt an die Insel Chortiza, wo sich damals die so oft
- ihren Aufenthalt wechselnde Sjetsch befand.
- Ein Haufen Volks stritt sich gerade am Ufer mit den Fährleuten herum.
- Die Kosaken zäumten ihre Pferde auf. Taraß reckte sich gewichtig empor,
- zog seinen Gurt fester zusammen und strich sich stolz mit der Hand über
- den Schnurrbart. Seine jungen Söhne musterten sich ebenfalls von Kopf
- bis zu Fuß, nicht ohne eine gewisse Angst und ein unklares Wohlgefallen,
- und alle ritten in die Vorstadt hinein, die eine halbe Werst von der
- Sjetsch entfernt lag. Bei ihrer Ankunft wurden sie durch den Lärm von
- fünfzig Schmiedehämmern betäubt, die in fünfundzwanzig unterirdischen
- und mit Rasen bedeckten Schmieden niederfielen. Auf der Straße saßen
- riesige Gerber und walkten unter dem Schutzdach die Ochsenhäute mit
- ihren muskulösen Händen. Zahlreiche Krämer saßen unter ihren Zelten vor
- ganzen Haufen von Feuersteinen und Pulver; ein Armenier bot teure Tücher
- zum Verkauf aus, ein Tatar drehte ein in Teig gehülltes Lamm am
- Bratspieß, ein Jude zog mit vorgestrecktem Kopf Branntwein aus einem Faß
- ab. Der erste Mensch, der ihnen begegnete, war ein Saporoger, der mit
- weit ausgestreckten Händen und Füßen mitten auf dem Wege schlief. Taraß
- Bulba konnte nicht umhin, haltzumachen und ihn mit großem Vergnügen zu
- betrachten. »Du hast es dir aber ordentlich bequem gemacht! Verdammt
- noch einmal, bist du ein prächtiger Bursche!« rief er aus und hielt an.
- Das Bild, das sich ihnen darbot, war in der Tat sonderbar genug: der
- Saporoger lag breit wie ein Löwe mitten auf dem Wege, sein stolz
- zurückgeworfener Haarschopf bedeckte mindestens drei Fuß vom Boden, und
- die Beinkleider aus teurem roten Tuch waren mit Teer beschmutzt, um die
- vollkommene Verachtung ihres Besitzers gegen solche Dinge recht deutlich
- zu zeigen. Nachdem Bulba sich an diesem Bilde sattgeschaut hatte, ritt
- er weiter durch die engen Straßen, die voll von Handwerkern, welche
- ihren Beruf gleich hier an Ort und Stelle ausübten, und von Leuten aller
- möglichen Nationalität war, die den Vorort bevölkerten. Es sah hier fast
- so aus wie auf einem Jahrmarkt, der die ganze Sjetsch kleidete und
- nährte, da diese sich ja nur aufs Herumlungern und Schießen verstand.
- Endlich hatten sie die Vorstadt hinter sich und erblickten einige
- zerstreut liegende Gebäude, die mit Rasen oder auch, nach tatarischer
- Art, mit Filz bedeckt waren. Vor einzelnen von ihnen standen Kanonen.
- Nirgends sah man einen Zaun oder eins jener niedrigen Häuser mit einem
- Schutzdach auf niedrigen Holzsäulen, wie man sie in der Vorstadt fand.
- Ein kleiner Wall und ein Verhau, ohne die geringste Bewachung, zeugten
- von einer unglaublichen Sorglosigkeit. Einige riesenhafte Saporoger
- Kosaken, die mit ihrer Pfeife in den Zähnen mitten auf dem Wege
- herumlagen, schauten die Ankömmlinge ziemlich gleichgültig an und
- rückten nicht vom Fleck. Taraß ritt mit seinen Söhnen vorsichtig
- zwischen ihnen hindurch und sagte: »Guten Tag, meine Herren.«
- »Gleichfalls,« antworteten die Saporoger. Überall, und auf dem ganzen
- Felde, sah man in malerischen, bunten Gruppen große Mengen Volkes
- lagern. Ihre gebräunten Gesichter zeugten davon, daß sie im Pulverdampf
- der Schlacht gestählt waren und mancherlei Ungemach erfahren hatten. Das
- also war sie, die Sjetsch! Das war die Höhle, aus der all die Helden
- hervorgingen, stark und stolz wie Löwen! Das war der Ort, von dem aus
- sich Rittertum und Freiheit über die ganze Ukraine ergoß!
- Die Reisenden lenkten ihre Pferde nach einem geräumigen Platze, wo sich
- gewöhnlich der Rat versammelte. Auf einem großen umgestürzten Fasse saß
- ein Saporoger, ohne Hemd; er hielt es in der Hand und stopfte langsam
- und bedächtig die Löcher. Wiederum versperrte ihnen ein ganzer Haufen
- von Musikanten den Weg, in deren Mitte ein junger Saporoger, die Mütze
- auf dem Ohr und mit hocherhobnen Händen, einen Tanz aufführte. Er schrie
- fortwährend: »Spielt doch schneller, ihr Musikanten! Thomas, schenk
- tüchtig Branntwein ein, spar doch nicht so bei rechtgläubigen Christen.«
- Und Thomas, der ein angeschwollenes Auge hatte, reichte jedem, der an
- ihn herantrat, einen ungeheuren Becher. Um den jungen Saporoger herum,
- führten vier Alte mit kleinen Schritten allerlei Tänze aus; bald flogen
- sie zur Seite wie ein Wirbelwind, wobei sie fast die Köpfe der
- Musikanten berührten, bald setzten sie sich unvermutet nieder und
- begannen mit ihren silberbeschlagenen Absätzen laut und hart auf den
- festgetretenen Fußboden zu stampfen. Dumpf dröhnte die Erde in der
- ganzen Umgebung, und die Hopps und Topps, die mit den klingenden Sporen
- der Stiefel geschlagen wurden, schallten laut durch die Luft. Ein Kosak
- aber schrie lauter als alle andern und drehte sich mit den andern im
- Tanze. Sein Haarzopf flatterte im Winde, die starke Brust war ganz
- entblößt, über die Schulter aber hatte er den warmen Wintermantel
- geworfen, so daß ihm der Schweiß unaufhörlich in Strömen von der Stirn
- lief.
- »Zieh doch wenigstens den Pelz aus,« sagte endlich Taraß. »Sieh doch,
- wie du dampfst.«
- »Das geht nicht,« schrie der Saporoger.
- »Weshalb nicht?«
- »Das geht nicht, das ist bei mir nun mal nicht anders: habe ich ihn erst
- einmal abgenommen, so vertrinke ich ihn auch!«
- Der junge Bursche hatte schon längst keine Mütze, keinen Gürtel am Rock
- und kein buntes Tuch mehr: alles war schon dorthin gewandert, wo es
- hingehörte. Der Haufen wurde immer größer, neue Ankömmlinge schlossen
- sich dem Tanze an, und man konnte nicht ohne Bewegung sehen, wie hier
- alles an dem tollsten, leidenschaftlichsten aller Tänze, den die Welt je
- gesehen hat, und der nach seinen kräftigen Erfindern »Kosatschok«
- benannt ist, teilnahm.
- »Säße ich bloß nicht zu Pferde,« rief Taraß aus, »wahrhaftig, ich wollte
- selbst loslegen und mittanzen!«
- Unterdessen mischten sich hie und da auch einzelne graue, alte Männer
- unter die Menge, die in der ganzen Sjetsch wegen ihrer Verdienste
- geachtet und schon oft Kosakenälteste gewesen waren. Taraß traf bald
- eine Unzahl Bekannte, und Ostap und Andrij hörten fortwährend
- Begrüßungsworte: »Holla, da bist du ja, Petscheriza!« »Guten Tag,
- Kosolup!« »Wo kommst du denn her, Taraß?« »Wie geht's Doloto?« »Guten
- Tag, Kirdjaga!« »Guten Tag, Gustyj!« »Ich hätte nie geglaubt, dich in
- diesem Leben noch einmal wieder zusehen, Remen!«
- Und all die Helden, die hier aus der großen Wildnis des östlichen
- Rußlands zusammengekommen waren, küßten einander, und zahllose Fragen
- flogen hin und her.
- »Was macht Kasjan?« »Und Borodawka?« »Wo steckt Kolopjor?« »Und
- Pidsyschok?« Und Taraß bekam fortwährend Antworten wie etwa folgende:
- Borodawka sei in Tolopan aufgeknüpft, Kolopjor sei bei Kisikirmen
- lebendigen Leibes geschunden worden, Pidsyschoks Kopf sei eingesalzen
- und in einem Fasse nach Konstantinopel geschickt worden usw. Und der
- alte Bulba blickte traurig zu Boden und sagte gedankenvoll: »Und waren
- doch so wackere Kosaken!«
- Drittes Kapitel
- Nun lebte Taraß Bulba bereits seit einer Woche mit seinen Söhnen in der
- Sjetsch. Ostap und Andrij beschäftigten sich nur wenig mit den
- militärischen Übungen. Die Sjetsch liebte es nicht, mit solch
- langweiligen Dingen ihre Zeit zu verlieren. Die jungen Leute wurden
- durch die Erfahrung erzogen und im Feuer der Schlachten ausgebildet, und
- daher mußten diese unaufhörlich erneuert werden. Die Kosaken fanden es
- langweilig, sich in den Ruhezeiten mit irgendwelchen Übungen abzugeben:
- sie versuchten sich höchstens mal im Scheibenschießen, oder
- veranstalteten große Ritte, oder jagten in der Steppe und auf den Wiesen
- nach wilden Tieren; die übrige Zeit war den Zechgelagen und ähnlichen
- Vergnügungen gewidmet -- ein Zeichen der großen Leidenschaftlichkeit
- ihrer Seelen. Überhaupt war die ganze Sjetsch eine außerordentliche
- Erscheinung: hier herrschte eine nie endenwollende Feier, gleichsam ein
- Fest, das lärmvoll begonnen, ewig fortdauerte. Einige von den Bewohnern
- trieben ein Handwerk, andere hatten Kramläden und handelten mit allerlei
- Dingen -- die meisten jedoch lungerten von früh bis spät herum, wenn
- ihre Taschen ihnen noch eine Möglichkeit dazu boten, und das erworbene
- Geld noch nicht in die Hände der Kaufleute und Gastwirte übergegangen
- war. Dieses allgemeine Zechen und Prassen hatte etwas geradezu
- Sinnbetörendes an sich. Das war kein Haufe von Zechern, die aus
- Verzweiflung und Elend tranken, das war eine völlig ursprüngliche und
- unbändige Fröhlichkeit. Wer hierher kam, vergaß alles und ließ alles
- liegen, was ihn bisher beschäftigt hatte. Man kann sagen: er pfiff auf
- seine Vergangenheit. Sorglos ergab er sich der Freiheit, dem geselligen
- Zusammensein mit gleichen Naturen und Abenteurern wie er selbst, die
- weder Angehörige, Familie, noch Haus und Hof besaßen, sondern nur den
- freien Himmel und ein ewiges Verlangen nach ewigen Festen und Feiertagen
- in ihrer Seele trugen. So entstand jene fessellose Fröhlichkeit, die aus
- keiner andern Quelle hätte kommen können. Die Erzählungen und
- Geschichten der mitten zwischen dem versammelten Volk faul auf den Boden
- Lagernden reizten so zum Lachen und atmeten solches Leben, daß es schon
- der ganzen Gelassenheit des Saporogers bedurfte, eine unbewegte Miene
- beizubehalten und nicht einmal mit den Mundwinkeln zu zucken -- ein
- Charakterzug, der den Kleinrussen bis heut' noch von seinen
- südrussischen Brüdern unterscheidet. Es war eine trunkene, lärmende
- Fröhlichkeit, aber nicht in einer verräucherten Schenke, wo der Mensch
- in einer finsteren, bizarren Ausgelassenheit Vergessenheit von seinem
- Schmerz sucht, dies war vielmehr ein enger Kreis von Freunden und
- Schulgenossen. Der einzige Unterschied bestand darin, daß die Menschen
- hier, statt hinter der Fibel zu sitzen und trockene Erklärungen des
- Lehrers über sich ergehen zu lassen, auf fünftausend Pferden ausritten
- und allerhand kühne Raubzüge unternahmen; statt der Wiese, wo Ball
- gespielt wurde, hatten sie die weite unbegrenzte Steppe, die keinem von
- ihnen Sorgen machte, die von niemandem bewacht wurde, und wo bloß hier
- und da der flinke Kopf eines Tataren auftauchte, oder ein Türke finster
- und unbeweglich unter dem grünen Turban hervorschaute. Ferner kam hinzu,
- daß sie hier nicht ein fremder Wille zusammenführte, wie in der Schule,
- sondern eigner Entschluß: hatten sie doch selbst Väter und Mütter
- verlassen und waren dem elterlichen Hause heimlich entlaufen. Hier gab
- es Männer, deren Hals der Strick bereits berührt hatte, und die statt
- des blassen Todes noch mit Mühe das Leben erwischten, dies unbändige
- Leben voll herrlichen Genusses und Fröhlichkeit; hier hausten Menschen,
- die aus einer edlen Gewohnheit keine Kopeke in der Tasche behalten
- konnten, und wieder andere, die bisher einen Dukaten für einen großen
- Schatz gehalten hatten, und denen man dank den jüdischen Pächtern die
- Taschen umkehren konnte, ohne Gefahr zu laufen, daß etwas herausfiele.
- Hier befanden sich Seminaristen, die die akademischen Ruten nicht
- vertragen und in der Schule keinen Buchstaben gelernt hatten -- zugleich
- aber auch solche, die ihren Horaz und Cicero kannten und über das Wesen
- der römischen Republik Bescheid wußten. Hier traf man viele jener
- Offiziere, die sich später in den königlichen Heeren auszeichneten,
- sowie jene erprobten Parteigänger, die die edle Überzeugung hegten, daß
- es gleichgültig sei, wo man kämpfe, wenn man nur überhaupt kämpfen
- konnte, denn es sei eines ritterlichen Mannes nicht würdig, ein Leben
- ohne Kämpfe und Schlachten zu führen. Endlich gab es auch eine Anzahl
- solcher, die nur in die Sjetsch gekommen waren, um sagen zu können: sie
- seien in der Sjetsch gewesen und seien folglich im Kampf gestählte
- Krieger. Aber was gab es hier nicht? Diese sonderbare Republik war
- durchaus ein Bedürfnis jener Zeit. Für Liebhaber des kriegerischen
- Lebens, goldener Becher, reicher Gewebe, Dukaten und Schaumünzen gab es
- hier jederzeit genug zu tun. Nur die Verehrer der Frauen kamen nicht auf
- ihre Rechnung: denn nicht einmal in der Vorstadt der Sjetsch durfte sich
- eine Frau zeigen ... Ostap und Andrij fanden es sonderbar, daß niemand
- die zahlreichen Menschen, die mit ihnen in die Sjetsch gekommen waren,
- nach ihrer Herkunft und ihrem Namen fragte. Sie kamen hierher, als ob
- sie in ihr eigenes Haus zurückkehrten, das sie erst vor einer Stunde
- verlassen hatten. Der Ankömmling meldete sich bloß beim Hauptmann, der
- gewöhnlich fragte: »Grüß Gott. Glaubst du an Christus?« »Ja, ich
- glaube,« antwortete der Ankömmling. »Auch an die heilige Dreieinigkeit?«
- »Auch das.« »Besuchst du die Kirche?« »Ja, ich besuche sie.« »Gut,
- bekreuzige dich einmal.« Der Ankömmling tat es. »Schön,« sagte der
- Hauptmann, »geh und wähl dir selbst das Kosakendorf, das dir gefällt.«
- Und damit war die Zeremonie beendet. Die ganze Sjetsch betete in
- derselben Kirche und war bereit, sie bis zum letzten Blutstropfen zu
- verteidigen, trotzdem sie von Fasten und Enthaltsamkeit nichts wissen
- wollte. Nur die, nebenbei bemerkt, äußerst geldgierigen Juden, Armenier
- und Tataren wagten es, sich in der Vorstadt niederzulassen und hier ihre
- Kramläden aufzuschlagen, denn die Saporoger handelten nur ungern und
- zahlten gewöhnlich so viel Geld, als sie mit einem Griff aus der Tasche
- holten. Übrigens war das Los dieser habsüchtigen Händler sehr traurig;
- man konnte sie fast mit den armen Leuten vergleichen, die am Fuße des
- Vesuvs wohnten, denn sobald es den Saporogern an Geld fehlte,
- zertrümmerte die rohe Bande die Buden der Krämer und nahm sich alles,
- was sie brauchte, auch ohne Zahlung.
- Die Sjetsch bestand aus mehr als sechzig Niederlassungen, die ebenso
- viele völlig voneinander unabhängige Republiken darstellten. Sie glichen
- Schulen oder Seminaren, deren Zöglinge in der Anstalt gekleidet und
- beköstigt werden. Niemand besaß etwas, oder legte sich Vorräte an, alles
- befand sich in den Händen des Kosakenhauptmanns, den man deshalb auch
- gewöhnlich »Väterchen« nannte. Er verwaltete das Geld, die Kleidung, den
- gesamten Speisevorrat, den Roggen- und Weizenteig, die Grütze und sogar
- das Heizmaterial: auch das Barvermögen wurde ihm zur Aufbewahrung
- gegeben. Zwischen den einzelnen Niederlassungen brachen des öfteren
- Streitigkeiten aus, die sogleich in Schlägereien ausarteten. Der
- Marktplatz füllte sich mit den Bewohnern der Dörfer, und man bearbeitete
- sich so lange mit den Fäusten, bis irgend eine Partei niedergekämpft
- war, und dann begann ein Zechgelage und ein großer Jubel. Das war die
- Sjetsch, die eine so starke Anziehungskraft auf die jungen Leute
- ausübte.
- Ostap und Andrij stürzten sich mit der ganzen Leidenschaft der Jugend in
- dieses Freudenmeer, vergaßen schnell das väterliche Haus, das Seminar
- und alles, was ihre Seele bisher bewegt hatte, und gaben sich ganz dem
- neuen Leben hin. Alles fesselte sie hier: die wilden Sitten der Sjetsch,
- ihr einfaches Gerichtswesen und ihre Gesetze, die ihnen freilich
- manchmal für eine freie Republik gar zu streng erschienen. Wurde ein
- Kosak beim Diebstahl irgend einer Kleinigkeit ertappt, so galt dies für
- eine dem gesamten Kosakentum zugefügte Beleidigung: er wurde für ehrlos
- erklärt, an den Schandpfahl gebunden, und es wurde eine Holzkeule neben
- ihn gelegt, mit der jeder Vorübergehende ihm einen Schlag versetzen
- mußte, bis man ihn zu Tode gemartert hatte. Den säumigen Schuldner
- schmiedete man mit einer Kette an eine Kanone, wo er so lange gefesselt
- blieb, bis einer seiner Kameraden ihn auslöste und seine Schuld beglich.
- Den stärksten Eindruck aber übte die unerhört grausame Strafe, mit der
- der Mord bestraft wurde, auf Andrij aus: vor den Augen des Verurteilten
- wurde eine Grube gegraben, in die er lebendig hinabgestürzt wurde, dann
- senkte man den Sarg mit dem Leichnam des Ermordeten in die Grube hinab
- und schüttete Erde darüber. Noch lange nachher mußte Andrij an diesen
- entsetzlichen Brauch zurückdenken, und fortwährend stand der mitsamt dem
- grauenhaften Sarge lebendig begrabene Mensch vor seinen Augen.
- Die beiden jungen Kosaken wurden schnell beliebt bei ihren Kameraden.
- Oft begaben sie sich mit ihren Lagergenossen und zuweilen auch mit dem
- ganzen Bezirk oder auch mit benachbarten Niederlassungen in die Steppe
- zur Jagd auf unabsehbare Scharen von Vögeln, Hirschen und Ziegen, oder
- sie zogen bis an die Seen, Bäche und Ströme, die jedem Dorf durch das
- Los zugeteilt wurden, um zu angeln, ihre Netze auszuwerfen und reiche
- Beute für ihr Lager mitzubringen. Obgleich es keine Wissenschaften gab,
- in der der Kosak geprüft wurde, machten sie sich doch unter den andern
- jungen Leuten durch ihre ehrliche Kühnheit und ihre Erfolge bemerkbar.
- Gewandt und sicher schossen sie ins Ziel und durchschwammen den Dnjepr
- selbst gegen die Strömung: eine Tat, für die der Neuling feierlich in
- den Kreis der Kosaken aufgenommen wurde.
- Jedoch der alte Taraß sah sich nach einer anderen Tätigkeit für sie um.
- Das müßige Leben seiner Söhne war nicht nach seinem Wunsch: er verlangte
- ernstere Aufgaben für sie. Oft dachte er nach, wie er die Sjetsch zu
- einem kühnen Zuge bewegen könne, bei dem es eine einem Ritter geziemende
- Betätigung gab. Endlich aber ging Taraß eines Tages zum Hauptmann und
- sagte ohne Umschweife zu ihm: »Hauptmann, es wär' Zeit, daß die
- Saporoger sich wieder einmal tüchtig austobten.«
- »Es ist keine Gelegenheit dazu vorhanden,« antwortete der Hauptmann,
- indem er seine kleine Pfeife aus dem Munde nahm und ausspuckte.
- »Was, keine Gelegenheit? Man könnte doch gegen die Türken oder gegen die
- Tataren losgehen!«
- »Nein, das kann man nicht. Weder gegen die Türken noch gegen die
- Tataren,« antwortete der Hauptmann und steckte kaltblütig seine Pfeife
- zwischen die Zähne.
- »Und warum nicht?«
- »Weil wir dem Sultan versprochen haben, Frieden zu halten.«
- »Aber er ist doch ein Mohammedaner, und Gott und die heilige Schrift
- befehlen, die Heiden auszurotten!«
- »Wir haben kein Recht dazu. Ja, wenn wir nicht bei unserm Glauben
- geschworen hätten, dann ginge es vielleicht, so aber ist es unmöglich.«
- »Warum unmöglich? Wie kannst du sagen, wir hätten kein Recht dazu? Sieh
- mal, ich habe zwei Söhne, beide sind junge Burschen. Weder der eine noch
- der andere war ein einziges Mal in der Schlacht, und da behauptest du,
- wir hätten kein Recht dazu, und sagst, die Saporoger dürften nicht in
- den Kampf ziehen!«
- »Nein, es geht nicht.«
- »Wie es scheint, soll wohl die ganze Kosakenkraft unnütz vergeudet
- werden, der Mensch soll wohl tatenlos faulen wie ein Hund, und weder das
- Vaterland noch die ganze Christenheit soll einen Nutzen von ihm haben?
- Wozu leben wir denn da -- warum zum Teufel leben wir denn überhaupt?
- Bitte, erkläre mir das! Du bist ein kluger Mensch, sie haben dich nicht
- umsonst zum Hauptmann gewählt; also sprich: wozu leben wir?«
- Der Hauptmann antwortete nicht auf diese Frage. Er war ein starrköpfiger
- Kosak. Er schwieg eine Weile still und meinte dann: »Einen Krieg gibt es
- dennoch nicht!«
- »Es gibt also keinen Krieg?« fragte Taraß wiederum.
- »Nein.«
- »Es ist also garnicht daran zu denken?«
- »Nein, es ist garnicht daran zu denken.«
- »Warte nur, verdammter Teufel!« murmelte Bulba vor sich hin, »du sollst
- mich kennen lernen.« Und er beschloß, sich an dem Hauptmann zu rächen.
- Er besprach die Sache mit dem einen und dem andern und veranstaltete ein
- großes Gelage; eine Anzahl angeheiterter Kosaken stürzte auf den
- Marktplatz, wo sich die Pauken befanden, die an einem Pfahl hingen und
- gewöhnlich zum Zeichen einer beabsichtigten Ratsversammlung geschlagen
- wurden. Da sie die Schlegel nicht fanden, die meist beim Paukenschläger
- verwahrt zu werden pflegten, nahm jeder ein Holzscheit in die Hand und
- hieb damit auf die Pauken los. Auf diesen Lärm kam zuerst der
- Paukenschläger herbeigelaufen, ein langer Kerl mit einem einzigen Auge,
- das trotzdem recht verschlafen aussah.
- »Wer wagt es, die Pauken zu schlagen?« schrie er.
- »Schweig! Nimm deine Schlegel und schlag drauf los, wenn man dir's
- befiehlt!« antworteten die angeheiterten Hauptleute.
- Der Paukenschläger holte sofort die Schlegel, die er mitgenommen hatte,
- aus seiner Tasche, da er schon mit dem Ausgang solcher Vorgänge vertraut
- war. Die Pauken erdröhnten -- und bald versammelten sich die schwarzen
- Scharen der Saporoger wie Hummeln auf dem Platz. Alle scharten sich zu
- einem kleinen Kreise zusammen, und nach dem dritten Schlage erschienen
- endlich auch die Ältesten: der Hauptmann mit der Keule, dem Zeichen der
- Würde, in der Hand, der Richter mit dem Heeressiegel, der Schreiber mit
- dem Tintenfaß und der Kosakenfähnrich mit dem Stabe. Der Hauptmann und
- die Ältesten nahmen ihre Mützen ab und verbeugten sich nach allen Seiten
- gegen die Kosaken, die, die Arme in die Seiten gestemmt, stolz
- dastanden.
- »Was bedeutet diese Versammlung? Was wollt ihr, Herren?« fragte der
- Hauptmann, aber lautes Fluchen und Schreien ließen ihn nicht zu Ende
- sprechen.
- »Leg die Keule nieder! Leg sie sofort nieder, du Teufelssohn! Wir wollen
- dich nicht mehr!« schrien einige Kosaken aus der Menge heraus. Andere,
- aus Lagern, die noch nüchtern waren, widersprachen, und es dauerte nicht
- lange, so begann zwischen Nüchternen und Trunkenen ein regelrechter
- Faustkampf. Alles schrie und lärmte durcheinander.
- Der Hauptmann wollte sprechen, aber da er wußte, daß die wütende und
- eigensinnige Menge ihn, wie das in solchen Fällen ja immer geschieht,
- dafür zu Tode prügeln würde, verbeugte er sich tief, legte die Keule
- nieder und verschwand in der Menge.
- »Befehlt ihr, Herren, daß auch wir die Zeichen unserer Würde
- niederlegen?« fragten der Richter, der Schreiber und der
- Kosakenfähnrich. Sie machten sich schon bereit, Tintenfaß, Stab und
- Heeressiegel niederzulegen.
- »Nein, ihr sollt bleiben,« schrie man aus der Menge, »wir wollen nur den
- Hauptmann los sein. Was ist das für ein Weib! Wir brauchen einen Mann
- zum Hauptmann!«
- »Wen wollt ihr denn aber zum Hauptmann wählen?« fragten die Ältesten.
- »Wählt Kukubjenko,« schrie ein Teil. »Nein, wir wollen Kukubjenko
- nicht,« schrie ein anderer. »Er ist noch zu jung, er hat ja kaum die
- Kinderschuhe abgelegt.«
- »Schilo soll unser Hauptmann sein,« schrien verschiedene, »Schilo soll
- Hauptmann sein!«
- »Daß euch der Schilo in den Leib fahre!« schrien andere wieder
- durcheinander. »Was ist denn das für ein Kosak? dieser Hundsfott stiehlt
- ja wie ein Tatar! Der Teufel soll ihn holen, steckt ihn in den Sack, den
- Säufer!«
- »Borodaty, wählen wir doch Borodaty zum Hauptmann!«
- »Wir wollen Borodaty nicht! Zum Teufel mit Borodaty!«
- »Ruft Kirdiaga,« flüsterte Taraß Bulba einigen zu.
- »Kirdiaga, Kirdiaga,« schrie die Menge. »Borodaty, Borodaty! Kirdiaga,
- Kirdiaga! Schilo! Zum Teufel mit Schilo! Kirdiaga!«
- Die Genannten traten sofort aus der Menge heraus, damit man nicht
- glauben sollte, sie suchten ihre Wahl durch persönliche Anteilnahme zu
- befördern.
- »Kirdiaga! Kirdiaga!« Dieser Name erklang öfter als die andern.
- »Borodaty!« Endlich wurde die Sache durch die Fäuste ausgefochten, und
- Kirdiaga trug den Sieg davon.
- »Schnell, holt den Kirdiaga,« riefen viele Stimmen, und sogleich
- sonderten sich zehn Kosaken von der Menge ab. Einige von ihnen waren so
- bezecht, daß sie sich kaum aufrecht halten konnten. Sie begaben sich
- direkt zu Kirdiaga, um ihn von der Wahl zu unterrichten.
- Kirdiaga war zwar ein schon recht bejahrter, aber kluger Kosak, der
- schon lange in seine Strohhütte zurückgekehrt war und so tat, als ob er
- nichts von dem Vorgefallenen wüßte. »Nun, meine Herren, was wünscht
- ihr?« fragte er.
- »Komm, du bist zum Hauptmann gewählt worden.«
- »Aber ich bitte euch, ihr Herren,« sagte Kirdiaga, »wie komme ich zu
- einer solchen Ehre? Wie kann ich euer Hauptmann sein? Ich bin ja gar
- nicht klug genug, um eine solche Würde zu tragen! Als ob ihr im ganzen
- Heere keinen Besseren finden könntet, als mich!«
- »Komm schnell, hörst du!« schrien die Saporoger. Zwei von ihnen packten
- ihn bei den Armen, und so sehr er sich auch mit den Füßen gegen den
- Boden stemmte, er wurde doch schließlich unter andauernden
- Schimpfworten, Rippenstößen und aufmunternden Zurufen auf den Platz
- gebracht. »Sträube dich doch nicht, du Satan! Nimm doch das Ehrenamt an,
- wenn man es dir anbietet!« Auf diese Weise wurde Kirdiaga in den Kreis
- der Kosaken geschleppt.
- »Nun Herrschaften!« riefen die, die ihn hergebracht hatten, laut aus,
- »seid ihr einverstanden, daß dieser Kosak unser Hauptmann wird?«
- »Ja, wir sind alle einverstanden,« schrie die Menge, und das ganze Feld
- hallte wider von ihrem Geschrei.
- Einer von den Ältesten hob die Keule auf und überreichte sie dem
- neuerwählten Hauptmann. Der Sitte gemäß weigerte sich Kirdiaga zunächst,
- sie anzunehmen. Der Älteste bot sie ihm darauf zum zweiten Male an, und
- Kirdiaga wies sie zum zweiten Male zurück. Erst beim dritten Mal nahm er
- die Keule an. Nunmehr brach die Menge in ein lautes Beifallsgebrüll aus
- und wiederum hallte das Feld vom Geschrei der Kosaken wider. Darauf
- traten vier von den ältesten Kosaken mit grauen Köpfen und Bärten aus
- der Mitte des Volkes heraus. (Ganz Alte gab es in der Sjetsch nicht,
- denn kein Saporoger starb eines natürlichen Todes.) Jeder von ihnen nahm
- eine Handvoll Erde, die um jene Zeit durch den Regen in Kot verwandelt
- war, und legte sie Kirdiaga aufs Haupt. Die nasse Erde rann ihm vom Kopf
- herunter, floß ihm über den Schnurrbart und über die Wangen, und
- beschmutzte ihm das ganze Gesicht. Aber Kirdiaga blieb stehen, rührte
- sich nicht von der Stelle und dankte den Kosaken für die ihm erwiesene
- Ehre.
- So endete diese höchst geräuschvolle Wahl, über die sich vielleicht
- niemand so innig freute, wie Bulba. Zunächst, weil er sich an dem
- früheren Hauptmann gerächt hatte, und dann war Kirdiaga sein alter
- Kamerad, der mit ihm die gleichen Kriegszüge zu Wasser und zu Lande
- gemacht, und mit dem er die Mühen und Gefahren des Kriegslebens geteilt
- hatte. Die Menge zerstreute sich, um die Wahl sofort zu feiern, und nun
- erhob sich ein Jubel, wie ihn Ostap und Andrij bisher noch nicht erlebt
- hatten. Die Schnapsläden wurden verwüstet, Met, Branntwein und Bier
- wurden heruntergegossen, ohne daß jemand an Bezahlung dachte, und die
- Gastwirte waren schon zufrieden, daß sie selbst verschont blieben. Die
- ganze Nacht hindurch brüllte und sang man Lieder, in denen die
- Heldentaten gefeiert wurden, und der aufgehende Mond beleuchtete noch
- lange die Haufen von Musikanten, die mit Banduren, Teorben und runden
- Balaleiken durch die Straßen zogen, sowie die Kirchensänger, die man
- sich in der Sjetsch zur Abhaltung des Gottesdienstes und zur Lobpreisung
- der Taten der Saporoger hielt. Endlich begann sich der Rausch und die
- Müdigkeit auch der starken Köpfe zu bemächtigen. Bald da, bald dort sank
- ein Kosak zur Erde, ein Kamerad umarmte den andern, und wurde rührselig
- -- ja mancher begann sogar zu weinen und taumelte dann zusammen mit dem
- andern zu Boden. Dort wälzte sich ein ganzer Haufen herum; ein Kosak
- suchte sich einen möglichst bequemen Ruheplatz und legte sich dabei
- gerade auf einen Holzklotz. Ein einziger, der stärker war als die
- übrigen, hielt noch allerhand unzusammenhängende Reden, aber endlich tat
- es auch diesem der Rausch an -- er fiel nieder -- und die ganze Sjetsch
- versank in Schlummer ...
- Viertes Kapitel
- Gleich am nächsten Tage beriet sich Taraß Bulba mit dem neuen Hetman,
- wie man die Saporoger zu einem Kriegszuge anstacheln könnte. Der Hetman
- war ein kluger, gewiegter Kosak, er kannte die Saporoger und sagte daher
- zuerst:
- »Den Eid können wir nicht brechen. Das geht auf keinen Fall.« Dann
- schwieg er eine Weile und fuhr fort:
- »Es macht nichts, es geht auch so. Wir werden den Eid nicht verletzen,
- aber ein Vorwand wird sich schon finden. Sorge nur dafür, daß sich das
- Volk wieder versammelt, aber nicht auf meinen Befehl hin, sondern aus
- freiem Antriebe ... ihr wißt ja selbst am besten, wie das gemacht wird.
- Dann kommen wir sogleich mit den Ältesten auf den Platz geeilt, als ob
- wir von nichts wüßten.«
- Es war noch keine Stunde seit diesem Gespräch vergangen, als schon die
- Pauken erdröhnten. Sogleich war auch wieder eine ganze Menge von
- betrunkenen und unvernünftigen Kosaken zur Stelle. Tausende von
- Kosakenmützen füllten plötzlich den Platz. Ein mächtiges Stimmengewirr
- erhob sich. Überall ertönten Fragen: »Was ist geschehen? Warum hat man
- uns zusammengerufen?« Niemand antwortete. Endlich tönte es aus dieser
- und jener Ecke hervor: »So vergeudet man die Kosakenkraft! Es gibt
- keinen Krieg! Die Vorsteher haben sich hinter den Ofen gelegt, und
- schwimmen in ihrem Fett! Es gibt keine Gerechtigkeit mehr in der Welt!«
- Die Kosaken hörten erst eine Weile zu und stimmten dann mit in das
- Geschrei ein: »Wahrhaftig, es gibt keine Gerechtigkeit in der Welt.« Die
- Ältesten schienen über die Vorwürfe sehr bestürzt zu sein. Endlich trat
- der Hetman vor und sagte: »Werte Herren Saporoger! erlaubt ihr mir, eine
- Rede zu halten?«
- »Rede!«
- »Werte Herren, es wird jetzt darüber gesprochen, und ihr wißt es am
- besten, daß viele Saporoger bei den Juden in den Schenken und auch bei
- den eigenen Kameraden viele Schulden haben! Kein Teufel traut ihnen
- mehr. Außerdem spricht man darüber, daß es bei uns eine große Anzahl von
- jungen Burschen gibt, die noch nie mit eigenen Augen eine Schlacht
- gesehen haben -- während ihr doch selbst wißt, werte Herren, daß so ein
- junger Mensch ohne Krieg nicht leben kann. Was ist denn das auch für ein
- Saporoger, der sich noch nie mit den Heiden herumgeschlagen hat!«
- »Er spricht ausgezeichnet,« dachte Bulba.
- »Denkt übrigens nicht, ihr Herren, daß ich das sage, um den Frieden zu
- stören. Gotte behüte mich! Ich meine das nur so. Und ein Gotteshaus
- haben wir -- es ist eine wahre Sünde, wie es aussieht! Solange schon
- blüht die Sjetsch durch Gottes Gnade, und bis jetzt sind die
- Heiligenbilder -- von dem Äußeren wage ich garnicht zu sprechen -- noch
- immer ohne jeden Schmuck! Hätte ihnen wenigstens noch jemand ein
- silbernes Gewand geschmiedet! So aber haben sie nur gerade das erhalten,
- was ihnen der eine oder der andere Kosak hinterlassen hat. Diese Gaben
- waren aber meistens recht ärmlich, hatten sie doch schon bei Lebzeiten
- alles vertrunken. Ja, also ich rede nicht etwa, um den Krieg gegen die
- Ungläubigen zu predigen: wir haben dem Sultan Frieden geschworen, und es
- wäre eine große Sünde ihn zu brechen, denn wir haben auf unsern Glauben
- geschworen.«
- »Was schwatzt er denn da durcheinander,« sagte Bulba vor sich hin.
- »Ihr seht also, werte Herren, daß sich ein Krieg nicht so leicht
- beginnen läßt: das wäre gegen unsere Ritterehre. Aber ich in meinem
- einfältigen Verstande denke mir folgendes: Man müßte einmal allein die
- Jungen auf Kähnen ein bißchen an der Küste Anatoliens herumstreifen
- lassen! Was denkt ihr darüber, ihr Herren?«
- »Führe uns, führe uns alle dahin,« schrie die Menge von allen Seiten,
- »für unsern Glauben opfern wir gern unser Leben.«
- Der Hetman erschrak. Er hatte durchaus nicht die Absicht, alle Saporoger
- in Aufruhr zu bringen; jedenfalls hielt er es in diesem Falle für
- ehrlos, den Frieden zu brechen. »Gestattet mir noch einige Worte, werte
- Herren.«
- »Hör auf,« riefen die Saporoger, »was Besseres kannst du ja doch nicht
- sagen!«
- »Nun, wenn ihr meint, so möge es denn sein. Ich bin der Knecht eures
- Willens. Wie es ja schon in der Schrift heißt: Volkes Stimme -- Gottes
- Stimme. Es läßt sich nichts Klügeres erdenken, als was das ganze Volk
- ersonnen hat. Aber, werte Herren, ihr wißt, daß der Sultan das
- Vergnügen, das sich unsere tapfern Burschen gestatten werden, nicht
- ungestraft lassen wird? Allein inzwischen müssen auch wir uns rüsten und
- frische Kräfte sammeln, dann brauchen wir niemand zu fürchten. Aber
- während unserer Abwesenheit könnten die Tataren die Sjetsch überfallen:
- diese türkischen Hunde wagen es nicht, einem ins Gesicht zu sehen und
- einem offen gegenüberzutreten, dagegen beißen sie einem gern von hinten
- in die Fersen, und das gründlich. Hm, und um die Wahrheit zu sagen: wir
- verfügen auch nicht über so viel Boote und Pulver, wie wir benötigten,
- wenn alle mitziehen wollten. Im übrigen: was mich betrifft -- ich bin zu
- allem bereit: ich bin nur der Knecht eures Willens.«
- Der listige Hetman schwieg. Einzelne Haufen begannen miteinander zu
- beratschlagen, ebenso die Hauptleute der einzelnen Heerabteilungen. Zum
- Glück waren nicht allzuviele von ihnen betrunken, und man beschloß
- daher, sich dem vernünftigen Rat zu fügen.
- Sofort wurden einige Leute ans gegenüberliegende Ufer des Dnjepr nach
- dem Zeughaus gesandt, wo sich in unzugänglichen Verstecken, unter dem
- Wasser und im Schutt, die Kriegeskasse, sowie ein Teil der vom Feinde
- erbeuteten Waffen befanden. Die andern machten sich schnell an die
- Boote, um sie gründlich zu besichtigen und für die Reise auszurüsten. In
- einem Augenblick war das Ufer vom Volk überschwemmt. Die Zimmerleute
- kamen mit dem Beil in der Hand herbeigeeilt. Alte, sonnenverbrannte,
- breitschultrige Saporoger, mit graumelierten und schwarzen Schnurrbärten
- standen mit aufgeschürzten Schifferhosen bis zu den Knien im Wasser und
- zogen die Boote an einem festen Tau vom Ufer herab. Andre schleppten
- fertige, trockene Balken und Baumstämme herbei. Da wurde ein Kahn mit
- Brettern verschlagen, dort kehrte man einen um und kalfaterte und teerte
- ihn. Hier befestigte man nach Kosakenbrauch lange Schilfbündel an den
- Kahnwänden, damit die Meereswellen die Boote nicht zum Kentern bringen
- sollten. Etwas abseits am Ufer wurden kupferne Kessel aufgestellt, in
- denen man Pech zum Teeren der Boote siedete. Die Älteren und Erfahrenen
- belehrten die Jungen, ringsum hallte alles von dem Lärm der Arbeit
- wider, das ganze Ufer war voller Leben und Bewegung.
- Unterdessen näherte sich dem Ufer eine große Fähre, deren Bemannung
- schon von fern mit den Händen winkte. Es waren Kosaken in zerlumpten
- Röcken. Ihre zerrissene Bekleidung -- mehrere von ihnen hatten nichts
- als ein Hemd an und eine kurze Pfeife in den Zähnen -- bewies, daß sie
- soeben einer großen Gefahr entronnen waren oder ihr gesamtes Besitztum
- vertrunken und verbummelt hatten. Aus ihrer Mitte trat ein kleiner,
- breitschultriger Kosak von etwa fünfzig Jahren hervor, und stellte sich
- vorn auf die Fähre. Er schrie und bewegte die Arme noch heftiger, als
- die andern: aber der Lärm und das Klopfen der Arbeiter übertönte seine
- Stimme. »Wie kommt ihr hierher,« fragte der Hetman, als die Fähre ans
- Ufer stieß. Alle Arbeiter stellten die Arbeit ein, ließen Beil und
- Meißel ruhen und schauten voller Erwartung drein.
- »Wir haben Unglück gehabt,« schrie der kleine Kosak auf der Fähre.
- »Was für ein Unglück?«
- »Erlauben die Herren Saporoger einige Worte?«
- »Sprich.«
- »Wollt ihr nicht lieber eine Versammlung abhalten?«
- »Sprich, wir sind alle hier.«
- Das Volk drängte sich zu einem Haufen zusammen.
- »Habt ihr denn garnichts davon gehört, was in der Ukraine vorgeht?«
- »Was denn?« fragte einer der Hauptleute.
- »Was? euch hat wohl der Tatar die Ohren verstopft, daß ihr nichts gehört
- habt!«
- »So sprich doch, was geschehen ist!«
- »Es geschieht etwas, was wir seit unserer Geburt und unserer Taufe nicht
- gesehen haben!«
- »So sag doch endlich, was es ist, du Hundessohn!« schrie einer aus der
- Menge, der die Geduld zu verlieren schien.
- »Es ist eine Zeit angebrochen, wo selbst die heiligen Kirchen nicht mehr
- uns gehören!«
- »Weshalb gehören sie uns nicht?«
- »Sie sind jetzt an die Juden verpachtet. Wenn man die Juden nicht erst
- bezahlt, kann man keine Messe mehr darin abhalten.«
- »Was faselst du?«
- »Und wenn so ein Judenhund mit seiner unreinen Hand nicht ein Zeichen
- über die Hostie macht, kann man auch kein Ostern mehr feiern.«
- »Er lügt, Brüder, es ist unmöglich, daß der unreine Jude ein Zeichen
- über die Hostie macht!«
- »Hört zu, ich werde euch noch ganz andere Dinge erzählen. Katholische
- Geistliche fahren jetzt in Bauernwagen in der Ukraine herum. Das ist ja
- freilich noch kein Unglück, daß sie in Bauernwagen herumfahren; wohl
- aber das, daß sie statt der Pferde rechtgläubige Christen vorspannen.
- Ja, noch mehr hört mal weiter: man erzählt, daß sich die Judenweiber
- Röcke aus den Gewändern der Geistlichen nähen! So liegen die Dinge in
- der Ukraine! Und ihr sitzt hier in der Sjetsch und unterhaltet euch! Ja,
- man sieht, der Tatar hat euch einen solchen Schrecken eingeflößt, daß
- ihr weder Augen noch Ohren noch sonst etwas habt, daß ihr nichts davon
- merkt, was in der Welt vorgeht!«
- »Halt, halt,« unterbrach ihn hier der Hetman, der bis dahin mit zu Boden
- gesenkten Augen dagestanden hatte, wie alle Saporoger, die sich bei
- wichtigen Angelegenheiten nie von dem ersten Eindruck hinreißen lassen,
- sondern schweigen, bis ihre Erbitterung im stillen um so mächtiger
- anschwillt. »Hör auf, hör auf, hier habe ich auch noch ein Wort
- mitzureden. Und was habt ihr -- der Teufel soll eurem Vater das Fell
- gerben -- was habt ihr getan? Hattet ihr denn keine Säbel, he? Wie
- konntet ihr denn solche Niederträchtigkeiten zulassen?«
- »Wie man eine solche Niederträchtigkeit unbestraft lassen kann! He?
- Versuch doch nur was anzufangen, wo uns allein fünfzigtausend Polen
- gegenüberstanden. Und dann, wir wollen unsere Schande nicht
- verheimlichen; es gab auch Hunde unter uns, die schon den feindlichen
- Glauben angenommen hatten!«
- »Und was taten euer Hetman und eure Heerführer?«
- »Unser Hetman hat etwas getan, wovor uns alle Gott bewahre!«
- »Wie? was sagst du?«
- »Hört zu: Unser Hetman liegt jetzt eingepökelt in einem kupfernen Kessel
- zu Warschau und die Köpfe und Hände unserer Hauptleute werden zur
- Augenweide für alles Volk auf den Jahrmärkten herumgeschleppt. So ist es
- unsern Anführern gegangen!«
- Die ganze Volksmasse geriet in Bewegung. Zuerst herrschte tiefes
- Schweigen, wie es wohl einem schweren Unwetter vorhergeht, dann aber
- hallte plötzlich das ganze Ufer von wilden Reden, Ausrufen und Schreien
- wider.
- »Was, die Juden haben die christlichen Kirchen gepachtet! Die
- katholischen Geistlichen spannen rechtgläubige Christen an ihre
- Deichseln!! Wie, man duldet auf russischem Boden solche Grausamkeiten
- von den verfluchten Ungläubigen! Und daß sie so mit unsern Heerführern
- und Hetmans umgehen! Das kann nicht sein, das darf nicht sein!«
- So hallte es aus allen Ecken. Die Saporoger schrien sehr laut: sie
- empfanden ihre Kraft. Das war nicht mehr das Aufbrausen eines
- leichtsinnigen Völkchens; das war die Erregung bedachtsamer und
- männlicher Charaktere, die langsam in Hitze gerieten, aber, einmal
- entflammt, ihr inneres Feuer lange und dauernd bewahrten.
- »Die ganze Judenbande muß gehenkt werden,« schrie es aus der Menge, »sie
- sollen ihren Judenweibern keine Röcke mehr aus den geistlichen Gewändern
- nähen! Sie sollen keine Zeichen auf den heiligen Hostien machen!«
- »Ersauft doch dies ganze Heidenpack im Dnjepr!« Diese Worte, die einer
- aus der Menge gerufen hatte, zündeten blitzartig in allen Köpfen. Die
- Menge stürzte in die Vorstadt, mit dem festen Entschlusse, die ganze
- Judenschaft umzubringen.
- Die armen Kinder Israel verloren ihre Geistesgegenwart und ihren
- letzten, schon ohnedies nicht allzu großen Mut, sie versteckten sich in
- leeren Branntweinfässern und in den Öfen, und verkrochen sich sogar
- unter den Röcken der Jüdinnen. Aber die Kosaken wußten sie überall zu
- finden.
- »Erlauchte Herren,« schrie ein langer spindeldürrer Jude, indem er sein
- mitleiderregendes, schreckentstelltes Haupt aus der Menge seiner Freunde
- hervorstreckte. »Erlauchte Herren! laßt mich euch nur ein Wort sagen,
- ein einziges Wort. Wir werden euch etwas mitteilen, was ihr noch nie
- gehört habt -- etwas so Wichtiges; man kann garnicht sagen, wie wichtig
- es ist!«
- »Gut, mag er sprechen,« sagte Bulba, der es immer liebte, auch den
- schuldigen Teil anzuhören.
- »Erlauchte Herren,« sprach der Jude, »solche Herren hat man noch nie
- gesehen! So edle, gute und tapfere Männer gab es noch nie auf Erden.«
- Seine Stimme erstarb und zitterte vor Angst. »Wie wäre es möglich, daß
- wir schlecht von den Saporogern dächten! Die gehören ja gar nicht zu
- uns, die in der Ukraine die Kirchen pachten! Bei Gott, sie gehören nicht
- zu uns! Das sind ja gar keine Juden! Der Teufel weiß, was das für Leute
- sind, das sind solche Schufte, die man bloß anspucken und ausrotten
- sollte! Alle hier werden es mir bestätigen! Nicht wahr, Schloma, nicht
- wahr, Schmuhl?«
- »Bei Gott! Ob es wahr ist,« riefen Schloma und Schmuhl aus der Menge;
- sie trugen zerrissene Mützen und waren so bleich wie Kalk. »Wir haben es
- nie mit den Feinden gehalten,« fuhr der lange Jude fort, »und die
- Katholiken mögen uns überhaupt gestohlen bleiben. Der Teufel kümmere
- sich um sie. Wir fühlen mit den Saporogern wie mit unsern eigenen
- Brüdern ...«
- »Was! Die Saporoger sollen eure Brüder sein!« rief einer aus der Menge.
- »Verfluchte Juden, das überlebt ihr nicht! In den Dnjepr mit ihnen,
- werte Herren, wir wollen diese verfluchten Hunde ersäufen!« Diese Worte
- wirkten wie ein Signal. Man packte die Juden bei den Händen und warf sie
- in die Wogen. Von allen Seiten ertönte ein jämmerliches Schreien, aber
- die rauhen Saporoger lachten nur, als sie die mit Schuhen und Strümpfen
- bekleideten Füße der Juden in der Luft herumzappeln sahen.
- Der arme Redner, der durch seine Worte das Unglück selbst
- heraufbeschworen hatte, wand sich aus dem Kaftan heraus, bei dem man ihn
- bereits gepackt hatte, warf sich in seinem scheckigen und engen Kamisol
- Bulba zu Füßen und flehte ihn mit jämmerlicher Stimme an: »Großer,
- erlauchter Herr! Ich habe Euern Bruder gekannt, den seligen Dorosch! Er
- war die Zierde des ganzen Rittertums. Ich habe ihm achthundert Zechinen
- gegeben, als er Geld brauchte, um sich aus der Gefangenschaft der Türken
- auszulösen!«
- »Du kanntest meinen Bruder?« fragte Bulba.
- »Bei Gott, ich kannte ihn! Was war das für ein großmütiger Herr!«
- »Und wie heißt du?«
- »Jankel.«
- »Gut,« sagte Taraß und wandte sich nachdenklich an die Kosaken. »Wenn es
- sein muß, werden wir immer noch genug Zeit haben, den Juden aufzuknüpfen
- -- jetzt aber überlaßt ihn mir.«
- Mit diesen Worten führte Taraß ihn zu seinem Wagen, neben dem seine
- Kosaken standen. »Nun, krieche unter den Wagen, bleib dort liegen und
- rühr dich nicht vom Fleck; und ihr, Brüder, laßt mir den Juden nicht
- entweichen!«
- Hierauf begab er sich nach dem Platz, wo die ganze Schar bereits
- versammelt war. Alle hatten das Ufer und die Arbeit an den Kähnen
- augenblicklich verlassen, stand doch jetzt ein Kriegszug zu Lande und
- nicht zu Wasser bevor, und man bedurfte der Schiffe und der Kosakenboote
- nicht mehr, wohl aber der Wagen und Pferde. Jetzt wollten alle mit in
- den Krieg, Alt und Jung; im Einverständnis mit dem Rate der Ältesten,
- dem Hetman, den Hauptleuten und dem ganzen Heer der Saporoger beschloß
- man, direkt nach Polen zu ziehen, um sich für alles Böse, für die
- Schändung des heiligen Glaubens und der Kosakenehre, zu rächen, in den
- eroberten Städten Beute zu machen, Dörfer und Scheunen in Brand zu
- setzen und überall in der Steppe seinen Ruhm zu verbreiten. Alles
- rüstete und bewaffnete sich. Der Hetman schien um mehrere Zoll gewachsen
- zu sein. Das war nicht mehr der schüchterne Vollstrecker der launischen
- Wünsche eines ungezähmten Volkes; das war ein unbeschränkter Gebieter,
- ein Despot, der nur zu befehlen verstand. Alle die eigenwilligen und
- stolzen Ritter standen bewegungslos in Reih und Glied mit ehrerbietig
- gesenkten Köpfen, und keiner erhob die Augen, wenn der Hetman Befehle
- erteilte. Er tat es ruhig, ohne viel Geschrei und ohne sich zu
- übereilen, aber bedächtig wie ein alter, vielerfahrener Kosak, der nicht
- zum erstenmal einen klug erdachten Plan zur Ausführung bringt.
- »Seht euch um, seht euch recht gut um,« sagte er, »bringt die Wagen und
- Teereimer in Ordnung, prüft eure Gewehre. Nehmt nicht zu viel Kleidung
- mit euch: ein Hemd und zwei Paar Hosen pro Mann und einen Topf mit
- Hirsebrei -- keiner soll mehr bei sich führen. In den Wagen wird schon
- soviel Vorrat sein, als unbedingt nötig ist. Jeder Kosak soll ein Paar
- Pferde mit sich führen, auch nehmen wir zweihundert Paar Ochsen mit, da
- wir ihrer bei den Furten und in den morastigen Gegenden bedürfen
- könnten. Und, werte Herren, haltet vor allem auf Ordnung! Ich weiß, daß
- es einige unter euch gibt, die, sobald Gott eine reiche Beute schickt,
- sich sofort die Füße in Nanking und Seide hüllen. Laßt euch nicht vom
- Teufel verführen, werft allen Tand fort und nehmt euch höchstens ein
- Gewehr mit, wenn es gut ist, und ein paar Dukaten oder etwas Silbergeld
- -- das sind Dinge, die nicht viel Raum einnehmen und die man immer
- gebrauchen kann.
- Und das sage ich euch im voraus, werte Herren: sollte sich jemand von
- euch während des Feldzuges betrinken, so lasse ich ihn ohne jedes
- Gerichtsverfahren, wie einen Hund beim Genick packen, an den Wagen
- binden, und -- mag er der tapferste Kosak sein -- er wird sofort wie ein
- Hund erschossen und ohne Begräbnis den Vögeln zum Fraß überlassen, denn
- jemand, der sich im Feldzug betrinkt, ist eines christlichen
- Begräbnisses unwürdig. Ihr aber, ihr jungen Männer, gehorcht in allem
- den Alten. Wenn euch eine Kugel trifft oder ein Säbel euch am Kopf oder
- sonstwo verwundet: legt dem keine große Bedeutung bei; mischt eine
- Ladung Pulver in einem Becher Schnaps, trinkt ihn mit einem Satz aus,
- und alles geht vorüber, ohne jedes Fieber; oder wenn die Wunde nicht gar
- zu groß ist, so legt einfach etwas Erde darauf, nachdem ihr sie erst auf
- der Handfläche mit etwas Speichel verrieben habt: dann heilt sie bald
- zu. Und nun, an eure Arbeit, ihr Jungen, an die Arbeit, aber ohne Eile
- und mit Bedacht!«
- So sprach der Hetman, und sobald er seine Rede beendet hatte, machten
- sich alle Kosaken sofort an ihre Arbeit. Die ganze Sjetsch wurde
- nüchtern und nirgends war ein Betrunkener mehr zu sehen, als hätte es
- unter den Kosaken nie welche gegeben. Die einen brachten die Räderreifen
- in Ordnung und ersetzten die alten Wagenachsen durch neue, andere trugen
- Säcke mit allerhand Vorräten in die Wagen oder luden Waffen auf, andere
- wieder trieben die Pferde und Ochsen zusammen. Von allen Seiten hörte
- man das Stampfen der Pferde, das Einschießen der Gewehre, das Klirren
- der Säbel, das Gebrüll der Ochsen, das Knarren der schwerbepackten Wagen
- und das laute Schreien und Rufen der Krieger. Bald dehnte sich das
- Kosakenlager über das ganze Feld aus. Und der hätte lange laufen können,
- der es von Anfang bis Ende hätte durchqueren wollen. In der kleinen
- Holzkirche hielt der Geistliche einen Gottesdienst ab und besprengte
- alle mit Weihwasser, und alle küßten das Kreuz. Als das Lager sich in
- Bewegung setzte und aus der Sjetsch hinauszog, da sahen sich alle
- Saporoger noch einmal um. »Leb wohl, du, unsere Mutter,« riefen sie fast
- einstimmig, »möge dich Gott vor jedem Unglück bewahren!«
- Als sie durch die Vorstadt zogen, bemerkte Taraß Bulba, daß der Jude
- Jankel sich bereits wieder eine Bude mit einem Schutzdach eingerichtet
- hatte und Feuersteine, Decken, Pulver und allerlei nützliche Dinge, die
- ein Heer im Kriege brauchen kann, ja sogar Zwieback und Brot feilbot.
- »So ein Teufelskerl dieser Jude,« dachte Taraß, sprengte an ihn heran
- und sagte: »Du Narr, was sitzt du hier? Willst du, daß man dich wie
- einen Sperling niederschießt?«
- Jankel trat vorsichtig zu ihm heran, machte ihm mit beiden Händen
- allerhand Zeichen, als wolle er ihm ein Geheimnis mitteilen, und sagte:
- »Wenn der Herr nur schweigen und es sonst keinem sagen wollte; unter den
- Kosakenwagen befindet sich einer, der mir gehört, ich führe allerlei
- nützliche Dinge für die Kosaken mit, und will euch unterwegs den
- Proviant so billig liefern, wie noch nie ein anderer Jude; bei Gott, es
- ist so, so wahr mir Gott helfe!«
- Taraß Bulba zuckte die Achseln; er wunderte sich über die zähe, flinke
- Natur des Juden und ritt ins Lager zurück.
- Fünftes Kapitel
- Bald war der ganze Südwesten Polens eine Beute des Schreckens. Überall
- erklang der Ruf: »Die Saporoger, die Saporoger sind gekommen!« Alles was
- sich in Sicherheit bringen konnte, tat es. Alles machte sich auf und
- davon, wie es in jenem barbarischen, sorglosen Zeitalter Sitte war, wo
- man weder Festungen noch Burgen kannte, und wo der Mensch sich seine
- Strohhütte an dem ersten besten Ort baute. Man dachte: es hat ja doch
- keinen Sinn, Arbeit und Geld an ein Haus zu wenden, wenn der Tatar es ja
- doch zerstört. Alles geriet in Bewegung und Unruhe; der eine vertauschte
- Pflug und Heerde gegen Pferd und Flinte und trat in das Heer ein, ein
- anderer versteckte sich und sein Vieh und trug fort, was er tragen
- konnte. Gewiß stieß man hin und wieder auch auf solche, die die Gäste
- mit der Waffe in der Hand empfingen, aber die weitaus größere Zahl
- entfloh schon vorher. Alle wußten es, daß es eine schwere Sache ist,
- sich mit jenem wilden und kriegerischen Haufen einzulassen, der den
- Namen des »Saporoger Heeres« trug, und der trotz seiner äußerlichen
- Willkür und Unordnung eine Ordnung zu halten wußte, wie sie in der
- Schlacht erforderlich ist. Die Reiter überlasteten und erhitzten ihre
- Pferde nicht; die Fußgänger schritten nüchtern hinter den Wagen her; das
- ganze Feldlager bewegte sich nur nachts vorwärts, bei Tage ruhte es aus
- und zwar auf freien und unbewohnten Plätzen und Wäldern, die damals noch
- im Überfluß vorhanden waren. Man sandte Kundschafter und Spione voraus,
- um sich über die jeweilige Lage zu unterrichten. Oft tauchte die ganze
- Schar gerade an den Orten auf, wo man sie am wenigsten erwartete -- und
- dann sagten alle dem Leben Ade. Die Dörfer wurden an allen Ecken und
- Enden angezündet; das Vieh und die Pferde, die dem Heere nicht folgen
- konnten, wurden an Ort und Stelle niedergemacht. Es schien, als ob die
- Kosaken es mehr auf ein schwelgerisches Leben abgesehen hatten, als auf
- einen Feldzug. Die Haare stehen einem noch heute zu Berge, wenn wir uns
- jene schrecklichen Zeichen der Grausamkeit eines halbwilden Zeitalters
- ins Gedächtnis rufen, wie sie die Saporoger überall offenbarten.
- Erschlagne Säuglinge, Frauen mit abgeschnittenen Brüsten, das waren ihre
- Heldentaten; und wenn sie jemand in Freiheit setzten, zogen sie ihm
- vorher bis zu den Knien die Haut von den Füßen ab. Kurz, die Kosaken
- zahlten ihre früheren Schulden mit harter Münze heim. Als der Abt eines
- Klosters hörte, daß sie im Anzuge seien, sandte er ihnen zwei Mönche
- entgegen und ließ ihnen sagen, sie handelten nicht so, wie es sich
- gehöre; zwischen den Saporogern und der Regierung sei Frieden
- geschlossen, daher verletzten sie ihre Pflicht gegen den König und
- zugleich damit das Völkerrecht. Hierauf erwiderte ihnen der Hetman:
- »Sage deinem Erzbischof in meinem und aller Saporoger Namen, daß er
- nichts zu befürchten hat, die Kosaken zünden sich ja bloß ihre Pfeifen
- an.«
- Bald war die majestätische Abtei von vernichtenden Flammen erfaßt, und
- die mächtigen gotischen Fenster schauten düster durch das lodernde
- Glutmeer. Flüchtige Haufen von Mönchen, Juden und Frauen erfüllten
- plötzlich alle Städte, in denen nur ein Schein von Hoffnung auf die
- Garnison und die städtische Besatzung bestand. Die von der Regierung von
- Zeit zu Zeit, aber meist immer zu spät zu Hilfe gesandten Detachements
- fanden die Kosaken entweder nicht oder gaben bei dem ersten Zusammenstoß
- Fersengeld und flüchteten sich auf ihren wackeren Pferden. Es kam auch
- vor, daß einige königliche Heerführer, die in früheren Schlachten
- siegreich geblieben waren, beschlossen, sich den Saporogern mit
- vereinten Kräften entgegenzustellen. Das aber waren gerade die
- Gelegenheiten, in denen die jungen Kosaken ihre Kräfte prüften: sie
- verabscheuten die Geldgier und die Nichtswürdigkeiten gegenüber dem
- wehrlosen Feind, hier aber brannten sie vor Verlangen, sich vor den
- Alten auszuzeichnen und sich Mann gegen Mann im offenen Kampfe mit dem
- kecken und prahlerischen Polen zu messen, der auf seinem stolzen Roß im
- prächtigen, vom Winde geblähten Mantel mit den herabhängenden Ärmeln
- angesprengt kam.
- Das war eine fröhliche Wissenschaft; sie hatten schon viel reiches
- Pferdegeschirr, kostbare Säbel und Gewehre erbeutet. Im Verlauf eines
- Monats hatten die Jünglinge alles Knabenhafte abgelegt, und die kaum
- flügge gewordenen Jungen waren zu Männern herangereift; ihre
- Gesichtszüge, die bisher eine gewisse jugendliche Sanftheit aufwiesen,
- waren nun streng und ernst. Der alte Taraß sah mit Freuden, wie seine
- beiden Söhne überall die ersten waren. Ostap schien schon in der Wiege
- dazu bestimmt zu sein, ein Kämpferdasein zu führen, und Heldentaten zu
- verrichten. Nichts brachte ihn in Verwirrung oder ließ ihn den Kopf
- verlieren; mit einer für einen zweiundzwanzigjährigen Jüngling fast
- unverständlichen Kaltblütigkeit wußte er im Augenblick die Gefahr und
- die Sachlage zu überblicken; und er fand auch sofort ein Mittel, der
- Gefahr auszuweichen, aber so daß er sie um so sicherer überwand. Seine
- Bewegungen zeigten schon Erfahrung und Selbstvertraun: man erkannte in
- ihm sofort den zukünftigen Führer. Sein Körper schwoll von Kraft; und
- seine ritterlichen Tugenden hatten etwas von der gewaltigen Kraft des
- Löwen.
- »Oh, der wird mit der Zeit noch ein tüchtiger Hetman werden,« sagte der
- alte Bulba, »ja, ja, das gibt einen ausgezeichneten Feldherrn ab, der
- stellt noch den Vater in Schatten.«
- Andrij war wie bezaubert von der wundervollen Musik der Kugeln und
- Schwerter. Er kannte die Bedeutung des Überlegens, Berechnens und des
- Ausmessens der eignen und fremden Kräfte nicht. Die Schlacht war ihm ein
- tolles, wonniges Vergnügen, und ihm war in solchen Augenblicken zumute,
- wie einem Menschen bei einem Feste, wenn das Gesicht glüht, alles vor
- den Augen schwirrt und durcheinandergeht, die Schädel herabsausen, die
- Rosse dröhnend zu Boden stürzen, und er wie trunken im Lärm der Kugeln
- und zwischen blitzenden Säbeln dahinfliegt, und nach allen Seiten um
- sich haut, ohne selbst die Hiebe zu empfinden, die er empfängt. Oft
- genug wunderte sich der Vater auch über Andrij, wenn er sah, wie er, von
- seiner wilden Leidenschaft hingerissen, sich an Dinge wagte, die ein
- Kaltblütiger und Überlegender stets gemieden hätte, und in seinem
- rasenden Draufgängertum Wunder verrichtete, über die selbst alte in
- Schlachten ergraute Kosaken in Staunen geraten mußten. Dann bewunderte
- ihn der alte Taraß und sagte wohl: »Auch er ist ein tüchtiger Krieger --
- der Feind vermag nichts gegen ihn. Er ist kein Ostap, aber doch ein
- tüchtiger, ein sehr tüchtiger Krieger.«
- Man hatte beschlossen, direkt gegen die Stadt Dobno zu marschieren, die,
- wie es hieß, reiche Schätze barg und begüterte Bürger beherbergte. In
- anderthalb Tagen war der Weg zurückgelegt, und die Saporoger standen
- bereits vor der Stadt. Die Einwohner hatten beschlossen, sich bis zum
- letzten Blutstropfen, ja bis zum Äußersten zu verteidigen, und wollten
- lieber auf den Märkten und an den Schwellen ihrer Häuser sterben, als
- den Feind in ihr Heim hineinlassen. Ein großer Erdwall umgab die Stadt;
- wo er zu niedrig war, da erhob sich eine steinerne Mauer, oder ein Haus,
- das als Batterie diente, oder endlich ein aus eichenen Bohlen
- errichteter Zaun. Die Besatzung war stark und empfand die ganze
- Bedeutung der Lage. Die Saporoger hatten schon einen wilden Sturm gegen
- den Wall versucht, aber ein Kartätschenfeuer prasselte auf sie herab.
- Auch die Bürger und die sonstigen Stadtbewohner schienen die Hände nicht
- in den Schoß legen zu wollen und eilten in Massen auf die Stadtmauern.
- Der feste Wille zu einem verzweifelten Widerstand war in ihren Augen zu
- lesen: die Frauen beschlossen ebenfalls, an der Verteidigung
- teilzunehmen, warfen Steine, Fässer und Töpfe voll siedendem Pech auf
- die Köpfe der Saporoger und schütteten zuletzt Säcke voll Sand über sie
- aus, die ihnen die Augen blendeten. Die Saporoger hatten es nicht gern
- mit Festungen zu tun, Belagerungen waren eben ihre Sache nicht. Der
- Hetman ordnete daher den Rückzug an und sagte: »Genug, werte Herren und
- Brüder, wir ziehen uns zurück. Aber ihr sollt mich einen schlechten
- Tataren und nicht einen Christen nennen, wenn wir auch nur einen aus der
- Stadt herauslassen. Mögen sie alle vor Hunger krepieren, die Hunde!« Das
- Heer zog sich zurück, umzingelte die Stadt und begann zum Zeitvertreib
- die Umgebung zu verwüsten. Man zündete die umliegenden Dörfer und die
- noch nicht eingebrachten Getreidehaufen an und hetzte die Pferde in
- Massen auf die von der Sichel noch unberührten Felder, auf denen sich
- wie zum Trotze fette Ähren wiegten -- die Frucht eines außerordentlich
- guten Jahres, das den Bauern eine reichliche Ernte versprach. Voller
- Schrecken sahen die Bürger in der Stadt, wie ihre Existenzmittel
- vernichtet wurden. Unterdessen hatten die Saporoger ihre Wagen in zwei
- Reihen um die Stadt gezogen, und gerade so wie in der Sjetsch in
- einzelnen Quartieren ihr Lager aufgeschlagen; sie rauchten ihre Pfeifen,
- tauschten miteinander ihre erbeuteten Waffen aus, spielten Bockspringen,
- Gerade und Ungerade, wie sichs traf, und noch andere Glücksspiele und
- blickten hie und da mit geradezu mörderischer Kaltblütigkeit nach der
- Stadt hin. Nachts wurden Feuer angezündet, jedes Quartier kochte sich
- seinen Brei in mächtigen kupfernen Kesseln, und die Wachen, die die
- ganze Nacht kein Auge schließen durften, standen um das Feuer herum.
- Bald aber wurden den Saporogern die Tatenlosigkeit und die andauernde
- Nüchternheit, der keine Unternehmungen das Gleichgewicht hielten,
- langweilig. Der Hetman ordnete sogar an, eine doppelte Ration Wein
- auszuteilen, wie es im Heer hin und wieder zu geschehen pflegte, wenn
- keine Schlachten oder sonstige schwierige Unternehmungen bevorstanden.
- Den jungen Kosaken und besonders Taraß Bulbas Söhnen gefiel ein solches
- Leben ganz und gar nicht. Andrij war die Ungeduld schon von weitem
- anzusehen. »Du unvernünftiger Bursche,« sagte Taraß zu ihm, »hab Geduld,
- Kosak! -- und du wirst Hetman! Nicht der ist ein guter Krieger, der nur
- in schwierigen Lagen den Kopf oben behält, sondern der, der den Mut
- nicht sinken läßt, auch wenn es nichts zu tun gibt, der alle Dinge
- erträgt und endlich doch seinen Willen durchsetzt.« Aber ein feuriger
- Jüngling versteht einen Greis nicht so leicht: ihre Natur ist zu
- verschieden, und sie sehen die gleiche Sache mit ganz andern Augen an.
- Inzwischen aber war Taraß' Aufgebot unter Towkatschs Führung angekommen,
- und mit ihm zwei Hauptleute, ein Schreiber und andere Offiziere; die
- Gesamtzahl der Kosaken betrug jetzt mehr als viertausend. Darunter
- befanden sich auch viele Freiwillige, die ganz von selbst auf das bloße
- Gerücht von den Kämpfen und ungerufen zu ihnen gestoßen waren. Die
- Hauptleute brachten Taraß' Söhnen den Segen der alten Mutter und je ein
- Heiligenbild aus Zedernholz aus dem Meschigorski-Kloster von Kiew mit.
- Beide Brüder hingen sich die heiligen Bilder um den Hals und verfielen
- unwillkürlich in Träumereien, als sie so an die alte Mutter erinnert
- wurden. Was prophezeite, was verhieß dieser Segen? Den Sieg über den
- Feind, eine reiche Beute und frohe Rückkehr in die Heimat, ewige
- Preisgesänge der Lautenspieler -- oder ...? Aber die Zukunft kennt
- keiner -- und wie Herbstnebel, der aus dem Sumpf emporsteigt, liegt sie
- vor dem Menschen: blind fliegen die Vögel, ängstlich mit den Flügeln
- schlagend, hin und her, sie erkennen einander nicht -- das Täubchen
- nicht den Habicht und der Habicht nicht das Täubchen -- und niemand
- weiß, ob nicht das Verderben schon auf ihn wartet, während er weiter
- fliegt ...
- Ostap beschäftigte sich wieder mit seinen Angelegenheiten und lebte sein
- gewöhnliches Lagerleben, aber Andrij empfand -- er wußte selbst nicht
- warum -- eine gewisse Unruhe im Herzen. Die Kosaken hatten ihr
- Abendessen bereits eingenommen, das Abendrot war längst verglüht, und
- die Luft war voll von der Pracht einer wundervollen Julinacht. Allein
- Andrij suchte sein Lager nicht auf, er legte sich nicht schlafen und
- versenkte sich unwillkürlich in das Bild, das sich vor ihm ausbreitete.
- Am Himmel leuchteten viele Sterne voll weißen und kühlen Glanzes auf.
- Das Feld war über eine weite Strecke hin mit Wagen bedeckt, die allerlei
- schöne Dinge und den Proviant bargen, den man dem Feinde geraubt hatte,
- und an denen mit Teer gefüllte Eimer hingen. Neben und unter den Wagen,
- und nicht weit davon entfernt lagen die Saporoger weit ausgestreckt auf
- dem Grase. Sie waren in den verschiedensten, malerischsten Stellungen
- eingeschlafen: der eine hatte sich ein Bündel, der andere die Mütze
- unter den Kopf geschoben, ein dritter benutzte einfach den Körper seines
- Kameraden als Kissen. Neben jedem Kosaken lag ein Säbel, eine Büchse,
- eine kurze Pfeife mit Kupferbeschlag und einem eisernen Stäbchen, sowie
- ein Feuerstein. Schwerfällige Ochsen lagen, die Beine unter den Körper
- gezogen, auf dem Felde, und ihre großen weißlichen Massen glichen von
- ferne grauen Felsblöcken, die auf den abschüssigen Feldern verstreut
- lagen. Von allen Seiten ertönte das Schnarchen der auf dem Grase
- ruhenden Krieger, dem vom Felde her die über ihre Fesselung unwilligen
- Hengste mit lautem Gewieher antworteten.
- Diese Julinacht bot indessen auch majestätische und drohende Bilder dar:
- den Widerschein der brennenden Dörfer im Umkreis. Hier stieg die Flamme
- stolz und königlich zum Himmel auf, dort loderte sie plötzlich -- von
- neuer Nahrung gespeist -- wie ein entfesselter Wirbel pfeifend bis zu
- den Sternen empor, und ihre Funken erloschen erst fern am Horizont.
- Drohend wie ein Karthäuser Mönch stand das abgebrannte schwarze Kloster
- da und ließ bei jedem Aufleuchten des Feuers seine ganze düstere Größe
- sehen; etwas weiter brannte der Klostergarten, man glaubte die in Rauch
- gehüllten Bäume prasseln zu hören, und, so oft die Flammen
- hervorzüngelten, fiel ihr Schein plötzlich mit violettem,
- phosphoreszierendem Licht auf die reifen Pflaumenbüschel oder
- verwandelte hie und da die gelben Birnen in eitel Gold, bisweilen aber
- tauchte gleich einer schwarzen Masse der elende Körper eines an einem
- Baumast oder an einer Mauer hängenden Juden oder Mönches auf, der
- zugleich mit dem Gebäude seinen Untergang gefunden hatte. In gemessener
- Entfernung umkreisten Vögel, die kleinen schwarzen Kreuzen auf einem
- feuerroten Felde glichen, den Brandherd.
- Die umzingelte Stadt schien im Schlaf versunken, ihre Türme, Dächer,
- Zäune und Mauern leuchteten stumm im Widerschein der fernen Brände ...
- Andrij schritt durch die Reihen der Kosaken. Die Scheiterhaufen, an
- denen die Wächter saßen, drohten jeden Augenblick zu verlöschen, und die
- Wächter selbst waren eingeschlafen, nachdem sie ihren kräftigen
- Kosakenappetit reichlich befriedigt hatten. Er wunderte sich nicht wenig
- über ihre Sorglosigkeit und dachte darüber nach, wie gut es doch sei,
- daß kein starker Feind in der Nähe und daß nichts zu fürchten wäre.
- Endlich näherte auch er sich einem der Wagen, kletterte hinauf und legte
- sich auf den Rücken, nachdem er die gefalteten Hände unter den Kopf
- geschoben hatte. Aber er konnte nicht einschlafen und blickte lange zum
- Himmel empor, der sich in seiner ganzen Unendlichkeit offen vor ihm
- ausbreitete; die Luft war rein und durchsichtig, das Sternenheer, das
- die Milchstraße bildete, zog sich schräg gleich einem Gürtel über den
- Himmel hin, und alles war wie mit Licht überflutet. Von Zeit zu Zeit
- schien Andrij alles zu vergessen, ein leichter Schlummer verhüllte wie
- ein Nebel den Himmel, der sich jedoch bald wieder aufklärte und ganz
- sichtbar wurde.
- Mit einem Male war es ihm, als nähere sich ihm ein sonderbares
- menschliches Gesicht. Er glaubte natürlich, es sei ein Traum, der sich
- gleich wieder verflüchtigen werde, öffnete die Augen weit und sah, daß
- sich wirklich ein welkes und verhärmtes Gesicht über ihn gebeugt hatte
- und ihm in die Augen starrte. Lange, kohlschwarze, ungekämmte
- Haarsträhnen krochen wild aus dem dunklen, leicht übergeworfenen
- Kopftuch hervor. Das sonderbare Leuchten des Auges und die totenhafte
- Blässe des mageren Antlitzes mit den scharf hervortretenden Zügen
- verstärkten seine Meinung, ein Gespenst vor sich zu haben. Unwillkürlich
- griff er nach der Flinte und stieß fast krampfhaft hervor:
- »Wer bist du? Bist du ein Teufel, so hebe dich weg, weit fort aus meinen
- Augen, bist du aber ein Mensch, so scherzest du zur Unzeit, ich nehme
- mein Gewehr und schieße dich nieder!«
- Statt jeder Antwort legte die Erscheinung den Finger an den Mund und
- schien hierdurch um Schweigen zu flehen. Er ließ den Arm sinken und
- begann, sie aufmerksamer zu betrachten. An den langen Haaren, dem Hals,
- der braunen halbentblößten Brust erkannte er eine Frau. Sie schien eine
- Ausländerin zu sein: ihr Gesicht hatte eine gelblich-braune Farbe und
- war durch Krankheit völlig abgemagert, die breiten Knochen traten stark
- unter den eingefallenen Wangen hervor; der schmale Schlitz der
- Augenlider stieg bogenförmig nach oben empor. Je länger er sie
- betrachtete, um so bekannter schienen ihm ihre Züge. Endlich hielt er es
- nicht mehr aus und fragte:
- »Sprich, wer bist du? Ich glaube, dich schon einmal gekannt oder gesehen
- zu haben?«
- »Vor zwei Jahren in Kiew ....«
- »Vor zwei Jahren in Kiew,« wiederholte Andrij und suchte sich an alles
- zu erinnern, was sein Gedächtnis ihm aus seiner Seminarzeit noch
- aufbehalten hatte. Noch einmal faßte er sie fest ins Auge und plötzlich
- schrie er laut auf: »Du -- du bist die Tatarin! Die Zofe des Fräuleins,
- der Tochter des Wojewoden!«
- »Pst!« machte die Tatarin, faltete flehend die Hände und sah sich
- zitternd um, ob nicht etwa jemand durch Andrijs lauten Schrei erwacht
- sei.
- »Sprich doch, sprich doch, weshalb bist du hier,« flüsterte ihr Andrij
- beinah atemlos zu, die innere Erregung ließ ihn jeden Augenblick inne
- halten. »Wo ist das Fräulein? Lebt sie noch?«
- »Sie ist hier, in der Stadt!«
- »In der Stadt?« wiederholte er und hätte beinah aufgeschrien; er fühlte
- wie sein ganzes Blut plötzlich zum Herzen strömte, »warum ist sie in der
- Stadt?«
- »Weil der alte Herr dort ist, er ist seit anderthalb Jahren Wojewode in
- Dubno.«
- »Und ist sie verheiratet? So sprich doch, sprich! Wie merkwürdig du
- bist! Was macht sie jetzt?«
- »Sie hat seit zwei Tagen nichts mehr gegessen!«
- »Was?«
- »Die Einwohner unserer Stadt haben schon lange kein Stück Brot mehr
- gesehen, sie nähren sich nur noch von Erde ...«
- Andrij erstarrte vor Entsetzen.
- »Das Fräulein hat dich von der Stadtmauer aus bei den Saporogern gesehen
- und mir den Auftrag gegeben: »Geh und sag dem Ritter: wenn er sich
- meiner erinnert, soll er zu mir kommen, wenn nicht -- so soll er dir ein
- Stück Brot für meine alte Mutter geben -- ich kann nicht sehen, wie
- meine Mutter vor meinen Augen stirbt. Es ist besser, ich sterbe zuerst
- und dann sie. Bitte ihn, umschlinge seine Knie und küsse seine Füße; er
- hat auch eine alte Mutter, er soll mir um ihretwillen ein Stück Brot
- geben.«
- Die widerstreitendsten Gefühle erwachten in Andrij und bewegten die
- Brust des jungen Kosaken.
- »Wie ist dir's nur gelungen, hierher zu kommen?«
- »Ich habe einen unterirdischen Gang benutzt.«
- »Gibt es denn einen unterirdischen Gang hierher?«
- »Ja.«
- »Wo ist er?«
- »Wirst du uns auch nicht verraten, Ritter?«
- »Ich schwöre dir's beim heiligen Kreuz.«
- »Man geht erst am Ufer entlang und überschreitet das Flüßchen an der
- Stelle, wo das viele Schilf wächst.«
- »Und er führt direkt in die Stadt hinein?«
- »Gerade in das städtische Kloster.«
- »Komm, komm, laß uns sogleich gehn.«
- »Aber um Christi und der heiligen Jungfrau willen -- erst ein Stück
- Brot!«
- »Schon gut, du sollst es haben. Bleib hier am Wagen stehen, oder besser,
- leg dich hinein, so wird dich niemand sehen, alle schlafen, ich komme
- gleich zurück.«
- Und er eilte zu dem Wagen, in dem die Vorräte seiner Truppe aufbewahrt
- wurden. Sein Herz klopfte zum Zerspringen. Die ganze Vergangenheit,
- alles, was durch das ständige Lagerleben, durch das rauhe Soldatendasein
- betäubt war -- erwachte auf einmal wieder und ließ ihn die Gegenwart
- völlig vergessen. Wieder tauchte die stolze Frau wie aus dunklen
- Meeresfluten vor ihm empor, wieder leuchteten ihre herrlichen Arme in
- seinem Innern auf, ihre Augen, ihre lachenden Lippen, die dichten,
- dunkelbraunen Haare, die in krausen Locken über ihren Busen fielen --
- die festen, schöngeformten Glieder ihrer jungfräulichen Gestalt. Nein,
- dieses Bild war nie aus seinem Herzen geschwunden, es hatte nur für
- einige Zeit andern mächtigen Gefühlen Platz machen müssen, aber häufig
- genug hatte es den tiefen Schlaf des jungen Kosaken beunruhigt, und oft
- lag der Erwachte schlaflos auf seinem Lager, ohne sich den Grund hierfür
- erklären zu können ...
- Er ging, sein Herz klopfte bei dem Gedanken, sie wieder zu sehen, immer
- stärker und stärker, und seine jungen Knie wankten unter ihm. Als er die
- Wagen endlich erreicht hatte, wußte er nicht mehr, weshalb er gekommen
- war; er fuhr sich mit der Hand über die Stirn und versuchte es, sich an
- das zu erinnern, was er eigentlich beabsichtigte. Endlich zuckte er
- zusammen, ein wilder Schrecken erfüllte ihn; plötzlich kam es ihm in den
- Sinn, daß sie vor Hunger stirbt. Schnell lief er zu dem Wagen heran und
- steckte sich mehrere große schwarze Brote unter den Arm; aber da ergriff
- ihn ein Zweifel, ob diese Nahrung, die wohl für einen kräftigen, nicht
- sehr wählerischen Saporoger genügen mochte, für ein so zartes Wesen wie
- sie nicht zu grob und zu schwer sein würde. Er erinnerte sich, daß der
- Hetman die Kosaken, denen die Bereitung des Breis oblag, noch gestern
- ausgescholten hatte, weil sie das ganze Buchweizenmehl verbraucht
- hatten, obwohl es für drei Mahlzeiten ausgereicht hätte. Fest davon
- überzeugt, daß er noch genügend Brei finden würde, holte er den
- Feldkessel seines Vaters hervor und ging damit zum Koch seiner
- Abteilung, der zwischen zwei Kesseln schlief, die wohl zehn Eimer fassen
- mochten und unter denen noch die Asche glimmte. Als er in die Kessel
- hineinblickte, sah er zu seinem Erstaunen, daß beide leer waren. Die
- Kosaken mußten geradezu unmenschliche Kräfte entwickelt haben, um alles
- aufzuessen, zumal seine Abteilung weniger Krieger zählte als die andern.
- Er blickte auch in die Kessel der anderen Abteilungen hinein, es war
- alles leer. Unwillkürlich fiel ihm das Sprichwort ein: »Die Saporoger
- sind wie Kinder: ist wenig da, so begnügen sie sich mit wenig, ist viel
- da, so lassen sie nichts übrig.« Übrigens mußte sich im Wagen seines
- Vaters noch ein Sack mit Weißbrot befinden, den man bei der Plünderung
- der Klosterküche entdeckt hatte. Er ging geradewegs zum väterlichen
- Wagen, aber er fand den Sack nicht mehr vor. Ostap hatte ihn sich unter
- den Kopf gelegt und schnarchte, auf der Erde ausgestreckt, so laut, daß
- es durch das ganze Feld schallte. Andrij ergriff den Sack mit einer Hand
- und riß ihn unter Ostaps Kopf hervor, sodaß dieser auf den Boden sank.
- Ostap fuhr schlaftrunken auf und schrie mit geschlossenen Augen aus
- voller Kehle: »Greift, greift den verfluchten Polen, greift ihn, fangt
- doch sein Pferd, fangt sein Pferd!« »Halt den Mund, sonst schlag ich
- dich tot,« rief Andrij voller Schrecken und wollte mit dem Sack
- dreinschlagen. Aber Ostap war ohnehin schon wieder verstummt und
- schnarchte so laut, daß sich das Gras, auf dem er schlief, unter seinen
- Atemzügen hin- und herbewegte. Andrij sah sich scheu nach allen Seiten
- um, um sich darüber zu vergewissern, ob nicht Ostaps Geschrei einen von
- den Kosaken aufgeweckt hätte. In dem benachbarten Lager hatte sich in
- der Tat ein zottiger Kopf aufgerichtet und sah sich um, sank jedoch
- gleich wieder zu Boden. Andrij wartete noch zwei Minuten und zog dann
- mit seiner Last ab. Die Tatarin lag noch immer mit krampfhaft
- angehaltenem Atem auf dem Wagen.
- »Steh auf, komm! Alle schlafen, fürchte dich nicht! Kannst du vielleicht
- eins von diesen Broten tragen, wenn ich keinen Platz für sie alle finden
- sollte?« Mit diesen Worten lud er sich die Säcke auf den Rücken, nahm,
- als sie an einem Wagen vorbeigingen, noch einen Sack mit Hirse mit,
- ergriff selbst die Brote, die er der Tatarin zum Tragen geben wollte,
- und schritt dann, von seiner Last ein wenig zusammengebeugt, mutig durch
- die Reihen der schlafenden Saporoger hindurch.
- »Andrij!« rief der alte Bulba in dem Augenblick, als der Sohn an ihm
- vorbeikam. Sein Herz stockte, er blieb stehen und fragte zitternd: »Was
- willst du?«
- »Du hast ein Weib bei dir! Wenn ich aufstehe, prügle ich dich durch, so
- groß du bist. Die Weiber führen einen nie zum Guten!«
- Und mit diesen Worten stützte er den Kopf in die Hand und betrachtete
- aufmerksam die in ihr Tuch eingehüllte Tatarin.
- Andrij stand mehr tot wie lebendig daneben. Er hatte nicht den Mut,
- seinem Vater ins Gesicht zu blicken. Doch als er endlich die Augen zu
- erheben wagte und ihn ansah, hatte der alte Bulba wieder den Kopf auf
- die Hand gestützt und schlief.
- Andrij schlug ein Kreuz. Der Schrecken wich ebenso schnell aus seinem
- Herzen, wie er gekommen war. Als er sich nach der Tatarin umwandte, sah
- er sie in ihr schwarzes Tuch gehüllt, unbeweglich wie eine Granitsäule
- vor sich stehen, und der Widerschein der fernen Feuersbrunst spiegelte
- sich in ihren Augen, die starr waren wie die einer Toten. Er zupfte sie
- am Ärmel, und beide gingen, sich unablässig umschauend, zusammen
- vorwärts, bis sie endlich an einem Berghang vorbei in ein tiefes Tal
- oder an eine Böschung gelangten, auf deren Grunde sich ein Flüßchen
- träge dahinschlängelte; das Tal war mit Riedgras bewachsen und mit
- zahlreichen kleinen Erdhügeln übersät. Nachdem sie die Schlucht betreten
- hatten, konnten sie von dem Feld aus, auf dem die Saporoger lagerten,
- nicht mehr gesehen werden. Wenigstens sah Andrij, als er sich umwandte,
- die abschüssige Böschung sich hinter ihm gleich einer steilen Wand fast
- manneshoch erheben. Auf der Höhe schwankten einige große Feldblumen hin
- und her, und über ihnen stieg der Mond schräg gleich einer Sichel aus
- gemünztem Golde am Himmel empor. Ein leichter aus der Steppe
- herabwehender Wind ließ vermuten, daß es nicht mehr lange bis
- Tagesanbruch sei. Aber nirgends ertönte ein ferner Hahnenschrei: es gab
- schon seit langer Zeit weder in der Stadt noch in der ausgeplünderten
- Umgebung einen Hahn mehr.
- Auf einem schmalen Brett überschritten sie den Fluß, dessen jenseitiges
- Ufer sich noch höher erhob als das andere und in Form eines steilen
- Abhanges emporstieg. Es schien dies der stärkste und von Natur auch der
- sicherste Punkt der städtischen Befestigungen zu sein; wenigstens war
- der Erdwall hier niedriger, und doch war von der Besatzung dahinter
- nichts zu sehen. Allerdings erhoben sich dafür in einiger Entfernung die
- starken Klostermauern. Das steile Ufer war überall mit Steppengras
- bewachsen, und der schmale Raum zwischen ihm und dem Flüßchen war mit
- mannshohem Schilfrohr bedeckt. Oben auf der Böschung sah man die
- Überreste eines geflochtenen Zauns, der wohl früher einen Gemüsegarten
- umfriedet hatte; davor wuchsen Disteln mit großen breiten Blättern, aus
- welchen Gänsefuß, stachelichte Kletten und Sonnenblumen hervorragten,
- die ihr Haupt stolz in die Luft streckten. Hier angelangt zog die
- Tatarin ihre Schuhe mit den hohen Absätzen aus und ging barfuß weiter,
- wobei sie sorgfältig ihr Kleid emporhob, denn der Weg wurde jetzt
- sumpfig und feucht. Sie bahnten sich mühsam einen Pfad durch das
- Röhricht, bis sie vor einem Haufen Reisig und Faschinen haltmachten. Sie
- entfernten das Reisig und fanden eine Art Erdhöhle, deren Öffnung wenig
- größer als die eines Backofens war. Die Tatarin bückte sich und ging
- voran, Andrij folgte ihr ebenfalls so gebückt wie möglich, um mit seinen
- Säcken hindurchzukommen, und bald befanden sich beide in vollkommener
- Finsternis.
- Sechstes Kapitel
- Andrij vermochte sich in dem finstern schmalen Gang kaum zu bewegen,
- zumal er hinter der Tatarin her schleichen mußte, und noch dazu mit den
- vielen Brotsäcken vollauf bepackt war. »Gleich werden wir wieder sehen,«
- sagte seine Führerin, »wir sind schon nahe an der Stelle, wo ich die
- Lampe hingestellt habe.«
- Und in der Tat, die dunklen Wände begannen sich allmählich zu erhellen.
- Sie erreichten einen kleinen Vorplatz, auf dem sich eine Kapelle zu
- befinden schien, wenigstens stand ein schmales Tischchen in der Form
- eines Altars an der Wand, über dem ein völlig verwaschenes und
- verblichenes Bild der heiligen Jungfrau angebracht war. Ein kleines
- silbernes Lämpchen, das vor ihm hing, beleuchtete es notdürftig. Die
- Tatarin bückte sich und hob eine kupferne Lampe vom Boden auf, die sie
- hier zurückgelassen hatte und an deren schlankem, schmalem Fuß ein
- Kettchen mit einer Zange, einer Nadel zum Ordnen des Dochtes und ein
- Löschhorn hing. Sie zündete die Lampe an dem Lämpchen vor dem
- Heiligenbild an. Die Helligkeit verstärkte sich, und wie sie beide halb
- von dem Lichte bestrahlt und halb im tiefsten nachtschwarzen Schatten
- dahinschritten, erinnerten sie an eins der Gemälde von Gherardo dalle
- Notti. Das frische, von Gesundheit und Jugend strotzende Gesicht des
- schönen Kosaken bildete einen schneidenden Gegensatz zu dem erschöpften
- und bleichen Antlitz seiner Gefährtin. Der Durchgang verbreiterte sich
- allmählich, so daß Andrij in die Höhe zu blicken vermochte. Neugierig
- betrachtete er die Erdwände, die ihn an die Höhlen in Kiew gemahnten.
- Ganz wie dort gab es auch hier Nischen in den Wänden, die Särge bargen.
- An einigen Stellen lagen menschliche Gebeine verstreut, die infolge der
- Feuchtigkeit morsch geworden und zu Staub zerfallen waren. Offenbar
- hatten hier einst heilige Anachoreten gelebt, die sich vor den Stürmen
- der Welt, vor dem Elend und den Versuchungen hierher geflüchtet hatten.
- Die Feuchtigkeit war so stark, daß ihre Füße bisweilen durch Wasser
- waten mußten. Andrij mußte oft stehen bleiben, um seine Gefährtin
- ausruhen zu lassen, die immer wieder von der Müdigkeit überwältigt
- wurde. Das winzige Stückchen Brot, das sie gierig verschlungen hatte,
- verursachte ihrem der Nahrung fast entwöhnten Magen starke Schmerzen,
- und oft verharrte sie minutenlang regungslos auf ein und derselben
- Stelle.
- Endlich erblickten sie eine kleine eiserne Tür. »Gott sei Dank, wir sind
- zur Stelle,« sagte die Tatarin mit schwacher Stimme und erhob ihre Hand,
- um ans Tor zu pochen. Aber ihre Kraft versagte. Statt ihrer pochte
- Andrij kräftig an die Pforte: man hörte sie stark widerhallen, was auf
- einen großen, freien Raum hinter der Türe hindeutete. Das Echo wurde
- gedämpfter, als ob es auf hohe Wölbungen gestoßen sei. Nach zwei Minuten
- hörte man einen Schlüsselbund rasseln, und es schien, als ob jemand die
- Treppe herunterkäme. Endlich öffnete sich die Tür: auf der engen Treppe
- vor ihnen stand ein Mönch, den Schlüsselbund und eine brennende Kerze in
- den Händen. Beim Anblick eines jener katholischen Mönche, die die
- Kosaken so haßten und verachteten und mit denen sie fast noch
- unmenschlicher umzugehen pflegten, als mit den Juden, blieb Andrij
- unwillkürlich stehen, und auch der Mönch fuhr einen Schritt zurück, als
- er einen Saporoger Kosaken erblickte. Jedoch die Tatarin flüsterte ihm
- etwas zu, was Andrij nicht verstand, den andern jedoch zu beruhigen
- schien. Er leuchtete ihnen voran, schloß die Tür hinter ihnen, führte
- sie eine Treppe hinauf, und bald befanden sie sich in dem hohen, dunklen
- Gewölbe der Klosterkirche. Vor einem der Altäre, auf denen hohe Leuchter
- mit Kerzen standen, kniete ein Priester und betete leise. Rechts und
- links von ihm knieten zwei junge Chorknaben in violetten und mit weißen
- Spitzen besetzten Meßgewändern, die Rauchfässer in den Händen
- schwingend. Sie flehten den Herrn um ein Wunder an: sie baten ihn, er
- möge die Stadt erretten, die mutlos gewordenen Gemüter wieder stärken,
- ihnen Geduld schenken und dem Versucher wehren, der sie mit
- Unzufriedenheit, Kleinmut und schwachmütigen Klagen über die irdischen
- Leiden heimsuche. Einige Frauen, die wie Gespenster aussahen, lagen auf
- den Knien; sie stützten oder legten ihre erschöpften Häupter auf die
- Lehnen der Kirchenstühle und die dunklen Holzbänke vor ihnen; auch sah
- man einige Männer, welche traurig an den Säulen und viereckigen
- Wandpfeilern, die die Seitenschiffe des Gewölbes trugen, niedergekniet
- waren. Das buntbemalte Fenster oberhalb des Altars erglänzte im
- rötlichen Licht des Morgenrots und warf hellblaue, gelbe und
- andersfarbige Lichtstrahlen auf den Fußboden, die die ganze Kirche
- plötzlich mit Licht erfüllten. Der Altar in der entfernten Nische schien
- wie in Glanz getaucht, und gleich einer regenbogenfarbenen Wolke blieb
- der Weihrauch in der Luft hängen. Andrij blickte nicht ohne Bestürzung
- aus seiner dunklen Ecke auf das Wunder, das das Licht hier bewirkt
- hatte. Im selben Augenblicke durchbrauste das mächtige Rauschen der
- Orgel die ganze Kirche, es schwoll stärker und stärker an, wurde endlich
- zu einem gewaltigen Donner und löste sich plötzlich wieder in himmlische
- Musik auf und schwebte hoch bis zur Wölbung empor, mit seinen
- wunderbaren harmonischen Klängen an zarte Mädchenstimmen gemahnend. Dann
- wieder schwoll es zu einem vollen Rauschen und Donner an und verstummte.
- Lange noch hallten die mächtigen Klänge zitternd im Gewölbe nach, und
- mit halbgeöffnetem Munde ergab sich Andrij dem Zauber der gewaltigen
- Musik.
- Doch da fühlte er, wie ihn jemand an seinem Rockschoß zupfte. »Es ist
- Zeit,« sagte die Tatarin. Von niemand bemerkt durchschritten sie die
- Kirche und gelangten zu einem Platz, der sich vor ihr befand. Längst
- schon leuchtete das Morgenrot am Himmel, und alles verkündete den
- Sonnenaufgang. Der viereckig geformte Platz war vollkommen leer, und nur
- die hölzernen Tischchen, die überall herumstanden, wiesen darauf hin,
- daß hier vielleicht noch vor einer Woche Lebensmittelmarkt abgehalten
- worden war. Die Straßen, die zu jener Zeit noch nicht gepflastert
- wurden, stellten einen großen, eingetrockneten Schmutzhaufen dar. Der
- Platz war von kleinen einstöckigen Häusern aus Stein oder Lehm umgeben,
- deren Wände bis an die Giebel von hölzernen Pfählen und mächtigen Balken
- durchzogen und ihrerseits wieder von Querbalken durchschnitten wurden.
- Dies war die Bauart, in der die Bewohner jener Gegend ihre Häuser
- bauten, wie man das jetzt noch vereinzelt in Polen und Litauen antrifft.
- Sie hatten alle unverhältnismäßig hohe Dächer und eine Unmenge von
- Fenstern und Luken. Auf der einen Seite, in der Nähe der Kirche stand
- ein Gebäude, das alle andern bedeutend überragte und das sich
- vollständig von ihnen unterschied. Wahrscheinlich war es das Rathaus
- oder irgend ein anderes städtisches Gebäude. Es hatte zwei Stockwerke
- und darüber einen Aussichtsturm mit zwei Bogengängen, auf dem ein
- Wachtposten hin und her patrouillierte. In das Dach war das große
- Zifferblatt einer Uhr eingefügt. Der Platz war wie ausgestorben, Andrij
- kam es jedoch so vor, als höre er ein leises Stöhnen. Als er sich umsah,
- bemerkte er auf der anderen Seite des Platzes eine Gruppe von zwei bis
- drei Menschen, die fast regungslos auf dem Boden lagen. Er betrachtete
- sie aufmerksam, um sich zu vergewissern, ob es Schlafende oder Tote
- seien und stieß plötzlich auf ein Etwas, das zu seinen Füßen lag. Es war
- der tote Körper einer Frau, offenbar einer Jüdin. Sie schien noch ganz
- jung zu sein, obgleich ihre entstellten und erschöpften Züge keinerlei
- Schlüsse darüber zuließen. Ihr Haupt war in ein rotes Tuch gehüllt, ihre
- Ohren zierten zwei Reihen Perlen aus Wachs oder Glas, und zwei oder drei
- lange krause Locken glitten ihr den eingefallenen Hals mit den
- angeschwollenen Adern hinab. Neben ihr lag ein Kind, das die verdorrte
- Brust der Mutter krampfhaft in seinen Händen hielt und sie in
- unwillkürlichem Zorn darüber, daß sie keine Milch mehr gab, immer wieder
- mit den kleinen Fingern zusammenpreßte. Das Kind weinte und schrie nicht
- mehr, nur die sich leise hebende und senkende Brust ließ daraus
- schließen, daß es noch nicht tot oder wenigstens erst im Begriff war,
- den letzten Atemzug auszuhauchen. Sie lenkten wieder in die Straßen ein
- und wurden plötzlich von einem Tobsüchtigen angehalten, der sich
- angesichts der kostbaren Last, die Andrij mit sich schleppte, wie ein
- Tiger auf sie warf und sich mit dem Schrei »Brot« an ihnen
- festklammerte. Aber seine Kräfte waren schwächer als seine Gier. Andrij
- stieß ihn zurück, sodaß er zu Boden fiel. Von Mitleid überwältigt, warf
- er ihm eins der Brote zu, auf das sich jener wie ein toller Hund stürzte
- und es gleich auf der Straße zerbiß und zernagte; bald darauf verschied
- er jedoch infolge der langen Entbehrungen unter schrecklichen Krämpfen.
- Fast bei jedem Schritte wurden sie durch grauenvolle Opfer der
- Hungersnot in Schrecken gesetzt. Es schien, als ob viele ihre Qualen zu
- Hause nicht ertragen konnten und mit Absicht auf die Straße hinausgeeilt
- waren, weil sie hofften, in der frischen Luft Nahrung und Stärkung zu
- finden. Vor der Tür eines Hauses saß eine alte Frau; es war unmöglich,
- zu erkennen, ob sie nur eingeschlafen, bereits tot, oder einfach in
- Träume versunken war; jedenfalls hörte und sah sie nichts mehr und saß
- nur, mit auf die Brust gesenktem Haupte, regungslos da. Von dem Dach
- eines anderen Hauses hing ein langer dürrer Körper an einer Schnur
- herab. Der arme Kerl hatte die Hungerqualen nicht länger zu ertragen
- vermocht und es vorgezogen, seinem Leben freiwillig ein Ende zu machen.
- Angesichts dieser furchtbaren Zeugen des Hungers hielt es Andrij nicht
- länger aus und fragte die Tatarin:
- »Konntet ihr denn in der Tat garnichts finden, um euer Leben zu fristen?
- Wenn die äußerste Not an den Menschen kommt, dann gibt es keine Wahl,
- dann muß er essen, was ihm früher vielleicht Ekel einflößte, und wenn er
- sich erst von jenen Wesen nährt, die das Gesetz zu essen verbietet --
- dann darf er eben alles essen!« »Es ist schon alles aufgegessen,« sagte
- die Tatarin, »alles Vieh ist fort, und es ist kein Pferd, kein Hund, ja
- nicht einmal eine Maus mehr in der Stadt zu finden. Wir haben hier in
- der Stadt nie Vorräte gehabt, es wurde uns ja alles von den Bauern
- geliefert.«
- »Ja, wie konntet ihr denn dann, wo euch ein so schrecklicher Tod droht,
- noch immer daran denken, die Stadt zu verteidigen?«
- »Vielleicht hätte der Wojewode sie auch schon dem Feinde überlassen,
- aber gestern sandte uns der Oberst, der sich in Budschaki befindet,
- einen Habicht mit der Weisung, uns auf keinen Fall zu ergeben; er komme
- uns mit einem Regiment zur Hilfe und warte nur noch auf den andern
- Oberst, um gemeinsam mit ihm zu unserer Entsetzung zu eilen. Sie werden
- jeden Augenblick erwartet ... Doch, wir sind vor unserm Hause
- angelangt.«
- Andrij hatte schon von weitem ein Haus bemerkt, das sich wesentlich von
- den andern unterschied und von einem italienischen Architekten gebaut zu
- sein schien; es war aus schönen schmalen Ziegelsteinen errichtet und
- zwei Stockwerke hoch. Die Fenster des unteren waren mit weit
- hervorstehenden Gesimsen eingefaßt; das obere bestand vollständig aus
- kleinen Bögen, die eine Galerie bildeten, dazwischen befanden sich
- Gitter mit Wappenschilden. Eine breite Außentreppe aus buntfarbigen
- Ziegelsteinen führte direkt auf den Platz. Unten zu beiden Seiten der
- Treppen saßen Schildwachen, sie hielten ebenso malerisch wie symmetrisch
- mit der einen Hand die Hellebarde und stützten ihre Köpfe auf die
- andere, so daß sie mehr zwei steinernen Bildsäulen als lebendigen
- Menschen glichen. Sie schliefen oder schlummerten nicht etwa, schienen
- aber doch unempfindlich gegen alles zu sein und würdigten die beiden
- Personen, die jetzt die Treppe hinaufgingen, kaum eines Blicks. Oben
- trafen Andrij und die Tatarin einen reich gekleideten und von Kopf bis
- zu Fuß bewaffneten Ritter, der ein Gebetbuch in der Hand hielt. Er
- richtete seine ermüdeten Augen auf sie, die Tatarin sagte ihm jedoch ein
- paar Worte, und er versenkte sich sogleich wieder in sein offnes
- Gebetbuch. Sie traten in das erste Zimmer, das ziemlich geräumig war und
- als Empfangsraum zu dienen schien, oder vielleicht auch einfach ein
- Vorzimmer war; dies war völlig mit Soldaten, Dienern, Hundewärtern,
- Mundschenken und anderen Bedienten angefüllt, wie sie ein polnischer
- Magnat, ob er nun Offizier oder Rittergutsbesitzer ist, braucht, um die
- Würde seines Standes ins rechte Licht zu setzen; sie saßen alle in den
- verschiedensten Stellungen an den Wänden herum. Der ganze Raum war von
- dem Qualm einer erloschenen Kerze erfüllt, und zwei andere in
- außerordentlich großen, fast mannshohen Leuchtern brannten noch mitten
- im Zimmer, trotzdem der Morgen schon längst durch das große vergitterte
- Fenster hineinblickte. Andrij wollte schon auf eine breite, mit Wappen
- und verschiedenen Schnitzereien verzierte Eichentür zugehen; die Tatarin
- zupfte ihn jedoch am Ärmel und wies auf eine kleine Pforte in der
- Seitenwand. Durch diese gelangten sie in einen Gang und dann in ein
- Zimmer, das Andrij eingehend besichtigte. Das Licht, das durch die
- Spalte des Fensterladens hineindrang, küßte die blau und rot gefärbten
- Vorhänge, das vergoldete Gesims und die Malereien an den Wänden. Die
- Tatarin bedeutete Andrij, hier zu bleiben und öffnete die Tür zu einem
- andern Zimmer, aus der ein Lichtschein hereindrang. Er vernahm das leise
- Flüstern einer Stimme, die sein ganzes Innere erbeben machte. Mit einem
- flüchtigen Blick durch die Tür erkannte er eine schlanke weibliche
- Gestalt mit langen prachtvollen Haarflechten, die über den hocherhobenen
- Arm herabwallten. Die Tatarin kam zurück und bat ihn, hineinzugehen. Es
- war ihm später ganz unmöglich, anzugeben, wie er in das Zimmer gelangt
- war und wie sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte. Im Zimmer
- brannten zwei Kerzen und ein Lämpchen, das vor dem Heiligenbild
- angebracht war: darunter befand sich nach katholischer Sitte ein hoher
- Hausaltar mit mehreren Stufen, auf denen man beim Beten niederknien
- konnte. Aber das war es nicht, was Andrijs Augen suchten. Er wandte sich
- nach der andern Seite und erblickte ein Weib, das in einer schnellen
- Bewegung erstarrt und versteinert zu sein schien. Es war, als hätte sich
- ihre schlanke Gestalt ihm entgegenwerfen wollen und sei nun plötzlich
- wie erstarrt stehen geblieben. Nicht minder bestürzt blieb auch er vor
- ihr stehen. Denn nicht so hatte er sie wiederzusehen geglaubt. Das war
- _sie_ nicht, das war nicht jenes Mädchen mehr, das er früher gekannt
- hatte. Sie hatte nichts, was an jene gemahnte: nein, sie war noch einmal
- so schön und herrlich anzuschauen wie ehemals. Damals hatte sie noch
- etwas Unreifes und Unvollendetes -- jetzt dagegen glich sie einem
- vollkommenen und bis auf den letzten Pinselstrich vollendeten Kunstwerk.
- Jene war ein wunderschönes, leichtsinniges Mädchen, diese ein zu edler
- Schönheit erblühtes Weib. Ihre emporblickenden Augen verhießen ein
- unendliches Gefühl: nicht nur Bruchstücke und Andeutungen von Gefühlen,
- sondern ein ganzes, volles Gefühl. In ihren Augen schimmerten Tränen,
- die noch nicht ganz getrocknet waren, und verliehen ihnen einen feuchten
- Glanz, der bis zum Herzen drang. Busen, Schultern und Hals hatten jene
- wundervollen Formen angenommen, die der vollendeten Schönheit eigen
- sind, die Haare, die ehemals ihr Antlitz in leichten Locken umringelten,
- hatten sich in eine starke, prachtvolle Flechte verwandelt; ein Teil war
- hochgesteckt, während der andere über die ganze Länge des Arms, und in
- seinen langen Wellen über den wundervollen Busen fiel. Jeder Zug ihres
- Gesichtes schien sich verändert zu haben. Vergebens bemühte Andrij sich,
- den einen oder den andern, so wie er in seiner Erinnerung lebte, ins
- Gedächtnis zurückzurufen -- er vermochte es nicht. So tief ihre Blässe
- auch war, sie verdunkelte ihre wundervolle Schönheit nicht, sondern
- verlieh ihr eher noch etwas Hinreißendes und unbezwinglich Sieghaftes.
- Andrij fühlte sich von einem ehrfurchtsvollen Schauder durchzittert und
- blieb unbeweglich vor ihr stehen. Auch sie schien über den Anblick des
- Kosaken, der in seiner ganzen Schönheit und der männlichen Kraft seiner
- Jugend vor ihr stand, betroffen zu sein, obschon selbst die
- Bewegungslosigkeit seiner Glieder etwas von der Ungezwungenheit und
- Freiheit ihrer Bewegungen offenbarte. Mut und Festigkeit strahlte aus
- seinen Augen, die von sammetweichen, kühngeschwungenen Brauen beschattet
- wurden; die braunen Wangen spiegelten das ganze Feuer einer noch
- unverbrauchten Jugend wieder, und der zarte Flaum seines Schnurrbarts
- glänzte wie Seide.
- »Nein, ich habe nicht die Kraft, dir zu danken, hochherziger Ritter,«
- sagte sie mit zitternder, silberheller Stimme, »Gott allein kann dir's
- lohnen und nicht ein schwaches Weib wie ich ....« Sie senkte die Augen,
- und die herrlichen Lider mit den, langen Pfeilen gleichenden, Wimpern
- legten sich in wundervollen, schneeweißen Halbkreisen darüber, ihr
- herrlicher Kopf hatte sich geneigt, und eine leise Röte überzog den
- unteren Teil des Gesichts. Andrij wußte nicht, was er antworten sollte;
- er wollte alles aussprechen, was seine Seele erfüllte, so
- leidenschaftlich, wie er es in seinem Innern empfand -- und vermochte es
- nicht. Er fühlte, daß ihm etwas die Lippen verschloß, daß es ihm, der im
- Seminar und in dem Wanderleben des Krieges aufgewachsen war, nicht
- gelingen würde, die Antwort auf diese Worte zu finden, und der Zorn
- gegen seine Kosakennatur stieg in ihm auf.
- In diesem Augenblick trat die Tatarin ins Zimmer. Sie hatte das von
- Andrij mitgebrachte Brot bereits in Scheiben geschnitten und trug es auf
- einer goldenen Schale herein, die sie vor ihrer Herrin hinstellte.
- Das schöne Mädchen sah ihre Dienerin lange an, betrachtete das Brot,
- blickte Andrij an, und ihre Augen leuchteten vielsagend auf. Dieser
- rührende Blick, in dem sich ihre Ohnmacht und Unfähigkeit, ihre Gefühle
- auszusprechen, ausdrückten, war für Andrij verständlicher als alle
- Worte. Es wurde ihm plötzlich leicht ums Herz, wie wenn sich alles in
- ihm gelöst hätte. Die Bewegungen und Gefühle seines Herzens, die bisher
- noch mühsam gezügelt wurden, fühlten sich jetzt frei, aller Fesseln
- ledig und wollten sich schon in einem endlosen Redestrom ergießen, als
- sich die Schöne plötzlich der Tatarin zuwandte und unruhig fragte:
- »Und die Mutter? Hast du der Mutter etwas gebracht?«
- »Sie schläft.«
- »Und dem Vater?«
- »Ihm habe ich etwas gebracht; er sagte, er wolle selbst kommen, um dem
- Ritter zu danken.«
- Sie nahm eine Scheibe Brot und führte sie zum Munde. Mit
- unaussprechlichem Vergnügen sah Andrij, wie sie es mit ihren weißen
- schimmernden Fingern zerbrach und aß. Plötzlich aber erinnerte er sich
- an den Mann, der vor Hunger tobsüchtig geworden war und in seiner
- Gegenwart seinen Geist aufgegeben hatte, als er ein Stück Brot
- verschlang. Er wurde bleich, ergriff ihre Hand und rief:
- »Genug! Iß nicht weiter! Du hast so lange nicht gegessen. Das Brot ist
- Gift für dich.« Sie ließ sofort die Hand sinken, legte das Brot auf den
- Teller und sah ihm wie ein gehorsames Kind in die Augen. O wenn das Wort
- nur etwas ausdrücken könnte! Aber weder Meißel noch Pinsel, noch die
- allmächtige Sprache vermögen das wiederzugeben, was in solch einem Blick
- einer Jungfrau liegt und was nur das Gefühl der Rührung auszudrücken
- vermag, das der empfindet, der einen solchen Blick auf sich gerichtet
- fühlt.
- »Herrin,« rief Andrij von den tiefsten, innigsten und heiligsten,
- überquellenden Empfindungen erfüllt aus, »was verlangst du? Was willst
- du? Befiehl! Fordere jeden Dienst von mir, selbst den unmöglichsten, den
- es auf der Welt gibt -- und ich eile, um ihn auszuführen. Befiehl mir,
- was menschliche Kraft nicht auszuführen vermag -- ich werde es tun, und
- sollte ich mich dabei ins Verderben stürzen. Ja, ins Verderben stürzen!
- Für dich zu sterben -- o ich schwöre es dir beim heiligen Kreuz -- ist
- Süßigkeit für mich. Aber Worte sagen ja nichts. Ich besitze drei
- Gehöfte, die Hälfte der väterlichen Herden, alles, was meine Mutter dem
- Vater mit in die Ehe gebracht, und sogar das, was sie vor ihm
- verheimlicht hat, -- alles dies gehört mir. Kein Kosak besitzt solche
- Waffen wie ich; allein für den Griff meines Säbels bietet man mir die
- beste Roßherde und noch dreitausend Schafe dazu. Von all dem will ich
- mich lossagen, es verlassen, verbrennen, ins Wasser werfen, wenn du mir
- nur ein Wort sagst oder deine zarten schwarzen Augenbrauen nur leise
- bewegst! Ich weiß wohl, daß ich vielleicht dumme Dinge rede, die hier
- ganz und gar nicht angebracht sind, und nicht hierher gehören; ich weiß,
- daß es sich für mich, der sein ganzes Leben in dem Seminar und der
- Sjetsch zugebracht hat, nicht schickt, so zu reden, wie es dort Sitte
- ist, wo Könige, Fürsten und die Edelsten der Ritterschaft sich
- einfinden. Ich sehe wohl, daß du ein anderes Geschöpf Gottes bist wie
- wir alle, und daß alle Bojarenfrauen nebst ihren Töchtern weit unter dir
- stehen. Wir sind nicht wert, deine Sklaven zu sein, nur die himmlischen
- Engel sind würdig, dir zu dienen.«
- Mit steigender Verwunderung, gespannten Ohres und ohne ein Wort zu
- verlieren, vernahm die Jungfrau diese offene und begeisterte Rede, in
- der sich die junge, kraftvolle und leidenschaftliche Seele ausprägte wie
- in einem Spiegel. Jedes dieser einfachen Worte, das mit einer Stimme
- gesprochen wurde, die aus tiefstem Herzensgrunde kam, war voller Kraft
- und Leidenschaft. Sie neigte ihr schönes Antlitz vor, warf die
- widerspenstigen Haare weit zurück, öffnete die Lippen und sah ihn lange
- mit offnem Munde an. Sie wollte etwas sagen, allein sie hielt inne, denn
- sie erinnerte sich plötzlich, daß der Ritter eine andere Bestimmung
- hatte, daß sein Vater, seine Brüder, sein Vaterland als strenge Richter
- hinter ihm standen, sie dachte daran, was für schreckliche Menschen die
- Saporoger waren, die die Stadt belagerten, und wie sie und alle in der
- Stadt einem furchtbaren Tode verfallen wären -- und ihre Augen füllten
- sich mit Tränen; schnell ergriff sie ihr kunstvoll gesticktes
- Seidentuch, bedeckte ihr Gesicht, und in wenigen Augenblicken war das
- Tuch ganz feucht von ihren heißen Tränen. Lange saß sie so da, den
- wunderschönen Kopf zurückgelehnt, ihre schneeweißen Zähne in die
- herrliche Unterlippe drückend, als ob sie plötzlich den Biß einer
- giftigen Schlange gefühlt hätte, und ohne das Tuch vom Gesicht zu
- nehmen, damit Andrij ihren herzzerreißenden Schmerz nicht sähe.
- »Sprich doch ein Wort,« sagte Andrij und ergriff ihre sammetweiche Hand.
- Bei dieser Berührung strömte es wie glühendes Feuer durch seine Adern,
- und er preßte ihre Hand zusammen, die gefühllos in der seinen lag. Aber
- sie schwieg und verharrte regungslos in derselben Stellung, ohne das
- Tuch vom Gesicht hinwegzuziehen.
- »Weshalb bist du so traurig? Sage mir doch, weshalb du so traurig bist?«
- Da warf sie das Tuch fort, schlug die ins Gesicht fallenden reichen
- Haarsträhnen zurück und brach in bittere Worte der Klage aus, die sie
- mit leiser, ganz leiser Stimme vor sich hinsprach, gleich dem Winde, der
- sich an einem schönen Abend erhebt und durch das dichte Rohr am Wasser
- fährt. Da geht es plötzlich wie ein Flüstern durch das Rohr, da singen
- und klingen klagende, zarte Töne durch die Luft. Der Wanderer bleibt
- stehen und lauscht ihnen mit einer unerklärlichen Schwermut, und er
- merkt nicht das Nahen des Abends, noch die heiteren Lieder der Arbeiter,
- die vom Feld und von der Ernte zurückkehren, noch das Rasseln eines fern
- vorbeirollenden Wagens.
- »Bin ich nicht ewig bemitleidenswert? Ist die Mutter nicht unselig, die
- mich zur Welt gebracht hat? Gibt es ein Los, bitterer als das meine?
- Quälst du mich nicht zu Tode, schreckliches Schicksal! Alles hast du mir
- zu Füßen gelegt: die besten Männer der ganzen Schlachta, die reichsten
- Herren, Grafen und fremden Barone und die höchste Blüte unserer
- Ritterschaft? Alle liebten sie mich, und jeder hätte meine Gegenliebe
- für das größte Glück gehalten. Ich brauchte nur mit der Hand zu winken,
- und jeder von ihnen, der Schönste und Vornehmste von Angesicht und
- Herkunft wäre mein Gatte geworden. Und keinem von ihnen hast du,
- grausames Schicksal, mein Herz zugewendet. Den besten Helden unseres
- Vaterlandes hast du es entzogen und den Betörungen eines Fremden, eines
- Feindes überliefert. Warum, o heilige Mutter Gottes, um welcher Sünden
- und schwerer Verbrechen willen verfolgst du mich so grausam, so
- unbarmherzig? In Überfluß, Reichtum und Pracht sind meine Tage
- verflossen. Die herrlichsten auserlesensten Speisen, die süßesten Weine
- bildeten meine tägliche Nahrung. Und warum, wozu war das alles? Nur
- dazu, um mich zuletzt eines schrecklichen Todes sterben zu lassen, wie
- ihn kaum der letzte Bettler im Lande stirbt! Doch nicht genug, daß ich
- zu einem so schrecklichen Los verurteilt bin, nicht genug, daß ich vor
- meinem Ende Vater und Mutter in unerträglichen Qualen dahinwelken sehen
- muß, sie, für die ich, wenn ich ihnen nur helfen könnte, tausendmal mein
- Leben hingeben würde! Nein, das alles genügt noch nicht, ich muß auch
- noch, bevor ich sterbe, Worte vernehmen und eine Liebe kennen lernen,
- wie ich sie noch nie erfahren habe! Er muß mir mit seinen Worten das
- Herz zerreißen, auf daß mein bitteres Los noch bitterer werde, auf das
- ich mein junges Leben noch mehr betrauere, daß mir mein Tod noch
- schrecklicher dünke, und daß ich dir, o grausames Schicksal, und dir,
- heilige Mutter Gottes, -- vergib mir die Sünde -- noch im Sterben so
- furchtbare Vorwürfe mache!«
- Endlich verstummte sie, und ein Ausdruck qualvollster Hoffnungslosigkeit
- spiegelte sich in ihrem Antlitz. Jeder Zug ihres Gesichts verriet eine
- tiefe nagende Schwermut, alles, die traurig gesenkte Stirn, die
- niedergeschlagenen Augen und die auf den leise glühenden Wangen
- versiegenden Tränen -- alles schien zu sagen: Dies Angesicht weiß nichts
- von Glück!
- »Nie ward es erhört auf dieser Welt, es kann nicht sein und ich dulde es
- nimmer,« sprach Andrij, »daß die schönste und edelste der Frauen ein so
- bitteres Los ertragen sollte, sie, die dazu geboren ist, die Besten und
- Edelsten unserer Zeit vor sich wie vor einem Heiligtume knien zu sehen!
- Nein, du sollst nicht sterben! Du sollst nicht sterben; ich schwöre es
- bei meiner Geburt und bei allem, was mir teuer ist auf dieser Welt -- du
- wirst nicht sterben! Sollte es aber trotz allem so kommen, sollte dies
- bittere Schicksal weder durch Kraft, noch Gebet, noch Mut abgewendet
- werden können, so werden wir zusammen sterben, und ich zuerst vor dir
- und zu deinen herrlichen Füßen; erst wenn ich tot bin, wird man mich von
- dir trennen können.«
- »Täusche nicht dich und mich, Ritter,« sagte sie leise, ihr schönes
- Haupt schüttelnd, »ich weiß es, ich weiß es zu meinem bitteren Leid nur
- zu wohl, daß du mich nicht lieben darfst, und ich kenne deinen Beruf und
- deine Pflicht: Dich ruft der Vater, die Kameraden, das Vaterland; wir
- aber sind -- deine Feinde!«
- »Was sind mir Vater, Vaterland und Kameraden,« rief Andrij, ungestüm
- sein Haupt schüttelnd und sich machtvoll emporreckend, daß seine Gestalt
- der Balsampappel am Ufer glich. »Wenn es denn sein muß, nun wohl, so
- habe ich niemand, niemand, niemand,« wiederholte er mit einer Stimme und
- Handbewegung, mit der wohl ein wackerer Kosakenheld seinen
- unerschütterlichen Entschluß zu einer unerhörten Tat zum Ausdruck
- bringt, der kein anderer gewachsen ist. »Wer sagt, daß die Ukraine mein
- Vaterland ist? Wer hat sie mir zum Vaterland gegeben? Das Vaterland ist
- da, wo es unsere Seele sucht, ist das, was ihr das liebste ist. Mein
- Vaterland -- das bist du! Du bist mein Vaterland! Und dieses Vaterland
- will ich in meinem Herzen tragen! So lange ich lebe, werde ich es dort
- tragen: und ich möchte sehen, welcher Kosak es wagen will, dich aus
- meinem Herzen zu reißen. Ja, alles was ich besitze, will ich weggeben,
- verschenken, verkaufen und zugrunde richten für dies mein Vaterland!«
- Einen Augenblick schien es, als ob sie zu einer herrlichen Bildsäule
- erstarrt sei. Dann sah sie ihm fest in die Augen, schluchzte laut auf
- und schlang ihm mit jener wundersamen hingebenden Leidenschaft, deren
- nur eine großmütige und zu starken Gefühlsausbrüchen neigende Frau fähig
- ist, die nichts von Berechnung weiß, ihre herrlichen, schneeweißen Arme
- um den Hals. In diesem Augenblick hörte man von der Straße ein wirres
- Geschrei hereindringen, das von Posaunenstößen und Paukenklängen
- begleitet wurde. Aber Andrij hörte nichts davon: er fühlte nur die
- wohlige Wärme ihres süßen Atems, ihre wundervollen Lippen, fühlte nur,
- wie ihre Tränen in Strömen über sein Antlitz flossen, und wie ihr reich
- herabwallendes, duftendes Haar ihn wie in dunkel glänzende Seide
- einhüllte.
- Plötzlich kam die Tatarin mit einem Freudenschrei hineingestürmt. »Wir
- sind gerettet, gerettet,« rief sie ganz außer Atem, »die Unseren sind in
- die Stadt gedrungen und haben Brot, Weizen, Mehl und gefangene Saporoger
- mitgebracht.« Aber niemand wollte hören, was für »Unserige« in die Stadt
- gedrungen, was sie mitgebracht hätten, und welche Saporoger gefangen
- worden seien. Von überirdischen Gefühlen erfüllt, küßte Andrij die süß
- duftenden Lippen, die sich an seine Wange geschmiegt hatten, und diese
- Lippen ließen ihn nicht ohne Antwort. Sie erwiderten seine Liebkosungen,
- und in diesem gegenseitigen, ineinanderschmelzenden Kuß empfanden beide,
- was der Mensch nur einmal im Leben zu empfinden vermag.
- Der Kosak war verloren! Für immer verloren für das ritterliche
- Kosakentum! Niemals mehr würde er die Sjetsch, niemals die väterlichen
- Fluren und nie mehr sein Gotteshaus wiedersehen! Und nie mehr sollte die
- Ukraine ihn wiederfinden, ihn, der einer ihrer tapfersten Söhne war und
- sie mit seinem Leben zu verteidigen gelobt hatte! Rauf dir die grauen
- Haare aus deinem Schopf, alter Taraß, und verfluche Tag und Stunde, da
- du zu deiner Schmach dir einen solchen Sohn erzeugtest.
- Siebentes Kapitel
- Im Lager der Saporoger herrschte Lärm und Bewegung. Anfangs vermochte
- niemand genaue Auskunft zu geben, wie es geschehen konnte, daß die
- Truppen in die Stadt eindrangen. Doch bald wurde festgestellt, daß die
- ganze Perejaslawsche Abteilung, die ihr Lager vor einem Seitentor der
- Stadt aufgeschlagen hatte, am Abend vorher total betrunken gewesen war.
- So war es weiter nicht wunderbar, daß die Hälfte von ihnen erschlagen
- und der Rest, noch ehe man recht wußte, was passiert war, gefangen
- wurde. Bevor noch die benachbarten Abteilungen, vom Lärme aufgeschreckt,
- zu den Waffen greifen konnten, zogen die Truppen schon durch das
- Stadttor ein; ihre letzten Reihen verteidigten sich gegen den
- nachstürmenden Feind, indem sie einige Schüsse auf die schlaftrunkenen
- und noch nicht ganz nüchternen Saporoger abgaben, die sie ohne jede
- Ordnung zu verfolgen suchten.
- Der Hetman ließ alle Kosaken ohne Ausnahme zusammenkommen, und als sie
- alle schweigend und mit den Mützen in den Händen im Kreise herumstanden,
- sagte er: »Ihr seht, liebe Herren und Brüder, was sich diese Nacht
- ereignet hat. Dahin also hat uns der Trunk gebracht! Eine solche Schmach
- hat uns der Feind angetan! Das scheint bei euch wohl Brauch zu sein;
- wenn man eure Rationen verdoppelt, so seid ihr gleich bereit, euch
- derart vollzutrinken, daß der Feind aller christlichen Streiter euch
- nicht nur die Hosen abziehen, sondern euch wohl gar ins Gesicht speien
- kann, ohne daß ihr etwas davon merkt!«
- Die Kosaken standen alle mit gesenkten Köpfen und schuldbewußt da. Nur
- der Hauptmann Kukubenko von der Nesamaikow-Abteilung erwiderte:
- »Halt mal, Väterchen! es ist zwar nicht vorschriftsmäßig, daß man
- Einspruch gegen das erhebt, was der Hetman im Angesicht des ganzen
- Heeres sagt, aber die Sache war doch nicht ganz so, und darum will ich
- reden. Nicht ganz mit Recht hast du dem gesamten christlichen Heer einen
- Vorwurf gemacht. Freilich wären _die_ Kosaken des Todes schuldig
- gewesen, die sich im Feldzug, im Kampf oder während eines schweren
- Unternehmens vollgetrunken hätten. Wir aber führten ein untätiges
- Lagerleben vor der Stadt, aus dem uns keine Arbeit aufrüttelte. Es
- herrschten ja weder Fasten, noch sonst eine Zeit, während der die
- christliche Kirche eine strenge Enthaltsamkeit vorschreibt: wie sollte
- es da ausbleiben, daß sich der Mensch, wenn er doch gar nichts zu tun
- hat, aus Langeweile einmal ordentlich betrinkt? Das ist doch keine
- Sünde! Aber wir wollen ihnen schon zeigen, was es heißt, über wehrlose
- Menschen herfallen. Wir haben's ihnen schon früher tüchtig gegeben,
- jetzt aber wollen wir es ihnen so heimzahlen, daß ihre Füße sie nicht
- mehr nach Hause tragen sollen!«
- Die Rede des Hauptmanns gefiel den Kosaken. Sie erhoben wieder das
- Haupt, und viele von ihnen gaben durch Nicken des Kopfes ihre Zustimmung
- zu erkennen und sagten: »Kukubenko hat gut gesprochen!« Allein Taraß
- Bulba, der nicht weit vom Hetman stand, sprach: »Nun, Hetman, Kukubenko
- hat wohl die Wahrheit gesprochen. Was kannst du hierauf antworten?«
- »Was ich antworte? Das will ich dir sagen: Selig ist der Vater, der
- einen solchen Sohn gezeugt hat. Es ist noch kein Zeichen von großer
- Weisheit, ein Wort des Vorwurfs zu sagen, es ist ein weit größeres, sich
- bei dem Unglück eines Menschen nicht lustig zu machen, sondern ihm Mut
- einzureden, so wie die Sporen das Pferd zu neuen Leistungen antreiben,
- das sich an der Tränke erfrischt hat. Ich hatte selbst die Absicht, euch
- später ein paar tröstliche Worte zu sagen, Kukubenko ist mir jedoch
- zuvorgekommen.«
- »Auch der Hetman hat gut gesprochen,« tönte es jetzt aus den Reihen der
- Saporoger. »Ein gutes Wort,« wiederholten andere. Sogar die Ältesten
- unter ihnen, die wie blaue Täuberiche dastanden, nickten mit den Köpfen,
- rümpften die mit grauen Schnurrbärten gezierten Lippen und sagten leise:
- »Ja, ja, das war gut gesprochen.«
- »So hört denn, ihr Herren,« fuhr der Hetman fort, »die Stadt zu
- erstürmen, ihre Mauern zu erklimmen und unterirdische Gänge anzulegen,
- wie es die ausländischen deutschen Meister tun -- die der Teufel holen
- mag -- das ist nicht Kosakenart und auch nicht ihre Sache. Aber nach dem
- zu urteilen, wie die Sache liegt, so ist der Feind nur mit wenig
- Vorräten in die Stadt eingezogen. Er hat ja nur ein paar Wagen mit sich
- geführt. Die Leute in der Stadt sind ausgehungert und werden daher alles
- auf einmal aufessen; auch die Pferde brauchen ja Heu -- ich weiß nicht,
- vielleicht schüttet ihnen einer ihrer Heiligen etwas auf ihre Gabeln
- herunter -- Gott mag es wissen -- ihre Priester verstehen sich zwar mehr
- auf Worte. Sei dem nun wie ihm wolle, jedenfalls sollen sie uns nicht
- aus der Stadt herauskommen. Teilt euch also in drei Haufen und besetzt
- die drei Wege, die zu den drei Toren führen. Fünf sollen sich vor dem
- Haupttor und je drei vor den beiden anderen aufstellen. Die Djadkiwsche
- und Korsunsche Abteilung dagegen bleiben im Hinterhalt liegen. Ebenso
- der Hauptmann Taraß mit seiner Abteilung. Die Titarewsche und
- Timoschewsche Abteilung decken die Vorräte auf der rechten Seite der
- Wagen. Die Abteilung Schtscherbinow und Teblikow die linke! Und ihr, ihr
- Jungen, die ihr Haare auf den Zähnen habt, tretet mal hervor aus euren
- Reihen, um den Feind ein wenig zu reizen! Der Pole ist ein hohler
- Patron, er verträgt keine Beschimpfungen, und vielleicht kommen sie noch
- heute aus den Toren herausgelaufen. Die Hauptleute sollen ihre
- Abteilungen gut im Auge behalten! Wem es an Kosaken fehlt, der soll sie
- aus den Resten der Perejaslawschen Abteilung ergänzen. Mustert sie noch
- einmal ordentlich. Gebt jedem Kosaken vorher noch ein Glas Branntwein,
- damit er wieder nüchtern wird und ein Stück Brot zur Stärkung. Aber ihr
- seid sicher noch alle satt von gestern, denn -- der Wahrheit die Ehre --
- ihr habt euch gestern so voll gegessen, daß ich mich höchlichst wundere,
- wie heute nacht keiner von euch geplatzt ist. Ja, und noch eins habe ich
- euch zu sagen: sollte irgend so ein jüdischer Schankwirt einem Kosaken
- ein Maß Branntwein verkaufen, so lasse ich dem Hund ein Schweinsohr an
- die Stirn nageln und ihn an den Beinen aufhängen! Doch nun ans Werk, ihr
- Brüder, auf! Frisch ans Werk!«
- Der Hetman gab seine Anweisungen, und alle verneigten sich tief vor ihm
- und begaben sich, ohne die Mützen aufzusetzen, zu ihren Wagen und ins
- Lager zurück; erst als sie schon ganz weit waren, bedeckten sie wieder
- ihre Häupter. Alle begannen sich zu rüsten und zum Kampfe vorzubereiten,
- sie prüften die Säbel und Lanzen, schütteten Pulver aus den Säcken in
- die Pulverhörner, rückten und stellten die Wagen zurecht und suchten
- sich die besten Pferde aus.
- Als Taraß zu seiner Abteilung zurückkehrte, dachte er lange darüber
- nach, wo wohl Andrij weilen könnte, und er konnte es sich durchaus nicht
- erklären, wo er geblieben war. Er fragte sich, ob man ihn vielleicht
- zusammen mit den andern gefangen genommen oder ihn im Schlafe gefesselt
- habe -- aber nein, Andrij war nicht der Mann, sich lebend gefangen
- nehmen zu lassen. Unter den erschlagenen Kosaken war er auch nicht zu
- finden. Taraß verfiel in tiefes Sinnen und schritt draußen seine
- Abteilung ab, ohne zu hören, daß ihn schon lange jemand beim Namen rief.
- »Wer will was von mir,« sagte er endlich, wie aus einem Traume
- erwachend. Vor ihm stand der Jude Jankel.
- »Herr Hauptmann, Herr Hauptmann,« sagte der Jude schnell und hastig, wie
- wenn er ihm eine wichtige Nachricht mitzuteilen hätte, »ich war in der
- Stadt, Herr Hauptmann.«
- Taraß sah den Juden an und wunderte sich, daß er es fertiggebracht
- hatte, sich in die Stadt zu stehlen.
- »Wer zum Teufel hat dich denn da hineingebracht?«
- »Ich will's Euch sofort erzählen,« sagte Jankel. »Wie ich bei
- Tagesanbruch das Schreien und Schießen der Kosaken hörte, da ergriff ich
- so schnell wie möglich meinen Kaftan und lief ohne ihn anzuziehen so
- rasch ich konnte dorthin; erst unterwegs fuhr ich in die Ärmel. Ich
- wollte nämlich die Ursache des Lärms erfahren und nachsehen, warum die
- Kosaken in so früher Stunde schießen. Ich lief immer vorwärts und kam
- grad in dem Augenblick an das Tor, als das letzte Regiment in die Stadt
- einzog. Plötzlich sehe ich den Herrn Fähnrich Galjandowitsch an der
- Spitze der Truppen. Ich kenne ihn sehr gut, er schuldet mir schon seit
- drei Jahren hundert Dukaten. Ich ging also hinter ihm her, wie wenn ich
- ihn an seine Schuld mahnen wollte, und gelangte auf diese Weise in die
- Stadt.«
- »Wie bist du denn in die Stadt hineingekommen, wenn du doch nur eine
- Schuld eintreiben wolltest,« sagte Bulba, »hat er dich denn nicht sofort
- aufhängen lassen wie einen Hund?«
- »Ja, bei Gott, das wollte er tun!« antwortete der Jude. »Seine Diener
- hatten mich schon gepackt und mir den Strick um den Hals gelegt; ich
- aber flehte den Herrn an und sagte, daß ich mit meiner Schuld warten
- würde, solange der Herr es wünscht, ja ich versprach ihm sogar ihm noch
- mehr zu leihen, wenn er mir nur helfen wolle, das Geld von den anderen
- Rittern einzutreiben; denn der Herr Fähnrich hatte -- um gleich alles zu
- sagen -- nicht einen einzigen Dukaten in der Tasche. Wenn er auch viel
- Land, einige Güter, vier Schlösser und Grund und Boden besitzt, der bis
- an das Tor der Stadt Schkloff reicht, er hatte doch keinen baren
- Groschen -- wie ein rechter Kosak! Und wenn ihn jetzt zum Beispiel nicht
- ein paar Breslauer Juden ausgerüstet hätten, hätte er gar nicht in den
- Krieg ziehen können. Deshalb war er auch nicht zum Reichstag gekommen.«
- »Und was hast du in der Stadt gemacht? Hast du die Unsrigen gesehen?«
- »Gewiß! Da gibt es doch viele von unseren Leuten. Den Itzig, den Rachum,
- den Schmul, den Chaiwalch, einen jüdischen Pächter ...«
- »Hol der Teufel die Hunde,« rief Bulba ärgerlich, »was geht mich deine
- Judensippe an. Ich frage dich nach unsern Saporogern!«
- »Unsere Saporoger habe ich nicht gesehen, nur den Herrn Andrij.«
- »Du hast Andrij gesehen,« rief Bulba, »sprich, wo hast du ihn gesehen?
- In einem unterirdischen Gewölbe? Unter der Erde? Im Kerker? Hat man ihn
- entehrt und mit Schmach bedeckt? Ist er gefesselt?«
- »Wer hätte gewagt, Herrn Andrij zu fesseln! Nein, er ist jetzt ein
- vornehmer Ritter -- bei Gott, ich habe ihn kaum wiedererkannt! Sein
- Schulterbesatz ist eitel Gold, auch seine Ärmel sind mit Gold gestickt,
- er hat einen goldenen Spiegel, und seine Mütze glänzt von lauter Gold.
- Am Gürtel schimmert Gold, und überall ist Gold, und alles an ihm ist
- Gold! Wie die Sonne im Frühling glänzt, wenn im Garten jedes Vögelchen
- zwitschert und singt und die Kräuter duften, so glänzt und schimmert
- auch er von Gold. Der Wojewode hat ihm auch das schönste Pferd
- geschenkt, ein Pferd, das allein zweihundert Gulden kostet.«
- Bulba stand wie erstarrt da. »Weshalb hat er denn die fremde Rüstung
- angelegt?«
- »Weil sie schöner ist, hat er sie angelegt. Und er reitet überall umher;
- die andern reiten auch überall umher, und er gibt ihnen und sie geben
- ihm gute Lehren, wie wenn er der reichste unter den polnischen Herren
- wäre.«
- »Wer konnte ihn dazu zwingen?«
- »Ich sage nicht, daß ihn jemand gezwungen hat. Weiß denn der Herr nicht,
- daß er aus freiem Willen zu ihnen übergegangen ist?«
- »Wer ist übergegangen?«
- »Nun, der Herr Andrij!«
- »Wohin ist er übergegangen?«
- »Auf ihre Seite. Er gehört doch jetzt schon ganz zu ihnen.«
- »Du lügst, Schweinehund!«
- »Wie sollte ich denn lügen? Bin ich etwa ein Narr, daß ich lügen werde?
- Ich würde mich ja um meinen eigenen Kopf bringen. Weiß ich nicht, daß
- man den Juden aufhängen wird wie einen Hund, wenn er den Herrn belügt?«
- »Du willst also sagen, daß er sein Vaterland und seinen Glauben verraten
- hat?«
- »Ich sage doch nicht, daß er verraten hat -- ich habe nur gesagt, daß er
- zu ihnen übergegangen ist.«
- »Du lügst, Satan von einem Juden! So etwas ist noch nie dagewesen in der
- ganzen Christenheit! Du lügst, Hund!«
- »Das Gras soll wachsen auf der Schwelle meines Hauses, wenn ich lüge!
- Anspeien soll jeder das Grab meines Vaters, meiner Mutter, meines
- Schwiegervaters, meines Vaters Vaters und des Vaters meiner Mutter, wenn
- ich lüge. Wenn der Herr es wünscht, will ich sogar sagen, warum er zu
- ihnen übergegangen ist.«
- »Nun?!«
- »Der Wojewode hat eine schöne Tochter -- heiliger Gott, ist die schön!
- ...« Bei diesen Worten versuchte der Jude ihre Schönheit, so gut er es
- konnte, mit seinem Gesicht auszudrücken: er breitete die Hände aus,
- zwinkerte mit den Augen und verzog den Mund, als ob er etwas Köstliches
- genossen hätte.
- »Nun, was soll das?«
- »Für sie hat er alles getan und ist übergegangen. Wenn sich ein Mensch
- verliebt, geht es mit ihm wie mit einer Stiefelsohle, die man biegen
- kann, wie man will, wenn man sie erst im Wasser aufgeweicht hat ...«
- Bulba versank in tiefes Sinnen. Er dachte daran, wie groß die Macht
- eines schwachen Weibes ist. Wieviel Starke sie schon ins Verderben
- gestürzt hatte, und daß Andrijs Natur ihr nur allzuleicht unterlag. Und
- lange stand er wie versteinert auf einer Stelle.
- »Hört, Herr, ich will Euch alles ausführlich erzählen,« sagte der Jude.
- »Im selben Augenblick, wie ich den Lärm hörte und sah, wie die Soldaten
- durch das Stadttor einzogen, da steckte ich für alle Fälle eine
- Perlenschnur zu mir; ich sagte mir: es gibt doch in der Stadt schöne
- Edelfrauen, die werden mir schon ein paar Perlen abkaufen, auch wenn sie
- nichts zu essen haben. Und kaum daß mich die Knechte des Fähnrichs
- losgelassen hatten, da lief ich schnell nach dem Hause des Wojewoden, um
- die Perlen zu verkaufen. Dort fragte ich eine Dienerin, eine Tatarin
- aus, von der ich alles erfuhr. Es wird bald Hochzeit gefeiert, sowie die
- Saporoger verjagt sind. Der Herr Andrij hat versprochen, die Saporoger
- fortzujagen.«
- »Und du hast ihn nicht sofort totgeschlagen, den Satan!« schrie Taraß.
- »Warum totschlagen? Er ist doch aus freien Stücken übergegangen! Was
- kann _er_ dafür? Es geht ihm dort besser als hier: so ist er eben zu
- ihnen gegangen!«
- »Hast du ihn von Angesicht gesehen?«
- »Bei Gott, von Angesicht zu Angesicht! Welch ein vornehmer Herr! Weit
- schöner als alle andern! Gott schenke ihm Gesundheit -- er hat mich
- sogleich erkannt und als ich zu ihm herantrat, sagte er sofort ...«
- »So? Was hat er gesagt!«
- »Er sagte ... doch nein, er winkte mir erst mit der Hand, und dann erst
- sagte er: »Jankel«. Worauf ich sagte: »Herr Andrij!« »Jankel, sag dem
- Vater, sag dem Bruder, sag den Kosaken, sag den Saporogern, sag ihnen
- allen, daß der Vater mir von heute ab kein Vater, der Bruder kein
- Bruder, der Kamerad kein Kamerad mehr ist, und daß ich mit ihnen kämpfen
- werde, mit ihnen allen kämpfen werde!«
- »Du lügst, satanischer Judas!« schrie Taraß außer sich, »du lügst,
- verfluchter Hund! Du hast auch Christus gekreuzigt, du gottverfluchtes
- Geschöpf! Satan, ich erschlage dich! Fliehe, flieh von hier -- sonst
- bist du gleich des Todes!« Mit diesen Worten riß Taraß seinen Säbel aus
- der Scheide, und der erschrockene Jude ergriff die Flucht und lief, so
- schnell er konnte, davon, so weit ihn seine trockenen dürren Beine
- trugen. Lange lief er, ohne sich umzusehen, durch das Kosakenlager,
- immer weiter und weiter über das freie Feld, obgleich ihn Taraß garnicht
- verfolgte -- er hatte es sich überlegt, daß es unvernünftig sei, seinen
- Zorn an dem ersten besten auszulassen.
- Jetzt erinnerte er sich daran, daß er Andrij in der vorigen Nacht mit
- einem Weibe durch das Lager habe gehen sehen, und er ließ sein graues
- Haupt mutlos herabsinken. Aber er wollte noch immer nicht daran glauben,
- daß ihm eine solche Schmach hätte angetan werden können und daß der
- eigene Sohn seinen Glauben und seine Seele verraten konnte. Endlich
- ermannte er sich, führte seine Abteilung in den erwähnten Hinterhalt und
- verschwand im Walde, dem einzigen, der noch nicht von den Kosaken
- niedergebrannt war. Die andern Saporoger, das Fußvolk wie die Reiter,
- rückten in drei Zügen bis an die drei Tore vor. Eine Abteilung zog
- hinter der andern her: die Abteilungen Uman, Popowitschew, Kanew,
- Steblikiw, Nesamaikow, Gurgusiw, Tymoschew usw. Nur die Abteilung
- Perejaslaw fehlte. Diese hatte nämlich am Abend vorher ein äußerst
- stürmisches Zechgelage veranstaltet, und die Folge davon war, daß einige
- von ihnen gefesselt im feindlichen Lager und andere gar nicht erwachten,
- sondern sogleich in die feuchte Erde gebettet wurden. Chlib, der
- Hauptmann, wurde ohne Hemd und Hose ins polnische Lager gebracht.
- In der Stadt hörte man bald von der Bewegung im Kosakenlager. Alle
- liefen auf die Wälle hinaus, und ein prächtiges Bild entfaltete sich vor
- den Augen der Kosaken. Die polnischen Ritter standen, einer immer
- schöner als der andere, auf den Wällen. Die kupfernen Helme, mit
- schwanenweißen Federn geziert, glänzten wie kleine Sonnen. Andere trugen
- leichte rosa und hellblaue Mützen, deren oberer Teil auf der Seite etwas
- eingebogen war. Ihre Röcke mit den herabhängenden Ärmeln waren mit
- Goldstickereien oder einfachen Schnüren versehen; sie hatten
- reichverzierte Säbel und Waffen, die die polnischen Herren teuer genug
- bezahlt haben mochten, und vielerlei andere Schmuckgegenstände. In der
- vordersten Reihe stand der Oberst von Budschakow in würdiger Haltung mit
- einer roten, goldgestickten Mütze. Der Oberst war bedeutend größer und
- stärker als alle übrigen, und sein weiter kostbarer Rock war fast zu eng
- für seine mächtige Hühnengestalt. Auf der anderen Seite, ganz nahe am
- Seitentor, stand ein anderer Oberst, ein kleiner dürrer Mann, dessen
- winzige, scharfe Augen lebhaft unter dichten Augenbrauen hervorblickten;
- er drehte sich schnell nach allen Seiten um, und seine hagere Hand wies
- gebieterisch bald hierher und bald dorthin. Man sah, daß er trotz seiner
- Kleinheit sich trefflich auf das Kriegshandwerk verstand. Unweit von ihm
- stand der Fähnrich, ein langer Kerl mit einem dichten buschigen
- Schnurrbart und einer fast zu frischen Gesichtsfarbe; der Herr liebte
- die starken Getränke und war der Freund einer reichbesetzten Tafel.
- Hinter ihnen sah man noch viele viele Ritter, von denen sich ein Teil
- auf eigene Kosten bewaffnet und ausgerüstet hatte, der andere dagegen
- auf Kosten der Staatskasse oder mit jüdischem Gelde, da diese Herrn all
- ihr Hab und Gut, das die Schlösser der Väter bargen, versetzt hatten. Es
- gab darunter auch eine nicht geringe Zahl von jenen Schmarotzern, die
- das Gefolge der Senatoren zu bilden pflegten, und die an ihrer Tafel
- sitzen durften, um ihren Glanz zu erhöhen; oft genug stahlen sie dort
- als Entgelt die silbernen Becher von den Tischen und aus den Schränken
- weg und lenkten vielleicht schon morgen, ihrer Ehre entkleidet, vom
- Kutscherbock herab die Pferde eines großen Herrn. Da gab es alle
- möglichen Sorten und Gattungen von Menschen. Manch einer besaß noch
- nicht genug, um sich einen Becher Branntwein zu kaufen: für den Krieg
- aber hatten sie sich alle aufs schönste herausgeputzt.
- Die Kosaken standen gelassen vor den Stadtmauern. An ihnen war auch
- nicht eine Spur von goldenem Zierat zu bemerken, nur ab und zu blitzte
- es an einem Säbelgriff oder einem Gewehrkolben auf. Die Kosaken liebten
- es nicht, sich zur Schlacht reich zu schmücken. Ihre Panzer und Kleider
- waren alle höchst einfach und bescheiden: bloß ihre schwarzen
- Lammfellmützen mit den roten Spitzen konnte man weithin schimmern sehen.
- Zwei Kosaken lösten sich von den Reihen der Saporoger ab und sprengten
- nach vorn; der eine war noch ganz jung, der andere etwas älter, beide
- hatten Haare auf den Zähnen, verstanden sich gut aufs Reden, doch auch
- nicht minder gut auf das Handeln. Sie hießen Ochrim Nasch und Mykyta
- Golokopytenko. Ihnen folgte Demid Popowitsch, ein stämmiger Kosak, der
- sich schon lange in der Sjetsch aufhielt, bei Adrianopel gekämpft und
- schon mancherlei erlebt und erfahren hatte: sollte er doch bereits
- einmal lebendigen Leibes auf einem Scheiterhaufen verbrannt werden;
- damals war er mit geteertem und geschwärzten Kopf und abgesengten
- Schnurrbart in der Sjetsch erschienen, aber Popowitsch hatte sich bald
- wieder erholt und sich einen langen Schopf, der ihm bis übers Ohr
- herabhing, und einen pechschwarzen, buschigen Schnurrbart wachsen
- lassen. Übrigens konnte Popowitsch oft recht bissig werden.
- »Ja, das muß man sagen, schöne Kleider habt ihr an, ihr tapferen Ritter;
- ich möchte nur wissen, ob euer Mut und eure Tapferkeit ebenso groß ist?«
- »Ich will's euch schon zeigen,« rief der dicke Oberst von oben herab,
- »ich lasse euch allesamt binden und an die Kette legen. Gebt eure
- Gewehre und Pferde her, ihr Knechtsseelen. Habt ihr's gesehen, wie ich
- eure Leute habe binden lassen? Hollah, schleppt doch mal die Saporoger
- auf den Wall!«
- Und die aneinandergebundenen Saporoger wurden auf den Wall geschleppt.
- Zuerst erschien der Hauptmann der Abteilung, Chlib, ohne Hemd und Hose
- -- ganz so, wie man ihn im Rausche erwischt hatte. Er ließ den Kopf tief
- sinken, denn er schämte sich, daß er sich vor den Kosaken in seiner
- Blöße zeigen mußte, und daß er schlaftrunken wie ein Hund in
- Gefangenschaft geraten war. Sein mächtiger Kopf war in der einen Nacht
- ergraut.
- »Sei nicht traurig, Chlib, wir werden dich schon befreien«, riefen ihm
- die Kosaken von unten zu.
- »Sei nicht traurig, Freund,« fügte der Hauptmann Borodaty hinzu, »es ist
- nicht deine Schuld, daß sie dich nackt gefaßt haben, jedem Menschen kann
- solch ein Unglück passieren. Sie müssen sich schämen, daß sie dich so
- hergebracht und nicht einmal deine Blöße anständig bedeckt haben.«
- »Ihr scheint ja gegen Schlafende besonders tapfer zu sein,« sagte
- Golokopytenko und blickte zum Wall empor.
- »Wartet's nur ab, wir werden euch schon eure Mähnen abschneiden,« riefen
- ihnen jene zu.
- »Das möchte ich doch sehen, wie sie es fertig bringen werden, uns die
- Mähnen abzuschneiden,« sagte Popowitsch, dann wandte er sich auf seinem
- Pferde zu seinen Leuten um, sah sie an und sagte: Ȇbrigens ist es
- vielleicht doch wahr, was die Polen sagen; wenn der Dicke ihr Führer
- ist, brauchen sie sich nicht zu fürchten, das ist eine gute Schutzwehr.«
- »Weshalb glaubst du, daß sie dann in Sicherheit sind?« fragten die
- Kosaken, welche wußten, daß sich Popowitsch wahrscheinlich schon auf
- eine Antwort vorbereitet hatte.
- »Na, einfach deshalb, weil sich das ganze Heer hinter ihm verstecken
- wird. Höchstens, daß man hinter seinem dicken Wanst einen mit der Lanze
- hervorholt!«
- Alle Kosaken brachen in ein schallendes Gelächter aus und noch lange
- schüttelten einzelne von ihnen den Kopf und sagten:
- »Ja ja, der Popowitsch! Der versteht's! Wenn der es auf einen abgesehen
- hat, dann ...« Allein die Kosaken sagten nicht, was »dann« kommt.
- »Schnell fort -- schnell fort von den Mauern,« rief der Hetman, denn die
- Polen schienen die boshaften Bemerkungen nicht vertragen zu können, und
- der Oberst hatte schon mit der Hand ein Zeichen gegeben.
- Kaum waren die Kosaken einige Schritte zurückgewichen, da hagelten auch
- schon die Kartätschen von den Wällen herab. Auf dem Wall geriet alles in
- Bewegung, selbst der graue Wojewode kam zu Pferde herangesprengt. Die
- Tore öffneten sich, und das Heer zog hindurch. Vorne in wohlgeordneten
- Reihen ritt ein Trupp Husaren in schön gestickten Röcken, dann kamen,
- eine Abteilung Lanzenreiter und Schwerbewaffnete in schweren
- Kupferhelmen und schließlich etwas abseits und in einiger Entfernung die
- vornehmsten von den Rittern, jeder nach seinem besonderen Geschmack
- gekleidet. Die stolzen Herren wollten sich nicht unter die andern
- mischen, und wer von ihnen über kein Kommando verfügte, ritt allein mit
- seinen Dienern. Dann folgten von neuem lange Reihen von Soldaten, hinter
- denen ein Fähnrich einherritt. Dann wieder mehrere Reihen Soldaten und
- hinter ihnen der dicke Oberst; und endlich ganz zu letzt kam der kleine
- Hauptmann hinter dem Heere dahergesprengt.
- »Hindert sie, hindert sie, ihre Stellungen einzunehmen«, rief der
- Hetman, »rückt auf sie los; alle Abteilungen vor! Laßt die andern Tore
- im Stich. Die Abteilung Tytarew greift von der einen Seite an, die
- Djadkiwsche Abteilung von der andern. Kukubenko und Palywoda, fallt
- ihnen in den Rücken! Bringt sie in Verwirrung und sprengt sie
- auseinander.«
- Die Kosaken rückten von allen Seiten heran. Sie drängten die polnischen
- Reihen zurück, brachten sie in Verwirrung und gerieten selbst in ein
- wirres Durcheinander. Man ließ sich nicht einmal Zeit, die Gewehre zu
- laden und abzufeuern, sondern zog sofort das Schwert und gebrauchte die
- Lanze. Alles drängte sich zu einem Haufen zusammen, und jeder hatte
- Gelegenheit, seinen Mut und seine Kraft zu zeigen.
- David Popowitsch säbelte drei gemeine Soldaten nieder, warf zwei der
- tapfersten Edelleute von den Pferden und rief: »Sind das schöne Pferde!
- Solche Pferde hatte ich mir längst gewünscht!« Er jagte die Rosse weit
- ins Feld hinaus und rief einigen Kosaken zu, sie sollten sie festhalten.
- Dann stürzte er sich wieder in den Haufen und warf sich über die am
- Boden liegenden Edelleute: den einen erschlug er und dem andern warf er
- eine Schlinge um den Hals, band ihn am Sattel fest und schleifte ihn
- über das ganze Feld, nachdem er ihm zuvor seinen Säbel mit dem kostbaren
- Griff abgenommen und seinen Beutel mit Goldstücken vom Gürtel abgerissen
- hatte.
- Kobita, ein wackerer und noch junger Kosak, war ebenfalls mit einem der
- tapfersten der polnischen Kämpfer handgemein geworden; das war ein
- langer Kampf; jetzt brauchten sie bereits ihre Fäuste ... der Kosak
- hatte schon beinahe die Oberhand gewonnen, den Feind niedergeworfen und
- ihm ein langes türkisches Messer in die Brust gestoßen. Aber er hatte
- dabei nicht acht auf sich gegeben; im selben Augenblick durchbohrte ihm
- eine heiße Kugel die Schläfe. Einer der edelsten Herren, der schönste
- Ritter aus einem der ältesten Fürstengeschlechter hatte ihn
- hingestreckt. Schlank wie eine Pappel saß er auf seinem Schimmel, und
- hatte schon manch hohes Beispiel von seinem Heldenmut gegeben; zwei
- Saporoger hatte er geradezu zerspalten, den Fedor Korsch, einen wackeren
- Kosaken, samt seinem Pferde niedergehauen, den Gaul erschossen, und den
- Reiter unter dem Rosse mit ein paar Lanzenstichen getötet, vielen andern
- hatte er den Kopf oder die Arme abgeschlagen und endlich den Kosaken
- Kobita durch eine wohlgezielte Kugel, die jenem die Schläfe durchbohrte,
- niedergestreckt.
- »Das ist ein Kerl, mit dem ich einmal meine Kräfte messen möchte,« rief
- der Hauptmann Kukubenko von der Abteilung Nesamaikow aus. Er gab seinem
- Pferde die Sporen, sprengte von hinten an ihn heran und schrie so laut,
- daß alle, die in der Nähe standen, bei diesem unmenschlichen Gebrüll
- erbebten. Der Pole wollte schnell sein Pferd herumreißen, um ihm von
- Angesicht zu Angesicht gegenüberzutreten; aber das Pferd gehorchte ihm
- nicht. Erschreckt von dem entsetzlichen Geschrei sprang es zur Seite,
- und so gelang es Kukubenko, dem Ritter eine Kugel in den Leib zu jagen.
- Sie drang ihm ins Schulterblatt, und er stürzte vom Pferde. Aber auch
- jetzt ergab sich der Pole noch nicht, sondern versuchte es noch immer,
- seinem Gegner einen Schlag zu versetzen, doch sein kraftloser Arm
- vermochte den Säbel nicht mehr emporzuheben. Unterdessen ergriff
- Kukubenko mit beiden Händen seinen schweren Pallasch und stieß ihn dem
- Polen in das erbleichende Antlitz. Der Säbel hieb ihm zwei von den
- milchweißen Zähnen heraus, spaltete die Zunge, zerschmetterte den
- Halswirbel und drang noch tief in die Erde hinein. So nagelte er ihn für
- ewig an die feuchte Erde fest. Das edle rote Ritterblut spritzte hoch
- empor, so rot wie die Dolden der Eberesche am Flusse, und färbte den
- gelben goldgestickten Rock des Ritters. Aber Kukubenko kümmerte sich
- nicht mehr um ihn und stürzte mit seinen Nesamaikow-Kosaken mitten ins
- Gedränge hinein.
- »Ei, wie kann man nur eine so kostbare Rüstung liegen lassen,« rief der
- Hauptmann der Uman-Abteilung, Borodaty, der die Seinen verlassen hatte
- und nach der Stelle geritten war, wo der von Kukubenko erschlagene
- Edelmann in seinem Blute lag.
- »Sieben Edelleute habe ich eigenhändig erschlagen, aber noch bei keinem
- habe ich eine so kostbare Rüstung gesehen!« Von der Beute angelockt,
- bückte sich Borodaty, um dem Toten die kostbare Rüstung abzunehmen;
- schon bemächtigte er sich des türkischen Dolches mit dem Griff aus
- farbigen leuchtenden Edelsteinen, löste das Täschchen mit den Dukaten
- vom Gürtel ab und zog ihm einen Beutel mit feiner Wäsche, kostbarem
- silbernem Zierat und einer schönen Mädchenlocke, die hier zur Erinnerung
- aufbewahrt wurde, aus dem Busen. So kam es, daß Borodaty es nicht hörte,
- wie der Fähnrich mit der roten Nase, den er schon einmal aus dem Sattel
- geworfen und einen kräftigen Denkzettel versetzt hatte, hinterrücks auf
- ihn eindrang. Der Fähnrich holte tüchtig aus und gab ihm mit dem Säbel
- einen furchtbaren Hieb über den niedergebeugten Nacken. Die Beutegier
- trug dem Kosaken nichts Gutes ein; sein mächtiges Haupt flog ihm von den
- Schultern, der kopflose Leichnam brach zusammen und tränkte den Boden
- ringsherum mit seinem Blute. Die rauhe Kosakenseele stieg zürnend und
- murrend, aber zugleich voller Verwunderung, daß sie schon so früh aus
- dem starken Körper entweichen mußte, zum Himmel empor. Kaum aber hatte
- der Fähnrich die Mähne des Hauptmanns gepackt, um sie an seinen Sattel
- zu binden, da nahte auch ihm schon der schreckliche Rächer.
- Wie ein am Himmel schwebender Habicht, der plötzlich, nachdem er mit
- seinen starken Flügeln manch gewaltigen Kreis beschrieben hat, mit
- ausgebreiteten Schwingen an einer Stelle hängen bleibt und dann wie ein
- Pfeil auf die singende Wachtel am Wege herabstößt, so stürzte sich
- Taraß' Sohn, Ostap, auf den Fähnrich und warf ihm schnell den Strick um
- den Hals. Das rote Antlitz des Fähnrichs wurde noch röter, als ihm die
- grausame Schlinge die Kehle zuschnürte; er griff nach der Pistole, aber
- die krampfhaft zusammengedrückte Hand vermochte nicht mehr zu zielen,
- und die Kugel flog nutzlos ins Feld hinaus. Sofort löste Ostap die
- seidene Schnur vom Sattel des Fähnrichs, die dieser zur Fesselung der
- Gefangenen mit sich führte, und band ihm mit seiner eigenen Schnur Hände
- und Füße zusammen; das Ende befestigte er an seinem Sattel und schleifte
- dann den Polen über das Feld, indem er alle Kosaken der Abteilung Uman
- laut ermahnte, ihrem Hauptmann die letzte Ehre zu erweisen.
- Als die Uman-Kosaken hörten, daß ihr Hauptmann Borodaty gefallen sei,
- verließen sie das Schlachtfeld und eilten herbei, um seinen Leichnam in
- Sicherheit zu bringen. Dann gingen sie sofort zu Rate, wen sie zu ihrem
- Hauptmann wählen sollten. Endlich sagten sie: »Wozu sollen wir lange
- überlegen? Wir können ja doch keinen bessern Hauptmann bekommen als
- Ostap Bulba; er ist zwar der jüngste von uns, aber er hat soviel
- Verstand wie ein älterer Mann.«
- Ostap nahm die Mütze ab und dankte allen Kameraden für die Ehre, ohne
- sich erst lange mit seiner Jugend oder seiner geringen Erfahrung zu
- entschuldigen, denn er wußte, daß man während des Krieges keine Zeit zu
- solchen Dingen hat. Er führte seine Kosaken sogleich dorthin, wo das
- Gedränge am größten war, und bewies so, daß sie nicht übel beraten
- waren, als sie ihn zum Hauptmann wählten. Als die Polen merkten, daß die
- Sache doch etwas ernst wurde, zogen sie sich zurück und stürmten quer
- über das Feld, um sich am andern Ende wieder zu sammeln. Der kleine
- Hauptmann gab den vierhundert Mann, die in der Nähe des Tores standen
- und noch nicht am Gefecht teilgenommen hatten, ein Zeichen -- und ein
- Kartätschenregen hagelte auf die Reihen der Kosaken nieder; sie trafen
- jedoch nur wenige. Dafür aber streiften einige Kugeln die Ochsenherden
- der Kosaken, die die Schlacht mit entsetzten Blicken anstarrten. Die
- erschrockenen Ochsen brüllten laut auf, stürmten auf das Kosakenlager
- zu, zertrümmerten die Wagen und traten viele Leute zu Boden. In diesem
- Augenblick jedoch stürzte Taraß mit seiner Abteilung aus dem Hinterhalte
- hervor und verlegte den Tieren den Weg, die aufs höchste gereizt, kehrt
- machten und sich mit angstvollem Gebrüll auf die polnischen Regimenter
- stürzten, die Reiter über den Haufen warfen und alles zerstampften und
- zertraten.
- »Hallo, Dank ihr Ochsen!« schrien die Saporoger, »ihr habt uns während
- des ganzen Feldzuges schon manchen Nutzen gebracht und jetzt leistet ihr
- uns gar noch Kriegsdienste!«
- Und mit frischen Kräften stürzten sie sich auf den Feind. Da wurde manch
- ein Pole niedergemetzelt, und viele von den Kosaken zeichneten sich
- durch ihre Kraft und ihren Heldenmut aus! Meteliza, Schilo, die beiden
- Pisarenko, Wowtusenko und noch mancher andere.
- Die Polen sahen, daß es schlecht mit ihnen stand, und so befahlen sie
- denn, die Fahnen zu hissen und das Stadttor zu öffnen. Knarrend öffnete
- sich das eisenbeschlagene Tor und nahm die sich stoßenden und
- drängenden, erschöpften und bestaubten Reiter auf wie der Stall die
- Schafe. Viele Saporoger sprengten ihnen nach, aber Ostap hielt seine
- Leute zurück und sagte: »Haltet euch fern von den Mauern, werte Herren
- und Brüder, haltet euch fern von ihnen. Es ist gefährlich, sich ihnen zu
- nähern.« Er hatte die Wahrheit gesprochen, denn die Polen schleuderten
- alles, was sie in die Hände bekamen, von den Mauern herab, und hierbei
- wurde mancher Kosak gefährlich verletzt. In diesem Augenblicke ritt der
- Hetman an Ostap heran, lobte ihn und sagte:
- »Der Hauptmann ist zwar noch jung, aber er leitet seine Schar wie ein
- alter, gewiegter Heerführer!«
- Der alte Bulba wandte sich um, um zu sehen, von was für einem neuen
- Hauptmann die Rede sei, und erblickte Ostap, der mit der Mütze auf dem
- Ohr und mit dem Hauptmannsstab in der Hand an der Spitze seiner Leute
- hoch zu Rosse saß. »Das ist ein Kerl!« rief der Alte, ihn voller Freude
- betrachtend und dankte allen Uman-Kosaken für die seinem Sohne erwiesene
- Ehre.
- Die Kosaken kehrten wieder um und machten sich bereit, ihr Lager
- aufzusuchen, als die Polen abermals, diesmal aber bereits in zerrissenen
- Gewändern auf den Wällen der Stadt erschienen. An vielen kostbaren
- Kleidern klebte geronnenes Blut, und die schönen Kupferhelme waren mit
- Staub bedeckt.
- »Na, habt ihr uns zusammengebunden?«, riefen ihnen die Saporoger von
- unten zu.
- »Ich werde euch schon fassen,« schrie der dicke Oberst immer wieder von
- oben herab und drohte mit einem Strick; die erschöpften und bestaubten
- Krieger wollten noch immer nicht aufhören, Drohungen auszustoßen, und
- die Heißblütigsten ließen es auf beiden Seiten nicht an kräftigen Worten
- fehlen.
- Endlich zerstreuten sich alle miteinander. Die einen begaben sich, vom
- Kampf ermüdet, zur Ruhe, die andern legten Erde auf ihre Wunden und
- zerrissen Tücher und die kostbaren Gewänder, die sie dem Feinde
- abgenommen hatten, um sich zu verbinden. Die, die sich etwas frischer
- fühlten, brachten die Erschlagenen fort und erwiesen ihnen die letzte
- Ehre; sie gruben ihnen mit einem Schwert oder einer Lanze ein Grab und
- trugen die Erde in ihren Mützen und Rockschößen fort; andächtig legten
- sie die toten Kosaken hinein und schütteten frische Erde über sie, damit
- ihnen Krähen und Adler nicht die Augen aushacken sollten. Die Leichen
- der Polen banden sie zu je zehn und mehr an die Schweife wilder Rosse
- und ließen diese zügellos über das ganze Feld rasen, ja, sie jagten noch
- hinter ihnen her und schlugen sie auf die Lenden. Die rasenden Pferde
- flogen über Furchen, Hügel, Gräben und Bäche und schleiften die mit Blut
- und Staub bedeckten Körper der Polen über den Erdboden.
- Dann lagerten sich die Kosakenschaaren im Kreise, um ihr Abendessen
- einzunehmen, und redeten des langen und breiten über die Heldentaten,
- die ein jeder vollbracht hatte, zur Nacheiferung und zum Gedächtnis für
- die Neuhinzukommenden und die Nachfahren. Es dauerte lange, ehe sie sich
- niederlegten, aber länger als alle blieb der alte Taraß auf, der
- fortwährend darüber nachsann, was es wohl bedeuten mochte, daß Andrij
- sich nicht unter den feindlichen Kriegern befunden hatte. Ob sich der
- Judas vielleicht geschämt hatte, gegen die Seinen zu kämpfen, oder ob
- der Jude gelogen und Andrij einfach gefangen war? Aber er mußte doch
- wieder daran denken, wie empfänglich sein Herz für die Worte der Frauen
- war, ein tiefer Gram erfaßte Taraß, und er verfluchte im tiefsten Innern
- die Polin, die seinen Sohn bezaubert hatte. Oh er wollte seinen Schwur
- halten; ohne nur im geringsten ihrer Schönheit zu achten, wollte er sie
- an ihren schönen üppigen Haaren packen und zwischen den Kosaken hindurch
- über das ganze Feld schleifen. Staub und Blut sollten ihre schönen
- Brüste und Schultern bedecken und mochten sie noch so weiß sein und
- schimmern wie der ewige Schnee auf den Berggipfeln, sie sollten gegen
- die harte Erde schlagen und von ihr zerfetzt und zerrissen werden. In
- tausend Stücke wollte er ihren wunderbaren schwellenden Körper reißen,
- und die Teile in den Wind zerstreuen. Aber Bulba wußte nicht, was Gott
- dem Menschen für den morgigen Tag aufbehalten hat ..... er vergaß
- endlich seinen Schmerz und schlief ein. Die Kosaken plauderten noch
- immer miteinander, und die ganze Nacht hindurch standen nüchterne
- Wachtposten bei den Lagerfeuern und blickten scharfen Auges nach allen
- Seiten.
- Achtes Kapitel
- Die Sonne stand noch nicht im Zenit, als sich die Saporoger bereits zu
- einer allgemeinen Beratung versammelten. Aus der Sjetsch war die
- Nachricht gekommen, daß die Tataren sie während der Abwesenheit der
- Kosaken überfallen und völlig ausgeplündert, ja daß sie sogar die
- Schätze, die die Kosaken unter der Erde versteckt hielten, ausgegraben
- und alle, die zu Hause geblieben waren, totgeschlagen oder in die
- Gefangenschaft geführt hätten, und daß sie mit den geraubten Rinder- und
- Roßherden geradewegs nach Perekop gezogen wären. Nur einem einzigen
- Kosaken, Marim Goloducha, war es unterwegs gelungen, sich aus den Händen
- der Tataren zu befreien; er hatte den Mirza erstochen, dessen mit
- Zechinen gefüllten Beutel geraubt und sodann in tatarischer Kleidung und
- auf einem Tatarenpferde einen Tag und zwei Nächte auf der Flucht vor
- seinen Verfolgern zugebracht. Hierbei hatte er sein eigenes Pferd zu
- Tode gehetzt, ein anderes bestiegen, das er ebenfalls zu Schanden
- geritten hatte, und so war er erst am dritten Tage ins Lager der
- Saporoger gekommen, nachdem er unterwegs erfahren, daß diese bei Dubno
- standen. Er vermochte nur noch zu sagen, daß das Unglück geschehen war;
- wie es aber geschehen konnte, ob die zurückgebliebenen Saporoger sich
- nach Kosakenart betrunken hatten und dann im Rausch gefangen genommen
- worden, und wie die Tataren die Stelle entdeckt hatten, an der sich der
- Kriegsschatz befand -- von alledem vermochte er nichts zu sagen. Der
- Kosak war furchtbar erschöpft und am ganzen Körper geschwollen; der
- heiße Wind hatte ihm das Gesicht verbrannt, genug, er sank sofort nieder
- und verfiel in einen tiefen Schlaf.
- In solchen Fällen war es bei den Saporogern Sitte, den Räubern
- unverzüglich nachzujagen und sie noch unterwegs einzuholen, denn es
- konnte sonst leicht geschehen, daß die Gefangenen plötzlich auf den
- kleinasiatischen Bazaren, in Smyrna, auf der Insel Kreta oder an anderen
- Orten auftauchten, und Gott allein mochte wissen, wo man den buschigen
- Schädeln der Saporoger noch sonst begegnete. Das war der Grund, weswegen
- die Saporoger sich versammelt hatten. Sie alle, vom ersten bis zum
- letzten, hatten ihre Mützen aufbehalten, denn sie waren nicht
- hergekommen, um von ihrem Hetman Befehle zu hören, sondern um sich als
- Gleichgestellte miteinander zu beraten. »Die Ältesten sollen zuerst
- sprechen,« riefen einige Stimmen aus der Menge. »Nein, Hetman, gib du
- uns einen Rat,« sagten andere.
- Der Hetman nahm die Mütze ab, nicht mehr als ihr Anführer, sondern als
- ihr Kamerad, dankte für die Ehre und sprach: »Es gibt viele unter uns,
- die älter sind, als ich, und viele, die einen klügeren Rat erteilen
- könnten, da man mir aber die Ehre erwiesen hat, mich zu fragen, so ist
- dies mein Rat: Verliert keine Zeit, Kameraden, und setzt den Tataren
- nach, denn ihr wißt ja selbst, was der Tatar für ein Mensch ist. Er wird
- mit seinem geraubten Schatz kaum auf unsere Ankunft warten, sondern ihn
- sofort verschleudern, sodaß auch nicht eine Spur von ihm übrig bleibt.
- Dies also ist mein Rat. Wir müssen aufbrechen, wir haben uns hier schon
- genug Bewegung gemacht. Die Polen wissen, wer die Kosaken sind, wir
- haben unsern Glauben nach Kräften gerächt. Die ausgehungerte Stadt aber
- kann für uns nicht mehr viel bedeuten. Darum lautet mein Rat: Brechen
- wir auf!«
- »Aufbrechen, aufbrechen!« schrieen die Abteilungen der Saporoger. Aber
- diese Worte wollten Taraß Bulba wenig gefallen. Finster runzelte er
- seine rabenschwarzen, leicht ergrauten Augenbrauen, die dem dichten
- Gestrüpp glichen, das auf dem Scheitel eines Berges wächst und dessen
- Spitzen mit feinen weißen Nadeln bereift sind. »Nein, dein Rat ist nicht
- gut, Hetman,« sagte er, »deine Worte sind nicht richtig, du scheinst zu
- vergessen, daß die Unsern in der Gefangenschaft bei den Polen zurück
- bleiben. Du scheinst zu wollen, daß wir das erste und heiligste Gesetz
- der Freundschaft mißachten; daß wir unsere Brüder in Stich lassen, damit
- man ihnen bei lebendigem Leibe die Haut abzieht oder ihren Kosakenleib
- vierteilt und ihn dann durch alle Städte und Dörfer schleppt, wie sie
- das bereits mit dem Hetman und den besten Helden der Ukraine gemacht
- haben. Haben sie unser Heiligstes noch nicht genug beschimpft? Was sind
- wir denn? frage ich euch alle. Was ist das für ein Kosak, der seinen
- Kameraden in der Not verläßt und zugibt, daß er in der Fremde verreckt
- wie ein Hund? Wenn es schon so weit gekommen ist, daß niemand die
- Kosakenehre mehr heilig hält und daß jeder sich erlaubt, uns ins
- Angesicht und auf unseren großen Schnurrbart zu speien, und Schimpfworte
- auf uns zu häufen -- so soll wenigstens mir keiner einen Vorwurf machen
- können. Ich bleibe hier und wenn ich der einzige bin!«
- Alle anwesenden Saporoger begannen zu schwanken.
- »Tapferer Oberst« entgegnete hierauf der Hetman, »hast du denn
- vergessen, daß es ebenfalls unsere Kameraden sind, die sich in den
- Händen der Tataren befinden? Daß ihr Leben ein ewiges Sklaventum unter
- den Heiden sein wird, entsetzlicher als der schrecklichste Tod, wenn wir
- sie nicht befreien? Hast du denn vergessen, daß sie unsern gesamten
- Schatz besitzen, der mit teurem Christenblute erkauft ist?«
- Die Kosaken wurden nachdenklich und wußten nicht, was sie sagen sollten.
- Keiner von ihnen wollte in üblen Ruf kommen. Da trat der Älteste aus dem
- Heere der Saporoger, Kaßjan Bowdjug, hervor. Er war hochgeehrt bei den
- Kosaken, war schon zweimal Hetman gewesen und galt auch im Kriege als
- ein tüchtiger Kosak, aber jetzt war er schon sehr alt und nahm an keinem
- Feldzuge mehr teil, auch liebte er es nicht, Rat zu erteilen, sondern
- der alte Kämpe zog es vor, im Kreise der Kosaken auf dem Rücken zu
- liegen und den Erzählungen über vergangene Abenteuer und Feldzüge der
- Kameraden zu lauschen. Er mischte sich nie in ihre Reden, sondern hörte
- nur aufmerksam zu und drückte mit den Fingern die Asche in seiner kurzen
- Pfeife zusammen, die er nie aus dem Munde ließ. So saß er lange da, die
- Augen halb geschlossen, und die Kosaken wußten nie, ob er zuhöre oder
- schon schlafe. Während der letzten Feldzüge war er stets zu Hause
- geblieben, aber diesmal hatte es ihn aufgerüttelt. Nach Kosakenart hatte
- er seine Hand geschwungen und gesagt: »Ach was, diesmal komme ich mit
- euch. Vielleicht kann ich dem Kosakentum noch irgendwie nützlich sein.«
- Alle Kosaken verstummten, als er jetzt vor die Versammlung trat, denn
- schon lange hatte man kein Wort aus seinem Munde gehört. Jeder wollte
- wissen, was Bowdjug zu sagen hatte.
- »Auch an mich ist jetzt die Reihe gekommen, einige Worte zu sagen, ihr
- Herren und Brüder«, begann er, »so hört denn, was euch ein alter Mann
- sagt, Kinder. Der Hetman hat weise gesprochen; als Führer des
- Kosakenheeres, der verpflichtet ist, den Besitz des Heeres zu hüten und
- zu bewahren, konnte er gar nichts Weiseres sagen. Das laßt euch zuerst
- gesagt sein. Jetzt aber hört, was ich euch weiter mitzuteilen habe. Und
- zwar muß ich euch folgendes sagen. Auch der Oberst Taraß hat eine große
- Wahrheit ausgesprochen! Gott möge ihm ein langes Leben bescheren, und
- möge es noch oft solche Obersten in der Ukraine geben! Die erste Pflicht
- und die höchste Ehre des Kosaken ist es, Waffenbrüderschaft zu halten.
- Solange ich auf der Welt bin, ihr Herren und Brüder, habe ich es noch
- nicht erlebt, daß der Kosak seinen Kameraden in Stich gelassen oder
- verraten hätte. Sowohl die einen wie die andern sind unsere Kameraden;
- ob ihrer nun viele oder wenige sind, das ist ganz gleich, sie sind alle
- unsere Kameraden und uns alle gleich lieb und wert. Ich will also
- folgendes sagen: Diejenigen, denen die Gefangenen der Tataren besonders
- lieb sind, sollen sich an die Verfolgung der Tataren machen, die
- dagegen, denen die von den Polen Fortgeschleppten mehr am Herzen liegen,
- und die deren gerechte Sache nicht verlassen wollen, sollen hier
- bleiben. Der Hetman mag seiner Pflicht gemäß mit der einen Hälfte die
- Tataren verfolgen, die andere Hälfte aber soll sich unterdessen einen
- eigenen stellvertretenden Hetman wählen. Und für dieses Amt eignet sich,
- wenn ihr einem Graukopf folgen wollt, niemand besser, als Taraß Bulba.
- Es gibt keinen unter uns, der ihm an Mut und Tapferkeit gleich ist.«
- So sprach Bowdjug und verstummte; und alle Kosaken freuten sich, daß sie
- der Alte so auf den richtigen Weg gewiesen hatte. Alle warfen ihre
- Mützen in die Luft und riefen: »Dank dir, Väterchen! Du hast immer
- geschwiegen, und geschwiegen, du hast lange geschwiegen, und nun endlich
- hast du das einzig Richtige und Wahre gesagt. Du hast nicht vergebens
- erklärt, als du mit uns in den Feldzug zogst, daß du dem Kosakentum
- nützen könntest: Nun ist es wirklich so gekommen.«
- »Seid ihr damit einverstanden?« fragte der Hetman.
- »Ja, wir sind Alle einverstanden,« riefen die Kosaken.
- »Die Versammlung ist also beendet?«
- »Die Versammlung ist beendet,« riefen die Kosaken.
- »So vernehmt denn jetzt den Heeresbefehl, Kinder,« sagte der Hetman,
- trat vor und setzte die Mütze auf; und alle Saporoger, so viel ihrer da
- waren, nahmen die ihren ab und hörten ihn entblößten Hauptes und mit zu
- Boden gesenkten Blicken an, wie es bei den Kosaken Sitte war, wenn einer
- der Ältesten sprechen wollte. »Jetzt teilt euch in zwei Teile, ihr
- Herren und Brüder. Wer gehen will, begebe sich auf die rechte Seite, wer
- bleibt, auf die linke. Geht der größere Teil einer Abteilung mit, so
- folgt ihnen auch der Führer, ist es jedoch nur der kleinere Teil, so
- mögen sich die Übrigbleibenden einer anderen Abteilung anschließen.«
- Und Alle teilten sich in zwei Gruppen und stellten sich teils auf die
- rechte, teils auf die linke Seite. Wohin sich der größere Teil einer
- Abteilung begab, dahin folgte auch der Führer: kleinere Teile schlossen
- sich an die größeren Abteilungen an. Und es stellte sich heraus, daß
- beide Gruppen fast gleichstark waren. Folgende Abteilungen hatten sich
- zum Bleiben entschlossen: beinahe die ganze Abteilung Nesamaikow, die
- größere Hälfte der Abteilung Popowitsch, die ganze Abteilung Uman und
- Kanew, und die größere Hälfte der Steblikiwschen und Tymoschewschen
- Abteilungen. Die übrigen Abteilungen zogen es vor, die Tataren zu
- verfolgen. Auf beiden Seiten gab es viele tapfere und wackere Kosaken.
- Unter denen, die beschlossen hatten, den Tataren nachzujagen, befanden
- sich: ein wackerer, alter Kosak, Tscherewaty, ferner Pokotypole, Lemisch
- und Prokopowitsch Choma. Auch Demid Popowitsch hatte sich ihnen
- angeschlossen, denn er hatte eine recht hohe Meinung von sich und liebte
- es nicht, lange an ein und demselben Ort zu sitzen: er hatte sich nun
- mit den Polen gemessen, jetzt wollte er es wieder einmal mit den Tataren
- aufnehmen. Die Anführer der einzelnen Abteilungen waren folgende:
- Nostjugan, Pokryschka, Newylytschki und noch viele andere wackere und
- tapfere Kosaken, die Schwert und Kraft im Kampf gegen die Tataren
- erproben wollten. Aber nicht weniger tapfere und brave Kosaken waren
- unter denen, die da bleiben wollten: die Abteilungsführer Demytrowitsch,
- Kukubenko, Wertychwist, Balaban, Bulbenko und Ostap. Außer ihnen gab es
- da noch viele andere berühmte und gewaltige Kosaken: Wowtusenko,
- Tscherewytschenko, Stepan Guska, Ochrim Guska, Mykola Gustyj,
- Sadoroschny, Metelizja, Iwan Sakrutyguba, Mossy Schilo, Degtjarenko,
- Sydorenko, die drei Pissarenko und noch viele andere ausgezeichnete
- Kosaken, alles erfahrene, und erprobte Leute. Sie waren an den Küsten
- Anatoliens, in den Steppen der Krim, auf allen großen und kleinen
- Flüssen, die in den Dnjepr münden, und in den Schluchten und auf den
- Inseln dieses Flusses gewesen; sie hatten die Moldau, die Wallachei und
- die Türkei besucht, hatten das ganze schwarze Meer mit ihren
- zweiruderigen Kosakenbooten durchkreuzt und mit deren fünfzig die
- größten und reichsten Schiffe überfallen, nicht wenig Galeeren zum
- Kentern gebracht und viel, sehr viel Pulver in ihrem Leben verschossen.
- Oft genug hatten sie kostbare Seiden- und Sammetstoffe zerrissen um sich
- Fußlappen daraus zu verfertigen, und ihre Beutel am Hosengurt mit
- goldenen Zechinen vollgestopft. Und wieviel Geld und Gut jeder von ihnen
- schon vertrunken und verjubelt hatte, -- einem andern hätte es für das
- ganze Leben gereicht -- das war garnicht auszurechnen. Sie hatten nach
- Kosakenart alles verschwendet: alle Welt bewirtet, und Musikanten
- bestellt, damit alles, was da lebte, lustig sei! Noch jetzt hatten die
- meisten irgendwo Wertgegenstände vergraben: Becher, silbernes
- Trinkgeschirr und Armbänder, die sie im Schilf auf den Inseln des Dnjepr
- versteckt hielten, damit die Tataren sie nicht auffinden konnten, wenn
- es diesen gelingen sollte, die Sjetsch in einem unglücklichen Augenblick
- plötzlich zu überfallen. Aber es wäre den Tataren schwer geworden, diese
- Schätze zu finden, wußten doch oft die Besitzer selbst nicht mehr, wo
- sie sie vergraben hatten. Das waren die Kosaken, die da bleiben wollten,
- um die treuen Waffenbrüder und den christlichen Glauben an den Polen zu
- rächen. Der alte Kosak Bowdjug wollte gleichfalls mit ihnen
- zurückbleiben und sagte: »Ich bin nicht mehr jung genug, um hinter den
- Tataren herzulaufen; auch dies ist ein Platz, wo man einen ehrlichen
- Kosakentod sterben kann! Schon lange bete ich zu Gott, daß ich, wenn ich
- denn sterben soll, mein Leben im Kampf für die heilige Sache Christi
- hingeben dürfe. Nun ist es so gekommen. Einen schöneren Tod kann es für
- einen alten Kosaken nirgends geben.«
- Nachdem sie auseinandergegangen waren und sich in zwei Gruppen nach den
- Abteilungen aufgestellt hatten, schritt der Hetman die Reihen ab und
- sagte:
- »Nun ihr Herren und Brüder, sind die beiden Teile miteinander
- zufrieden?«
- »Wir sind alle zufrieden Väterchen,« riefen die Kosaken.
- »Nun, dann küßt euch und drückt euch zum Abschied die Hände, denn Gott
- weiß, ob ihr euch noch einmal im Leben wiederseht. Gehorcht eurem
- Hetman, und tut euer Bestes: ihr wißt ja selbst, was die Kosakenehre von
- euch fordert.«
- Und alle Kosaken, so viele ihrer waren, küßten einander. Die Führer
- machten den Anfang, sie strichen sich über ihre grauen Schnurrbärte und
- küßten sich dreimal, dann drückten sie sich die Hände und hielten sie
- lange fest, als ob sie sagen wollten: »Werden wir uns noch einmal wieder
- sehen, Herr Bruder oder nicht?«
- Sie sagten aber doch nichts, sondern schwiegen, und ihre grauen Köpfe
- versanken in Nachdenken. Auch die Kosaken nahmen Abschied von einander;
- alle insgesamt, denn sie wußten, daß es für beide Teile viel zu tun gab.
- Sie beschlossen aber, sich nicht sofort zu trennen, sondern bis zum
- Anbruch der Nacht zu warten, damit der Feind nichts davon merke, daß das
- Kosakenheer kleiner geworden sei. Dann begaben sich alle in die
- einzelnen Lager, um sich ihr Mittagsmahl zu bereiten.
- Nach der Mahlzeit legten sich alle, die nach Hause gehen wollten zur
- Ruhe nieder; sie schliefen lange und fest, wie wenn sie ahnten, daß dies
- das letzte Mal sei, wo sie sich als freie Männer auf freiem Felde
- ausschlafen konnten. Sie schliefen bis zum Sonnenuntergang: bei Anbruch
- der Dunkelheit aber standen sie auf, um ihre Wagen zu schmieren. Als sie
- fertig waren, schickten sie die Wagen voraus, sie selbst aber grüßten
- ihre Kameraden nochmals mit den Mützen und schritten langsam und still
- hinter den Wagen her; die Berittenen zogen in guter Ordnung, ohne die
- Pferde durch Schreien und Pfeifen anzuspornen, hinter den Fußgängern
- her, und bald waren sie in der Dunkelheit verschwunden. Nur hie und da
- hörte man noch das dumpfe Pferdegetrappel und hin und wieder das Knarren
- eines Rades herüberschallen, das noch nicht recht in Gang gekommen oder
- während der nächtlichen Dunkelheit schlecht geschmiert worden war.
- Und lange noch winkten ihnen die zurückgebliebenen Kameraden zu,
- obgleich nichts mehr von ihnen zu sehen war. Als sie aber zu ihren
- Lagerplätzen zurückgekehrt waren, und als sie bei dem sternhellen Himmel
- sahen, daß die gute Hälfte der Wagen nicht mehr da war, und daß viele
- ihrer Brüder fehlten, da wurde es ihnen traurig und bang ums Herz, sie
- wurden unwillkürlich nachdenklich und ließen ihre unruhigen Köpfe
- herabsinken.
- Taraß sah, wie schwermütig die Kosaken wurden, und wie sich ihrer Köpfe
- eine gewisse Verzagtheit, die eines tapferen Mannes unwürdig ist,
- bemächtigte; aber er schwieg, er wollte ihnen Zeit lassen, bis sie sich
- an den Schmerz gewöhnten, den der Abschied der Kameraden in ihnen
- hervorgerufen hatte. Im stillen nahm er sich jedoch vor, sie plötzlich
- durch den Kosaken-Kriegsruf aufzurütteln, um ihrer Seele wieder neuen
- frischen Mut und neue Stärke einzuflößen. Jene Stärke, deren nur die
- slavische Rasse fähig ist, diese weitherzige, mächtige Rasse, die sich
- zu den andern Rassen verhält, wie das Meer zu einem seichten Flüßchen.
- Wenn die Zeit stürmisch ist, dann bricht es in ein dröhnendes Gebrüll
- und Gedonner aus und wirft und türmt gewaltige Wogenmassen auf, wie es
- ein kraftloser Fluß nie vermag; wenn aber Windstille und Ruhe herrscht,
- dann streckt es seine unabsehbare, klare Spiegelfläche aus: den Augen
- ein ewiges Labsal, und klarer und reiner als je einer der Flüsse.
- Taraß befahl seinen Dienern, einen Wagen, der gesondert dastand,
- auszupacken. Es war der größte und stärkste von allen Kosakenwagen.
- Seine Räder waren mit doppelten mächtigen Reifen beschlagen, er war hoch
- beladen, mit Decken und starken Ochsenfellen bespannt und mit gut
- geteerten Stricken umwunden. Im Innern befanden sich Gefäße und Fässer
- mit gutem alten Wein, der lange in Taraß' Kellern gelagert hatte. Er
- hatte diesen Vorrat für einen feierlichen Augenblick aufgespart, damit
- ein jeder Kosak -- wenn der große Augenblick gekommen war und große
- Taten winkten, die würdig waren, der Nachwelt überliefert zu werden --
- einen köstlichen Schluck dieses verbotenen Trunkes koste, auf daß der
- große Moment in dem Menschen auch ein großes Gefühl auslöse. Auf den
- Befehl des Obersten liefen die Knechte sofort zu den Wagen, hieben mit
- ihren Säbeln die dicken Stricke durch, nahmen die starken Ochsenhäute
- und Decken ab und zogen die Gefäße und Fässer vom Wagen herunter.
- »Nehmt nur alle,« sagte Bulba, »alle, so viele ihr seid, ein jeder
- nehme, was er bei der Hand hat: einen Becher, einen Eimer, mit dem er
- sonst sein Pferd tränkt, einen Fausthandschuh oder die Mütze, oder wenn
- es gar nicht anders geht, so haltet einfach die Hände unter.«
- Und alle Kosaken, soviel ihrer da waren, taten, wie Taraß ihnen gebot;
- der eine hielt einen Becher unter, ein anderer einen Eimer, aus dem er
- sonst sein Pferd tränkte, ein dritter seinen Fausthandschuh und wieder
- andere die Mütze, viele aber hielten einfach beide Hände hin. Und Taraß'
- Knechte schenkten ihnen allen den Wein aus Gefäßen und Fässern ein.
- Allein Taraß gebot ihnen, nicht eher davon zu kosten, als bis er ihnen
- ein Zeichen gäbe, damit alle den Wein auf einmal austränken. Man sah es
- ihm an, daß er etwas sagen wollte. Taraß wußte, daß, so stark auch die
- Wirkung an und für sich ist, die ein guter alter Wein auf das Gemüt des
- Menschen ausübt, und so sehr er ihn ermutigt und belebt, der Einfluß des
- Trunkes auf Geist und Gemüt noch doppelt so stark ist, wenn er von einem
- guten Wort begleitet wird. »Ich habe Euch nicht deshalb zu diesem Trunke
- eingeladen, werte Herren und Brüder,« sprach Bulba, »weil ihr mich zu
- euerem Führer erwählt habt, so sehr ich mir das auch zur Ehre anrechne,
- und auch nicht um den Abschied von unseren Kameraden zu feiern, -- das
- würde sich wohl in anderen Zeiten besser geziemen als gerade in diesem
- Augenblick. Große, schwere Taten, edlen Schweißes wert, harren unser,
- Taten, die den gewaltigen Mut der Kosaken erfordern! Und darum,
- Kameraden, laßt uns den Wein austrinken auf einen Zug: vor allem auf den
- heiligen christlichen Glauben, damit endlich die Zeit kommt, wo sich der
- eine wahre und heilige Glaube über den ganzen Erdboden verbreite und
- alle Mohammedaner, soviel ihrer auch sind, gläubige Christen werden. Und
- zugleich laßt uns auf die Sjetsch trinken, auf daß diese noch lange
- bestehen möge zum Schrecken und Verderben der Mohammedaner, und auf daß
- alle Jahre recht viele brave Kosaken, einer tüchtiger und schöner als
- der andere, aus ihr hervorgehen mögen. Und endlich laßt uns auch gleich
- auf unsern eigenen Ruhm trinken, auf daß Kinder und Kindeskinder sich
- von uns erzählen, daß es einst Kosaken gegeben habe, die nicht Verrat
- geübt an der Freundschaft und die eigenen Waffenbrüder nicht in Stich
- gelassen haben! Also es lebe der Glaube, werte Herren. Es lebe der
- Glaube!«
- »Es lebe der Glaube!« donnerten alle, die in den vordersten Reihen
- standen mit ihren tiefen Baßstimmen los. »Auf unsern Glauben!« fielen
- auch die ferner Stehenden ein, und alle Anwesenden, die Alten und die
- Jungen, leerten die Becher auf ihren Glauben.
- »Auf die Sjetsch!« sagte Bulba und hob den Arm hoch über den Kopf empor.
- »Auf die Sjetsch!« riefen die in den vordersten Reihen mit lauter
- Stimme. »Auf die Sjetsch!«, sagten die Alten leise und strichen sich die
- grauen Schnurrbärte; und die Jungen wiederholten wie ein junger Falke,
- der aus dem Schlafe erwacht: »Auf die Sjetsch!« -- und weithin drang
- über das Feld der Ruf, mit dem die Kosaken ihrer Sjetsch gedachten.
- »Jetzt noch einen letzten Trunk, Kameraden: auf unsere Ehre und unseren
- Ruhm und auf alle Christen, die in der Welt leben!«
- Und alle Kosaken, vom ersten bis zum letzten, tranken den letzten
- Schluck auf Ehre und Ruhm und auf alle Christen, die irgendwo in der
- Welt lebten. Und lange noch wiederholten die einzelnen Gruppen und
- Abteilungen:
- »Auf das Wohl aller Christen, die in der Welt leben!«
- Die Becher waren geleert, doch noch immer standen die Kosaken mit
- erhobenen Händen da; allein wenn auch der Wein ihre Augen heller und
- freudiger glänzen machte, -- sie waren doch immer noch ernst und
- nachdenklich. Nicht an Beute und Kriegsglück dachten sie jetzt, auch
- nicht daran, ob ihnen wohl goldene Dukaten, kostbare Waffen, gestickte
- Röcke und Tscherkessenpferde beschieden sein würden: sie saßen sinnend
- da wie eine Schar von Adlern, die sich hoch oben auf den Spitzen
- steinerner Felsen und steiler Berge niedergelassen haben, von wo aus man
- das weite grenzenlose Meer erblickt, wie es mit Galeeren, Segelschiffen
- und allerlei Fahrzeugen, gleichwie mit kleinen Vögeln, besät ist, -- das
- Meer mit seinen in der Ferne verschwimmenden Meerbusen und Gestaden, mit
- Städten, die wie Fliegen, und mit Wäldern, deren Bäume wie niedrige
- Grashalme aussehen. Mit Adlerblick überschauten sie die ganze Ebene und
- ihr von ferne winkendes Schicksal. Einst würde das ganze weite Feld, mit
- all seinen Wegen und Verstecken, mit nackten weißen Kosakenknochen
- bedeckt sein, und auf dem von Kosakenblut gedüngten Boden würde man
- zertrümmerte Wagen, zerbrochene Säbel und Lanzen erblicken; überall
- würden dicht behaarte Köpfe mit zerzausten und blutigen Mähnen und tief
- herabhängenden Schnurrbärten herumliegen, die Adler würden sich auf die
- Leichen stürzen und ihnen mit ihren Schnäbeln die Kosaken-Augen
- heraushacken. Aber wie schön und herrlich war doch trotz allem ein so
- weites, freies Sterbelager! Keine ihrer großen Taten würde vergessen
- werden, und der Kosakenruhm würde nie vergehen und nie sich verlieren
- wie die kleine Kugel, die den Flintenlauf verlassen hat. Ein
- Bandura-Spieler mit einem weißen, bis an den Gürtel reichenden Bart
- würde einst von ihm singen oder vielleicht auch ein weißhaariger Greis,
- der aber noch immer ein Bild kraftvoller männlicher Schönheit ist: ein
- Wahrsager und Prophet, würde er mit gewaltigen, mächtigen Worten von ihm
- künden! Und weithin über die Welt würde sich der Ruhm der Kosaken
- verbreiten, und alle, die nach ihnen geboren würden, würden von ihnen
- reden. Denn leicht verbreitet sich ein gewaltiges Heldenwort, leicht wie
- der Ton aus schallendem Glockenerz, in das der Meister viel köstliches
- und reines Silber gemischt hat, auf daß der herrliche Klang in alle
- Städte und Dörfer, Paläste und Hütten dringe, und alle Christen zum
- heiligen Gebete rufe.
- Neuntes Kapitel
- In der Stadt hatte noch niemand etwas davon erfahren, daß die Hälfte der
- Saporoger abgezogen war, um die Tataren zu verfolgen. Vom Rathausturm
- bemerkte man allerdings, daß ein Teil der Wagen hinter dem Walde
- verschwunden war, allein man glaubte, daß die Kosaken den Leuten in der
- Stadt einen Hinterhalt legen wollten, und so dachte auch der welsche
- Ingenieur. Mittlerweile aber hatte sich die Meinung des Hetmans
- bestätigt: in der Stadt machte sich wieder ein großer Mangel an
- Lebensmitteln bemerkbar: wie stets in diesen Zeiten, so hatte man es
- auch diesmal nicht für nötig gehalten, die Bedürfnisse des Heeres im
- voraus zu berechnen. So versuchte man denn, einen Ausfall aus der Stadt
- zu machen -- indes die Hälfte der Waghalsigen wurde auf der Stelle von
- den Kosaken niedergemacht, und die andern wurden mit leeren Händen in
- die Stadt zurückgeschickt. Die Juden aber wußten den Ausfall gut
- auszunutzen: sie kriegten alles heraus: wohin und weshalb die Saporoger
- fortgezogen waren, welche Führer, welche Abteilungen und wieviel Leute
- an Ort und Stelle zurückgeblieben waren, und was sie zu tun
- beabsichtigten -- kurz, man war in der Stadt bald darauf aufs genaueste
- über alles unterrichtet.
- Die Führer schöpften neuen Mut und entschlossen sich, den Kosaken eine
- Schlacht zu liefern. Taraß erriet diese Absicht schon an dem Lärm und
- der Bewegung in der Stadt, worauf auch er schnell alle Anstalten traf,
- alle nötigen Befehle und Anordnungen gab und die einzelnen Abteilungen
- in drei Lager teilte, indem er sie von Proviantwagen wie mit
- Festungswällen umstellen ließ, -- eine Kampfart, in der die Saporoger
- unbesieglich waren. Zwei Abteilungen befahl er, sich in den Hinterhalt
- zu legen, und einen Teil des Feldes ließ er mit spitzen Pfeilen,
- zerbrochenen Säbeln und Lanzen spicken, um, wenn es glücken sollte, die
- feindliche Reiterei hineinzujagen. Als alles aufs trefflichste instand
- gesetzt war, hielt er eine Ansprache an die Kosaken: nicht etwa um sie
- zu ermutigen oder anzufeuern -- er wußte, daß sie auch ohnedies mutig
- und tapfer genug waren, sondern einfach weil er selbst einmal
- aussprechen wollte, was er auf dem Herzen hatte.
- »Werte Herren, ich will euch sagen, was unsere Kameradschaft bedeutet.
- Ihr habt von den Vätern und Großvätern vernommen, wie unser Land überall
- geehrt wurde: die Griechen haben es kennen gelernt, und von
- Konstantinopel erhielt es Dukaten als Tribut; es hatte herrliche Städte,
- Kirchen und Fürsten -- Fürsten von altem russischen Adel, seine eigenen
- Fürsten und nicht katholische Ketzer. Und nun haben uns die Ungläubigen
- alles geraubt, und es ist alles verloren gegangen: nur wir arme Waisen
- sind übrig geblieben -- und wie eine Witwe, deren starker Mann
- dahingegangen ist, ist auch unser Land verwaist und schutzlos geworden.
- In einer solchen Zeit haben wir uns die Hände gereicht, Kameraden, um
- Brüderschaft miteinander zu schließen! Und das ist es, worauf unsere
- Kameradschaft gegründet ist! Es gibt keine heiligeren Bande als die der
- Waffenbrüderschaft; der Vater liebt sein Kind, die Mutter liebt ihr
- Kind, das Kind liebt Vater und Mutter, doch was bedeutet das alles,
- Brüder? Auch das Tier liebt ja sein Junges! Eine _Seelen_gemeinschaft
- die noch über die Blutsbande hinausgeht, die kann nur bei _Menschen_
- bestehen! Auch in andern Ländern haben treue Freunde und Kameraden
- zusammengehalten, aber nirgends noch gab es solche, wie die russische
- Erde sie hervorbrachte. Viele von euch haben lange, lange Zeit in der
- Fremde geschmachtet, gewiß, auch dort gibt es Menschen -- auch sie sind
- von Gott erschaffen worden, und man kann mit ihnen sprechen wie mit
- seinesgleichen. Aber wenn es sich um Worte handelt, die die ganze Seele
- aufrühren, da merkt man sofort den Unterschied! Gewiß, es sind kluge
- Leute, und doch fehlt es ihnen an etwas, es sind Menschen wie wir, und
- doch ganz anders geartet. Nein Brüder, so lieben, wie ein russisches
- Herz es kann -- ich meine nicht mit dem _Verstande_ oder irgend etwas
- Ähnlichem, sondern mit allem, was uns Gott gegeben hat, mit alledem, was
- im Menschen verborgen ist -- ah,« sagte Taraß, indem er die Hand sinken
- ließ, sein graues Haupt schüttelte und mit dem Schnurrbart zuckte,
- »nein, so kann kein anderer lieben! Ich weiß wohl, es sind jetzt
- schlimme Sitten in unser Land gedrungen, alle Leute denken nur an ihre
- Heuschober, ihre Kornspeicher, ihre Roßherden und legen den allergrößten
- Wert darauf, daß die versiegelten Metflaschen in ihren Kellern nur ja
- unberührt bleiben; sie nehmen der Teufel weiß was für heidnische Sitten
- an, verachten ihre eigene Sprache und wollen kaum noch mit ihren eigenen
- Stammesgenossen sprechen, ja sie verkaufen den eigenen Bruder wie irgend
- ein seelenloses Vieh, das man auf dem Markte feilbietet. Die Gunst eines
- fremden Königs, ja nicht einmal eines Königs, sondern nur das
- schmähliche Wohlwollen eines polnischen Magnaten, der sie mit seinen
- gelben Stiefeln ins Gesicht schlägt, liegt ihnen mehr am Herzen als alle
- Brüderschaft. Aber auch im letzten Lumpen, so niedrig und gemein er auch
- sein mag, selbst wenn er sich noch so sehr in Staub, Schmutz und
- Unterwürfigkeit wälzt, auch in ihm, Brüder, lebt noch ein Fünkchen
- russischen Gefühls, und der Tag kommt, an dem er wieder erwacht und zur
- Besinnung kommt; dann wird er sich wie ein Verzweifelter gegen die Brust
- schlagen, sich am Kopfe fassen, sein schändliches Leben laut verfluchen,
- und seine schmachvolle Tat mit tausend Qualen sühnen wollen. So mögen
- sie denn alle wissen, was die Kameradschaft in russischen Landen
- bedeutet! Und wenn es denn gilt, zu sterben, so wird niemand von ihnen
- so zu sterben wissen wie wir. Niemand, niemand! Das bringt ihre
- Mäusenatur nicht fertig!«
- So sprach der Hauptmann, und als er seine Rede beendet hatte, schüttelte
- er noch lange sein silberweißes Haupt, das in den vielen Kosakenzügen
- ergraut war.
- Alle Umstehenden hatte seine Rede aufs tiefste ergriffen und bis ins
- Innerste erschüttert. Die Ältesten verharrten in völliger
- Bewegungslosigkeit, sie hatten ihre grauen Häupter zu Boden gesenkt, und
- in ihren alten Augen glänzte eine verstohlene Träne, die sie langsam mit
- dem Ärmel fortwischten. Dann aber erhoben sie alle wie auf Verabredung
- gleichzeitig die Hände und schüttelten die greisen Häupter.
- Der alte Taraß mußte wohl mancherlei Vertrautes und Schönes wachgerufen
- haben, das tief im Herzen der Menschen schlummert, eines Menschen, der
- durch Not, Mühsal, Leichtsinn und allerhand Mißgeschick klüger geworden
- ist oder der zwar noch nicht alles erfahren, aber doch in seiner jungen
- reinen Seele vieles empfunden hat, zur Freude seiner greisen Eltern, die
- ihn erzeugt haben.
- Doch schon kam das feindliche Heer aus der Stadt herangezogen, die
- Pauken und Posaunen dröhnten, und die Ritter nahten, die Hände in die
- Seiten gestemmt, auf ihren stolzen Rossen, umgeben von zahllosen
- Reisigen. Der dicke Oberst teilte Befehle aus. Ohne Verzug rückten die
- Polen gegen die Kosakenlager vor und legten drohend ihre Gewehre an,
- wobei ihre Augen zornig funkelten und ihre Kupferrüstungen glänzten.
- Kaum hatten die Kosaken gesehen, daß sie nur noch auf Schußweite
- entfernt waren, so ergriffen auch sie ihre sechs Fuß langen Gewehre und
- eröffneten ein ununterbrochenes Feuer. Das dumpfe Knattern tönte über
- alle Wiesen und Felder und wuchs zu einem beständigen Donner an. Das
- ganze Schlachtfeld war in Rauch gehüllt, aber die Saporoger fuhren fort
- zu schießen, ohne auch nur die geringste Pause eintreten zu lassen, die
- hinteren Reihen taten hierbei nichts, als daß sie die Gewehre luden, die
- sie den vorderen reichten, worüber der Feind aufs äußerste bestürzt war,
- da er nicht begreifen konnte, wie die Kosaken zum Schuß kämen, ohne die
- Gewehre zu laden. Infolge des dichten Rauchs, der beide Heere einhüllte,
- war es völlig unmöglich, wahrzunehmen, wie bald der eine, bald der
- andere in den Reihen fehlte; doch die Polen fühlten sehr wohl, daß ein
- wahrer Kugelregen auf sie niederprasselte, und daß der Kampf sehr ernst
- wurde; als sie sich ein wenig zurückzogen, um aus dem Pulverrauche
- herauszukommen, und sich ein wenig umsahen, merkten sie, daß in ihren
- Reihen viele fehlten, während bei den Kosaken höchstens zwei oder drei
- vom Hundert gefallen waren. Die Kosaken aber setzten ihr Gewehrfeuer
- unablässig fort, ohne auch nur einen Augenblick inne zu halten.
- Selbst der ausländische Ingenieur wunderte sich über diese noch nie
- gesehene Kampfart und erklärte laut und vor allen Leuten:
- »Wackere Kerls diese Saporoger! So sollte man überall kämpfen, auch in
- anderen Ländern.« Und er riet, unverzüglich die Kanonen auf das Lager zu
- richten. Dumpf brüllten die Kanonen aus ihren weiten ehernen Schlünden,
- weithin und dröhnend erbebte der Erdboden, und das ganze Schlachtfeld
- hüllte sich in noch dichteren Pulverdampf. In den Straßen und Plätzen
- der benachbarten und entfernteren Städte machte sich der Pulvergeruch
- bemerkbar, allein die Polen hatten zu hoch gezielt: die glühenden Kugeln
- beschrieben einen zu großen Bogen, flogen mit schrecklichem Getöse über
- die Köpfe des gesamten Lagers hinweg und bohrten sich tief in den Boden
- ein, wobei sie das schwarze Erdreich völlig aufwühlten und hoch in die
- Luft schleuderten. Angesichts einer solchen Ungeschicklichkeit raufte
- sich der welsche Kriegskünstler die Haare und begann die Kanonen nun
- selbst zu richten, ohne darauf zu achten, daß die Kosaken ununterbrochen
- feuerten.
- Taraß hatte von weitem die Gefahr bemerkt, die der ganzen Abteilung
- Nesamaikow und Steblikiw drohte, und rief mit dröhnender Stimme: »Alle
- Mann hinter den Wagen vor, und sofort auf die Pferde!« Allein die
- Kosaken hätten kaum noch Gelegenheit gehabt, das eine oder das andere zu
- tun, wenn nicht Ostap sich mitten in die Schlachtreihe des Feindes
- gestürzt hätte: hierbei schlug er sechs Kanonieren die Lunten aus den
- Händen, bei vier anderen mißglückte ihm jedoch dieser waghalsige
- Versuch, und die Polen trieben ihn wieder zurück. Nun aber ergriff der
- ausländische Hauptmann selbst die Lunte, um sie an ein Riesengeschütz zu
- legen, wie es noch keiner von den Kosaken bisher gesehen hatte: Es bot
- mit seinem furchtbaren Schlunde einen schrecklichen Anblick dar, und
- hundert Tode blickten aus ihm hervor. Und als es erdröhnte und zugleich
- mit ihm noch drei andere ihren ehernen Mund öffneten, und ein vierfacher
- Stoß den ganzen Erdboden erschütterte -- welch entsetzliches Unheil
- richteten sie da an! Wie viele Kosaken blieben auf der Walstatt! Manch
- alte Mutter sollte ihren gefallenen Sohn beklagen und mit den knochigen
- Händen ihren welken Busen schlagen! Wie viele Witwen in Gluchow,
- Nemirow, Tschernigow und in anderen Städten sollten ihre Männer
- beweinen! Tag für Tag sollten die Bräute auf den Markt hinauslaufen,
- jeden Vorübergehenden festhalten und ihm in die Augen blicken, ob sich
- nicht der unter ihnen befindet, der ihr der Liebste ist! Aber viele
- Soldaten sollten durch die Stadt ziehen, doch der über alles Geliebte
- sollte nicht unter ihnen sein!
- Die Hälfte der Abteilung Nesamaikow war wie weggeblasen. Wie der Hagel
- ein ganzes Erntefeld niedermäht, aus dem jede Ähre gleich einem
- vollwertigen Dukaten glänzt, so wurden sie erschlagen und
- niedergestreckt!
- Wie da aber die Kosaken vorwärtsstürmten! Wie sie sich alle auf den
- Feind stürzten! Der Hauptmann Kukubenko schäumte vor Wut, als er sah,
- daß die Hälfte seiner Leute nicht mehr da war. Mitten ins feindliche
- Zentrum warf er sich jetzt mit dem Rest seiner Abteilung. Den ersten,
- der ihm begegnete, hieb er in seiner Wut in Stücke zusammen; zahllose
- Ritter stürzte er von ihren Rossen, indem er Roß und Reiter mit seiner
- Lanze durchbohrte: schon hatte er sich bis zu den Kanonieren
- durchgeschlagen und sich einer Kanone bemächtigt, als er sah, daß die
- Befehlshaber der Abteilungen Uman und Stephan Guska die Riesenkanone
- fortschleppten. Er überließ dies also jenen Abteilungen und sprengte mit
- den Seinen in den feindlichen Haufen zurück. Und immer öffnete sich eine
- Gasse, wo sich die Krieger von Nesamaikow zeigten! Wo sie eine Wendung
- machten, da tat sich eine Straße auf. Man sah, wie die Reihen der Polen
- sich immer mehr lichteten und wie ein Haufen nach dem andern niedersank.
- In der Nähe der Wagen stand Wowtusenko, vor ihm Tscherewitschenko,
- hinter dem letzten Wagen Degtarenko und noch weiter zurück der
- Abteilungsführer Wertychwist. Zwei Edelleute hatte Degtarenko bereits
- mit seiner Lanze durchbohrt und war jetzt an den dritten geraten, der
- sich so leicht nicht ergeben wollte. Dieser Pole war äußerst gewandt und
- stark, er trug eine prachtvolle Rüstung, und fünfzig Krieger bildeten
- sein Gefolge.
- Er versetzte Degtarenko einen gewaltigen Streich, warf ihn zu Boden und
- schrie jetzt, den Säbel hoch über ihm schwingend: »Ihr Hunde von
- Kosaken, es gibt keinen unter euch, der es mit mir aufzunehmen wagte!«
- »Doch, es gibt einen,« sagte Mossy Schilo und trat vor. Er war ein
- starker Kosak, der die Kosaken schon oft zu Wasser befehligt und schon
- manches Mißgeschick erlebt hatte. Die Türken hatten ihn und seine Leute
- einst bei Trapezunt ergriffen und sie alle als Sklaven auf die Galeere
- geschleppt; ganze Wochen lang hatten sie ihnen kein Brot gegeben und sie
- ekles Meerwasser trinken lassen. Allein die armen Sklaven erlitten und
- ertrugen alles, nur um ihren heiligen Glauben nicht abzuschwören. Der
- Hauptmann, Mossy Schilo, vermochte jedoch diesen Zustand nicht mehr zu
- ertragen: er trat das heilige Gebot mit Füßen, schlang den abscheulichen
- Turban um sein sündiges Haupt und gewann dadurch das Vertrauen des
- Paschas, der ihn zum Schließer und Oberaufseher über das Schiff und alle
- Sklaven machte. Da wurden die armen Sklaven sehr traurig; sie wußten,
- wenn ein Bruder den Glauben verrät und zu den Bedrückern übergeht, dann
- wird es unter seiner Herrschaft noch viel schlimmer als unter der eines
- Ungläubigen. Und so kam es auch. Mossy Schilo legte allen neue Ketten
- an, schloß je drei zusammen, fesselte sie mit furchtbaren Stricken, die
- sich bis auf die weißen Knochen ins Fleisch einschnitten und versetzte
- ihnen kräftige Hiebe über Nacken und Kopf. Als jedoch die Türken voller
- Freude, daß sie einen solchen Aufseher gewonnen hatten, ihre religiösen
- Vorschriften vergaßen, sich zum Schmausen niederließen und sich ganz
- sinnlos betranken, da trug Mossy Schilo alle vierundsechzig Schlüssel
- herbei und gab sie den Gefangenen, ließ sie ihre Ketten aufschließen,
- die Fesseln ins Meer werfen, statt ihrer einen Säbel in die Hand nehmen
- und alle Türken niedermetzeln. Die Kosaken machten eine große Beute und
- kehrten ruhmbedeckt in die Heimat zurück; und lange noch sangen die
- Bandurenspieler von Mossy Schilo. Man hätte ihn wohl zum Hetman gewählt,
- wenn er nicht ein so seltsamer Kosak gewesen wäre. Manchmal vollführte
- er Dinge, die auch dem Weisesten nicht eingefallen wären; ein anderes
- Mal plagte ihn einfach der Teufel. Er vertrank und verjubelte alles, was
- er besaß; in der Sjetsch war er jedem etwas schuldig, und dazu kam noch,
- daß er einmal einen Diebstahl begangen hatte -- wie ein gewöhnlicher
- Straßenräuber. Eines Nachts stahl er eine vollständige Kosakenausrüstung
- aus einer benachbarten Abteilung und gab sie einem Schenkwirt zum Pfand.
- Wegen dieser schimpflichen Tat wurde er auf den Markt geschleppt, an
- einen Pfahl gebunden, und es wurde ein Knittel neben ihn gelegt, mit dem
- ihm jeder einen kräftigen Schlag versetzen mußte; es fand sich aber
- keiner unter den Saporogern, der den Knittel wider ihn erhoben hätte:
- denn sie gedachten alle seiner früheren Verdienste. So war der Kosak
- Mossy Schilo.
- »Es gibt doch noch Männer, ihr Hunde, die euch niederzuhauen wissen«,
- sagte er und fiel über den Polen her. Und beide hieben wild aufeinander
- los. Die Schulterstücke und Brustharnische verbogen sich unter ihren
- Schlägern. Der wütende Pole spaltete ihm den eisernen Panzer, und sein
- Schwert drang tief in seinen Körper. Das Hemd des Kosaken färbte sich
- blutrot, aber Schilo achtete nicht darauf: er hob seinen sehnigen Arm
- (und wie schwer war dieser stämmige Arm!) und versetzte dem Polen einen
- furchtbaren Hieb, der ihn betäubte. Der kupferne Helm flog in Stücke,
- der Pole schwankte und fiel zu Boden, und Schilo schickte sich gerade
- an, dem Betäubten den Garaus zu machen; -- ach hätte er doch den Feind
- nicht vollends totgeschlagen und sich lieber umgedreht! Allein der Kosak
- tat es nicht, im selben Augenblick aber stieß ihm einer der Leute des
- Erschlagenen sein Messer in den Hals. Schilo drehte sich um und hätte
- den Waghalsigen vielleicht noch erreicht, aber er verschwand rechtzeitig
- im Pulverdampf. Unterdessen knatterten von allen Seiten die
- Luntenbüchsen, Schilo schwankte, er fühlte, daß seine Wunde tödlich war.
- Er sank nieder, preßte die Hand an die Wunde, wandte sich an seine
- Kameraden und schrie: »Lebt wohl, werte Herren und Waffenbrüder! Möge es
- ewig leben, das rechtgläubige Rußland, und ewig sei sein Ruhm und seine
- Ehre!« Er schloß die brechenden Augen, und die Kosaken-Seele entfloh aus
- dem rauhen Kriegerleib. Da aber kam Sadoroschny mit seinen Leuten
- herangerast, auch der Hauptmann Wertychwist durchbrach die Reihen, und
- Balaban machte sich zum Angriff bereit.
- »Hallo, ihr Herren,« rief Taraß zu den Hauptleuten herüber, »habt ihr
- noch Pulver in den Hörnern? Ist eure Kosakenkraft noch nicht erlahmt?
- Steht der Kosak noch fest und beugt er sich nicht?«
- »Noch ist Pulver in den Hörnern, Väterchen, noch ist die Kosakenkraft
- umgebrochen, und noch steht der Kosak fest und beugt sich nicht!«
- Und die Kosaken drangen heftig auf den Feind ein und brachten die Reihen
- des Gegners in Verwirrung. Der kleine Hauptmann ließ die Trommel rühren
- und acht bunte Fahnen aufrollen, um seine Leute, die über das ganze Feld
- zerstreut waren, wieder zusammenzubringen. Die Polen strömten den
- Bannern zu, kaum hatten sie sich jedoch wieder in Reih und Glied
- aufgestellt, als der Hauptmann Kukubenko mit seinen Leuten wieder in das
- Zentrum einfiel und sich ohne weiteres auf den dicken Hauptmann stürzte.
- Der hielt nicht stand, wandte sein Pferd und galoppierte davon, allein
- Kukubenko setzte ihm weit über das Feld nach und verlegte ihm den Weg zu
- dem Heere. Als Stephan Guska das auf dem linken Flügel bemerkte,
- sprengte er seinerseits herbei, um ihm behilflich zu sein; den Kopf auf
- den Hals des Pferdes gebeugt und eine Schlinge in der Hand, so wartete
- er einen günstigen Augenblick ab und warf dem Polen plötzlich die
- Schlinge um den Hals: der Hauptmann wurde rot, griff mit beiden Händen
- nach dem Strick und suchte ihn zu zerreißen, aber da bohrte ihm der
- Kosak mit einem kraftvollen Stoß die tödliche Lanze in den Leib, und
- festgenagelt blieb jener am Boden liegen. Aber auch Guska stand nichts
- Gutes bevor. Die Kosaken hatten kaum Zeit, sich umzusehen, da drangen
- ihm schon vier Lanzen in den Leib. Er vermochte gerade noch die Worte
- hervorzubringen:
- »Mögen doch alle Feinde untergehen, und möge das russische Reich ewig,
- ewig blühen und gedeihen!« -- dann verschied er.
- Die Kosaken sahen sich um, hei, wie da Meteliza den Polen zusetzte und
- bald den einen, bald den andern niederschlug; von der andern Seite her
- rückt der Hauptmann Newelytschki mit seinen Leuten heran; bei dem Wagen
- steht Sagruriguba und teilt Hieb auf Hieb aus: noch weiter zurück hat
- Pissarenko der Dritte bereits eine ganze Schar in die Flucht getrieben,
- und an einer andern Stelle ist man schon handgemein und kämpft hoch oben
- auf den Wagen.
- »Hallo, meine Herren,« rief hier der Hauptmann Taraß, der allen
- voranritt, »ist noch Pulver in den Hörnern? Ist die Kosakenkraft noch
- ungebrochen? Stehen die Kosaken noch fest und beugen sie sich nicht?«
- »Noch ist Pulver in den Hörnern, Väterchen! Die Kosakenkraft ist noch
- ungebrochen, noch stehen die Kosaken fest, noch beugen sie sich nicht.«
- Schon war Bowdjug vom Wagen gefallen. Eine Kugel hatte ihn gerade in das
- Herz getroffen, aber er raffte noch einmal seine ganze Kraft zusammen
- und rief: »Ich trauere nicht, daß ich Abschied von der Welt nehmen muß!
- Gott gebe jedem ein solches Ende! Hoch lebe Rußland bis in alle
- Ewigkeit!« Und Bowdjugs Seele stieg zum Himmel empor, um den längst
- hinübergegangenen Genossen zu berichten, wie man in Rußland zu kämpfen,
- und vor allem, wie man dort für den heiligen Glauben zu sterben weiß!
- Bald darauf stürzte auch der Hauptmann Balaban zu Boden. Er hatte drei
- tödliche Wunden erhalten: eine von einer Lanze, eine von einer Kugel und
- eine von einem schweren Säbel. Und war doch einer der wackersten Kosaken
- gewesen! Er war Hetman und hatte viele Züge zur See unternommen, vor
- allen aber war sein Zug an die Küsten Anatoliens berühmt. Viele Zechinen
- hatten sie damals erbeutet, kostbare türkische Stoffe, Gewebe und
- allerlei Schmuck. Aber auf der Heimfahrt traf sie großes Unheil. Die
- Ärmsten kamen plötzlich unter den Regen der türkischen Geschosse. Es
- hagelte nur so auf sie los, die Hälfte ihrer Schiffe und Kähne kenterte,
- und viele Kosaken stürzten ins Wasser, jedoch das an den Seiten der
- Fahrzeuge befestigte Schilf rettete sie vor dem Untergange. Balaban
- ruderte mit Aufbietung aller Kräfte vorwärts, immer mitten in der Sonne,
- und ward so unsichtbar für das türkische Schiff. Die ganze Nacht
- schöpften er und seine Leute mit Schaufeln und Mützen das Wasser aus den
- Boten und besserten die beschädigten Stellen aus. Dann machten sie sich
- Segel aus ihren weißen Kosakenhosen, setzten sich in die Kähne und
- entkamen so den schnellsten türkischen Schiffen. Sie erreichten nicht
- nur unversehrt die Sjetsch, sondern brachten auch dem Archimandriten des
- Klosters Meschigorsk zu Kiew noch ein goldgesticktes Amtsgewand und
- einen Rahmen aus reinem Silber für den heiligen Pokrow in der Sjetsch
- mit. Und lange noch rühmten die Bandurenspieler die Geschicklichkeit und
- das Glück der Kosaken ... Da er den Tod herannahen fühlte, senkte er das
- Haupt und murmelte leise: »Mir scheint, ihr Brüder, ich sterbe einen
- schönen Tod. Sieben Feinde habe ich in Stücke gehauen, neun mit der
- Lanze durchstoßen, viele hat mein Pferd niedergetreten, und ich weiß
- nicht mehr, wieviele meine Kugel getroffen hat ... So möge denn das
- russische Reich ewig blühen!« Und seine Seele entfloh.
- Kosaken, Kosaken! Opfert doch nicht die schönste Blüte eures Heeres!
- Schon war Kukubenko umzingelt, schon waren von der Abteilung Nesamaikow
- nur noch sieben Mann übrig geblieben, und auch deren Kraft war
- erschöpft. Schon ist Kukubenkos Gewand über und über mit Blut bespritzt
- ... Taraß, der seine schlimme Lage übersieht, eilt ihm sofort zu Hilfe.
- Aber die Kosaken kommen zu spät: Eine Lanze war ihm ins Herz gedrungen,
- noch bevor es gelang, die ihn umzingelnden Feinde davonzujagen. Stumm
- sank er in die offenen Arme der Brüder, und sein junges Blut schoß in
- Strömen aus seinen Wunden hervor, gleich einem köstlichen Wein, den
- unvorsichtige Diener in gläsernen Gefäßen aus dem Keller tragen: gerade
- am Eingang des Gemaches gleiten sie aus, lassen die Kanne fallen, sie
- zerschellt, und ihr ganzer Inhalt ergießt sich über den Estrich. Was
- hilft es, daß der Hausherr herbeieilt und sich an den Kopf greift, da er
- den Wein doch für ein besonders glückliches Ereignis in seinem Leben
- aufbewahrt hatte, um sich, so Gott wollte, noch einst als Greis mit
- einem Jugendfreunde bei einem Becher der früheren, besseren Zeiten zu
- erinnern, als der Mensch noch anderer und reinerer Freuden fähig war.
- Kukubenko blickte langsam um sich und sagte: »Ich danke Gott, daß er
- mich vor euren Augen sterben läßt, Kameraden. Möchten doch unsere Söhne
- und Enkel noch tüchtiger sein als wir, und ewig blühe und gedeihe
- Christi geliebtes russisches Reich!« Und er hauchte sterbend seine junge
- Seele aus. Die Engel nahmen sie in ihre Hände und trugen sie gen Himmel.
- Wie wohl wird es ihm dort sein! »Setz dich neben mich, Kukubenko,« wird
- Christus sagen, »du hast deine Brüder nicht im Stich gelassen, hast nie
- die Ehre verletzt, hast keinen im Unglück verlassen und hast immer meine
- heilige Kirche behütet und beschützt.« Alle Kosaken waren durch den Tod
- Kukubenkos aufs tiefste erschüttert. Ihre Reihen waren schon stark
- gelichtet, und viele, viele Tapfere fehlten, aber trotz alledem standen
- die Kosaken noch ihren Mann und hielten sich wacker.
- »Nun, ihr Herren,« rief Taraß den übrigen Befehlshabern zu, »ist noch
- Pulver in den Hörnern? Sind die Säbel noch nicht stumpf geworden? Ist
- die Kraft der Kosaken noch ungebrochen? Stehen die Kosaken noch ihren
- Mann?«
- »Noch ist Pulver da, Väterchen, die Säbel sind noch scharf, die
- Kosakenkraft ist noch ungebrochen, und noch stehen die Kosaken ihren
- Mann!«
- Und wieder stürzten sie sich in die Feinde, als hätten _sie_ noch keine
- Verluste erlitten. Nur noch drei Befehlshaber waren am Leben, überall
- flossen Bäche von Blut, und hoch türmten sich die Leichen der Kosaken
- und der Feinde. Taraß blickte zum Himmel: ein Zug Falken flog vorüber.
- »Ja, einer wird sich sicher freuen,« murmelte er vor sich hin. Und schon
- war Meteliza von einer Lanze durchbohrt, schon drehte sich das Haupt des
- zweiten Pissarenko im Kreise herum, seine Augen brachen, und schon
- stürzte Ochrim Guska vom Rosse herab und sank gevierteilt zu Boden.
- »Wohlan denn,« sagte Taraß und schwenkte sein Tuch hoch in der Luft.
- Ostap verstand das Zeichen, er brach aus dem Hinterhalt hervor und fiel
- mit unerhörter Kraft über die polnische Reiterei her. Die Polen hielten
- dem starken Ansturm nicht stand, und er trieb sie gerade nach dem Platz,
- wo die Pfähle und abgebrochenen Lanzen in die Erde gerammt waren. Die
- Pferde strauchelten, stürzten, und die Polen flogen über ihre Köpfe
- hinweg zu Boden. Jetzt feuerten auch die Kosaken der Korsunabteilung,
- die die Reserve bildeten und weit hinter den Wagen standen, ihre Büchsen
- auf die Polen ab, da sie sahen, daß diese sich nur in Schußweite von
- ihnen befanden. Die Polen gerieten in Verwirrung und verloren den Mut,
- während die Kosaken von neuer Hoffnung erfüllt wurden. »Jetzt ist der
- Sieg unser,« schallten die Stimmen der Saporoger von allen Seiten, die
- Posaunen ertönten, und die Siegesbanner flatterten auf. Die geschlagenen
- Polen flohen nach allen Richtungen auseinander und suchten, wo sie sich
- verstecken könnten. »Nein, noch ist der Sieg nicht unser,« sagte Taraß
- mit einem Blick auf das Stadttor, und er hatte die Wahrheit gesagt. Die
- Tore öffneten sich, und eine Schar Husaren, der Stolz der gesamten
- Reiterei, kam hervorgesprengt. Sie saßen insgesamt auf dunkelbraunen,
- schnellfüßigen Pferden, voran sprengte ein Ritter, schöner und mutiger
- als alle andern; sein schwarzes Haar wehte unter dem kupfernen Helm
- hervor, und am Arme trug er eine kostbare Binde, die die schönste unter
- den Polinnen ihm gestickt hatte. Taraß war starr vor Schreck, als er
- Andrij erkannte. Der aber flog, ganz vom Feuer und dem Wüten der
- Schlacht ergriffen und von dem einen Wunsche getrieben, sich das um den
- Arm gewundene Zeichen zu verdienen, dahin wie ein junger Jagdhund, der
- schönste, schnellste und jüngste von der ganzen Meute. Der Jäger ruft
- ihm zu -- und er rast fort, die Füße wie eine gerade Linie in die Luft
- streckend, den Körper zur Seite geneigt, den Schnee aufwühlend und alle
- Hasen in seinem Laufe zehnmal überholend. Der alte Taraß blieb stehen
- und sah zu, wie er sich einen Weg bahnte, alles vertrieb, in Stücke
- zusammenschlug und nach rechts und links hin Hiebe austeilte. Das konnte
- Taraß nicht länger mit ansehen, und er rief laut aus: »Was, auf die
- eigenen Brüder schlägst du los, du Satanskind?!« Allein Andrij sah
- nicht, wen er vor sich hatte: ob es die eigenen Kameraden oder Fremde
- waren, er sah nichts als Locken: ein paar lange, lange Locken, einen
- schwanenweißen Busen, einen schneeweißen Hals, zwei alabasterne
- Schultern, und alles, was geschaffen ist für wahnsinnige, glühende
- Küsse.
- »Hallo, ihr Burschen, lockt mir mal den Reiter in den Wald! Schnell,
- lockt ihn mir nur hinein,« rief Taraß. Und schon machten sich dreißig
- der schnellsten Kosaken daran, ihn in den Wald zu locken. Sie rückten
- ihre hohen Mützen zurecht und stürmten auf ihren Rossen dahin, um den
- Husaren den Weg zu verlegen. Sie griffen die Vorderreihen von der Seite
- an, sprengten sie auseinander und trennten sie von den hinteren Reihen,
- wobei sie beiden einen tüchtigen Denkzettel verabreichten. Hierbei
- versetzte Golokopytenko Andrij eins mit der flachen Klinge über den
- Rücken, und dann jagten die Kosaken alle auf und davon, so schnell sie
- nur konnten, um den Husaren zu entschlüpfen.
- Da aber geriet Andrij in Wut! Das junge Blut stürmte wild durch all'
- seine Adern. Er gab seinem Rosse die Sporen und jagte aus aller Kraft
- hinter den Kosaken her, ohne sich umzusehen und ohne zu bemerken, daß
- ihm nur zwanzig von seinen Leuten folgten. Die Kosaken sprengten mit
- Windeseile auf ihren Pferden dahin und ritten auf den Wald zu. Auch
- Andrij raste auf seinem Rosse weiter, und schon hatte er Golokopytenko
- erreicht, als plötzlich eine starke Hand seinem Pferde in die Zügel
- fiel. Andrij blickte auf: vor ihm stand Taraß! Er erbebte am ganzen
- Körper und wurde totenbleich, wie ein Schüler, der unüberlegterweise
- einen Kameraden geprügelt und von diesem mit dem Lineal einen Schlag auf
- den Kopf erhalten hat: plötzlich lodert er auf wie Feuer, springt von
- der Bank, um hinter seinem Mitschüler herzujagen und ihn in Stücke zu
- reißen -- da erblickt er den Lehrer, der gerade die Klasse betritt: der
- ganze leidenschaftliche Zorn legt sich plötzlich, und seine ohnmächtige
- Wut ist wie fortgeblasen. So verschwand Andrijs Zorn augenblicklich, als
- hätte er nie in ihm getobt. Er sah nur noch seinen furchtbaren Vater vor
- sich.
- »Nun, was sollen wir jetzt machen?« sagte Taraß, und blickte ihm offen
- ins Antlitz. Aber Andrij konnte kein Wort hervorbringen und stand mit
- gesenkten Blicken da.
- »Nun, mein Söhnchen, haben dir deine Polen geholfen?«
- Andrij vermochte noch immer nichts zu sagen.
- »Also Verrat und Tücke! Den Glauben verkaufen! Die Seinen verraten! Nun,
- steig mal vom Pferde herunter.«
- Gehorsam wie ein Kind stieg Andrij vom Pferde und blieb mehr tot als
- lebendig vor Taraß stehen.
- »Steh still und rühre dich nicht. Ich habe dich gezeugt -- ich werde
- dich auch töten,« sagte Taraß, trat einen Schritt zurück und nahm das
- Gewehr von der Schulter. Andrij war totenbleich geworden, man sah nur,
- wie sich seine Lippen leise bewegten und einen Namen flüsterten: aber
- das war nicht der Name seines Vaterlandes, oder der seiner Mutter, oder
- seiner Brüder -- es war der Name der schönen Polin. Taraß drückte los.
- Wie die Ähre im Felde von der Sichel getroffen dahin sinkt, wie ein
- junges Lamm, das den tödlichen Stahl im Herzen spürt, so ließ Andrij den
- Kopf sinken und stürzte lautlos, und ohne ein Wort zu sagen, auf das
- Gras.
- Der Kindesmörder blieb stehen und betrachtete lange den leblosen
- Leichnam. Er war schön auch noch im Tode: das kühne Gesicht, das eben
- noch Kraft und Heldentum atmete, und einen unwiderstehlichen Reiz auf
- die Frauen ausübte, trug noch immer den Stempel vollendeter Schönheit.
- Die schwarzen Brauen ließen seine bleichen Züge wie ein Trauerflor noch
- stärker hervortreten.
- »Was fehlte ihm zu einem braven Kosaken!« sagte Taraß, »ist er nicht
- groß gewachsen, sind seine Brauen nicht schwarz, hat er nicht das
- Gesicht eines Edelmanns und einen starken Arm in der Schlacht? Und mußte
- doch zugrunde gehen. Ruhmlos zugrunde gehen -- wie ein räudiger Hund.«
- »Vater, was hast du getan? Du hast ihn getötet?« fragte Ostap, der in
- diesem Augenblick herangesprengt kam.
- Taraß nickte mit dem Kopf.
- Ostap blickte dem Toten bange in die Augen. Er empfand Mitleid mit dem
- Bruder und sagte: »Vater, wir wollen ihm ein ehrliches Begräbnis
- bereiten, damit die Feinde ihn nicht beschimpfen und die Raubvögel
- seinen Körper nicht zerhacken.« »Man wird ihn auch schon ohne uns
- begraben,« sagte Taraß, »und es wird ihm nicht an Klageweibern und
- ähnlichen Dingen fehlen!«
- Einige Sekunden schwankte er, ob er ihn den Wölfen zum Fraße überlassen,
- oder den tapferen Ritter in ihm ehren sollte, den jeder Krieger achten
- muß, wer er auch sei -- da sah er plötzlich Golokopytenko heransprengen.
- »Es steht Schlimm um uns, Hauptmann, die Polen haben Verstärkungen
- erhalten, neue Truppen sind ihnen zu Hilfe gekommen!« Und kaum hatte
- Golokopytenko dies gesagt, als sich Wowtusenko ihnen eiligst näherte:
- »Uns droht Unheil, Hauptmann, neue Truppen rücken heran ...« Kaum hatte
- Wowtusenko ausgeredet, als Pissarenko ohne Roß herbeigeeilt kam: »Wo
- bleibst du Väterchen? Die Kosaken suchen dich. Die Hauptleute
- Newelytschki, Sadoroschni und Tscherewitschenko sind erschlagen; aber
- die Kosaken halten noch stand; sie wollen nicht sterben, bevor sie noch
- einmal dein Antlitz geschaut haben: sie wollen, daß du sie anblickst in
- ihrer Todesstunde!«
- »Zu Pferd, Ostap,« rief Taraß und sprengte davon, um die Kosaken
- aufzusuchen, sie noch einmal zu sehen und sie noch einmal vor ihrem Tode
- den Hauptmann sehen zu lassen. Aber sie hatten den Wald noch nicht
- verlassen, als die Feinde sie plötzlich von allen Seiten umzingelten,
- und überall zwischen den Bäumen Reiter mit geschwungenen Schwertern und
- Lanzen auftauchten. »Ostap, Ostap, ergib dich nicht,« schrie Taraß, zog
- seinen blitzenden Säbel und hieb nach allen Seiten um sich. Sechs Feinde
- hatten sich auf Ostap gestürzt -- aber das war ihr Unglück. Dem einen
- flog der Kopf von den Schultern, ein anderer machte kehrt und floh
- entsetzt davon, dem dritten fuhr die Lanze in die Rippen; der vierte war
- etwas mutiger, er hatte den Kopf zur Seite gewandt und war so einer
- heißen Kugel entgangen, die seinem Pferde in die Brust drang. Doch
- dieses bäumte sich wütend auf, stürzte zu Boden und begrub den Reiter
- unter sich. »Gut, Söhnchen, gut, Ostap,« rief Taraß, »ich bin gleich bei
- dir!« Er wußte sich der Andrängenden noch immer zu erwehren. Taraß
- säbelt und haut um sich, bald gibt er dem, bald dem einen Hieb über den
- Schädel, aber er blickt immer vor sich nach Ostap; da sieht er
- plötzlich, wie sich wenigstens acht Feinde auf den Sohn stürzen. »Ostap,
- Ostap, weich nicht zurück!« Aber schon haben sie Ostap bezwungen, schon
- hat ihm einer die Schlinge um den Hals geworfen, schon bindet man ihn
- und schleppt ihn fort. »Ostap, Ostap,« schreit Taraß, bahnt sich einen
- Weg zu ihm und haut alles um sich herum in Stücke. »Ach Ostap, Ostap
- ...!«
- Aber plötzlich trifft ihn selbst etwas wie ein schwerer Stein. Ein
- Schwindel überfällt ihn, alles dreht sich um ihn. Einen Augenblick
- kreist alles vor seinen Blicken: Köpfe, Lanzen, der Rauch, das Flackern
- des Feuers, die Baumzweige mit ihren Blättern blitzen vor ihm auf. Wie
- eine gefällte Eiche stürzt er zu Boden, und Nebel bedeckt seine Augen.
- Zehntes Kapitel
- »Ich habe wohl lange geschlafen!« sagte Taraß wie nach einem Rausch aus
- schwerem Schlafe erwachend, und er versuchte es, die ihn umgebenden
- Gegenstände zu erkennen. Dabei fühlte er eine entsetzliche Schwäche in
- seinen Gliedern. Die Wände und Ecken des ihm ganz unbekannten Zimmers
- bewegten sich leise hin und her. Endlich bemerkte er, daß sein Kamerad
- Towkatsch neben ihm saß und jedem seiner Atemzüge zu lauschen schien.
- »Ja,« dachte Towkatsch, »du wärst vielleicht für immer eingeschlafen!«
- Er sagte nichts, sondern drohte nur mit dem Finger und machte ihm ein
- Zeichen, daß er schweigen solle.
- »So sag mir doch, wo ich jetzt bin?« fragte Taraß von neuem. Er strengte
- seinen Verstand an und bemühte sich, sich das Vergangene wieder ins
- Gedächtnis zu rufen.
- »So schweig doch,« fuhr ihn der Gefährte scharf an, »was willst du noch
- wissen? Siehst du denn nicht, daß du ganz zerhauen bist? Schon zwei
- Wochen galoppiere ich mit dir herum, ohne mir Zeit zum Atmen zu gönnen,
- und während dieser Zeit sprichst und schwatzt du im Fieber allen
- möglichen Unsinn zusammen. Es ist heute das erstemal, daß du ruhig
- eingeschlafen bist. So schweige doch endlich, wenn du nicht selbst das
- Unheil auf dich herabrufen willst.«
- Taraß strengte sich aus aller Kraft an, seine Gedanken zu sammeln und
- sich das Vergangene ins Gedächtnis zu rufen. »Die Polen hatten mich aber
- doch gepackt und mich ganz umzingelt? Ich hatte doch gar keine
- Möglichkeit, zu entkommen?«
- »So schweig doch, hörst du, du Teufelssohn!« schrie Towkatsch ärgerlich
- wie eine ungeduldige Wärterin, die ein unartiges und unruhiges Kind
- anschreit. »Was hast du davon, wenn du weißt, wie du davongekommen bist!
- Sei froh, daß es so ist! Es fanden sich eben Männer, die dich nicht im
- Stich gelassen haben -- und nun sei zufrieden. Wir haben noch manche
- Nacht zu reiten. Du meinst wohl, daß sie dich für einen Kosaken halten?
- Nein, man hat deinen Kopf auf zweitausend Dukaten geschätzt!«
- »Und Ostap?« rief Taraß plötzlich, indem er sich aufzurichten versuchte.
- Jetzt erst erinnerte er sich, wie man Ostap gefangen und vor seinen
- Augen gebunden hatte, und daß er sich jetzt in den Händen der Polen
- befand. Und Schmerz und Trauer übermannten den Alten. Er riß die
- Verbände von seinen Wunden, schleuderte sie weit von sich und wollte
- laut etwas sagen -- aber er sprach nur unzusammenhängende Worte, das
- Fieber bemächtigte sich seiner aufs neue, und er begann wieder zu
- phantasieren und allerhand unzusammenhängendes Zeug zu reden.
- Unterdessen stand sein treuer Gefährte neben ihm und überschüttete ihn
- mit zahllosen Schmähungen und Vorwürfen. Endlich packte er ihn an Händen
- und Füßen, wickelte ihn ein wie ein Kind und brachte die Verbände wieder
- in Ordnung. Dann hüllte er ihn in eine Ochsenhaut, band sie mit Bast
- zusammen, befestigte seine Last mit Stricken am Sattel und ritt mit ihm
- auf und davon.
- »Und wenn du auch unterwegs sterben solltest, ich bringe dich doch in
- die Heimat zurück. Ich werde es nicht zulassen, daß die Polen deine
- Kosakenehre beschimpfen, deinen Körper in Stücke reißen und ins Wasser
- werfen. Soll dir denn der Adler durchaus die Augen aushacken -- so mag
- es wenigstens unser Steppenadler sein und kein polnischer Adler, keiner
- der aus polnischen Ländern kommt. Tot oder lebendig -- ich bringe dich
- in die Ukraine zurück.«
- So sprach der treue Gefährte. Und er ritt Tag und Nacht rastlos dahin,
- bis er den völlig Bewußtlosen wirklich in die Sjetsch der Saporoger
- brachte. Dort behandelte er ihn unermüdlich mit Kräutern und Umschlagen,
- machte eine erfahrene, kenntnisreiche Jüdin ausfindig, die Taraß einen
- Monat lang allerlei Getränke einflößte -- und so fing er denn wirklich
- an, sich zu erholen. Ob es nun die Medizin oder seine eigene eiserne
- Natur war -- genug, nach anderthalb Monat stand er wieder auf den
- Beinen. Die Wunden waren verheilt, und nur die Säbelnarben bezeugten
- noch, wie schwer der alte Kosak einst verwundet worden war. Allein er
- war immer traurig, und sein Gemüt war sehr verdüstert. Drei tiefe Falten
- hatten sich in seine Stirn gegraben und schwanden nicht mehr von ihr.
- Soweit er um sich blicken mochte: alles war ihm neu in der Sjetsch. Die
- alten Waffenbrüder waren alle tot. Keiner von denen, die einst für die
- gerechte Sache, den Glauben und die Kameradschaft gekämpft hatten, war
- noch da, und auch jene, die zusammen mit dem Hetman die Tataren verfolgt
- hatten, waren nicht mehr am Leben. Sie alle waren tot und elend
- umgekommen. Die einen waren einen ehrlichen Tod im Kampfe gestorben, die
- andern vor Hunger und Erschöpfung in den Salzgründen der Krim zugrunde
- gegangen, andere wieder waren, unfähig diese Schmach zu ertragen, in der
- Gefangenschaft umgekommen. Auch der frühere Hetman war tot, keiner von
- den alten Kriegsgefährten war mehr am Leben, und längst schon wuchs Gras
- über ihnen, die einst so kraftvolle und mutige Kosaken gewesen waren.
- Er hörte nur, daß man ein großes lärmendes Fest gefeiert hatte. Das
- Geschirr war in Stücke zerschlagen, kein Tropfen Wein war übrig
- geblieben, die Gäste und ihre Diener hatten alle kostbaren Becher und
- Gefäße gestohlen -- und der Hausherr stand traurig da und dachte: »O
- hätte doch jenes Fest gar nicht stattgefunden!« Vergebens bemühte man
- sich, Taraß zu ermuntern und zu zerstreuen. Vergebens rühmten die alten
- bärtigen Bandurenspieler, die zu zweien oder dreien durch die Sjetsch
- kamen, seine Heldentaten unter den Kosaken -- finster und gleichgültig
- ließ er alles geschehen; auf seinem unbeweglichen Gesicht malte sich ein
- tiefes, nie verstummendes Leid, und mit gesenktem Kopf sprach er leise
- vor sich hin: »Mein Sohn, mein Ostap.«
- Mittlerweile hatten die Saporoger ein Unternehmen zur See vorbereitet.
- Zweihundert Boote fuhren den Dnjepr hinab; plötzlich erblickte man in
- Klein-Asien eine Schar von Kosaken mit rasierten Schädeln und langen
- Mähnen: und mit Feuer und Schwert verheerten sie die blühenden Küsten.
- Die Turbane der mohammedanischen Bevölkerung lagen blutgetränkt gleich
- abgemähten Blumen auf den blutigen Feldern umher, oder schwammen an den
- Ufern. Auch manche teerbeschmierte Kosakenhose sah man in Kleinasien und
- manch muskulöse Faust mit der schwarzen Kugelpeitsche. Die Saporoger
- fraßen alle Weintrauben auf, vernichteten alle Weinberge, ließen ganze
- Haufen Unrat in den Moscheen zurück, umhüllten ihre Füße mit kostbaren
- persischen Tüchern oder banden sie als Gürtel um ihre schmutzigen
- Kittel. Und noch lange nachher sah man dort die kurzen Tabakpfeifen der
- Kosaken herumliegen. Dann fuhren sie fröhlich wieder zurück. Allein ein
- türkisches Schiff mit zehn Kanonen jagte hinter ihnen her und zerstreute
- ihre morschen Boote mit einer Salve aus allen Geschützen wie scheue
- Vögel. Der dritte Teil versank in den Tiefen des Meeres; die übrigen
- vermochten sich jedoch wieder zu sammeln und erreichten mit zwölf
- Fässern voller Zechinen die Mündung des Dnjepr.
- Doch dies alles ließ Taraß völlig kalt. Wie mit der Absicht, zu jagen,
- durchstreifte er Felder und Steppen, aber niemals gab sein Gewehr einen
- Schuß ab. Voller Schwermut legte er es neben sich, während er sich
- unbeweglich am Meeresgestade niederließ. Lange saß er so mit gesenktem
- Kopf da und flüsterte immer wieder vor sich hin: »Ostap, mein Ostap«.
- Das ungeheure schwarze Meer lag leuchtend und blitzend vor ihm, im
- fernen Schilf schrie eine Möwe, sein grauer Schnurrbart schimmerte
- silbern, und eine Träne nach der andern rollte über seine Wangen.
- Endlich aber hielt es Taraß nicht länger aus. »Was da auch kommen mag,
- ich will hingehen und erfahren, was mit ihm geschehen ist. Ob er noch
- lebt, oder schon im Grabe liegt? Vielleicht hat er nicht einmal ein
- Grab. Ich muß es erfahren, es koste, was es wolle.« Eine Woche später
- war er bereits, hoch zu Roß, mit Lanze und Säbel bewaffnet, den
- Reisesack am Sattel und mit einem Kessel voll Weizenbrei, Pulver,
- Patronen, einem Koppelseil und sonstigem Gerät ausgerüstet, in der Stadt
- Uman. Er ritt geradewegs auf ein schmutziges Häuschen zu, dessen kleine
- verräucherte Fenster kaum zu sehen waren. Der Schornstein war mit einem
- Lappen zugestopft, und auf dem durchlöcherten Dach wimmelte es von
- Spatzen. Vor der Tür lag ein Kehrichthaufen, und aus dem Fenster guckte
- der Kopf einer Jüdin heraus, die ein mit schwärzlichen Perlen besetztes
- Häubchen trug.
- »Ist dein Mann zu Hause?« fragte Bulba, stieg vom Pferde und band die
- Zügel an einen eisernen Haken, der sich neben der Tür befand.
- »Ja, er ist zu Hause,« antwortete die Jüdin und trug eiligst Weizen für
- das Pferd und einen Krug Bier für den Ritter herbei.
- »Wo ist denn dein Jude?«
- »Er betet im andern Zimmer,« sagte die Jüdin, verbeugte sich tief und
- wünschte Bulba, als er den Krug an die Lippen führte, eine gute
- Gesundheit.
- »Bleib hier, füttere und tränke mein Pferd, ich will mit ihm allein
- sprechen. Ich habe Wichtiges mit ihm zu verhandeln.«
- Dieser Jude war der uns wohlbekannte Jankel. Er war jetzt bereits
- Pächter und Schankwirt. Mit der Zeit hatte er alle benachbarten Herren
- und Edelleute in seine Hände bekommen, ihnen nach und nach fast all ihr
- Geld abgenommen und sich überhaupt in jener Gegend äußerst bemerkbar
- gemacht; drei Meilen weit nach allen Richtungen war kein Haus mehr in
- einem ordentlichen Zustand, alles verfiel und wurde alt und morsch, alle
- Leute hatten sich dem Trunke ergeben, und man bemerkte nichts als Armut
- und Elend. Die ganze Gegend sah so aus, als ob hier ein verheerender
- Brand stattgefunden, oder als ob die Pest hier gehaust hätte. Und hätte
- Jankel noch zehn Jahre dort gelebt, er hätte wahrscheinlich die ganze
- Wojewodenschaft zugrunde gerichtet.
- Taraß trat ins Zimmer. Der Jude saß in einem ziemlich schmutzigen
- Leinenrock da und betete; er wandte sich gerade um, um zum letztenmal
- auszuspeien wie es seine Religion vorschreibt, als sein Blick plötzlich
- auf den hinter ihm stehenden Bulba fiel. Das erste, was dem Juden
- einfiel, waren die zweitausend Dukaten, die auf Bulbas Kopf gesetzt
- waren, aber er schämte sich gleich wieder seiner Geldgier und bemühte
- sich, den unablässigen Hunger nach Geld zu unterdrücken, der an seiner
- Seele nagte, wie an der aller Juden.
- »Hör zu, Jankel,« sagte Taraß zu dem Juden, der sich vor ihm verbeugte,
- und schloß vorsichtig die Tür, damit man ihn nicht sehen sollte, »ich
- habe dir das Leben gerettet -- die Saporoger hätten dich wie einen Hund
- in Stücke gerissen -- jetzt ist die Reihe an dir, mir einen Dienst zu
- erweisen.«
- Das Gesicht des Juden verfinsterte sich ein wenig. »Was für einen
- Dienst? Wenn es möglich ist, warum nicht?«
- »Genug, kein Wort mehr. Bringe mich nach Warschau.«
- »Nach Warschau? Warum nach Warschau,« fragte Jankel, indem er Schultern
- und Brauen bestürzt in die Höhe zog.
- »Schweig. Bring mich nach Warschau. Was auch geschehen mag, ich will ihn
- noch einmal sehen und ihm wenigstens noch ein Wort sagen.«
- »Wem ein Wort sagen?«
- »Ihm, Ostap, meinem Sohne!«
- »Hat denn der Herr nicht gehört, daß schon ...«
- »Ich weiß, ich weiß alles, man bietet zweitausend Dukaten für meinen
- Kopf. Was verstehen die Narren von Preisen! Ich werde dir fünftausend
- Dukaten geben.
- Da hast du gleich zweitausend (Bulba schüttete zweitausend Dukaten aus
- seinem ledernen Beutel), die übrigen erhältst du, sowie ich
- zurückgekehrt bin.«
- Der Jude ergriff sofort ein Handtuch und bedeckte die Dukaten damit. Ȁ
- schönes Geld, ä feines Geld,« sagte er, drehte einen Dukaten in der Hand
- herum und prüfte einen zweiten mit den Zähnen. »Ich denke, der Mensch,
- dem der Herr so schöne Dukaten abgenommen hat, hat keine Stunde mehr
- gelebt; er ist gleich zum Fluß gegangen und hat sich ertränkt -- nachdem
- er so herrliche Dukaten gehabt hat!«
- »Ich würde dich nicht in Anspruch nehmen, vielleicht hätte ich auch
- allein den Weg nach Warschau gefunden; aber die verfluchten Polen
- könnten mich irgendwo erkennen und gefangen nehmen, denn ich verstehe
- mich nicht auf Listen und Kunststücke. Ihr Juden aber seid dafür wie
- geschaffen. Ihr könnt den Teufel selbst hinters Licht führen, ihr
- beherrscht alle Kniffe. Jetzt weißt du, weshalb ich zu dir gekommen bin.
- Ja, und ich allein würde ja auch in Warschau nichts ausrichten. Spann
- also sofort an und bringe mich nach Warschau!«
- »Der Herr denkt wohl, das geht so einfach? Man braucht wohl nur die
- Stute anzuspannen und zu rufen: »He, holla los«! Glaubt denn der Herr,
- daß man ihn so mitnehmen kann, ohne ihn zu verstecken?«
- »Nun, so verstecke mich -- tu was du willst! Steck mich meinetwegen in
- ein Faß!«
- »Ei, ei! Meint der Herr, daß man ihn stecken kann in ein leeres Faß?
- Weiß denn der Herr nicht, daß jeder denken wird, es sei Branntwein
- darin!«
- »Schön, laß ihn doch denken, daß Branntwein darin ist!«
- »Wie! Er soll denken dürfen, daß Branntwein darin ist?« rief der Jude
- aus, ergriff seine Locken mit beiden Händen und hob sie m die Höhe.
- »Was setzt dich so in Erstaunen?«
- »Weiß denn der Herr nicht, daß Gott den Branntwein geschaffen hat, damit
- ihn jedermann probiere? Das sind doch alles Leckermäuler und
- Feinschmecker. Fünf Werst wird der Edelmann herlaufen hinter dem Faß,
- wird ä Löchelchen hineinbohren, und wenn nichts herauskommt, wird er
- sich gleich sagen: der Jude wird schon kein leeres Faß mit sich
- herumschleppen, es wird schon was darin sein! Packt den Juden, bindet
- den Juden, nehmt dem Juden alles Geld fort, steckt den Juden ins
- Gefängnis! Denn alles was es Schlechtes auf der Welt gibt, wird gewälzt
- auf den Juden, jeder behandelt den Juden wie einen Hund: alle denken,
- wer ein Jude ist, ist kein Mensch.«
- »Nun, so verstecke mich in einem Fischwagen!«
- »Das geht nicht Herr, bei Gott, es geht nicht. In ganz Polen sind die
- Menschen jetzt so ausgehungert wie die Hunde: sie würden die Fische
- fortschleppen und den Herrn entdecken.«
- »So setz mich meinetwegen auf den Teufel, aber bring mich hin!«
- »So hört doch Herr,« sagte der Jude, streifte die Ärmelaufschläge in die
- Höhe und streckte seine weit auseinander gespreizten Finger gegen ihn
- aus. »Wir werden es so machen. Jetzt werden überall Festungen und
- Schlösser gebaut: es sind französische Baumeister aus Deutschland
- angekommen, und deshalb gibt es viele Wagen mit Ziegeln und Steinen auf
- der Landstraße. Der Herr soll sich also auf den Boden eines Wagens
- ausstrecken, und ich werde über ihn mit Ziegeln bepacken. Der Herr sieht
- gesund und kräftig aus, es wird ihm nichts schaden, wenn die Last ein
- bißchen schwer drückt; ich werde unten in den Wagen eine kleine Öffnung
- bohren, um dem Herrn die Nahrung zu reichen.«
- »Mach was du willst, nur spann an!«
- Nach einer Stunde verließ ein Wagen mit Ziegelsteinen, vor den zwei
- Mähren gespannt waren, die Stadt Uman. Auf der einen saß der lange
- Jankel, und seine großen Hängelocken flatterten lustig unter der
- Judenmütze hervor, während er auf dem Gaule herumhopste, auf dem er sich
- ausnahm wie eine am Wege stehende Meilenstange.
- Elftes Kapitel
- Zu der Zeit, als sich die hier beschriebenen Ereignisse abspielten, gab
- es in den Grenzorten keine Zollbeamten und Aufseher, diese Schrecken der
- Handelsstädte, und man durfte mit sich schleppen, was man nur wollte.
- Nahm jemand eine Revision oder Untersuchung vor, so geschah das mehr zu
- seinem eigenen Vergnügen, besonders wenn sich allerhand schöne und
- verlockende Dinge auf dem Wagen befanden: natürlich mußte aber auch die
- eigene Faust eine gewisse Kraft haben. Nach den Ziegelsteinen gelüstete
- es jedoch niemanden, und so fuhr der Wagen unbehindert durch das Tor der
- Hauptstadt ein. Bulba konnte in seinem engen Käfig nur das Lärmen und
- Fluchen der Kutscher hören, sonst vernahm er nichts. Jankel, der
- unaufhörlich auf seinem kleinen mit Staub bedeckten Klepper herumhopste,
- lenkte nach einigen Umwegen in eine dunkle schmale Straße ein, die den
- Namen Schmutz- oder Judenstraße trug, weil beinah sämtliche Juden von
- Warschau hier wohnten. Diese Straße besaß große Ähnlichkeit mit der
- inneren Seite eines Hinterhofs, und die Sonne schien überhaupt nie ihren
- Weg hierher zu finden. Die gänzlich verräucherten Holzhäuser mit den
- unzähligen Stangen, die aus den Fenstern hervorragten, schienen die
- Dunkelheit noch zu vergrößern. Hin und wieder schimmerte eine rote
- Backsteinwand hervor, aber auch sie war meist schon ganz schwarz. Nur
- hie und da leuchtete einem von oben ein in Sonne getauchtes, weiß
- getünchtes Stück Mauer entgegen und blendete die Augen durch seine
- unerträgliche Helligkeit. Alles, was man hier sah, bot einen abstoßenden
- und wenig erfreulichen Anblick dar: Röhren, Lumpen, Abfälle und
- zerbrochene Kübel, die man auf die Straße hinausgeworfen hatte, trieben
- sich hier herum. Jeder, der etwas besaß, was er nicht brauchen konnte,
- warf es auf die Straße hinaus und überließ es den Vorübergehenden, ihre
- Freude an all dem Unrat zu haben. Ein Reiter, der auf seinem Pferde saß,
- reichte mit der Hand bis fast an die Stangen heran, die mitten über die
- Straße, von einem Hause zum andern gezogen waren und auf denen die Juden
- ihre Strümpfe, ihre kurzen Hosen und geräucherte Gänse aufzuhängen
- pflegten. Hin und wieder blickte das hübsche von nachgedunkelten Perlen
- umrahmte Gesichtchen einer Jüdin aus dem Fenster hervor, ein Haufen
- kleiner schmutziger Judenkinder mit krausen Haaren wälzte sich schreiend
- im Unrat herum. Ein rothaariger Jude, dessen ganzes Gesicht mit
- Sommersprossen bedeckt war, (was ihm eine gewisse Ähnlichkeit mit einem
- Spatzenei verlieh) blickte aus einem Fenster heraus und sprach Jankel
- sofort in seinem Kauderwelsch an, worauf dieser sogleich in den Hof
- fuhr. Ein anderer Jude, der gerade durch die Straße kam, blieb stehen
- und nahm auch an dem Gespräch teil, und als Bulba endlich unter den
- Ziegelsteinen hervorkroch, erblickte er drei Juden, die heftig
- aufeinander einsprachen.
- Jankel wandte sich an ihn und teilte ihm mit, daß alles gehen werde, wie
- er es wünsche, daß Ostap sich im Stadtgefängnis befinde, und daß er,
- Jankel hoffe, eine Zusammenkunft zwischen ihnen ermöglichen zu können,
- obgleich die Wachen sehr schwer zu bestechen seien.
- Bulba ging mit den drei Juden ins Zimmer hinauf, und diese fingen wieder
- an, in ihrer unverständlichen Sprache miteinander zu sprechen. Taraß sah
- sich jeden von ihnen genau an. Plötzlich schien ihn etwas innerlich aufs
- heftigste erschüttert zu haben: sein rauhes, gleichgültiges Gesicht
- wurde von einem hell auflodernden Hoffnungsstrahl erleuchtet -- einer
- Hoffnung, die den Menschen oft noch in Augenblicken höchster
- Verzweiflung heimsucht; sein altes Herz begann laut zu pochen wie bei
- einem Jüngling.
- »Hört, ihr Juden,« sagte er, und in seinen Worten klang etwas von einer
- übermächtigen Begeisterung mit, »ihr könnt alles in der Welt, selbst vom
- Grunde des Meeres holt ihr alles herauf, und schon lange heißt es im
- Sprichwort, daß ein Jude sich selbst wegstehlen kann, wenn er es nur
- will. Befreit mir meinen Ostap! Verschafft ihm die Gelegenheit, den
- Händen jener Teufel zu entfliehen. Ich habe dem Mann da zwölftausend
- Dukaten versprochen -- ich lege noch zwölftausend Dukaten hinzu. Alle
- meine kostbaren Becher und alles Gold, das ich in der Erde vergraben
- habe, will ich verkaufen, selbst mein Haus und meinen letzten Rock; ich
- will mit euch einen Vertrag schließen, und mein ganzes Leben lang alles
- mit euch teilen, was ich im Kriege erbeuten werde!«
- »O es geht nicht, teurer Herr, es geht nicht!« sagte Jankel seufzend.
- »Nein, es geht wirklich nicht,« sagte ein anderer Jude.
- Die drei Juden sahen einander an.
- »Vielleicht versucht man es doch,« sagte der dritte und schielte mit
- ängstlichen Blicken zu den beiden andern hinüber, »vielleicht hilft
- Gott!«
- Die drei Juden begannen nun deutsch zu sprechen, aber so sehr Bulba auch
- hinhorchte, er vermochte nichts zu enträtseln, er hörte nur, daß das
- Wort »Mardochai« oft wiederholt wurde, sonst verstand er nichts.
- »Höre, Herr,« sagte Jankel, »wir müssen uns mit einem Manne beraten, wie
- es noch nie einen in der Welt gegeben hat. Er ist so weise wie Salomo,
- wenn er nichts hilft, so kann nichts helfen auf der ganzen Welt. Bleib
- hier sitzen, Herr, hier hast du den Schlüssel und laß niemand herein!«
- Und die Juden gingen auf die Straße hinaus.
- Taraß schloß die Tür und blickte durch das kleine Fensterchen auf die
- schmutzige Judengasse. Die Juden blieben mitten auf der Straße stehen
- und begannen ziemlich heftig miteinander zu reden; bald schloß sich
- ihnen ein vierter und fünfter an. Er hörte, wie sie immer und immer
- wieder das »Mardochai, Mardochai« wiederholten. Die Juden blickten
- fortwährend die Straße hinab, endlich sah man in der Tat hinter einem
- schmutzigen Hause einen mit jüdischen Schuhen bekleideten Fuß und dann
- ein Paar lange Rockschöße auftauchen. »Mardochai, Mardochai,« schrien
- alle Juden wie aus einem Munde. Ein dürrer Jude, der etwas kleiner war
- als Jankel, aber bedeutend mehr Falten im Gesicht als dieser und eine
- überaus große Oberlippe hatte, näherte sich der ungeduldigen Gruppe, und
- alle Juden stürzten auf ihn zu und suchten ihn von dem Geschehenen zu
- unterrichten, wobei sie einander beständig unterbrachen. Mardochai
- blickte unterdessen mehrere Male nach dem kleinen Fensterchen hin,
- woraus Taraß schloß, daß von ihm die Rede war, bewegte die Hände hin und
- her, hörte zu, unterbrach die Redenden, spie oft nach der Seite aus,
- schlug seine Rockschöße zurück, steckte die Hände in die Taschen und
- holte ein Paar Klappern hervor, wobei seine abgeschabten Hosen zum
- Vorschein kamen. Schließlich machten die Juden einen solchen Lärm, daß
- der wachehaltende Glaubensgenosse ihnen ein Zeichen geben mußte, daß sie
- schweigen sollten, und Taraß begann schon für seine Sicherheit zu
- fürchten; dann erinnerte er sich jedoch, daß die Juden nicht anders als
- auf der Straße verhandeln können, und daß selbst der Teufel ihre
- Sprachen nicht verstehen könne, worauf er sich gleich wieder beruhigte.
- Nach ungefähr zwei Minuten betraten die Juden allesamt wieder das
- Zimmer. Mardochai ging auf Taraß zu, klopfte ihm auf die Schulter und
- sagte: »Wenn wir mit Gottes Hilfe etwas unternehmen, so wird schon alles
- geschehen, was nötig ist!«
- Taraß sah sich diesen Salomon an, wie es noch nie einen zweiten in der
- Welt gegeben hatte, und schöpfte wieder einige Hoffnung. Und wirklich:
- seine Erscheinung flößte ein gewisses Vertrauen ein; diese Oberlippe
- konnte einen einfach schrecken, ihre Dicke war sicherlich auf äußerliche
- Ursachen zurückzuführen. Der Salomo hatte einen Bart, der im ganzen aus
- fünfzehn Härchen bestand, und zwar befanden sie sich alle auf der linken
- Seite. Sein Gesicht trug soviel Spuren von den Prügeln, die man ihm für
- seine Frechheit verabfolgt hatte, daß er wahrscheinlich ihre Zahl gar
- nicht mehr kannte und sich daran gewöhnt hatte, sie für Muttermale zu
- halten.
- Mardochai ging zusammen mit seinen Genossen hinaus, die voller
- Bewunderung für seine Weisheit waren, und Bulba blieb allein zurück. Er
- befand sich in einer sonderbaren, ihm völlig ungewohnten Lage: zum
- erstenmal in seinem Leben empfand er etwas wie Unruhe, und ein
- fieberhafter Zustand hatte sich seiner Seele bemächtigt. Er war nicht
- mehr der alte, unerschütterliche Bulba: nicht mehr so stark unbeugsam
- wie eine Eiche, sondern kleinmütig und schwach. Bei jedem Geräusch, und
- jedesmal wenn sich am Ende der Gasse die Gestalt eines ihm unbekannten
- Juden zeigte, zuckte er zusammen. In diesem Zustand verharrte er den
- ganzen Tag, aß nichts, trank nichts und wich keinen Augenblick von dem
- Fenster, das auf die Straße hinausführte.
- Endlich, -- es war schon spät abends, -- erschienen Mardochai und
- Jankel. Taraß erstarrte das Herz in der Brust.
- »Nun, ist alles gut gegangen?« fragte er mit der Ungeduld eines wilden
- Hengstes.
- Aber noch ehe die Juden irgend etwas erwidern konnten, bemerkte Taraß,
- daß Mardochai die letzte Locke fehlte, die sich zwar recht unordentlich
- aber doch in krausen Ringen unter der Mütze hervordrängte. Man sah, daß
- er etwas sagen wollte, aber er stammelte ein so unverständliches Zeug
- zusammen, daß Taraß kein Wort davon begriff.
- Auch Jankel führte häufig die Hand an den Mund, wie wenn er sich
- erkältet hätte.
- »O weh, lieber Herr, jetzt ist es ganz unmöglich! Bei Gott es geht
- nicht. Das sind so schlechte Menschen, daß man ihnen auf den Kopf
- spucken möchte! Mardochai soll es Euch sagen. Mardochai hat Dinge fertig
- gebracht, wie noch kein Mensch in der Welt. Aber Gott will nicht, daß es
- so kommen soll. Es stehen schon dreitausend Soldaten da, die morgen alle
- hingerichtet werden sollen.«
- Taraß sah den Juden ins Gesicht, jetzt jedoch schon ohne Ungeduld und
- ohne jeden Zorn.
- »Wenn der Herr ihn sehen will, dann muß es schon morgen in der Früh
- sein, noch vor Sonnenaufgang. Die Wachen sind einverstanden, und ein
- Aufseher hat versprochen, uns zu helfen. Möge das Glück sie fliehen in
- jener Welt -- o weh mir, was sind das für geldgierige Menschen! Nicht
- einmal unter uns gibt es solche Leute: jedem einzelnen habe ich fünfzig
- Dukaten geben müssen, und dem Aufseher ...« »Gut! Führe mich zu ihm,«
- sagte Taraß entschlossen, und all sein Mut und seine Festigkeit kehrten
- wieder in seine Seele zurück. Er war mit Jankels Vorschlag
- einverstanden, sich als ausländischer Graf zu verkleiden, der aus
- Deutschland gekommen sei. Der schlaue Jude, der alles vorausgesehen,
- hatte schon die Kleidungsstücke mitgebracht. Unterdessen war es Nacht
- geworden. Der Wirt des Hauses, der uns bekannte rothaarige Jude, mit den
- vielen Sommersprossen im Gesicht, schleppte eine elende Matratze herbei,
- die er mit einer Strohmatte bedeckte, und legte sie auf die Bank, damit
- Bulba sich auf ihr niederstrecken solle. Jankel bereitete sich ein
- ähnliches Lager aus dem Fußboden, der rothaarige Jude trank ein Gläschen
- Schnaps, zog seinen Rock aus -- wenn er bloß mit Schuhen und Strümpfen
- bekleidet herumlief, hatte er große Ähnlichkeit mit einem Hühnchen --
- und begab sich schließlich mit seiner jüdischen Frau in eine Art von
- Schrank, und zwei kleine Judenknaben legten sich wie zwei Haushündchen
- neben dem Schrank auf den Boden. Aber Taraß konnte nicht schlafen.
- Unbeweglich saß er da und trommelte mit den Fingern auf dem Tische
- herum. Er hatte seine Pfeife im Munde und stieß solche Rauchwolken
- hervor, daß der Jude im Schlafe nieste und seine Nase unter die Decke
- steckte. Und kaum erschienen am Himmel die blassen Vorboten des
- Morgenrots, als Taraß Jankel bereits mit dem Fuß stieß. »Steh auf, Jude,
- und reich mir deine Grafenkleidung!«
- In einem Augenblick war er angezogen: er schwärzte sich seinen
- Schnurrbart und seine Brauen, und setzte ein kleines dunkles Mützchen
- auf den Kopf, sodaß niemand, nicht einmal die Kosaken, die ihm am
- nächsten standen, ihn hätten erkennen können. Er sah nicht älter aus als
- ein Mann von etwa fünfunddreißig Jahren. Ein gesundes Rot bedeckte seine
- Wangen, und selbst die Narben standen ihm ausgezeichnet und verliehen
- ihm etwas Gebieterisches. Das goldverbrämte Gewand kleidete ihn ganz
- vorzüglich.
- Die Straßen lagen noch in tiefem Schlafe, und noch war in der Stadt kein
- Händler mit seiner Kiste unter dem Arme zu bemerken. Bulba und Jankel
- gelangten vor ein Gebäude, das wie ein sitzender Reiter aussah. Es war
- niedrig, breit, außerordentlich groß und ganz vor Alter geschwärzt; auf
- der einen Seite ragte ein langer, schmaler Turm empor, der wie der Hals
- eines Storches aussah und auf dessen Spitze sich das Stück eines Daches
- befand. Dieses Gebäude hatte die allermannigfaltigsten Funktionen: hier
- befanden sich die Kasernen, das Gefängnis und sogar das Kriminalgericht.
- Unsere Wanderer traten in das Tor ein und standen gleich darauf in einem
- geräumigen Saal, oder vielmehr in einem gedeckten Hof, in dem ungefähr
- tausend Menschen nebeneinander schliefen. Ihnen gegenüber befand sich
- eine kleine Tür vor der zwei Wachen saßen, und ein merkwürdiges Spiel
- spielten, welches darin bestand, daß der eine dem andern mit zwei
- Fingern auf die Handflächen zu schlagen suchte. Sie beachteten die
- Ankömmlinge kaum und drehten ihre Köpfe erst um, als Jankel zu ihnen
- sagte:
- »Das sind wir, hören Sie meine Herren, das sind wir!«
- »Geht hinein,« sagte der eine von ihnen und öffnete mit der einen Hand
- die Tür, während er seinem Kameraden die andere zum Schlage hinhielt.
- Sie betraten einen schmalen dunklen Gang und gelangten in einen
- ähnlichen Saal mit einigen kleinen Fenstern an der Decke.
- »Wer da?« riefen mehrere Stimmen, und Taraß erblickte eine beträchtliche
- Anzahl von Kriegern in voller Rüstung. »Wir haben Befehl, niemanden
- hineinzulassen.«
- »Das sind wir,« rief Jankel, »bei Gott das sind wir, erlauchte Herren!«
- Aber niemand wollte ihm Gehör schenken. Glücklicherweise trat in diesem
- Augenblick ein dicker Mann herein, der seinem Aussehen nach ein
- Vorgesetzter sein mußte, denn er schimpfte und fluchte mehr als alle
- andern zusammen.
- »Herr, das sind wir, der Herr kennt uns schon -- der Herr Graf wird sich
- noch persönlich bedanken!«
- »Laßt sie durch, Donnerwetter noch 'mal! Von nun ab aber laßt ihr mir
- keinen mehr herein, und daß mir keiner von euch den Säbel ablegt und
- sich auf der Erde herumwälzt!«
- Die Fortsetzung dieser so eindrucksvollen Rede vernahmen unsere
- Reisenden jedoch nicht mehr.
- »Das sind wir, das bin ich, ein guter Freund,« sagte Jankel zu jedem,
- der ihm begegnete.
- »Ist's so weit?« fragte er eine der Wachen, als sie endlich an die
- Stelle gelangten, wo der Gang zu Ende war.
- »Kommt nur. Ich weiß aber nicht, ob man euch in das Gefängnis selbst
- hineinlassen wird! Jan ist jetzt nicht mehr da, statt seiner steht ein
- anderer Wache,« antwortete ein Wachtposten.
- »Oh oh,« sagte der Jude leise, »das ist schlimm, werter Herr!«
- »Schnell, führ mich weiter,« sprach Taraß hartnäckig. Der Jude
- gehorchte.
- An der Tür eines unterirdischen Gewölbes, das oben scheinbar spitz
- zulief, stand ein Heiduck mit einem dreistöckigen Schnurrbart. Der eine
- Teil des Bartes war nach hinten gebürstet, der andere nach vorn, und der
- dritte hing ihm nach unten herab, sodaß der Mann aussah wie ein Kater.
- Der Jude schrumpfte völlig zusammen und beugte sich fast bis zum
- Erdboden herab. Endlich näherte er sich ihm von der Seite. »Euer Gnaden,
- allerdurchlauchtigster Herr!«
- »Sagst du das zu mir, Jude?«
- »Zu dir, allerdurchlauchtigster Herr!«
- »Hm ... ich bin aber doch nur ein einfacher Heiduck!« sagte der
- Schnurrbartgewaltige und sein ganzes Gesicht strahlte von Eitelkeit.
- »Ich dachte, bei Gott, du seist der erhabene Wojewode selbst! Oh oh oh.«
- Bei diesen Worten schüttelte der Jude den Kopf und spreizte die Finger.
- »Oh oh, wie würdig und vornehm der Herr aussehen. Bei Gott -- ein
- Oberst, wie ein richtiger Oberst! Nur noch ein Tröpfchen, und nichts
- fehlte zu einem Oberst! Der Herr müßte auf einem Pferde sitzen, so
- schnell, wie eine Fliege, und Parade abhalten über alle Regimenter!«
- Der Heiduck brachte den untern Teil seines Bartes in Ordnung, und seine
- Augen strahlten vor Vergnügen.
- »Nein, was sind die Soldaten doch für ein Volk,« fuhr der Jude fort. »O
- weh mir, was für ein prächtiges Volk! Schnüre, Tressen, das glänzt
- ordentlich wie die Sonne! Und die Fräulein, die die Herren Soldaten
- sehen -- oh oh ...« Und der Jude schüttelte wieder den Kopf.
- Der Heiduck strich sich mit der Hand über den oberen Teil des Bartes und
- gab hierbei einen Laut von sich, der dem Wiehern eines Pferdes glich.
- »Darf ich den Herrn untertänigst um eine Freundlichkeit bitten?« bat der
- Jude, »der Fürst hier ist aus fremden Landen gekommen; er möchte sich
- die Kosaken ansehen. Hat er doch in seinem Leben nicht gesehen, was für
- ein Volk die Kosaken sind!«
- Die Besuche ausländischer Grafen und Barone kamen in Polen ziemlich
- häufig vor; oft führte sie nichts hin als die bloße Neugierde, sich
- diesen halbasiatischen Winkel Europas anzusehen. Moskau und die Ukraine
- galt ihnen schon für Asien. Der Heiduck hielt es daher nach einer
- ziemlich tiefen Verbeugung für nötig, von sich aus noch ein paar Worte
- hinzuzufügen.
- »Ich weiß nicht,« sagte er, »warum Euer Durchlaucht sie sich ansehen
- wollen. Das sind ja Hunde und keine Menschen. Und einen Glauben haben
- sie, den achtet niemand!«
- »Das lügst du, Teufelsbrut,« rief Bulba. »Du selbst bist ein Hund! Wie
- wagst du, zu sagen, daß man unsern Glauben nicht achtet! Euren
- ketzerischen Glauben, den verabscheut jeder Rechtgläubige!«
- »Aha steht es so!« rief der Heiduck, »jetzt weiß ich, wer du bist, mein
- Freund! Du gehörst wohl selbst zu diesen, die hier festsitzen. Warte
- mal, ich will mal unsere Leute herbeirufen!«
- Taraß sah ein, wie unvorsichtig er gewesen war, aber Trotz und Wut
- hinderten ihn, darüber nachzudenken, wie er es wieder gut machen sollte.
- Glücklicherweise griff Jankel sofort ein.
- »Allerdurchlauchtigster Herr! Wie sollte es möglich sein, daß der Herr
- ist ein Kosak! Und wenn er ein Kosak wäre, wie käme er zu einer solchen
- Kleidung und zu einem so gräflichen Aussehen!«
- »Lüg dir doch selbst was vor!« Der Heiduck wollte schon seinen riesigen
- Mund öffnen, um Lärm zu machen.
- »Eure königliche Hoheit! Beruhigen Sie sich! Beruhigen Sie sich um
- Gottes willen!« schrie Jankel. »Wir werden Ihnen so viel geben, wie Sie
- noch nie gesehen haben: wir werden Ihnen zwei goldene Dukaten geben!«
- »He, wie? -- zwei Dukaten! Aus zwei Dukaten mache ich mir garnichts, die
- gebe ich dem Barbier, wenn er mir die Hälfte meines Bartes rasiert hat.
- Hundert Dukaten, Jude!« Hier drehte der Heiduck seinen Schnurrbart ...
- »Wenn du mir nicht sofort hundert Dukaten gibst, so schrei ich sofort
- los!«
- »Warum soviel,« rief der Jude, der ganz kreidebleich geworden war,
- jammernd und öffnete einen ledernen Säckel: er war aber doch glücklich,
- daß nicht mehr darin war, und daß der Heiduck nicht weiter als bis
- hundert zählen konnte.
- »Herr, lassen Sie uns schnell fortgehen. Sie sehen doch, was das hier
- für schlechte Menschen sind!« sagte Jankel, als er bemerkte, daß der
- Heiduck das Geld nachzählte, als ob es ihm leid täte, nicht mehr
- gefordert zu haben.
- »Nun, du Satansheiduck?« rief Bulba. »Das Geld hast du genommen, aber du
- denkst nicht daran, uns den Gefangenen zu zeigen? Nun, jetzt mußt du ihn
- uns zeigen! du hast das Geld angenommen, und darum hast Du kein Recht
- uns abzuweisen!«
- »Fort mit euch, geht zum Teufel! Sonst melde ich es sofort! Und man wird
- euch gleich ... Ich will euch Beine machen, sage ich euch!«
- »Herr. Herr, kommt schnell, bei Gott, kommt! Hol sie der Teufel! Gott
- schicke ihm einen Traum, daß ihm übel wird!« schrie der arme Jankel.
- Bulba wandte sich langsam um und schritt mit gesenktem Kopfe zurück,
- wobei ihn Jankel mit Vorwürfen überhäufte, der sich über die nutzlos
- weggeworfenen hundert Dukaten fast zu Tode ärgerte.
- »Wozu mußtet Ihr ihn denn reizen! Hättet Ihr doch den Hund ruhig
- schimpfen lassen! Das ist doch nun mal so ein Volk, die müssen immer
- schimpfen. O weh mir, was für ein Glück hat Gott diesen Menschen
- geschickt! Hundert Dukaten dafür, daß er uns fortjagt; Unsereinem
- dagegen reißt man die Locken ab, man richtet ihm das Gesicht zu, daß man
- es gar nicht mehr anschauen mag -- und kein Mensch gibt ihm hundert
- Dukaten! O mein Gott! Barmherziger Gott!«
- Dieser Mißerfolg hatte jedoch einen noch tieferen Eindruck auf Bulba
- gemacht: eine verzehrende Flamme glühte in seinen Augen.
- »Vorwärts«, sagte Bulba plötzlich, wie aus einem Traum erwachend, »komm,
- wir wollen auf den Platz gehen. Ich will sehen, wie man ihn foltern
- wird.«
- »O weh, gnädiger Herr, wozu sollen wir hingehen, wir können ihm ja doch
- nicht mehr helfen.«
- »Komm,« sagte Bulba eigensinnig, und der Jude folgte ihm seufzend, wie
- eine Kinderfrau.
- Es war nicht schwer, den Platz aufzufinden, wo die Hinrichtung
- stattfinden sollte: denn das Volk strömte von allen Seiten dorthin. In
- jenen barbarischen Zeiten war das nicht nur für den Pöbel, sondern auch
- für die höheren Kreise eins der beliebtesten Schauspiele. Viele fromme
- alte Weiber, eine Unzahl scheuer und ängstlicher junger Mädchen und
- Frauen, die nachher die ganze Nacht von blutigen Leichen träumten und im
- Schlafe so laut aufschrien, wie das nur noch ein betrunkener Husar
- vermag, ließen keine Gelegenheit vorüber, sich das Schauspiel anzusehen.
- »O welch entsetzliche Qualen,« schrien manche in hysterischer,
- fieberhafter Erregung, hielten sich die Hände vor die Augen und wandten
- sich ab, verharrten aber trotzdem lange auf ihrem Platze. Viele standen
- mit weitgeöffnetemMunde da, streckten die Arme aus und wären den vor
- ihnen Stehenden am liebsten auf den Kopf gesprungen, um besser sehen zu
- können. Aus der Menge der kleinen, schmalen und gewöhnlichen Köpfe ragte
- hin und wieder das dicke Gesicht eines Schlächters hervor: er sah sich
- den Vorgang mit Kennermienen an und unterhielt sich in einsilbigen
- Worten mit einem Waffenschmied, den er Gevatter nannte, weil er sich an
- Feiertagen mit ihm zusammen in der gleichen Schenke zu betrinken
- pflegte. Wieder andere erörterten das Ereignis mit großer Erregung und
- Leidenschaftlichkeit; eine dritte Partei ging sogar Wetten ein. Die
- meisten der Anwesenden jedoch gehörten zu jener Gattung, die die ganze
- Welt und alles, was darin vorgeht gleichgültig ansehen und dabei den
- Finger in die Nase stecken. In der ersten Reihe, neben den mit mächtigen
- Schnauzbärten gezierten Heiducken, die die Stadtwache bildeten, stand
- ein junger Edelmann (er sah wenigstens so aus) -- in ritterlicher
- Tracht; er hatte sich mit allem behängt, was er besaß, so daß nur noch
- ein zerrissenes Hemd und ein Paar alte Stiefel in seiner Wohnung
- zurückgeblieben waren. Um seinen Hals hatte er zwei Ketten geschlungen,
- eine über die andre, an denen je ein Dukaten hing. So stand er mit
- seiner Geliebten Jusysja da und sah sich fortwährend um, damit nur ja
- niemand ihr seidenes Kleid beschmutzte. Er hatte ihr bereits alles
- erklärt, so daß gar nichts mehr hinzuzufügen blieb. »Sieh, geliebte
- Jusysja,« sagte er »dies ganze Volk, das Du hier siehst, ist
- hierhergekommen, um zu sehen, wie man die Verbrecher hinrichten wird.
- Der da, mit dem Beil und den andern Werkzeugen in der Hand, den, den du
- dort siehst, Liebchen: das ist der Henker, der wird das Urteil
- vollstrecken. Solange er den Verbrecher rädert und noch auf andere Weise
- martert, ist der immer noch am Leben; schlägt er ihm aber den Kopf ab,
- dann ist es aus mit ihm, Liebste. Zuerst wird er natürlich schreien und
- sich winden -- wenn man ihm aber den Kopf abgeschlagen hat, dann kann er
- nicht mehr schreien, und nicht mehr essen, noch trinken, denn er hat ja
- keinen Kopf mehr, Liebchen!« Und Jusysja hörte das alles voller
- Schrecken und Neugier an. Die Dächer der Häuser waren von einer großen
- Menschenmenge bedeckt. Aus kleinen Luken blickten merkwürdige Gesichter,
- mit Schnurrbärten und haubenartigen Kopfbedeckungen hervor. Auf den
- Balkonen saßen die Edelleute unter Baldachinen. Das schöne Händchen
- eines lachenden Fräuleins mit einem Gesichtchen, das wie Milchzucker
- glänzte, lag lässig auf dem Rand des Geländers. Edle Herren von
- ansehnlicher Beleibtheit blickten mit ernster Miene von oben herab. Ein
- Leibeigener in kostbarer Tracht und mit zurückgeschlagenen Ärmeln
- reichte allerhand Speisen und Getränke herum. Bisweilen warf ein
- mutwilliges Mädchen mit schwarzen Augen und weißen glänzenden Händchen
- Kuchen und Früchte unter die Menge. Eine Schar hungriger Ritter hielt um
- die Wette ihre Mützen hin, und ein hagerer Edelmann, der mit seinem
- Kopfe weit über alles Volk hinausragte und einen verblichenen roten Rock
- mit nachgedunkelten goldenen Schnüren trug, fing die süße Beute mit
- seinen langen Armen zuerst auf, küßte sie, drückte sie ans Herz und ließ
- sie dann im Munde verschwinden. Auch ein Falke, der in einem goldenen
- Käfig unter dem Balkon hing, gehörte zu den Zuschauern; er saß mit zur
- Seite gebogenem Schnabel und ausgestreckter Kralle da und beobachtete
- seinerseits das Volk voller Aufmerksamkeit. Plötzlich begann die Menge
- unruhig zu werden und zu lärmen, und man schrie von allen Seiten: »sie
- kommen, sie kommen, die Kosaken kommen!«
- Diese kamen mit entblößten Häuptern und ihren langen Mähnen
- herangeschritten; auch ihre Bärte waren lang und ungepflegt. Ihr Gang
- war weder ängstlich noch bekümmert; stumm und stolz schritten sie daher.
- Das kostbare Tuch ihrer Kleider war verschlissen und hing in Fetzen an
- ihnen herab: sie beachteten das Volk nicht und gönnten ihm keinen Gruß.
- Allen voran schritt Ostap.
- Was mochte der alte Taraß empfinden, als er seinen Sohn erblickte? Was
- ging wohl in seiner Seele vor? Er sah aus der Menge nach ihm hin, und
- keine seiner Bewegungen ging ihm verloren. Die Kosaken hatten den
- Richtplatz betreten. Ostap blieb stehen. Er sollte den bitteren Kelch
- als erster leeren. Er sah die Seinen an, hob die Arme empor und sprach
- laut: »Gebe Gott, daß alle Ketzer, die hier stehen, nichts davon
- vornehmen, wie ein Christ leidet, und daß keiner einen Laut von sich
- gebe!« Dann beschritt er das Schafott. »Brav, mein Sohn, brav,« sagte
- Bulba leise und ließ seinen grauen Kopf tief hinabsinken.
- Der Henker riß Ostap die alten Lumpen herunter, Hände und Füße wurden in
- ein eigens zu diesem Zwecke angefertigtes Gestell gesteckt und ... Aber
- wozu sollen wir den Leser mit der Beschreibung all der höllischen Qualen
- erschüttern, bei denen einem jeden die Haare zu Berge stehen müssen. Das
- waren die Ausgeburten jenes rohen barbarischen Zeitalters, da der Mensch
- sein Leben nur in blutigen Kämpfen hinbrachte und seine Seele gegen alle
- menschlichen Gefühle abhärtete. Vergebens kämpften einzelne Menschen,
- die in jener Zeit nur seltene Ausnahme bildeten, gegen diese
- entsetzlichen Schauspiele. Vergebens wiesen geistig hochbegabte und
- aufgeklärte Könige und viele Ritter darauf hin, daß solch grausame
- Strafen den Rachedurst der Kosaken nur noch mehr entflammen müßten. Aber
- die Macht des Königs und die vernünftigen Erwägungen waren ohnmächtig
- gegenüber der Zügellosigkeit und frechen Willkür der Magnaten, die durch
- ihre Unüberlegtheit, ihren unbegreiflichen Mangel jeglichen Weitblicks
- und durch ihren kindischen Ehrgeiz und kleinlichen Stolz den Reichstag
- zu einer Satire auf die Regierung herabgewürdigt hatten. Ostap ertrug
- die Qualen und Foltern wie ein Held. Als man ihm die Gelenke an Händen
- und Füßen zerbrach, hörte man ihm nicht einmal einen Schrei oder einen
- Seufzer entfahren, und selbst als inmitten der totenstillen Menge das
- entsetzliche Krachen der Knochen auch dem entferntesten Zuschauer hörbar
- wurde, und die jungen Fräuleins ihre Augen abwandten -- selbst da
- entwich seinen Lippen kein Klagelaut, und zuckte keine Miene in seinem
- Gesicht. Taraß stand mit gesenktem Haupte in der Menge, aber seine Augen
- blickten stolz, und er murmelte beifällig: »Bravo, mein Sohn, bravo.«
- Als man jedoch zu den letzten tödlichen Martern schritt, da schien es,
- als ob Ostap seine Selbstbeherrschung verlassen wollte. Er sah sich
- rings um: Gott! Lauter fremde, unbekannte Gesichter! O wäre doch nur
- einer, der ihm nahestand, bei seinem Tode zugegen gewesen. Es war nicht
- das Schluchzen und Klagen der schwachen Mutter, oder das irrsinnige
- Jammern der Gattin, die sich die Haare zerrauft und gegen den weißen
- Busen schlägt, was ihn zu hören verlangte, wohl aber hätte er jetzt
- einen starken Mann sehen mögen, der ihn vor seinem Ende mit einem klugen
- Wort erfrischen und trösten konnte. Seine Kraft verließ ihn und in
- furchtbarer Seelenqual schrie er auf: »Vater, wo bist du? Hörst du das
- alles nicht?«
- »Ich höre es,« klang es plötzlich durch die allgemeine Stille, und ein
- Zittern ging plötzlich durch die millionenstarke Menge. Ein Teil der
- bewaffneten Reiter stürzte sich sofort mitten unter sie, um sie zu
- durchsuchen. Jankel war bleich geworden wie der Tod; als sich die Reiter
- ein wenig von ihm entfernt hatten, wandte er sich voller Schrecken um,
- um Taraß zu suchen; allein dieser stand schon nicht mehr neben ihm und
- war spurlos verschwunden.
- Zwölftes Kapitel
- Taraß ließ bald wieder von sich hören. Ein Heer von
- hundertzwanzigtausend Kosaken erschien an den Grenzen der Ukraine. Das
- war nicht mehr ein Häuflein oder eine kleine Schar, die auf Raub ausging
- oder die den Tataren nachsetzen wollte. Nein, die ganze Nation hatte
- sich erhoben, denn die Geduld des Volkes war endlich erschöpft -- sie
- hatte sich erhoben, um sich für die Verhöhnung ihrer Rechte, den
- erniedrigenden Schimpf, der ihren Sitten angetan war, die Verletzung des
- Glaubens ihrer Vorfahren und ihrer heiligen Gebräuche, für die Schändung
- der Kirchen, die Willkür der ausländischen Herren, die Unterdrückung,
- die Union und die verhaßte Herrschaft der Juden in christlichen Landen,
- kurz, um sich für alles zu rächen, was den leidenschaftlichen Haß der
- Kosaken hervorgerufen und gesteigert hatte. An der Spitze dieses
- unübersehbaren Kosakenheeres stand der junge aber kluge und mutige
- Hetman Ostraniza, und ihm zur Seite sein altersgrauer und kampferprobter
- Waffenbruder und Berater Gunja. Acht Hauptleute führten ebensoviel
- Scharen von je zwölftausend Kosaken. Zwei Anführer und ein Unterfeldherr
- bildeten das unmittelbare Gefolge des Hetmans. Der erste Fahnenträger
- ritt mit dem großen Banner allen voran; und noch zahllose andere Fahnen
- und Feldzeichen sah man in der Ferne flattern. Die Anführer trugen alle
- ihre Hetmansstäbe. Außerdem befanden sich im Heere noch eine große Reihe
- anderer Würdenträger, als da sind: Proviantmeister, Stabsoffiziere,
- Heerschreiber &c., die von Berittenen und Fußvolk begleitet wurden. Die
- Zahl der Freiwilligen war fast ebenso groß, wie die der
- Kriegspflichtigen. Von allen Seiten waren die Kosaken zusammengeströmt:
- aus Tschigirin, Perejaßlaw, aus Baturin und Gluchow, von dem unteren
- Laufe des Dnjepr, von seinem ganzen Oberlauf und von all seinen Inseln.
- Zahllose Roßherden und Wagenreihen zogen über die Felder dahin. Aber
- unter den vielen Kosaken, unter diesen acht Abteilungen war eine, die
- vor allen ausgezeichnet war, das war die, an deren Spitze Taraß Bulba
- stand. Alles kam zusammen, um ihm ein gewaltiges Übergewicht über seine
- Genossen zu geben: sein vorgerücktes Alter, seine Erfahrung, seine
- Kunst, ein so großes Heer zu befehligen, und vor allem sein furchtbarer
- Haß gegen die Feinde. Selbst den Kosaken erschien seine furchtbare
- Wildheit und unbarmherzige Grausamkeit fast übertrieben. Sein ergrauter
- Kopf träumte von nichts anderen, als von Galgen und Feuer, und im
- Kriegsrate verbreitete sein Wort Schrecken und Vernichtung.
- Es wäre zwecklos, all die Schlachten, in denen sich die Kosaken
- auszeichneten oder den ganzen Verlauf dieses Feldzuges zu beschreiben,
- all dieses ist in den Büchern der Geschichte aufgezeichnet. Man weiß,
- wie man in russischen Landen einen Krieg für den Glauben führt: es gibt
- keine furchtbarere Kraft als den Glauben. Er ist unüberwindlich und
- schrecklich wie ein Felsen, der nicht von Menschenhand geschaffen ist
- und der von dem wilden ewig wechselnden Meere umbraust wird: aus der
- tiefsten Tiefe des Meeresgrundes erhebt er seine unerschütterlichen, aus
- einem einzigen Stücke geschaffenen Mauern bis in den Himmel empor. Er
- ist von allen Seiten sichtbar und blickt aufrecht auf die vorbeieilenden
- Wogen herab. Und wehe dem Schiff, das zu ihm hingetrieben wird. Seine
- kraftlosen Masten und Segel reißen in Stücke. Mann und Maus geht unter,
- und das Jammergeschrei der Ertrinkenden erfüllt ringsum die Luft.
- Es ist in den Chroniken ausführlich beschrieben, wie die polnischen
- Besatzungen aus den erschrockenen Städten flohen, wie die gewissenlosen
- jüdischen Pächter, einer nach dem andern, aufgeknüpft wurden, wie
- wehrlos der königliche Hetman Nikolaus Potozki mit seinem großen Heere
- dieser unüberwindlichen Macht gegenüberstand, wie er geschlagen und
- verfolgt wurde und wie er die bessere Hälfte seines Heeres in einem
- kleinen Flüßchen untergehen ließ; wie die furchtbaren Kosakenhorden ihn
- in das Städtchen Polomo einschlossen, und wie der bis zum Äußersten
- getriebene polnische Hetman ihnen mit einem feierlichen Eid im Namen des
- Königs und aller Magnaten vollständige Genugtuung und die
- Wiederherstellung aller früherer Rechte und Privilegien versprach. Aber
- die Kosaken waren nicht gesinnt, sich damit zu begnügen: wußten sie
- doch, welch einen Wert ein polnischer Eid hatte. Und Potozki hätte nicht
- mehr auf seinem schmucken Renner, der wohl sechstausend Gulden wert war,
- die Blicke der Edeldamen und den Neid des Adels auf sich lenken, nicht
- mehr im Reichstag lärmen und keine glänzenden Gastmähler zu Ehren der
- Senatoren geben können, wenn ihn die russische Geistlichkeit, die sich
- im Städtchen befand, nicht gerettet hätte. Als nämlich alle Polen in
- ihren glänzenden, goldgestickten Meßgewändern, mit Heiligenbildern und
- Kreuzen in den Händen und allen voran der Erzbischof mit Kreuz und Mitra
- ihnen entgegenkamen, da senkten die Kosaken ihre Häupter und nahmen die
- Mützen ab. In jenem Augenblick hätten sie wohl niemandem Achtung
- erwiesen, selbst dem König nicht -- aber gegen ihre Kirche erdreisteten
- sie sich nicht, sich aufzulehnen, und daher begrüßten sie ihre
- Geistlichkeit ehrfürchtig. Der Hetman wie die Hauptleute erklärten sich
- bereit, Potozki freizugeben, doch ließen sie ihn vorher einen Schwur
- leisten, daß er alle christlichen Kirchen in Ruhe lassen, der alten
- Feindschaft entsagen und dem Kosakentum keinen Schimpf und Schaden mehr
- zufügen werde. Nur einer der Hauptleute wollte diesen Friedensschluß
- nicht mitmachen: dieser eine war Taraß. Er riß sich ein Büschel Haare
- aus und rief:
- »He, du Hetman und ihr Hauptleute! macht doch keine solchen
- Weibergeschäfte! Traut den Polen nicht: sie werden euch ja doch
- verraten!« Und als der Heerschreiber den Vertrag vorlegte, und der
- Hetman ihn mit seiner mächtigen Faust unterzeichnete, da zog Taraß seine
- herrliche Klinge, den kostbaren türkischen Säbel von feinstem Stahl,
- zerbrach ihn in zwei Stücke wie einen Stab, warf sie weit weg, nach
- verschiedenen Richtungen und rief: »So lebt denn wohl! So wenig wie
- diese beiden Enden sich je zu einem Säbel vereinigen werden, werden auch
- wir uns in dieser Welt noch einmal wiedersehen, Kameraden! Seid meiner
- Abschiedsworte eingedenk!« (Hier wurde seine Stimme lauter, sie erhob
- sich gewaltig, und eine ungewohnte Macht ging von ihr aus, so daß alle
- über diese propethischen Worte in Verwirrung gerieten.) »In Eurer
- Todesstunde werdet ihr meiner gedenken! Ihr glaubt, daß ihr euch nun
- Ruhe und Frieden erkauft habt, ihr glaubt, daß ihr jetzt wie die Herren
- leben werdet? Das kann ein rechtes Herrenleben werden! Die Haut wird man
- dir vom Kopfe ziehen, Hetman, man wird sie mit Buchweizenspreu
- ausstopfen und sie auf allen Märkten herumschleppen und ausstellen! Und
- auch ihr, werte Herren, werdet eure Köpfe nicht behalten! In feuchten
- Kellern, zwischen steinernen Mauern eingepfercht, werdet ihr elend
- verrecken -- wenn man euch nicht etwa lebendig röstet wie Hammel in
- glühenden Kesseln.«
- »Doch ihr, Kameraden,« fuhr er fort, indem er sich an seine Leute
- wandte, »wer von euch will einen Tod sterben, wie er selbst ihn sich
- wünscht, -- nicht hinter dem Ofen und an der Seite seines Weibes, nicht
- trunken hinterm Zaun neben irgend einer Schenke, wie ein stinkendes Aas,
- -- sondern einen ehrlichen Kosakentod, zusammen mit allen, auf einem
- Lager, wie Braut und Bräutigam? Oder wollt ihr vielleicht nach Hause
- zurückkehren, eurem Glauben abschwören und die polnischen Priester auf
- eurem Rücken schleppen.«
- »Führe du uns Hauptmann, führe uns, Herr,« riefen alle die zu seiner
- Abteilung gehörten, und noch viele andere schlossen sich ihnen an.
- »Nun also denn, vorwärts« rief Taraß, drückte seine Mütze noch kühner in
- die Stirn, warf den Zurückbleibenden einen verächtlichen Blick zu,
- richtete sich auf seinem Rosse hoch auf und rief den Seinen zu: »Niemand
- wage es, uns zu beschimpfen! Auf Freunde, jetzt wollen wir diesen
- Katholiken einmal einen Besuch abstatten!« Damit gab er seinem Pferd
- einen Schlag und stürmte davon, und ein ganzer Zug von hundert Wagen,
- dem sich viele Kosaken zu Fuß und zu Pferde anschlossen, folgte ihm.
- Taraß wandte sich um und warf den Zurückbleibenden noch einen drohenden
- Blick zu -- seine Augen sprühten vor Zorn. Niemand wagte es, sie
- zurückzuhalten. Die Abteilung zog Angesichts des ganzen Heeres ab, und
- noch viele Male drehte sich Taraß nach ihm um, und blitzte sie zornig
- an.
- Der Hetman und die Kosaken blieben zurück; sie versanken in Gedanken und
- schwiegen lange Zeit, wie wenn eine schwere Vorahnung sie bedrückte.
- Taraß hatte die Wahrheit gesagt. Es kam ganz so, wie er es vorausgesehen
- hatte. Kurze Zeit darauf, nach dem Verrat von Kanewo, ward der Kopf des
- Hauptmanns und mit ihm der vieler vornehmer Würdenträger, auf einen
- Pfahl gesteckt und öffentlich zur Schau gestellt.
- Was aber geschah mit Taraß? Er stürmte mit seinen Leuten durch ganz
- Polen, brannte achtzig Städtchen und ungefähr vierzig Kirchen nieder und
- rückte schon gegen Krakau vor. So manchen Edelmann hatte er schon
- niedergemacht und die reichsten und schönsten Schlösser geplündert. Die
- Kosaken öffneten die Wein- und Metfässer, welche Jahrhundertelang im
- Keller der polnischen Herren gelagert hatten, und ließen den köstlichen
- Wein auf den Boden laufen, schnitten die kostbaren Stoffe in Stücke und
- verbrannten die Gewänder und Zierrate, die sich in den Kammern befanden.
- »Schont mir nur nichts,« wiederholte Taraß fortwährend, und die Kosaken
- schonten selbst die schwarzäugigen Fräulein mit dem weißen Busen und den
- lieblichen Gesichtchen nicht, nicht einmal vor den Altären fanden sie
- Schutz vor ihnen: Taraß ließ sie mitsamt den Altären verbrennen. Manch
- schneeweiße Hand hob sich flehend aus der feurigen Glut zum Himmel: bei
- ihrem jämmerlichen Geschrei hätte die Erde selbst sich erweicht, und das
- Gras der Steppe hätte sich mitleidig zu Boden geneigt. Aber die
- grausamen Kosaken achteten auf nichts, sie spießten auf den Straßen die
- Säuglinge auf ihre Lanzen und schleuderten sie ihnen in die Flammen
- nach. »Da ihr verdammten Polen, das ist die Totenfeier für Ostap,«
- wiederholte Taraß beständig. Und solche Totenfeiern für Ostap
- veranstaltete er in jedem Dorfe, bis die polnische Regierung endlich
- erkannte, das Taraß' Toben mehr bedeute als ein einfaches Rauben, sie
- erteilte daher Potozki den Auftrag, mit fünf Regimentern auszuziehen, um
- Taraß unverzüglich zu fangen.
- Sechs Tage lang entzogen sich die Kosaken auf allerhand Feldwegen der
- Verfolgung, die Pferde vermochten die ungewohnte schnelle Flucht kaum zu
- ertragen und retteten nur mit Mühe die Kosaken. Potozki erwies sich
- jedoch diesmal des ihm gegebenen Auftrags gewachsen: unermüdlich
- verfolgte er sie und erreichte sie endlich am Ufer des Dnjestr, wo Bulba
- eine zerfallene und verlassene Festung bezogen hatte, um dort Rast zu
- halten.
- Diese Festung stand dicht an den steilen Ufern des Dnjestr, die Wälle
- waren niedergerissen, die Mauern waren zerfallen, und die Spitze des
- Felsens, die jeden Augenblick zusammenzustürzen und herabzufallen
- drohte, war über und über mit zerbrochenen Kiesel- und Felssteinen
- bedeckt. Hier war es, wo der königliche Hetman Potozki die Kosaken von
- drei Seiten, die mit dem offnen Feld in Verbindung standen, umzingelte.
- Vier Tage lang kämpften und verteidigten sie sich, indem sie Felsen und
- Ziegelsteine auf die Polen herabschleuderten, aber als die Vorräte und
- Kräfte zu Ende waren, faßte Taraß den Entschluß, sich durch die
- feindlichen Reihen hindurchzuschlagen. Der Versuch wäre beinahe gelungen
- -- schon hatten die Kosaken die feindliche Schlachtordnung durchbrochen,
- und vielleicht hätten ihnen ihre schnellfüßigen Rosse noch einmal einen
- treuen Dienst geleistet, -- da hielt Taraß plötzlich mitten im vollen
- Lauf inne und rief aus: »Halt, ich habe meine Pfeife und meinen Tabak
- verloren! Ich will nicht, daß die verfluchten Polen auch nur meine
- Pfeife in die Hände bekommen!« Und der alte Hauptmann bückte sich und
- begann im Grase nach seiner Pfeife zu suchen, die immerdar -- zu Wasser
- und zu Lande, im Feldzug und daheim, seine treue Begleiterin gewesen
- war. Inzwischen war jedoch ein Trupp Polen herbeigesprengt, und
- plötzlich packten ihn ein paar Leute bei den kräftigen Schultern. Er
- suchte sie mit aller Macht abzuschütteln, aber diesmal fielen die
- Heiducken nicht wie ehemals von ihren Rossen herunter. »Ach ja, man wird
- alt,« sagte er, und der schwere, alte Kosak begann bitterlich zu weinen,
- doch es war nicht das Alter, das an seiner Niederlage schuld war: er war
- der Übermacht erlegen, denn mehr als dreißig Mann hielten seine Hände
- und Füße umklammert.
- »Endlich haben wir dich, alte Krähe!« schrieen die Polen, »jetzt müssen
- wir es uns nur noch überlegen, du Hund, wie wir dich am besten ehren!«
- Mit Zustimmung des Hetmans wurde er dazu verurteilt, angesichts des
- Heeres, lebendig verbrannt zu werden. Ganz in der Nähe befand sich ein
- kahler Baumstamm, dessen Spitze vom Blitze zerstört war. Taraß wurde in
- eiserne Ketten geschlossen, zum Baume geschleppt und an den Stamm
- gefesselt; man erhob ihn so hoch wie möglich über den Erdboden, damit
- man ihn von allen Seiten sehen konnte, nagelte seine Hände fest und
- schichtete einen Scheiterhaufen unter dem Baume auf. Aber Taraß blickte
- nicht auf den Scheiterhaufen; er dachte nicht an das Feuer, das ihn
- verzehren sollte, er sah dorthin, wo die Gewehre knatterten und die
- Kosaken sich ihrer Feinde zu erwehren suchten, war doch von seinem
- erhöhten Platze aus alles zu sehen wie auf der flachen Hand. »Schnell,
- schnell hinauf, Kameraden,« schrie er, »besetzt den Hügel hinter dem
- Walde! Dorthin können sie euch nicht folgen!« Aber der Wind trug seine
- Worte nicht bis zu ihnen. »Sie werden umkommen, nutzlos umkommen« sagte
- er und blickte verzweifelt nach unten hinab, wo der Dnjestr glänzte.
- Plötzlich blitzte eine helle Freude in seinen Augen auf. Er hatte hinter
- einem Busch auf dem Flusse vier Nachen erblickt, und so nahm er denn
- seine ganze Kraft zusammen und schrie mit lauter Stimme »Ans Ufer, ans
- Ufer Kameraden! Lauft den kleinen Weg hinunter, den, der zur Linken
- liegt! Am Ufer liegen Kähne! Bemächtigt euch ihrer sofort, aber aller,
- hört ihr, damit sie euch nicht verfolgen können!«
- Diesmal wehte der Wind von der andern Seite, und den Kosaken entging
- keins seiner Worte. Aber für seine Warnung erhielt er einen solchen Hieb
- mit der Keule über den Schädel, daß es ihm dunkel vor den Augen wurde.
- Schnell wie der Blitz jagten die Kosaken den Bergsteig hinab, und dicht
- hinter ihnen die Verfolger. Sie sahen, daß der schmale Pfad sich
- vielfach hin und her schlängelt und windet und sich seitwärts verzweigt.
- »Ach Kameraden, es wird uns nicht glücken« seufzten alle und hielten
- einen Augenblick inne, dann aber ließen sie ihre Peitschen durch die
- Luft sausen -- ein Pfiff, und im Nu flogen ihre Tatarenpferde über die
- Erde hin; lang streckten sie sich in der Luft aus gleich einer Schlange,
- setzten im Sprung über Abgründe und stürzten dann mitten in den Dnjestr
- hinein. Nur zwei Kosaken vermochten den Fluß nicht mehr zu erreichen:
- sie fielen samt ihren Pferden auf die Felsen hinab und blieben dort für
- immer tot liegen, ohne auch nur einen Schrei ausgestoßen zu haben. Die
- andern aber schwammen bereits mit ihren Pferden im Flusse und banden die
- Boote los. Verdutzt blieben die Polen vor dem Abgrunde stehen; ganz
- erstaunt über diese unerhörte Kühnheit der Kosaken und noch im Zweifel
- ob sie ihnen folgen sollten oder nicht. Nur ein junger Hauptmann, dem
- das Blut heiß und wild durch die Adern stürmte, ein Bruder der schönen
- Polin, die den armen Andrij betört hatte, überlegte nicht lange, nahm
- einen Anlauf und warf sich mit seinem Roß in die Fluten: dreimal
- überschlug er sich in der Luft mit seinem Pferde und stürzte dann jäh
- auf die spitzen Felsen herab. Das scharfe Gestein riß seinen Körper in
- Stücke, der bald im Abgrunde verschwand, und sein mit Blut vermischtes
- Gehirn spritzte weit über Sträucher, die an den rauhen Felsenklippen des
- Abhanges wuchsen. Als Taraß sich von dem Schlage erholt hatte, blickte
- er nach dem Dnjestr hinab, die Kosaken saßen bereits in den Kähnen und
- ruderten davon; die Kugeln regneten nur so von oben auf sie herab,
- allein sie trafen niemand, und freudig leuchteten die Augen des alten
- Hetmans.
- »Lebt wohl, Kameraden,« rief er ihnen von oben zu, »denkt an mich, kommt
- im nächsten Frühling wieder her und setzt ihnen ordentlich zu. Nun! Was
- habt ihr erreicht, ihr teuflischen Polen? Glaubt ihr, es gibt etwas auf
- der Welt, wovor der Kosak sich fürchtet? Wartet nur, es kommt noch
- einmal der Tag, wo ihr erfahren werdet, was der rechte russische Glaube
- vermag! Schon jetzt spüren es die fernen und die nahen Völker! Ein Zar
- wird erstehen aus dem russischen Blute, und es wird keine Macht der Welt
- geben, die sich ihm nicht unterwerfen müßte!« Schon züngelte die Glut
- über den Scheiterhaufen, das Feuer beleckte seine Füße und schlängelte
- sich in einer mächtigen Flamme am Baume empor. Aber gibt es denn
- irgendwo in der Welt ein Feuer, gibt es Qualen oder irgend eine Macht,
- die die Kraft eines Russen zu überwältigen vermöchte?
- Ein großer Fluß ist der Dnjestr; er hat viele Buchten, viel dichtes
- Schilf, viele Sandbänke und gewaltige Untiefen. Es glänzt sein
- Wasserspiegel; hell klingt das Schreien der Schwäne, und stolz fliegt
- die Quäker-Ente über ihn dahin; viele Wasserschnepfen, Rebhühner mit
- roten Kröpfen und noch manch andere Vögel hausen in dem dichten Rohr
- seiner Ufer. Behend und kraftvoll glitten die Kosaken in ihren
- zweiruderigen Kähnen dahin, wacker legten sie sich in die Ruder, wichen
- vorsichtig den Sandbänken aus, scheuchten die ängstlich flatternden
- Vögel auf und sprachen preisend von ihrem Hauptmann.
- Mirgorod
- 1835
- Eine Novellen-Sammlung
- zugleich eine
- Fortsetzung der Abende auf
- dem Gutshofe bei Dikanka
- Mirgorod ist eine recht kleine Stadt,
- am Flusse Chorol. Sie hat eine
- Seilfabrik, eine Ziegelei, 4 Wassermühlen
- und 45 Windmühlen.
- Lehrbuch der Geographie
- von Sjablowski.
- Obwohl man in Mirgorod die
- Bretzeln aus schwarzem Teig backt,
- sind sie dort doch recht schmackhaft.
- Aus dem Tagebuche eines
- Reisenden.
- Zweiter Teil
- Übersetzt von
- _Charlotte König_
- Wij.[2]
- [Fußnote 2: Wij ist eine ins Riesenhafte gehende Schöpfung der
- Volksphantasie. So heißt nämlich bei den Klein-Russen der Fürst der
- Gnomen, dessen Augenlider bis an die Erde reichen. Die ganze folgende
- Erzählung ist eine Volkssage. Ich wollte sie völlig unverändert lassen,
- und erzähle sie daher fast ebenso schlicht und einfach, wie ich sie
- gehört habe.]
- Sowie die helle Glocke ertönte, die an der Pforte des
- Bruderschaftsklosters zu Kiew hing, kamen die Schüler und Seminaristen
- von allen Enden der Stadt in dichten Scharen herbeigeeilt. Die
- Grammatiker, die Rhetoriker, die Philosophen und Theologen, sie alle
- strebten mit ihren Heften unter dem Arm der Schule zu. Die Grammatiker
- waren noch sehr klein; sie balgten sich unterwegs und schimpften sich
- mit ihren feinen Diskantstimmen. Fast immer hatten sie zerrissene,
- schmutzige Kleider an, und ihre Taschen waren stets mit allerlei Plunder
- wie: Knöcheln, Federkielpfeifen und angebissenen Pasteten vollgestopft.
- Manchmal trugen sie sogar junge Spatzen in der Tasche, und mitunter
- begann wohl der eine oder der andere, wenn tiefe Stille in der Klasse
- herrschte, zu zwitschern, was seinem Besitzer ein paar tüchtige Schläge
- auf beide Hände, und ab und zu auch eine Tracht Prügel mit der Rute aus
- jungen Kirschbaumzweigen eintrug. Bei den Rhetorikern ging es schon
- solider zu; ihre Kleider waren oft noch vollkommen heil, aber dafür
- waren sie im Gesicht fast immer mit einer Trophäe in Form einer
- rhetorischen Trope geschmückt: entweder versteckte sich ein Auge ganz
- unter der geschwollenen Stirn, oder man sah statt der Lippen eine große
- Blase, oder auch ein anderes charakteristisches Merkzeichen. Diese
- Rhetoriker sprachen und fluchten im Tenor, die Philosophen aber griffen
- eine ganze Oktave tiefer. Ihre Taschen enthielten nichts, außer
- kräftigen Tabaksblättern. Sie legten sich keine Vorräte an, denn alles,
- was ihnen unter die Finger kam, wurde sofort verzehrt. Sie rochen oft
- schon von weitem so stark nach Tabak und Schnaps, daß ein
- vorübergehender Handwerker stets stehen blieb und wie ein Jagdhund in
- der Luft herum schnüffelte.
- Um diese Zeit begann der Marktplatz langsam zu erwachen. Die
- Händlerinnen breiteten ihre Bretzeln, Semmeln, Wassermelonen und
- Mohnsamen mit Honig aus und zupften die Vorübergehenden, die Kleider aus
- feinem Tuch oder schmuckem Baumwollstoff trugen, an den Rockschößen.
- »Junge Herren, junge Herren, hierher! hierher!« riefen sie von allen
- Seiten. »Sehen Sie nur, was für Mohnkuchen, was für schöne Brötchen und
- Bretzeln -- sie sind ganz ausgezeichnet, bei Gott! Von feinstem Honig --
- ich habe sie selbst gebacken!«
- Eine andere hielt ein langes, gewundenes Gebäck aus Teig in die Höhe und
- schrie: »He, he, die schöne Honigstange! Junger Herr kaufen Sie doch
- diese Honigstange!«
- »Kaufen Sie ja nichts bei der: Sehen Sie doch diese widerliche Person
- an, die häßliche Nase, die unsauberen Hände ...«
- Die Philosophen und Theologen aber ließen sie in Ruhe; denn diese
- liebten es nur zu »probieren«, und zwar nahmen sie sich immer gleich
- eine ganze Hand voll.
- Im Seminar angekommen, verteilte sich die ganze Schar sogleich in den
- Klassen, die sich in niedrigen aber ziemlich geräumigen Zimmern, mit
- breiten Türen, kleinen Fenstern und schmutzigen Bänken befanden.
- Plötzlich erfüllte ein vielstimmiges Summen die Räume: die älteren
- Schüler, die sogenannten Auditoren, hörten den jüngeren ihre Lektionen
- ab; hierbei war der helle Diskant des Grammatikers genau auf den Ton der
- kleinen Fensterscheibe abgestimmt, die ihn fast unverändert zurückwarf;
- in der Ecke brüllte ein Rhetor, dessen Mund und wulstige Lippen
- eigentlich mehr zu einem Philosophen paßten. Er rezitierte mit tiefer
- Baßstimme und man vernahm von weitem nichts wie ein dumpfes Bu, bu, bu,
- bu ... Die Auditoren, die den jüngeren Schülern ihre Lektion überhörten,
- schielten mit einem Auge unter die Bank, wo gewöhnlich aus der Tasche
- des ihnen unterstellten Seminaristen ein Brot, ein Quarkkuchen, oder
- Kürbissamen hervorblickten.
- Traf es sich, daß sich die ganze gelehrte Schar etwas früher als nötig
- versammelt hatte, oder wenn es bekannt wurde, daß die Professoren später
- als sonst kommen würden, dann inszenierte man unter allgemeinen Beifall
- eine »Schlacht«, an der alle Schüler, sogar die Zensoren teilnehmen
- mußten, die verpflichtet waren, die Ordnung aufrechtzuerhalten, und die
- die Moral des ganzen Schülerstandes zu beaufsichtigen hatten. Gewöhnlich
- entschieden zwei Theologen, wie die Schlacht vor sich gehen, ob jede
- Klasse für sich kämpfen, oder ob alle zusammen zwei Lager, nämlich die
- Bursa und das Seminar, bilden sollten. Auf alle Fälle machten die
- Grammatiker den Anfang, sobald sich dann die Rhetoriker hineinmengten,
- liefen sie fort und stellten sich an erhöhten Plätzen auf, um den Gang
- der Schlacht zu beobachten. Dann kamen die Philosophen mit ihren langen
- schwarzen Schnurrbärten an die Reihe, und ganz zuletzt griffen die
- Theologen mit ihren gräßlichen Hosen und den furchtbaren, dicken Hälsen
- in die Schlacht ein. Gewöhnlich endete der Kampf damit, daß die
- Theologie sämtliche Kämpfer besiegte, die Philosophie aber wurde in die
- Klasse gedrängt, rieb sich die Lenden und setzte sich auf die Bänke, um
- sich zu erholen. Der Professor, der zu seiner Zeit auch an ähnlichen
- Kämpfen teilgenommen hatte, merkte beim Eintritt in die Klasse sofort an
- den Gesichtern seiner Zuhörer, daß es keine üble Schlacht gegeben hatte,
- und klopfte den Rhetoren mit Ruten auf die Finger, während sein Kollege
- in der anderen Klasse die Hände der Philosophen mit einer Holzleiste
- bearbeitete. Mit den Theologen wurde ganz anders verfahren: ihnen wurde,
- nach dem Ausdruck des Theologieprofessors, ein Maß »grober Erbsen«, und
- zwar vermittelst eines kurzen Lederriemens zugemessen.
- An Festen und an Feiertagen zogen die Seminaristen und Schüler mit einem
- Puppentheater von Haus zu Haus; manchmal spielten sie auch selbst
- Komödie, und dann zeichnete sich immer ein Theologe besonders aus:
- irgend ein Riese, der nicht viel kleiner war, als der Glockenturm von
- Kiew. Er spielte die Herodias oder Frau Potiphar, die Gemahlin des
- ägyptischen Kämmerers. Zur Belohnung erhielten sie ein Stück Leinwand,
- einen Sack Hirse, die Hälfte einer gebratenen Gans und dergleichen. All
- diesem gelehrten Volk, der Bursa, wie dem Seminar -- die eine ererbte
- Antipathie gegeneinander hegten -- fehlte es meist an den notwendigen
- Subsistenzmitteln, dabei aber waren sie außerordentlich gefräßig; es
- wäre ein Ding der Unmöglichkeit gewesen, die Zahl der Klöße anzugeben,
- die jeder von ihnen beim Abendbrot herunterschlang; so reichten denn
- auch die freiwilligen Spenden der wohlhabenden Gutsbesitzer gewöhnlich
- nicht aus. Daher schickte mitunter der Senat, der nur aus Philosophen
- und Theologen bestand, die Grammatiker und Rhetoriker unter Führung
- eines Philosophen, -- zuweilen aber schloß er sich auch selbst ^in
- corpore^ an -- mit Säcken auf den Schultern in die fremden Gemüsegärten;
- an solchen Tagen gab's in der Bursa Kürbisbrei. Die Senatoren schlugen
- sich den Magen so mit Melonen und Wassermelonen voll, daß die Auditoren
- am nächsten Tage statt eines Vortrages, deren zwei zu hören bekamen: der
- eine drang aus dem Munde, der andere aus dem Magen des Senators hervor.
- Die Zöglinge der Bursa wie auch die des Seminars trugen lange Röcke,
- welche »bis _dahin_« reichten; ein technischer Ausdruck, der soviel
- besagte als: »bis an die Fersen«.
- Das feierlichste Ereignis für das Seminar aber war der Anbruch der
- Ferien, die Zeit vom Monat Juni an, wo die Bursa gewöhnlich nach Hause
- entlassen wurde. Dann war die Landstraße wie besät von Grammatikern,
- Rhetoren, Philosophen und Theologen. Wer kein eigenes Heim besaß, zog zu
- einem seiner Kameraden. Die Philosophen und Theologen gingen in
- »_Kondition_«, d. h. sie unterrichteten oder bereiteten die Kinder
- wohlhabender Leute für die Schule vor. Dafür erhielten sie einmal im
- Jahr ein Paar neue Stiefel und manchmal auch etwas Geld zu einem neuen
- Rock. Diese ganze Gesellschaft zog geschlossen aus wie eine
- Zigeunerbande, kochte sich ihre Grütze und übernachtete im Freien. Jeder
- trug einen Sack, in dem sich ein Hemd und ein Paar Fußlappen befanden.
- Die Theologen waren besonders sparsam und peinlich: um ihre Stiefeln zu
- schonen, zogen sie sie aus, hängten sie auf ihre Stöcke, und trugen sie
- auf ihren Schultern; das taten sie besonders, wenn es auf der Straße
- sehr schmutzig war. Sie krempelten ihre Hosen bis zu den Knien auf und
- patschten furchtlos mit den bloßen Füßen durch die Pfützen. Sowie sie
- irgendwo ein Gehöft erblickten, schwenkten sie von der Landstraße ab,
- näherten sich der stattlichsten Hütte, stellten sich vor den Fenstern in
- Reih und Glied auf und begannen aus voller Kehle einen Kantus
- anzustimmen. Der Hausherr, der gewöhnlich ein alter, ansäßiger Kosak
- war, stützte den Kopf auf beide Hände und hörte ihnen lange zu, dann
- fing er bitterlich an zu weinen und wandte sich an seine Frau: »Frau,
- was die Scholaren da singen, das muß etwas sehr Gescheites sein. Bring
- ihnen doch etwas Speck hinaus, und was sonst noch da ist.« Dann wurde
- eine ganze Schüssel voller Quarkkuchen in den Sack geschüttet, dazu ein
- gehöriges Stück Speck; auch einige Laib Brot verschwanden darin und
- manchmal sogar ein zusammengebundenes Huhn. Nachdem sie sich so einen
- tüchtigen Vorrat angelegt hatten, zogen die Grammatiker, Rhetoren,
- Philosophen und Theologen wieder ihres Weges. Je weiter sie jedoch
- kamen, um so kleiner wurde die Schar. Allmählich zerstreute sich alles
- und wanderte nach Haus, und es blieben nur die übrig, deren Elternhaus
- weiter entfernt war, als das der andern.
- Einst bogen während einer solchen Reise drei Burschen von der Landstraße
- ab, um beim ersten besten Gehöft, auf das sie stießen, den schon längst
- geleerten Sack mit neuen Vorräten zu versorgen. Dies waren der Theologe
- Haljawa, der Philosoph Choma Brut und der Rhetor Tiberius Gorobetz.
- Der Theologe war ein großer, breitschultriger Bursche und hatte die
- äußerst merkwürdige Gewohnheit, alles zu stehlen, was in seine Nähe kam.
- Übrigens hatte er einen sehr finsteren Charakter; wenn er betrunken war,
- versteckte er sich im Gebüsch, und das Seminar hatte viel Mühe, ihn von
- dort hervorzuholen.
- Der Philosoph, Choma Brut, war von heiterer Gemütsart, er liebte es
- sehr, auf der Bank zu liegen und seine Pfeife zu rauchen; wenn er trank,
- ließ er sogleich »Musikanten« kommen und tanzte einen Trepak.[3]
- Er hatte schon oft ein Maß »grober Erbsen« zu kosten bekommen, aber er
- ertrug es mit stoischem Gleichmut und sagte nur: niemand entgeht seinem
- Schicksal.
- Der Rhetor, Tiberius Gorobetz, hatte noch nicht das Recht, einen
- Schnurrbart zu tragen, Schnaps zu trinken und zu rauchen. Er trug nur
- einen Haarschopf auf dem Scheitel, und sein Charakter war damals noch
- wenig entwickelt. Aber aus den großen Beulen auf der Stirn, mit denen er
- oft in die Klasse kam, ließ sich schließen, daß er einmal einen
- tüchtigen Soldaten abgeben würde. Der Theologe Haljawa und der
- Philosoph, Choma, zupften ihn oft zum Zeichen ihrer Gönnerschaft am
- Schopfe und gebrauchten ihn als Boten.
- [Fußnote 3: Ein russischer Nationaltanz.]
- Es war schon Abend, als sie von der Landstraße abbogen; die Sonne war
- eben untergegangen, und noch spürte man in der Luft die Wärme des Tages.
- Der Theologe und der Philosoph marschierten schweigsam mit der Pfeife im
- Munde dahin und der Rhetor, Tiberius Gorobetz, schlug mit seinem Stab
- den am Wege wachsenden Disteln die Köpfe ab. Der Weg zog sich zwischen
- Gruppen von Eichen und Nußbäumen dahin, welche die Wiesen beschatteten;
- dann und wann unterbrachen Hügel und kleine grüne Berge, die so rund
- waren wie Kuppeln, die Ebene. Verstreute Ackerfelder, mit reifendem
- Getreide bestellt, ließen erkennen, daß irgendwo ein Dorf in der Nähe
- sein müsse. Aber es war schon mehr als eine Stunde vergangen, seit sie
- an dem Ackerfelde vorbeigekommen waren, und noch immer war kein Gehöft
- zu sehn. Die Dämmerung hatte schon den ganzen Himmel eingehüllt: nur
- fern im Westen schimmerte noch ein schmaler, blauer Streifen Abendrot.
- »Weiß der Teufel,« sagte der Philosoph Choma Brut, »es sah doch ganz so
- aus, als müßten wir gleich auf ein Gehöft stoßen!«
- Der Theologe schwieg und sah sich nach allen Seiten um, dann steckte er
- seine Pfeife wieder in den Mund, und alle drei trabten weiter.
- »Bei Gott,« rief der Philosoph und blieb wieder stehen, »es ist rein gar
- nichts zu sehen. Hol's der Henker!«
- »Vielleicht erreichen wir doch noch ein Gehöft,« sagte der Theologe,
- ohne seine Pfeife aus dem Munde zunehmen.
- Unterdessen war die Nacht hereingebrochen, eine finstere, dunkele Nacht;
- die kleinen Wolken am Himmel verstärkten die Finsternis nur noch mehr,
- und allem Anscheine nach durfte man weder auf Mond noch Sterne rechnen.
- Die Burschen merkten, daß sie sich verirrt hatten und längst vom
- richtigen Wege abgekommen waren.
- Der Philosoph tastet mit dem Fuß nach allen Seiten und rief endlich kurz
- aus. »Ja, wo ist denn der Weg?«
- Der Theologe schwieg, und murmelte nach einigem Nachdenken: »Ja, die
- Nacht ist dunkel ..!«
- Der Rhetor kniete nieder und versuchte den Weg mit den Händen zu
- befühlen, aber seine Hände gerieten fortwährend in einen Fuchsbau
- hinein. Ringsumher lag die öde Steppe: scheinbar war hier noch nie
- jemand vorbei gefahren.
- Die Wanderer machten noch einen Versuch, weiterzugehen: aber überall
- stießen sie auf die gleiche Wildnis. Der Philosoph fing an zu rufen:
- jedoch seine Stimme verhallte ohne in der Umgegend das geringste Echo zu
- wecken. Nach einer Weile hörten sie ein schwaches Stöhnen, das einige
- Ähnlichkeit mit dem Heulen eines Wolfes hatte.
- »Teufel -- was ist hier zu machen?« sagte der Philosoph.
- »Was? -- wir bleiben hier und übernachten im Feld,« erwiderte der
- Theologe und griff in die Tasche, um sein Feuerzeug hervorzuholen und
- sich von neuem die Pfeife anzuzünden. Aber der Philosoph wollte nicht
- darauf eingehen: er hatte die Gewohnheit, vor dem Schlafengehn noch
- einen halben Zentner Brot und vier Pfund Speck zu vertilgen, und fühlte
- eine unerträgliche Leere im Magen; auch fürchtete er sich trotz seiner
- heiteren Gemütsart ein wenig vor den Wölfen.
- »Nein, Haljawa, das geht nicht,« sagte er. »Wollen wir uns etwa ohne
- jede Stärkung hinlegen und einschlafen, wie die Hunde? Versuchen wir's
- doch noch einmal, vielleicht stoßen wir noch auf irgend ein Haus, und
- vielleicht glückt es uns wenigstens, vor dem Schlafengehen noch ein
- Gläschen Schnaps herunterzugießen.«
- Bei dem Worte »Schnaps« spuckte der Theologe aus und murmelte:
- »natürlich, wozu sollten wir auch im Freien übernachten?«
- Die Burschen gingen weiter und glaubten bald zu ihrer großen Freude in
- der Ferne etwas wie Hundegebell zu vernehmen. Sie horchten, von welcher
- Seite das Gebell herkam, und schritten fröhlich vorwärts. Nach einer
- Weile erblickten sie ein Licht.
- »Ein Gehöft, bei Gott, ein Gehöft,« rief der Philosoph.
- Seine Vermutung hatte ihn nicht betrogen. Nach einiger Zeit bemerkten
- sie eine Ansiedlung, die nur aus zwei Hütten und einem Hof bestand. In
- den Fenstern schimmerte Licht; ein Dutzend Pflaumenbäume ragte über den
- Zaun. Als die Burschen durch die Spalten zwischen den Brettern des Tores
- blickten, gewahrten sie einen Hof, der voller großer Lastwagen stand.
- Jetzt erglänzten auch einige Sterne am Himmel.
- »Hallo Brüder, jetzt heißt es energisch sein! Koste es was es wolle, wir
- müssen uns ein Nachtlager erobern!«
- Die drei Bildungsbeflissenen klopften einmütig an das Tor und riefen:
- »Macht auf!«
- Die Tür der einen Hütte knarrte, und einen Augenblick darauf sahen die
- Burschen ein altes Weib in einem Pelzrock vor sich.
- »Wer ist da,« rief sie, und hustete dumpf.
- »Mütterchen, laß uns hier übernachten; wir haben uns verirrt, im Freien
- ist es ebenso schlimm wie in einem leeren Magen.«
- »Was seid ihr für Volk?«
- »Harmlose Leute: der Theologe Haljawa, der Philosoph Brut und der Rhetor
- Gorobetz.«
- »Es geht nicht,« knurrte die Alte, »mein Hof ist voll, jeder Winkel ist
- besetzt. Wo soll ich hin mit euch? Mit solchen großen, gesunden
- Burschen! Meine Hütte wird noch einstürzen, wenn ich solche Riesen in
- ihr unterbringe. Diese Theologen und Philosophen kenne ich: wenn man
- sich erst einmal mit solchen Trunkenbolden einläßt, ist man bald ohne
- Haus und Hof. Macht, daß ihr weiter kommt, hier ist kein Platz für
- euresgleichen!«
- »Erbarme dich Mütterchen! Das geht doch nicht, daß ein Christenmensch so
- um nichts und wieder nichts umkommen soll. Steck uns, wohin du willst,
- wenn wir nur das Geringste anstellen -- dann mögen uns die Hände
- verdorren, Gott weiß, was uns da passieren mag ... Hörst du?«
- Wie es schien, ließ sich die Alte ein wenig erweichen. »Gut,« sagte sie
- nach kurzem Bedenken, »ich will euch hereinlassen, aber ich werde jedem
- von euch einen anderen Ort anweisen; ich habe keine Ruhe, wenn ihr
- zusammen bleibt.«
- »Wie du willst, wir fügen uns in alles,« antworteten die Burschen. Die
- Pforte knarrte, und sie traten in den Hof.
- »Nun, wie steht's, Mütterchen,« sagte der Philosoph, während er der
- Alten folgte, »wenn du, sozusagen ... bei Gott, mir ist's, als ob mir
- jemand mit einem Wagen im Magen herumfährt. Seit heute morgen habe ich
- keinen Bissen im Munde gehabt!«
- »Sieh einer an, was der für Gelüste hat,« sagte die Alte, »nein, ich
- habe nichts, und der Ofen ist heute auch gar nicht geheizt worden.«
- »Wir würden ja morgen alles gehörig bezahlen,« fuhr der Philosoph fort,
- »wahrhaftig -- bar bezahlen.« Und er setzte leise hinzu: »Hol dir's doch
- vom Teufel.«
- »Vorwärts, vorwärts, seid zufrieden mit dem, was man euch gibt. Daß mir
- der Teufel auch solch feine Herren zuführen mußte!«
- Bei diesen Worten wurde es dem Philosophen Choma ganz wehmütig ums Herz,
- plötzlich aber witterte seine Nase den Geruch von getrockneten Fischen.
- Er warf einen Blick auf die Hosen des Theologen, der neben ihm ging, und
- sah, daß ihm ein riesiger Fischschwanz aus der Tasche ragte.
- Der Theologe hatte nämlich schon Zeit gefunden, eine ganze Karausche aus
- der Fuhre wegzustibizen. Da dies aber nicht aus Habgier, sondern mehr
- aus Gewohnheit geschehen war, hatte er seine Karausche längst vergessen
- und spähte schon wieder nach allen Seiten, was er nun noch erwischen
- könnte: selbst ein zerbrochenes Rad war nicht sicher vor ihm. Der
- Philosoph Choma steckte daher seine Hand in Haljawas Tasche, als sei's
- seine eigene, und holte die Karausche hervor.
- Die Alte hatte die Burschen bald untergebracht: der Rhetor kam in die
- Hütte, der Theologe in eine leere Kammer, und den Philosophen führte sie
- in einen Schafstall.
- Als der Philosoph allein war, verspeiste er sofort die Karausche,
- untersuchte die geflochtenen Wände des Stalls, versetzte einem
- neugierigen Schwein, das den Rüssel aus dem anstoßenden Kober hinein
- steckte, einen Stoß mit dem Fuß, und legte sich auf die rechte Seite, um
- sofort einzuschlafen wie ein Toter. Da öffnete sich plötzlich die
- niedrige Tür, und die Alte trat gebückt in den Stall.
- »Ah, Mütterchen! Was willst du?« sagte der Philosoph.
- Aber die Alte ging mit ausgebreiteten Armen gerade auf ihn zu.
- »Ach so,« dachte der Philosoph. »Nein, mein Täubchen, du bist mir zu
- alt.«
- Er rückte etwas ab, aber die Alte kam unbekümmert näher.
- »Höre, Mütterchen, jetzt ist's Fastenzeit, und ich gehöre zu den
- Menschen, die die Fasten auch für tausend Goldstücke nicht verletzen,«
- sagte der Philosoph.
- Aber die Alte sprach kein Wort; sie breitete ihre Arme aus und suchte
- ihn zu fangen.
- Dem Philosophen wurde ganz unheimlich zumute, besonders als er merkte,
- daß ihre Augen in ungewöhnlichem Glanze aufleuchteten. »Mütterchen, was
- ist mit dir! Geh mit Gott!« schrie er.
- Aber die Alte sagte noch immer nichts und griff mit beiden Händen nach
- ihm.
- Er sprang auf, um fort zu laufen, doch die Alte stellte sich in die Tür,
- sah ihn mit funkelnden Augen an und ging von neuem auf ihn los.
- Der Philosoph wollte sie mit den Händen fortstoßen, aber er fühlte zu
- seinem Erstaunen, daß er die Arme nicht bewegen konnte. Seine Füße
- rührten sich nicht vom Fleck, er empfand mit Schrecken, daß ihm selbst
- die Stimme den Dienst versagte; er wollte etwas sagen, aber seine Lippen
- bewegten sich nur, ohne einen Laut hervorzubringen. Er hörte nur, wie
- sein Herz schlug und sah, wie die Alte dicht an ihn herantrat, ihm die
- Hände zusammen legte, ihm den Kopf hinabbog und mit katzenartiger
- Geschwindigkeit auf seinen Rücken sprang. Sie gab ihm mit dem Besen
- einen Schlag auf die Lenden, und er galoppierte wie ein Reitpferd davon
- und trug sie auf den Schultern fort. Dies alles geschah so schnell, daß
- der Philosoph gar nicht zur Besinnung kam; er griff mit beiden Händen
- nach seinen Knien und wollte die Beine festhalten; aber zu seiner
- größten Bestürzung bewegten sie sich gegen seinen Willen und machten
- Sprünge, wie der beste Tscherkessen-Renner. Erst als sie aus dem Gehöft
- heraus waren, und sich die weite Schlucht und der kohlschwarze Wald zu
- ihrer Rechten ausbreitete, da sagte er zu sich selbst: »Aha, das ist
- eine Hexe.«
- Die ihm zugewandte Mondsichel leuchtete hell am Himmel, der schüchterne,
- nächtliche Glanz breitete sich gleich einer durchsichtigen Decke über
- die Erde und wogte wie eine zarte Rauchwolke hin und her; Wald, Wiesen,
- Himmel und Täler, alles schien mit offenen Augen zu schlafen; es war
- ganz windstill, nirgends schien sich ein Lüftlein zu regen. Etwas
- Feuchtes und Laues lag in der mitternächtlichen Kühle; die Schatten der
- Bäume und Sträucher fielen gleich Kometenschweifen spitz und kantig auf
- die abschüssige Ebene. In solcher Nacht jagte der Philosoph Choma Brut,
- mit seinem seltsamen Reiter auf dem Rücken, dahin. Ein wunderbar
- quälendes, unheimlich süßes Gefühl erfüllte sein Herz. Er senkte den
- Kopf und sah, daß das Gras, das seine Füße noch kurz zuvor berührt
- hatten, jetzt tief, tief unter ihm lag, und darüberhin floß ein
- durchsichtiges Gewässer, krystallhell wie das einer Gebirgsquelle; das
- Gras schien den Boden eines hellen, durchsichtigen, bis zum Grunde
- klaren Meeres zu bilden, wenigstens sah er deutlich, daß er sich mit der
- auf seinem Rücken hockenden Alten darin spiegelte. Er sah dort unten
- statt des Mondes eine Sonne aufleuchten, er hörte die blauen
- Glockenblumen mit gesenkten Köpfchen läuten und er bemerkte, wie eine
- Nixe aus dem Riedgras hervorschwamm -- ihr Rücken und ihre vollen
- prallen Lenden bebten und leuchteten, sie schien ganz aus Licht und
- Glanz gewebt. Sie wandte sich ihm zu, und er blickte ihr in ihr Antlitz
- mit den klaren, hellen, strahlenden Augen -- sie kam näher, ihrem Munde
- entströmte ein Gesang, der ihm bis in die Tiefen der Seele drang --
- jetzt schwamm sie auf der Oberfläche -- stimmte ein silberhelles Lachen
- an und entfernte sich wieder. Doch nun warf sie sich auf den Rücken.
- Ihre Brüste, die mit dem sanften Glanze des Porzellans, dem der Schmelz
- fehlt, wie durch eine Wolkenhülle hindurchschimmerten, leuchteten aus
- ihrer weißen, schwellenden, zarten Umgebung hervor; das Wasser rann wie
- ein Perlenregen in kleinen Tröpfchen auf sie herab, und sie zittert und
- bebt und lacht hell aus der Flut hervor. --
- Sieht er es oder sieht er es nicht? Träumt er oder ist er wach? Und was
- soll das bedeuten? Ist das vielleicht der Wind, oder ist es Musik? Es
- klingt und klingt, steigt auf und kommt näher und dringt ihm in die
- Seele wie ein unerträglicher jubelnder Triller.
- »Was ist das,« dachte der Philosoph Choma Brut während er hinunter
- blickte, und raste weiter. Der Schweiß floß ihm in Strömen von der
- Stirn; er hatte ein dämonisch-süßes Gefühl; eine durchbohrende,
- quälende, schreckliche Wonne rieselte durch seinen Körper. Manchmal
- glaubte er, daß er kein Herz mehr habe, und er griff erschrocken mit der
- Hand danach. Erschöpft und verwirrt begann er alle ihm bekannten Gebete
- vor sich hin zu murmeln; er wiederholte alle Geisterbeschwörungen und
- fühlte plötzlich etwas wie eine Erleichterung; er merkte, wie sein
- Schritt sich verlangsamte, die Hexe klammerte sich weniger fest an
- seinen Rücken, er berührte das dichte Gras, das für ihn alles
- Außergewöhnliche verloren hatte, wieder mit den Füßen. Die Mondsichel
- leuchtete hell am Himmel.
- »Vortrefflich,« dachte der Philosoph Choma und begann seine
- Beschwörungen fast laut herzusagen. Endlich sprang er mit blitzartiger
- Schnelligkeit unter der Alten fort, und setzte sich nun seinerseits auf
- ihren Rücken. Die Alte lief mit kurzen kleinen Schritten vorwärts, aber
- so schnell, daß dem Reiter fast der Atem ausging. Er konnte die Erde
- kaum noch erkennen; alles war deutlich sichtbar, obgleich es nicht
- einmal Vollmond war. Die Täler waren flach, aber die große Schnelligkeit
- mit der sie vorüberrasten, ließ dem Auge alles unklar und trügerisch
- erscheinen. Choma ergriff ein am Boden liegendes Holzscheit, und begann
- die Alte aus Leibeskräften zu prügeln. Sie stöhnte anfangs wütend und
- drohend auf, dann aber schwächer, angenehmer, immer reiner und leiser,
- und zuletzt klang es wie Silberglockengeläut, und drang ihm tief in die
- Seele. Unwillkürlich kam ihm der Gedanke: ist das wirklich noch die
- Alte? »Ach, ich kann nicht mehr!« flüsterte sie ganz erschöpft und fiel
- zu Boden.
- Er sprang auf, und sah ihr in die Augen. Die Morgenröte stieg empor, in
- der Ferne erstrahlten die Kirchen von Kiew. Vor ihm lag ein wunderbar
- schönes Mädchen, mit einem herrlichen zerzausten Zopf, und schweren,
- seidenweichen Wimpern, die so lang waren, wie ein Pfeil. Sie breitete
- gefühllos ihre nackten, weißen Arme aus, richtete die tränenerfüllten
- Augen nach oben und stöhnte.
- Choma zitterte am ganzen Körper wie ein Espenblatt. Etwas wie Mitleid,
- eine seltsame Aufregung, und eine ihm bis dahin ganz fremde
- Schüchternheit erfaßten ihn. Er sprang auf und lief so schnell er
- konnte. Sein Herz klopfte unruhig; er vermochte sich das neue Gefühl,
- das ihn gepackt hatte, garnicht zu erklären. In das Gehöft
- zurückzukehren -- dazu verspürte er keine Lust; so lief er denn nach
- Kiew, und dachte den ganzen Weg lang über das unerklärliche Abenteuer
- nach.
- Es war kaum noch ein Seminarist in der Stadt. Alle waren auf den Dörfern
- »in Kondition,« oder auch nicht, da man auf den kleinrussischen Gütern
- Käse, Saure Gurken und Quarkkuchen, die so groß sind wie ein Hut, essen
- darf, ohne einen Heller dafür zu bezahlen. Die große baufällige Hütte,
- in der die Bursa einquartiert war, stand ganz leer, und soviel der
- Philosoph auch in allen Ecken herumsuchen mochte -- er ließ selbst die
- Löcher und Spalten im Dach nicht unbeachtet -- nirgends fand er ein
- Stück Speck, ja nicht einmal eine alte Bretzel, die die Seminaristen an
- solchen Stellen zu verstecken pflegten.
- Übrigens fand der Philosoph bald ein Mittel, um dies Übel abzustellen.
- Er ging auf den Markt, spazierte hier drei- bis viermal pfeifend auf und
- ab, winkte einer am anderen Ende sitzenden jungen Witwe mit einem gelben
- Kopftuch zu, die mit Bändern, Schrot und Rädern handelte, und wurde noch
- am selben Tage mit Quarkkuchen aus Weizenmehl, Hühnerbraten usw.
- versorgt -- es ist unmöglich, aufzuzählen, was da alles auf dem Tische
- stand, der in einem kleinen Lehmhäuschen inmitten eines Kirschgartens
- gedeckt wurde. Am Abend sah man den Philosophen in der Schenke; er lag
- auf der Bank, rauchte wie gewöhnlich seine Pfeife und warf dem jüdischen
- Wirt vor allen Leuten ein kleines Goldstück hin. Vor ihm stand ein Krug
- mit Schnaps, er betrachtete die Kommenden und Gehenden mit
- gleichgültigen, zufriedenen Blicken und dachte nicht im geringsten mehr
- an sein seltsames Abenteuer.
- * * * * *
- Inzwischen aber verbreitete sich überall das Gerücht, die Tochter eines
- der reichsten Hauptleute -- der ungefähr 50 Werst von Kiew eine
- Besitzung hatte -- sei eines Morgens ganz zerschlagen von einem
- Spaziergang zurückgekommen. Sie hätte kaum noch die Kraft gehabt, das
- väterliche Haus zu erreichen, läge im Sterben, und hätte den Wunsch
- geäußert, der Seminarist Choma Brut aus Kiew solle nach ihrem Tode
- während dreier Nächte, die Totenmesse bei ihr lesen. Der Philosoph
- erfuhr das alles durch den Rektor selbst, der ihn zu sich ins Zimmer
- beschied und ihn beauftragte, sich unverzüglich auf den Weg zu machen,
- da der berühmte Hauptmann zu diesem Zweck ein paar Leute und seinen
- Wagen hergeschickt hätte.
- Der Philosoph zitterte; ein unerklärliches Gefühl überkam ihn. Er konnte
- sich selbst keine Rechenschaft über den Grund geben, aber eine dunkle
- Ahnung sagte ihm, daß ihm nichts Gutes bevorstände. Ohne selbst zu
- wissen warum, erklärte er geradeheraus, daß er nicht hinfahren werde.
- »Hör' mal Domine Choma,« sagte der Rektor (es gab Fälle, wo er sehr
- höflich mit seinen Untergebenen umging), »kein Teufel fragt danach, ob
- du fahren willst oder nicht. Ich sage dir nur eins. Wenn du hier den
- Störrischen spielst und räsonierst, so lasse ich dir den Rücken und
- anliegende Körperteile so mit jungen Birkenruten durchbleuen, daß du dir
- den Gang ins Bad ersparen kannst.« Der Philosoph kratzte sich ein wenig
- hinter dem Ohr, ging wortlos hinaus, und setzte seine ganze Hoffnung auf
- seine Beine, von denen er bei der ersten günstigen Gelegenheit Gebrauch
- machen wollte. Ganz in Gedanken versunken stieg er die steile Treppe
- hinab, die in den pappelumstandenen Hof führte und blieb einen Moment
- stehen; er hörte den Rektor mit deutlicher Stimme dem Verwalter und noch
- jemanden, -- wahrscheinlich einem Boten des Hauptmanns, der nach ihm
- gekommen war, -- Befehle erteilen und sagen:
- »Danke deinem Herrn für die Grütze und die Eier und sage ihm, sobald die
- Bücher, von denen er schreibt, fertig sind, würde ich sie ihm zusenden;
- ich habe sie dem Schreiber schon zur Abschrift übergeben. Und noch was,
- mein Lieber, vergiß deinen Herrn nicht daran zu erinnern, daß ihr auf
- eurem Gut so herrliche Fische habt, besonders einen ganz ausgezeichneten
- Stör: er könnte mir bei Gelegenheit etwas davon schicken; bei uns auf
- den Jahrmärkten ist er nicht gut und zu teuer. Und du, Jantuch, gib den
- Leuten einen Becher Schnaps; den Philosophen aber bindet mir fest, sonst
- läuft er euch noch davon.«
- »Sieh doch den Teufelskerl!« dachte der Philosoph, »er hat es schon
- herausgeschnüffelt! So'n Schlammbeißer!«
- Er ging hinunter und erblickte einen Wagen, den er zuerst für einen
- Getreideschuppen auf vier Rädern hielt; und wahrhaftig, er war so tief
- wie ein Ofen, in dem man Ziegel brennt. Dies war ein gewöhnlicher
- Krakauer Wagen, in dem an die fünfzig Juden samt ihrer Ware in allen
- Städten herumzufahren pflegen, wo sie nur einen Jahrmarkt wittern. Sechs
- gesunde, kräftige, ältere Kosaken erwarteten ihn. Die kurzen mit
- Troddeln verzierten Röcke aus feinem Tuch bewiesen, daß die Kosaken
- einem reichen und angesehenen Herrn dienten. Die kleinen Narben auf der
- Stirn ließen erkennen, daß sie im Kriege gewesen und nicht ganz ruhmlos
- gekämpft hatten.
- »Was bleibt mir übrig! Kein Mensch kann seinem Schicksal entgehen,«
- dachte der Philosoph, wandte sich an die Kosaken und rief mit lauter
- Stimme: »Grüß Gott, Kameraden!«
- »Grüß Gott, Herr Philosoph,« erwiderten einige von den Kosaken.
- »Ich soll also mit euch zusammen fahren? Der Wagen kann sich schon sehen
- lassen!« fuhr er fort und stieg ein. »Schade, daß keine Musikanten dabei
- sind, hier ließe sich's gut tanzen!«
- »Ja, es ist ein geräumiger Wagen,« sagte der eine Kosak und stieg mit
- dem Kutscher auf den Bock. Dieser hatte statt der Mütze, die er in der
- Schenke gelassen, ein Tuch um den Kopf gebunden. Die übrigen fünf
- krochen mit dem Philosophen in die Versenkung und setzten sich dort auf
- Säcke, die mit allerlei Waren, welche die Kosaken in der Stadt gekauft
- hatten, angefüllt waren.
- »Es wäre interessant, zu wissen,« begann der Philosoph, »wieviel Pferde
- nötig wären, um den Wagen von der Stelle zu bringen, wenn man ihn mit
- allerhand Waren, etwa mit Salz oder Eisenschienen beladen würde«.
- »Ja,« sagte nach einigem Schweigen der Kosak, der auf dem Bock saß, »da
- wäre wohl eine große Menge dazu nötig«.
- Mit dieser befriedigenden Antwort glaubte der Kosak sich das Recht
- erworben zu haben, den Rest des Weges über zu schweigen.
- Der Philosoph hätte gern Genaueres über den Hauptmann erfahren: über
- seinen Charakter, was man über seine Tochter wußte, die unter so
- merkwürdigen Umständen nach Hause gekommen war und jetzt im Sterben lag,
- und deren Geschick nun mit seinem eigenen verknüpft wurde; wie sie leben
- und was sie zu Hause treiben. Er suchte seine Begleiter auszufragen,
- aber wahrscheinlich waren die Kosaken auch Philosophen, denn statt zu
- antworten, schwiegen sie still und rauchten, auf den Säcken
- hingestreckt, weiter.
- Nur der eine wandte sich mit dem kurzen Befehl an den Kameraden auf dem
- Kutschbock: »Paß auf, Owerko, alter Maulaffe; wenn du bei der Schenke an
- der Straße nach Tschuchrailowsk vorbeikommst, so vergiß nicht anzuhalten
- und uns zu wecken, falls einer von uns einschlafen sollte.«
- Hierauf schlummerte er ziemlich geräuschvoll ein. Übrigens war diese
- Ermahnung ganz überflüssig, denn kaum näherte sich das Riesengefährt der
- Schenke an der Straße nach Tschuchrailowsk, als alle wie aus einem Munde
- losschrien: »Halt!« Auch waren Owerkos Gäule schon so abgerichtet, daß
- sie von selbst vor jeder Schenke still standen. Trotz des heißen
- Julitages krochen alle aus dem Wagen und gingen in die niedrige,
- schmutzige Stube, wo der jüdische Schankwirt seine alten Bekannten
- voller Freude begrüßte. Der Jude holte sofort ein paar Würste aus
- Schweinefleisch herbei, die er unter seinen Rockschößen versteckt hielt,
- und legte sie auf den Tisch, um sich schleunigst von diesem vom Talmud
- verbotenen Gericht abzuwenden. Alle setzten sich um den Tisch herum, und
- bald hatte jeder Gast einen Tonkrug vor sich stehen. Auch der Philosoph,
- Choma Brut, mußte an dem gemeinsamen Mahle teilnehmen. Und da die
- Kleinrussen sofort anfangen, sich zu küssen oder zu heulen, wenn sie ein
- wenig angetrunken sind, so hallte die Hütte bald von schallenden Küssen
- wider. »Laß uns anstoßen Spirid! Komm her Dorosch, ich will dich
- küssen!« Einer der Kosaken, der etwas älter war als die anderen, und
- dessen Schnurrbart schon grau zu werden begann, stützte seinen Kopf auf
- die Hand und fing bitterlich an zu weinen. Er jammerte, daß er weder
- Vater noch Mutter habe und ganz allein auf der Welt dastehe. Ein
- anderer, der ein großer Schwätzer war, tröstete ihn fortwährend, und
- sagte: »Weine doch nicht, bei Gott, weine nicht, was ist dann dabei ....
- Gott weiß schon, warum es so ist.«
- Ein anderer, namens Dorosch, wurde plötzlich sehr neugierig, wandte sich
- an den Philosophen Choma und fragte ihn in einem fort. »Ich möchte gern
- wissen, was man euch in der Bursa eigentlich beibringt. Das, was der
- Vorsänger in der Kirche vorliest, oder etwas anderes?«
- »Frag' doch nicht,« sagte der Schwätzer gedehnt, »laß es doch, gehn wie
- es geht. Gott weiß schon, wie es am besten ist, Gott weiß alles!«
- »Nein, ich will wissen, was in den Büchern steht,« sagte Dorosch,
- »vielleicht ist es etwas ganz anderes, als was der Vorsänger sagt!«
- »Mein Gott, mein Gott,« sagte der weise Moralist, »wie kann man nur so
- sprechen? Gott hat es nun einmal so gemacht: und was Gott gemacht hat,
- das läßt sich nicht ändern.«
- »Ich will aber alles wissen, was in den Büchern steht; ich will in die
- Bursa eintreten, bei Gott, ich werde dort eintreten! Was? was denkst du?
- Ich werde nichts lernen? Alles werde ich lernen, alles!«
- »Mein Gott, mein Gott,« sagte der Moralist, und legte seinen Kopf auf
- den Tisch, er war wirklich nicht mehr imstande, ihn noch länger auf den
- Schultern zu tragen. Die übrigen Kosaken sprachen von ihren Herrschaften
- und darüber, warum wohl der Mond am Himmel leuchte.
- Als der Philosoph Choma merkte, wie es in ihren Köpfen aussah, beschloß
- er den Moment auszunutzen und sich aus dem Staube zu machen. Zuerst
- wandte er sich an den graubärtigen Kosaken, der sich um Vater und Mutter
- grämte. »Was weinst du Onkelchen?« fragte er. »Sieh, ich bin auch eine
- Waise. Freunde, laßt mich laufen! Gebt mir die Freiheit! Wozu braucht
- ihr mich?«
- »Lassen wir ihn laufen,« sagten einige, »er ist ja eine Waise. Lassen
- wir ihn gehn, wohin er will.«
- »O mein Gott, mein Gott,« stöhnte der Moralist, langsam seinen Kopf
- erhebend, »laßt ihn laufen! Mag er gehen, wohin er will!«
- Und die Kosaken waren schon im Begriff, ihn selbst ins Freie zu führen,
- aber der, der so viel Wißbegierde gezeigt hatte, hielt sie zurück und
- sagte: »Rührt ihn nicht an; ich will mit ihm über die Bursa reden, ich
- werde selbst in die Bursa eintreten!«
- Übrigens wäre ihm die Flucht kaum gelungen, denn als der Philosoph sich
- vom Tisch zu erheben suchte, fühlte er, daß seine Beine wie aus Holz
- waren, und er glaubte im Zimmer so viel Türen zu erblicken, daß er kaum
- die rechte gefunden hätte.
- Erst gegen Abend fiel es der Gesellschaft ein, daß sie sich wieder auf
- den Weg machen müßte. Sie machten sich's im Wagen bequem, und brachen
- auf, indem sie die Pferde antrieben und ein Lied anstimmten, dessen Sinn
- und Wortlaut wohl niemand enträtselt hätte. Nachdem sie die größere
- Hälfte der Nacht gefahren waren, wobei sie beständig vom Wege abkamen,
- obwohl sie ihn fast auswendig kannten, rollten sie endlich einen steilen
- Berg ins Tal hinab; der Philosoph erblickte zu beiden Seiten des Weges
- Staketzäune, Hecken und Dächer, die hier und da zwischen den niedrigen
- Bäumen hervorschauten. Es war ein großes Dorf, welches dem Hauptmann
- gehörte. Mitternacht war längst vorüber; der Himmel war dunkel, nur hier
- und da sah man einen einsamen Stern blinken und in keiner Hütte war ein
- Licht zu entdecken. Sie fuhren von Hundegebell begleitet in das Dorf
- ein. Auf beiden Seiten standen Scheunen und kleine Häuser mit
- Strohdächern; das eine, welches gerade in der Mitte und dem Tor
- gegenüber lag, war größer als die übrigen und schien dem Hauptmann als
- Wohnung zu dienen. Das Gefährt hielt vor einem kleinen Wagenschuppen,
- und unsere Reisenden legten sich nieder, um zu schlafen. Der Philosoph
- verspürte jedoch den Drang, sich die herrschaftlichen Wohnräume
- wenigstens von außen anzusehen, aber wie sehr er auch seine Augen
- anstrengte; er konnte nichts klar unterscheiden: statt des Hauses
- erblickte er einen Bären, und der Schornstein schien ihm dem Rektor zu
- gleichen. -- Der Philosoph gab daher seine Bemühungen auf, und ging
- schlafen.
- Als er wieder erwachte, war der ganze Hof schon in Bewegung: die Tochter
- des Hauses war in der Nacht gestorben. Die Diener liefen atemlos hin und
- her; ein paar alte Weiber heulten, eine Menge Neugieriger versuchte es,
- durch die Ritzen im Zaune zu erspähen, was auf dem herrschaftlichen Hof
- vorging. Der Philosoph begann, in aller Ruhe die Stätte zu betrachten,
- die er in der Nacht nicht hatte erkennen können. Das herrschaftliche
- Haus war ein kleines niedriges Gebäude, wie man sie in alten Zeiten in
- Kleinrußland zu bauen pflegte, und hatte ein Strohdach. Die kleine spitz
- zulaufende, hohe Giebelwand mit dem einen Fenster, das wie ein nach oben
- gerichtetes Auge aussah, war ganz mit blauen und gelben Blumen und roten
- Halbmonden bemalt. Sie ruhte auf Eichenpfosten, die oben rund und
- kunstvoll gedrechselt und unten sechseckig waren. Unter der Giebelwand
- befand sich eine kleine Treppe, und rechts und links standen Bänke. An
- den Seiten des Hauses gab es Schutzdächer auf ähnlichen und hier und da
- gewundenen Säulen. Davor stand ein hoher Birnbaum mit pyramidenförmiger
- Krone in der grünen Pracht seiner bebenden Blätter. In der Mitte des
- Hofes befanden sich mehrere, in zwei Reihen geordnete Speicher, die
- gleichsam eine breite Straße bildeten, welche direkt zum Herrenhause
- führte. Hinter den Speichern, dicht beim Tor, standen zwei dreieckige
- Kellergebäude, die einander gerade gegenüber lagen und gleichfalls mit
- Stroh gedeckt waren. Ihre dreieckigen Vorderwände hatten eine niedrige
- Tür, und waren mit allerlei Bildern bemalt. Auf der einen war ein Kosak
- dargestellt, der auf einem Faß saß und einen Krug mit der Inschrift: Ich
- trinke Rest! in die Höhe hob. Die andere hatte der Künstler mit runden
- und flachen Flaschen bemalt, und zu beiden Seiten erblickte man, was
- wohl besonders schön sein sollte, je ein Pferd, das sich emporbäumte,
- und ferner mehrere Pfeifen und Schellen, worunter zu lesen war: »Der
- Wein ist des Kosaken Wonne!« Durch das riesige Bodenfenster guckten eine
- Trommel und ein paar kupferne Trompeten heraus. Am Tor standen zwei
- Kanonen. Dies alles ließ vermuten, daß der Hausherr sich zu amüsieren
- liebte, und daß der Hof oft von lustigen Gelagen widerhalle. Hinter dem
- Tor standen zwei Windmühlen. An der Rückseite des Hauses befanden sich
- Gärten, und zwischen den Wipfeln der Bäume sah man nichts wie die
- dunklen Kappen der Schornsteine, der im dichten Grün verborgenen Hütten.
- Das ganze Dorf lag auf dem breiten und ebenen Vorsprung eines Berges. Im
- Norden wurde dies alles von dem steil aufsteigenden Felsen
- abgeschlossen, der mit seinem Fuß bis dicht an den Hof heranreichte. Von
- unten gesehen schien er noch steiler zu sein und auf seinem Gipfel hoben
- sich die zerstreut stehenden Stengel des dürren Steppengrases schwarz
- vom hellen Himmel ab. Die nackte Lehmerde war ganz von Wasserrinnen und
- Regenlöchern zerrissen und verbreitete eine seltsame Schwermut. Auf dem
- abschüssigen Abhang sah man an zwei Stellen je eine Hütte stehen, deren
- eine von einem Apfelbaum beschattet wurde, der an der Wurzel durch
- kleine Pflöcke gestützt, mit herangefahrener Erde bedeckt war, und
- dessen Äpfel, die der Wind herunterwarf, bis in den herrschaftlichen Hof
- rollten. Vom Gipfel führte ein Weg über den ganzen Berg am Hofe vorbei
- bis ins Dorf hinunter. Als der Philosoph den furchtbaren Abhang des
- Berges betrachtete, und sich der gestrigen Fahrt erinnerte, sagte er
- sich, der Hausherr müsse fabelhaft kluge Pferde, oder die Kosaken enorm
- harte Köpfe haben, wenn sie nicht einmal im Rausche mitsamt dem riesigen
- Gefährt und dem Gepäck Hals über Kopf in den Hof hinabgerollt waren. Der
- Philosoph stand auf dem höchsten Punkte des Hofes: als er sich umwandte
- und auf die entgegengesetzte Seite blickte, bot sich ihm ein ganz
- anderes Bild dar. Das Dorf zog sich längs dem Abhange bis in die Ebene
- hin. Unabsehbare Wiesen erstreckten sich im Umkreis bis an den Horizont,
- deren helles Grün sich in der Ferne immermehr verdunkelte. Im
- Hintergrunde sah man eine ganze Reihe von Gehöften im blauen Dämmerlicht
- dagegen, obgleich sie wohl zwanzig und mehr Werst weit entfernt sein
- mochten. Rechts von diesen Wiesen zog sich eine Hügelkette hin, und ganz
- hinten erglühte ein dunkler Streifen des Dnjepr.
- »Welch herrliches Stück Erde,« sagte der Philosoph, »wie schön ließe
- sich's hier leben; im Dnjepr und in den Teichen könnte man Fische
- fangen, und mit Gewehr und Netz auf Schnepfen und Zwergtrappen jagen;
- übrigens wird es in diesen Wiesen auch andere Trappen geben. Man könnte
- in Hülle und Fülle Früchte trocknen, und sie in der Stadt verkaufen,
- oder noch besser Schnäpse daraus machen, denn Fruchtschnaps geht doch
- noch über Branntwein. -- Herrgott, ich muß mich doch umsehen, wie ich am
- besten ausreißen könnte.«
- Hinter dem Zaun bemerkte er einen kleinen Fußweg, der ganz mit
- Steppengras bewachsen war; mechanisch setzte er den Fuß drauf; er wollte
- anfangs nur ein wenig spazieren gehen, und dann still zwischen den
- Hütten hindurchschlendern und sich ins freie Feld schlagen. Da fühlte er
- plötzlich eine kräftige Hand auf seiner Schulter.
- Hinter ihm stand der alte Kosak, der gestern über den Verlust von Vater
- und Mutter und über seine Einsamkeit geklagt hatte.
- »Du hoffst vergeblich, aus diesem Hofe zu entfliehen, Herr Philosoph,«
- sagte er, »das ist kein Haus, wo man davonlaufen kann; -- übrigens sind
- auch die Wege sehr schlecht und beschwerlich für Fußgänger -- geh lieber
- zum Herrn, er erwartet dich schon längst in seinem Zimmer.«
- »Gut denn, gehn wir, warum auch nicht -- ich habe nichts dagegen,«
- antwortete der Philosoph und folgte dem Kosaken.
- Der Hauptmann war schon alt. Er hatte einen grauen Schnurrbart und saß,
- den Kopf auf beide Hände gestützt, mit einem Ausdruck dumpfer Trauer am
- Tisch. Er mochte fünfzig Jahre alt sein; aber der tiefe Gram in seinen
- Zügen und die bleiche, schlechte Farbe bewiesen, daß sein Herz ganz
- plötzlich gebrochen und vernichtet, und daß all seine frühere
- Fröhlichkeit und das laute sorglose Leben für immer zerstört war. Als
- Choma mit dem alten Kosak in das Zimmer trat, nahm der Hauptmann die
- eine Hand vom Gesichte und nickte unmerklich mit dem Kopfe; Choma und
- der Kosak verbeugten sich tief vor ihm und blieben ehrfurchtsvoll an der
- Türe stehen.
- »Wer bist du und wo kommst du her, mein Lieber. Was ist dein Beruf?«
- fragte der Hauptmann nicht eben freundlich, aber auch nicht schroff.
- »Ich bin ein Seminarist und heiße Choma Brut, der Philosoph.«
- »Und wer war dein Vater?«
- »Ich weiß es nicht, gnädiger Herr.«
- »Und deine Mutter?«
- »Meine Mutter habe ich auch nicht gekannt. Es ist natürlich
- selbstverständlich, daß ich eine Mutter gehabt habe, aber wer sie war,
- woher sie stammte und wo sie gelebt hat, das weiß ich bei Gott nicht,
- gnädiger Herr!«
- Der Alte schwieg und schien einen Augenblick in Grübeleien versunken.
- »Wie hast du denn meine Tochter kennen gelernt?«
- »Ich habe sie gar nicht kennen gelernt, gnädiger Herr, bei Gott, ich
- habe sie nie kennen gelernt. Solange ich auf der Welt bin, habe ich noch
- nie mit einem Fräulein zu tun gehabt. Gott bewahre mich davor, um nichts
- Unschicklicheres zu sagen.«
- »Warum hat sie denn aber gerade dich und keinen anderen dazu bestimmt,
- an ihrem Sarge zu beten?«
- Der Philosoph zuckte die Achseln. »Mein Gott, wie soll ich das erklären?
- Es ist ja bekannt, daß die vornehmen Herrschaften manchmal auf Dinge
- kommen, die auch der gelehrteste Mensch nicht zu erklären vermag. >Wenn
- der Herr will -- muß der Knecht springen<, sagt das Sprichwort.«
- »Lügst du auch nicht, Herr Philosoph?«
- »So wahr ich hier stehe, der Blitz soll mich treffen, wenn ich lüge!«
- »Wenn sie nur noch einen Augenblick länger gelebt hätte,« sagte der
- Hauptmann traurig, »dann hätte ich gewiß alles erfahren. >Laß niemand
- für mich beten, Vater, schicke gleich in das Kiewer Seminar und laß den
- Seminaristen Choma Brut kommen. Er soll drei Nächte lang für meine
- sündige Seele beten. Er weiß alles ...< was er aber wissen sollte, das
- bekam ich nicht mehr zu hören. Nur dies konnte mein Liebling noch sagen,
- dann starb sie. Du bist sicherlich durch deinen reinen Lebenswandel und
- durch deine Gottesfurcht berühmt, mein Lieber, und sie hat vielleicht
- von dir gehört.«
- »Wer? Ich?« sagte der Seminarist und trat vor Erstaunen einen Schritt
- zurück. »Ich, wegen meines gottesfürchtigen Lebens berühmt?« Er sah dem
- Hauptmann gerade in die Augen. »Gott segne Sie! Herr, was sagen Sie da!
- Ich ... ich ... ich schäme mich fast, davon zu reden ... aber ich bin am
- Abend vor Gründonnerstag noch zur Bäckerin gegangen!«
- »Nun, nun ... sie wird schon ihren Grund gehabt haben, als sie diese
- Bestimmung traf! Du mußt gleich heute beginnen.«
- »Euer Gnaden, gestatten Sie mir, darauf zu erwidern ... natürlich, jeder
- Mensch, der die heilige Schrift kennt, kann ja -- je nach den
- Verhältnissen ... aber hier wäre ein Diakonus oder wenigstens ein
- Vorsänger mehr am Platz. Das sind doch verständige Leute, die da wissen,
- wie alles gemacht werden muß ... ich dagegen ... ich habe ja nicht
- einmal die Stimme, die dazu nötig ist, ich bin ... weiß der Teufel, was
- ich bin! Ich sehe ja auch nach nichts aus!«
- »Mach, was du willst, aber ich will alles tun, was mein Liebling
- bestimmt hat, und nichts soll mich gereuen. Wenn du von heute an die
- üblichen drei Nächte bei ihr wachen und beten willst, sollst du
- reichlich belohnt werden. Wenn du dich dagegen weigerst -- ich möchte
- selbst dem Teufel nicht raten, mich zu reizen!«
- Der Hauptmann sprach diese letzten Worte mit solch einer Energie aus,
- daß der Philosoph ihren Sinn vollkommen begriff.
- »Folge mir,« sagte der Hauptmann.
- Sie traten in den Flur. Der Hauptmann öffnete die Tür des
- gegenüberliegenden Zimmers. Der Philosoph blieb einen Augenblick im Flur
- stehen, um sich die Nase zu putzen, und trat dann mit einem
- unwillkürlichen Schauder über die Schwelle.
- Der ganze Boden war mit rotem chinesischem Tuch bedeckt. In der Ecke,
- unter den Heiligenbildern war die Tote auf einem hohen Tisch aufgebahrt.
- Sie lag auf einer blausamtenen Decke, die mit goldenen Fransen und
- Quasten geschmückt war. Am Kopf- und Fußende standen hohe mit
- Schneeballblüten umwundene Wachskerzen, die ein mattes Licht
- verbreiteten, das in der Helle des Tages verblich. Vor der Leiche saß
- der untröstliche Vater; er hatte der Tür den Rücken zugekehrt und
- verdeckte das Antlitz der Entschlafenen, sodaß Choma es nicht sehen
- konnte. Der Philosoph war aufs höchste erstaunt über die Worte, die er
- bei seinem Eintritt ins Zimmer vernahm.
- »Ich weine nicht deshalb, liebes Töchterlein, weil du mir zum Kummer und
- Herzeleid, in der Blüte der Jahre die Erde verläßt, ohne das Alter
- erreicht zu haben, das dem Menschen vergönnt ist; ich klage darüber, daß
- ich nicht weiß, welcher grimme Feind deinen Tod verursacht hat. Wüßte
- ich, wer es gewagt hat, dich zu beleidigen, oder nur ein böses Wort über
- dich zu sagen -- bei Gott, wenn er ein alter Mann ist, wie ich, er
- sollte seine Kinder nicht wiedersehn; -- und wenn er noch jung ist,
- sollte er nie wieder zu Vater und Mutter zurückkehren. Seine Leiche
- sollte den Vögeln und wilden Tieren der Steppe zum Fraße dienen! Weh
- mir, du Blume des Feldes, meine kleine Wachtel, du Licht meiner Augen --
- ich muß den Rest meiner Tage freudlos und traurig verbringen und mit dem
- Saum meines Rockes die kargen Tränen trocknen, die aus meinen alten
- Augen tropfen, während meine Feinde sich des Lebens freuen, und sich in
- der Stille über den schwachen Greis lustig machen werden!«
- Er schwieg, ein heftiger Schmerz erschütterte ihn und machte sich in
- einem Tränenstrom Luft.
- Der Philosoph war tief gerührt von diesem namenlosen Kummer. Er hustete
- ein wenig, stieß einen dumpfen krächzenden Ton aus und räusperte sich.
- Der Hauptmann wandte sich um und wies ihm einen Platz am kleinen
- Lesepult zu Häupten der Toten an. Auf dem Pult lagen mehrere Bücher.
- »Ich will die drei Nächte schon irgendwie hinbringen und mein Pensum
- absolvieren,« dachte der Philosoph, »dafür wird mir der Herr auch beide
- Taschen mit neuen glänzenden Goldstücken anfüllen.«
- Er ging näher, räusperte sich noch einmal und begann zu lesen, ohne sich
- umzusehen, denn er hatte nicht den Mut, der Toten ins Gesicht zu
- blicken. Eine tiefe Stille umfing ihn: er merkte, daß der Hauptmann
- hinausgegangen war. Langsam wandte er den Kopf um, um die Tote anzusehen
- und ....
- Ein Zittern lief durch seine Glieder: vor ihm lag das schönste Mädchen,
- das je auf Erden gelebt hatte. Wohl nie noch war in der Form der
- Gesichtszüge strenge Schönheit so mit Harmonie vereinigt gewesen wie
- hier. Sie lag da wie eine Lebende; die herrliche, zarte, schnee- und
- silberweiße Stirn schien auf eine intensive Gedankenarbeit hinzudeuten,
- die feinen edlen Brauen, die wie ein nächtliches Dunkel die sonnige
- Helle des Tages durchbrachen -- schwangen sich stolz über die
- geschlossenen Augen; lange Wimpern senkten sich wie eine Schar spitzer
- Pfeile auf die vom Feuer geheimer Wünsche glühenden Wangen; die
- rubinroten Lippen schienen zu einem seligen Lächeln und zu Ausbrüchen
- des Glücks und der Freude bereit .... Und doch glaubte er in diesen
- Zügen etwas Schauerliches zu entdecken, das sich tief in seine Seele
- bohrte. Choma fühlte einen quälenden Schmerz in seinem Herzen; es war,
- wie wenn mitten im Wirbel ausgelassener Fröhlichkeit und einer sich im
- wilden Taumel drehenden Menge jemand einen Choral angestimmt hätte. Die
- Rubinlippen leuchteten so rot wie Herzblut. Plötzlich glaubte er in
- ihrem Gesicht etwas furchtbar Vertrautes zu erkennen; mit völlig
- veränderter Stimme schrie er auf: »Es ist die Hexe ..«, erblaßte, wandte
- die Augen ab und begann von neuem die Gebete herunter zu lesen. Es war
- dieselbe Hexe, die er getötet hatte.
- Als die Sonne herabzusinken begann, wurde die Verstorbene in die Kirche
- getragen. Der Philosoph stützte den schwarzen Sarg mit seiner Schulter
- und Eiseskälte durchrieselte ihn. Der Hauptmann ging selbst voran, und
- hielt die rechte Seite des engen Totengehäuses mit der Hand fest. Die
- verwitterte hölzerne Kirche mit ihren drei kegelförmigen Kuppeln stand
- trübselig und moosbewachsen am Ende des Dorfes: man spürte, daß hier
- lange kein Gottesdienst gehalten worden war. Fast vor jedem
- Heiligenbilde brannten Kerzen. Der Sarg wurde in der Mitte der Kirche,
- gegenüber dem Altare hingestellt. Der alte Hauptmann küßte die Tote noch
- einmal, warf sich nieder, berührte den Boden mit der Stirn und verließ
- mit den Trägern die Kirche, nachdem er den Befehl gegeben hatte, dem
- Philosophen gut zu essen zu geben und ihn abends wieder in die Kirche zu
- führen. Als sie in die Küche traten, legten alle, die den Sarg getragen
- hatten, einer nach dem andern die Hand an den Ofen, was die Kleinrussen
- stets zu tun pflegen, wenn sie eine Leiche gesehen haben. Der Hunger,
- welchen der Philosoph um diese Zeit zu spüren begann, ließ ihn auf
- einige Augenblicke die Tote vollständig vergessen. Allmählich
- versammelte sich hier das ganze Gesinde, denn die Küche des Hauptmanns
- war eine Art Klub oder Versammlungsort, und hier strömte alles zusammen,
- was im Hofe lebte, selbst die Hunde, die schweifwedelnd vor der Tür
- erschienen, um sich einen Knochen und andere Abfälle zu holen. Jeder,
- der irgendeinen Auftrag erhalten hatte, oder irgendwohin geschickt
- worden war, kam immer erst in die Küche, um sich einen Augenblick auf
- die Bank zu legen, auszuruhen und eine Pfeife zu rauchen. Alle
- Junggesellen, die im Hause lebten und in eleganten Kosakenröcken umher
- liefen, lagen fast den ganzen Tag lang auf dem Ofen, oder _auf_ und
- _unter_ den Bänken -- mit einem Wort überall, wo sich ein bequemes
- Ruheplätzchen fand. Außerdem hatte immer jemand etwas in der Küche
- vergessen: seine Mütze, die Peitsche, die für die fremden Hunde bestimmt
- war, oder etwas Ähnliches. Aber die zahlreichste Gesellschaft fand sich
- doch erst zum Abendbrot zusammen, dann kamen auch der Pferdehirt, der
- seine Pferde in die Hürden getrieben, und der Viehhirt, der die Kühe zur
- Tränke geführt hatte, und alle die, die am Tage nicht zu sehen gewesen
- waren. Beim Abendbrot wurde auch die schweigsamste Zunge redselig. Hier
- wurde gewöhnlich alles besprochen: wer sich neue Hosen genäht hatte, was
- sich im Innern der Erde befindet, und wer einen Wolf gesehen hatte. Hier
- kamen auch die Witzbolde zu ihrem Recht, an denen unter den Kleinrussen
- ja kein Mangel ist.
- Der Philosoph setzte sich im Freien, mit vielen andern in einem großen
- Kreis, dicht an der Küchenschwelle nieder. Bald erschien eine Frau mit
- einem roten Kopftuch an der Tür; sie trug eine Schüssel mit heißen
- Klößen in den Händen und stellte sie in die Mitte vor die Hungrigen hin,
- die sich zum Abendessen anschickten. Jeder holte seinen Holzlöffel, und
- in Ermangelung eines Besseren, ein hölzernes Stäbchen aus der Tasche.
- Als die Kinnbacken sich langsamer zu bewegen anfingen und der
- Wolfshunger der ganzen Gesellschaft ein wenig gestillt war, begannen
- mehrere von den Anwesenden, sich zu unterhalten. Das Gespräch wandte
- sich natürlich der Verstorbenen zu.
- »Ist es wahr,« fragte ein junger Schafhirt, der an seinem Pfeifenriemen
- so viel Knöpfe und Messingplatten angebracht hatte, daß er dem Kramladen
- einer kleinen Händlerin glich, »ist es wahr, daß das Fräulein -- ohne
- daß ich ihr deswegen etwas Böses nachsagen wollte, -- es mit dem
- Gottseibeiuns zu tun gehabt hat?«
- »Wer? Unser Fräulein?« sagte Dorosch, der unserem Philosophen schon von
- früher bekannt war, »ja, das war eine richtige Hexe. Ich will jeden
- Schwur darauf ablegen -- daß sie eine Hexe war.«
- »Hör auf, Dorosch, hör auf,« sagte der andere, der schon während der
- Fahrt eine große Neigung gezeigt hatte, alle Gegensätze zu mildern, »das
- geht uns nichts an, Gott mit ihr! Wozu sollen wir darüber sprechen.«
- Aber Dorosch hatte gar keine Lust zu schweigen; er war erst eben mit dem
- Kellermeister in einer wichtigen Angelegenheit in den Keller gegangen,
- war nachdem er sich ein paarmal über zwei oder drei Fässer gebeugt
- hatte, sehr aufgeräumt von dort zurückgekehrt und redete nun in einem
- fort.
- »Was willst du? Daß ich schweigen soll?« sagte er, »ja sie ist doch aber
- auf mir selbst herumgeritten! Bei Gott, sie ist auf mir herumgeritten!«
- »Onkelchen,« rief der junge Schafhirt mit den vielen Knöpfen, »gibt es
- ein Zeichen, an dem man eine Hexe erkennen kann?«
- »Nein,« antwortete Dorosch, »die kann kein Mensch erkennen; du kannst
- den ganzen Psalter durchlesen, und erkennst sie doch nicht!«
- »Sag das nicht, Dorosch, man kann sie wohl erkennen,« fiel ihm der
- Moralist von gestern ins Wort, »Gott hat nicht umsonst einem jeden sein
- besonderes Abzeichen gegeben: die Gelehrten sagen, daß die Hexen hinten
- ein kleines Schwänzchen haben.«
- »Wenn sie alt wird, ist jedes Weib eine Hexe,« sagte der alte Kosak
- kaltblütig.
- »O, o, ihr seid mir die Rechten,« rief die Alte, die eben frische Klöße
- in die Schüssel schüttete, »ihr seid mir rechte Wildschweine!«
- Der alte Kosak, der Jawtuch hieß, aber den Spitznamen Kowtun erhalten
- hatte, schmunzelte vergnügt, als er sah, daß die Alte sich von seinen
- Worten getroffen fühlte, der Viehhirt aber brach in ein so wüstes
- Gelächter aus, als hätten zwei Ochsen sich gegenübergestellt und zu
- gleicher Zeit losgebrüllt.
- Das begonnene Gespräch hatte die Neugierde und den dringenden Wunsch des
- Philosophen geweckt, Genaueres über die Tochter des Hauptmanns zu
- erfahren, und er fragte daher, um wieder auf das alte Thema
- zurückzukommen, seinen Nachbar:
- »Ich möchte doch wissen, warum halten alle, die hier beim Abendbrot
- sitzen, die Tochter des Herrn für eine Hexe? Hat sie denn jemanden etwas
- Böses zugefügt? Oder ihn gar behext?«
- »Es ist alles schon dagewesen,« sagte einer der Zunächstsitzenden, der
- ein ganz glattes Gesicht hatte, das so eben war wie eine Schaufel.
- »Wer erinnert sich nicht noch des Jägers Mikita, oder des ...«
- »Und was ist mit dem Jäger Mikita geschehen?« fragte der Philosoph.
- »Halt! Ich will die Geschichte vom Jäger Mikita erzählen,« rief Dorosch.
- »Nein, ich will die Geschichte vom Mikita erzählen,« schrie der
- Pferdehirt, »es war doch mein Gevatter!«
- »Nein, ich will die Geschichte vom Jäger Mikita erzählen,« sagte Spirid.
- »Laßt ihn erzählen, laßt Spirid erzählen!« riefen alle.
- Spirid begann. »Du hast Mikita nicht gekannt, Herr Philosoph. Ja, das
- war ein seltener Mensch. Jeden Hund kannte er wie seinen leiblichen
- Vater. Der jetzige Hundeaufseher, Mikolo, der dritte dort in der Reihe,
- reicht lange nicht an ihn heran, obgleich er seine Sache auch gut
- versteht, aber gegen Mikita ist er nichts wie Schund und Dreck.«
- »Du erzählst ausgezeichnet, ganz ausgezeichnet,« warf Dorosch ein und
- nickte zufrieden mit dem Kopfe.
- Spirid fuhr fort. »Noch ehe du dir den Tabak aus der Nase wischst, hat
- der den Hasen gesehen. Es kam vor, daß er den Hunden zurief: >Auf,
- Räuber, auf Schneller< und saß selbst schon auf dem Gaul und sauste mit
- Windeseile davon. Es war unmöglich, vorauszusagen, ob er -- die Hunde,
- oder die Hunde -- ihn überholen würden. Der goß euch ein Viertel
- Branntwein hinunter, wie wenn nichts passiert wäre. Ein herrlicher
- Jäger! Aber plötzlich fing er an, sich in einem fort nach dem Fräulein
- umzusehen. War er in sie verschossen, oder hatte sie ihn schon behext,
- kurz der Mann war verloren, und ein richtiger Weiberknecht geworden.
- Weiß der Teufel, was aus dem geworden war. Pfui -- man schämt sich, es
- auszusprechen.«
- »Ausgezeichnet,« sagte Dorosch.
- »Das Fräulein brauchte ihn nur anzusehen, und die Zügel glitten ihm aus
- den Händen. Den >Räuber< nannte er >Brauner<, er stotterte fortwährend
- und trieb weiß Gott was für einen Unsinn. Einmal kam das Fräulein in den
- Stall, wo er die Pferde putzte. >Erlaub mal, Mikita,< sagte sie, >daß
- ich meinen Fuß auf dich setze.< Und der Esel -- freut sich noch und
- sagt: >nicht bloß deinen Fuß, setz dich ganz auf mich.< Das Fräulein hob
- den Fuß in die Höhe, und wie er ihr nacktes, volles, weißes Bein sieht,
- da hat mich der Zauber völlig betäubt, sagte er. Der Esel bückte sich,
- faßte ihre beiden nackten Beine mit seinen Händen und begann zu
- galoppieren wie ein Pferd, immer die Felder entlang und immer weiter;
- wohin sie eigentlich geritten waren, das wußte er nie zu sagen.
- Jedenfalls kam er halbtot zurück, und wurde von da ab dürr und mager wie
- ein Kienspan; als man einmal in den Pferdestall kam, lag an der Stelle,
- wo er sonst zu schlafen pflegte, nur ein Haufen Asche und ein leerer
- Eimer; er war verbrannt, ganz von selbst verbrannt. Und war doch ein
- Jäger gewesen, wie man auf der ganzen Welt keinen zweiten findet!«
- Als Spirid seine Erzählung beendet hatte, begann man sich allerseits der
- Vorzüge des früheren Jägers zu erinnern.
- »Hast du auch nichts von dem Scheptschicha gehört,« wandte sich Dorosch
- an Choma.
- »Nein.«
- »He! Sieh an! Man scheint euch in der Bursa nicht viel Gescheites
- beizubringen. Na paß mal auf. Wir haben im Dorf einen Kosaken, Scheptun,
- einen feinen Kosaken sag ich dir. Er liebt es zwar, hin und wieder was
- zu stibitzen und einen ohne Grund anzulügen -- aber er ist doch ein
- feiner Kosak. Seine Hütte liegt nicht weit von hier. Einst setzten sich
- also Scheptun und seine Frau zum Abendbrot, es war so um dieselbe Zeit
- wie jetzt; nach dem Abendessen legten sie sich nieder, und weil das
- Wetter schön war, legte sich die Frau auf den Hof, während sich Scheptun
- in der Hütte auf einer Bank ausstreckte, oder nein: die Frau lag in der
- Hütte auf der Bank und Scheptun auf dem Hof ...«
- »Die Frau legte sich auch nicht auf die Bank, sondern auf den Boden,«
- rief eine Alte dazwischen, die auf der Schwelle stand und, den Kopf in
- die Hand gestützt, zuhörte.
- Dorosch sah sie an, schlug die Augen nieder, sah sie dann noch einmal an
- und sagte nach einer Weile: »Wenn ich dir öffentlich deinen Unterrock
- aufstreife, wird dir das sicher nicht angenehm sein.«
- Die Warnung verfehlte ihre Wirkung nicht; die Alte schwieg und hütete
- sich, ihn noch einmal zu unterbrechen.
- Dorosch fuhr fort. »In der Wiege, welche mitten in der Hütte hing, lag
- ein einjähriges Kind, ich weiß es nicht mehr, ob es ein Knabe oder ein
- Mädchen war. Die Frau des Scheptun lag eine Weile da, da hört sie
- plötzlich, wie der Hund vor der Hütte scharrt und heult und heult, -- es
- war um davonzulaufen. Die Frau erschrickt -- die Weiber sind ja so ein
- dummes Volk, steckt ihnen abends die Zunge durch die Türspalte, so
- verlieren sie den Kopf vor lauter Angst -- sie denkt aber doch: ich
- werde dem verdammten Hund eins auf die Schnauze geben, dann wird er wohl
- mit seinem Geheul aufhören. Sie nimmt also die Ofenzange und will die
- Tür öffnen, kaum aber hat sie sie ein wenig aufgetan, da springt der
- Hund zwischen ihren Beinen hindurch und stürzt auf die Wiege des Kindes
- los. Jetzt sah die Frau erst, daß es gar kein Hund war, sondern das
- Fräulein -- ja wenn es noch das Fräulein gewesen wäre, wie sie es sonst
- gesehen hatte -- das wäre noch nicht so schlimm gewesen; aber die Sache
- war eben die und der Umstand der: sie war ganz dunkelblau, und ihre
- Augen glühten wie feurige Kohlen. Sie ergriff das Kind, biß ihm die
- Gurgel entzwei und fing an, ihm das Blut auszusaugen. Die Frau schrie
- bloß: Ach und weh, und stürzte aus der Hütte. Als sie sah, daß die Tür
- im Flur verschlossen war, kroch sie auf den Dachboden: da sitzt nun das
- dumme Weib und zittert, aber plötzlich sieht sie, wie das Fräulein ihr
- auf den Boden nachklettert -- und hier wirft sich das Fräulein über das
- dumme Weib und fängt an, sie zu beißen. Am nächsten Morgen holt Scheptun
- seine Frau ganz blau und zerbissen vom Boden herunter -- und am
- folgenden Tage starb das dumme Weib. Was es nicht für Dinge und Vorfälle
- gibt! Ja, ja, wenn sie auch von vornehmer Herkunft ist -- eine Hexe
- bleibt sie doch!«
- Nach dieser Erzählung blickte sich Dorosch zufrieden im Kreise um und
- bohrte seine Finger tief in die Pfeife, um sie von neuem zu stopfen. Das
- Hexenthema war unerschöpflich, ein jeder brannte darauf, etwas zu
- erzählen. Zu dem einen war die Hexe in Gestalt eines Heuschobers bis
- dicht an die Tür gekommen; einem andern hatte sie die Mütze oder die
- Pfeife gestohlen; vielen Mädchen im Dorfe hatte sie die Zöpfe
- abgeschnitten, und andern das Blut eimerweis ausgesogen.
- Endlich merkte die ganze Gesellschaft, daß sie sich erheblich
- verplaudert hatte, denn es war auf dem Hofe stockfinster geworden. Alle
- suchten ihr Lager auf, das sich teils in der Küche, teils auf dem
- Speicher oder im Hofe befand. »Nun, Herr Choma! für uns ist es jetzt
- Zeit, zu der Toten zu gehn,« sagte der alte Kosak, indem er sich an den
- Philosophen wandte; sie gingen also zu viert -- Spirid und Dorosch kamen
- auch mit -- zur Kirche und wehrten mit ihren Peitschen die Hunde ab, die
- in Massen auf der Dorfstraße herumlungerten, bellten und sich wütend in
- die Peitschengriffe verbissen.
- Je mehr sie sich der erleuchteten Kirche näherten, um so lebhafter war
- die Angst, die der Philosoph im geheimen in seinem Herzen aufsteigen
- fühlte, obschon er sich durch einen tüchtigen Krug Schnaps gestärkt
- hatte. Die Geschichten und Abenteuer, die er soeben gehört hatte, hatten
- seine Phantasie noch mehr erregt. Die Dunkelheit, die in der Nähe des
- Staketenzaunes und unter den Bäumen herrschte, erhellte sich ein wenig,
- die Strecke wurde freier. Endlich traten sie in die alte Umfriedung vor
- der Kirche ein: da gab es keinen Baum, nur ödes Feld, und dahinter lagen
- in nächtliches Dunkel gehüllte Wiesen. Die drei Kosaken stiegen mit
- Choma die steilen Stufen der Treppe bis zum Flur hinauf und betraten die
- Kirche. Hier wünschten sie dem Philosophen eine glückliche Vollendung
- seiner Aufgabe und gingen fort, nachdem sie auf Befehl ihres Herrn die
- Tür hinter ihm geschlossen hatten.
- Der Philosoph war allein. Erst gähnte er ein paarmal, dann streckte er
- sich, blies in beide Hände und sah sich endlich in der Kirche um. In der
- Mitte stand der schwarze Sarg. Vor den dunklen Heiligenbildern brannten
- Kerzen, aber das Licht erleuchtete nur den Altar und warf einen
- schwachen Schimmer bis in die Mitte der Kirche. Der hohe altertümliche
- Altar machte einen recht gebrechlichen Eindruck; das durchbrochene und
- vergoldete Schnitzwerk hatte nur noch an ganz vereinzelten Stellen
- seinen Glanz bewahrt, die Vergoldung war stellenweise abgebröckelt oder
- nachgedunkelt. Die Gesichter der Heiligen waren ganz schwarz und
- blickten sehr düster und ernst aus den Rahmen. Der Philosoph sah sich
- noch einmal um. »Nun,« sagte er, »wovor hätte ich mich hier zu fürchten?
- Kein Mensch kann herein, und gegen Tote und Gespenster aus der andern
- Welt habe ich meine Gebete; wenn ich die hersage, wird kein Geist es
- wagen, mich auch nur mit einem Finger zu berühren. Ach was,« fügte er
- resigniert hinzu, »also fangen wir an zu lesen.« Als er in die Nähe des
- Chors kam, erblickte er einige Bündel Kerzen. »Das ist ausgezeichnet,«
- dachte der Philosoph, »ich werde die ganze Kirche taghell erleuchten!
- Schade nur, daß man hier im Gotteshause keine Pfeife rauchen darf!«
- Und er fing an, jedes Gesims, jedes Lesepult und jedes Heiligenbild mit
- Kerzen zu versehen; er sparte nicht mit ihnen, und bald war die ganze
- Kirche von Licht erfüllt. Nur oben schien die Dunkelheit noch größer
- geworden zu sein, und die düsteren Heiligen schauten noch finsterer aus
- ihren altmodischen, geschnitzten Rahmen, deren Vergoldung hier und da
- aufblitzte. Er näherte sich dem Sarge und blickte verstohlen der Toten
- ins Antlitz -- ein leichtes Frösteln durchlief seine Glieder. Er mußte
- die Augen schließen vor dieser dämonisch strahlenden Schönheit!
- Er wandte sich ab und wollte gehen; aber infolge einer seltsamen
- Neugierde, die den Menschen besonders in Augenblicken der Angst zu
- quälen pflegt, konnte er es nicht unterlassen, im Fortgehen noch einen
- Blick auf die Tote zu werfen, und als derselbe Schauder ihn
- durchrieselte, sie noch einmal anzusehen. Und in der Tat, die grausame
- Schönheit der Verstorbenen erschien ihm schrecklich. Vielleicht hätte
- sie diese lähmende Furcht nicht hervorgerufen, wenn sie weniger schön
- gewesen wäre. In den Zügen war nichts Schlaffes, Trübes, Erstarrtes; es
- war dem Philosophen, als wenn ihn die Tote trotz ihrer geschlossenen
- Augen ansähe. Es schien ihm, als ob eine Träne zwischen den Wimpern des
- rechten Auges hervorquelle, und als sie über die Wange rollte, sah er
- deutlich, daß es ein Blutstropfen war.
- Er trat schnell zum Chor, schlug das Buch auf, und begann, um sich Mut
- zu machen, so laut als möglich zu lesen. Seine Stimme schlug gegen die
- längst verstummten, tauben Holzwände, aber sein voller Baß fand in der
- Totenstille kein Echo und erschien dem Leser rauh und fremd. »Wovor soll
- ich mich fürchten,« dachte er sich, »sie wird doch nicht aus dem Sarge
- aufstehen! Sie wird doch Furcht vor dem Wort Gottes haben! Sie soll
- ruhig liegen bleiben! Was wäre ich für ein Kosak, wenn ich Furcht hätte?
- Sicher, ich habe ein wenig zu viel getrunken, daher ist mir's so
- unheimlich. Ich will jetzt eine Prise nehmen. Hm, ein feiner Tabak! Ein
- herrlicher Tabak!« Allein, während er die Seiten umblätterte, schielte
- er immer wieder nach dem Sarge, und ein unabweisbares Gefühl flüsterte
- ihm ins Ohr: »Jetzt wird sie gleich aufstehen. Da -- jetzt erhebt sie
- sich. Jetzt sieht sie hierher!«
- Aber nichts störte die Totenstille, der Sarg stand unbeweglich da, und
- die Kerzen strömten ein ganzes Meer von Licht aus. Wie schrecklich ist
- doch eine hellerleuchtete Kirche -- nachts, wenn sie einen Leichnam
- beherbergt, und keine Menschenseele in ihr ist!
- Er erhob seine Stimme und begann in den verschiedensten Tonarten zu
- singen, um den Rest von Angst in seiner Seele zu betäuben. Aber immer
- wieder wanderten seine Augen zum Sarge, wie wenn sie unwillkürlich
- fragen wollten: »und was wird geschehen, wenn sie sich plötzlich erhebt,
- und aus dem Sarge steigt?«
- Allein der Sarg rührte sich nicht. Wenn auch nur das kleinste Geräusch
- zu hören gewesen wäre! Wenn nur ein lebendes Wesen einen Laut von sich
- gegeben hätte! Aber nicht einmal ein Heimchen machte sich im Winkel
- bemerkbar. Nur dann und wann hörte man das schwache Knistern einer
- entfernten Kerze, oder den leicht aufklopfenden Ton eines zu Boden
- fallenden Wachströpfchens.
- »Wie wenn sie aufstünde!«
- Sie erhob den Kopf ....
- Er schaute wild um sich und rieb sich die Augen. Wahrhaftig, sie lag
- nicht mehr, sie saß aufrecht im Sarge. Er wandte den Blick ab, aber im
- nächsten Moment sah er wieder mit Schrecken nach dem Sarge. Sie war
- aufgestanden -- und ging mit geschlossenen Augen durch die Kirche ...
- immer wieder breitete sie die Arme aus, als wolle sie jemanden
- umschlingen!
- Jetzt kam sie direkt auf ihn zu. In seiner Todesangst beschrieb er einen
- Kreis um sich und betete aus Leibeskräften. Er sagte alle Beschwörungen
- her, die ihn ein Mönch gelehrt, welcher sein ganzes Leben lang mit Hexen
- und bösen Geistern zu tun gehabt hatte.
- Dicht vor dem Kreise blieb sie stehen. Man sah, sie hatte nicht die
- Macht, ihn zu überschreiten und wurde ganz blau, wie ein Mensch, der
- schon vor mehreren Tagen gestorben ist. Choma hatte nicht den Mut, sie
- anzusehen, sie war zu schrecklich. Ihre Zähne schlugen aufeinander, und
- sie öffnete ihre toten Augen, aber sie vermochte nichts zu sehen. Voller
- Wut -- die sich deutlich in ihrem verzerrten Gesichte widerspiegelte --
- wandte sie sich nach der anderen Seite, und umschlang mit ihren
- ausgebreiteten Armen jeden Pfeiler, und betastete jede Ecke: sie wollte
- Choma fangen. Endlich blieb sie stehen, drohte mit dem Finger und legte
- sich wieder in ihren Sarg.
- Der Philosoph konnte nicht gleich wieder zu sich kommen, und blickte
- voller Furcht auf die enge Behausung der Hexe. Da aber riß sich der Sarg
- plötzlich mit einem Rucke los und begann mit furchtbaren Pfeifen durch
- die Kirche zu fliegen, wobei er die Luft nach allen Richtungen kreuzte.
- Der Philosoph sah ihn einen Augenblick dicht über seinem Kopf, aber er
- bemerkte wohl, daß er den von ihm beschriebenen Kreis nicht zu berühren
- vermochte, und verstärkte seine Beschwörungen. Der Sarg stürzte mitten
- in der Kirche wieder herab und blieb unbeweglich liegen. Wieder erhob
- sich der Leichnam, der jetzt ganz blau und grün aussah. Da ertönte der
- ferne Ruf eines Hahnes: der Leichnam sank in den Sarg zurück, und der
- Deckel fiel krachend zu.
- Dem Philosophen klopfte das Herz zum Zerspringen. Er war ganz in Schweiß
- gebadet, aber durch den Hahnenschrei ermutigt, fing er an, schneller zu
- lesen, bis er sein Pensum Seite für Seite vollendet hatte. Beim ersten
- Frührot lösten ihn der Vorsänger, und der alte Jawtuch, der damals das
- Amt eines Kirchenvorstehers bekleidete, ab.
- Nachdem der Philosoph sein fernes Lager erreicht hatte, konnte er noch
- lange nicht einschlafen. Endlich aber siegte die Müdigkeit, und er
- schlummerte bis zum Mittag. Als er erwachte, glaubte er das ganze
- nächtliche Abenteuer geträumt zu haben. Man gab ihm einen Quart Schnaps
- zur Stärkung. Beim Essen ermunterte er sich vollkommen, flocht ein paar
- Bemerkungen in die Unterhaltung ein und aß beinahe allein ein ziemlich
- ausgewachsenes Ferkel auf. Aber ein unerklärliches Gefühl hielt ihn ab,
- von den Ereignissen in der Kirche zu sprechen, und er antwortete auf
- alle neugierigen Fragen: »Ja, es gab dort mancherlei Wunderbares.« Der
- Philosoph gehörte zu den Menschen, welche sehr leutselig werden, wenn
- man ihnen gut zu essen gibt. Er lag mit der Pfeife zwischen den Zähnen,
- auf der Bank, sah alle mit freundlichen Blicken an und spuckte
- unaufhörlich aus.
- Nach dem Essen befand sich der Philosoph in der besten Laune. Er fand
- Zeit, durch das ganze Dorf zu spazieren und schloß fast mit allen
- Bekanntschaft; aus zwei Hütten wurde er sogar herausgeworfen, und eine
- hübsche junge Frau versetzte ihm einen Schlag mit der Schaufel, als er
- in seiner Neugierde nachprüfen wollte, aus was für einem Stoff ihr Hemd
- und ihr Rock genäht wären. Aber je näher der Abend heranrückte, um so
- nachdenklicher wurde der Philosoph. Eine Stunde vor dem Abendbrot
- versammelte sich fast das ganze Gesinde, um »Grütze« oder »Klötzchen« zu
- spielen, eine Art Kegelspiel, bei dem man statt der Kugeln lange Stöcke
- benutzt, und wo der Gewinner dann das Recht hat, auf dem Rücken seines
- Partners herumzureiten. Dieses Spiel hatte für den Zuschauer etwas
- äußerst Interessantes: oft stieg der Pferdehirt, ein breitschulteriger
- Kerl, der aufgeschwemmt war wie ein Pfannkuchen, auf den Rücken des
- Schweinehirten, eines elenden, ganz runzligen Männchens. Ein anderes Mal
- mußte der Pferdeknecht seinen Rücken darbieten, und Dorosch sagte
- jedesmal, wenn er ihn bestieg: »das ist ein kräftiger Stier«. Die
- solideren Leute saßen an der Küchenschwelle, rauchten ihre Pfeifen und
- blieben immer ernst, auch wenn die Jungen sich über einen Witz des
- Pferdeknechts oder Spirids vor Lachen ausschütten wollten. Choma machte
- vergeblich den Versuch, am Spiele teilzunehmen; ein finsterer Gedanke
- saß ihm wie ein Nagel im Kopf. Beim Abendbrot gab er sich die größte
- Mühe, munter zu sein, aber seine Angst stieg in dem Maße, als die
- nächtliche Dämmerung den Himmel überzog.
- »Nun wird es auch Zeit für uns, Herr Seminarist,« sagte der uns bekannte
- alte Kosak, indem er zugleich mit Dorosch aufstand, »komm, gehen wir an
- die Arbeit!«
- Man führte Choma wie am vorigen Abend in die Kirche und wieder ließ man
- ihn allein; da stieg die Angst aufs neue in ihm auf. Wieder sah er die
- düsteren Heiligenbilder, die glänzenden Rahmen und den bekannten
- schwarzen Sarg, der in drohender Stille unbeweglich in der Mitte der
- Kirche stand.
- »Nun, all diese Zaubereien sind mir ja jetzt nichts Neues mehr,« sagte
- er, »das ist nur zum erstenmal so schrecklich. Ja das erstemal ist es
- etwas peinlich, -- aber später ist es schon nicht mehr so schlimm, dann
- ist es gar nicht mehr schrecklich.«
- Eilig betrat er den Chor, beschrieb einen Kreis um sich, sagte einige
- Beschwörungen her und begann laut zu lesen, fest entschlossen, die Augen
- nicht vom Buche zu erheben und auf nichts zu achten. Er mochte etwa eine
- Stunde gelesen haben und begann schon müde zu werden und dann und wann
- zu husten; er nahm daher seine Tabaksdose aus der Tasche; ehe er jedoch
- eine Prise nahm, schielte er scheu nach dem Sarge. Sein Herz erstarrte.
- Die Tote stand vor ihm, dicht vor dem Kreise und bohrte ihre erloschenen
- grünen Augen in die seinen. Der Seminarist erbebte, Eiseskälte
- durchrieselte seinen ganzen Körper. Er heftete seine Augen auf das Buch
- und begann seine Gebete und Beschwörungen lauter herzusagen; hierbei
- hörte er, wie die Tote mit den Zähnen klapperte, und fühlte, wie sie
- ihre Arme ausbreitete, um ihn zu umschlingen. Er schielte mit einem Auge
- nach der Toten hin, und sah, daß diese nicht dahin griff, wo er stand --
- es war also klar, daß sie ihn nicht sehen konnte. Sie begann dumpf zu
- murren und sprach mit erstorbenen Lippen drohende Worte, die heiß
- aufzischten wie das Brodeln kochenden Peches. Er hätte nicht sagen
- können, was diese Worte zu bedeuten hatten, aber sie mußten etwas ganz
- Schreckliches enthalten. In seiner Todesangst begriff jedoch der
- Philosoph, daß es Beschwörungen waren. Nach ihren Worten erhob sich ein
- Sturm in der Kirche, ein Lärm wie von unzähligen Flügeln, die durch die
- Luft rauschten. Er hörte, wie die Flügel gegen die Fensterscheiben und
- eisernen Fensterrahmen der Kirche schlugen, er hörte es winseln und an
- dem Eisen kratzen, eine ungeheuere Kraft stieß donnernd gegen die Tür
- und wollte sie aufbrechen. Sein Herz schlug fortwährend zum Zerspringen,
- mit geschlossenen Augen las er seine Gebete und Beschwörungen -- endlich
- ertönte etwas in der Ferne -- es war ein ferner Hahnenschrei. Der
- gepeinigte Philosoph hielt inne und wurde ruhiger.
- Als die Ablösung kam, fand man ihn halbtot an der Wand lehnend, und er
- stierte die hereintretenden Kosaken mit blöden Augen an. Fast mit Gewalt
- führten sie ihn hinaus und mußten ihn unterwegs die ganze Zeit über
- stützen. Als sie im Herrenhof ankamen, ermannte er sich jedoch und
- verlangte einen Quart Branntwein. Nachdem er ihn ausgetrunken hatte,
- strich er über sein Haar und sagte: »Es gibt viel Lumpenzeug auf der
- Welt. Und so viel Schreckliches ...« Hierbei fuhr seine Hand durch die
- Luft.
- Die Umstehenden ließen bei diesen Worten die Köpfe hängen. Selbst ein
- kleiner Junge, den alle im Hof schieben und stoßen zu können glaubten,
- wenn es den Stall zu reinigen oder Wasser zu tragen galt -- selbst
- dieser arme Junge sperrte das Maul auf.
- In diesem Augenblicke ging eine nicht mehr ganz junge Frau vorüber,
- deren enganliegendes Oberkleid ihre vollen drallen Hüften sehen ließ;
- sie war die Gehilfin der alten Köchin und ein furchtbar kokettes
- Frauenzimmer, dessen Kopftuch immer mit allerhand schönen Dingen
- aufgeputzt war: einem Endchen Band, einer Nelke, ja sogar, wenn gar
- nichts Besseres zur Hand war, mit einem Stückchen Papier.
- »Guten Morgen, Choma,« sagte sie, als sie den Philosophen erblickte.
- »Halloh, was ist denn mit dir los!« schrie sie auf und schlug die Hände
- zusammen.
- »Ja was denn, dummes Weib?«
- »Mein Gott, du bist ja ganz grau!«
- »Herrgott, Herrgott! Sie hat wirklich recht!« sagte Spirid und sah ihn
- genauer an. »Du bist wirklich ganz grau geworden, wie unser alter
- Jawtuch!«
- Als der Philosoph dies hörte, lief er schnell in die Küche, wo er ein
- kleines dreieckiges und ganz von Fliegen beschmutztes Stückchen Spiegel
- an der Wand gesehen hatte; es war mit Vergißmeinnicht, Nelken und sogar
- mit einer Girlande geschmückt, was darauf hindeutete, daß es einer
- putzsüchtigen Kokette bei der Toilette diente. Mit Schrecken sah Choma,
- daß sie die Wahrheit gesprochen hatte, die Hälfte seines Kopfes war
- wirklich ganz weiß!
- Choma Brut ließ den Kopf hängen und überließ sich seinen Gedanken. »Ich
- will zu dem Herrn gehen,« sagte er endlich, »ich will ihm alles erzählen
- und ihm erklären, daß ich die Gebete nicht mehr lesen will. Er soll mich
- gleich nach Kiew zurückschicken.«
- Mit diesem Entschluß ging er auf die Freitreppe des Herrschaftshauses
- zu. Der Hauptmann saß fast regungslos in seinem Zimmer. Der trostlose
- Gram, den Choma schon früher auf seinem Gesichte bemerkt hatte,
- verdüsterte noch immer seine Züge, und seine Wangen waren vielleicht
- noch etwas hohler geworden. Man sah, daß er nur wenig oder gar keine
- Nahrung zu sich nahm. Die ungewöhnliche Blässe gab seinem Gesicht eine
- geradezu steinerne Unbeweglichkeit.
- »Guten Morgen, du Ärmster,« sagte er, als er Choma erblickte, der mit
- der Mütze in der Hand in der Türe stehen blieb. »Nun wie geht's? Ist
- alles in Ordnung?«
- »In Ordnung? Jawohl, das ist eine schöne Ordnung! Das ist ja der reinste
- Hexensabbat, daß man am liebsten seine Mütze nehmen und davonlaufen
- möchte, soweit einen die Füße tragen!«
- »Wieso?«
- »Ja Herr, Eure Tochter .... Wenn man sich's ordentlich überlegt .... sie
- ist ja von vornehmer Abkunft, das wird niemand leugnen .... aber nehmt
- es mir nicht übel, Gott gebe ihrer Seele Ruhe ....«
- »Was ist denn mit meiner Tochter?«
- »Sie hat sich dem Teufel verschrieben. Es geschehen solche furchtbaren
- Dinge -- da hilft kein Lesen und kein Beten ....«
- »Lies nur, lies. Sie hat dich nicht umsonst hierher gerufen, sie war um
- ihr Seelenheil besorgt, das liebe Kind, und wollte alle Versuchungen
- durch Gebete zuschanden machen ...«
- »Ich stehe in Ihrer Macht, Herr, aber bei Gott, ich kann nicht mehr!«
- »Lies, lies nur weiter,« fuhr der Hauptmann in dem gleichen mahnenden
- Tone fort, »es ist doch nur noch eine Nacht übrig geblieben, und du tust
- ein christliches Werk. Ich werde dich gut belohnen.«
- »Und wenn die Belohnung noch so groß wäre, Herr! Nein, wie Ihr wollt,
- ich lese nicht mehr,« sagte Choma entschlossen.
- »Hör mal, Philosoph,« sagte der Hauptmann, und seine Stimme wurde stark
- und drohend, »ich liebe solche Scherze nicht. So etwas magst du in
- deiner Bursa machen, aber nicht bei mir. Wenn ich dich durchprügeln
- lasse, dann sieht es etwas anders aus, als bei eurem Rektor -- Weißt du,
- was ein guter lederner Riemen ist?«
- »Wie sollte ich nicht?« sagte der Philosoph und ließ die Stimme sinken:
- »ein jeder weiß, was lederne Riemen sind -- ein größere Portion davon --
- das kann niemand aushalten.«
- »Ja. Aber du weißt wohl noch nicht, wie meine Leute sich aufs Prügeln
- verstehen,« sagte der Hauptmann drohend und erhob sich; seine Züge
- nahmen eine gebieterische und grausame Miene an, in der sich die ganze
- Zügellosigkeit seines Charakters spiegelte, die eben nur durch den
- Kummer ein wenig eingeschläfert war. »Bei mir wird erst geprügelt, dann
- Branntwein darauf gegossen, und dann geht's von neuem los. Geh, vollende
- deine Arbeit. Tust du es nicht -- so stehst du nie wieder auf; gehorchst
- du mir dagegen -- so gibt's tausend Goldstücke!«
- »Herrgott, das ist ja ein Teufelskerl,« dachte der Philosoph, als er
- hinausging, »mit dem darf man nicht spaßen. Paß auf, Freundchen, ich
- werde Fersengeld geben, daß du mich mit all deinen Hunden nicht einholen
- sollst.«
- Choma Brut war fest entschlossen, auszureißen. Er wartete nur noch die
- Zeit bis nach dem Mittagessen ab, wo das Gesinde sich ins Heu unter den
- Speichern zu legen pflegte, um mit offenem Munde in ein so schreckliches
- Pfeifen und Schnarchen auszubrechen, daß sich der Herrschaftshof in eine
- Fabrik zu verwandeln schien.
- Endlich war es so weit. Selbst Jawtuch streckte sich in der Sonne aus
- und schloß die Augen. Zitternd und zagend schlich sich der Philosoph in
- den herrschaftlichen Garten, von wo er leicht und unbemerkt ins freie
- Feld zu gelangen hoffte. Der Garten war, wie das gewöhnlich der Fall
- ist, unglaublich verwildert und schien daher für allerlei geheime
- Unternehmungen besonders geeignet. Mit Ausnahme eines kleinen Fußpfades
- (der zu wirtschaftlichen Zwecken ausgetreten worden war), waren alle
- Wege dicht von Kirschbäumen, Holundersträuchern und Kletten verwachsen,
- die ihre langen Stengel mit den klebrigen, rosafarbenen Blüten hoch
- hinaufstreckten. Die Spitzen dieses bunten Gemischs von Bäumen und
- Sträuchern war wie mit einem Netze von Hopfenranken überzogen. Sie
- bildeten gewissermaßen ein Schutzdach, das auf dem geflochtenen Zaune
- ruhte und sich in grünen, mit wilden Glockenblumen durchwachsenen
- Schlangenwindungen zur Erde hinabließ. Hinter dem Zaun, der den Garten
- begrenzte, zog sich ein förmlicher Wald von Steppengras hin: hier schien
- noch kein neugieriger Blick hineingeschaut zu haben, und die Sense,
- welche mit ihrer Klinge diese dicken holzharten Stengel zu schneiden
- versucht hätte, wäre sicher in Stücke zersprungen.
- Als der Philosoph über den Zaun steigen wollte, klapperten seine Zähne,
- und sein Herz pochte so heftig, daß er selbst erschrak. Die Schöße
- seines langen Rockes schienen an der Erde festzukleben, als hätte sie
- dort jemand angenagelt. Als er über den Zaun stieg, klang plötzlich ein
- betäubender Pfiff an sein Ohr, und eine Stimme schrie: »Wohin, wohin?«
- Der Philosoph tauchte im Steppengras unter und begann zu laufen, wobei
- er in einem fort über alte Wurzeln stolperte und Maulwürfe zertrat. Er
- sah nun, daß er nach dem Heidegras noch ein Stück Feld zu passieren
- hatte, hinter dem sich eine dichte Dornenhecke hinzog: dort glaubte er
- sich gerettet, da er jenseits der Hecke einen direkten Weg nach Kiew zu
- finden meinte. Mit einer geradezu unglaublichen Geschwindigkeit durchmaß
- er das Feld, und befand sich plötzlich vor einer dichten Dornbuschhecke.
- Er kroch durch die Hecke, wobei er an jedem spitzen Dorn ein Fetzen
- seines Gewandes als Tribut zurückließ. Endlich gelangte er zu einem
- kleinen Hohlwege, wo eine Weide stand, die mit ihren weit ausgebreiteten
- Zweigen ab und zu die Erde berührte, und wo eine schmale, kristallklare
- Quelle wie lauteres Silber erglänzte. Das erste, was der Philosoph tat,
- war, daß er niederkniete und zu trinken begann -- denn er verspürte
- einen geradezu unerträglichen Durst. »Ein herrliches Wasser,« sagte er,
- indem er sich die Lippen abtrocknete, »hier könnte man fein ausruhen!«
- »Nein, es ist doch besser, wir laufen weiter, vielleicht sind uns die
- Verfolger schon auf den Fersen!«
- Diese Worte ertönten dicht neben seinem Ohr. Er sah sich um -- Jawtuch
- stand vor ihm.
- »So ein Teufel, dieser Jawtuch,« dachte der Philosoph, »ich würde dich
- mit Vergnügen bei beiden Beinen packen und deine verdammte Fratze samt
- allen übrigen Körperteilen mit einem Eichenknüppel bearbeiten!«
- »Wozu hast du so einen großen Umweg gemacht,« fuhr Jawtuch fort, »es
- wäre klüger gewesen, du hättest den Weg gewählt, den ich gegangen bin:
- er führt dicht beim Stall vorbei. Dein Anzug tut mir leid. Solch
- ausgezeichnetes Tuch. Was hast du für die Elle bezahlt? -- Doch jetzt
- sind wir genug spazieren gegangen: es ist Zeit, nach Hause zu gehen.«
- Der Philosoph kratzte sich den Hinterkopf und folgte Jawtuch langsam
- nach. »Jetzt wird mir die verdammte Hexe erst recht die Hölle heiß
- machen,« dachte er. »Aber was soll denn das! Wovor habe ich Angst? Bin
- ich ein Kosak, oder nicht? Ich habe doch zwei Nächte hintereinander
- gelesen, so werde ich denn mit Gottes Hilfe auch wohl noch die dritte
- überstehen. Die verfluchte Hexe hat sicherlich viel auf dem Gewissen,
- daß der Böse so für sie eintritt.«
- Mit diesen Gedanken beschäftigt, betrat er den Gutshof. Nachdem er sich
- durch solche und ähnliche Erwägungen Mut gemacht hatte, bat er Dorosch,
- der durch die Protektion des Kellermeisters manchmal Zutritt zum
- herrschaftlichen Keller hatte, ihm eine Flasche gewöhnlichen Branntwein
- zu verschaffen. Dann setzten sich beide Kameraden am Speicher nieder und
- leerten fast einen halben Eimer, so daß der Philosoph plötzlich
- aufsprang und schrie: »Musikanten her! Musikanten!« und ohne zu warten,
- bis die Musikanten erschienen, auf einem freien Platz mitten auf dem
- Hofe einen Trepak zu tanzen begann. Er tanzte unaufhörlich bis zum
- Nachmittag. Das Gesinde, das, wie es in solchen Fällen üblich ist, einen
- Kreis um ihn gebildet hatte, spuckte zuletzt aus und zog sich zurück.
- Kopfschüttelnd meinten sie: »Wie kann ein Mensch nur so lange tanzen!«
- Endlich sank der Philosoph auf derselben Stelle nieder und schlief ein;
- erst ein Kübel frischen Wassers vermochte ihn zu wecken, als man sich
- zum Abendbrot versammelte. Beim Essen redete er viel davon, was ein
- rechter Kosak sei, und behauptete, daß ein Kosak sich vor nichts
- fürchten dürfe.
- »Es ist Zeit,« sagte Jawtuch, »komm laß uns gehn.«
- »Ich wollte, ich könnte dir ein Zündholz durch die Zunge bohren,
- verfluchtes Schwein!« dachte der Philosoph, erhob sich jedoch und sagte
- »Komm!«
- Auf dem Wege zur Kirche sah sich der Philosoph fortwährend um und sprach
- ein paar Worte mit seinen Begleitern. Aber Jawtuch schwieg, und selbst
- Dorosch blieb stumm.
- Es war eine höllische Nacht. Scharen von Wölfen heulten in der Ferne,
- selbst das Gebell der Hunde klang unheimlich.
- »Es hört sich fast an, als wären das, was dort heult, gar keine Wölfe,«
- sagte Dorosch. Jawtuch schwieg. Auch der Philosoph wußte nichts zu
- erwidern.
- Sie näherten sich der Kirche und betraten den wackligen Holzboden, der
- deutlich verriet, wie wenig sich der Gutsherr um Gott und sein
- Seelenheil kümmerte. Jawtuch und Dorosch entfernten sich wie gewöhnlich,
- der Philosoph blieb allein.
- Alles war wie am Tage zuvor. Alles hatte das gleiche, bekannte und
- drohende Aussehen. Choma blieb einen Augenblick stehen. Unbeweglich wie
- immer stand der Sarg der greulichen Hexe in der Mitte des Gotteshauses.
- »Ich fürchte mich nicht, bei Gott, ich fürchte mich nicht,« sagte Choma,
- beschrieb wie vormals einen Kreis um sich und rief sich alle
- Beschwörungen ins Gedächtnis. Die lautlose Stille war schrecklich: die
- Kerzen flackerten und erfüllten die Kirche mit ihrem hellen Licht. Der
- Philosoph schlug eine Seite um, dann die zweite und dritte: da bemerkte
- er plötzlich, daß er gar nicht das las, was im Buch stand. Vor Schreck
- bekreuzigte er sich und begann zu singen. Das beruhigte ihn ein wenig:
- das Lesen ging jetzt wieder besser, er schlug eine Seite nach der andern
- um.
- Da sprang plötzlich -- inmitten der Stille -- der eiserne Sargdeckel
- auf. Die Tote richtete sich empor. Sie war noch furchtbarer anzusehen,
- als das erstemal. Die Zähne schlugen gräßlich aufeinander, die Lippen
- verzerrten sich krampfhaft und stießen heulende, schreckliche
- Verwünschungen hervor. Ein Sturm fegte durch die Kirche. Die
- Heiligenbilder stürzten zur Erde, und die zerbrochenen Fenstergläser
- fielen klirrend auf den Boden. Die Tür wurde aus ihren Angeln gerissen,
- und eine Unzahl fürchterlicher Ungeheuer stürzte in das Gotteshaus. Sie
- schlugen mit ohrenbetäubendem Lärm ihre Flügel zusammen, kratzten mit
- ihren Krallen und erfüllten die Kirche mit einem schrecklichen Getöse.
- Alles flog und flatterte hin und her und spähte überall nach dem
- Philosophen.
- Der letzte Rest seines Rausches war verschwunden. Choma schlug ein Kreuz
- ums andere und las alle möglichen Gebete, die er kannte, durcheinander.
- Unterdessen aber hörte er, wie die Dämonen um ihn herumtobten, sie
- streiften ihn fast mit ihren Flügeln und berührten ihn mit ihren
- widerlichen Schwänzen. Er hatte nicht den Mut, sie sich genauer
- anzusehen: er bemerkte nur, daß ein riesiges Ungeheuer, das so lang wie
- die Wand war, vor ihm stand: Ein dichter Wald von gräulichen
- durcheinander gewirrten Haaren hüllte es ein: durch das Geflecht der
- Haare aber blickten zwei grausige Augen hervor, deren Brauen ein wenig
- in die Höhe gezogen waren. Über ihm in der Luft schwebte eine Art
- Riesenblase, aus deren Zentrum sich Tausende von Zangen und
- Skorpion-Stacheln hinausstreckten, an deren Enden große Klumpen
- schwarzer Erde hingen. Alle blickten den Philosophen an, spähten nach
- ihm, und konnten ihn doch nicht sehen, denn er war von dem heiligen
- Kreise umgeben. »Führt den Wij her, führt den Wij her,« schrie plötzlich
- die Stimme der Toten.
- Mit einem Male trat in der Kirche eine tiefe Stille ein. Aus der Ferne
- vernahm man das Heulen der Wölfe, und gleich darauf erdröhnten schwere
- Schritte, die im Gotteshause laut widerhallten. Choma warf einen scheuen
- Blick auf die Tür und sah, wie ein untersetztes, stämmiges, täppisches
- Menschenwesen hineingeführt wurde. Es war ganz in schwarze Erde gehüllt.
- Seine gleichfalls mit Erde bedeckten Hände und Füße streckten sich wie
- zähe, knorrige Wurzeln empor, es stieß polternd mit den Füßen auf den
- Boden und stolperte beständig. Die großen Augenlider hingen ihm bis zur
- Erde herab und voller Grauen gewahrte Choma, daß sein Antlitz von Eisen
- war. Die Geister führten das Ungetüm an der Hand und brachten es bis an
- die Stelle, wo Choma stand.
- »Hebt mir die Lider empor, ich sehe nicht,« stöhnte Wij mit
- unterirdischer Stimme -- und die ganze Dämonenschar stürzte auf ihn zu,
- um ihm die Lider empor zu heben.
- Eine innere Stimme flüsterte dem Philosophen zu: sieh nicht hin. Aber er
- hielt es nicht aus und blickte hin.
- »Da ist er,« schrie Wij und deutete mit seinem eisernen Finger auf ihn,
- und alle Geister fielen über den Philosophen her. Atemlos stürzte er zu
- Boden und gab schreckerfüllt seinen Geist auf.
- Da krähte der Hahn. Es war schon der zweite Schrei. Die Geister hatten
- den ersten überhört. Die geängstigten Dämonen zerstreuten sich nach
- allen Seiten: durch die Tür und durch die Fenster, nur um recht schnell
- zu entfliehen. Aber es war schon zu spät, sie blieben zwischen Türen und
- Fenstern hängen.
- Als der Geistliche die Kirche betrat, blieb er beim Anblick einer
- solchen Schändung des Allerheiligsten auf der Schwelle stehen und wagte
- es nicht mehr, hier eine Messe abzuhalten. So blieb denn die Kirche mit
- den in den Fenstern und Türen festgebannten Ungeheuern in alle Ewigkeit
- leer. Wald, Wurzeln, Steppengras und wilde Dornhecken überwucherten sie,
- -- und niemand wird je wieder den Weg zu ihr finden.
- * * * * *
- Als das Gerücht von diesen Begebenheiten bis nach Kiew drang und der
- Theologe Haljawa von dem Schicksal des Philosophen Choma hörte, versank
- er eine Stunde lang in tiefes Nachdenken. Seitdem war eine große
- Veränderung mit ihm vorgegangen. Das Glück war ihm hold gewesen: nach
- Beendigung des Kursus war er zum Glöckner des allerhöchsten
- Glockenturmes ernannt worden, und nun erschien er nie anders als mit
- einer zerschlagenen Nase, da die Treppe im Turm sehr schlecht gebaut
- war.
- »Hast du schon gehört, wie es Choma ergangen ist?« fragte ihn Tiberius
- Gorobetz, als er ihm einmal begegnete, er war jetzt Philosoph und trug
- schon einen Schnurrbart.
- »Es war Gottes Wille,« sagte der Glöckner, »komm in die Schenke, wir
- wollen seiner bei einem Glase gedenken.«
- Der junge Philosoph, der begeistert von seinen neuen Rechten Gebrauch
- machte -- seine Hosen, sein Rock, ja selbst seine Mütze rochen stark
- nach Alkohol und Tabak -- drückte sofort seine Bereitwilligkeit aus.
- »Choma war doch ein herrlicher Mensch,« sagte der Glöckner, als der
- lahme Wirt den dritten Krug vor ihm hinstellte, »ein famoser Kerl, und
- ist so um nichts und wieder nichts umgekommen!«
- »Ich weiß, warum er umgekommen ist! Weil er Angst bekommen hat; hätte er
- sich nicht gefürchtet, so hätte die Hexe ihm nichts anhaben können. Man
- muß nur das Kreuz schlagen, und ihr auf den Schwanz spucken -- dann kann
- einem nichts geschehen! Ich kenne das ganz genau. Bei uns in Kiew sind
- doch alle Marktweiber Hexen.«
- Hier nickte der Glöckner zum Zeichen seines Einverständnisses mit dem
- Kopf. Aber als er merkte, daß seine Zunge sich nicht mehr bewegen und
- keine Laute mehr hervorbringen konnte, erhob er sich vorsichtig und ging
- taumelnd davon, um sich irgendwo abseits im Steppengras auszustrecken.
- Hierbei vergaß er es jedoch aus alter Gewohnheit nicht, eine alte
- Stiefelsohle einzustecken, die auf einer Bank lag.
- Wie Iwan Iwanowitsch und Iwan Nikiforowitsch sich entzweiten
- Erstes Kapitel.
- Iwan Iwanowitsch und Iwan Nikiforowitsch.
- Was für eine herrliche Pekesche Iwan Iwanowitsch doch hat! Diese
- Pelzverbrämung -- Teufel auch -- diese Pelzverbrämung! Bläulichgrau, mit
- einem weißlichen Schimmer! Bei Gott -- ich will ein Schuft sein, wenn es
- noch einen zweiten solchen Pelzrock gibt. Ich bitte Sie, sehen Sie sich
- das einmal an -- besonders, wenn Iwan Iwanowitsch mit jemand spricht --
- betrachten Sie ihn nur in Profil: was ist das für eine Pracht! Es ist
- ganz unbeschreiblich: das leuchtet wie Samt und Silber und Feuer! Bei
- Gott, heiliger Wundertäter Nikolaus, frommer Knecht Gottes, ich bitte
- dich: warum habe ich nicht solch eine Pekesche! Er hat sie sich noch
- damals machen lassen, als Agafja Feodosiewna noch nicht so oft nach Kiew
- reiste. (Sie kennen doch Agafja Feodosiewna? Dieselbe, die dem Assessor
- das Ohr abgebissen hat?)
- Und was für ein Prachtmensch Iwan Iwanowitsch ist! Wie stattlich ist
- sein Haus in Mirgorod! Rundherum geht ein Schutzdach auf eichenen
- Pfosten, und darunter stehen überall Bänke. Wenn es zu heiß wird, zieht
- er Pelzrock und Hose aus, legt sich im bloßen Hemd unter das Schutzdach
- und beobachtet, was im Hofe und auf der Straße vorgeht. Und was für
- herrliche Apfel- und Birnbäume vor dem Fenster stehen! Bitte öffnen Sie
- nur die Fenster, sofort stecken sie ihre Zweige bis ins Zimmer; aber das
- ist bloß _vor_ dem Hause. Sehen Sie sich mal erst den Garten an! Was
- gibt es da nicht alles! Pflaumen, Kirschen, Weichsel, allerlei Gemüse,
- Sonnenblumen, Gurken, Melonen, Erbsen -- sogar eine Tenne und eine
- Schmiede gibt es da.
- Was für ein Prachtmensch Iwan Iwanowitsch ist! Besonders gern ißt er
- Melonen, das ist sein Lieblingsgericht. Gleich nach dem Mittagessen
- begibt er sich im Hemd unter das Schutzdach und befiehlt Gapka, zwei
- Melonen aufzutragen, die er eigenhändig zerlegt. Dann nimmt er die Kerne
- heraus, wickelt sie in ein Papier und macht sich daran, die Melonen zu
- verzehren; Gapka muß ihm das Tintenfaß bringen, und er schreibt
- eigenhändig auf das Päckchen: »Diese Melonen wurden an dem und dem Tage
- gegessen«. War irgend ein Gast dabei, so wird hinzugefügt: der und der
- hat teilgenommen.
- Der verstorbene Richter von Mirgorod freute sich immer von Herzen beim
- Anblick von Iwan Iwanowitschs Haus. Ja -- das Haus kann sich auch sehen
- lassen! Vor allem gefallen mir die vielen Balkone und Erkerchen, welche
- von allen Seiten angebaut sind; wenn man es von ferne erblickt, so sieht
- man die Dächer, die übereinander liegen -- das erinnert mich immer an
- einen Teller voll Pfannkuchen, oder besser an Pilze, die _an_einander
- und _über_einander um _einen_ herum wachsen. Übrigens sind die Dächer
- mit Binsen gedeckt, über die eine Weide, eine Eiche und zwei Apfelbäume
- ihre üppigen Zweige ausbreiten. Durch das Geäst aber gucken die kleinen
- Fensterchen mit ihren geschnitzten weißen Läden munter auf die Straße
- hinaus.
- Was für ein Prachtmensch ist doch Iwan Iwanowitsch! Der Herr Kommissar
- aus Poltawa ist sein guter Bekannter. Dorosch Tarasowitsch Puchiwotschka
- besucht ihn stets, wenn er aus Chorol hierherkommt, und Vater Peter der
- in Koliberda wohnt, pflegt, wenn einmal fünf Mann hoch bei ihm zu Gaste
- sind, stets zu erwähnen, daß er niemanden kennt, der seine
- Christenpflicht so gut erfüllt und so zu leben versteht, wie Iwan
- Iwanowitsch.
- Mein Gott, wie doch die Zeit vorbeieilt. Damals waren schon zehn Jahre
- verflossen, seit er Witwer geworden war. Er hatte keine Kinder. Dafür
- hat Gapka, die Magd, welche, die im Hofe spielen. Iwan Iwanowitsch gibt
- gewöhnlich jedem Kinde eine Bretzel, ein Stückchen Melone oder eine
- Birne. Gapka hat auch die Schlüssel zu den Kammern und Kellern: nur der
- Schlüssel zu dem großen Kasten, der in seinem Schlafzimmer steht, und
- der zu der mittleren Vorratskammer befindet sich bei ihm; denn Iwan
- Iwanowitsch liebt es nicht, jemanden dort hineinzulassen. Gapka ist ein
- kräftiges Mädel, mit einer großen Schürze, drallen Waden und roten
- Backen.
- Und was für ein gottesfürchtiger Mensch Iwan Iwanowitsch ist! Jeden
- Sonntag zieht er seine Pekesche an und geht in die Kirche. Nachdem er
- sich nach allen Seiten verneigt hat, nimmt er gewöhnlich im Chor Platz
- und unterstützt den Baß auf das schönste. Ist der Gottesdienst zu Ende,
- so unterläßt es Iwan Iwanowitsch nie, der Reihe nach alle Bettler
- aufzusuchen. Vielleicht hat er oft gar keine Lust, sich mit so
- langweiligen Sachen abzugeben, aber seine natürliche Gutmütigkeit läßt
- ihm keine Ruhe.
- Gewöhnlich sucht er sich das allerarmseligste Weib, in einem zerfetzten,
- aus Lumpen zusammengeflickten Kleide aus und wendete sich teilnahmsvoll
- an sie. »Nun wie geht es Ärmste? Woher kommst du Mütterchen?«
- »Ich komme vom Dorf, Herr, seit drei Tagen habe ich weder gegessen noch
- getrunken. Die eigenen Kinder haben mich fortgejagt.«
- »Du arme Seele! Und warum bist du hierhergekommen?«
- »Ach Herr, ich stehe hier und bitte um ein Almosen, vielleicht gibt mir
- jemand etwas Geld, damit ich mir Brot kaufen kann.«
- »Hm. So. Du möchtest also Brot haben?« fragte Iwan Iwanowitsch
- gewöhnlich.
- »Wie sollte ich nicht? Ich bin hungrig wie ein Hund.«
- »Hm, hm,« sagt Iwan Iwanowitsch gewöhnlich weiter: »Vielleicht möchtest
- du auch Fleisch haben?«
- »Ja alles, was Euer Gnaden mir geben wollen, ich bin mit allem
- zufrieden.«
- »Hm, hm, -- ist denn Fleisch besser als Brot?«
- »Ein Hungriger ist nicht wählerisch, Herr. Wir sind mit allem zufrieden,
- was Sie geben.« Hierbei streckt sie ihm gewöhnlich die Hand entgegen.
- »Nun, Gott mit dir,« sagt Iwan Iwanowitsch. -- »Ja, was stehst du denn
- noch da? Ich schlage dich doch nicht!« Und in gleicher Weise wendet er
- sich an den zweiten und dritten Bettler und geht endlich nach Hause, zu
- seinem Nachbar, Iwan Nikiforowitsch, oder auch zum Polizeimeister, um
- einen Schnaps mit ihnen zu trinken.
- Iwan Iwanowitsch liebt es auch sehr, wenn man ihm Geschenke macht oder
- ihm Leckerbissen bringt. Das letztere hat er besonders gern.
- Auch Iwan Nikiforowitsch ist ein ganz prächtiger Mensch. Sein Hof grenzt
- an den Iwan Iwanowitschs. Zwei solche Freunde wie diese beiden, hat die
- Welt sicher noch nicht gesehen. Anton Prokowjewitsch Pupopus, der bis
- zum heutigen Tage noch einen braunen Rock mit hellblauen Ärmeln trägt
- und des Sonntags beim Richter zu Tisch geladen ist, pflegte gewöhnlich
- zu sagen: der Teufel habe in höchsteigener Person Iwan Iwanowitsch und
- Iwan Nikiforowitsch mit einem Schnürchen zusammengebunden: wo der eine
- erscheint, da folgt der andere auf dem Fuße.
- Iwan Nikiforowitsch war nie verheiratet. Man hat wohl davon gesprochen,
- er wäre einmal verheiratet gewesen, doch das ist eine gemeine Lüge. Ich
- kenne Iwan Nikiforowitsch sehr genau und kann beschwören, daß er niemals
- auch nur die Absicht gehabt hat, sich zu verheiraten. Wie solch ein
- Klatsch nur entsteht! Einmal hieß es, Iwan Nikiforowitsch sei hinten mit
- einem Schwanz auf die Welt gekommen. Aber dies ist eine Erfindung, die
- so dumm und dabei so abscheulich und unanständig ist, daß ich es nicht
- einmal für nötig halte, sie vor meinen aufgeklärten Lesern zu
- widerlegen, denen es sicher bekannt ist, daß nur die Hexen, und auch die
- nur, sofern sie weiblichen Geschlechts sind, (aber selbst diese bloß in
- Ausnahmefällen) hinten einen Schwanz haben. Übrigens gehören ja die
- Hexen überhaupt mehr dem weiblichen als dem männlichen Geschlecht an.
- Trotz der gegenseitigen Zuneigung waren diese seltenen Freunde doch von
- der Natur recht verschieden bedacht. Am besten lernt man ihren Charakter
- durch eine Nebeneinanderstellung kennen. Iwan Iwanowitsch besitzt die
- seltene Gabe, sehr angenehm zu sprechen. Herr Gott, wie kann er
- sprechen! Wenn Sie ihm zuhören, haben Sie eine Empfindung -- nein, die
- läßt sich nur mit dem Gefühl vergleichen, wenn man Ihnen den Kopf kraut
- oder mit dem Finger leise, ganz leise über die Fersen streicht. Man
- lauscht und lauscht ... der Kopf sinkt einem herab ... so angenehm, so
- ungeheuer angenehm ist das! ... wie ein Schläfchen nach einem Bade. Iwan
- Nikiforowitsch hingegen ist das gerade Gegenteil. Er liebt es, zu
- schweigen -- aber wenn er einmal ein Wörtchen sagt, dann heißt es:
- feststehen -- das sitzt, das schneidet schärfer wie das feinste
- Rasiermesser! Iwan Iwanowitsch ist mager und von hoher Statur; Iwan
- Nikiforowitsch ist kleiner und geht mehr in die Breite. Iwan
- Iwanowitschs Kopf gleicht einem Rettich mit dem Schwänzchen nach oben.
- Iwan Nikiforowitsch dagegen einem Rettich mit dem Schwänzchen nach
- unten. Iwan Iwanowitsch liegt nur nach dem Mittag im bloßen Hemde unter
- dem Schutzdach, -- abends zieht er seine Pekesche an und geht
- irgendwohin, entweder in das Stadtmagazin, an das er Mehl liefert, oder
- ins Feld, um Wachteln zu fangen. Iwan Nikiforowitsch liegt den _ganzen
- Tag_ im Flur; wenn es nicht gar zu heiß ist, legt er sich mit bloßem
- Rücken in die Sonne und will sich garnicht vom Fleck rühren. Wenn es ihm
- gerade einfällt, macht er morgens eine Runde durch den Hof, sieht sich
- alles an und legt sich dann nieder. Früher ging er wohl auch einmal zu
- Iwan Iwanowitsch hinüber. Iwan Iwanowitsch ist ein sehr feiner Herr, nie
- gebraucht er ein schmutziges Wort, auch nicht im gewöhnlichsten
- Gespräch, und daher ist er auch sofort verletzt, wenn er ein solches
- hört. Iwan Nikiforowitsch aber läßt sich mitunter etwas gehn. Gewöhnlich
- steht dann Iwan Iwanowitsch auf und sagt: >Genug, genug, Iwan
- Nikiforowitsch, legen Sie sich doch lieber schnell wieder in die Sonne,
- statt solche gottlose Reden zu führen!< Iwan Iwanowitsch wird sehr böse,
- wenn er eine Fliege in der Suppe findet -- er gerät außer sich, wirft
- den Teller hin, und der Wirt bekommt etwas zu hören. Iwan Nikiforowitsch
- badet ungemein gern, und wenn er bis zum Halse im Wasser sitzt, liebt er
- es sehr, sich ein Tischchen mit der Teemaschine ins Wasser stellen zu
- lassen und in der kühlen Flut Tee zu trinken. Iwan Iwanowitsch rasiert
- sich zweimal wöchentlich, Iwan Nikiforowitsch nur einmal. Iwan
- Iwanowitsch ist sehr neugierig, Gott bewahre einen jeden davor, ihm
- etwas zu erzählen, und nicht bis zum Schluß zu kommen. Ist er
- unzufrieden, so sieht man es ihm sogleich an. Äußerlich ist es Iwan
- Nikiforowitsch sehr schwer anzusehen, ob er zufrieden oder ärgerlich ist
- -- selbst wenn er sich über etwas freut, so läßt er es sich nicht
- merken. Iwan Iwanowitsch hat einen etwas ängstlichen Charakter -- ganz
- anders wie Iwan Nikiforowitsch, der so faltenreiche Pluderhosen trägt,
- daß sie, wenn man sie aufblasen wollte, den Hof mit allen Scheuern und
- Wirtschaftsgebäuden in sich fassen würden. Iwan Iwanowitsch hat große,
- ausdrucksvolle tabakfarbene Augen, und sein Mund hat die Form des
- Buchstabens V. Iwan Nikiforowitsch hat kleine, gelbliche Augen, die ganz
- zwischen den dicken Backen und den buschigen Brauen verschwinden, und
- seine Nase gleicht einer reifen Pflaume. Wenn Ihnen Iwan Iwanowitsch
- eine Prise anbietet, leckt er erst den Deckel der Tabakdose ab, klopft
- mit dem Finger auf sie, reicht sie Ihnen hin und sagt, wenn Sie gut mit
- ihm bekannt sind: >Mein Herr, darf ich Sie bitten, sich zu bedienen!<
- Sind Sie ihm dagegen fremd, so spricht er: >Mein Herr, ich habe nicht
- die Ehre, Ihren Rang und Namen zu kennen, darf ich Sie bitten, sich zu
- bedienen!< Iwan Nikiforowitsch dagegen gibt Ihnen einfach die Dose in
- die Hand und sagt ganz kurz: >Bedienen Sie sich.< Beide -- Iwan
- Iwanowitsch sowohl wie Iwan Nikiforowitsch mögen die Flöhe nicht leiden,
- und lassen daher nie einen Handelsjuden vorübergehn, ohne ihm ein
- Elixier oder ein Pulver gegen diese Insekten abzukaufen -- natürlich
- erst, nachdem sie ihn gehörig wegen seines Glaubens ausgescholten haben.
- Übrigens sind beide, sowohl Iwan Iwanowitsch als auch Iwan
- Nikiforowitsch, abgesehen von einigen Verschiedenheiten, ganz prächtige
- Menschen.
- Zweites Kapitel.
- Aus welchem man erfahren kann, was Iwan Iwanowitsch sich
- wünschte, worüber Iwan Iwanowitsch und Iwan Nikiforowitsch
- miteinander sprachen, und wie das Gespräch endete.
- Eines Morgens -- es war im Juli -- lag Iwan Iwanowitsch unter seinem
- Schutzdach. Der Tag war heiß, und die Luft war trocken und flutete in
- feinen Strömen auf und ab. Iwan Iwanowitsch war schon außerhalb der
- Stadt und im Dorf bei den Schnittern gewesen und hatte schon alle Bauern
- und Bäuerinnen, die ihm begegneten, nach dem Woher, Wohin und Warum
- ausgefragt; dabei hatte er sich müde gelaufen und wollte nun ausruhen.
- Im Liegen betrachtete er lange den Hof, die Vorratskammern, und die im
- Hofe herumlaufenden Hühner und dachte sich: »Herr Gott, was bin ich doch
- für ein guter Wirt! Was habe ich nicht alles! Speicher, Gebäude, Vögel,
- alles was das Herz begehrt, Schnäpse und Liköre, einen Garten mit Birnen
- und Pflaumen, Mohn, Kohl und Erbsen ... was fehlt mir noch? Wirklich,
- ich möchte wissen, was mir fehlt?«
- Mit dieser tiefsinnigen Frage beschäftigt, versank Iwan Iwanowitsch in
- tiefes Nachdenken, unterdessen aber suchten seine Augen nach neuen
- Gegenständen, schweiften über den Zaun nach Iwan Nikiforowitsch's Haus
- und wurden unwillkürlich von einem merkwürdigen Schauspiel gefesselt.
- Ein altes hageres Weib trug verschlissene Kleidungsstücke auf den Hof,
- um sie eins nach dem andern zum Auslüften auf einen ausgespannten Strick
- zu hängen. Bald streckte ein alter Waffenrock mit abgeschabten
- Aufschlägen seine Ärmel in die Luft und umarmte ein Jackett aus
- Brokatstoff; neben ihm kam eine Livree mit Wappenknöpfen und einem von
- den Motten zerfressenen Kragen zum Vorschein; ferner ein Paar fleckige
- weiße Kaschmir-Beinkleider, die einst Iwan Nikiforowitschs Beine
- umspannt hatten, jetzt aber bestenfalls für seine Finger reichen würden;
- dann wieder hing ein anderes Paar in Form eines A da, dann ein blauer
- Kosakenrock, den sich Iwan Nikiforowitsch vor 20 Jahren hatte machen
- lassen, als er in die Miliz einzutreten gedachte und sich sogar einen
- Schnurrbart wachsen ließ. Zuletzt kam zu all diesen schönen Sachen auch
- noch ein Degen hinzu, der einer Turmspitze glich, die in die Luft starrt
- -- dann wieder flatterten die Rockschöße eines graugrünen Kaftans mit
- talergroßen kupfernen Knöpfen im Winde, und zwischen den Schößen lugte
- eine mit Goldborte verzierte, stark ausgeschnittene Weste hervor. Aber
- bald wurde die Weste durch einen alten Unterrock der Großmutter
- verdeckt, in dessen großen Taschen man ruhig je eine Melone hätte
- verstecken können. Dies ganze Durcheinander gewährte Iwan Iwanowitsch
- einen höchst unterhaltenden Anblick. Die Strahlen der Sonne beleuchteten
- bald einen dunkelblauen oder grünen Ärmel, einen roten Aufschlag und
- einen Teil des Goldbrokats oder sie spielten plötzlich um die
- Degenspitze und gaben ihr ein ganz ungewöhnliches Aussehen. Dieses bunte
- Allerlei weckte Erinnerungen an die Weihnachtskrippe, die herumziehende
- Tagediebe in den Dörfern aufstellen: die herandrängende Volksmenge
- betrachtet den Kaiser Herodes mit der goldenen Krone, oder den Anton,
- der eine Ziege herumführt; hinter der Krippe quietscht eine Geige, ein
- Zigeuner ahmt mit seinen Lippen eine Trommel nach, die Sonne geht
- allmählich unter und die angenehme Kühle der südlichen Nacht schmiegt
- sich verstohlen um die frischen Schultern und hochatmenden Busen der
- drallen Bäuerinnen.
- Nach einiger Zeit kam die Alte wieder stöhnend aus der Vorratskammer,
- und trug keuchend einen altmodischen Sattel mit abgerissenen
- Steigbügeln, abgeschabten ledernen Pistolentaschen und einer Schabracke
- auf dem Rücken heraus, die einst purpurrot gewesen und mit
- Goldstickereien und Blechplatten verziert war.
- »So ein dummes Weib,« dachte Iwan Iwanowitsch, »bald wird sie auch noch
- Iwan Nikiforowitsch in eigener Person hinausschleppen und auslüften.«
- Und in der Tat, Iwan Iwanowitschs Vermutung war nicht so ganz unrichtig.
- Nach kaum fünf Minuten erschienen Iwan Nikiforowitschs Pumphosen, die
- fast die ganze Hälfte des Hofes einnahmen. Dann schleppte sie noch seine
- Mütze und eine Flinte heran.
- »Was soll das bedeuten,« dachte Iwan Iwanowitsch. »Ich habe früher nie
- eine Flinte bei ihm gesehen! Ja, was fällt ihm ein! Er schießt
- eigentlich nicht, und hält sich doch eine Flinte! Was will er mit ihr?
- Es ist übrigens ein gutes Gewehr! .. ich wollte mir schon lange ein
- solches anschaffen. Ich wünschte sehr, so eine Flinte zu haben ... ich
- spiele zu gern mit so einem Flintchen ... He, Alte, Alte!« schrie Iwan
- Iwanowitsch, und winkte mit dem Finger.
- Die Alte kam an den Zaun.
- »Was hast du da, gute Alte?«
- »Sie sehen doch selbst, eine Flinte.«
- »Was für eine Flinte?«
- »Was weiß ich. Wenn sie mir gehörte, würde ich vielleicht wissen, woraus
- sie gemacht ist, aber sie gehört doch dem Herrn.«
- Iwan Iwanowitsch stand auf, besah sich die Flinte von allen Seiten, und
- vergaß ganz, die Alte dafür zu schelten, daß sie auch Degen und Flinte
- zum Lüften herausgebracht hatte.
- »Wahrscheinlich ist sie aus Eisen,« meinte die Alte.
- »Hm, hm, aus Eisen. Warum sollte sie gerade aus Eisen sein?« murmelte
- Iwan Iwanowitsch. »Hat dein Herr sie schon lange?«
- »Vielleicht -- es ist möglich, daß er sie schon lange hat.«
- »Ein vortreffliches Gewehr,« fuhr Iwan Iwanowitsch fort. »Ich werde es
- mir von ihm ausbitten. Wozu braucht er eine Flinte? Oder ich tausche sie
- gegen etwas anderes ein. Sag mal Alte, ist dein Herr zu Hause?«
- »Freilich.«
- »Er hat sich wohl hingelegt?«
- »Jawohl.«
- »Gut. Ich werde zu ihm gehen.«
- Iwan Iwanowitsch zog sich an und nahm einen Knotenstock mit sich, den er
- als Waffe gegen die Hunde brauchte; denn in Mirgorod begegnet man auf
- der Straße mehr Hunden als Menschen. Dann machte er sich auf den Weg.
- Obwohl die Höfe Iwan Iwanowitschs und Iwan Nikiforowitschs aneinander
- grenzten, und man aus dem einen in den andern hinübersteigen konnte,
- ging Iwan Iwanowitsch doch über die Straße. Nach dieser Straße mußte er
- eine kleine Gasse passieren, die ganz ungewöhnlich schmal war; wenn es
- geschah, daß zwei Einspänner sich hier begegneten, so konnten sie nicht
- aneinander vorbei und mußten so lange stillstehen, bis sie jemand an den
- Hinterrädern packte und in die Straße zurückzog. Der Fußgänger aber kam
- wie mit Blumen geschmückt aus dieser Gasse heraus, da zu beiden Seiten
- des Zaunes die Kletten aufs schönste gediehen. An diese Gasse stieß
- sowohl die Scheune Iwan Iwanowitschs, als auch ein Kornspeicher Iwan
- Nikiforowitschs, und ebenso sein Tor und sein Taubenschlag. Iwan
- Iwanowitsch trat ans Tor und rüttelte an der Türklinke. Aus dem Innern
- erscholl Hundegebell, als aber die buntscheckige Gesellschaft sah, daß
- ein guter Bekannter den Hof betrat, zog sie sich schweifwedelnd zurück.
- Iwan Iwanowitsch durchschritt den Hof, auf dem ein buntes Drunter und
- Drüber herrschte: indische Tauben, die der Besitzer eigenhändig zu
- füttern pflegte, Melonen- und Wassermelonenschalen, verstreutes Gemüse,
- ein zerbrochenes Rad, ein Faßreifen, dazwischen ein kleiner Junge in
- einem schmutzigen Hemdchen -- mit einem Wort, ein Anblick, wie die Maler
- ihn lieben! Die ausgehängten Kleider hüllten den ganzen Hof in ihre
- Schatten ein und verliehen ihm eine gewisse Kühle. Die Alte begrüßte
- Iwan Iwanowitsch mit einer Verbeugung, rührte sich aber nicht vom Flecke
- und gähnte. Vor dem Hause befand sich eine zierliche Treppe mit einem
- Schutzdach, das von zwei Eichenpfosten gestützt wurde: übrigens ein sehr
- unzureichendes Mittel gegen die Sonne, denn Frau Sonne liebt um diese
- Zeit in Kleinrußland nicht zu spaßen und badet den Spaziergänger von
- Kopf bis zu Fuß in Schweiß. Dies zeigt übrigens, wie groß das Verlangen
- Iwan Iwanowitschs nach dem so unentbehrlichen Dinge war, da er sich um
- diese Zeit hinausgewagt hatte und somit seiner Gewohnheit, das Haus erst
- des Abends zu einem Spaziergang zu verlassen, untreu geworden war.
- Das Zimmer, welches Iwan Iwanowitsch betrat, war ganz dunkel und die
- Läden waren geschlossen. Nur durch das Guckloch im Laden fielen ein paar
- Sonnenstrahlen, spielten in Regenbogenfarben und malten eine bunte
- Landschaft an die gegenüberliegende Wand: da sah man binsengedeckte
- Dächer, Bäume, die ausgehängten Kleidungsstücke usw. -- alles natürlich
- auf den Kopf gestellt, wodurch das Zimmer in ein wundersames, helles
- Dämmerlicht gehüllt wurde.
- »Gott helf,« sagte Iwan Iwanowitsch.
- »Guten Tag, Iwan Iwanowitsch,« antwortete eine Stimme aus der
- Zimmerecke. Erst jetzt bemerkte Iwan Iwanowitsch Iwan Nikiforowitsch,
- der auf einem ausgebreiteten Teppich am Boden lag.
- »Entschuldigen Sie bitte, daß ich mich Ihnen im Adamskostüm
- präsentiere.«
- Iwan Nikiforowitsch lag ganz nackt und ohne Hemd da.
- »Bitte, bitte. Haben Sie gut geschlafen, Iwan Nikiforowitsch?«
- »Ausgezeichnet. Und Sie, Iwan Iwanowitsch?«
- »Ich habe auch gut geschlafen.«
- »Sie sind wohl erst eben aufgestanden?«
- »Was? ich soll erst eben aufgestanden sein? Gott behüte, Iwan
- Nikiforowitsch, wie kann man so lange schlafen. Ich komme eben aus dem
- Dorf zurück -- überall wo man hinkommt -- giebt's herrliches Getreide,
- großartig sag ich Ihnen! Auch das Heu ist lang, weich und saftig.«
- »Gorpina,« schrie Iwan Nikiforowitsch, »bring Iwan Iwanowitsch einen
- Schnaps und ein paar Rahmkuchen.«
- »Ein herrliches Wetter heut.«
- »Ach loben Sie es doch nicht, Iwan Iwanowitsch. Hol's der Teufel -- man
- kommt ja um vor Hitze.«
- »Ist es denn durchaus nötig, den Teufel anzurufen? Ach, Iwan
- Nikiforowitsch, Sie werden noch an mich denken, wenn es zu spät sein
- wird. Jawohl, Sie werden im Jenseits für Ihre gottlosen Reden büßen
- müssen.«
- »Womit habe ich Sie denn beleidigt, Iwan Iwanowitsch? Ich habe doch
- weder Ihren Vater noch Ihre Mutter beschimpft. Ich verstehe nicht,
- wodurch ich Sie gekränkt haben könnte.«
- »Lassen wir das, Iwan Nikiforowitsch, lassen wir das.«
- »Bei Gott, ich wollte Sie nicht kränken, Iwan Iwanowitsch.«
- »Merkwürdig, daß die Wachteln noch immer nicht ins Rohr gehen.«
- »Wie Sie wollen, Iwan Iwanowitsch, denken Sie was Sie wollen -- ich
- hatte wirklich nicht die Absicht, Sie zu kränken.«
- »Ich begreife nicht, warum Sie nicht hineingehen,« sagte Iwan
- Iwanowitsch, als habe er die Worte gar nicht gehört. »Vielleicht ist
- noch die Zeit dazu nicht gekommen, aber mir scheint, es wäre jetzt die
- rechte Zeit.«
- »Sie sagen, daß das Getreide gut steht?«
- »Herrlich, ganz herrlich!«
- Nun folgte eine lange Pause.
- »Iwan Nikiforowitsch, warum lassen Sie denn plötzlich alle Ihre Kleider
- heraushängen,« fragte endlich Iwan Iwanowitsch.
- »Ach, die verfluchte Alte hat meine guten und fast neuen Kleidungsstücke
- verschimmeln lassen: jetzt lasse ich alles auslüften; das Tuch ist noch
- fein, es ist noch ganz ausgezeichnet, einiges braucht man nur wenden zu
- lassen, dann kann man es wieder tragen.«
- »Etwas hat mir besonders gefallen, Iwan Nikiforowitsch.«
- »Was denn?«
- »Sagen Sie bitte, wozu brauchen Sie diese Flinte? Da ist doch eine
- Flinte mit herausgehängt!« Bei diesen Worten reichte Iwan Iwanowitsch
- seinem Freunde eine Prise. »Darf ich Sie bitten, sich zu bedienen?«
- »Bitte bedienen sie sich selbst, ich nehme von meinem eigenen,« dabei
- tastete Iwan Nikiforowitsch mit den Händen umher und fand endlich seine
- Dose. »So ein dummes Weib! Sie will die Flinte also auch auslüften? Der
- Jude in Sorotschintzy macht einen ausgezeichneten Tabak. Ich weiß nicht,
- was er hineintut -- es ist so etwas Aromatisches, und erinnert ein wenig
- an Krauseminze. Aber bedienen Sie sich doch.«
- »Hm, sagen Sie doch Iwan Nikiforowitsch, um wieder auf die Flinte
- zurückzukommen, was wollen Sie mit ihr anfangen? Sie brauchen sie doch
- nicht?«
- »Ich brauche sie nicht? Ja und wenn ich nun einmal schießen will?«
- »Gott behüte sie, Iwan Nikiforowitsch, wann wollen Sie denn schießen?
- Vielleicht beim jüngsten Gericht? So viel ich weiß und von andern
- erfahren konnte, haben Sie noch nie eine Ente getötet, ja Gott der Herr
- hat Ihnen auch gar nicht die Natur dazu gegeben, daß Sie schießen
- sollten. Sie haben eine stattliche Figur, ein elegantes Auftreten: wie
- wollen Sie in den Sümpfen umherwaten, wenn das Kleidungsstück, das ich
- aus Anstandsrücksichten nicht nennen möchte, schon jetzt ausgelüftet
- werden muß? Was wird erst dann sein? Was Sie brauchen, ist Ruhe,
- Erholung.« (Wir haben schon oben erwähnt, daß Iwan Iwanowitsch
- ungewöhnlich schön sprechen konnte, wenn es galt, jemanden zu
- überzeugen. Nein, wie er redete, Herrgott, wie er redete!) »Ja, ja,
- Ihnen stehen nur edle Handlungen an. Was meinen Sie, wie wär's, wenn Sie
- mir die Flinte geben würden?«
- »Wie könnte ich! So eine teure Flinte! So eine ist für kein Geld mehr zu
- haben. Die stammt noch aus der Zeit, als ich in die Miliz eintreten
- wollte, da habe ich sie von einem Tataren erstanden, und jetzt sollte
- ich sie so mir nichts dir nichts weggeben? Ich bitte Sie, das ist doch
- ein unentbehrliches Instrument.«
- »Unentbehrlich? Wozu?«
- »Wozu -- wozu? Und wenn nun Räuber mein Haus überfallen! Ausgezeichnet!
- Nicht unentbehrlich! ... Gottlob, jetzt bin ich ruhig und fürchte mich
- vor nichts; denn ich weiß, in meiner Kammer steht eine Flinte!«
- »Eine nette Flinte, Iwan Nikiforowitsch, der Hahn ist ja total
- verdorben!«
- »Was macht denn das? Und wenn der Hahn nun wirklich verdorben wäre! Man
- kann ihn doch reparieren! Man muß ihn nur ein bißchen mit Hanföl
- einschmieren, damit er nicht rostet!«
- »Nach Ihren Worten könnte man vermuten, daß Sie nicht die geringste
- Freundschaft für mich hegen, Iwan Nikiforowitsch, Sie wollen mir
- durchaus kein Zeichen Ihrer Sympathie geben?«
- »Iwan Iwanowitsch, wie können Sie sagen, daß ich Ihnen kein Zeichen
- meiner Sympathie gebe. Schämen Sie sich! Ihre Ochsen weiden auf meiner
- Wiese, und ich habe sie noch nie zum Pflügen benutzt. Jedesmal, wenn Sie
- nach Poltawa fahren, bitten Sie mich um meinen Wagen, und habe ich es
- Ihnen je abgeschlagen? Ihre Kinder klettern über den Zaun, springen in
- meinen Garten und spielen mit meinen Hunden -- und ich sage nichts;
- mögen sie doch spielen, solange sie nur nichts anrühren, mögen sie doch
- spielen ...«
- »Nun, wenn Sie mir Ihre Flinte durchaus nicht verehren wollen -- so
- wollen wir tauschen.«
- »Und was würden Sie mir dafür geben?« Bei diesen Worten stützte sich
- Iwan Nikiforowitsch auf seinen Arm und sah Iwan Iwanowitsch ins Gesicht.
- »Ich würde Ihnen das braune Schwein dafür geben, das ich in meinem Stall
- gemästet habe. Eine großartige Sau! Passen Sie auf -- im nächsten Jahre
- wirft sie Ihnen schon Ferkel.«
- »Ich verstehe nicht, Iwan Iwanowitsch, wie Sie so sprechen können. Was
- soll ich mit Ihrem Schwein? Soll ich etwa dem Teufel ein Fest geben?«
- »Schon wieder! Sie können nicht reden, ohne den Teufel anzurufen. Es ist
- eine Sünde, Iwan Nikiforowitsch, bei Gott, es ist eine Sünde!«
- »Sie sind mir der Rechte, Iwan Iwanowitsch! Für eine Flinte bieten Sie
- mir weiß der Teufel was -- eine Sau!«
- »Warum ist eine Sau »weiß der Teufel was«, Iwan Nikiforowitsch?«
- »Warum? Bitte urteilen Sie doch selbst: eine Flinte -- da weiß doch
- jeder, was das für ein Gegenstand ist -- und Sie bieten mir weiß der
- Teufel was -- eine Sau! Wären Sie es nicht, der mir diesen Vorschlag
- machte, ich könnte es wahrhaftig für eine Beleidigung halten.«
- »Was finden Sie denn so Schlimmes an einem Schwein?«
- »Ja für was halten Sie mich denn eigentlich, daß ich ein Schwein ...«
- »Bitte setzen Sie sich, setzen Sie sich, ich rede nicht mehr davon.
- Behalten Sie Ihre Flinte; möge sie in irgend einem Winkel Ihrer Kammer
- verrosten und verderben -- ich rede kein Wort mehr davon.«
- Hier trat eine lange Pause ein.
- »Man spricht davon,« begann endlich Iwan Iwanowitsch, »daß drei Könige
- unserm Kaiser den Krieg erklärt haben.«
- »Ja, Peter Fjodorowitsch erzählte mir davon. Was ist das für ein Krieg?
- Warum führt man ihn?«
- »Das kann ich nicht genau sagen, Iwan Nikiforowitsch,« antwortete Iwan
- Iwanowitsch, »ich glaube, die Könige verlangen von uns, daß wir alle den
- türkischen Glauben annehmen sollen.«
- »Sieh einer an, was die Narren ausgeheckt haben,« sagte Iwan
- Nikiforowitsch und hob den Kopf in die Höhe.
- »Verstehen Sie? Der Kaiser aber hat ihnen den Krieg erklärt. Nehmt mal
- lieber selber den christlichen Glauben an! sagte er.«
- »Was meinen Sie, Iwan Iwanowitsch, die Unsern werden sie doch besiegen?«
- »Ganz sicher, Iwan Nikiforowitsch! Sie wollen mir also Ihre Flinte nicht
- eintauschen?«
- »Ich bin wirklich erstaunt, Iwan Iwanowitsch, ich glaubte immer, Sie
- seien ein Mann von einer gewissen Bildung, und heute reden Sie wie ein
- Kind. Bin ich denn ein Narr?«
- »Bleiben Sie sitzen, bleiben Sie sitzen, Gott mit ihr, mag sie
- verrosten, ich sage kein Wort mehr.«
- In diesem Augenblick wurde der Imbiß aufgetragen.
- Iwan Iwanowitsch nahm einen Schnaps und aß einen Rahmkuchen dazu. »Hören
- Sie, Iwan Nikiforowitsch, ich gebe Ihnen außer dem Schwein noch zwei
- Säcke Hafer; Sie haben ja keinen gesät. Sie müssen also dieses Jahr
- sowieso welchen kaufen.«
- »Bei Gott, Iwan Iwanowitsch, um mit Ihnen zu reden -- muß man Erbsen
- gefressen haben.« (Das war noch gar nichts, Iwan Nikiforowitsch konnte
- noch ganz andere Sachen vom Stapel lassen.) »Wo in aller Welt ist es
- erhört, daß man eine Flinte für zwei Säcke Hafer eingetauscht hätte?
- Ihre Pekesche werden Sie mir wohl nicht anbieten, da bin ich sicher.«
- »Sie vergessen, Iwan Nikiforowitsch, daß Sie noch das Schwein dazu
- bekommen.«
- »Was, zwei Säcke Hafer und ein Schwein für eine Flinte?«
- »Ist das vielleicht zu wenig?«
- »Für eine Flinte?«
- »Jawohl, für eine Flinte!«
- »Zwei Säcke für eine Flinte?«
- »Die Säcke sind doch nicht leer, sondern voll Hafer. Und das Schwein --
- das Schwein haben Sie vergessen?«
- »Geben Sie doch Ihrem Schwein einen Kuß, oder wenn's Ihnen besser paßt:
- dem Teufel.«
- »Weh dem, der mit Ihnen anbindet! Warten Sie ab, für solche gottlose
- Reden wird man Ihnen in jener Welt die Zunge mit glühenden Nadeln
- spicken! Wenn man mit Ihnen gesprochen hat, muß man sich wahrhaftig Kopf
- und Hände waschen, und den ganzen Körper ausräuchern!«
- »Gestatten Sie, Iwan Iwanowitsch, eine Flinte ist ein nobler Gegenstand,
- mit dem man sich aufs schönste unterhalten kann, und zugleich der
- angenehmste Zimmerschmuck ...«
- »Iwan Nikiforowitsch, Sie sprechen von Ihrer Flinte grad wie der Narr
- von seinem Futtersack,« sagte Iwan Iwanowitsch, der allmählich anfing,
- ärgerlich zu werden.
- »Und Sie, Iwan Iwanowitsch, Sie sind der reinste Gänserich!«
- Hätte Iwan Nikiforowitsch nur gerade dies Wort nicht gebraucht, die
- beiden Freunde hätten sich gestritten und wären dann wie immer in aller
- Freundschaft geschieden; jetzt aber passierte etwas ganz anderes. Iwan
- Iwanowitsch wurde feuerrot. »Was haben Sie da gesagt, Iwan
- Nikiforowitsch?« fragte er mit erhobener Stimme.
- »Ich sage, daß Sie einem Gänserich gleichen, Iwan Iwanowitsch.«
- »Was wagen Sie, mein Herr! Sie vergessen allen Anstand, Sie vergessen
- alle Achtung, die Sie meinem Stande und meiner Familie schuldig sind!
- Wie können Sie es wagen, einen Menschen mit einem so schimpflichen Namen
- zu belegen?«
- »Was ist denn Schimpfliches daran? Und was fuchteln Sie so mit den
- Händen, Iwan Iwanowitsch?«
- »Ich wiederhole. Wie konnten Sie es wagen, den Anstand so gröblich zu
- verletzen und mich einen Gänserich zu nennen?«
- »Ich huste Ihnen was, Iwan Iwanowitsch! Was gackern Sie denn so?«
- Jetzt konnte sich Iwan Iwanowitsch nicht länger beherrschen. Seine
- Lippen zitterten, sein Mund verlor die gewöhnliche Form (aus dem V wurde
- ein O), er blinzelte so mit den Augenwimpern, daß einem angst und bange
- werden konnte. Das passierte Iwan Iwanowitsch äußerst selten, er mußte
- schon außerordentlich erzürnt sein. »So erkläre ich Ihnen hiermit,« rief
- Iwan Iwanowitsch, »von heute ab kenne ich Sie nicht mehr!«
- »Großes Unglück! Bei Gott, das soll mir keine Träne auspressen,«
- antwortete Iwan Nikiforowitsch. -- Aber er log, bei Gott, er log. Es tat
- ihm schrecklich leid.
- »Ich werde nie wieder die Schwelle Ihres Hauses betreten!«
- »Aha!« rief Iwan Nikiforowitsch; er wußte vor Verdruß nicht, was er tun
- sollte -- und sprang ganz gegen seine Gewohnheit auf.
- »Hallo Alte.«
- In der Tür erschienen das alte dürre Weib und ein kleiner Junge, der in
- einem großen langen Rock steckte und sich beständig darin verwickelte.
- »Nehmen Sie Iwan Iwanowitsch bei der Hand und führen Sie ihn hinaus!«
- »Was? Mich? Einen Edelmann?« rief Iwan Iwanowitsch voller Würde und
- Entrüstung. »Wagt es nur, in meine Nähe zu kommen. Ich vernichte Euch
- samt Eurem dummen Herrn. Und keine Krähe soll Euer Grab finden!« (Iwan
- Iwanowitsch konnte sehr wuchtig sprechen, wenn er bis in die tiefste
- Seele erschüttert war.)
- Die ganze Gruppe hatte etwas Imposantes an sich. In der Mitte des
- Zimmers stand Iwan Nikiforowitsch in seiner ganzen nackten Schönheit
- ohne jede Dekoration; dazu die Alte mit aufgerissenem Munde, einem
- dummen Gesicht und geängstigter Miene! Iwan Iwanowitsch aber stand da
- wie ein römischer Tribun mit erhobener Rechte -- es war ein gewaltiger
- Augenblick, ein Schauspiel von wunderbarer Größe! Und doch war nur ein
- Zuschauer da: der Knabe in dem Uniformrock, der ruhig dastand und sich
- mit dem Finger die Nase putzte. Endlich ergriff Iwan Iwanowitsch seine
- Mütze. »Sie benehmen sich sehr vornehm, Iwan Nikiforowitsch, sehr
- vornehm. Ich werde es nicht vergessen.«
- »Gehen Sie, Iwan Iwanowitsch, gehen Sie! Sehen Sie sich vor, daß Sie mir
- nicht in den Weg kommen, sonst .... ich könnte Ihnen, Iwan Iwanowitsch
- .... ich könnte Ihnen ihre ganze Visage verbläuen!«
- »Daraus mache ich mir soviel, Iwan Nikiforowitsch,« antwortete Iwan
- Iwanowitsch, drehte ihm eine lange Nase, und warf die Türe ins Schloß.
- Man hörte sie jedoch sofort wieder knarren, sie öffnete sich, und Iwan
- Nikiforowitsch erschien in der Türöffnung. Er wollte noch etwas sagen --
- aber Iwan Iwanowitsch eilte davon, ohne sich umzusehen.
- Drittes Kapitel.
- Was nach dem Streit zwischen Iwan Iwanowitsch und Iwan
- Nikiforowitsch geschah.
- So entzweiten sich die beiden Ehrenmänner, Mirgorods Stolz und Zierde;
- sie entzweiten sich -- und warum? Wegen einer Kleinigkeit! wegen eines
- Gänserichs! Sie mieden sich, und brachen alle Beziehungen zueinander ab,
- sie, die doch früher als unzertrennliches Freundespaar gegolten hatten!
- Früher hatten sie jeden Tag zueinander geschickt und sich gegenseitig
- nach ihrem Befinden erkundigt, oder auf ihren Balkonen ausgestreckt
- miteinander geplaudert und sich so viel Angenehmes gesagt, daß es ein
- Vergnügen war, ihnen zuzuhören. Des Sonntags gingen sie oft -- Iwan
- Iwanowitsch in seiner vornehmen Pekesche und Iwan Nikiforowitsch in
- seinem gelblich-braunen, leinenen Kosakenrock -- Arm in Arm zur Kirche;
- und wenn Iwan Iwanowitsch, der sich durch sein scharfes Auge
- auszeichnete, zuerst eine Pfütze oder einen Schmutzhaufen auf der Straße
- erblickte -- was auch in Mirgorod manchmal vorkommt -- dann sagte er
- immer zu Iwan Nikiforowitsch: »Geben Sie acht, bitte treten Sie nicht
- hierher, hier ist etwas nicht ganz in Ordnung.« Aber auch Iwan
- Nikiforowitsch ließ es nicht an rührenden Freundschaftsdiensten fehlen.
- So weit entfernt er auch von Iwan Iwanowitsch stehen mochte, stets hielt
- er ihm die Dose hin und murmelte, »Bitte bedienen Sie sich.« Und welch
- herrlichen Hausstand hatten beide! .... Und diese beiden Freunde ....!
- Als ich es erfuhr, war ich wie vom Blitz getroffen. Ich wollte es lange
- Zeit nicht glauben. Gerechter Gott! Iwan Iwanowitsch hat sich mit Iwan
- Nikiforowitsch entzweit! Diese Ehrenmänner! Was ist noch von Dauer auf
- dieser Erde?
- Als Iwan Iwanowitsch nach Hause kam, war er in heftiger Erregung. Sonst
- ging er gewöhnlich in den Stall, um nachzusehen, ob die junge Stute auch
- ihr Heu fraß (Iwan Iwanowitsch hatte eine hellbraune Stute mit einem
- weißen Fleck auf der Stirn -- ein reizendes Pferdchen), dann fütterte er
- eigenhändig die Truthühner und die Ferkel, und ging endlich wieder ins
- Haus zurück, um Holzgeschirr zu schnitzen (er war äußerst geschickt, und
- stellte die verschiedensten Gegenstände aus Holz her wie der gewandteste
- Drechsler), oder er las in einem Buche, das bei Ljubi, Gari und Popow
- gedruckt war (an den Titel erinnerte sich Iwan Iwanowitsch nicht mehr,
- die Dienstmagd hatte vor längerer Zeit die obere Hälfte des Titelblattes
- abgerissen, und einem Kinde zu spielen gegeben), oder er legte sich
- unter das Schutzdach und ruhte aus. Heute aber tat er nichts von
- alledem. Im Gegenteil, er schalt Gapka, die ihm gerade entgegenkam, aus,
- weil sie müßig umher schlendere, obgleich sie Grütze nach der Küche
- trug, und warf einen Stock nach einem Hahn, der bis an die Treppe
- herangekommen war, um das gewohnte Futter in Empfang zu nehmen. Und als
- ihm der kleine schmutzige Junge im zerrissenen Hemdchen entgegenlief,
- und »Papa, Papa, einen Kuchen« zu schreien anfing, drohte er ihm mit dem
- Finger und stampfte so laut mit dem Fuße, daß der erschreckte Knabe sich
- schleunigst aus dem Staube machte.
- Endlich besann er sich jedoch und nahm seine gewohnte Beschäftigung
- wieder auf. Er aß sehr spät zu Mittag, und es dämmerte schon, als er
- sich auf der Veranda zur Ruhe niederlegte. Die ausgezeichnete Rübensuppe
- mit Täubchen, die Gapka zubereitet hatte, verbannte die Ereignisse des
- Morgens vollständig aus seinem Gedächtnis.
- Wieder begann Iwan Iwanowitsch mit Vergnügen nach allem zu sehen, was in
- seinem Haushalt vorging, und als seine Augen über des Nachbars Hof
- glitten, sagte er, wie im Selbstgespräch zu sich: »heut war ich ja noch
- nicht bei Iwan Nikiforowitsch, ich muß doch mal rübergehn.« Hierauf nahm
- er seine Mütze und seinen Stock und ging auf die Straße, aber kaum hatte
- er das Haustor verlassen, als ihm sein Streit mit dem Nachbar einfiel.
- Ärgerlich spuckte er aus und ging wieder in das Haus hinein. Ein
- ähnlicher Vorgang spielte sich auf dem Hofe des Iwan Nikiforowitsch ab.
- Iwan Iwanowitsch sah, wie die Alte schon den Fuß auf den Zaun setzte, um
- in seinen Hof zu klettern, als plötzlich Iwan Nikiforowitschs Stimme
- erscholl: »Zurück, zurück, es ist nicht nötig.« Iwan Iwanowitsch wurde
- sehr traurig. Es ist sehr möglich, daß sich die beiden Ehrenmänner schon
- am nächsten Tage wieder versöhnt hätten, wenn nicht ein ganz besonderes
- Ereignis im Hause Iwan Nikiforowitschs jede Hoffnung auf eine Einigung
- vernichtet und Öl in die schon verglimmende Flamme der Feindschaft
- gegossen hätte.
- Am Abend dieses Tages kam Agafja Fedosiewna zu Iwan Nikiforowitsch.
- Agafja Fedosiewna war weder verwandt noch verschwägert mit Iwan
- Nikiforowitsch, sie war nicht einmal seine Gevatterin. Eigentlich hatte
- sie also gar keinen Grund, ihn zu besuchen, und er war auch nicht
- sonderlich erfreut über ihre Anwesenheit: aber nichtsdestoweniger kam
- sie öfters zu ihm und blieb mitunter einige Wochen und noch länger bei
- ihm. Dann nahm sie die Schlüssel und die ganze Wirtschaft unter ihre
- Obhut. Das war nun Iwan Nikiforowitsch sehr unangenehm, aber zum
- allgemeinen Erstaunen gehorchte er ihr wie ein Kind, und so oft er mit
- ihr in Streit geriet, zog er immer den kürzeren.
- Ich muß gestehn, ich begreife es nicht, warum es in der Welt so
- eingerichtet ist, daß uns die Frauen so geschickt an der Nase zu packen
- wissen, wie den Henkel einer Teekanne. Sind vielleicht ihre Hände
- besonders dazu geeignet, oder taugen unsere Nasen zu nichts anderem?
- Obschon Iwan Nikiforowitschs Nase eine große Ähnlichkeit mit einer
- Pflaume hatte, packte sie ihn doch an dieser Nase und zog ihn wie ein
- Hündchen hinter sich her. Während ihrer Anwesenheit veränderte er sogar
- unwillkürlich seine gewohnte Lebensweise: er lag nicht soviel in der
- Sonne, und wenn er es tat, nicht mehr nackt, sondern mit Hemd und Hosen
- bekleidet da, obwohl Agafja Fedosiewna gar keinen Wert darauf legte; sie
- liebte es, keine Umstände zu machen, und als Iwan Nikiforowitsch einmal
- das Fieber bekam, rieb sie ihn eigenhändig vom Kopf bis zu den Füßen mit
- Terpentin und Essig ein. Agafja trug eine Haube auf dem Kopfe, hatte
- drei Warzen auf der Nase, und ging in einem kaffeebraunen Morgenkleid
- mit gelben Blumen einher. Ihre Figur ähnelte einem Faß, und darum war es
- ebenso schwer, ihre Taille zu entdecken, wie ohne Spiegel seine eigene
- Nase zu sehen. Ihre Beinchen waren kurz und hatten die Form zweier
- Kissen. Des Morgens aß sie gesottene Rüben, sie verstand es, zu
- klatschen und meisterlich zu schimpfen, aber während all dieser
- mannigfaltigen Betätigungsweisen veränderte sich ihr Gesichtsausdruck
- nicht einen Augenblick -- eine Erscheinung, die nur bei Frauen zu
- beobachten ist.
- Seit sie angekommen war, ging alles drunter und drüber. »Iwan
- Nikiforowitsch, versöhne dich nicht mit ihm, bitte ihn nicht um
- Verzeihung, er will dich ins Unglück stürzen, das ist so ein Mensch! Du
- kennst ihn noch nicht!« Und das verdammte Weib schwatzte und lag ihm
- fortwährend in den Ohren, und die Folge war, daß Iwan Nikiforowitsch
- nichts mehr von Iwan Iwanowitsch wissen wollte.
- Alles nahm jetzt ein anderes Aussehen an; wenn der Hund des Nachbarn auf
- den Hof kam, griff man zum ersten besten Gegenstand, den man in die Hand
- bekam, und verabfolgte ihm eine Tracht Prügel; wenn einmal ein Kind über
- den Zaun kletterte, kam es heulend zurück, hob das Hemdchen in die Höhe
- und zeigte die Striemen auf seinem Rücken; selbst die Alte betrug sich
- so unanständig, daß Iwan Iwanowitsch, dieser delikate Mensch, als er
- eines Tages eine Frage an sie richtete, nur auszuspucken vermochte, und
- vor sich hinmurmelte: »Ein widerliches Weib -- die ist noch schlimmer
- als ihr Herr.«
- Und endlich, um das Maß der Kränkungen voll zu machen, baute der
- verhaßte Nachbar, gegenüber Iwan Iwanowitschs Haus, gerade an der
- Stelle, wo man so bequem hinübersteigen konnte, einen Gänsestall, nur,
- um seine Beleidigung noch besonders zu verschärfen. Dieser, für Iwan
- Iwanowitsch so peinliche Bau wurde mit geradezu diabolischer
- Schnelligkeit, im Laufe eines Tages hergestellt.
- Iwan Iwanowitschs Wut war grenzenlos, er sehnte sich nach Rache.
- Übrigens ließ er sich seinen Ärger nicht merken, obgleich der Stall
- sogar einen Teil seines Terrains einnahm. Aber sein Herz pochte so
- heftig, daß es ihm ungemein schwer fiel, die äußere Ruhe zu wahren.
- So verbrachte er den Tag und die Nacht kam heran. ... Oh, wenn ich ein
- Maler wäre, -- wie wollte ich die Herrlichkeit der Nacht auf die
- Leinwand bannen. Ich würde darstellen, wie ganz Mirgorod schläft, wie
- zahllose Sterne unbewegt herniederblicken, wie nahes und entfernteres
- Hundegebell die tiefe Stille durchbricht, wie der verliebte Küster
- herbeigelaufen kommt und mit ritterlicher Furchtlosigkeit über den Zaun
- klettert, wie die weißen Häuser im Mondschein noch viel weißer und die
- sie beschattenden Bäume noch viel dunkler erscheinen; schwärzer als
- sonst ruht der Schatten der Bäume auf der Erde, Blumen und Gräser
- beginnen stärker zu duften, und die Heimchen, diese unermüdlichen Ritter
- der Nacht, lassen von allen Seiten ihre schrillen Lieder erklingen. Ich
- würde darstellen, wie in einer der niedrigen Lehmhütten die
- schwarzgelockte Bewohnerin auf einsamem Lager hingestreckt, mit wogendem
- Busen von einem Husaren mit Sporen und Schnurrbart träumt, während die
- Strahlen des Mondes auf ihren Wangen spielen. Ich würde malen, wie der
- dunkle Schatten einer Fledermaus über den weißen Weg huscht und sich auf
- den weißen Schornsteinen der Stadt niederläßt. Allein Iwan Iwanowitsch
- zu malen, der in dieser Nacht mit der Säge in der Hand aus seinem Hause
- trat: das würde mir kaum gelingen. Zu zahlreich waren die Gefühle, die
- sich in seinem Antlitz spiegelten! Leise, ganz leise schlich er zum
- Gänsestall. Iwan Nikiforowitschs Hunde wußten noch nichts von dem Streit
- ihrer Herren, und erlaubten ihm daher als einem alten Freunde, dicht an
- den Stall heranzuschleichen, der auf vier Eichenpfählen stand. Als er
- sich an den einen Pfosten herangedrängt hatte, legte er die Säge an und
- begann zu sägen. Der Lärm, welchen die Säge verursachte, zwang ihn, sich
- in einem fort umzusehen, aber der Gedanke an die erlittene Schmach gab
- ihm immer wieder neuen Mut. Der erste Pfahl war durchgesägt, und Iwan
- Iwanowitsch machte sich an den zweiten. Seine Augen brannten, und vor
- Angst vermochte er nichts zu sehen. Plötzlich schrie Iwan Iwanowitsch
- auf, er erstarrte und glaubte einen Leichnam vor sich zu sehen, aber er
- ermannte sich bald wieder, als er sah, daß es nur eine Gans war, die den
- Hals nach ihm ausstreckte. Ärgerlich spuckte Iwan Iwanowitsch aus, und
- setzte seine Arbeit fort. Der zweite Pfahl war durchgesägt, -- der Bau
- erzitterte. Als Iwan Iwanowitsch den dritten Pfosten in Angriff nahm,
- schlug sein Herz so heftig, daß er seine Arbeit einigemale unterbrechen
- mußte. Schon war mehr als die Hälfte des Pfahls durchgesägt, als
- plötzlich das ganze schwankende Gebäude zu erzittern begann -- Iwan
- Iwanowitsch hatte kaum Zeit beiseite zu springen -- da stürzte es auch
- schon krachend zusammen. Die Säge krampfhaft in der Hand haltend, lief
- er tödlich erschreckt in sein Haus und warf sich auf sein Bett; er hatte
- nicht den Mut, durch das Fenster die Folgen seiner furchtbaren Tat zu
- beobachten. Ihm schien, als ob alle Knechte und Mägde Iwan
- Nikiforowitschs sich versammelt hätten -- das alte Weib, Iwan
- Nikiforowitsch, der Junge in dem unendlichen Rock, sie alle kamen mit
- Keulen bewaffnet und von Agafja Fedosiewna geführt heran, um sein Haus
- zu zertrümmern.
- Den ganzen folgenden Tag brachte Iwan Iwanowitsch wie im Fieber zu. Er
- glaubte, daß seine verhaßten Gegner ihm aus Rache mindestens das Haus
- anzünden würden, und daher befahl er Gapka in einem fort, überall
- nachzusehen, ob nicht irgendwo trockenes Stroh herumliege. Um jeder
- Gefahr vorzubeugen, beschloß er endlich, Iwan Nikiforowitsch
- zuvorzukommen, und beim Mirgoroder Kreisgericht eine Klage gegen ihn
- einzureichen. Worin diese Klage bestand, -- das kann der Leser aus dem
- nächsten Kapitel erfahren.
- Viertes Kapitel.
- Was sich vorm Mirgoroder Kreisgericht für eine Szene abspielte.
- Welch eine herrliche Stadt ist doch Mirgorod! Was gibt es da nicht für
- Gebäude, mit Stroh-, Schilf- und sogar mit Holzdächern! Rechts eine
- Straße, links eine Straße; überall wundervolle, von Hopfen umschlungene
- Zäune, auf denen hie und da Töpfe hängen; Sonnenblumen strecken ihre
- sonnenähnlichen Köpfe über sie hinweg, roter Mohn und schwellende
- Kürbisse ... eine wahre Pracht. Die Zäune sind stets mit allerhand
- Gegenständen geschmückt -- einem ausgespannten Unterrock, einem Hemd,
- oder einem paar Hosen -- die sie noch malerischer erscheinen lassen. In
- Mirgorod gibt es weder Diebe noch Gauner, und daher hängt dort jeder
- hin, was ihm einfällt. Wenn Sie einmal den Marktplatz besuchen, so
- werden Sie sicher einen Augenblick stehen bleiben, um sich an dem Bild
- zu erfreuen; Sie bemerken da eine Pfütze -- eine ganz wunderbare Pfütze.
- Eine Pfütze, wie Sie sie vorher noch nie gesehen haben! Sie erstreckt
- sich fast über den ganzen Platz. Eine herrliche Pfütze! Die Häuser und
- Häuserchen, welche um sie herum stehen, und die man von fern für
- Heuschober halten könnte, sind ganz in Bewunderung der Schönheit dieses
- Gewässers versunken.
- Das schönste Haus in der Stadt ist aber nach meiner Ansicht das
- Kreisgericht. Es kümmert mich nicht im mindesten, ob es aus Eichen- oder
- Birkenholz gebaut ist, aber -- meine Herrschaften -- es hat acht
- Fenster! Acht Fenster Front auf den Platz und auf die Wasserfläche
- hinaus, die ich eben erwähnte, und die der Polizeimeister einen See
- nennt. Es ist das einzige Haus, welches mit brauner Granitfarbe
- angestrichen ist; alle andern Häuser in Mirgorod sind ganz einfach
- geweißt. Das Dach ist aus Holz und wäre sogar auch rot angestrichen
- worden, wenn die Kanzleidiener nicht das dazu bestimmte Öl mit Zwiebeln
- angerichtet und aufgegessen hätten, weil es gerade Fastenzeit war. Und
- so blieb das Dach ungestrichen. Das Haus hat eine Veranda, die auf den
- Platz hinausführt; auf dieser sieht man oft »Hühner« herumspazieren,
- denn meist ist Grütze oder sonst etwas Eßbares auf dem Boden verstreut,
- was übrigens nicht mit Absicht geschieht, sondern eher eine Folge der
- Unvorsichtigkeit der Klienten ist. Das Haus ist in zwei Teile geteilt:
- in der einen Hälfte befindet sich die Kanzlei und in der andern das
- Arrestlokal. In der Hälfte, wo die Kanzlei liegt, gibt es zwei reine,
- schön getünchte Zimmer: das eine ist leer und dient als Vorraum für die
- Klienten, das andere enthält einen mit Tintenklexen verzierten Tisch,
- auf dem sich ein Spiegel befindet; außerdem stehen noch vier
- Eichenstühle mit hohen Lehnen darin, und an den Wänden ein paar
- eisenbeschlagene Kisten, in denen Stöße von Protokollen aufbewahrt
- werden. Damals stand gerade auf einer dieser Kisten ein frisch
- gewichster Stiefel.
- Die Sitzung hatte schon früh morgens begonnen. Der Richter, ein
- wohlbeleibter Herr, der freilich nicht ganz so dick war wie Iwan
- Nikiforowitsch, hatte ein gutmütiges Gesicht und trug einen schmierigen
- Schlafrock. Er rauchte aus seinem Pfeifchen, trank Tee und unterhielt
- sich mit dem Gerichtsschreiber. Sein Mund befand sich dicht unter seiner
- Nase, und daher konnte er die Oberlippe nach Herzenslust beschnüffeln.
- Diese Oberlippe diente ihm als Tabaksdose, da der Tabak, obgleich für
- die Nase bestimmt, gewöhnlich auf die Lippe herunterfiel und da liegen
- blieb. -- Wie gesagt, der Richter unterhielt sich mit dem
- Gerichtsschreiber. Etwas seitwärts stand ein barfüßiges Mädchen, das ein
- Tablett mit Tassen in der Hand hielt. Am Ende des Tisches las der
- Sekretär einen Gerichtsbeschluß vor, aber mit so monotoner, trübseliger
- Stimme, daß sogar der Angeklagte eingeschlafen wäre, wenn er ihm
- zugehört hätte. Dem Richter wäre es zweifellos schon eher passiert, wenn
- er nicht gerade in ein interessantes Gespräch vertieft gewesen wäre.
- »Ich habe mich absichtlich bemüht, herauszubekommen,« sagte der Richter,
- indem er seinen schon ein wenig abgekühlten Tee schlürfte, »wie man das
- macht, daß sie so hübsch singen. Ich hatte vor zwei Jahren eine
- prachtvolle Drossel. Und was denken Sie wohl, plötzlich war sie ganz
- verdorben, und begann, weiß Gott wie zu singen, immer schlechter,
- schlechter und schlechter ... Sie fing an, zu schnarchen und zu krächzen
- -- rein um sie fortzuwerfen. Dabei hing die ganze Geschichte mit einer
- Kleinigkeit zusammen. Wissen Sie, woher das kommt? An der Kehle bildet
- sich ein Bläschen, nicht größer als eine kleine Erbse. Dieses Bläschen
- muß man bloß mit einer Nadel aufstechen. Sachar Prokoffjewitsch hat es
- mich gelehrt, nämlich ... wenn Sie wollen, erzähle ich Ihnen, wie das
- war. Ich komme also zu ihm ...«
- »Demian Demianowitsch, soll ich jetzt die andere Sache vorlesen?«
- unterbrach hier der Sekretär, der schon seit einigen Minuten mit seiner
- Vorlesung zu Ende war, die Unterhaltung.
- »Sind Sie schon fertig? Denken Sie bloß! Wie schnell das geht! Ich habe
- kein Wort gehört. Ja wo ist sie denn? Geben Sie her, ich will gleich
- unterschreiben. Haben Sie noch etwas?«
- »Die Sache des Kosaken Bokitka wegen der gestohlenen Kuh.«
- »Gut, lesen Sie! -- Also ich komme zu ihm ... ich kann Ihnen sogar ganz
- ausführlich erzählen, was er mir alles vorgesetzt hat. Zum Schnaps wurde
- ein großartiger Stör gereicht. Ja, das war nicht solch ein Stör (hier
- schnalzte der Richter mit der Zunge, schmunzelte, zog die Oberlippe in
- die Höhe und sog den Duft, aus seiner immer bereit stehenden Tabaksdose
- ein) wie ihn unser Störladen hier liefert. Den Hering habe ich nicht
- gegessen, -- Sie wissen ja, er verursacht mir immer Sodbrennen, hier
- unterm Herzen; dafür entschädigte ich mich beim Kaviar; ein herrlicher
- Kaviar! Wirklich, das muß ich sagen: ein herrlicher Kaviar! Dann trank
- ich einen Pfirsichschnaps, der auf Tausendgüldenkraut abgesetzt war. Es
- war auch noch Safranschnaps da -- aber Sie wissen ja, Safranschnaps mag
- ich nicht. Verstehen Sie mich auch richtig.
- Dieser Schnaps ist sehr gut zu Anfang, um den Appetit zu reizen, wie man
- zu sagen pflegt, und dann wieder als Abschluß ... Ah! aber was höre ich,
- was sehen meine Augen ...« schrie der Richter plötzlich auf, als er den
- eben eintretenden Iwan Iwanowitsch erblickte.
- »Grüß Gott! Alles Gute über Sie,« sagte Iwan Iwanowitsch und grüßte mit
- der ihm eigenen Zuvorkommenheit nach allen Seiten. Mein Gott, wie wußte
- er alle durch seine Umgangsformen zu bezaubern! Eine solche
- Formsicherheit habe ich sonst bei niemandem gefunden. Er war sich aber
- auch durchaus seiner Würde voll bewußt und nahm die allgemeine
- Hochachtung als etwas Selbstverständliches hin. Der Richter bot Iwan
- Iwanowitsch höchst eigenhändig seinen Stuhl an und sog dabei allen Tabak
- von der Oberlippe ein, was bei ihm stets ein Zeichen großer
- Zufriedenheit war.
- »Was kann ich Ihnen anbieten, Iwan Iwanowitsch,« fragte er. »Wünschen
- Sie eine Tasse Tee?«
- »Verbindlichen Dank, nein,« antwortete Iwan Iwanowitsch, machte eine
- Verbeugung und setzte sich.
- »Aber ich bitte Sie, ein Täßchen,« wiederholte der Richter.
- »Nein, danke, danke bestens für Ihre Gastfreundlichkeit!« antwortete
- Iwan Iwanowitsch mit einer Verbeugung und setzte sich wieder.
- »Eine einzige Tasse,« wiederholte der Richter.
- »Nein, bitte, inkommodieren Sie sich nicht, Demian Demianowitsch!« Dabei
- verbeugte sich Iwan Iwanowitsch wieder und setzte sich.
- »Ein Täßchen?«
- »Nun, denn, meinetwegen, _ein_ Täßchen,« sagte Iwan Iwanowitsch und
- streckte die Hand nach dem Teebrett aus.
- Himmel! Welch eine Fülle von feinstem Takt besitzt doch mitunter ein
- Mensch! Es ist nicht zu sagen, welch angenehmen Eindruck solche
- Umgangsformen machen.
- »Befehlen Sie noch ein Täßchen!«
- »Herzlichen Dank,« erwiderte Iwan Iwanowitsch, indem er die umgestülpte
- Tasse auf das Teebrett zurücksetzte und sich verbeugte.
- »Bitte bedienen Sie sich doch, Iwan Iwanowitsch.«
- »Ich kann nicht -- verbindlichsten Dank.« Hierbei machte Iwan
- Iwanowitsch eine Vorbeugung und setzte sich wieder.
- »Iwan Iwanowitsch, tun Sie mir den Gefallen! Nur _ein_ Täßchen!«
- »Nein, haben Sie vielen Dank für Ihre Gastfreundlichkeit.« Hierbei erhob
- er sich, machte eine Verbeugung und setzte sich.
- »Nur ein Täßchen! Ein einziges Täßchen!«
- Iwan Iwanowitsch streckte seine Hand nach dem Teebrett aus und nahm eine
- Tasse.
- Weiß der Teufel, wie dieser Mann es verstand, seine Würde zu wahren!
- »Demian Demianowitsch,« sagte Iwan Iwanowitsch, indem er den Rest aus
- seiner Tasse schlürfte, »ich habe ein wichtiges Anliegen -- ich will
- eine Klage einreichen.« Hierbei stellte Iwan Iwanowitsch die Tasse hin
- und zog einen voll beschriebenen Stempelbogen aus der Tasche. »Eine
- Klage gegen meinen Feind, meinen Todfeind!«
- »Gegen wen denn?«
- »Gegen Iwan Nikiforowitsch Dowgotschun.«
- Bei diesen Worten fiel der Richter fast vom Stuhle. »Was sagen Sie?«
- rief er aus und schlug die Hände zusammen. »Iwan Iwanowitsch, was ist
- Ihnen? Sind Sie es, der das spricht?«
- »Sie sehen doch selbst, daß ich es bin!«
- »Gott und alle Heiligen schützen Sie! Wie? Sie! Iwan Iwanowitsch, ein
- Feind von Iwan Nikiforowitsch? So etwas kommt über Ihre Lippen?
- Wiederholen Sie das noch einmal! Hat sich vielleicht jemand hinter Ihren
- Rücken versteckt und spricht für Sie?«
- »Was ist denn so Unwahrscheinliches daran? Ich kann ihn nicht mehr
- sehen. Er hat mich tödlich beleidigt! Er hat meine Ehre verletzt!«
- »Heilige Dreieinigkeit! Wie soll ich das bloß meiner Mutter beibringen!
- Wenn ich mich mit meiner Schwester zanke, sagt die Alte täglich: Kinder
- ihr lebt ja zusammen wie Hund und Katze, nehmt euch doch ein Beispiel an
- Iwan Iwanowitsch und Iwan Nikiforowitsch, das sind einmal Freunde; ja
- das sind echte, wahre Freunde und Ehrenmänner! Da haben wir es -- schöne
- Freunde das! Aber erzählen Sie doch -- was ist geschehen! Was ist los?«
- »Das ist eine delikate Sache, Demian Demianowitsch; mit Worten kann man
- so etwas gar nicht wiedergeben, lassen Sie sich lieber meine Klage
- vorlesen. Bitte fassen Sie sie hier an -- von dieser Seite: es ist so
- vornehmer.«
- »Bitte lesen Sie vor, Taraß Tichonowitsch,« sagte der Richter und wandte
- sich an den Sekretär.
- Taraß Tichonowitsch nahm die Bittschrift in Empfang, schnaubte sich mit
- Hilfe zweier Finger die Nase (so machen es nämlich alle Sekretäre in den
- Kreisgerichten) und begann zu lesen.
- »Der Edelmann und Gutsbesitzer des Mirgoroder Kreises Iwan Iwanowitsch
- Pererepenko, erlaubt sich folgende Eingabe an das Gericht zu machen. Der
- Anlaß dazu ist in folgenden Punkte enthalten:
- 1) Der aller Welt durch seine gottlosen, jedermann zur Wut reizenden,
- alles Maß übersteigenden, gesetzwidrigen Handlungen bekannte Edelmann:
- Iwan Nikiforowitsch Dowgotschun hat mich am 7. Tage des Monats Juli 1810
- tödlich beleidigt, indem er sowohl meine persönliche Ehre angegriffen,
- als auch die Würde meines Standes und meiner Familie herabzusetzen und
- zu demütigen getrachtet hat. Dabei hat genannter Edelmann selbst ein
- garstiges Äußeres, einen zänkischen Charakter und steckt voller
- Gotteslästerungen und persönlicher Schimpfworte.«
- Hier hielt der Vorleser einen Moment inne, um sich wieder zu schneuzen,
- der Richter aber kreuzte voller Bewunderung die Arme und murmelte vor
- sich hin: »Was für eine gewandte Feder! Herrgott, wie der Mann
- schreibt!«
- Iwan Iwanowitsch bat den Schreiber, weiter zu lesen, und Taraß
- Tichonowitsch fuhr fort: »Genannter Edelmann, Iwan Nikiforowitsch
- Dowgotschun gab mir öffentlich, als ich mit freundschaftlichen
- Vorschlägen zu ihm kam, einen beleidigenden und ehrenrührigen Namen,
- nämlich »Gänserich«, obgleich es dem Mirgoroder Kreis bekannt ist, daß
- ich mich nie nach diesem widerlichen Vogel genannt, und auch in Zukunft
- nicht die Absicht habe, mich nach ihm zu nennen. Der Beweis für meine
- adelige Herkunft ist schon damit geführt, daß der Tag meiner Geburt, wie
- die an mir vollzogene Taufe in dem Kirchenbuche, das sich in der
- Drei-Heiligen-Kirche befindet, eingetragen ist. Ein »Gänserich« hingegen
- kann, wie jedermann, der nur im geringsten mit den Wissenschaften
- vertraut ist, nicht in einem Kirchenbuch eingetragen sein, da ein
- »Gänserich« kein Mensch, sondern ein Vogel ist. Dieses weiß sogar ein
- jeder, der nicht einmal ein Seminar besucht hat. Aber trotzdem ihm alles
- so gut bekannt war, hat mich genannter bösartiger Edelmann mit diesem
- garstigen Worte beschimpft, _nur_ um meiner Ehre, meinem Rang und Stand
- eine tödliche Beleidigung zuzufügen.
- 2) Derselbe unanständige und unerzogene Edelmann hat es auch auf mein,
- mir von meinem Vater, dem seligen Iwan und Sohn des Onisius-Pererepenko,
- der dem geistlichen Stande angehörte, vererbtes Stammeigentum abgesehen,
- indem er nur, allen Vorschriften entgegen, direkt vor meine Veranda
- einen Gänsestall hingebaut hat, allein in der Absicht, die mir angetane
- Beleidigung noch zu verschärfen; denn der genannte Stall stand bis dahin
- an einem vortrefflichen Platze und war noch in gutem Zustande. Aber die
- ekelhafte Absicht des oben genannten Edelmanns war einzig und allein
- die, mich zum Augenzeugen unanständiger Geschehnisse zu machen, da es
- doch aller Welt bekannt ist, daß kein Mensch zwecks anständiger
- Verrichtungen in einen Stall geht, besonders nicht in einen Gänsestall.
- Bei dieser gesetzwidrigen Handlung standen die beiden vorderen Pfosten
- noch dazu auf meinem Terrain, das ich noch zu Lebzeiten meines seligen
- Vaters Iwan, des Onisius-Pererepenkos Sohn, erhalten habe, und das beim
- Speicher beginnt und in gerader Linie bis zu der Stelle geht, wo die
- Weiber ihre Töpfe waschen.
- 3) Der oben geschilderte Edelmann, dessen Name und Familie schon allein
- Ekel erregen, trägt sich mit der nichtswürdigen Absicht, mir das Haus
- über dem Kopfe anzuzünden, was aus den unten angeführten Anzeichen
- deutlich hervorgeht: 1. geht jener schlechte Edelmann in letzter Zeit
- viel aus seinem Hause heraus, was er früher aus Faulheit und infolge
- seiner nichtswürdigen körperlichen Fülle nicht zu tun pflegte; 2. brennt
- er in seiner Gesindestube, welche dicht an dem Zaune liegt, der mein von
- meinem seligen Vater Iwan des Onisius Sohn Pererepenko geerbtes Eigentum
- umgibt, täglich und ungewöhnlich lange Licht. Das beweist deutlich seine
- verbrecherischen Pläne, da bis jetzt nicht nur das Talglicht, sondern
- auch die Tranlampe aus schmutzigem Geiz frühzeitig ausgelöscht wurde.
- Und daher bitte ich den genannten Edelmann, Iwan Nikifors Sohn,
- Dowgotschchun der Brandstiftung, der Beleidigung meines Ranges, Namens
- und Geschlechts, der räuberischen Aneignung fremden Eigentums und
- hauptsächlich der niederträchtigen und anstößigen Hinzufügung des Wortes
- »Gänserich« zu meinem Familiennamen schuldig zu sprechen, ihm eine
- Strafe aufzuerlegen, zur Zahlung der Unkosten, zum Schadenersatz zu
- verurteilen, ihn des ferneren wegen dieser Verbrechen ins Stadtgefängnis
- zu werfen und das Urteil gemäß meiner Eingabe sofort und widerspruchslos
- zu vollstrecken.
- Geschrieben und aufgesetzt vom Edelmann und Mirgoroder Gutsbesitzer
- Iwan, Iwans Sohn, Pererepenko.«
- Nach Beendigung der Vorlesung näherte sich der Richter Iwan Iwanowitsch,
- faßte ihn bei einem seiner Knöpfe und begann ungefähr folgendermaßen auf
- ihn einzureden: »Was machen Sie da, Iwan Iwanowitsch? Fürchten Sie denn
- Gott garnicht? Vernichten Sie diese Klage, möge sie verschwinden (mag
- ihr der Teufel im Traum erscheinen)! Nehmen Sie lieber Iwan
- Nikiforowitsch bei den Händen und küssen Sie sich; kaufen Sie sich
- Santurinischen oder Nikopolsker Wein, oder machen Sie einfach einen
- kleinen Punsch zurecht und laden Sie mich dazu ein! Wir trinken ihn
- zusammen, und alles ist vergessen.«
- »Nein Demian Demianowitsch, das ist keine so einfache Sache,« sagte Iwan
- Iwanowitsch mit der Würde, die ihm so wohl anstand, »das ist keine
- Angelegenheit, die man durch einen freundschaftlichen Vergleich
- erledigen könnte. Adieu. Leben Sie wohl meine Herren,« fuhr er mit der
- gleichen Würde fort, indem er sich an alle Anwesenden wandte. »Ich
- hoffe, daß meine Eingabe die ihr gebührende Berücksichtigung finden
- wird.« Mit diesen Worten ging er und ließ die Kanzlei in der größten
- Bestürzung zurück. Der Richter saß sprachlos da; der Sekretär nahm eine
- Prise, die Schreiber warfen die zerbrochene Flasche um, die als
- Tintenfaß diente, und der Richter fuhr in seiner Zerstreutheit mit dem
- Finger durch die Tintenlache, die sich auf dem Tische gebildet hatte.
- »Was sagen Sie dazu, Dorofej Trofimowitsch,« sagte der Richter, indem er
- sich nach einer Pause an den Gerichtsschreiber wandte.
- »Ich sage garnichts,« antwortete der Gerichtsschreiber.
- »Was nicht alles auf der Welt passiert,« fuhr der Richter fort. Kaum
- hatte er dies gesagt, als die Tür knarrte, und die vordere Hälfte von
- Iwan Nikiforowitsch in der Kanzlei erschien, -- die andere befand sich
- noch im Vorraum. Iwan Nikiforowitschs Erscheinen, zumal vor Gericht, war
- etwas so Außergewöhnliches, daß der Richter laut aufschrie, der Sekretär
- seine Lektüre unterbrach, der eine Kanzleibeamte, welcher einen kurzen
- Frack aus Frieswolle trug, die Feder in den Mund steckte, und ein
- anderer eine Fliege verschluckte; sogar der Invalide, welcher den Dienst
- eines Feldjägers und Wächters versah, und bisher in der Tür gestanden
- hatte und sich unter seinem schmutzigen an der Schulter mit Stickereien
- geschmückten Hemde kratzte, selbst dieser Invalide riß das Maul auf und
- trat irgend jemandem auf den Fuß.
- »Was verschafft uns die Ehre? Was gibt's? Wie ist Ihr wertes Befinden,
- Iwan Nikiforowitsch?«
- Aber Iwan Nikiforowitsch war halbtot vor Schrecken, denn er war zwischen
- der Türe eingekeilt und konnte keinen Schritt vorwärts noch rückwärts
- machen. Vergebens schrie der Richter in das Vorzimmer hinaus, jemand
- solle Iwan Nikiforowitsch von hinten in den Gerichtssaal schieben, aber
- im Vorraum befand sich nur eine alte Bittstellerin, die mit ihren
- knöchernen Händen trotz der größten Anstrengung nichts ausrichten
- konnte. Da trat ein Kanzleibeamter mit wulstigen Lippen, breiten
- Schultern, dicker Nase, schielenden, weinseligen Äuglein und zerfetzten
- Ärmeln vor, schritt auf Iwan Nikiforowitschs vordere Hälfte zu, legte
- ihm die Hände wie einem kleinen Kinde auf der Brust zusammen und winkte
- dem Invaliden. Dieser stemmte sich mit den Knien gegen Iwan
- Nikiforowitschs Bauch und preßte ihn trotz seines kläglichen Stöhnens
- wieder in den Vorraum. Darauf schob man die Riegel zurück und öffnete
- die zweite Hälfte der Flügeltür. Der Kanzleibeamte und der Invalide
- hatten bei ihrer gemeinschaftlichen Anstrengung einen so starken Duft
- ausgeströmt, daß die ganze Kanzlei für einige Zeit gleichsam in einen
- Schnapsausschank verwandelt schien.
- »Sie haben sich doch hoffentlich nicht weh getan, Iwan Nikiforowitsch?
- Ich werde es meiner Mutter sagen, die wird Ihnen ein Elixier zuschicken;
- wenn Sie sich Rücken und Kreuz damit einreiben, wird alles wieder
- vergehen!«
- Iwan Nikiforowitsch sank auf einen Stuhl; er stieß immer wieder
- verzweifelte Seufzer aus; sonst war nichts aus ihm herauszubringen.
- Endlich sprach er mit einer vor Ermattung kaum hörbaren Stimme: »Ist's
- gefällig?« Dann zog er seine Tabaksdose aus der Tasche und sagte:
- »Bitte, bedienen Sie sich!«
- »Ich freue mich sehr, Sie hier zu sehen,« sagte der Richter, »aber ich
- kann mir nicht vorstellen, was Sie bewogen hat, diese Mühe auf sich zu
- nehmen und uns mit einer so angenehmen Überraschung zu erfreuen.«
- »Mit einer Bitte ...«, das war alles, was Iwan Nikiforowitsch zu sagen
- vermochte.
- »Mit einer Bitte? Mit was für einer Bitte?«
- »Mit einer Klage ... (hier ging ihm der Atem aus, und es entstand eine
- neue Pause), oh ... mit einer Klage gegen diesen Räuber .... gegen Iwan
- Iwanowitsch Pererepenko!«
- »Mein Gott, Sie auch! Zwei solche seltene Freunde! Eine Klage gegen
- einen so tugendhaften Menschen!«
- »Er ist der Teufel in eigener Person!« stieß Iwan Nikiforowitsch hervor.
- Der Richter schlug ein Kreuz.
- »Bitte nehmen Sie die Eingabe und lesen Sie!«
- »Da ist nichts zu machen, Taraß Tichonowitsch lesen Sie,« sagte der
- Richter, indem er sich verdrießlich an den Sekretär wandte: dabei
- beschnüffelte seine Nase die Oberlippe, was sie sonst nur in den
- Augenblicken zu tun pflegte, wenn ihm etwas besonders Angenehmes
- passierte. Diese Eigenmächtigkeit seiner Nase verursachte dem Richter
- noch mehr Verdruß, und um ihre Frechheit zu bestrafen, nahm er sein
- Taschentuch heraus und wischte sich allen Tabak von der Oberlippe.
- Der Sekretär nahm wie gewöhnlich einen Anlauf, was er vor der Lektüre
- eines Schriftstückes stets zu tun pflegte, -- natürlich abermals ohne
- Hilfe eines Taschentuchs, und begann mit monotoner Stimme
- folgendermaßen:
- »Der Edelmann des Mirgorodschen Kreises Iwan, Nikiforows Sohn,
- Dowgotschun, wendet sich mit einem Gesuch an das Kreisgericht von
- Mirgorod, der Inhalt dieses Gesuches ist in folgenden Punkten dargelegt:
- 1. Iwan Iwans Sohn, Pererepenko, der sich selbst einen Edelmann nennt,
- fügt mir in seiner haßerfüllten Bosheit und deutlichen Mißgunst allerlei
- Heimtücke, Verluste und andere teuflische und schreckenerregende
- Schädigungen zu. Gestern um Mitternacht hat er sich wie ein Räuber mit
- Beilen, Sägen, Stemmeisen und anderen Schlosserwerkzeugen in meinen Hof
- geschlichen und daselbst meinen eigenen, dort befindlichen Stall
- eigenhändig in schamloser Weise zerstört, obgleich ich ihm meinerseits
- gar keine Veranlassung zu einer so gesetzwidrigen und räuberischen
- Handlung gegeben habe.
- 2. Derselbe Edelmann Pererepenko trachtet mir sogar nach dem
- Leben; diesen Plan hat er schon bis zum 7. dieses Monats im
- geheimen geschmiedet, hierauf aber besuchte er mich, fing in
- freundschaftlich-listiger Weise an, mir eine Flinte, die sich im Zimmer
- befand, abzuschmeicheln, und bot mir mit dem ihm eigenen Geiz, allerlei
- unbrauchbare Gegenstände: unter anderem ein braunes Schwein und zwei Maß
- Hafer zum Ersatz dafür an. Da ich aber sofort seine verbrecherische
- Absicht durchschaute, versuchte ich ihn auf alle mögliche Weise davon
- abzubringen, aber der obengenannte Halunke und Lump, Iwan, Iwans Sohn,
- Pererepenko, beschimpfte mich in gemeiner bäurischer Weise und verfolgt
- mich seit jener Zeit mit unversöhnlichem Haß. Dabei ist der oben des
- öfteren genannte rasende Edelmann und Räuber Iwanowitsch Pererepenko
- außerdem von sehr schimpflicher Herkunft. Seine Schwester war eine
- weltbekannte Herumtreiberin, und zog mit dem Jägerregiment, das vor fünf
- Jahren in Mirgorod lag, davon, ihren Mann aber hat sie in die Liste der
- Bauern eintragen lassen. Und ebenso waren sein Vater und Mutter sehr
- verbrecherische Leute, und beide unglaubliche Säufer. Der oben erwähnte
- Edelmann und Räuber Pererepenko hat jedoch durch seine viehische und
- abscheuerregende Handlungsweise seine Verwandten noch übertroffen, und
- vollbringt unter dem Schein der Gottesfürchtigkeit die allerschlimmsten
- Anstoß erregenden Sachen. Er hält die Fasten nicht ein, denn am Vorabend
- des heiligen Philippus kaufte sich dieser Gottlose zum Beispiel einen
- Hammel, befahl seiner Konkubine Gapka, das Tier am nächsten Tage zu
- schlachten, und redete sich nachher damit heraus, daß er den Talg für
- Licht und Lampe benötigt habe.
- Daher ersuche ich darum, den genannten Edelmann, als Räuber,
- Gotteslästerer und Halunken, der schon mehrfach des Raubes und
- Diebstahls überführt worden ist, in Ketten zu legen, in den Turm zu
- sperren, oder ins Staatsgefängnis überzuführen, und dort nach Lage der
- Dinge seines Ranges und Eigentums zu entäußern, tüchtig mit Ruten
- auszupeitschen, oder nötigenfalls zur Zwangsarbeit nach Sibirien zu
- verschicken, ihn zur Zahlung der Unkosten und zu Schadenersatz zu
- verurteilen und das Urteil laut diesem meinen Gesuche zu vollstrecken.
- Diese Eingabe hat Iwan, Nikiforows Sohn, Dowgotschchun, Edelmann des
- Mirgorodschen Kreises eigenhändig unterschrieben.«
- Kaum hatte der Sekretär die Eingabe verlesen, als Iwan Nikiforowitsch
- schon nach seiner Mütze griff, sich verbeugte und anscheinend wieder
- gehen wollte.
- »Wo wollen Sie hin, Iwan Nikiforowitsch?« rief ihm der Richter nach,
- »bleiben Sie doch noch einen Augenblick sitzen. Trinken Sie doch erst
- eine Tasse Tee. Oryschko, was stehst du da, dummes Mädel, und
- liebäugelst mit den Schreibern? Lauf schnell und bring Tee.«
- Aber Iwan Iwanowitsch war voller Angst, weil er sich so weit vom Hause
- entfernt hatte und da er sich der gefährlichen Quarantäne beim Eintritt
- erinnerte, schon zur Tür hinausgeschlüpft und sagte nur: »Bitte machen
- Sie keine Umstände, ich werde mit Vergnügen ...« Nach diesen Worten
- schloß er die Tür hinter sich und ließ den ganzen Gerichtshof in
- höchstem Staunen und größter Bestürzung zurück.
- Es war nichts zu machen. Beide Eingaben wurden angenommen, und die Sache
- wäre sicherlich sehr interessant geworden, wenn nicht ein
- unvorhergesehener Umstand ihr noch eine weit größere Bedeutung
- verliehen hätte. Als der Richter die Amtsstube in Begleitung des
- Gerichtsschreibers und des Sekretärs verlassen, und die Schreiber die
- verschiedenen Gegenstände, die die Klienten mitgebracht hatten, als da
- sind: Hühner, Eier, Brote, Pasteten, Torten und allerlei Plunder in
- einen Sack stopfen wollten, kam ein braunes Schwein in das Zimmer
- gelaufen und packte zur großen Überraschung aller Anwesenden -- nicht
- etwa eine Pastete oder eine Brotrinde -- sondern Iwan Nikiforowitschs
- Eingabe, die so nah am Tischrande lag, daß ein paar Seiten
- hinüberhingen. Sobald das Schwein die Eingabe ergriffen hatte, lief es
- schnell davon, so daß niemand von den Kanzleibeamten es einholen konnte,
- trotz aller Lineale und Tintenfässer, die sie ihm nachschleuderten.
- Dieses außerordentliche Ereignis verursachte einen fürchterlichen
- Wirrwarr, da noch keine Kopie von der Eingabe angefertigt worden war.
- Der Richter, oder vielmehr der Gerichtsschreiber und der Sekretär
- berieten sich lange über diesen unerhörten Vorgang; endlich wurde
- beschlossen, daß man einen Bericht aufsetzen und den Polizeimeister
- davon benachrichtigen müsse, da die Untersuchung dieser Angelegenheit in
- das Ressort der städtischen Polizei gehöre. Noch am selben Tage wurde
- ihm ein Bericht zugesandt, der die Nummer 389 trug, und hierauf erfolgte
- eine sehr interessante Auseinandersetzung, über die der Leser im
- folgenden Kapitel Näheres erfahren kann.
- Fünftes Kapitel.
- In welchem von der Beratung zweier hochgeachteter
- Persönlichkeiten aus Mirgorod berichtet wird.
- Kaum hatte Iwan Iwanowitsch seine häuslichen Angelegenheiten geordnet
- und war wie gewöhnlich unter das Schutzdach getreten, um sich ein wenig
- auszuruhen, als er zu seinem unbeschreiblichen Erstaunen an der Pforte
- etwas Rötliches schimmern sah. Das war der rote Aufschlag an der Uniform
- des Polizeimeisters. Dieser Aufschlag hatte ebenso wie der Kragen einen
- gewissen gleichmäßigen Glanz und war im Begriff, sich an den Rändern in
- ein Stück Lackleder zu verwandeln. Iwan Iwanowitsch dachte sich: »Hm!
- Garnicht übel, daß Peter Fedorowitsch kommt, um die Sache zu
- besprechen.« Als er aber sah, wie schnell der Polizeimeister daherkam
- und mit den Armen schlenkerte, was gewöhnlich nur in Ausnahmefällen
- geschah, war er sehr verwundert. Der Amtsrock des Polizeimeisters hatte
- nur acht Knöpfe, der neunte war ihm vor zwei Jahren während der
- Einweihung der neuen Kirche abgesprungen, und die Polizisten hatten ihn
- bis jetzt nicht finden können, obgleich sie der Polizeimeister bei dem
- täglichen Rapport immer wieder fragte: »Hat der Knopf sich gefunden?«
- Diese acht Knöpfe waren bei ihm so angeordnet, wie die alten Weiber ihre
- Bohnen zu pflanzen pflegen: einer rechts, der andere links. Das linke
- Bein war ihm bei der letzten Kampagne angeschossen worden, daher hinkte
- er, und warf es so stark zur Seite, daß die Arbeit des rechten Beines
- dadurch fast völlig in Frage gestellt wurde. Je schneller der
- Polizeimeister mit seinem Fußwerk manövrierte, um so langsamer kam er
- von der Stelle, und daher hatte Iwan Iwanowitsch Zeit, sich in allerlei
- Vermutungen zu ergehen: warum der Polizeimeister zum Beispiel mit seinem
- Arm herumschlenkerte usw. Iwan Iwanowitsch beschäftigte sich um so mehr
- mit dieser Frage, als er sah, daß der Polizeimeister einen neuen Degen
- umgeschnallt hatte, die Angelegenheit also unzweifelhaft von großer
- Wichtigkeit sein mußte.
- »Peter Fedorowitsch, ich habe die Ehre,« rief Iwan Iwanowitsch, der, wie
- erwähnt, sehr neugierig war und seine Ungeduld nicht länger zügeln
- konnte, als er bemerkte, daß der Polizeimeister die Veranda im Sturme
- nahm, obschon er noch immer zu Boden blickte und mit seinem Gehwerk in
- Konflikt geriet, weil er die Stufe auf keine Weise mit einem Satz
- erreichen konnte.
- »Ich wünsche meinem liebenswürdigen Freund und Gönner Iwan Iwanowitsch
- einen schönen guten Tag,« antwortete der Polizeimeister.
- »Bitte nehmen Sie doch Platz. Ich sehe, Sie sind ermüdet. Ihr
- verwundetes Bein erschwert Ihnen das Gehen ...«
- »Mein Bein,« schrie der Polizeimeister, und maß Iwan Iwanowitsch mit
- einem jener Blicke, wie ihn ein Riese auf einen Zwerg, oder ein
- gelehrter Pedant auf einen Tanzlehrer wirft. Hierbei streckte er das
- Bein aus und stampfte damit auf den Boden; aber dieser Wagemut kam ihm
- teuer zu stehen. Sein ganzer Körper fing an zu wanken, und er schlug mit
- der Nase auf das Geländer; der weise Hüter der Ordnung tat jedoch, als
- sei nichts geschehen, richtete sich sofort wieder auf und griff in die
- Tasche, als suche er seine Tabaksdose. -- »Ich will Ihnen nur sagen,
- verehrtester Freund und Gönner Iwan Iwanowitsch, daß ich in meinem Leben
- noch ganz andere Märsche gemacht habe. Scherz beiseite, wahrhaftig, was
- habe ich nicht schon für Märsche gemacht! Zum Beispiel während der
- Campagne von 1807 ... Ich will Ihnen erzählen, wie ich einmal zu einer
- niedlichen Deutschen über den Zaun geklettert bin ...« Bei diesen Worten
- zwinkerte der Polizeimeister mit dem einen Auge, und ein teuflisches,
- spitzbübisches Grinsen glitt über sein Gesicht.
- »Wo sind Sie denn heut schon überall gewesen?« fragte Iwan Iwanowitsch,
- indem er den Polizeimeister unterbrach, denn er wollte das Gespräch
- möglichst schnell auf die Ursache seines Besuches lenken. Er hätte sehr
- gern ohne Umschweife gefragt, was der Polizeimeister ihm mitzuteilen
- habe, aber seine noble Lebensart führte ihm die ganze Unhöflichkeit
- dieser Frage vors Gemüt, und Iwan Iwanowitsch mußte sich beherrschen und
- ruhig die Lösung abwarten, wenngleich sein ungeduldiges Herz heftig
- pochte.
- »Wenn Sie gestatten, will ich Ihnen erzählen, wo ich überall war,«
- antwortete der Polizeimeister. »Vor allem kann ich Ihnen melden, daß
- heute ein herrliches Wetter ist.«
- Bei diesen Worten traf Iwan Iwanowitsch fast der Schlag.
- »Gestatten Sie,« fuhr der Polizeimeister fort, »ich komme heute in einer
- sehr wichtigen Angelegenheit zu Ihnen.« -- Hier nahm der Polizeimeister
- den gleichen bekümmerten Gesichtsausdruck, die gleiche Miene, und die
- gleiche Haltung an, wie vorhin, als er die Balkonstufe zu stürmen
- versuchte. Iwan Iwanowitsch erholte sich ein wenig, obgleich er wie im
- Fieber zitterte, und stellte scheinbar unbefangen nach seiner Art die
- Frage: »Was für eine wichtige Angelegenheit ist denn das ... ist sie
- wirklich so wichtig?«
- »Hören Sie ... vor allem erlaube ich mir, Ihnen, verehrter Freund und
- Gönner Iwan Iwanowitsch, zu bemerken, daß Sie ... d. h. ich meinerseits,
- verstehen Sie wohl, ich habe nichts ... aber der Standpunkt der
- Regierung, der Standpunkt der Regierung erheischt es ... Sie haben die
- Polizeiverordnung verletzt.«
- »Was sagen Sie, Peter Feodorowitsch? Ich verstehe kein Wort?«
- »Ich bitte Sie, Iwan Iwanowitsch, wie können Sie denn das nicht
- verstehen! Ihr eigenes Tier hat ein sehr wichtiges amtliches
- Schriftstück gestohlen, und Sie wollen noch behaupten, Sie verständen
- kein Wort?«
- »Was für ein Tier?«
- »Mit Erlaubnis zu sagen: Ihr eigenes braunes Schwein.«
- »Ja, bin ich denn schuld daran? Warum lassen die Gerichtsdiener die Tür
- offen?«
- »Aber Iwan Iwanowitsch, es ist doch Ihr eigenes Tier! Also sind Sie doch
- verantwortlich!«
- »Ich bin Ihnen sehr verbunden, daß Sie mich mit einem Schwein
- identifizieren.«
- »Bitte, das habe ich durchaus nicht gesagt, Iwan Iwanowitsch. Bei Gott,
- das habe ich nicht gesagt: Bitte urteilen Sie selbst nach Ihrem eigenen
- Gewissen. Es ist Ihnen zweifellos bekannt, daß es nach den amtlichen
- Vorschriften unreinen Tieren verboten ist, in der Stadt und vor allem in
- wichtigsten Verkehrsstraßen zu promenieren. Sie müssen doch selbst
- zugeben, daß so etwas streng verboten ist.«
- »Herrgott, was Sie zusammenreden! Eine große Sache, wenn ein Schwein
- einmal auf die Straße läuft!«
- »Gestatten Sie mir, Ihnen zu bemerken, Iwan Iwanowitsch, gestatten Sie
- ... gestatten Sie, -- das ist eben ganz unmöglich! Was ist da zu machen.
- Die Obrigkeit will es so -- und wir müssen gehorchen. Ich widerspreche
- nicht, es kommt vor, daß Hühner und Gänse in den Straßen, oder sogar auf
- den Plätzen herumlaufen -- aber wohl bemerkt: Hühner und Gänse. Ich habe
- doch noch im vorigen Jahr die Verordnung erlassen, daß Schweine und
- Ziegen auf den öffentlichen Plätzen nicht geduldet werden dürfen, und
- ich habe diese Verordnung in der Versammlung öffentlich und vor allem
- Volke laut vorlesen lassen.«
- »Nein, Peter Fedorowitsch, ich kann hierin nur eins sehen: daß Sie mich
- durchaus beleidigen wollen.«
- »Nein, nein, das dürfen Sie nicht sagen, daß ich Sie beleidigen will,
- verehrter Freund und Gönner. Erinnern Sie sich doch gefälligst: ich habe
- kein Wort gesagt, als Sie im vorigen Jahr Ihr Dach um eine Arschin höher
- setzen ließen, als das gesetzliche Maß es erlaubt. Im Gegenteil, ich
- tat, als bemerkte ich nichts davon. Glauben Sie nur, Verehrtester, daß
- ich auch jetzt -- sozusagen vollkommen ... aber meine Pflicht, oder ...
- mit einem Wort mein Amt fordert, daß ich auf Reinlichkeit halten muß.
- Urteilen Sie doch selbst, wenn plötzlich auf der Hauptstraße ...«
- »Auch was Schönes -- diese Ihre Hauptstraße! Wo die alten Weiber allen
- Unrat hinwerfen, den sie nicht brauchen können.«
- »Erlauben Sie mir, Ihnen zu bemerken, Iwan Iwanowitsch, daß Sie es sind,
- der mich beleidigt. Es ist wahr, es geschieht manchmal, aber doch nur in
- der Nähe von Zäunen, Speichern oder Kammern; aber daß sich eine
- trächtige Sau auf die Hauptstraße, oder auf den Platz hinauswagt, das
- ist so eine Sache ....«
- »Was ist denn dabei, Peter Feodorowitsch! Ein Schwein ist doch auch ein
- Geschöpf Gottes.«
- »Zugegeben. Alle Welt weiß, daß Sie ein gelehrter Mann sind. Sie kennen
- die Wissenschaften und viele andere Dinge. Ich habe mich natürlich nicht
- mit den Wissenschaften befaßt; das Schnellschreiben habe ich erst mit
- dreißig Jahren gelernt. Wie Sie wissen, war ich Gemeiner.«
- »Hm,« sagte Iwan Iwanowitsch.
- »Ja,« fuhr der Polizeimeister fort, »im Jahre 1801 war ich Leutnant der
- 4. Kompagnie im 42. Jägerregiment. Unser Kommandant war, wie Sie
- vielleicht wissen, ein gewisser Hauptmann Jeremeew.« Hierbei senkte der
- Polizeimeister seine Finger in die Tabaksdose, welche Iwan Iwanowitsch
- ihm hinhielt, und zerrieb den Tabak zwischen den Händen.
- »Hm,« erwiderte Iwan Iwanowitsch.
- »Aber es ist meine Pflicht, mich den Forderungen der Obrigkeit zu
- unterwerfen,« fuhr der Polizeimeister fort. »Wissen Sie auch, Iwan
- Iwanowitsch, daß die Entwendung eines amtlichen Schriftstückes, genau so
- wie jegliches andere Verbrechen, vor das Kriminalgericht gehört?«
- »Das weiß ich so gut, daß ich Ihnen, wenn Sie wünschen, sogar einen
- Vortrag darüber halten könnte. Aber das bezieht sich auf Menschen, so z.
- B. wenn Sie ein Dokument gestohlen hätten. Aber ein Schwein -- ein Tier,
- ein Geschöpf Gottes ...«
- »Sie mögen recht haben, aber das Gesetz lautet: der des Diebstahls
- Schuldige -- ich bitte Sie genauer hinzuhören. -- Der Schuldige! Hier
- ist weder vom Stand, noch von der Gattung, noch vom Geschlecht die Rede,
- also kann auch ein Tier der Schuldige sein. Aber wie Sie wollen, das
- Tier muß bis zur Verkündigung des Urteils als Ruhestörer der Polizei
- ausgeliefert werden.«
- »Nein, Peter Feodorowitsch, das wird nun nicht geschehen,« sagte Iwan
- Iwanowitsch kaltblütig.
- »Wie Sie meinen, ich muß mich jedoch an die Vorschriften der Regierung
- halten.«
- »Wie? Sie drohen mir! Sie wollen wahrscheinlich den einarmigen Soldaten
- herschicken, um es holen zu lassen. Ich werde meiner Magd befehlen, ihm
- mit der Ofenzange heimzuleuchten, die wird ihm auch noch seine gesunde
- Hand entzweischlagen!«
- »Ich will nicht mit Ihnen streiten. Falls Sie der Polizei das Schwein
- nicht auszuliefern gedenken, so tun Sie mit ihm, was Ihnen beliebt;
- schlachten Sie es meinetwegen zu Weihnachten, machen Sie Schinken
- daraus, oder verzehren Sie es. Ich möchte Sie jedoch bitten, falls Sie
- Würste daraus machen sollten, mir ein paar von der Sorte zu schicken,
- die Ihre Gapka so kunstvoll aus Blut und Schmalz zuzubereiten versteht.
- Meine Agrafjena Trifonowna mag sie so gern.«
- »Mit Vergnügen; ein paar Würste will ich Ihnen gern schicken.«
- »Sie werden mich sehr zu Danke verpflichten, verehrter Freund und
- Gönner. Jetzt gestatten Sie mir jedoch, Ihnen noch ein Wort zu sagen.
- Ich habe von allen unseren Bekannten und vom Richter den Auftrag, Sie
- sozusagen mit Ihrem Freunde Iwan Nikiforowitsch zu versöhnen.«
- »Was, mit diesem ungebildeten Menschen! Ich soll mich mit diesem Grobian
- versöhnen! Niemals! Das wird nie geschehen! Das wird nie geschehen!«
- Iwan Iwanowitsch befand sich in einer sehr entschlossenen Stimmung.
- »Wie Sie wünschen,« antwortete der Polizeimeister, und regalierte jedes
- Nasenloch mit einer Prise, »ich wage nicht, Ihnen einen Rat zu geben,
- aber erlauben Sie mir, zu bemerken: jetzt sind Sie verfeindet, aber wenn
- Sie sich versöhnen ...«
- Allein Iwan Iwanowitsch begann von der Wachteljagd zu erzählen, was er
- gewöhnlich tat, wenn er das Gesprächsthema wechseln wollte. Und so mußte
- der Polizeimeister unverrichteter Sache abziehen.
- Sechstes Kapitel.
- Aus welchem der Leser alles erfahren kann, was es enthält.
- Wie sehr man auch im Gericht die Tatsache geheim zu halten suchte: es
- half nichts, am nächsten Tag schon wußte ganz Mirgorod, daß Iwan
- Iwanowitschs Schwein Iwan Nikiforowitschs Eingabe gestohlen hatte. Der
- Polizeimeister selbst war der erste, dem das Geheimnis in einem
- unbewachten Augenblicke entschlüpfte. Als man es Iwan Nikiforowitsch
- erzählte, sagte er weiter nichts als: »war es vielleicht das braune?«
- Aber Agafja Fedossiewna, die gerade anwesend war, fiel über Iwan
- Nikiforowitsch her. »Was fällt dir ein, Iwan Nikiforowitsch? Wie wird
- man dich auslachen! Wie wird man sich über deine Dummheit lustig machen,
- wenn du dazu schweigst! Und du willst ein Edelmann sein! Du wärst ja
- schlimmer als das alte Weib, welche die Honigkuchen verkauft, die du so
- gern ißt!« Und die Unermüdliche ließ nicht eher nach, als bis sie ihn
- überredet hatte. Sie trieb irgendwo einen Menschen in mittleren Jahren
- auf: einen brünetten Herrn, voller Flecken im Gesicht, in einem
- dunkelblauen Rock und mit geflickten Ärmeln -- einen rechten Tintenkuli
- und Winkelkonsulenten. Dieser Mensch schmierte seine Stiefeln mit Teer,
- hatte immer drei Federn hinterm Ohr und trug eine mit einem Schnürchen
- befestigte Glasblase am Knopfe, welche er als Tintenfaß benutzte. Er aß
- neun Pasteten auf einen Sitz und steckte die zehnte ein, dabei war er
- imstande, so viel Verleumdungen auf einen Stempelbogen zu schreiben, daß
- kein Schreiber es fertig brachte, sie in einem Zug herunter zu lesen,
- ohne dazwischen mehrmals zu husten und zu niesen. Dieses kleine,
- menschenähnliche Wesen wühlte überall herum, strengte sich aus
- Leibeskräften an, und braute endlich folgendes Schriftstück zusammen:
- »An das Kreisgericht zu Mirgorod von dem Edelmann Iwan, Nikiforows Sohn,
- Dowgotschun.«
- »Betreffend der von mir, dem Edelmann Iwan Nikiforows Sohn, Dowgotschun,
- eingereichten Eingabe gegen den Edelmann Iwan Iwans Sohn, Pererepenko,
- welche das Kreisgericht zu Mirgorod anzunehmen sich bereit erklärt hat:
- Jenes freche, eigenmächtige Verfahren des braunen Schweins, ist trotz
- der Geheimhaltung zu fremder Leute Ohren gedrungen. Diese
- Unterlassungssünde aber und diese Nachsicht erfordert, als böswillig,
- und beabsichtigt, ein unverzügliches Eingreifen der Gerichte, denn jenes
- Schwein ist ein unvernünftiges Tier, und daher um so eher zum straflosen
- Raub von Dokumenten geeignet. Hieraus geht klar hervor, daß das oft
- genannte Schwein nicht anders als von dem Gegner, dem sogenannten Iwan,
- Iwans Sohn, Pererepenko, der schon häufig des Raubes, des Trachtens nach
- dem Leben anderer und der Gotteslästerung überführt wurde, dazu
- angestiftet worden ist. Aber das Gericht zu Mirgorod hat mit der ihm
- eigenen Parteilichkeit für seine Person sein geheimes Einverständnis zu
- erkennen gegeben, da ohne dieses Einverständnis jenes Schwein nicht zur
- Entwendung des Dokumentes zugelassen werden konnte, insbesondere da das
- Mirgoroder Kreisgericht mit Amtsdienern wohl versehen ist: hierfür
- genügt es als Beweis zu erwähnen, daß sich zu jeder Zeit ein Soldat im
- Empfangszimmer befindet, der, obwohl er ein schielendes Auge und eine
- etwas verkrüppelte Hand hat, durchaus dazu geeignet ist, ein Schwein mit
- einem Knittel zu schlagen und davonzujagen. Aus allem diesen geht die zu
- große Nachsicht des Gerichts von Mirgorod, sowie die unzweifelhafte,
- jüdische Teilung eines Vorteils auf Grund gemeinschaftlichen
- Übereinkommens hervor. Jener oben erwähnte Räuber und Edelmann, Iwan
- Iwans Sohn Pererepenko, hat, nachdem er sich dergestalt entehrt hat, im
- Vertrauen hierauf diese Affäre in Szene gesetzt. Daher bringe ich, der
- Edelmann Iwan Nikiforows Sohn Dowgotschun, dem Kreisgerichte zur
- Kenntnis, daß, falls jenem Schwein oder dem mit ihm in Einverständnis
- handelnden Edelmann Pererepenko die genannte Eingabe nicht abverlangt,
- und das Urteil nicht nach Recht und Gerechtigkeit zu meinem Gunsten
- gesprochen wird, ich, der Edelmann Iwan Nikiforows Sohn Dowgotschun,
- fest entschlossen bin, dem Appellationsgericht eine Klage wider jenes
- Gericht als wegen gesetzwidriger Beihilfe einzureichen, mit der in
- gebührender Form vorgebrachten Bitte um Desolvierung der Sache zur
- Revision.
- Der Edelmann des Mirgoroder Kreises Iwan Nikiforows Sohn Dowgotschun.«
- Dieses Schriftstück tat seine Wirkung. Der Richter gehörte, wie alle
- gutmütigen Menschen, zu der ängstlichen Brüderschaft. Er wandte sich an
- den Sekretär. Aber der Sekretär öffnete seine dicken Lippen, stieß nur
- ein »Hm« hervor, ... und sein Gesicht nahm jene gleichgültige,
- teuflisch-zweideutige Miene an, mit der etwa Satan eins seiner Opfer
- betrachtet, das ihm ins Garn ging und sich hilflos zu seinen Füßen
- windet. Es blieb nur noch ein Mittel übrig: die beiden Feinde zu
- versöhnen. Aber wie sollte man das anfangen, da bisher alle Versuche
- erfolglos geblieben waren. Man beschloß immerhin noch einen letzten
- Versuch zu machen, aber Iwan Iwanowitsch erklärte kurz und bündig: er
- wolle nicht, und wurde sogar ernstlich böse. Iwan Nikiforowitsch kehrte
- dem Vermittler statt einer Antwort den Rücken und sagte kein Wort. So
- ging denn der Prozeß mit der bekannten Geschwindigkeit, durch welche
- sich die Gerichte auszeichnen, vorwärts. Das Papier wurde abgestempelt,
- in die Listen eingetragen, numeriert, geheftet und unterschrieben, und
- dies alles geschah an ein und demselben Tage; dann wurde es endlich in
- den Schrank gelegt, und blieb ein, zwei, drei Jahre usw. liegen. Viele
- Bräute fanden Zeit, ihre Hochzeit zu feiern, in Mirgorod wurde eine neue
- Straße angelegt, der Richter verlor einen Backenzahn und zwei
- Schneidezähne, auf Iwan Iwanowitschs Hof liefen noch mehr Kinder herum
- als früher (Gott allein weiß, wo sie herkamen), Iwan Nikiforowitsch
- baute Iwan Iwanowitsch zum Trotz einen neuen Gänsestall, der sich
- freilich in einiger Entfernung von der Stelle befand, auf der der
- frühere gestanden hatte, ja er verbaute sich ganz gegen Iwan
- Iwanowitsch, so daß diese würdigen Männer sich fast nie mehr von
- Angesicht zu Angesicht sahen: die Prozeßakten aber lagen noch immer in
- schönster Ordnung im Schrank, der von den vielen Tintenklexen allmählich
- ganz marmoriert wurde.
- Unterdessen aber trat ein für ganz Mirgorod äußerst wichtiges Ereignis
- ein: der Polizeimeister gab eine Assemblee. Wo nehme ich Pinsel und
- Farben her, um die ganze Großartigkeit der Auffahrt, den Glanz und die
- Pracht des Festmahls zu schildern. Nehmen Sie eine Uhr, öffnen Sie sie
- und sehen Sie sich an, was darin vorgeht. Nicht wahr, das ist ein
- furchtbares Durcheinander? Und nun stellen Sie sich vor, daß ebenso
- viele, wenn nicht noch viel mehr Räder auf dem Hofe des Polizeimeisters
- nebeneinander standen. Was gab es da nicht für Wagen und Kutschen! Die
- einen hinten ganz breit und vorne schmal, die andern vorn breit und
- hinten schmal; die eine war eine leichte Kalesche und zugleich ein
- schwerer Lastwagen, die andere weder Kalesche noch Lastwagen, die eine
- glich einem gewaltigen Heuschober oder einer dicken Kaufmannsfrau, die
- andere einem flinken Juden oder einem Skelett, das sich noch nicht ganz
- aus seiner Haut gelöst hat. Die einen sahen im Profil geradezu aus wie
- eine Pfeife mit einem Pfeifenrohr, und andere ließen sich wieder
- überhaupt mit garnichts vergleichen, sondern waren ganz seltsame Gebilde
- von furchtbarer Häßlichkeit und außerordentlich phantastischen Formen.
- Über dieses Chaos von Rädern und Kutschböcken erhob sich eine besondere
- Art von Wagen; er hatte ein riesengroßes Fenster, das von einem dicken
- Querholz durchkreuzt war. Die Kutscher in Kosakenröcken, grauen
- Bauernkitteln und -Jacken, mit den verschiedensten Schaffell- und andern
- Mützen führten, mit der Pfeife im Munde, ihre ausgespannten Pferde im
- Hofe herum. Nein, was war das für eine herrliche Assemblee, die der
- Polizeimeister gab! Gestatten Sie, daß ich Ihnen die Namen aller
- Anwesenden aufzähle: Taraß Tarassowitsch, Jewil Akinfowitsch, Ewtichij
- Ewtichijewitsch, Iwan Iwanowitsch (nicht der bekannte Iwan Iwanowitsch,
- sondern ein anderer), Sawa Gawrilowitsch, unser Iwan Iwanowitsch,
- Eleutherij Eleutheriewitsch, Makar Nazarjewitsch, Thomas Grigorjewitsch
- ... nein, ich kann nicht weiter, ich habe keine Kraft mehr. Und wieviel
- Damen da waren! -- brünette und weißwangige, lange und kurze, so dicke
- wie Iwan Nikiforowitsch und so magere, daß man meinte, sie in die
- Degenscheide des Polizeimeisters stecken zu können. Und wieviel
- verschiedene Hauben, wie viele Kleider es da gab! rote, gelbe,
- kaffeebraune, grüne, blaue, neue, gewendete, umgearbeitete -- und dann
- diese Bänder, Tücher, Ridicules! Ade, ihr armen Augen! Nach diesem
- Schauspiel werdet ihr zu nichts mehr fähig sein. Und welch lange Tafel
- da gedeckt war! Wie alles durcheinander schwatzte! Welch ein Lärm sich
- überall erhob! Was ist eine Mühle mit all ihren Mühlsteinen, Rädern und
- ihrem Stampfwerk dagegen! Ich kann nicht mit Bestimmtheit sagen, wovon
- man sprach, aber man darf annehmen, daß von vielen angenehmen und
- nützlichen Dingen die Rede war: vom Wetter, von Hunden, von Weizen,
- Hauben, Hengsten u. s. w. Endlich, sagte Iwan Iwanowitsch -- nicht unser
- Iwan Iwanowitsch, sondern der andere, der mit dem schielenden Auge: »Es
- wundert mich sehr, daß mein rechtes Auge (der schielende Iwan
- Iwanowitsch ironisierte sich immer selbst), Iwan Nikiforowitsch, Herrn
- Dowgotschchun nicht sieht.«
- »Er wollte nicht kommen,« sagte der Polizeimeister.
- »Warum denn nicht?«
- »Herrgott, es sind schon bald zwei Jahre, daß sich Iwan Iwanowitsch und
- Iwan Nikiforowitsch entzweit haben, und wo der eine ist, geht der andere
- auf keinen Fall hin.«
- »Was Sie sagen!« Hierbei erhob der schielende Iwan Iwanowitsch seinen
- Blick gen Himmel und faltete die Hände: »Was soll nur werden, wenn auch
- die Leute mit gesunden Augen sich nicht mehr vertragen wollen. Wie soll
- ich mit meinem schielenden Auge in Frieden leben!« Bei diesen Worten
- lachten alle aus vollem Halse. Der schielende Iwan Iwanowitsch war sehr
- beliebt, weil er immer Witze machte, die dem damaligen Zeitgeschmack
- angepaßt waren. Sogar der große dürre Herr im Friesrock und mit dem
- Pflaster auf der Nase, der bisher unbeweglich in der Ecke gesessen und
- keine Miene verzogen hatte -- auch da nicht, als ihm eine Fliege in die
- Nase flog -- sogar dieser Herr stand jetzt auf, und näherte sich dem
- Kreise, der sich um den schielenden Iwan Iwanowitsch gebildet hatte.
- »Hören Sie,« sagte der schielende Iwan Iwanowitsch, als er sah, daß der
- Kreis um ihn herum genügend groß war, »hören Sie, statt daß Sie sich
- jetzt an meinem schielenden Auge ergötzen, wollen wir doch lieber unsere
- beiden Freunde versöhnen! Iwan Iwanowitsch unterhält sich gerade mit den
- Frauensleuten ... wollen wir doch heimlich nach Iwan Nikiforowitsch
- schicken und die beiden zusammenführen?«
- Der Vorschlag Iwan Iwanowitschs wurde einstimmig angenommen; man
- beschloß, sofort nach Iwan Nikiforowitsch zu schicken und ihn zum
- Polizeimeister zu Tisch zu bitten, es koste, was es wolle. Aber vorher
- gab es noch eine wichtige Frage zu lösen: wen sollte man mit diesem
- verantwortungsvollen Auftrag betrauen? Das brachte alle in Verlegenheit.
- Lange wurde hin und her gestritten, wer wohl für derartige diplomatische
- Missionen am geeignetsten sei: endlich aber wurde einstimmig
- beschlossen, Anton Prokofjewitsch Golopuß zu diesem Zwecke zu entsenden.
- Doch ich muß den Leser zuvor mit dieser außerordentlichen Persönlichkeit
- bekannt machen. Anton Prokofjewitsch war ein vollkommen tugendhafter
- Mensch in des Wortes höchster Bedeutung. Schenkte ihm einer der
- Mirgoroder Honoratioren ein Halstuch oder ein Paar Unterhosen, so
- bedankte er sich; gab ihm jemand einen Nasenstüber, so bedankte er sich
- gleichfalls. Fragte man ihn: »Anton Prokofjewitsch, warum haben Sie
- einen braunen Rock mit hellblauen Ärmeln an?« so antwortete er
- gewöhnlich: »Sie haben ja nicht einmal einen solchen! Warten Sie, wenn
- er etwas abgetragen ist, wird sich schon alles ausgleichen.« Und
- tatsächlich: mit der Zeit begann das hellblaue Tuch unter dem Einfluß
- der Sonne braun zu werden, und jetzt paßt es schon ganz gut zu der Farbe
- des Rocks. Was aber am bemerkenswertesten war, war dies, daß Anton
- Prokofjewitsch die Angewohnheit hatte, im Sommer Tuch- und im Winter
- Nankinganzüge zu tragen. Anton Prokofjewitsch besitzt kein eigenes Haus.
- Einst besaß er eins am Ende der Stadt, aber er verkaufte es, erstand
- sich für den Erlös drei braune Pferde und einen kleinen Wagen, und fuhr
- von einem Gutsbesitzer zum andern zu Besuch. Aber da die Pferde ihm doch
- viel Umstände machten, und er in einem fort Geld für Hafer brauchte, so
- tauschte Anton Prokofjewitsch sie gegen eine Geige, ein Dienstmädchen
- und fünfundzwanzig Rubel ein. Die Geige verkaufte er später wieder, und
- das Mädchen tauschte er gegen einen Saffiantabaksbeutel ein -- aber
- dafür hat er jetzt auch einen Tabaksbeutel wie kein zweiter. Allerdings
- mußte er diesen Genuß teuer erkaufen: er kann nun nicht mehr von einem
- Dorf ins andere fahren, er muß in der Stadt bleiben und in den
- verschiedensten Häusern, gewöhnlich bei Edelleuten, übernachten, denen
- es Spaß macht, ihm Nasenstüber zu geben. Anton Prokofjewitsch liebt es,
- gut zu essen, und spielt recht gut Schafskopf oder auch Mühle. Es war
- immer seine Art, sich unterzuordnen, und darum ergriff er auch jetzt
- Stock und Mütze, und machte sich ohne weiteres auf den Weg.
- Unterwegs überlegte er sichs, wie er Iwan Nikiforowitsch bewegen könnte,
- die Assemblee zu besuchen. Die schroffe Art des sonst gewiß würdigen
- Mannes, machte sein Unternehmen fast zu einer Unmöglichkeit. Wie sollte
- sich auch Iwan Nikiforowitsch dazu entschließen, da ihm doch schon das
- bloße Aufstehen soviel Mühe machte? Aber angenommen selbst, daß er
- aufstünde, wie sollte er dahin gehen wollen, wo -- und das wußte er
- zweifellos -- wo sein unversöhnlicher Feind sich befand? Je länger Anton
- Prokofjewitsch darüber nachdachte, um so mehr Hindernisse türmten sich
- auf. Es war ein schwüler Tag, die Sonne brannte vom Himmel herab, Anton
- Prokofjewitsch war wie in Schweiß gebadet. Obschon er oft Nasenstüber
- bekam, war er in mancherlei Hinsicht ein gewiegter Mensch (nur beim
- Tauschen hatte er manchmal Unglück). Er wußte sehr gut, wann man den
- Narren spielen mußte, und fand sich mitunter in Situationen und
- Verhältnissen zurecht, in denen selbst ein Kluger sich keinen Rat gewußt
- hätte.
- Während sein erfinderischer Geist nach Mitteln und Wegen suchte, Iwan
- Nikiforowitsch zu überreden, gelangte Anton Prokofjewitsch allmählich
- bis ans Haus und wollte schon mutig der Entscheidung entgegengehen, als
- ihn ein ganz unvorhergesehener Umstand ein wenig in Verlegenheit
- brachte. Hier ist es übrigens am Platz, dem Leser die Mitteilung zu
- machen, daß Anton Prokofjewitsch unter anderm auch ein Paar recht
- merkwürdige Hosen besaß; sobald er dieses Paar trug, bissen ihn die
- Hunde immer in die Waden. Unglücklicherweise mußte er gerade heute diese
- Hosen anhaben. Er war noch ganz in Gedanken vertieft, als ihn plötzlich
- ein fürchterliches Hundegebell aufschreckte, das von allen Seiten an
- sein Ohr schlug. Anton Prokofjewitsch begann so zu schreien, (lauter als
- er kann man überhaupt garnicht schreien), daß nicht nur das bekannte
- alte Weib und der Besitzer des unförmlichen Rocks ihm entgegenliefen,
- sondern auch die Jungens aus Iwan Iwanowitschs Hause hinzugerannt kamen.
- Und obgleich die Hunde nur Zeit gehabt hatten, nach einem seiner Beine
- zu schnappen, setzte doch dies Anton Prokofjewitschs Mut beträchtlich
- herab, und so trat er denn mit einer gewissen Befangenheit in den Flur.
- Siebentes und letztes Kapitel.
- »Ah guten Tag, warum necken Sie denn meine Hunde?« rief Iwan
- Nikiforowitsch, als er Anton Prokofjewitsch erblickte, denn man sprach
- allgemein nicht anders, als in scherzendem Tone mit ihm.
- »Mögen sie alle verrecken! Wer denkt daran, sie zu necken!« versetzte
- Anton Prokofjewitsch.
- »Sie schwindeln!«
- »Bei Gott nicht! Peter Fedorowitsch läßt Sie zu Tisch bitten.«
- »Hm.«
- »Bei Gott, er bittet Sie so dringend darum; ich kann es wirklich gar
- nicht ausdrücken. >Was soll das heißen<, sagt er, >Iwan Nikiforowitsch
- geht mir ja aus dem Wege, wie einem Feinde. Er kommt nicht mehr zu mir;
- man sitzt nie mehr zusammen, und plaudert nicht mehr miteinander<.«
- Iwan Nikiforowitsch strich sich über das Kinn.
- »>Wenn Iwan Nikiforowitsch heute wieder nicht kommt, dann weiß ich
- wirklich nicht, was ich davon halten soll. Sicher führt er etwas gegen
- mich im Schilde. Anton Prokofjewitsch, tun Sie mir doch den Gefallen,
- sehen Sie zu, ob Sie ihn nicht überreden können.< Nun, was meinen Sie
- Iwan Nikiforowitsch? Kommen Sie mit? Sie finden dort eine reizende
- Gesellschaft beisammen!«
- Aber Iwan Nikiforowitsch lag ruhig da und betrachtete einen Hahn, der
- auf einem Fuße stand und aus voller Kehle krähte.
- »Wenn Sie wüßten Iwan Nikiforowitsch,« fuhr der eifrige Abgeordnete
- fort, »was Peter Fedorowitsch für einen herrlichen Stör und für einen
- frischen Kaviar bekommen hat!«
- Hier wandte ihm Iwan Nikiforowitsch das Gesicht zu und begann
- aufmerksamer zuzuhören.
- Dies ermutigte den Abgesandten. »Kommen Sie schnell. Thomas
- Grigorjewitsch ist auch da. Was ist denn nur?« fügte er hinzu, als er
- sah, daß Iwan Nikiforowitsch noch immer in der gleichen Stellung liegen
- blieb, »gehen wir -- oder gehen wir nicht?«
- »Ich mag nicht.«
- Anton Prokofjewitsch war durch dieses »Ich mag nicht« ganz verblüfft. Er
- hatte geglaubt, daß seine überzeugenden Vorstellungen den so würdigen
- Mann schon völlig gewonnen hatten: und nun mußte er ein glattes Nein
- vernehmen.
- »Warum wollen Sie denn nicht,« fragte er fast verdrießlich, obgleich ihm
- so etwas nur ganz selten passierte, (nicht einmal dann, wenn man ihn,
- wie das der Richter und der Polizeimeister zu ihrem Vergnügen zu tun
- pflegten, ein Stück brennendes Papier auf den Kopf legte).
- Iwan Nikiforowitsch nahm eine Prise.
- »Nun denn, machen Sie was Sie wollen, Iwan Nikiforowitsch, obgleich ich
- nicht verstehe, was Sie zurückhält.«
- »Wozu soll ich hingehen,« sagte endlich Iwan Nikiforowitsch, »der Räuber
- ist ja doch da.« So nannte er gewöhnlich Iwan Iwanowitsch. Gerechter
- Gott! und wie lange war es her ...
- »Bei Gott, er ist nicht da! So gewiß ein gerechter Gott im Himmel lebt,
- er ist nicht da! Mich soll auf der Stelle der Blitz treffen!« antwortete
- Anton Prokofjewitsch, der gewöhnt war, Gott in jeder Stunde zehnmal
- anzurufen. »Kommen Sie schnell, Iwan Nikiforowitsch.«
- »Sie schwindeln ja, Anton Prokofjewitsch, er ist sicher da!«
- »Bei Gott nein, so wahr mir Gott helfe, nein! Ich will nie von dieser
- Stelle weichen, wenn er da ist! Urteilen Sie selbst, warum sollte ich
- lügen? Hände und Füße sollen mir verdorren ... Wie, Sie glauben mir noch
- immer nicht? Ich will hier vor Ihren Augen verrecken! Mein Vater, und
- meine Mutter und ich selbst, wir mögen alle um unsere Seligkeit kommen,
- wenn es nicht wahr ist! Glauben Sie mir noch immer nicht?«
- Diese Beteuerungen beruhigten Iwan Nikiforowitsch vollkommen. Er befahl
- seinem Kammerdiener in dem endlosen Frack, ihm seine Hosen und seinen
- Nankingrock zu bringen.
- Ich halte es für ganz überflüssig zu beschreiben, wie Iwan
- Nikiforowitsch seine Hosen anzog, wie man ihm die Halsbinde umwickelte
- und wie man ihm endlich in den Rock hineinhalf, der hierbei unter dem
- linken Ärmel platzte. Es genügt, wenn ich sage, daß er während dieser
- ganzen Zeit eine würdige Ruhe bewahrte und mit keinem Wort auf die
- Vorschläge Anton Prokofjewitschs einging, der ihm durchaus seinen
- türkischen Tabaksbeutel gegen etwas andres eintauschen wollte.
- Unterdessen wartete die ganze Gesellschaft mit Ungeduld auf den
- entscheidenden Moment, wo Iwan Nikiforowitsch erscheinen, und wo endlich
- der allgemeine Wunsch in Erfüllung gehen würde, die beiden Ehrenmänner
- zu versöhnen. Viele waren nahezu überzeugt, daß Iwan Nikiforowitsch
- garnicht kommen würde. Der Polizeimeister wollte sogar mit dem
- schielenden Iwan Iwanowitsch eine Wette eingehen, daß er nicht kommen
- würde. Die Wette kam jedoch nicht zustande, weil der schielende Iwan
- Iwanowitsch vorschlug, der Polizeimeister solle sein angeschossenes Bein
- gegen sein schielendes Auge einsetzen; -- der Polizeimeister fühlte sich
- ernstlich verletzt, aber die ganze Gesellschaft lachte im geheimen über
- diesen Scherz. Niemand wollte sich zu Tisch setzen, obwohl es schon
- längst zwei Uhr war, eine Zeit, zu der man in Mirgorod auch bei den
- feinsten Diners längst zu Mittag speist. Sowie Anton Prokofjewitsch in
- der Tür erschien, umringte ihn die ganze Gesellschaft augenblicklich,
- aber Anton Prokofjewitsch hatte auf die zahlreichen Fragen nur ein
- entschiedenes und lautes: »Er kommt nicht!« Kaum war das Wort gefallen,
- als ein Hagelwetter von Scheltworten, Vorwürfen und vielleicht sogar
- Püffen seinen Kopf für die verfehlte Mission bedrohte, doch da tat sich
- die Türe auf, und Iwan Nikiforowitsch trat herein.
- Wenn in diesem Augenblick Satan in höchsteigener Person, oder irgend ein
- Verstorbener eingetreten wäre -- sie hätten bei den Anwesenden kein
- solches Erstaunen erregt, wie das unerwartete Erscheinen Iwan
- Nikiforowitschs. Anton Prokofjewitsch aber hielt sich die Seiten vor
- Lachen und freute sich unbändig, daß er die ganze Gesellschaft so zum
- Narren gehalten hatte.
- Wie dem auch sei, alle hielten es für völlig unwahrscheinlich, daß Iwan
- Nikiforowitsch sich in so kurzer Zeit hatte ankleiden können, wie es
- sich für einen Edelmann ziemt. Iwan Iwanowitsch war in diesem Moment
- gerade nicht im Zimmer, er war aus irgend einem Grunde eben
- hinausgegangen. Als man sich vom ersten Erstaunen erholt hatte, äußerte
- die ganze Gesellschaft ihren lebhaften Anteil an dem Wohlbefinden Iwan
- Nikiforowitschs, und alle sprachen ihre Freude über die Zunahme seiner
- Körperfülle aus. Iwan Nikiforowitsch küßte alle Anwesenden und sagte:
- »Sehr verbunden«.
- Unterdessen aber drang der Duft der Rübensuppe in das Zimmer und
- kitzelte in angenehmster Weise die Nasen der hungrigen Gäste. Alle
- gingen ins Eßzimmer. Eine lange Reihe von stillen und gesprächigen,
- dicken und dünnen Damen zog voran, und die lange Tafel erstrahlte in
- allen Farben. Ich werde nicht alle Speisen beschreiben, die aufgetragen
- wurden, werde nichts über die Knödel in saurer Sahne und das Gekröse,
- das es zur Rübensuppe gab, sagen, auch nicht von dem Truthahn mit der
- Pflaumen- und Rosinenfüllung, noch von der Speise, die einem in Kwas[4]
- eingeweichten Paar Stiefeln gleicht, noch von der Sauce, dem
- Schwanenliede des alten Kochs, noch vom Pudding, der brennend serviert
- wurde, was die Damen immer sehr ängstigt und zugleich unterhält. Ich
- werde nicht von diesen Speisen sprechen, denn ich muß gestehn, daß ich
- sie viel lieber verzehre als mich des weiteren über sie auslasse.
- [Fußnote 4: Eine Art kalte Schale.]
- Iwan Iwanowitsch hatte besonders einem mit Meerrettich zubereiteten
- Fisch Geschmack abgewonnen. Er beschäftigte sich eifrig mit dieser
- nützlichen und nahrhaften Veranstaltung, löste die allerkleinsten Gräten
- heraus und legte sie auf den Rand des Tellers. Dabei blickte er zufällig
- auf sein Visavis. Himmlischer Vater, war das merkwürdig! Ihm gegenüber
- saß Iwan Nikiforowitsch.
- In demselben Augenblick sah auch Iwan Nikiforowitsch auf .... Nein --
- ich kann nicht weiter! Man reiche mir eine andere Feder, nein -- die
- meine ist viel zu matt und tot. Für dieses Bild bedürfte sie eines weit
- feineren Kieles! Der Ausdruck großer Verwunderung, die sich in ihren
- Gesichtern spiegelte, gab ihren Zügen etwas Steinernes. Jeder von ihnen
- erblickte das längst vertraute Gesicht, jeder von ihnen war dem Anschein
- nach unwillkürlich bereit, zum Freunde, der so unerwartet vor ihm saß,
- hinzutreten und ihm die Tabaksdose mit den Worten hinzuhalten: »Bitte,
- bedienen Sie sich« oder »Darf ich Sie bitten, sich zu bedienen!«
- Zugleich aber hatten die Gesichter etwas Furchtbares und
- Unheilverkündendes. Iwan Iwanowitsch und Iwan Nikiforowitsch waren wie
- in Schweiß gebadet.
- Alle Anwesenden, soviel ihrer bei Tische waren, verstummten vor Spannung
- und konnten die Augen nicht von den einstigen Freunden wegwenden. Die
- Damen, die bis dahin in ein sehr interessantes Gespräch über die
- Entstehung der Kapaunen vertieft waren, brachen plötzlich ab. Alles
- schwieg. Es war ein Bild, würdig des Pinsels eines großen Künstlers.
- Endlich zog Iwan Iwanowitsch sein Taschentuch hervor und begann sich zu
- schneuzen. Iwan Nikiforowitsch aber sah sich um und suchte mit den Augen
- nach dem Ausgang.
- Aber der Polizeimeister hatte schon bemerkt, was mit ihnen vorging, und
- ließ die Türe noch fester verschließen. Die beiden Freunde wandten sich
- daher wieder ihren Speisen zu und würdigten einander keines Blickes
- mehr.
- Sowie jedoch das Diner zu Ende war, sprangen die beiden alten Freunde
- von ihren Sitzen auf und sahen sich nach ihren Mützen um, um sich
- schleunigst davonzumachen. Da jedoch winkte der Polizeimeister, und Iwan
- Iwanowitsch (nicht unser Iwan Iwanowitsch, sondern der andere, mit dem
- schielenden Auge) stellte sich hinter Iwan Nikiforowitsch, während der
- Polizeimeister hinter Iwan Iwanowitsch trat. Beide begannen, sie von
- hinten zu stoßen, um sie gegeneinander zu drängen und nicht eher
- loszulassen, als bis sie sich die Hände gereicht hätten. Iwan
- Iwanowitsch (mit dem schielenden Auge) schob Iwan Nikiforowitsch, wenn
- auch ein wenig schief, doch immerhin ganz geschickt nach der Stelle, wo
- Iwan Iwanowitsch stand; der Polizeimeister dagegen nahm die Richtung
- etwas zu sehr nach der Seite, da er mit seinen störrischen
- Gehwerkzeugen, die ihrem Kommandanten diesmal garnicht parierten,
- durchaus nicht zurechtkommen konnte. Wie zum Trotz schwenkte er das Bein
- gar zu weit zurück und nach der entgegengesetzten Richtung (das kam
- möglicherweise daher, weil bei Tisch sehr viel verschiedene Getränke
- gereicht worden waren) -- jedenfalls fiel Iwan Iwanowitsch auf eine Dame
- in einem roten Kleide, die sich aus Neugierde bis in die Mitte gedrängt
- hatte. Dieses Omen ließ nichts Gutes vermuten. Um die Sache wieder
- einzurenken, trat der Richter an die Stelle des Polizeimeisters, sog mit
- der Nase allen Tabak von der Oberlippe auf und drängte Iwan Iwanowitsch
- nach der andern Seite. Das ist die in Mirgorod übliche Art der
- Versöhnung, sie erinnert entfernt an das Ballspiel. Kaum aber hatte der
- Richter Iwan Iwanowitsch einen Stoß gegeben, als auch Iwan Iwanowitsch
- mit dem schielenden Auge sich aus allen Kräften gegen Iwan
- Nikiforowitsch stemmte und ihn vorwärts stieß. Der Schweiß floß Iwan
- Iwanowitsch von der Stirne herab wie das Regenwasser von einem Dach.
- Aber trotzdem beide Freunde sich heftig sträubten, wurden sie doch
- aneinandergedrängt, da beide Parteien von den Gästen tüchtig unterstützt
- wurden.
- Man umringte sie von allen Seiten und ließ sie nicht früher auseinander,
- als bis sie sich die Hände gereicht hatten.
- »Gott mit Ihnen Iwan Nikiforowitsch, und Iwan Iwanowitsch, sagen Sie
- doch ehrlich: warum haben Sie sich entzweit! Es war doch nur ein Unsinn!
- Schämen Sie sich doch vor Gott und vor den Menschen!«
- »Ich weiß nicht,« sagte Iwan Nikiforowitsch, der vor Müdigkeit laut
- schnaufte, (kein Zweifel, er war durchaus nicht abgeneigt, sich zu
- versöhnen) »ich weiß nicht, was ich Iwan Iwanowitsch getan habe. Aber
- warum hat er meinen Stall zerstört? Warum wollte er mich zugrunde
- richten?«
- »Ich bin mir keiner bösen Absicht bewußt,« sagte Iwan Iwanowitsch, ohne
- Iwan Nikiforowitsch anzusehen, »ich schwöre vor Gott und vor Ihnen
- allen, verehrte Freunde und Edelleute, ich habe meinem Feinde nichts
- getan! Warum verleumdet er mich, warum beschimpft er immer wieder meinen
- Rang und meinen Namen?«
- »Was habe ich Ihnen denn für einen Schaden zugefügt, Iwan Iwanowitsch?«
- sagte Iwan Nikiforowitsch. Noch einen Augenblick der Aussprache -- und
- die lange Feindschaft war dicht daran, ganz zu verlöschen. Schon griff
- Iwan Nikiforowitsch in die Tasche, um seine Tabaksdose hervorzuholen und
- zu sagen: »Bitte bedienen Sie sich.«
- »Ist das vielleicht kein Schaden,« antwortete Iwan Iwanowitsch, ohne die
- Augen zu erheben, »wenn Sie, geehrter Herr, mich, meinen Rang und meine
- Familie durch ein Wort beschimpft haben, das hier zu wiederholen, nicht
- anständig wäre!«
- »Iwan Iwanowitsch, erlauben Sie mir, Ihnen in aller Freundschaft zu
- sagen:« (hierbei packte Iwan Nikiforowitsch Iwan Iwanowitsch beim Knopf,
- ein Zeichen seiner innigsten Sympathie) »der Teufel weiß, weswegen Sie
- sich beleidigt gefühlt haben: weil ich Sie einen »Gänserich« genannt
- habe!«
- Iwan Nikiforowitsch sah sofort ein, was für eine Unvorsichtigkeit er
- begangen hatte, als er dies Wort aussprach -- aber es war schon zu spät,
- das Wort war heraus. Jetzt ging alles zum Teufel! War doch Iwan
- Iwanowitsch schon damals, unter vier Augen und ohne Zeugen, bei Nennung
- dieses Wortes ganz außer sich und in eine Wut geraten, die ich, weiß
- Gott, keinem Menschen wünschen möchte; urteilen Sie also selbst, meine
- verehrten Leser, was sollte nun geschehen, jetzt, wo das tödliche Wort
- in Gesellschaft, in Gegenwart vieler Damen gefallen war -- denn da
- liebte es Iwan Iwanowitsch besonders, seine noble Lebensart zu zeigen.
- Wäre Iwan Nikiforowitsch etwas anderes eingefallen, hätte er _Vogel_
- statt _Gänserich_ gesagt, die Sache hätte sich noch einrenken lassen,
- aber so .... war natürlich alles vorüber!
- Iwan Iwanowitsch warf Iwan Nikiforowitsch einen Blick zu -- einen Blick!
- Hätte dieser Blick ausübende Gewalt gehabt, Iwan Nikiforowitsch wäre zu
- Staub und Asche verbrannt worden. Die Gäste verstanden diesen Blick und
- bemühten sich, sie zu trennen. Und dieser Mann, das Muster aller
- Freundlichkeit, der keinen Bettler vorübergehen lassen konnte, ohne ihn
- anzusprechen und auszufragen, dieser Mann lief in maßloser Wut davon. So
- mächtig sind die Stürme der Leidenschaft!
- Einen ganzen Monat hörte man nichts von Iwan Iwanowitsch. Er schloß sich
- in seinem Hause ein. Der vorsintflutliche Kasten wurde geöffnet, und es
- wurden alle möglichen Dinge aus ihm hervorgeholt -- ja was denn?
- Silberrubel, alte vom Großvater ererbte Silberrubel. Und diese
- Silberrubel wanderten in die schmutzigen Hände von Tintenklexern
- hinüber. Die Sache ging an den Appellationshof weiter, und erst als Iwan
- Iwanowitsch die freudige Nachricht erhielt, daß seine Sache morgen
- entschieden sein würde, erst da entschloß er sich endlich, wieder einen
- Blick in die Welt zu tun und etwas auszugehen. Oh, weh! Seit jenem Tage
- benachrichtigt ihn das Appellationsgericht täglich im Laufe von zehn
- Jahren, daß die Entscheidung morgen fallen werde.
- * * * * *
- Vor fünf Jahren kam ich einmal durch Mirgorod. Ich hatte mir eine
- ungünstige Zeit zum Reisen ausgesucht. Es war Herbst, das Wetter war
- feucht und trübe, überall lag Schmutz und Nebel. Ein unnatürliches Grün
- -- die Folge des trübseligen, ununterbrochenen Regens -- bedeckte wie
- ein dünnes Netz die Felder und Wiesen, und das stand ihnen so an, wie
- einem Greise Torheiten, oder einer alten Frau Rosen anstehen. Meine
- Stimmung war damals sehr vom Wetter abhängig: ich wurde stets traurig,
- sowie das Wetter schlecht war. Nichtsdestoweniger fühlte ich mein Herz
- heftiger schlagen, als ich mich Mirgorod näherte. Herrgott, wieviel
- Erinnerungen drängten sich mir auf! Ich hatte Mirgorod zwölf Jahre lang
- nicht gesehen. Damals lebten hier zwei einzigartige Freunde in rührender
- Liebe vereinigt. Und wie viele berühmte Männer waren seitdem gestorben!
- Der Richter Demian Demianowitsch war schon tot, auch Iwan Iwanowitsch
- mit dem schielenden Auge hatte das Zeitliche gesegnet. Ich fuhr durch
- die Hauptstraße. Überall ragten Stangen mit aufgehefteten Strohbündeln
- empor; offenbar fand gerade eine neue Planierung statt. Einige von den
- Hütten waren abgetragen, und die Reste von Zäunen und Flechtwerk standen
- ganz melancholisch da.
- Es war ein Feiertag, ich ließ meinen mit Matten gedeckten Wagen vor der
- Kirche halten und trat so leise ein, daß niemand sich umsah. Freilich,
- es war ja auch niemand da, der sich hätte umsehen können. Die Kirche war
- fast leer, es war kaum ein Mensch darin: augenscheinlich fürchteten sich
- auch die Allerfrömmsten vor dem Straßenschmutz. Die Kerzen machten bei
- dem trüben oder besser kränklichen Tageslicht einen fast beängstigenden
- Eindruck; die Hallen waren düster, und die runden Scheiben der
- länglichen Kirchenfenster waren feucht von Regentränen. Ich trat in die
- Vorhalle und wandte mich an einen ehrwürdigen Mann mit grauen Haaren.
- »Gestatten Sie mir die Frage, lebt Iwan Nikiforowitsch noch?« In diesem
- Augenblick flackerte das Lämpchen vor dem Gottesbild heller auf, und das
- Licht fiel gerade auf das Gesicht meines Nachbars. Wie sehr erstaunte
- ich, als ich bei näherem Hinsehen bekannte Züge entdeckte. Das war Iwan
- Nikiforowitsch in eigener Person, aber wie hatte er sich verändert!
- »Sind Sie gesund Iwan Nikiforowitsch? Wie alt Sie geworden sind!«
- »Ja, ich bin alt geworden,« antwortete Iwan Nikiforowitsch. »Ich bin
- heute aus Poltawa gekommen.«
- »Was Sie sagen! Bei dem schlechten Wetter sind Sie nach Poltawa
- gefahren?«
- »Was soll man machen -- der Prozeß!«
- Unwillkürlich seufzte ich.
- Iwan Nikiforowitsch hatte meinen Seufzer gehört und sagte: »Beunruhigen
- Sie sich nicht; ich habe die bestimmte Nachricht erhalten, daß die Sache
- in der nächsten Woche entschieden sein wird, und zwar zu meinen
- Gunsten.«
- Ich zuckte die Achseln und ging, um mich nach Iwan Iwanowitsch zu
- erkundigen.
- »Iwan Iwanowitsch ist hier, er ist oben auf dem Chor,« sagte mir jemand.
- Ich erblickte eine magere Gestalt. War das wirklich Iwan Iwanowitsch?
- Sein Gesicht war mit Runzeln bedeckt, die Haare waren schneeweiß, und
- nur die Pekesche hatte sich nicht verändert. Nach der ersten Begrüßung
- wandte sich Iwan Iwanowitsch mit dem heiteren Lächeln, das seinem
- trichterförmigen Gesicht so gut stand, zu mir hin und sagte: »Soll ich
- Ihnen eine frohe Neuigkeit mitteilen?«
- »Eine Neuigkeit?« fragte ich.
- »Morgen wird meine Sache entschieden; das Appellationsgericht hat es mir
- bestimmt versprochen!«
- Ich seufzte noch tiefer und beeilte mich mit dem Abschied, da ich in
- einer sehr wichtigen Angelegenheit reiste. Ich bestieg meinen Wagen. Die
- elenden Gäule, die in Mirgorod unter dem Namen Kurierpferde bekannt
- sind, zogen an und verursachten mit ihren, in der grauen Schmutzmasse
- einsinkenden Hufen ein unangenehmes Geräusch. Der Regen floß in Strömen
- auf den auf dem Bock sitzenden Juden herab, der sich durch eine Matte zu
- schützen suchte. Die Feuchtigkeit drang mir durch Mark und Bein. Der
- wehmütige Schlagbaum mit dem Wärterhäuschen, in dem der Invalide seine
- graue Uniform flickte, zog langsam an mir vorüber. Und wieder breitete
- sich das stellenweise aufgewühlte schwarze, hie und da grünlich
- schimmernde Feld vor mir aus: nasse Krähen und Raben, der monotone Regen
- und ein tränenfeuchter, trostlos grauer Himmel!
- Es ist eine traurige Welt, meine Herren!
- Novellen
- übersetzt von
- S. Bugow und Mario Spiro
- Die Equipage
- Das Städtchen B. sah viel fröhlicher aus, seitdem das ***er
- Kavallerieregiment in ihm Quartier genommen hatte, bis dahin war es dort
- entsetzlich langweilig gewesen. Wenn man einmal durch die Stadt fuhr und
- einen Blick auf die niedrigen, getünchten Häuschen warf, die mit einem
- ganz unglaublich sauren Gesicht dreinschauen, so ... nein es ist
- unmöglich auszudrücken, wie es einem da ums Herze wurde, -- so
- trübselig, als ob man sein ganzes Geld verspielt, oder bei einer
- unpassenden Gelegenheit eine große Dummheit gemacht hätte, -- mit einem
- Worte: es war einem gar nicht gut zumute. Der Lehm hatte sich infolge
- des Regens von den Häusern gelöst, und die Wände hatten ihre
- ursprüngliche Weiße verloren und waren ganz scheckig geworden; die
- Dächer sind meistens mit Rohr gedeckt, wie es in unseren südlichen
- Städten Brauch ist. Die kleinen Gärtchen, die die Häuser umgaben, waren
- längst verschwunden, da der Stadthauptmann die Bäume des besseren
- Aussehens wegen hatte fällen lassen. Auf den Straßen begegnete man
- keiner Seele, es sei denn, daß ein Hahn quer über den Fahrdamm ging, der
- infolge des hohen Staubes so weich wie ein Kissen war. Dieser Staub
- verwandelt sich beim geringsten Regen in Dreck, und dann fanden sich in
- den Straßen des Städtchens B. jene fetten Tiere ein, die von dem
- zuständigen Stadthauptmann »Franzosen« genannt wurden, streckten die
- ernsten Schnauzen aus ihren Badewannen und stimmten ein solches Grunzen
- an, daß dem Vorüberfahrenden nichts übrig blieb, als die Pferde zu
- schnellerem Laufe anzutreiben. Allerdings war es schwer, im Städtchen B.
- einem solchen zu begegnen. Nur selten, ganz selten, rasselte ein mit
- einem Nankingrock bekleideter Gutsbesitzer, der elf Bauernseelen sein
- eigen nannte, auf einem kleinen Wagen oder Wägelchen hindurch, indem er
- hinter den aufgestapelten Mehlsäcken hervorlugte und mit der Peitsche
- auf die braune Stute einhieb, der stets ein Füllen folgte. Der
- Marktplatz selbst hatte ein etwas trauriges Aussehen: das Haus des
- Schneiders ging törichterweise nicht mit der Fassade, sondern mit einer
- Ecke auf den Platz hinaus; ihm gegenüber wurde bald an die fünfzehn
- Jahre lang an einem steinernen Hause mit zwei Fenstern gebaut, und
- ferner sah man dort einen ganz für sich stehenden modernen Bretterzaun,
- der grau angestrichen war, damit er nicht so von dem Schmutze abstach.
- Diesen hatte der Stadthauptmann einmal in seiner Jugend, als er noch
- nicht die Gewohnheit hatte, gleich nach dem Mittagessen zu schlafen und
- zur Nacht ein gewisses, aus getrockneten Stachelbeeren bereitetes Gebräu
- zu trinken, zum Muster für die anderen Bauten errichten lassen. Sonst
- begegnete man überall nur geflochtenen Zäunen. Mitten auf dem Platze
- standen mehrere winzige Buden, in denen man immer einen Bund Bretzeln,
- ein Weib in einem roten Kopftuch, ein Pud Seife, ein paar Pud bittere
- Mandeln, Schrot zum Schießen, starkes baumwollenes Zeug und zwei
- Ladenburschen finden konnte, die zu jeder Tageszeit vor den Türen
- standen und Swajka[5] spielten. Sowie jedoch das Kavallerieregiment im
- Kreisstädtchen B. Quartier genommen hatte, änderte sich alles ganz
- plötzlich. Das Straßenbild wurde bunter, belebte sich -- und nahm, mit
- einem Wort, ein ganz anderes Aussehen an; die niedrigen Häuschen sahen
- des öfteren einen gewandten, schlanken Offizier mit einem Federbusch auf
- dem Kopfe vorübergehen, der zu einem Kameraden ging, um sich mit ihm
- über die Avancementverhältnisse und den vorzüglichen Tabak zu
- unterhalten, oder ein Spielchen zu machen, bei dem eine Droschke den
- Einsatz bildete: ein Gefährt, das man wohl mit Recht die
- Regimentsdroschke nennen konnte, da sie, ohne das Regiment zu verlassen,
- bei allen die Runde machte: -- heute fuhr der Major in ihr, morgen
- erschien sie in der Remise eines Leutnants, und eine Woche darauf war
- sie wieder beim Major, dessen Bursche sie gründlich mit Öl einschmierte.
- Die geflochtenen Zäune zwischen den Häusern waren überall mit
- Soldatenmützen geziert, die in der Sonne hingen; stets flatterte ein
- grauer Mantel vom Tore herab, und in den Gäßchen stieß man immer auf
- Soldaten, deren Schnurrbärte so borstig waren, wie eine Stiefelbürste.
- Diese Schnurrbärte fehlten nirgends: wenn sich die Kleinbürgerinnen
- einmal mit ihren Krügen auf dem Marktplatze versammelten -- so guckten
- hinter ihren Schultern ganz sicher ein paar solche Schnurrbärte hervor.
- Die Offiziere brachten etwas Leben in die Gesellschaft, die bis dahin
- nur aus dem Richter, der zusammen mit einer Diakonuswitwe ein Haus
- bewohnte, und dem Stadthauptmann bestand: einem ruhigen und bedächtigen
- Menschen, der aber den ganzen Tag über -- vom Mittagessen bis zum Abend,
- und vom Abend bis zum nächsten Mittagessen -- zu schlafen geruhte. Die
- Gesellschaft wurde noch zahlreicher und interessanter, nachdem das
- Quartier des Brigadegenerals hierher verlegt wurde. Die Gutsbesitzer aus
- der Umgebung, von deren Existenz bis dahin niemand etwas geahnt hatte,
- fingen jetzt an, des öfteren in dem Kreisstädtchen zu erscheinen, um mit
- den Herren Offizieren zusammenzutreffen, oder manchmal eine Partie Whist
- mit ihnen zu spielen, ein Spiel, von dem ihr durch die vielen Gedanken
- an die Aussaaten, die Aufträge der Ehefrau und an die Hasenjagden
- abgeplagtes Gehirn nur noch eine ganz dunkle Ahnung hatte.
- [Fußnote 5: Das Spiel besteht darin, daß ein langer Nagel mit schwerem
- Kopfe so geworfen wird, daß er sich innerhalb eines eisernen Ringes in
- die Erde einbohrt.]
- Es tut mir sehr leid, daß ich mich nicht daran erinnern kann, was die
- Veranlassung war, daß der Brigadegeneral einmal ein großes Diner gab;
- die Vorbereitungen, die zu diesem Feste getroffen wurden, waren ganz
- außerordentlich; schon am Stadttor konnte man hören, wie in der Küche
- des Generals mit den Messern geklappert wurde. Ja, für dieses Diner
- waren die ganzen Marktvorräte aufgekauft worden, sodaß der Richter mit
- seiner Diakonuswitwe nichts als Kuchen aus Buchweizenmehl und
- Kartoffelbrei zu essen bekam. Der kleine Hof, der zu der Wohnung des
- Generals gehörte, war ganz mit Droschken und Kaleschen gefüllt. Die
- Gesellschaft bestand ausschließlich aus Herren: aus den Offizieren des
- Regiments und einigen Gutsbesitzern des Kreises. Von den letzteren war
- Pythagor Pythagorowitsch Tschertokutski sicher der bemerkenswerteste.
- Dies war einer der vornehmsten Aristokraten des B.er Kreises, der bei
- den Wahlen mehr Lärm machte, als alle andern zusammen und stets in einer
- prächtigen Equipage zu erscheinen pflegte. Er hatte früher bei einem
- Kavallerieregiment gedient und zu den schneidigsten und angesehensten
- Offizieren gehört; wenigstens war er auf allen Bällen und Festen und
- überall dort zu sehen gewesen, wo sein Regiment sich gerade aufhielt;
- darüber kann man sich übrigens am besten bei den Jungfrauen des Tambower
- und Ssimbirsker Gouvernements erkundigen, doch ist es nicht unmöglich,
- daß er auch in den übrigen Gouvernements zu einer gewissen Berühmtheit
- gelangt wäre, hätte er nicht infolge einer sogenannten unliebsamen
- Affäre seinen Abschied genommen. Hatte _er_ jemandem eine Ohrfeige
- verabfolgt, oder hatte er selbst eine solche erhalten, dessen kann ich
- mich nicht mehr genau entsinnen; die Hauptsache war, daß er ersucht
- wurde, seinen Abschied zu nehmen. Darum hatte er aber doch nicht das
- geringste an seiner Würde eingebüßt; er trug einen Frack mit einer
- langen Taille, der die Form eines Waffenrockes hatte, Sporen an den
- Stiefeln und einen Schnurrbart unter der Nase, weil sonst wohl gar noch
- ein Edelmann annehmen konnte, daß er bei den Fußtruppen gedient hätte,
- die er verächtlich »Fußschleicher« oder manchmal gar »Trampeltiere«
- nannte. Er besuchte sämtliche Jahrmärkte, auf denen es immer sehr
- lebhaft zuging, und wo sich das ganze Innere Rußlands, das aus Müttern,
- Kindern, Töchtern und dicken Gutsbesitzern besteht, auf Wagen,
- Kaleschen, Dormeusen und solchen Karossen, wie sie noch niemand, auch
- nur im Traume gesehen hatte, zu seiner Kurzweil versammelt. Er erriet
- stets mit dem ihm angeborenen Spürsinn, wo ein Kavallerieregiment stand,
- und kam sofort angefahren, um den Herren Offizieren einen Besuch
- abzustatten; dann sprang er vor ihren Augen höchst gewandt aus seiner
- Equipage oder Droschke und war sofort mit ihnen bekannt. Bei den letzten
- Wahlen gab er dem Adel ein prachtvolles Diner, bei welcher Gelegenheit
- er öffentlich erklärte: falls er zum Adelsmarschall gewählt würde, wolle
- er aufs beste für die Herren Edelleute sorgen. Überhaupt benahm er sich
- stets als Grandseigneur, wie man sich in der Provinz auszudrücken
- pflegte; -- er heiratete ein recht hübsches Mädchen, das ihm zweihundert
- Bauernseelen und einige tausend Rubel als Mitgift in die Ehe brachte.
- Das Geld wurde sofort in einem Gespann von sechs prächtigen Pferden,
- vergoldeten Türschlössern, einem zahmen Hausaffen und einem
- französischen Hofmeister angelegt. Auf die zweihundert Seelen, die
- zusammen mit den eigenen zweihundert vierhundert ausmachten, wurde zur
- Förderung gewisser kommerzieller Unternehmungen, eine Hypothek
- aufgenommen. Mit einem Wort, er war ein Gutsbesitzer ^comme il faut^, d.
- h. ein höchst achtbarer und ehrenwerter Gutsbesitzer. Außer ihm nahmen
- noch einige andere Gutsbesitzer, über die aber nichts zu sagen ist, an
- dem Diner des Generals teil. Alle übrigen Gäste waren Militärs, die
- demselben Regiment angehörten; zwei von ihnen, ein Oberst und ein
- ziemlich dicker Major, waren Stabsoffiziere. Der General selbst war sehr
- kräftig und korpulent, im übrigen aber nach der Ansicht der Offiziere
- ein vortrefflicher Vorgesetzter, und hatte eine recht volle, gewichtige
- Baßstimme. Das Diner war ganz ungewöhnlich großartig. Der Stör, der
- Hausen, der Sterlet, die Trappgänse, der Spargel, die Wachteln, die
- Rebhühner und die Pilze -- legten Zeugnis davon ab, daß der Koch seit
- einem ganzen Tage nichts Alkoholisches zu sich genommen hatte; außerdem
- hatten ihm die ganze Nacht hindurch vier Soldaten mit Messern in den
- Händen bei der Zubereitung von Frikassees und Gelees helfen müssen. Eine
- Unmenge von langhalsigen Flaschen voll Haute Lafitte, und von
- kurzhalsigen voll Madeira, der wunderbare Sommertag, die sperrangelweit
- geöffneten Fenster, die auf dem Tische stehenden Teller mit Eis, die
- zerknitterten Hemden unter den weiten Fräcken, ein wahres Kreuzfeuer von
- Gesprächen, das von dem tiefen Baß des Generals übertönt und mit
- Champagner gelöscht wurde; dies alles paßte ganz vortrefflich
- zueinander. Nach dem Diner erhoben sich die Gäste mit der angenehmen
- Empfindung einer gewissen Magenfülle, zündeten sich Pfeifen mit langen
- und kurzen Röhren an und traten, mit einer Tasse Kaffee in der Hand auf
- die Terrasse hinaus.
- * * * * *
- »Ja, jetzt könnte man sie besichtigen,« sagte der General. »Ach bitte,
- mein Lieber --«, sprach er zu seinem Adjutanten, einem jungen Herrn von
- recht sicherem Auftreten und angenehmem Äußeren, »lassen Sie doch die
- braune Stute herführen! Sie sollen gleich selbst sehen.« Dabei tat der
- General einen Zug aus der Pfeife und blies den Rauch weit aus. »Sie hat
- hier noch nicht die richtige Pflege: dieses verdammte Nest hat keinen
- einzigen anständigen Stall. Dabei ist es« -- er tat wieder zwei Züge aus
- der Pfeife -- »ein wirklich ganz famoser Gaul!«
- »Besitzen Exzellenz ihn schon lange?« meinte Tschertokutzky, der
- gleichfalls ein paar Züge tat.
- »Paff paff paff pa .. paff, oh, nicht gar so lange; es sind erst zwei
- Jahre her, daß ich ihn vom Gestüt bezogen habe.«
- »Und haben Exzellenz ihn schon zugeritten erhalten« -- paff paff! --
- »oder ihn erst hier zureiten lassen?«
- Paff, paff, pa, pa, pa .. a .. ff. »Erst hier«, und der General
- verschwand völlig in einer Rauchwolke.
- Inzwischen kam ein Soldat aus dem Stall herbeigesprungen, es ertönten
- Hufschläge, und kurze Zeit darauf erschien ein zweiter in einem weißen
- Kittel mit einem ungeheuren schwarzen Schnurrbart; er führte ein scheues
- zitterndes Pferd am Zaume, das plötzlich den Kopf erhob und den auf dem
- Boden kauernden Soldaten mitsamt seinem Schnurrbart beinahe in die Luft
- riß.
- »Na, na, Agraphena Iwanowna!« sagte dieser, indem er das Tier unter die
- Terrasse führte.
- Die Stute hieß nämlich Agraphena Iwanowna; kräftig und wild wie eine
- südländische Schöne, schlug sie mit den Hufen dröhnend gegen die
- hölzerne Terrasse und blieb plötzlich stehen.
- Der General nahm die Pfeife aus dem Munde und besichtigte Agraphena
- Iwanowna mit zufriedener Miene. Selbst der Oberst kam die Stufen
- herunter gegangen und faßte Agraphena Iwanowna bei der Schnauze, und
- auch der Major strich Agraphena Iwanowna über die Beine; die übrigen
- aber schnalzten nur mit der Zunge.
- Tschertokutzky schritt die Treppe hinab und trat gleichfalls an sie
- heran. Der Soldat stand stramm, hielt den Zaum in der Hand, und sah den
- Besuchern mit einem solchen Ausdruck in die Augen, als ob er sie
- auffressen wollte.
- »Sehr, _sehr_ gut!« meinte Tschertokutzky. »Ein echtes Rassepferd!
- Erlauben Exzellenz mir die Frage, welche Gangart es hat?«
- »O, es hat eine recht gute Gangart; nur ... weiß der Teufel ... dieser
- Schafskopf von einem Feldscher hat ihm solche verteufelte Pillen
- eingegeben, und nun muß es schon seit zwei Tagen immerwährend niesen.«
- »Ein prächtiges Tier, in der Tat! Haben Exzellenz auch die dazu gehörige
- Equipage?«
- »Eine Equipage? Das ist doch aber ein Reitpferd!«
- »Das weiß ich; ich habe Sie nur deshalb danach gefragt, Exzellenz, um zu
- erfahren, ob Sie auch einen Wagen für Ihre andern Pferde besitzen?«
- »Hm, allzuviel Wagen habe ich ja nun gerade nicht. Offen gestanden
- möchte ich eigentlich schon lange eine moderne Equipage haben. Ich habe
- meinem Bruder, der jetzt in Petersburg lebt, schon darüber geschrieben,
- weiß aber nicht, ob er mir eine schicken wird oder nicht!«
- »Meiner Meinung nach,« bemerkte der Oberst, »werden die besten Equipagen
- entschieden in Wien hergestellt, Exzellenz.«
- Paff, paff, paff ... »Sie haben vollkommen Recht.«
- »Ich besitze eine ganz außerordentlich schöne Equipage, Exzellenz, ein
- echtes Wiener Fabrikat.«
- »Welche? Die, in der Sie hierhergefahren kamen?«
- »Nein, das ist nur so ein Reisewagen, den ich bei meinen Reisen benutze,
- jene dagegen ... ist ganz entzückend leicht; wie eine Pflaumfeder, sage
- ich Ihnen: wenn Sie hineinsteigen, überkommt Sie ein Gefühl, gerade als
- ob -- mit Eurer Exzellenz Erlaubnis -- als ob Sie in der Wiege liegen
- und von der Amme hin und her geschaukelt werden!«
- »Also ist sie wohl sehr bequem?«
- »O sehr, sehr bequem; die Kissen und die Sprungfedern, alles sieht aus
- wie gemalt.«
- »Das ist schön.«
- »Und wie geräumig sie ist! Das heißt, Exzellenz, ich habe noch nie eine
- zweite gesehen, die ihr gleich käme. Als ich noch im Dienste stand, da
- habe ich einmal zehn Flaschen Rum und zwanzig Pfund Tabak im
- Kutschkasten untergebracht, und dazu hatte ich noch extra sechs
- Uniformen, sehr viel Wäsche und zwei Pfeifenrohre von beträchtlicher
- Länge bei mir, Exzellenz; außerdem könnte man in ihren Taschen noch
- einen ganzen Ochsen verstecken.«
- »Das ist schön.«
- »Ich habe viertausend Rubel für sie bezahlt, Exzellenz.«
- »Nach dem Preise zu urteilen, muß sie sehr schön sein. Und Sie haben sie
- selbst gekauft?«
- »Nein, Exzellenz, ich habe sie ganz zufällig erworben. Ein Kamerad von
- mir hatte die Equipage gekauft; ein ganz seltener Mensch, ein alter
- Jungfreund, mit dem Sie sicher auch innige Freundschaft schließen
- würden, Zwischen uns gab es kein Mein und Dein. Ich habe sie ihm im
- Kartenspiel abgewonnen. Würden Exzellenz nicht so freundlich sein und
- mir die Ehre erweisen, morgen bei mir zu Mittag zu speisen? Sie könnten
- dann auch gleich die Equipage besichtigen.«
- »Ich weiß nicht, was ich Ihnen darauf antworten soll ... Ich allein, das
- wäre ein wenig ... Es sei denn, Sie gestatten, daß ich zusammen mit den
- Herren Offizieren ...?«
- »Natürlich sind mir die Herren Offiziere gleichfalls willkommen. Meine
- Herren! Ich würde es mir als große Ehre anrechnen, wenn ich das
- Vergnügen haben dürfte, Sie in meinem Hause zu sehen.«
- Der Oberst, der Major und die übrigen Offiziere dankten mit einer
- höflichen Verbeugung.
- »Ich bin selbst der Meinung, Exzellenz, daß, wenn man sich einmal irgend
- ein Ding anschafft, es auch unbedingt gut sein muß; wenn es nicht gut
- ist, so sollte man es lieber gar nicht erst kaufen. Bei mir z. B. ...
- Wenn Sie mir die Ehre erweisen wollen, mich morgen zu besuchen, werde
- ich Ihnen einige Gegenstände zeigen, die ich zu wirtschaftlichen Zwecken
- bei mir eingeführt habe ...«
- Der General sah vor sich hin und blies eine Rauchwolke aus.
- Tschertokutzky war sehr zufrieden, daß er die Herren Offiziere zu sich
- eingeladen hatte; er bestellte schon im Geiste allerhand Saucen und
- Pasteten und wußte nicht, ob er sich zum Whist niedersetzen sollte oder
- nicht.
- Aber als die Herren Offiziere ihn mehrere Male dazu aufforderten, schien
- ihm eine Weigerung unvereinbar mit den Gesetzen des Anstandes zu sein --
- und so nahm er denn gleich ihnen an einem Tische Platz. Er merkte gar
- nicht, wie sich ein Glas Punsch neben ihm einfand, das er in seiner
- Zerstreuung sofort leerte. Nach zwei Runden fand Tschertokutzky wieder
- ein Glas Punsch vor, und er leerte es abermals in seiner Zerstreuung,
- nachdem er zuvor erklärt hatte: »Es ist Zeit meine Herren, daß ich nach
- Hause komme, es ist wirklich Zeit.«
- Übrigens setzte er sich gleich wieder, um noch eine weitere Partie zu
- spielen. Unterdessen hatten die Gespräche in den verschiedenen
- Zimmerecken ganz private Bahnen eingeschlagen. Die Whistspieler waren
- ziemlich schweigsam; die dagegen, die nicht mitspielten, sondern abseits
- auf dem Sofa saßen, unterhielten sich auf das eifrigste.
- In einer Ecke erzählte der Stabsrittmeister, auf ein Kissen gelehnt und
- mit der Pfeife im Munde, ziemlich frei und zwangslos von seinen
- Liebesabenteuern und hielt die Aufmerksamkeit des Kreises, der sich um
- ihn gebildet hatte, vollständig gefesselt. Ein außergewöhnlich dicker
- Gutsbesitzer mit kurzen Armen, die eine gewisse Ähnlichkeit mit zwei
- ausgewachsenen Kartoffeln hatten, hörte ihm mit zuckersüßer Miene zu und
- bemühte sich nur, ihm mit seiner kurzen Hand von Zeit zu Zeit hinter den
- breiten Rücken zu langen, um ihm die Tabaksdose aus der Rocktasche zu
- ziehen. In einer anderen Ecke entspann sich ein ziemlich heißer Streit
- über das Exerzieren der Schwadronen, und Tschertokutzky, der schon
- zweimal einen Buben statt der Dame ausgespielt hatte, mischte sich
- plötzlich in das fremde Gespräch und schrie von seinem Tisch aus
- herüber: »In welchem Jahr war das?« oder »In welchem Regiment?«, ohne
- selbst zu bemerken, daß seine Frage sehr oft gar nichts mit dem
- Gegenstand der Unterhaltung zu tun hatte. Einige Minuten vor dem Souper,
- hörte der Whist endlich auf; er wurde aber noch im Gespräche
- fortgesetzt, und es schien, als ob alle Köpfe von ihm eingenommen seien.
- Tschertokutzky erinnerte sich recht gut, daß er sehr viel gewonnen, aber
- mit den Händen nichts einkassiert hatte, und daß er, als er sich vom
- Tisch erhob, sehr lange in der Haltung eines Menschen da stand, der kein
- Taschentuch bei sich hat. Inzwischen war das Souper serviert worden. Es
- versteht sich von selbst, daß kein Mangel an Weinen war, und daß
- Tschertokutzky sich manchmal fast gegen seinen eigenen Willen
- einschenken mußte, weil immer rechts und links von ihm ein paar
- Weinflaschen standen.
- Das Tischgespräch zog sich in die Länge, nahm aber eine etwas
- eigentümliche Wendung: ein Oberst, der die Kampagne von 1812 mitgemacht
- hatte, erzählte von einer Schlacht, die niemals stattgefunden hatte, und
- entfernte darauf, aus einem ganz unbegreiflichen Grunde, den Pfropfen
- von einer Karaffe und steckte ihn in den Kuchen. Kurz, als alle
- aufbrachen, war es schon drei Uhr, und die Kutscher mußten einige
- Personen wie einen Warenballen in die Arme nehmen und forttragen;
- Tschertokutzky aber verbeugte sich, als er schon im Wagen saß, trotz
- seiner aristokratischen Formen noch einmal so tief und mit einem solchen
- Schwunge, daß er, als er daheim anlangte, in seinem Schnurrbart zwei
- Kletten mit nach Hause brachte.
- Hier lag schon alles in tiefem Schlafe. Nur mit Mühe gelang es dem
- Kutscher, den Kammerdiener aufzufinden, der den Herrn durch den Salon
- geleitete, und ihn dem Stubenmädchen überantwortete; dieses folgte
- Tschertokutzky, so gut es ging, bis zum Schlafzimmer, wo er sich neben
- seinem jungen, hübschen Frauchen, das in seinem schneeweißen Nachthemd
- höchst anmutig dalag, ins Bett fallen ließ. Die Erschütterung, die
- dieser Fall ihres Ehegatten verursachte, weckte sie aus dem Schlaf. Sie
- reckte sich, schlug ihre Augen auf, kniff sie ganz rasch dreimal
- hintereinander zusammen, und öffnete sie wieder mit einem schmollenden
- Lächeln; da sie aber sah, daß er ihr diesmal durchaus keine Liebkosung
- erweisen wollte, drehte sie sich verdrossen auf die andere Seite um und
- schlief, die frische Wange auf die Hand gestützt, bald wieder ein.
- Es war eine Tageszeit, die auf dem Lande keineswegs für besonders _früh_
- angesehen wird, als die junge Herrin neben dem schnarchenden Gemahl
- erwachte. Sie erinnerte sich, daß er gestern erst gegen 4 Uhr nachts
- nach Hause gekommen war, und es tat ihr leid, ihn zu wecken. So
- schlüpfte sie denn in ihre Morgenschuhe, die sich ihr Gatte aus
- Petersburg verschrieben hatte, trat mit einem weißen Negligé bekleidet,
- das an ihr herabfloß wie ein rieselndes Gewässer, in ihr Ankleidezimmer,
- wusch sich mit Wasser, das so frisch war wie sie selbst, und ließ sich
- vor dem Toilettenspiegel nieder. Nachdem sie einige prüfende Blicke
- hineingeworfen hatte, stellte sie fest, daß sie heute äußerst
- vorteilhaft aussah. Dieser anscheinend unbedeutende Umstand veranlaßte
- sie, genau zwei Stunden länger als gewöhnlich vor dem Spiegel zu
- verbringen; endlich zog sie sich sehr niedlich an und begab sich in den
- Garten, um sich etwas zu erfrischen. An diesem Morgen war das Wetter so
- herrlich, wie es nur ein südlicher Sommertag hervorzubringen vermag. Die
- Sonne, die bereits den Höhepunkt überschritten hatte, sengte einen mit
- der ganzen Glut ihrer Mittagsstrahlen. Aber unter dem Laub der Alleen
- konnte man, ohne von ihnen belästigt zu werden, spazieren gehen. Die von
- der Sonne erwärmten Blumen verdreifachten ihren Duft. Die hübsche
- Hausfrau hatte ganz vergessen, daß es bereits zwölf Uhr geschlagen
- hatte, und daß ihr Gatte noch immer nicht erwacht war. Schon drang das
- nachmittägliche Schnarchen zweier Kutscher und eines Groom, die im Stall
- hinter dem Garten schliefen, an ihr Ohr, sie aber weilte noch immer in
- der lauschigen Allee, von der sie einen freien Blick nach der Landstraße
- hin hatte, und blickte zerstreut in die menschenleere Einsamkeit, als
- plötzlich eine Staubwolke, die sich in der Ferne erhob, ihre
- Aufmerksamkeit fesselte. Sie spähte scharf hin und unterschied bald
- einige Wagen. Voran fuhr eine offene, zweisitzige Equipage, in der der
- General saß, dessen schwere Epauletten in der Sonne glänzten, und neben
- ihm saß der Oberst. Dieser folgte eine zweite, viersitzige; sie barg den
- Major mit dem Adjutanten des Generals und noch zwei Offizieren,
- die ihnen gegenüber saßen. Dann kam die allgemein bekannte
- Regimentsdroschke, die diesmal im Besitze des dicken Majors war. Hinter
- der Droschke fuhr ein viersitziger Bon-Voyage her, in dem vier Leutnants
- Platz genommen hatten, während ein fünfter in ihren Armen ruhte. Und
- endlich hinter diesem gewahrte man drei Offiziere auf herrlichen dunklen
- Apfelschimmeln.
- »Kommen sie wirklich zu uns?« fragte sich die Hausfrau. »Ach, Herrgott!
- Sie wenden und fahren tatsächlich auf die Brücke zu.« Sie schrie auf,
- schlug die Hände zusammen und lief über Beete und Blumen hinweg direkt
- in das Schlafzimmer ihres Mannes. Dieser lag noch immer da und schlief
- wie ein Toter.
- »Steh auf! Steh schnell auf!« rief sie und packte ihn am Arm.
- »Wie?« gähnte Tschertokutzky, der sich mächtig reckte, ohne die Augen zu
- öffnen.
- »Steh auf, Männe! Hörst du, die Gäste kommen!«
- »Gäste? Was für Gäste?« Nach diesen Worten grunzte er leise vor sich hin
- wie ein Kalb, das mit der Schnauze das Euter der Mutter sucht. »Hm, hm!«
- brummte er, »reich mir doch dein Hälschen her, mein Herzblatt, ich will
- dir einen Kuß geben.«
- »Beeile dich doch um Gotteswillen mit dem Aufstehen, Schatz! Der General
- kommt mit seinen Offizieren. Ach, Herrgott, du hast ja eine Klette im
- Schnurrbart!«
- »Der General? Was, er kommt schon? Aber weshalb hat mich denn, hol's der
- Teufel, niemand geweckt? Und das Diner? Was ist mit dem Diner? Ist auch
- alles fertig, wie es sich gehört?«
- »Was für ein Diner?«
- »Hab ich denn keins bestellt?«
- »Du? Du bist ja erst um 4 Uhr nachts nach Hause gekommen? So sehr ich
- mich auch bemühte, dich auszufragen, du wolltest mir nicht antworten.
- Ich habe dich nicht geweckt, Männe, weil du mir leid tatest.« Die
- letzten Worte sagte sie mit einer äußerst schmachtenden und bittenden
- Stimme.
- Eine Minute lang lag Tschertokutzky mit weit aufgerissenen Augen wie vom
- Blitz getroffen auf seinem Lager. Endlich sprang er im bloßen Hemde aus
- dem Bette, wobei er garnicht daran dachte, daß das eigentlich
- unanständig sei.
- »Ach ich dummes Pferd!« sagte er und schlug sich an die Stirn. »Ich habe
- sie ja zum Mittagessen eingeladen. Was tun? Sind sie noch weit von
- hier?«
- »Ich weiß nicht. Sie müssen jeden Augenblick eintreffen.«
- »Verstecke dich, Schatz. He! Wer da! Du Mädel, komm mal her! Was
- fürchtest du dich, dumme Gans? Die Offiziere können jeden Augenblick
- hier sein! Sag ihnen, der Herr sei nicht zu Hause. Sage, daß er heute
- garnicht mehr zurückkommt, er sei schon ganz früh am Morgen abgereist.
- Hörst du, und sage es auch allen Knechten und Mägden! Geh schnell!«
- Mit diesen Worten packte er eiligst den Schlafrock zusammen und lief
- spornstreichs in die Remise, um sich dort zu verstecken, da er hier am
- sichersten zu sein glaubte. Als er es sich aber in einem Winkel bequem
- machen wollte, sah er, daß er auch hier noch bemerkt werden könne. »Das
- da wird besser sein,« schwirrte es ihm durch den Kopf; sofort ließ er
- das Trittbrett der gerade dastehenden Equipage herunter, sprang in sie
- hinein, schlug die Türe hinter sich zu, bedeckte sich vorsichtshalber
- mit dem Vorhang und dem Lederschurz und saß mäuschenstill da, indem er
- sich in seinen Schlafrock hüllte und niederkauerte.
- Unterdessen waren die Wagen bei der Terrasse vorgefahren. Der General
- stieg heraus und schüttelte sich tüchtig. Nach ihm erschien der Oberst,
- der den Federbusch auf seiner Mütze zurechtrückte. Dann sprang der dicke
- Major mit dem Säbel unter dem Arm heraus, sodann entstiegen die
- schlanken Leutnants mitsamt dem Fähnrich, der auf ihren Armen gesessen
- hatte, dem Bon-Voyage, und endlich saßen die drei Reiter ab.
- »Der Herr ist nicht zu Hause!« sagte der Lakai, der sich auf die
- Terrasse hinausbegeben hatte.
- »Wieso nicht zu Hause? Er kommt aber doch zum Mittagessen?«
- »Nein, der Herr ist für den ganzen Tag verreist. Er wird frühestens
- morgen um diese Zeit zurückerwartet!«
- »Da haben wir's!« sagte der General. »Wie kommt denn das?«
- »Das muß ich sagen, das ist aber ein schöner Streich,« sagte der Oberst
- lachend.
- »Nein, wie kann man nur so etwas tun?« fuhr der General ziemlich
- ärgerlich fort.
- »Ja ... zum Teufel! ... Wenn du einen nicht empfangen kannst, weshalb
- lädst du uns denn dann ein?«
- »Ich verstehe nicht, wie man so etwas tun kann, Exzellenz!« sagte ein
- junger Offizier.
- »Was?« fragte der General, der dieses Fragewort stets anzuwenden
- pflegte, wenn er mit einem Offizier sprach.
- »Ich meinte nur, wie kann man bloß so handeln, Exzellenz?«
- »Natürlich! Ja, wenn es absolut nicht anders geht usw., so teilt man es
- einem doch wenigstens vorher mit, oder man ladet einen lieber überhaupt
- nicht erst ein.«
- »Ja, Exzellenz, was können wir tun? Wollen wir nach Hause fahren?« sagte
- der Oberst.
- »Selbstverständlich! Es bleibt uns ja gar nichts anderes übrig. Aber wir
- können uns schließlich die Equipage auch ohne ihn ansehen. Er wird sie
- wohl kaum mitgenommen haben. He, holla, wer ist da? komm mal her,
- Brüderchen!«
- »Zu Befehl!«
- »Bist du der Stallknecht?«
- »Jawohl, Eure Exzellenz!«
- »Zeig uns doch mal die neue Equipage, die dein Herr sich unlängst
- angeschafft hat!«
- »Bitte, kommen Sie mit mir in die Remise!«
- Und der General begab sich mitsamt den Offizieren dorthin.
- »Gestatten Sie, ich werde sie ein wenig herausziehen. Hier ist es zu
- dunkel!«
- »Genug, genug, es ist schon gut!«
- Der General und die Offiziere gingen um die Equipage herum und sahen
- sich die Räder und Sprungfedern sorgfältig an.
- »Hm, das ist doch nichts Besonderes,« meinte der General. »Eine ganz
- gewöhnliche Equipage!«
- »Ein höchst unansehnliches Ding,« bestätigte der Oberst. »An der ist
- wahrhaftig nicht viel Gutes zu entdecken.«
- »Mir scheint, Exzellenz, sie ist gar keine 4000 Rubel wert,« meinte
- einer der jungen Offiziere.
- »Was?«
- »Ich sage, daß sie meiner Meinung nach gar keine 4000 Rubel wert ist,
- Exzellenz!«
- »Ach was! 4000! Sie ist keine 2000 wert! An dem Ding ist doch gar nichts
- dran! Es müßte denn sein, daß es drinnen etwas Besonderes zu sehen gibt.
- Bitte, mein Lieber, schnalle doch mal den Lederschurz ab.«
- Und Tschertokutzky bot sich den Blicken der Offiziere dar; er saß in
- seinen Schlafrock gehüllt, in einer seltsamen Stellung zusammengekauert
- am Boden der Kutsche.
- »Ach, Sie sind _hier_?« sagte ganz verdutzt der General.
- Er schlug die Tür zu, bedeckte Tschertokutzky mit dem Schurz und fuhr
- mit seinen Herren Offizieren von dannen.
- Anhang
- Mirgorod
- Beide Teile dieser Novellensammlung erschienen im April des Jahres 1835.
- Die Unterschrift des Zensors trägt das Datum »den 29. Dezember 1834«.
- Mirgorod (Erster Teil.)
- I. _Gutsbesitzer aus der alten Zeit._ Der erste Entwurf dieser Novelle
- stammt aus dem Jahre 1833. 1834 arbeitete Gogol sie noch einmal für den
- Druck um.
- II. _Taraß Bulba._ Die erste Fassung dieser Erzählung stammt aus dem
- Jahre 1834. In den Jahren 1839-1842 arbeitete Gogol den ursprünglichen
- Text für den zweiten Band seiner gesammelten Werke noch einmal um. Unser
- Text geht auf diese letzte Fassung zurück.
- Mirgorod (Zweiter Teil.)
- III. _Wij._ Diese Erzählung ist 1833 begonnen und 1834 noch einmal für
- die erste Ausgabe von »Mirgorod« umgearbeitet. Die erste Ausgabe
- enthielt noch eine Fußnote, die am Schluß der Erzählung, unter dem
- Strich, abgedruckt war, und folgenden Wortlaut hatte: »Ein _Versehen_.
- In dieser Erzählung ist aus Unachtsamkeit die Hälfte einer Seite
- ausgelassen, aus der wir erfahren, wie der Bursche Choma Brut in der
- Tochter des Hauptmanns die Hexe wiedererkannte, die ihm in Gestalt einer
- alten Frau begegnet war.« Vermutlich meint der Verfasser folgende Zeilen
- des handschriftlichen Textes, die im Drucke weggefallen sind. »>Er kennt
- mich, er erinnert sich sicher noch an den Schafs .... Was aber dort im
- Schafs .... vorgefallen ist, habe ich nicht mehr gehört. Das liebe Kind
- hatte nur noch Zeit diese Worte zu sagen, -- dann legte sie sich hin und
- starb.< Ein übermächtiger Schmerz ließ den Hauptmann einen Augenblick
- inne halten. >Du mußt wissen<, sagte er, nachdem er sich ein wenig
- erholt hatte, >was das zu bedeuten hat, im Schafs ....< -- >Gott mag
- wissen, was das heißt, Herr Hauptmann. Ich habe einen Schafspelz.
- Vielleicht meinte sie den. Vielleicht hat sie mich einmal auf dem Bazar
- oder sonstwo in ihm gesehen<.« Gogol hat dann den _Wij_ für die erste
- Ausgabe seiner gesammelten Werke noch einmal umgearbeitet. Hierbei hat
- er, abgesehen von mehreren unwesentlichen Verbesserungen, noch folgenden
- Stellen eine veränderte Fassung gegeben.
- 1) Seite 262 von den Worten an: »Sie stöhnte anfangs wütend« bis zum
- Ende des Absatzes »Choma zitterte am ganzen Körper« Seite 263. In der
- ersten Bearbeitung lautete die Stelle folgendermaßen: »und er begann mit
- aller Gewalt auf die Alte loszuschlagen. Nach einigen Schlägen merkte
- er, daß sie immer langsamer und langsamer zu laufen begann, der
- Philosoph aber schlug immer eifriger auf sie ein. Endlich hielt die Hexe
- es nicht mehr aus, fing an zu wanken und brach unter seinen Schlägen
- zusammen. Unterdessen war der Tag angebrochen, die Vögel jubilierten in
- den stillen, schlaftrunkenen Haselnußsträuchern; vor ihm, wie auf der
- Handfläche, lag Kiew mit seinen länglichen birnenförmigen Kuppeln. Er
- sprang auf, warf einen Blick auf die vor ihm liegende und kaum noch
- atmende Hexe, und er konnte sich sein eigenes Gefühl nicht erklären: sah
- er doch, wie ihr Gesicht sich verjüngte, und wie ein schneeweißer Glanz
- in ihm aufleuchtete; jetzt kam sie ihm garnicht mehr alt vor, ein
- eigentümlicher, halb lieblicher, halb abstoßender Zug umspielte ihre
- Lippen und drang ihm schneidend bis ins Herz hinein. Er fühlte etwas wie
- Mitleid in sich aufsteigen, aber er wollte nicht länger bei ihr bleiben,
- und machte sich schleunigst auf den Weg nach der Stadt, während er
- unaufhörlich über dies seltsame Abenteuer nachsann.«
- 2) _Die Zeilen_: »Plötzlich glaubte er in ihrem Gesicht etwas furchtbar
- Vertrautes zu erkennen. -- Es war dieselbe Hexe, die er getötet hatte.«
- (Seite 280) lauteten in der ersten Fassung folgendermaßen: »>Das ist ja
- die Hexe, die ich getötet habe,< schrie er entsetzt auf, als er sie sich
- näher ansah. Und in der Tat, ihr Gesicht trug dieselben Züge, die ihn
- damals in Erstaunen gesetzt hatten, als er statt des alten Weibes eine
- Jungfrau vor sich liegen sah >Ah, das also war der Grund, warum ich für
- sie beten sollte.< Voll inneren Grauens blickte er auf sie: jeder Zug
- ihres Gesichtes schien ihm jetzt etwas Schreckliches und Drohendes zu
- haben, und kalter Schweiß rann ihm von der Stirn herab.«
- 3) Auch die folgende Stelle hat eine Umarbeitung erfahren. (Seite 293:
- »Wieder erhob sich der Leichnam, der jetzt ganz blau und grün aussah.
- Die Lippen der Toten bewegten sich und schienen etwas sagen zu wollen.
- Sie stampfte mit ihrem zarten, fast knochenlosen Fuß dumpf auf den
- Boden, und die ganze Kirche erzitterte. Er glaubte zu hören, wie sich
- etwas auf sie legte, und an den Fenstern erschienen allerhand
- schreckliche Gestalten von furchtbarer Häßlichkeit. Aber in diesem
- Augenblick ertönte ein ferner Hahnenschrei, und die Leiche sank in den
- Sarg zurück.«
- 4) Ferner ist folgende Stelle stark gekürzt und umgearbeitet worden.
- Seite 304: »Er ließ den Kopf sinken und fuhr in seinen Beschwörungen
- fort, da hörte er plötzlich, wie die Tote mit den Zähnen knirschte und
- die Hände hin und her zu bewegen begann, als wolle sie ihn fassen. Er
- blickte vorsichtig nach ihr hin, und sah, daß die Leiche gar nicht dahin
- griff, wo er stand, und daß sie ihn gar nicht sehen konnte. Dieser
- Mißerfolg schien die Tote rasend zu machen, sie knirschte wieder mit den
- Zähnen, trat in die Mitte der Kirche und stampfte abermals mit dem Fuße,
- aber es gab nur einen kurzen dumpfen Ton, ihre Lippen verzerrten sich
- und schienen etwas vor sich hin zu murmeln; allein man hörte nicht, was
- es war. Der Philosoph vernahm, wie die Wände der Kirche zu stöhnen
- begannen, ein seltsames Murren und ein schneidendes Gewimmer drang unter
- dem dumpfen Gewölbe hervor, von den Fenstern her erscholl ein
- widerwärtiges Kratzen und plötzlich drang aus Türen und Fenstern mit
- furchtbarem Lärm und Getöse eine Unzahl von Gnomen von schrecklichem und
- abstoßendem Äußern herein, wie sie noch nie jemand -- nicht einmal im
- Traume gesehen hat. Der Philosoph sah plötzlich eine ungeheure Menge
- widerwärtiger Flügel, Füße und Gliedmaßen vor sich, die er in seiner
- Angst gar nicht einzeln zu unterscheiden vermochte. Hoch über alle
- hinaus ragte ein seltsames Wesen, das die Form einer Pyramide hatte und
- ganz mit Schleim bedeckt war. Statt der Füße besaß es zwei Knochen, die
- die Gestalt eines halben menschlichen Kinnbackens hatten; oben von der
- Spitze dieser Pyramide hing eine lange Zunge herab, die das Ungeheuer
- beständig ausstreckte und nach allen Seiten hin und her bewegte. Auf dem
- gegenüberliegenden Chor saß etwas Großes, Weißes mit zwei langen weißen
- Säcken, die es statt der Beine herabhängen ließ; an Stelle der Arme,
- Augen und Ohren hatte es gleichfalls Säcke, die tief herunterhingen. Ein
- wenig weiter reckte sich etwas Schwarzes empor, das ganz mit Schuppen
- bedeckt war, es hatte eine Unzahl von feinen dünnen Händen, die es über
- der Brust gekreuzt hielt, und statt des Kopfes eine blau schimmernde
- Menschenhand. Ein riesenhafter Schwabenkäfer fast von der Größe eines
- Elefanten, war an der Tür stehen geblieben und streckte seine Fühler
- durch die Türöffnung herein, von der Spitze der Kuppel fiel etwas
- Schwarzes lärmend in die Mitte der Kirche herab: es bestand aus lauter
- Beinen, die sich auf dem Boden hin und her bewegten und sich
- unaufhörlich zusammenkrümmten, wie wenn das Ungeheuer sich erheben
- wollte. Ein rötlich-blaues Wesen ohne Hände und ohne Beine streckte zwei
- lange Rüssel in die Luft hinaus und schien nach jemand zu suchen, und
- eine gewaltige Menge anderer Geschöpfe, die das erschrockene Auge schon
- nicht mehr zu unterscheiden vermochte, ging, flog und kroch in allen
- Richtungen durcheinander; eins bestand einzig und allein aus einem Kopf,
- ein anderes aus einem abscheulichen Rachen, ein drittes aus einem
- Flügel, welcher mit unerträglichem Zischen durch die Luft flog. Choma
- schloß die Augen und hatte nicht mehr den Mut, hinzublicken. Er hörte
- nur, daß diese ganze Gesellschaft nach ihm suchte, er bemühte sich
- krampfhaft, sich aller Beschwörungen, die er kannte, zu erinnern, und
- sprach sie mit hastiger, stockender Stimme vor sich her.
- Die Angst und das Entsetzen trieben ihm den Schweiß auf die Stirn. Es
- schien ihm, als müsse er vor lauter Schrecken sterben, wenn das Bein
- eines dieser Ungeheuer von so abstoßendem Äußern ihn berühren würde.
- Schon sah er, wie eine dieser Mißgeburten seine langen Rüssel
- ausstreckte, und wie einer von diesen über den Strich hinaus langte ...
- O Gott! Aber da ertönte ein Hahnenschrei, die ganze Schar erhob sich mit
- einem Male und flog zu den Türen und Fenstern hinaus.
- 5) Vollkommen verändert ist auch der Schluß der Erzählung, der in der
- ersten Fassung folgenden Wortlaut hatte: »Plötzlich vernahm er inmitten
- der Stille aufs neue das widerwärtige Kratzen, Pfeifen, Klirren und
- Lärmen an den Scheiben. Ängstlich schloß er die Augen und hörte einen
- Augenblick auf, zu lesen. Ohne die Augen zu öffnen, vernahm er
- plötzlich, wie ein ganzer Haufen von Ungeheuern mit Getöse auf den Boden
- fiel, das von einem schrecklichen dumpfen oder hellen Gepolter, zarten
- Geräuschen, wie wenn etwas Weiches herabfiele, oder widerlichem Gewinsel
- begleitet war. Er öffnete seine Augen ein wenig, schloß sie aber schnell
- wieder. Entsetzen umfing ihn; es waren dieselben Gnomen von gestern, nur
- mit dem Unterschiede, daß er noch eine ganze Menge neuer unter ihnen
- erblickte. Nahezu ihm gegenüber stand etwas Kohlschwarzes, dessen
- dunkles Skelett deutlich hervortrat, und zwischen dessen dunklen Rippen
- der gelbe Leib deutlich durchschimmerte. Etwas abseits stand ein langes,
- mageres Wesen, das einem Stocke glich und aus lauter Augen mit langen
- Wimpern zusammengesetzt zu sein schien. Etwas weiter sah er ein
- riesenhaftes Ungeheuer, das beinahe die ganze Wand einnahm und in einen
- dichten Wald von durcheinander gewirrten Haaren eingehüllt war. Aus
- diesem Haarnetz blickten zwei entsetzliche Augen hervor. Voller Angst
- schaute er empor: über ihm in der Luft schwebte etwas wie eine gewaltige
- Blase, die aus ihrer Mitte tausend Krebsscheren und Skorpionenstacheln
- hervorstreckte, an denen mächtige Klumpen schwarzer Erde hingen.
- Entsetzt richtete er seine Augen wieder auf sein Buch. Die Gnomen
- machten einen fürchterlichen Lärm mit ihren Schuppenschwänzen, ihren mit
- Krallen versehenen Füßen und ihren rauschenden Flügeln, und er hörte,
- wie sie ihn allesamt in allen Ecken suchten. Das alles machte, daß der
- letzte Rest seines Rausches verschwand, der noch im Kopfe des
- Philosophen rumorte, und voller Eifer las er seine Gebete herunter. Er
- hörte, wie jene vor Wut rasten, weil sie ihn nicht zu finden vermochten.
- >Wie wenn sich nun plötzlich die ganze Schar auf mich stürzte?< dachte
- er und schrak bei diesem Gedanken zusammen. >_Wij!_ laßt uns den _Wij_
- holen< schrie eine Menge seltsamer Stimmen durcheinander, und es schien
- ihm, wie wenn ein Teil der Gnomen sich entfernte. Dennoch aber stand er
- mit geschlossenen Augen da, und wagte es nicht aufzublicken. >Wij, Wij,<
- schrien alle mit lauter Stimme, und aus der Ferne ertönte Wolfsgeheul
- und dumpfes Hundegebell. Die Tür sprang krachend auf, und Choma hörte,
- wie eine ganze Schar von Geistern hereinstürzte, dann wurde es plötzlich
- still, wie in einem Grabe. Er wollte die Augen öffnen, aber eine innere
- Stimme flüsterte ihm zu: >sieh nicht hin<. Er nahm alle Kraft zusammen
- .. doch eine unbegreifliche, vielleicht aus der Angst stammende
- Neugierde machte, daß sein Auge sich wie von selbst öffnete. Vor ihm
- stand ein riesengroßes Geschöpf von menschlicher Gestalt, dessen
- Augenlider bis zur Erde herabhingen. Voller Grauen bemerkte der
- Philosoph, daß das Antlitz dieses Wesens von Eisen war, und er richtete
- seine glühenden Augen wieder auf sein Buch. >Hebt mir die Lider empor,<
- sagte Wij mit unterirdischer Stimme, und die ganze Dämonenschar stürzte
- auf ihn zu, um ihm die Lider emporzuheben. >Sieh nicht hin,< flüsterte
- eine innere Stimme dem Philosophen zu. Aber er hielt es nicht aus und
- blickte hin. Zwei schwarze Kanonenkugeln starrten ihm gerade in die
- Augen, und eine eiserne Hand erhob sich und wies mit dem Finger auf ihn.
- >Da ist er,< schrie Wij, und alle Dämonen, die in der Kirche waren, all
- die scheußlichen Ungeheuer fielen zusammen über ihn her, und leblos
- stürzte er zu Boden. Der Hahn krähte schon zum zweitenmal, den ersten
- Schrei hatten die Geister überhört. Jetzt erhoben sich die
- Dämonenscharen und wollten davonfliegen, aber es war schon zu spät, sie
- kamen nicht vom Flecke und blieben regungslos zwischen Türen und
- Fenstern, an der Kuppel und in den Ecken und Winkeln hängen ... Da
- öffnete sich die Tür, und ein Geistlicher, der aus einem fernen Dorfe
- gekommen war, um die Totenmesse abzuhalten und die Tote zu begraben,
- betrat die Kirche. Entsetzt wich er zurück, als er diese Schändung des
- Allerheiligsten erblickte, und er wagte es nicht, das göttliche Wort in
- diesen Räumen erklingen zu lassen. So blieb denn seit jener Zeit in
- dieser Kirche alles, wie es war. Auch heute noch sind die Ungeheuer dort
- in den Fenstern festgebannt. Die Kirche ist mit Moos bewachsen, und von
- Bäumen und Sträuchern überwuchert, die ihre Wurzeln bis in die Wände und
- Mauern hineinsenken: nie wird sie von einem menschlichen Fuße betreten,
- und keine Seele weiß, wo und in welcher Gegend sie sich befindet.«
- IV. _Wie Iwan Iwanowitsch und Iwan Nikiforowitsch sich entzweiten._
- Diese Erzählung ist nach Gogols eigenem Zeugnis im Jahre 1831 entworfen;
- im April des Jahres 1833 befand sie sich bei Smirdin, der sie im
- »Almanach Nowosselje« (Neues Heim) abdruckte. Die Unterschrift des
- Zensors trägt das Datum »den 18. April 1834«. Am 7. April desselben
- Jahres las Gogol diese Erzählung Puschkin vor.
- Novellen
- V. _Die Equipage._ Der erste Entwurf dieser Erzählung stammt aus dem
- Jahre 1835; im September desselben Jahres wurde sie noch einmal für
- Puschkins Zeitschrift umgearbeitet, und im ersten Bande des Sowremennik
- (»Der Zeitgenosse«) abgedruckt. Die Unterschrift des Zensors trägt das
- Datum »den 31. März 1836«.
- Druck von Mänicke & Jahn, Rudolstadt.
- Anmerkungen zur Transkription
- Der Originaltext ist in Fraktur gesetzt. Hervorhebungen, die im
- Original g e s p e r r t sind, wurden mit Unterstrichen wie _hier_
- gekennzeichnet. Textstellen, die im Original in Antiqua gesetzt
- sind, wurden ^so^ markiert.
- Die Schreibweise der Buchvorlage wurde weitgehend beibehalten. Auch
- Variationen in der Transliteration der russischen Namen wurden nicht
- verändert. Lediglich offensichtliche Druckfehler wurden, teilweise unter
- Zuhilfenahme der russischen Originaltexte, korrigiert wie hier
- aufgeführt (vorher/nachher):
- [S. IX]:
- ... durchgehends den Stoffkreis dieser Novellen bildet, ...
- ... durchgehend den Stoffkreis dieser Novellen bildet, ...
- [S. XII]:
- ... wie die ersten Kapitel der toten Seelen und der Revisior ...
- ... wie die ersten Kapitel der toten Seelen und der Revisor ...
- [S. 13]:
- ... Afanassji Inwanowitsch kümmerte sich sehr wenig ...
- ... Afanassji Iwanowitsch kümmerte sich sehr wenig ...
- [S. 28]:
- ... Pulcheria Iwanowka bedauerte den Verlust der Katze, aber ...
- ... Pulcheria Iwanowna bedauerte den Verlust der Katze, aber ...
- [S. 32]:
- ... sprach kein Wort. Endlich, nach langen Schweigen, schien ...
- ... sprach kein Wort. Endlich, nach langem Schweigen, schien ...
- [S. 43]:
- ... »Hergott, habt ihr lange Kittel an! So etwas gibt ...
- ... »Herrgott, habt ihr lange Kittel an! So etwas gibt ...
- [S. 45]:
- ... den Jüngeren. »Warum drischt du nicht auch auf ...
- ... den Jüngeren. »Warum drischst du nicht auch auf ...
- [S. 46]:
- ... Meth dazu. Und recht viel Schlaps, aber keinen mit allerlei ...
- ... Meth dazu. Und recht viel Schnaps, aber keinen mit allerlei ...
- [S. 47]:
- ... sauber und mit farbigen Ton bestrichen. An den Wänden ...
- ... sauber und mit farbigem Ton bestrichen. An den Wänden ...
- [S. 58]:
- ... Morgenrtöe auf. ...
- ... Morgenröte auf. ...
- [S. 67]:
- ... weilenden Woijewoden von Kowno sei. In der nächsten ...
- ... weilenden Wojewoden von Kowno sei. In der nächsten ...
- [S. 92]:
- ... sich hinter dem Ofen gelegt, und schwimmen in ihrem ...
- ... sich hinter den Ofen gelegt, und schwimmen in ihrem ...
- [S. 99]:
- ... großen Mut, sie versteckten sich in leeren Brantweinfässern ...
- ... großen Mut, sie versteckten sich in leeren Branntweinfässern ...
- [S. 101]:
- ... Kosakenbote nicht mehr, wohl aber der Wagen und ...
- ... Kosakenboote nicht mehr, wohl aber der Wagen und ...
- [S. 112]:
- ... Felsblöcken, die auf den abschüssigen Felder verstreut ...
- ... Felsblöcken, die auf den abschüssigen Feldern verstreut ...
- [S. 112]:
- ... lagen. Von allen Seiten ertönte das Scharchen der auf ...
- ... lagen. Von allen Seiten ertönte das Schnarchen der auf ...
- [S. 118]:
- ... sein würde. Er erinnerte sich, daß der Hetmann die ...
- ... sein würde. Er erinnerte sich, daß der Hetman die ...
- [S. 135]:
- ... deine Sklaven zu sein, nur die himmlichen Engel sind ...
- ... deine Sklaven zu sein, nur die himmlischen Engel sind ...
- [S. 136]:
- ... fallenden reichen Haarsträhne zurück und brach in bittere ...
- ... fallenden reichen Haarsträhnen zurück und brach in bittere ...
- [S. 158]:
- ... mit beiden Händen seinen schweren Pallasch und und ...
- ... mit beiden Händen seinen schweren Pallasch und ...
- [S. 162]:
- ... an kräftigen Worten fehlten. ...
- ... an kräftigen Worten fehlen. ...
- [S. 170]:
- ... gesenken Blicken an, wie es bei den Kosaken Sitte war, ...
- ... gesenkten Blicken an, wie es bei den Kosaken Sitte war, ...
- [S. 175]:
- ... auf das der große Moment in dem Menschen auch ein ...
- ... auf daß der große Moment in dem Menschen auch ein ...
- [S. 205]:
- ... der Kosaken herumlegen. Dann fuhren sie fröhlich ...
- ... der Kosaken herumliegen. Dann fuhren sie fröhlich ...
- [S. 209]:
- ... Fünft Werst wird der Edelmann herlaufen hinter dem ...
- ... Fünf Werst wird der Edelmann herlaufen hinter dem ...
- [S. 225]:
- ... Viele standen mit weitgeöffnetenMunde da, streckten ...
- ... Viele standen mit weitgeöffnetemMunde da, streckten ...
- [S. 226]:
- ... mit ernster Miene von oben herab. Ein Leibeigener in in ...
- ... mit ernster Miene von oben herab. Ein Leibeigener in ...
- [S. 234]:
- ... euren Glauben abschwören und die polnischen ...
- ... eurem Glauben abschwören und die polnischen ...
- [S. 237]:
- ... Heiduken nicht wie ehemals von ihren Rossen herunter. ...
- ... Heiducken nicht wie ehemals von ihren Rossen herunter. ...
- [S. 249]:
- ... des Grammatiker genau auf den Ton der kleinen ...
- ... des Grammatikers genau auf den Ton der kleinen ...
- [S. 253]:
- ... Rhetoren Tiberius Gorobetz. ...
- ... Rhetor Tiberius Gorobetz. ...
- [S. 258]:
- ... bei Gott, mir ist's, als ob mir jemand mit einen Wagen ...
- ... bei Gott, mir ist's, als ob mir jemand mit einem Wagen ...
- [S. 258]:
- ... Bei diesem Worten wurde es dem Philosophen ...
- ... Bei diesen Worten wurde es dem Philosophen ...
- [S. 259]:
- ... Als der Philosoph allein war, vespeiste er sofort die ...
- ... Als der Philosoph allein war, verspeiste er sofort die ...
- [S. 262]:
- ... sich weniger fest an seinem Rücken, er berührte das dichte ...
- ... sich weniger fest an seinen Rücken, er berührte das dichte ...
- [S. 291]:
- ... Ich will jetzt eine Priese nehmen. Hm, ein feiner ...
- ... Ich will jetzt eine Prise nehmen. Hm, ein feiner ...
- [S. 301]:
- ... die Erde berührte, und wo eine schmale, kirstallklare Quelle ...
- ... die Erde berührte, und wo eine schmale, kristallklare Quelle ...
- [S. 318]:
- ... Buchstabens V. Iwan Nikiforowisch hat kleine, gelbliche ...
- ... Buchstabens V. Iwan Nikiforowitsch hat kleine, gelbliche ...
- [S. 318]:
- ... Handelsjuden vorübergehn, ohne ihm ein Elexier oder ...
- ... Handelsjuden vorübergehn, ohne ihm ein Elixier oder ...
- [S. 340]:
- ... ihm immer wieder neuem Mut. Der erste Pfahl war ...
- ... ihm immer wieder neuen Mut. Der erste Pfahl war ...
- [S. 347]:
- ... »Demian Demianowisch,« sagte Iwan Iwanowitsch, ...
- ... »Demian Demianowitsch,« sagte Iwan Iwanowitsch, ...
- [S. 358]:
- ... den Polizeiminister davon benachrichtigen müsse, da die ...
- ... den Polizeimeister davon benachrichtigen müsse, da die ...
- [S. 361]:
- ... gemacht! Zum Beispiel während der Camapagne von ...
- ... gemacht! Zum Beispiel während der Campagne von ...
- [S. 361]:
- ... zu einer niedlichen Deutschen über den Zaun geklettet ...
- ... zu einer niedlichen Deutschen über den Zaun geklettert ...
- [S. 365]:
- ... welche Iwan Iwanowitsch im hinhielt, und zerrieb den ...
- ... welche Iwan Iwanowitsch ihm hinhielt, und zerrieb den ...
- [S. 371]:
- ... der von den vielen Tintenklexen allmählich ganz mormoriert ...
- ... der von den vielen Tintenklexen allmählich ganz marmoriert ...
- [S. 372]:
- ... Makar Nazarjewitsch, Thomas Grigojewitsch ... ...
- ... Makar Nazarjewitsch, Thomas Grigorjewitsch ... ...
- [S. 382]:
- ... Iwan Iwanowitsch hatte besonders einem mit Meerretich ...
- ... Iwan Iwanowitsch hatte besonders einem mit Meerrettich ...
- [S. 401]:
- ... und bließ den Rauch weit aus. »Sie hat hier noch ...
- ... und blies den Rauch weit aus. »Sie hat hier noch ...
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