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  • Project Gutenberg's Sämmtliche Werke 5: Dramatische Werke, by Nikolaj Gogol
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  • Title: Sämmtliche Werke 5: Dramatische Werke
  • Der Revisor / Eine Heiratsgeschichte / Die Spieler / Fragmente
  • Author: Nikolaj Gogol
  • Editor: Otto Buek
  • Translator: Thomas Commichau
  • Carl Ritter
  • André Villard
  • Gregorius Itelson
  • Alexandra Ramm
  • Release Date: September 5, 2017 [EBook #55487]
  • Language: German
  • *** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK SÄMMTLICHE WERKE 5: ***
  • Produced by Jens Sadowski and the Online Distributed
  • Proofreading Team at http://www.pgdp.net
  • Nikolaus Gogol
  • Dramatische Werke
  • Nikolaus Gogol
  • Sämmtliche Werke
  • In 8 Bänden
  • Herausgegeben
  • von
  • Otto Buek
  • Band 5
  • München und Leipzig
  • bei Georg Müller
  • 1911
  • Nikolaus Gogol
  • Dramatische Werke
  • Herausgegeben
  • von
  • Otto Buek
  • München und Leipzig
  • bei Georg Müller
  • 1911
  • Der Revisor
  • Komödie in fünf Aufzügen
  • »Den Spiegel soll nicht schelten,
  • wer eine Fratze hat.«
  • Sprichwort.
  • Deutsche Übertragung von _Th. Commichau_
  • Das Recht der öffentlichen Aufführung ist ausschließlich zu erwerben
  • von dem
  • Theaterverlag Eduard Bloch,
  • Berlin C 2, Brüderstraße 1
  • Personen.
  • Antón Antónowitsch Skwósnik-Dmuchánowski, Polizeimeister.
  • Anna Andréjewna, seine Frau.
  • Márja Antónowna, seine Tochter.
  • Lúka Lúkitsch Chlópoff, Schulinspektor.
  • Frau Chlópoff.
  • Ammós Fjódorowitsch Ljápkin-Tjápkin, Kreisrichter.
  • Artémij Filíppowitsch Semljaníka, Hospitalverwalter.
  • Iwán Kusmítsch Schpékin, Postmeister.
  • Pjotr Iwánowitsch Dóbtschinski }
  • Pjotr Iwánowitsch Bóbtschinski } Bürger.
  • Iwán Alexándrowitsch Chlestakóff, Beamter aus Petersburg.
  • Ossip, sein Diener.
  • Christian Iwánowitsch Hübner, Kreisarzt.
  • Fjódor Andréjewitsch Ljuljukóff }
  • Iwán Lasaréwitsch Rastakówski } pensionierte Beamte,
  • Stepán Iwánowitsch Koróbkin } Honoratioren der Stadt.
  • Stepán Iljitsch Uchowjértoff, Polizeiinspektor.
  • Swistúnoff }
  • Pugowízyn } Polizeidiener.
  • Djerschimórda }
  • Awdúlin, Kaufmann.
  • Fewrónja Pjetrówna Poschljópkina, Schlossersfrau.
  • Die Frau eines Unteroffiziers.
  • Míschka, Diener des Polizeimeisters.
  • Ein Kellner.
  • Ein Gendarm.
  • Gäste, Kaufleute, Volk, Bittsteller.
  • * * * * *
  • Zeit: Um 1835. -- Ort: Eine kleine russische Provinzialstadt.
  • Charaktere und Kostüme
  • (Bemerkungen für die Herren Schauspieler)
  • Der Polizeimeister: Ein im Dienst bereits ergrauter und in seiner Art
  • gescheiter Mann. Obgleich bestechlich, gibt er sich als soliden und
  • ernsthaften Menschen und ist in gewissem Sinne sogar Räsoneur. Er
  • spricht weder laut noch leise, noch viel, noch wenig; jedes seiner Worte
  • hat Gewicht. Seine Gesichtszüge sind grob und hart, wie bei allen, die
  • in einer mühsamen Karriere von der Pike auf gedient haben. Der Übergang
  • von Furcht zu Freude, von Unterwürfigkeit zu Hochmut vollzieht sich bei
  • ihm ziemlich unvermittelt, wie bei allen Leuten mit roh entwickelten
  • Charakteranlagen. Er trägt die übliche Uniform mit Litzenkragen und
  • Stulpstiefel mit Sporen; sein graues Haar ist kurzgeschoren.
  • Anna Andréjewna, seine Frau: Eine noch leidlich konservierte
  • Provinzialkokette, die zur Hälfte in der Lektüre von Romanen und
  • Poesiealbums, zur Hälfte im Kleinkram von Hauswirtschaft und
  • Gesindeplackerei aufgeht. Sehr neugierig, kehrt sie gelegentlich auch
  • Hoffart hervor; erlangt oftmals dadurch Übergewicht über ihren Mann, daß
  • dieser ihr nichts zu antworten weiß; doch erstreckt sich solches
  • Übergewicht nur auf Kleinigkeiten und besteht lediglich in Vorwürfen und
  • Hohn. Im Verlaufe des Stückes wechselt sie viermal die Toilette.
  • Chlestakóff: ein junger Mann von 23 Jahren, schmächtig und unansehnlich,
  • etwas einfältig und hat, wie man zu sagen pflegt, das Pulver nicht
  • erfunden; einer von den Leuten, die man in den Kanzleien Windbeutel
  • nennt. Er ist nicht imstande längere Zeit bei einem Thema zu verweilen,
  • spricht unzusammenhängend, und die Worte sprudeln ihm unberechenbar aus
  • dem Munde. Je mehr Freimut und Harmlosigkeit der Darsteller dieser Rolle
  • zur Schau trägt, desto größeren Erfolg wird er erzielen. Seine Kleidung
  • ist modern (1835).
  • Ossip, sein Diener: Von dem Wesen, das Diener in vorgerückten Jahren zu
  • haben pflegen; er spricht gelassen, hält den Blick etwas gesenkt,
  • räsoniert und liebt es, seinem Herrn in dessen Abwesenheit Vorhaltungen
  • zu machen. Seine Stimme ist fast immer monoton, nimmt aber im Gespräch
  • mit seinem Herrn einen mürrischen, kargen, zuweilen sogar groben
  • Ausdruck an. Er ist pfiffiger als sein Herr und weiß sich deshalb
  • rascher zurechtzufinden, spricht aber nicht gern viel und ist ein
  • stilles Wasser. Seine Kleidung ist ein grauer oder blauer verschlissener
  • Kittel.
  • Bóbtschinski und Dóbtschinski: Beide von kleinem, niedrigem Wuchs, sehr
  • neugierig; einander sehr ähnlich; beide mit leichtem Embonpoint. Sie
  • sprechen hastig und unterstützen ihre Rede durch reichliches
  • Gestikulieren mit den Händen. Dóbtschinski ist ein wenig größer und
  • ernsthafter als Bóbtschinski, dieser aber ist dafür beweglicher und
  • lebhafter als jener.
  • Ljápkin-Tjápkin, der Kreisrichter: ein Mensch, der fünf bis sechs Bücher
  • gelesen hat und daraufhin den Freigeist herauskehrt. Ist stark in
  • Hypothesen und spricht deshalb jedes Wort mit wichtigem Ton. Der
  • Darsteller dieser Rolle sollte stets eine vielsagende Miene aufsetzen.
  • Er spricht in tiefem Baß, sehr gedehnt, heiser und mit Räuspern, wie
  • eine alte Wanduhr, die erst schnarrt, ehe sie schlägt.
  • Semljaníka, der Hospitalverwalter: Ein sehr korpulenter, schwerfälliger
  • und plumper Mann; bei alledem Intrigant und Gauner; sehr zuvorkommend
  • und gefällig.
  • Der Postmeister: Ein bis zur Naivität einfältiger Mensch.
  • Die übrigen Rollen bedürfen keiner besonderen Anweisungen; ihren
  • Originalen begegnet man auf Schritt und Tritt.
  • Die Herren Schauspieler sollten der letzten Szene besondere Sorgfalt
  • angedeihen lassen. Das zuletzt ausgesprochene Wort muß auf alle wie ein
  • elektrischer Schlag wirken; gleichzeitig und plötzlich. Die ganze Gruppe
  • muß ihre Stellung in einem Augenblick wechseln; den Ausruf der
  • Überraschung müssen alle Damen einstimmig ausstoßen, wie aus einem
  • Munde. Die Nichtbeachtung dieser Hinweise könnte die gesamte Wirkung in
  • Frage stellen.
  • Erster Aufzug
  • Zimmer im Hause des Polizeimeisters
  • 1. Szene
  • Polizeimeister. Hospitalverwalter. Schulinspektor. Kreisrichter.
  • Revierinspektor. Arzt. Zwei Polizeidiener.
  • Polizeimeister. Ich habe Sie herberufen, meine Herren, um Ihnen eine
  • sehr unerfreuliche Nachricht mitzuteilen: ein Revisor kommt zu uns.
  • Kreisrichter. Ein Revisor?!
  • Hospitalverwalter. Ein Revisor?!
  • Polizeimeister. Ein Revisor aus Petersburg, inkognito. Und noch dazu mit
  • geheimen Instruktionen.
  • Kreisrichter. Donnerwetter!
  • Hospitalverwalter. Das hat uns auch gerade noch gefehlt!
  • Schulinspektor. Herr des Himmels! Und obendrein mit geheimen
  • Instruktionen!
  • Polizeimeister. Als wenn ich das vorausgeahnt hätte: die ganze Nacht
  • träumte mir von zwei ungeheuren Ratten -- nie habe ich dergleichen
  • vorher gesehen: schwarz und riesengroß! Kamen heran, beschnupperten mich
  • und liefen wieder davon. Ich will Ihnen hier den Brief vorlesen, den ich
  • von Andréj Iwánowitsch Tschmychóff erhalten habe -- Sie, Artémij
  • Filíppowitsch, kennen ihn ja. Er schreibt also folgendermaßen: »Teurer
  • Freund, Gevatter und Wohltäter« (halblaut murmelnd und die Zeilen
  • überfliegend) »... dir zu melden« -- da hier: »Ich beeile mich, dir
  • unter anderem zu melden, daß ein Beamter eingetroffen ist mit der
  • Instruktion: das ganze Gouvernement und speziell unsern Kreis (hebt
  • bedeutungsvoll den Finger in die Höhe) zu inspizieren. Ich erfuhr dies
  • von absolut zuverlässiger Seite, obgleich er sich für einen Privatmann
  • ausgibt. Da ich nun weiß, daß auch bei dir, wie überall, kleine
  • Schnitzer mitunterlaufen, weil du ein kluger Mann bist und ungern fahren
  • läßt, was in deinem Netze zappelt ...« (Innehaltend) Nun, hier macht er
  • so seine ... »so rate ich dir auf deiner Hut zu sein: er kann jeden
  • Augenblick kommen, wenn er nicht gar schon da ist und sich irgendwo
  • inkognito aufhält ... Gestern ...« -- hier folgen nur noch
  • Familiennachrichten: »ist meine Schwester Anna Kiríllowna mit ihrem
  • Manne zum Besuch angekommen; Iwán Kiríllowitsch ist sehr dick geworden
  • und fiedelt immerfort auf der Geige«, usw. usw. Also nun wissen Sie, wie
  • die Dinge stehen!
  • Kreisrichter. Eine seltsame, höchst seltsame Geschichte! Da steckt
  • irgendwas dahinter.
  • Schulinspektor. Wozu das alles, Antón Antónowitsch, wozu? Warum uns
  • einen Revisor?!
  • Polizeimeister (seufzend). Warum! Sie sehen ja: Schicksal! (Seufzend)
  • Bisher hatte man, Gott sei Dank, nur andre Städte heimgesucht; jetzt
  • kommt eben die Reihe an uns.
  • Kreisrichter. Ich meine, Antón Antónowitsch, daß dies einen feinen und
  • mehr politischen Hintergrund hat. Es bedeutet einfach: Rußland ... ja
  • ... Rußland will Krieg führen -- und das Ministerium, sehen Sie wohl,
  • schickt heimlich einen Beamten ab, um auszuforschen, ob hier herum wo
  • Spione stecken.
  • Polizeimeister. Eh, was reden Sie da! Sie sind wohl nicht recht
  • gescheit! In einer Kreisstadt Spione! Liegen wir etwa an der Grenze? Die
  • erreicht von hier aus keiner, auch wenn er drei Jahre Galopp fährt.
  • Kreisrichter. Nein, wie ich Ihnen sage. Sie wollen mich nicht ... wollen
  • nicht ... Die Regierung kennt die feinsten Schliche; weit oder nicht,
  • sie hört sogar die Flöhe husten.
  • Polizeimeister. Floh hin, Floh her; jedenfalls sind Sie gewarnt, meine
  • Herren. Sehen Sie sich vor! Ich für meinen Teil habe schon so meine
  • Maßregeln getroffen, tun Sie das gleiche. Namentlich rate ich's Ihnen,
  • Artémij Filíppowitsch! Der durchreisende Revisor wird zweifelsohne vor
  • allem die Ihnen unterstellten Krankenhäuser inspizieren wollen --, drum
  • sorgen Sie dafür, daß alles tadellos sei. Daß die Nachtmützen hübsch
  • rein sind und die Kranken nicht wie die Kesselschmiede aussehen, wie das
  • sonst gewöhnlich der Fall ist.
  • Hospitalverwalter. Na, wenn's weiter nichts ist -- reine Nachtmützen
  • können sie kriegen.
  • Polizeimeister. Gut. Und an jedem Bett muß auf lateinisch oder in einer
  • andern fremden Sprache ... das wäre dann eben Ihre Sache, Herr Doktor --
  • muß jede einzelne Krankheit angeschrieben stehen, Datum der Erkrankung,
  • genau auf Jahr und Tag ... Es ist auch gar nicht schön, daß Ihre Kranken
  • einen so starken Tabak rauchen, daß, wer hereinkommt, immerzu niesen
  • muß. Noch besser, wenn überhaupt weniger Kranke da wären; sonst wird
  • gleich der schlechten Verwaltung oder der Unfähigkeit des Arztes schuld
  • gegeben.
  • Hospitalverwalter. Oh, was die ärztliche Behandlung anbetrifft, so bin
  • ich mit dem Herrn Doktor längst übereingekommen: je naturgemäßer, desto
  • besser -- teure Arzeneien brauchen wir nicht. Gewöhnliches Volk:
  • stirbt's, dann stirbt's, bleibt's leben, dann bleibt's eben leben. Auch
  • könnte sich der Herr Doktor ja doch nicht mit ihnen verständigen: er
  • versteht ja kein Wort Russisch.
  • Christian Iwánowitsch, der Arzt (gibt Laute von sich, die halb wie i und
  • halb wie e klingen).
  • Polizeimeister. Auch Ihnen, Ammós Fjódorowitsch, möchte ich raten,
  • einmal nach Ihrem Gerichtslokal zu schauen. Im Vorzimmer, wo sich die
  • Klienten versammeln sollen, haben Ihre Gerichtsdiener die ganzen
  • Hausgänse mit ihren Jungen untergebracht, die einem dort fortwährend
  • zwischen die Beine geraten. Sich um die Wirtschaft kümmern, ist gewiß
  • lobenswert, und warum sollte das ein Knecht auch nicht tun; aber an
  • einem solchen Ort, sehen Sie, paßt sich das doch nicht. Ich wollte das
  • schon eher sagen, habe es aber wieder ganz verschwitzt.
  • Kreisrichter. Ich lasse sie gleich sämtlich in die Küche schaffen.
  • Kommen Sie doch zum Essen herüber.
  • Polizeimeister. Schlimm ist's auch, daß der Sitzungssaal so von Schmutz
  • starrt und daß mitten auf dem Aktentisch Ihre Hundepeitsche liegt. Ich
  • weiß wohl, Sie sind ein großer Jagdfreund, doch besser wär's, sie
  • wenigstens jetzt wegzunehmen; ist der Revisor erst wieder fort, dann
  • können Sie sie ja meinetwegen wieder hinlegen. Und dann Ihr Beisitzer!
  • Der Mann ist ja wahrscheinlich sehr tüchtig, aber er verbreitet einen
  • Duft, als ob er geradenwegs aus der Branntweinschänke käme -- das taugt
  • auch nicht. Schon längst wollte ich mal davon reden, wurde aber, ich
  • weiß nicht wie, davon abgebracht. Es gibt Mittel dagegen, selbst wenn
  • wirklich, wie er behauptet, ihm dieser Geruch angeboren wäre: man könnte
  • ihm Zwiebeln oder Knoblauch zu essen geben oder irgendwas ähnliches. Für
  • diesen Fall kann ja der Herr Doktor mit Medikamenten zu Hilfe kommen.
  • Christian Iwánowitsch, der Arzt (gibt die vorerwähnten Laute von sich).
  • Kreisrichter. Nein, das läßt sich nicht vertreiben; er sagt, als Kind
  • habe ihn seine Amme einmal verprügelt, und seit der Zeit müsse er immer
  • etwas Branntwein ausschwitzen.
  • Polizeimeister. Nun, ich wollte das nur bemerkt haben. Doch betreffs
  • unserer sonstigen Zustände und der sogenannten kleinen Schnitzer, von
  • denen Andréj Iwánowitsch in seinem Briefe redet, weiß ich wahrhaftig
  • nichts beizubringen. Es bleibt nun eben mal wahr: kein Mensch ist ohne
  • Sünde. Das hat Gott selber schon so gewollt, und die Aufklärungsapostel
  • werden vergeblich darüber wettern.
  • Kreisrichter. Ja, was nennen Sie Sünde, Antón Antónowitsch? Sünde und
  • Sünde ist zweierlei. Ich für mein Teil gebe ganz offen zu, daß ich hier
  • und da kleine Geschenke annehme, doch was für welche? Jagdhunde! Das ist
  • was ganz andres.
  • Polizeimeister. Jagdhunde oder sonst was, Geschenke bleiben's doch.
  • Kreisrichter. O nein, Antón Antónowitsch. Aber wenn einer zum Beispiel
  • einen Pelz für fünfhundert Rubel und seine Frau einen Schal ...
  • Polizeimeister. Schon gut, schon gut, Sie nehmen also bloß Jagdhunde --
  • dafür glauben Sie aber nicht an Gott und gehen nie in die Kirche; ich
  • aber bin ein gläubiger Mensch und bin jeden Sonntag beim Gottesdienst.
  • Aber Sie ... oh, ich kenne Sie: wenn Sie anfangen, über die Schöpfung zu
  • reden, dann stehen einem die Haare zu Berge.
  • Kreisrichter. Wenigstens bin ich von alleine darauf gekommen, aus
  • eigenem Verstande.
  • Polizeimeister. Na, manchmal ist viel Verstand schlimmer als gar keiner.
  • Übrigens habe ich nur so nebenbei ans Kreisgericht gedacht; ehrlich
  • gesagt, es wird ja keiner da hineingucken: das ist ein geheiligter Ort,
  • den Gott selber in Schutz genommen hat. Aber Sie, Lúka Lúkitsch, müssen
  • sich durchaus mal um Ihr Lehrerpersonal kümmern. Es sind ohne Frage
  • gelehrte und hochstudierte Leute, haben aber höchst sonderbare
  • Angewohnheiten, die sich kaum mit dem Lehrberuf vertragen. Da ist zum
  • Beispiel einer, der mit dem aufgedunsenen Gesicht, mir ist sein Name
  • nicht gegenwärtig -- der muß absolut immer eine Fratze schneiden, sowie
  • er aufs Katheder steigt, ungefähr so (macht eine Grimasse) und dann
  • steckt er die Hand unter die Halsbinde und kraut sich den Bart. Daß er
  • den Schülern solche Fratzen schneidet, ist ja egal und mag vielleicht
  • nötig sein, das geht mich nichts an; aber sagen Sie selbst, wenn er das
  • vor dem Herrn Inspizienten tut, das kann doch sehr fatal werden; der
  • Herr Revisor oder ein andrer könnte das auf sich beziehen. Da kann der
  • Teufel weiß was dabei herauskommen.
  • Schulinspektor. Ja, aber was soll ich mit ihm machen; ich habe schon
  • mehrfach mit ihm geredet. Noch kürzlich, als gerade der Schulrat die
  • Klasse betrat, hat er eine solche Grimasse aufgesetzt, wie ich sie noch
  • niemals gesehen hatte. Er denkt sich gar nichts Böses dabei, mich aber
  • rüffelt man dann, daß der Jugend revolutionäre Ideen eingeflößt werden.
  • Polizeimeister. Auch über Ihren Geschichtslehrer habe ich noch einiges
  • zu bemerken. Es ist ein gelehrtes Haupt, das sieht man deutlich, und
  • strotzt von Wissen; aber er doziert mit solchem Feuer, daß er sich ganz
  • dabei vergißt. Ich hörte ihn einmal: na, solange er von den Babyloniern
  • und Assyrern sprach, da ging's noch, aber als er auf Alexander den
  • Großen kam -- ich kann's kaum beschreiben, wie er da loslegte. Ich
  • glaubte, es brennt, wahrhaftig! Springt vom Katheder und was das Zeug
  • hält -- bautz! -- den Stuhl an die Erde. Gewiß, Alexander der Große war
  • schon ein Held, aber braucht man da Stühle zu zerkeilen? Der Staat hat
  • nur Kosten davon.
  • Schulinspektor. Ja, ja, er ist ein Heißsporn. Ich habe ihm das auch
  • schon ein paarmal vorgehalten; aber dann erwidert er: »Wie Sie wünschen,
  • aber für die Wissenschaft opfere ich mein Leben.«
  • Polizeimeister. Ach ja, das muß eben unerforschlicher Schicksalswille
  • sein: so ein Gelehrter ist entweder Säufer oder schneidet Fratzen, daß
  • man sich vor den Heiligenbildern schämen möchte.
  • Schulinspektor. Gott bewahre mich davor, Lehrer sein zu müssen, das ist
  • eine Strafe! Da will jeder reinreden, jeder beweisen, daß auch er
  • Verstand hat.
  • Polizeimeister. Das hätte alles noch gar nichts zu sagen -- das
  • Inkognito ist das Infame! Mit einmal schielt er herein: »Ah, da seid ihr
  • ja, Freundchen! Na wer ist denn von Euch der Richter?« --
  • »Ljápkin-Tjápkin!« -- »Ei dann bitte schön Herr Ljápkin-Tjápkin!« --
  • »Und wer ist der Hospitalverwalter!« »Semljaníka!« -- »Dann bitte doch
  • schön, Herr Semljaníka!« -- Das ist das gemeine!
  • 2. Szene
  • Die Vorigen. Postmeister.
  • Postmeister. Herrschaft, was geht denn vor? Ein Revisor soll kommen?
  • Polizeimeister. Haben Sie's denn noch nicht gehört?
  • Postmeister. Eben, von Pjotr Iwánowitsch Bóbtschinski; er war gerade bei
  • mir auf dem Postamt.
  • Polizeimeister. Na, nun? Was denken Sie drüber?
  • Postmeister. Was ich denke? 's gibt Krieg mit den Türken.
  • Kreisrichter. Da, also! Genau wie ich's gesagt habe!
  • Polizeimeister. Ja, zwei kapitale Schlauköpfe!
  • Postmeister. Freilich, mit den Türken. Das haben uns alles die Franzosen
  • eingebrockt.
  • Polizeimeister. Schöner Krieg mit den Türken. Uns wird's an den Kragen
  • gehn, nicht den Türken. Das steht längst fest, ich habe briefliche
  • Nachricht.
  • Postmeister. Na, wenn's so ist, dann gibt's eben keinen Krieg.
  • Polizeimeister. Nun, was sagen Sie dazu, Iwán Kusmítsch?
  • Postmeister. Hm, ich? Und Sie, Antón Antónowitsch?
  • Polizeimeister. Ich? Von Furcht natürlich keine Spur, aber so ein
  • bißchen. Kaufleute und Bürger machen mir etwas Sorge. Sie behaupten, ich
  • hätte sie gerupft, aber bei Gott, wenn ich auch mal von einem oder dem
  • andern was nahm, dann geschah's nur in aller Unschuld. Ich vermute,
  • (führt den Postmeister beim Arm auf die Seite) ich vermute, man hat mich
  • angeschwärzt. Warum gerade für uns einen Revisor? Hören Sie mal, Iwán
  • Kusmítsch, könnten Sie nicht, zu unserm gemeinschaftlichen Vorteil,
  • jeden Brief, der in Ihrem Postamt ein- und ausgeht, wissen Sie, so'n
  • bißchen aufmachen und durchlesen, ob nicht vielleicht Denunziationen
  • oder dergleichen vertrauliche Mitteilungen drinstehen? Wenn nicht, kann
  • man sie ja wieder zusiegeln oder einfach geöffnet abliefern.
  • Postmeister. Weiß ich längst! Da brauchen Sie mich nicht erst zu
  • belehren, mach' ich sowieso schon, aber weniger aus Vorsicht, als aus
  • Neugierde -- ich bin geradezu versessen auf das, was in der Welt
  • vorgeht. Ich sage Ihnen, die interessanteste Lektüre. Mancher Brief
  • liest sich ganz köstlich -- da werden Dinge beschrieben ... Und eine
  • Darstellung -- besser als in den »Moskauer Nachrichten«!
  • Polizeimeister. Schön, sagen Sie mal, haben Sie da nichts über einen
  • Revisor aus Petersburg gefunden?
  • Postmeister. Aus Petersburg, nein, aber von einem in Kostromá und
  • Sarátow ist viel die Rede. Wirklich schade, daß Sie keine Briefe lesen;
  • manche Stellen sind großartig. Da schrieb kürzlich ein Leutnant seinem
  • Kameraden und schilderte einen Ball auf die lustigste Art -- ganz, ganz
  • ausgezeichnet: »Ich führe hier«, schreibt er, »ein Götterleben: schöne
  • Mädchen in Hülle und Fülle, die Musik rauscht, hoch flattert die Fahne
  • ...« mit großem Schwung schrieb er. Ich habe den Brief wahrscheinlich
  • noch bei mir; soll ich ihn vorlesen?
  • Polizeimeister. Nein, lassen Sie's für jetzt. Also seien Sie so gut,
  • Iwán Kusmítsch: falls Sie gelegentlich auf so eine Beschwerde oder eine
  • Denunziation stoßen, dann ohne weiteres anhalten.
  • Postmeister. Mit dem größten Vergnügen.
  • Kreisrichter. Sehen Sie sich aber vor, Sie könnten da mal reinfallen.
  • Postmeister. Du lieber Gott!
  • Polizeimeister. Ach, das hat gar nichts zu sagen; ja, wenn Sie das an
  • die große Glocke hängen wollten, aber so ist's ja reine Privatsache.
  • Kreisrichter. Na, schlimme Sache das. Übrigens war ich eigentlich
  • gekommen, Antón Antónowitsch, um Ihnen eine junge Hündin zu offerieren;
  • sie ist vom selben Wurf wie mein Köter, den Sie kennen. Daß
  • Tscheptówitsch und Warchowínski im Prozeß liegen, wissen Sie wohl; und
  • ich habe den Spaß davon, jetzt kann ich beim einen wie beim andern meine
  • Hasen jagen.
  • Polizeimeister. Herr Gott, bleiben Sie mir jetzt mit Ihren Hasen vom
  • Leibe; mir sitzt das verdammte Inkognito im Schädel! Immer drauf lauern,
  • daß jeden Augenblick die Tür aufgeht und baff ...
  • 3. Szene
  • Die Vorigen. Bóbtschinski und Dóbtschinski stürzen atemlos
  • herein.
  • Bóbtschinski. Unerhörte Überraschung!
  • Dóbtschinski. Erstaunliche Neuigkeit!
  • Alle. Was, was ist denn los?!
  • Dóbtschinski. Unerwartetes Ereignis: wir kommen ins Gasthaus ...
  • Bóbtschinski (unterbrechend). Ich und Dóbtschinski kommen ins Gasthaus
  • ...
  • Dóbtschinski (unterbrechend). Eh, lassen Sie mich, Pjotr Iwánowitsch,
  • ich will erzählen.
  • Bóbtschinski. Nein, nein, lassen Sie mich, lassen Sie mich ... Sie haben
  • gar kein Geschick ...
  • Dóbtschinski. Und Sie verhaspeln sich und vergessen alles.
  • Bóbtschinski. Nein, bei Gott, ich weiß alles; mischen Sie sich nicht
  • hinein, lassen Sie mich erzählen. Helfen Sie, meine Herren, daß
  • Dóbtschinski sich nicht hereinmischt!
  • Polizeimeister. So reden Sie doch um alles in der Welt, was ist los? Ich
  • brenne vor Ungeduld. Setzen Sie sich, meine Herren, Stühle her; hier
  • haben Sie einen Stuhl, Bóbtschinski. (Alle setzen sich um Bóbtschinski
  • und Dóbtschinski herum.) Nur schnell, was gibt's?
  • Bóbtschinski. Erlauben Sie, erlauben Sie, alles nach der Reihe. Kaum daß
  • ich die Ehre hatte, mich von Ihnen zu verabschieden, nachdem Sie
  • geruhten, sich über den empfangenen Brief zu beunruhigen, ja -- da
  • rannte ich ... Bitte, unterbrechen Sie mich nicht, Dóbtschinski! Ich
  • weiß alles, alles. Also: da rannte ich zu Koróbkin, da aber Koróbkin
  • nicht zu Hause war, zu Rastakówski, und da ich Rastakówski nicht antraf,
  • von dort zum Herrn Postmeister, um ihm die von Ihnen empfangene
  • Neuigkeit mitzuteilen, und wie ich von da weggehe, begegne ich
  • Dóbtschinski ...
  • Dóbtschinski. Neben dem Pastetenladen ...
  • Bóbtschinski. Neben dem Pastetenladen. Ich treffe also Dóbtschinski und
  • sage ihm: haben Sie schon von der großen Neuigkeit gehört, die der Herr
  • Polizeimeister in einem hochbedeutsamen Brief erhalten hat? Dóbtschinski
  • aber hatte sie schon von Ihrer Magd Awdótja gehört, die, ich weiß nicht
  • wonach, zu Philipp Antónowitsch Potschetschújeff geschickt worden war
  • ...
  • Dóbtschinski (unterbrechend). Nach einem Kognakfäßchen.
  • Bóbtschinski (mit der Hand abwehrend). Nach einem Kognakfäßchen. Wir
  • gingen also zusammen zu Potschetschújeff ... Nein, Dóbtschinski, nein,
  • unterbrechen Sie mich nicht, bitte ernstlich, unterbrechen Sie mich
  • nicht! ... Wir gehen also zu Potschetschújeff und unterwegs sagt mir
  • Dóbtschinski: »Kommen Sie doch mal erst in die Restauration; ich hab'
  • so'n gewisses ... seit heut früh hab' ich nichts genossen und der Magen
  • knurrt mir so ...« -- jawohl, Dóbtschinski knurrte der Magen. »Und in
  • der Restauration,« sagt er, »gibt's heut frischen Lachs, kosten wir doch
  • wenigstens.« Kaum sind wir drin, als plötzlich ein junger Mann ...
  • Dóbtschinski (unterbrechend). Von hübschem Äußeren, apart gekleidet ...
  • Bóbtschinski. Von hübschem Äußeren, apart gekleidet, so -- ft -- ins
  • Zimmer tritt, entschlossener Ausdruck, Physiognomie, Benehmen und hier
  • (fährt mit der Hand um die Stirne) viel, sehr viel. Ich hatte es
  • sozusagen vorausgeahnt und sage zu Dóbtschinski: »Hier geht was vor.«
  • Jawohl. Und Dóbtschinski hatte schon mit dem Finger gewinkt und den
  • Wirt, den Wirt Wlas gerufen -- seine Frau kam vor drei Wochen mit einem
  • strammen Jungen nieder, der mal des Vaters Wirtschaft erben wird. Wie
  • Wlas kommt, fragt ihn Dóbtschinski ganz heimlich: »Wer ist dieser junge
  • Mensch?« und Wlas antwortet: »Der« sagt er ... Ach, so unterbrechen Sie
  • mich doch nicht in einem fort, Dóbtschinski, Sie können's ja doch nicht
  • erzählen, Sie lispeln ja, ich weiß genau, bei Ihnen pfeift ein Zahn ...
  • »Der junge Mensch da«, sagt Wlas, »das ist ein Beamter«, jawohl, »kommt
  • von Petersburg und heißt«, sagt er, »Iwán Alexándrowitsch Chlestakóff,
  • und reist«, sagt er, »nach Sarátoff und führt sich,« sagt er, »ganz
  • seltsam auf: sitzt schon die zweite Woche hier, geht nie aus, nimmt
  • alles auf Rechnung und zahlt keinen Kopeken.« Wie er das sagt, geht mir
  • auf einmal ein Licht auf: »He!« sage ich zu Dóbtschinski ...
  • Dóbtschinski. Nein Bóbtschinski, ich habe »He!« gesagt.
  • Bóbtschinski. Zuerst sagten Sie's, danach sagte ich's auch. Also: »He!«
  • sagten Dóbtschinski und ich. »Warum sitzt er hier, wenn er nach Sarátoff
  • soll?« Folglich ist _er_ der Beamte.
  • Polizeimeister. Was, welcher Beamte?
  • Bóbtschinski. Der Beamte, von dem Sie die Nachricht zu empfangen
  • geruhten -- der Revisor.
  • Polizeimeister (zusammenfahrend). Was reden Sie da, um Gotteswillen, das
  • kann er nicht sein!
  • Dóbtschinski. Doch! Geld zahlt er keins und abreisen tut er auch nicht.
  • Wer sollte es anders sein? Und dabei lautet sein Paß auf Sarátoff.
  • Bóbtschinski. Er ist's, er ist's, ganz gewiß ... Und was für eine
  • Spürnase, alles hat er bemerkt, beobachtete, wie Dóbtschinski und ich
  • Lachs aßen -- etwas reichlicher als sonst, weil Dóbtschinskis Magen ...
  • Ja, _so_ hat er auf unsre Teller geschielt. Der Schreck fuhr mir
  • ordentlich in die Glieder.
  • Polizeimeister. Herr Gott, erbarme dich über uns arme Sünder! Wo wohnt
  • er denn da?
  • Dóbtschinski. Auf Nummer fünf, über die Stiege.
  • Bóbtschinski. In derselben Stube, wo sich voriges Jahr die
  • durchreisenden Offiziere geprügelt hatten.
  • Polizeimeister. Ist er schon lange da?
  • Dóbtschinski. An die zwei Wochen; seit Sankt Basilius.
  • Polizeimeister. Zwei Wochen! (Beiseite.) Gott und alle Heiligen, steht
  • mir bei! In diesen zwei Wochen ist die Witwe des Unteroffiziers
  • ausgepeitscht worden, haben die Gefangenen keine Rationen erhalten. Die
  • Straßen voll Dreck und Kot. Schimpf und Schande! (Greift sich an den
  • Kopf).
  • Hospitalverwalter. Nun, Antón Antónowitsch, jetzt wird's eben heißen:
  • auf und in Gala nach dem Gasthof.
  • Kreisrichter. Nein, nein; erst muß der Stadtälteste, die Geistlichkeit
  • und die Kaufmannschaft vorangeschickt werden; wie schon zu lesen in den
  • »Taten Johanns des Freimaurers« ...
  • Polizeimeister. Nein, nein; überlassen Sie das mir. Mich hat schon
  • Schwereres im Leben heimgesucht, es ging vorüber und ich habe noch Dank
  • dazu gehabt. Wohlan! Gott wird auch diesmal helfen. (Zu Bóbtschinski
  • gewandt.) Sagten Sie nicht, es sei noch ein junger Mann?
  • Bóbtschinski. Jawohl, so an die dreiundzwanzig oder ein wenig über
  • vierundzwanzig.
  • Polizeimeister. Desto besser, ein junger läßt sich leichter auf den Zahn
  • fühlen; schlimm, wenn's ein alter Satan gewesen wäre; junge Leute sind
  • Windbeutel. Halten Sie sich bereit, meine Herren, ich gehe jetzt alleine
  • hin -- oder vielleicht höchstens in Dóbtschinskis Begleitung, ganz
  • privatim, um wie auf einem Spaziergang bloß mal nachzuschauen, ob die
  • durchreisenden Fremden keinen Anlaß zu Beschwerden haben. He,
  • Swistúnoff!
  • Polizeidiener. Zu Befehl!
  • Polizeimeister. Hol mir sofort den Polizeiinspektor, oder nein, ich
  • brauche dich hier. Sag draußen irgendwem, er soll mir so schnell wie
  • möglich den Polizeiinspektor herbeischaffen und komm gleich zurück.
  • (Polizeidiener ab.)
  • Hospitalverwalter. Kommen Sie, kommen Sie, meine Herren, es könnte
  • wirklich was passieren.
  • Kreisrichter. Was haben denn Sie zu fürchten? Reine Nachtmützen für die
  • Kranken und damit holla.
  • Hospitalverwalter. Wenn's das bloß wäre! Von rechtswegen sollten die
  • Kranken Hafersuppe kriegen, und statt dessen ist bei mir auf allen
  • Korridoren ein solcher Gestank nach Sauerkohl, daß man sich die Nase
  • zuhalten muß.
  • Kreisrichter. In der Hinsicht bin ich ohne Sorge. Aufs Gericht zu kommen
  • fällt ja doch keinem ein; und wenn er wirklich in so ein Aktenstück
  • reinschaut, wird er seines Lebens nicht froh. Ich sitze nun schon
  • fünfzehn Jahre auf dem Richterstuhl, und wenn ich solch schriftliches
  • Referat ansehn muß -- ah! ich mache bloß so mit der Hand! Selbst Salomo
  • würde nicht entscheiden, wo Recht und wo Unrecht ist.
  • (Kreisrichter, Hospitalverwalter, Schulinspektor und Postmeister ab
  • und kollidieren in der Tür mit dem zurückkehrenden Polizeidiener.)
  • 4. Szene
  • Polizeimeister. Bóbtschinski. Dóbtschinski und Polizeidiener.
  • Polizeimeister. Ist der Wagen bereit?
  • Polizeidiener. Zu Befehl.
  • Polizeimeister. Geh hinunter ... oder nein, halt! Geh, hol mir ... Aber
  • wo sind denn die andern? Bist du denn allein? Ich habe doch befohlen,
  • daß auch Prochóroff zur Stelle sei. Wo ist Prochóroff?
  • Polizeidiener. Prochóroff ist auf der Wache, ist aber nicht zu brauchen.
  • Polizeimeister. Warum nicht?
  • Polizeidiener. Nun so: man brachte ihn heut morgen totbesoffen an; wir
  • gossen ihm schon zwei Eimer Wasser über den Kopf, aber bis jetzt hat er
  • sich noch nicht aufgerappelt.
  • Polizeimeister (schlägt sich vor den Kopf). Gott, mein Gott! Lauf
  • schnell auf die Straße, oder nein -- zuerst in mein Schlafzimmer, hörst
  • du! und bring mir den Degen und die neue Mütze. Kommen Sie,
  • Dóbtschinski!
  • Bóbtschinski. Ich auch, ich auch, bitte, nehmen Sie mich doch auch mit,
  • Antón Antónowitsch.
  • Polizeimeister. Nein, nein, Bóbtschinski, das geht nicht! Es wäre
  • unbequem, und wir hätten zusammen doch keinen Platz im Wagen.
  • Bóbtschinski. Tut nichts, tut nichts: ich springe hupp, hupp, hupp
  • hinter dem Wagen her; ich möchte bloß so hineinblinzeln durch ein
  • Türritzchen, wie er sich dabei haben wird.
  • Polizeimeister (den Degen nehmend, zum Polizeidiener). Lauf rasch, nimm
  • dir Polizisten und jeder soll ... Verflucht, wie der Degen zerschrammt
  • ist! Dieser hundsföttische Krämer Awdúljin -- sieht beim Polizeimeister
  • den alten Degen und schickt keinen neuen! Infames Pack! Wartet ihr
  • Halunken, ich will euch mit euren ellenlangen Bittschriften! Jeder soll
  • sofort eine Straße packen ... Himmeldonnerwetter Straße -- einen Besen
  • soll er packen und gleich die Straße beim Gasthof reinfegen ... hörst
  • du! Und du nimm dich in acht! Ich kenne dich, Bürschchen: du biederst
  • dich da an und läßt silberne Löffel in deine Stiefelschäfte verschwinden
  • -- sieh dich vor, ich habe feine Ohren! ... Was hast du neulich beim
  • Kaufmann Tschernájeff ausgefressen? Er schenkt dir zwei Ellen Tuch zur
  • Uniform, und du maust ihm das ganze Stück -- paß Obacht! Zu so was bist
  • du noch zu gering! Marsch!
  • 5. Szene
  • Die Vorigen. Polizeiinspektor.
  • Polizeimeister. Um alles in der Welt, Stepán Iljitsch, wo treiben Sie
  • sich denn herum? Ist das eine Art?
  • Polizeiinspektor. Ich war gerade nur einen Augenblick vor der Türe.
  • Polizeimeister. Na, nun hören Sie mal, Stepán Iljitsch! Der bewußte
  • Beamte aus Petersburg ist eingetroffen. Was haben Sie inzwischen
  • angeordnet?
  • Polizeiinspektor. Genau was Sie befahlen; ich schickte den Polizeidiener
  • Pugowízyn mit Polizisten ab, um das Trottoir zu fegen.
  • Polizeimeister. Und wo ist Djerschimórda?
  • Polizeiinspektor. Djerschimórda mußte nach der Feuerspritze.
  • Polizeimeister. Und Prochóroff ist besoffen!
  • Polizeiinspektor. Zu Befehl, besoffen.
  • Polizeimeister. Wie konnten Sie das geschehen lassen?
  • Polizeiinspektor. Das weiß Gott! Gestern gab's vor der Stadt Prügelei --
  • er ritt hinaus, um Ruhe zu schaffen und kam besoffen zurück.
  • Polizeimeister. Hören Sie jetzt, was Sie zu tun haben: der Wachtmeister,
  • groß und stämmig, wie er ist, soll auf der Brücke Posto fassen und auf
  • Ordnung halten. Lassen Sie den alten Zaun neben dem Schuhmacher abfegen
  • und ein paar Strohwische draufstecken, damit's so aussieht, als ob dort
  • planiert werden soll; je mehr Rudera, desto mehr glaubt man an den Eifer
  • der Stadtverwaltung. Mein Gott, ich vergaß ja, daß man grade neben
  • diesem Zaun an die vierzig Fuhren Dreck abgeladen hat! O diese
  • schweinische Stadt! Kaum stellt man irgendwo ein Denkmal oder auch nur
  • einen Zaun auf, gleich schleppen sie einem dort, der Teufel weiß woher,
  • sämtlichen Unrat zusammen! Ja -- und wenn der Revisor unsere Leute
  • fragen sollte, ob sie zufrieden sind mit ihrem Dienst, daß mir die Kerle
  • gehörig antworten: »Vollkommen zufrieden, Exzellenz!« Wer sich anders
  • untersteht, dem will ich später schon seine Mißvergnügtheit anstreichen.
  • (Seufzt.) Ach, ach, ach! Ich armer geschlagener Sünder! (Ergreift statt
  • der Mütze die Hutschachtel.) Gebe nur Gott, daß alles gnädig
  • vorübergehe, dann will ich auch eine Wachskerze weihen, so groß, wie sie
  • noch nie ein Mensch geopfert hat: jede Bestie von Krämer soll mir dazu
  • drei Zentner Wachs herschaffen. O Gott, o Gott! Vorwärts, Dóbtschinski
  • (will statt der Mütze die Hutschachtel aufsetzen.)
  • Polizeiinspektor. Antón Antónowitsch, das ist ja die Pappschachtel und
  • nicht die Mütze.
  • Polizeimeister (wirft die Schachtel an die Erde). Zum Teufel mit der
  • Pappschachtel! Und wenn gefragt wird: warum ist die Kirche am Hospital
  • nicht gebaut, für die schon vor fünf Jahren die Baugelder angewiesen
  • wurden, dann hat's ordnungsgemäß zu heißen: sie war schon im Bau, ist
  • aber wieder abgebrannt. Ich habe seinerzeit darüber Rapport erstattet.
  • Daß mir keiner in seiner Dummheit herausplappert, daß sie überhaupt
  • nicht angefangen wurde. Auch muß Djerschimórda eingeschärft werden, daß
  • er mit seinen Fäusten nicht allzu derb dreinpfeffert; bei seinem
  • Ruheschaffen haut er jedem Schuldigen wie Unschuldigen das Feuer aus den
  • Augen. Fahren wir jetzt, Dóbtschinski. (Geht und kommt noch einmal
  • zurück.) Daß man mir auch keinen Soldaten halbnackt auf die Straße läßt;
  • diese Lottergarnison läuft immer nur in Hemd und Uniform herum, und
  • weiter unterwärts ist nichts da. (Alle ab.)
  • 6. Szene
  • Anna Andréjewna und Márja Antónowna kommen hereingelaufen.
  • Anna. Wo, wo sind sie? Ach mein Gott! ... (öffnet die Tür.) Mann! Anton!
  • Liebster Anton! (Hastig.) Immer du, immer deinetwegen! Diese ewige
  • Trödelei: »Noch eine Stecknadel, noch ein Lätzchen.« (Läuft zum Fenster
  • und ruft.) Anton, wohin? Wie? Ist er angekommen? Der Revisor? Mit
  • Schnurrbart? Schönem Schnurrbart?
  • Stimme des Polizeimeisters. Nachher, nachher meine Liebe!
  • Anna. Nachher? Was soll mir nachher! Ich will nicht nachher! ... Nur ein
  • Wörtchen: ist's ein Oberst? Wie? (Fassungslos) Fort ist er! Das will ich
  • dir gedenken. Ewig dies: »Ach Mamachen, nur noch ein Augenblickchen, nur
  • noch das Lätzchen feststecken, gleich bin ich fertig.« Da hast du dein
  • gleich! Nichts und nichts erfahren! Alles wegen dieser verwünschten
  • Koketterie; bloß hören, daß der Herr Postmeister da ist, und husch vor
  • den Spiegel und sich erst gehörig zieren und sich hier herumdrehen und
  • da herumdrehen, ob man auch hübsch genug ist. Bildet sich ein, daß er
  • ihr die Cour schneidet! Grimassen schneidet er dir, sobald du dich nur
  • umdrehst.
  • Márja. Aber, was ist denn da nun zu machen, Mamachen? Es ist doch egal,
  • binnen zwei Stunden wissen wir ja alles.
  • Anna. Zwei Stunden? Bedanke mich schönstens! Auf die Antwort durfte ich
  • ja gefaßt sein; sag doch gleich: in vier Wochen, da wissen wir's ja noch
  • bestimmter! (Beugt sich zum Fenster hinaus.) He, Awdótja! Wie? --
  • Awdótja, hast du's gehört, wer da angekommen ist? ... Nicht gehört?
  • Dumme Gans! -- Er winkt mit der Hand? Laß ihn winken, hast du ihn
  • wenigstens gefragt? Nicht verstanden? Natürlich, immer verliebten Kram
  • im Kopf! -- Wie? Gerade abgefahren! Hätt'st nachrennen sollen! Lauf,
  • lauf rasch! Hörst du, geschwind und frag, wohin sie gefahren sind, aber
  • genau fragen, wer er ist, wie er aussieht -- hörst du? Guck durch die
  • Türritze und schau gut nach, auch was er für Augen hat, schwarze oder
  • blaue, und in einer Minute bist du wieder hier, verstanden?! Schnell,
  • schnell, schnell! (Ruft so lange, bis der niedergehende Vorhang die
  • beiden am Fenster stehenden Frauen den Blicken entzieht.)
  • (Ende des ersten Aufzuges).
  • Zweiter Aufzug
  • Kleines Zimmer im Gasthause, ein Bett, Tisch, Handkoffer, eine
  • leere Flasche, Stiefel, Kleiderbürste und dergleichen.
  • 1. Szene
  • Ossip, liegt auf seines Herrn Bett.
  • Ossip. Hol's der Schinder, so'n gemeiner Hunger, und im Magen ein Rumor,
  • als ob da 'n ganzes Regiment 'rumtrompetet. Und kein Fortkommen, nich
  • mal nach Hause. Was soll nu geschehen! Zwei geschlagene Monat weg von
  • Petersburg! Verplempert auf der Reise sein Geld, mein sauberes Herrchen,
  • und jetzt sitzt er da, klemmt den Schwanz ein und macht kusch. Und 's
  • hätt' doch schön gereicht auf die Reise; aber nee, siehste, da muß
  • überall Staat gemacht werden. (Äfft ihn nach.) »He, Ossip, lauf, nimm
  • mir das beste Zimmer und bestell mir das feinste Essen, einen
  • gewöhnlichen Mansch kann ich nicht genießen, ich brauche das feinste
  • Essen.« Ein einfacher tüchtiger Happen hätt' auch gelangt, aber so'n
  • Leckermaul muß immer was extra's haben. Sich mit Reisenden einlassen und
  • Karten spielen -- na und dann gehörig reingelegt werden! Eh, die Zucht
  • hab' ich satt! Da is es doch auf 'm Dorf noch immer besser: freilich,
  • so'n Stadtgetue gibt's da nu mal nich, aber auch weniger Schererei: man
  • nimmt sich 'n Weib, liegt immerzu auf der Ofenbank, und läßt sich die
  • Klöße schmecken. Nu, 's wird ja keiner abstreiten, und wenn man's bei
  • Lichte besieht, hat man's wohl in Petersburg doch am besten. Man bloß
  • Geld in der Tasche, dann aber auch 'n pikfeines politisches Leben;
  • Tehater, tanzende Hunde, alles, was das Herz begehrt. Reden tun sie so
  • delikat, als ob alles adlig wär'. Geht man auf den Markt, schrein die
  • Kaufleute: »Gnädigster Herr!« Man steigt in 'ne Fähre, gleich sitzt
  • neben einem 'n Beamter. Braucht man Unterhaltung, dann nur in den ersten
  • besten Laden rein: da erzählt so'n feiner Gardekavalier Schnurren aus 'm
  • Lagerleben und erklärt einem alle Sterne am Himmel, daß man's wie auf
  • der flachen Hand hat. Eine schrumplige Offiziersfrau fängt an zu
  • spektakeln; 'n andermal blinzt einem so'n Kammerzöfchen zu ... pst, pst!
  • (Schüttelt lächelnd den Kopf.) Der Teufel hol die verliebte Wirtschaft!
  • -- Nie kriegt man Grobheiten zu hören, alles sagt »Sie« zu einem. Hat
  • man's Laufen satt, nimmt man sich 'ne Droschke, setzt sich rein wie 'n
  • feiner Herr, und wenn man nicht zahlen mag -- keine Sorge; jedes Haus
  • hat so'n Hinterpförtchen, da witscht man durch und kein Teufel find't
  • einen. Bloß eins is schlecht: einmal ißt man sich plumpsatt, 's andere
  • Mal könnt' man vor Hunger zerspringen, wie zum Beispiel jetzt. Aber
  • daran is er allein schuld. Was soll man mit ihm machen? Papachen schickt
  • Geld und denkt, man wird sparen -- i wohin! ... Rumtreiben tut er sich,
  • fährt immerzu Droschke, jeden Tag hol' ihm ein Tehaterbillett, aber nach
  • acht Tagen, hast du nicht gesehn, da muß ich ihm schon den neuen Frack
  • zum Trödler tragen. Manchmal is er bis aufs letzte Hemd ausgeplündert,
  • daß ihm nur 'n schäbiges Röckchen und 'n alter Mantel übrig bleibt, wahr
  • und wahrhaftig! Und so'n feines Tuch, londonisches! Ein einziger Frack
  • kost't ihm 150 Rubel, und für 20 schlägt er 'n los; von den Hosen erst
  • gar nich zu reden, die gibt er umsonst zu! Und warum? Darum, weil er
  • nichts tut: statt zu arbeiten, fährt er spazieren auf'm Proschpekt und
  • spielt Karten. Hä, wenn das der Alte wüßte? Der möcht' sich nich drum
  • kümmern, daß du'n Beamter bist, sondern möcht dir's Hemd hochnehmen und
  • 'n paar überziehen, daß du dich vier Tage lang jucken könntest. Hast du
  • 'n Dienst, dann dien' auch. Da kommt nu der Wirt und sagt: erst gezahlt,
  • und hernach kriegt ihr zu essen; nu, und wenn wir nich zahlen?
  • (Seufzend.) Grundgütiger Gott, und wenn's auch bloß 'ne Kohlsuppe wär'!
  • Ich möcht' wetten, die ganze Welt hat längst gegessen. -- 's rappelt,
  • gewiß is er's. (Rafft sich vom Bett auf.)
  • 2. Szene
  • Ossip. Chlestakóff.
  • Chlestakóff. Da, nimm das. (Reicht ihm Hut und Spazierstock.) Wieder auf
  • meinem Bett gewälzt?
  • Ossip. Ich und auf'm Bett? Nich mal angesehn hab' ich's.
  • Chlestakóff. Du lügst! Doch hast du's getan! Sieh doch hin, wie's
  • zerwühlt ist!
  • Ossip. Was hab' ich vom Bett? Weiß ich überhaupt, was 'n Bett is? Ich
  • hab' ja Beine zum Stehen. Was geht mich Ihr Bett an?
  • Chlestakóff (auf- und abgehend). Schau mal nach, ob noch Tabak im Beutel
  • ist.
  • Ossip. Wo soll er denn herkommen, der Tabak? Sie haben ja schon
  • vorgestern den letzten aufgeraucht.
  • Chlestakóff (auf- und abgehend und immerfort die Lippen aufeinander
  • pressend, endlich sehr laut und energisch). Hör mal, Ossip!
  • Ossip. Was befehlen?
  • Chlestakóff (laut, aber weniger energisch). Geh mal runter.
  • Ossip. Wohin?
  • Chlestakóff (viel leiser und zahmer, beinahe bittend). Hinunter ans
  • Büfett ... Sag dort ... man möchte mir zu essen schicken.
  • Ossip. Ach nee, lieber nich.
  • Chlestakóff. Was unterstehst du dich, Schafskopf?
  • Ossip. Nu ja, ob ich nu geh' oder nich, 's wird ja doch nichts draus.
  • Der Wirt hat gesagt, er gibt kein Essen mehr.
  • Chlestakóff. Nichts mehr geben will der Kerl? Die Unverschämtheit!
  • Ossip. Obendrein hat er gesagt: Ich geh' zur Polizei! Dein Herr bezahlt
  • seit zwei Wochen nich mehr. Und du und dein Herr, sagt er, seid
  • Spitzbuben, und dein Herr is 'n Gauner.
  • Chlestakóff. Und du Rindvieh freust dich noch gar, mir das
  • wiederzuerzählen!
  • Ossip. Weiter sagt er noch: »Da kommt solche Bande hergelaufen, nistet
  • sich ein, macht Schulden, und hinterher kann man sie nich mal
  • rausschmeißen. Ich«, sagt er, »ich werde aber nich spaßen, ich geh' aufs
  • Gericht und bring Euch ins Loch!«
  • Chlestakóff. Jetzt schweig, Dummkopf! Geh nur, geh, sag's ihm. Dieser
  • grobe Klotz!
  • Ossip. Am gescheit'sten, ich hol' Ihnen gleich den Wirt selber herauf.
  • Chlestakóff. Was brauche ich den Wirt? Sag du es ihm alleine.
  • Ossip. Aber wirklich, Herr ...
  • Chlestakóff. Na, in des Teufels Namen, so geh und rufe den Wirt!
  • Ossip (ab).
  • 3. Szene
  • Chlestakóff allein.
  • Chlestakóff. Greulichen Hunger hab' ich! Ein bißchen spazieren gegangen;
  • dachte, der Appetit wird vergehen -- nein; im Gegenteil, hol's der
  • Satan! Hätte ich nur in Pénsa nicht so gelumpt; dann könnte es noch zur
  • Heimreise langen. -- Dieser Hauptmann hat mich gründlich ausgebeutelt:
  • wie die Bestie die Volte schlagen konnte! Kaum ein paar Viertelstündchen
  • gespielt -- und ratzekahl geschoren. Trotz alledem hätte ich riesige
  • Lust, noch einmal mit ihm loszugehen. Leider kann ich auf den Zufall
  • kaum rechnen. -- Was für ein ekelhaftes Nest das! In den Obstläden geben
  • sie nichts auf Pump; es ist geradezu gemein! (Pfeift eine Melodie aus
  • Robert dem Teufel, dann den roten Sarafan, endlich alles mögliche
  • durcheinander.) Es scheint niemand kommen zu wollen.
  • 4. Szene
  • Chlestakóff, Ossip und der Kellner.
  • Kellner. Der Wirt läßt fragen, was Sie wünschen?
  • Chlestakóff. Schönen guten Tag! Na, wie geht's, Freundchen?
  • Kellner. Danke, ausgezeichnet.
  • Chlestakóff. Und wie steht's in der Wirtschaft? Guter Zuspruch?
  • Kellner. Danke, alles nach Wunsch.
  • Chlestakóff. Viel Reisende?
  • Kellner. Danke, ausreichend.
  • Chlestakóff. Hör mal, mein Lieber, man hat mir bis jetzt das Essen nicht
  • gebracht; sieh doch geschwind zu, daß sie sich beeilen -- ich habe
  • gleich nach Mittag ein dringendes Geschäft.
  • Kellner. Aber der Wirt hat gesagt, er borgt nicht länger; heute wollte
  • er sogar schon zum Polizeimeister, um sich zu beschweren.
  • Chlestakóff. Weshalb beschweren? Aber Freundchen, das siehst du doch
  • selber ein, essen muß ich doch; ich würde ja sonst verhungern. Ich habe
  • wirklich starken Appetit -- ganz im Ernst.
  • Kellner. Zu dienen. Er sagte aber: »Zu essen kriegt er nichts, bis er
  • nicht seine vorige Zeche bezahlt hat.« Wort für Wort.
  • Chlestakóff. Rede ihm doch zu, dir wird er's nicht abschlagen.
  • Kellner. Wie soll ich ihm denn zureden?
  • Chlestakóff. Setze es ihm nur ganz ernsthaft auseinander, daß ich eben
  • essen _muß_. Von Geld ein andermal ... So ein Bauer bildet sich ein,
  • wenn ihm ein Tag fasten nichts schadet, könnten's auch andere Leute
  • vertragen! Unerhört!
  • (Kellner und Ossip ab.)
  • 5. Szene
  • Chlestakóff allein.
  • Chlestakóff. Es wäre doch niederträchtig, wenn er mir nichts zu essen
  • schickte. Einen Hunger hab' ich, wie noch nie. -- Ob man wohl die
  • Garderobe versetzt? Vielleicht die Beinkleider? Nein, eher noch hungern,
  • aber wenigstens im Petersburger Kostüm nach Haus kommen. Schade, daß mir
  • der Jochim nicht die Karosse herleihen wollte; alle Wetter, das wäre
  • doch ein Spaß gewesen, in so einer Staatskutsche heimzureisen und dann
  • der lieben Nachbarschaft mit dem Ungetüm vor die Fenster zu rasseln,
  • vorn Laternen, hinten Ossip in Livree. Ich kann mir's ordentlich
  • vorstellen, wie sie da alle aufgesprungen wären! »Was ist los? Wer kommt
  • da?« Und mein Lakai tritt herein: (Richtet sich stramm auf und ahmt den
  • Lakeien nach.) »Iwán Alexándrowitsch Chlestakóff aus Petersburg, geruht
  • die Herrschaft zu empfangen?« Diese Tölpel, sie ahnen nicht mal, was da
  • drin liegt: »empfangen!« Kommt ihnen freilich so ein Hanswurst von
  • Gutsbesitzer, der tappt natürlich wie ein ungeschlachter Bär direkt ins
  • Zimmer. -- Man nähert sich einer hübschen jungen Dame: »Ah, Gnädigste,
  • wie bin ich ...« (Reibt sich die Hände und scharrt mit den Füßen.) Tfu!
  • (Spuckt aus.) Rein übel wird einem vor lauter Hunger!
  • 6. Szene
  • Chlestakóff, Ossip, nachher der Kellner.
  • Chlestakóff. Nun?
  • Ossip. Das Essen kommt.
  • Chlestakóff (klatscht in die Hände und ist mit einem Satz auf dem
  • Stuhl). Das Essen! Das Essen!
  • Kellner (mit Tellern und Serviette). Der Wirt will es noch ein letztes
  • Mal geben.
  • Chlestakóff. Wirt hin, Wirt her, ich pfeife auf deinen Wirt! Was bringst
  • du da?
  • Kellner. Suppe und Braten.
  • Chlestakóff. Was, bloß zwei Gerichte?
  • Kellner. Bloß zwei.
  • Chlestakóff. Schufterei! Ich nehme das nicht an. Sag ihm gefälligst, daß
  • das eine Gemeinheit ist! ... Die paar Brocken!
  • Kellner. Im Gegenteil, der Wirt sagt, das wäre überreichlich.
  • Chlestakóff. Und warum keine Sauce?
  • Kellner. Sauce gibt's nicht.
  • Chlestakóff. Wieso gibt's nicht? Ich habe doch selber gesehen, wie ich
  • bei der Küche vorbeiging, daß eine Masse davon bereitet wurde. Und im
  • Gastzimmer heute morgen aßen zwei alberne Knirpse Lachs und andere
  • schöne Sachen.
  • Kellner. O ja, da ist es schon, aber es gibt es nicht.
  • Chlestakóff. Wieso nicht?
  • Kellner. Gibt's eben nicht.
  • Chlestakóff. Und Lachs und Fisch und Kotelettes?
  • Kellner. Ja, das gibt's eben für die besseren Leute.
  • Chlestakóff. Ach, du Tropf!
  • Kellner. Zu dienen.
  • Chlestakóff. Ferkel, garstiges ... Warum essen die, und ich nicht? Soll
  • ich das nicht können, zum Kuckuck? Sind das nicht ebenso gut Reisende
  • wie ich?
  • Kellner. Oh, das weiß man schon, daß die anders sind.
  • Chlestakóff. Wieso anders?
  • Kellner. O ganz einfach: die bezahlen eben auch.
  • Chlestakóff. Mit dir Schafskopf mag ich nichts weiter zu schaffen haben.
  • (Gießt sich Suppe ein und ißt.) Was ist denn das für Suppe? Reines
  • Wasser hast du in die Terrine gegossen! Schmeckt nach gar nichts, riecht
  • bloß. Ich mag diese Suppe nicht, bring mir eine andere.
  • Kellner. Dann nehmen wir sie zurück. Der Wirt sagte, wenn Sie sie nicht
  • wünschten, brauchten sie auch keine.
  • Chlestakóff (hält abwehrend die Hand darüber). Nu, nu, nu ... weg,
  • Dummkopf! Solche Manieren kannst du bei deinen Leuten anbringen: ich bin
  • von anderem Schlage! Mit mir rate ich's dir nicht ... (Ißt.) Gott, o
  • Gott, was für eine Suppe! (Ißt weiter.) Ich glaube, kein Mensch auf der
  • ganzen Welt hat jemals solche Suppe gegessen; statt Fettaugen schwimmen
  • Federn darauf rum. (Schneidet ein Huhn an.) Gräßlich, so was nennt sich
  • Huhn! Gib den Braten! Hier ist etwas Suppe übrig geblieben, nimm dir's,
  • Ossip. (Zerschneidet den Braten.) Das soll Braten sein? Das ist kein
  • Braten.
  • Kellner. Was denn sonst?
  • Chlestakóff. Der Teufel mag wissen was, aber Braten ist's nicht. Eine
  • geschmorte Axt vielleicht, aber kein Rindfleisch. (Ißt.) Gauner,
  • Kanaillen, damit wollen Sie einen füttern? Die Kinnladen zerschindet man
  • sich, wenn man nur einen Bissen kaut. (Stochert mit den Fingern in den
  • Zähnen.) Schufte! Die reine Baumrinde -- man kriegt's gar nicht wieder
  • heraus; nur die Zähne werden einem schwarz davon; Halunken! (Wischt sich
  • mit der Serviette den Mund.) Und weiter gibt's nichts?
  • Kellner. Nein.
  • Chlestakóff. Kanaillen! Spitzbuben! Nicht mal einen Löffel Sauce oder
  • Pasteten. Gauner! Ziehen den Reisenden nur das Fell über die Ohren.
  • Kellner (räumt zusammen und trägt mit Ossip die Teller hinaus).
  • 7. Szene
  • Chlestakóff. Dann Ossip.
  • Chlestakóff. Absolut, als wenn ich nichts gegessen hätte; der Appetit
  • ist nur noch stärker. Hätt' ich wenigstens einen lumpigen Dreier, um mir
  • vom Markt eine Semmel holen lassen zu können.
  • Ossip (tritt herein). Draußen ist da so was wie 'n Polizeimeister
  • angekommen, der sich nach Ihnen erkundigt.
  • Chlestakóff (erschrocken). Da haben wir die Bescherung! Hat mich diese
  • Bestie von Wirt doch schon verpetzt! Was nun, wenn er mich wirklich ins
  • Loch steckt! In ein standesgemäßes Gewahrsam vielleicht ... Nein, nein,
  • ich will nicht! Auf der Straße treiben sich viele Offiziere und Volks
  • umher, und gerade vorhin erst habe ich ihnen den feinen Ton vorgemacht
  • und mit einem Kaufmannstöchterchen angebandelt ... nein, ich will nicht
  • ... Aber wie kommt er überhaupt dazu, was untersteht er sich denn
  • eigentlich? Wofür hält er mich? Wohl gar für einen Krämer oder
  • Handwerker? (Mut fassend und sich aufrichtend). Ich sag's ihm aber
  • direkt ins Gesicht: »Wie können Sie sich ...« (Die Türklinke bewegt
  • sich, Chlestakóff erbleicht und knickt zusammen).
  • 8. Szene
  • Chlestakóff. Polizeimeister und Dóbtschinski.
  • (Polizeimeister tritt herein und bleibt stehen; beide betrachten
  • einander mehrere Minuten mit weit aufgerissenen Augen).
  • Polizeimeister (rafft sich etwas zusammen und grüßt militärisch).
  • Gehorsamster Diener!
  • Chlestakóff (sich verbeugend). Ganz ergebenster!
  • Polizeimeister. Verzeihen Sie!
  • Chlestakóff. Keine Ursache ...
  • Polizeimeister. Es ist meine Schuldigkeit als oberster Beamter dieser
  • Stadt dafür Sorge zu tragen, daß die Herren Reisenden und
  • Standespersonen keine Plackereien ...
  • Chlestakóff (anfangs stotternd, allmählich in sicherem Tone). Was soll
  • man aber machen ...? Ich habe keine Schuld ... ich zahle bestimmt ...
  • ich erwarte Geld von zu Hause. (Bóbtschinski schielt durch die Tür.) Er
  • treibt's ja noch schlimmer: schickt mir Rindfleisch, so zäh, wie'n
  • Knüppel; und die Suppe -- der Teufel weiß, was er da rein gemanscht
  • hatte, ich mußte sie zum Fenster hinausgießen. Er hungert mich förmlich
  • aus ... Und ein unglaublicher Tee, riecht nach Hering, aber nicht nach
  • Tee. Und da sollte ich ... das fehlte gerade noch!
  • Polizeimeister (furchtsam). Verzeihen Sie, ich habe wahrhaftig keine
  • Schuld. Wir haben sonst immer gutes Rindfleisch auf dem Markte --
  • Kaufleute aus Cholmogór bringen es, nüchterne und brave Leute. Ich
  • begreife nicht, wo er dergleichen her hat. Aber wenn man es hier woran
  • fehlen lassen sollte ... Gestatten Sie mir, Ihnen den Vorschlag zu
  • machen, in meiner Begleitung ein anderes Quartier zu beziehen.
  • Chlestakóff. Nein, das will ich nicht! Ich weiß wohl, was Sie mit dem
  • andern Quartier meinen: das Gefängnis. Wie können Sie es wagen? ... Ich,
  • ich ... ein Petersburger Beamter ... (stolz) Ich ... ich ... ich ...
  • Polizeimeister (beiseite). Barmherziger Gott, wie er aufgebracht ist; er
  • hat alles erfahren, die verfluchten Kaufleute haben ihm alles
  • hinterbracht!
  • Chlestakóff (noch kühner). Und wenn Sie mit Ihrer ganzen Truppe
  • anrücken, ich gehe nicht! Ich wende mich direkt an den Minister!
  • (Schlägt mit der Faust auf den Tisch.) Wer sind Sie denn? Wer sind Sie
  • denn?
  • Polizeimeister (sich windend und am ganzen Leib zitternd). Erbarmen Sie
  • sich. Verderben Sie mich nicht! Mein Weib, meine unmündigen Kinder ...
  • machen Sie mich nicht unglücklich!
  • Chlestakóff. Nein, ich tu's dennoch nicht! Das wäre ja noch schöner! Was
  • geht das mich an? Weil Sie Weib und unmündige Kinder haben, soll ich ins
  • Gefängnis? Vorzüglich! (Bóbtschinski steckt den Kopf durch die Tür und
  • zieht ihn erschrocken zurück.) Nein, danke verbindlichst, ich will
  • nicht!
  • Polizeimeister (zitternd). Nur Unerfahrenheit, nichts wie
  • Unerfahrenheit! Unzureichende Pflichterfüllung. Urteilen Sie selbst, das
  • Diensteinkommen langt kaum für Tee und Zucker. Gelegentliche kleine
  • Douceurs sind doch nur eine Bagatelle: Kleinigkeiten für den Hausstand,
  • oder ein paar Anzüge. Was die Unteroffizierswitwe betrifft, die sich mit
  • Hausierhandel befaßte, und die ich soll haben durchpeitschen lassen, so
  • ist das nichts wie Verleumdung, bei Gott, Verleumdung; das haben meine
  • Feinde ersonnen, niederträchtiges Volk, das mir nach dem Leben trachten
  • möchte.
  • Chlestakóff. Ja aber, ich habe doch nichts mit denen zu schaffen ...
  • (Überlegend.) Ich verstehe überhaupt nicht, was Sie da von
  • Bösewichtern und einer Unteroffizierswitwe reden ... Das mit dieser
  • Unteroffizierswitwe ist eine Sache für sich -- mich aber werden Sie
  • nicht auspeitschen dürfen, so hoch stehen Sie nicht ... Seh doch einer
  • den Herrn! ... Zahlen werde ich, aber augenblicklich habe ich kein Geld.
  • Darum sitze ich ja hier fest, weil ich keinen Kopeken habe.
  • Polizeimeister (beiseite). Wie schlau eingefädelt! Welch feines
  • Versteckspiel! Wie er sich verstellt! Errate das, wer kann! Ich sehe
  • nicht mehr, wie ihm beizukommen ist. Immerhin versuchen, geht's nicht,
  • dann komme was will, probiert aber muß es werden. (Laut.) Sollten Sie
  • aber Geld oder sonst etwas nötig haben, dann stehe ich augenblicklich zu
  • Diensten. Es ist meine Pflicht, den Herren Reisenden beizuspringen.
  • Chlestakóff. Ach ja, leihen Sie mir welches. Ich befriedige dann sofort
  • den Wirt. Zweihundert Rubel genügen mir, auch weniger.
  • Polizeimeister (die Brieftasche ziehend). Genau zweihundert Rubel, bitte
  • bemühen Sie sich nicht erst nachzuzählen.
  • Chlestakóff (nimmt das Geld). Danke verbindlichst! Ich schicke es Ihnen
  • postwendend von Hause zurück ... mir war ganz zufällig ... Ich sehe, Sie
  • sind ein anständiger Mensch. Jetzt sieht die Sache wesentlich anders
  • aus.
  • Polizeimeister (beiseite). Gott sei Dank, er nimmt! Nun wird's wohl
  • glatter gehen. Statt 200 habe ich ihm 400 angedreht!
  • Chlestakóff. He, Ossip! (Ossip tritt ein.) Ruf den Kellner her! (Zum
  • Polizeimeister und Dóbtschinski.) Aber warum stehen Sie denn, bitte,
  • setzen Sie sich! (Zu Dóbtschinski.) Aber so nehmen Sie doch Platz, ich
  • bitte recht sehr!
  • Polizeimeister. Keine Ursache, wir können ebenso gut stehen.
  • Chlestakóff. So machen Sie mir doch das Vergnügen und setzen Sie sich!
  • Jetzt erkenne ich erst vollkommen die Lauterkeit und Güte Ihres
  • Charakters; aber wahrhaftig, ich hatte anfänglich gemeint, Sie kämen um
  • mich ... (Zu Dóbtschinski.) So setzen Sie sich doch! (Polizeimeister und
  • Dóbtschinski setzen sich; Bóbtschinski schielt durch die Tür und
  • horcht.)
  • Polizeimeister (beiseite). Man muß dreister vorgehen. Er wünscht, daß
  • man sein Inkognito respektiert. Schön, spielen wir die Komödie mit, tun
  • wir, als ob wir nicht wüßten, wen wir vor uns haben. (Laut.) In Ausübung
  • meiner Pflichten hatte ich hier mit Herrn Pjotr Iwánowitsch
  • Dóbtschinski, Hausbesitzer hiesiger Stadt, den Gasthof betreten, um mich
  • zu überzeugen, ob die Herren Reisenden gut verpflegt werden; denn ich
  • bin total anders als sonstige Amtskollegen, die sich um dergleichen gar
  • nicht kümmern; ich dagegen wünsche, ganz abgesehen von meiner Pflicht,
  • schon aus christlicher Nächstenliebe, daß ein jeder hier eine gute
  • Aufnahme findet -- und so verdanke ich der Gunst des Zufalls diese
  • willkommene Bekanntschaft.
  • Chlestakóff. Auch ich bin sehr erfreut. Ohne Sie hätte ich wahrhaftig
  • lange hier sitzen können; ich wußte nicht mehr, womit ich bezahlen
  • sollte.
  • Polizeimeister (beiseite). I rede du nur zu! Wußte nicht, womit
  • bezahlen! (Laut.) Ist es erlaubt, zu fragen, wohin Sie zu reisen
  • gedenken?
  • Chlestakóff. Ich reise ins Gouvernement Sarátow, auf mein Familiengut.
  • Polizeimeister (beiseite mit ironischem Lächeln). Ah? und errötet nicht
  • einmal! Oh, bei dem muß man die Ohren steif halten! (Laut.) Ein höchst
  • anerkennenswertes Vorhaben! Abgesehen vom Zustand der Fahrwege bereitet
  • das Reisen zwar manche Ungelegenheiten durch öfteren Mangel an
  • Postpferden, dafür aber auf der anderen Seite auch viel schöne
  • Zerstreuung. Sie reisen vermutlich nur zum Vergnügen!
  • Chlestakóff. Nein, Papa will mich haben. Der Alte ist verdrießlich, daß
  • ich es in Petersburg noch nicht weiter gebracht habe. Er bildet sich
  • ein, daß man nur dort hinzukommen braucht, um sofort den Wladímir ins
  • Knopfloch zu bekommen. Ich gönnte es ihm, sich selber mal in so einer
  • Kanzlei herumzuschlagen.
  • Polizeimeister (beiseite). Hat man jemals solche Aufschneiderei erlebt?
  • Sogar einen Papa hat er bei der Hand! (Laut.) Gedenken Sie, dort lange
  • zu verweilen?
  • Chlestakóff. Ich weiß selbst noch nicht. Sehn Sie, mein Vater ist
  • eigensinnig, ein alter Querkopf, hart wie ein Stock. Ich werde ihm aber
  • kurz und bündig sagen: wie du wünschst, aber ohne Petersburg kann ich
  • nicht leben. Warum soll ich denn durchaus mitten unter den Bauern
  • verkommen! Danach steht mir jetzt nicht der Gaumen, meine Seele dürstet
  • nach Licht.
  • Polizeimeister (beiseite). Unglaublich, wie dick der aufträgt! Eine Lüge
  • nach der andern, und verhaspelt sich nicht mal! Und dabei ein so
  • schmächtiges Bürschchen, daß man ihn mit dem kleinen Finger plattdrücken
  • könnte. Na, warte nur! Du sollst mir schon noch Reden führen! (Laut.)
  • Sehr richtig bemerkt. Was soll man in so einem Winkel auch anstellen? Da
  • lobe ich mir wenigstens ein Städtchen wie das unsre: nachts kein Auge
  • zu, man plagt sich für sein Vaterland, gönnt sich keinerlei Schonung,
  • ohne die leiseste Hoffnung, künftig einmal Dank dafür zu ernten. (Blickt
  • im Zimmer umher.) Dieses Zimmer scheint etwas feucht?
  • Chlestakóff. Schauderhaftes Zimmer, und Wanzen, wie ich sie noch nie
  • erlebt habe: beißen wie die Hunde.
  • Polizeimeister. Nicht möglich! Ein so erlauchter Gast und derartig
  • unerhörten Martern ausgesetzt? Seitens fluchwürdiger Wanzen, die es
  • überhaupt auf der Welt nicht zu geben brauchte! Und wie dunkel es in
  • diesem Zimmer ist!
  • Chlestakóff. Ja, vollkommen dunkel. Der Wirt hat die Angewohnheit, keine
  • Kerzen herzugeben. Man will mal was arbeiten, lesen oder einen
  • poetischen Gedanken zu Papier bringen -- unmöglich: Nacht, schwarze
  • Nacht.
  • Polizeimeister. Dürfte ich mich erkühnen, Ihnen eine Bitte vorzutragen
  • ... doch nein, ich bin dessen nicht würdig.
  • Chlestakóff. Was ist's denn?
  • Polizeimeister. Nein, nein, ich bin nicht würdig, bin nicht würdig!
  • Chlestakóff. Na, heraus damit, was ist's?
  • Polizeimeister. Ich wollte mich erkühnen ... Ich habe in meinem Hause
  • ein für Sie vorzüglich geeignetes Zimmer, hell, ruhig .... doch nein,
  • ich fühle es selbst, es wäre der Ehre zu viel für mich, zürnen Sie mir
  • nicht, ich schlug das lediglich in aller Herzenseinfalt vor.
  • Chlestakóff. Ganz im Gegenteil, bitte sehr, ich nehme es mit größtem
  • Vergnügen an. In einem Privathaus fühle ich mich bei weitem behaglicher
  • als in dieser Schankbude.
  • Polizeimeister. Ich bin hoch entzückt! Und wie wird sich erst meine Frau
  • freuen! Dahin geht nun einmal der Zug meines Charakters: schlichte, aber
  • herzliche Gastfreundschaft, vorzüglich gegen erlauchte Personen. Seien
  • Sie überzeugt, daß dahinter keine Art von Schmeichelei verborgen ist;
  • nein, von derartigen Lastern bin ich frei, ich spreche aus vollem
  • Herzen.
  • Chlestakóff. Verbindlichsten Dank! Auch ich hasse die doppelzüngigen
  • Menschen. Ihre Aufrichtigkeit und Ihr Freimut berühren mich äußerst
  • sympathisch und ich verlange, um es offen zu bekennen, nichts weiter als
  • Ergebenheit und Hochachtung, Hochachtung und Ergebenheit.
  • 9. Szene
  • Die Vorigen und der Kellner, von Ossip geleitet. Bóbtschinski
  • guckt zur Tür herein.
  • Kellner. Sie geruhten mich rufen zu lassen?
  • Chlestakóff. Ja, bring mir die Rechnung.
  • Kellner. Ich habe sie Ihnen aber doch erst vor kurzem überreicht.
  • Chlestakóff. Was weiß ich von deinen dummen Rechnungen. Wieviel macht's?
  • Kellner. Am ersten Tage geruhten Sie ein Diner einzunehmen, am zweiten
  • Tage aßen Sie bloß Lachs -- und von da an ließen Sie alles auf Rechnung
  • gehen.
  • Chlestakóff. Schafskopf! Muß das noch einmal vorrechnen! Was macht's im
  • Ganzen?
  • Polizeimeister. Bitte machen Sie sich doch keine Umstände: der Kerl kann
  • warten. (zum Kellner.) Scheer dich hinaus, man wird's schicken!
  • Chlestakóff. In der Tat, das ist das vernünftigste. (Steckt das Geld
  • wieder ein; der Kellner ab; Bóbtschinski schielt durch die Tür.)
  • 10. Szene
  • Polizeimeister. Chlestakóff. Dóbtschinski.
  • Polizeimeister. Würden Sie jetzt vielleicht geneigt sein, einige unserer
  • städtischen Anstalten zu besichtigen, etwa die Hospitäler und anderes?
  • Chlestakóff. Was gibt's denn da zu sehen?
  • Polizeimeister. Nun, Sie könnten da zum Beispiel einen Einblick gewinnen
  • in die Art unserer Verwaltung ... die Reinlichkeit ...
  • Chlestakóff. Mit dem größten Vergnügen, bin gern bereit. (Bóbtschinski
  • steckt den Kopf durch die Tür.)
  • Polizeimeister. Und von dort könnte man sich, wenn Sie es wünschen
  • sollten, zur Kreisschule begeben, um die Ordnung, in der sich der
  • Unterricht vollzieht, in Augenschein zu nehmen.
  • Chlestakóff. Schön, schön.
  • Polizeimeister. Dann, falls Sie das Gefängnis und die städtischen
  • Arrestlokale zu besuchen wünschten -- könnten Sie sich überzeugen, wie
  • bei uns die Verbrecher gehalten werden.
  • Chlestakóff. Gefängnis? -- ach wozu? Sehen wir uns dann doch lieber die
  • Hospitäler an.
  • Polizeimeister. Ganz wie Sie wünschen. Befehlen Sie Ihre eigene Equipage
  • oder nehmen Sie mit meinem bescheidenen Wagen vorlieb?
  • Chlestakóff. Na, ich fahre dann schon besser mit Ihnen zusammen.
  • Polizeimeister (zu Dóbtschinski). Pjótr Iwánowitsch, nun habe ich für
  • Sie keinen Platz.
  • Dóbtschinski. O bitte, hat nichts zu sagen!
  • Polizeimeister (leise zu Dóbtschinski). Hören Sie, laufen Sie, aber was
  • Ihre Beine laufen können, und bestellen Sie mir zwei Billetts, eins an
  • Semljaníka ins Hospital, das andere meiner Frau. (Zu Chlestakóff.) Darf
  • ich Sie um die Erlaubnis bitten, in Ihrer Gegenwart eine Zeile an meine
  • Frau zu richten, damit sie sich zur Aufnahme eines so geschätzten Gastes
  • vorbereiten kann?
  • Chlestakóff. Aber weshalb denn? ... Übrigens Tinte ist vorhanden, nur
  • weiß ich nicht, ob Papier ... Vielleicht auf dieser Rechnung?
  • Polizeimeister. Genügt vollkommen! (Schreibt und spricht während dieser
  • Zeit vor sich hin.) Nun wollen wir doch einmal sehen, wie die Sache nach
  • dem Frühstück und ein paar tüchtigen Flaschen in Gang kommen wird. Wir
  • haben da so einen hiesigen Madeira, äußerlich ganz harmlos, aber
  • kräftig, um einen Elefanten umzuwerfen. Wenn ich nur herausbekäme, was
  • er ist und von welcher Seite man sich vor ihm in acht nehmen muß.
  • (Übergibt das Papier Dóbtschinski: dieser wendet sich zur Türe, aber im
  • selben Augenblick bricht diese aus den Angeln und fliegt zusammen mit
  • dem dahinter horchenden Bóbtschinski auf die Szene. Alle stoßen einen
  • Ruf der Überraschung aus. Bóbtschinski erhebt sich.)
  • Chlestakóff. Oh, haben Sie sich verletzt?
  • Bóbtschinski. Durchaus nicht, durchaus nicht, habe fast nichts
  • abbekommen, nur über der Nase eine unbedeutende Schramme. Ich laufe
  • gleich zum Doktor Hübner; er hat ein großartiges Pflaster, da heilt's
  • geschwind.
  • Polizeimeister (macht Bóbtschinski ein Zeichen des Vorwurfs; zu
  • Chlestakóff). Das hat gar nichts auf sich. Bitte untertänigst
  • voranzugehen. Ich werde Ihren Diener bescheiden, daß er den Koffer
  • hinüberbringt. (Zu Ossip.) Mein Freundchen, trage das alles zu mir
  • herüber, zum Polizeimeister, jeder kann dich hinweisen. Bitte
  • untertänigst! (Läßt Chlestakóff den Vortritt und folgt ihm; im
  • Hinausgehen dreht er sich noch einmal um und sagt in vorwurfsvollem Ton
  • zu Bóbtschinski.) Sie sind mir auch der Rechte! Konnten sich keinen
  • besseren Ort zum Hinpflanzen aussuchen! Und auf allen vieren wie -- weiß
  • der Teufel wie! (Ab. Bóbtschinski hinterher. Der Vorhang fällt.)
  • (Ende des zweiten Aufzuges.)
  • Dritter Aufzug
  • Dasselbe Zimmer wie im ersten Aufzug
  • 1. Szene
  • Anna Andréjewna und Márja Antónowna am Fenster in der gleichen
  • Haltung wie am Schluß des ersten Aufzuges.
  • Anna Andréjewna. Da lauern wir nun schon eine geschlagene Stunde, und
  • alles nur wegen deiner albernen Ziererei: war deine Toilette nicht
  • längst fertig -- aber nein, da muß immer noch getrödelt werden ... Noch
  • nichts von ihr zu hören. Rein zum Verdrießen! Nirgends eine Seele, wie
  • auf Verabredung! Als wenn alles ausgestorben wäre!
  • Márja Antónowna. Aber wirklich, Mama, in zwei Minuten erfahren wir
  • alles. Awdótja muß gleich wiederkommen. (Blickt aus dem Fenster und ruft
  • aus.) Ach Mama, Mama, da kommt jemand, da, am Ende der Straße.
  • Anna Andréjewna. Wo, wo? -- Was du auch ewig phantasierst! -- Nun ja
  • doch, es kommt jemand. Wer mag das sein? Untersetzt ... im Frack ... Wer
  • ist das? Wer? Man könnte umkommen vor Ärger! Wer ist es denn nun?
  • Márja Antónowna. Dóbtschinski ist's, Mamachen!
  • Anna Andréjewna. Ach was, Dóbtschinski! Immer diese Einbildungen! Nicht
  • entfernt Dóbtschinski. (Winkt mit dem Taschentuch.) Heda Sie, hierher,
  • rasch!
  • Márja Antónowna. Ganz gewiß, Mama, Dóbtschinski!
  • Anna Andréjewna. Nur um widersprechen zu können. Du hast gehört, es ist
  • nicht Dóbtschinski!
  • Márja Antónowna. Na und nun, Mama? Siehst du, es ist doch Dóbtschinski.
  • Anna Andréjewna. Nun ja doch, Dóbtschinski, jetzt seh ich's auch; warum
  • streitest du denn? (Ruft aus dem Fenster.) Schnell, schnell, sputen Sie
  • sich doch! Wie steht's, wo sind sie? Wie? Antworten Sie doch gleich von
  • da, ganz egal! Na, wohl sehr streng? Wie? Und mein Mann, mein Mann?
  • (Ärgerlich vom Fenster zurücktretend.) Tölpel der, wird nichts reden,
  • bis er nicht mitten im Zimmer steht!
  • 2. Szene
  • Die Vorigen. Dóbtschinski.
  • Anna Andréjewna. Nun, so reden Sie doch gefälligst, haben Sie denn kein
  • Gewissen? Auf Sie allein habe ich mich verlassen wie auf einen
  • ordentlichen Menschen; alle liefen sie davon und Sie hinterher! Bis
  • diesen Augenblick kann ich von keiner Seele etwas herausbekommen.
  • Schämen Sie sich denn gar nicht? Habe ich nicht Ihren Wánitschka und
  • Ihre Lísotschka aus der Taufe gehoben? Und so behandeln Sie mich?
  • Dóbtschinski. Mein Gott, Frau Gevatterin, ich bin so gerannt, um Ihnen
  • gefällig zu sein, daß mir alle Luft ausgegangen ist. Ergebenster Diener,
  • Márja Antónowna!
  • Márja Antónowna. Guten Tag, Pjotr Iwánowitsch!
  • Anna Andréjewna. Nun rasch, so reden Sie doch, wie und was geht drüben
  • vor?
  • Dóbtschinski. Antón Antónowitsch schickt Ihnen dieses Billett.
  • Anna Andréjewna. Nun und er? Natürlich ein General?
  • Dóbtschinski. Nein, General nicht, aber zum mindesten soviel wie
  • General. Eine Bildung und ein Auftreten!
  • Anna Andréjewna. Ah, also derselbe, von dem meinem Mann geschrieben
  • wurde?
  • Dóbtschinski. Eben derselbe! Ich und Bóbtschinski haben das zuallererst
  • entdeckt.
  • Anna Andréjewna. Weiter, weiter, was geschah weiter?
  • Dóbtschinski. Gott sei gelobt, alles steht gut. Zuerst geruhte er Antón
  • Antónowitsch etwas hart anzulassen, ja, er wurde sehr heftig und sagte:
  • im Gasthofe wäre alles miserabel, und er würde sich nicht seinetwegen
  • ins Gefängnis sperren lassen; nachher aber, wie er sah, daß Antón
  • Antónowitsch unschuldig waren, und beide sich kurzer Hand verständigt
  • hatten, da setzte er gleich eine andere Miene auf -- und Gott sei Dank,
  • alles lief gut ab. Jetzt sind sie ausgefahren, um das Hospital zu
  • besichtigen ... aber wahrhaftig, Antón Antónowitsch schienen bereits
  • befürchtet zu haben, daß man ihn denunziert hätte. Ich selber bekam es
  • so ein bißchen mit der Angst.
  • Anna Andréjewna. Wovor haben Sie sich denn zu fürchten? Sie sind doch
  • kein Beamter!
  • Dóbtschinski. Na immerhin, wissen Sie, wenn so ein Vorgesetzter spricht,
  • fährt's einem doch in die Glieder.
  • Anna Andréjewna. Ach gehen Sie ... das ist ja dummes Zeug. Nun, und wie
  • sieht er aus? Alt, jung?
  • Dóbtschinski. Jung, noch ein ganz junger Mann, so an dreiundzwanzig;
  • aber reden tut er wie ein alter. »Sehn Sie«, sagt er, »ich reise da und
  • dahin« ... (Gestikulierend.) Alles so überlegen. »Ich schreibe auch«,
  • meint er, »und lese auch dann und wann, aber die Dunkelheit im Zimmer
  • behindert mich etwas.«
  • Anna Andréjewna. Und im Äußeren -- brünett oder blond?
  • Dóbtschinski. Nein, mehr aschblond, und Augen so scharf wie ein Luchs,
  • um das Zittern zu kriegen.
  • Anna Andréjewna. Was schreibt er mir denn da auf dem Zettel (liest):
  • »Ich eile, mein Herz, dich wissen zu lassen, daß meine Lage sehr
  • kritisch war; doch im Vertrauen auf Gottes Barmherzigkeit für zwei
  • gesalzene Gurken apart und eine halbe Portion Kaviar ein Rubel
  • fünfundzwanzig Kopeken ...« (Innehaltend.) Das verstehe ich nicht, was
  • sollen hier gesalzene Gurken und Kaviar?
  • Dóbtschinski. Ach, Antón Antónowitsch benutzten in der Eile ein
  • beschriebenes Papier; da stand so eine Rechnung drauf.
  • Anna Andréjewna. Ach ja, richtig: (liest weiter) »doch im Vertrauen auf
  • Gottes Barmherzigkeit darf ich auf einen glücklichen Ausgang hoffen. Laß
  • schnell ein Zimmer für den illustren Gast einrichten, das mit den gelben
  • Tapeten; für Mittag brauchst du nicht zu sorgen, wir speisen im Hospital
  • bei Artémij Filíppowitsch; nur Wein laß recht viel kommen; sag dem
  • Kaufmann Awdúljin, er soll vom besten hergeben, sonst schlage ich ihm
  • seine ganze Bude kurz und klein. Mit Handkuß, mein Herz, verbleibe ich
  • dein Antón Skwósnik-Dmuchánowski.« Ach mein Gott! Jetzt heißt's aber
  • eilen! He, niemand da? Míschka!
  • Dóbtschinski (läuft und ruft durch die Tür). Míschka! Míschka! Míschka!
  • (Míschka kommt herein.)
  • Anna Andréjewna. Hör mal, lauf zum Kaufmann Awdúljin ... warte, ich gebe
  • dir einen Zettel (setzt sich an den Tisch, schreibt und spricht
  • währenddem). Diesen Zettel gibst du dem Kutscher Sídor, er soll zum
  • Kaufmann Awdúljin rennen und Wein holen. Und geh gleich und bring mir
  • dies Zimmer hübsch in Ordnung für einen Gast. Stell ein Bett auf, einen
  • Waschtisch und so weiter.
  • Dóbtschinski. Und ich, Anna Andréjewna, will hinlaufen und zusehn, wie
  • er inspiziert.
  • Anna Andréjewna. Gehn Sie, gehn Sie, ich halte Sie nicht.
  • 3. Szene
  • Anna Andréjewna und Márja Antónowna.
  • Anna Andréjewna. Nun, Máscha, jetzt müssen wir an unsere Toilette
  • denken. Er ist ein Residenzler: Gott bewahre uns davor, von ihm
  • irgendwie belächelt zu werden. Du solltest am besten dein blaues Kleid
  • mit den schmalen Volants anziehen.
  • Márja Antónowna. Fi, Mama, das blaue! Das kann ich nicht leiden: die
  • Ljápkin-Tjápkin geht schon in einem blauen und Fräulein Semljaníka geht
  • auch in einem blauen. Nein, ich ziehe lieber das geblümte an.
  • Anna Andréjewna. Das geblümte! ... wirklich, du sprichst nur um zu
  • widersprechen. Das andere stünde dir viel besser, weil ich mein
  • strohfarbenes anziehen will; ich schwärme für das strohfarbene.
  • Márja Antónowna. Aber Mama, das strohfarbene steht dir ja gar nicht!
  • Anna Andréjewna. Mir nicht stehn?
  • Márja Antónowna. Nein, es steht dir nicht, ich wette was du willst, es
  • steht dir nicht; dafür muß man dunkle Augen haben.
  • Anna Andréjewna. Nun wird's reizend! Ich und keine dunklen Augen? Die
  • dunkelsten von der Welt! Was schwatzt du für einen Unsinn! Wieso nicht
  • dunkel, wenn doch beim Kartenlegen für mich immer Treffdame herauskommt?
  • Márja Antónowna. Ach Mamachen, viel öfter doch Coeurdame!
  • Anna Andréjewna. Possen! Nichts als Possen! Ich war nie Coeurdame!
  • (Verläßt mit Márja Antónowna in Eile das Zimmer und spricht noch hinter
  • der Szene.) Was das für Phantasien sind, Coeurdame! Soll der Himmel
  • wissen, was das ist! (Nach ihrem Abgang öffnet sich die seitliche Tür
  • und Míschka wirft einen Haufen Kehricht heraus. Durch die andere Tür
  • tritt, einen Handkoffer auf dem Kopfe, Ossip herein.)
  • 4. Szene
  • Míschka und Ossip.
  • Ossip. Wo damit hin?
  • Míschka. Hierher, Kamerad, hierher!
  • Ossip. Wart, laß mich erst verschnaufen. Miserables Leben das! Auf'n
  • leeren Magen is jeder Packen 'ne Last.
  • Míschka. Na, Kamerad, kommt der General bald?
  • Ossip. Was für'n General denn?
  • Míschka. Na, dein Herr.
  • Ossip. Mein Herr? Der 'n General?
  • Míschka. Na, is er denn kein General?
  • Ossip. General schon, aber vom andern Ende rauf.
  • Míschka. Is das nu mehr oder weniger als 'n eigentlicher General?
  • Ossip. Mehr.
  • Míschka. Siehste wohl! Darum auch das Halloh im Hause.
  • Ossip. Hör mal, Kleiner; ich seh, du bist 'n flinker Junge -- schaff
  • doch unser einem 'n Happen zu essen!
  • Míschka. Nee, Kamerad, für euch is noch nichts fertig; unsre Hauskost
  • werd't Ihr ja nich anrühren, aber wenn sich dein Herr erst zu Tisch
  • setzt, kriegst du auch dein Teil ab.
  • Ossip. Na und Hauskost, was gibt's denn da bei euch so?
  • Míschka. Kohlsuppe, Grütze und Fleischkuchen.
  • Ossip. Kohlsuppe, Grütze und Fleischkuchen -- her damit! Egal, eß ich
  • alles. Na, denn rin mit dem Koffer. Is da noch'n Ausgang?
  • Míschka. Freilich. (Beide tragen den Koffer ins Nebenzimmer.)
  • 5. Szene
  • Polizeidiener öffnen beide Türflügel. Herein tritt Chlestakóff,
  • gefolgt vom Polizeimeister; weiter zurück Hospitalverwalter,
  • Schulinspektor, Dóbtschinski und Bóbtschinski, mit einem Pflaster
  • auf der Nase. Polizeimeister weist die Polizeidiener auf ein am
  • Boden liegendes Stück Papier; sie rennen hin, um es aufzuheben
  • und stoßen dabei vor Eifer mit den Köpfen zusammen.
  • Chlestakóff. Vortreffliche Anstalten! Es gefällt mir besonders gut, daß
  • man in Ihrer Stadt die Durchreisenden in alle Sehenswürdigkeiten
  • einführt. In andern Städten hat man mir gar nichts gezeigt.
  • Polizeimeister. In andern Städten, so wage ich zu behaupten, haben
  • Behörden und Beamte mehr ihren eigenen Vorteil im Auge; hier aber, das
  • darf ich wohl sagen, waltet nur das eine Streben: durch Ordnung und
  • Fürsorge sich das Wohlwollen seiner Obrigkeit zu verdienen.
  • Chlestakóff. Das Frühstück war ausgezeichnet; ich habe mich ordentlich
  • überessen. Gibt es so was bei Ihnen alle Tage?
  • Polizeimeister. Lediglich zu Ehren eines hochwillkommenen Gastes.
  • Chlestakóff. Ich esse gern mal gut. Dafür lebt man ja doch schließlich,
  • um die Blüte des Daseins zu pflücken. Wie hieß doch noch der Fisch?
  • Hospitalverwalter (vortretend). Laberdan, Ew. Gnaden.
  • Chlestakóff. Sehr schmackhaft! Wo speisten wir doch? Im Lazarett, nicht
  • wahr?
  • Hospitalverwalter. Sehr wohl, Ew. Gnaden, im Hospital.
  • Chlestakóff. Ach ja, ich erinnere mich, da standen Betten. Die Kranken
  • sind wohl geheilt? Viele schienen da nicht zu sein.
  • Hospitalverwalter. Höchstens zehn Mann, mehr nicht; die übrigen sind
  • alle geheilt. Das ist eben die Wirkung der vorzüglichen Ordnung. Seitdem
  • ich die Verwaltung übernahm -- es wird Ihnen freilich kaum glaubhaft
  • erscheinen -- seitdem werden sie alle gesund wie die Fliegen. Kaum kommt
  • ein Kranker ins Lazarett, und schon ist er geheilt; und das weniger
  • durch Medikamente als durch unsere Redlichkeit und Pflichttreue.
  • Polizeimeister. Und wie aufreibend -- verzeihen Sie die Kühnheit -- wie
  • aufreibend die verantwortungsvolle Tätigkeit eines Stadtoberhauptes!
  • Sachen jeder Art häufen sich, um nur der öffentlichen Bauten, der
  • Reparaturen und der Straßenreinigung zu gedenken ... mit einem Wort, der
  • klügste Mann käme in Verlegenheit -- doch, Gott sei Dank, hier bei uns
  • geht alles wie am Schnürchen. Ein andrer Polizeimeister würde da
  • zweifellos an seinen eigenen Vorteil denken; aber wollen Sie es mir
  • glauben, daß ich jeden Abend vor dem Schlafengehen für mich bete: »Herr,
  • mein Gott, lenke meine Taten, damit die Obrigkeit meinen Eifer erkenne
  • und zufriedengestellt sei!« ... Selbstverständlich ist es ihr freier
  • Wille, ob sie mich belohnen will oder nicht, aber ich für mein Teil habe
  • wenigstens ein reines Gewissen. Ist die Stadt überall wohlbestellt, sind
  • die Straßen gesäubert, die Gefangenen gut gehalten und wenig Betrunkene
  • zu sehen ... was will ich dann mehr? Bei Gott, nach Auszeichnungen
  • strebe ich nicht. Gewiß haben sie viel Verlockendes, aber vor der Tugend
  • sind sie nichts wie eitel Nichtigkeit und Staub.
  • Hospitalverwalter (beiseite). Tagedieb der, wie er auspackt! Gott
  • schenke mir solche Gabe!
  • Chlestakóff. Sehr richtig. Offen gestanden, auch ich philosophiere
  • zuweilen gerne; manchmal nur so in Prosa, aber gelegentlich entschlüpft
  • mir auch mal ein Vers.
  • Bóbtschinski (zu Dóbtschinski). Wie tiefsinnig, wie tiefsinnig das
  • alles, Pjotr Iwánowitsch! Diese Bemerkungen ... man sieht's, der hat die
  • Bildung studiert.
  • Chlestakóff. Ach, sagen Sie doch bitte, gibt es hier bei Ihnen keine
  • sogenannten Gesellschaften oder Klubs, wo man zum Beispiel ein Spielchen
  • Karten machen könnte?
  • Polizeimeister (beiseite). Seht doch das Füchschen, will einem Steine
  • über den Zaun werfen! (Laut.) Gott behüte! Solche Gesellschaften kennt
  • man hier kaum vom Hörensagen. Ich habe überhaupt noch nie Karten
  • angefaßt, weiß nicht einmal, wie man Karten spielt. Ich kann sie auch
  • nicht mit ruhigem Blute betrachten, und wenn ich mal zufällig so einen
  • Karo-König oder dergleichen vor Augen kriege, dann überkommt mich solch
  • Ekel, daß ich geradezu ausspucken muß. Einmal hatte ich den Kindern zu
  • Gefallen ein Kartenhaus aufgebaut, und hinterher mußte ich die ganze
  • Nacht von dem Plunder träumen! Hol sie der Kuckuck! Wie kann man nur
  • seine kostbare Zeit daran verschwenden ...
  • Schulinspektor (beiseite). Gauner, und hast mir erst gestern hundert
  • Rubel abgeknöpft!
  • Polizeimeister. ... ich verwerte sie lieber zum Wohle des Vaterlandes.
  • Chlestakóff. Nun, so ganz sollten Sie das doch nicht ... es hängt eben
  • alles davon ab, von welcher Seite man ein Ding betrachtet. Ja, wenn man
  • z. B. gerade in dem Augenblick paßt, wo man hätte _va banque_ spielen
  • sollen ... na, dann allerdings! ... Nein, sagen Sie das nicht, zuweilen
  • hat so ein kleines Spielchen was sehr Verlockendes.
  • 6. Szene
  • Die Vorigen. Anna Andréjewna und Márja Antónowna.
  • Polizeimeister. Ich habe die Ehre, Ihnen meine Familie vorzustellen:
  • meine Frau, meine Tochter.
  • Chlestakóff (sich verneigend). Wie glücklich bin ich, Gnädigste,
  • meinerseits das Vergnügen zu haben, Sie begrüßen zu dürfen.
  • Anna Andréjewna. Wir sind noch weit entzückter, eine so hohe Person
  • begrüßen zu dürfen.
  • Chlestakóff (mit Affektation). Aber bitte sehr, Gnädigste, im Gegenteil,
  • mir ist es noch weit willkommener.
  • Anna Andréjewna. Nein, wie ist's möglich! Sie sagen das sicherlich nur
  • aus Galanterie. Bitte untertänigst Platz zu nehmen.
  • Chlestakóff. Neben Ihnen zu stehen, Gnädigste, bedeutet schon Glück;
  • wenn Sie es aber durchaus befehlen, setze ich mich auch. Wie entzückt
  • bin ich, endlich neben Ihnen sitzen zu dürfen.
  • Anna Andréjewna. Ach, ich darf kaum wagen, das auf mich zu beziehen ...
  • Ich denke, nach der Residenz müssen Sie die Exkursiong nach hierher sehr
  • unangenehm empfunden haben.
  • Chlestakóff. Äußerst unangenehm! Daran gewöhnt, _comprenez-vous_, in der
  • großen Welt zu leben und sich dann plötzlich auf der Landstraße
  • wiederfinden -- schmutzige Schenken, roheste Unbildung ... Ich gestehe,
  • ohne einen solchen Zufall, der mich ... (betrachtet Anna Andréjewna und
  • spielt den Galanten) ... für alles entschädigt ...
  • Anna Andréjewna. In der Tat, Sie müssen das sehr unangenehm empfunden
  • haben!
  • Chlestakóff. Oh, in diesem Augenblick, Gnädigste, finde ich es sehr
  • angenehm!
  • Anna Andréjewna. Aber wie ist's nur möglich! Zuviel der Ehre ... ich
  • verdiene es durchaus nicht.
  • Chlestakóff. Aber weshalb sollten Sie es nicht verdienen? Sie verdienen
  • es, Gnädigste, wirklich, Sie verdienen es.
  • Anna Andréjewna. Ich lebe auf dem Dorfe ...
  • Chlestakóff. Oh, auch das Dorf hat seine hübschen runden Hügel und
  • stillen Bäche ... Nun freilich, wer wird das alles auch gleich mit
  • Petersburg vergleichen wollen! Ah, Petersburg! Welch ein Leben! Sie
  • denken vielleicht, ich wäre bloß so ein kleiner Aktenschreiber -- nicht
  • entfernt! Ich stehe mit dem Abteilungschef auf dem vertrautesten Fuße.
  • Der schlägt mir dann wohl gelegentlich auf die Schulter und sagt: »Na,
  • Kollege, Mahlzeit!« Ins Departement komme ich höchstens für zwei
  • Minuten, nur um dort Anweisungen zu geben -- das so, das so, das so. Da
  • steht gleich so ein Sekretär, flink wie eine Ratte, setzt bloß die Feder
  • an -- kri-kri, kri-kri, kri-kri, das fliegt nur so! Man wollte mich
  • sogar zum Kollegien-Assessor machen, na, ich weiß genau warum. Und der
  • Portier kommt mir noch auf die Treppe nachgelaufen und ruft: »Erlauben
  • Sie, Iwán Alexándrowitsch, daß ich Ihnen erst die Stiefel säubere!« (Zum
  • Polizeimeister.) Aber warum stehen Sie denn, meine Herren? Bitte, setzen
  • Sie sich doch!
  • Polizeimeister. Unser bescheidner Rang gebietet uns zu stehen.
  • Hospitalverwalter. Wir können auch stehen.
  • Schulinspektor. Bitte bemühen Sie sich doch nicht. (Alle drei
  • gleichzeitig.)
  • Chlestakóff. Rang bei Seite, bitte setzen Sie sich! (Polizeimeister und
  • alle anderen setzen sich.) Im Gegenteil, ich bemühe mich sogar möglichst
  • unbemerkt durchzuschlüpfen, aber unmöglich sich zu verbergen, rein
  • unmöglich! Kaum trete ich wo heraus, gleich heißt's: »Ei, da ist ja Iwán
  • Alexándrowitsch!« Einmal hielten sie mich sogar für den
  • Oberkommandierenden; die Soldaten rannten aus der Hauptwache und
  • präsentierten das Gewehr. Nachher sagte mir ein Offizier, ein guter
  • Bekannter von mir: »Schau doch Freundchen, haben wir dich wahrhaftig für
  • den Oberkommandierenden gehalten.«
  • Anna Andréjewna. Nun sagen Sie bloß!
  • Chlestakóff. Hübsche Schauspielerinnen kenne ich auch. Auch verschiedene
  • Vaudevilliers ... Mit Schriftstellern verkehre ich viel. Mit Puschkin
  • bin ich ganz intim. Trifft man sich mal, dann sage ich so zu ihm: »Na,
  • Puschkinchen, wie geht's?« »Na, wie soll's gehn, Kollege,« meint er
  • dann, »danke, es macht sich.« Ein Original, dieser Puschkin.
  • Anna Andréjewna. Dann schreiben Sie also auch? Wie wundervoll muß sich
  • doch ein Schriftsteller fühlen! Sie veröffentlichen gewiß auch in
  • Journalen?
  • Chlestakóff. O ja, auch in Journalen. Ich habe übrigens schon eine Menge
  • Schriften verfaßt: Figaros Hochzeit, Robert der Teufel, Norma ... kaum
  • daß ich die Namen alle noch behalten habe. Und alles wie aus dem Ärmel
  • geschüttelt; ich wollte eigentlich gar nicht schreiben, aber die
  • Theaterdirektoren setzen einem zu: »Liebster, Bester, schreib uns doch
  • was!« Ich überlege bei mir: »Na, wollen mal sehn.« Und dann ist's an
  • einem einzigen Abend hingeworfen. Ich besitze eine geradezu spielende
  • Phantasie. Alles, was unter dem Namen »Baron Brambeus« ging: »Fregatte
  • Hoffnung« und »Moskauer Telegraph« ... das war alles von mir.
  • Anna Andréjewna. Ach, also Sie waren Brambeus?
  • Chlestakóff. Freilich, ich korrigiere ihnen allen ja auch ihre Verse.
  • Smírdin zahlt mir 40000 dafür.
  • Anna Andréjewna. Dann ist sicherlich auch der »Júrij Milosláwski« von
  • Ihnen?
  • Chlestakóff. Ganz gewiß.
  • Anna Andréjewna. Das hatte ich mir gleich gedacht!
  • Márja Antónowna. Aber Mama, auf dem Titel steht doch: »von Sagóskin«!
  • Anna Andréjewna. Wußte ich's doch, daß du selbst hier streiten würdest!
  • Chlestakóff. Ah, richtig, es ist ja wahr, der ist von Sagóskin; aber es
  • gibt noch einen andern Júrij Milosláwski, und der ist der meinige.
  • Anna Andréjewna. Nun also, und gerade den Ihren habe ich gelesen. Wie
  • prachtvoll geschrieben!
  • Chlestakóff. Offen gestanden, ich lebe für die Literatur. Ich führe das
  • erste Haus in Petersburg. Stadtbekannt ist es, das Haus des Iwán
  • Alexándrowitsch. (Sich an alle Anwesenden wendend.) Machen Sie mir doch
  • das Vergnügen, meine Herrschaften, wenn Sie mal in Petersburg sind,
  • bitte, bitte, besuchen Sie mich. Ich gebe auch Bälle.
  • Anna Andréjewna. Ich kann mir vorstellen, wie stilvoll und glänzend
  • diese Bälle sein müssen!
  • Chlestakóff. O durchaus nicht, ganz schlicht. Auf dem Tisch zum Beispiel
  • eine Wassermelone -- das heißt, so eine für siebenhundert Rubel. Die
  • Suppe in einer Kasserole direkt per Dampfer aus Paris bezogen; man hebt
  • den Deckel ab -- ein Duft, wie es nichts Köstlicheres in der Welt gibt!
  • Ich gehe jeden Tag auf den Ball. Dort habe ich auch meine Whistpartie:
  • der Minister der auswärtigen Angelegenheiten, der französische
  • Botschafter, der deutsche Botschafter und ich. Wir verbeißen uns oft
  • derart ins Spiel, daß man's kaum beschreiben kann. Rennt man dann nach
  • Haus und klettert in seine vierte Etage hinauf -- kann man grade noch
  • zur Köchin stammeln: Mawrúscha, den Überzieher ... Was plappere ich denn
  • -- ich vergaß ja, ich wohne doch Beletage, nur eine Treppe hoch ... Auch
  • sehr interessant, mein Antichambre zu sehen, ehe ich mich morgens
  • erhoben habe: da drängen sich Grafen und Fürsten und sumsen wie die
  • Hummeln, man hört nur: sum, sum, sum; zuweilen, wenn der Minister ...
  • (Polizeimeister und die übrigen Herren erheben sich ehrfurchtsvoll von
  • den Sitzen.) Selbst auf meinen Paketadressen steht: an Seine Exzellenz
  • ... Einmal habe ich sogar das Departement geleitet. Das war ganz
  • komisch; der Chef war verreist, keiner wußte wohin. Nun ging natürlich
  • das Gerede los; was macht man, wer soll die Stelle ausfüllen? Viele
  • Generale kamen als Bewerber, treten ein, versuchen -- nein, zu schwer!
  • Es scheint ganz leicht, aber näher zugesehn -- unmöglich, hol's der
  • Teufel! Kaum sehn sie, daß es nicht geht -- zu mir! Und im selben
  • Augenblick durch die Straßen: Kuriere, Kuriere, Kuriere ... Stellen Sie
  • sich bloß vor: fünfunddreißigtausend Kuriere! Da frage ich Sie doch,
  • welche Situation! »Auf, Iwán Alexándrowitsch, aufs Departement!« Ich
  • war, offen gestanden, etwas verblüfft, kam im Schlafrock heraus, wollte
  • absagen, denke mir aber: wenn das bis vor Majestät kommt, na, und das
  • Avancement ... »Schön, meine Herren, ich komme, ich komme,« sage ich,
  • »abgemacht, ich komme; aber daß mir keiner, na, na, na! ich habe feine
  • Ohren, ich will euch ...« Gesagt, getan: ich quer durchs Departement,
  • das reine Erdbeben, alles schwankt und zittert wie Espenlaub.
  • (Polizeimeister und die Übrigen beben vor Schreck; Chlestakóff erhitzt
  • sich noch stärker.) O ich spaße nicht; ich habe es ihnen allen
  • beigebracht! Selbst der Staatsrat fürchtet sich vor mir. Warum auch
  • nicht? Das ist so meine Art! Ich nehme auf niemand Rücksicht ... Zu
  • jedem sage ich: »Ich weiß alleine Bescheid!« Ich bin überall, überall.
  • Jeden Tag fahre ich zu Hofe. Morgen werde ich gleich zum Feldmarsch...
  • (schwankt und fällt beinahe zu Boden, wird aber von den Beamten
  • ehrfurchtsvoll gestützt.)
  • Polizeimeister (tritt näher und versucht, am ganzen Leibe zitternd, zu
  • sprechen). Aber E... E... E...
  • Chlestakóff (in heftigem, befehlendem Ton). Was wollen Sie?
  • Polizeimeister. Aber E... E... E... E...
  • Chlestakóff (im gleichen Ton). Verstehe gar nichts, alles Unsinn.
  • Polizeimeister. Euer E... Ex...zellenz befehlen vielleicht etwas
  • auszuruhen ... Hier ist ein Zimmer, alles ist bereit.
  • Chlestakóff. Blödsinn -- ausruhen! Meinetwegen auch ausruhen ... Ihr
  • Frühstück, meine Herren, famos ... sehr zufrieden, sehr zufrieden ....
  • (mit Emphase.) Laberdan! Laberdan! (Ab ins Nebenzimmer, gefolgt vom
  • Polizeimeister.)
  • 7. Szene
  • Die Vorigen außer Chlestakóff und Polizeimeister.
  • Bóbtschinski. Das ist ein Mann, Pjotr Iwánowitsch! Das heißt doch ein
  • Mann! Noch nie im Leben habe ich vor einer so bedeutenden Persönlichkeit
  • gestanden; vor Furcht bin ich fast gestorben. Was glauben Sie, Pjotr
  • Iwánowitsch, welchen Rang mag er wohl bekleiden?
  • Dóbtschinski. Ich meine zum mindesten General.
  • Bóbtschinski. Ich meine jedoch, ein General reicht dem nicht an die
  • Gamaschen! Und wenn selbst General, dann mindestens Generalissimus. Sie
  • hörten ja, wie er den Staatsrat angeblasen hat. Kommen Sie, erzählen
  • wir's rasch Ammós Fjódorowitsch und Koróbkin. Empfehle mich, Anna
  • Andréjewna!
  • Dóbtschinski. Empfehle mich, Frau Gevatterin! (Beide ab.)
  • Hospitalverwalter (zum Schulinspektor). Seltsam, höchst seltsam,
  • weshalb, das weiß ich selbst nicht. Und wir sind nicht einmal in Gala!
  • Was dann, wenn er erwacht und sofort darüber nach Petersburg berichtet?
  • (Verläßt mit dem Schulinspektor nachdenklich das Zimmer; im
  • Hinausgehen:) Empfehlen uns, Gnädigste!
  • 8. Szene
  • Anna Andréjewna und Márja Antónowna.
  • Anna Andréjewna. Ach, was für ein reizender junger Mann!
  • Márja Antónowna. Ach und wie lieb!
  • Anna Andréjewna. Und diese vornehmen Manieren! Man merkt doch gleich den
  • Großstädter! Haltung und alles von einer Feinheit ... Ach, wie
  • entzückend! Ich schwärme für dergleichen junge Männer! Wirklich, ich bin
  • ganz außer mir. Ich habe übrigens Eindruck auf ihn gemacht; ich bemerkte
  • es wohl, er sah immer nach mir hin.
  • Márja Antónowna. Aber Mama, _mich_ hat er angesehen!
  • Anna Andréjewna. Bleib mir gefälligst fort mit deinem Unsinn! Der ist
  • hier überflüssig!
  • Márja Antónowna. Nein, wirklich, Mama!
  • Anna Andréjewna. Natürlich! Gott bewahre mich, alles muß sie abstreiten!
  • Jetzt schweig aber mal still! Er und dich ansehn? Weshalb hätte er dich
  • ansehn sollen?
  • Márja Antónowna. Ganz gewiß, Mama, immerfort hat er mich angesehen. Als
  • er von der Literatur anfing, da sah er mich an, und nachher, wie er
  • erzählte, daß er mit den Botschaftern Whist spielt, da sah er mich auch
  • an.
  • Anna Andréjewna. Nun, kann sein, vielleicht so einmal, aber dann
  • höchstens etwa so: »Na, sehen wir uns die auch mal an!«
  • 9. Szene
  • Die Vorigen und Polizeimeister.
  • Polizeimeister (tritt auf den Fußspitzen herein). Pst ... pst ...
  • Anna Andréjewna. Wie steht's?
  • Polizeimeister. Es ist mir doch fatal, daß er sich übernommen hat.
  • Indes, und wenn auch nur die Hälfte von dem, was er gesagt hat, wahr
  • ist? (Überlegend.) Warum sollte es denn auch nicht wahr sein? Im Rausch
  • offenbart der Mensch alles: wes das Herz voll ist, des geht der Mund
  • über. Freilich, ein bißchen geflunkert hat er schon; aber ohne Flunkern
  • kommt schließlich keine vernünftige Unterhaltung zustande. Mit den
  • Ministern spielt er Karten und fährt zu Hofe ... Wahrhaftig, je mehr man
  • darüber nachdenkt ... weiß der Teufel, was in meinem Schädel vorgeht;
  • mir ist gerade so, als ob ich hoch oben auf einem Glockenturme stünde --
  • oder gehängt werden sollte.
  • Anna Andréjewna. Ich für mein Teil habe mich durchaus nicht befangen
  • gefühlt: ich sah in ihm lediglich den gebildeten, weltgewandten,
  • vornehmen Mann, sein Rang geht mich dabei gar nichts an.
  • Polizeimeister. So seid ihr eben alle -- ihr Weiber! Alles ist gleich in
  • schönster Ordnung, da genügt ein einziges Wörtchen! Euch ist alles --
  • Spielkram! Das plappert bald so, bald so. Und habt ihr euch verheddert,
  • seht doch, wie sie da nach dem teuren Gatten schreien! Du, meine
  • Verehrteste, hast ihn eben leider so harmlos genommen, wie irgend einen
  • beliebigen Dóbtschinski.
  • Anna Andréjewna. Sei bitte meinetwegen ganz ohne Sorge. Ich weiß
  • vollkommen, was sich schickt! (wirft dabei einen bedeutsamen Blick auf
  • die Tochter.)
  • Polizeimeister (für sich). Mit euch auch reden! ... Aber wahrhaftig,
  • dieser ganze Fall! Ich kann mich noch immer nicht vom Schreck erholen.
  • (Öffnet die Tür und ruft hinaus) Míschka! Ruf die Polizeidiener
  • Swistúnoff und Djerschimórda: sie müssen hier irgendwo beim Tore sein.
  • (Nach längerem Schweigen.) Sonderbar, wie es jetzt in der Welt zugeht;
  • wenn es wenigstens ansehnliche Kerle wären, aber so ein unscheinbares,
  • schmächtiges Herrchen -- wie soll man da herausbekommen, was er ist? Ein
  • Militär ist immer noch was Greifbares; zieht er aber den Frack an --
  • dann schaut er aus wie eine Fliege mit ausgerupften Flügeln. Hat sich
  • vorhin im Gasthof lange genug verbarrikadiert und mit so viel
  • Anspielungen und Zweideutigkeiten geplänkelt, daß man's in Ewigkeit
  • nicht hätte zusammenreimen können. Nun hat er endlich die Waffen
  • gestreckt. Hat sogar noch mehr geredet, als nötig war. Eins ist
  • wenigstens sicher: der ist noch sehr jung!
  • 10. Szene
  • Die Vorigen und Ossip. Alle laufen ihm winkend entgegen.
  • Anna Andréjewna. Komm doch mal her, mein Lieber!
  • Polizeimeister. Pst! ... Wie steht's? Schläft er?
  • Ossip. Nein, er reckt sich noch 'n bissel.
  • Anna Andréjewna. Hör mal, mein Lieber, wie heißt denn du?
  • Ossip. Ossip, Gnädigste.
  • Polizeimeister (zu Frau und Tochter). Laßt schon, laßt! (Zu Ossip) Nun,
  • Freundchen, hat man dich ordentlich versorgt?
  • Ossip. Gut versorgt, allerschönsten Dank, tüchtig versorgt.
  • Anna Andréjewna. Sag doch mal: dein Herr bekommt wohl oft Besuch von
  • Grafen und Fürsten?
  • Ossip (zur Seite). Was red't man da nu? Haben sie einen jetzt gut
  • gefüttert, füttern sie einen hernach vielleicht noch besser. (Laut). Ja,
  • auch Grafen kommen.
  • Márja Antónowna. Ach, Ossipchen, wie reizend ist doch dein Herr!
  • Anna Andréjewna. Sag doch, Ossip, dein Herr ist wohl ...
  • Polizeimeister. So hört doch mal auf! Ihr stört mich nur mit euren
  • albernen Fragen. Na Freundchen ...
  • Anna Andréjewna. Und welchen Rang hat denn dein Herr?
  • Ossip. Na den gewöhnlichen.
  • Polizeimeister. Mein Gott, ewig diese Fragereien! Kein Wort kann man zur
  • Sache reden. Nun, mein Freund, wie ist denn so dein Herr? ... Streng?
  • Schimpft er auch mal gerne oder nicht?
  • Ossip. O ja, auf Ordnung hält er sehr. Alles muß bei ihm auf die Minute
  • gehn.
  • Polizeimeister. Du gefällst mir recht gut, Freundchen! Du mußt ein
  • braver Mensch sein. Sag mal ...
  • Anna Andréjewna. Ach, Ossip, was trägt denn dein Herr dort, Uniform oder
  • ...
  • Polizeimeister. Ruhe, zum Donnerwetter, ihr Plappermäuler! Hier ist's
  • dringend, hier geht's um ein Menschenleben .... (Zu Ossip.) Also,
  • Freundchen, du gefällst mir sehr gut; auf der Reise trinkt man gern mal
  • ein Gläschen Tee; kalt ist's außerdem; da hast du ein paar Blanke für
  • Tee.
  • Ossip (nimmt das Geld). Ah, danke allerschönstens, gnädiger Herr! Gott
  • schenke Ihnen alle Gesundheit! Wie gut Sie zu 'n armen Menschen sind.
  • Polizeimeister. Schon gut, schon gut, ich bin selbst sehr froh. Sag mal
  • -- --
  • Anna Andréjewna. Hör doch, Ossip, was für Augen gefallen deinem Herrn am
  • besten? ...
  • Márja Antónowna. Ach, Ossipchen, was für ein liebes Näschen dein Herr
  • hat!
  • Polizeimeister. So schweigt doch schon, laßt mich doch endlich! ... (Zu
  • Ossip). Jetzt sag mal, Freund: worauf achtet dein Herr am meisten, will
  • sagen, was behagt ihm auf der Reise am meisten?
  • Ossip. Genau besehn, alles was kommt. Am meisten aber liebt er's, wenn
  • man ihn schön aufnimmt und gehörig verpflegt.
  • Polizeimeister. So so?
  • Ossip. Ja so. Und sehn Sie, ich bin doch nur 'n Leibeigner, aber er paßt
  • auch auf, daß ich's gut kriege. Freilich. Wir kommen wohin: »Na, Ossip,
  • gut bewirtet worden?« »Schlecht, Hochwohlgeboren!« »Sieh mal, der
  • miserable Wirt. Du«, meint er, »erinnere mich dran, wenn wir heim
  • kommen«. »Ah«, denk ich bei mir, (mit einer Handbewegung) »laß ihn
  • laufen! Ich bin 'n friedlicher Mensch!«
  • Polizeimeister. Schön, schön, sehr vernünftig, was du da sagst. Eben gab
  • ich dir was für Tee, da nimm noch was für Zwieback.
  • Ossip. Zu gnädig, Hochwohlgeboren! (Steckt das Geld ein.) Da trink ich
  • mal auf Ihre Gesundheit.
  • Anna Andréjewna. Komm her, lieber Ossip, nimm auch von mir das.
  • Márja Antónowna. Ach Ossipchen, gib deinem Herrn für mich einen Kuß!
  • (Aus dem Nebenzimmer hört man ein leichtes Husten Chlestakóffs.)
  • Polizeimeister. Pst! (Erhebt sich auf den Fußspitzen.) Könnt ihr denn
  • gar keine Ruhe halten! Geht, geht, es ist genug ...
  • Anna Andréjewna. Komm Máscha! Ich muß dir was erzählen, ich habe an
  • unserm Gaste was bemerkt, was man nur unter vier Augen wiedersagen kann.
  • Polizeimeister. Was die sich auch immer zu erzählen haben! Einmal
  • hinhören und sich sofort die Ohren verstopfen! (Wieder zu Ossip
  • gewendet.) Na, mein Freund ...
  • 11. Szene
  • Die Vorigen. Djerschimórda und Swistúnoff.
  • Polizeimeister. Pst! Wie diese verdammten vierschrötigen Bären mit den
  • Stiefeln stampfen. Das dröhnt, als ob einer vierzig Zentner vom
  • Lastwagen herabwirft! Welcher Satan schickt euch her?
  • Djerschimórda. Wir kamen auf Befehl ...
  • Polizeimeister. Pst! (Hält ihm den Mund zu.) Wie das Rabenvieh krächzt!
  • (schüttelt ihn.) »Wir kamen auf Befehl!« Brüllt wie aus einer Tonne! (Zu
  • Ossip.) Geh, Freundchen, besorge dort das deinige und verfüge über
  • alles, was das Haus bieten kann. (Ossip ab.) Und ihr -- ihr habt mir auf
  • der Treppe zu stehen, und nicht von der Stelle gerührt! Und keinen
  • Unbefugten hereingelassen, vor allem keine Kaufleute! Laßt ihr auch nur
  • einen herein, dann ...! So wie ihr seht, daß jemand mit einer
  • Beschwerdeschrift kommt, oder wenn er auch nur so aussieht, als ob er
  • eine Beschwerde über mich einreichen will, dann ohne weiteres eins ins
  • Genick! So! tüchtig! (Machts ihnen mit dem Fuße vor.) Verstanden? Pst!
  • ... Pst! ... (Geht auf den Zehen hinaus, die Polizeidiener vor sich
  • herschiebend.)
  • (Ende des dritten Aufzuges.)
  • Vierter Aufzug
  • (Dasselbe Zimmer im Hause des Polizeimeisters.)
  • 1. Szene
  • Es treten auf -- behutsam auf den Fußspitzen: Kreisrichter,
  • Hospitalverwalter, Postmeister, Schulinspektor, Dóbtschinski,
  • Bóbtschinski, (sämtlich in voller Gala. Die ganze Szene geht im
  • Flüsterton vor sich.)
  • Kreisrichter (stellt alle im Halbkreis auf). Um Gotteswillen, meine
  • Herren, schnell einen Halbkreis gebildet, und mehr Richtung! Ein
  • gefährlicher Herr: fährt zu Hofe und schnauzt den Staatsrat an! Stellen
  • Sie sich in Schlachtordnung! Sie Pjotr Iwánowitsch, stellen sich
  • hierher.
  • (Beide Pjotr Iwánowitsch eilen auf den Zehen herbei.)
  • Hospitalverwalter. Gestatten Sie, Ammós Fjódorowitsch, man sollte doch
  • zuvor etwas versuchen.
  • Kreisrichter. Und was denn?
  • Hospitalverwalter. Na, was ganz bekanntes.
  • Kreisrichter. Schmieren?
  • Hospitalverwalter. Nun ja doch, schmieren.
  • Kreisrichter. Das ist gefährlich, das spricht sich 'rum: ein
  • Staatsbeamter! Vielleicht in Form einer Widmung seitens des Adels --
  • irgendein Andenken.
  • Postmeister. Oder einfach so: Schaun Sie, Euer Gnaden, da ist Geld auf
  • der Post eingegangen, aber keiner weiß, wem's gehört.
  • Hospitalverwalter. Passen Sie dann nur auf, daß er Sie nicht mit der
  • Post weiter wohin befördert. Nein, hören Sie, in einem wohlgeordneten
  • Staate behandelt man derartige Dinge anders. Wozu braucht's denn hier
  • der ganzen Schwadron? Einzeln muß man sich vorstellen, und dann unter
  • vier Augen ... wie sich's eben gehört; die Ohren dürfen nichts davon
  • merken! So ist das in der guten Gesellschaft hergebracht. Sie, Ammós
  • Fjódorowitsch, müßten den Anfang machen.
  • Kreisrichter. Nein, besser Sie; in Ihrer Anstalt hat der hohe Besuch
  • doch auch gespeist.
  • Hospitalverwalter. Dann eher noch Lúka Lúkitsch in seiner Eigenschaft
  • als Erleuchter der Jugend.
  • Schulinspektor. Nein ich kann nicht, ich kann nicht, meine Herren! Offen
  • gestanden, ich bin so ängstlich, daß ich, wenn ein höherer Beamter mit
  • mir redet, gleich den Kopf verliere und mir die Zunge im Halse stecken
  • bleibt. Nein, meine Herren, lassen Sie mich aus, lassen Sie mich aus!
  • Hospitalverwalter. Ja, dann bleiben eben nur Sie, Ammós Fjódorowitsch.
  • Sie haben ja auch einen Redefluß, um den Sie Cicero beneiden könnte.
  • Kreisrichter. Warum nicht gar! Cicero! Was Sie sich auch ausdenken! Wenn
  • ich mich auch manchmal hinreißen lasse beim Gespräch über Jagd- und
  • Schweißhunde ...
  • Alle (ihn umdrängend). Nein, nein, nicht nur von Hunden, Sie können
  • sogar vom babylonischen Turm ... Nein, Ammós Fjódorowitsch, lassen Sie
  • uns nicht im Stich, seien Sie unser Vater! Nein, Ammós Fjódorowitsch!
  • Kreisrichter. Lassen Sie mich frei, meine Herren!
  • (Im selben Augenblick hört man im Nebenzimmer Schritte und Husten
  • Chlestakóffs. Alle rennen um die Wette nach der Tür und drängen
  • sich, um schnell hinauszukommen, was nicht ohne gegenseitige
  • Püffe abgeht; man hört unterdrückte Ausrufe.)
  • Stimme Bóbtschinskis. Au! Dóbtschinski, Dóbtschinski! Meine Hühneraugen!
  • Stimme des Hospitalverwalters. Herrschaft laßt los, laßt los, Ihr
  • quetscht mir ja die Seele aus dem Leibe!
  • (Man hört noch weitere Ausrufe ai! au! Endlich haben sich alle
  • durchgedrückt, und das Zimmer ist leer.)
  • 2. Szene
  • Chlestakóff allein; tritt herein mit verschlafenen Augen.
  • Chlestakóff. Ich muß ganz tüchtig geschnarcht haben. Wo sie bloß alle
  • diese Matratzen und Federbetten herhaben mögen? Geschwitzt habe ich
  • sogar. Mir scheint, ich habe mir gestern beim Frühstück einen ziemlichen
  • Schwips zugelegt: noch bis jetzt brummt mir der Schädel. Ich sehe, man
  • kann hier seine Zeit auf die angenehmste Weise verbringen. Ich liebe die
  • Gastlichkeit und schätze sie noch höher, wenn ich mehr aus natürlicher
  • Herzensgüte und weniger mit besonderen Hintergedanken bewillkommnet
  • werde. Zudem ist dies Töchterchen des Polizeimeisters durchaus nicht so
  • übel, und selbst bei der Mama könnte man noch ganz gut ... Alles in
  • allem ... wahrhaftig, diese Art Leben behagt mir.
  • 3. Szene
  • Chlestakóff und Kreisrichter.
  • Kreisrichter (tritt ein, bleibt stehen und spricht für sich). Gott, mein
  • Gott! Hilf mir aus dieser Klemme; meine Knie brechen mir vor Angst.
  • (Laut, Haltung nehmend und die Hand am Degen.) Habe die Ehre mich
  • vorzustellen: Ljápkin-Tjápkin, Kollegienassessor und Richter des
  • hiesigen Kreises.
  • Chlestakóff. Bitte nehmen Sie Platz! So, Sie sind Richter hier?
  • Kreisrichter. Vor zwanzig Jahren wurde ich auf Vorschlag des Adels für
  • drei Jahre gewählt und verwalte mein Amt bis auf den heutigen Tag.
  • Chlestakóff. Das ist wohl ein recht einträglicher Posten?
  • Kreisrichter. Nach zweimaliger Wiederwahl erhielt ich den Wladímir
  • vierter Klasse nebst einer Belobigung seitens meiner vorgesetzten
  • Behörde. (Beiseite.) Wie mir das Geld zwischen den Fingern brennt!
  • Chlestakóff. Der Wladímir ist mir sehr sympathisch; der Annenorden
  • dritter reicht da nicht heran.
  • Kreisrichter (streckt die geschlossene Hand ein wenig weiter vor;
  • beiseite). Gott im Himmel, ich weiß nicht mehr, wo ich bin, ich sitze
  • wie auf glühenden Kohlen!
  • Chlestakóff. Was haben Sie da in der Hand?
  • Kreisrichter (verliert den Kopf und läßt die Scheine auf den Boden
  • fallen). O nichts.
  • Chlestakóff. Wieso nichts? Da fiel doch Geld hin.
  • Kreisrichter (am ganzen Leibe zitternd). D -- d -- durchaus nicht!
  • (Beiseite.) O Gott! Jetzt bin ich gerichtet, der Henkerwagen wartet
  • schon.
  • Chlestakóff (das Geld aufhebend). Natürlich ist das Geld.
  • Kreisrichter (beiseite). Nun bin ich verloren, total verloren!
  • Chlestakóff. Ach wissen Sie, leihen Sie mir das Geld!
  • Kreisrichter (eilfertig). Wie ... wie ... mit dem größten Vergnügen!
  • (Beiseite.) Mut, Mut, heilige Mutter Gottes, steh mir bei!
  • Chlestakóff. Sehen Sie, ich habe mich auf der Reise ganz verausgabt;
  • dies und jenes ... ich schicke es Ihnen übrigens von Hause gleich wieder
  • zurück.
  • Kreisrichter. Absolut unnötig! An sich schon welche Ehre ... Mit meinen
  • schwachen Kräften der Obrigkeit in Eifer und Hingabe ... zu dienen
  • bereit ... (erhebt sich vom Stuhle, in Haltung und die Hand am Degen.)
  • Ich wage nicht, Sie länger durch meine Gegenwart zu belästigen. Hatten
  • Sie noch irgendwelche Befehle zu erteilen?
  • Chlestakóff. Was für Befehle?
  • Kreisrichter. Ich meine -- Befehle an den hiesigen Kreisrichter!
  • Chlestakóff. Wozu? Ich habe augenblicklich gar kein Verlangen nach ihm;
  • nein, durchaus nicht, danke verbindlichst.
  • Kreisrichter (sich verneigend und im Hinausgehen beiseite). Die Festung
  • ist erobert!
  • Chlestakóff (nach seinem Abgang). Ein freundlicher Mann, dieser
  • Kreisrichter!
  • 4. Szene
  • Chlestakóff. Postmeister (tritt ein, in Gala und aufrechter
  • Haltung, die Hand am Degen).
  • Postmeister. Habe die Ehre, mich vorzustellen: Postmeister und Hofrat
  • Schpékin!
  • Chlestakóff. Ah, sehr willkommen! Ich liebe angenehme Gesellschaft.
  • Setzen Sie sich. Leben Sie beständig hier?
  • Postmeister. Zu dienen.
  • Chlestakóff. Mir gefällt Ihr Städtchen. Es ist freilich nicht sehr
  • bevölkert -- aber was tut das? Es ist ja doch keine Residenz, nicht
  • wahr? Es ist ja doch keine Residenz?
  • Postmeister. Vollkommen richtig.
  • Chlestakóff. Den _bon ton_ gibt's doch eben nur in der Residenz, die hat
  • auch keine Provinzgänse. Was ist Ihre Meinung, wie?
  • Postmeister. Durchaus die nämliche! (Beiseite.) Scheint gar nicht stolz
  • zu sein; erkundigt sich nach allem.
  • Chlestakóff. Sagen Sie mal aufrichtig: auch in einer kleinen Stadt läßt
  • es sich wohl ganz hübsch leben?
  • Postmeister. O gewiß.
  • Chlestakóff. Ich meine so, was braucht man weiter? Man braucht nur
  • geachtet und geliebt zu sein -- nicht wahr?
  • Postmeister. Sehr richtig bemerkt.
  • Chlestakóff. Ich bin wirklich recht erfreut, daß Sie so ganz meiner
  • Meinung sind. Ich gelte allerdings für einen Sonderling, aber das ist
  • nun mal meine Charakteranlage. (Sieht ihm in die Augen und spricht für
  • sich.) Ob ich diesen Postmeister wohl anpumpen kann? (Laut.) Was mir da
  • komisches passiert ist! Ich habe mich auf der Reise ganz verausgabt.
  • Könnten Sie mir vielleicht dreihundert Rubel leihen?
  • Postmeister. Aber sofort! Mit dem größten Vergnügen! Haben Sie die Güte.
  • Stehe bereitwilligst zu Diensten.
  • Chlestakóff. Sehr verbunden! Offen gestanden, es ist mir in den Tod
  • zuwider, mich auf der Reise einschränken zu sollen; wozu auch? Nicht
  • wahr?
  • Postmeister. Sehr richtig. (Erhebt sich, in aufrechter Haltung und die
  • Hand am Degen.) Ich wage nicht, Sie länger mit meiner Gegenwart zu
  • belästigen ... Hätten Sie einige Anweisungen hinsichtlich des
  • Postdienstes?
  • Chlestakóff. Nein, nichts. (Postmeister verneigt sich und geht ab.)
  • Chlestakóff (eine Zigarre anzündend). Der Postmeister scheint auch ein
  • recht netter Mensch zu sein; zum mindesten sehr gefällig. Solche Leute
  • liebe ich.
  • 5. Szene
  • Chlestakóff und Schulinspektor, der fast zur Tür hereingestoßen
  • wird. Hinter ihm hört man eine ziemlich laute Stimme: »Hasenfuß!«
  • Schulinspektor (in zitternder Haltung, die Hand am Degen). Habe die
  • Ehre, mich vorzustellen: Schulinspektor und Titularrat Chlópoff.
  • Chlestakóff. Ah, sehr willkommen! Nehmen Sie Platz, nehmen Sie Platz!
  • Zigarre gefällig? (Reicht ihm eine Zigarre.)
  • Schulinspektor (unschlüssig, für sich). Hast du nicht gesehn! Darauf war
  • ich nicht vorbereitet. Was nun?
  • Chlestakóff. Nehmen Sie, nehmen Sie nur; ganz anständiges Kraut.
  • Natürlich nicht so wie in Petersburg. Sehn Sie, mein Verehrtester, dort
  • rauche ich so gewöhnlich das Kistchen zu fünfundzwanzig Rubel, tadellos,
  • man leckt sich ordentlich die Lippen danach. Hier ist Feuer, bitte
  • schön. (Reicht ihm das Licht.)
  • Schulinspektor (versucht zu rauchen und schlottert am ganzen Leibe).
  • Chlestakóff. Aber Sie rauchen ja verkehrt!
  • Schulinspektor (läßt vor Schreck die Zigarre fallen, spuckt aus und weht
  • sich mit der Hand vor dem Gesicht; für sich). Hol das alles doch der
  • Teufel! Diese verfluchte Schüchternheit!
  • Chlestakóff. Sie scheinen kein Freund von Zigarren zu sein. Ich freilich
  • habe offen gesagt geradezu eine Schwäche dafür. Es geht mir damit so wie
  • mit dem schönen Geschlecht, ich kann da absolut nicht gleichgültig sein.
  • Und Sie? Was mögen Sie mehr, die Brünetten oder Blondinen?
  • Schulinspektor (schwebt in völliger Ratlosigkeit, was er sagen soll).
  • Chlestakóff. Nein, frei heraus, Brünette oder Blondinen?
  • Schulinspektor. Ich wage keine Ansicht ...
  • Chlestakóff. Nein, nein, keine Ausrede! Ich will unbedingt Ihren
  • Geschmack kennen lernen!
  • Schulinspektor. Dann würde ich mir ergebenst zu bemerken gestatten ...
  • (Beiseite.) Ich weiß ja selber nicht was; alles dreht sich mir im Kopfe
  • herum.
  • Chlestakóff. Aha! Sie wollen es nicht sagen! Gewiß hat's Ihnen so eine
  • kleine Brünette angetan! Hab' ich recht?
  • Schulinspektor (schweigt).
  • Chlestakóff. Ja, ja, Sie erröten, sehen Sie wohl! Warum gestehn Sie's
  • denn nicht?
  • Schulinspektor. Meine Befangenheit, Ew. Wohl... Hochwohl... Exzell...
  • (Beiseite.) Läßt mich doch richtig die verdammte Zunge im Stich!
  • Chlestakóff. Befangenheit! In der Tat, ich habe in meinen Augen so ein
  • gewisses Etwas, das befangen macht. Wenigstens weiß ich genau, daß kein
  • Weib ihm zu widerstehen vermag. Nicht wahr?
  • Schulinspektor. Ganz zweifellos!
  • Chlestakóff. Da ist mir ein seltsamer Fall passiert -- ich habe mich auf
  • der Reise ganz verausgabt. Könnten Sie mir wohl dreihundert Rubel
  • leihen?
  • Schulinspektor (greift in die Tasche; für sich). Schöne Blamage, wenn
  • ich jetzt nichts bei mir hätte! Ist da! Ist da! (Zieht die Scheine
  • heraus und überreicht sie zitternd.)
  • Chlestakóff. Herzlichen Dank!
  • Schulinspektor. Ich wage nicht, Sie länger mit meiner Gegenwart zu
  • belästigen.
  • Chlestakóff. Leben Sie wohl.
  • Schulinspektor (eilt fast laufend hinaus und spricht beiseite). Nun Gott
  • sei Dank! der guckt mir nicht in meine Klassen hinein!
  • 6. Szene
  • Chlestakóff. Hospitalverwalter, in Haltung und die Hand am Degen.
  • Hospitalverwalter. Habe die Ehre, mich vorzustellen: Hospitalverwalter
  • und Hofrat Semljaníka.
  • Chlestakóff. Schönen guten Tag, bitte nehmen Sie gefälligst Platz.
  • Hospitalverwalter. Ich hatte gestern die Ehre, Sie persönlich empfangen
  • und Ihnen in der meiner Aufsicht anvertrauten Anstalt aufwarten zu
  • dürfen.
  • Chlestakóff. Ach ja, ich erinnere mich. Sie gaben mir ein vorzügliches
  • Frühstück.
  • Hospitalverwalter. Ich bin glücklich, dem Vaterlande dienen zu können.
  • Chlestakóff. Offen gestanden, es ist das meine schwache Seite -- ich
  • liebe eine gute Küche. Sagen Sie doch mal, mir scheint -- waren Sie
  • nicht gestern ein Endchen kleiner, wie?
  • Hospitalverwalter. Sehr wohl möglich. (Nach kurzer Pause.) Ich darf es
  • aussprechen, daß ich mit größter Aufopferung und Hingebung meinen Dienst
  • erfülle. (Rückt näher und spricht halblaut.) Sehen Sie, der hiesige
  • Postmeister tut gar rein gar nichts; alles ist gänzlich verwahrlost:
  • Sendungen werden unterschlagen ... bitte nur selbst einmal nachzusehen.
  • Auch der Kreisrichter, der eben vor mir drin war, geht immer nur auf die
  • Hasenjagd, hält seine Hunde im Gerichtslokal, und seine Moral, wenn ich
  • es vor Ihnen bekennen darf -- indessen zum Wohle des Vaterlandes muß ich
  • es tun, obwohl er mein Anverwandter und Freund ist -- seine Moral ist
  • die denkbar schlechteste. Hier lebt ein Hausbesitzer Dóbtschinski, Sie
  • geruhten ihn bereits bemerkt zu haben, und wenn dieser Dóbtschinski nur
  • einen Schritt aus seinem Hause tut, gleich ist der Kreisrichter drin und
  • treibt mit seiner Frau ... ich kann es beschwören ... Sie brauchen sich
  • da nur mal die Kinder anzusehen: keins von ihnen gleicht dem
  • Dóbtschinski, aber alle, sogar das jüngste Töchterchen, sind dem
  • Kreisrichter wie aus dem Gesicht geschnitten.
  • Chlestakóff. Was Sie sagen! Das hätte ich nie gedacht!
  • Hospitalverwalter. Und dann der Schulinspektor. Ich verstehe nicht, wie
  • die Obrigkeit ihm solch ein Amt anvertrauen konnte. Er ist schlimmer als
  • ein Jakobiner und bringt der Jugend derartig verwerfliche Grundsätze
  • bei, daß es schwer zu beschreiben ist. Befehlen Sie, daß ich darüber ein
  • schriftliches Memorandum aufsetze?
  • Chlestakóff. Schön, jedenfalls schriftlich. Es wird mir sehr willkommen
  • sein. Wissen Sie, ich liebe es sehr, für langweilige Stunden etwas
  • Erbauliches zum Lesen zu haben ... Wie heißen Sie doch? Ich vergesse
  • immer alles.
  • Hospitalverwalter. Semljaníka.
  • Chlestakóff. Ach ja, Semljaníka. Sagen Sie, haben Sie Kinder?
  • Hospitalverwalter. Freilich, ganze fünf, zwei schon erwachsen.
  • Chlestakóff. So, so, auch schon erwachsene! Na und die ... welchen
  • Geschl...?
  • Hospitalverwalter. Sie geruhten wahrscheinlich zu fragen, wie sie
  • heißen?
  • Chlestakóff. Ja wohl, wie sie heißen.
  • Hospitalverwalter. Nikolái, Iwán, Elisabeth, Márja und Perpetua.
  • Chlestakóff. Famos.
  • Hospitalverwalter. Ich wage nicht, Sie länger durch meine Gegenwart zu
  • belästigen und Ihnen kostbare Zeit zu rauben, die den heiligsten
  • Pflichten gewidmet ist ... (Verneigt sich und will abtreten.)
  • Chlestakóff (Gibt ihm das Geleit). Nein, durch aus nicht. Das ist ja
  • alles sehr spaßhaft, was Sie mir da erzählt haben. Machen Sie mir bald
  • wieder das Vergnügen ... ich höre so etwas sehr gerne. (Geht schnell
  • wieder zur Türe, öffnet sie und ruft hinter ihm her.) He Sie! Wie heißen
  • Sie doch noch? Ich vergesse alles, wie heißen Sie mit Vor- und
  • Vaternamen?
  • Hospitalverwalter. Artémij Filíppowitsch.
  • Chlestakóff. Tun Sie mir den Gefallen, Artémij Filíppowitsch, mir ist
  • ein komischer Fall begegnet: ich gab mich auf der Reise vollständig aus.
  • Könnten Sie mir wohl vierhundert Rubel leihen?
  • Hospitalverwalter. Zu dienen.
  • Chlestakóff. Wie gut sich das trifft! Danke verbindlichst!
  • 7. Szene
  • Chlestakóff. Dóbtschinski und Bóbtschinski.
  • Bóbtschinski. Habe die Ehre mich vorzustellen: Einwohner hiesiger Stadt,
  • Pjotr Iwánowitsch Bóbtschinski junior.
  • Dóbtschinski. Hausbesitzer Pjotr Iwánowitsch Dóbtschinski junior.
  • Chlestakóff. Sieh da, wir kennen uns ja bereits! Mir scheint, Sie fielen
  • damals hin? Nun, was macht Ihre Nase?
  • Bóbtschinski. O danke sehr, bitte bemühen Sie sich nicht: schon ganz
  • trocken, vollkommen trocken.
  • Chlestakóff. Das ist ja sehr schön. Ich bin sehr erfreut ... (Plötzlich
  • und überraschend.) Haben Sie Geld bei sich?
  • Dóbtschinski. Geld? Wieso Geld?
  • Chlestakóff. Um mir tausend Rubel zu leihen.
  • Bóbtschinski. Eine solche Summe, bei Gott, nein; Sie vielleicht, Pjotr
  • Iwánowitsch?
  • Dóbtschinski. Ich auf keinen Fall, weil ich mein Geld, belieben Sie zu
  • vermerken, bei der Staatskreditbank angelegt habe.
  • Chlestakóff. Na, wenn nicht tausend, dann doch hundert.
  • Bóbtschinski (in den Taschen wühlend). Haben Sie nicht hundert Rubel,
  • Pjotr Iwánowitsch? Ich habe nur vierzig in Papier.
  • Dóbtschinski. Und ich fünfundzwanzig alles in allem.
  • Bóbtschinski. Sehen Sie nur genauer nach, Pjotr Iwánowitsch! Ich weiß
  • genau, in Ihrer rechten Tasche ist ein Loch, da werden sich gewiß ein
  • paar verkrochen haben.
  • Dóbtschinski. Nein, auch da ist nichts drin.
  • Chlestakóff. Nun egal: was liegt daran; meinetwegen also fünfundsechzig
  • Rubel ... Ist mir einerlei. (Nimmt das Geld.)
  • Dóbtschinski. Ich möchte mir die Freiheit nehmen, Ihnen noch eine
  • besondere Bitte in einer delikaten Angelegenheit vorzutragen.
  • Chlestakóff. Und das wäre?
  • Dóbtschinski. Die Sache ist sehr delikater Natur: mein ältester Sohn,
  • bitte ergebenst zu vermerken, wurde noch kurz vor meiner Hochzeit
  • geboren ...
  • Chlestakóff. So?
  • Dóbtschinski. Ja, das heißt, man nennt das nur so, aber er ist so gewiß
  • mein leiblicher Sohn, als wenn er in der Ehe geboren wäre, und überdies
  • habe ich hinterher alles, wie sich's gehört, durch den gesetzlichen
  • Ehebund geordnet. Nun möchte ich gerne, bitte zu vermerken, daß er von
  • jetzt an auch richtig, das heißt gesetzlich mein Sohn sei und sich
  • nennen dürfte wie ich, Dóbtschinski.
  • Chlestakóff. Gut, mag er sich doch so nennen, warum nicht?
  • Dóbtschinski. Ich würde Sie auch damit gar nicht belästigt haben, aber
  • es wäre zu schade um seine Talente. So ein Kerlchen ... berechtigt zu
  • den schönsten Hoffnungen: die verschiedensten Gedichte sagt er auswendig
  • her, und wenn er wo ein Messer in die Finger kriegt, da schnitzt er
  • Ihnen gleich kleine Wägelchen, so geschickt wie ein Tausendkünstler.
  • Pjotr Iwánowitsch kann's bezeugen.
  • Bóbtschinski. Ja, er hat wunderbare Talente!
  • Chlestakóff. Gut gut! Ich werde mir Mühe geben, will Rücksprache nehmen
  • ... ich hoffe ... es soll geschehen, ja, ja ... (zu Bóbtschinski
  • gewandt). Haben Sie nicht auch noch ein Anliegen?
  • Bóbtschinski. Freilich, ich hätte eine untertänigste Bitte.
  • Chlestakóff. Nun und welcher Art?
  • Bóbtschinski. Bitte untertänigst, wenn Sie wieder nach Petersburg
  • kommen, sagen Sie bitte all den verschiedenen hochmögenden Senatoren und
  • Admirälen: Ew. Exzellenz, oder: Ew. Hochwohlgeboren, dort in der und der
  • Stadt lebt Pjotr Iwánowitsch Bóbtschinski -- genau so: lebt Pjotr
  • Iwánowitsch Bóbtschinski.
  • Chlestakóff. Sehr gerne.
  • Bóbtschinski. Auch wenn Sie mal zufällig den Kaiser treffen, dann sagen
  • Sie bitte auch dem Kaiser: Halten zu Gnaden, kaiserliche Majestät, aber
  • in der und der Stadt lebt Pjotr Iwánowitsch Bóbtschinski.
  • Chlestakóff. Aber sehr gerne.
  • Dóbtschinski. Verzeihen Sie, daß wir Sie mit unserer Gegenwart so
  • belästigt haben.
  • Bóbtschinski. Verzeihen Sie, daß wir Sie mit unserer Gegenwart so
  • belästigt haben.
  • Chlestakóff. Bitte, hat nichts zu sagen! War mir sehr angenehm.
  • (Geleitet sie bis an die Tür.)
  • 8. Szene
  • Chlestakóff allein.
  • Chlestakóff. Recht viel Beamte gibt's hier. Sie scheinen mich übrigens
  • alle für ein großes Tier zu halten. Freilich, ich habe ihnen gestern
  • einigen blauen Dunst vorgemacht. Die Schafsköpfe! Ich müßte das alles
  • doch an Trapítschkin nach Petersburg schreiben: er verfaßt so kleine
  • Feuilletons -- mag er die doch mal gehörig vornehmen. -- He, Ossip! Gib
  • mir Tinte und Papier. (Ossip guckt zur Tür herein und ruft: »Gleich!«)
  • Für Trapítschkin wäre das ein gefundenes Fressen -- ein gefährlicher
  • Bursche: würde seinen eigenen Vater für einen guten Witz preisgeben, und
  • Geld sieht er auch gern. Diese Beamten sind übrigens recht biedere
  • Leute; ein netter Zug von ihnen, daß sie mir Geld leihen. Ich muß doch
  • mal nachsehen, wie viel es ist. Diese dreihundert vom Kreisrichter --
  • diese dreihundert vom Postmeister, sechshundert -- siebenhundert --
  • achthundert ... was für ein fettiger Lappen! achthundert -- neunhundert
  • ... Oho, bis an die tausend hat sich das aufgeläppert ... Was sagst du
  • nun, mein schlauer Hauptmann? Komm mir jetzt mal unter die Finger,
  • wollen doch mal sehen, wer den anderen unterkriegt! --
  • 9. Szene
  • Chlestakóff. Ossip (mit Schreibzeug und Papier).
  • Chlestakóff. Na, du Esel, siehst du wohl, wie sie mich hier verwöhnen
  • und hofieren! (Beginnt zu schreiben.)
  • Ossip. Ja, Gott sei gelobt! Aber wissen Sie was, Iwán Alexándrowitsch?
  • Chlestakóff. Na?
  • Ossip. Reisen Sie ab! Wahrhaftig, 's is Zeit!
  • Chlestakóff (schreibt). Verrücktheit! Weshalb denn?
  • Ossip. Na so. Was gehen uns alle die Leute an! Zwei Tage haben wir uns
  • hier ausgetobt, na und nu is genug! Was brauch man sich länger mit ihnen
  • abgeben. Spucken Sie drauf! Die Luft is auch nich ganz rein: 's kann wer
  • anders ankommen -- wahrhaftig, Iwán Alexándrowitsch! Und Pferde gibt's
  • hier so tüchtige -- laufen können die ...!
  • Chlestakóff (schreibt). Nein, ich möchte noch bleiben. Meinetwegen denn
  • morgen.
  • Ossip. Eh, morgen! Fahren wir doch heute, Iwán Alexándrowitsch! Und wenn
  • man Ihnen hier auch viel Ehre antut, Sie wissen's ja alleine: besser is
  • auf und davon ... Man nimmt Sie hier ja doch nur für einen andern, und
  • unser alter Herr wird sich ärgern, wenn Sie solange fackeln. Fein
  • könnten wir wahrhaftig abkutschieren! Und stramme Pferde würden sie
  • geben!
  • Chlestakóff (schreibt). Na gut. Aber erst besorge mir diesen Brief, und
  • dann kannst du meinetwegen gleich einen Postwagen bestellen. Aber sieh
  • zu, daß wir tüchtige Pferde bekommen. Sag dem Postillon: ich lasse ein
  • paar silberne springen, wenn er mich flott wie einen Staatskurier fährt
  • und hübsch dazu bläst! ... (Schreibt weiter.) Ich sehe schon im voraus,
  • wie sich Trapítschkin totlachen wird ...
  • Ossip. Herr, ich schick den Brief lieber mit dem Hausknecht fort und
  • pack unterdessen geschwind ein, damit keine Zeit verloren geht.
  • Chlestakóff. Gut. Bring ein Licht.
  • Ossip (geht hinaus und spricht hinter der Szene). He, Kamerad! Sollst 'n
  • Brief auf die Post tragen und sag dem Postmeister, er soll ihn franko
  • befördern, und er soll dem Herrn gleich die beste Tróika schicken, mit
  • Kurierpferden; und sag, der Herr zahlt dafür nich, sag: 'ne Fuhre auf
  • Staatskosten. Aber flott muß alles gehn, sonst schimpfen seine Gnaden
  • der Herr. Wart, der Brief is noch nich fertig.
  • Chlestakóff (schreibt weiter). Möchte nur wissen, wo er jetzt wohnt, ob
  • auf der Poststraße oder der Krautstraße; er liebt auch von einem
  • Quartier ins andre zu ziehn und die Miete schuldig zu bleiben. Na, ich
  • schreibe aufs Geratewohl: Poststraße. (Faltet den Brief und adressiert.)
  • Ossip (bringt ein Licht).
  • Chlestakóff (siegelt).
  • (Währenddessen hört man die Stimme Djerschimórdas: »Fort, du
  • Lausbart, hörst doch, daß keiner rein darf!«)
  • Chlestakóff (gibt Ossip den Brief). Da, bring ihn fort.
  • (Stimmen der Kaufleute: »Laß uns doch rein! Du mußt uns
  • reinlassen, wir kommen um Geschäfte!«)
  • Stimme Djerschimórdas. Raus! Raus! Er empfängt nich, er schläft!
  • (Der Lärm nimmt zu.)
  • Chlestakóff. Was ist da los, Ossip? Sieh mal nach, was der Lärm
  • bedeutet.
  • Ossip (sieht aus dem Fenster). Da sind Kaufleute, die rein wollen, aber
  • der Polizist läßt sie nich. Sie winken mit Papieren. Wahrscheinlich
  • wollen sie zu Ihnen.
  • Chlestakóff (tritt ans Fenster). Was wollt ihr, guten Leute?
  • Stimmen der Kaufleute. Wir kommen zu deiner Barmherzigkeit! Hab Mitleid,
  • Herr, und nimm unsere Bittschriften an!
  • Chlestakóff. Man soll sie hereinlassen! Sie mögen kommen. Ossip, sag
  • ihnen, sie mögen kommen.
  • Ossip (geht hinaus).
  • Chlestakóff (nimmt durchs Fenster Bittschriften entgegen, faltet eine
  • auseinander und liest). »Seiner hochwohlgeborenen Erlauchtheit dem Herrn
  • Finanziell vom Kaufmann Awdúljin ...« der Teufel soll wissen, was das
  • ist; und solchen Titel gibt's erst recht nicht!
  • 10. Szene
  • Chlestakóff. Kaufleute (mit Weinkörben und Zuckerhüten).
  • Chlestakóff. Was wollt ihr, lieben Leute?
  • Kaufleute. Klagen kommen wir vor Eure Barmherzigkeit.
  • Chlestakóff. Worum handelt es sich?
  • Kaufleute. Laß uns nicht verderben, allergnädigster Herr! Unschuldig
  • richtet er uns zugrunde!
  • Chlestakóff. Wer?
  • Einer der Kaufleute. Alles unser Polizeimeister! Herr, so einen
  • Polizeimeister hat's noch nie gegeben. Was der uns für Niedertracht
  • antut, das is nich auszudenken. Hat uns so ausgeplündert, daß man bloß
  • noch 'ne Schlinge um den Hals braucht. Wie geht er auch mit einem um!
  • Kriegt einen beim Bart zu packen und sagt: »Ach du Tatarenhund!« Bei
  • Gott, das tut er! Wenn wir ihm noch hätten was abgehen lassen; aber wir
  • tun ja alles, was wir nur können: was er verlangen kann zu Kleidern für
  • seine Frau und seine Tochter -- daran läßt man's ja nicht fehlen. Aber,
  • siehste, das is ihm alles noch nich genug! Kommt in den Laden rein, und
  • was ihm in die Hände fällt, alles nimmt er mit: sieht er 'n Stück Stoff:
  • »He, Freundchen, schöner Stoff; trag ihn mal zu mir rüber!« Nu und man
  • muß 'n ihm hintragen, und dabei sind's doch wenigstens fünfzig Ellen!
  • Chlestakóff. Nicht möglich? Ist das ein Spitzbube!
  • Kaufleute. Wirklich wahr! Auf so'n Polizeimeister kann sich keiner nich
  • besinnen. Man versteckt schon alles im Laden, wenn man ihn kaum kommen
  • sieht. Nich mal feine Sachen nur nimmt er, nein, er nimmt jeden Dreck:
  • Backpflaumen, die schon sieben Jahr in der Tonne liegen und die bei uns
  • kein Hausknecht fressen möchte -- aber er steckt sich so 'ne Handvoll
  • davon da rein. Auf St. Anton ist sein Namenstag, und man denkt nu, man
  • hat alles gegeben, was er nur brauchen kann: nein, noch mehr soll man
  • geben; er sagt, auf St. Onuphrius hätt' er auch noch 'n Namenstag. Was
  • soll man nu tun? Man muß auch den St. Onuphrius feiern.
  • Chlestakóff. Aber das ist ja ein richtiger Räuber!
  • Kaufleute. Ach Gott, ja. Aber versuch' einer sich zu sperren, gleich
  • schickt er einem 'n ganzes Regiment Einquartierung. Schlägt man Lärm,
  • dann läßt er einem die Türen verrammeln und sagt: »Foltern und geißeln
  • kann ich dich nicht, das erlaubt mir das Gesetz nicht, aber, Bürschchen,
  • du sollst mir Heringe fressen, bis dir ...!«
  • Chlestakóff. Dieser Halunke! Der gehört ja direkt nach Sibirien!
  • Kaufleute. Ach, wo deine Gnade ihn auch hinschickt, das ist uns alles
  • recht, nur weiter weg von uns. Lieber Vater, verachte nich unser Salz
  • und Brot: laß uns dir mit diesem Endchen Zucker und 'nem Körbchen Wein
  • unsere Ehrfurcht beweisen.
  • Chlestakóff. Nein, das laßt bleiben: ich nehme absolut keine Geschenke.
  • Aber wenn ihr mir zum Beispiel dreihundert Rubel leihen wolltet, das
  • wäre dann was anderes; das kann ich nehmen.
  • Kaufleute. Bitte, lieber Vater, bitte! (Sie holen Geld heraus.) Warum
  • nur dreihundert? Nimm doch lieber gleich fünfhundert, nur hilf uns!
  • Chlestakóff. Wohlverstanden: ein Darlehn -- dabei bleibt's; ich nehme es
  • an.
  • Kaufleute (reichen ihm auf einer silbernen Schale das Geld). Tu uns die
  • Gnade und behalt' auch gleich die Schale.
  • Chlestakóff. Nun, meinetwegen auch die Schale.
  • Kaufleute (sich verbeugend). Dann nimm doch auch schon auf einen Hieb
  • die Zuckerhüte und ...
  • Chlestakóff. O nein, Geschenke niemals ...
  • Ossip. Euer Hochwohlgeboren! Warum nehmen Sie's nich? Nehmen Sie's doch.
  • Auf der Reise kann man alles brauchen. Her mit dem Zucker und mit den
  • Körben! Alles her! Alles kann zu was taugen. Was is da? 'n Strick? Her
  • mit dem Strick! Auch 'n Strick is gut auf die Reise; bricht mal was am
  • Wagen oder sonst was -- man kann's dann doch binden.
  • Kaufleute. Tun Sie uns nu auch die Gnade, Euer Herrlichkeit! Wenn Sie
  • uns auf unsre Bitten nich helfen, dann wissen wir nich mehr wohin, dann
  • schon lieber gleich 'n Strick um den Hals.
  • Chlestakóff. Unbedingt! Unbedingt! Ich werde mich bemühen.
  • (Die Kaufleute entfernen sich; man hört die)
  • Stimme eines Weibes. Nein, du darfst mich nicht abweisen; auch dich
  • werde ich verklagen; stoß mich doch nicht so!
  • Chlestakóff. Wer ist dort? (Tritt ans Fenster.) Was willst du,
  • Mütterchen?
  • Stimme zweier Frauen. Um deine Barmherzigkeit flehen wir, Vater! Herr,
  • hör uns an!
  • Chlestakóff (ruft hinaus). Einlassen!
  • 11. Szene
  • Chlestakóff. Die Schlosserfrau und die Unteroffizierfrau.
  • Schlosserfrau (auf die Knie fallend). Barmherzigkeit!
  • Unteroffizierfrau. Barmherzigkeit!
  • Chlestakóff. Wer seid ihr denn?
  • Unteroffizierfrau. Die Unteroffizierfrau Iwánow.
  • Schlosserfrau. Die Schlosserfrau und Bürgerin Fewrónja Pjetrówna
  • Poschljópkina, mein Vater ...
  • Chlestakóff. Halt, erst soll eine reden. Was willst du?
  • Schlosserfrau. Barmherzigkeit. Ich klage gegen den Polizeimeister, soll
  • ihn Gott schlagen mit allem Bösen, daß seine Kinder und er, der Halunke,
  • und seine Onkels und seine Tanten alle, alle nicht wissen, wo sie hin
  • sollen!
  • Chlestakóff. Was ist denn vorgefallen?
  • Schlosserfrau. Er hat meinem Mann den Kopf scheren lassen und ihn unter
  • die Soldaten gesteckt und das Los war doch nicht auf uns gefallen,
  • dieser Schuft! Und auch das Gesetz erlaubt's nicht. Er ist ja
  • verheiratet.
  • Chlestakóff. Wie konnte er denn das tun?
  • Schlosserfrau. Er hat's getan, der Halunke! Er hat's getan! Soll ihn
  • Gott verdammen in dieser und in jener Welt! Und wenn er eine Tante hat,
  • soll ihm auch seine Tante mit allen Pestilenzen geschlagen sein! Und
  • sein Vater, wenn er noch lebt, die Kanaille! daß auch der verrecken soll
  • oder ersticken soll in alle Ewigkeit! So ein Halunke der! Der
  • Schneidersohn sollte genommen werden, der war ja auch 'n Säufer. Aber
  • seine Eltern gaben ein schönes Stück Geld, da machte er sich dann an den
  • Sohn der Kaufmannsfrau Panteléjeff. Aber die Panteléjeff schickte seiner
  • Frau drei Stück Leinwand und da kam er zu mir. »Wozu brauchst du einen
  • Mann,« sagte er. »Für dich taugt er ja doch nichts mehr.« Aber ich weiß
  • alleine, ob er noch taugt oder nicht. Das ist schon meine Sache. So ein
  • Halunke! »Ein Dieb ist er,« sagt er, »wenn er auch jetzt nichts
  • gestohlen hat. Ganz egal,« sagt er, »stehlen wird er doch und sie werden
  • ihn ja doch sowieso nächstes Jahr unter die Soldaten stecken.« Was soll
  • ich dann anfangen ohne Mann? So ein Halunke! Sollen doch alle seine
  • Verwandten es so kriegen, daß sie Gottes Licht nicht mehr sehen können
  • und wenn er eine Schwiegermutter hat, so soll auch die Schwiegermutter
  • ...
  • Chlestakóff. Genug, genug! Nun und du? (Schafft dabei die Schlosserfrau
  • hinaus.)
  • Schlosserfrau (im Fortgehen). Vergiß es nicht, mein Vater, sei
  • barmherzig.
  • Unteroffizierfrau. Ich kam wegen dem Polizeimeister.
  • Chlestakóff. Nun, und warum? Antworte kurz.
  • Unteroffizierfrau. Ausgepeitscht, Herr.
  • Chlestakóff. Wie?
  • Unteroffizierfrau. Aus Irrtum, mein Vater. Die Weiber zankten sich auf
  • dem Markte und wie die Polizei kam und sie nicht fangen konnte, da
  • griffen sie mich und haben mich so zerschunden, daß ich zwei Tage nicht
  • sitzen konnte.
  • Chlestakóff. Ja, aber was ist jetzt da zu machen?
  • Unteroffizierfrau. Gewiß ist nichts zu machen, aber für den Fehler soll
  • er Strafe zahlen. Ich muß ja mein Kreuz nun doch tragen, aber Geld
  • könnte ich jetzt grade brauchen.
  • Chlestakóff. Gut, gut. Geh, geh. Ich werde es anordnen. (Nach dem
  • Fenster strecken sich Hände mit Bittschriften empor.) Wer ist denn da
  • noch? (Geht ans Fenster.) Ich will nicht, ich will nicht! Genug, genug!
  • (Tritt zurück.) Das habe ich jetzt satt. Hol's der Teufel! Niemand mehr
  • einlassen!
  • Ossip (schreit aus dem Fenster). Fort, fort! Keine Zeit, kommt morgen
  • wieder!
  • (Die Tür öffnet sich und es erscheint in ihr eine Gestalt im
  • wollenen Mantel mit verwildertem Bart, geschwollenen Lippen und
  • verbundener Backe. Hinter ihr erscheinen noch einige andere
  • Gestalten.)
  • Ossip. Raus! Raus! Was untersteht ihr euch! (Packt den ersten um den
  • Leib und zieht ihn mit sich hinaus ins Vorzimmer, die Tür hinter sich
  • zuschlagend.)
  • 12. Szene
  • Chlestakóff. Márja Antónowna.
  • Márja. Ach!
  • Chlestakóff. Warum erschraken Sie so, mein Fräulein?
  • Márja. Oh, ich bin gar nicht erschrocken.
  • Chlestakóff (galant.) Aber mein Fräulein, es ist mir ja gerade sehr
  • angenehm, daß Sie mich für einen Menschen hielten, welcher ... Darf ich
  • so kühn sein, zu fragen, wohin Sie zu gehen beabsichtigten?
  • Márja. Wirklich, ich wollte nirgends hin.
  • Chlestakóff. Was wollten Sie beispielsweise mit dem nirgendshin sagen?
  • Márja. Ich dachte, ob Mama vielleicht hier ...
  • Chlestakóff. Nein, ich möchte eben gerne wissen, weshalb Sie nirgend
  • wohin gingen?
  • Márja. Ich habe Sie gestört. Sie waren mit wichtigen Angelegenheiten
  • beschäftigt.
  • Chlestakóff (galant). Ihre Augen sind reizvoller als alle wichtigen
  • Angelegenheiten. Sie können mich überhaupt nicht stören. Ganz und gar
  • nicht. Im Gegenteil, Sie können mir nur Vergnügen bereiten.
  • Márja. Sie sprechen im Tone der Großstadt --
  • Chlestakóff. Zu einem so entzückenden Geschöpf, wie Sie es sind. Darf
  • ich mir das Glück gönnen, Ihnen einen Stuhl anzubieten? Doch nein, Sie
  • sollten keinen Stuhl, Sie sollten einen Thron haben.
  • Márja. Wirklich, ich weiß nicht ... ich hätte doch wohl gehen müssen.
  • (Setzt sich.)
  • Chlestakóff. Was haben Sie da für ein reizendes Halstuch?
  • Márja. Sie sind ein Spötter, und wollen sich nur über eine Provinzialin
  • lustig machen.
  • Chlestakóff. Ach, mein Fräulein, wie sehr wünschte ich, Ihr Halstuch zu
  • sein, um Ihren Lilienhals umschlingen zu können!
  • Márja. Ich verstehe ganz und gar nicht, wovon Sie sprechen. Dieses
  • Halstuch ... Was für wunderbares Wetter heute ist!
  • Chlestakóff. Ihre Lippen, mein Fräulein, sind schöner als jedes Wetter.
  • Márja. Wie Sie auch immer reden ... Ich möchte Sie bitten, mir lieber
  • ein paar Verse zur Erinnerung ins Album zu schreiben. Sie wissen
  • jedenfalls eine Menge.
  • Chlestakóff. Für Sie, mein Fräulein, tue ich alles, was Sie wünschen.
  • Was für Verse wollen Sie haben?
  • Márja. Irgendwelche, nur recht hübsche, neue.
  • Chlestakóff. Was heißt Verse! Ich kenne so viele.
  • Márja. Also sagen Sie, welche wollen Sie mir einschreiben?
  • Chlestakóff. Weshalb sagen? Ich kenne sie auch so.
  • Márja. Ich habe Verse so gern.
  • Chlestakóff. Ich weiß eine Menge der verschiedensten Gattung. Was meinen
  • Sie zum Beispiel zu diesen:
  • »O du, der du in Liebesnot
  • Umsonst mit deinem Schöpfer rechtest!«
  • Oder anderes dergleichen. Sie wollen mir jetzt gerade nicht einfallen.
  • Aber das tut nichts, statt dessen ziehe ich es vor, Ihnen meine Liebe
  • anzutragen, die durch Ihren Blick ... (Rückt mit dem Stuhle näher).
  • Márja. Liebe? Ich verstehe nichts von Liebe. Ich habe noch nie gewußt,
  • was Liebe ist. (Rückt mit dem Stuhl weiter ab).
  • Chlestakóff. Warum rücken Sie denn fort? Es wäre doch viel netter, wenn
  • wir nahe beieinander säßen.
  • Márja (rückt mit ihrem Stuhl weiter ab). Warum denn nahe? Es kann ja
  • auch weiter sein.
  • Chlestakóff (rückt näher). Warum denn weiter? Es kann ja auch näher
  • sein.
  • Márja. Aber warum denn?
  • Chlestakóff (rückt näher). Sehen Sie, es scheint Ihnen bloß so, daß das
  • nahe ist. Bilden Sie sich ein, es sei weiter. Wie glücklich würde ich
  • sein, mein Fräulein, Sie in meine Arme schließen zu können!
  • Márja (blickt nach dem Fenster). Was war das, was da vorbeiflog, eine
  • Elster oder ein anderer Vogel?
  • Chlestakóff (küßt sie auf die Schulter und blickt nach dem Fenster).
  • Eine Elster!
  • Márja (steht unwillig auf). Nein, das geht zu weit! Diese Dreistigkeit!
  • Chlestakóff (hält sie zurück). Verzeihen Sie, mein Fräulein, das tat ich
  • nur aus Liebe, aus reiner Liebe.
  • Márja. Sie halten mich für eine Art von Provinzmädchen ... (Sie bemüht
  • sich hinauszukommen.)
  • Chlestakóff (hält sie immer noch fest). Nur aus Liebe, wirklich nur aus
  • Liebe. Ich scherzte nur ein wenig, Márja Antónowna. Zürnen Sie mir
  • nicht. Ich bin bereit, Sie auf den Knien um Verzeihung zu bitten. (Fällt
  • auf die Knie.) Verzeihen Sie, verzeihen Sie! Sie sehen mich auf den
  • Knien!
  • 13. Szene
  • Die Vorigen und Anna Andréjewna.
  • Anna Andréjewna (erblickt Chlestakóff auf den Knien liegend). Ah, welche
  • Situation!
  • Chlestakóff (sich erhebend). Verflucht!
  • Anna Andréjewna (zur Tochter). Was soll das heißen, mein Fräulein? Was
  • ist das für ein Betragen?
  • Márja. Ach, Mama, ich ...
  • Anna Andréjewna. Marsch hinaus, hörst du, hinaus, und wage es nicht, mir
  • unter die Augen zu treten. (Márja in Tränen ab).
  • Anna Andréjewna. Verzeihen Sie, aber meine große Bestürzung ...
  • Chlestakóff (beiseite). Auch noch ganz appetitlich. Gar nicht übel.
  • (Fällt auf die Knie.) Gnädigste, Sie sehen, ich brenne vor Liebe.
  • Anna Andréjewna. Wie, auf den Knien? Ach, stehen Sie auf, der Fußboden
  • ist hier so staubig.
  • Chlestakóff. Nein, auf den Knien, durchaus auf den Knien. Ich muß
  • wissen, was meiner harrt, Leben oder Tod!
  • Anna Andréjewna. Aber erlauben Sie, ich verstehe den Sinn Ihrer Worte
  • noch gar nicht. Irre ich nicht, so wollen Sie sich zugunsten meiner
  • Tochter erklären?
  • Chlestakóff. Nein, ich liebe Sie, mein Leben hängt an einem Faden. Wenn
  • Sie meine unwandelbare Liebe nicht krönen, so bin ich des irdischen
  • Daseins nicht wert. Mit flammendem Herzen bitte ich um Ihre Hand!
  • Anna Andréjewna. Aber gestatten Sie mir zu bemerken, ich bin
  • gewissermaßen -- ich bin verheiratet.
  • Chlestakóff. Was liegt daran! Die Liebe kennt keinen Unterschied. Sagte
  • doch schon Karámsin, »die Gesetze verdammen«. Wir ziehen uns in den
  • Schatten eines Baches zurück. Ihre Hand, ich bitte um Ihre Hand!
  • 14. Szene
  • Die Vorigen. Márja Antónowna eilt plötzlich herein.
  • Márja. Mama, Papa wünscht, du möchtest (erblickt Chlestakóff auf den
  • Knien und ruft aus.) Ah, welche Situation!
  • Anna Andréjewna. Nun was soll das? Wohin? Warum? Welche Keckheit!
  • Hereinzustürzen wie eine verbrannte Katze! Nun, was ist daran so
  • Erstaunliches? Was hat dir so aufzufallen? Wirklich gerade wie ein
  • dreijähriges Kind. Ich weiß nicht, ob du jemals vernünftiger werden und
  • dich benehmen wirst, wie es sich für ein wohlerzogenes Mädchen schickt.
  • Ob du jemals begreifen wirst, was es heißt, gute Sitte und anständiges
  • Betragen!
  • Márja (unter Tränen). Wirklich Mama, ich wußte nicht ...
  • Anna Andréjewna. Ewig hast du Flatterkram im Kopf. Du nimmst dir dein
  • Beispiel an den Töchtern des Kreisrichters. Was brauchst du nach denen
  • hinzusehen, du sollst dich nicht um sie scheren. Du kannst andere
  • Vorbilder haben. Sieh deine Mutter an. Nach solchen Vorbildern sollst du
  • dich richten!
  • Chlestakóff (nimmt die Tochter bei der Hand). Anna Andréjewna,
  • widersetzen Sie sich nicht unserm Glück, segnen Sie unsere treue Liebe.
  • Anna Andréjewna (in höchstem Erstaunen). Dann wären Sie also in sie ...
  • Chlestakóff. Entscheiden Sie, ob Leben oder Tod.
  • Anna Andréjewna. Nun sieh, du Närrin, sieh, deinetwegen, um solch
  • albernes Ding hat unser Gast die Gnade gehabt, sich auf die Knie
  • herabzulassen und du rennst plötzlich fort wie eine Verrückte.
  • Wahrhaftig, ich hätte alle Veranlassung, mich zu weigern. Du bist eines
  • solchen Glückes nicht wert!
  • Márja. Nie wieder tu ich's, Mama, wirklich nie wieder!
  • 15. Szene
  • Die Vorigen. Polizeimeister in größter Hast hereintretend.
  • Polizeimeister. Nie wieder, Euer Exzellenz! Verderben Sie mich nicht,
  • verderben Sie mich nicht!
  • Chlestakóff. Was haben Sie denn?
  • Polizeimeister. Die Kaufleute da haben sich bei Eurer Exzellenz
  • beschwert. Auf Ehre versichere ich, nicht die Hälfte von dem ist wahr,
  • was sie sagen. Sie selber betrügen und übervorteilen das Volk. Die
  • Unteroffiziersfrau hat Ihnen vorgelogen, ich hätte sie durchpeitschen
  • lassen. Sie lügt, bei Gott sie lügt. Sie hat sich selber
  • durchgepeitscht.
  • Chlestakóff. Weg mit der Unteroffiziersfrau! Was geht die mich an!
  • Polizeimeister. Glauben Sie ihnen nicht! Glauben Sie ihnen nicht! Das
  • sind solche Lügner, kein Wickelkind glaubt denen mehr. Die ganze Stadt
  • kennt sie als Lügner, und was die Spitzbüberei betrifft, sie selbst sind
  • Spitzbuben, wie es noch keine auf der Welt gab.
  • Anna Andréjewna. Weißt du denn auch, welcher Ehre uns Iwán
  • Alexándrowitsch würdigt? Er bittet um die Hand unserer Tochter.
  • Polizeimeister. Aber, aber, Frauchen, du bist von Sinnen! Bitte zürnen
  • Sie nicht, Exzellenz, sie ist ein bißchen wunderlich. Die Mutter war
  • auch so.
  • Chlestakóff. Nein, ich bitte tatsächlich um ihre Hand. Ich liebe sie.
  • Polizeimeister. Das kann ich unmöglich glauben, Exzellenz.
  • Anna Andréjewna. Aber wenn man es dir doch sagt!
  • Chlestakóff. Ich sage das nicht, um zu scherzen. Ich könnte vor Liebe
  • den Verstand verlieren.
  • Polizeimeister. Ich wage es nicht zu glauben, ich bin dieser Ehre nicht
  • würdig.
  • Chlestakóff. Wenn Sie sich weigern, mir die Hand ihrer Tochter zu geben,
  • dann bin ich weiß Gott wozu entschlossen.
  • Polizeimeister. Ich kann es nicht glauben. Sie belieben zu scherzen,
  • Exzellenz.
  • Anna Andréjewna. Nein, wahrhaftig, was für ein Tölpel! Wenn man's dir
  • doch nun sagt!
  • Polizeimeister. Ich kann's nicht glauben.
  • Chlestakóff. Geben Sie mir Ihre Hand, geben Sie, ich bin ein tollkühner
  • Mensch und zu allem bereit. Wenn ich mich erschieße, kommen Sie vors
  • Gericht.
  • Polizeimeister. O mein Gott, ich bin wirklich, wirklich nicht schuld,
  • weder mit Leib noch Seele. Bitte zürnen Sie nicht, handeln Sie, wie es
  • Ihre Gnaden für gut erachten. In meinem Kopfe sieht es augenblicklich
  • ... ich weiß selbst nicht, was da vorgeht. Ich bin jetzt ein solcher
  • Narr, wie ich es noch niemals gewesen bin.
  • Anna Andréjewna. Nun, gib deinen Segen.
  • Chlestakóff (tritt mit Márja Antónowna heran).
  • Polizeimeister. So segne euch Gott, aber ich bin unschuldig!
  • (Chlestakóff tauscht mit Márja Küsse. Polizeimeister blickt auf sie.)
  • Was für ein Teufelskerl, es ist nicht zu sagen! (Reibt sich die Augen.)
  • Ja, ja, küssen sich, ganz klar, küssen sich. Genau wie ein Bräutigam!
  • Hui, da ist mir aber ein Glück einbeschert! Alle Wetter!
  • 16. Szene
  • Die Vorigen und Ossip.
  • Ossip. Der Wagen ist bereit.
  • Chlestakóff. Schön, Ossip, gleich.
  • Polizeimeister. Sie geruhen abzureisen?
  • Chlestakóff. Ja, ich reise.
  • Polizeimeister. Und wann -- das heißt -- ... Sie geruhten doch selber
  • vorhin auf eine Hochzeit anzuspielen?
  • Chlestakóff. Ach, das ist nur momentan. Ich reise bloß für einen Tag zu
  • meinem Onkel -- reicher alter Mann -- morgen bin ich wieder zurück.
  • Polizeimeister. Wir wagen nicht Sie zurückzuhalten -- in Hoffnung auf
  • ein glückbringendes Wiedersehen.
  • Chlestakóff. Aber was denn! Ich bin ja gleich wieder da. Leb wohl, meine
  • Liebe ... Nein, ich kann es nicht ausdrücken, leb wohl, mein Herzchen!
  • (Küßt ihr die Hand.)
  • Polizeimeister. Benötigen Sie vielleicht etwas für die Reise? Sie
  • schienen etwas knapp an Geldmitteln?
  • Chlestakóff. O nein, wie so? (Denkt etwas nach.) Na, übrigens ja, bitte.
  • Polizeimeister. Wieviel wünschen Sie?
  • Chlestakóff. Sie gaben mir damals zweihundert, das heißt nicht
  • zweihundert, sondern vierhundert, ich will aus Ihrem Versehen keinen
  • Vorteil ziehen -- dann also bitte jetzt noch einmal vierhundert, damit
  • es rund achthundert sind.
  • Polizeimeister. Sofort. (Holt die Scheine aus der Brieftasche.) Noch
  • dazu, wie bestellt, ganz neue Scheine.
  • Chlestakóff. Sieh da! (Nimmt und betrachtet die Scheine.) Das ist schön.
  • Heißt es nicht »neues Geld, neues Glück«?
  • Polizeimeister. Sehr richtig!
  • Chlestakóff. Leben Sie wohl, Antón Antónowitsch, ich bin Ihnen sehr
  • dankbar für Ihre Gastfreundschaft. Ich habe noch nirgendwo eine so gute
  • Aufnahme gefunden. Leben Sie wohl, Anna Andréjewna, mein süßer Schatz,
  • Márja Antónowna!
  • (Hinter der Szene):
  • Stimme des Chlestakóff. Leb wohl, Engel meiner Seele, Márja Antónowna!
  • Stimme des Polizeimeisters. Wie? Sie wollen mit dem einfachen Postwagen
  • reisen?
  • Stimme des Chlestakóff. Ja, ich bin's schon so gewohnt. In den federnden
  • Wagen bekomme ich nur Kopfschmerzen.
  • Stimme des Postillons. Prrr! ...
  • Stimme des Polizeimeisters. Man sollte ihn wenigstens mit etwas
  • überdecken und wenn's auch nur ein Teppich wäre. Soll ich nicht nach
  • einem Teppich schicken?
  • Stimme des Chlestakóff. Nein, wozu. Das ist unnötig. Aber vielleicht
  • doch -- gut, lassen Sie einen holen.
  • Stimme des Polizeimeisters. He, Awdótja, lauf in die Kammer und hol den
  • besten Teppich, den mit dem blauen Fond, den persischen, schnell!
  • Stimme des Postillons. Prrr!
  • Stimme des Polizeimeisters. Wann dürfen wir Sie zurück erwarten?
  • Stimme des Chlestakóff. Morgen oder übermorgen.
  • Stimme des Ossip. Is das der Teppich? Gib ihn hierher. So hinlegen. So,
  • und dort noch 'n bissel Heu, so.
  • Stimme des Postillons. Prrr!
  • Stimme des Ossip. Noch auf der Seite! Hierher! Noch! Genug! So wird's
  • fein gehn. (Schlägt mit der Hand auf den Teppich.) So, Euer Wohlgeboren,
  • nu setzen Sie sich!
  • Stimme des Chlestakóff. Adieu, Antón Antónowitsch!
  • Stimme des Polizeimeisters. Leben Sie wohl, Euer Exzellenz!
  • Weibliche Stimmen. Adieu, Iwán Alexándrowitsch!
  • Stimme des Chlestakóff. Adieu, Mama!
  • Stimme des Postillons. Los, ihr Hengste!
  • (Die Postglocke ertönt, der Vorhang fällt.)
  • (Ende des vierten Aufzuges.)
  • Fünfter Aufzug
  • (Dasselbe Zimmer.)
  • 1. Szene
  • Polizeimeister. Anna Andréjewna. Márja Antónowna.
  • Polizeimeister. Nun Frau, hättest du an so etwas gedacht? Solch einen
  • Fang zu tun? Du Närrin, gesteh' es, hättest du dir das träumen lassen?
  • -- Eben noch eine gewöhnliche Frau Polizeimeisterin und plötzlich -- du
  • Glückspilz, mit so einem Teufelskerl verschwägert.
  • Anna Andréjewna. O, freilich, das wußte ich längst. Nur dich nimmt das
  • Wunder, weil du ein gewöhnlicher Mensch bist und noch nie gebildete
  • Leute gesehen hast.
  • Polizeimeister. Ich bin auch ein gebildeter Mensch, aber um darauf
  • zurückzukommen, wahrhaftig, wenn man bedenkt, Frau, was wir beide jetzt
  • für stolze Vögel geworden sind! Nein, Frau, und diese erhabene Höhe,
  • hol's der Teufel! Halt, jetzt will ich doch mal dieser Bande ihre
  • Bittschriften und Denunziationen eintränken. He, niemand da?
  • Polizeidiener (kommt herein).
  • Polizeimeister. Ah, du, Iwán Karpówitsch, schaff mir mal die Kaufleute
  • her, ich will die Kanaillen! Sich über mich beschweren! Seht doch, ihr
  • verdammten Schacherseelen! Wartet nur, Bürschchen, habe ich euch bisher
  • nur geschoren, so sollt ihr mir jetzt geschunden werden! Notier mir
  • jeden, der sich über mich beschwert hat und vornehmlich dieses
  • Schmiererpack, das ihnen die Bittschriften aufgesetzt hat, und bringe
  • ihnen allen bei, daß sie wissen sollen, was Gott für einen Segen auf den
  • Polizeimeister herabgeschickt hat, daß er seine Tochter verheiratet,
  • aber nicht an den ersten besten gewöhnlichen Kerl, nein, sondern an
  • einen, wie es in der Welt noch keinen zweiten gegeben hat, der alles
  • vermag, alles, alles! Schärf's ihnen allen ein, daß sie's auch gut
  • wissen, laß es in der ganzen Stadt ausrufen, von sämtlichen Glocken
  • ausläuten. Den Teufel auch, wenn schon triumphieren, dann auch
  • ordentlich triumphieren!
  • Polizeidiener (ab).
  • Polizeimeister. Na, nun, Frau, was? Wo werden wir jetzt leben? Hier oder
  • in Petersburg?
  • Anna Andréjewna. Natürlich in Petersburg, wer soll's denn auch hier
  • aushalten.
  • Polizeimeister. Nun, Petersburg ist Petersburg, aber auch hier war's gar
  • nicht so übel, und das Polizeimeisterspielen, scheint mir, geht dann
  • auch zum Teufel, was Frau?
  • Anna Andréjewna. Selbstverständlich, was ist denn an dem Polizeimeister
  • gelegen?
  • Polizeimeister. Jetzt wird man denn auch, was meinst du Frau, hübsch im
  • Rang in die Höhe klettern können, da er ja mit allen Ministern auf du
  • und du steht und zu Hofe fährt. Er könnte einen dann so nett bugsieren,
  • daß man mit der Zeit auch in den Generalsrock hineinschlüpft. Was meinst
  • du, Frau, ob man das wohl erwischt?
  • Anna Andréjewna. Und ob! Kleinigkeit!
  • Polizeimeister. Teufel auch, schön wär's doch General zu sein, die ganze
  • Brust voller Orden und Ordensbänder. Welches ist dir denn lieber, Frau,
  • das rote oder das blaue?
  • Anna Andréjewna. Selbstredend das blaue.
  • Polizeimeister. Ei sieh doch, wie hoch sie hinauswill! Auch das rote ist
  • ganz nett. Sieh, warum wünscht man sich General zu sein? Deshalb, weil,
  • wenn man irgendwo hinreist, immer die Feldjäger und Adjutanten vor einem
  • herfliegen: »Pferde«! Und alle andern müssen auf der Station warten,
  • weil sie keine kriegen, alle diese Titulierten und Hauptleute und
  • Polizeimeister, und nur man selbst ist über alles erhaben. Man speist
  • jedesmal beim Gouverneur, und in der Ecke, sieh doch mal, steht dann so
  • ein Polizeimeister. Hahaha! Kanaillenmäßiger Spaß das! (Lacht, daß ihm
  • die Tränen über die Backen laufen.)
  • Anna Andréjewna. Dir gefällt auch immer nur das Brutale! Du solltest
  • daran denken, daß sich das Leben bald ganz anders wird gestalten müssen,
  • daß deine Bekannten nicht von dem Schlage sein werden, wie so irgendein
  • »Hetzpeitschen-Kreisrichter«, mit dem du auf die Hasenjagd fährst, oder
  • so ein Semljaníka; im Gegenteil, das werden Leute von feinster Lebensart
  • sein, Grafen und Männer der großen Welt ... Aber ich habe wirklich
  • deinetwegen Angst, dir entschlüpfen nicht selten Ausdrücke und Worte,
  • die man in der guten Gesellschaft nie zu hören bekommt.
  • Polizeimeister. Ach was, Worte tun einem keinen Schaden.
  • Anna Andréjewna. Allerdings, so lange du Polizeimeister warst, aber dort
  • ist das Leben ein ganz anderes.
  • Polizeimeister. Ach freilich, dort soll es ja auch zwei Fische geben,
  • Plötz und Stint, so köstlich, daß einem schon vor dem Essen das Wasser
  • im Munde zusammenläuft.
  • Anna Andréjewna. Ach du und deine Fische! Ich aber wünsche, daß unser
  • Haus das erste in der Residenz sei und daß in meinem Salon ein solcher
  • Ambraduft schwebt, daß man beim Eintreten vor Entzücken die Augen
  • schließt: (Schließt die Augen und tut, als wenn sie Duft einatmet.) Ah,
  • wie wunderbar!
  • 2. Szene
  • Die Vorigen und die Kaufleute.
  • Polizeimeister. Ah, willkommen, Ihr Diebsgesindel!
  • Kaufleute (sich verneigend). Gesundheit und langes Leben, Herr!
  • Polizeimeister. Na, Ihr Früchtchen, wie steht's? Wie gehen die
  • Geschäfte? Was, ihr Hausierer und Ellenreiter, ihr euch beschweren?
  • Erzgauner, Bestien, Piratenbande, euch beschweren! So, habt ihr denn
  • viel blechen müssen? »Nu« denkt sich das, »dafür sperrt er ihn wohl auch
  • ins Loch!« Halunken, denen sieben Teufel und eine Hexe an die Gurgel
  • fahren sollten! Wißt ihr auch, daß ...
  • Anna Andréjewna. O Gott, Antón, was du für schauderhafte Ausdrücke hast!
  • Polizeimeister (ärgerlich). Ach, was heißt hier Ausdrücke! Wißt ihr, daß
  • derselbe Herr Beamte, bei dem ihr euch beschwert habt, jetzt meine
  • Tochter heiraten wird? He? So, und was sagt ihr nun? Jetzt sollt ihr
  • aber was erleben! Ihr beschwindelt die Leute, ihr übernehmt Lieferungen
  • an den Staat und begaunert ihn um Hunderttausende, liefert verfaultes
  • Tuch, opfert davon zwanzig Ellen und wollt auch noch dafür bedankt sein!
  • Und wenn sie wüßten, wie man ihnen ...! Und dabei bläht sich das auch
  • noch auf »ich bin Kaufmann, rühr mich nicht an!« Dünkt sich so viel wie
  • ein Edelmann, schöne Edelleute! Knoten seid ihr! Ein Edelmann hat
  • Schulbildung, kriegt er auch mal Prügel in der Schule, dann nur darum,
  • damit er was tüchtiges lerne, aber ihr, mit Schelmenstreichen fängt das
  • an und kriegt vom Nachbar Hiebe, nur weil es sich ertappen läßt. Ehe das
  • noch sein Vaterunser kann, betrügt das schon, und wenn ihnen der Bauch
  • schwillt und sie sich die Taschen vollgeschlagen haben, dann tut das
  • wichtig. Huh, was für ein Wundertier! Wenn das jeden Tag seine sechszehn
  • Samoware angeblasen hat, dann dünkt sich das, wer weiß wie! Auf den Kopf
  • spucken soll man euch und auf eure ganze Dicktuerei!
  • Kaufleute (sich verbeugend). Vergebung, Antón Antónowitsch, Vergebung!
  • Polizeimeister. Sich beschweren! Wer hat euch betrügen helfen, als ihr
  • die Brücke bautet, und hat zwanzigtausend Rubel für Stämme angerechnet,
  • obwohl deren kaum für hundert da waren? Ich hab euch geholfen, ihr
  • Bocksbärte! Das habt ihr wohl vergessen, und ich hätte es auf euch
  • schieben können und euch nach Sibirien bringen können. Was sagt ihr
  • dazu, he?
  • Einer der Kaufleute. Vergebung, Antón Antónowitsch! Der Böse hat uns
  • verführt. Eid darauf, wir beschweren uns nie wieder. Verlange, was du
  • willst, als Sühne, aber zürne nur nicht!
  • Polizeimeister. Zürne nicht! So, jetzt winselt ihr auf den Knien vor mir
  • und warum? Darum, weil ich jetzt der stärkere bin. Aber wenn ich nur
  • einen Augenblick an eurer Stelle wäre, wie würdet ihr mich, Kanaillen,
  • in den tiefsten Dreck stoßen und noch einen Klotz nachwerfen!
  • Kaufleute (verneigen sich bis zur Erde). Gnade, Antón Antónowitsch,
  • Gnade!
  • Polizeimeister. Gnade, jetzt heißt's Gnade, und vorher? Ich sollte euch
  • ... (wehrt mit der Hand ab.) Nun, Gott möge euch verzeihen, jetzt genug
  • davon. Ich bin nicht nachtragend; aber nun gebt acht, sperrt eure Ohren
  • auf: ich verheirate meine Tochter an keinen beliebigen hergelaufenen
  • Edelmann; daß mir die Aussteuer sich sehen lassen kann ... verstanden!
  • Bildet euch nicht ein, mit so einem Stockfisch oder einem Hut Zucker
  • euch drumrum drücken zu können ..! Und nun hinaus!
  • Kaufleute (entfernen sich).
  • 3. Szene
  • Die Vorigen. Kreisrichter. Hospitalverwalter. Nachher
  • Rastakówski.
  • Kreisrichter (noch an der Tür). Darf man seinen Ohren trauen, Antón
  • Antónowitsch? Ein außergewöhnliches Glück ist Ihnen zuteil geworden!
  • Hospitalverwalter. Habe die Ehre, Ihnen zu diesem außergewöhnlichen
  • Glück zu gratulieren! Ich habe mich aufrichtig gefreut, als ich's
  • vernahm! (Nähert sich Márja Antónowna zum Handkusse.) Márja Antónowna!
  • Rastakówski (hereintretend). Gratuliere, Antón Antónowitsch! Gott
  • schenke Ihnen und dem jungen Paare ein langes Leben und reiche
  • Nachkommenschaft an Enkeln und Enkelkindern! Anna Andréjewna! (Küßt Anna
  • Andréjewna die Hand.) Márja Antónowna! (Küßt Márja die Hand.)
  • 4. Szene
  • Die Vorigen. Koróbkin und Frau. Ljuljukóff.
  • Koróbkin. Habe die Ehre, Ihnen zu gratulieren, Antón Antónowitsch! Anna
  • Andréjewna! (Küßt ihr die Hand.) Márja Antónowna (Küßt Márja die Hand.)
  • Frau Koróbkin. Gratuliere von Herzen, Anna Andréjewna, zu diesem neuen
  • Glück! (Küssen sich.)
  • Ljuljukóff. Habe die Ehre zu gratulieren, Anna Andréjewna! (Küßt ihr die
  • Hand und wendet sich dann zu den Zuschauern und schnalzt verwegen mit
  • der Zunge.) Márja Antónowna, habe die Ehre zu gratulieren! (Küßt ihr die
  • Hand mit der gleichen Pantomime zu den Zuschauern.)
  • 5. Szene
  • Eine Menge Gäste im Frack und Überrock treten herein, küssen erst
  • Anna Andréjewna mit dem Ausruf »Anna Andréjewna« die Hand, um das
  • gleiche bei Márja Antónowna auszuführen. Bóbtschinski und
  • Dóbtschinski drängen sich nach vorn.
  • Bóbtschinski. Habe die Ehre zu gratulieren!
  • Dóbtschinski. Antón Antónowitsch, habe die Ehre zu gratulieren!
  • Bóbtschinski. Zum glückvollen Ereignis!
  • Dóbtschinski. Anna Andréjewna!
  • Bóbtschinski. Anna Andréjewna! (Beide nähern sich ihr gleichzeitig und
  • stoßen mit den Köpfen zusammen.)
  • Dóbtschinski. Márja Antónowna! (küßt ihr die Hand.) Habe die Ehre zu
  • gratulieren! Ein großes, großes Glück ist Ihnen bereitet, goldene
  • Kleider werden Sie tragen, schöne delikate Suppen werden Sie essen und
  • werden Ihre Zeit auf die anmutigste Weise verbringen ...
  • Bóbtschinski (ihn unterbrechend). Márja Antónowna, habe die Ehre zu
  • gratulieren, schenke Ihnen Gott allen Reichtum, viele Dukaten und so
  • einen kleinen netten Jungen, so ... so ... (zeigt mit der Hand wie
  • groß.) daß man ihn sich auf die flache Hand setzen kann, jawohl, und
  • schreien wird er immer: Uah! uah! uah!
  • 6. Szene
  • Es kommen noch einige Gäste zum Handkusse, darunter der
  • Schulinspektor mit Frau.
  • Schulinspektor. Ich habe die Ehre ...
  • Frau Schulinspektor (eilt nach vorne). Gratuliere Ihnen, Anna
  • Andréjewna! (sie küssen sich.) Ach, wie habe ich mich gefreut, eben
  • erzählt man mir, »Anna Andréjewna verheiratet ihre Tochter«. Ach, mein
  • Gott, denke ich bei mir, und war so erfreut, daß ich zu meinem Mann
  • sage, »hör doch, Lúkachen, was für ein Glück Anna Andréjewna
  • wiederfahren ist.« Nun, Gott sei Dank, denke ich bei mir, und sage zu
  • ihm, »ich bin so entzückt, daß ich vor Ungeduld brenne, es Anna
  • Andréjewna persönlich auszudrücken.« Ach, mein Gott, denke ich bei mir,
  • Anna Andréjewna hat ja lange schon auf eine schöne Partie für ihre
  • Tochter gewartet, und nun erfüllt sich ihr Wunsch und nun ist's so
  • gekommen, wie sie es gehofft hat. Und war so entzückt darüber, daß ich
  • ganz die Sprache verlor! Und nun kommen mir die Tränen, und ich weine
  • und schluchze. Und Lúka Lúkitsch sagt zu mir: »Schluchze doch nicht so,
  • Nástja.« »Lúkachen,« sage ich zu ihm, »ich weiß selbst nicht warum, aber
  • die Tränen fließen mir so wie ein Bach aus den Augen.«
  • Polizeimeister. Bitte höflichst Platz zu nehmen, meine Herrschaften. He,
  • Míschka, bring mehr Stühle herein! (Die Gäste beginnen sich
  • niederzulassen.)
  • 7. Szene
  • Die Vorigen. Polizeiinspektor und Polizeidiener.
  • Polizeiinspektor. Habe die Ehre zu gratulieren, Euer Hochwohlgeboren!
  • Und Ihnen Glück und Heil auf viele Jahre zu wünschen!
  • Polizeimeister. Danke, danke! Bitte nehmen Sie Platz, meine
  • Herrschaften. (Die Gäste nehmen alle Platz.)
  • Kreisrichter. Erzählen Sie uns doch, Antón Antónowitsch, wie sich das
  • alles zugetragen hat, und wie eins nach dem andern gekommen ist.
  • Polizeimeister. Der Verlauf war höchst merkwürdig: er geruhte plötzlich
  • einen Antrag zu machen.
  • Anna Andréjewna. In höchst ehrenvoller und zartester Form. Ganz über die
  • Maßen taktvoll sagte er: »Anna Andréjewna, einzig und allein aus
  • Hochachtung vor Ihrem Wert.« Und ein so hübscher gebildeter junger Mann
  • von vornehmsten Manieren! »Glauben Sie mir, Anna Andréjewna, das Leben
  • ist mir keine Kopeke wert, nur die Ehrfurcht vor Ihren seltenen Vorzügen
  • bewog mich dazu.«
  • Márja Antónowna. Aber Mama, das hat er doch zu mir gesagt!
  • Anna Andréjewna. Schweig still, gar nichts weißt du, und menge dich
  • nicht in anderer Leute Angelegenheiten! »Anna Andréjewna, ich vergehe
  • vor Bewunderung,« bewegte sich in so schmeichelhaften Ausdrücken ... und
  • als ich sagen wollte, »wir erkühnen uns nicht, auf eine solche Ehre zu
  • hoffen,« da fiel er plötzlich auf die Knie und rief in derselben
  • vornehmen Art: »Anna Andréjewna, machen Sie mich nicht unglücklich,
  • erwidern Sie meine Gefühle und wenn nicht, so macht der Tod meinem Leben
  • ein Ende.«
  • Márja. Aber Mama, damit meinte er doch mich!
  • Anna Andréjewna. Nun ja doch ... er meinte dich auch, das leugne ich ja
  • gar nicht!
  • Polizeimeister. Und wie er uns in Angst versetzt hat, sagte, er wolle
  • sich erschießen: »Ich schieße mich tot, ich schieße mich tot!«
  • Viele Stimmen. Nein, sagen Sie bloß!
  • Kreisrichter. Aber so etwas!
  • Schulinspektor. Das gnädige Schicksal hat es so gefügt.
  • Hospitalverwalter. Nicht das Schicksal, Verehrtester, das Schicksal ist
  • eine blinde Henne, das Verdienst hat hier seinen Lohn empfangen.
  • (Beiseite.) Diesem Schwein fliegen auch immer die gebratenen Tauben ins
  • Maul!
  • Kreisrichter. Hören Sie, Antón Antónowitsch, ich möchte Ihnen doch gern
  • die Hündin verkaufen, um die wir handelten.
  • Polizeimeister. Nein, nein, an Hündinnen liegt mir jetzt nichts mehr.
  • Kreisrichter. Nun, wenn Sie nicht wollen, dann einen andern Hund.
  • Frau Koróbkin. Ach, Anna Andréjewna, wie ich mich über Ihr Glück freue,
  • Sie können sich das gar nicht vorstellen!
  • Koróbkin. Gestatten Sie mir die Frage: wo befindet sich denn zur Zeit
  • der erlauchte Gast? Ich hörte, er sei verreist.
  • Polizeimeister. Ja, er fuhr für einen Tag fort, in einer besonders
  • wichtigen Angelegenheit.
  • Anna Andréjewna. Zu seinem Onkel, um ihn um seinen Segen zu bitten.
  • Polizeimeister. Um seinen Segen zu erbitten. Doch morgen schon ...
  • (Niest; vielstimmiges gleichzeitiges »Zum Wohlsein«.) Danke vielmals!
  • Doch morgen schon (niest; brausendes »Zum Wohlsein«; dazwischen
  • gleichzeitig mehrere andere Stimmen.)
  • Polizeiinspektor. Gesundheit, Euer Hochwohlgeboren!
  • Bóbtschinski. Hundert Jahre und einen Sack Dukaten!
  • Dóbtschinski. Gott schenke Ihnen langes Leben!
  • Hospitalverwalter. Verrecken sollst du!
  • Frau Koróbkin. Hol dich der Satan! (Alle fünf gleichzeitig.)
  • Polizeimeister. Danke verbindlichst! Ich wünsche Ihnen allen das
  • gleiche.
  • Anna Andréjewna. Wir beabsichtigen, nach Petersburg überzusiedeln. Offen
  • gesagt, die hiesige Atmosphäre ... doch gar zu kleinstädtisch ...
  • wirklich sehr unangenehm ... sehen Sie, und mein Mann ... er soll dort
  • General werden ...
  • Polizeimeister. Und ich muß gestehen, meine Herrschaften, ich habe große
  • Lust, hol's der Teufel, General zu werden.
  • Schulinspektor. Gott erfülle Ihren Wunsch!
  • Rastakówski. Bei Gott ist kein Ding unmöglich!
  • Kreisrichter. Ein großes Schiff braucht ein breites Fahrwasser!
  • Hospitalverwalter. Dem Verdienste seine Krone!
  • Kreisrichter (beiseite). Was der angeben wird, wenn er wirklich General
  • werden sollte! Dem paßt der Generalsrock wie der Kuh der Sattel. Nein,
  • bis dahin hat's noch gute Wege. Hast hier gut gelernt, Schäfchen zu
  • scheren, aber zum General langt's doch noch nicht.
  • Hospitalverwalter (beiseite). Eh, zum Henker, das möchte schon General
  • werden! Ein findiger Kerl, darf sich's auch erlauben. Ist ja auch schlau
  • genug, daß ihn kein Teufel fassen kann. (Wendet sich zum
  • Polizeimeister.) Vergessen Sie uns dann nicht, Antón Antónowitsch!
  • Kreisrichter. Und wenn mal irgend was passiert, zum Beispiel eine kleine
  • Unregelmäßigkeit im Amt, bleiben Sie dann unser Beschützer!
  • Koróbkin. Im nächsten Jahre will ich meinen Sohn nach der Residenz
  • bringen, damit er die Staatskarriere einschlägt, dann bitte schenken Sie
  • ihm Ihre Protektion! Vertreten Sie Vaterstelle bei der armen Waise!
  • Polizeimeister. Ich bin gern bereit, mich für ihn zu verwenden.
  • Anna Andréjewna. Antón, du versprichst auch immer gleich alles. Erstens
  • wirst du gar keine Zeit haben, daran zu denken, und dann, wer wird sich
  • gleich mit solchen Versprechungen belasten!
  • Polizeimeister. Weshalb denn, meine Liebe, zuweilen geht das doch!
  • Anna Andréjewna. Gewiß geht's, aber deswegen braucht man doch nicht
  • gleich jedem Gründling seine Protektion zuzuwenden!
  • Frau Koróbkin. Haben Sie gehört, wie sie uns traktiert?
  • Eine Dame. Ja, so war sie immer, ich kenne sie genau. Setze sie an den
  • Tisch, und sie legt die Beine ...
  • 8. Szene
  • Die Vorigen. Der Postmeister (in Hast mit einem aufgebrochenen
  • Brief in der Hand.)
  • Postmeister. Unglaubliche Sache, Herrschaften! Der Beamte, den wir für
  • einen Revisor hielten, war gar kein Revisor!
  • Alle. Wie, kein Revisor?
  • Postmeister. Absolut kein Revisor! Ich erfuhr's durch einen Brief.
  • Polizeimeister. Was soll das heißen? Durch was für einen Brief?
  • Postmeister. Durch einen eigenhändigen Brief von ihm. Man bringt mir
  • einen Brief auf die Post, ich schaue die Adresse an, lese »Poststraße«,
  • und war starr vor Schreck. Na, denke ich, bei mir hat er richtig
  • Unregelmäßigkeiten in der Postverwaltung entdeckt und berichtet darüber
  • der Behörde. Nehm ihn und brech ihn auf.
  • Polizeimeister. Wie kommen Sie dazu?!
  • Postmeister. Ich weiß selbst nicht wie, eine übernatürliche Gewalt zwang
  • mich dazu. Ich hatte schon den Kurier kommen lassen, der ihn per
  • Estafette befördern sollte -- aber da überkam mich eine so heftige
  • Neugierde, wie ich sie noch nie empfunden habe. Ich darf nicht, ich darf
  • nicht, ich weiß, ich darf nicht -- aber es zieht, zieht immer stärker.
  • In einem Ohre flüstert es: »mach ihn nicht auf, du fällst rein«, aber
  • ins andere Ohr raunt mir ein Satan: »brich auf, brich auf, brich auf«,
  • und wie ich das Siegel berühre -- Feuer, und wie ich's erbrochen hatte
  • -- Eis -- kaltes Eis. Mir zitterten die Hände und alles drehte sich
  • rundherum.
  • Polizeimeister. Wie konnten Sie sich erdreisten, den Brief einer so
  • hochbevollmächtigten Persönlichkeit zu erbrechen?!
  • Postmeister. Das ist ja gerade der Spaß, daß er weder
  • hochbevollmächtigt, noch auch eine Persönlichkeit ist!
  • Polizeimeister. Was sollte er denn nach Ihrer Meinung sein?
  • Postmeister. Nicht dies, nicht das, weiß der Teufel, was.
  • Polizeimeister (zornig). Wie, nicht dies, nicht das? Wie können Sie sich
  • unterstehen, von ihm zu sagen »nicht dies, nicht das, und weiß der
  • Teufel, was?« Ich lasse Sie verhaften!
  • Postmeister. Wer, Sie?
  • Polizeimeister. Ja, ich!
  • Postmeister. Hände weg!
  • Polizeimeister. Wissen Sie denn überhaupt, daß er meine Tochter heiraten
  • wird, daß ich selbst zu den Großen zählen werde, und daß ich Sie ins
  • hinterste Sibirien verschicken kann?!
  • Postmeister. I, Antón Antónowitsch, Sibirien! Sibirien ist weit! Ich
  • werde Ihnen lieber gleich den Brief vorlesen. Herrschaften, soll ich
  • vorlesen?
  • Alle. Lesen Sie, lesen Sie!
  • Postmeister (liest). »Lieber Trapítschkin! In Eile will ich dir davon
  • Mitteilung machen, was für Wunderdinge mir hier passiert sind. Auf der
  • Reise hatte mich ein Hauptmann so vollständig ausgebeutelt, daß der
  • Gastwirt schon nahe daran war, mich ins Loch stecken zu lassen, als
  • plötzlich, dank meiner Petersburger Physiognomie und meinem Petersburger
  • Kostüm, mich das ganze Städtchen für einen Generalgouverneur zu halten
  • begann. Kurz, jetzt wohne ich beim Polizeimeister, schlemme und schneide
  • abwechselnd bald seiner Frau und bald seiner Tochter auf Mord die Cour;
  • ich schwanke bloß, an welche von beiden ich mich zuerst heranmachen soll
  • -- wahrscheinlich aber an die Mama, da sie aussieht, als ob sie zu jeder
  • Gefälligkeit bereit sei. Weißt du noch, wie wir beide in der Klemme
  • saßen und uns unser Mittagbrot zusammenmausten, und mich einmal ein
  • Konditor am Kragen erwischte _à conto_ einiger Pasteten, die wir zu
  • Lasten der Schatulle des Königs von Britannien verspeist hatten? Jetzt
  • hat sich das Blättchen vollständig gewendet! Alle pumpen mir so viel,
  • wie ich nur haben will. Unglaubliche Exemplare, du würdest bersten vor
  • Lachen! Du schreibst ja so kleine Feuilletons; verewige sie denn durch
  • deine Feder. Da ist zuerst gleich der Polizeimeister: borniert wie ein
  • grauer Wallach ...«
  • Polizeimeister. Das ist nicht möglich! Das kann nicht dastehn!
  • Postmeister (zeigt ihm die Stelle). Bitte, lesen Sie doch selbst.
  • Polizeimeister (liest). ... »wie ein grauer Wallach.« Unmöglich, das
  • haben Sie selbst geschrieben!
  • Postmeister. Wie käme ich denn dazu?
  • Hospitalverwalter. Lesen!
  • Schulinspektor. Lesen!
  • Postmeister (liest weiter). »... der Polizeimeister: borniert wie ein
  • grauer Wallach ...«
  • Polizeimeister. Hol ihn der Satan! Muß das noch einmal wiederholen! Als
  • ob's nicht so wie so schon dastünde!
  • Postmeister (liest weiter). Hm .. hm .. hm ».. grauer Wallach ... Der
  • Postmeister ist gleichfalls ein netter Kunde ...« (Hält im Lesen inne).
  • Nun, hier drückt er sich auch über mich wenig respektvoll aus.
  • Polizeimeister. Nein, lesen Sie weiter!
  • Postmeister. Aber wozu denn? ...
  • Polizeimeister. Nein, zum Henker, wenn schon lesen, dann auch alles
  • lesen! Lesen Sie alles vor!
  • Hospitalverwalter. Geben Sie, ich werde lesen. (Setzt die Brille auf
  • und liest.) »Der Postmeister gleicht auf ein Haar unserm
  • Departements-Hausknecht Michéjeff, auch ein Gauner und säuft Schnaps.«
  • Postmeister (zu den Zuschauern). Ein niederträchtiger Lümmel, der nichts
  • weiter als eine Tracht Prügel verdient!
  • Hospitalverwalter (liest weiter). »Der Hospitalverw... w.. w..«
  • (Stotternd).
  • Koróbkin. Warum bleiben Sie denn stecken?
  • Hospitalverwalter. Unleserliche Schrift .. man sieht auch zur Genüge,
  • daß das ein Flegel ist.
  • Koróbkin. Lassen Sie mich lesen! Ich glaube, ich habe bessere Augen!
  • (will den Brief nehmen).
  • Hospitalverwalter (hält den Brief fest). Nein, diese Stelle kann man ja
  • überschlagen, weiterhin wird es leserlicher.
  • Koróbkin. Geben Sie nur her, ich weiß schon Bescheid.
  • Hospitalverwalter. Aber was denn -- lesen kann ich auch -- weiterhin ist
  • alles ganz deutlich.
  • Postmeister. Nein, alles vorlesen! Vorher ist auch alles vorgelesen
  • worden!
  • Alle. Abgeben, Artémij Filíppowitsch, Brief abgeben! (Zu Koróbkin.)
  • Lesen Sie vor!
  • Hospitalverwalter. Gleich, gleich. (Er gibt Koróbkin den Brief.)
  • Erlauben Sie ... (deckt die Stelle mit dem Finger zu) ... da ... bitte
  • von hier ab. (Alle umdrängen Koróbkin.)
  • Postmeister. Vorlesen! vorlesen! zum Kuckuck! alles vorlesen!
  • Koróbkin (liest). »Der Hospitalverwalter Semljaníka ist ein komplettes
  • Schwein mit einer Nachtmütze.«
  • Hospitalverwalter (zu den Zuschauern). Sehr geistreich! Schwein mit
  • einer Nachtmütze! Welches Schwein trägt Nachtmützen?
  • Koróbkin (liest weiter). »Der Schulinspektor ist durch und durch mit
  • Knoblauch verpestet.«
  • Schulinspektor (zu den Zuschauern). Bei Gott, ich habe nie Knoblauch in
  • den Mund genommen!
  • Kreisrichter (beiseite). Gott sei Dank, mich läßt er ungeschoren!
  • Koróbkin (liest weiter). »Der Kreisrichter ...«
  • Kreisrichter. Hopsa! (Laut.) Meine Herrschaften, ich denke, der Brief
  • ist doch wohl zu lang ... Wozu in aller Welt solchen Quatsch vorlesen!
  • Schulinspektor. Nein!
  • Postmeister. Nein, vorlesen!
  • Hospitalverwalter. Nein, lesen Sie nur vor!
  • Koróbkin (fährt fort). »Der Kreisrichter Ljápkin-Tjápkin ist im höchsten
  • Grade _mauvais ton_ ...« (Hält inne). Das scheint ein französischer
  • Ausdruck zu sein.
  • Kreisrichter. Mag der Teufel wissen, was das bedeutet! Wenn bloß
  • Halunke, dann gut; aber es kann noch was viel Schlimmeres sein.
  • Koróbkin (liest weiter). »Im übrigen ist das Völkchen gastfreundlich und
  • äußerst harmlos. Lebe wohl, teuerster Trapítschkin. Ich gedenke mich
  • nach deinem Vorbild jetzt ebenfalls der Literatur zu widmen, denn,
  • lieber Freund, man bekommt diese Art Leben schließlich doch satt und
  • sehnt sich nach geistiger Nahrung. Ich sehe es ein, man muß wirklich
  • höheren Zielen zustreben. Schreibe mir doch nach Gouvernement Sarátoff,
  • Gutsbezirk Podkalítowka. (Dreht den Brief um und liest die Adresse.)
  • Seiner Hochwohlgeboren, dem wohledlen Herrn, Herrn Iwán Wassíljewitsch
  • Trapítschkin, St. Petersburg. Poststraße 97, Hof geradezu, drei Treppen
  • rechts.«
  • Eine Dame. Welch unverhoffte Züchtigung!
  • Polizeimeister. Sollte es treffen, dann hat's jetzt getroffen!
  • Vernichtet, total vernichtet! Ich erkenne nichts mehr; ringsum nichts
  • wie Schweineschnauzen, und keine Menschengesichter! .... Haltet ihn
  • fest, haltet ihn fest! (Fährt mit den Armen durch die Luft.)
  • Postmeister. Was festhalten! Ich ließ ihm wie abgekartet das
  • beste Gespann geben, und der Satan riet mir auch noch Relais
  • vorauszubestellen!
  • Frau Koróbkin. Das nenn' ich doch beispiellose Konfusion!
  • Kreisrichter. Zu allem Überfluß -- hol's der Teufel, meine Herren, hat
  • er mir sogar dreihundert Rubel abgepumpt!
  • Hospitalverwalter. Mir auch dreihundert!
  • Postmeister (seufzt.) Ach, und mir auch dreihundert!
  • Bóbtschinski. Und von mir und Dóbtschinski nahm er fünfundsechzig Rubel
  • in Papier, jawohl!
  • Kreisrichter (breitet in höchstem Erstaunen die Arme aus). Aber ich
  • bitte Sie um alles, meine Herren, wie konnten wir bloß auf solch einen
  • Schwindel hereinfallen?!
  • Polizeimeister (schlägt sich vor die Stirne). Und ich -- und ich grauer
  • Esel? Verdient hab' ich's, ich hirnverbrannter Schöps! Dreißig Jahre
  • stehe ich im Dienst, habe mich von keinem Krämerhund oder Bauunternehmer
  • jemals übers Ohr hauen lassen, habe einen Gauner mit dem andern
  • betrogen, habe jeden Schelm und jeden Spitzbuben, der alle Welt bestahl,
  • doch noch an meiner Angel gefangen, habe drei Gouverneure übertölpelt!
  • ... Ach was, Gouverneure, (mit einer Handbewegung) wo bleiben da
  • Gouverneure ...
  • Anna Andréjewna. Aber das kann nicht sein, Antón, er hat sich doch mit
  • Máscha verlobt!
  • Polizeimeister (zornig). Verlobt! Der Fuchs mit der Gans! Nette
  • Verlobung! ... Kommt mir noch mit Verlobung! (In fassungslosem
  • Erstaunen.) Seht her, seht her, Welt und alle Christenheit, seht her,
  • was für ein Ochs der Polizeimeister geworden ist! Pfeift ihn aus, den
  • alten Halunken! (Droht sich selber mit der Faust.) O ich Rindvieh, halte
  • einen Windhund und Waschlappen für einen gewaltigen Herrn! Da fährt er
  • nun hin und bimmelt das auf allen Straßen aus! Trägt die infame Historie
  • bei aller Welt herum! Ins Gespött kommen ist da noch gar nichts, aber da
  • finden sich Federfuchser und Zeilenschmierer, die bringen mich auf die
  • Bretter! Da wird Rang und Name nicht geschont und alle werden sie
  • grinsen und applaudieren! Was lacht ihr? Ihr lacht über euch selber! ...
  • Ihr! ... (Stampft vor Wut auf den Boden.) Ich möchte ihnen mal kommen,
  • diesen Zeilenschmierern! Pfui über euch Federfuchser, verdammte
  • Liberalen! Teufelsbrut! In ein Bündel sollte man euch allesamt
  • zusammenschnüren, zu Staub zermalmen und dann dem Teufel zum Fraß!
  • (Ballt die Faust und stampft auf dem Boden. -- Nach einer kurzen Pause.)
  • Bis diesen Augenblick kann ich noch nicht zu mir kommen! Wahrlich, wen
  • Gott strafen will, den schlägt er zuvor mit Blindheit. Was hatte denn
  • dieser Windbeutel mit einem Revisor gemein? Nichts! Nicht so viel wie
  • der kleine Finger -- und mit einmal schreit alles: »der Revisor, der
  • Revisor!« Antwortet mir!
  • Hospitalverwalter. Schlagt mich tot, wenn ich sagen kann, wie das kam.
  • Ein Nebel hat uns irre geführt, der Satan hat uns geblendet.
  • Kreisrichter. Aber wer hat's denn ausgeheckt -- wer denn? Diese
  • Bürschchen da! (Deutet auf Bóbtschinski und Dóbtschinski.)
  • Bóbtschinski. Ich nicht, ich nicht, nicht mal gedacht hab' ich ...
  • Dóbtschinski. Ich weiß von nichts, von gar nichts ...
  • Hospitalverwalter. Freilich ihr!
  • Schulinspektor. Selbstredend! Kamen wie die Besessenen aus dem Wirtshaus
  • gerannt: »Er ist da! er ist da! und Geld zahlt er auch keins!« ... Einen
  • sauberen Vogel habt ihr gegriffen!
  • Polizeimeister. Natürlich ihr! Klatschbasen, Lügner verdammte!
  • Hospitalverwalter. Hol euch der Teufel mit eurem Revisor und euren
  • Aufschneidereien!
  • Polizeimeister. Nichts tun Sie, wie in der Stadt 'rumrennen und alles in
  • Aufruhr versetzen! Plappermäuler verfluchte! und Klatsch verbreiten,
  • gekappte Elstern ihr!
  • Kreisrichter. Verdammte Sudelköche!
  • Schulinspektor. Hansnarren!
  • Hospitalverwalter. Kurzbäuchige Mistpilze!
  • (Alle umringen die beiden.)
  • Bóbtschinski. Bei Gott, ich war's nicht, Dóbtschinski war's!
  • Dóbtschinski. Nein, Bóbtschinski, ich nicht, Sie waren zuerst derjenige
  • ...
  • Bóbtschinski. Oho nein, zuerst waren Sie's!
  • Letzte Szene
  • Die Vorigen. Ein Gendarm.
  • Gendarm. Soeben mit Spezialmission von Petersburg eintreffend, fordert
  • der Herr Revisor Sie unverzüglich zu sich. Er ist im Gasthof
  • abgestiegen!
  • (Diese Worte treffen alle wie ein Donnerschlag. Ein einziger
  • Schrei der Überraschung entringt sich dem Munde sämtlicher Damen.
  • Die ganze Gruppe wechselt plötzlich die Stellung und bleibt in
  • dieser wie versteinert stehen.)
  • [Illustration: Márja Antónowna und Anna Andréjewna. Eigene Handzeichnung
  • Gogols zur letzten Szene des »Revisor«.]
  • [Illustration: Eigene Handzeichnung Gogols zur letzten Szene (pag. 132)
  • des »Revisor«.]
  • [Illustration: Eigene Handzeichnung Gogols zur letzten Szene des
  • »Revisor«.]
  • Stumme Szene
  • Als Schlußbild des letzten Aufzuges.
  • (In der Mitte der Polizeimeister wie eine Bildsäule, mit
  • ausgestreckten Armen und hintenüber geworfenem Kopf. Zu seiner
  • Rechten seine Frau und seine Tochter in einer mit ängstlicher
  • Spannung auf ihn gerichteten Körperhaltung; neben ihnen der
  • Postmeister, in ein Fragezeichen verwandelt, den Zuschauern
  • zugekehrt; neben diesem der Schulinspektor, in blödeste
  • Bestürzung versetzt; neben ihm, unmittelbar am Seitenrande der
  • Bühne, drei weibliche Gäste, eng gruppiert, deren höhnischer
  • Gesichtsausdruck dem Polizeimeister und seinen Angehörigen gilt.
  • Zur Linken des Polizeimeisters der Hospitalverwalter, den Kopf
  • ein wenig zur Seite geneigt, als wenn er auf etwas lausche; neben
  • ihm der Kreisrichter, mit gespreizten Händen fast am Boden
  • kauernd und die Lippen bewegend, als wenn er pfeifen oder
  • sagen wolle: »Holla, Alte, jetzt hat's eingeschlagen!« Neben
  • ihm Koróbkin, den Zuschauern zugewandt, ein Auge blinzelnd
  • zugekniffen und schadenfroh auf den Polizeimeister weisend; neben
  • ihm, unmittelbar am Seitenrande der Bühne, Dóbtschinski und
  • Bóbtschinski, einander die Hände entgegenstreckend und sich mit
  • aufgesperrtem Munde und weit aufgerissenen Augen anstarrend. Alle
  • übrigen Gäste stehen wie Bildsäulen da. Fast anderthalb Minuten
  • verharrt die ganze versteinerte Gruppe in dieser Stellung, bis
  • der Vorhang fällt.)
  • (Ende des letzten Aufzuges.)
  • Anhang zur Komödie
  • »Der Revisor«
  • I.
  • Abriß aus einem Brief
  • (1841)
  • den der Autor bald nach der ersten Aufführung an einen
  • Schriftsteller richtete
  • ».... Der Revisor ist aufgeführt worden -- und mir ist so seltsam, so
  • traurig zumute ... Ich ahnte, ich wußte im voraus, wie es kommen würde,
  • und doch hat sich ein Gefühl tiefer Niedergeschlagenheit und herber
  • Enttäuschung meiner bemächtigt. Mein eigenes Werk kam mir unausstehlich,
  • fremd und gar nicht wie mein eigenes vor. Die Hauptrolle mißriet
  • vollständig; das hatte ich schon vorausgesetzt. Dürr begriff absolut
  • nicht, was Chlestakoff bedeutet. Er machte aus ihm eine Art Alnaskaroff,
  • von der Sorte landläufiger Vaudeville-Schelme, die sich im Gefolge der
  • Pariser Theaterstücke bei uns breit zu machen beliebten. Er machte einen
  • ganz gewöhnlichen Schwindler aus ihm, eine armselige Figur, wie sie seit
  • zweihundert Jahren in ein und derselben Maske auftritt. Ist denn
  • wirklich aus der Rolle selber nicht zu erkennen, was Chlestakoff
  • bedeutet? Oder war ich selber bis heute von einem blinden Dünkel
  • besessen, reichte mein Können nicht aus, um diesen Charakter zu
  • meistern, so daß sich für den Schauspieler keine Spur, kein Fingerzeig
  • bot? Und mir erschien er so klar. Chlestakoff ist ganz und gar kein
  • Betrüger, kein Lügner von Profession; er vergißt selber, daß er lügt,
  • und glaubt beinahe selber an das, was er faselt. Er läßt sich gehen, ist
  • gut aufgelegt; sieht, daß alles nach Wunsch geht, daß er umdienert wird;
  • und gerade deshalb redet er flotter, ungezwungener, frisch von der Leber
  • weg, plaudert sorglos ins Blaue hinein, und zeigt sich namentlich beim
  • Lügen in seiner wahren Gestalt. Unsere Schauspieler verstehen überhaupt
  • nicht zu lügen. Sie bilden sich ein, lügen hieße weiter nichts, als
  • dummes Geschwätz machen. Lügen heißt vielmehr: eine Lüge in einem so die
  • Wahrheit vortäuschenden, so natürlichen und naiven Tone aussprechen, wie
  • man eben nur die Wahrheit selber sagen kann; und gerade darauf beruht
  • die ganze Komik der Lüge. Ich bin fast überzeugt, daß Chlestakoff einen
  • besseren Erfolg gehabt haben würde, wenn ich diese Rolle einem der
  • wenigst talentierten Schauspieler anvertraut und ihm bloß gesagt hätte:
  • Chlestakoff ist ein gewandter Mensch, durchaus _comme il faut_, gescheit
  • und, wenn man so will, wohlanständig, und es sei nur nötig, ihn genau so
  • darzustellen. Denn Chlestakoff ist gar kein abgefeimter oder
  • theatralisch-prahlerischer Lügner: er lügt mit Gefühl; aus seinen Augen
  • spricht das Behagen, das er dabei empfindet. Es ist dies überhaupt der
  • schönste und poetischste Augenblick seines Lebens, beinahe eine Art
  • Begeisterung. Wenn wenigstens ein Hauch davon zu spüren gewesen wäre!
  • Aber nicht eine Spur eines solchen Charakters, weder der Person, noch
  • des äußeren Gebarens oder der Physiognomie war dem armen Chlestakoff
  • gegeben worden. Freilich, die alten Beamten in ihren verschlissenen
  • Alltagsuniformen nebst abgescheuerten Kragen waren ungleich leichter zu
  • karikieren; das Erfassen solcher Züge dagegen, welche als ziemlich
  • wohlanständig nicht durch scharfe Ecken über das gesellschaftlich
  • allgemein Gültige hinausragen, ist Sache eines erprobten Meisters. Bei
  • Chlestakoff darf nichts stark betont werden. Er gehört dem Kreise an,
  • der sich augenscheinlich in keiner Weise von der Art sonstiger junger
  • Leute unterscheidet. Er hat auch zuweilen eine gute Haltung, spricht hin
  • und wieder vernünftig, und nur in Fällen, die entweder Geistesgegenwart
  • oder Charakter erfordern, offenbart sich seine halb niederträchtige,
  • halb unbedeutende Natur. Die Züge der Rolle so eines Polizeimeisters
  • sind deutlicher und schärfer umrissen. Ihn bezeichnet allein schon sein
  • stark persönliches, unveränderliches, rücksichtsloses Äußere und läßt
  • durch sich zum Teil auf seinen Charakter schließen. Chlestakoffs Züge
  • sind viel unschärfer, viel schwächer angedeutet, und darum schwerer zu
  • erfassen. Was ist denn, wenn wir genauer prüfen wollen, dieser
  • Chlestakoff so recht eigentlich? Ein junger Mensch, ein Beamter und
  • Einfaltspinsel, wie man zu sagen pflegt, der aber viele Eigenschaften in
  • sich vereinigt, die Leuten anhaften, welche die Welt keineswegs
  • einfältig nennt. Derartige Eigenschaften an Leuten zur Schau zu stellen,
  • welche daneben auch tüchtige Verdienste aufzuweisen haben, wäre ein
  • Verbrechen von seiten des Schriftstellers, denn er würde sie dadurch dem
  • allgemeinen Gelächter preisgeben. Mag doch also lieber jeder sich zu
  • seinem Teil in dieser Rolle wiedererkennen und sich dabei ruhig
  • umschauen dürfen, ohne befürchten zu müssen, daß jemand mit Fingern auf
  • ihn weist und ihn bei Namen nennt. Mit einem Wort, diese Figur soll ein
  • Typus vieles dessen sein, was in den verschiedensten russischen
  • Charakteren zerstreut vorhanden ist, sich aber hier zufällig in einer
  • Person vereinigte, wie das in der Natur ja sehr häufig vorkommt.
  • Wenigstens eine Minute lang, wenn nicht gar mehrere, war oder ist jeder
  • einmal ein Chlestakoff, wenn er sich das natürlich auch nicht wird
  • eingestehen wollen; er macht sich sogar über die Tatsache gern selber
  • lustig, allerdings nur bei anderen, nicht bei der eigenen Person. Auch
  • der gewandte Gardeoffizier, auch der Staatsmann, selbst unser lieber
  • Bruder, der sündige Literat, alle zeigen sich zuweilen als Chlestakoff.
  • Es gibt überhaupt kaum einen Menschen, der es im Leben nicht wenigstens
  • einmal gewesen wäre; die Sache ist nur die, daß er sich hinterher sehr
  • geschickt so zu drehen weiß, als sei er's gar nicht gewesen.
  • Sollte nun also in meinem Chlestakoff nichts davon zu erkennen sein?
  • Sollte er wirklich eine nichtssagende Figur sein, während ich mich von
  • einer momentanen hoffärtigen Stimmung hinreißen ließ zu glauben, daß ein
  • Schauspieler von hervorragendem Talent sich einst noch bei mir bedanken
  • würde für die Vereinigung so vieler verschiedenartiger Wesenszüge in
  • einer einzigen Person, die ihn in den Stand setzt, sein Können nach
  • allen Richtungen zugleich glänzen zu lassen? Und statt dessen wäre aus
  • Chlestakoff eine kindische, inhaltlose Rolle geworden! Das ist
  • niederdrückend und tief verstimmend.
  • Schon von Beginn der Vorstellung an saß ich gelangweilt im Theater. Um
  • Beifall und Aufnahme seitens des Publikums kümmerte ich mich nicht. Nur
  • vor einem Kritiker unter all denen, die anwesend waren, hatte ich Bange,
  • -- und dieser Kritiker war ich selbst. In meinem Innern vernahm ich
  • Murren und Vorwürfe gegen mein eigenes Stück, die alle übrigen
  • übertönten. Aber das Publikum war im allgemeinen zufrieden. Die eine
  • Hälfte der Zuschauer nahm das Stück sogar mit Wohlwollen auf, die andere
  • tadelte bei einzelnen Anlässen, die sich jedoch nicht auf das Kunstwerk
  • selbst bezogen. Auf welche Weise man tadelte, darüber wollen wir uns bei
  • unserem nächsten Wiedersehen unterhalten: es ist manches Lehrreiche und
  • viel Spaßhaftes darunter. Ich habe sogar einiges davon aufgeschrieben,
  • doch das nebenbei.
  • Hauptsächlich scheint der Polizeimeister die günstige Aufnahme des
  • Revisors beim Publikum verursacht zu haben. Auf ihn hatte ich auch schon
  • vorher volles Vertrauen gesetzt, denn für ein Talent wie Ssossnizki
  • konnte diese Rolle nichts Unklares an sich haben. Ich bin wenigstens
  • froh, ihm die Möglichkeit geboten zu haben, ein Talent in seinem ganzen
  • Umfange zeigen zu können, von dem man sich bereits kühl abzuwenden
  • begann, und dabei ihn selbst auf eine Stufe mit vielen Schauspielern
  • stellte, die durch freigebigen Applaus bei alltäglichen Vaudevilles und
  • ähnlichen Unterhaltungsstücken belohnt werden. Auch auf den Diener hatte
  • ich Hoffnungen gesetzt, weil ich bei dem betreffenden Schauspieler viel
  • Beobachtungsgabe und Verständnis für den Text wahrgenommen hatte. Im
  • Gegensatz dazu gerieten unsere beiden Freunde Bóbtschinski und
  • Dóbtschinski über alles Erwarten schlecht. Obschon ich selber erwartet
  • hatte, daß sie schlecht sein würden, weil ich die Rollen der beiden
  • kleinen Beamten Schtschepkin und Rjásanski auf den Leib geschrieben
  • hatte, hegte ich doch die Hoffnung, daß deren Äußeres und Position sie
  • einigermaßen heben und weniger karikieren würden. Es kam aber gerade
  • umgekehrt: eine vollkommene Karikatur wurde daraus. Schon vor Beginn der
  • Vorstellung, als ich sie in ihren Kostümen erblickte, war ich entsetzt.
  • Diese beiden sonst so adretten, etwas korpulenten Menschen mit ihrem
  • sauber geglätteten Haar erschienen plötzlich in plumpen, ungeheuerlichen
  • grauen Perücken, ganz verfilzt, schmierig, struppig, mit übergroßen
  • hervorquellenden Chemisettes; und auf der Bühne schnitten sie derartige
  • Grimassen, daß es einfach unerträglich war. Überhaupt war die
  • Kostümierung der meisten handelnden Personen sehr schlecht und
  • karikiert. Ich hatte das gewissermaßen vorausgeahnt, als ich darum bat,
  • eine Kostümprobe stattfinden zu lassen. Man versicherte mir aber, das
  • sei gar nicht nötig und auch nicht herkömmlich, und die Schauspieler
  • würden schon wissen, was sie zu tun hätten. Wie ich merkte, daß meine
  • Worte in den Wind gesprochen waren, ließ ich die Leute gewähren. Ich
  • wiederhole noch einmal: scheußlich! Ich weiß selber nicht, weshalb mich
  • der Ekel so überkommt.
  • Während der Vorstellung bemerkte ich, daß der Anfang des vierten Aktes
  • flau wirkte; es machte den Eindruck, als ob der bisher lebhafte Fluß der
  • Handlung hier stocke oder sich träge dahinschleppe. Tatsächlich hatte
  • mich ein einsichtiger und erfahrener Schauspieler schon bei Gelegenheit
  • der Lesung des Stückes darauf aufmerksam gemacht, daß es nicht geschickt
  • sei, Chlestakoff mit dem Geldborgen den Anfang machen zu lassen, und daß
  • es besser sein würde, wenn die Beamten es ihm von sich aus anböten.
  • Obwohl ich die recht feine Bemerkung anerkennen mußte, da sie in
  • gewisser Hinsicht wohlberechtigt war, sah ich dennoch nicht ein, weshalb
  • Chlestakoff als ein sich entwickelnder Chlestakoff nicht zuerst um Geld
  • bitten sollte. Allein die Bemerkung war einmal gemacht, und ich sagte
  • mir: du wirst diese Szene vermutlich schlecht ausgeführt haben. Und
  • wirklich, jetzt während der Vorstellung erkannte ich deutlich, daß der
  • Anfang des vierten Aktes matt ist und das Kennzeichen einer gewissen
  • Schwäche an sich trägt. Zu Haus angekommen, machte ich mich sofort an
  • die Umarbeitung. Jetzt scheint er etwas wirkungsvoller, wenigstens
  • natürlicher geworden zu sein und geht besser aufs Ziel los. Aber ich
  • habe die Kraft nicht mehr, mich um die Aufnahme dieses Zusatzes in das
  • Stück abzuplacken. Ich bin es müde geworden; und da ich überdies weiß,
  • wie man zu solchem Zweck herumkutschieren, bitten und Bücklinge machen
  • muß, so mag der Himmel ihm gnädig sein; er könnte schließlich ja noch in
  • einer zweiten Auflage oder Überarbeitung des »Revisor« seinen Platz
  • finden.
  • Noch ein Wort über die letzte Szene. Sie kam absolut nicht zur Geltung.
  • Der Vorhang fällt in einem sozusagen verworrenen Augenblick, und das
  • Stück scheint noch gar nicht zu Ende zu sein. Daran bin ich aber nicht
  • schuld. Man wollte eben nicht auf mich hören. Auch jetzt behaupte ich
  • noch, daß die letzte Szene so lange keinen Erfolg haben wird, bis man
  • nicht begriffen hat, daß sie einfach ein stummes Tableau ist, daß dies
  • Ganze eine versteinerte Gruppe darstellen soll, daß hier das Drama zu
  • Ende ist und von wortloser Mimik abgelöst wird, daß der Vorhang erst
  • nach zwei bis drei Minuten fallen darf, und daß all dies unter denselben
  • Bedingungen erfolgen muß, welche die sogenannten »lebenden Bilder«
  • erheischen. Man entgegnete mir aber, daß dies den Schauspielern Zwang
  • auferlege, daß man dann die Gruppierung einem Ballettmeister übertragen
  • müßte, was für die Schauspieler einigermaßen demütigend sein würde usw.
  • usw. Und noch manches Weitere konnte ich von den Mienen ablesen, was
  • noch viel ärgerlicher als das Geäußerte war. Aber all dieses »Weiteren«
  • ungeachtet halte ich meine Meinung aufrecht und behaupte hundertmal:
  • »Nein, das legt durchaus keinen Zwang auf, das ist nicht demütigend.«
  • Mag immerhin ein Ballettmeister die Gruppe gestalten und anordnen, wenn
  • er nur die Fähigkeit besitzt, sich in die augenblickliche Situation
  • jeder einzelnen Person zu versetzen. Gezogene Grenzen behindern ein
  • Talent nicht, so wenig wie granitene Ufer einen Strom; im Gegenteil,
  • einmal in sie geleitet, wird er mit stärkeren und volleren Wogen
  • dahinrauschen. Ein temperamentvoller Schauspieler kann auch in einer ihm
  • angewiesenen Pose alles ausdrücken. Sein Gesicht bleibt hier von allen
  • Fesseln befreit, einzig die Stellung ist bedingt; sein Gesicht darf
  • zwanglos jede innere Bewegung widerspiegeln. Und in diesem Verstummtsein
  • liegt für ihn eine Fülle mannigfaltigster Möglichkeiten. In diesem
  • Erschrecken gleicht keine der handelnden Personen der anderen, so wenig
  • wie deren Charaktere und der Grad ihrer Furcht und Angst sich gleichen,
  • entsprechend der Verschiedenheit der von jedem einzelnen begangenen
  • Sünden. Anders verdonnert steht der Polizeimeister da, anders seine Frau
  • und seine Tochter. Auf seine besondere Weise erschrickt der
  • Kreisrichter, auf besondere der Hospitalverwalter, der Postmeister usw.
  • usw. Wieder anders fährt es Bóbtschinski und Dóbtschinski in die
  • Glieder, die sich auch hier gleichbleiben und sich gegenseitig mit einer
  • stummen Frage auf den Lippen anstarren. Einzig die Gäste dürfen auf
  • gleichartige Weise betroffen erscheinen, sie stellen aber auch bloß den
  • Hintergrund des Tableaus dar, der mit einem Pinselstrich entworfen und
  • in ein und dasselbe Kolorit getaucht ist. Mit einem Wort: jeder einzelne
  • spielt seine Rolle mimisch weiter und kann, wenn er sich auch vom
  • Ballettmeister begutachten lassen mußte, deshalb doch ein großer
  • Schauspieler bleiben. Aber meine Kräfte reichen nicht aus, um mich noch
  • länger abzuplacken und herumzustreiten. Ich bin seelisch und körperlich
  • ermattet. Es weiß und hört ja auch wahrhaftig niemand meinen Kummer.
  • Mögen sie doch alle in Gottes Namen tun was sie wollen! Mein Stück ist
  • mir zuwider geworden. Ich möchte jetzt weit weg von hier, und nur meine
  • bevorstehende Reise, Dampferfahrt, Meer und andere ferne Himmelsstriche
  • können mich allein noch wiederbeleben. Ich sehne mich unbeschreiblich
  • danach. Kommen Sie um Himmelswillen bald; bevor ich von Ihnen nicht
  • Abschied genommen, reise ich nicht ab. Noch vieles habe ich Ihnen zu
  • sagen, wozu ich in einem langweiligen, kalten Briefe außerstande bin
  • ....«
  • St. Petersburg, 25. Mai 1836.
  • II.
  • Vorbemerkung
  • für diejenigen, die den »Revisor« sachgemäß aufzuführen
  • beabsichtigen.
  • 1.
  • (Die ersten Seiten von Gogols eigenhändiger Reinschrift.)
  • Vor allem muß man sich davor hüten, in eine Karikatur zu verfallen. Auch
  • in der kleinsten Rolle darf nichts übertrieben oder trivialisiert
  • werden. Im Gegenteil, der Schauspieler muß sich besondere Mühe geben,
  • noch einfacher, schlichter und gewissermaßen vornehmer zu wirken, als
  • die darzustellende Person in Wirklichkeit ist. Je weniger er es darauf
  • anlegen wird, zum Lachen zu reizen oder komisch zu sein, desto stärker
  • wird die Komik seiner Rolle zum Vorschein kommen. Sie äußert sich gerade
  • in dem Ernst, mit dem jede in der Komödie auftretende Person ihren
  • Geschäften nachgeht. Alle diese Leute sind eifrig, lebhaft, beinahe
  • hitzig dahinter her, als wenn es sich um die wichtigste Aufgabe ihres
  • Lebens handele. Dem Zuschauer wird die Albernheit ihres Tuns bloß
  • nebenbei sichtbar. Sie selber aber spaßen durchaus nicht und ahnen nicht
  • einmal, daß sich jemand über sie lustig macht. Ein vernünftiger
  • Schauspieler soll, ehe er sich die kleinen Eigenheiten und äußerlichen
  • Absonderlichkeiten der ihm übertragenen Person aneignet, erst einmal den
  • allgemein menschlichen Gehalt der Rolle zu erfassen suchen .... Er soll
  • zu begreifen suchen, wozu diese bestimmt ist, worin die hauptsächlichste
  • und wesentlichste Beschäftigung jeder Person besteht, von der ihr Dasein
  • erfüllt und die das beständige Ziel ihrer Gedanken ist, -- der ewig im
  • Kopf steckende Nagel. Hat er diesen wesentlichsten Daseinszweck der
  • darzustellenden Person erfaßt, dann muß sich der Schauspieler so in sie
  • einleben, daß deren Gedanken und Bestrebungen ihm ganz zu eigen werden
  • und während der Dauer der Vorstellung seinen Geist beherrschen. Um
  • szenische Einzelheiten und Nebendinge soll er sich nicht weiter kümmern;
  • sie werden ohne weiteres leicht und sicher gelingen, sofern er nur
  • keinen Augenblick jenen Nagel aus dem Kopf verliert, welcher in dem
  • seines Helden steckt. Alle diese Einzelheiten und verschiedenen kleinen
  • Züge, deren sich oft schon solche Schauspieler mit Glück zu bedienen
  • wissen, welche zwar zu gefallen und Gang und Gebaren abzulauschen, nicht
  • aber eine Rolle auszuschöpfen vermögen, -- alle diese Züge also sind
  • höchstens Lichter, die man dann erst aufsetzen darf, wenn das Bild
  • fertig und wohlgelungen ist. Sie sind das Kleid und der Körper der
  • Rolle, nicht aber deren Seele. Und somit muß man sich zuerst diese
  • Seele, dann erst das Kleid der Rolle aneignen.
  • Eine der wichtigsten Rollen ist der Polizeimeister. Dieser Mensch ist
  • vor allem darauf bedacht, seine Taschen zu füllen. Diese Beschäftigung
  • ließ ihm keine Zeit, ernster ins Leben zu schauen oder sich selbst
  • genauer zu betrachten. Durch sie wurde er zum Blutsauger und, ohne es
  • selber zu merken, erbarmungslos, weil er unfähig ist, böse Gelüste zu
  • unterdrücken; ihn beherrscht nur das Verlangen, sich alles anzueignen,
  • was sein Auge erblickt. Er weiß überhaupt nicht mehr, daß das seinem
  • Nächsten Schaden bringt und manchen zugrunde richtet. Den Kaufleuten,
  • die ihn hatten verderben wollen, verzeiht er im selben Augenblick, wo
  • diese ihm eine verlockende Anerbietung machen, weil der Anreiz irdischer
  • Schätze jede Rücksicht auf Lage und Leiden seines Nächsten in ihm
  • erstickt und abgestumpft hat. Er fühlt zwar, daß er ein Sünder ist; er
  • geht in die Kirche; glaubt sogar fromm zu sein. Aber das Gelüst, sich
  • die Taschen zu füllen, ist übermächtig, übermächtig auch die
  • eingewurzelte Gewohnheit, sich alles anzueignen und nichts sich entgehen
  • zu lassen.
  • Er ist ein echter Russe, zwar nicht gerade ein Unmensch, aber doch
  • einer, bei dem sich die Rechtsbegriffe verwirrt haben, der ganz Lüge
  • geworden ist, ohne es selbst zu merken. Darum räsoniert er auch, beißt
  • den Ehrbaren und Würdigen heraus und redet manchmal mit Wärme. Er gehört
  • vielleicht sogar zu den Leuten, die, wenn sie erkannt haben, daß alle um
  • sie her ehrlich geworden sind, daß Ehrlichkeit erford.....
  • 2.
  • (Der vollständige Entwurf.)
  • Vor allem muß man sich davor hüten, in eine Karikatur zu verfallen.
  • Nichts darf karikiert erscheinen. Je mehr Einfachheit im Spiel, desto
  • ..... Je weniger es der Schauspieler darauf anlegen wird zum Lachen zu
  • reizen oder komisch zu sein, desto komischer wird die Figur selber
  • wirken. Auf dem Ernst, mit dem jede Person bei ihrer Sache ist, beruht
  • ..... Der Schauspieler soll, ehe er sich die Wunderlichkeiten und
  • kleinen äußeren Besonderheiten jeder Person aneignet, erst einmal den
  • allgemein menschlichen Gehalt der Rolle erfassen. Vor dem eigentlichen
  • Charakter der Person muß man den Zweck ergründen, wofür sie da ist,
  • worin ihre Tätigkeit und Beschäftigung besteht, wovon ihr Leben erfüllt
  • ist und worum es sich hauptsächlich dreht, worauf und wohin sich
  • beständig ihre Gedanken und Bestrebungen richten. Hat er diesen
  • wesentlichsten Daseinszweck der darzustellenden Person erfaßt, dann muß
  • sich der Schauspieler so in diese Tätigkeit einleben, sich alle Gedanken
  • und Bestrebungen so zu eigen machen, daß sie während der ganzen
  • Vorstellung seinen Kopf beherrschen; an szenische Einzelheiten soll er
  • gar nicht denken. Sie werden ohne weiteres gut gelingen, sofern er nur
  • so ernsthaft und eifrig bei seiner Sache ist, wie es die darzustellende
  • Person, ohne zu spaßen, selber tut.
  • Eine der wichtigsten Rollen ist der Polizeimeister. Ein Mensch, der vor
  • allem darauf bedacht ist, seine Taschen zu füllen. Diese Beschäftigung
  • ließ ihm keine Zeit, ernster ins Leben zu schauen oder sich selbst zu
  • betrachten. Durch sie wurde er, vielleicht ohne es selbst zu merken, zum
  • Blutsauger, weil er unfähig ist, böse Gelüste zu unterdrücken. Ihn
  • beherrscht nur das Verlangen, sich alles anzueignen, was sein Auge
  • erblickt. Er hat vergessen, daß dadurch sein Nächster zugrunde gerichtet
  • wird. Er fühlt zwar gelegentlich, daß er ein Sünder ist, betet, geht zur
  • Kirche, glaubt sogar fromm zu sein und denkt auch daran, künftig einmal
  • bereuen zu wollen. Aber das Gelüst, sich die Taschen zu füllen, ist
  • übermächtig, und übermächtig die eingewurzelte Gewohnheit. Das
  • umlaufende Gerücht vom Revisor hat ihn in Aufregung versetzt, mehr noch
  • der Umstand, daß dieser inkognito kommen soll und niemand weiß, wann und
  • von woher er erscheinen wird. Er befindet sich vom Beginn bis zum Schluß
  • des Stückes in Situationen, die weit über alles hinausgehen, was ihm
  • sonst derart im Leben beschieden war. Seine Nerven sind gespannt. Beim
  • Übergang von Furcht zu Freude und Hoffnung bekommt sein Ausdruck etwas
  • Überhitztes, dann ist er der Täuschung stärker ausgesetzt, und er, der
  • zu anderer Zeit nicht so bald ...., ist nun leicht zu übertölpeln. Wie
  • er sieht, daß der Revisor in seiner Hand ist, gar nicht gefährlich ist
  • und sich sogar mit ihm verschwägert hat, überläßt er sich ungestümer
  • Freude in Voraussicht dessen, daß sein Leben von nun an in Gastereien
  • und Trinkgelagen aufgehen wird, daß er selbst Stellungen vergeben, auf
  • den Stationen Pferde verlangen, die Polizeimeister im Vorzimmer warten
  • lassen, groß tun und den Ton angeben wird. Darum bedeutet die plötzliche
  • Meldung von der Ankunft des echten Revisors für ihn einen stärkeren
  • Donnerschlag als für alle anderen und seine Lage wird zu einer wirklich
  • tragischen.
  • Der Kreisrichter ist, was Bestechlichkeit anbetrifft, weniger sündig.
  • Ihm fehlt sogar die Neigung zum Unrechttun; dafür ist seine
  • Jagdleidenschaft groß ..... Aber das ist nun einmal so, jeder Mensch hat
  • schließlich irgendeine Leidenschaft .... Ihr zuliebe läßt er sich eine
  • ganze Reihe von Ungerechtigkeiten zuschulden kommen, ohne sich dessen
  • bewußt zu sein. Er beschäftigt sich ausschließlich mit sich und seinem
  • Verstande und ist nur darum gottlos, weil sich ihm auf dieser Bahn
  • Gelegenheit bietet, sich selbst ins gehörige Licht zu stellen. Für ihn
  • ist jedes Ereignis, auch ein solches, was andere in Schrecken versetzt,
  • ein willkommener Fund, weil es ihm Stoff zu seinen Mutmaßungen und
  • Kombinationen gibt, die ihn ebenso befriedigen, wie den Künstler seine
  • Schöpfung. Diese Selbstzufriedenheit muß sich auf dem Gesicht des
  • Schauspielers ausprägen. Während er spricht, beobachtet er gleichzeitig,
  • welchen Eindruck seine Worte auf andere machen. Er forscht .....
  • Semljaníka ist ein korpulenter Mann, aber ein schlauer Spitzbube. Trotz
  • seiner mächtigen Leibesfülle besitzt er viel Gewandtheit und
  • Schmeichlerisches in Sprache und Auftreten. Auf die Frage Chlestakóffs,
  • wie der verspeiste Fisch hieß, springt er mit der Gelenkigkeit eines
  • 22jährigen Stutzers herzu, um ihm die Worte: »Laberdan, Ew. Gnaden!«
  • direkt unter die Nase zu blasen. Er ist einer von denen, die, um sich
  • selber zu decken, kein anderes Mittel finden, als andere in die Patsche
  • zu bringen, und deshalb mit Ränkespinnen und Angeberei flink bei der
  • Hand sind, ohne dabei Verwandtschaft und Freundschaft zu ...., einzig
  • darauf bedacht, nur selber durchzuschlüpfen. Trotz seiner Beleibtheit
  • und Schwerfälligkeit ist er immer beweglich. Ein kundiger Schauspieler
  • wird sich natürlich keine solcher Gelegenheiten entgehen lassen, wo die
  • Zuvorkommenheit eines korpulenten Mannes auf die Zuschauer besonders
  • komisch wirken kann, ohne es bis zur Karikatur zu treiben.
  • Der Schulvorsteher ist nichts weiter als ein durch häufige, aber
  • zwecklose Revisionen und Rüffel eingeschüchterter Mensch; darum fürchtet
  • er alle Besichtigungen wie das Feuer und zittert bei der Kunde vom
  • Revisor wie Espenlaub, obwohl er selber nicht weiß, was er verbrochen
  • hat. Der ihn darstellende Schauspieler hat lediglich die beständige
  • Angst zum Ausdruck zu bringen.
  • Der Postmeister ist ein bis zu Naivität einfältiger Kerl, der das Leben
  • wie eine zum Zeitvertreib dienende Sammlung amüsanter Histörchen
  • ansieht, die er sich aus erbrochenen Briefen zusammenliest. Für
  • Bestechungen ist er ohne w..... zugänglich. Der Schauspieler hat nichts
  • weiter zu tun, als so einfältig wie möglich zu sein.
  • Die beiden Stadtklatschbasen Bóbtschinski und Dóbtschinski aber müssen
  • besonders gut gegeben werden. Der Schauspieler muß sie sehr scharf
  • aufzufassen suchen. Es sind das Leutchen, deren ganzes Dasein darin
  • aufgeht in der Stadt umherzurennen, um überall ihre Aufwartung zu machen
  • und Neuigkeiten in Umlauf zu bringen. Ihr ganzes Wesen ist .... Die
  • Leidenschaft zu klatschen hat jede andere Betätigung unterdrückt und
  • wurde zur treibenden Kraft und zum Zweck ihres Lebens. Es ist unbedingt
  • notwendig, ihr Behagen sichtbar werden zu lassen, wenn es ihnen endlich
  • geglückt ist, die Erlaubnis zum Erzählen zu erhalten. Ihre Eilfertigkeit
  • und Hast ist lediglich von der Angst verursacht, es könne sie jemand
  • stören oder am Erzählen hindern. Sie sind neugierig, aus dem Bedürfnis
  • Stoff zum Klatschen zu bekommen. Darum auch, nämlich weil er möglichst
  • rasch erzählen will, stottert Bóbtschinski ein wenig. Beide sind klein,
  • untersetzt und einander ungemein ähnlich, haben auch beide ein kleines
  • Embonpoint. Beide haben ein rundliches Gesicht, saubere Kleidung und
  • glattgescheiteltes Haar. Dóbtschinski hat auch einen Anflug von Glatze:
  • man sieht, daß er kein Hagestolz wie Bóbtschinski, sondern verheiratet
  • ist. Trotzdem hat Bóbtschinski das Übergewicht durch seine größere
  • Lebhaftigkeit und regiert ihn sogar einigermaßen durch Verstand. Der
  • Schauspieler muß alle nebensächlichen Züge außer acht lassen, wenn er
  • diese Rolle gut darstellen will, und hat sich nur bewußt zu bleiben, daß
  • er mit einem starken Sprachfehler behaftet sein soll. Mit einem Wort, es
  • sind Leutchen, die vom Schicksal nicht für eigene, sondern für fremde
  • Interessen in die Welt gesetzt wurden.
  • Alle übrigen Personen: Kaufleute, Gäste, Polizeibeamte und Bittsteller
  • jeder Art sind Gestalten, wie sie uns täglich vor Augen kommen, und
  • werden darum von jedem leicht aufgefaßt werden können, der Rede und
  • Gebaren von Leuten jederlei Schlages zu beobachten versteht. Das gleiche
  • kann auch vom Diener gesagt werden, obschon diese Rolle wichtiger als
  • die erwähnten ist. Er ist ein russischer Diener in vorgerücktem Alter,
  • der etwas mürrisch ist, seinem Herrn grob kommt, weil er merkt, daß
  • dieser ein Federfuchser und Tropf ist, und ihm hinter dem Rücken
  • Strafpredigten zu halten liebt; ein stilles Wasser, daneben aber sehr
  • findig im Aufspüren von Gelegenheiten, wo etwas für ihn abfallen kann,
  • -- also eine allgemein bekannte Figur, weshalb auch diese Rolle stets
  • gut gespielt wurde. Dementsprechend wird man leicht ermessen können,
  • welchen Eindruck die Ankunft des Revisors auf jede einzelne dieser
  • Personen auszuüben imstande ist.
  • Man darf nur nicht vergessen, daß in all diesen Köpfen der Revisor
  • spukt. Jeder beschäftigt sich mit ihm, um ihn drehen sich Furcht und
  • Hoffnung aller handelnden Personen. Die einen wiegen sich in Hoffnung
  • auf ein strenges Gericht und Erlösung von schlimmen Polizeimeistern und
  • sonstigen Schnapphähnen, die andern erfaßt panischer Schrecken bei der
  • Wahrnehmung, daß den obersten Beamten und Spitzen der Behörden angst und
  • bange wird. Bei den übrigen, also denen, die auf die Dinge dieser Welt
  • gleichmütig, mit dem Finger in der Nase zu schauen pflegen, herrscht
  • Neugierde nebst einer gewissen geheimen Scheu, die Persönlichkeit von
  • Angesicht sehen zu sollen, die so viel Furcht verbreitet und die darum
  • unstreitig eine außergewöhnliche und bedeutende sein muß.
  • Am schwierigsten ist die Rolle dessen, der von der erschreckten Stadt
  • für den Revisor gehalten wird. Chlestakóff ist an und für sich ein
  • unbedeutender Mensch. Sogar einfältige Leute würden ihn ihrerseits sehr
  • einfältig nennen. Nie in seinem Leben ist er zu etwas berufen gewesen,
  • was Nachdenken erforderte. Aber die Wirkung der allgemeinen Furcht macht
  • ihn zu einer bemerkenswert komischen Figur. Indem sie aller Augen
  • benebelt, schafft sie ihm Gelegenheit, eine komische Rolle zu spielen.
  • Eben noch von allem entblößt und sogar des Vergnügens beraubt, stolz auf
  • dem Newski-Prospekt umherzuflanieren, fühlt er mit einmal freie Bahn und
  • sieht sich unverhofft allen Verlegenheiten enthoben. Er ist vollständig
  • überrascht und glaubt zu träumen, kann auch lange Zeit gar nicht
  • begreifen, weshalb man ihm soviel Aufmerksamkeit und Achtung bezeugt. Er
  • empfindet bloß ein angenehmes Behagen bei der Wahrnehmung, wie man ihn
  • hofiert, bedient, alle seine Wünsche erfüllt und begierig jede seiner
  • Äußerungen auffängt. Da redet er denn ziellos ins Blaue hinein. Die
  • Themata für seine Aufschneidereien liefern ihm die Ausfrager, die ihm
  • die Worte gewissermaßen selbst in den Mund legen und somit seine
  • Expektorationen veranlassen. Er fühlt bloß wie leicht sich überall
  • prahlen läßt, wo nichts einen behindert. Er phantasiert, daß er in der
  • Literatur einen Namen hat, auf Bällen die erste Rolle spielt, selber
  • Bälle gibt und, damit nicht genug, auch ein großer Staatsmann ist. Vor
  • nichts scheut er zurück, wonach man ihn etwa .... Das Diner mit all' den
  • Laberdanen und Weinen hat seine Zunge gelöst und ihn redselig gemacht.
  • Je weiter er fabelt, desto stärker wird seine Einbildungskraft und er
  • gerät wiederholt in ordentliche Hitze. Weil er gar nicht die Absicht
  • hat, aufzuschneiden, vergißt er selber, daß er lügt. Er meint sogar all
  • das wirklich geleistet zu haben, wovon er faselt. Darum versetzt auch
  • die Szene, wo er sich für einen Staatsmann ausgibt, alle Beamten so in
  • Schrecken. Darum zeigt auch, namentlich bei der Erzählung, wie er in
  • Petersburg allen miteinander den Kopf gewaschen hat, sein Antlitz alle
  • Merkmale von Würde und was nur irgend sonst dazu gehört. Weil er gesehen
  • hat, wie man hierorts Rüffel austeilt, auch aus eigner, vielfacher
  • Erfahrung weiß, was es mit dem Gerüffeltwerden auf sich hat, bereitet es
  • ihm (das muß meisterhaft in den Reden zum Ausdruck gebracht werden) in
  • diesem Augenblick besonderes Behagen, endlich auch einmal andere Leute
  • herunterzuputzen -- wenn auch nur erzählenderweise. Er würde sich auch
  • noch weiter in seinen Aufschneidereien versteigen, wenn ihm nicht die
  • Zunge bereits den Dienst versagte, infolgedessen sich die Beamten
  • genötigt sehen, ihn ehrerbietig und furchtsam aufs vorbereitete Bett zu
  • bringen.
  • Beim Erwachen ist er wieder derselbe Chlestakóff wie vorher; er weiß
  • überhaupt nicht mehr, wodurch er sie alle ins Bockshorn gejagt hat. Alle
  • Phantasie ist ihm wieder abhanden gekommen und sein Betragen ist so
  • albern wie zuvor.
  • Fast gleichzeitig bandelt er mit der Mutter und mit der Tochter an. Er
  • bittet um Geld, weil ihm das wie unwillkürlich über die Lippen kommt und
  • auch schon der erste, an den er sich wandte, es ihm bereitwilligst zur
  • Verfügung stellte. Erst gegen Schluß des Aktes wird es ihm klar, daß man
  • ihn für irgendein großes Tier hält. Ohne Ossips Warnung aber, dem es mit
  • Mühe gelingt, ihm begreiflich zu machen, daß diese Täuschung nicht lange
  • vorhalten könne, würde er mit größter Seelenruhe solange dageblieben
  • sein, bis man ihn mit Schimpf und Schande hinausgeworfen hätte. Kurz,
  • diese Gestalt ist ein Wahngebilde, das sich wie ein personifiziertes,
  • lügenhaftes Blendwerk mitsamt der Troika verflüchtigt. Dessenungeachtet
  • muß diese Rolle durchaus dem besten verfügbaren Schauspieler anvertraut
  • werden, weil sie die allerschwierigste ist. Denn dieser alberne Mensch
  • und oberflächliche Charakter vereinigt in sich eine Menge von
  • Eigenschaften, welche auch nicht oberflächliche Leute besitzen.
  • Namentlich darf der Schauspieler diese Sucht zu prahlen nicht außer acht
  • lassen, mit der mehr oder weniger alle Menschen behaftet sind und die
  • bei Chlestakóff am stärksten ausgebildet ist, -- eine kindische Neigung
  • zwar, die sich nichtsdestoweniger aber bei vielen klugen alten Leuten
  • findet, so daß wohl selten jemand ihr nicht bei irgendeiner Gelegenheit
  • im Leben .... Mit einem Wort, der Schauspieler muß für diese Rolle ein
  • sehr vielseitiges Talent mitbringen, fähig, die mannigfaltigsten
  • Eigenschaften eines Menschen darzustellen und nicht nur ewig ein und
  • dieselben. Er muß zugleich ein gewandter Weltmann sein, weil er sonst
  • außerstande sein würde, naiv und harmlos diesen hohlen, weltlichen
  • Leichtsinn zur Anschauung zu bringen, der einen Menschen über alles und
  • jedes hinwegtändeln läßt und in so beträchtlichem Umfange Chlestakóff zu
  • eigen ist.
  • Die letzte Szene des »Revisors« muß ganz besonders umsichtig gespielt
  • werden. Hier ist der Spaß zu Ende, und die Situation vieler Personen
  • ist eine fast tragische. Die des Polizeimeisters ist die
  • allerverzweifeltste; denn, wie dem auch sei, sich plötzlich betrogen zu
  • sehen, noch dazu von dem dümmsten und albernsten Bürschchen, das weder
  • Ansehen noch Gestalt hatte und kaum einem Zündhölzchen glich
  • (Chlestakóff ist, wie erinnerlich, schmächtig, alle andern dick), -- von
  • dem sich betrogen zu sehen, ist wahrhaftig kein Spaß mehr. Und so plump
  • betrogen zu werden, während man selber doch schlaue Köpfe und sogar die
  • abgefeimtesten Gauner hinters Licht zu führen verstanden hatte! Die
  • schließlich erfolgende Meldung von der Ankunft des echten Revisors wirkt
  • auf ihn wie ein Donnerschlag. Versteinert steht er da. Mit
  • ausgebreiteten Armen und hintenübergeworfenem Haupt verharrt er
  • regungslos, und alle handelnden Personen um ihn her bilden eine momentan
  • versteinerte Gruppe in den verschiedensten Stellungen.
  • Die ganze Szene ist ein stummes Bild und muß darum ebenso gestellt
  • werden wie die lebenden Bilder. Jede Person muß eine Stellung angewiesen
  • erhalten, die ihrem Charakter entspricht, nach dem Grade ihrer Furcht
  • und der Stärke des Schreckens, den die Meldung von der Ankunft des
  • echten Revisors ihr verursacht. Diese Stellungen dürfen nichts
  • miteinander gemein haben, müssen vielmehr mannigfaltig und verschieden
  • sein; auch muß darum jeder die seine genau im Kopfe haben, um sie sofort
  • annehmen zu können, wenn die verhängnisvolle Kunde sein Ohr trifft.
  • Anfangs wird das freilich gezwungen herauskommen und an Automaten
  • erinnern; allmählich aber, nach einigen Wiederholungen, im Maße wie
  • jeder Schauspieler seine Situation tiefer erfaßt haben wird, wird ihm
  • die angewiesene Pose geläufiger werden und ein natürlicheres, seinem
  • Wesen entsprechenderes Ansehen bekommen. Das Hölzerne und Ungelenke des
  • Automaten wird verschwinden und es wird den Anschein haben, als sei
  • dieses stumme Bild ganz von selbst entstanden.
  • Als Signal zur Veränderung der Stellung kann jener unterdrückte Schrei
  • dienen, den Frauen bei einer unerwarteten Erscheinung auszustoßen
  • pflegen. Die einen nehmen die ihnen im stummen Bilde angewiesene Pose
  • allmählich an und beginnen damit bereits beim Eintritt des Boten mit der
  • verhängnisvollen Meldung; das sind diejenigen, die minder betroffen
  • sind. Die anderen nehmen sie momentan an, nämlich die, welche einen
  • stärkeren Schlag erhalten. Der führende Schauspieler täte gut daran,
  • seine eigene Pose vorübergehend aufzugeben und dies Bild einige Male
  • selber wie ein Zuschauer zu betrachten, um zu prüfen, wo etwas
  • abzuschwächen, stärker zu betonen oder zu mildern wäre, damit das Bild
  • natürlicher wirkt.
  • Das Bild muß etwa folgendermaßen gestellt werden: in der Mitte der
  • Polizeimeister, stumm und versteinert. Zu seiner Rechten seine Frau und
  • Tochter, beide ihm schreckensbleich zugewandt. Hinter ihnen der
  • Postmeister, in ein Fragezeichen verwandelt und den Zuschauern
  • zugekehrt. Hinter diesem Luka Lukitsch, kreidebleich. Links vom
  • Polizeimeister Semljanika mit hochgezogenen Augenbrauen und die Finger
  • im Munde, wie einer, der sich böse verbrannt hat. Hinter ihm der
  • Kreisrichter, fast auf die Erde gekauert und eine Grimasse schneidend,
  • als wenn er sagen wollte: »Holla, Alte, jetzt hat's eingeschlagen!«
  • Hinter diesen starren Bobtschinski und Dobtschinski einander mit offenem
  • Munde an. Die Gäste verteilen sich in zwei Gruppen auf beiden Seiten;
  • jede für sich nimmt eine eigne allgemeine Stellung an und heftet ihre
  • Blicke auf den Polizeimeister. Fast eine Minute lang währt diese stumme
  • Szene, bis endlich der Vorhang fällt. Damit sich die Gruppe geschickter
  • und ungezwungener entwickele, überträgt man sie am besten einem
  • tüchtigen Künstler, der Gruppen zu komponieren versteht, Skizzen
  • entwerfen kann und .....
  • Wenn sämtliche Schauspieler auch nur einigermaßen im Laufe der
  • Vorstellung allen Anforderungen ihrer Rollen genügt haben, dann werden
  • sie auch in dieser stummen Szene die entscheidende Situation ihrer
  • Rollen zum Ausdruck bringen und dadurch ihrem vollendeten Spiel die
  • Krone aufsetzen. Erwiesen sie sich aber während der Vorstellung
  • teilnahmslos und unbeholfen, dann werden sie auch hier so wirken, mit
  • dem Unterschied, daß sich in dieser stummen Szene ihr Nichtkönnen noch
  • deutlicher offenbaren wird.
  • III.
  • Zwei Szenen, die schon bei der ersten Ausgabe als den Gang der
  • Handlung störend ausgeschieden wurden.
  • Anna Andréjewna und Márja Antónowna.
  • Márja Antónowna. Wirklich, Mama, ich begreife nicht, wie du glauben
  • kannst, deine Augen seien das Schönste ...
  • Anna Andréjewna. Papperlapapp, rede kein dummes Zeug! Als noch die Frau
  • Oberst hier wohnte, die die größte Modedame war, die ich je gesehen, und
  • sich alle Kostüme aus Moskau verschrieb -- sagte sie mir bei jeder
  • Gelegenheit: »Liebste Anna Andréjewna, verraten Sie mir doch bloß das
  • Geheimnis, weshalb Ihre Augen einen so sprechenden Ausdruck haben!«
  • Überhaupt herrschte nur eine Stimme: »Mit Ihnen, Anna Andréjewna,
  • braucht man nur eine Minute beisammen zu sein, um infolge Ihrer
  • Liebenswürdigkeit alles um sich her zu vergessen.« Und der
  • Stabsrittmeister Starokopytoff, der sich damals, was weiß ich, wegen
  • Remonte hier aufhielt? Der schöne Mann mit dem frischen, prächtig roten
  • Gesicht, den pechschwarzen Augen, dem weißen Hemdkragen aus dem feinsten
  • Batist, wie ihn unsre Kaufleute uns noch nie geliefert haben? Der sagte
  • mir zu wiederholten Malen: »Ich schwöre Ihnen, Anna Andréjewna, noch nie
  • habe ich solche Augen gesehen, nicht einmal in Romanen davon gelesen;
  • ich weiß nicht wie mir geschieht, wenn ich Sie anschaue! ..« Ich trug
  • damals noch eine Tüllpelerine, mit Weinblättern und Ähren bestickt und
  • mit zarten Spitzen eingefaßt, kaum einen Finger breit, einfach
  • bezaubernd! Und dann sagte er jedesmal: »Ihr Anblick, Anna Andréjewna,
  • bereitet mir solches Entzücken, daß mein Herz vollständig ...« ach, ich
  • weiß schon gar nicht mehr, was er alles geredet hat. Nachher hat er
  • sogar noch Geschichtchen gemacht: er wollte sich partout erschießen,
  • aber die Pistolen waren irgendwie abhanden gekommen; sonst wäre er
  • längst nicht mehr am Leben.
  • Márja Antónowna. Ich weiß nicht, Mama, aber ich meine doch, deine untere
  • Gesichtspartie sei weit hübscher als deine Augen.
  • Anna Andréjewna. Unsinn, davon kann gar keine Rede sein! Das ist alles
  • dummes Zeug!
  • Márja Antónowna. Nein, wirklich, Mama, wenn man dich so sprechen oder im
  • Profil sitzen sieht, dann ist besonders dein Mund ...
  • Anna Andréjewna. Hör auf mit dem dummen Geschwätz! Du bist wirklich
  • unausstehlich! Immerfort muß sie herumstreiten ... Gott bewahr' mich!
  • Will gleich vor Neid vergehen, nur weil ihre Mama schöne Augen hat! --
  • Und bei all dem Gezänk und dem Unsinn haben wir uns richtig ganz
  • verplappert. Paß auf, er kommt und überrascht uns noch in dem
  • unmöglichsten Aufzuge! (Eiligst ab, gefolgt von Márja Antónowna.)
  • Chlestakóff und Rastakówski (in Uniform der Zeit Katharinas II.
  • mit Achselschnüren).
  • Rastakówski. Habe die Ehre mich vorzustellen: Einwohner und Hausbesitzer
  • hiesiger Stadt, Sekond-Major a. D. Rastakówski.
  • Chlestakóff. Sehr erfreut; bitte nehmen Sie gefälligst Platz. Ich bin
  • mit Ihrem Chef sehr gut bekannt.
  • Rastakówski (hat sich gesetzt). Ah, Sie kannten also Sadunaiski?
  • Chlestakóff. Welchen Sadunaiski?
  • Rastakówski. Nun, den Grafen Rumjanzoff-Sadunaiski, Pjotr
  • Alexándrowitsch; der war ja mein früherer Chef.
  • Chlestakóff. Ach so, ja ... Sie haben also wohl lange gedient?
  • Rastakówski. Ich nahm bereits 1773 an der Belagerung von Silistria teil.
  • Da ging es heiß zu. So dicht stand der Türke vor uns, gerade wie dieser
  • Tisch. Ich war damals Sergeant, und Sekond-Major in unserem Regimente
  • war -- Sie kannten ihn gewiß -- Pjotr Wassiljewitsch Gwosdjew.
  • Chlestakóff. Gwosdjew? was für ein Gwosdjew?
  • Rastakówski. Pjotr Wassiljewitsch. Er wurde später auf Allerhöchsten
  • Befehl der verewigten Kaiserin zu den Dragonern versetzt.
  • Chlestakóff. Nein, mir unbekannt.
  • Rastakówski. Ich dachte mir gleich, daß Sie ihn nicht kennen, weil er
  • schon vor mehr als dreißig Jahren gestorben ist. Hier ganz in der Nähe,
  • zwanzig Werst von der Stadt, lebt seine Enkelin, verheiratet mit Iwán
  • Wassiljewitsch Rogatka.
  • Chlestakóff. Mit Rogatka? Sehen Sie doch mal an! Das ist mir ganz neu.
  • Rastakówski. Freilich, mit Iwán Wassiljewitsch Rogatka. Der Türke also
  • stand so dicht vor uns, wie dieser Tisch. Frost und Schneegestöber waren
  • so stark, wie in dem Jahr, da die Franzosen auf Moskau losrückten. In
  • unserem Regimente stand noch ein Sekond-Major namens Ficktel-Knabe, ein
  • Deutscher. Er hieß Siegfried Iwánowitsch, aber der damalige General _en
  • chef_ taufte ihn einfach um: »Du bist kein Siegfried,« sagte er,
  • »sondern Suppe; darum sollst du Suppe Iwánowitsch heißen.« Und seitdem
  • wurde er nur noch Suppe Iwánowitsch genannt. Dieser Suppe Iwánowitsch
  • also, nebst dem eben erwähnten Sekond-Major Gwosdjew sollten einmal eine
  • Fouragierung vornehmen. Ihnen beigegeben waren ich und der
  • Quartiermeister Trepakin, vielleicht haben Sie ihn gekannt, Awtonom
  • Pawlowitsch; ich glaube, er ist auch schon bald fünfundzwanzig Jahre
  • tot.
  • Chlestakóff. Trepakin? Nein, kenne ich nicht. Übrigens hätte ich eine
  • Bitte an Sie ...
  • Rastakówski (ohne darauf zu hören). Eine schöne männliche Gestalt,
  • blondes Haar, dazu goldne Achselschnüre. Wie der Mazurka tanzen konnte!
  • Brauchte nur in die Hände zu klatschen, um selbst dem Oberst seine
  • Tänzerin abspenstig zu machen. Na, und überhaupt die kleinen Mädchen,
  • ha, ha, ha! ... Wir biwakierten damals unter Zelten; und wenn man bloß
  • mal so in sein Zelt hineinguckte, ha, ha, ha, da saß auch richtig so
  • eine Kleine drin; und wurde dann morgens vom Burschen hinausgeführt, als
  • Dragoner vermummt, im Dreimaster, ha, ha, ha, ein Portepée an der Seite,
  • ha, ha, ha ...
  • Chlestakóff. Eine ähnliche Geschichte passierte einem meiner Bekannten,
  • einem Beamten in recht einträglicher Stellung. Wie der eines Tages im
  • Schlafrock dasitzt und seine Pfeife raucht, kommt mit einemmal ein
  • Offizier von der Chevaliergarde, auch ein Freund von mir, herein und
  • sagt ... (unterbricht sich und schaut Rastakówski scharf ins Auge.)
  • Hören Sie mal, könnten Sie mir nicht etwas Geld borgen? Ich habe mich
  • unterwegs ganz verausgabt.
  • Rastakówski. Wer bat denn um Geld: der Beamte den Offizier oder der
  • Offizier den Beamten?
  • Chlestakóff. Nicht doch, ich bitte Sie darum. Sehen Sie, ich tue es
  • lieber gleich, ehe ich's nachher noch vergesse.
  • Rastakówski. Also Sie brauchen Geld? Seltsam, und ich glaubte, der
  • Offizier in der Anekdote bäte darum. Wie man sich doch im Gespräch oft
  • täuschen kann! Sie also brauchen Geld? Und ich kam offen gestanden
  • gerade mit der Absicht, Sie meinerseits mit einer äußerst dringlichen
  • Bitte zu belästigen.
  • Chlestakóff. Und die wäre?
  • Rastakówski. Ich habe nämlich Anspruch auf eine Pensionszulage und hatte
  • Sie höflichst darum bitten wollen, dort bei den Senatoren oder bei
  • sonstigen Persönlichkeiten ein gutes Wort für mich einzulegen.
  • Chlestakóff. Aber gewiß, mit Vergnügen.
  • Rastakówski. Ich selber habe schon mal eine Bittschrift eingereicht,
  • möglicherweise aber nicht an die zuständige Stelle.
  • Chlestakóff. Wie lange ist denn das her?
  • Rastakówski. Um die Wahrheit zu sagen, noch nicht gar so lange, im Jahre
  • 1801; ich warte aber seit diesen dreißig Jahren noch immer auf Bescheid.
  • Ich beförderte sie durch Iwán Pjetrówitsch Ssossulkin, der damals gerade
  • nach Petersburg reiste; leider ist er kein sonderlich zuverlässiger
  • Mensch. So kann es gekommen sein, daß sie nicht gehörigen Orts
  • eingereicht wurde. Jetzt wird es aber gewiß nicht mehr lange dauern:
  • dreißig Jahre sind um, und da wird die Entscheidung wohl bald erfolgen
  • müssen.
  • Chlestakóff. Selbstverständlich, jetzt wird sie bald erfolgen müssen;
  • übrigens bin ich gern bereit, mich auch meinerseits ... Keine Ursache,
  • schon gut, schon gut.
  • IV.
  • Eine vom Autor in die Buchausgabe nicht mitaufgenommene Szene des
  • »Revisor«.[1]
  • 8. Szene (des vierten Aufzuges)
  • Chlestakóff und Hübner.
  • Hübner. _Ich habe die Ehre, mich zu rekommandieren: Doktor der
  • Armenanstalten Hübner._
  • Chlestakóff. Bitte nehmen Sie gefälligst Platz.
  • Hübner. _Es freut mich sehr, die Ehre zu haben, einen so würdigen Mann
  • zu sehen, den die hohe Obrigkeit bevollmächtigt hat ..._
  • Chlestakóff. Bitte kein Deutsch, da bin ich recht wenig ... Sprechen wir
  • doch lieber russisch. Was ich sagen wollte: die Herren Beamten beziehen
  • jetzt allgemein ein recht gutes Gehalt. Haben Sie sich mit Geld
  • versehen?
  • [Fußnote 1: Der Humor dieser Szene geht in der Übersetzung größtenteils
  • verloren: Hübner nämlich spricht deutsch und radebrecht russisch,
  • Chlestakóff dagegen russisch und radebrecht deutsch. Die deutschen Worte
  • des Originals seien wenigstens im Druck gekennzeichnet. -- Anmerk. d.
  • Übers.]
  • Hübner. Geld? Wieso Geld?
  • Chlestakóff. Nun, ich würde Sie in dem Falle gebeten haben, es mir zu
  • borgen ... zu borgen ... Soll natürlich heißen: Sie _gibt_ es mir jetzt,
  • und ich gebe[2] es Ihnen später wieder.
  • Hübner. Geld ... Geld habe ich keins ... (zieht eine Brieftasche heraus
  • und schüttelt sie aus). _Sehen Sie!_ Nichts da ... nur eine Zigarre ...
  • weiter nichts ...
  • Chlestakóff. Na, dann ist nichts zu machen. Wo nichts ist, hat auch der
  • Kaiser sein Recht verloren.
  • Hübner (steckt die Brieftasche ein und greift in die Rocktasche).
  • _Wollen Sie eine Zigarre rauchen?_ (Zieht sie heraus und überreicht sie
  • ihm).
  • Chlestakóff. Recht gern, _gut_! Geben Sie her, _gibt_ (nimmt sie und
  • steckt sie an). Ganz leidliche Zigarre; gewiß aus Petersburg. (Bläst den
  • Rauch vor sich hin).
  • Hübner. Nein ... aus ... Riga ...
  • Chlestakóff. Aus Riga? So, das dachte ich mir gleich.
  • Hübner (steht auf und verbeugt sich). _Ich darf Sie nicht mehr
  • beunruhigen (sic!) und Ihnen die teure Zeit rauben, die Sie den
  • Staatsgeschäften widmen._ (Verabschiedet sich).
  • [Fußnote 2: Ein in der Übersetzung nicht zu veranschaulichender Wortwitz
  • des Originals.]
  • Chlestakóff. Adieu. War mir sehr angenehm.
  • 9. Szene
  • Chlestakóff (allein). Auch eine Zigarre ist mal ganz nett. Wieviel
  • Beamte es doch hier gibt usw.
  • V.
  • Vorwort
  • zu einer zum Besten der Armen geplanten Ausgabe des »Revisor«.
  • 1846.
  • Fast alle russischen Schriftsteller haben aus Teilen ihrer Werke Spenden
  • zum Besten der Armen gemacht: manche gaben zu diesem Zweck ganze Bücher
  • heraus, andere steuerten bereitwillig zu Sammelwerken bei; noch andere
  • endlich veranstalteten eigens dafür öffentliche Vorlesungen. Ich allein
  • hatte mich abseits gehalten. Vom Wunsche beseelt, diese meine
  • Unterlassung, wenn auch spät, zu sühnen, bestimme ich die vierte und
  • fünfte gleichzeitig in Moskau und Petersburg erscheinende Ausgabe des
  • »Revisor« zum Besten der Notleidenden. Sie ist um eine dem Publikum noch
  • unbekannte Skizze: »Die Deutung des Revisors« vermehrt, die aus
  • verschiedenen Gründen und Umständen bisher nicht veröffentlicht werden
  • konnte und hier zum erstenmal ihren Platz findet.
  • Der Erlös dieser beiden Ausgaben soll ausschließlich solchen Bedürftigen
  • zugute kommen, welche sich in unscheinbaren, niedrigen Stellungen
  • befinden und bei einem Einkommen, das kaum für den eigenen Unterhalt
  • notdürftig hinreicht, noch ärmere Anverwandte zu unterstützen, oft sogar
  • zu erhalten gezwungen sind; mit einem Wort: er ist für diejenigen
  • bestimmt, denen das bittere Los fiel, die doppelte Last des Lebens zu
  • tragen. Und deshalb bitte ich alle meine Leser, welche bereits durch den
  • Kauf dieses Buches das wohltätige Werk begonnen haben, es auch in
  • gleicher Weise fortzusetzen, namentlich aber, soweit es ihre Zeit
  • erlaubt, über alle in erster Linie Bedürftigen in Moskau sowohl wie in
  • Petersburg nach Möglichkeit Kunde einzuziehen, sich die Mühe nicht
  • verdrießen zu lassen, um in deren drückende Verhältnisse selbst
  • hineinzuschauen, und alle derartigen Nachrichten denen zu übermitteln,
  • die mit der Verteilung der Unterstützungen betraut sind.
  • Es herrscht viel Elend um uns her, von dem wir nichts wissen; oft siecht
  • in derselben Stadt, derselben Straße, ja in demselben Hause, in dem wir
  • wohnen, ein Mensch unter der schweren Last der Not und dem durch sie
  • erzeugten Herzenskummer dahin, dessen ganzes Schicksal vielleicht
  • abgewendet werden konnte, wenn wir nur einmal den Blick auf ihn
  • gerichtet hätten; wir aber schauten uns nicht nach ihm um; wir leben
  • sorglos und unbekümmert weiter, hören fast teilnahmslos die Nachricht,
  • daß ein jemand, der neben uns lebte, zugrunde gegangen ist, und ahnen
  • nicht einmal, daß die Ursache seines Unterganges lediglich die war, daß
  • wir uns nicht die Mühe gaben, nach ihm hinzusehen. Um Christi willen
  • bitte ich inständigst einer mündlichen Rücksprache mit solchen nicht aus
  • dem Wege zu gehen, welche verschlossen und zurückhaltend sind, stumm
  • sich grämen, stumm leiden und stumm dahinsterben, so daß man nur selten
  • und oft erst nach ihrem Tode erfährt, sie seien unter der unerträglichen
  • Last ihres Kummers zusammengebrochen. Alle diejenigen meiner Leser,
  • welche durch wichtige Geschäfte und Pflichten gebunden nicht die Muße
  • haben, sich direkt der Lage der Bedürftigen anzunehmen, bitte ich, sich
  • einer möglichst weitgehenden pekuniären Beihilfe nicht zu versagen und
  • diese einer von den mit der Verteilung der Unterstützungen betrauten
  • Personen zu überweisen, deren Namen und Adressen am Schluß dieses
  • Vorwortes verzeichnet sind.
  • Ich erachte es für meine Pflicht hierbei mitzuteilen, daß ich für diese
  • Mühewaltung lediglich solche von den mir bekannten Persönlichkeiten
  • ausgewählt habe, welche, ohne durch eigene Sorgen und Geschäfte an der
  • für dergleichen Angelegenheiten notwendigen Muße gekürzt zu sein, sich
  • überdies aus Herzensbedürfnis gedrungen fühlen, dem Nächsten zu helfen
  • und diese mühselige Arbeit freudig auf sich genommen haben, ungeachtet
  • dessen, daß sie sie vieler angenehmer gesellschaftlicher Vergnügungen
  • beraubt, auf die man sonst ungern verzichtet. Deshalb darf sich jeder
  • Gebende überzeugt halten, daß die von ihm gewährte Unterstützung auch
  • mit Überlegung verteilt und keine Kopeke nutzlos vergeudet werden wird.
  • Die Betreffenden werden keinem Menschen eher beispringen, bevor sie ihn
  • nicht aus der Nähe kennen gelernt, alle obwaltenden Umstände erwogen und
  • so die volle Einsicht gewonnen haben, auf welche Art und Weise die jenem
  • zugedachte Unterstützung zur Anwendung kommen soll. In solchen Fällen
  • jedoch, wo der Unglückliche sein schweres Los selbst verschuldet hat und
  • sein Elend mit Gewissensfragen in Verbindung steht, werden sie die
  • Beihilfe nur durch erfahrene Geistliche und namentlich solche Beichtiger
  • zur Ausführung bringen lassen, die nicht zum erstenmal mit Seele und
  • Gewissen des Menschen zu tun hatten. Es wäre wünschenswert, wenn jeder,
  • der Nachforschungen nach Bedürftigen anzustellen gedenkt, sich der
  • Mühe unterziehen wollte, die Ergebnisse den Verteilern der
  • Unterstützungsgelder persönlich und nicht schriftlich darzulegen; denn
  • bei mündlicher Rücksprache lassen sich all' jene Mißverständnisse leicht
  • beseitigen, die bei brieflicher Mitteilung nie zu vermeiden sind. Auf
  • diese Weise wird jeder sich nach Beschaffenheit seines Falles selber
  • darüber ein Urteil bilden können, an welche der bezeichneten Personen er
  • sich lieber, bequemer und zweckentsprechender wenden mag, auch erwägen
  • können, wann die mitfühlende Beteiligung einer Frau, wann das kräftige,
  • brüderlich ermutigende Wort eines Mannes im besonderen vonnöten sei.
  • Noch nützlicher wäre, wenn zu solchen Besprechungen ein für allemal eine
  • bestimmte Stunde festgesetzt würde, beispielsweise von 11-12, eine
  • Stunde, die überhaupt für alle, wenigstens für die Mehrzahl, die
  • geeignetste ist; und sollte sie trotzdem dem einen oder anderen nicht
  • genehm sein, so wird der zu dieser Stunde Vorsprechende auf jeden Fall
  • die Ansage einer anderen, geeigneteren erhalten können.
  • Zur Verteilung der Unterstützungsgelder haben sich bereit erklärt:
  • In _Moskau_:
  • Awdotja Pietrowna Jelagina.
  • Katerina Alexandrowna Swjerbejewa.
  • Wjera Sergejewna Aksakowa.
  • Alexej Stjepanowitsch Chomjakoff.
  • Nikolai Filippowitsch Pawloff.
  • Pjotr Wassiljewitsch Kirejewski.
  • In _Petersburg_:
  • Olga Stjepanowna Odojewskaja.
  • Gräfin Anna Michailowna Wjeljegorskaja.
  • Gräfin Daschkowa.
  • Arkadij Ossipowitsch Rosseti.
  • Jurij Fjodorowitsch Ssamarin.
  • Wladimir Alexejewitsch Muchanoff.
  • VI.
  • Die Deutung des Revisors
  • Personen:
  • Erster Schauspieler, Komiker: Michailo Sjemjonowitsch Schtschepkin.
  • Eine hübsche Schauspielerin.
  • Zweiter Schauspieler.
  • Fjodor Fjodorowitsch, Theaterenthusiast.
  • Pjotr Pjetrowitsch, ein vornehmer Herr.
  • Sjemjon Sjemjonowitsch, ein Herr aus ebenfalls ziemlich gutem Stande.
  • Nikolai Nikolajewitsch, ein Literat.
  • Schauspieler und Schauspielerinnen.
  • * * * * *
  • Erster Schauspieler (tritt auf die Bühne). Nun, jetzt wäre
  • Bescheidenheit unangebracht. Diesmal, darf ich sagen, habe ich
  • ausgezeichnet gespielt und der Applaus des Publikums war nicht
  • unverdient. Fühlt man das selber, ohne sich vor sich selbst zu schämen,
  • dann war eben die Leistung vollkommen.
  • (Eine Menge Schauspieler und Schauspielerinnen betreten die Bühne)
  • Zweiter Schauspieler (einen Kranz in der Hand). Michailo Sjemjonowitsch,
  • jetzt kommen wir, nicht das Publikum, um Ihnen diesen Kranz zu bringen.
  • Das Publikum verteilt seine Kränze nicht immer nach strenger Wahl; es
  • schenkt sie auch geringeren Leistungen. Wenn aber Kollegen, die doch
  • oftmals neidisch und unbillig sind -- wenn eben diese Kollegen jemandem
  • einmütigen Sinnes einen Kranz bringen, dann besagt das, daß dieser Mann
  • des Kranzes vollkommen würdig ist.
  • Erster Schauspieler (den Kranz entgegennehmend). Liebe Kollegen, ich
  • weiß diesen Kranz zu schätzen.
  • Zweiter Schauspieler. Nein, nicht in der Hand, aufs Haupt sollen Sie ihn
  • setzen!
  • Alle Schauspieler und Schauspielerinnen. Aufs Haupt den Kranz!
  • Die hübsche Schauspielerin (vortretend, mit befehlender Gebärde).
  • Michailo Sjemjonowitsch, den Kranz aufs Haupt!
  • Erster Schauspieler. Nein liebe Kollegen, den Kranz nehme ich zwar von
  • Euch an, aber aufsetzen darf ich ihn nicht. Etwas anderes ist's, vom
  • Publikum einen Kranz zu empfangen, als den gewohnten Ausdruck des
  • Dankes, womit es jeden beschenkt, der seinen Beifall zu erringen wußte;
  • einen solchen Kranz nicht aufsetzen, würde Geringschätzung gegenüber
  • seiner Gunst bedeuten. Um aber einen Kranz im Kreise gleichwürdiger
  • Kollegen aufzusetzen, dazu bedürfte es weit größerer Selbstüberhebung,
  • als ich sie besitze.
  • Alle. Den Kranz aufs Haupt!
  • Die hübsche Schauspielerin. Den Kranz aufs Haupt, Michailo
  • Sjemjonowitsch!
  • Zweiter Schauspieler. Das ist unsere Sache, hier richten wir, nicht Sie.
  • Setzen Sie ihn bitte nur erst mal auf, dann wollen wir Ihnen schon
  • sagen, weshalb wir Sie bekränzt haben. So ist's recht! Und nun hören
  • Sie! Der Kranz gebührt Ihnen darum, weil Sie uns schon reichlich zwanzig
  • Jahre angehören, ohne daß auch nur ein einziger unter uns sich jemals
  • von Ihnen gekränkt gefühlt hätte; darum, weil Sie hingebender als wir
  • alle ihre Pflicht getan und eben dadurch auch unseren Ehrgeiz geweckt
  • haben, auf unserer Bahn nicht zu ermatten, wozu wir sonst schwerlich die
  • Kraft gehabt hätten. Gibt es denn eine Macht, die stärker fortreißen
  • könnte, als das anfeuernde Beispiel eines Kollegen? Und darum auch, weil
  • Sie stets nicht nur an sich selbst gedacht, sich nicht nur Mühe gegeben
  • haben, Ihre eigne Rolle gut zu spielen, sondern auch Sorge trugen, daß
  • jeder andere die seine nicht verderbe, keinem Ihren Rat versagt und
  • keinen gering geachtet haben. Und endlich darum, weil Sie die Kunst so
  • geliebt haben, wie niemals einer von uns übrigen. Nun wissen Sie, warum
  • wir einmütig Ihnen jetzt diesen Kranz widmen.
  • Erster Schauspieler (mit Rührung). Nein, liebe Kollegen, so war es
  • nicht, wiewohl ich wünschte, es wäre so gewesen.
  • (Es erscheinen Fjodor Fjodorowitsch, Sjemjon Sjemjonowitsch,
  • Pjotr Pjetrowitsch und Nikolai Nikolajewitsch.)
  • Fjodor Fjodorowitsch (den ersten Schauspieler lebhaft umarmend).
  • Michailo Sjemjonowitsch, ich bin außer mir, weiß gar nicht, was ich zu
  • Ihrem Spiel sagen soll: so schön haben Sie noch nie gespielt!
  • Pjotr Pjetrowitsch. Ohne alle Schmeichelei, Michailo Sjemjonowitsch,
  • aber ich muß aufrichtig bekennen: ich habe niemals -- trotzdem ich, wie
  • ich ohne mich zu brüsten sagen darf, alle erstrangigen Theater Europas
  • besucht und die vorzüglichsten Schauspieler gesehen habe -- niemals habe
  • ich ein ähnlich vollkommenes Spiel gesehen, nein niemals, ohne alle
  • Schmeichelei!
  • Sjemjon Sjemjonowitsch. Michailo Sjemjonowitsch! ... (außerstande, sich
  • in Worten auszudrücken, mit einer Handbewegung). Sie sind der reine
  • Dämon!
  • Nikolai Nikolajewitsch. So vorzüglich, so restlos vollkommen, so
  • verständnisvoll und mit so tiefer Auffassung seine Rolle spielen --
  • nein, das geht über eine einfache Darstellung hinaus, das ist eine
  • zweite Gestaltung, ist eine Neuschöpfung!
  • Fjodor Fjodorowitsch. Die vollendete Kunst hat ihren Kranz erhalten!
  • Hier endlich begreift man die Hoheit der Kunst. Was hat denn z. B. die
  • Persönlichkeit, die Sie eben darstellten, sonst reizvolles an sich?
  • Ist's möglich, dem Zuschauer durch Verkörperung irgendeines beliebigen
  • Schurken Genuß zu bereiten? Ihnen ist das gelungen. Ich habe geweint,
  • nicht aus Teilnahme für das Schicksal dieses Menschen, sondern weil ich
  • hingerissen war. Mir wurde hell und leicht ums Herz, und zwar deshalb,
  • weil Sie alle Züge dieses verderbten Charakters ans Licht brachten, weil
  • Sie klar erkennen ließen, was so ein Schurke bedeutet.
  • Pjotr Pjetrowitsch. Gestatten Sie mir immerhin, um ganz abzusehen von
  • der meisterhaften Darstellung des Stückes, dergleichen ich aufrichtig
  • gestanden noch nie gesehen habe -- und ich bin doch, ohne Rühmens
  • gesagt, in den besten Theatern gewesen -- ich weiß auch nicht einmal,
  • wem der Autor mehr zu Dank verpflichtet ist: Ihnen, meine Herrschaften,
  • oder unserer Theaterleitung; wahrscheinlich aber beiden zugleich, denn
  • eine derartige Aufführung hebt jedes Stück (ich bitte meine Worte nicht
  • als leere Schmeichelei aufzufassen!). Immerhin also gestatten Sie mir,
  • wenn wir von alldem absehen, eine Bemerkung über das Stück selbst zu
  • machen, dieselbe Bemerkung, die sich mir schon vor zehn Jahren, bei
  • Gelegenheit der ersten Aufführung aufdrängte: ich vermag nämlich im
  • »Revisor«, auch wenn er so vortrefflich wie jetzt gespielt wird, nicht
  • den geringsten Nutzen für die Allgemeinheit zu erkennen, so daß man
  • sagen dürfte, das Stück sei für sie unentbehrlich.
  • Sjemjon Sjemjonowitsch. Ich meinesteils halte es sogar für schädlich; es
  • wird darin unsere Entwürdigung geschildert. Ich kann nicht glauben, daß
  • derjenige, der es schrieb, sein Vaterland liebt. Überdies: welche
  • Nichtachtung, welche Rücksichtslosigkeit offenbaren sich darin! Ich
  • fasse es überhaupt nicht, wie man wagen kann, allen ins Gesicht zu
  • sagen: »was lacht ihr? Ihr lacht über euch selber!«
  • Fjodor Fjodorowitsch. Aber Sjemjon Sjemjonowitsch, lieber Freund, du
  • vergißt ja ganz, daß das nicht der Autor, sondern der Polizeimeister
  • sagt, der aufgebrachte, zornige Schurke, der natürlich wütend ist, weil
  • man über ihn lacht.
  • Pjotr Pjetrowitsch. Fjodor Fjodorowitsch, dagegen wäre doch einzuwenden,
  • daß gerade diese Worte eine befremdende Wirkung taten, und daß
  • sicherlich sehr viele Zuschauer den Eindruck gehabt haben, als richte
  • der Autor jene Worte: »Was lacht ihr? Ihr lacht über euch selber!«
  • ausdrücklich an sie. Ich sage das -- meine Herrschaften, Sie werden
  • meine Worte nicht so auffassen, als ob ich dem Autor persönlich
  • übelwollte, oder voreingenommen gegen ihn wäre, oder ... kurz, als ob
  • ich irgend etwas gegen ihn hätte, verstehen Sie mich recht; nein, ich
  • gebe lediglich meinem eigenen Empfinden Ausdruck; mir kam es aber
  • wirklich so vor, als ob in diesem Augenblick ein Mensch vor mir stünde,
  • der sich über alles an uns lustig macht, über unsre Eigenschaften, unsre
  • Sitten und Gewohnheiten; und, indem er uns zwingt, selber über all dies
  • zu lachen, uns ins Gesicht sagt: »ihr lacht über euch selber!«
  • Erster Schauspieler. Erlauben Sie mir hier ein Wort einzuschalten. Das
  • hat sich ganz unwillkürlich so ergeben: in einem an sich selbst
  • gerichteten Monologe pflegt sich der Schauspieler gewöhnlich dem
  • Publikum zuzuwenden. Obwohl nun der Polizeimeister halb bewußtlos und
  • dem Wahnsinn nahe ist, muß er doch erkennen, wie überaus lächerlich er
  • sich durch seine ohnmächtigen Drohungen gegen Chlestakóff macht, der zur
  • selben Zeit im Postwagen über Stock und Stein auf Nimmerwiedersehen
  • davonjagt. Mag man dem immerhin die Deutung geben, von der Sie reden:
  • dem Autor jedenfalls hat jede derartige Absicht ferngelegen; ich sage
  • Ihnen das deshalb, weil ich ein kleines Geheimnis dieses Stückes kenne.
  • Gestatten Sie mir übrigens eine Gegenfrage: was wäre denn, wenn der
  • Autor wirklich die Absicht gehabt hätte, dem Zuschauer begreiflich zu
  • machen, daß er über sich selber lacht?
  • Sjemjon Sjemjonowitsch. Danke für das Kompliment! Ich für mein Teil
  • vermag nichts an mir zu entdecken, was ich mit den im »Revisor«
  • geschilderten Personen gemein hätte. Verzeihen Sie! Ich will mich gewiß
  • nicht rühmen, ohne Fehler zu sein, wie das ja auch sonst kein Mensch
  • kann, aber jenen Leuten gleiche ich doch nicht. Das fehlte noch gerade!
  • Im Motto heißt es: »Den Spiegel soll nicht schelten, wer eine Fratze
  • hat.« Pjotr Pjetrowitsch, ich frage dich: habe ich eine Fratze? Und
  • dich, Nikolai Nikolajewitsch, frage ich: habe ich eine Fratze? (Sich an
  • die übrigen wendend.) Meine Herrschaften, ich frage Sie alle: habe ich
  • etwa eine Fratze?
  • Fjodor Fjodorowitsch. Aber, Sjemjon Sjemjonowitsch, lieber Freund, du
  • stellst wunderliche Fragen. Ein Ausbund von Schönheit bist du freilich
  • nicht, wie ja auch wir allesamt Sünder sind. Man kann wirklich nicht so
  • ohne weiteres behaupten, daß dein Gesicht die Vollkommenheit selber
  • wäre; wie man es sich auch betrachtet, ein wenig schief ist es doch;
  • nun, und was schief ist, ist schließlich auch eine Fratze.
  • Pjotr Pjetrowitsch. Aber meine Herren, Sie kommen ja ganz vom Thema ab!
  • Das ist doch jedermanns eigene Gewissenssache; und wir amüsieren uns
  • darüber zu streiten, wer eine Fratze hat, und wer nicht. Die eigentliche
  • Frage war aber doch, um wieder darauf zurückzukommen: ich sehe in dieser
  • Komödie nichts von Vernunft, ich sehe nichts von einem Zweck darin,
  • wenigstens geht aus dem Werke selbst nichts dergleichen hervor.
  • Nikolai Nikolajewitsch. Ja, was wollen Sie denn noch für einen Zweck,
  • Pjotr Pjetrowitsch? Die Kunst trägt doch ihren Zweck in sich selbst; das
  • Streben nach dem Schönen und Erhabenen, das ist Kunst; das ist das
  • unverbrüchliche Gesetz der Kunst, und ohne dies ist Kunst nicht Kunst.
  • Und darum kann sie in keinem Falle unmoralisch sein. Sie strebt durchaus
  • zum Guten, positiv oder negativ, ob sie uns nun das Edelste darstellt,
  • was der Mensch besitzt, oder sich über die Häßlichkeit seiner Laster
  • lustig macht. Wenn man alles Schlechte zur Schau stellt, was im Menschen
  • steckt, und so kraß darstellt, daß jeder Zuschauer tiefen Abscheu davor
  • empfindet, dann frage ich: Ist das nicht eine Verherrlichung alles
  • Edlen? Nicht eine Verherrlichung der Tugend?
  • Pjotr Pjetrowitsch. Unstreitig, Nikolai Nikolajewitsch, doch möchte ich
  • trotzdem ....
  • Nikolai Nikolajewitsch (fortfahrend). Nicht das ist schlimm, daß man uns
  • im Sünder die Sünde zeigt, so daß wir erkennen, wie schlecht sie ist,
  • sondern schlimm ist, wenn sie so dargestellt wird, daß man nicht weiß,
  • auf welche Seite man sich stellen soll; schlimm endlich, daß uns die
  • Tugend in einer Weise gezeigt wird, daß man in ihr nichts mehr von
  • Tugend erkennt.
  • Erster Schauspieler. Wahr und schön gesprochen, Nikolai Nikolajewitsch!
  • Sie haben ausgesprochen, was von jeher meine Überzeugung war, nur daß
  • ich selbst es nie so treffend formulieren konnte. Ja, das ist das
  • Schlimme, daß man in der Tugend die Tugend nicht mehr erkennt. Dies Übel
  • kommt aber von all den modernen Dramen her, mit denen wir das Publikum
  • unterhalten müssen. Der Zuschauer verläßt das Theater, ohne sich
  • Rechenschaft geben zu können, was er denn eigentlich gesehen hat, ob ein
  • böser oder ein guter Mensch vor ihm stand; er leitete ihn nicht zur
  • Tugend, er hielt ihn nicht vor dem Laster zurück, und so bleibt er wie
  • in einem Traum befangen, ohne aus dem, was er gesehen, eine brauchbare
  • Richtschnur fürs Leben gewinnen zu können, ja sogar irre gemacht auf dem
  • Wege, den er bisher gegangen, und bereit, dem ersten besten zu folgen,
  • der ihn abseits führt, ohne zu fragen wohin und warum.
  • Fjodor Fjodorowitsch. Fügen Sie noch hinzu, Michailo Sjemjonowitsch,
  • welche Überwindung es einen Schauspieler kosten muß, eine derartige
  • Rolle zu spielen, sofern er ein echter, wahrer Künstler ist.
  • Erster Schauspieler. Sprechen Sie nicht davon, Ihre Worte treffen mich
  • mitten ins Herz. Sie können gar nicht ermessen, wie bitter das manchmal
  • ist. Man lernt, man studiert seine Rolle, und weiß doch selber nicht,
  • wie man sie verkörpern soll. Dann vergißt man sich mitunter, versetzt
  • sich in die Lage der darzustellenden Person, erhitzt sich, erschüttert
  • die Zuschauer -- und wenn man sich schließlich besinnt, wodurch man das
  • erreicht hat, wird man uneins mit sich selbst: man möchte in die Erde
  • versinken, und glüht beim Applaus wie vor eigener Scham. Ja, ich vermag
  • nicht zu entscheiden, was verwerflicher ist: die Niedertracht so
  • darzustellen, daß es den Zuschauer mit ihr zu sympathisieren gelüstet,
  • oder das Walten der Tugend so wenig zur Erscheinung kommen zu lassen,
  • daß jener gar nicht den Wunsch fühlt, ihr zu folgen. Eines wie das
  • andere ist meiner Meinung nach -- Fäulnis, aber keine Kunst. Nikolai
  • Nikolajewitsch hat weise gesprochen: schlimm ist's, wenn man in der
  • Tugend die Tugend nicht erkennt.
  • Zweiter Schauspieler. Wahr, sehr wahr; schlimm, wenn man in der Tugend
  • die Tugend nicht erkennt.
  • Pjotr Pjetrowitsch. Dagegen habe ich ganz und gar nichts einzuwenden.
  • Nikolai Nikolajewitsch hat weise gesprochen, und Michailo Sjemjonowitsch
  • hat es noch weiter ausgeführt. Jedoch ist all dies keine Antwort auf
  • meine Frage. Das, was Sie eben ausgesprochen haben, nämlich: daß die
  • Tugend mit einer magischen Kraft dargestellt werden solle, fähig, nicht
  • nur den guten, sondern auch den schlechten Menschen an sich zu ziehen,
  • und andererseits das Laster in so durchsichtiger Weise, daß der
  • Zuschauer nicht nur keine Neigung spürt, mit den dargestellten Personen
  • zu sympathisieren, sondern umgekehrt den lebhaften Wunsch fühlt, sie
  • weit von sich zu stoßen, -- all dies, Nikolai Nikolajewitsch, muß
  • selbstverständlich die absolute Vorbedingung jedes Dichterwerkes sein;
  • um von Zweck schon gar nicht zu reden. Jedes Dichterwerk aber muß
  • darüber hinaus noch Sinn und Bedeutung selbständiger Art besitzen,
  • Nikolai Nikolajewitsch, sonst geht seine Originalität verloren, sehen
  • Sie das wohl ein? Deshalb kann ich im »Revisor« nicht die große
  • Bedeutung erkennen, die andere ihm beimessen. Es ist notwendig, daß
  • volle Klarheit darüber herrsche, warum solch ein Werk unternommen wurde,
  • speziell was es bezweckt, worauf es zielt und was es neues durch sich
  • sagen will. Darum handelt es sich, Nikolai Nikolajewitsch, und nicht um
  • das, was Sie im allgemeinen über Kunst sagen.
  • Nikolai Nikolajewitsch. Aber wozu denn erst fragen, was es bezweckt? Das
  • liegt doch auf der Hand.
  • Pjotr Pjetrowitsch. Nein, Nikolai Nikolajewitsch, das liegt keineswegs
  • auf der Hand. Ich kann in dieser Komödie keinen besonderen Zweck
  • erkennen, es sei denn, der Autor hätte ihn absichtlich verhüllt. Dann
  • aber bedeutet das eine Verletzung des Kunstprinzips, was Sie auch
  • dagegen einwenden mögen. Betrachten wir diese Komödie doch mal genauer:
  • der »Revisor« bringt doch gewiß nicht die Wirkung hervor, daß die
  • Zuschauer sich hinterher erhoben fühlen; im Gegenteil, ich denke, Sie
  • wissen es selber, daß die einen zwecklos beunruhigt, andere sogar
  • erbittert wurden, und alle samt und sonders ein drückendes Unbehagen mit
  • nach Haus nahmen. Wenn wir absehen vom Vergnügen, das die geschickt
  • erfundenen Szenen bereiten, von der komischen Situation vieler Personen,
  • von der gewiß meisterhaften Zeichnung einzelner Charaktere absehen, so
  • bleibt doch in Summa so etwas -- ich kann das gar nicht einmal klar
  • bezeichnen -- so etwas unnatürlich Düsteres, so etwas wie Schrecken über
  • unsere Sittenlosigkeit zurück. Gerade das Erscheinen des Gendarmen, der
  • wie eine Art Henker in die Tür tritt, dies Versteinern, welches sich in
  • allen Gesichtern ausprägt, während er das Eintreffen des wahren Revisors
  • ankündigt, der sie alle zerschmettern, vernichten, vom Erdboden
  • vertilgen soll, -- all dies ist unerhört schreckhaft! Ich bekenne Ihnen
  • ganz aufrichtig, _à la lettre_, daß mir keine einzige Tragödie jemals
  • eine so trübe, drückende, trostlose Stimmung verursacht hat; weshalb ich
  • sogar argwöhne, der Autor habe durch die letzte Szene seiner Komödie
  • absichtlich diese Wirkung hervorbringen wollen. Es ist ausgeschlossen,
  • daß das durch bloßen Zufall zustande gekommen sein sollte.
  • Erster Schauspieler. Da sind Sie also doch endlich bei dieser Frage
  • angelangt. Der »Revisor« wird nun schon an die zehn Jahr auf den Bühnen
  • dargestellt; mehr oder minder haben alle an der niederdrückenden
  • Wirkung, die er auf sie ausübte, Anstoß genommen; und dennoch hat sich
  • niemand die Frage vorgelegt: weshalb mußte diese Wirkung erzielt werden?
  • Als wenn der Autor seine Komödie nur so aufs Geratewohl geschrieben
  • haben sollte, ohne überhaupt daran zu denken, wozu sie nützen und welche
  • Folgen sie haben könnte. Gestehen Sie ihm doch wenigstens dieses
  • Quentchen Verstand zu, das Sie sonst keinem Menschen absprechen; jede
  • Tat hat doch schließlich einen Beweggrund, selbst bei unvernünftigen
  • Leuten.
  • (Alle sehen ihn erstaunt an.)
  • Pjotr Pjetrowitsch. Erklären Sie sich genauer, Michailo Sjemjonowitsch,
  • das ist nicht ganz verständlich.
  • Sjemjon Sjemjonowitsch. Sie scheinen uns Rätsel aufgeben zu wollen.
  • Erster Schauspieler. Ja, ist Ihnen denn wirklich gar nicht aufgefallen,
  • daß der »Revisor« keinen Schluß hat?
  • Nikolai Nikolajewitsch. Wieso keinen Schluß?
  • Sjemjon Sjemjonowitsch. Was denn noch für einen Schluß? Fünf Akte sind
  • doch da, auf sechs bringt es keine Komödie. Soll etwa noch ein weiterer
  • Skandal nachfolgen?
  • Pjotr Pjetrowitsch. In der Tat, Michailo Sjemjonowitsch, was wäre denn
  • das für eine Art Stück, wenn es keinen Schluß hätte? Ist das etwa auch
  • eine Kunstregel, Nikolai Nikolajewitsch? Das kommt mir wirklich so vor,
  • als wenn man vor uns alle ein verschlossenes Kästchen hinstellen und
  • fragen wollte, was darin sei.
  • Erster Schauspieler. Und wenn es nun tatsächlich zu dem Zweck
  • hingestellt wäre, damit Sie sich selber bemühen, es zu öffnen?
  • Pjotr Pjetrowitsch. Dann muß einem das wenigstens gesagt, oder gleich
  • der Schlüssel in die Hand gegeben werden.
  • Erster Schauspieler. Aber wenn der Schlüssel nun doch daliegt, neben dem
  • Kästchen liegt?
  • Nikolai Nikolajewitsch. Sprechen Sie doch nicht weiter in Rätseln! Sie
  • haben von irgend etwas Kenntnis. Sicherlich hat Ihnen der Autor den
  • Schlüssel an die Hand gegeben, und Sie halten ihn fest und spielen den
  • Geheimnisvollen.
  • Fjodor Fjodorowitsch. Erklären Sie sich, Michailo Sjemjonowitsch; es
  • interessiert mich allen Ernstes zu erfahren, was dahinter stecken mag!
  • Mit meinen Augen sehe ich nichts.
  • Sjemjon Sjemjonowitsch. So öffnen Sie uns doch das rätselhafte Kästchen!
  • Was ist's mit diesem seltsamen Ding, das uns geheimnisvoll gebracht,
  • geheimnisvoll vor uns aufgestellt und geheimnisvoll vor uns verschlossen
  • gehalten wird?
  • Erster Schauspieler. Und was dann, wenn es sich so öffnet, daß Sie sich
  • wundern müßten, es nicht selber haben öffnen zu können? Wenn dann etwas
  • darin liegt, was manchem als wertloser Groschen, anderen aber als
  • blanker Dukaten gilt, von dauerndem Wert, wie auch seine Prägung sich
  • verändern möge?
  • Nikolai Nikolajewitsch. Jetzt genug mit Ihren Rätseln! Geben Sie uns
  • ohne Umschweife den Schlüssel!
  • Sjemjon Sjemjonowitsch. Den Schlüssel, Michailo Sjemjonowitsch!
  • Fjodor Fjodorowitsch. Den Schlüssel!
  • Pjotr Pjetrowitsch. Den Schlüssel!
  • Alle Schauspieler und Schauspielerinnen. Michailo Sjemjonowitsch, den
  • Schlüssel!
  • Erster Schauspieler. Den Schlüssel? Werden Sie ihn auch annehmen, meine
  • Herrschaften? Ihn nicht vielleicht mitsamt dem Kästchen fortschleudern?
  • Nikolai Nikolajewitsch. Den Schlüssel! Weiter wollen wir nichts hören.
  • Den Schlüssel!
  • Alle. Den Schlüssel!
  • Erster Schauspieler. Gut also, ich will Ihnen den Schlüssel geben.
  • Möglicherweise sind Sie nicht gewohnt, aus dem Munde eines Komikers
  • derartige Worte zu vernehmen; doch einerlei, heut glüht meine Seele, ich
  • fühle mich leicht und frei, und will darum alles aussprechen, was ich
  • auf dem Herzen habe, wie Sie auch immer meine Worte aufnehmen mögen.
  • Nein, meine Herrschaften, der Autor hat mir den Schlüssel nicht
  • anvertraut, aber es gibt Momente der Seelenstimmung, wo man plötzlich
  • erkennt, was vordem unbegreiflich war. Ich fand diesen Schlüssel und
  • mein Herz sagt mir, daß es der rechte sei; das Kästchen tat sich vor mir
  • auf, und meine Seele sagt mir, daß der Autor selber nichts anderes
  • gemeint haben könne.
  • Schauen Sie einmal genau in jene Stadt hinein, die im Stück geschildert
  • wird! Alle ohne Ausnahme sind überzeugt, daß es eine solche Stadt in
  • ganz Rußland nicht gibt; man hat nirgendwo bei uns von einem Orte
  • gehört, in dem sämtliche Beamten solche Schurken wären; immer sind doch
  • wenigstens zwei bis drei ehrenhafte darunter. Hier aber kein einziger.
  • Mit einem Wort, solch eine Stadt existiert nicht, nicht wahr? Wie aber
  • nun, wenn dies vielmehr unsere eigene Seelenstadt wäre, die sich in
  • einem jeden von uns befindet? Nein, lassen Sie uns nicht mit irdischen
  • Augen auf uns schauen -- denn kein irdisches Wesen wird dereinst über
  • uns zu Gericht sitzen, -- versuchen wir doch einmal mit den Augen dessen
  • auf uns zu schauen, der von allen Menschen Rechenschaft fordern wird,
  • vor dem auch die besten unter uns, beherzigen sie das, vor Scham die
  • Blicke zu Boden senken werden, und dann wollen wir einmal sehen, ob noch
  • ein einziger den Mut haben wird zu fragen: »habe ich denn eine Fratze?«
  • Ob er nicht vielmehr über seine eigene Verworfenheit dann ebenso
  • erschrecken wird, wie er über die Verworfenheit aller jener Beamten
  • erschrak, die er vorhin im Stück sah. Nein, Pjotr Pjetrowitsch, nein,
  • Sjemjon Sjemjonowitsch, sagen Sie mir nicht: »das ist alter Kram« oder
  • »das wissen wir längst!« Lassen Sie auch mich einmal reden. Bin ich denn
  • etwa bloß zum Spaßmachen da? Dinge, die uns zu dem Zweck gegeben sind,
  • damit wir ewig an sie denken sollen, darf man nicht alt heißen: wie
  • etwas Neues sollen wir sie aufnehmen, gleich als hörten wir sie zum
  • erstenmal, ohne Ansehung dessen, der sie ausspricht, sei er wer er sei.
  • Nein, Sjemjon Sjemjonowitsch, nicht um unsere Vortrefflichkeit darf es
  • sich handeln, sondern um die Sorge, daß unser Leben, welches wir für
  • eine Komödie anzusehen uns gewöhnt hatten, nicht auch so tragisch ende,
  • wie die Komödie, die wir vorhin gespielt haben. Man sage was man will,
  • furchtbar aber ist jener Revisor, der uns an den Pforten des Grabes
  • erwartet. Und Sie wüßten nicht, wer dieser Revisor ist? Wozu die
  • Verstellung? Dieser Revisor ist unser erwachendes Gewissen, das uns
  • jählings zwingt, uns mit scharfem Auge selbst zu betrachten. Vor diesem
  • Revisor wird nichts verborgen bleiben, weil er in Sendung des
  • Allerhöchsten kommt und gerade in dem Augenblicke gemeldet wird, wo es
  • keinen Schritt zurück mehr gibt. Dann wird sich vor uns, wird sich in
  • unserm eignen Innern ein solches Gräuel enthüllen, daß sich vor
  • Schrecken unser Haar sträuben wird. Darum ist es besser eine Revision
  • von alle dem, was in uns ist, im Anfang des Lebens vorzunehmen, und
  • nicht erst am Schlusse; besser, statt schalen Selbstlobs und schaler
  • Selbstbeschönigungen schon jetzt in diese unsaubere Seelenstadt
  • einzutreten, die oftmals verwahrloster als jede andere Stadt ist, und in
  • der unsere Leidenschaften wie verworfene Beamte hausen, die den Schatz
  • unsrer eigenen Seele bestehlen. Am Anfang des Lebens soll man einen
  • Revisor nehmen und Hand in Hand mit ihm alles durchprüfen, was in uns
  • ist, -- einen wirklichen Revisor, keinen falschen, keinen Chlestakóff!
  • Chlestakóff ist ein Windbeutel, Chlestakóff ist das leichtfertige
  • irdische Gewissen, das feile, betrügerische Gewissen; ein Chlestakóff
  • wird von den in unsrer Seele hausenden Leidenschaften sofort bestochen;
  • an seiner Hand werden wir in unserer Seele nichts entdecken. Sehen Sie
  • doch, wie sich jeder Beamte im Gespräch mit ihm geschickt herauswindet,
  • rechtfertigt und fast wie ein Heiliger davongeht. Bedenken Sie, ist
  • nicht jede unserer Leidenschaften noch viel schlauer als diese
  • schurkischen Beamten? Die Leidenschaften nicht nur, nein sogar jede
  • beliebige gleichgültige, platte Gewohnheit? Sie weiß sich uns so
  • geschickt zu entwinden und zu rechtfertigen, daß man sie geradezu für
  • eine Tugend hält, sich vor seinem Nächsten noch brüstet und spricht:
  • »sieh, wie herrlich meine Stadt ist, wie alles darin so ordentlich und
  • sauber ist!« Heuchler sind unsere Leidenschaften, Heuchler, sage ich
  • Ihnen, denn ich habe für mich selbst mit ihnen zu schaffen gehabt. Nein,
  • mit dem leichtfertigen irdischen Gewissen entdeckt man in sich nichts
  • davon: dies wird von jenen, und jene werden von diesem geprellt, wie die
  • Beamten von Chlestakóff, und schließlich verflüchtigt es sich auf
  • Nimmerwiedersehen. Und man steht dann da wie der Dummkopf
  • Polizeimeister, der schon wer weiß wie hoch hinauswollte, sich schon
  • General träumte, ganz zuversichtlich verkündete, er werde in der
  • Residenz der Erste sein, den anderen bereits Ämter und Würden versprach,
  • und dann doch plötzlich wahrnehmen muß, daß er komplett betrogen und
  • übertölpelt worden ist von einem Bürschchen, einem Schlingel, einem
  • Windbeutel, der nicht die geringste Ähnlichkeit mit einem wirklichen
  • Revisor besessen hatte. Nein, Pjotr Pjetrowitsch, nein, Sjemjon
  • Sjemjonowitsch, nein, meine Herrschaften, alle, alle, die ihr solcher
  • Anschauung sein mögt, entschlagt auch dieses weltlichen Gewissens! Laßt
  • uns nicht mit Chlestakóff, sondern mit dem wirklichen Revisor auf uns
  • schauen. Ich versichere euch, unsere Seelenstadt ist es wert, daß für
  • sie so von uns gesorgt werde, wie ein gewissenhafter Herrscher für sein
  • Reich sorgt. Mit Ernst und Strenge, wie er aus seinen Landen die
  • Bestechlichen entfernt, so laßt uns die bestechlichen Elemente aus
  • unsrer eigenen Seele vertreiben! Ein Mittel, eine Geißel gibt es, womit
  • man sie austreiben kann: mit dem Lachen, meine werten Landsleute! Mit
  • dem Lachen, das all' unsre niederen Leidenschaften so fürchten, dem
  • Lachen, das uns geschenkt ist, um über alles, was die echte Schönheit
  • des Menschen entstellt, lachen zu können. Geben wir doch dem Lachen
  • seine wahre Bedeutung wieder! Entreißen wir es denen, die es erniedrigt
  • haben zu einem leichtfertigen, weltlichen Gespött über alles, ohne
  • Unterschied zwischen Gut und Böse. In derselben Weise, wie wir über die
  • Verderbtheit anderer gelacht haben, laßt uns hochherzig lachen über die
  • eigenen Schwächen, welcher Art sie auch sein mögen! Laßt uns nicht nur
  • diese eine Komödie, sondern alles, was aus der Feder jedes beliebigen
  • Schriftstellers kommt, der Laster und Niedrigkeit lachend an den Pranger
  • stellt, so auf uns selbst beziehen, als wenn es lediglich für uns
  • geschrieben wäre: alles werden wir in uns aufspüren, sofern wir unsere
  • Seele nur nicht mit einem Chlestakóff, sondern mit dem wirklichen und
  • unbestechlichen Revisor betreten. Und nicht wollen wir uns irre machen
  • lassen, wenn so ein aufgebrachter Polizeimeister oder richtiger: der
  • böse Geist selber uns zuraunt: »Warum lacht ihr? Ihr lacht über euch
  • selbst!« Stolz wollen wir ihm dann entgegnen: »Jawohl, wir lachen über
  • uns selbst, weil wir die Stimme unseres edlen russischen Wesens
  • vernehmen, weil wir den Befehl des Höchsten vernehmen, der uns gebietet,
  • besser zu werden als die übrigen!« Meine lieben Landsleute, seht, in
  • meinen Adern fließt dasselbe russische Blut wie in den euren. Schaut
  • her: ich weine! Ich, der Komiker, der euch noch eben belustigt hat, ich
  • weine jetzt. Gönnt mir das Bewußtsein, daß auch mein Lebensweg so
  • ehrenhaft ist, wie der eines jeden von euch, daß auch ich meinem
  • Vaterlande so ehrlich diene, wie ihr andern alle, daß ich kein
  • beliebiger Possenreißer bin, geschaffen zur Kurzweil der gedankenlosen
  • Menge, sondern ein treuer Beamter des großen Gottesreiches; und daß ich
  • ein Lachen in euch erweckt habe -- nicht das sündhafte, mit dem ein
  • Mensch den andern verspottet, und das die nichtige Leere des Müßiggangs
  • gebiert, -- sondern jenes Lachen, welches aus der Nächstenliebe quillt.
  • Einträchtig wollen wir aller Welt beweisen, daß in russischen Landen
  • alles, was da lebt, klein und groß, bemüht ist, dem zu dienen, dem man
  • auf Erden dienen soll, und (nach oben blickend) nach dorthin aufwärts
  • strebt zur höchsten, ewigen Schönheit.
  • VII.
  • Nachtrag
  • zur »Deutung des Revisors«.
  • Sjemjon Sjemjonowitsch. Was bedeutet das, Michailo Michailowitsch, von
  • was für einer Seelenstadt reden Sie?
  • Michailo Michailowitsch. Es war eine Eingebung. Mir schien, es sei dies
  • meine eigene Seelenstadt, und die letzte Szene stelle die letzte Szene
  • des Lebens vor, wo das Gewissen einen plötzlich zwingt, sich selbst
  • scharf zu betrachten und vor sich selber zu erschrecken. Mir schien, als
  • sei dieser wirkliche Revisor, dessen bloße Ankündigung am Schluß der
  • Komödie solchen Schrecken hervorruft, unser wahres Gewissen, welches uns
  • an der Pforte des Grabes entgegentritt; und dieser Windbeutel
  • Chlestakóff, dieser Schelm, oder wie Sie ihn sonst nennen wollen, sei
  • unser falsches weltliches Gewissen, das, indem es sich unsern Schrecken
  • zunutze macht, unversehens die Maske des wahren annimmt und sich von
  • unseren Leidenschaften bestechen läßt, wie Chlestakóff von den Beamten,
  • um dann wie dieser spurlos zu verschwinden. Mir schien, als träte jener
  • trostlos niederdrückende Schluß, der die Zuschauer so betrübt und
  • erschüttert hat, mit der Mahnung vor mich hin, daß auch das Leben, das
  • wir gewöhnlich als eine Komödie betrachten, einen solch
  • düster-tragischen Abschluß haben könne. Mir schien, als lehre der
  • gesamte Inhalt der Komödie, daß man die Pflicht habe, zu Anfang jenen
  • Revisor zu nehmen, der uns am Schluß entgegentritt, um an seiner Hand
  • die eigene Seele genau so durchzuprüfen, wie ein gerechter Herrscher
  • sein Reich revidiert, und daß man sich ebenso gegen die eigenen
  • Leidenschaften wappnen müsse, wie sich ein solcher gegen bestechliche
  • Beamte wappnet; und zwar darum, weil jene ebenso rücksichtslos die
  • Schätze unserer Seele bestehlen, wie diese die Kassen und das Vermögen
  • des Staates. Mit dem echten Revisor soll man es tun, weil unsere
  • heuchlerischen Leidenschaften, und nicht nur sie allein, sondern jede
  • geringste alberne Gewohnheit so schlau uns beizukommen, sich so
  • geschickt vor uns zu beschönigen versteht, wie nur irgend die
  • schurkischen Beamten vor Chlestakóff, so daß man drauf und dran ist, sie
  • für Tugenden zu halten und sich der Ordnung in der eigenen Seelenstadt
  • zu rühmen, ohne auch nur im entferntesten zu argwöhnen, daß man
  • hinterher der Betrogene sein könne, gleichwie der Polizeimeister. So kam
  • es mir vor.
  • Pjotr Pjetrowitsch. Michailo Michailowitsch, all das ist schön
  • gesprochen; wo aber fanden Sie hier die Ähnlichkeit? Was für eine
  • Beziehung besteht denn zwischen Chlestakóff und dem leichtfertigen
  • weltlichen Gewissen, oder zwischen dem echten Revisor und dem echten
  • Gewissen? Nikolai Nikolajewitsch, sagen Sie mir offen: finden Sie hier
  • irgendwelche Analogie?
  • Nikolai Nikolajewitsch. Nicht die geringste.
  • Sjemjon Sjemjonowitsch. Auch ich nicht; wie weit ich auch die Augen
  • aufsperre, ich sehe nichts davon.
  • Fjodor Fjodorowitsch. Ich muß Ihnen aufrichtig gestehen, Michailo
  • Michailowitsch, obgleich der Gedanke nicht übel ist und einer
  • künstlerischen Arbeit sehr wohl als Thema dienen könnte, daß ich dennoch
  • nicht glauben kann, der Autor habe ihn im Sinn gehabt.
  • Nikolai Nikolajewitsch (bestimmt). Unsinn! er ist ihm nicht einmal
  • eingefallen!
  • Michailo Michailowitsch. Ja, habe ich denn etwa behauptet, daß der Autor
  • ihn im Sinne gehabt hat? Ich erklärte Ihnen doch vorhin schon: »Der
  • Autor gab mir den Schlüssel nicht, ich biete Ihnen dafür den meinen.«
  • Selbst wenn er diesen Gedanken gehabt hätte, würde er doch in einem
  • solchen Falle unklug gehandelt haben, wenn er ihn deutlich erkennen
  • ließe. Dann wäre die Komödie auf eine Allegorie hinausgelaufen, hätte
  • sich in eine dürre, moralisierende Predigt verwandelt. Nein, seine Sache
  • war es vielmehr, lediglich den Abscheu vor tatsächlichen Mißständen,
  • nicht solchen in einer ideellen Stadt, sondern in einer realen,
  • irdischen, zur Darstellung zu bringen, und alles Schlechte unserer
  • Heimat so zusammenzufassen, daß man es sofort als solches erkennt und
  • nicht etwa für das unvermeidliche Übel hält, welches ebenso
  • unausweichlich zwischen das Gute gemengt ist, wie die Schatten auf einem
  • Gemälde. Seine Pflicht war es, diese Schatten so schwarz zu malen, daß
  • ein jeder fühlen soll, es müsse dagegen angekämpft werden; daß den
  • Zuschauer Schrecken erfaßt und ihm der Schauder durch Mark und Bein
  • geht. Das war seine Pflicht. Unsere Pflicht aber ist es, die Moral
  • daraus zu ziehen. Wir sind Gott sei Dank keine Kinder mehr. Ich habe
  • darüber nachgesonnen, was für eine Moral ich für mich selbst daraus
  • ziehen könnte, und bin auf jene verfallen, die ich Ihnen soeben
  • mitgeteilt habe.
  • Pjotr Pjetrowitsch. Michailo Michailowitsch! Eine Komödie wird für alle
  • geschrieben; es soll jedermann die Moral daraus ziehen können, eine
  • Moral, die naheliegt und allen erreichbar ist, nicht aber so fern liegen
  • darf, daß höchstens ein ungewöhnlich begabter Mensch sie für sich allein
  • finden kann. Warum, frage ich, hat niemand außer Ihnen diese Moral
  • gefunden?
  • Nikolai Nikolajewitsch. Sehr richtig, das ist der springende Punkt!
  • Erklären Sie erst einmal, weshalb nur Sie, und nicht auch alle anderen
  • sie gefunden haben?
  • Sjemjon Sjemjonowitsch. Ja, Michailo Michailowitsch, weshalb haben Sie
  • und nur Sie allein sie gefunden?
  • Michailo Michailowitsch. Zunächst einmal: woher wissen Sie, daß nur ich
  • allein diese Moral gefunden habe? Und ferner: aus welchem Grunde halten
  • Sie sie für fernliegend? Ich meine doch, daß uns unsere Seele näher
  • liegt, als alles andere. Ich hatte damals meine eigene Seele im Sinne,
  • ich dachte an mich selbst, und darum eben zog ich diese Moral daraus.
  • Hätten auch andere vor allem an sich selbst gedacht, dann hätten auch
  • sie gewiß die gleiche Moral wie ich finden können. Dringt denn aber
  • jeder von uns so tief in das Dichterwerk ein, wie die Biene in die
  • Blüte? Um herauszusaugen, was man braucht? Nein: wir suchen in allem
  • eine Moral für andere, nicht für uns; wir sind immer dabei, die
  • Allgemeinheit zu behüten und zu bewahren, indem wir eifrigst für die
  • Moralität anderer Leute Sorge tragen -- und unsere eigene vergessen.
  • Machen wir uns doch gern über andere lustig, nicht aber über uns selbst;
  • freuen uns, die Fehler der anderen zu bemerken, nicht aber die eigenen.
  • Wie dem nun auch sein mag, schauen Sie doch aber mal hin: dreitausend
  • Menschen kommen ins Theater; alle wissen, daß sie gekommen sind, um sich
  • zu amüsieren und jeder von diesen dreitausend setzt voraus, er werde
  • Gelegenheit finden, sich über andere lustig machen zu können, nicht aber
  • über sich selbst. Die leiseste Andeutung, daß er selber vielleicht gar
  • dem ähnele, über den er lachte, kann ihn erzürnen und er würde sofort
  • wütend wiederholen: »habe ich denn eine Fratze?«
  • Sjemjon Sjemjonowitsch. Michailo Michailowitsch, in diesem Sinne meine
  • ich das nicht ...
  • Michailo Michailowitsch (ihn unterbrechend). Gestatten Sie, Sjemjon
  • Sjemjonowitsch! Sie, ein ehrenwerter Mann, mit echt russischem Herzen,
  • ein Mensch, der mit wahrhaft christlichem Auge das Leben betrachtet, --
  • warum sprechen Sie aus, was Ihrer eigenen Denkungsart widerstreitet? Vor
  • allem, warum vergessen Sie jedesmal, daß das Thema der Komödie und
  • überhaupt der Satire nicht das Tüchtige, sondern das Verächtliche im
  • Menschen ist? Daß, je schwärzer sie das Laster schildert und je stärker
  • sie den Zuschauer erbeben und vor ihm schaudern macht, sie desto
  • vollkommener ihren Zweck erreicht? Warum vergessen Sie das jedesmal und
  • weisen der Satire Motive zu, die vielmehr dem Bereiche der Tragödie
  • gehören? Warum betrachten Sie nicht auch das Werk des Schriftstellers
  • mit dem Auge des Christen? Nein, wer eine Moral haben will, wird sie für
  • sich selbst auch finden; wer in seine eigene Seele schaut, wird von
  • überallher nehmen, was er braucht: wird auch in dieser realen Stadt
  • seine eigene Seelenstadt erkennen, wird erkennen, daß man sich mit aller
  • Kraft gegen die Heuchelei wappnen muß. Nein, lassen Sie die Satire
  • unbehelligt, sie tut ihre Schuldigkeit. Das Laster darf nirgendwo
  • geschont werden, mag es zu Tage treten, wo es wolle. Wenn Sie aber schon
  • christlich handeln wollen, dann beziehen Sie die Satire auf sich selbst,
  • wenden Sie die Komödie auf sich selbst an, ehe Sie eine Beziehung auf
  • die Allgemeinheit darin suchen. Will man wahrhaft christlich handeln,
  • dann ist es Pflicht, jede Dichtung, in der das Laster gegeißelt wird,
  • auf sich selbst zu beziehen, gleich als wäre Sie bloß unsertwegen
  • verfaßt. Sie wissen es ja doch, daß wir keinen Fehler an anderen
  • entdecken können, den wir nicht wenigstens als Reflex auch selber
  • besäßen, -- in geringerem Maßstabe, anders geartet, in anderer
  • Verkleidung, anständiger, liebenswürdiger und verbrämter als
  • Chlestakoff. Einerlei was man sucht, wenn man in seine Seele nur mit
  • jenem unbestechlichen Revisor hineinschaut, der unser an der Pforte des
  • Grabes harrt! Wir wissen das sehr wohl, wollen es aber nicht wissen!
  • Tagtäglich gestehen wir uns ein, daß unser Inneres von Leidenschaften
  • wimmelt, aber austreiben wollen wir sie nicht. Und haben doch eine
  • Peitsche in der Hand, um sie austreiben zu können.
  • Sjemjon Sjemjonowitsch. Eine Peitsche? Welche Peitsche denn?
  • Michailo Michailowitsch. Ist das Lachen etwa keine Peitsche? Oder meinen
  • Sie, es wäre uns umsonst geschenkt, während doch selbst der verworfenste
  • Mensch sich davor fürchtet? Fürchtet sich doch sogar derjenige davor,
  • der sich sonst vor nichts fürchtet! Also ist es uns zu einem wichtigen
  • Zwecke geschenkt. Und wozu? Meinen Sie etwa, um uns in oberflächlicher
  • Weise zu amüsieren? Haben wir es aber zu dem Zwecke erhalten, um damit
  • alles zu geißeln, was die edleren Eigenschaften des Menschen befleckt,
  • warum geißeln wir dann nicht zuerst einmal das, was unsere eigene Seele
  • verunziert? Warum verwenden wir es nicht gegen das eigene Innere,
  • treiben nicht aus dem eigenen Lande die eigenen Schurken hinaus? Warum
  • soll die leise Andeutung, daß wir über uns selbst lachen, uns Ärger
  • verursachen? Sei dem wie ihm wolle, aber jede unserer Leidenschaften,
  • jede unserer schlechten Gewohnheiten will immer eine möglichst vornehme
  • Rolle spielen und äußerlich vornehm scheinen, und schleicht sich
  • lediglich unter dieser Maske in unsere Seele ein, die, weil von edlerer
  • Natur, jene in ihrer schmutzigen Nacktheit sonst zurückweisen würde.
  • Aber glauben Sie mir, würden wir sie vor uns selbst dem Lachen
  • preisgeben und so schonungslos geißeln, daß man selber vor Scham erglüht
  • und nicht weiß, wo man sein Antlitz verbergen soll, -- sie würde nicht
  • wagen, sich in unserer Seele einzunisten, und würde spurlos
  • verschwinden.
  • Sjemjon Sjemjonowitsch. In der Tat, Ihre Worte geben zu denken. Sie
  • glauben also, die Anwendung des Lachens auf sich selbst, gegen die
  • eigene Person, sei möglich?
  • Pjotr Pjetrowitsch. Ich bin der Meinung, daß das bloß derjenige vermag,
  • der den Adel der menschlichen Natur fühlt und Schauder vor seinen
  • eigenen Fehlern empfindet.
  • Michailo Michailowitsch. Und ich meinerseits bin überzeugt, daß, wer nur
  • ein echt russisches Herz besitzt, es ganz leicht kann. Ein jeder von uns
  • besitzt ja doch dies Lachen; ein gewisser schonungsloser Sarkasmus ist
  • selbst unter unseren niederen Volksschichten verbreitet. Auch besitzen
  • wir den Mut, aus uns herauszugehen und uns selbst nicht zu schonen. Und
  • gerade deshalb ist es vielleicht uns allein möglich, dem Lachen seine
  • ihm gebührende Richtung zu geben. Widerlegen Sie mich, beweisen Sie mir,
  • daß ich lüge; vernichten Sie, zerstören Sie meine Überzeugung, und
  • vernichten Sie zugleich mich selber, den armseligen Possenreißer, der
  • für diese Überzeugung lebt, die er an seinem eigenen Leibe erprobt hat.
  • Sjemjon Sjemjonowitsch, fließt nicht in meinen Adern das gleiche
  • russische Blut wie in den Ihren? Fühle ich in meinen erhabensten
  • Momenten etwas anderes, als Sie in solchen zu fühlen fähig sind? Stehe
  • ich nicht gerade jetzt in meinem erhabensten Momente vor Ihnen? Meine
  • Laufbahn ist beendet; ich verlasse das Theater, dem ich zwanzig Jahre
  • lang gedient habe. Sie selber haben mich mit dem Kranz geschmückt, haben
  • mich in Wallung gebracht. Sie selber haben mich fast gezwungen zu sagen,
  • was ich eben gesagt habe. Sehen Sie her: ich weine. Ich, der Komiker,
  • der Sie noch eben belustigte, ich weine nun. Gönnen Sie mir das
  • Bewußtsein, daß auch mein Lebensweg so ehrenhaft war, wie der eines
  • jeden von Ihnen; daß auch ich meinem Vaterlande treu gedient habe, daß
  • ich kein alberner Possenreißer, sondern ein ehrlicher Beamter des großen
  • Gottesreiches war, und in Ihnen nicht etwa das törichte Lachen erweckt
  • habe, womit ein Mensch den anderen verspottet, sondern jenes Lachen,
  • welches aus der Nächstenliebe quillt. Nikolai Nikolajewitsch, Fjodor
  • Fjodorowitsch, Sjemjon Sjemjonowitsch, und ihr andern Kameraden alle,
  • mit denen ich Stunden der Arbeit und Stunden lehrreicher Aussprache
  • geteilt, von denen ich vieles gelernt habe und von denen ich jetzt mich
  • trenne, -- Freunde! Das Publikum liebte mein Talent, ihr aber liebtet
  • mich selber! Entreißt, wenn ich nicht mehr da bin, entreißt dieses
  • Lachen denjenigen, die es herabgewürdigt haben zu einem Gespött über
  • alles, ohne Unterschied zwischen Gut und Böse! Ich sage euch: glaubt
  • diesen meinen Worten ... Es ist edel, es ist ehrenhaft, dieses Lachen.
  • Es ist uns ausdrücklich darum geschenkt, damit wir über uns selbst,
  • nicht über unsern Nächsten lachen sollen. Und wer nicht den Mut hat,
  • über seine eigenen Fehler zu lachen, der sollte besser überhaupt nicht
  • lachen! ... Er wird einst dafür Rechenschaft geben müssen! ...
  • Eine Heiratsgeschichte
  • Eine ganz unwahrscheinliche Begebenheit in zwei Aufzügen
  • 1833
  • Deutsch von Carl Ritter und André Villard
  • Den Bühnen gegenüber als Manuskript gedruckt
  • Personen.
  • Agathe Tichonowna, eine heiratslustige Kaufmannstochter.
  • Arina Panteleimonowna, ihre Tante.
  • Thekla Iwanowna, eine Heiratsvermittlerin.
  • Podkoliessin, Beamter -- Hofrat.
  • Kotschkarjow, sein Freund.
  • Iwan Pawlowitsch Eierkuchen, Exekutor.
  • Anutschkin, Infanterie-Leutnant a. D.
  • Schewakin, Leutnant zur See.
  • Dunjaschka, das Dienstmädchen.
  • Starikow, ein Kaufmann.
  • Stepan, Podkoliessins Diener.
  • Erster Aufzug
  • (Zimmer eines Junggesellen.)
  • 1. Auftritt
  • Podkoliessin.
  • Podkoliessin (liegt allein auf dem Sofa und raucht eine Pfeife). Ja,
  • wenn man so allein auf dem Sofa liegt und nachdenkt, dann merkt man erst
  • recht, daß es so nicht weiter geht ..... Man muß heiraten! ... Wirklich,
  • da lebt man so dahin, bis einem schließlich die ganze Geschichte zum
  • Halse raushängt. Nun habe ich auch wieder die Fastenzeit
  • vorüberstreichen lassen, und doch ist alles fix und fertig! Es sind ja
  • bald drei Monate, daß mir die Heiratsvermittlerin das Haus einläuft.
  • Wahrhaftig, man muß sich bald vor sich selber schämen ... He, Stepan!
  • 2. Auftritt
  • Podkoliessin und Stepan.
  • Podkoliessin. War die Heiratsvermittlerin nicht da?
  • Stepan. Nein.
  • Podkoliessin. Und bist du beim Schneider gewesen?
  • Stepan. Jawohl.
  • Podkoliessin. Wie ist's, arbeitet er an meinem Frack?
  • Stepan. Jawohl.
  • Podkoliessin. Ist er bald fertig?
  • Stepan. Ja, nun wird's wohl nicht mehr lange dauern. Er ist schon bei
  • den Knopflöchern.
  • Podkoliessin. Was? ... Was hast du gesagt? ...
  • Stepan. Ich sage, er ist schon bei den Knopflöchern!
  • Podkoliessin. Sag mal, hat er denn gar nicht gefragt, wozu dein Herr den
  • Frack braucht? ...
  • Stepan. Nein, danach hat er nicht gefragt.
  • Podkoliessin. Oder hat er vielleicht nur gesagt: »Dein Herr will wohl
  • heiraten?« ...
  • Stepan. Nein, darüber hat er auch nichts gesagt.
  • Podkoliessin. Aber du hast doch bei ihm auch andere Fräcke hängen sehen?
  • Er arbeitet doch auch für andre Leute.
  • Stepan. Ja, es liegen viele Fräcke bei ihm herum.
  • Podkoliessin. Nun sag mal, mein Stoff ist wohl etwas besser als bei den
  • übrigen, was? ...
  • Stepan. Ja, etwas feiner wird er schon sein.
  • Podkoliessin. Was sagst du? ...
  • Stepan. Ich sage, etwas feiner wird er schon sein.
  • Podkoliessin. Gut, ... schön! ... Aber hat er denn nicht gefragt, warum
  • dein Herr so feinen Stoff zu seinem Frack nimmt?
  • Stepan. Nein!
  • Podkoliessin. Also vom Heiraten hat er nicht gesprochen?
  • Stepan. Nein, davon hat er nichts gesagt.
  • Podkoliessin. Aber hast du ihm auch meinen Rang und Titel genannt und
  • gesagt, wo ich diene? ...
  • Stepan. Gewiß, gnädiger Herr!
  • Podkoliessin. Nun, und er? ...
  • Stepan. ... hat gesagt: »Schön, ich werde mir Mühe geben!«
  • Podkoliessin. Gut, du kannst gehen.
  • (Stepan geht ab.)
  • 3. Auftritt
  • Podkoliessin (allein).
  • Podkoliessin. Ja, ich bin nun mal der Ansicht, ein schwarzer Frack ist
  • doch solider. Die bunten, ... die passen mehr für Sekretäre, Titularräte
  • und solch ein Volk. Das ist was für Grünschnäbel. Ein Mann von höherem
  • Rang, muß eben das ... das ... ja, wie soll man gleich sagen ... eh,
  • jetzt habe ich dies Wort vergessen ... es war ein so schönes Wort, und
  • ich hab's vergessen ... Ja, mein Bester, dreh und wende dich, wie du
  • willst: ... ein Hofrat steht im Grunde genommen nicht hinter einem
  • Oberst zurück; es sei grade, daß er keine Epauletten trägt ... He,
  • Stepan!
  • 4. Auftritt
  • Podkoliessin und Stepan.
  • Podkoliessin. Hast du die Stiefelwichse gekauft?
  • Stepan. Jawohl.
  • Podkoliessin. Wo? ... In dem Laden, von dem ich dir gesprochen habe? Auf
  • dem Wosnissenski Prospekt?
  • Stepan. Ja, in dem Laden.
  • Podkoliessin. Und ist die Wichse gut?
  • Stepan. Ja, sehr gut.
  • Podkoliessin. Hast du schon probiert, die Stiefel damit zu putzen?
  • Stepan. Jawohl.
  • Podkoliessin. Nun, und glänzen sie schön?
  • Stepan. Ja, glänzen tun sie mächtig!
  • Podkoliessin. Und sag: wie du die Wichse bei ihm kauftest, hat er da
  • nicht gefragt, wozu dein Herr so feine Stiefelwichse braucht?
  • Stepan. Nein.
  • Podkoliessin. Hat er nicht gefragt: dein Herr will am Ende gar heiraten?
  • Stepan. Nein, er hat nichts gesagt.
  • Podkoliessin. So? ... Na, es ist gut ... geh nur! (Stepan geht ab.)
  • 5. Auftritt
  • Podkoliessin (allein).
  • Podkoliessin. Wenn man so denkt: was sind ein Paar Stiefel? Eine höchst
  • gleichgültige Sache! Und doch, wenn sie schlecht genäht sind und die
  • Wichse stumpf bleibt, so begegnet man dir in der vornehmen Welt schon
  • nicht mehr mit der gleichen Achtung. Es fehlt was, es ist nicht mehr das
  • Richtige. Und was noch sehr unangenehm ist, das sind Hühneraugen. Alles
  • kann ich ertragen, bei Gott, nur keine Hühneraugen .... He, Stepan!
  • 6. Auftritt
  • Podkoliessin und Stepan.
  • Stepan. Der Herr wünschen?
  • Podkoliessin. Hast du dem Schuster auch gesagt, er solle die Stiefel so
  • machen, daß ich keine Hühneraugen bekomme?
  • Stepan. Jawohl.
  • Podkoliessin. Und was sagt er?
  • Stepan. Er hat gesagt: Gut! (Stepan geht ab.)
  • 7. Auftritt
  • Podkoliessin allein, später Stepan.
  • Podkoliessin. 's ist doch 'ne verdammte Plackerei, das Heiraten! Hol's
  • der Teufel! Erst dies und dann das und dann wieder jenes. Alles will
  • überdacht und geordnet sein, Teufel nochmal! Das ist nicht so leicht,
  • wie man zu sagen pflegt ... He, Stepan! (Stepan kommt herein.) Ich
  • wollte dir noch sagen ...
  • Stepan. Die Alte ist da.
  • Podkoliessin. So, ist sie da? Sag ihr, sie soll mal reinkommen. (Stepan
  • geht.)
  • Podkoliessin. Ja, das ist so 'ne Sache. Die ist gar nicht so ohne. Eine
  • höchst komplizierte Geschichte das!
  • 8. Auftritt
  • Podkoliessin und Thekla.
  • Podkoliessin. Ah, guten Tag! ... Guten Tag, Thekla Iwanowna! Nun was
  • gibts, wie sieht's aus ... Nehmen Sie einen Stuhl! Setzen Sie sich nur
  • und erzählen Sie. Nun, also, wie steht's? Wie heißt sie doch gleich?
  • Melanie? ...
  • Thekla. Nicht doch, Agathe Tichonowna.
  • Podkoliessin. Richtig, Agathe Tichonowna. Wohl so 'ne vierzigjährige
  • Jungfrau, was?
  • Thekla. Aber nicht doch, davon ist keine Rede. Das heißt, -- heiraten
  • Sie bloß. Jeden Tag werden Sie mich loben und mir danken.
  • Podkoliessin. Ach was, du schwindelst ja, Thekla Iwanowna!
  • Thekla. Ich bin schon zu alt, um noch zu lügen, Väterchen. Das überlaß
  • ich den Hundesöhnen.
  • Podkoliessin. Und wie steht's mit der Mitgift? ... Erzähl mir's doch
  • noch einmal.
  • Thekla. Gott, sie bekommt ein steinernes Haus mit, ein zweistöckiges, im
  • Moskauer Viertel. Das rentiert sich, sage ich Ihnen, na, Sie werden Ihre
  • reinste Freude daran haben. Für den Laden allein zahlt ein Kaufmann
  • siebenhundert Rubel ... Eine Schenke ist darin, die ist überhaupt immer
  • voll. Dazu hat's zwei hölzerne Seitenflügel; der eine, der ist ganz aus
  • Holz, und der andere hat ein steinernes Fundament. Jeder für sich bringt
  • jährlich vierhundert Rubel. Und dann gehört ihr noch ein Gemüsegarten
  • auf der Wiborger Seite. Vorvoriges Jahr, da hat ihn ein Kaufmann
  • gepachtet, um Kohl darin zu pflanzen, ich sage Ihnen, ein braver,
  • nüchterner Mann, der nie einen Tropfen Schnaps in den Mund nimmt. Er ist
  • Vater von drei Söhnen. Zwei davon hat er schon verheiratet. »Mein
  • dritter aber«, sagte er, »ist noch zu jung. Der kann ruhig ein bißchen
  • im Laden sitzen und für das Geschäft sorgen. Ich bin schon zu alt,« sagt
  • er, »jetzt mag mein Sohn für mich im Laden sitzen, damit das Geschäft
  • besser geht.«
  • Podkoliessin. Schön, schön; aber wie sieht sie denn aus? Ist sie denn
  • hübsch? ...
  • Thekla. Ach, der reinste Milchzucker! Weiße Haut, rote Backen,
  • überhaupt: Milch und Blut. Oh, sie ist so reizend, ich kann's gar nicht
  • sagen, wie reizend. Also, Sie werden zufrieden sein. Bis dahinauf (zeigt
  • auf den Hals). Das heißt, zu Freund und Feind werden Sie sagen: ...
  • »Diese Thekla Iwanowna, bei der muß ich mich aber bedanken!«
  • Podkoliessin. Aber sie ist doch nicht einmal Hauptmannstochter.
  • Thekla. Ihr Vater war Kaufmann dritter Gilde. Ich sage Ihnen, ein
  • General brauchte sich ihrer nicht zu schämen. Von einem Kaufmann will
  • die gar nichts hören. »Mein Mann mag aussehen wie er will,« sagt sie,
  • »und wenn er äußerlich auch noch so unansehnlich ist; wenn er nur den
  • Adel hat.« Einfach ein Bonbon, sage ich Ihnen. Und wenn sie des Sonntags
  • ihr seidenes Kleid anzieht, Jesus, wie sie dann einherrauscht ....
  • gradezu 'ne Gräfin.
  • Podkoliessin. Aber Sie begreifen doch, warum ich danach frage. Ich bin
  • doch Hofrat. Und da muß ich doch ein ... ein ... na, Sie verstehen mich
  • schon.
  • Thekla. Natürlich, das ist doch klar. Was sollte dabei nicht zu
  • verstehen sein? Es war auch schon 'n Hofrat da. Wir haben ihn aber
  • abgewiesen, weil er uns nicht gefallen hat. Er hatte aber auch gar zu
  • merkwürdige Manieren. Jedes Wort, das er sprach, war gelogen. Und dabei
  • war es doch ein ganz stattlicher Mann. Ja, was ist da zu machen? ...
  • Gott hat ihn nun mal so geschaffen! Er ärgerte sich selbst darüber. Aber
  • es war ihm einfach unmöglich, das Lügen zu lassen. Es war halt Gottes
  • Wille.
  • Podkoliessin. Nun, und außer dieser? Können Sie mir keine anderen
  • Vorschläge machen? ...
  • Thekla. Was wollen Sie denn noch für welche? ... Eine Schönere können
  • Sie sich ja gar nicht wünschen.
  • Podkoliessin. Als wenn's überhaupt keine Schönere gäbe!
  • Thekla. Suchen Sie auf der ganzen Welt, Sie finden keine.
  • Podkoliessin. Na schön, ich will's mir überlegen, Mütterchen! Also
  • kommen Sie übermorgen wieder. Dann wollen wir die Sache noch einmal
  • durchsprechen. Wissen Sie, so wie heute. Ich liege auf dem Sofa, und Sie
  • erzählen mir.
  • Thekla. Ach, mein Gott, jetzt komme ich doch schon den dritten Monat Tag
  • für Tag zu Ihnen hergelaufen und doch kommt nichts dabei heraus: immer
  • sitzen Sie im Schlafrock da und rauchen.
  • Podkoliessin. Sie denken sich wohl, heiraten das ist so, als ob ich zu
  • meinem Diener sage: »He Stepan, bring mir mal die Stiefel her! Zieh sie
  • mir an und los!« Das will doch überlegt, durchdacht sein.
  • Thekla. Na, wie Sie wollen! Wollen Sie sich die Sache erst ansehen, ....
  • meinetwegen! Dies Recht steht Ihnen bei jeder Ware zu. Lassen Sie sich
  • doch den Mantel bringen, ... es ist ja noch früh, ... und fahren Sie
  • hin!
  • Podkoliessin. Wie jetzt? ... Sehen Sie doch, wie trübe es draußen ist.
  • Wenn es nun anfängt, zu regnen, und ich bin gerade unterwegs ...
  • Thekla. Es ist ja nur Ihr eigener Schaden! Sie fangen ja schon an, graue
  • Haare zu bekommen. Bald taugen Sie überhaupt nicht mehr zum Ehemann.
  • Auch was Besonderes ... Hofrat! Wir haben noch ganz andere Freier wie
  • Sie!
  • Podkoliessin. Was für dummes Zeug schwatzen Sie da! Was fällt Ihnen nur
  • plötzlich ein, zu behaupten, ich hätt' graue Haare? Wo sollen die denn
  • sein? ... (Zupft an seinen Haaren.)
  • Thekla. Und warum sollen Sie keine grauen Haare haben? ... So ist es nun
  • einmal im Leben. Sie sind mir auch einer! Die gefällt ihm nicht, und
  • jene paßt ihm nicht. Ich habe einen Kapitän an der Hand, dem reichen Sie
  • nicht an die Schulter. Der hat 'ne Stimme! ... Wie 'ne Trompete. Er
  • dient in der Admiralität.
  • Podkoliessin. Nein, das lügst du! Ich will doch mal in den Spiegel
  • sehen. Wo hast du nur ein graues Haar gefunden? ... He, Stepan, bring
  • mir mal den Spiegel her! Oder nein, warte, ich werde ihn mir schon
  • selber holen. Graue Haare! das fehlte mir gerade noch. Gott behüte! Das
  • ist ja schlimmer als die Pocken. (Er geht in das nächste Zimmer.)
  • 9. Auftritt
  • (Kotschkarjow kommt hereingelaufen.) Thekla und Kotschkarjow.
  • Kotschkarjow. Nun, Podkoliessin, wo steckst du denn? (Erblickt Thekla.)
  • Nanu, wie kommst du hierher? ... Na, warte nur! Sag, bei allen Teufeln,
  • wozu hast du mich bloß verheiratet? ..
  • Thekla. Nun, ist das denn so schlimm? Du hast eben deine Pflicht getan.
  • Kotschkarjow. Pflicht getan! Eine Frau genommen; auch was Besonderes.
  • Als wenn ich nicht ohne Frau ausgekommen wäre.
  • Thekla. Du warst ja gar nicht loszuwerden. »Schaff mir 'ne Frau,
  • Mütterchen, schaff mir 'ne Frau!«
  • Kotschkarjow. Ach, du alte Ratte du! Was aber suchst du bloß hier? Oder
  • sollte gar der Podkoliessin?
  • Thekla. Warum denn nicht ... Mit Gottes Hilfe! ..
  • Kotschkarjow. Wirklich? Nein, solch ein Lump! Und erzählt mir kein
  • Sterbenswörtchen davon. So ein Kerl! Macht's ganz im geheimen. Wie? ..
  • Was? ..
  • 10. Auftritt
  • Die Vorigen und Podkoliessin mit einem Spiegel in der Hand, in
  • dem er sich aufmerksam betrachtet.
  • Kotschkarjow (kommt herangeschlichen und erschreckt ihn). Puff!
  • Podkoliessin (schreit auf und läßt den Spiegel fallen, der zerbricht).
  • Du? Du bist wohl verrückt geworden? .. Was für einen Sinn hat das nur?
  • .. Wozu diese Dummheiten? .. Wahrhaftig, ich bin so erschrocken, daß ich
  • gar nicht weiß, wo ich bin.
  • Kotschkarjow. Ach, reg dich nicht auf ... es war doch nur ein Spaß!
  • Podkoliessin. Ein schöner Spaß! Ich kann mich bis jetzt nicht vom
  • Schreck erholen. Und der Spiegel ist zerbrochen. Das war doch kein
  • billiges Stück. Den hab' ich in einem englischen Laden gekauft.
  • Kotschkarjow. Nun, nun, sei friedlich! Ich werde dir einen andern
  • Spiegel kaufen.
  • Podkoliessin. Ja, ja, ich weiß schon. Ich kenne diese andern Spiegel
  • schon. In denen sieht man um zehn Jahre älter aus. Die ganze Fratze wird
  • einem schief darin.
  • Kotschkarjow. Ich hätte viel mehr Grund, mich über _dich_ zu ärgern. Ich
  • bin doch dein Freund, und du verheimlichst mir alles. Du willst dich
  • verheiraten!
  • Podkoliessin. Ach, Unsinn. Wer denkt denn daran.
  • Kotschkarjow. Bitte, hier steht der Beweis. (Zeigt auf Thekla.) Man weiß
  • schon, was das für ein Vogel ist. Nun, nun, das schadet ja nichts. Das
  • ist doch kein Verbrechen! Ein ganz christliches Werk, sogar ein
  • patriotisches Werk! Doch, laß mich nur machen! Ich nehme alles auf mich.
  • (Zu Thekla.) Also, nun los, erzähle. Wie, wo, was. Ist es 'ne Adlige,
  • eine aus dem Beamten- oder Kaufmannsstande und, vor allem, -- wie heißt
  • sie?
  • Thekla. Agathe Tichonowna heißt sie.
  • Kotschkarjow. Aha, Agathe Tichonowna Brandachlistowa!
  • Thekla. Nein, Kuperdjagina.
  • Kotschkarjow. Na ja, und wohnt in der Schestilawotschnaja.
  • Thekla. Nicht doch, in der Nähe von Peßki wohnt sie. In der
  • Müllnijgasse.
  • Kotschkarjow. Natürlich, in der Müllnijgasse, gleich hinter dem
  • Kramladen. In dem hölzernen Haus.
  • Thekla. Nein, nicht hinter dem Kramladen; hinter der Schenke.
  • Kotschkarjow. Wieso hinter der Schenke? ... Das versteh ich nicht.
  • Thekla. Wenn du in die Gasse einbiegst, so kommst du gleich an einem
  • Häuschen vorbei. Gleich hinter dem Häuschen mußt du nach links
  • einbiegen. Dann siehst du das hölzerne Haus vor dir, in dem die Näherin
  • wohnt, ... die, die früher mit dem Obersekretär des Senats
  • zusammengelebt hat. An der Näherin also mußt du vorübergehen: du läßt
  • sie hinter dir. Aber sofort danach, das steinerne Haus, das gehört
  • _ihr_. Das heißt, da wohnt sie: Agathe Tichonowna, die Braut.
  • Kotschkarjow. Gut, gut. Ich werde schon Alles besorgen. Jetzt kannst du
  • abziehen. Wir brauchen dich nicht mehr.
  • Thekla. Was, du willst doch nicht, .... du kriegst doch keine Heirat
  • zustande!
  • Kotschkarjow. Selbstverständlich! Ich besorge das ganz allein. Du
  • brauchst dich um nichts mehr zu kümmern.
  • Thekla. Pfui, schäme dich. Das ist doch kein Beruf für Männer. Lassen
  • Sie die Hand davon, Väterchen! Ich bitte Sie!
  • Kotschkarjow. Geh, geh nur. Was verstehst denn du davon? Schuster, bleib
  • bei deinen Leisten. Los, Abfahrt!
  • Thekla. Was? Du willst den Leuten das Brot wegnehmen? Wart, du alter
  • Sünder. Mischt sich in diese Angelegenheit. Wenn ich das gewußt hätte!
  • Kein Wort wäre über meine Lippen gekommen! (Läuft wütend hinaus.)
  • 11. Auftritt
  • Kotschkarjow und Podkoliessin.
  • Kotschkarjow. Hör mal, lieber Freund, eine solche Sache läßt durchaus
  • keinen Aufschub zu. Also komm, fahren wir.
  • Podkoliessin. Was fällt dir ein? Ich bin ja noch garnicht ... Ich
  • überlege es mir doch erst!
  • Kotschkarjow. Ach was, Torheiten. Sei doch nicht so schüchtern. Ich
  • werde dich schon verheiraten ... Du sollst es selbst nicht merken. Also
  • komm, wir fahren gleich zur Braut, und du siehst sofort, wie die Sache
  • steht.
  • Podkoliessin. Was redest du da? ... Wir können doch nicht gleich
  • hinfahren.
  • Kotschkarjow. Warum denn nicht? ... Ich bitte dich, woran fehlt's denn
  • noch? ... Sieh selbst an, jetzt bist du unverheiratet. Und wie lebst du?
  • Guck dich doch nur mal im Zimmer um, ... wie sieht es denn hier aus? ...
  • Dort liegt ein ungeputzter Stiefel, da steht das Waschbecken. Hier, auf
  • dem Tisch treibt sich ein Haufen Tabak herum; und du selbst liegst
  • beständig auf der Bärenhaut und faulenzt.
  • Podkoliessin. Das ist wahr. Wie unordentlich es bei mir zugeht, das weiß
  • _ich_ am allerbesten.
  • Kotschkarjow. Na, und nun denk mal, wenn du erst eine Frau haben wirst.
  • Du wirst dich selbst nicht wiedererkennen. Dort wird ein Sofa stehen,
  • dazu ein kleines Hündchen ... ein Zeisig oder sonst was im Käfig ...
  • hier Häkeleien ... Und nun stell dir vor, du sitzt auf dem Sofa und
  • plötzlich setzt sich dein Weibchen an deine Seite ... so ein reizendes
  • Frauchen, und streichelt dich mit ihren Händchen.
  • Podkoliessin. Teufel, ja, wenn ich denke, was für reizende Händchen es
  • in der Welt gibt. Weißt du, Freund, so weiß wie Milch ...
  • Kotschkarjow. Ach was, als ob sie bloß Händchen hätten. Die haben noch
  • ganz was anderes! ... Doch wozu noch viele Worte machen; ... weiß der
  • Teufel, was die nicht alles haben.
  • Podkoliessin. Ich muß sagen, wenn ich ehrlich sein soll, ich habe es
  • ganz gern, wenn solch hübsches Mädel neben mir sitzt.
  • Kotschkarjow. Aha, siehst du, du bist also selbst auf den Geschmack
  • gekommen! Jetzt laß mich nur machen. Du brauchst dich um nichts mehr zu
  • kümmern. Das Verlobungs-Essen und alles, was drum und dran hängt das
  • besorge ich ganz allein. Was den Champagner betrifft -- unter einem
  • Dutzend läßt sich gar nicht erst anfangen. Da magst du nun reden, was du
  • willst. Dazu kommt dann noch ein halbes Dutzend Madeira, -- unbedingt.
  • Die Braut hat sicherlich einen ganzen Haufen von Tanten und Basen, die
  • lieben nämlich nicht zu scherzen. Na, und den Rheinwein, ach was, hol'
  • ihn der Teufel, auf den verzichten wir, nicht? Und dann das Essen, --
  • weißt du, -- da habe ich einen Hoftraiteur, der Kerl liefert dir ein
  • Diner, nach dem stehst du überhaupt nicht mehr auf.
  • Podkoliessin. Hör mal, du legst dich aber gleich ganz gehörig ins Zeug.
  • Das ist ja beinahe, als ob schon heute abend die Hochzeit wäre.
  • Kotschkarjow. Gewiß! Warum denn nicht? ... Wozu sollen wir es denn
  • aufschieben? Du bist doch mit allem einverstanden.
  • Podkoliessin. Ich? Nein, mein Bester, ich bin noch durchaus nicht
  • einverstanden.
  • Kotschkarjow. Da haben wir's. Soeben hast du doch erklärt, du wolltest
  • gerne heiraten!
  • Podkoliessin. Ich meinte doch nur, es wäre nicht schlecht ...
  • Kotschkarjow. Wie, aber wir haben doch ... die ... ganze Sache schon
  • vollständig ... Ja, wie? Gefällt dir denn das Eheleben nicht, was?
  • Podkoliessin. Gewiß gefällt es mir! ...
  • Kotschkarjow. Na also, woran fehlt's denn noch?
  • Podkoliessin. An nichts; es ist alles nur so sonderbar.
  • Kotschkarjow. Was ist sonderbar?
  • Podkoliessin. Du wirst doch zugeben, daß es merkwürdig ist: da war man
  • so lange unverheiratet, und dann soll man plötzlich Ehemann sein.
  • Kotschkarjow. Nein, hör mal, schämst du dich denn nicht? Nein, ich sehe
  • wirklich, mit dir muß man ernst reden! Also, ich will ganz aufrichtig
  • gegen dich sein, wie ein Vater zu seinem Sohne. Betrachte dich doch nur
  • einmal genau, so wie du jetzt mich ansiehst; ... was stellst du
  • eigentlich vor? Ein Klotz bist du, ohne alle tiefere Bedeutung. Na, und
  • wozu lebst du eigentlich? Guck doch bloß mal in den Spiegel! Na, was
  • siehst du da? ... Ein dummes Gesicht, und weiter nichts. Statt dessen,
  • überlege dir doch nur, wie dann die kleinen Kinderchen um dich
  • herumhüpfen werden. Nicht etwa zwei oder drei, nein, gleich ein halbes
  • Dutzend. Und alle gleichen dem Vater, wie ein Tropfen Wasser dem andern.
  • Jetzt bist du allein, bist Hofrat, Expeditor, oder irgendein Direktor
  • irgendeines Departements und weiß Gott, was sonst noch. Und nun stell
  • dir erst mal vor, was dann sein wird. Alle die kleinen Expeditorchen um
  • dich herum, diese kleinen Spitzbuben, und wenn dann solch ein kleiner
  • Wildfang die Hände ausstreckt und dir im Bart zu krauen beginnt, und du
  • dazwischen wie ein Hund bellen mußt: Wau, wau, wau ... na, nun sag
  • selbst, kann es etwas Hübscheres geben? ...
  • Podkoliessin. Aber, wenn sie nur nicht solche Schelme wären. Sie werden
  • mir nur alles zerreißen und meine Papiere durcheinanderbringen.
  • Kotschkarjow. Laß sie doch. Dafür werden sie dir alle ähnlich sehen; das
  • ist eben der Witz.
  • Podkoliessin. Ja, es hat wirklich etwas Komisches, weiß der Teufel. So'n
  • kleiner Windbeutel, so ein junger, täppischer Hund, und ist dir schon
  • wie aus dem Gesicht geschnitten.
  • Kotschkarjow. Natürlich, gewiß ist es komisch. Na also, dann fahren wir.
  • Podkoliessin. Also ... gut, meinetwegen!
  • Kotschkarjow. He, Stepan, hilf deinem Herrn beim Anziehen.
  • Podkoliessin (kleidet sich vor dem Spiegel an). Ich denke, vielleicht
  • sollte ich lieber eine weiße Weste nehmen?
  • Kotschkarjow. Ach was, Unsinn, es kommt ja nicht so genau drauf an.
  • Podkoliessin (legt sich den Kragen um). Die verdammte Wäscherin. Hat
  • schon wieder den Kragen so schlecht gestärkt; er will absolut nicht
  • stehen. Stepan, sag ihr, wenn sie die Wäsche noch einmal so schlecht
  • plättet, dann schicke ich nach einer andern. So ein dummes Weib!
  • Wahrscheinlich sitzt sie den ganzen Tag mit ihren Liebsten zusammen,
  • anstatt zu plätten.
  • Kotschkarjow. Beeil dich ein bißchen, lieber Freund, was trödelst du
  • denn so lange herum.
  • Podkoliessin. Gleich, gleich! (Zieht den Frack an und setzt sich.) Hör
  • mal, Ilja Fomitsch, weißt du was: Fahr du doch lieber alleine!
  • Kotschkarjow. Was fällt dir ein! Hast du plötzlich den Verstand
  • verloren? Ich soll fahren? .. Wer von uns will sich denn eigentlich
  • verheiraten? .. Du oder ich? ...
  • Podkoliessin. Wirklich, ich habe keine rechte Lust. Fahren wir lieber
  • morgen.
  • Kotschkarjow. Na, hast du bloß einen Funken Verstand? .. Bist du nicht
  • ein Trottel? .. Ist schon ganz fertig und plötzlich will er nicht mehr.
  • Nein, sag selbst, bist du nicht ein Schwein? .. Bist du nicht ein Lump,
  • nach alledem? ...
  • Podkoliessin. Wozu schimpfst du? ... Was soll das? ... Habe ich dir denn
  • was zuleide getan?
  • Kotschkarjow. Ein Esel bist du, ein altes Schaf, das wird dir jeder
  • sagen. Dumm bist du, einfach dumm. Trotzdem du Expeditor bist! Für wen
  • sorge ich mich denn eigentlich? Doch nur für dich. Zu deinem Vorteil!
  • Sie werden dir noch den Bissen vor dem Munde wegschnappen. Liegt da auf
  • seinem Faulbett, der verdammte Junggeselle. Nein, sag mal bitte, wonach
  • siehst du eigentlich aus? Du Waschlappen du! Du alte Schlafmütze! Na,
  • ich hätte beinahe etwas gesagt. Wenn's nur nicht zu unanständig wäre.
  • ... Ein altes Weib bist du; schlimmer als ein altes Weib!
  • Podkoliessin. Du benimmst dich sehr fein. Tatsächlich! (Halblaut.) Du
  • bist wohl nicht ganz bei Troste? Da steht der Knecht, und du schimpfst
  • drauf los und gebrauchst in seiner Gegenwart solche Worte. Du konntest
  • dir dazu wohl keinen andern Ort auswählen? ...
  • Kotschkarjow. Ja, wie soll man dich denn nicht schimpfen. Kann denn ein
  • Mensch dabei ruhig bleiben und nicht schimpfen? ... Wer hat denn soviel
  • Selbstbeherrschung? .. Du hast dich als anständiger Mensch entschlossen,
  • zu heiraten; ... bist der Stimme der Vernunft gefolgt, und nun, mit
  • einemmal, aus einer bloßen Laune ... Du hast wohl Tollkirschen
  • gefressen? .. Du Tölpel, du Holzklotz du!
  • Podkoliessin. Nun, nun, genug ... ich fahre! Was schreist du so?
  • Kotschkarjow. Du fährst? Selbstverständlich fährst du! Du kannst ja gar
  • nichts anderes tun, als fahren. (Zu Stepan.) Bring Hut und Mantel!
  • Schnell ...
  • Podkoliessin (in der Türe). Du bist ein seltsamer Mensch, Kotschkarjow!
  • Wahrhaftig! Mit dir ist es doch wirklich nicht zum Aushalten. Schimpfst
  • mit einem Mal los, ohne alle Ursache und ohne jeden Grund! Das ist doch
  • kein Benehmen.
  • Kotschkarjow. Ach, das ist ja längst vorbei! Ich schimpfe ja gar nicht
  • mehr ...
  • (Beide ab.)
  • 12. Auftritt
  • Agathe Tichonowna legt Karten, Arina Panteleimonowna, ihre Tante,
  • blickt ihr über die Achseln in die Karten.
  • Agathe Tichonowna. Tantchen, sieh, schon wieder ein Weg! Ein Karo-König
  • interessiert sich für mich. ... Tränen! ... Ein Liebesbrief ... links
  • der Treff-König zeigt große Teilnahme, aber hier liegt ein böses Weib
  • dazwischen.
  • Arina Panteleimonowna. Und was denkst du, der Treff-König: wer mag das
  • sein?
  • Agathe Tichonowna. Das kann ich doch nicht wissen.
  • Arina Panteleimonowna. Aber ich weiß es.
  • Agathe Tichonowna. Ja? ... Wer? ...
  • Arina Panteleimonowna. Nun, der nette Kaufmann vom Tuchmarkt, Alexei
  • Dmitriewitsch Starikow.
  • Agathe Tichonowna. Ach, der doch auf keinen Fall. Ich gehe jede Wette
  • ein, daß der es nicht ist.
  • Arina Panteleimonowna. Streite doch nicht, Agathe Tichonowna, sieh doch
  • die blonden Haare hier; einen andern Treff-König gibt es ja gar nicht.
  • Agathe Tichonowna. Aber nicht doch, Tantchen, Treff-König ist immer ein
  • Edelmann. Ein Kaufmann reicht noch lange nicht an den Treff-König heran.
  • Arina Panteleimonowna. Ach, Agathe Tichonowna, du würdest auch anders
  • reden, wenn dein seliger Vater, Tichon Panteleimonowitsch, noch am Leben
  • wäre. Der schlug manches liebe Mal mit der Faust auf den Tisch und
  • schrie: »Ich spucke auf jeden, der sich schämt, ein Kaufmann zu sein.
  • Ich gebe meine Tochter keinem Obersten,« sagte er. »Mögen das doch andre
  • Leute machen. Und mein Sohn, der soll mir auch nicht Beamter werden«,
  • sagte er. »Dient nicht der Kaufmann seinem Zaren genau so gut wie jeder
  • andere?« sagte er. Und dabei schlug er so mit der Faust auf den Tisch,
  • daß es krachte. Und das war 'ne Hand, sag' ich dir, so groß wie ein
  • Eimer. Ja, solch ein leidenschaftlicher Mensch war er. Wenn ich offen
  • sein soll, deiner seligen Mutter hat er das Leben auch gehörig
  • versalzen. Sonst hätt' sie wohl noch länger gelebt.
  • Agathe Tichonowna. Nun, soll ich etwa eben solch einen bösen Mann
  • kriegen? Nein, unter keinen Umständen nehme ich einen Kaufmann.
  • Arina Panteleimonowna. Aber Alexei Dmitriewitsch ist doch gar nicht
  • solch einer.
  • Agathe Tichonowna. Nein, ich will ihn nicht. Ich mag ihn nicht. Und dann
  • trägt er einen Vollbart. Beim Essen wird es ihm immer in den Bart
  • heruntertropfen. Nein, nein, ich will ihn nicht!
  • Arina Panteleimonowna. Aber wo soll man nur einen anständigen Adligen
  • hernehmen? Sie liegen doch nicht auf der Straße herum!
  • Agathe Tichonowna. Thekla Iwanowna wird schon einen auftreiben. Sie
  • versprach mir's, den Allerschönsten zu finden.
  • Arina Panteleimonowna. Ach, die schwindelt ja nur, Herzchen.
  • 13. Auftritt
  • Die Vorigen und Thekla Iwanowna.
  • Thekla. Aber nein, Arina Panteleimonowna, schämen Sie sich doch, mir
  • hinterm Rücken so was nachzureden.
  • Agathe Tichonowna. Ach, da sind Sie ja, Thekla Iwanowna! Nun, wie
  • steht's? Sprechen Sie doch! Erzählen Sie! Haben Sie einen?
  • Thekla. Ja doch, ja, lassen Sie mich nur erst verschnaufen. Wie bin ich
  • in Ihrem Auftrag herumgelaufen! ... Ich bin in allen Häusern gewesen, in
  • allen Kanzleien und Ministerien; hab' sogar in die Kasernen geguckt! ...
  • Wissen Sie, Mütterchen, beinah geschlagen hat man mich ... bei Gott! Die
  • Alte, die ihre Hand in der Heirat der Affeirows im Spiel gehabt hat, die
  • stürzte sich auf mich los und schrie: »Du bist mir auch so eine und so
  • 'ne, nimmst bloß andern Leuten das Brot weg, bleib du doch gefälligst in
  • deinem Revier!« ... »Was soll ich tun,« sagte ich ihr geradezu ins
  • Gesicht, »verzeih, aber für mein Fräulein, da bin ich jederzeit zu allem
  • bereit.« Ja mein Herzchen, was ich Ihnen aber auch für Freier besorgt
  • habe! Na, das heißt: solange die Welt steht, -- und sie wird noch lange
  • stehen -- aber solche hat es denn doch noch nie gegeben. Ein paar werden
  • noch heute ihre Aufwartung machen. Ich komme absichtlich hergelaufen, um
  • Sie vorzubereiten.
  • Agathe Tichonowna. Wie? Heute noch? ... Liebste Thekla Iwanowna, ich
  • bitte Sie ... ich fürchte mich ...
  • Thekla. Sie brauchen keine Angst zu haben, Mütterchen. 's ist ja eine
  • ganz gewöhnliche Sache! Sie werden eben kommen, sich umsehen, und --
  • weiter nichts! Sie werden sie sich auch ansehen, und wenn sie Ihnen
  • nicht gefallen, nun, dann fahren sie eben wieder fort.
  • Arina Panteleimonowna. Na, du wirst mir schon nette Kerle rausgesucht
  • haben.
  • Agathe Tichonowna. Wie viele sind es denn? Sind's viele?
  • Thekla. Nun, an die sechs Mann werden es wohl sein.
  • Agathe Tichonowna (aufschreiend). Ach Herrjeh! ...
  • Thekla. Nun, nun, springen Sie doch nicht gleich in die Höhe,
  • Mütterchen! ... Um so leichter ist doch die Wahl. Gefällt dir der eine
  • nicht, so tut's vielleicht der andere.
  • Agathe Tichonowna. Und sind es Adlige? ..
  • Thekla. Aber natürlich! Alle! Wie ausgesucht! Solche Adlige wie die,
  • finden Sie nirgends mehr.
  • Agathe Tichonowna. Und was sind es für Menschen? ...
  • Thekla. Ach, prächtige Menschen! Alles prachtvolle, propre, junge Leute.
  • Da haben Sie erstens den Baltasar Baltasarowitsch Schewakin. Ein ganz
  • vorzüglicher Mensch; er hat in der Flotte gedient. Der paßt
  • ausgezeichnet zu Ihnen! »Denn«, sagt er, »was meine Braut betrifft, die
  • muß voll sein.« Die mageren, die mag er gar nicht leiden. Und dann ist
  • da Iwan Pawlowitsch, der Ixikutor! Ein sehr würdiger, ein geradezu
  • unnahbarer Mann. Wenn der einen anschreit: »Erzähl' mir nur keine langen
  • Geschichten von der Braut. Sag lieber, was hat sie an Mabilien und
  • Immabilien, und damit basta!« So und so viel, Väterchen, bei Gott! »Das
  • lügst du, Luder!« ... Und dann hat er mir noch ein Wort an den Kopf
  • geworfen, ja, Mütterchen, das ist schon zu unanständig, um es hier zu
  • wiederholen. Da hatt' ich's gleich raus: das muß aber ein vornehmer Mann
  • gewesen sein.
  • Agathe Tichonowna. Nun, und wer noch? ..
  • Thekla. Dann ist da noch ein Herr, Nikolai Iwanowitsch Anutschkin. Eine
  • majestätische Gestalt! Und was für Lippen er hat ... die reinsten
  • Himbeeren. So ein feiner Herr! »Ich will,« sagte er, »daß meine Frau
  • hübsch und gut erzogen ist, und Französisch muß sie sprechen können.«
  • Ja, ein Herr von äußerst feinem Benehmen! Alles deutsche Finessen! Und
  • dabei ist er so zart und hat so schmale, dünne Beinchen.
  • Agathe Tichonowna. Nein, grade diese Zarten, die wollen mir nicht so
  • recht, ... ich weiß nicht, aber ich finde keinen Geschmack an ihnen.
  • Thekla. Ja, wenn Sie auf etwas Massiveres reflektieren, dann nehmen Sie
  • doch Iwan Pawlowitsch! Einen passenderen können Sie ja gar nicht finden.
  • Da ist nichts zu sagen. Das ist ein Herr! Der geht Ihnen hier nicht
  • durch die Tür. So ein prächtiger Mensch!
  • Agathe Tichonowna. Und wie alt ist er?
  • Thekla. Ach, noch ein junger Mann! Vielleicht an die fünfzig. Oder noch
  • nicht einmal fünfzig.
  • Agathe Tichonowna. Und wie ist sein Name?
  • Thekla. Er heißt Iwan Pawlowitsch Eierkuchen.
  • Agathe Tichonowna. Wie ... Eierkuchen ... das ist sein Familienname?
  • Thekla. Ja, das ist sein Name.
  • Agathe Tichonowna. Gott, welch ein Name! Denk doch nur, Theklachen, wie
  • soll denn das werden, wenn ich den heirate? Dann heiße ich ja plötzlich
  • Agathe Tichonowna Eierkuchen. Weiß Gott, das ist ja fürchterlich!
  • Thekla. I was, liebes Mütterchen, bei uns in Rußland gibt es nun mal
  • solche Namen, da möchte man am liebsten gleich ausspucken und das Kreuz
  • darüber schlagen, wenn man sie hört. Aber wenn er Ihnen nicht gefällt,
  • so nehmen Sie doch Baltasar Baltasarowitsch Schewakin. Ein herrlicher
  • Freier!
  • Agathe Tichonowna. Und was für ein Haar hat er?
  • Thekla. Sehr schönes Haar, mein Herzchen.
  • Agathe Tichonowna. Und die Nase?
  • Thekla. Eh, die Nase ist auch schön. Überhaupt, alles steht an seinem
  • richtigen Fleck. Und er selbst ist ein prächtiger Mensch. Nur über eins
  • dürfen Sie sich nicht ärgern: -- in seiner ganzen Wohnung werden Sie
  • nichts finden, als seine lange Pfeife. Nicht ein Möbelstück weiter!
  • Agathe Tichonowna. Und wen gibt's noch?
  • Thekla. Akinthus Stepanowitsch Pantjelejew. -- Ein Beamter und
  • Titular-Rat. Er stottert zwar ein wenig, aber dafür ist er sehr
  • zurückhaltend.
  • Arina Panteleimonowna. Du sagst immer ein Beamter, ein Beamter! Sag mir
  • lieber, ob er nicht gerne einen über den Durst trinkt.
  • Thekla. Aha, das tut er! Dem kann ich nicht widersprechen. Das ist wahr.
  • Was soll man machen? ... Dafür ist er auch Titular-Rat. Aber im übrigen
  • ist er so ruhig und sanft wie Seide.
  • Agathe Tichonowna. Nein, ich danke schön. Einen Trinker will ich nicht
  • zum Manne haben.
  • Thekla. Gut, Mütterchen, mach was du willst. Wollt Ihr nicht den einen,
  • so nehmt einen andern. Aber, ... schließlich, was ist auch dabei, wenn
  • er wirklich einen zuviel trinkt? Er braucht doch nicht gleich die ganze
  • Woche betrunken zu sein. Er wird auch schon seinen nüchternen Tag haben.
  • Agathe Tichonowna. Nun, und wer weiter?
  • Thekla. Ja, es ist noch einer da. Aber das ist nur so einer, Gott mit
  • ihm! Die andern sind schon besser!
  • Agathe Tichonowna. Nein, sag, wer ist er.
  • Thekla. Am liebsten hätte ich gar nicht von ihm gesprochen. Freilich ist
  • er ja Hofrat, mit 'nem Band im Knopfloch. Aber so furchtbar
  • schwerfällig; kaum aus dem Haus ist er herauszukriegen.
  • Agathe Tichonowna. Nun und wer noch? Das sind doch erst fünf! Und zuerst
  • sprachst du doch von sechsen.
  • Thekla. Haben Sie denn wirklich noch nicht genug? Sehen Sie mal an, wie
  • Sie plötzlich hinterher sind, und zuerst waren Sie doch ganz
  • erschrocken.
  • Arina Panteleimonowna. I, geh du mir mit all deinen Adligen. Und wenn es
  • auch ein halbes Dutzend sind; ein Kaufmann wiegt sie alle miteinander
  • auf.
  • Thekla. Ach nein, Arina Panteleimonowna, ein Adliger, der ist doch was
  • Vornehmeres.
  • Arina Panteleimonowna. Was mache ich mir aus der Vornehmheit. Sieh dir
  • mal den Alexei Dmitriewitsch an, wenn der mit seiner Zobelmütze im
  • Schlitten vorüberfährt ...
  • Thekla. Dafür kommt ihm ein Adliger mit seinen Epauletten entgegen und
  • sagt: »Was fällt dir ein, du Koofmich du; mach mir mal Platz«. Oder »he,
  • Herr Kaufmann, ein paar Meter Samt; aber vom allerbesten«. Worauf der
  • Kaufmann erwidert: »Bitte sehr, Euer Gnaden!« -- »Nimm mal deine Mütze
  • ab, du Flegel!« So spricht ein Adliger.
  • Arina Panteleimonowna. Aber, wenn der Kaufmann keine Lust hat, braucht
  • er ihm kein Tuch zu verkaufen. Dann kann dein Adliger nackt dasitzen und
  • hat nichts anzuziehen.
  • Thekla. Dann wird ihm der Adlige eins über den Schädel schlagen.
  • Arina Panteleimonowna. Dann wird der Kaufmann zur Polizei laufen und ihn
  • verklagen.
  • Thekla. Dann wird der Adlige den Kaufmann bei dem Senator verklagen.
  • Arina Panteleimonowna. Dann wird der Kaufmann zum Gouverneur gehen.
  • Thekla. Dann wird der Adlige ...
  • Arina Panteleimonowna. Ach was, nichts wie Schwindel mit deinen Adligen.
  • Der Gouverneur ist mehr als dein Senator. Tut sich da mit ihren Adligen
  • dicke. Auch so'n Adliger muß manches liebe Mal seine Bücklinge machen.
  • (Es läutet an der Türe.) Ich glaube, es hat geläutet!
  • Thekla. Ach Gott, da sind sie schon.
  • Agathe Tichonowna. Wer ... sie?
  • Thekla. Nun ja, sie -- einer von den Freiern.
  • Agathe Tichonowna (schreit auf). Ach herrjeh, ach herrjeh!
  • Arina Panteleimonowna. Heilige Mutter Gottes, vergib mir meine Sünden!
  • Hier im Zimmer ist ja noch gar nicht aufgeräumt. (Sie nimmt alles, was
  • auf dem Tische liegt, zusammen und läuft damit durch das Zimmer.)
  • Herrgott, das Tischtuch ist ja ganz schwarz ... Dunjaschka ...
  • Dunjaschka! (Dunjaschka kommt hereingelaufen.) Schnell ein reines
  • Tischtuch! (Arina reißt das Tischtuch vom Tisch und läuft durchs
  • Zimmer.)
  • Agathe Tichonowna. Ach, Tantchen, was soll ich nur machen? Ich hab' ja
  • fast nur ein Hemd an.
  • Arina Panteleimonowna. Ach Gott, Kind, lauf nur schnell und zieh dich
  • um. (Sie rennt erregt durch das Zimmer. Dunjaschka bringt ein reines
  • Tischtuch. Es läutet wieder.) Lauf doch nur hin und öffne. Sage, wir
  • kommen gleich. (Dunjaschka geht. Man hört sie von draußen »gleich«
  • rufen.)
  • Agathe Tichonowna. Aber Tante, mein Kleid ist nicht geplättet.
  • Arina Panteleimonowna. Ach, du lieber Gott, erbarme dich unser; -- zieh
  • doch das andre an.
  • Thekla (kommt hereingelaufen). Warum kommen Sie denn nicht heraus? --
  • Kommen Sie, Agathe Tichonowna -- machen Sie doch schneller, Mütterchen!
  • (Man hört es wieder läuten.) Ach, jetzt wartet er schon eine Ewigkeit.
  • Arina Panteleimonowna. Dunjaschka, laß ihn eintreten und bitte ihn, zu
  • warten.
  • (Dunjaschka läuft in den Flur und öffnet die Tür; dann hört man
  • Stimmen: »Zu Hause?« ... »Ja, bitte, treten Sie ein.« Die Frauen
  • blicken angestrengt durch das Schlüsselloch.)
  • Agathe Tichonowna (aufschreiend). Herr Gott, wie dick er ist!
  • Thekla. Er kommt, er kommt! (Alle laufen eilig weg.)
  • 14. Auftritt
  • Iwan Pawlowitsch Eierkuchen und Dunjaschka.
  • Dunjaschka. Bitte, warten Sie hier gefälligst! (Geht ab.)
  • Eierkuchen. Meinetwegen ... Warten ... na dann warte ich eben ... Wenn's
  • mich nur nicht zu lange aufhält. Ich bin ja nur auf einen Sprung aus dem
  • Bureau fortgegangen. Wie, wenn es nun dem General plötzlich einfiele, zu
  • fragen: »Und wo ist der Exekutor?« ... »Er ist auf die Brautschau
  • gegangen.« Wenn er mich nur nicht mitsamt der Braut abfahren läßt.
  • Übrigens, ich will mir doch noch mal das Verzeichnis ansehen: (Er
  • liest.) Also, ein zweistöckiges, steinernes Haus ... (Sieht empor und
  • betrachtet das Zimmer) Stimmt, ist vorhanden! (Liest weiter.) Zwei
  • Seitenflügel; einer auf einem Fundament von Stein und ein hölzerner
  • Flügel. Na der hölzerne ist ziemlich schlecht. Weiter: eine Kutsche, ein
  • doppelsitziger Schlitten mit Schnitzwerk und dazu eine große und eine
  • kleine Decke. Na, den Schlitten wird man wohl in die Rumpelkammer
  • stecken können. Die Alte behauptet zwar, er sei prima. Schön,
  • meinetwegen auch prima. Zwei Dutzend silberne Löffel. Hm, ja, in der
  • Wirtschaft werden freilich silberne Löffel gebraucht. Zwei Fuchspelze.
  • Hm. Vier große Oberbetten und zwei kleine. (Er preßt die Lippen
  • bedeutungsvoll zusammen.) Sechs Paar seidene und sechs Paar
  • Kattunkleider. Zwei Nachtjacken ... Na, das sind Torheiten! Wäsche,
  • Tischtücher; ach, das mag sie halten wie sie will. Übrigens, man muß das
  • doch alles gut in Augenschein nehmen. Jetzt verspricht man dir Häuser
  • und Equipagen, und wenn es zur Heirat kommt, findet man nichts als
  • Oberbetten und Daunenkissen.
  • (Man hört es läuten. Dunjaschka läuft atemlos durchs Zimmer und
  • öffnet die Tür. Man hört Stimmen: »Zu Hause?« »Jawohl!« ...)
  • 15. Auftritt
  • Iwan Pawlowitsch Eierkuchen und Anutschkin.
  • Dunjaschka. Bitte, warten Sie hier, sie werden sogleich kommen. (Geht
  • ab.)
  • (Anutschkin und Eierkuchen begrüßen sich.)
  • Eierkuchen. Ich habe die Ehre!
  • Anutschkin. Habe ich vielleicht das Vergnügen, den Vater der reizenden
  • Tochter zu begrüßen?
  • Eierkuchen. Nein, keineswegs den Vater! Ich habe überhaupt noch keine
  • Kinder.
  • Anutschkin. So, dann bitte ich Sie vielmals um Entschuldigung.
  • Eierkuchen (beiseite). Die Physiognomie dieses Menschen kommt mir
  • verdächtig vor. Sollte er etwa wegen derselben Sache hier sein wie ich?
  • (Laut.) Sie kommen wohl des Fräuleins wegen?
  • Anutschkin. Ach nein ... Durchaus nicht ... Ich bin nur beim
  • Spazierengehen so mit herangekommen.
  • Eierkuchen (beiseite). Der Kerl lügt! Sicher lügt er! Dies
  • Spazierengehen kenn' ich. Heiraten will er, der Lump!
  • (Man hört es läuten. Dunjaschka läuft durchs Zimmer und öffnet
  • die Tür. Man hört Stimmen: »Zu Hause?« »Jawohl!«)
  • 16. Auftritt
  • Dieselben und Schewakin begleitet von Dunjaschka.
  • Schewakin (zu Dunjaschka). Bitte schön, Kindchen, putz mich mal ab!
  • Weißt du, auf der Straße ist mir so viel Staub angeflogen. Und nimm mir
  • doch hier den Flocken ab. (Wendet den Kopf.) So, danke schön, mein Kind.
  • Sieh doch mal nach: Kriecht mir da nicht 'ne Spinne über den Rock? Sind
  • auch die Rockschöße hübsch rein? Danke, meine Liebste! Sieh mal, hier
  • scheint noch was zu sitzen. (Streicht mit der Hand über den Ärmel und
  • beobachtet Anutschkin und Iwan Pawlowitsch.) Es ist nämlich englischer
  • Stoff. Und wie er sich trägt! Im Jahre 95, als unsere Flotte in Sizilien
  • lag, -- ich war damals allerdings noch Kadett -- hab' ich mir die
  • Uniform daraus machen lassen. 1801 unter Zar Pawel Petrowitsch wurde ich
  • Leutnant, und der Stoff war noch ganz wie neu. 1814 machte ich die
  • Weltumseglung mit, da merkte ich zum erstenmal, daß er anfängt, sich an
  • den Nähten abzuscheuern, und 1815 nahm ich meinen Abschied; da brauchte
  • ich ihn blos wenden zu lassen. Nun trage ich ihn schon zehn Jahre, und
  • er ist noch immer fast wie neu ... So ist's gut, Herzchen, danke schön,
  • meine Holde ... (Er wirft ihr eine Kußhand zu, geht an den Spiegel und
  • fährt sich mit der Hand durch die Haare.)
  • Anutschkin. Gestatten Sie mir, Sizilien ... Sie geruhten vorhin ...
  • Sizilien zu erwähnen. Ist das eigentlich ein schönes Land ... dieses
  • Sizilien?
  • Schewakin. Äh, ich sage Ihnen, ein herrliches Land. Vierunddreißig Tage
  • lagen wir dort vor Anker. Eine Gegend, sage ich Ihnen, einfach
  • entzückend. Solche Berge, -- zwischendurch mal ein Granatenbaum, und
  • überall diese kleinen Italienerinnen, wie zarte Röschen, einfach zum
  • Küssen!
  • Anutschkin. Und wie steht es mit der Bildung?
  • Schewakin. Oh, ganz ausgezeichnet! Sie sind so gebildet, wie bei uns
  • etwa nur die Gräfinnen. Sehen Sie, zum Beispiel ... mitunter bummelt man
  • durch die Straßen. Sie wissen ja, was ein russischer Leutnant ist.
  • Natürlich Epauletts (er zeigt auf die Schulter), goldene Schnüre; -- und
  • herum alle die schwarzäugigen Schönen, ... dort hat ja jedes Haus einen
  • Balkon und platte Dächer, platt wie dieser Fußboden ... Da sieht man
  • denn mal so rauf, und oben sitzt dann solch ein Röschen. Natürlich will
  • man sich doch auch nichts vergeben .... (Macht eine liebenswürdige
  • Verbeugung und winkt mit der Hand.) Und auch sie macht bloß so ....
  • (Macht eine entsprechende Geste.) Selbstverständlich alle brillant
  • gekleidet. Hier, so ein Mieder, dann das Korsett, allerhand
  • Damen-Ohrringe, mit einem Wort ... ein Leckerbissen.
  • Anutschkin. Und wenn ich Sie noch um eine Auskunft bitten dürfte ...
  • Sagen Sie ... welche Sprache spricht man in Sizilien?
  • Schewakin. Natürlich spricht alles Französisch.
  • Anutschkin. Dann sprechen also auch alle jungen Damen Französisch?
  • Schewakin. Alle, ohne Ausnahme ... Sie werden mir vielleicht nicht
  • glauben, was ich Ihnen jetzt sage: Wir haben vierunddreißig Tage vor
  • Sizilien gelegen, und während dieser ganzen Zeit habe ich nicht ein
  • einziges Wort Russisch von ihnen gehört.
  • Anutschkin. Nicht ein Wort?
  • Schewakin. Kein Wort. Dabei rede ich noch nicht einmal von den Adligen
  • und den übrigen Signoren, d. h. von ihren Offizieren, -- nein, nehmen
  • Sie den gewöhnlichen Bauern oder Arbeiter, der jeden Dreck auf seinen
  • Schultern schleppt, probieren Sie mal, ihm zu sagen: Bruder, gib mir ein
  • Stück Brot! -- Er wird Sie nicht verstehen, bei Gott; er versteht Sie
  • nicht. Aber sagen Sie ihm dasselbe auf französisch: _Dateci del pane_
  • oder _Portate vino_ -- dann versteht er Sie sofort. Im Augenblick läuft
  • er hin und bringt, was Sie wünschen.
  • Iwan Pawlowitsch. Ein merkwürdiges Land muß doch dieses Sizilien sein,
  • wie ich sehe. Sie sagten da: ein Bauer! Wie ist es denn mit diesem
  • Bauern? Ist er ganz ebenso wie ein russischer Bauer? So ein
  • breitschultriger Kerl, der den Acker pflügt, oder nicht?
  • Schewakin. Darüber kann ich Ihnen leider keine Auskunft geben. Ob sie
  • auch pflügen oder nicht, das hab' ich gar nicht beobachtet. Aber was das
  • Tabakschnupfen anbelangt, so kann ich Ihnen allerdings versichern, daß
  • sie ihn nicht nur alle schnupfen, sondern daß sie ihn auch in die Backen
  • stecken. Auch das Fahren ist dort sehr bequem. Nichts wie Wasser
  • ringsherum, und dabei überall Gondeln. Und darinnen selbstverständlich
  • solch eine kleine Italienerin, so ein Röschen, und angezogen, ...
  • pikfein! So ein Lätzchen und Tüchlein, und so ... Sehen Sie, wir hatten
  • auch zwei englische Offiziere mit uns. Ich sage Ihnen, das war eine
  • Gesellschaft, ganz wie unsere Seeleute. Anfangs war es ja ein bißchen
  • merkwürdig, wir verstanden uns nämlich nicht; aber als wir uns erst
  • ordentlich kennen gelernt hatten, da verstanden wir uns vortrefflich. So
  • zeigen Sie zum Beispiel auf die Flasche oder auf das Glas, und jeder
  • weiß sofort -- das bedeutet: einen nehmen. Oder man legt die Finger an
  • den Mund und macht mit den Lippen nur: Paff! Paff! Das bedeutet dann
  • einfach: Ich will eine Pfeife rauchen. Überhaupt kann ich Ihnen sagen:
  • eine ganz leichte Sprache. Unsere Matrosen, die verstanden sich bereits
  • nach zwei oder drei Tagen.
  • Iwan Pawlowitsch. Wie ich sehe ein höchst interessantes Leben in fremden
  • Ländern. Es freut mich außerordentlich, die Bekanntschaft eines Mannes
  • zu machen, der so weit herumgekommen ist. Darf ich fragen, mit wem ich
  • die Ehre habe?
  • Schewakin. Schewakin, Leutnant zur See a. D. Erlauben Sie, mich auch
  • meinerseits zu erkundigen, mit wem ich das schätzbare Vergnügen habe ...
  • Eierkuchen. Exekutor, noch im Dienst, Iwan Pawlowitsch ... Eierkuchen!
  • Schewakin (ihn nicht verstehend). Ja, ich habe auch schon etwas
  • gegessen. Sehen Sie, ich weiß, ich habe noch einen großen Weg vor mir,
  • und es ist heute sehr kalt; da habe ich ein Stückchen Brot mit Hering zu
  • mir genommen.
  • Eierkuchen. Nein, Sie scheinen mich nicht richtig verstanden zu haben;
  • Eierkuchen -- das ist mein Familienname.
  • Schewakin (sich verbeugend). Ah, das freut mich sehr! ... Verzeihen Sie,
  • ich höre etwas schlecht. Ich verstand, Sie wollten sagen: Sie hätten
  • Eierkuchen gegessen.
  • Eierkuchen. Ja, was soll man machen! -- Ich wollte schon den General um
  • die Erlaubnis bitten, mich Eier_kuchler_ nennen zu dürfen. Aber meine
  • Verwandten waren dagegen, sie meinten, das hätte wieder zu viel
  • Ähnlichkeit mit »Ei Verfluchter« ...
  • Schewakin. Ja, es passieren schon solche Geschichten. Sehen Sie z. B.
  • unser ganzes drittes Geschwader: sämtliche Offiziere und Matrosen hatten
  • so merkwürdige Familiennamen .... Herr von Spülicht, Herr von Süffel,
  • Leutnant von Schweißlappen, und ein Kadett, übrigens sonst ein famoser
  • Kerl, hieß ganz einfach: Loch, so daß man den Kapitän manchmal rufen
  • hörte: Komm doch mal her, Löchlein. Auch die anderen machten sich oft
  • über ihn lustig und riefen ihm zu: Ach du Loch, du Löchlein du! (Es
  • schellt. Thekla läuft durch das Zimmer und öffnet.)
  • Eierkuchen. Eh, guten Tag, Mütterchen!
  • Schewakin. Guten Tag, wie geht's, meine Seele?
  • Anutschkin. Guten Tag, Mütterchen Thekla Iwanowna.
  • Thekla (kommt atemlos gelaufen). Danke schön, danke schön, meine lieben
  • Herren. Gut, gut.
  • (Sie öffnet die Tür, im Vorzimmer hört man Stimmen: »Zu Hause?«
  • »Jawohl!« Dann hört man ein paar unverständliche Worte, worauf
  • Thekla ärgerlich ausruft: »Du bist mir aber auch einer!« ...)
  • 17. Auftritt
  • Die Vorigen. Kotschkarjow, Podkoliessin und Thekla.
  • Kotschkarjow (zu Podkoliessin). Denk immer nur an eins: Courage und
  • weiter nichts! (Er sieht sich um, macht erstaunt einige Verbeugungen,
  • beiseite.) Teufel, was für ein Haufen Menschen! Was hat das zu bedeuten?
  • Das sind doch nicht etwa lauter Freier? (Er gibt Thekla einen Rippenstoß
  • und sagt leise zu ihr.) Woher nahmst du bloß all die Geier?
  • Thekla (leise). Was, Geier? ... Das sind lauter anständige Menschen.
  • Kotschkarjow (zu ihr). Nun, nun, viel Geschrei und wenig Wolle!
  • Thekla. Kehr du nur vor deiner Tür. Du hast auch nichts, womit du
  • prahlen könntest ... 'ne Zobelmütze auf'm Kopf und 'ne Wassersuppe in
  • dem Topf!
  • Kotschkarjow. Das sind wohl alles deine Kunden, was? Alle mit 'nem Loch
  • im Beutel. (Laut.) Aber wo bleibt sie denn nur? Diese Tür geht wohl in
  • ihr Schlafzimmer? (Geht zur Türe.)
  • Thekla. Schäme dich was, ich sagte dir doch, sie zieht sich noch um.
  • Kotschkarjow. Welch ein Malheur! Was ist denn dabei? ... Ich will ja nur
  • mal reingucken ... und weiter nichts. (Sieht durch das Schlüsselloch.)
  • Schewakin. Ah, ich bitte sehr, erlauben Sie mir doch auch einmal,
  • hineinzusehen.
  • Eierkuchen. Ach, lassen Sie mich nur ein Augenblickchen durchsehen.
  • Kotschkarjow (sieht noch immer durchs Schlüsselloch). Es ist nichts zu
  • sehen, meine Herrschaften! Man kann absolut nichts erkennen. Man sieht
  • nur was Weißes; aber es ist nicht herauszukriegen: ist's eine Frau oder
  • ein Kopfkissen.
  • (Alle drängen sich jedoch um die Tür und suchen sich gegenseitig
  • fortzustoßen, um durchs Schlüsselloch zu sehen.)
  • Kotschkarjow. Sst. Es kommt jemand ... (Alle springen zurück.)
  • 18. Auftritt
  • Die Vorigen, Arina Panteleimonowna und Agathe Tichonowna. Alle
  • verbeugen sich.
  • Arina Panteleimonowna. Was verschafft uns die Ehre Ihres Besuches?
  • Eierkuchen. Wie ich aus den Zeitungen erfahre, wollen Sie Holz schlagen
  • lassen. Ich bin staatlicher Exekutor, und so komme ich, zu hören, um was
  • für einen Baumschlag es sich hier handelt, wieviel und bis wann Sie
  • liefern können.
  • Arina Panteleimonowna. Holz -- haben wir zwar nicht abzugeben, aber wir
  • freuen uns über Ihren Besuch. Darf ich nach Ihrem Namen fragen?
  • Eierkuchen. Iwan Pawlowitsch Eierkuchen -- Kollegienassessor.
  • Arina Panteleimonowna. Nehmen Sie gefälligst Platz. (Wendet sich an
  • Schewakin und blickt ihn scharf an.) Und darf ich Sie fragen, was Sie
  • ...
  • Schewakin. Oh, ich habe auch so eine Annonce gelesen und da hab' ich mir
  • gedacht: da mußt du doch mal hingehen. Sehen Sie, das Wetter war sehr
  • schön, überall am Wege grünt und blüht es ...
  • Arina Panteleimonowna. Und wie ist Ihr Name?
  • Schewakin. Oh, Leutnant zur See a. D. ... Baltasar Baltasarowitsch
  • Schewakin der Zweite. Wir hatten nämlich noch einen andern Schewakin,
  • aber der nahm noch vor mir seinen Abschied. Er wurde nämlich am Bein
  • verwundet, Mütterchen. Und dabei traf ihn die Kugel so eigentümlich; sie
  • verletzte nur eine Sehne, ohne den Knochen in Mitleidenschaft zu ziehen.
  • Das hing alles nur grade noch zusammen, und wenn man neben ihm stand,
  • sah es genau so aus, als ob er einem von hinten eins mit dem Fuße
  • auswischen wollte.
  • Arina Panteleimonowna. Bitte, nehmen Sie doch Platz. (Zu Anutschkin.)
  • Und Sie, mein Herr, was führt Sie her?
  • Anutschkin. Ich habe die Ehre, Ihr Nachbar zu sein. Ich wohne ganz in
  • Ihrer Nähe.
  • Arina Panteleimonowna. Etwa im Hause der Frau Kaufmann Tulubow? Hier
  • gegenüber?
  • Anutschkin. Nein, das nicht. Einstweilen wohne ich noch in Peßki; aber
  • ich habe die feste Absicht, mit der Zeit hierher in Ihren Bezirk zu
  • ziehen.
  • Arina Panteleimonowna. Setzen Sie sich, bitte! (Zu Kotschkarjow.) Und
  • darf ich wissen, was Sie veranlaßte ...
  • Kotschkarjow. Ja! Wie? Erkennen Sie mich denn nicht? (Wendet sich an
  • Agathe Tichonowna.) Und auch Sie nicht, mein Fräulein?
  • Agathe Tichonowna. Mir scheint, ich habe Sie noch nie gesehen.
  • Kotschkarjow. Aber erinnern Sie sich doch. Sie haben mich sicher schon
  • irgendwo gesehen.
  • Agathe Tichonowna. Ich weiß wirklich nicht. Doch nicht etwa bei
  • Birjuschkins?
  • Kotschkarjow. Wo denn sonst? ... Natürlich bei Birjuschkins.
  • Agathe Tichonowna. Ach, dann wissen Sie wohl noch gar nicht, was für
  • eine Geschichte da passiert ist?
  • Kotschkarjow. Gewiß; sie hat sich verheiratet.
  • Agathe Tichonowna. Nun, das wäre noch nicht so schlimm; nein, sie hat
  • sich ein Bein gebrochen.
  • Arina Panteleimonowna. Ja, ein schwerer Bruch. Sie fuhr spät abends im
  • Wagen nach Hause, der Kutscher war betrunken und warf den Wagen um.
  • Kotschkarjow. Richtig, jetzt erinnere ich mich! Irgend etwas mußte mit
  • ihr passiert sein ... entweder sie hatte sich verheiratet oder sie hatte
  • sich ein Bein gebrochen.
  • Arina Panteleimonowna. Und wie heißen Sie?
  • Kotschkarjow. Bitte sehr -- Ilja Fomitsch Kotschkarjow. Wir sind doch
  • Verwandte. Meine Frau spricht fortgesetzt davon. Erlauben Sie, erlauben
  • Sie: (Er faßt Podkoliessin bei der Hand und zieht ihn herbei.) Mein
  • Freund Iwan Kusmitsch Podkoliessin, Hofrat. Ist Expeditor, macht aber
  • alles allein. Er hat sein Ressort famos in die Höhe gebracht.
  • Arina Panteleimonowna. Und wie ist Ihr Name?
  • Kotschkarjow. Podkoliessin. Iwan Kusmitsch Podkoliessin. Der Direktor,
  • der ist überhaupt nur noch _pro forma_ da. Er hat das ganze Departement
  • in den Händen. Iwan Kusmitsch Podkoliessin.
  • Arina Panteleimonowna. Bitte, nehmen Sie Platz.
  • 19. Auftritt
  • Die Vorigen und Starikow.
  • Starikow (verbeugt sich lebhaft und schnell wie ein Kaufmann und stemmt
  • die Hände ein wenig in die Seite). Guten Tag, Mütterchen Arina
  • Panteleimonowna. Bei uns in der Passage war davon die Rede, Sie hätten
  • Wolle zu verkaufen, Mütterchen.
  • Agathe Tichonowna (wendet sich verächtlich ab, halblaut murmelnd, aber
  • so, daß er es verstehen kann). Hier ist doch kein Kramladen.
  • Starikow. Ei, also komm' ich wohl nicht zupaß? Oder ist der Brei schon
  • ohne mich ausgelöffelt?
  • Arina Panteleimonowna. Bitte, bitte, Alexei Dmitriewitsch, wenn wir auch
  • nicht mit Wolle handeln, aber wir freuen uns doch sehr, daß Sie uns das
  • Vergnügen machen. Bitte, nehmen Sie Platz.
  • (Alle sitzen schweigend da. Pause.)
  • Eierkuchen. Ein äußerst seltsames Wetter heute. Morgens, da sah es ganz
  • so aus, als ob es regnen wollte. Jetzt jedoch scheint es wieder vorüber
  • zu sein.
  • Agathe Tichonowna. Ja, dieses Wetter ist wirklich furchtbar ... Bald ist
  • es hell, und bald regnet es unaufhörlich. Ein höchst peinliches Wetter.
  • Schewakin. Ganz recht! Zum Beispiel -- sehen Sie in Sizilien,
  • Mütterchen! Wir waren einmal im Frühjahr mit unserer Flotte dort. Die
  • jetzige Jahreszeit entspricht ungefähr unserem Februar. Wenn man da
  • seine Schritte ins Freie lenkt, dann leuchtet die Sonne. Und dann fängt
  • es plötzlich an zu regnen, und wenn man genauer zusieht, dann regnet es
  • wirklich.
  • Eierkuchen. Das Unangenehmste bei solch einem Wetter ist, alleine zu
  • Hause zu sitzen. Bei einem verheirateten Manne, da ist's doch eine ganz
  • andere Sache. Der langweilt sich nicht; aber, wenn man alleine sitzt,
  • das ist einfach nicht zum ...
  • Schewakin. Oh, eine tödtliche Langeweile!
  • Anutschkin. Ja, das dürfte man wohl behaupten.
  • Kotschkarjow. Ach was, die reinste Folter ist es. Man wird seines Lebens
  • nicht mehr froh. Gott bewahre mich vor einem solchen Zustand.
  • Eierkuchen. Wie wäre es nun, mein Fräulein, wenn Sie in die Lage kämen,
  • sich ein ... einen ... Gegenstand zu wählen? Kann ich Ihren Geschmack
  • erfahren? Entschuldigen Sie, daß ich so frei von der Leber rede ... Was
  • paßte Ihnen wohl am besten? Ich meine, welches Amt müßte Ihr Mann
  • bekleiden?
  • Schewakin. Wollten Sie nicht einen Mann Ihr eigen nennen, der sich mit
  • allen Stürmen des Meeres herumgeschlagen hat? ...
  • Kotschkarjow. Nein, nein, der beste Mann ist meiner Meinung nach nur
  • einer, der ein ganzes Departement leiten kann.
  • Anutschkin. O bitte, warum denn ein solches Vorurteil. Warum wollten Sie
  • einen Mann geringschätzen, der vielleicht nur bei der Infanterie gedient
  • hat, der es aber doch versteht, die Formen der feinen Welt zu schätzen.
  • Eierkuchen. Entscheiden Sie, Fräulein!
  • Agathe Tichonowna (schweigt).
  • Thekla. So sprechen Sie doch, Mütterchen! Reden Sie doch einen Ton.
  • Eierkuchen. Nun Fräulein, bitte, wie steht's? ...
  • Kotschkarjow. Wie denken Sie darüber, Agathe Tichonowna?
  • Thekla (leise zu ihr). Sagen Sie doch irgendwas, ... sagen Sie nur: »Ich
  • danke bestens,« oder »mit Vergnügen!« Man sitzt doch nicht so stumm da.
  • Agathe Tichonowna (leise). Ich schäme mich ja! Ich schäme mich wirklich.
  • Ich will lieber gehen ... wirklich, ich will gehen. Tantchen, bleiben
  • Sie statt meiner hier.
  • Thekla. Ach, tu mir doch diese Schande nicht an. Lauf nur nicht fort, du
  • blamierst uns ja nur. Weiß Gott, was sie von uns denken werden? ...
  • Agathe Tichonowna (wie vorher). Nein, ich geh ... ich geh ... ich geh
  • wirklich ... (Sie läuft hinaus; Thekla und Arina Panteleimonowna folgen
  • ihr.)
  • 20. Auftritt
  • Die Vorigen ohne die Frauen.
  • Eierkuchen. Da haben wir's! Jetzt laufen sie alle fort. Was soll das nun
  • wieder bedeuten? ...
  • Kotschkarjow. Wahrscheinlich ist irgend etwas passiert? ...
  • Schewakin. Vielleicht ist die Toilette in Unordnung geraten. Man muß
  • etwas nachhelfen ... Vielleicht das Mieder feststecken ... (Thekla kommt
  • zurück; alle stürzen mit Fragen auf sie zu.) Nun, nun, was ist los?
  • Kotschkarjow. Ist was passiert? ...
  • Thekla. Wie soll denn was passiert sein! Bei Gott! Nichts ist passiert.
  • Kotschkarjow. Warum ist sie denn dann fortgelaufen?
  • Thekla. Ihr habt sie in Verlegenheit gebracht. Darum ist sie
  • rausgelaufen. Sie war ja ganz verwirrt und wußte nicht mehr ein noch
  • aus. Sie bittet mich, daß Ihr sie entschuldigen sollt. Ihr möchtet doch
  • heute abend zu einem Glas Tee kommen. (Geht ab).
  • Eierkuchen. Eh, dieses Glas Tee! Deswegen kann mir die ganze Heiraterei
  • gestohlen werden. Nun geht wieder die Plackerei von vorne los ... »Heute
  • haben wir keine Zeit ... bitte kommen Sie morgen ... oder übermorgen ...
  • auf ein Glas Tee! Wir müssen es uns noch überlegen« ... Und dabei ist
  • die Heirat doch 'ne ganz lumpige Sache. Erfordert durchaus kein
  • Kopfzerbrechen. Hol's der Teufel! Ich steh im Dienst, ich hab' keine
  • Zeit.
  • Kotschkarjow (zu Podkoliessin). Hör mal du, das Mädel ist nicht übel,
  • was? ...
  • Podkoliessin. Durchaus nicht übel!
  • Schewakin. Nettes Mädchen das!
  • Kotschkarjow (beiseite). Teufel, dieser Esel ist wohl verliebt! Er
  • verpfuscht uns womöglich noch die ganze Geschichte. (Laut.) Die ist doch
  • nicht nett! Auch nicht im mindesten.
  • Eierkuchen. Die Nase ist zu groß.
  • Schewakin. O nein. Davon habe ich nichts bemerkt. Sie ist ein richtiges
  • Röschen!
  • Anutschkin. Auch ich möchte mich dieser Ansicht anschließen. Es ist doch
  • nichts Rechtes. Ich möchte sogar zweifeln, daß sie etwas von den Formen
  • der feinen Welt versteht. Es ist noch die Frage, ob sie das Französische
  • beherrscht.
  • Schewakin. Aha, dann gestatten Sie mir wohl die Frage, warum haben Sie
  • es nicht versucht, mit ihr Französisch zu sprechen. Vielleicht kann sie
  • es doch?
  • Anutschkin. Sie glauben, daß ich des Französischen mächtig bin. Ach
  • nein, ich hatte leider niemals das Glück, eine dahingehende Erziehung zu
  • genießen. Mein Vater war ein Schweinehund, sozusagen ... ein Lump. Er
  • hat gar nicht daran gedacht, mich Französisch lernen zu lassen. Damals
  • war ich ja noch ein Kind; es wäre also ganz leicht gewesen, es mir
  • beizubringen. Ich hätte nur tüchtig Prügel zu bekommen brauchen, dann
  • könnte ich heute Französisch.
  • Schewakin. Da Sie es nun aber nicht verstehen, was könnte es Ihnen
  • nützen, wenn diese ...
  • Anutschkin. O nein! Bei einer Frau ist das etwas ganz anderes. Sie muß
  • es unbedingt können; sonst ist eben ... dieses und das und ... (er macht
  • ein paar Gesten) alles eben nicht in Ordnung.
  • Eierkuchen (beiseite). Mag sich ein anderer darüber den Kopf zerbrechen.
  • Ich will unterdessen mal hinlaufen und mir das Haus und seine beiden
  • Seitenflügel von unten ansehen. Wenn da nur alles in Ordnung ist, dann
  • setze ich es heute abend noch durch. Diese Herren Freier sind mir gewiß
  • nicht gefährlich, das ist ja man 'ne recht schwächliche Sorte. Solche
  • Gesellen! Nein, die Frauenzimmer haben einen andern Geschmack.
  • Schewakin. Man sollte sich eine Pfeife anzünden! Haben wir vielleicht
  • denselben Weg? Darf ich fragen, wo wohnen Sie doch gleich?
  • Anutschkin. Bitte sehr, in Peßki, in der Petrowski-Gasse.
  • Schewakin. Hm, das wäre allerdings ein Umweg. Ich wohne auf
  • Wassiliewski-Ostrow, in der achtzehnten Linie. Übrigens kann ich Sie
  • doch begleiten.
  • Starikow. Nein, die Herrschaften sind mir doch etwas zu hochnäsig. Na,
  • Agathe Tichonowna, Sie werden noch einmal an mich denken. Ich empfehle
  • mich Ihnen, meine Herren. (Er verbeugt sich und geht ab.)
  • 21. Auftritt
  • Podkoliessin und Kotschkarjow.
  • Podkoliessin. Und worauf warten wir?
  • Kotschkarjow. Nein, sag mal, sie ist doch ganz reizend, was?
  • Podkoliessin. Ach, geh, aufrichtig gesagt, sie gefällt mir nicht!
  • Kotschkarjow. Da haben wir's! Was soll das nun wieder heißen? Vorhin
  • hast du doch selbst zugegeben, daß sie hübsch ist.
  • Podkoliessin. Ich weiß nicht, aber es ist wohl doch nicht das Richtige.
  • Die Nase ist zu lang und dann: sie spricht ja nicht Französisch.
  • Kotschkarjow. Was soll denn das? ... Wozu hast du es denn nötig, daß sie
  • Französisch spricht?
  • Podkoliessin. Nein, bitte, ein Mädchen, das heiraten will, muß
  • Französisch können.
  • Kotschkarjow. Wozu?
  • Podkoliessin. So ... weil ... nun ich weiß nicht mehr warum; sonst ist
  • die Sache eben nicht in Ordnung.
  • Kotschkarjow. Da haben wir's! Irgendein Esel hat hier so was behauptet,
  • und du läßt gleich die Ohren hängen. Sie ist entzückend, sag' ich dir,
  • einfach entzückend! Ein solches Mädchen findest du überhaupt nicht
  • wieder.
  • Podkoliessin. Ich muß ja gestehen, im Anfang gefiel sie mir ebenfalls.
  • Aber als nachher die andern kamen und sagten, die Nase sei zu lang, da
  • sah ich genauer hin und fand wirklich, daß die Nase zu lang ist.
  • Kotschkarjow.
  • Ach, dieser Esel läuft umher,
  • Find't seine eigne Tür nicht mehr!
  • Du Dummkopf, das wird doch absichtlich so geredet, um dich wegzugraulen.
  • Ich hab's doch genau so gemacht. So wird's eben gemacht! Bester, ich
  • sag' dir, das ist ein Mädchen! Sieh dir nur mal die Augen an. Augen sind
  • das! Die reden und glühen ja förmlich. Weiß der Teufel! Und die Nase ...
  • Himmel, ist das 'ne Nase! Wie Alabaster so weiß. Ach was, Alabaster
  • reicht da gar nicht heran. Sieh du sie dir nur erst mal ordentlich an.
  • Podkoliessin (lächelnd). Ja, jetzt sehe ich es selbst: sie ist wirklich
  • schön.
  • Kotschkarjow. Natürlich ist sie's! Hör mal: jetzt, nachdem sie alle fort
  • sind, können wir gleich reingehen, du erklärst dich, und die Geschichte
  • ist erledigt.
  • Podkoliessin. Nein, das tue ich denn doch nicht.
  • Kotschkarjow. Warum denn nicht?
  • Podkoliessin. Das wäre doch zu unverschämt. Wir sind doch so viele, mag
  • sie selbst wählen.
  • Kotschkarjow. Was gehen denn dich die andern an? Fürchtest du dich vor
  • der Konkurrenz. Wie? Oder willst du, daß ich sie alle in einer Minute
  • hinausbefördere?
  • Podkoliessin. Ja, wie willst du sie denn hinausbefördern?
  • Kotschkarjow. Das laß nur meine Sache sein! Versprich mir nur das eine,
  • daß du nachher dein Wort nicht zurücknimmst.
  • Podkoliessin. Weshalb sollte ich das nicht versprechen? Bitte schön, ich
  • leiste ja gar keinen Widerstand. Ich habe die feste Absicht, zu
  • heiraten! -- --
  • Kotschkarjow. Deine Hand darauf!
  • Podkoliessin (reicht ihm die Hand). Hier.
  • Kotschkarjow. Nun, mehr brauch' ich nicht. (Beide ab.)
  • Zweiter Aufzug
  • Zimmer im Hause Agathe Tichonownas.
  • 1. Auftritt
  • Agathe Tichonowna allein; später Kotschkarjow.
  • Agathe Tichonowna. Nein, wie schwer wird einem doch eine solche Wahl!
  • Wären es nur einer oder zwei. Aber nun gleich vier. Ja, wer die Wahl
  • hat, hat die Qual! Nikanor Iwanowitsch ist ja nicht übel; obwohl er
  • etwas zu mager ist. Iwan Kusmitsch ist übrigens auch nicht häßlich und,
  • wenn ich die Wahrheit sagen soll, so ist zwar Iwan Pawlowitsch ein wenig
  • dick, aber doch ein ganz stattlicher Mann. Schöne Geschichte! Was soll
  • ich nur anfangen? Andererseits hat auch Baltasar Baltasarowitsch seine
  • Vorzüge. Nein, wie schwer wird einem doch solch ein Entschluß! Es läßt
  • sich gar nicht sagen, wie schwer. Wenn man die Lippen Nikanor
  • Iwanowitschs nehmen und die Nase Iwan Kusmitschs darüber setzen könnte,
  • und wäre dazu etwas von der Keckheit Baltasar Baltasarowitschs und dann
  • noch ein wenig von der Fülle Iwan Pawlowitschs dabei -- dann würde ich
  • mich auf der Stelle entschließen. So aber, ach, ich mag gar nicht daran
  • denken! Der Kopf schmerzt mir schon. Vielleicht wäre es das Beste, darum
  • zu losen. Möge Gott entscheiden! Wen ich ziehe, der soll mein Mann
  • werden. So, ich werde alle Namen auf Zettelchen schreiben, sie rollen,
  • durcheinanderschütteln, und mag dann kommen, was kommen will. (Sie geht
  • an das Tischchen, holt Papier und eine Schere herauf, schneidet einige
  • Zettel, rollt sie und fährt fort.) Wie schrecklich ist doch die Lage
  • eines jungen Mädchens, besonders wenn sie verliebt ist ... Kein Mann
  • kann sich da hineinversetzen, ach, keiner wird sie auch nur verstehen
  • wollen. So, jetzt sind sie alle fertig. Jetzt brauche ich sie nur ins
  • Täschchen zu stecken, die Augen zuzumachen und dann mag kommen, was da
  • will. (Sie legt die Zettel in den Pompadour und mischt sie mit der
  • Hand.) Wie ängstlich ich bin! Ach, wenn Gott gäbe, daß ich Nikanor
  • Iwanowitsch zöge ... Doch nein, warum grade ihn? ... Lieber schon Iwan
  • Kusmitsch. Aber warum grade Iwan Kusmitsch? Die andern sind doch auch
  • nicht schlechter. Nein, ich will an nichts denken. Wen ich herausziehe,
  • der mag es schon sein. Endgültig! (Sie sucht mit der Hand im Pompadour
  • herum und zieht statt eines Zettels -- alle auf einmal.) Ach Herr Gott,
  • jetzt habe ich alle auf einmal herausgezogen ... Ach, wie mein Herz
  • klopft ... Nein, nein, nur einen! (Sie legt die Zettel wieder in den
  • Pompadour und mischt sie von neuem. In diesem Augenblick kommt
  • Kotschkarjow leise herein und tritt hinter sie.) Ach, wenn ich doch
  • Baltasar Baltasarowitsch, nein, ich wollte sagen Nikanor Iwanowitsch ...
  • Nein, nein, ich will nicht. Das Schicksal mag entscheiden.
  • Kotschkarjow. Nehmen Sie Iwan Kusmitsch! Fertig! Das ist schon das
  • allerbeste.
  • Agathe Tichonowna. Ach! (Sie schreit auf, bedeckt das Gesicht mit beiden
  • Händen und fürchtet sich, sich umzusehen.)
  • Kotschkarjow. Warum erschrecken Sie so? Haben Sie keine Angst; ich bin
  • es. Wirklich, nehmen Sie schon Iwan Kusmitsch.
  • Agathe Tichonowna. Ach, ich schäme mich so. Gewiß haben Sie gehorcht.
  • Kotschkarjow. Das schadet doch nichts! Ich gehöre doch zur Familie. Vor
  • mir brauchen Sie ja keine Geheimnisse zu haben. Lassen Sie mich doch Ihr
  • Gesichtchen sehen.
  • Agathe Tichonowna (zieht die Hand zur Hälfte zurück). Nein, wirklich,
  • ich schäme mich!
  • Kotschkarjow. Also, nehmen Sie Iwan Kusmitsch.
  • Agathe Tichonowna. Ach! (Schreit wieder auf und bedeckt das Gesicht von
  • neuem mit den Händen.)
  • Kotschkarjow. Wirklich, er ist ein prächtiger Mensch; er hat sein
  • Ressort famos in die Höhe gebracht. Wahrhaftig, ein seltener Mensch!
  • Agathe Tichonowna (zieht ihre Hände wieder langsam zurück). Wie aber ...
  • und der andere? Nikanor Iwanowitsch? Das ist doch auch ein
  • vortrefflicher Mensch.
  • Kotschkarjow. Aber, ich bitte Sie, das ist doch nur Bruch; im Vergleich
  • zu Iwan Kusmitsch.
  • Agathe Tichonowna. Wieso denn?
  • Kotschkarjow. Aber das ist doch ganz klar! Iwan Kusmitsch ist eben ein
  • Mensch ... nun also, ein Mensch, so, wie Sie ihn einfach nicht wieder
  • finden.
  • Agathe Tichonowna. Und Iwan Pawlowitsch?
  • Kotschkarjow. Na, Iwan Pawlowitsch ist natürlich auch Bruch; kurz und
  • gut, sie sind eben alle Bruch.
  • Agathe Tichonowna. Wirklich alle?
  • Kotschkarjow. Urteilen Sie doch selbst. Sie brauchen nur zu vergleichen.
  • So oder so -- Iwan Kusmitsch, und daneben die andern ... hergelaufenes
  • Gesindel! Dieser Iwan Pawlowitsch, dieser Nikanor Iwanowitsch. Pfui
  • Teufel noch einmal!
  • Agathe Tichonowna. Eigentlich haben Sie recht! Es sind wahrhaftig recht
  • unansehnliche Menschen.
  • Kotschkarjow. Was? ... Unansehnlich? Pack! Strolche! Eine ganz
  • gefährliche Bande! Haben Sie denn Lust, schon am Tage nach der Hochzeit
  • geschlagen zu werden?
  • Agathe Tichonowna. O mein Gott! Welch ein Unglück ... ich könnte mir
  • kein furchtbareres Unglück denken.
  • Kotschkarjow. Etwas Furchtbareres läßt sich auch gar nicht vorstellen.
  • Agathe Tichonowna. Also Sie meinen, ich soll Iwan Kusmitsch nehmen?
  • Kotschkarjow. Gewiß. Iwan Kusmitsch. Natürlich! Iwan Kusmitsch
  • (Beiseite.) Ich glaube, die Sache geht glatt. Podkoliessin sitzt im
  • Café, ich will gleich mal hinlaufen und ihn holen.
  • Agathe Tichonowna. Also, Sie meinen wirklich, daß ich Iwan Kusmitsch
  • nehmen soll?
  • Kotschkarjow. Unbedingt Iwan Kusmitsch ...
  • Agathe Tichonowna. Und ich soll den andern einen Korb geben?
  • Kotschkarjow. Selbstverständlich! ...
  • Agathe Tichonowna. Wie soll ich das nur machen? Ich schäme mich ein
  • wenig.
  • Kotschkarjow. Was ist dabei zu schämen? ... Sagen Sie doch einfach, Sie
  • fühlen sich noch zu jung zum Heiraten.
  • Agathe Tichonowna. Das werden sie mir nicht glauben. Sie werden erst
  • fragen: wie, warum, weswegen ...
  • Kotschkarjow. Ja, wollen Sie die Gesellschaft auf einmal loswerden, dann
  • sagen Sie doch einfach: »Macht daß ihr rauskommt, Ihr Esel!«
  • Agathe Tichonowna. Aber nein, so was sagt man doch nicht!
  • Kotschkarjow. Versuchen Sie's nur mal, seien Sie sicher, danach laufen
  • sie alle davon.
  • Agathe Tichonowna. Nein, das wäre ja geradezu grob.
  • Kotschkarjow. Aber Sie sehen sie doch nicht mehr wieder. Da kann's Ihnen
  • doch gleich bleiben.
  • Agathe Tichonowna. Es schickt sich aber doch nicht. Und dann, sie
  • könnten in Wut geraten.
  • Kotschkarjow. Das ist doch kein Unglück, wenn sie böse werden. Wenn's
  • noch irgendwelche Folgen hätte, dann wär's was anderes. Das Schlimmste,
  • was Ihnen passieren kann, ist, daß Ihnen der eine oder der andere ins
  • Gesicht spuckt. Weiter nichts! ...
  • Agathe Tichonowna. Nun, da sehen Sie's!
  • Kotschkarjow. Nun? Was schadet denn das? Manch einem ist das schon ein
  • paarmal passiert. Bei Gott! Da hab' ich einen Bekannten, einen hübschen
  • Kerl, mit roten Backen, der hat seinem Chef so lange auf dem Hals
  • gelegen, ihn um Zulage gequält, bis der es schließlich nicht mehr
  • aushielt, und ihm gradweg ins Gesicht spuckte. Bei Gott! »Da hast du
  • deine Zulage,« hat er ihn angebrüllt, »laß mich in Ruhe, du Satan!« aber
  • bekommen hat er die Zulage nachher doch. Was hat's ihm geschadet, daß er
  • ihn angespuckt hat? Ja, hätte er kein Taschentuch bei sich gehabt! Aber
  • er hatte ja eins in der Tasche, nahm es heraus und wischte sich ab.
  • (Draußen schellt es.) Aha, es klopft, da kommt wohl schon einer
  • angezogen. Aber jetzt möchte ich keinem von ihnen begegnen. Sagen Sie,
  • gibt es hier keinen zweiten Ausgang?
  • Agathe Tichonowna. Ja, doch, hier über die Hintertreppe ... Ich zittre
  • am ganzen Körper. Wahrhaftig! ...
  • Kotschkarjow. Das macht nichts. Nur Mut und Selbstvertrauen! Leben Sie
  • wohl. (Beiseite.) Ich muß doch den Podkoliessin schnell herschleppen.
  • 2. Auftritt
  • Agathe Tichonowna und Eierkuchen.
  • Eierkuchen. Ich bin mit Absicht etwas früher gekommen, mein Fräulein, um
  • Sie ganz allein zu sprechen und zwar in aller Ruhe. Was meinen Rang
  • anbetrifft, Fräulein, so sind Sie, wie ich glaube, zur Genüge
  • informiert. Ich bin Kollegien-Assessor; meine Vorgesetzten lieben mich;
  • meine Untergebenen gehorchen mir; ich bedarf also nichts als einer
  • Lebensgefährtin.
  • Agathe Tichonowna. Ja.
  • Eierkuchen. Jetzt aber habe ich eine gefunden, nämlich Sie! Bitte,
  • antworten Sie mir, aber ohne Umschweife: Ja, oder nein! (Er betrachtet
  • ihre Schultern; beiseite.) In der Tat, sie ist nicht so mager, wie die
  • deutschen Mädchen; sie hat doch wenigstens was auf sich.
  • Agathe Tichonowna. Aber ich bin doch noch zu jung; ich will noch nicht
  • heiraten.
  • Eierkuchen. Aber ich bitte Sie, mein Fräulein, warum bemüht sich dann
  • die Vermittlerin? Nein, vielleicht wollten Sie etwas anderes sagen;
  • sprechen Sie sich ruhig aus! (Es klingelt.) Teufel, die lassen einem ja
  • nicht mal Zeit, die Sache richtig anzupacken.
  • 3. Auftritt
  • Die Vorigen und Schewakin.
  • Schewakin. Mein gnädiges Fräulein, ich bitte Sie um Verzeihung, wenn ich
  • vielleicht ein wenig zu früh erscheine. (Dreht sich um und erblickt
  • Eierkuchen.) Aha, es ist schon jemand hier. Iwan Pawlowitsch, ich habe
  • die Ehre!
  • Eierkuchen (beiseite). Hol' dich der Teufel mit deiner Ehre. (Laut.)
  • Also, wie steht's, mein Fräulein? Sagen Sie doch nur ein Wort: Ja oder
  • nein? (Es läutet. Eierkuchen spuckt wütend aus.) Schon wieder die
  • Glocke!
  • 4. Auftritt
  • Die Vorigen und Anutschkin.
  • Anutschkin. Vielleicht, mein Fräulein, dürfte ich etwas früher gekommen
  • sein, als es die Regeln des Anstandes erlauben. (Erblickt die übrigen
  • und begrüßt sie mit einem Ausruf des Erstaunens.) Ah, Ihr ergebener
  • Diener!
  • Eierkuchen (bei sich). Zum Teufel mit deinem Diener! Dich hat der Satan
  • hergeführt. Wenn du doch auf deinen dürren Stelzen zusammenklapptest!
  • (Laut.) Nun also, mein Fräulein, entscheiden Sie sich jetzt! Sie wissen,
  • mich ruft mein Dienst, ich habe nicht viel Zeit zu verlieren. Ja oder
  • nein?
  • Agathe Tichonowna (verlegen). Es ist nicht nötig ... es ist nicht nötig
  • ... nicht doch ... (Zu sich selber.) Ich weiß ja gar nicht, was ich
  • spreche.
  • Eierkuchen. Wie, nicht nötig? In welcher Hinsicht nicht nötig?
  • Agathe Tichonowna. Ach nein, nein, das wollte ich ja gar nicht sagen.
  • (Plötzlich Mut fassend.) Raus! (Schlägt die Hände vor dem Gesicht
  • zusammen.) Ach, mein Gott, mein Gott, was hab' ich nur gesagt!
  • Eierkuchen. Wie raus? Was bedeutet das: Raus? Ich muß Sie fragen, was
  • Sie darunter verstanden haben wollen? (Stemmt die Arme drohend in die
  • Seite und geht auf sie zu.)
  • Agathe Tichonowna (sieht ihn erschrocken an und schreit entsetzt auf).
  • Mein Gott, er will mich schlagen! Er will mich schlagen!
  • (Sie läuft hinaus; Eierkuchen bleibt mit offenem Munde stehen.
  • Auf ihr Schreien kommt)
  • Arina Panteleimonowna (hereingelaufen. Sowie sie ihm ins Gesicht sieht,
  • schreit sie ebenfalls auf). Mein Gott, er will mich schlagen! (Läuft
  • hinaus.)
  • Eierkuchen. Was für eine Komödie geht hier vor sich? Eine schöne
  • Geschichte das! (Es läutet wieder an der Türe; man hört von draußen
  • Stimmen.)
  • Stimme Kotschkarjows. So komm doch endlich! Komme doch rein! Was stehst
  • du denn da?
  • Stimme Podkoliessins. Geh nur voran! Laß mich einen Augenblick. Mein
  • Hosenträger ist mir losgegangen. Laß mich ihn erst wieder befestigen.
  • Stimme Kotschkarjows. Du läufst mir nur wieder weg.
  • Stimme Podkoliessins. Wahrhaftig nicht. Ich laufe nicht weg. Bei Gott
  • nicht.
  • 5. Auftritt
  • Die Vorigen und Kotschkarjow.
  • Kotschkarjow. Da haben wir's! Als ob's so nötig wäre, sich die
  • Hosenträger in Ordnung zu bringen.
  • Eierkuchen (sich zu ihm wendend). Bitte, sagen Sie: das Fräulein hier
  • ist wohl etwas dumm? Wie? ...
  • Kotschkarjow. Wieso? Was ist denn passiert?
  • Eierkuchen. Ihr Benehmen ist wirklich höchst merkwürdig. Sie läuft
  • einfach hinaus und schreit in einem fort: »Er schlägt mich ... er
  • schlägt mich!« Weiß der Teufel, was das bedeuten soll!
  • Kotschkarjow. Aha ... Ja, das kommt bei ihr öfters vor. Sie ist eben ein
  • bißchen beschränkt.
  • Eierkuchen. Sagen Sie bitte, Sie sind doch verwandt mit ihr ...
  • Kotschkarjow. Aber gewiß. Ich bin ihr Verwandter.
  • Eierkuchen. So ... und in welchem Grade?
  • Kotschkarjow. Das kann ich nicht so genau feststellen. Die Tante meiner
  • Mutter hängt irgendwie mit ihrem Vater zusammen. Oder auch ihr Vater
  • irgendwie mit meiner Tante. Meine Frau weiß darin besser Bescheid als
  • ich. Das ist ihre Angelegenheit.
  • Eierkuchen. Und ist sie denn schon lange so albern?
  • Kotschkarjow. Ja, das hat sie schon seit der Geburt.
  • Eierkuchen. Hm, besser wär's freilich, wenn sie etwas klüger wäre.
  • Übrigens, mag sie doch dumm sein, auch gut, wenn nur das übrige in
  • Ordnung ist.
  • Kotschkarjow. Ja, sie bekommt doch nichts mit!
  • Eierkuchen. Was? ... Und das steinerne Haus?
  • Kotschkarjow. Aber, das sind doch bloß Redensarten. Das heißt doch nur
  • so -- es wäre von Stein ... Wenn Sie wüßten, wie das Haus gebaut ist!
  • Die Mauern sind doch nicht massiv! Zwei Reihen Ziegelsteine und
  • dazwischen Sägemehl und Hobelspäne und allerhand solch ein Plunder.
  • Eierkuchen. Was sagen Sie? ...
  • Kotschkarjow. Natürlich, wissen Sie denn nicht, wie heutzutage Häuser
  • gebaut werden? Doch nur, damit man sie beleihen kann.
  • Eierkuchen. Aber auf diesem Hause liegen ja keine Hypotheken.
  • Kotschkarjow. Von wem haben Sie sich denn das erzählen lassen? Das ist's
  • ja eben. Wenn's nur die Hypotheken wären ... Die Zinsen für die beiden
  • letzten Jahre sind noch nicht einmal bezahlt. Und dann hat sie noch
  • einen Bruder im Senat, der streckt auch seine Finger nach dem Hause aus.
  • Es gibt keinen größeren Halunken auf der Welt, als den. Seiner eigenen
  • Mutter würde er den letzten Rock wegnehmen, der Elende.
  • Eierkuchen. Was hat mir denn aber die Vermittlerin gesagt ... Oh, diese
  • Bestie, dieser Auswurf der Menschheit! (Beiseite.) Aber vielleicht lügt
  • er nur? Ich muß die Alte einem strengen Verhör unterziehen. Und sollte
  • etwas Wahres dran sein, na, dann soll sie mir ein ander Liedchen
  • anstimmen.
  • Anutschkin. Dürfte ich Ihnen auch mit einer Frage lästig fallen? ... Ich
  • muß gestehen, ich spreche selbst nicht Französisch, und da ist es
  • außerordentlich schwer zu beurteilen, ob eine Dame es kann oder nicht.
  • Spricht sie Französisch?
  • Kotschkarjow. Ach wo, keine Ahnung hat sie!
  • Anutschkin. Was sagen Sie?
  • Kotschkarjow. Wie, ich muß das doch wissen! Sie war ja mit meiner Frau
  • im selben Pensionat. Ihre Faulheit war geradezu berühmt; kurz, immer war
  • sie die Dumme. Vor allem der französische Lehrer, der hat sie beständig
  • mit dem Stock geschlagen.
  • Anutschkin. Denken Sie sich! Sofort, als ich sie sah, hatte ich's im
  • Gefühl: die versteht kein Französisch.
  • Eierkuchen. Ach, hol' euch der Teufel mit eurem Französisch. Aber dieses
  • verfluchte Weib, die Thekla Iwanowna, diese Bestie, diese alte Hexe!
  • Wenn Sie bloß wüßten, wie schön sie mir das alles ausgemalt hat. Die
  • reinste Künstlerin! »Bitte, ein Haus,« sagte sie, »und zwei Seitenflügel
  • dazu, auf einem vorzüglichen Fundament, silberne Löffel, ein Schlitten
  • -- man braucht sich nur reinzusetzen und loszufahren.« Mit einem Wort,
  • man findet es selten in einem Roman so schön dargestellt. Ach, du alte
  • Schuhsohle, verfluchte, warte, wenn ich dich nur in die Finger kriege
  • ...
  • 6. Auftritt
  • Die Vorigen und Thekla.
  • (Sobald sie sie erblicken, stürzen sie alle, durcheinandersprechend,
  • auf sie zu.)
  • Eierkuchen. Ah, da ist sie ja! Bitte, komm mal her, alte Sünderin!
  • Näher, immer näher, noch näher ... komm mal her!
  • Anutschkin. Also so konnten Sie mich hintergehen, Thekla Iwanowna?
  • Kotschkarjow. Weh dir, Barbara, jetzt warte deines Gerichts!
  • Thekla. Von all dem versteh' ich kein Wort! Ihr macht mich ja ganz taub.
  • Eierkuchen. Eine Reihe Ziegelsteine, du alte Schuhsohle, und nichts als
  • Hobelspäne dazwischen; und was hast du mir vorgelogen, von einem
  • Zwischenstock, und weiß der Teufel was sonst noch?
  • Thekla. Ich weiß es doch nicht, ich hab's nicht gebaut; vielleicht darf
  • es gar nicht anders sein, vielleicht muß es nur eine Reihe Ziegelsteine
  • haben, daher ist's auch so gebaut worden.
  • Eierkuchen. Und dann die Hypotheken! Hol' dich der Teufel, verfluchte
  • Hexe! (Stampft wütend mit dem Fuße auf.)
  • Thekla. Du bist mir einer! Hier noch zu schimpfen. Ein andrer würde mir
  • dankbar sein, daß ich mich so für ihn abgequält habe.
  • Anutschkin. Ja, Thekla Iwanowna, mir haben Sie auch erzählt, daß sie
  • Französisch kann.
  • Thekla. Kann sie auch, mein Lieber. Deutsch und Französisch, alles kann
  • sie; auf all die feinen Manieren versteht sie sich.
  • Anutschkin. O nein, mir scheint, sie spricht nur Russisch.
  • Thekla. Ist denn das so schlimm? Russisch ist doch verständlicher, daher
  • spricht sie eben Russisch. Und spräche sie irgendeine barbarische
  • Sprache, so säßest doch nur du in der Patsche. Kein Wort würdest du
  • verstehen! Da ist doch über unser Russisch weiter kein Wort zu
  • verlieren. Das kennt man wenigstens, auch die lieben Heiligen haben doch
  • Russisch gesprochen.
  • Eierkuchen. Nun? komm mal näher, immer näher, du Hexe!
  • Thekla (weicht zurück und sucht die Tür zu erreichen). Nein, ich danke
  • bestens. Ich kenne dich. Du bist ein gefährlicher Mensch. Ehe man sich's
  • versieht, haust du zu.
  • Eierkuchen. Paß auf, Herzchen, das bleibt dir nicht geschenkt! Ich nehm'
  • dich und bring' dich zur Polizei; du sollst schon merken, was es heißt,
  • ehrliche Leute zu betrügen. Darauf kannst du dich verlassen. Deiner
  • Braut aber bestelle von mir: in meinen Augen ist sie ein Lump! Hörst du,
  • vergiß es nicht, zu bestellen! (Geht hinaus.)
  • Thekla. Seht doch einer den an. Wie wütend der ist! Er denkt, weil er so
  • dick ist, könnt' es keiner mit ihm aufnehmen. Und ich sage dir, du bist
  • selbst ein Lump! Hörst du!
  • Anutschkin. Ich muß Ihnen ebenfalls gestehen, meine Verehrteste, ich
  • hätte nie gedacht, daß Sie mich so betrügen könnten! Wenn ich's gewußt
  • hätte, daß die Dame auf solch einem Niveau der Bildung steht, keinen Fuß
  • würde ich über die Schwelle dieses Hauses gesetzt haben! Jawohl! (Geht
  • hinaus.)
  • Thekla. Ihr habt wohl Tollkirschen gefressen, oder einen zu viel
  • genippt? Seht mal an, mäkeln die hier herum; dem ist die Bildung wohl
  • auch in den Kopf gestiegen!
  • 7. Auftritt
  • Thekla, Kotschkarjow und Schewakin.
  • Kotschkarjow (sieht Thekla an und zeigt mit dem Finger laut lachend auf
  • sie). Hahaha!
  • Thekla (ärgerlich). Na, was strapazierst du denn deinen Hals so?
  • Kotschkarjow (fährt fort zu lachen).
  • Thekla. Du wirst gleich platzen!
  • Kotschkarjow. 'ne schöne Heiratsvermittlerin bist du mir. Eine
  • Künstlerin in deinem Fach! Du hast die Sache aber raus. (Lacht
  • unaufhörlich weiter.)
  • Thekla. Was der zu lachen hat? ... Deine selige Mutter wird wohl auch
  • nicht ganz bei Troste gewesen sein, als sie dich zur Welt brachte. (Sie
  • läuft wütend hinaus.)
  • 8. Auftritt
  • Kotschkarjow und Schewakin.
  • Kotschkarjow (fährt fort zu lachen). Herrgott, ich kann einfach nicht
  • mehr! Bei Gott, ich kann nicht mehr! Ich halt's nicht mehr aus, ich
  • platze vor Lachen. (Lacht weiter.)
  • Schewakin (sieht ihn an und fängt gleichfalls an zu lachen).
  • Kotschkarjow (ermüdet in einen Stuhl sinkend). Wahrhaftig, mir geht die
  • Puste aus! Ich fühle, wenn ich noch lange so weiter lache, so verrecke
  • ich.
  • Schewakin. Ihr fröhliches Naturell gefällt mir außerordentlich. Wissen
  • Sie, bei unserm Geschwader, das unter Kapitän Bolderow stand, war auch
  • ein Kadett, namens Petuchow. Anton Iwanowitsch. Der war auch immer so
  • fröhlich. Dem brauchte man nur den kleinen Finger zu zeigen, und schon
  • lachte er los! Bei Gott! Und dann lachte er den ganzen Tag hindurch, bis
  • zum späten Abend ... Wenn ihn einer nur ansah, kriegte er schon das
  • Lachen, und eh' man's sich versah, lachte man selber mit.
  • Kotschkarjow (atemholend). Ach Gott, erbarme dich meiner. Diese dumme
  • Gans, was die sich einbildet. Wie soll sie es fertig kriegen, einen
  • Menschen zu verheiraten. Die will einen verheiraten! Ja, wenn ich die
  • Sache in die Hand nehme, dann will ich schon eine Heirat zustande
  • bringen.
  • Schewakin. Wirklich? ... In der Tat, könnten Sie den Heiratsvermittler
  • spielen? ...
  • Kotschkarjow. Selbstverständlich! Ich übernehme es, jedes beliebige Paar
  • zusammenzubringen.
  • Schewakin. Hören Sie mal, wenn das stimmt, so .... verschaffen Sie mir
  • doch das Fräulein.
  • Kotschkarjow. Ihnen? ... Was brauchen Sie denn zu heiraten?
  • Schewakin. Warum denn nicht! Erlauben Sie mal, das ist doch eine
  • seltsame Frage! Es ist doch klar, wozu.
  • Kotschkarjow. Sie haben doch eben gehört, daß sie nichts mitbekommt.
  • Schewakin. Wo nichts ist, hat der Kaiser sein Recht verloren! ... Das
  • ist ja nicht schön, aber bei diesem entzückenden Fräulein mit den
  • reizenden Manieren, da kann man schließlich auch ohne Mitgift auskommen.
  • Ein kleines Kämmerchen, (macht eine entsprechende Geste) ein kleiner
  • Flur, eine kleine spanische Wand oder so etwas wie ein Vorhang ...
  • Kotschkarjow. Ja, aber was gefällt Ihnen denn an ihr so sehr?
  • Schewakin. Wenn ich offen sein soll, so ist es grade jene Fülle, die sie
  • auszeichnet. Sehen Sie, ich bin ein großer Amateur in bezug auf ... auf
  • ... rundliche Frauen.
  • Kotschkarjow (sieht ihn von der Seite an und sagt dann zu sich selbst).
  • Na, damit kann er gerade nicht allzusehr Staat machen. Sieht selbst aus,
  • wie ein ausgeschüttelter Tabaksbeutel. (Laut.) Wissen Sie, Sie sollten
  • überhaupt nicht heiraten.
  • Schewakin. Wie meinen Sie das? ...
  • Kotschkarjow. Ganz einfach. Was haben Sie denn für eine Figur? Unter uns
  • gesagt, Sie haben ja die reinsten Hahnenfüße.
  • Schewakin. Hahnenfüße? ...
  • Kotschkarjow. Natürlich! ... Gewiß! ... Wonach sehen Sie denn aus?
  • Schewakin. Nein, erlauben Sie mal, wie können Sie sagen, ich hätte
  • Hahnenfüße?
  • Kotschkarjow. Sehr einfach! Das sind doch Hahnenfüße! ...
  • Schewakin. Gestatten Sie mal, mir scheint, in Ihren Worten liegt etwas:
  • mir scheint, Sie werden _persönlich_!
  • Kotschkarjow. Ich sage Ihnen das doch nur, weil ich weiß, daß Sie ein
  • vernünftiger Mensch sind. Einem andern hätte ich das doch nicht gesagt.
  • Also gut, ich verschaffe Ihnen eine Frau; aber eine andere.
  • Schewakin. Dann möchte ich Sie doch bitten ... keine andere. Seien Sie
  • schon so gut ... bleiben wir bei dieser.
  • Kotschkarjow. Schön, wenn Sie denn durchaus wollen ... meinetwegen. Aber
  • unter einer Bedingung ... Sie dürfen sich nicht hineinmischen. Sie
  • dürfen sich dem Fräulein überhaupt nicht zeigen. Ich werde alles allein
  • machen.
  • Schewakin. Erlauben Sie mal, ohne mich geht es denn doch nicht. Immerhin
  • werde ich mich doch wohl dabei sehen lassen müssen.
  • Kotschkarjow. Nein, durchaus nicht. Gehen Sie nach Hause und warten Sie
  • auf mich. Heute abend ist alles in schönster Ordnung.
  • Schewakin (reibt sich die Hände). Famos! Das wäre ja famos. Sagen Sie,
  • brauchen Sie denn kein Attest, kein Dienstzeugnis? Vielleicht dürfte
  • sich das Fräulein doch dafür interessieren. Ich werde sofort laufen und
  • es holen.
  • Kotschkarjow. Nein, nein, ich brauche nichts! Gehen Sie nur ruhig nach
  • Hause. Verlassen Sie sich drauf, Sie bekommen noch heute Nachricht. (Er
  • begleitet ihn hinaus.) Teufel auch, das würde dir wohl passen! ... Doch
  • was ist das nur? Warum kommt denn der Podkoliessin nicht wieder? Das ist
  • doch sehr merkwürdig! Er kann doch seine Hosenträger nicht ewig in
  • Ordnung bringen ... Am Ende muß ich noch selbst hinlaufen und ihn holen.
  • 9. Auftritt
  • Kotschkarjow, Agathe Tichonowna.
  • Agathe Tichonowna (sieht sich nach allen Seiten um). Sind sie fort? ...
  • Ist niemand mehr hier? ...
  • Kotschkarjow. Niemand! ... Sie sind alle fort! ...
  • Agathe Tichonowna. Ach, wenn Sie wüßten, wie ich gezittert habe. Nein,
  • so etwas habe ich wirklich noch nicht erlebt. Ach, wie furchtbar war
  • dieser Eierkuchen! ... Wie ein Tyrann wird der einmal seine Frau
  • behandeln. Ich fürchte immer noch, er könnte jeden Augenblick
  • zurückkommen.
  • Kotschkarjow. Nein, der kommt nicht wieder. Ich setze meinen Kopf ein,
  • daß keiner von beiden seine Nase mehr zur Türe hineinsteckt.
  • Agathe Tichonowna. Und der Dritte?
  • Kotschkarjow. Welcher Dritte?
  • Schewakin (steckt leise den Kopf zur Tür hinein). Ich hörte für mein
  • Leben gern, was ihr kleines Mündchen von mir sagen wird ... Oh, dieses
  • zarte Röschen!
  • Agathe Tichonowna. Ich meine ... Baltasar Baltasarowitsch ...
  • Schewakin. Jetzt kommt's, jetzt kommt's! (Reibt sich die Hände.)
  • Kotschkarjow. Verflucht noch mal, ich denke mir, von wem reden Sie bloß?
  • Der Kerl ist ja ein ausgemachter Tölpel! -- Pfui Teufel nochmal!
  • Schewakin. Was ist das? ... Wahrhaftig, davon versteh' ich kein Wort.
  • Agathe Tichonowna. Aber auf den ersten Blick machte er auf mich den
  • Eindruck eines sehr guten Menschen.
  • Kotschkarjow. Er ist aber doch immer betrunken!
  • Schewakin. Bei Gott, ich verstehe nichts davon!
  • Agathe Tichonowna. Wahrhaftig ... er trinkt?
  • Kotschkarjow. Ich bitte Sie ... ein ausgekochter Lump!
  • Schewakin (laut). Nein, gestatten Sie! Ich habe Sie denn doch nicht
  • gebeten, derartige Behauptungen aufzustellen. Hätten Sie einige Worte zu
  • meinen Gunsten geredet, oder irgend etwas Lobendes gesagt, das wäre
  • etwas anderes gewesen ... Mit diesen Worten jedoch, nein bitte, suchen
  • Sie sich dafür einen andern aus. Nein, ich danke bestens. Ergebener
  • Diener.
  • Kotschkarjow (beiseite). Warum mußte der Kerl nur zurückkommen! (Zu
  • Agathe Tichonowna.) Sehen Sie, sehen Sie nur ... er kann sich ja kaum
  • noch auf den Füßen halten. Und so benimmt er sich jeden Tag. Jagen Sie
  • ihn doch zum Teufel, fertig! (Beiseite.) Daß dieser verfluchte
  • Podkoliessin noch nicht da ist ... Dieser Lump! ... Na warte ... das
  • will ich dir anstreichen! (Geht ab.)
  • 10. Auftritt
  • Agathe Tichonowna und Schewakin.
  • Schewakin (beiseite). Verspricht, mich zu loben und ... statt dessen ...
  • beschimpft er mich. Ein seltsamer Mensch! (Laut.) Mein gnädiges
  • Fräulein, schenken Sie seinen Worten keinen Glauben.
  • Agathe Tichonowna. Nein, entschuldigen Sie mich, ich fühle mich nicht
  • ganz wohl. Der Kopf schmerzt mir so. (Will gehen.)
  • Schewakin. Aber vielleicht gefällt Ihnen etwas nicht an mir? (Er zeigt
  • auf seinen Kopf.) Bitte, achten Sie nicht darauf, daß ich einen gewissen
  • Anflug von Glatze habe. Das macht nichts. Es ist mir vom Fieber
  • zurückgeblieben. Mit der Zeit kommen die Haare schon wieder.
  • Agathe Tichonowna. Es interessiert mich nicht, was Ihnen fehlt.
  • Schewakin. Und dann, mein gnädiges Fräulein, wenn ich einen schwarzen
  • Frack anziehe, wird mein Teint um vieles heller.
  • Agathe Tichonowna. Um so besser für Sie. Leben Sie wohl! (Sie geht
  • hinaus.)
  • 11. Auftritt
  • Schewakin allein.
  • Schewakin (ihr nachrufend). Mein Fräulein, bitte, gestatten Sie, sagen
  • Sie mir bitte, was ist geschehen. Warum, weshalb? ... Haftet mir denn
  • irgendein wesentlicher Makel an? ... Fort! Wie seltsam! Das passiert mir
  • nun schon das siebzehnte Mal, und immer läuft es fast ebenso aus. Im
  • Anfang geht alles glatt, und wenn die Geschichte zum Klappen kommt,
  • dann, eh' ich mich's versehe, hab' ich meinen Korb weg. (Geht
  • nachdenklich auf und ab) Ja, ja ... das ist nun bereits die Siebzehnte
  • .... Und was hat sie bloß? ... Warum sollte sie nicht zum Beispiel ...
  • (Nachdenklich.) Eine dunkle, höchst dunkle Geschichte ... Wenn ich noch
  • wirklich so häßlich wäre ... (Betrachtet sich.) Aber das kann doch kein
  • Mensch behaupten! Gott sei Dank! Die Natur hat einen doch wirklich nicht
  • stiefmütterlich behandelt. Unbegreiflich! Ob ich nicht schnell mal nach
  • Hause laufe und in meinem Kästchen nachsehe? Ich muß doch da noch ein
  • paar Verse liegen haben. Denen kann keine widerstehen ... Bei Gott! Und
  • ich begreife das alles gar nicht! Zuerst schien's mir so gut zu glücken.
  • ... Ja, ich werde wohl kehrtmachen müssen. Schade, sehr schade! (Geht
  • ab.)
  • 12. Auftritt
  • (Podkoliessin und Kotschkarjow treten ein und blicken zurück.)
  • Kotschkarjow. Er hat uns nicht bemerkt! Hast du gesehen, mit was für
  • einer langen Nase er abgezogen ist?
  • Podkoliessin. Tatsächlich? ... Also er hat eben so einen Korb bekommen,
  • wie die andern?
  • Kotschkarjow. ... Einen mächtigen!
  • Podkoliessin (mit selbstgefälliger Miene). Das muß eigentlich recht
  • peinlich sein, sich einen Korb zu holen.
  • Kotschkarjow. Das will ich meinen.
  • Podkoliessin. Ich kann es noch immer nicht glauben, daß sie es ihm so
  • grade ins Gesicht gesagt hat, sie ziehe mich vor.
  • Kotschkarjow. -- Zieht dich vor? ... Ich sage dir ... sie ist einfach
  • hingerissen! Verliebt bis über die Ohren! Was sie dir nur für Kosenamen
  • gegeben hat! Eine solche Leidenschaft! ... Sie glüht ja förmlich! ...
  • Podkoliessin (lächelt selbstzufrieden). Ja, das ist wahr ... Wenn eine
  • Frau will, kann sie einem Worte sagen ... unsereiner würde niemals auf
  • so etwas kommen: »Mein Frätzchen, mein Mistkäferchen, mein
  • Fliegenpilzchen« ...
  • Kotschkarjow. Ach, das ist noch nichts! Heirate mal erst! Die Worte, die
  • du da in den ersten zwei Monaten zu hören bekommst, -- na, du zergehst
  • förmlich vor Wonne!
  • Podkoliessin (lächelnd). Wahrhaftig? ...
  • Kotschkarjow. Was für eine ehrliche Haut! Doch jetzt schnell zur Sache!
  • Geh hin, erkläre dich sofort, eröffne ihr dein Herz und bitte Sie um
  • ihre Hand.
  • Podkoliessin. Wie denn? Doch nicht etwa jetzt gleich? ... Was fällt dir
  • ein!
  • Kotschkarjow. Natürlich gleich! Ah, da ist sie ja selbst!
  • 13. Auftritt
  • Die Vorigen und Agathe Tichonowna.
  • Kotschkarjow. Mein Fräulein, ich bringe Ihnen hier einen Sterblichen,
  • den Herrn, den Sie hier vor sich sehen. Es hat überhaupt noch keinen
  • Menschen gegeben, der so verliebt war wie er. Gott behüte, das möcht'
  • ich ja meinem ärgsten Feinde nicht wünschen.
  • Podkoliessin (stößt ihn mit der Hand in die Seite, leise). Nein, hör
  • mal, du treibst es aber zu toll!
  • Kotschkarjow (zu ihm). Das schadet nichts. (Leise zu ihr.) Seien Sie nur
  • recht keck zu ihm; er ist noch etwas schüchtern. Sie müssen ziemlich
  • herausfordernd sein. Klappern Sie nur tüchtig mit den Augen und dann
  • werfen Sie ihm plötzlich einen Blick zu, daß er platt ist, der
  • Bösewicht! Oder zeigen Sie ihm ein Stückchen von Ihrer Schulter, damit
  • er mal hingucken kann, der Schuft, der! Übrigens hätten Sie auch ein
  • Kleid mit kurzen Ärmeln anziehen können! Na, schließlich ist dies auch
  • gut! (Laut.) Also, ich lasse Sie in der angenehmsten Gesellschaft
  • zurück. Ich will nur noch einen Blick in das Speisezimmer und in die
  • Küche werfen. Ich werde dort Bescheid sagen. Gleich muß der Diener
  • kommen, der das Souper bringt ... vielleicht ist der Wein auch schon da.
  • Na, auf Wiedersehen! ... (Zu Podkoliessin.) Mehr Mut, Mut! (Er geht.)
  • 14. Auftritt
  • Podkoliessin und Agathe Tichonowna.
  • Agathe Tichonowna. Aber bitte schön, so nehmen Sie doch Platz!
  • (Beide setzen sich und schweigen.)
  • Podkoliessin. -- Fahren Sie gerne spazieren?
  • Agathe Tichonowna. Wie meinen Sie das? ...
  • Podkoliessin. Im Sommer ist es doch schön, Kahn zu fahren.
  • Agathe Tichonowna. Ja, zuweilen mache ich einen Ausflug mit Bekannten.
  • Podkoliessin. Es läßt sich noch nicht voraussagen, was für einen Sommer
  • wir in diesem Jahre haben werden.
  • Agathe Tichonowna. Aber hoffentlich wird er gut!
  • (Beide schweigen.)
  • Podkoliessin. Welches ist Ihre Lieblingsblume, gnädiges Fräulein?
  • Agathe Tichonowna. Am meisten liebe ich die Blumen, die stark duften.
  • Zum Beispiel Nelken!
  • Podkoliessin. Den Damen stehen Blumen sehr gut.
  • Agathe Tichonowna. Ja, man muß sagen, sie machen recht viel Vergnügen!
  • (Beide schweigen.)
  • In welcher Kirche waren Sie am vorigen Sonntag?
  • Podkoliessin. In der Himmelfahrts-Kirche. Und eine Woche vorher, da war
  • ich in der Kasanschen Kirche. Übrigens ist es doch ganz gleich, in
  • welche Kirche man beten geht ... Nur ... die letztere ... die ist viel
  • prächtiger.
  • (Beide schweigen.)
  • (Podkoliessin beginnt mit den Fingern auf den Tisch zu trommeln.)
  • Bald findet in Katharinenhof ein Gartenfest statt.
  • Agathe Tichonowna. Ja, ich glaube, in einem Monat.
  • Podkoliessin. Oh, in kaum einem Monat!
  • Agathe Tichonowna. Es wird wohl sehr lustig werden.
  • Podkoliessin. Heute haben wir den Achten. (An den Fingern abzählend.)
  • Den Neunten, den Zehnten, den Elften ... In zweiundzwanzig Tagen.
  • Agathe Tichonowna. Denken Sie nur, schon so bald!
  • Podkoliessin. Und den heutigen Tag habe ich dabei noch gar nicht mal
  • mitgezählt.
  • (Pause.)
  • Was für mutige Leute doch unsere Russen sind!
  • Agathe Tichonowna. Wie? ...
  • Podkoliessin. Ich meine die Arbeiter! Stehen da ganz ruhig hoch oben auf
  • dem Gerüst. Ich kam nämlich heute an einem Neubau vorüber. Sitzt so ein
  • Stukkateur ganz gemütlich hoch oben und denkt sich gar nichts dabei. Er
  • fürchtet sich nicht im mindesten.
  • Agathe Tichonowna. Ja! Und wo war denn das? ...
  • Podkoliessin. Auf dem Wege nach dem Departement, da, wo ich täglich
  • vorüberkomme. Ich gehe doch jeden Morgen in den Dienst.
  • (Beide schweigen. Podkoliessin fängt wieder an, mit den Fingern
  • auf den Tisch zu klopfen. Dann steht er auf, nimmt seinen Hut und
  • macht eine Verbeugung.)
  • Agathe Tichonowna. Wie, Sie wollen schon gehen?
  • Podkoliessin. Ja, gewiß habe ich Sie gelangweilt. Entschuldigen Sie.
  • Agathe Tichonowna. Aber wie können Sie nur so etwas glauben? Im
  • Gegenteil. Ich danke Ihnen von Herzen für die angenehme Unterhaltung.
  • Podkoliessin (lächelnd). Nein, wirklich, mir schien, daß ich Sie
  • langweilte.
  • Agathe Tichonowna. Wahrhaftig nicht!
  • Podkoliessin. Oh, wenn ich mich geirrt haben sollte, so erlauben Sie mir
  • doch, daß ich zu einer anderen Zeit ... vielleicht einmal abends ...
  • Agathe Tichonowna. Ich würde mich außerordentlich freuen ... (Sie
  • verabschieden sich voneinander, und Podkoliessin geht.)
  • 15. Auftritt
  • Agathe Tichonowna (allein).
  • Welch ein würdiger Mensch! Jetzt habe ich ihn erst recht kennen gelernt!
  • Wahrhaftig, man muß ihn liebhaben! Und dabei so klug und bescheiden
  • zugleich! Ja, sein Freund hatte vollständig recht. Schade nur, daß er so
  • schnell wieder fortgegangen ist. Ich hätte ihm so gern noch ein wenig
  • zugehört. Wie angenehm ist es, mit ihm zu plaudern. Und was vor allem so
  • angenehm ist, er macht gar keine Redensarten. Ich hätte ihm auch noch
  • einiges sagen mögen ... aber ich muß gestehen, mir fehlte der Mut dazu.
  • Mein Herz klopfte so stark. ... Welch ein herrlicher Mensch! Ich will
  • doch hingehen und es der Tante erzählen. (Sie geht hinaus.)
  • 16. Auftritt
  • Podkoliessin und Kotschkarjow (treten herein).
  • Kotschkarjow. Warum nach Hause? Was für ein Unsinn ist das wieder? Warum
  • nach Hause?
  • Podkoliessin. Ja, wozu soll ich denn hierbleiben? ... Ich habe doch
  • alles gesagt, was nötig war.
  • Kotschkarjow. So? Hast du dich ihr ganz erklärt? ...
  • Podkoliessin. Ja, das wäre vielleicht noch das einzige; erklärt habe ich
  • mich allerdings noch nicht!
  • Kotschkarjow. Eine schöne Geschichte! ... Warum denn nicht? ...
  • Podkoliessin. Ich bitte dich, ich kann doch nicht so plötzlich, so ohne
  • alle einleitenden Worte mit der Tür ins Haus fallen: Mein Fräulein,
  • wollen wir uns doch heiraten!
  • Kotschkarjow. Worüber habt ihr denn die ganze Zeit gesprochen? Mehr als
  • eine halbe Stunde lang?
  • Podkoliessin. Nun. Über alles mögliche! Und ich muß sagen, ich bin sehr
  • befriedigt. Ich habe die Zeit sehr angenehm verbracht.
  • Kotschkarjow. Nein, höre mal, sage doch selbst, mein Bester, wie sollen
  • wir denn noch heute mit der ganzen Geschichte fertig werden? In einer
  • Stunde spätestens müssen wir in die Kirche fahren ... zur Trauung ...
  • Podkoliessin. Du bist wohl verrückt? ... Heut sollen wir schon Hochzeit
  • machen?
  • Kotschkarjow. Weshalb denn nicht? ...
  • Podkoliessin. Noch heute zur Trauung fahren! ... Welch ein Wahnsinn!
  • Kotschkarjow. Aber du hast mir doch selbst dein Wort gegeben und hast
  • gesagt, sobald die Freier heraus sind, bist du bereit, dich zu
  • verheiraten!
  • Podkoliessin. Nun ja, ich nehme auch jetzt mein Wort nicht zurück. Aber
  • doch nicht gleich. Laß mir doch wenigstens einen Monat Zeit dazu.
  • Kotschkarjow. Was? ... Einen Monat!
  • Podkoliessin. Nun ja, freilich!
  • Kotschkarjow. Du hast wohl den Verstand verloren, was?
  • Podkoliessin. Ja, einen Monat brauche ich mindestens.
  • Kotschkarjow. Aber ich habe doch schon das Souper beim Traiteur
  • bestellt. Du Klotz du! ... Nein, hör mal, Iwan Kusmitsch, sei jetzt
  • nicht eigensinnig, Bruder. Laßt euch doch gleich trauen!
  • Podkoliessin. Ich bitte dich, Freund, was redest du da? ... Wie ist denn
  • das gleich möglich?
  • Kotschkarjow. Iwan Kusmitsch, sieh mal, ich bitte dich recht herzlich
  • ... wenn nicht für dich selbst, so tue es doch meinetwegen! Mir zuliebe!
  • Podkoliessin. Nein, tatsächlich -- es geht nicht!
  • Kotschkarjow. Doch, doch, es geht schon, Liebster! Es geht alles,
  • Liebling; laß die Launen.
  • Podkoliessin. Nein, wirklich nicht. Es geht nicht. Es ist wirklich nicht
  • möglich.
  • Kotschkarjow. Warum nicht möglich? ... Wer hat dir das bloß eingeredet?
  • Überlege doch selbst. Du bist doch ein gescheiter Kerl! Ich spreche
  • nicht so, um dir zu schmeicheln oder weil du Expeditor bist, nein,
  • einfach, weil ich dich liebe! -- Genug, Herzchen, entschließe dich. Sieh
  • doch die Sache mit vernünftigen Augen an!
  • Podkoliessin. Ja, wenn ich nur eine Möglichkeit sehen würde -- ich wäre
  • gerne bereit ...
  • Kotschkarjow. Iwan Kusmitsch, alter Kerl, lieber Freund ... willst du,
  • daß ich vor dir auf die Knie falle? ...
  • Podkoliessin. Ja, wozu nur das alles?
  • Kotschkarjow (fällt auf die Knie). Nun gut, hier knie ich. Jetzt siehst
  • du es, wie sehr ich dich bitte. Ich will dir's mein Leben lang nicht
  • vergessen. Herzchen, sei nicht eigensinnig!
  • Podkoliessin. Nein, Freund, es geht nicht! Wirklich nicht!
  • Kotschkarjow (steht auf, wütend). Schweinehund!
  • Podkoliessin. Gut, schimpf nur!
  • Kotschkarjow. Rindvieh! ... Einen größeren Esel, wie dich, hat es
  • tatsächlich noch nie gegeben!
  • Podkoliessin. Schimpfe doch meinetwegen. Schimpfe nur!
  • Kotschkarjow. Für wen habe ich mich nun geplagt und abgerackert? Doch
  • nur für dich; in deinem Interesse, du Schaf! Was geht mich die ganze
  • Geschichte im Grunde an? ... Gut, ich gehe sofort meiner Wege und laß
  • dich laufen. Was hab' _ich_ denn davon?
  • Podkoliessin. Ja ... hab' ich dich denn um deine Bemühungen gebeten? Geh
  • doch nur, bitte!
  • Kotschkarjow. Und ich sage dir, daß du zugrunde gehen wirst. Ohne mich
  • wirst du zu nichts kommen. Wenn dich nicht ein anderer verheiratet,
  • bleibst du dein Leben lang ein ... Dummkopf.
  • Podkoliessin. Und was kümmert's dich? ...
  • Kotschkarjow. Ich bin doch nur um dich besorgt, du Dummkopf.
  • Podkoliessin. Und ich verzichte auf deine Besorgnis.
  • Kotschkarjow. Nun, so geh zum Teufel!
  • Podkoliessin. Gut. Ich gehe.
  • Kotschkarjow. Da gehörst du auch hin.
  • Podkoliessin. Nun schön, ich gehe schon.
  • Kotschkarjow. Geh nur, geh! Wenn du dir nur gleich ein Bein brächst!
  • Wahrhaftig, es ist mein innigster Wunsch, daß dir irgendein besoffener
  • Droschkenkutscher mit der Deichsel in die Gurgel fährt. Du Lappen du!
  • Und das will ein Beamter sein, ... Das schwöre ich dir, von nun an ist
  • alles zwischen uns aus. Komm mir nicht mehr unter die Augen!
  • Podkoliessin. Nun gut, du sollst mich nicht mehr sehen! (Geht.)
  • Kotschkarjow. Geh doch zu deinem alten Freunde, dem Teufel. (Öffnet die
  • Tür und ruft ihm nach.) Esel!
  • 17. Auftritt
  • Kotschkarjow (allein, geht aufgeregt im Zimmer auf und ab). Hat die Welt
  • jemals einen solchen Menschen gesehen? .. Solch ein Esel! Übrigens,
  • wahrhaftig, ich bin auch gut! .. Nein, sagt nur, ich möchte euch alle zu
  • Zeugen anrufen: Bin ich nicht genau solch ein alter Esel? Bin ich nicht
  • ganz dumm? ..... Was rege ich mich auf und schreie mir die Kehle wund?
  • .. Sagt, was ist er mir? Er ist doch nicht mein Verwandter. Und ich bin
  • weder seine Amme, noch seine Tante, noch seine Schwiegermutter, oder gar
  • seine Patin! Was zum Teufel rackere ich mich seinetwegen ab? Gönne mir
  • keinen Augenblick Ruhe ... mag er doch zum Satan gehen! Weiß der Teufel,
  • wozu das alles! Wozu nur der Mensch mitunter etwas tut? ..... Solch ein
  • Halunke! Diese niederträchtige, widerwärtige Visage! Nehmen möchte ich
  • dich, du dummes Rindvieh; Nase, Ohren, Mund und Zähne ... einschlagen
  • möcht' ich dir ... (Macht mit der Hand wütend die entsprechenden
  • Bewegungen.) Und was das Empörendste dabei ist: er geht einfach nach
  • Hause ... er macht sich weiter keine Kopfschmerzen ... er schüttelt's
  • sich ab, wie ein nasser Hund ... Nicht zum Ertragen ist dieser Gedanke!
  • Jetzt geht er heim, legt sich aufs Sofa und raucht sich eine Pfeife an.
  • Dieser gemeine Patron! Wahrhaftig, es gibt ekelhafte Fratzen auf der
  • Welt; aber so eine läßt man sich denn doch nicht träumen ... Bei Gott,
  • eine widerwärtigere Visage läßt sich gar nicht ausdenken. Tatsächlich
  • nicht! Aber nein, jetzt gerade nicht! Ich hol' ihn zurück, den
  • nichtsnutzigen Kerl. Er soll mir nicht entwischen, ich bring' ihn wieder
  • zurück, den Lump! (Er läuft fort.)
  • 18. Auftritt
  • Agathe Tichonowna (tritt ein). Wie mir das Herz klopft ... ich kann es
  • gar nicht sagen. Wohin ich schaue, wohin ich mich wende ... überall sehe
  • ich Iwan Kusmitsch vor mir sitzen. Es muß wohl wahr sein, daß niemand
  • seinem Schicksal entgehen kann. Vorhin versuchte ich an ganz etwas
  • anderes zu denken! Aber, was ich mir auch vornehme ... ich probierte
  • Garn abzuwickeln, fing an, den Pompadour zu sticken, aber ach, immerzu,
  • in einem fort drängt sich mir das Bild Iwan Kusmitschs auf. (Pause.)
  • Ach, also wirklich, nun soll die große Veränderung in meinem Leben
  • kommen ... Erst wird man mich in die Kirche führen ... dann mich mit ihm
  • allein lassen; ... mit dem Manne ... oh, mir wird schon jetzt ganz
  • schaurig! -- ja, leb wohl, meine schöne Mädchenzeit! (Sie weint.) Wie
  • viele Jahre hab' ich so ruhig dahingelebt; -- lebte und lebte vor mich
  • hin! Und nun mit einem Male soll ich heiraten, die Frau eines Mannes
  • werden. Und all die Sorgen, die einen da erwarten. Die Kinder ... ach
  • ... und die Knaben, dieses wilde Volk ... Und dann kommen auch die
  • Mädchen, die werden schnell groß und wollen dann ebenfalls versorgt
  • sein. Noch gut, wenn sie brave Männer bekommen; aber vielleicht kriegen
  • sie einen Säufer ... oder einen solchen Kerl, der alles auf eine Karte
  • zu setzen bereit ist ... (Sie fängt wieder an zu weinen.) Eigentlich
  • habe ich doch meine Mädchenzeit gar nicht so recht genossen ... Nur
  • siebenundzwanzig Jahre hat sie gedauert ... (Mit veränderter Stimme.)
  • Aber warum zögert nur Iwan Kusmitsch so lange?
  • Agathe Tichonowna und Podkoliessin, den Kotschkarjows Hände in
  • die Tür hineinschieben.
  • Podkoliessin (stockend). Ich komme, mein Fräulein, um Ihnen eine
  • Erklärung abzugeben ... aber ... ich wüßte nämlich gerne zuvor, ob Ihnen
  • diese Erklärung nicht zu seltsam vorkommen wird.
  • Agathe Tichonowna (die Augen senkend). Um was handelt es sich denn?
  • Podkoliessin. Nein, Fräulein, sagen Sie mir erst, daß Sie sich nicht
  • darüber wundern werden.
  • Agathe Tichonowna (wie vorher). Ich weiß doch gar nicht, was es ist.
  • Podkoliessin. Gestehen Sie nur, es wird Ihnen sicherlich sehr merkwürdig
  • vorkommen, was ich Ihnen zu sagen habe.
  • Agathe Tichonowna. Aber ich bitte Sie, warum denn merkwürdig? ... Alles
  • was Sie mir sagen, ist mir angenehm.
  • Podkoliessin. Aber so etwas haben Sie gewiß noch niemals gehört ...
  • (Agathe Tichonowna läßt die Augen noch tiefer sinken; inzwischen ist
  • Kotschkarjow leise hereingetreten. Er stellt sich hinter Podkoliessin.)
  • Es handelt sich nämlich ... um das folgende ... Aber nein, sprechen wir
  • lieber ein andermal davon.
  • Agathe Tichonowna. Aber was ist es denn nur?
  • Podkoliessin. Es ist ... nämlich ... ich möchte Ihnen nämlich erklären,
  • aber ich habe noch immer Zweifel ...
  • Kotschkarjow (beiseite, die Hände zusammenschlagend). Herrgott, ist das
  • ein Mensch! Das reinste alte Weib, und kein Mensch! Ein Hohn, eine
  • Parodie auf die Menschheit! ...
  • Agathe Tichonowna. Aber warum zweifeln Sie denn noch?
  • Podkoliessin. Ach, ich weiß nicht, mir kommen immer wieder Bedenken.
  • Kotschkarjow (laut). Herrgott, wie dumm ist das alles! Wie dumm!
  • Fräulein, Sie sehen doch, er hält eben um Ihre Hand an. Er will Ihnen
  • erklären, daß er ohne Sie nicht länger leben, nicht existieren kann. Er
  • möchte Sie nur fragen, ob Sie bereit wären, ihn glücklich zu machen.
  • Podkoliessin (beinahe erschrocken, gibt ihm einen Rippenstoß und spricht
  • lebhaft). Ich bitte dich, was sagst du da? ...
  • Kotschkarjow. Also, entschließen Sie sich, mein Fräulein. Wollen Sie
  • diesen Sterblichen glücklich machen?
  • Agathe Tichonowna. Ach, wie könnte ich glauben, daß es in meiner Macht
  • liegen sollte, das Glück eines Mannes ... das Glück eines Mannes ... Nun
  • gut, ich bin einverstanden ...
  • Kotschkarjow. Natürlich! Selbstverständlich! Warum denn nicht gleich so?
  • So reicht euch doch die Hände, Kinder!
  • Podkoliessin. Gleich! (Er will Kotschkarjow etwas ins Ohr flüstern.
  • Dieser zeigt ihm die Faust, runzelt die Stirn, und Podkoliessin reicht
  • Agathe Tichonowna die Hand.)
  • Kotschkarjow (legt ihre Hände ineinander). So, Gott segne euch! Auch ich
  • gebe euch meinen Segen zu eurem Bunde. Die Ehe, wißt ihr, ist immer so
  • 'ne Sache. Ja, das ist nicht, als ob man sich 'ne Droschke nimmt, sich
  • reinsetzt und irgendwohin losfährt. Das ist eine ganz andere Sache; ja,
  • das ist eine Pflicht! Leider habe ich jetzt keine Zeit mehr; darum will
  • ich euch nachher sagen, was das für eine Pflicht ist. So, Iwan
  • Kusmitsch, und jetzt küsse deine Braut! Nunmehr darfst du es tun; ja,
  • mein Freund, nun mußt du es sogar tun! ... (Agathe Tichonowna senkt die
  • Augen.) Nicht doch, nicht doch, mein Fräulein. Das muß so sein. Sie
  • müssen sich küssen lassen.
  • Podkoliessin. Nein, Fräulein, gestatten Sie ... Jetzt müssen Sie schon
  • gestatten. (Er küßt sie und nimmt sie bei der Hand.) Welch ein
  • herrliches Händchen! Woher haben Sie nur ein so herrliches Händchen,
  • mein Fräulein? ... Und noch eins ... Lassen Sie unsere Hochzeit sofort
  • stattfinden! Sofort!
  • Agathe Tichonowna. Wie, gleich? ... Aber das ist am Ende doch zu
  • schnell!
  • Podkoliessin. Nein, nein, davon will ich nichts hören! Die Trauung soll
  • gleich stattfinden. So schnell als möglich!
  • Kotschkarjow. Vorzüglich! Bravo! ... Sehr gut! Du bist ja ein
  • Prachtkerl! Ich muß sagen, ich habe immer nur das Beste von dir
  • erwartet. Und Sie, Fräulein, beeilen Sie sich jetzt. Ziehen Sie sich
  • recht schnell um. Jetzt darf ich's ja verraten. Ich habe schon vorhin
  • einen Wagen besorgt und auch ein paar Gäste für heute abend geladen. Sie
  • sind wahrscheinlich schon auf dem Wege nach der Kirche. Ihr
  • Hochzeitskleid liegt doch schon bereit, nicht wahr?
  • Agathe Tichonowna. O gewiß, schon lange. Ich kleide mich schnell um und
  • bin sofort fertig.
  • 19. Auftritt
  • Kotschkarjow und Podkoliessin.
  • Podkoliessin. Nun, lieber Freund, ich bin dir wirklich dankbar. Jetzt
  • begreife ich erst, was du mir für einen Dienst erwiesen hast. Mein
  • eigener Vater konnte nicht das für mich tun, was du mir getan hast. Ja,
  • jetzt sehe ich es, du hast dich nur von deiner Freundschaft leiten
  • lassen. Ich danke dir, Bruder! Ja, das werde ich dir nie vergessen.
  • (Gerührt.) Nächstes Frühjahr werde ich dem Grabe deines Vaters einen
  • Besuch abstatten.
  • Kotschkarjow. Ach, nicht doch, lieber Freund! Ich freue mich ja selber.
  • Komm, laß dich küssen. (Küßt ihn erst auf eine und dann auf die andre
  • Backe.) Gebe Gott, daß du glücklich wirst. (Sie küssen sich.)
  • Hoffentlich schickt er dir nun auch Reichtum und Überfluß und einen
  • ganzen Haufen Kinder.
  • Podkoliessin. Dank dir, Bruder! Wahrhaftig; jetzt erst fange ich an, zu
  • begreifen, was es heißt, leben! Eine völlig neue Welt tut sich plötzlich
  • vor mir auf ... Nun erkenne ich, daß sich das alles bewegt, sich regt,
  • fühlt, empfindet, sich gewissermaßen verflüchtigt, weißt du, man weiß
  • sozusagen selbst nicht recht, wie und was eigentlich vorgeht. Früher
  • aber habe ich nichts davon gesehen, nichts von alle dem begriffen. Das
  • heißt, ich war einfach ein unwissender, ahnungsloser Mensch, der über
  • nichts weiter nachdachte, in nichts tiefer hineinblickte, und so
  • dahinlebte ... wie jeder andre Mensch.
  • Kotschkarjow. Das freut mich, freut mich von Herzen. Doch, ich muß jetzt
  • gehen und mal nachschauen, ob der Tisch auch gut gedeckt ist. Ich bin
  • gleich wieder da. (Beiseite.) Aber seinen Hut will ich doch lieber
  • verstecken, für alle Fälle. (Er nimmt den Hut und trägt ihn mit sich
  • fort.)
  • 20. Auftritt
  • Podkoliessin (allein).
  • Podkoliessin. Es ist wahr! Was war ich denn bis auf den heutigen Tag?
  • ... Hatte ich auch nur einen Begriff vom Leben? ... Ach, gar
  • keine Ahnung hatt' ich! Was war denn schließlich dies mein
  • Junggesellen-Dasein? ... Was galt ich? ... Was tat ich? Ich lebte ...
  • vegetierte so hin ... versah meinen Dienst ... ging ins Departement ...
  • aß und schlief ... mit einem Wort, ich war der hohlste, gewöhnlichste
  • Mensch von der Welt. Jetzt erst sehe ich ein, wie dumm doch die Menschen
  • sind, die nicht heiraten. Und wenn man so zusieht, wie viele so blind
  • dahintrotten. Wenn ich ein König wäre, wahrhaftig, ich erließe ein
  • Gesetz ... alle Menschen in meinem Reiche müßten sich verheiraten. Unter
  • meiner Herrschaft sollte es auch nicht einen Hagestolzen geben! Ja, wenn
  • ich so daran denke, noch ein paar Augenblicke, und ich werde verheiratet
  • sein. Wie lange noch, ... und ich werde alle Wonnen auskosten, wie sie
  • eigentlich doch nur im Märchen vorkommen. Eine Seligkeit, die sich nicht
  • ausdrücken läßt, und für die sich keine Worte finden lassen. (Pause.)
  • Übrigens mag man sagen, was man will, aber es wird einem beinahe
  • unheimlich zumute, wenn man sich das alles so genau vorstellt! ... Sich
  • für immer ... für das ganze Leben, sei dem, wie ihm wolle ... sich für
  • das ganze Leben zu binden. Denn: dann gibt's keine Reue mehr ... keine
  • Ausrede ... nichts, nichts mehr ... dann ist's vorbei ... dann ist alles
  • zu Ende! Ja, eigentlich könnte ich ja schon jetzt nicht mehr zurück.
  • Noch ein paar Augenblicke, ... und man steckt im Joch! Nicht mal
  • durchgehen könnte man mehr ... dort unten steht schon der Wagen, ... und
  • ... alles ist schon vorbereitet! ...
  • Wie? Sollte es denn wahrhaftig kein Zurück mehr geben? Natürlich, jetzt
  • geht's nicht mehr! Dort in der Tür und überall stehen Menschen. Wie? ...
  • sie würden fragen: ... He, was ist los? ... Nein, nein, es geht nicht
  • mehr! Doch halt, da ist ja ein offenes Fenster! Wie, wenn ... wenn, wenn
  • ich da hinausspränge? ... Nein, unmöglich ... Das würde sich nicht
  • schicken ... Und dann ... ist es ja wohl auch zu hoch ... (Er geht ans
  • Fenster.) Na, gar so hoch ist's eigentlich nicht! Es sind ja nur die
  • Grundmauern, und die sind ja gar nicht so hoch. Aber nein, ich habe ja
  • nicht einmal meinen Hut bei mir! ... So, ohne Hut ... das würde sich
  • wirklich nicht passen! Hm, wie ... Sollte es wirklich nicht ohne Hut
  • gehen? ... Hm, wie, wenn man es vielleicht doch versuchte! ... Soll ich
  • es wagen? ... Wie? ... (Er steigt auf die Fensterbank und springt
  • hinunter mit den Worten:) Gott steh mir bei! (Man hört ihn draußen
  • ächzen und stöhnen.) Mein Gott, das ist aber verdammt hoch! ... He,
  • Kutscher! ...
  • Stimme eines Droschken-Kutschers. Soll ich vorfahren?
  • Podkoliessins Stimme. Nach dem Kanal, an der Semjonowschen Brücke.
  • Die Stimme des Kutschers. Einen Groschen, gnädiger Herr, das ist nicht
  • zu viel.
  • Podkoliessins Stimme. Na, schön ... Nur los!
  • (Man hört die Droschke fortrollen.)
  • 21. Auftritt
  • Agathe Tichonowna (im Brautkleide, tritt mit verschämt gesenktem Blick
  • herein). Ich weiß selbst nicht, was in mir vorgeht. Ich schäme mich
  • schon wieder und zittre am ganzen Körper; ach, wenn er doch nur einen
  • Augenblick, nur gerade jetzt nicht im Zimmer wäre! Möcht' er doch nur
  • fortgegangen sein! (Sich ängstlich umblickend.) Ja, wo ist er denn nur?
  • Niemand hier? Wo ist er denn nur hinausgegangen? (Sie öffnet die Tür ins
  • Vorzimmer und ruft) Thekla, wo ist Iwan Kusmitsch hingegangen? ...
  • Theklas Stimme. Er ist doch drinnen!
  • Agathe Tichonowna. Wo drinnen?
  • Thekla (eintretend). Na, er saß doch noch eben hier im Zimmer.
  • Agathe Tichonowna. Aber er ist doch nicht da, das siehst du doch selbst.
  • Thekla. Aus dem Zimmer ist er aber auch nicht herausgekommen! Ich hab'
  • doch die ganze Zeit im Flur gesessen.
  • Agathe Tichonowna. Ja, wo kann er bloß sein?
  • Thekla. Wahrhaftigen Gott, ich weiß nicht wo. Er ist doch nicht etwa
  • durch die andere Tür, die Hintertreppe hinuntergelaufen? ... Oder nein
  • ... gewiß sitzt er in Arina Panteleimonownas Zimmer.
  • Agathe Tichonowna. Tantchen! Tantchen!
  • 22. Auftritt
  • Die Vorigen. Arina Panteleimonowna.
  • Arina Panteleimonowna (festlich gekleidet). Was ist los?
  • Agathe Tichonowna. Ist Iwan Kusmitsch bei Ihnen?
  • Arina Panteleimonowna. Nein, er muß doch hier sein. Er war gar nicht bei
  • mir.
  • Thekla. Und im Vorzimmer war er auch nicht. Die ganze Zeit über saß ich
  • draußen ...
  • Agathe Tichonowna. Nun und hier ist er auch nicht, das seht ihr selbst.
  • 23. Auftritt
  • Die Vorigen und Kotschkarjow.
  • Kotschkarjow. Nun? Was ist passiert? ...
  • Agathe Tichonowna. Iwan Kusmitsch ist fort.
  • Kotschkarjow. Wie? Fort? Ist er denn fortgegangen?
  • Agathe Tichonowna. Nein, er ist nicht da, und fortgegangen ist er auch
  • nicht.
  • Kotschkarjow. Wie ist das möglich? Fort? Und doch nicht weggegangen?
  • Thekla. Wo kann er nur hin sein? Das will mir nicht in den Kopf! Die
  • ganze Zeit über saß ich im Vorzimmer. Nicht vom Fleck habe ich mich
  • gerührt.
  • Arina Panteleimonowna. Aber über die Hintertreppe kann er auch nicht
  • gegangen sein.
  • Kotschkarjow. Was bedeutet das zum Teufel? ... Er kann doch nicht
  • einfach verschwunden sein ... wenn er das Zimmer nicht verlassen hat.
  • Vielleicht versteckt er sich irgendwo. Iwan Kusmitsch, wo bist du? Mach
  • doch keine faulen Witze! Komm schnell her! Was sollen denn die dummen
  • Späße? Es ist höchste Zeit, zur Kirche zu fahren. (Er guckt in den
  • Schrank und wirft sogar flüchtige Blicke unter die Stühle.)
  • Unbegreiflich! Doch nein, fort kann er ja nicht sein! Das ist
  • vollständig ausgeschlossen! Er ist hier! Dort im Zimmer liegt ja sein
  • Hut. Ich hatte ihn ja absichtlich dorthin gelegt.
  • Arina Panteleimonowna. Ich will doch mal das Mädchen fragen. Sie hat die
  • ganze Zeit über auf der Straße gestanden. Dunjaschka! ... Dunjaschka!
  • ...
  • 24. Auftritt
  • Die Vorigen und Dunjaschka.
  • Arina Panteleimonowna. Wo ist Iwan Kusmitsch? Hast du ihn nicht gesehen?
  • Dunjaschka. Gewiß! Der Herr sind ja aus dem Fenster gesprungen.
  • Agathe Tichonowna (schreit auf und schlägt die Hände zusammen).
  • Alle. Aus dem Fenster? ...
  • Dunjaschka. Jawohl, aus dem Fenster! Dann haben sie sich eine Droschke
  • genommen und sind losgefahren.
  • Arina Panteleimonowna. Ist es denn auch wahr, was du da schwatzt?
  • Kotschkarjow. Du lügst! Das kann nicht sein!
  • Dunjaschka. Gott helfe mir, sie sind rausgesprungen! Auch der Kaufmann
  • nebenan im Kramladen hat's gesehen. Eine Droschke für einen Groschen
  • haben sie genommen und sind fortgefahren.
  • Arina Panteleimonowna (auf Kotschkarjow zugehend). Wie, mein Herr,
  • wollen Sie uns verhöhnen? Wollen Sie Ihren Spott mit uns treiben? ...
  • Uns an den Pranger stellen? ... Bald sechzig bin ich jetzt, aber solche
  • Schande hab' ich noch nicht erlebt. Wahrhaftig Herr, ich spucke Ihnen
  • ins Gesicht, wenn Sie ein ehrlicher Mensch sind! Ein Schuft sind Sie,
  • wenn Sie ein ehrlicher Mensch sind! Ein armes Mädchen so vor der ganzen
  • Welt zu beschimpfen. Ich bin ja nur eine einfache Frau, aber so was
  • hätte ich niemals fertig gebracht! Und das will noch ein Adliger sein!
  • Aber man sieht, euer Adel reicht auch nur für allerhand Gaunereien und
  • Schweinereien. (Sie geht wütend ab, die Braut hinter sich herziehend.)
  • Kotschkarjow (steht wie niedergeschmettert da).
  • Thekla. He, so, so sieht also der Herr aus, der seine Sache so gut
  • versteht? He, wollte eine Heirat zustande bringen ... ohne die
  • Heiratsvermittlerin! Mögen meine Freier sein, wie sie wollen, gerupft
  • und gezupft und weiß Gott wie, aber solche, die zum Fenster
  • hinausspringen, solche findst du bei mir nicht! Haltet zu Gnaden, mein
  • gnädiger Herr.
  • Kotschkarjow. Aber das ist ja alles Unsinn! Das stimmt ja alles nicht!
  • Ich laufe hin zu ihm und hol' ihn zurück! (Ab.)
  • Thekla. Ja, hol ihn nur wieder! ... Du kennst wohl das Heiratsgeschäft
  • nicht ... Wäre er noch zur Türe hinausgelaufen, dann ging's allenfalls
  • noch an; ... aber wenn der Bräutigam durchs Fenster hoppst ... da ...
  • gesegnete Mahlzeit! ... Alle Achtung, gnädiger Herr! ...
  • Dramatische Fragmente
  • und
  • Einzelne Szenen
  • (1832-1837)
  • Die Spieler
  • Deutsch von
  • _Gregorius Itelson_
  • Den Bühnen gegenüber als Manuskript gedruckt
  • Alle Rechte vorbehalten
  • »Geschichten aus alten Zeiten ...«
  • 1. Auftritt
  • (Ein Zimmer in einem städtischen Gasthaus.)
  • Icharew kommt in Begleitung des Hoteldieners Alexej und seines
  • eigenen Dieners Gawrjuschka.
  • Alexej. Bitte, bitte sehr, hier haben Sie ein Zimmerchen, das
  • allerruhigste; gar kein Lärm.
  • Icharew. Lärm gibt's wohl keinen, aber Kavallerie, Springer wohl genug,
  • was?
  • Alexej. Das heißt, Sie meinen wohl von wegen der Flöhe? Seien Sie nur
  • ruhig. Wenn ein Floh oder eine Wanze Sie beißen sollte, so haben wir's
  • zu verantworten, das ist unsere Sache.
  • Icharew (zu Gawrjuschka). Geh, bringe die Sachen aus dem Wagen her!
  • (Gawrjuschka ab; zu Alexej) Wie heißt du?
  • Alexej. Alexéj.
  • Icharew. Nun höre, (mit Bedeutung) erzähl mal, wer wohnt bei euch?
  • Alexej. Hier wohnen jetzt viele, fast alle Zimmer sind besetzt.
  • Icharew. Wer denn alles?
  • Alexej. Schwóchnew -- Peter Petrowitsch, Krugel -- Oberst, Stepán
  • Iwánowitsch Uteschítelny.
  • Icharew. Spielen die?
  • Alexej. Schon die sechste Nacht hintereinander spielen sie.
  • Icharew. Da hast du ein paar Rubelstücke. (Steckt ihm in die Hand.)
  • Alexej (sich verbeugend). Danke gehorsamst!
  • Icharew. Nachher gibt's noch mehr.
  • Alexej. Gehorsamsten Dank!
  • Icharew. Spielen die untereinander?
  • Alexej. Nein, neulich haben sie den Leutnant Artunówsky bearbeitet; und
  • dem Fürsten Schenkin haben sie sechsunddreißig Tausend abgewonnen.
  • Icharew. Hier hast du noch einen roten Lappen. Wenn du mir ehrlich
  • dienst, kriegst du noch. Gestehe doch, die Karten hast du gekauft?
  • Alexej. Nein, die haben sie selbst gekauft.
  • Icharew. Bei wem?
  • Alexej. Bei dem hiesigen Kaufmann Wachraméjkin.
  • Icharew. Du lügst, Schwindler!
  • Alexej. Bei Gott!
  • Icharew. Gut, wir werden später mit dir verhandeln. (Gawrjuschka bringt
  • eine Schatulle.) Stelle sie hierher. Jetzt geht und bringt mir etwas zum
  • Waschen und zum Rasieren. (Die Diener ab.)
  • 2. Auftritt.
  • Icharew allein.
  • Öffnet die Schatulle, die ganz mit Kartenspielen gefüllt ist.
  • Icharew. Ist das ein Anblick, was? Jedes Dutzend von Gold! Mit Schweiß,
  • mit Mühe ist jedes hergestellt. Eine Kleinigkeit, bis jetzt flimmert's
  • mir noch vor den Augen von diesen verdammten Sprenkeln. Aber dafür ist's
  • ein wahres Kapital! Man kann's den Kindern als Erbteil hinterlassen. Da
  • ist es, das schicksalschwere Päckchen. Einfach eine Perle! Dafür hat es
  • auch einen Namen, jawohl: Adelaida Iwanowna. Diene mir nur, mein
  • Liebchen, so wie dein Schwesterchen mir gedient hat; gewinne mir
  • ebenfalls achtzig Tausend, so werde ich dir ein Marmordenkmal setzen,
  • wenn ich auf das Gut komme; in Moskau werde ich es bestellen. (Hört ein
  • Geräusch und schließt schnell die Schatulle zu.)
  • 3. Auftritt
  • Alexej und Gawrjuschka bringen eine Waschschüssel, einen
  • Wasserkrug und ein Handtuch.
  • Icharew. Sind die Herren jetzt zu Hause?
  • Alexej. Ja wohl, sie sind jetzt im Salon.
  • Icharew. Ich werde mal hingehen und nachsehen, was für Leute das sind.
  • (Ab.)
  • 4. Auftritt
  • Alexej und Gawrjuschka.
  • Alexej. Kommt ihr von weitem her?
  • Gawrjuschka. Aus Rjasán.
  • Alexej. Seid ihr selbst auch aus jenem Gouvernement?
  • Gawrjuschka. Nein, wir selber sind aus dem Smolénskischen.
  • Alexej. So, so! Also, das heißt, das Gut ist im Smolenskischen?
  • Gawrjuschka. Nein, nicht im Smolenskischen. Im Smolenskischen haben wir
  • hundert Seelen und im Kalúgischen achtzig.
  • Alexej. Ich verstehe schon, also in zwei Gouvernements.
  • Gawrjuschka. Jawohl, in zwei Gouvernements. Da ist bei uns an
  • Dienerschaft: Ignát der Buffetier, Pawlúscha, der früher mit dem Herrn
  • reiste, Gerássim, der Lakai, Iwán, ebenfalls Lakai, Iwán, der
  • Hundeknecht, noch einmal Iwán, der Musikant, dann der Koch Grigórij, der
  • Koch Semjón, Baruch, der Gärtner, Deméntij, der Kutscher -- so ist es
  • bei uns!
  • 5. Auftritt
  • Dieselben; Krugel, Schwochnew, vorsichtig eintretend.
  • Krugel. Wahrhaftig, ich fürchte, daß er uns hier antreffe.
  • Schwochnew. Tut nichts, Stepan Iwanowitsch wird ihn aufhalten. (Zu
  • Alexej.) Geh, Lieber, man ruft dich. (Alexej ab. Schwochnew vorsichtig
  • an Gawrjuschka herantretend.) Woher ist dein Herr?
  • Gawrjuschka. Jetzt kommt er aus Rjasán.
  • Schwochnew. Gutsbesitzer?
  • Gawrjuschka. Gutsbesitzer.
  • Schwochnew. Spielt?
  • Gawrjuschka. Spielt.
  • Schwochnew. Hier hast du einen Roten (gibt ihm das Papiergeld), erzähl
  • mir alles.
  • Gawrjuschka. Werden Sie aber dem Herrn auch nichts sagen?
  • Beide. I wo, hab keine Angst.
  • Schwochnew. Wie, ist er jetzt bei Gewinn, was?
  • Gawrjuschka. Kennen Sie den Oberst Tschebotaróff?
  • Schwochnew. Nein! Warum?
  • Gawrjuschka. Vor drei Wochen haben wir ihm achtzig Tausend in Geld
  • abgewonnen, einen Warschauer Wagen, eine Schatulle, einen Teppich und
  • mehrere Paar goldene Epaulettes, an reinem Gold sechshundert Rubel.
  • Schwochnew (sieht Krugel bedeutungsvoll an). He! Achtzigtausend? (Krugel
  • schüttelt den Kopf.) Glaubst du, es ist eine reine Sache? Das wollen wir
  • gleich erfahren. Hör mal, Gawrjuschka, wenn dein Herr allein zu Hause
  • bleibt, was macht er dann?
  • Gawrjuschka. Was heißt das: was macht er? Was soll er denn machen? Er
  • ist ein Herr, er hält sich gut, er tut gar nichts.
  • Schwochnew. Du lügst; er läßt wohl die Karten nicht aus der Hand?
  • Gawrjuschka. Das kann ich nicht wissen. Ich reise erst zwei Wochen mit
  • dem Herrn; früher reiste immer Pawluscha mit ihm. Wir haben auch
  • Gerassim, den Lakai, noch mal Iwan, den Lakai, Iwan, den Hundeknecht,
  • Iwan, den Musikanten, Dementij, den Kutscher, und neulich haben wir uns
  • aus dem Dorfe noch einen geholt.
  • Schwochnew (zu Krugel). Was glaubst du? Ein Falschspieler?
  • Krugel. Sehr möglich.
  • Schwochnew. Na, probieren müssen wir's doch.
  • (Beide schnell ab.)
  • 6. Auftritt
  • Gawrjuschka (allein). Geschickte Herren, aber fürs Papiergeld besten
  • Dank. Dafür kriegt Matrjóna eine Haube und die Bengels Pfefferkuchen.
  • Ach, wie liebe ich das Leben auf Reisen! Da fällt ja immer etwas ab. Der
  • Herr schickt mal, was einzukaufen, da kann man schon ein
  • Zehnkopekenstück vom Rubel in die Tasche legen. Wenn man bedenkt, was
  • für ein schönes Leben die Herren haben: wohin du willst, da reist du
  • hin. Hast du's in Smolénsk satt, gehst du nach Rjasán, willst du nicht
  • nach Rjasán, so nach Kasán, willst du nicht nach Kasán, dann direkt nach
  • Jarosláw. Aber das eine weiß ich bis jetzt nicht, welche von diesen
  • Städten ist ziviler: Rjasán oder Kasán? Kasán wird wohl ziviler sein,
  • denn in Kasán ...
  • 7. Auftritt
  • Icharew, Gawrjuschka, nachher Alexej.
  • Icharew. Sie haben nichts Besonderes an sich, wie mir scheint. Übrigens
  • ... Ach, wie möchte ich sie gern rupfen! Lieber Gott, wie möcht' ich's
  • so gern! Wenn ich daran denke, wahrhaftig, so kriege ich Herzklopfen!
  • (Nimmt eine Bürste und Seife, setzt sich vor den Spiegel und fängt an,
  • sich zu rasieren.) Die Hand zittert mir, ich kann mich nicht rasieren.
  • (Alexej tritt ein.)
  • Alexej. Befehlen Sie -- etwas zu essen?
  • Icharew. Gewiß, gewiß, bring etwas Imbiß für vier Personen: Kaviar,
  • Lachs und vier Flaschen Wein, und gib _ihm_ auch zu essen. (Zeigt auf
  • Gawrjuschka.)
  • Alexej (zu Gawrjuschka). Bitte nach der Küche, da steht für Sie was
  • bereit. (Gawrjuschka ab.)
  • Icharew (sich rasierend). Hör mal, haben sie dir viel gegeben?
  • Alexej. Wer denn?
  • Icharew. Nun, mach keine Faxen, sprich!
  • Alexej. Jawohl, sie haben mir was für Bedienung geschenkt.
  • Icharew. Wieviel? Fünfzig Rubel?
  • Alexej. Jawohl, fünfzig haben sie mir gegeben.
  • Icharew. Von mir kriegst du nicht fünfzig, sondern -- siehst du, dort
  • auf dem Tisch, da liegt ein Hundertrubelschein, nimm ihn dir. Hab keine
  • Angst, er beißt nicht. Von dir wird nichts mehr verlangt, als
  • Ehrlichkeit, verstehst du? Die Karten mögen beim Wachramejkin oder bei
  • einem anderen Kaufmann gekauft werden, das geht mich nichts weiter an.
  • Aber hier hast du als Zugabe noch ein Dutzend Kartenspiele von mir.
  • (Gibt ihm ein versiegeltes Paket.) Hast du verstanden?
  • Alexej. Was ist denn da nicht zu verstehen? Sie können sich darauf
  • verlassen, das ist schon meine Sache.
  • Icharew. Und die Karten verstecke ordentlich, daß man sie nicht gewahr
  • wird. (Legt Bürste und Seife weg und trocknet sich das Gesicht mit dem
  • Handtuch ab. Alexej ab.) Das wäre sehr, sehr schön. Ach, ich gestehe,
  • ich möchte sie recht gern hineinlegen.
  • 8. Auftritt
  • Schwochnew, Krugel und Stepan Iwanowitsch Uteschitelny treten mit
  • Verbeugungen ein.
  • Icharew (mit einer Verbeugung ihnen entgegenkommend). Bitte um
  • Entschuldigung: das Zimmer ist, wie Sie sehen, nicht besonders schön: im
  • ganzen vier Stühle.
  • Uteschitelny. Die Freundlichkeiten des Hausherrn sind wertvoller, als
  • alle Bequemlichkeiten.
  • Schwochnew. Man lebt ja nicht mit dem Zimmer, sondern mit guten
  • Menschen.
  • Uteschitelny. Die reine Wahrheit. Ich könnte gar nicht ohne Gesellschaft
  • auskommen. (Zu Krugel.) Erinnerst du dich, mein Bester, wie ich
  • hierherkam, mutterseelenallein? Denken Sie sich, nicht einen einzigen
  • Bekannten hatte ich hier. Die Wirtin -- eine alte Greisin. Auf der
  • Treppe irgendeine furchtbar häßliche Scheuerfrau. Da sehe ich: um sie
  • herum scharwenzelt ein Infanterist, scheint ganz ausgehungert ... Mit
  • einem Wort -- eine tödliche Langeweile! Da plötzlich sendet mir das
  • Schicksal _ihn_, und nachher führt mich der Zufall mit diesem da
  • zusammen. Nun war ich aber froh! Ich kann keine Stunde ohne Gesellschaft
  • von Freunden auskommen. Alles, was ich auf der Seele habe, bin ich
  • bereit, jedem zu erzählen.
  • Krugel. Ja, Freundchen, das ist aber auch dein Fehler, und keineswegs
  • eine Tugend. Jedes Zuviel schadet, du bist vermutlich schon mehr als
  • einmal betrogen worden.
  • Uteschitelny. Jawohl, ich bin betrogen worden und werde noch immer
  • betrogen werden, und doch kann ich ohne Aufrichtigkeit nicht leben.
  • Krugel. Nun weißt du, ich muß gestehen, das ist mir unbegreiflich! Mit
  • jedem aufrichtig sein! Freundschaft, das ist ganz was anderes.
  • Uteschitelny. Das schon, aber der Mensch gehört der Gesellschaft an.
  • Krugel. Er gehört wohl, aber nicht ganz.
  • Uteschitelny. Nein, ganz.
  • Krugel. Nein, nicht ganz.
  • Uteschitelny. Nein, ganz!
  • Schwochnew (zu Uteschitelny). Streite nicht, lieber Freund, du hast
  • unrecht.
  • Uteschitelny (hitzig). Nein, ich werde dirs beweisen, das ist eine
  • Pflicht, das ist -- das ist -- das ist -- eine Schuldigkeit, das ist --
  • das ist ...
  • Schwochnew. Nun ist er losgegangen! Er ist nämlich furchtbar hitzig; die
  • ersten paar Worte von dem, was er spricht, kann man noch verstehen, aber
  • weiter versteht man nichts.
  • Uteschitelny. Ich kann nicht, ich kann nicht! Wenn es die Pflicht
  • betrifft, so komme ich ganz außer Fassung! Ich erkläre gewöhnlich schon
  • von vornherein: meine Herren, wenn die Rede von so etwas Ähnlichem sein
  • wird, so müssen Sie schon verzeihen, ich lasse mich hinreißen, ja, ich
  • lasse mich hinreißen. Wie im Rausch gleichsam, und meine Galle kocht und
  • kocht über!
  • Icharew (für sich). Nun, lieber Freund, ich kenn' schon die Leute, die
  • sich hinreißen lassen und hitzig werden bei dem Worte Pflicht. Deine
  • Galle wird schon überkochen, aber nicht bei solcher Gelegenheit. (Laut.)
  • Nun, meine Herren, während hier über heilige Pflichten gestritten wird,
  • wollen wir da nicht auch ein Spielchen machen? (Während des Gespräches
  • wird das Frühstück serviert.)
  • Uteschitelny. Bitte, wenn's nur ein kleines Spiel ist, warum nicht?
  • Krugel. Unschuldigen Vergnügungen bin ich nie abgeneigt.
  • Icharew. Wie ist es, in diesem Hotel wird's wohl Karten geben?
  • Schwochnew. Oh, Sie brauchen nur zu befehlen!
  • Icharew. Karten! (Alexej macht sich am Kartentisch zu schaffen.) Und
  • inzwischen, bitte, meine Herren, (zeigt mit der Hand auf den
  • Frühstückstisch und tritt heran) der Lachs ist, wie es scheint, nicht
  • sonderlich, aber der Kaviar geht an.
  • Schwochnew (indem er ein Stück in den Mund steckt). Nein, der Lachs ist
  • auch nicht übel.
  • Krugel (ebenfalls). Der Käse ist auch gut; auch der Kaviar ist nicht
  • übel.
  • Schwochnew (zu Krugel). Erinnerst du dich, was für vortrefflichen Käse
  • wir vor zwei Wochen gegessen haben?
  • Krugel. Nein, nie in meinem Leben werde ich den Käse vergessen, den ich
  • bei Peter Alexándrowitsch Alexándrow gegessen habe.
  • Uteschitelny. Sieh mal, mein Lieber: wann ist denn der Käse eigentlich
  • gut? Er ist dann gut, wenn du dir nach einem Mittagessen noch ein
  • zweites vornimmst -- das ist seine eigentliche Bestimmung. Er ist
  • gleichsam wie ein guter Quartiermeister; er sagt: bitte, meine
  • Herrschaften, hier ist noch Platz.
  • Icharew. Bitte, meine Herrschaften, die Karten sind auf dem Tisch.
  • Uteschitelny (an den Kartentisch herantretend). Ah, das ist nun wieder
  • einmal eine Sache aus alten Zeiten! Sieh mal, Schwochnew, Karten! Ha,
  • wieviele Jahre sind's wohl her?
  • Icharew (zur Seite). Na, na! Tu doch nicht so!
  • Uteschitelny. Wollen Sie die Bank halten?
  • Icharew. Eine kleine, gewiß! Fünfhundert Rubel! Wollen Sie abheben?
  • (Gibt Karten. Das Spiel fängt an. Man hört Ausrufe.)
  • Schwochnew. Vier, Aß, beide zu zehn.
  • Uteschitelny. Gib mir mal dein Kartenspiel, Liebster, ich will mir eine
  • Karte wählen: auf das Glück unserer Frau Adelsmarschall.
  • Krugel. Gestatten Sie mir eine Neun hinzuzufügen.
  • Uteschitelny. Schwochnew, gib mal die Kreide! Ich schreibe an und
  • schreibe ab.
  • Schwochnew. Hol's der Teufel, Paroli!
  • Uteschitelny. Und fünf Rubel Einsatz!
  • Krugel. _Attendez!_ Gestatten Sie mir, nachzusehen, ich glaube, es
  • müssen noch zwei Dreien im Spiel sein.
  • Uteschitelny (springt auf, für sich). Hol's der Teufel, die Sache ist
  • nicht sauber, hier sind andere Karten, das ist augenscheinlich (Das
  • Spiel geht weiter.)
  • Icharew (zu Krugel). Gestatten Sie die Frage: Gelten beide?
  • Krugel. Beide!
  • Icharew. Erhöhen Sie nicht?
  • Krugel. Nein.
  • Icharew (zu Schwochnew). Und Sie, setzen Sie nichts?
  • Schwochnew. Gestatten Sie, daß ich dieses Spiel abwarte. (Steht auf,
  • geht eilig auf Uteschitelny zu und sagt schnell:) Hol's der Teufel,
  • Liebster, er macht alle möglichen Kunststücke. Ein Falschspieler ersten
  • Ranges.
  • Uteschitelny (erregt). Wollen wir denn auf die Achtzigtausend
  • verzichten?
  • Schwochnew. Natürlich verzichten wir, wenn's nicht geht.
  • Uteschitelny. Nun, das ist noch die Frage, aber vorläufig müssen wir uns
  • mit ihm verständigen.
  • Schwochnew. Wieso?
  • Uteschitelny. Ihm einfach alles eingestehen.
  • Schwochnew. Wozu denn?
  • Uteschitelny. Das sage ich dir nachher, komm. (Gehen beide auf Icharew
  • zu und klopfen ihm von beiden Seiten auf die Schulter.)
  • Uteschitelny. Verschießen Sie nicht umsonst Ihr Pulver.
  • Icharew (zusammenfahrend). Wieso?
  • Uteschitelny. Was ist da lange zu reden? Erkennt denn einer nicht
  • seinesgleichen?
  • Icharew (höflich). Gestatten Sie die Frage, wie soll ich das verstehen?
  • Uteschitelny. Ganz einfach, ohne überflüssige Worte und Zeremonien. Wir
  • haben Ihre Kunst gesehen, und seien Sie versichert, wir wissen Ihren
  • Wert zu schätzen. Und deshalb schlage ich Ihnen im Namen unserer
  • Kameraden ein Freundschaftsbündnis vor. Wenn wir unsere Kenntnisse und
  • Kapitalien zusammentun, können wir viel erfolgreicher arbeiten als
  • einzeln.
  • Icharew. In welchem Maße darf ich von der Richtigkeit Ihrer Worte
  • überzeugt sein?
  • Uteschitelny. In diesem Maße: Für Aufrichtigkeit zahlen wir mit
  • Aufrichtigkeit. Wir gestehen Ihnen hier ganz offen, daß wir uns
  • verabredet haben, Sie zu beschwindeln, weil wir Sie für einen
  • gewöhnlichen Menschen gehalten haben. Aber jetzt sehen wir, daß Ihnen
  • die höchsten Geheimnisse bekannt sind. Und nun, wollen Sie unsere
  • Freundschaft annehmen?
  • Icharew. Zu einem so freundlichen Anerbieten kann ich nicht nein sagen.
  • Uteschitelny. Also reichen wir einander die Hände. (Alle drücken
  • nacheinander Icharew die Hand.) Von nun ab sei alles gemeinschaftlich,
  • fort mit Verstellung und Zeremonien! Gestatten Sie die Frage, seit wann
  • haben Sie angefangen, die Tiefe der Wissenschaft zu erforschen?
  • Icharew. Ich muß gestehen, schon seit meiner frühen Jugendzeit war es
  • stets mein Bestreben. Schon in der Schule während der Vorlesungen des
  • Professors habe ich meinen Kommilitonen unter dem Tisch die Bank
  • gehalten.
  • Uteschitelny. Das dachte ich mir. Eine solche Kunst kann man nicht
  • erwerben ohne eine Praxis in den Jahren der zartesten Jugend. Erinnerst
  • du dich des ungewöhnlichen Knaben, Schwochnew?
  • Icharew. Welches Knaben?
  • Uteschitelny. Erzähle mal.
  • Schwochnew. Eine solche Begebenheit werde ich nie vergessen. Sagt mir da
  • einmal sein Schwager (zeigt auf Uteschitelny) Andréj Iwánowitsch
  • Pjátkin: »Schwochnew, willst du ein Wunder sehen? Ein Junge von elf
  • Jahren, der Sohn von Iwán Micháilowitsch Kubischew, macht solche
  • Kartenkunststücke, wie kein einziger Spieler. Reise mal nach dem
  • Tjetjúschischen Kreis und sieh dir's an!« Ich muß gestehen, ich habe
  • mich sofort nach dem Tjetjúschischen Kreis begeben, ich frage nach dem
  • Dorf des Iwan Michailowitsch Kubischew und komme direkt zu ihm. Ich
  • lasse mich anmelden. Es kommt ein Herr gesetzten Alters, ich stelle mich
  • vor und sage: »Entschuldigen Sie bitte, ich habe gehört, daß Gott Ihnen
  • einen ganz ungewöhnlichen Sohn geschenkt hat.« -- »Jawohl, das muß ich
  • zugeben«, sagt er, und was mir gefallen hat, verstehen Sie wohl, ohne
  • irgendwelche Umschweife und Prätentionen -- Ja, sagt er, das ist
  • richtig, wenn's auch einem Vater nicht zukommt, seinen eigenen Sohn zu
  • loben, aber der ist wirklich gewissermaßen ein Wunder. Mischa, sagt er,
  • komm mal her, zeig mal dem Gast deine Kunst. Nun wissen Sie, wie so'n
  • Junge ist, der Junge ist noch ganz Kind, reicht mir kaum bis an die
  • Schulter, und in den Augen ist auch nichts Besonderes zu bemerken. Er
  • fängt an, Karten zu geben, und ich bin ganz baff! Es übersteigt alle
  • Beschreibung!
  • Icharew. Ist es möglich, daß gar nichts zu bemerken war?
  • Schwochnew. Nichts, gar nichts, nicht die Spur. Ich schaute zu mit
  • beiden Augen.
  • Icharew. Das ist unbegreiflich!
  • Uteschitelny. Ein Phänomen, ein wahres Phänomen!
  • Icharew. Wenn ich noch bedenke, daß dazu doch Kenntnisse notwendig sind,
  • die auf der Schärfe der Augen und einem aufmerksamen Studium des Musters
  • beruhen.
  • Uteschitelny. Aber jetzt ist das ja sehr viel leichter geworden. Jetzt
  • ist das Besprenkeln und Bezeichnen ganz aus dem Gebrauch gekommen. Man
  • sucht jetzt den Schlüssel zu erlernen.
  • Icharew. Das heißt, den Schlüssel der Zeichnung?
  • Uteschitelny. Jawohl. Den Schlüssel der Zeichnung auf der Rückseite. Da
  • lebt in einer Stadt, -- in welcher, das will ich nicht sagen, -- ein
  • ehrbarer Mann, der nichts anderes tut, als nur dies: Jedes Jahr bekommt
  • er aus Moskau einige hundert Kartenspiele, von wem, -- das bleibt ein
  • Geheimnis. Seine ganze Aufgabe und Pflicht besteht darin, das Muster auf
  • der Rückseite jeder Karte zu untersuchen, und einen Schlüssel dazu
  • einzuschicken, d. h. sieh nur hin: bei der Zwei, da ist die Zeichnung so
  • angeordnet, bei einer anderen Karte ist die Sache so, und dann wieder
  • so, und für das allein bekommt er jährlich fünftausend in barem Gelde.
  • Icharew. Das ist allerdings eine sehr wichtige Sache!
  • Uteschitelny. Ja, das _muß_ übrigens auch so sein. Das ist, was man in
  • der National-Ökonomie die Arbeitsteilungen nennt. Zum Beispiel, ein
  • Wagenbauer, der macht ja nicht selbst den ganzen Wagen, er gibt doch
  • auch dem Schmied und dem Tapezierer was ab. Sonst würde ja das ganze
  • Menschenleben nicht ausreichen.
  • Icharew. Gestatten Sie eine Frage: Wie machten Sie's bis jetzt, um Ihre
  • Kartenspiele in Kurs zu setzen. Die Bedienung bestechen, das ist ja
  • nicht immer möglich.
  • Uteschitelny. Gott behüte! ist auch gefährlich. Das hieße ja manchmal,
  • sich selbst verraten. Wir machen es anders. Einmal machten wir's auf
  • folgende Weise: Unser Agent kommt zum Jahrmarkt und nimmt als Kaufmann
  • Logis im Stadthotel; er habe noch nicht Zeit gefunden, sich einen Laden
  • zu mieten. Da stehen nun die Kisten und Ballen noch so im Zimmer herum.
  • Er lebt im Hotel, macht Ausgaben, ißt, trinkt und verschwindet
  • plötzlich, man weiß nicht, wohin, ohne seine Rechnung bezahlt zu haben.
  • Der Hotelwirt sucht im Zimmer herum und sieht, es ist nur ein Ballen
  • zurückgeblieben. Er macht den Ballen auf, sieh da: hundert Dutzend
  • Kartenspiele. Die Karten werden natürlich gleich verauktioniert. Das
  • Dutzend einen Rubel billiger, da kaufen die Kaufleute in einem
  • Augenblick alles für ihren Laden auf, und in vier Tagen hat die ganze
  • Stadt ihr Geld im Spiel verloren.
  • Icharew. Das ist sehr geschickt.
  • Schwochnew. Nun, und bei jenem, beim Gutsbesitzer?
  • Icharew. Was denn, beim Gutsbesitzer?
  • Uteschitelny. Ja so, die Geschichte war auch nicht schlecht gemacht. Ich
  • weiß nicht, ob's Ihnen bekannt ist, es gibt einen Gutsbesitzer Arkádij
  • Antónowitsch Dergunów, ein furchtbar reicher Mann, spielt vorzüglich,
  • ist von beispielloser Redlichkeit, und, verstehen Sie, ihn
  • herumzukriegen, ist gar keine Möglichkeit. Alles beaufsichtigt er
  • selbst, seine Dienerschaft ist gut erzogen, -- die reinen Kammerherren,
  • das Haus -- ein Palast, sein Garten -- alles nach englischem Muster,
  • kurz, ein russischer Edelmann im vollen Sinne des Wortes. Wir sind schon
  • drei Tage bei ihm. Wie fängt man's an? Einfach keine Möglichkeit!
  • Endlich kamen wir auf einen Gedanken. Eines Morgens rast am Hofe ein
  • Dreigespann vorbei, im Wagen sitzen ein paar junge Burschen, alle im
  • höchsten Grade besoffen, alles singt Lieder und treibt's, wie die wilde
  • Jagd. Zu so einem Schauspiel kommt natürlich die ganze Dienerschaft
  • herbeigelaufen. Sie gaffen, lachen und bemerken, daß aus dem Wagen etwas
  • herausgefallen ist. Sie kommen hinzu und sehen einen Reisekoffer. Sie
  • winken mit den Händen und rufen: Halt! Aber i wo, niemand hört, sie sind
  • fortgerast, und nur der Staub auf dem ganzen Wege ist aufgewirbelt. Sie
  • machen den Reisekoffer auf, finden Wäsche, einige Kleidungsstücke,
  • zweihundert Rubel bares Geld und gegen vierzig Dutzend Kartenspiele. Nun
  • natürlich, auf das Geld wollten die Dienstboten nicht verzichten, die
  • Kartenspiele kamen auf den herrschaftlichen Tisch und schon am nächsten
  • Tage waren gegen Abend alle, der Hausherr wie die Gäste, ohne eine
  • Kopeke in der Tasche, und das Spiel war zu Ende.
  • Icharew. Sehr geistreich! Das bezeichnen die Leute mit Schwindel oder
  • ähnlichen Namen, aber das ist ja nur Scharfsinn und feiner Verstand.
  • Uteschitelny. Die Leute verstehen ja nichts vom Spiel. Im Spiel gibt es
  • kein Ansehen der Person, das Spiel sieht auf nichts. Mag mein eigener
  • Vater mit mir Karten spielen; ich würde meinen Vater beschwindeln. Setze
  • dich nicht mit mir hin! Hier sind alle gleich.
  • Icharew. Richtig, das versteht man nicht, daß ein Spieler der
  • tugendhafteste Mensch sein kann. Ich kenne einen, der zu allen möglichen
  • Mogeleien geneigt ist, aber einem Armen gibt er seine letzte Kopeke. Und
  • er wird es keineswegs verschmähen, sich mit Dreien gegen Einen zu
  • verbinden und ihm das Geld abzunehmen. Aber meine Herren, da wir schon
  • so aufrichtig miteinander sind, so will ich Ihnen eine ganz wunderbare
  • Sache zeigen. Wissen Sie, was das heißt, ein kombiniertes oder
  • zusammengesuchtes Kartenspiel, in dem jede Karte von mir auf eine
  • bedeutende Distanz erraten werden kann?
  • Uteschitelny. Ich weiß es wohl, aber vielleicht in etwas anderer Art.
  • Icharew. Ich kann mich wohl rühmen, daß Sie ein ähnliches nirgends
  • finden werden. Es hat fast ein halbes Jahr Arbeit gekostet. Ich habe
  • zwei Wochen nachher das Sonnenlicht nicht sehen können. Der Arzt
  • befürchtete eine Augenentzündung. (Nimmt es aus der Schatulle.) Da ist
  • es, aber nehmen Sie mir's nicht übel, es hat auch einen Namen wie ein
  • Mensch.
  • Uteschitelny. Wieso einen Namen?
  • Icharew. Jawohl, einen Namen: Adelaida Iwánowna.
  • Uteschitelny. Hör mal, Schwochnew, das ist ja eine ganz neue Idee, ein
  • Kartenspiel Adelaida Iwanowna zu nennen. Ich finde es sogar sehr
  • geistreich.
  • Schwochnew. Sehr schön: Adelaida Iwanowna! Wunderschön.
  • Uteschitelny. Adelaida Iwanowna! Sogar eine Deutsche! Hörst du, Krugel,
  • da hast du eine Frau.
  • Krugel. Was bin ich für ein Deutscher? Mein Großvater war ein Deutscher,
  • und auch der verstand kein Deutsch.
  • Uteschitelny (das Kartenspiel betrachtend). Das ist wahrhaftig ein
  • Schatz. Wirklich, es ist gar nichts zu merken. Können Sie tatsächlich
  • jede Karte erraten, auf jede beliebige Distanz?
  • Icharew. Bitte, ich stelle mich fünf Schritt weit von Ihnen auf und
  • werde von da aus jede Karte benennen. Ich bin bereit, zweitausend Rubel
  • zu zahlen, wenn ich mich irre.
  • Uteschitelny. Nun, was ist das für eine Karte?
  • Icharew. Eine Sieben.
  • Uteschitelny. Richtig, und diese?
  • Icharew. Ein Bube.
  • Uteschitelny. Hol's der Teufel, ganz richtig! Nun, und diese?
  • Icharew. Eine Drei.
  • Uteschitelny. Unbegreiflich!
  • Krugel (die Achseln zuckend). Unbegreiflich!
  • Schwochnew. Unbegreiflich!
  • Uteschitelny. Gestatten Sie mir, noch mal nachzusehen. (Besieht das
  • Kartenspiel.) Ein ganz wundervolles Ding, es ist wirklich wert, daß man
  • ihm einen Namen gab. Aber gestatten Sie die Bemerkung, das Spiel in
  • Gebrauch zu nehmen, ist doch eine schwierige Sache; vielleicht geht's
  • etwa mit einem ganz unerfahrenen Spieler, man muß es ja selbst
  • vertauschen.
  • Icharew. Aber das tut man ja nur während der Hitze des Spiels, wenn das
  • Spiel so hoch geht, daß der erfahrenste Spieler unruhig wird, und wenn
  • ein Mensch nur ein bißchen verwirrt ist, so kann man ja mit ihm machen,
  • was man will. Wissen Sie denn nicht, daß das mit den besten Spielern
  • passiert, was man so nennt »sich heiß spielen«. Wenn er zwei, drei
  • Nächte hintereinander spielt, ohne zu schlafen -- nun, dann spielt er
  • sich eben heiß. Im Hasardspiel kann ich immer den Talon vertauschen.
  • Glauben Sie mir, die ganze Kunst besteht nur darin, daß man kaltblütig
  • bleibt, wenn der andere hitzig ist; und die Aufmerksamkeit anderer
  • abzulenken, dazu gibt es tausend Mittel. Fangen Sie nur mit einem der
  • Spieler irgendeinen Krakehl an, sagen Sie z. B., er hätte nicht richtig
  • aufgeschrieben, dann wenden sich die Augen Aller auf ihn, und in diesem
  • Augenblick ist das Kartenspiel bereits vertauscht.
  • Uteschitelny. Nun, ich sehe, daß Sie außer der Kunst auch noch die
  • Tugend der Kaltblütigkeit besitzen. Das ist eine wichtige Sache. Ihre
  • Bekanntschaft ist nun für uns desto wertvoller geworden. Wollen wir alle
  • Zeremonien, alle überflüssigen Formalitäten fallen lassen und wollen wir
  • einander einfach du sagen.
  • Icharew. Das hätten wir schon längst tun sollen.
  • Uteschitelny. Kellner! Champagner, zur Bekräftigung des
  • freundschaftlichen Bundes!
  • Icharew. Jawohl, es gehört sich, daß man das begieße!
  • Schwochnew. Nun, meine Herren, wir haben uns ja zu Heldentaten
  • versammelt. Das Geschütz ist in unseren Händen, die nötigen Kräfte haben
  • wir, es fehlt nur eins.
  • Icharew. Richtig, richtig! Die Festung fehlt ja, die zu nehmen wäre, das
  • ist das Pech!
  • Uteschitelny. Was ist da zu machen? Vorläufig gibt's noch keinen Feind.
  • (Sieht Schwochnew fest an.) Wie? Du machst ja ein Gesicht, das zu sagen
  • scheint: ein Feind wäre wohl da.
  • Schwochnew. Ja, da ist ... (Bleibt stecken.)
  • Uteschitelny. Ich weiß schon, wen du meinst.
  • Icharew (lebhaft). Wen denn, wen denn? Wer ist es?
  • Uteschitelny. Ach, Unsinn! Das hat er sich ausgedacht. Der reinste
  • Unsinn! Sehen Sie mal, hier ist ein zugereister Gutsbesitzer, Micháilo
  • Alexándrowitsch Glow. Aber was ist da zu reden, er spielt ja gar nicht.
  • Wir haben uns schon mit ihm zu schaffen gemacht. Ich habe ihm einen
  • ganzen Monat den Hof gemacht, habe mit ihm Freundschaft geschlossen,
  • habe sein Vertrauen erworben und habe doch nichts ausgerichtet.
  • Icharew. Aber hör mal, kann man ihn denn nicht zu sehen bekommen? Wer
  • weiß, vielleicht doch?
  • Uteschitelny. Nun, ich sage dir im voraus, das wird ganz vergebliche
  • Mühe sein.
  • Icharew. Aber wir wollen's doch mal versuchen.
  • Schwochnew. Nun, bring ihn doch wenigstens hierher. Wenn's uns nicht
  • gelingt, so unterhalten wir uns doch ein wenig. Warum wollen wir's denn
  • nicht versuchen?
  • Uteschitelny. Meinetwegen, mir macht's ja nichts, ich bringe ihn schon
  • her.
  • Icharew. Bring ihn doch, bitte, gleich hierher!
  • Uteschitelny. Schon gut, schon gut! (Ab.)
  • 9. Auftritt
  • Dieselben ohne Uteschitelny.
  • Icharew. Wahrhaftig, wie kann man wissen, manchmal scheint eine Sache
  • ganz unmöglich.
  • Schwochnew. Ich bin auch derselben Meinung. Wir haben's doch nicht mit
  • Göttern zu tun, sondern mit einem Menschen, und ein Mensch bleibt immer
  • ein Mensch. Heute sagt er nein, morgen nein, übermorgen nein, und am
  • vierten Tage, wenn man ihm nur ordentlich zusetzt, sagt er ja. Mancher
  • tut ja bloß so, als ob er so unzugänglich sei, aber wenn man genauer
  • zusieht, so merkt man, daß nur viel Lärm um nichts gemacht worden ist.
  • Krugel. Nun, dieser ist nicht derart.
  • Icharew. Ach, wenn's doch wäre! Es ist nicht zu glauben, wie jetzt der
  • Trieb zur Tätigkeit in mir erwacht ist. Sie müssen wissen, daß mein
  • letzter Gewinn von achtzigtausend beim Oberst Tschebotarjów bereits vom
  • vergangenen Monat herrührt. Seitdem habe ich einen ganzen Monat keine
  • Praxis mehr gehabt. Sie können sich kaum denken, was für eine Langeweile
  • ich in dieser ganzen Zeit ausgestanden habe, eine tödliche Langeweile!
  • Schwochnew. Ich begreife diese Lage ganz wohl. Es ist gerade wie bei
  • einem Feldherrn: was muß der empfinden, wenn es keinen Krieg gibt. Das,
  • mein Liebster, ist einfach eine fatale Zwischenpause. Ich weiß es aus
  • eigener Erfahrung, das ist kein Spaß.
  • Icharew. Du glaubst es nicht, es kommt manchmal so weit, daß, wenn
  • jemand bloß fünf Rubel in der Bank halten würde, ich bereit wäre, mich
  • hinzusetzen und zu spielen.
  • Schwochnew. Eine ganz natürliche Sache. So hat auch schon manchmal der
  • geschickteste Spieler verloren: aus Melancholie, wenn keine Arbeit da
  • ist, gerät er in der Hitze manchmal an einen von jenen, die man
  • Habenichtse und Stromer nennt, -- nun, und verliert alles um nichts und
  • wieder nichts.
  • Icharew. Ist der Glow reich?
  • Krugel. Oh, Geld hat er schon! Ich glaube, so gegen tausend Leibeigene.
  • Icharew. Ei, der Teufel! Vielleicht könnte man ihm was zu trinken geben,
  • Champagner, was?
  • Schwochnew. Er nimmt keinen Tropfen in den Mund.
  • Icharew. Was ist nun mit ihm zu machen? Wie kommt man an ihn heran? Aber
  • nein, ich denke doch, das Spiel ist eine verführerische Sache. Ich
  • glaube, wenn er sich nur hinsetzen wollte und zusehen, wie die andern
  • spielen, so würde er's doch nicht aushalten.
  • Schwochnew. Nun, wir wollen's jetzt versuchen. Wir wollen hier etwas
  • abseits mit Krugel ein ganz kleines Spielchen machen. Aber man muß ihm
  • nicht zu viel Aufmerksamkeit schenken, alte Leute sind mißtrauisch.
  • (Setzen sich abseits an den Spieltisch.)
  • 10. Auftritt
  • Dieselben. Uteschitelny und Michailo Alexandrowitsch Glow, ein
  • Herr in gesetzten Jahren.
  • Uteschitelny. Hier, Icharew, gestatte, daß ich dir Michailo
  • Alexandrowitsch Glow vorstelle.
  • Icharew. Ich muß gestehen, ich habe mir schon lange die Ehre gewünscht.
  • Da wir doch in einem Hotel wohnen ...
  • Glow. Ich freue mich auch, Ihre Bekanntschaft zu machen. Nur schade, daß
  • es fast vor der Abreise geschieht.
  • Icharew (reicht ihm einen Stuhl). Bitte ergebenst! Leben Sie schon lange
  • in dieser Stadt? (Uteschitelny, Schwochnew und Krugel flüstern
  • miteinander.)
  • Glow. Ach, lieber Herr, ich habe sie schon so satt, diese Stadt, ich
  • würde mich schon herzlich freuen, von hier fortzukommen.
  • Icharew. Nun, halten Sie hier Geschäfte davon ab?
  • Glow. Jawohl, Geschäfte. Ist das eine Sache, diese Geschäfte!
  • Icharew. Wohl ein Prozeß?
  • Glow. Nein, Gott sei Dank, kein Prozeß, aber doch eine ziemlich
  • schwierige Angelegenheit. Sehen Sie mal, ich verheirate jetzt meine
  • Tochter, ein achtzehnjähriges Mädchen. Verstehen Sie meine Lage als
  • Vater? Ich bin hierher gekommen, verschiedene Einkäufe zu machen,
  • hauptsächlich aber eine Hypothek auf ein Gut aufzunehmen. Die Sache wäre
  • schon ganz zu Ende, aber das Amt gibt noch immer das Geld nicht heraus,
  • und so bleibe ich ganz unnützer Weise hier.
  • Icharew. Gestatten Sie mir die Frage, für welche Summe verpfänden Sie
  • Ihr Gut?
  • Glow. Für zweihunderttausend. Schon in diesen Tagen sollte das Geld
  • ausgezahlt werden, aber nun zieht sich's hin, und ich hab's schon satt,
  • hier zu sitzen. Zu Hause, wissen Sie, habe ich alles nur auf ganz kurze
  • Zeit zurückgelassen. Meine Tochter ist Braut. Alles wartet ... Ich habe
  • sogar schon beschlossen, nicht weiter zu warten und hier alles liegen zu
  • lassen.
  • Icharew. Wieso? Wollen Sie denn nicht abwarten, bis Sie das Geld
  • bekommen?
  • Glow. Was ist zu machen, mein Liebster? Bedenken Sie nur meine Lage.
  • Seit einem Monat habe ich meine Frau und die Kinder nicht gesehen und
  • habe auch keinen Brief erhalten. Weiß Gott, wie's dort zugeht. Ich
  • überlasse alles meinem Sohn, der hierbleibt. Ich hab's satt. (Sich an
  • Schwochnew und Krugel wendend.) Was machen Sie, meine Herren? Ich
  • glaube, ich störe wohl. Sie waren mit etwas beschäftigt?
  • Krugel. Unsinn! Das ist nur so; vor Langeweile spielen wir ein bißchen.
  • Glow. Ich glaube, das ist so etwas wie Bankspiel?
  • Schwochnew. Ach was, nur zum Zeitvertreib: ein Pfennigspiel.
  • Glow. Ach, meine Herren, hören Sie, was Ihnen ein alter Mann sagt. Sie
  • sind junge Leute, natürlich, da ist nichts Schlimmes dabei: so'n bißchen
  • Zerstreuung; und in einem Pfennigspiel kann man ja nicht viel verlieren.
  • Das ist ja ganz richtig. Aber immerhin ... Ach, meine Herren, ich habe
  • selbst gespielt und kenne das aus Erfahrung. Da heißt alles auf der Welt
  • eine Pfennigsache, aber sieht man näher zu, so endet ein kleines
  • Spielchen manchmal als sehr großes Spiel.
  • Schwochnew (zu Icharew). Na, da fängt der Alte schon mit seinem Gerede
  • an. (Zu Glow.) Nun sehen Sie mal, da machen Sie gleich aus einer
  • Kleinigkeit eine wichtige Sache. Das ist so die gewohnte Manier der
  • alten Herren.
  • Glow. Wieso? Ich bin ja noch gar nicht so alt, aber ich urteile aus
  • Erfahrung.
  • Schwochnew. Ich meine ja nicht gerade Sie, aber die alten Herren haben
  • es überhaupt an sich: wenn sie sich an etwas verbrannt haben, so sind
  • sie überzeugt, daß auch der andere sich an derselben Sache verbrennen
  • müsse. Wenn sie auf einem Wege dahingingen und aus Zerstreutheit auf dem
  • Glatteis ausgeglitten und hingefallen sind, dann schreien sie gleich und
  • geben es für eine allgemeine Regel aus, daß auf diesem Wege niemand
  • gehen soll, denn da sei an einer Stelle Glatteis und jeder müsse auf die
  • Nase fallen. Das bedenken sie nicht, daß ein anderer vielleicht nicht so
  • zerstreut sein wird und seine Stiefel auch nicht so glatte Sohlen haben.
  • Nein, das alles verstehen sie nicht. Hat mal ein Hund einen Menschen auf
  • der Straße gebissen, dann heißt es, alle Hunde beißen, und niemand darf
  • auf die Straße gehen.
  • Glow. Nun ja, mein Teuerster, das ist schon richtig, so ne schlechte
  • Gewohnheit gibt's ja. Aber auch die jungen Leute sind gut, die haben
  • schon gar zu viel Feuer, die laufen jeden Augenblick Gefahr, sich das
  • Genick zu brechen!
  • Schwochnew. Das ist es eben, daß wir keinen Mittelweg kennen. Die Jugend
  • tobt, daß es nicht mehr auszuhalten ist, und das Alter wird so
  • heuchlerisch, daß wieder die anderen es nicht aushalten können.
  • Glow. Also so eine beleidigende Meinung haben Sie von den Alten?
  • Schwochnew. Aber nein, was ist denn das für eine beleidigende Meinung?
  • Das ist die reine Wahrheit, nichts mehr.
  • Icharew. Gestatte mir doch die Bemerkung: dein Urteil ist zu scharf.
  • Uteschitelny. Von wegen des Kartenspiels bin ich ganz derselben Meinung
  • wie Michailo Alexandrowitsch. Ich habe selber gespielt und habe stark
  • gespielt, aber Gott sei Dank, ich habe das für immer aufgegeben. Nicht
  • etwa, daß ich all mein Geld verloren hätte oder daß ich mich gegen das
  • Schicksal auflehnte. Glauben Sie mir, das ist noch gar nichts: der
  • Geldverlust ist nicht so wichtig, wie die Seelenruhe. Schon die
  • Aufregung, die man während des Spiels empfindet, verkürzt, was man auch
  • sagen mag, merklich unser Leben.
  • Glow. Jawohl, richtig, mein Teuerster, bei Gott, das haben Sie sehr
  • weise bemerkt. Gestatten Sie mir eine unbescheidene Frage: Ich habe
  • schon so lange das Vergnügen, Ihre Bekanntschaft zu genießen und bis
  • jetzt ...
  • Uteschitelny. Welche Frage denn?
  • Glow. Gestatten Sie mir die Frage, wenn es auch eine kitzlige Sache ist:
  • wie alt sind Sie?
  • Uteschitelny. Neununddreißig.
  • Glow. Denken Sie mal, was ist das denn, neununddreißig Jahre? Noch ein
  • ganz junger Mensch. Wenn doch bei uns in Rußland recht viele solche
  • wären wie Sie, die so weise urteilen. Du lieber Himmel, das wäre ja ein
  • goldenes Zeitalter, sozusagen eine Asträa. Wie bin ich dem Schicksal
  • dankbar, daß ich Sie kennen gelernt habe!
  • Icharew. Glauben Sie mir, ich teile auch ganz dieselbe Ansicht. Ich
  • würde jungen Burschen auch nicht gestatten, Karten in die Hand zu
  • nehmen, aber weshalb sollen denn vernünftige, gesetzte Leute sich nicht
  • etwas amüsieren, z. B. ein älterer Herr, der nicht mehr tanzt, warum
  • nicht?
  • Glow. Das ist schon richtig, gewiß, aber glauben Sie mir, es gibt im
  • Leben so viele Freuden, sozusagen heilige Pflichten. Ach meine Herren,
  • hören Sie doch auf einen alten Mann. Es gibt für den Menschen keine
  • bessere Bestimmung als das Familienleben, im häuslichen Kreis. Alles was
  • Sie jetzt umgibt, sind ja nichts als Aufregungen, bei Gott, nur
  • Aufregungen, aber das eigentliche Glück haben Sie ja noch nicht
  • genossen. Nehmen Sie mal mich, glauben Sie mir, ich kann die Minuten
  • kaum zählen, bis ich die Meinigen wiedersehe, bei Gott! Wenn ich mir
  • vorstelle, wie mein Töchterlein mir um den Hals fällt: Papachen,
  • liebstes Papachen! Auch mein Sohn ist aus dem Gymnasium gekommen, ich
  • habe ihn ein halbes Jahr lang nicht gesehen. Wahrhaftig, ich kann's gar
  • nicht aussprechen; bei Gott, so ist es! Nach alledem will man keine
  • Karte mehr ansehen!
  • Icharew. Aber weshalb soll man denn die väterlichen Gefühle mit den
  • Karten zusammenwerfen? Die väterlichen Gefühle sind etwas für sich, und
  • die Karten sind wieder etwas für sich.
  • Alexej (tritt ein, zu Glow). Ihr Diener fragt wegen der Koffer: befehlen
  • Sie, sie hinauszutragen? Die Pferde warten schon.
  • Glow. Ah, sofort. Entschuldigen Sie, meine Herren, daß ich Sie für einen
  • Augenblick verlasse. (Ab.)
  • 11. Auftritt
  • Schwochnew. Icharew. Krugel. Uteschitelny.
  • Icharew. Nein, da ist keine Hoffnung!
  • Uteschitelny. Ich habe dir's ja vorher gesagt. Ich begreife nicht, wie
  • Sie es dem Menschen nicht sofort ansehen! Man braucht ja nur hinzusehen,
  • um zu wissen, wenn einer nicht spielen will.
  • Icharew. Aber ich glaube, man müßte ihm doch ordentlich zusetzen.
  • Weshalb hast du ihn denn noch selber unterstützt?
  • Uteschitelny. Aber mein Liebster, anders geht's doch nicht. Mit diesen
  • Leuten muß man sehr vorsichtig umgehen, sonst merkt er's ja gleich, daß
  • man ihm etwas abgewinnen will.
  • Icharew. Nun, und was ist daraus geworden? Er reist ja bald ab, es ist
  • ja doch ganz egal.
  • Uteschitelny. Na, warten wir ab, die Sache ist noch nicht ganz zu Ende.
  • 12. Auftritt
  • Dieselben und Glow.
  • Glow. Besten Dank für die angenehme Bekanntschaft, meine Herren. Ich
  • bedaure wahrhaftig nur, daß sie erst so spät zustande gekommen ist. Gott
  • wird uns übrigens vielleicht noch einmal zusammenführen.
  • Schwochnew. O gewiß, die Wege sind glatt, und die Menschen treiben sich
  • weit herum, warum sollte man da nicht noch mal zusammentreffen? Wenn nur
  • das Schicksal es so will!
  • Glow. Bei Gott, ganz richtig, wenn das Schicksal will, so sehen wir uns
  • vielleicht schon morgen wieder, das ist die reinste Wahrheit! Adieu,
  • meine Herren! Aufrichtigsten Dank! Und Ihnen, Stepan Iwanowitsch, bin
  • ich besonders verpflichtet. Wahrhaftig, Sie haben mir meine Einsamkeit
  • versüßt!
  • Uteschitelny. Aber bitte, hat nichts zu sagen. Ich habe getan, was ich
  • konnte.
  • Glow. Nun, wenn Sie schon so gut sind, so erweisen Sie mir noch eine
  • Gunst, wenn ich Sie bitten darf.
  • Uteschitelny. Welche? Sagen Sie mir bloß alles; alles, ich bin zu allem
  • bereit!
  • Glow. Beruhigen Sie einen alten Vater.
  • Uteschitelny. Wieso denn?
  • Glow. Ich lasse meinen Sascha hier. Ein netter Junge, eine gute Seele,
  • aber immerhin nicht ganz zuverlässig, zweiundzwanzig Jahre alt, ich
  • bitte Sie, was sind das für Jahre? Fast noch ein Kind. Er hat die Schule
  • durchgemacht und denkt nun an nichts anderes als an die Husaren. Ich
  • sage zu ihm: »Es ist ja noch zu früh, Sascha, warte doch, sieh dich doch
  • ein bißchen um, warum willst du denn Husar werden? Wer weiß, vielleicht
  • hast du ganz zivile Anlagen. Du kennst ja noch die Welt gar nicht, die
  • Zeit gehört ja dir!« Nun, Sie begreifen wohl, ein so junges Wesen, da
  • kommt ihm bei den Husaren alles so glänzend vor; die reiche gestickte
  • Uniform ... Was ist da zu machen? Die Bestrebungen kann man ja nicht
  • aufhalten .... Also seien Sie doch so gut, Väterchen Stepan Iwanowitsch!
  • Er bleibt nun ganz allein. Ich habe ihm einige geschäftliche Aufträge
  • gegeben. Er ist ja ein junger Mann, es kann ja alles passieren; daß ihn
  • da nur die Beamten nicht irgendwie beschwindeln. Wer weiß! Also nehmen
  • Sie ihn doch unter Ihren Schutz! Beaufsichtigen Sie seine Schritte,
  • halten Sie ihn von allem Bösen ab! Seien Sie doch so gut, Väterchen!
  • (Faßt seine beiden Hände.)
  • Uteschitelny. Bitte, bitte sehr. Alles, was ein Vater für seinen Sohn
  • tun kann, werde ich für ihn tun.
  • Glow. Ach, Väterchen! (Sie umarmen und küssen sich.) Da sieht man doch
  • gleich, wenn einer ein gutes Herz hat, bei Gott! Gott wird Sie dafür
  • belohnen! Adieu, meine Herren! Ich wünsche Ihnen von Herzen alles Beste!
  • Icharew. Adieu, glückliche Reise!
  • Schwochnew. Ich wünsche, daß Sie die Ihrigen gesund vorfinden!
  • Glow. Ich danke Ihnen, meine Herren!
  • Uteschitelny. Und ich werde Sie bis zum Wagen begleiten und Ihnen
  • hineinhelfen.
  • Glow. Ach, Väterchen, wie gut sind Sie!
  • 13. Auftritt
  • Schwochnew, Krugel und Icharew.
  • Icharew. Fort ist der Vogel!
  • Schwochnew. Ja, man hätte doch was ergattern können!
  • Icharew. Ich muß gestehen, wie er da sagte: zweihunderttausend, da bekam
  • ich sogar Herzklopfen.
  • Krugel. An eine solche Summe ist es sogar süß zu denken.
  • Icharew. Wenn man bedenkt, wieviel Geld umsonst, ohne irgendeinen Nutzen
  • herumliegt! Was hat man nun davon, daß er zweihunderttausend bekommen
  • wird? Das alles wird ja bei Einkäufen von irgendwelchen Lappen und altem
  • Zeug draufgehen.
  • Schwochnew. Alles das ist Plunder und Tand.
  • Icharew. Und wieviel Geld geht so in der Welt ohne Umsatz verloren!
  • Wieviel tote Kapitalien gibt es, die wie die Toten in den Banken
  • herumliegen. Es ist wahrhaftig ein Jammer! Ich möchte nicht mehr haben,
  • als was im Vormundschaftsrat liegt.
  • Schwochnew. Ich wäre schon mit der Hälfte zufrieden.
  • Krugel. Und ich mit einem Viertel.
  • Schwochnew. Na, na, flunkere nicht, Deutscher, du wirst schon noch mehr
  • verlangen.
  • Krugel. Auf Ehrenwort!
  • Schwochnew. Schwindel!
  • 14. Auftritt
  • Dieselben und Uteschitelny (kommt eilig, mit vor Freude strahlendem
  • Gesicht).
  • Uteschitelny. Schadet nichts, schadet nichts, meine Herren, er ist fort,
  • hol ihn der Teufel! Desto besser! Der Sohn ist dageblieben. Der Vater
  • hat ihm die Vollmacht übergeben und alle Rechte auf den Empfang der
  • Gelder vom Fiskus; und er hat mir die Aufsicht über alles anvertraut.
  • Der Sohn ist ein feiner Kerl, es zieht ihn zu den Husaren. Da gibt's
  • eine Ernte. Ich gehe und bringe ihn gleich zu euch. (Schnell ab.)
  • 15. Auftritt
  • Schwochnew, Krugel und Icharew.
  • Icharew. Der Uteschitelny! Ist das einer!
  • Schwochnew. Bravo! Die Sache nimmt eine vortreffliche Wendung! (Alle
  • reiben sich vor Freude die Hände.)
  • Icharew. Ein braver Kerl, der Uteschitelny! Jetzt begreife ich, warum er
  • sich an den Alten herangemacht hat und ihm in allem zustimmte. Und das
  • alles so fein, so glatt!
  • Schwochnew. Oh, dazu hat er ein ungewöhnliches Talent!
  • Krugel. Ganz ungeheuere Fähigkeiten!
  • Icharew. Ich muß gestehen, als der Vater sagte, daß er den Sohn hier
  • läßt, da ging mir selber ein Gedanke durch den Kopf, aber nur einen
  • Augenblick, und dieser hat's gleich ... was für ein Scharfblick!
  • Schwochnew. Oh, du kennst ihn noch nicht genügend!
  • 16. Auftritt
  • Dieselben, Uteschitelny und Alexander Michailowitsch Glow, ein
  • junger Mann.
  • Uteschitelny. Meine Herren, gestatten Sie, daß ich Ihnen vorstelle:
  • Alexander Micháilowitsch Glow, ein vorzüglicher Kamerad. Ich bitte Sie,
  • ihn zu lieben, wie mich selbst!
  • Schwochnew. Sehr erfreut! (Drückt ihm die Hand.)
  • Icharew. Ihre Bekanntschaft ist uns ...
  • Krugel. Gestatten Sie, daß wir Sie gleich umarmen!
  • Glow. Meine Herren, ich ...
  • Uteschitelny. Bitte ohne Zeremonien, ganz ohne Zeremonien. Gleichheit
  • ist hier die erste Sache, meine Herren. Glow, du siehst, hier sind alle
  • Kameraden, daher zum Teufel mit aller Etikette. Wollen wir uns gleich
  • »du« sagen?
  • Schwochnew. Jawohl, »du«.
  • Glow. Ja »du«. (Reicht ihnen allen die Hand.)
  • Uteschitelny. So, bravo! Kellner, Champagner! Bemerken Sie, meine
  • Herren, wie er schon heute etwas vom Husaren an sich hat. Nein, dein
  • Vater, gestatte bitte das harte Wort, ist ein großes Viech. Du mußt
  • schon verzeihen, wir sind ja auf »du«. Wie konnte er nur so einen
  • famosen Kerl in den Tintendienst stecken wollen! Nun, Bruder, findet die
  • Hochzeit deiner Schwester bald statt?
  • Glow. Hol's der Teufel mit der Hochzeit! Ich bin furchtbar ärgerlich,
  • daß der Vater mich deswegen drei Monate auf dem Dorfe festgehalten hat!
  • Uteschitelny. Hör mal, ist deine Schwester hübsch?
  • Glow. So hübsch ... Wenn sie nicht meine Schwester wäre, dann würde
  • ich's ihr schon zeigen.
  • Uteschitelny. Bravo, bravo, Husar, da sieht man gleich den Husaren! Nun
  • hör mal, würdest du mir helfen, wenn ich sie entführen wollte?
  • Glow. Warum denn nicht? Gewiß würde ich dir helfen.
  • Uteschitelny. Bravo, Husar! Das ist ein richtiger Husar, zum Teufel!
  • Kellner, Champagner! Das ist mein wahrer Geschmack, solche offenherzigen
  • Menschen habe ich gern! Warte mal, meine Seele, laß dich umarmen!
  • Schwochnew. Laß mich ihn auch umarmen. (Umarmt ihn.)
  • Icharew. Auch ich! (Umarmt ihn.)
  • Krugel. Nun, wenn's so ist, dann werde auch ich ihn umarmen. (Umarmt
  • ihn. Alexej bringt eine Flasche, den Korken mit den Fingern festhaltend,
  • der knallend an die Decke fliegt. Er füllt die Gläser.)
  • Uteschitelny. Meine Herren, auf das Wohl des künftigen Husaren! Möge er
  • der erste Haudegen, der erste Kurschneider, der erste Säufer, kurz, möge
  • er alles mögliche werden!
  • Alle. Möge er alles mögliche werden! (Trinken.)
  • Glow. Auf das Wohl des gesamten Husarentums! (Erhebt das Glas.)
  • Alle. Auf das Wohl des gesamten Husarentums! (Trinken.)
  • Uteschitelny. Meine Herren, man muß ihn jetzt schon in alle
  • Husarenbräuche einweihen. Wie Sie sehen, trinkt er schon leidlich gut,
  • aber das ist ja 'ne Kleinigkeit. Man muß dazu auch noch ein rechter
  • Kartenspieler werden. Spielst du Bank?
  • Glow. Ich möchte schon recht gerne spielen, ich möchte furchtbar gern,
  • aber ich habe kein Geld.
  • Uteschitelny. Das ist Unsinn, kein Geld! Man braucht nur etwas zu haben,
  • um sich an den Spieltisch zu setzen, dann kommen die Gelder schon, du
  • wirst ja gewinnen.
  • Glow. Man muß doch aber was haben, um anzufangen.
  • Uteschitelny. Ah, wir werden dir's kreditieren. Du hast ja eine
  • Vollmacht auf die Gelder vom Fiskus. Wir können ja warten. Wenn du sie
  • bekommst, so wirst du uns sofort bezahlen, bis dahin kannst du uns ja
  • einen Wechsel geben. Übrigens, was sage ich da: als ob du unbedingt
  • verlieren müßtest! Du kannst ja sofort einige Tausend in bar gewinnen.
  • Glow. Wenn ich aber verliere?
  • Uteschitelny. Schäme dich, was bist du denn für ein Husar! Natürlich,
  • eins von beiden: entweder gewinnst du, oder du verlierst. Aber darin
  • besteht ja die ganze Sache, in dem Risiko liegt ja die Haupttugend.
  • Nicht riskieren kann ja jeder. Aufs Gewisse hin würde auch eine
  • Beamtenseele es wagen und ein Jude eine Festung bestürmen.
  • Glow. Hol's der Teufel! Wenn's so ist, dann spiele ich, was soll ich mir
  • da noch aus dem Vater machen!
  • Uteschitelny. Bravo, Junker! Kellner! Karten! (Schenkt ihm ein.) Was
  • braucht man denn hauptsächlich? Man braucht Kühnheit, Kraft. Nun gut,
  • meine Herren, ich werde eine kleine Bank von fünfundzwanzig Tausend
  • halten. (Gibt Karten nach rechts und links.) Nun, Husar? Und du,
  • Schwochnew, was setzt du? (Gibt.) Wie sonderbar die Karten fallen!
  • Höchst interessant das zu berechnen! Der Bube ist geschlagen, die Zehn
  • hat gestochen. Was hast du da, sieh mal nach. Auch die Vier hat
  • geschlagen, was? Ah, Husar, Husar! Ist das ein Husar! Bemerkst du,
  • Icharew, wie er schon die Einsätze großartig erhöht? Und das As kommt
  • noch immer nicht heraus. Schwochnew, warum schenkst du ihm nicht ein?
  • Da, da, da ist das As! Da hat Krugel auch schon was geholt, der Deutsche
  • hat immer Schwein! Die Vier hat gewonnen. Ah, bravo, bravo, Husar! Hörst
  • du's, Schwochnew? Der Husar hat schon beinahe fünftausend gewonnen.
  • Glow (biegt die Karte um). Hol's der Teufel! Paroli! Da ist schon wieder
  • die Zehn auf dem Tisch. Die gilt auch, und noch fünfhundert Rubel
  • Einsatz!
  • Uteschitelny (weitergebend). Ah, bravo, Husar! Die Sieben ist geschla--
  • -- ach nein, zum Teufel! Wieder _pliez_! Wieder _pliez_! Ah, nun hat der
  • Husar verloren. Na, Liebster, was ist da zu machen? Nicht jeder hat eine
  • Marie zur Frau, das kommt so, wie's Gott gibt! Krugel, hör doch auf, zu
  • rechnen, setze doch die, welche du gezogen hast. Bravo, da hat der Husar
  • wieder gewonnen. Warum gratuliert ihr ihm nicht? (Alle trinken und
  • gratulieren ihm, indem sie mit den Gläsern anstoßen.) Man sagt,
  • Pique-Dame verrät einen immer, aber ich kann's nicht behaupten.
  • Erinnerst du dich, Schwochnew? Deine Brünette, die du Pique-Dame genannt
  • hast? Was macht die jetzt, die Liebste? Die ist wohl ganz außer Rand und
  • Band? Krugel, deine ist geschlagen! (Zu Icharew.) Und auch deine ist
  • geschlagen! Schwochnew, deine ist auch geschlagen, der Husar ist auch
  • kaputt.
  • Glow. Hol's der Teufel! _Va banque!_
  • Uteschitelny. Bravo, Husar! Das ist die richtige Husarenschneidigkeit!
  • Weißt du, Schwochnew, daß das eigentliche Gefühl doch stets herauskommt?
  • Bis jetzt sah man immer schon, daß er einmal ein Husar sein wird, nun
  • aber sieht man, daß er auch schon jetzt ein Husar ist. Das ist so die
  • Natur! Der Husar ist wieder geschlagen!
  • Glow. _Va banque!_
  • Uteschitelny. Bravo, Husar! Auf alle fünfzigtausend! Das nennt man
  • Seelengröße! Na, such doch mal, wo findest du so einen Zug. Das ist ja
  • eine wahre Heldentat! Der Husar ist wieder geschlagen!
  • Glow. _Va banque!_ Hol's der Teufel! _Va banque!_
  • Uteschitelny. Oho, Husar, auf hunderttausend! Was? Und die Äuglein, die
  • Äuglein! Merkst du's Schwochnew, wie seine Äuglein brennen? Er hat etwas
  • von einem Barklai de Tolly. Das ist etwas Heroisches! Der König ist noch
  • immer nicht da! Hier hast du die Karo-Dame, Schwochnew. Da, hier,
  • Deutscher, friß die Sieben! _Routé_, unbedingt _routé_! Der König
  • scheint gar nicht im Spiel zu sein. Wahrhaftig, das ist sogar sonderbar.
  • Ah, da ist er, da ist er. Wieder ist der Husar geschlagen!
  • Glow (hitzig). _Va banque!_ Hol's der Teufel! _Va banque!_
  • Uteschitelny. Nein, Bruder, halt! Du hast jetzt schon zweihunderttausend
  • verloren. Erst zahlen, ohne das kann man kein weiteres Spiel anfangen.
  • Soviel können wir dir nicht kreditieren!
  • Glow. Aber wo soll ich's denn hernehmen? Ich hab' ja jetzt kein Geld!
  • Uteschitelny. So gib uns einen Wechsel! Unterschreibe!
  • Glow. Bitte, ich bin bereit! (Nimmt die Feder.)
  • Uteschitelny. Und gib uns auch die Vollmacht auf die Gelder heraus.
  • Glow. Hier habt ihr auch die Vollmacht!
  • Uteschitelny. Jetzt unterschreibe dies, und dann auch dies! (Gibt ihm
  • etwas zu unterschreiben.)
  • Glow. Bitte, ich bin bereit, alles zu tun. Hier habe ich unterschrieben.
  • Jetzt wollen wir weiterspielen.
  • Uteschitelny. Nein, Liebster, warte, erst mußt du das Geld vorzeigen!
  • Glow. Ich werd's euch doch bezahlen, seid nur ganz ruhig!
  • Uteschitelny. Nein, Bruder, erst das Geld auf den Tisch!
  • Glow. Was ist denn das? Das ist ja die reinste Niedertracht!
  • Krugel. Nein, das ist keine Niedertracht.
  • Icharew. Nein, das ist eine ganz andere Sache, die Chancen sind ja nicht
  • gleich.
  • Schwochnew. Auf die Weise wirst du dich hinsetzen, um uns das Geld
  • abzugewinnen. Das kennt man: wer sich ohne Geld zum Spiel hinsetzt, der
  • setzt sich hin, um sicher zu gewinnen.
  • Glow. Was wollt ihr denn? Fordert doch beliebige Zinsen, ich bin zu
  • allem bereit. Ich werde euch doppelt bezahlen!
  • Uteschitelny. Was machen wir uns aus deinen Zinsen, Liebster? Wir sind
  • selber bereit, beliebige Zinsen zu zahlen, aber borg uns erst Geld.
  • Glow (verzweifelt und entschlossen). So sagt doch euer letztes Wort:
  • wollt ihr spielen?
  • Schwochnew. Bring Geld, und wir wollen gleich spielen.
  • Glow (eine Pistole aus der Tasche herausholend). Nun, dann lebt wohl,
  • meine Herren! Ihr werdet mich auf dieser Welt nicht mehr wiedersehen!
  • (Schnell ab mit der Pistole.)
  • Uteschitelny. Du, du, bist du verrückt? Man muß ihm nach! In der Tat, er
  • könnte sich ja noch erschießen! (Schnell ab.)
  • 17. Auftritt
  • Schwochnew, Krugel und Icharew.
  • Icharew. Das gibt noch eine Geschichte, wenn dieser Teufel sich
  • erschießt.
  • Schwochnew. Hol ihn der Teufel, mag er sich erschießen, nur nicht jetzt,
  • denn noch sind die Gelder nicht in unseren Händen; das ist das Schlimme.
  • Krugel. Ich befürchte alles. Es ist ja auch möglich ...
  • 18. Auftritt
  • Dieselben, Uteschitelny und Glow.
  • Uteschitelny (faßt Glow bei der Hand, in der er die Pistole hält). Was
  • ist mit dir, was ist mit dir, Bruder? Bist du verrückt? Hören Sie, hören
  • Sie doch, meine Herren? Er hatte schon die Pistole in den Mund gesteckt.
  • He, schäm dich!
  • Alle (an ihn herantretend). Du, du ... Um Gottes willen, was ist mit
  • dir?
  • Schwochnew. Und dabei ist er so'n gescheiter Mensch; und wegen so einer
  • Lappalie will er sich erschießen!
  • Icharew. Auf diese Weise müßte sich ja ganz Rußland erschießen: Jeder
  • hat verspielt oder hat doch die Absicht, zu verspielen. Wenn das nicht
  • wäre, so könnte man ja auch nicht gewinnen, das mußt du doch selber
  • bedenken!
  • Uteschitelny. Du bist einfach ein Dummkopf, laß dir's sagen. Du kennst
  • dein eigenes Glück nicht. Fühlst du denn nicht, daß du gewonnen hast,
  • indem du verloren hast?
  • Glow (ärgerlich). Ihr haltet mich wirklich für einen Dummkopf. Was ist
  • denn da für ein Gewinn, zweihunderttausend zu verlieren! Der Teufel
  • auch!
  • Uteschitelny. Ei, du Einfaltspinsel, weißt du denn nicht, was für einen
  • Ruhm du dir im Regiment erwirbst? Hörst du, eine Kleinigkeit: noch nicht
  • Junker sein und zweihunderttausend verlieren! Die Husaren werden dich ja
  • auf den Händen tragen!
  • Glow (ermuntert sich). Was denkt ihr denn? Werde ich denn nicht den Mut
  • haben, auf das alles zu pfeifen, wenn es so weit ist? Hol's der Teufel!
  • Es lebe das Husarentum!
  • Uteschitelny. Bravo, es leben die Husaren! Teremtete! Champagner! (Man
  • bringt ein paar Flaschen.)
  • Glow (das Glas in der Hand). Es leben die Husaren!
  • Icharew. Es leben die Husaren! Hol's der Teufel!
  • Schwochnew. Teremtete! Es leben die Husaren!
  • Glow. Ich pfeife auf alles, wenn es so ist. (Stellt das Glas auf den
  • Tisch.) Aber das eine ist schlimm, wie komme ich nach Hause? Mein Vater!
  • Mein Vater! (Faßt sich beim Haar.)
  • Uteschitelny. Wozu willst du denn zum Vater? Ist ja gar nicht nötig!
  • Glow (ihn verwundert anglotzend). Wieso?
  • Uteschitelny. Du kannst ja von hier direkt ins Regiment fahren! Wir
  • geben dir was zur Equipierung. Liebster Schwochnew, wir müssen ihm jetzt
  • zweihundert Rubel geben, mag der Junker sich etwas amüsieren. Ich hab's
  • schon bemerkt, er hat so 'ne Brünette, was?
  • Glow. Hol's der Teufel! Ich laufe gleich zu ihr, und werde sie im Sturme
  • nehmen!
  • Uteschitelny. Ist das ein Husar, was? Schwochnew, hast du nicht
  • zweihundert Rubel bei dir?
  • Icharew. Ich werde ihm schon was geben, mag er sich ordentlich
  • amüsieren! (Glow nimmt das Papiergeld und fuchtelt damit in der Luft
  • herum.)
  • Alle. Champagner! (Man bringt die Flaschen.)
  • Glow. Es leben die Husaren!
  • Uteschitelny. Sie leben hoch! Weißt du, Schwochnew, was mir jetzt
  • eingefallen ist? Wir wollen ihn auf die Hände nehmen und in die Höhe
  • werfen, wie man es bei uns im Regiment tat. Nun, antreten! faßt ihn an!
  • (Alle treten an ihn heran, fassen ihn an den Händen und Füßen, wiegen
  • ihn auf und ab und singen dabei nach der bekannten Melodie das bekannte
  • Lied:)
  • Herzlich lieben wir dich allesamt,
  • Bleibe unser Haupt du immerdar,
  • Unsre Herzen sind für dich entflammt,
  • Wir sind deine treue Kinderschar!
  • Glow (mit erhobenem Glas). Hurrah!
  • Alle. Hurrah! (lassen ihn auf die Erde hinab).
  • Glow (wirft das Glas zu Boden, alle zerschlagen ebenfalls ihre Gläser,
  • die einen mit dem Stiefelabsatz, die anderen direkt am Boden). Ich gehe
  • gleich zu ihr.
  • Uteschitelny. Können wir nicht auch mit, wie?
  • Glow. Nein, niemand soll ..., und wenn jemand ... so geht's auf Säbel.
  • Uteschitelny. Ach, ist das ein Haudegen, was? Eifersüchtig und
  • streitsüchtig wie ein Teufel. Ich glaube, meine Herren, daß aus ihm noch
  • ein richtiger Kampfhahn wird. Nun adieu, leb wohl, Husar, wir halten
  • dich nicht weiter auf.
  • Glow. Adieu!
  • Schwochnew. Komm und erzähl uns nachher! (Glow ab).
  • 19. Auftritt.
  • Dieselben ohne Glow.
  • Uteschitelny. Man muß ihn sanft behandeln, so lange das Geld noch nicht
  • in unsern Händen ist. Aber dann hol ihn der Teufel!
  • Schwochnew. Ich fürchte nur eins, daß sich die Sache mit der Herausgabe
  • der Gelder vom Fiskus lange hinziehen könnte.
  • Uteschitelny. Ja, das wäre sehr schlimm. Übrigens meine Herren, wie ihr
  • wißt, gibt's ja zu diesem Zweck Antreiber. Wie dem auch sein mag, wir
  • werden schon diesem oder jenem etwas Geld in die Hände stecken müssen;
  • der Ordnung halber.
  • 20. Auftritt.
  • Dieselben und der Beamte Samuchrischkin; er ist mit einem etwas
  • schäbigen Frack bekleidet und steckt den Kopf durch die Tür.
  • Samuchrischkin. Gestatten Sie die Frage, ist hier Glow, Alexander
  • Michailowitsch Glow?
  • Schwochnew. Nein, er ist eben fortgegangen. Was wünschen Sie denn?
  • Samuchrischkin. Ich komme in Geschäften wegen der Herausgabe der Gelder.
  • Uteschitelny. Wer sind Sie denn?
  • Samuchrischkin. Ich bin ein Beamter aus dem Fiskus.
  • Uteschitelny. Ah, bitte sehr, bitte gehorsamst, Platz zu nehmen. Für
  • diese Sache haben wir alle das lebhafteste Interesse, um so mehr, als
  • wir freundschaftliche Abmachungen mit Alexander Michailowitsch
  • abgeschlossen haben. Deshalb werden Sie begreifen, daß Sie von ihm und
  • von ihm und von ihm (zeigt mit den Fingern auf alle) den aufrichtigsten
  • Dank zu gewärtigen haben. Es handelt sich nur darum, daß man die Gelder
  • aus dem Fiskus möglichst schnell erhalte.
  • Samuchrischkin. Wie Sie wollen, vor zwei Wochen geht's nicht.
  • Uteschitelny. Nein, das ist aber furchtbar lang. Sie vergessen ja, daß
  • wir uns unsererseits bedanken ...
  • Samuchrischkin. Das versteht sich ja von selbst, es wird alles
  • angenommen: wie könnte ich das vergessen? Wir sprechen auch deshalb von
  • zwei Wochen, sonst würden wir Ihnen vielleicht drei Monate lang zu
  • schaffen machen. Das Geld wird bei uns nicht vor anderthalb Wochen
  • eintreffen, und augenblicklich haben wir im ganzen Amt auch nicht eine
  • Kopeke. In der vorigen Woche haben wir hundertundfünfzigtausend
  • erhalten, die haben wir aber alle ausgegeben. Jetzt warten noch drei
  • Gutsbesitzer auf Geld, die bereits im Februar ihre Güter verpfändet
  • haben.
  • Uteschitelny. Nun, das gilt für andere. Für uns aber machen Sie es aus
  • Freundschaft. Wir müssen uns etwas näher kennen lernen. Nun ja, wir
  • stehen einander doch nahe. Ja, wie heißen Sie gleich? Fentafléj
  • Perpéntitsch, nicht?
  • Samuchrischkin. Psoj Stáchitsch.
  • Uteschitelny. Nun, das ist ja fast dasselbe. Also hören Sie, Psoj
  • Stachitsch. Seien wir wie alte Freunde. Nun wie steht's, wie gehen die
  • Geschäfte? Wie ist Ihr Dienst?
  • Samuchrischkin. Ja, wie soll denn der Dienst sein? Wie gewöhnlich: Man
  • dient eben.
  • Uteschitelny. Nun, und wie ist es mit den verschiedenen Einkünften,
  • verstehen Sie? Sagen wir einfach, nehmen Sie viel Geschenke?
  • Samuchrischkin. Aber ich bitte Sie: natürlich, wovon soll man denn
  • leben?
  • Uteschitelny. Nun sagen Sie mal ganz aufrichtig, wie ist es bei Ihnen im
  • Amt: Greifen alle zu?
  • Samuchrischkin. Ach Gott, nun lachen Sie auch, wie ich sehe. Ach, meine
  • Herren! ... Sehen Sie mal: auch die Herren Schriftsteller, die lachen
  • alle über die, die sich bestechen lassen; aber wenn man genauer zusieht,
  • so lassen sich auch andere Leute bestechen, die besser als wir zu sein
  • scheinen. Z. B. Sie meine Herren, Sie haben nur einen vornehmeren Namen
  • dafür erfunden. Eine Spende für wohltätige Zwecke oder so was. Weiß der
  • Himmel, wie das heißt. Aber sieht man genauer zu, so ist's in
  • Wirklichkeit dieselbe Bestechung: wie sagt man doch, dieselbe Couleur in
  • grün.
  • Uteschitelny. Wie ich sehe, fühlt sich unser Psoj Stachitsch gekränkt.
  • So ist es, wenn man dem Ehrgefühl zu nahe tritt.
  • Samuchrischkin. Ja, das Ehrgefühl ist eine kitzlige Sache, das wissen
  • Sie wohl selber. Aber ich bin gar nicht böse. Ich habe schon ein langes
  • Leben hinter mir, Väterchen.
  • Schwochnew. Schon gut, wir wollen ganz freundschaftlich miteinander
  • sprechen, Psoj Stachitsch. Wie steht's mit Ihnen, was machen Sie, wie
  • geht's bei Ihnen? Wie schlagen Sie sich in der Welt durch? Haben Sie ein
  • Frauchen und Kinderchen?
  • Samuchrischkin. Gott sei Dank, Gott hat mich gesegnet. Zwei Jungens
  • besuchen schon die Kreisschule, die zwei anderen sind noch etwas jünger.
  • Einer läuft noch im Hemdchen rum und der andere kriecht noch auf allen
  • Vieren.
  • Uteschitelny. Nun, und sie können wohl alle mit den Händchen schon so
  • machen, glaub ich. (Zeigt mit der Hand, wie man Geld nimmt.)
  • Samuchrischkin. Ach bitte, meine Herren, sind Sie aber! Sie fangen schon
  • wieder an.
  • Uteschitelny. Nun, nun, schon gut, Psoj Stachitsch. Das geschieht ja
  • alles aus Freundschaft. Was ist denn nun dabei, wir sind ja unter uns.
  • Heda, ein Champagnerglas für Psoj Stachitsch. Wir müssen ja jetzt gute
  • Freunde sein. Wir wollen Sie auch bald mal besuchen.
  • Samuchrischkin (nimmt das Glas). Ah, bitte schön, meine Herren, Sie
  • sollen herzlich willkommen sein! Ich kann Ihnen aufrichtig sagen, einen
  • solchen Tee wie Sie ihn bei mir trinken werden, finden Sie nicht einmal
  • beim Gouverneur.
  • Uteschitelny. Natürlich ein Geschenk vom Kaufmann?
  • Samuchrischkin. Jawohl, vom Kaufmann, direkt aus Kjachta bezogen.
  • Uteschitelny. Aber wie ist denn das, Psoj Stachitsch, Sie haben ja gar
  • keine amtlichen Beziehungen zu den Kaufleuten.
  • Samuchrischkin (trinkt das Glas aus und stützt sich mit den Händen auf
  • die Knie). Die Sache ist nämlich so. Der Kaufmann hat eigentlich nur aus
  • Dummheit blechen müssen. Der Gutsbesitzer Frakassow, wenn Sie den
  • vielleicht kennen, nimmt eine Hypothek auf sein Gut auf, alles ist
  • abgemacht, wie sich's gehört, und am nächsten Tag soll er das Geld
  • bekommen. Er plant die Errichtung irgendeiner Fabrik halbpart mit dem
  • Kaufmann. Nun, Sie begreifen wohl, uns geht es ja gar nichts an, ob das
  • Geld für eine Fabrik verwendet wird oder für etwas anderes, und wessen
  • Kompagnon er ist, das ist gar nicht unsere Sache. Aber der Kaufmann
  • plappert aus Dummheit in der Stadt herum, daß er mit dem Gutsbesitzer
  • halbpart ein Kompagnie-Geschäft abgeschlossen hat und von ihm von Stunde
  • zu Stunde Geld erwartet. Da ließen wir dem Kaufmann sagen: wenn er uns
  • zweitausend schickt, so wird das Geld gleich ausgezahlt, wenn nicht, so
  • kann er lange warten. Indessen aber, verstehen Sie wohl, sind ihm schon
  • die Kessel und die andern Gerätschaften für die Fabrik gebracht worden,
  • und man wartet bloß noch auf das Handgeld. Der Kaufmann sieht -- die
  • Sache ist schlimm, er bezahlt seine zweitausend und jedem von uns noch
  • drei Pfund Tee. Man wird vielleicht sagen, das ist Bestechung, aber es
  • geschieht ihm doch recht. Warum ist er so dumm, wer hat ihn denn zum
  • Reden gezwungen; er hätte doch seiner Zunge Halt gebieten können.
  • Uteschitelny. Hören Sie mal, Psoj Stachitsch, bitte erledigen Sie doch
  • unser Geschäftchen, wir werden Ihnen schon was geben, und Sie machen es
  • mit Ihrem Vorgesetzten ab, wie sich's gehört. Nur um Gottes Willen
  • möglichst schnell, Psoj Stachitsch, wie?
  • Samuchrischkin. Wir werden uns schon Mühe geben. (Steht auf.) Aber ich
  • will Ihnen ganz offen sagen, so schnell, wie Sie wollen, geht es nicht.
  • Bei Gott, bei uns im Amt ist keine Kopeke vorhanden, aber ich will mir
  • schon Mühe geben.
  • Uteschitelny. Nun, und wie soll ich nach Ihnen fragen?
  • Samuchrischkin. Fragen Sie ganz einfach nach Psoj Stachitsch
  • Samuchrischkin. Auf Wiedersehen, meine Herren! (Geht zur Tür).
  • Schwochnew. Psoj Stachitsch, bitte Psoj Stachitsch, (sieht sich um)
  • sehen Sie doch zu.
  • Uteschitelny. Psoj Stachitsch, bitte Psoj Stachitsch, helfen Sie recht
  • schnell.
  • Samuchrischkin. Ich habe ja schon gesagt, ich werde mir Mühe geben.
  • Uteschitelny. Zum Henker, das dauert aber lange, (schlägt sich mit der
  • Hand vor die Stirn) nein, ich will ihm nachgehen, vielleicht erreiche
  • ich etwas, ich werde kein Geld sparen, hol ihn der Teufel, ich werde ihm
  • dreitausend von meinem Geld geben. (Schnell ab).
  • 21. Auftritt
  • Schwochnew, Krugel, Icharew.
  • Icharew. Natürlich wäre es besser, das Geld möglichst bald zu bekommen.
  • Schwochnew. Und wie dringend nötig wir es haben, wie dringend nötig!
  • Krugel. Ach, wenn er ihn nur herumkriegen könnte.
  • Icharew. Wie, sind denn etwa Ihre Angelegenheiten ...
  • 22. Auftritt
  • Dieselben und Uteschitelny.
  • Uteschitelny (tritt ein, verzweifelt). Zum Teufel, früher als in vier
  • Tagen kann er es keinesfalls machen, ich möchte mir den Kopf an der Wand
  • zerschellen.
  • Icharew. Warum hast du denn nur solche Eile, kannst du denn nicht noch
  • vier Tage warten?
  • Schwochnew. Das ist es ja, Liebster, das ist für uns viel zu wichtig.
  • Uteschitelny. Warten? Weißt du denn, daß man uns stündlich in
  • Nischni-Nowgorod erwartet? Wir haben es dir noch nicht erzählt. Schon
  • vor vier Tagen haben wir die Meldung bekommen, wir müßten eiligst dahin
  • und sollten unter allen Umständen etwas Geld mitbringen. Ein Kaufmann
  • hat da für sechshunderttausend Rubel Eisen mitgebracht. Dienstag ist die
  • endgültige Abmachung, und das Geld wird ihm bar ausgezahlt; und gestern
  • ist ein anderer mit Flachs für eine halbe Million angekommen.
  • Icharew. Nun, was ist denn dabei?
  • Uteschitelny. Wieso, was ist denn dabei? Die Alten sind doch zu Hause
  • geblieben, und haben an ihrer Stelle ihre Söhne hingeschickt.
  • Icharew. Ob aber die Söhne auch ganz bestimmt spielen werden?
  • Uteschitelny. Aber wo lebst du bloß? Etwa in China? Weißt du denn nicht,
  • wie diese Kaufmannssöhnchen sind? Der Kaufmann erzieht ja seinen Sohn
  • derart, daß er entweder gar nichts weiß, oder nur das weiß, was ein
  • Adliger und nicht was ein Kaufmann zu wissen braucht. Natürlich ist auch
  • das Söhnchen danach: spaziert am Arm mit Offizieren, und bummelt herum.
  • Das ist für uns die einträglichste Kundschaft, mein Liebster. Diese
  • Schafsköpfe wissen nicht, daß sie für jeden Rubel, den sie uns
  • abschwindeln, tausend bezahlen. Jawohl, das ist unser Glück, daß der
  • Kaufmann nur daran denkt, seine Töchter mit einem General zu verheiraten
  • und dem Sohne Rang und Titel zu verschaffen.
  • Icharew. Und sind das auch sichere Sachen?
  • Uteschitelny. Ob es sichere Sachen sind! Man würde uns doch nicht
  • benachrichtigt haben. Es ist fast alles in unsern Händen, jede Minute
  • ist jetzt teuer.
  • Icharew. Ach, zum Teufel, was sitzen wir denn hier. Meine Herren, wir
  • haben ja abgemacht, gemeinschaftlich zu arbeiten.
  • Uteschitelny. Gewiß, das ist auch unser Vorteil. Hör mal, was mir
  • eingefallen ist. Du brauchst ja vorläufig nicht zu eilen. Du hast jetzt
  • achtzigtausend in barem Geld. Gib uns das Geld und nimm Glows Wechsel
  • von uns, du bekommst sicher hundertfünfzigtausend, also das Doppelte,
  • und uns würdest du noch gar einen Dienst erweisen. Denn wir brauchen
  • jetzt das Geld so sehr, das wir mit Freuden das Dreifache für jede
  • Kopeke zu zahlen bereit sind.
  • Icharew. Sehr gern, warum nicht: um Ihnen zu beweisen, daß die
  • Freundschaft ... (Geht an die Kassette und nimmt einen Haufen
  • Geldscheine hervor.) Hier habt ihr achtzigtausend.
  • Uteschitelny. Und hier hast du die Wechsel. Jetzt eile ich gleich zu
  • Glow, ich will ihn herbeiholen und alle Formalitäten erledigen. Krugel,
  • bring das Geld auf mein Zimmer. Hier hast du den Schlüssel zu meiner
  • Kassette. (Krugel ab.) Ach, wenn wir es einrichten könnten, daß wir
  • heute abend abreisen können! (Ab.)
  • Icharew. Natürlich, natürlich, hier ist keine Minute zu verlieren.
  • Schwochnew. Und dir rate ich auch, hier nicht noch lange sitzen zu
  • bleiben. Sowie du das Geld bekommen hast, komme sofort zu uns. Mit den
  • zweihunderttausend -- weißt du, was man damit machen kann? Man kann
  • einfach den ganzen Jahrmarkt in die Luft sprengen ... Ach, ich habe ganz
  • vergessen, dem Krugel etwas Wichtiges zu sagen. Warte nur, ich komme
  • gleich zurück. (Schnell ab.)
  • 23. Auftritt
  • Icharew (allein). Was für eine Wendung doch die Umstände genommen haben,
  • was? Noch heute morgen bloß achtzigtausend, und gegen abend schon
  • zweihunderttausend, wie? Für manchen bedeutet das ja ein ganzes Leben
  • voll Dienst und Arbeit, den Preis für ein ständiges Sitzen,
  • Entbehrungen, Verlust der Gesundheit, und hier bist du in einigen
  • Stunden, ja in einigen Minuten ein regierender Prinz. Eine Kleinigkeit
  • das: Zweihunderttausend! Ich kann mir denken, was aus mir geworden wäre,
  • wenn ich auf dem Lande gesessen wäre und mich mit den Starosten und
  • Bauern herumgeschlagen hätte, um jährlich dreitausend einzuheimsen. Ist
  • denn Bildung eine Kleinigkeit? Die Unbildung, die sich auf dem Lande an
  • dir festsetzt, die kannst du nachher nicht mit dem Messer abkratzen.
  • Womit hätte man da seine Zeit verloren? Mit Gesprächen mit den Starosten
  • und den Bauern ... Ich aber will mich mit gebildeten Menschen
  • unterhalten! Jetzt bin ich sichergestellt, jetzt habe ich freie Zeit.
  • Jetzt kann ich mich damit beschäftigen, was zu unserer Bildung beiträgt.
  • Wenn ich nach Petersburg will, kann ich auch nach Petersburg reisen, da
  • gehe ich ins Theater, sehe die Münze, da spaziere ich am Palais, am
  • Englischen Quai vorbei, gehe in den Sommergarten. Oder ich gehe nach
  • Moskau und diniere bei Jar, ich kann mich nach der Mode der Residenz
  • kleiden, kann mich mit den andern gleichstellen und die Pflichten eines
  • aufgeklärten Menschen erfüllen. Und was ist die Ursache davon? Was gibt
  • mir die Möglichkeit dazu? Das, was man Betrügerei nennt. Ach, Unsinn,
  • das ist eben gar keine Betrügerei, ein Betrüger kann man in einer Minute
  • werden, hierzu aber ist Praxis, Studium nötig. Aber zugegeben, es sei
  • Betrügerei. Es ist doch eben eine notwendige Sache; was kann man denn
  • ohne sie machen? Sie ist gewissermaßen eine Warnung. Wenn ich z. B.
  • nicht alle Feinheiten kennte, wenn ich das alles nicht begriffen hätte,
  • wie hätte man mich da nicht beschwindeln können! Sie haben mich ja auch
  • wirklich beschwindeln wollen. Dann sahen sie aber, daß sie es nicht mit
  • einem gewöhnlichen Menschen zu tun haben, und gingen mich selbst um
  • meine Hilfe an. O nein, Verstand -- das ist eine große Sache; und in der
  • Welt ist Feinheit notwendig. Ich sehe das Leben von einem ganz anderen
  • Standpunkt an. So leben, wie ein dummer Kerl, so kann jeder leben, das
  • ist kein Kunststück, aber mit Witz und mit Kunst leben, alle betrügen
  • und doch selbst nicht betrogen werden, das ist die eigentliche Aufgabe,
  • das wahre Ziel.
  • 24. Auftritt
  • Icharew und Glow, der eilig eintritt.
  • Glow. Wo sind sie denn? Ich bin eben im Zimmer gewesen, das ist leer.
  • Icharew. Sie sind soeben hier gewesen, sie sind nur auf einen Augenblick
  • fortgegangen.
  • Glow. Wie, schon fort? Haben sie Geld bei dir genommen?
  • Icharew. Jawohl, wir haben's schon abgemacht. Jetzt handelt sich's noch
  • um dich.
  • 25. Auftritt
  • Dieselben und Alexej.
  • Alexej (zu Glow). Sie wünschen zu wissen, wo die Herren sind?
  • Glow. Jawohl.
  • Alexej. Die sind ja schon abgereist.
  • Glow. Wieso abgereist?
  • Alexej. So, sie hielten schon seit einer halben Stunde Wagen und Pferde
  • bereit.
  • Glow (schlägt die Hände zusammen). Nun sind wir beide hineingelegt!
  • Icharew. Was für ein Unsinn? Ich verstehe kein Wort. Uteschitelny muß
  • jeden Augenblick zurückkommen. Du weißt ja, daß du die ganze Schuld
  • jetzt _mir_ bezahlen mußt. Sie haben sie mir zediert.
  • Glow. Ach was, Schuld? Zum Teufel! Du willst bezahlt haben? Siehst du
  • denn nicht, daß du zum Narren gehalten und angeführt bist wie ein
  • Gimpel?
  • Icharew. Was sprichst du da für einen Unsinn? Du scheinst deinen Rausch
  • noch immer im Kopf zu haben.
  • Glow. Nun, wie es scheint, haben wir beide einen Rausch. Erwache doch!
  • Glaubst du etwa, ich bin Glow? Ich bin ebensowenig Glow, wie du der
  • Kaiser von China.
  • Icharew (unruhig). Aber ich bitte dich, was sprichst du da für einen
  • Unsinn? Und dein Vater? ... und ...
  • Glow. Der Alte? Erstens ist er gar nicht mein Vater, und wird den Teufel
  • Kinder haben; und zweitens heißt er auch nicht Glow, sondern Krinizin
  • und nicht Michailo Alexandrowitsch, sondern Iwán Klímitsch; der ist von
  • derselben Bande.
  • Icharew. Hör mal, sprich du im Ernst; damit treibt man keinen Spaß.
  • Glow. Was für einen Spaß? Ich habe mich ja selber daran beteiligt und
  • bin ebenfalls betrogen. Sie haben mir dreitausend für meine Mühe
  • versprochen.
  • Icharew (geht auf ihn zu, hitzig). He, treib keinen Spaß, sage ich dir!
  • Du glaubst, ich bin so dumm? Und die Vollmacht, und der Fiskus? Da war
  • doch noch soeben der Beamte aus dem Fiskus, Psoj Stachitsch
  • Samuchrischkin. Du glaubst, ich kann ihn wohl nicht gleich herbeiholen
  • lassen?
  • Glow. Erstens ist er gar kein Beamter aus dem Fiskus, sondern ein
  • Stabskapitän a. D. von derselben Bande; und dann heißt er gar nicht
  • Samuchrischkin, sondern Mursaféjkin und nicht Psoj Stachitsch, sondern
  • Frol Semjónowitsch.
  • Icharew (verzweifelt). Und wer bist du, Teufel? sprich, wer bist du?
  • Glow. Wer ich bin? Ich war ein anständiger Mensch und bin durch die Not
  • zu einem Schwindler geworden. Sie haben mir alles im Spiel abgewonnen,
  • alles bis aufs Hemd. Was soll ich nun machen? ich will doch nicht vor
  • Hunger sterben. Für dreitausend habe ich mich dazu hergegeben,
  • mitzuarbeiten und dich zu beschwindeln. Ich sag' es dir gerade heraus,
  • du siehst, ich handle vornehm.
  • Icharew (faßt ihn wütend am Kragen). Du Schwindler.
  • Alexej (für sich). Na, da kommt's, wie es scheint, gleich zu einer
  • Rauferei, da will ich lieber verschwinden. (Ab.)
  • Icharew (Glow fortziehend). Komm, komm.
  • Glow. Wohin, wohin?
  • Icharew (in Wut). Wohin? zum Gericht! zum Gericht!
  • Glow. Aber ich bitte dich, du hast ja gar kein Recht dazu!
  • Icharew. Wieso, ich habe kein Recht? Stehlen, am hellichten Tage Geld
  • wegnehmen ... in so gaunerischer Weise! Ich hätte kein Recht? Aber warte
  • nur, im Gefängnis, in Sibirien wirst du wohl auch sagen, daß ich kein
  • Recht habe? Warte nur, man wird eure ganze Gaunerbande noch abfassen!
  • Ihr werdet schon sehen, was es heißt, das Vertrauen und die Ehrlichkeit
  • gutmütiger Menschen zu hintergehen. Das Gesetz, das Gesetz, das Gesetz
  • werde ich anrufen. (Zieht ihn fort.)
  • Glow. Du könntest das Gesetz ja dann anrufen, wenn du selbst nicht
  • gesetzwidrig gehandelt hättest. Aber bedenke doch, du hast dich ja mit
  • ihnen verbunden, um mich zu beschwindeln und mir das Geld abzugewinnen,
  • und die Karten waren ja dein eigenes Fabrikat. Nein, Brüderchen, das ist
  • ja eben die Sache, daß du gar kein Recht hast, zu klagen.
  • Icharew (schlägt sich in seiner Verzweiflung mit der Hand vor die
  • Stirn). Zum Teufel, das ist wahr. (Fällt entkräftet auf den Stuhl,
  • indessen eilt Glow fort). Aber solch ein teuflischer Betrug!
  • Glow (steckt den Kopf durch die Tür). Tröste dich, du hast es ja noch
  • nicht so schlimm, dir bleibt ja noch die Adelaida Iwanowna!
  • (Verschwindet).
  • Icharew (wütend). Hol der Teufel die Adelaida Iwanowna! (Ergreift das
  • Kartenspiel und schleudert es gegen die Tür, einzelne Karten fliegen auf
  • den Boden.) Da muß es nun solche Schwindler geben zum Schimpf und zur
  • Schande der Menschheit! Aber es ist ja einfach zum Wahnsinnigwerden: Wie
  • teuflisch war das alles durchgeführt, wie fein! Dieser Vater, dieser
  • Sohn und dieser Beamte Samuchrischkin -- und das alles ist abgekartet,
  • und ich kann nicht einmal klagen. (Springt vom Stuhl auf und geht erregt
  • im Zimmer auf und ab.) Und da soll man noch den Schlauen spielen, da
  • soll man seinen Geist, seinen Witz anstrengen, Mittel erdenken ....
  • Nein, hol's der Teufel, es lohnt sich gar nicht, es ist des edlen
  • Eifers, es ist der Mühe nicht wert! Da findet sich gleich in deiner Nähe
  • ein Gauner, der dich noch übergaunert, ein Schwindler, der mit einem
  • Male das ganze Gebäude in die Luft sprengt, an dem du jahrelang
  • gearbeitet hast. (Mit einer ärgerlichen Handbewegung.) Zum Teufel, ist
  • das eine schwindelhafte Welt! Nur der hat Glück, der so dumm ist wie ein
  • Klotz, und der nichts versteht, an nichts denkt, nichts tut und mit
  • abgenutzten Karten um einen Groschen Boston spielt!
  • Szenen aus einer unvollendeten Komödie
  • Deutsch von Alexandra Ramm
  • Der Morgen eines vielbeschäftigten Herrn
  • 1. Auftritt
  • Ein Kabinett. Einige Schränke mit Büchern. Auf dem Tisch liegen
  • zerstreute Papiere. Iwan Petrowitsch, ein Beamter, tritt im
  • Schlafrock herein, reckt sich und klingelt. Im Flur hört man eine
  • Stimme: »Sofort!« Iwan Petrowitsch klingelt zum zweiten Male;
  • wieder dieselbe Stimme: »Sofort!« Iwan Petrowitsch klingelt
  • ungeduldig zum dritten Male; der Diener tritt ein.
  • Iwan Petrowitsch. Bist du taub geworden?
  • Der Lakai. O nein.
  • Iwan Petrowitsch. Und warum hat es dir beliebt, nicht eher zu
  • erscheinen, als bis ich zum dritten Male geklingelt habe?
  • Der Lakai. Wie hätte ich es anders machen können! Ich konnte doch meine
  • Arbeit nicht wegwerfen: ich habe die Stiefel geputzt!
  • Iwan Petrowitsch. Und was hat Iwan getan?
  • Der Lakai. Iwan hat das Zimmer gefegt. Und dann ist er in den
  • Pferdestall gegangen.
  • Iwan Petrowitsch. Hol mir das Hündchen her! (Der Lakai bringt das
  • Hündchen.) Sususchka, Sususchka, ah Sususchka. Wir wollen dir jetzt ein
  • Stückchen Papier anbinden. (Befestigt ihm ein Stückchen Papier am
  • Schwanz.)
  • Ein anderer Lakai (kommt hereingelaufen). Alexander Iwanowitsch!
  • Iwan Petrowitsch. Bitte! (Läßt eilig das Hündchen fallen und schlägt ein
  • Gesetzbuch auf.)
  • 2. Auftritt
  • Iwan Petrowitsch und Alexander Iwanowitsch, (auch ein
  • vielbeschäftigter Herr).
  • Alexander Iwanowitsch. Guten Morgen, Iwan Petrowitsch.
  • Iwan Petrowitsch. Nun, wie befinden Sie sich, Alexander Iwanowitsch?
  • Alexander Iwanowitsch. Danke sehr. Störe ich auch nicht?
  • Iwan Petrowitsch. Ach, ich bitte Sie. Ich bin ja immer beschäftigt. Nun
  • -- um wieviel Uhr sind Sie nach Haus gekommen?
  • Alexander Iwanowitsch. So um sechs. Als ich aus der Offizierskaja
  • herauskam, fragte ich einen Posten, an dem ich vorüberkam: »Brüderchen,
  • hast du nicht gehört, wie spät es ist?« »Jawohl, es hat schon sechs
  • geschlagen!« sagte er. So habe ich erfahren, daß es schon sechs Uhr war.
  • Iwan Petrowitsch. Denken Sie sich: ich bin auch fast um die gleiche Zeit
  • zurückgekommen! -- Nun, denken Sie noch an das Whistchen? Hä hä hä!
  • Alexander Iwanowitsch. Hä hä hä! ... Ich habe sogar davon geträumt.
  • Iwan Petrowitsch. Hä hä hä! Ich habe immer gedacht: was soll es nur
  • bedeuten, daß er den König ausspielt! Ich hatte die Dame und zwei
  • kleinere Karten in Kreuz in der Hand und hatte schon längst gesehen, daß
  • Lukian Fedossejewitsch renoncierte.
  • Alexander Iwanowitsch. Am längsten zog sich die achte Runde hin.
  • Iwan Petrowitsch. Jawohl. (Nach einer Pause.) Ich hatte Lukian
  • Fedossejewitsch schon zugewinkt, daß er Trumpf ausspielen soll; aber
  • nein! Und dabei hätte er nur einmal Trumpf zu bringen brauchen, und mein
  • Pique-Junge hätte gestochen!
  • Alexander Iwanowitsch. Erlauben Sie, Iwan Petrowitsch, der Junge hätte
  • nicht gestochen!
  • Iwan Petrowitsch. Oho! Er hätte doch gestochen!
  • Alexander Iwanowitsch. Er hätte nicht gestochen, weil Sie ja nie zum
  • Anspielen gekommen wären.
  • Iwan Petrowitsch. Aber Sie haben ja Lukian Fedossejewitschs Pique-Sieben
  • vergessen!
  • Alexander Iwanowitsch. Hatte er denn noch ein Pique? Ich kann mich gar
  • nicht daran erinnern ...
  • Iwan Petrowitsch. Aber gewiß. Er hatte zwei Pique: die Vier, die er auf
  • die Dame gegeben hatte, und eine Sieben.
  • Alexander Iwanowitsch. Aber nein, Iwan Petrowitsch, erlauben Sie: er
  • konnte nicht mehr als ein Pique haben!
  • Iwan Petrowitsch. Aber mein Gott, Alexander Iwanowitsch, wem erzählen
  • Sie das! Zwei Pique! Ich sehe sie noch wie jetzt vor mir: eine Vier und
  • eine Sieben!
  • Alexander Iwanowitsch. Eine Vier hatte er, das stimmt -- aber keine
  • Sieben. Dann hätte er doch Trumpf gespielt, das müssen Sie doch zugeben,
  • er hätte dann eben Trumpf gespielt!
  • Iwan Petrowitsch. Bei Gott, Alexander Iwanowitsch, bei Gott!
  • Alexander Iwanowitsch. Nein, Iwan Petrowitsch. Es ist durchaus
  • unmöglich.
  • Iwan Petrowitsch. Erlauben Sie, Alexander Iwanowitsch: wissen Sie, was
  • das Beste ist? Wir fahren morgen zu Lukian Fedossejewitsch. Sind Sie
  • einverstanden?
  • Alexander Iwanowitsch. Gut.
  • Iwan Petrowitsch. Fragen wir ihn selbst, ob er eine Pique Sieben in der
  • Hand gehabt hat.
  • Alexander Iwanowitsch. Bitte sehr -- ich bin durchaus nicht abgeneigt.
  • Übrigens, wenn man sich die Sache überlegt, warum spielt eigentlich
  • Lukian Fedossejewitsch so schlecht? Man kann doch nicht sagen, daß er
  • keinen Verstand hat. Er ist ein feiner Mann, und sein Benehmen ...
  • Iwan Petrowitsch. Und fügen Sie hinzu: von großen Kenntnissen! Ein Mann
  • -- das dürfen wir unter uns wohl sagen -- wie wir nur wenige in Rußland
  • haben. -- Waren Sie bei Sr. Exzellenz?
  • Alexander Iwanowitsch. Jawohl. Ich komme soeben von ihm. -- Es war etwas
  • kalt heut morgen. Wie Ihnen wohl bekannt sein wird, habe ich die
  • Gewohnheit, ein Wams aus Elenleder zu tragen: es ist viel angenehmer als
  • eins von Flanell und wärmt dabei nicht so. Darum ließ ich mir den Pelz
  • geben. Ich komme zu Sr. Exzellenz. -- Se. Exzellenz schläft noch. Nun,
  • da habe ich gewartet. Und dann sprachen wir von diesem und jenem.
  • Iwan Petrowitsch. Und von mir wurde nicht gesprochen?
  • Alexander Iwanowitsch. Gewiß, auch von Ihnen. Und dann wurde die
  • Unterhaltung noch sehr amüsant.
  • Iwan Petrowitsch (angeregt). Was, was, was?
  • Alexander Iwanowitsch. Erlauben Sie ... erlauben Sie, immer eins nach
  • dem andern! Das ist eine höchst unterhaltsame Geschichte. Se. Exzellenz
  • fragte mich unter andern, wo ich meine Zeit verbringe, da er mich so
  • lange nicht gesehen hätte, und sprach den Wunsch aus, etwas über den
  • gestrigen Abend und über die Anwesenden zu erfahren. Ich antwortete:
  • »Ew. Exzellenz, es waren anwesend: Pawel Grigorjewitsch Borschtschow,
  • Ilja Wladimirowitsch Bubunizin.« Se. Exzellenz sagt nach jedem Wort:
  • »Hem!« Ich sagte: »Außerdem war noch ein Bekannter Ew. Exzellenz ...«
  • Iwan Petrowitsch. Nun, nun?
  • Alexander Iwanowitsch. Erlauben Sie! Und was meinen Sie wohl, sagte Se.
  • Exzellenz darauf?
  • Iwan Petrowitsch. Ich weiß nicht ...
  • Alexander Iwanowitsch. Er sagte: »Wer könnte das sein? --« »Iwan
  • Petrowitsch Barsukow,« antwortete ich. »Hem,« sagte Se. Exzellenz. »Das
  • ist ein Beamter, und noch dazu ...« (Hebt die Augen empor.) Die Decken
  • sind bei Ihnen recht nett bemalt: ist das auf Ihre Kosten geschehen,
  • oder auf die Ihres Wirts?
  • Iwan Petrowitsch. Aber nein, das ist doch eine Amtswohnung!
  • Alexander Iwanowitsch. Sehr, sehr hübsch. Körbchen, eine Lyra, rings
  • herum Zwiebacke, Trommeln und eine Trompete. Wirklich, sehr, sehr
  • natürlich!
  • Iwan Petrowitsch (ungeduldig). Und was sagte Se. Exzellenz?
  • Alexander Iwanowitsch. Ach, das hätte ich richtig vergessen. Was sagte
  • er doch noch ...?
  • Iwan Petrowitsch. Er sagte: »Hem! ... Das ist ein Beamter ...«
  • Alexander Iwanowitsch. Richtig! »Das ist ein Beamter ...« ... nun, und
  • ... »und steht in meinem Dienst!« Nachher war die Unterhaltung nicht
  • mehr so interessant und wandte sich gewöhnlichen Dingen zu.
  • Iwan Petrowitsch. Und weiter hat er nichts von mir gesagt?
  • Alexander Iwanowitsch. Nein.
  • Iwan Petrowitsch (für sich). Nun, das ist vorläufig noch nicht viel.
  • Gott, Gott, wie wäre es, wenn er gesagt hätte: In Berücksichtigung
  • dieser und jener Verdienste schlage ich diesen Barsukow vor ...
  • 3. Auftritt
  • Die Vorigen und Schreider, der zur Tür hereinschaut.
  • Iwan Petrowitsch. Kommen Sie herein, kommen Sie herein, es macht nichts,
  • bitte kommen Sie nur her: Was ist das? Ein Rapport?
  • Schreider. Wollen Sie freundlichst unterschreiben. Hier ist eine Meldung
  • an den Cameralhof, und das ist ein Rapport an den Verwalter.
  • Iwan Petrowitsch (liest inzwischen). ... dem Herrn Verwalter ... Was ist
  • das! Sie haben ja nicht überall gleichen Rand gelassen? Was soll das?
  • Wissen Sie, daß man Sie dafür mit Arrest bestrafen kann? (Wirft ihm
  • einen bedeutungsvollen Blick zu).
  • Schreider. Ich habe es Iwan Iwanowitsch gesagt: aber er hat geantwortet,
  • der Minister werde auf solche Lappalien nicht achten.
  • Iwan Petrowitsch. Lappalien! Iwan Iwanowitsch hat gut reden! Ich selber
  • denke ja auch so: der Minister wird das wirklich nicht beachten! Aber
  • wenn es ihm nun plötzlich doch einfällt?
  • Schreider. Man kann es ja abschreiben; nur wird es dann zu spät werden.
  • Aber da Sie selbst zu sagen belieben, daß der Minister es nicht beachten
  • wird ...
  • Iwan Petrowitsch. Natürlich. Das ist ja alles sehr richtig. Ich bin
  • durchaus mit Ihnen einverstanden, er wird sich mit solchen Kleinigkeiten
  • nicht abgeben. Aber setzen Sie den Fall, daß es ihm doch einfällt. Ich
  • will doch mal sehen, wie groß der Raum ist, den man für den Rand
  • gelassen hat ...?
  • Schreider. Wenn es so ist, werde ich es sofort abschreiben.
  • Iwan Petrowitsch. Ja eben »wenn es so ist«. Ich spreche ja nur mit
  • Ihnen, weil Sie Universitätsbildung haben. Bei einem andern würde ich
  • kein Wort verlieren.
  • Schreider. Ich habe es mir nur erlaubt, weil der Herr Minister ...
  • Iwan Petrowitsch. Gestatten Sie! Gestatten Sie: Das ist vollkommen
  • richtig: ich bin ja auf ein Haar mit Ihnen einig. Gewiß, der Minister
  • wird es nie beachten! er wird sich gar nicht darum kümmern. Aber wenn es
  • ihm plötzlich doch ... was dann?
  • Schreider. Ich werde es abschreiben. (Entfernt sich.)
  • 4. Auftritt
  • Iwan Petrowitsch (zuckt die Achseln und wendet sich an Alexander
  • Iwanowitsch). Das hat immer noch Wind im Kopfe! Sonst ein anständiger
  • junger Mann, erst vor kurzem von der Universität gekommen, aber hier
  • (zeigt auf die Stirn) rein gar nichts. Sie können sich keine Vorstellung
  • machen, verehrtester Alexander Iwanowitsch, wieviel Mühe es mir gekostet
  • hat, das alles in Ordnung zu bringen. Sie hätten nur sehen sollen, in
  • welchem Zustand ich meinen Posten übernommen habe! Denken Sie sich --
  • kein Kanzleibeamter konnte einen ordentlichen Buchstaben schreiben! Man
  • mußte es mit ansehen, wie der eine das »An« auf die falsche Zeile
  • brachte und wie der andere auf der ersten Zeile »Dur« und auf der andern
  • »chlaucht« schrieb. Mit einem Wort: es war entsetzlich! Eine
  • babylonische Verwirrung! Und schauen Sie sich jetzt einmal die Akten an:
  • alles ist schön und gut! Das Herz freut sich, die Seele triumphiert! Und
  • eine Ordnung -- alles ist an seinem Platz!
  • Alexander Iwanowitsch. Man kann also sagen, daß Sie sich Ihren Rang mit
  • Schweiß und Blut erworben haben!
  • Iwan Petrowitsch (seufzend). Jawohl! Mit Schweiß und Blut! Aber was soll
  • ich machen, ich habe nun einmal so einen Charakter! Was wäre ich nicht
  • alles geworden, wenn ich mich nur darum bemüht hätte! Auf meiner Brust
  • wäre kein Platz mehr für die Orden! Aber was soll ich machen? Ich kann
  • nun einmal nicht anders handeln. So nebenbei werde ich ja schon ein paar
  • Andeutungen und Anspielungen fallen lassen, aber geradeheraus etwas
  • fordern, unmittelbar etwas für mich erbitten -- nein, das ist meine
  • Sache nicht! Andere steigen fortwährend im Rang -- ich dagegen habe nun
  • einmal so einen Charakter: zu allem kann ich mich herbeilassen, aber
  • niemals zu einer Ungerechtigkeit! (Seufzt.) Nur eins möchte ich jetzt:
  • wenn ich doch einen kleinen Orden ins Knopfloch kriegen könnte! Nicht,
  • weil ich ein besonderes Interesse daran hätte, sondern nur darum, damit
  • man merkt, daß meine Vorgesetzten mir einige Aufmerksamkeit schenken.
  • Ich möchte Sie bitten, Alexander Iwanowitsch, seien Sie so hochherzig,
  • machen Sie doch bei Gelegenheit, natürlich so ganz nebenbei, Sr.
  • Exzellenz gegenüber eine Anspielung, daß bei Barsukow in der Kanzlei
  • eine Ordnung herrscht, wie Sie sie selten gefunden haben, oder doch
  • irgend etwas ähnliches.
  • Alexander Iwanowitsch. Mit dem größten Vergnügen, sowie sich eine
  • Gelegenheit bietet ...
  • 5. Auftritt
  • Die Vorigen und Katerina Alexandrowna. Iwan Petrowitschs Frau.
  • Katerina Alexandrowna (erblickt Alexander Iwanowitsch). Ah! Alexander
  • Iwanowitsch! Mein Gott, wie lange wir uns nicht gesehen haben! Sie haben
  • mich ganz vergessen! Wie geht es Natalia Fominischna!
  • Alexander Iwanowitsch. Gottseidank! Übrigens kränkelt sie seit einer
  • Woche.
  • Katerina Alexandrowna. Aeh!
  • Alexander Iwanowitsch. Sie leidet an Stichen und Beklemmungen in der
  • Magengrube. Der Arzt hat ihr ein Abführungsmittel und heiße Kompressen
  • von Kamillentee und Salmiakgeist verschrieben.
  • Katerina Alexandrowna. Versuchen Sie es doch mit einem homöopathischen
  • Mittel.
  • Iwan Petrowitsch. Da du gerade von Homöopathie sprichst -- es ist
  • wirklich merkwürdig, wenn man bedenkt, wie weit man es jetzt mit der
  • Aufklärung gebracht hat, Katerina Alexandrowna. Ich war vor kurzem in
  • einer Vorstellung. Und was glauben Sie? Ein Bengel, wie soll ich euch
  • sagen, so groß (zeigt mit der Hand) und etwa drei Jahr alt, nicht mehr
  • -- ihr hättet sehen müssen, wie der auf einem ganz dünnen Seil tanzte!
  • Ich versichere Ihnen, im Ernst, der Atem stockte einem vor Angst!
  • Alexander Iwanowitsch. Die Melas singt wirklich sehr schön.
  • Iwan Petrowitsch (bedeutungsvoll). Die Melas? O ja. Mit vielem Gefühl!
  • Alexander Iwanowitsch. Ausgezeichnet.
  • Iwan Petrowitsch. Haben Sie bemerkt, wie geschickt sie das ... nimmt ...
  • (beschreibt mit der Hand Kreise vor den Augen).
  • Alexander Iwanowitsch. Jawohl, besonders das macht sie ganz wundervoll.
  • -- Doch es ist gleich zwei Uhr.
  • Iwan Petrowitsch. Wie! Wollen Sie schon gehen, Alexander Iwanowitsch?
  • Alexander Iwanowitsch. Es ist Zeit. Ich muß heut vormittag noch an
  • ungefähr drei Stellen sein.
  • Iwan Petrowitsch. Nun, dann auf Wiedersehn. Wann sehen wir uns? Richtig,
  • ich hab fast vergessen: morgen sind wir doch bei Lukian Fedossejewitsch?
  • Alexander Iwanowitsch. Ganz bestimmt. (Sie verabschieden sich.)
  • Katerina Alexandrowna. Leben Sie wohl, Alexander Iwanowitsch.
  • Alexander Iwanowitsch (in der Garderobe, während er sich den Pelz
  • umlegt). Ich kann diese Art Menschen nicht ausstehen! Das tut nichts,
  • wird nur immer fetter und stellt sich, als wäre er dies und jenes, als
  • hätte es dies getan und jenes verbessert -- die leibhaftige Tugend! Und
  • welche Ansprüche das macht! Einen Orden! Und er wird ihn auch bekommen!
  • Ja, er wird ihn bekommen -- dieser Gauner! Er wird ihn bekommen! Solche
  • Menschen haben ja immer Erfolg! Und ich? Hä? Fünf Jahre bin ich länger
  • im Dienst und bis jetzt noch nicht einmal für einen Orden vorgeschlagen?
  • Pfui, was für eine ekelhafte Physiognomie? Und dazu entwickelt er noch
  • zarte Gefühle: er will ja gar nichts so besonderes, nur damit man merkt,
  • daß seine Vorgesetzten ihm einige Aufmerksamkeit erweisen. Und er bittet
  • mich noch, daß ich ein Wort für ihn einlegen soll! Da sind Sie an den
  • Richtigen gekommen, Verehrtester! Ich werde ihm schon einen Dienst
  • erweisen! Nein, mein Bester, du sollst keinen Orden bekommen! Keinen!
  • Keinen!! (Klopft einige Male wie zur Bestätigung mit der Faust auf die
  • Handfläche und entfernt sich.)
  • Der Prozeß.
  • 1. Auftritt
  • Ein Kabinett.
  • Proletew (ein Sekretär, sitzt allein im Sessel und hat fortwährend den
  • Schlucken). Was ist denn mit mir los? Grad als wenn's mir aufstößt. Das
  • Mittagessen von gestern steckt mir noch in der Kehle. Da ißt man und ißt
  • -- weiß der Teufel, was man alles ißt! (Es stößt ihm auf.) Da ist's! (Es
  • stößt ihm auf.) Schon wieder. (Es stößt ihm auf.) Noch einmal! (Es stößt
  • ihm auf.) Jetzt schon zum viertenmal! (Es stößt ihm auf.) Der Teufel
  • soll auch das viertemal holen! Jetzt will ich mal die »Nördliche Biene«
  • lesen und sehen, was da drin steht. Ah, wie ich diese »Nördliche Biene«
  • über habe! Grad wie ein Frauenzimmer, das als alte Jungfer
  • sitzengeblieben ist. (Liest und schreit auf.) Krachmanow eine
  • Auszeichnung! Ah? Petruschka Krachmanow! Solch ein kleiner Bengel war
  • er. (Zeigt mit der Hand.) Ich habe ihn doch selbst im Kadettenkorps
  • untergebracht. Ah? (Fährt fort zu lesen, plötzlich schreit er auf, indem
  • er die Augen weit aufreißt.) Was ist das? Was ist das? Heißt das
  • wirklich Burdjukow? Wirklich! Pawel Petrowitsch Burdjukow ist befördert
  • worden! Ah? Nun? Ein bestechlicher Kerl, der zweimal von Gerichtswegen
  • verfolgt wurde, der Vater ein Dieb, der den Fiskus bestohlen hat -- der
  • ekelhafteste Mensch, den man sich nur vorstellen kann -- Hä? Und die
  • ganze Welt hält ihn für einen aufrichtigen Menschen. Solch ein Schurke!
  • Hat er nicht behauptet: »Der Prozeß Buchtjelew ist nicht sachlich
  • entschieden worden, der Senat ist der Sache nicht auf den Grund
  • gegangen!« -- Und warum? Der Schurke hat einfach erfahren, daß auf
  • meinen Teil zwanzigtausend Rubel fallen würden -- da denkt er sich,
  • warum hat er die nicht bekommen? Der ist wie ein Hund, der auf dem Heu
  • liegt: Was er selbst nicht kriegt, gönnt er auch einem andern nicht.
  • Aber ich kenne dich, geh doch und schwindle andern etwas vor, verstell
  • dich nur vor ihnen. Ich weiß genug von dir. Wahrhaftig, ich ärgere mich,
  • daß ich in die Zeitung hineingesehen habe. Wenn man die liest, hat man
  • nichts als Ärger und Ekel. He, Andrei!
  • 2. Auftritt
  • Der Lakai (hereintretend). Was befehlen Sie?
  • Proletew. Trag diese Zeitung hinaus! Warum hast du sie überhaupt
  • gebracht, du Narr! (Andrei trägt die Zeitung hinaus.) Was sagt man nur
  • zu diesem Burdjukow. Ah, den würde ich, ohne viel Worte zu machen,
  • einfach nach Kamtschatka schicken. Ich würde ihm mit dem größten
  • Vergnügen einen Schabernack spielen, das muß ich gestehen -- sofort in
  • diesem selben Augenblick. Aber es hat sich bis jetzt noch keine, aber
  • auch keine Gelegenheit gefunden ... Was soll ich machen? Gott zürnt mir
  • wohl! Ah, ich würde dich schon streicheln, ich würde dir schon was um
  • die Lippen schmieren ... Und was er für Lippen hat! Wie ein Stier -- so
  • 'ne Kanaille!
  • Der Lakai. Burdjukow ist da.
  • Proletew. Wer?
  • Der Lakai. Burdjukow ist da.
  • Proletew. Was für einen Unsinn redest du?
  • Der Lakai. Zu Befehl.
  • Proletew. Du lügst, Esel. Burdjukow? Pawel Petrowitsch Burdjukow?
  • Der Lakai. Nein, Pawel Petrowitsch nicht -- irgendein anderer!
  • Proletew. Was für ein anderer?
  • Der Lakai. Belieben Sie selbst nachzusehen: er wartet draußen.
  • Proletew. Ich lasse bitten.
  • 3. Auftritt
  • Proletew und Christophor Petrowitsch Burdjukow.
  • Burdjukow. Bitte entschuldigen Sie die Störung, die ich Ihnen
  • verursache. Allerlei Umstände und Geschäfte haben mich aus unserm
  • Städtchen vertrieben. Ich bin hergekommen, Sie um Ihre persönliche Hilfe
  • und um Ihren Schutz zu bitten.
  • Proletew (beiseite). Das ist wirklich ein anderer. Aber er hat eine
  • gewisse Ähnlichkeit mit ihm. (Laut.) Was wünschen Sie? Womit kann ich
  • Ihnen dienen?
  • Burdjukow (zuckt die Achseln). Gott, ein Prozeß. Eine Gerichtssache.
  • Proletew. Eine Gerichtssache? Gegen wen?
  • Burdjukow. Gegen meinen eigenen Bruder.
  • Proletew. Erlauben Sie mir, Sie zuerst um Ihren Namen zu bitten. Und
  • dann setzen Sie mir Ihre Angelegenheit näher auseinander. Wollen Sie
  • bitte Platz nehmen.
  • Burdjukow. Mein Name ist Burdjukow, Christophor Petrowitsch, und der
  • Prozeß geht gegen meinen leiblichen Bruder, Pawel Petrowitsch Burdjukow.
  • Proletew. Was sagen Sie? Was? ... Nein!
  • Burdjukow. Ja, was starren Sie mich so an? Glauben Sie vielleicht, ich
  • bin zu meinem Vergnügen mit der Post aus Tambow hierhergekommen?
  • Proletew. Gott segne Sie für diese gute Tat! Erlauben Sie mir, Ihre
  • nähere Bekanntschaft zu machen. Etwas Gescheiteres hätten Sie sich nie
  • ausdenken können. Nun soll man noch sagen, daß es keine Großmut und
  • keine Gerechtigkeit gibt! Und was wäre das? Hier steht der leibliche
  • Bruder! Durch Blutsbande verbunden -- und er hat den Bruder nicht
  • geschont! Ein Prozeß gegen den leiblichen Bruder! Erlauben Sie, daß ich
  • Sie umarme.
  • Burdjukow. Mit Vergnügen. Ich hätte Sie selbst gern für Ihr
  • Entgegenkommen umarmt. (Sie umarmen sich.) Das muß ich gestehen: vorhin,
  • als ich Ihr Gesicht sah, hätte ich niemals geglaubt, daß Sie ein so
  • vernünftiger Mensch sind!
  • Proletew. Da haben wir's! -- Wieso denn?
  • Burdjukow. Wirklich -- im Ernst! Gestatten Sie mir eine Frage: Ihre
  • selige Mutter hat wohl einen großen Schreck gehabt, als sie mit Ihnen
  • schwanger ging?
  • Proletew. Was der für einen Unsinn zusammenschwatzt!
  • Burdjukow. Wirklich, seien Sie nicht beleidigt, ich werde Ihnen sagen,
  • das kommt sehr oft vor. Bei unserm Vorsitzenden ist die ganze untere
  • Gesichtspartie, ähnlich wie bei einem Schaf, gleichsam abgeplattet und
  • mit Fell bewachsen -- ganz wie bei einem Schaf. Und das infolge eines
  • ganz unbedeutenden Umstandes: als die Selige beim Gebären war, da war
  • ein Schaf am Fenster erschienen, und der Böse muß es reiten, daß es zu
  • blöken anfängt!
  • Proletew. Bitte, lassen wir den Vorsitzenden und das Schaf in Ruh ...
  • Nein, wie ich mich freue!
  • Burdjukow. Und wie ich mich erst freue, daß ich solch einen Gönner
  • gefunden habe! Erst jetzt, wo ich Sie näher ansehe, finde ich, daß Ihr
  • Gesicht mir bekannt ist: wir hatten in unserm Karabinierregiment einen
  • Leutnant, der Ihnen ähnelte wie ein Tropfen Wasser dem andern. Ein
  • schrecklicher Trunkenbold! Wissen Sie, ich kann Ihnen sagen: kein Tag
  • verging, ohne daß seine Visage ganz zerschlagen war.
  • Proletew (beiseite). Wie es scheint, hat dieser Dorfbär nicht die
  • Gewohnheit, seine Zunge im Zaum zu halten; aller Unrat, der in seiner
  • Seele sitzt, muß auf die Zunge. (Laut.) Ich habe nicht viel Zeit, bitte,
  • kommen Sie zur Sache.
  • Burdjukow. Erlauben Sie, aber das läßt sich im Sitzen nicht erzählen.
  • Das ist ein schwieriger Kasus. Haben Sie die Gutsbesitzerin Jewdokia
  • Malafejewna Merinow aus dem Ustjuger Kreise gekannt? Nein? Sie haben Sie
  • nicht gekannt? Schön. Es war meine leibhaftige Tante und auch die dieser
  • Bestie, meines Bruders. Ich und mein Bruder sind ihre nächsten Erben. --
  • Belieben Sie das zu beachten: darum handelt es sich nämlich! Außerdem
  • ist noch eine Schwester da, die den General Polawischtschew geheiratet
  • hat: nun, über die wollen wir kein Wort weiter sagen, die hat ohnedies
  • schon ihr Teil abbekommen. Nun erlauben Sie: da hat sich also dieser
  • Gauner, mein Bruder, -- in dieser Beziehung kann der Teufel noch von ihm
  • lernen -- an meine Tante herangemacht: »Tantchen, Sie haben Gottseidank
  • schon siebzig Jahre lang gelebt, wozu wollen Sie sich bei einem so hohen
  • Alter noch mit der Wirtschaft abgeben: lassen Sie lieber mich für Sie
  • wirtschaften und für den Unterhalt sorgen.« Und so geschah es! Merken
  • Sie etwas? Merken Sie etwas? Er siedelte in ihr Haus über, und nun lebt
  • er dort und herrscht dort wie der wirkliche Herr des Hauses. Hören Sie
  • auch zu?
  • Proletew. Jawohl.
  • Burdjukow. Also schön. Ja also ... nun wird die Tante krank. Warum? --
  • Gott mag es wissen. Vielleicht hat er selbst ihr etwas eingegeben. Man
  • gibt mir von anderer Seite einen Wink. Merken Sie etwas? Ich komme hin:
  • im Flur begegnet mir diese Bestie, das heißt mein Bruder, ganz in Tränen
  • aufgelöst und wie abwesend, und sagt zu mir: »Nun, Brüderchen,« sagt er,
  • »nun sind wir für ewig unglücklich: unsere Wohltäterin ...« »Wie, hat
  • sie ihre Seele Gott überantwortet?« -- »Nein, sie liegt im Sterben.« Ich
  • trete ein und wirklich: die Tante liegt in den letzten Zügen und rollte
  • nur noch die Augen. Nun, was soll man tun? Weinen? Das hilft ja auch
  • nichts. Das hätte doch nichts geholfen, he?
  • Proletew. Nein, gar nichts.
  • Burdjukow. Was ist also zu machen? Nichts ist zu machen! Es war eben
  • Gottes Wille! Ich trete näher heran. »Tantchen,« sage ich, »wir sind
  • alle sterblich. Unser Leben steht heut wie morgen in Gottes Hand, wie
  • man zu sagen pflegt. Wollen Sie nicht rechtzeitig irgendeine Anordnung
  • treffen?« Und was tut das Tantchen? Ich sehe, sie kann kaum noch die
  • Zunge bewegen und lallt nur: »Eh, eh, eh!« Dieser Schuft aber steht
  • neben ihrem Bett und sagt: »Tantchen erklärt hiermit, daß sie ihre
  • Anordnungen schon getroffen hat!« Hören Sie? Hören Sie?
  • Proletew. So ein ..! Hatte sie denn wirklich etwas derartiges gesagt?
  • Burdjukow. I wo, zum Teufel! Sie lallte nur: »Eh, eh, eh!« Ich dränge
  • also immer mehr. »Gestatten Sie, Tantchen, daß ich erfahre, was das für
  • Anordnungen sind?« Und was tut das Tantchen? Das Tantchen antwortet
  • wieder nur: »Eh, eh, eh ...« Jener Schurke aber erklärt wieder:
  • »Tantchen sagt, das sich die betreffenden Anordnungen in ihrem Testament
  • befinden!« Hören Sie? Hören Sie? Was sollte ich da machen? Ich schwieg
  • und sagte kein Wort!
  • Proletew. Aber erlauben Sie: warum haben Sie ihn nicht gleich Lügen
  • gestraft?
  • Burdjukow. Was sollte ich machen? (Gestikuliert mit den Händen.) Er fing
  • an zu schwören, sie hätte das wirklich alles gesagt! Nun -- ich mußte
  • ihm glauben!
  • Proletew. Und hat man das Testament geöffnet?
  • Burdjukow. Jawohl.
  • Proletew. Nun, und ..?
  • Burdjukow. Passen Sie auf: Sobald man nach Christenpflicht alles besorgt
  • hatte, sagte ich, es sei doch jetzt Zeit, sich die letzte
  • Willenserklärung der Seligen anzusehen. Der Bruder konnte kaum
  • antworten: er war so voller Schmerz und Verzweiflung, daß er nur
  • fortwährend weinte. »Nehmen Sie es«, sagte er, »und lesen Sie selbst.«
  • Die Zeugen versammelten sich, und man las das Testament vor. Nun, und
  • was glauben Sie, steht in dem Testament? Folgendes: »Meinem Neffen Pawel
  • Petrows Sohn Burdjukow« -- passen Sie auf -- »hinterlasse ich zur
  • Belohnung für seine kindliche Sorge um mich und für sein stetes
  • Verweilen in meiner Nähe bis zu meinem Tode« -- merken Sie etwas? --
  • »mein ererbtes und wohlerworbenes Gut im Kreise Ustjug,« -- aha, soweit
  • ist es also gekommen! -- »fünfhundert Seelen, Mobilien und alles
  • Übrige!« Nun, haben Sie gehört? »Meiner Nichte Maria Petrowna
  • Powalischtschew, geborene Burdjukow, hinterlasse ich das ihr zukommende
  • Gut von hundert Seelen ... Meinem Neffen«, aha, merken Sie etwas? Da ist
  • die Eiterbeule! »Chrisanphy Petrows Sohn Burdjukow«, passen Sie auf,
  • passen Sie auf, »vermache ich als Erinnerung an mich«, oho! oho! »drei
  • Samtröcke und das ganze Gerümpel, das sich im Speicher befindet, als da
  • sind: zwei Federbetten, das Fayencegeschirr, die Laken und Häubchen ...«
  • und der Teufel mag wissen, was für Lumpereien noch! Nun? wie gefällt
  • Ihnen das? Ich frage Sie: wozu zum Teufel brauche ich drei Samtröcke?
  • Proletew. So ein Lump! Ich bitte Sie!
  • Burdjukow. Eine Schurkerei -- das stimmt vollkommen. Ich bin durchaus
  • einer Meinung mit Ihnen, aber ich frage Sie nochmals: wozu brauche ich
  • drei Samtröcke? Was soll ich damit anfangen? Soll ich sie mir über den
  • Kopf ziehen?
  • Proletew. Und haben die Zeugen unterschrieben?
  • Burdjukow. Natürlich, er hatte sich schon das rechte Lumpenpack
  • zusammengetrommelt!
  • Proletew. Und die Selige hatte eigenhändig unterzeichnet?
  • Burdjukow. Darum handelt es sich ja -- sie hat unterzeichnet, aber der
  • Teufel mag wissen wie!
  • Proletew. Wie?
  • Burdjukow. Passen Sie auf: die Selige hieß Jewdokia, und sie hat so ein
  • Zeug hingekritzelt, das keiner entziffern kann.
  • Proletew. Warum nicht?
  • Burdjukow. Ja das mag der Teufel wissen! Sie hätte doch Jewdokia
  • schreiben müssen -- in Wahrheit aber hat sie geschrieben: »Tauche ein!«
  • Proletew. Was Sie sagen!
  • Burdjukow. Oh, ich werde Ihnen sagen: der ist zu allem fähig! »Und
  • meinem Neffen Chrisanphy Petrow: drei Samtröcke!«
  • Proletew (beiseite). Dieser Pawel Petrowitsch Burdjukow ist ein
  • Hauptkerl, nie hätte ich geglaubt, daß er so ein Schlaukopf ist!
  • Burdjukow (gestikulierend). »Tauche ein!« Was soll das bedeuten? Das ist
  • doch kein Name: »Tauche ein!«
  • Proletew. Und was beabsichtigen Sie nun zu tun?
  • Burdjukow. Ich habe schon eine Eingabe behufs Kassierung des Testaments
  • eingereicht, weil die Unterschrift falsch ist. Sie sollen mir doch
  • nichts vorlügen: die Selige hieß Jewdokia und nicht »Tauche ein!«
  • Proletew. Sie haben ganz Recht! Doch erlauben Sie mir jetzt, die Sache
  • in die Hand zu nehmen. Ich werde sofort einen mir bekannten Sekretär
  • benachrichtigen, und Sie stellen mir inzwischen eine Abschrift von Ihrem
  • Testament zu.
  • Burdjukow. Ich bin Ihnen unendlich verpflichtet. (Nimmt seinen Hut.)
  • Durch welche Tür geht man hinaus, durch diese oder jene?
  • Proletew. Bitte durch diese.
  • Burdjukow. Aha. Ich habe bloß darum gefragt, weil ich noch wegen eines
  • Bedürfnisses wohin muß. Also auf Wiedersehen, Verehrtester! ... Wie
  • heißen Sie doch? ... Ich vergesse es immer.
  • Proletew. Alexander Iwanowitsch.
  • Burdjukow. Alexander Iwanowitsch. Alexander Iwanowitsch heißt einer von
  • den Proldiukowskis; kennen Sie ihn?
  • Proletew. Nein.
  • Burdjukow. Er wohnt fünf Werst von unserm Gute. Leben Sie wohl!
  • Proletew. Leben Sie wohl, Verehrtester, leben Sie wohl!
  • 4. Auftritt
  • Proletew. Später der Diener.
  • Proletew. Das ist ja ein unerwartetes Glück! Das ist geradezu ein
  • Geschenk; einfach eine Schickung Gottes. Seltsam, aber man fühlt so ein
  • unsagbares Vergnügen in der Seele, als ob einem die eigene Frau zum
  • erstenmal einen Sohn geboren, oder der Minister einem in Anwesenheit
  • aller Beamten einen Kuß gegeben hat. Bei Gott -- etwas beinahe
  • Magnetisches. He! Andrei! (Andrei tritt ein.) Geh sofort zu meinem
  • Sekretär und rufe ihn her. Hörst du? Ja -- und wart mal: hier hast du
  • ein Trinkgeld, betrink dich ordentlich, heut erlaub' ich's dir; und da
  • hast du noch etwas für deinen Jungen, für Kuchen. Sag dem Sekretär, er
  • soll sofort ... es handle sich um eine höchst eilige Angelegenheit! Ach,
  • endlich doch ... aber mit wie vieler Mühe! Auch in unsere Straße also
  • zog das Glück ein! Warte, jetzt setze ich mich hin und pfeife, und wir
  • wollen sehen, wie du tanzen wirst! Wenn ich erst aus meinen Kollegen ein
  • Orchester zusammenbringe, dann sollst du mir tanzen, daß dir dein Leben
  • lang die Hüften schmerzen sollen!
  • Das Vorzimmer
  • 1. Auftritt
  • Das Theater stellt ein Flurzimmer dar. Rechts führt eine Tür zur
  • Treppe, links eine zum Saal. Im Hintergrund, etwas zur Seite, die
  • Tür zum Kabinett. Auf einer Bank, die durch die Länge des Raums
  • bis zu dieser Tür reicht, schlafen Pjotr, Iwan und Grigori, einer
  • den Kopf auf die Schultern des andern stützend. An der Tür, die
  • zur Treppe führt, ertönt lautes Klingeln. Die Lakaien erwachen.
  • Grigori. Geh, mach die Tür auf! Man klingelt.
  • Pjotr. Und warum bleibst du sitzen? Du hast wohl Beulen an den Füßen,
  • was? Du kannst wohl nicht aufstehen?
  • Iwan (beruhigend). Nun gut, ich werde gehen. Ich werde schon aufmachen.
  • (Öffnet die Tür und ruft.) Das ist ja Andruschka!
  • (Ein fremder Diener in Mütze und Mantel tritt ein, er trägt ein
  • Bündel in der Hand.)
  • Grigori. Nun, du Moskauer Nachteule, was hat dich hierher getrieben!
  • Der fremde Diener. Du Schuchoner Kauz, wenn du so viel herumgelaufen
  • wärst wie ich! Sie befiehlt mir das da (hebt das Bündel empor) der
  • Blumenhändlerin auf der Petersburgskaja zu bringen. Aber kein Gedanke,
  • daß sie mir etwa eine Kopeke für eine Droschke gibt. Und auch zu eurem
  • Herrn soll ich .. nun, schläft er noch?
  • Grigori. Wer? Der Bär? Nein, der liegt noch in seiner Höhle und hat noch
  • nicht gebrummt.
  • Pjotr. Ist es wahr, daß eure Gnädige euch Strümpfe stopfen läßt? (Alle
  • lachen.)
  • Grigori. Brüderchen, von jetzt ab sollst du die Stopferin heißen -- wir
  • werden dich alle so nennen!
  • Der fremde Lakai. Bist du ein Lügner! Nie habe ich einen Strumpf
  • gestopft!
  • Pjotr. Aber es ist ja bekannt von euch: bis zum Mittag ist ein Diener
  • bei euch Koch, und nach dem Mittag Kutscher, Lakai oder Stiefelflicker.
  • Der fremde Lakai. Nun und was ist schon dabei? Ein Handwerk steht doch
  • dem andern nicht im Wege. Man kann doch nicht ohne Arbeit herumsitzen!
  • Gewiß, ich bin Lakai und Damenschneider zugleich. Ich nähe für meine
  • Gnädige und auch für Fremde -- so bring ich doch noch ein paar Kopeken
  • zusammen. Und ihr, was tut ihr? Ihr tut nichts!
  • Grigori. Nein Bruder, ein anständiger Herr wird seine Lakaien nicht mit
  • solchen Arbeiten beschäftigen: dafür gibt es Handwerker genug. Der Graf
  • Bulkin hat allein dreißig Diener, und dort, Bruder, dort gibt es nicht
  • so was. »Petruschka, geh mal da und dahin.« »Nein,« würde er antworten,
  • »nein, das ist nicht meine Sache. Belieben Sie doch Iwan zu
  • beauftragen!« Ja, so ist es! So sieht es aus, wenn ein Herr wie ein Herr
  • lebt! Eure Alte, die aus Moskau angekommen ist, hat überhaupt eine
  • Kalesche wie eine geknackte Nuß. Die Schwänze der Pferde sind mit
  • Strippen zusammengebunden. (Alle lachen).
  • Der fremde Lakai. Nein, was du für ein Spaßvogel bist! -- Und was hast
  • du davon, wenn du den ganzen Tag herumliegst? Dabei kommt keine Kopeke
  • heraus!
  • Grigori. Was brauche ich deine Kopeken? Wozu ist denn der Herr da? Den
  • Lohn zahlt er mir doch aus, ob ich nun arbeite oder nicht. Für das Alter
  • sparen brauche ich nicht. Das wäre ja ein netter Herr, der seinem Diener
  • keine Pension für seine Arbeit aussetzt.
  • Der fremde Lakai. Übrigens ... die Kollegen wollen einen Ball geben?
  • Pjotr. Ja. Kommst du?
  • Der fremde Lakai. Ach, das wird schon ein Ball werden. Bloß dem Namen
  • nach, sonst ...
  • Grigori. O nein Bruder, das wird ein richtiger Ball werden! Alle geben
  • einen Rubel, und manche noch mehr. Der Koch des Fürsten hat fünf Rubel
  • gegeben und übernimmt es persönlich, das Essen zu bereiten. Eine
  • Bewirtung wird es geben -- nicht etwa bloß Nüsse! Ein halbes Pud
  • Konfitüren sind schon gekauft, dazu Eis ... (man hört ein dünnes
  • Klingeln im herrschaftlichen Kabinet.)
  • Der fremde Lakai. Geh hin, der Herr klingelt.
  • Grigori. Der kann warten. -- Man will 'ne Lumination machen. Mit der
  • Musik ist auch schon verhandelt worden, man ist sich aber noch nicht
  • einig geworden: es ist kein Baß da, sonst wäre man schon ... (Man hört
  • ein etwas stärkeres Läuten aus dem Kabinett.)
  • Der fremde Lakai. Geh! Geh doch! Er klingelt.
  • Grigori. Der kann warten. -- Wieviel gibst du?
  • Der fremde Lakai. Ach, was ist an diesem Ball dran. Das ist alles doch
  • nur so.
  • Grigori. Nun binde mal deinen Beutel auf, du -- Stopferin. Da, sieh ihn
  • dir an, Petruschka, was für einer das ist ... (Pufft ihn mit dem Finger.
  • Während dieser Zeit öffnet sich die Tür, der Herr im Schlafrock streckt
  • die Hand aus und packt Grigori beim Ohr; alle erheben sich von ihren
  • Plätzen.)
  • 2. Auftritt
  • Der Herr. Was tut ihr eigentlich hier, ihr Müßiggänger? Drei Mann, und
  • kein einziger erhebt sich von seinem Platz! Und ich klingle aus allen
  • Kräften, ich habe beinahe die Schnur zerrissen!
  • Grigori. Es war nichts zu hören, gnädiger Herr.
  • Der Herr. Du lügst.
  • Grigori. Bei Gott! Warum soll ich lügen? Petruschka hat ja auch
  • dabeigesessen. Das ist schon so eine Klingel, gnädiger Herr, die taugt
  • gar nichts, niemals hört man etwas. Man muß den Schlosser rufen.
  • Der Herr. Nun, dann muß man eben den Schlosser rufen.
  • Grigori. Ich habe es dem Hausmeister auch schon gesagt. Aber was hilft
  • das? Man sagt ihm etwas, und er schimpft einen nur aus.
  • Der Herr (erblickt den fremden Lakaien). Was ist denn das da für ein
  • Mensch?
  • Grigori. Ein Diener von Anna Petrowna, der einen Auftrag an Sie hat.
  • Der Herr. Nun, Bruder, was hast du mir zu sagen.
  • Der fremde Lakai. Die gnädige Frau läßt sich empfehlen und läßt Ihnen
  • mitteilen, daß die gnädige Frau heute bei Ihnen sein wird.
  • Der Herr. Weißt du nicht warum?
  • Der fremde Lakai. Das weiß ich nicht. Die gnädige Frau sagte nur: Sage
  • Fjodor Fjodorowitsch, ich hätte befohlen, ihn zu grüßen, und ich werde
  • heute zu ihm kommen.
  • Der Herr. Und wann? Um wieviel Uhr?
  • Der fremde Lakai. Um wieviel Uhr? Das weiß ich nicht. Die gnädige Frau
  • sagten nur: »Melde Fjodor Fjodorowitsch« sagte sie, »daß ich zu ihm
  • kommen werde, und daß ich ihn persönlich aufsuchen werde«.
  • Der Herr. Gut. Petruschka, hilf mir schnell, mich ankleiden. Und ihr da
  • -- keiner wird empfangen, hört ihr? Allen wird gesagt, ich bin nicht zu
  • Hause! (Geht, Petruschka folgt ihm.)
  • 3. Auftritt
  • Der fremde Lakai (zu Grigori). Nun siehst du, da hast du's bekommen.
  • Grigori (macht eine abwehrende Bewegung). Ach, das ist schon ein Dienst!
  • Man mag sich so viel Mühe geben, als man will: man wird doch
  • ausgescholten! (Die Klingel an der Flurtür erschallt.)
  • Grigori. Da kommt schon wieder ein Störenfried. (Zu Iwan.) Geh, mach
  • auf! Was, hältst du Maulaffen feil! (Iwan öffnet die Tür, ein Herr im
  • Pelz tritt herein.)
  • 4. Auftritt
  • Der Herr im Pelz. Ist Fjodor Fjodorowitsch zu Hause?
  • Grigori. Nein.
  • Der Herr. Wie ärgerlich. Weißt du nicht, wohin er gegangen ist?
  • Grigori. Ich weiß nicht. Wahrscheinlich ins Departement. Wen darf ich
  • melden?
  • Der Herr. Sag, daß Neweleschtschagin hier war. Und es hätte ihm sehr
  • leid getan, daß er niemand zu Haus getroffen habe. Hörst du? Wirst du es
  • auch nicht vergessen? Neweleschtschagin.
  • Grigori. Lentjagin?
  • Der Herr (eindringlich). Neweleschtschagin.
  • Grigori. Sie sind ein Deutscher?
  • Der Herr. Was -- ein Deutscher! Ein Russe natürlich!
  • Ne-we-lesch-tscha-gin.
  • Grigori. Hörst du, Iwan, vergiß nich. Erdaschtschagin. (Der Herr
  • entfernt sich.)
  • 5. Auftritt
  • Der fremde Lakai. Lebt wohl, Brüder. Es ist jetzt Zeit für mich.
  • Grigori. Nun, wie steht's? Wirst du zum Ball kommen?
  • Der fremde Lakai. Das will ich mir noch überlegen. Leb wohl, Iwan. (Ab.)
  • Iwan. Leb wohl. (Er geht, um die Tür zu öffnen.)
  • 6. Auftritt
  • Das Stubenmädchen eilt durch das Vorzimmer.
  • Grigori. Wohin? Wohin? So schenken Sie mir doch nur einen Blick. (Hascht
  • sie beim Rock.)
  • Das Mädchen. Es geht nicht, es geht nicht, Grigori Pawlowitsch. Halten
  • Sie mich nicht auf, ich habe gar keine Zeit. (Reißt sich los und eilt zu
  • der Tür, die zur Treppe führt.)
  • Grigori (sieht ihr nach). Schau nur, wie die trippelt! (Lacht.) He he
  • he!
  • Iwan (lacht). Hi hi hi. (Der Herr tritt herein; Grigori und Iwan machen
  • plötzlich besorgte Gesichter und werden ernst. Grigori nimmt den Pelz
  • von dem Ständer und legt ihn dem Herrn um die Schultern; der Herr
  • entfernt sich. Grigori bleibt in der Mitte des Zimmers stehen und putzt
  • sich die Nase mit dem Finger.)
  • Grigori. Jetzt haben wir freie Zeit: der Herr ist weg. Nun wäre ja alles
  • gut, aber gleich kommt dieser Teufel, dieser Wanst von einem
  • Hausmeister. (Hinter der Bühne hört man den Hausmeister lärmen: »Es ist
  • 'ne wahrhaftige Strafe Gottes, zehn Mann im Hause und kein einziger
  • räumt auf!«) Da schreit er schon, dieser Dickwanst.
  • 7. Auftritt
  • Der Hausmeister (tritt sehr beleidigt und erregt herein und gestikuliert
  • heftig mit den Händen). Wenn ihr euch nicht vor Gott fürchtet, so
  • solltet ihr euch doch wenigstens vor eurem Gewissen fürchten. Die
  • Teppiche sind bis jetzt noch nicht ausgeklopft! Sie, Grigori
  • Pawlowitsch, sollten den andern ein Beispiel geben: und gerade Sie
  • schlafen vom Morgen bis Abend. Die Augen sind Ihnen ja ganz verschwollen
  • vom Schlaf, bei Gott! Sie sind ein wirklicher Schurke, Grigori
  • Pawlowitsch!
  • Grigori. Bin ich denn kein Mensch, daß ich nicht auch mal einschlummern
  • kann?
  • Der Hausmeister. Wer sagt denn auch ein Wort dagegen? Warum soll man
  • nicht einmal einschlummern können? Aber doch nicht für den ganzen Tag!
  • Und auch du, beispielsweise, Pjotr Iwanowitsch, ohne etwas gegen dich
  • sagen zu wollen, du gleichst doch ganz einem Schwein -- bei Gott! Was
  • hast du zu arbeiten? Ein, zwei Leuchter putzen. Und warum sitzt du hier
  • herum? (Pjotr entfernt sich langsam.) Und dir, Iwan, müßte man einfach
  • einen Stoß ins Genick geben.
  • Grigori (indem er sich entfernt). Ach, dieses Leben -- dieses Leben! Der
  • Kerl steht auf und gleich beginnt er zu schreien!
  • Der Hausmeister (bleibt allein). Darin besteht eben die Ordnung, daß
  • jeder Mensch seine Pflicht kennt. Wenn du ein Diener bist -- so mußt du
  • auch ein Diener sein, bist du ein Edelmann -- so sei ein Edelmann, bist
  • du ein Bischof -- so mußt du ein Bischof sein. Sonst könnte ja jeder
  • anfangen ... ich würde z. B. gleich sagen: »Nein, ich bin kein
  • Hausmeister, sondern ein Gouverneur oder irgendeiner von der
  • Infanterie.« Aber darauf würde mir doch jeder antworten: »Nein, du
  • lügst, du bist ein Hausmeister und kein General.« -- Ja! »Deine Pflicht
  • ist es, über das Haus zu wachen und über das Benehmen der Diener!« Ja!
  • »Für dich heißt es nicht: >_Bon jour comment vous français_<, sondern:
  • halt Ordnung, gib deine Anweisungen!« So ist's! Jawohl!
  • 8. Auftritt
  • Anuschka, das Stubenmädchen aus dem andern Hause, tritt ein.
  • Der Hausmeister. Ah, Anna Gawrilowna! Meine Hochachtung! Ich begrüße Sie
  • mit außerordentlichem Vergnügen!
  • Anuschka. Machen Sie sich keine Mühe, Lawrenti Pawlowitsch. Ich komme
  • absichtlich nur auf eine Minute zu Ihnen; ich habe den Wagen Ihres Herrn
  • gesehen und erfahren, daß er nicht zu Hause ist.
  • Der Hausmeister. Daran haben Sie sehr wohl getan. Ich und meine Frau
  • werden uns sehr freuen. Bitte, setzen Sie sich doch.
  • Anuschka (setzt sich). Sagen Sie, Sie wissen doch etwas von dem Ball,
  • der in den nächsten Tagen stattfinden soll?
  • Der Hausmeister. Natürlich. Sehen Sie wohl, es war beispielsweise eine
  • Kollekte veranstaltet: ein Mensch gibt etwas, und ein anderer gibt
  • etwas, und wie gesagt, ein dritter ... Natürlich wird das sozusagen eine
  • größere Summe ausmachen. Ich und meine Frau haben zusammen fünf Rubel
  • gegeben. Natürlich: es ist doch ein Ball! Oder wie man zu sagen pflegt:
  • eine Soiree! Es wird auch was vorgesetzt werden, wie gesagt,
  • Erfrischungen und für die jungen Leute Tänze und Vergnügungen ähnlicher
  • Art.
  • Anuschka. Ich werde unbedingt kommen, unbedingt. Ich bin nur
  • hergekommen, um zu erfahren, ob Sie und Agafja Iwanowna da sein werden.
  • Der Hausmeister. Agafja Iwanowna spricht von nichts anderem als von
  • Ihnen.
  • Anuschka. Ich fürchte mich nur wegen der Gesellschaft.
  • Der Hausmeister. Nein, Anna Gawrilowna, die Gesellschaft wird sehr gut
  • sein. Ich kann es nicht mit Sicherheit sagen, aber ich habe gehört, daß
  • der Kammerdiener des Fürsten Tolstogub, der Büfettier und der Kutscher
  • des Fürsten Brjuchowezki und das Stubenmädchen irgendeiner Fürstin da
  • sein werden. Ich hoffe, daß auch einige Beamte kommen werden.
  • Anuschka. Nur eins gefällt mir gar nicht, daß auch die Kutscher da sein
  • werden. Sie riechen immer nach schlechtem Tabak oder Wodka; und dabei
  • sind sie alle so ungebildet und haben schlechte Manieren.
  • Der Hausmeister. Erlauben Sie mir Ihnen zu sagen, Anna Gawrilowna, daß
  • es Kutscher und Kutscher gibt. Das ist natürlich richtig: die Kutscher
  • haben ununterbrochen mit den Pferden zu tun und manchmal müssen sie, mit
  • Verlaub zu sagen, sogar den Dung auskehren; gewiß, so ein einfacher
  • Mensch -- der trinkt ab und zu ein Glas Wodka und manchmal auch mehr,
  • raucht gewöhnlich Bakun, wie es das einfache Volk meistenteils zu tun
  • pflegt, und so ist es ja natürlich, daß er manchmal beispielsweise nach
  • Dung oder Wodka stinkt -- gewiß, das stimmt. Aber das müssen Sie doch
  • selbst sagen, Anna Gawrilowna, daß es auch Kutscher gibt, die zwar
  • Kutscher sind -- die man aber nach ihren Gewohnheiten eher Stallbeamte
  • als Kutscher nennen möchte. Ihr Amt oder ihre Obliegenheit sozusagen
  • besteht darin, daß sie Hafer herausgeben oder einem Vorreiter oder
  • Kutscher eine Zurechtweisung erteilen, wenn sie sich was zuschulden
  • kommen lassen.
  • Anuschka. Wie Sie schön reden können, Lawrenti Pawlowitsch, ich bin
  • immer ganz hingerissen.
  • Der Hausmeister (mit einem zufriedenen Lächeln). Oh, keine Ursache zu
  • danken, Gnädigste! Gewiß, nicht jeder Mensch kann reden, nicht jeder hat
  • sozusagen die Gabe des Wortes. Natürlich kommt es vor ... daß einer, wie
  • man zu sagen pflegt, nur stammelt ... oder andere Fälle ähnlicher Art
  • ... was ja allerdings eine natürliche Anlage ist ... Aber belieben Sie
  • nicht, in mein Zimmer zu kommen? (Anuschka geht ab, Lawrenti Pawlowitsch
  • folgt ihr.)
  • Fragment
  • Ein Zimmer im Hause Maria Alexandrownas.
  • 1. Auftritt
  • Maria Alexandrowna, eine Dame mittleren Alters, und Michailo
  • Andrejewitsch, ihr Sohn.
  • Maria Alexandrowna. Hör, Mischa, ich wollte schon längst mit dir
  • sprechen: du mußt deinen Dienst wechseln.
  • Mischa. Meinetwegen morgen.
  • Maria Alexandrowna. Du mußt zum Militär.
  • Mischa (reißt die Augen auf). Zum Militär?
  • Maria Alexandrowna. Ja.
  • Mischa. Was sagen Sie, Mamachen, zum Militär?
  • Maria Alexandrowna. Warum bist du so erstaunt?
  • Mischa. Aber ich bitte Sie -- wissen Sie denn nicht: man muß doch mit
  • dem Junker anfangen!
  • Maria Alexandrowna. Nun ja, du wirst ein Jahr als Junker dienen, und
  • dann wirst du Offizier werden -- laß das nur meine Sorge sein.
  • Mischa. Aber was finden Sie Militärisches an mir? Auch meine Figur ist
  • doch gar nicht militärisch. Ich bitte Sie, Mütterchen, wahrhaftig, Sie
  • haben mich mit diesen Worten so überrascht, daß ich ... ich ... ich weiß
  • einfach nicht, was ich davon denken soll. Ich bin Gott sei Dank ein
  • wenig dick, und wenn ich noch die Junkeruniform mit den kurzen Schößen
  • anziehen soll, werde ich mich schämen, mich anzusehen.
  • Maria Alexandrowna. Tut nichts. Man wird dich zum Offizier ernennen, und
  • du wirst eine Uniform mit langen Rockschößen tragen, die deinen
  • Embonpoint gänzlich verdecken wird, so daß man nichts davon merkt. Es
  • ist sogar besser, daß du ein wenig beleibt bist -- um so eher wird die
  • Beförderung kommen: sie werden sich ja schämen, daß es in ihrem Regiment
  • so einen dicken Fähnrich gibt.
  • Mischa. Aber Mutterchen, ich habe ja nur noch ein Jahr bis zum
  • Kollegienassessor. Ich bin schon zwei Jahr lang Titularrat.
  • Maria Alexandrowna. Hör auf, hör auf! Dieses Wort »Titular« peinigt
  • meine Ohren; mir kommt immer gleich Gott weiß was dabei in den Sinn. Ich
  • will, daß mein Sohn in der Garde dient, ich kann diese Garnitur jetzt
  • einfach nicht mehr ansehen.
  • Mischa. Aber Mutterchen, bedenken Sie: sehen Sie mich einmal gut an,
  • auch mein Äußeres. Schon in der Schule nannte man mich eine Schlafmütze.
  • Beim Militär ist es doch immer notwendig, daß man mutig auf seinem Gaul
  • sitzt, eine klangvolle Stimme, einen heldenhaften Wuchs und eine
  • schlanke Taille hat.
  • Maria Alexandrowna. Das wirst du schon haben, das wirst du schon alles
  • haben. Ich wünsche unbedingt, daß du dienst. Und es gibt einen wichtigen
  • Grund dafür.
  • Mischa. Was für einen Grund?
  • Maria Alexandrowna. Nun -- einen wichtigen Grund.
  • Mischa. Immerhin können Sie mir doch sagen, was für ein Grund das ist.
  • Maria Alexandrowna. Ach, ich habe meinen Grund -- ich weiß auch gar
  • nicht, ob du das richtig verstehen wirst. Die Gubomasowa, diese Närrin,
  • sagte vorgestern bei den Rogoschinskis -- und zwar absichtlich, damit
  • ich's hören sollte -- ich saß als dritte in der Reihe: vor mir saß Sofia
  • Wotruschkow, die Fürstin Alexandrin und nach der Fürstin Alexandrin
  • gleich ich -- und was glaubst du wagte diese abscheuliche Person zu
  • sagen? ... Wahrhaftig, ich wollte mich schon von meinem Platze erheben
  • und wenn nicht die Fürstin Alexandrin dagewesen wäre, weiß ich nicht,
  • was ich getan hätte. Denk dir, sie sagte: »Ich bin sehr froh, daß man
  • keine Zivilisten zu den Hofbällen zuläßt, die sind alle« sagte sie,
  • »_mauvais genre_, sie riechen nach etwas Unvornehmen. Ich bin froh,«
  • sagte sie weiter, »daß mein Alexis keinen solchen ekelhaften Frack
  • trägt«. Und das alles sagte sie so geziert, in so einem Ton, so ...
  • wahrhaftig, ich weiß nicht, was ich getan hätte. Und dabei ist ihr Sohn
  • doch einfach ein Trottel, der nichts kann, als die Beine in die Höhe
  • heben. So ein abscheuliches Frauenzimmer!
  • Mischa. Was, Mütterchen, das ist der ganze Grund?
  • Maria Alexandrowna. Ja, jetzt will ich es erst recht haben, ihr zum
  • Trotz -- daß mein Sohn bei der Garde dient und alle Hofbälle besucht.
  • Mischa. Aber Mütterchen, ich bitte Sie: -- einzig weil sie eine Närrin
  • ist ...?
  • Maria Alexandrowna. Nein, ich bin fest entschlossen: sie soll vor Ärger
  • platzen, sie soll wütend sein.
  • Mischa. Aber ...
  • Maria Alexandrowna. Oho, ich werde es ihr schon zeigen! Sie mag tun was
  • sie will: ich werde alle meine Kräfte anstrengen, und mein Sohn wird
  • auch in der Garde dienen. Wenn er auch etwas dadurch verliert -- er wird
  • unbedingt dort dienen. Soll ich jedem ekelhaften Frauenzimmer gestatten,
  • sich vor mir aufzublasen und ihre Stumpfnase noch höher zu tragen? Nein,
  • nie wird das geschehen! Sie können machen, was Sie wollen, Natalia
  • Andrejewna!
  • Mischa. Aber werden Sie sie damit auch ärgern?
  • Maria Alexandrowna. Nein, ich werde das nie zugeben!
  • Mischa. Gut, wenn Sie es verlangen, werde ich mich zum Militär versetzen
  • lassen; aber wahrhaftig, es wird mir selbst lächerlich vorkommen, wenn
  • ich mich in der Uniform sehen werde.
  • Maria Alexandrowna. Mindestens ist sie noch vornehmer als dieses
  • Fräckchen. Und nun etwas anderes: ich will dich verheiraten.
  • Mischa. Wie, alles auf einmal? Ich soll den Dienst wechseln und mich
  • außerdem noch verheiraten?
  • Maria Alexandrowna. Nun und was ist dabei? Als ob es nicht möglich ist,
  • daß man den Dienst wechselt und zugleich heiratet.
  • Mischa. Aber ich hatte ja gar nicht die Absicht. Ich will noch nicht
  • heiraten.
  • Maria Alexandrowna. Du wirst schon wollen, wenn du erst erfährst, wen.
  • Mit dieser Heirat wirst du dein Glück machen: sowohl im Dienst wie in
  • der Familie. Mit einem Wort: ich will dich mit der Fürstin
  • Schlepochwostow verheiraten.
  • Mischa. Aber Mütterchen, das ist ja eine Gans allerersten Ranges.
  • Maria Alexandrowna. Gar nicht ersten Ranges. -- Sie ist genau so eine
  • wie alle andern. Ein ausgezeichnetes Mädchen, sie hat nur kein
  • Gedächtnis: manchmal vergißt sie sich und sagt etwas Unpassendes; doch
  • das ist nur Zerstreutheit, dafür klatscht sie nicht und sie wird sich
  • nie etwas Schlimmes ausdenken.
  • Mischa. Aber ich bitte Sie, wie sollte sie auch klatschen! Sie kann ja
  • kaum ein Wort hervorbringen und wenn sie es tut, dann nur so, daß man
  • die Hände ringen möchte. Sie wissen ja selbst, Mütterchen, das Heiraten
  • ist eine Herzensangelegenheit, man muß die Seele ...
  • Maria Alexandrowna. Nun ja! Als ob ich's geahnt habe! Höre, laß diesen
  • liberalen Tonfall! Er paßt nicht zu dir, ich habe dir das schon
  • zwanzigmal gesagt. Anderen mag er vielleicht liegen, aber dich kleidet
  • er schon gar nicht.
  • Mischa. Mütterchen, war ich Ihnen je ungehorsam? Ich bin schon bald
  • dreißig Jahre alt, und ich gehorche Ihnen in allem wie ein Kind. Sie
  • befehlen mir irgendwohin zu fahren, wohin ich in den Tod nicht fahren
  • möchte -- und ich tue es, ohne Ihnen auch nur zu zeigen, wie schwer es
  • mir fällt. Sie befehlen mir, mich im Vorzimmer des Herrn Soundso
  • herumzudrücken, und ich drücke mich im Vorzimmer des Herrn Soundso
  • herum, auch wenn es ganz gegen meine Wünsche ist. Sie befehlen mir, auf
  • den Bällen herumzutanzen -- und ich tanze, trotzdem alle über mich und
  • meine Figur lachen. Schließlich befehlen Sie mir den Dienst zu wechseln:
  • und ich wechsle den Dienst, mit dreißig Jahren werde ich Junker, werde
  • mit dreißig Jahren gleichsam von neuem geboren wie ein Kind -- alles
  • Ihnen zuliebe, und dabei reiben Sie mir jeden Tag den Liberalismus unter
  • die Nase. Es vergeht kein Moment, wo Sie mich nicht einen Liberalen
  • nennen. Hören Sie, Mütterchen, das schmerzt -- ich schwöre Ihnen, das
  • schmerzt. Ich habe doch wohl für meine aufrichtige Liebe und
  • Anhänglichkeit an Sie mehr verdient, als ...
  • Maria Alexandrowna. Bitte, sprich nicht so. Als ob ich nicht weiß, daß
  • du ein Liberaler bist! Ich weiß sogar, wer dir dies alles eingeredet
  • hat: das kommt alles von diesem widerlichen Sobatschkin.
  • Mischa. Nein, Mütterchen, das ist zu viel, nun soll ich auch noch
  • Sobatschkin folgen. Sobatschkin ist ein Lump, ein Spieler und alles, was
  • Sie wollen. Aber daran ist er unschuldig. Ich werde ihm niemals
  • erlauben, auch nur einen Schatten von Einfluß auf mich zu haben.
  • Maria Alexandrowna. Ach mein Gott, was ist das für ein furchtbarer
  • Mensch! Ich erschrak förmlich, als ich ihn durchschaute. Ohne alle
  • Grundsätze, ohne Tugenden -- was für ein abscheulicher Mensch! Wenn du
  • wüßtest, was er für Gerüchte über mich verbreitet hat! ... Drei Monate
  • konnte ich mein Gesicht nirgends sehen lassen. Talgstümpfe soll man bei
  • mir brennen! Wochenlang sollen die Teppiche in den Zimmern nicht mit der
  • Bürste berührt werden! Die Pferde seien bei mir mit einfachen Stricken
  • angeschirrt, und ich soll so spazieren gefahren sein: mit einem Kummet,
  • wie bei einem gewöhnlichen Droschkengaul ... Ich wurde ganz rot vor
  • Scham; über eine Woche bin ich nicht ausgegangen, ich weiß gar nicht,
  • wie ich das alles überstehen konnte. Wahrhaftig, nur der Glaube an die
  • Vorsehung hat mich noch aufrecht erhalten!
  • Mischa. Und Sie glauben, daß so ein Mensch Macht über mich gewinnen
  • könnte? Sie glauben, ich würde erlauben, daß er ...
  • Maria Alexandrowna. Ich habe ihm gesagt, daß er es nicht wagen soll,
  • sich vor meinen Augen zu zeigen, und es gibt nur ein Mittel, mit dem du
  • dich rechtfertigen kannst: daß du jetzt deinen Trotz aufgibst und noch
  • heute der Fürstin eine Deklaration machst.
  • Mischa. Aber Mütterchen, wenn das nicht möglich ist?
  • Maria Alexandrowna. Wieso ist das nicht möglich, wieso nicht?
  • Mischa (beiseite). Ein entscheidender Augenblick. (Laut.) Gestatten Sie
  • mir, mindestens hier meine eigene Meinung zu haben, mindestens in einer
  • Angelegenheit, von der das Glück meines zukünftigen Lebens abhängt. Sie
  • haben mich bis jetzt nicht gefragt -- aber wenn ich nun in eine andere
  • verliebt wäre?
  • Maria Alexandrowna. Das ist ja etwas ganz neues für mich, ich muß
  • gestehen, davon habe ich noch nichts gehört. Nun, und wer ist diese
  • andere?
  • Mischa. Ach Mütterchen, ich schwöre dir, nie hat es ein ähnliches Wesen
  • gegeben. Sie ist ein Engel: ein Engel an Leib und Seele.
  • Maria Alexandrowna. Und wo ist sie her? Wer ist ihr Vater?
  • Mischa. Ihr Vater ist Alexander Alexandrowitsch Odossimow.
  • Maria Alexandrowna. Odossimow? Der Name ist mir unbekannt. Ich weiß von
  • keinem Odossimow ... Ist er ein reicher Mann?
  • Mischa. Ein seltener Mensch! Ein merkwürdiger Mensch!
  • Maria Alexandrowna. Und ist er reich?
  • Mischa. Was soll ich Ihnen sagen! Sie müssen ihn selbst sehen! Solche
  • seelischen Vorzüge, wie er sie hat, gibt es auf der ganzen Welt nicht
  • wieder.
  • Maria Alexandrowna. Aber was ist er? Wer ist es? Was ist sein Rang? Wie
  • groß ist sein Vermögen?
  • Mischa. Ich verstehe, was Sie meinen, Mütterchen. Gestatten Sie mir,
  • Ihnen meine Gedanken offen darzulegen. Wie auch die Verhältnisse sein
  • mögen -- es gibt jetzt in Rußland keinen Bräutigam, der nicht eine
  • reiche Braut sucht. Jeder will seine Lage mit Hilfe der Mitgift seiner
  • Frau verbessern. Das mag ja unter gewissen Verhältnissen verzeihlich
  • sein: ich begreife, daß ein Mann, der im Dienste oder anderswo einen
  • Mißerfolg gehabt hat, den vielleicht übermäßige Ehrlichkeit daran
  • gehindert hat, sich ein Vermögen zu erwerben -- kurz, was der Grund auch
  • sein mag, -- daß der ein Recht hat, sich eine reiche Braut zu suchen.
  • Und vielleicht wären die Eltern ungerecht, die seine guten Eigenschaften
  • nicht anerkennen und ihm ihre Tochter nicht zur Frau geben würden. Aber
  • sagen Sie selbst: würde ein begüterter Mann gerecht handeln, der sich
  • eine reiche Braut suchen wollte? Was sollte dann aus der Welt werden?
  • Das ist doch ebenso, als wollte einer einen Mantel über seinen Pelz
  • anziehen, wenn ihm schon ohnedies warm genug ist ... während dieser
  • Mantel vielleicht jemand anderem die Schultern wärmen könnte. Nein,
  • Mütterchen, das ist unrecht! Der Vater hat sein ganzes Vermögen der
  • Erziehung seiner Tochter geopfert.
  • Maria Alexandrowna. Genug! Genug! Ich bin nicht imstande, mehr zu hören!
  • Ich weiß schon alles -- alles! Da hat er sich in eine Vagabundin
  • verliebt, in die Tochter irgendeines Fourieurs, der vielleicht Gott weiß
  • was treibt.
  • Mischa. Mütterchen ...
  • Maria Alexandrowna. Der Vater ist ein Säufer, die Mutter eine Köchin,
  • und die Verwandtschaft besteht aus kleinen Polizeibeamten und
  • Branntweinverkäufern! ... Und das alles muß ich mit anhören, muß das
  • alles ertragen ... ertragen von dem eigenen Sohn, für den ich mein Leben
  • nicht geschont habe! ... Nein, das werde ich nicht überleben!
  • Mischa. Aber Mütterchen, erlauben Sie ...
  • Maria Alexandrowna. Mein Gott, was für eine Moral haben denn die jungen
  • Leute jetzt nur! Nein, das werde ich nie überleben, ich schwöre es dir,
  • das werde ich nicht überleben ... Ah, wie wird mir, mir wird ganz
  • schwindlig im Kopf. (Schreit auf.) Ach, ich habe Stiche in der Seite!
  • ... Maschka! Maschka! Das Fläschchen! ... Ich weiß nicht, ob ich den
  • Abend noch erleben werde! Grausamer Sohn!
  • Mischa (eilt auf sie zu). Mütterchen, beruhigen Sie sich. Sie schaden
  • sich nur ...
  • Maria Alexandrowna. Und das alles hat dieser widerliche Sobatschkin
  • angerichtet. Ah, ich weiß nicht, warum ich diese Pest bis jetzt noch
  • nicht davongejagt habe.
  • Der Lakai (in der Tür). Sobatschkin ist gekommen.
  • Maria Alexandrowna. Was! Sobatschkin? Schickt ihn fort! Fortschicken,
  • daß keine Spur mehr von ihm übrig bleibt!
  • 2. Auftritt
  • Dieselben und Sobatschkin.
  • Sobatschkin. Maria Alexandrowna, seien Sie großmütig und verzeihen Sie
  • mir, daß ich so lange nicht bei Ihnen gewesen bin. Aber bei Gott, es war
  • mir unmöglich. Sie können sich gar nicht denken, wieviel Geschäfte ich
  • zu erledigen habe ... ich wußte ja, daß Sie böse sein werden,
  • wahrhaftig, ich wußte es ... (Er erblickt Mischa.) Guten Tag, Bruder,
  • wie geht's dir?
  • Maria Alexandrowna (beiseite). Ich finde einfach keine Worte. So ein
  • Mensch! Und er entschuldigt sich noch, daß er so lange nicht hiergewesen
  • ist!
  • Sobatschkin. Ich freue mich, daß Sie so wohl und gesund sind, soweit man
  • nach dem Aussehen urteilen kann. Und wie steht's mit der Gesundheit
  • Ihres Herrn Bruders? Ich muß gestehen, daß ich ihn auch hier zu treffen
  • hoffte.
  • Maria Alexandrowna. Da hätten Sie doch ihn aufsuchen sollen und nicht
  • mich.
  • Sobatschkin (lächelt). Ich bin gerade zu Ihnen gekommen, um Ihnen eine
  • höchst interessante Anekdote zu erzählen.
  • Maria Alexandrowna. Ich liebe die Anekdoten nicht.
  • Sobatschkin. -- Von Natalia Andrejewna Gubomasowa.
  • Maria Alexandrowna. Was? Von der Gubomasowa? ... (Bemüht sich ihre
  • Neugier zu verbergen.) Dann ist es wohl erst vor kurzem passiert?
  • Sobatschkin. In diesen Tagen.
  • Maria Alexandrowna. Um was handelt es sich denn?
  • Sobatschkin. Wissen Sie, daß sie ihre Mädchen eigenhändig prügelt?
  • Maria Alexandrowna. Nein! Was Sie sagen! Oh, was für eine Schande! Ist
  • es nur möglich?
  • Sobatschkin. Ich schwöre es Ihnen, erlauben Sie mir, Ihnen den Hergang
  • zu erzählen. Eines Tages befiehlt sie einem Mädchen, das sich irgend
  • etwas hatte zuschulden kommen lassen, sich so, wie es sich gehört, aufs
  • Bett zu legen. Sie selbst geht in ein anderes Zimmer -- ich kann mich
  • nicht mehr erinnern warum, aber ich glaube, um eine Rute zu holen.
  • Inzwischen verläßt das Mädchen aus irgendeinem Grunde das Zimmer. Statt
  • ihrer kommt Natalia Andrejewnas Mann hinein, legt sich aufs Bett und
  • schläft ein. Natalia Andrejewna erscheint also mit der Rute, befiehlt
  • einem Mädchen, sich dem auf dem Bett Liegenden auf die Füße zu setzen,
  • deckt einen Lappen über ihn -- und prügelt ihren eigenen Mann durch.
  • Maria Alexandrowna (schlägt die Hände zusammen). Mein Gott, welche
  • Schande! Wie habe ich bis jetzt nur nichts davon erfahren? Aber ich muß
  • Ihnen gestehen, ich war immer davon überzeugt, daß sie zu so etwas fähig
  • sei.
  • Sobatschkin. Selbstverständlich. Ich habe es schon in aller Welt
  • erzählt. Und da sagt man nun: dies Musterweib! Sie sitzt in ihrem Haus,
  • beschäftigt sich mit der Erziehung ihrer Kinder und bringt ihnen selbst
  • englisch bei! ... Eine schöne Erziehung! Jeden Tag prügelt sie ihren
  • Mann durch wie eine Katze! ... Wahrhaftig, es tut mir leid, aber ich
  • kann nicht länger bei Ihnen bleiben. (Verbeugt sich.)
  • Maria Alexandrowna. Warum haben Sie es so eilig, Andrej Kondratjewitsch?
  • Schämen Sie sich nicht, nachdem Sie so lange nicht bei mir gewesen sind?
  • ... Ich war immer gewöhnt, Sie als Freund des Hauses zu betrachten --
  • bleiben Sie doch! Ich wollte noch mit Ihnen über etwas sprechen. Hör mal
  • Mischa, der Wagenbauer wartet in meinem Zimmer auf mich: bitte sprich du
  • mit ihm. Frage ihn, ob er es übernehmen will, die Kutsche bis zum ersten
  • wieder in Stand zu setzen. Er soll sie blau anstreichen, mit hellen
  • Ornamenten -- in der Art wie die Kutsche der Gubomasowa. (Mischa
  • entfernt sich.)
  • Maria Alexandrowna. Ich habe meinen Sohn absichtlich weggeschickt, weil
  • ich mit Ihnen allein reden will. Sagen Sie, wissen Sie etwas darüber, ob
  • es hier irgendwo einen Alexander Alexandrowitsch Odossimow gibt?
  • Sobatschkin. Odossimow? ... Odossimow ... Odossimow ... Ich weiß, daß es
  • irgendwo einen Odossimow gibt ... aber ich kann mich ja genauer
  • erkundigen.
  • Maria Alexandrowna. Bitte.
  • Sobatschkin. Ich erinnere mich ... Ja, ich erinnere mich, es gibt einen
  • Odossimow, einen Tischvorsteher oder einen Abteilungschef ... ja, ja, es
  • gibt so einen ...
  • Maria Alexandrowna. Denken Sie nur, es ist da eine komische Geschichte
  • passiert ... Sie könnten mir einen großen Dienst erweisen.
  • Sobatschkin. Sie haben nur zu befehlen. Für Sie bin ich zu allem bereit:
  • aber das wissen Sie ja selbst!
  • Maria Alexandrowna. Es handelt sich um folgendes: Mein Sohn hat sich
  • verliebt ... oder richtiger gesagt, es ist ihm eine wahnsinnige Idee in
  • den Kopf gekommen ... nun, er ist ein junger Mensch ... mit einem Wort:
  • er ist in die Tochter dieses Odossimow verliebt.
  • Sobatschkin. Verliebt? Aber er hat mir doch nichts davon erzählt?
  • Allerdings, wenn _Sie_ es sagen, wird er wohl verliebt sein.
  • Maria Alexandrowna. Ich bitte Sie um einen großen Dienst, Andrej
  • Kondratjewitsch ... Ich weiß, Sie gefallen den Frauen.
  • Sobatschkin. He he he! Woher wissen Sie das? Aber wirklich, denken Sie
  • sich nur: in der Fastnachtswoche haben sich sechs Kaufmannsfrauen ...
  • vielleicht glauben Sie, daß ich ihnen meinerseits irgendwie ... etwa den
  • Hof gemacht habe oder sonst was ... Ich schwöre Ihnen, nicht einmal
  • angesehen habe ich sie! Ja noch mehr! Kennen Sie diesen -- wie heißt er
  • nur gleich -- Jermolay? Jermolay ...? Mein Gott, Jermolay, der in der
  • Litejnaja wohnte, unweit der Kirotschnaja?
  • Maria Alexandrowna. Ich kenne dort niemanden.
  • Sobatschkin. Mein Gott, Jermolay Iwanowitsch, glaub ich -- schlagen Sie
  • mich tot, aber ich habe den Familiennamen vergessen. Seine Frau ist vor
  • fünf Jahren in eine peinliche Geschichte verwickelt gewesen ... Sie
  • kennen sie doch? .. Silphida Petrowna?
  • Maria Alexandrowna. Durchaus nicht. Ich kenne weder einen Jermolay
  • Iwanowitsch noch eine Silphida Petrowna.
  • Sobatschkin. Mein Gott, der in der Nähe von Kuropatkin wohnte!
  • Maria Alexandrowna. Ich kenne aber auch Ihren Kuropatkin nicht.
  • Sobatschkin. Nun, Sie werden sich später daran erinnern. Also die
  • Tochter ist fürchterlich reich. Bis zu zweimalhunderttausend Rubel
  • Mitgift -- ohne jeden Schwindel! Noch vor der Hochzeit soll man den
  • Lombardschein in den Händen haben ...
  • Maria Alexandrowna. Nun, und Sie? Und da haben Sie sie nicht geheiratet?
  • Sobatschkin. Nein! Drei Tage lang lag der Vater vor mir auf den Knien
  • und flehte mich an. Die Tochter hat es nicht verwinden können und sitzt
  • jetzt im Kloster.
  • Maria Alexandrowna. Und warum haben Sie sie nicht geheiratet?
  • Sobatschkin. Mein Gott ... Ich sagte mir: der Vater ist
  • Branntweinpächter, und die Verwandtschaft -- lauter hergelaufene Leute
  • ... Glauben Sie mir, später hat es mir wahrhaftig selbst leid getan. Bei
  • Gott, hol's der Teufel! Wie diese Welt eingerichtet ist! Überall nichts
  • wie Konventionen und Rücksichten! Wie viele hat das schon zugrunde
  • gerichtet!
  • Maria Alexandrowna. Und warum müssen Sie sich nach der Welt richten?
  • (Beiseite.) Wahrhaftig, jetzt glaubt jedes emporgekommene Insekt, daß es
  • ein Aristokrat ist. Der Mensch ist erst Titularrat, -- und man höre nur,
  • wie er spricht!
  • Sobatschkin. Nun ja, aber es ging nun einmal nicht, Maria Alexandrowna,
  • wirklich, es ging nicht ... Sie verstehen, da hätte man gesagt: »Aha,
  • weiß der Teufel, wen er geheiratet hat ...« Allerdings passieren mir
  • fortwährend solche Geschichten. Manchmal habe ich wirklich keine Schuld,
  • von meiner Seite ist durchaus nichts geschehen, aber was soll man
  • machen? (Spricht leise vor sich hin.) Dann findet man, wenn die Newa
  • aufgeht, immer zwei bis drei ertrunkene Frauen -- ich schweige lieber
  • davon, weil man sonst noch in allerlei Geschichten verwickelt wird ...
  • Ja, man liebt mich -- und warum, frage ich? Man kann doch nicht sagen,
  • daß mein Gesicht so sehr ...
  • Maria Alexandrowna. Hören Sie auf! Als ob Sie nicht selbst wüßten, daß
  • Sie ein schöner Mann sind.
  • Sobatschkin (lächelt). Stellen Sie sich nur vor: schon als ich noch ein
  • Knabe war, ging keine an mir vorüber, ohne mich mit dem Finger am Kinn
  • zu fassen und zu sagen: »Oh, wie schön dieser Schelm ist!«
  • Maria Alexandrowna (beiseite). Ich bitte! ... Von wegen der Schönheit --
  • das ist doch ein richtiger Mops! Und das bildet sich ein, daß es schön
  • sei! (Laut.) Nun, dann hören Sie, Andrej Kondratjewitsch, bei Ihrem
  • Äußeren wird das leicht zu machen sein. Mein Sohn ist bis zur Narrheit
  • in das Mädchen verliebt und redet sich ein, daß sie die wahrhafte Güte
  • und Unschuld ist. Wissen Sie, wäre es nun nicht möglich, ihm das Mädchen
  • auf irgendeine Art in einem anderen Lichte erscheinen zu lassen? Sie
  • sozusagen ein bißchen herabzusetzen? ... Wenn auch Sie keinen Eindruck
  • auf sie machen, so daß sie sich in Sie vergafft ...
  • Sobatschkin. Seien Sie überzeugt, Maria Alexandrowna, streiten Sie
  • nicht! Sie wird es: ich lasse mir den Kopf abschlagen, wenn sie sich
  • nicht in mich verliebt. Oh, Maria Alexandrowna, lassen Sie mich Ihnen
  • erzählen, mir passierten schon andere Geschichten ... erst in diesen
  • Tagen ...
  • Maria Alexandrowna. Wie es auch enden mag -- ob sie sich nun vernarrt
  • oder nicht: es ist nur notwendig, daß sich in der Stadt das Gerücht
  • verbreitet, Sie hätten ein Verhältnis mit ihr ... und daß mein Sohn es
  • erfährt.
  • Sobatschkin. Ihr Sohn?
  • Maria Alexandrowna. Jawohl, mein Sohn.
  • Sobatschkin. Hm.
  • Maria Alexandrowna. Was -- hm?
  • Sobatschkin. Oh, nichts. Ich machte nur so: hm.
  • Maria Alexandrowna. Sie finden vielleicht, daß es zu schwierig für Sie
  • ist?
  • Sobatschkin. Oh, nein, gar nicht. Aber diese Verliebten ... Sie glauben
  • gar nicht, zu welch sinnlosen Dingen und unpassenden Kindereien sie sich
  • hinreißen lassen: bald sind es Pistolen, bald ... weiß der Teufel, was.
  • Nicht etwa, daß mich das irgendwie ... aber wissen Sie, es schickt sich
  • nicht in der guten Gesellschaft.
  • Maria Alexandrowna. Oh! Was das betrifft, da seien Sie ganz ruhig.
  • Verlassen Sie sich nur auf mich -- das werde ich schon nicht zulassen.
  • Sobatschkin. Übrigens war das nur eine Nebenbemerkung. Glauben Sie mir,
  • Maria Alexandrowna, wenn es sich darum handelte, mein Leben für Sie aufs
  • Spiel zu setzen: bei Gott, ich würde es mit Vergnügen tun! Ich liebe Sie
  • so sehr, daß es mir, um die Wahrheit zu sagen, fast etwas peinlich ist:
  • sie mögen Gott weiß was glauben, und doch ist es nur tiefe Verehrung. --
  • Ach ja, ausgezeichnet, daß ich mich daran erinnere! Ich wollte Sie
  • bitten, Maria Alexandrowna, mir auf kurze Zeit zweitausend Rubel zu
  • leihen. Weiß der Teufel, was ich für ein idiotisches Gedächtnis habe!
  • Als ich mich anzog, habe ich immerfort daran gedacht: nur die
  • Brieftasche nicht vergessen! Ich lege sie absichtlich auf den Tisch,
  • gerade vor meine Augen. Und nun hab' ich alles mitgenommen, hab' die
  • Tabaksdose mitgenommen und ein zweites Taschentuch -- nur die
  • Brieftasche ist auf dem Tisch liegen geblieben.
  • Maria Alexandrowna (beiseite). Was soll ich mit ihm machen? Gebe ich ihm
  • das Geld, so wird er mich vollends auspressen, gebe ich's ihm nicht, so
  • wird er in der ganzen Stadt solch einen Unsinn über mich verbreiten, daß
  • ich mein Gesicht nirgends sehen lassen kann. Das beste ist, daß er noch
  • behauptet, die Brieftasche vergessen zu haben! Die Brieftasche hast du
  • bei dir, das weiß ich genau, aber sie ist leer. Doch was soll ich machen
  • -- man muß ihm das Geld geben. (Laut.) Bitte, Andrej Kondratjewitsch,
  • warten Sie hier, ich werde es Ihnen gleich bringen.
  • Sobatschkin. Sehr schön, ich werde mich ein Weilchen hersetzen.
  • Maria Alexandrowna (während sie weggeht, beiseite). Ohne Geld wird der
  • Lump ja doch nichts machen.
  • Sobatschkin (allein). Diese Zweitausend kann ich gerade ausgezeichnet
  • gebrauchen. Meine Schulden werde ich davon allerdings nicht bezahlen:
  • der Schuster kann warten, der Schneider kann warten, und Anna Iwanowna
  • kann auch warten: sie wird natürlich wieder Lärm schlagen, aber was soll
  • ich machen? Ich kann doch nicht überall mit dem Gelde um mich werfen!
  • Sie hat an meiner Liebe genug, und was das Kleid betrifft -- da lügt
  • sie, das _hat_ sie! ... Ich werde es so machen: nächstens wird ein Fest
  • stattfinden, und wenn mein Wägelchen auch noch neu ist, so kennt es doch
  • jeder und hat es schon gesehen. Aber ich höre, daß Jochim soeben mit
  • einem Wagen fertig geworden ist, der ganz nach der letzten Mode gebaut
  • ist und den er noch niemandem gezeigt hat. Wenn ich diese Zweitausend
  • noch zu meinem Wagen hinzulege, so werde ich ihn sehr gut dafür
  • eintauschen können. Ah, wissen Sie, das wird Effekt machen! ... Auf dem
  • ganzen Fest werden höchstens ein oder zwei solche Wagen zu sehen sein.
  • Überall wird man dann von mir sprechen ... Inzwischen muß ich allerdings
  • über Maria Alexandrownas Auftrag nachdenken. Mir scheint, daß es das
  • Vernünftigste ist, wenn ich mit Liebesbriefen beginne. Wie, wenn ich
  • etwa einen Brief in ihrem Namen schriebe und ihn zufällig in seiner
  • Gegenwart fallen ließe oder ihn auf dem Tisch in seinem Zimmer vergesse?
  • Gewiß, es kann allerlei Böses dabei herauskommen. Nun und das wäre?
  • Schlimmstenfalls kann es Schläge geben ... Schläge tun natürlich weh,
  • aber doch nicht so, daß man ... Außerdem kann ich ja auch davonlaufen;
  • und wenn es irgendwie gefährlich wird -- laufe ich geradezu in das
  • Schlafzimmer Maria Alexandrownas und zwar direkt unter ihr Bett. Mag er
  • mich doch dort hervorholen! Die Hauptsache ist, wie der Brief
  • geschrieben werden muß! Ich kann in den Tod keine Briefe schreiben: das
  • ist mein Ende! Der Teufel weiß warum! Im Gespräch könnte ich alles,
  • scheint mir, sehr schön auseinandersetzen; aber sowie ich die Feder
  • anfasse, so ist es mir, als ob mir jemand eine Ohrfeige gegeben hätte.
  • Konfusion und nichts als Konfusion -- ich kann die Hand nicht bewegen,
  • und alles ist aus ... Vielleicht geht's so: Ich habe noch einige Briefe,
  • die vor kurzem an mich geschrieben worden sind; wenn ich einen von den
  • besseren aussuchte, den Namen wegradierte und einen andern an seine
  • Stelle setzte? Hm -- das ist wirklich nicht übel? Bei Gott, ich werde
  • mal in meinen Taschen nachsehen, ob ich nicht einen finde, den ich
  • brauchen kann. (Nimmt ein paar Briefe aus der Tasche.) Zum Beispiel
  • dieser! (Liest.) »Ich bin Gottseidank gesund, aber ich werde krank vor
  • Schmerz. Oder haben Sie mich ganz vergessen, mein Herzchen? Iwan
  • Danilowitsch hat Sie im Teater gesehen, mein Herzchen -- ach, wären Sie
  • doch zu mir gekommen und hätten Sie mich durch Ihre heiteren Gespreche
  • beruhigt.« Hol's der Teufel, ich glaube die Orthographie stimmt nicht.
  • Nein, mit dem läßt sich keine Falle legen, glaube ich. (Liest weiter.)
  • »Ich habe ein Strumpfband für Sie gestickt, mein Herzchen.« Und jetzt
  • wird sie zärtlich. Etwas reichlich bukolisch und schmeckt nach
  • Chateaubriand. Ah, hier ist noch etwas, vielleicht findet sich etwas
  • Besseres darunter! (Faltet einen Brief auseinander, kneift ein Auge zu
  • und bemüht sich, ihn zu entziffern.) »Lie-bens-wür-di-ger Freund!« Nein,
  • das heißt nicht liebenswürdiger Freund: aber wie heißt es denn nur?
  • »Zärtlichster, Teuerster?« Nein, auch nicht Teuerster, nein, nein.
  • (Liest.) »Lu-lu-lu-mp.« Hm. (Beißt die Lippen zusammen.) »Wenn du
  • verräterischer Räuber meiner Unschuld, wenn du dem Krämer das Geld, das
  • ich in der Unerfahrenheit meiner Seele für dich geborgt habe, nicht
  • bezahlst, werde ich dich, du ekelhafte Fratze (das letzte Wort preßt er
  • beinahe zwischen den Zähnen hervor) ... der Polizei anzeigen!« Der
  • Teufel soll sie holen, wahrhaftig, der Teufel soll sie holen! Es steht
  • doch wirklich garnichts in diesem Brief. Gewiß: man kann alles sagen,
  • aber man muß es doch anständig ausdrücken; in Worten, die einen Menschen
  • nicht verletzen. Nein, nein, ich sehe, alle diese Briefe sind nicht
  • geeignet. Man muß etwas Kräftiges suchen, etwas, worin etwas wie
  • Siedehitze, wie man zu sagen pflegt -- zu spüren ist. Ah, hier, hier --
  • sehen wir uns mal das an! (Liest.) »Grausamer Tyrann meiner Seele!« Aha,
  • das ist gut. »Laß dich durch mein Herzensschicksal rühren!« Sehr edel!
  • Bei Gott, sehr edel! Da spürt man doch die Erziehung! Man sieht gleich,
  • wie sich jemand benimmt. So muß man schreiben: empfindsam und doch wird
  • der Mensch nicht beleidigt. Diesen Brief werde ich ihm zustecken. Weiter
  • brauche ich ja gar nicht erst zu lesen: ich weiß nur nicht, wie man den
  • Namen so ausradieren kann, daß nichts zu sehen ist. (Er blickt auf die
  • Unterschrift.) Aha, das ist schön! Es steht gar kein Name darunter!
  • Ausgezeichnet! Das kann ich unterschreiben! Nein, wie sich die Sache von
  • selbst macht! -- Und dabei sagt man noch: das Äußere kommt nicht in
  • Betracht! Wenn du nicht hübsch wärst, so würde man sich nicht in dich
  • verlieben, so würde man dir keine Briefe schreiben, und hätte ich keine
  • Briefe, so würde ich nicht wissen, wie ich die Geschichte anfangen soll.
  • (Tritt vor den Spiegel.) Heut hab' ich mich noch ein bißchen gehen
  • lassen: manchmal ist mir's sogar, als ob ich ein bedeutendes Gesicht
  • habe ... Schade, daß meine Zähne schlecht sind, sonst hätte ich die
  • größte Ähnlichkeit mit Fürst Bagration. Ich weiß nur nicht, wie ich mir
  • den Backenbart stehen lassen soll: so, daß er ringsherum eine
  • ausgesprochene Freese bildet -- wie mit Tuch benäht, wie man zu sagen
  • pflegt -- oder ob ich alles kahl abrasieren und mir nur unter der Lippe
  • etwas zulegen soll? Ah?
  • Nach dem Theater
  • (Epilog zu einer neuen Komödie.)
  • Deutsch von Alexandra Ramm
  • Der Vestibül des Theaters. Auf der einen Seite sieht man die
  • Treppen, die zu den Logen und Gallerien emporführen; in der Mitte
  • das Entree zu den Fauteuils und den Balkons, auf der anderen
  • Seite den Ausgang. Man hört entferntes Applaudieren.
  • Der Autor des Stücks[3] (tritt hinaus). Ich habe mich herausgewunden wie
  • aus einem Sumpf. Nun ist er endlich da, der Lärm und der Beifall! Das
  • ganze Theater dröhnt! Das ist der Ruhm. Gott, wie hätte mein Herz vor
  • sieben, acht Jahren geklopft! Wie hätte es mich emporgehoben! Aber das
  • liegt weit hinter mir. Damals war ich jung, kühn -- wie ein Jüngling.
  • Gepriesen sei das Schicksal, das mich vor frühem Ruhm und Bewunderung
  • bewahrt hat. Aber jetzt ... Die besonnene Kühle des Alters macht jeden
  • weise. Endlich wird einem klar, daß der Beifall noch nicht viel bedeutet
  • und daß er alle zu belohnen bereit ist: ob es ein Schauspieler ist, der
  • die Geheimnisse der Seele und des menschlichen Herzens kennt, ein
  • Tänzer, dem es gelungen ist, mit den Füßen künstliche Verschlingungen zu
  • bilden, ein Gaukler -- alle umtost der Beifall. Ob es der grübelnde
  • Verstand, das empfindende Herz, die tönende Tiefe der Seele, die
  • kunstvoll bewegten Füße oder die gewandt mit Gläsern spielenden Hände
  • sind -- auf sie alle plätschert der Beifall herab. Nein, nicht Beifall
  • wünsche ich mir jetzt: ich wünschte in allen Logen zu sein, auf den
  • Balkons, im Parkett, auf den Gallerien -- überall möchte ich sein und
  • aller Meinungen und Eindrücke hören, solange sie noch keusch und frisch
  • sind und sich noch nicht der Kritik der Kenner und Journalisten
  • untergeordnet haben, solange jeder noch unter der Wirkung seines eigenen
  • Urteils steht. Ich muß es wissen: denn ich bin ein Komödienschreiber.
  • Alle anderen Werke und Kunstformen stehen unter dem Urteil Weniger, und
  • nur der Komödienschreiber unterliegt dem Gericht Aller; jeder Zuschauer
  • hat ein Anrecht auf ihn, und jeder Stand ist über ihn Richter. Oh! Wie
  • ich wünschte, daß mir jeder Einzelne alle Unzulänglichkeiten und Fehler
  • sagte! Mag er über mich lachen, mag Mißgunst seine Worte leiten,
  • Parteilichkeit, Empörung, Haß, alles -- wenn nur die wahre Meinung
  • gesagt wird. Es ist nicht möglich, daß ein Wort ohne Grund gesprochen
  • wird, und aus allem kann ein Funke der Wahrheit aufblitzen. Wer es wagt,
  • andern die lächerlichen Seiten der Welt zu zeigen, muß verständnisvoll
  • die Hinweise auf seine eigenen Schwächen und Lächerlichkeiten hinnehmen.
  • Ich will es versuchen, ich bleibe hier im Vorraum, während das Publikum
  • das Theater verläßt. Es ist unmöglich, daß man nicht über das neue Stück
  • spricht: die Menschen sind lebhafter unter der Wirkung des ersten
  • Eindrucks und wollen ihre Meinungen austauschen. (Tritt zur Seite.)
  • [Fußnote 3: Es versteht sich von selbst, daß der Autor des Stückes eine
  • ideale Persönlichkeit ist: er verkörpert die Situation des
  • Komödiendichters in der Gesellschaft, -- des Komikers, der sich die
  • Verspottung der Mißbräuche in den verschiedenen Ämtern und Ständen zur
  • Aufgabe gemacht hat.]
  • Es erscheinen einige gutgekleidete Herrn (der eine spricht zum andern).
  • Gehen wir lieber gleich, es wird nur noch ein unbedeutendes Vaudeville
  • gespielt. (Beide entfernen sich.)
  • (Zwei Elegants von stattlichem Äußeren kommen die Treppe herab.)
  • Der erste Elegant. Es wäre gut, wenn die Polizei meinen Wagen nicht zu
  • weit zurückgetrieben hätte. -- Weißt du nicht, wie diese junge
  • Schauspielerin heißt?
  • Der andere Elegant. Nein. Aber sie ist nicht übel.
  • Der erste Elegant. Sicher, nicht übel. Aber es fehlt ihr etwas ... Ich
  • empfehle dir übrigens ein neues Restaurant, gestern hat man uns frische
  • grüne Erbsen serviert. (Küßt sich die Fingerspitzen.) Entzückend! (Beide
  • entfernen sich.)
  • Ein Offizier (läuft herein, ein anderer hält ihn am Arm fest).
  • Der andere Offizier. Bleiben wir doch.
  • Der erste Offizier. Nein, Brüderchen, zum Vaudeville wird mich nichts
  • verlocken. Ah, wir kennen diese Stücke, die als Nachspeise serviert
  • werden. Lakaien statt Schauspieler, und die Weiber -- ein Ungetüm über
  • das andere! (Sie entfernen sich.)
  • Ein Weltmann (stutzerhaft gekleidet, kommt die Treppe herunter). Ein
  • Spitzbube, dieser Schneider. Er hat mir die Beinkleider so eng gemacht,
  • daß ich die ganze Zeit vor Unbequemlichkeit kaum sitzen konnte. Dafür
  • gedenke ich ihn noch etwas hinzuziehen und ihm die nächsten zwei
  • Jährchen nichts zu bezahlen. (Er entfernt sich.)
  • Ein anderer Weltmann (etwas beleibter, er spricht lebhaft zum andern).
  • Niemals, niemals, glaube es mir, wird er sich mit dir zum Spielen
  • hinsetzen. Weniger als hundertfünfzig Rubel den Robber spielt er nicht.
  • Ich weiß es genau, weil mein Schwager Pafnutiew jeden Tag mit ihm
  • spielt.
  • Der Autor des Stückes (für sich). Und noch immer kein Wort über die
  • Komödie!
  • Ein Beamter (in mittleren Jahren, kommt mit ausgestreckten Händen
  • heraus). Das ist ja einfach -- weiß der Teufel, was! ... So ein! ... So
  • ein! ... Das ist doch unerhört! (Er entfernt sich.)
  • Ein Herr (der sich um die Literatur nur wenig kümmert, wendet sich zu
  • einem andern). Das ist doch eine Übersetzung, nicht wahr?
  • Der andere. Aber ich bitte Sie, eine Übersetzung! Das Stück spielt doch
  • in Rußland, es sind unsere Sitten, sogar unsere Titel.
  • Der Herr (den die Literatur wenig kümmert). Ich erinnere mich an etwas
  • Französisches ... wenn es auch nicht ganz in dieser Art war. (Beide
  • entfernen sich.)
  • Der eine von zwei Zuschauern (die sich auch hinausbegeben). Jetzt kann
  • man noch nichts wissen. Warte ab, was die Zeitungen sagen, dann wirst du
  • es erfahren.
  • Zwei Pekeschen (die eine zu der andern). Nun, und Sie? Ich möchte Ihre
  • Meinung über die Komödie hören.
  • Die andere Pekesche (macht mit den Lippen eine bedeutsame Bewegung).
  • Gewiß, natürlich, man kann nicht sagen, daß es daran ... fehlte ... sie
  • ist in ihrer Art ... Natürlich, wer behauptet denn, daß es wiederum
  • nicht ... und wo ist denn sozusagen ... übrigens aber ... (Drückt wie
  • zur Bekräftigung die Lippen zusammen.) Ja, ja. (Gehen ab.)
  • Der Autor (für sich). Nun, diese haben bisher noch nicht viel gesagt.
  • Übrigens, es wird noch viel herumgestritten werden: Vorne sehe ich
  • heftig gestikulierende Leute.
  • Zwei Offiziere.
  • Der eine. Ich habe noch nie so gelacht.
  • Der andere. Ich meine: eine ausgezeichnete Komödie.
  • Der eine. Nun, nun, wir wollen doch abwarten, was die Zeitungen sagen
  • werden: erst muß sie dem Urteil der Kritik unterzogen werden ... Schau,
  • schau! (Stößt ihn am Arm.)
  • Der andere. Was?
  • Der eine (zeigt mit dem Finger auf einen von zwei die Treppe
  • herunterkommenden Herren). Ein Literat!
  • Der andere (eilig). Wer?
  • Der eine. Dieser da! St! Wir wollen hören, was sie sagen werden.
  • Der andere. Und wer ist der andere neben ihm?
  • Der eine. Ich weiß nicht, ein unbekannter Herr. (Beide Offiziere treten
  • zur Seite, um den Herunterkommenden Platz zu machen.)
  • Der unbekannte Herr. Ich kann über die literarischen Qualitäten nicht
  • urteilen: aber mir scheint, sie enthält geistreiche Bemerkungen. Witzig,
  • witzig!
  • Der Literat. Aber ich bitte Sie, was ist hier Geistreiches? Was für ein
  • gewöhnliches Volk hier vorgeführt wird! Und was für ein Ton! Die Späße
  • sind flach; einfach schmierig!
  • Der unbekannte Herr. Aha, das ist eine andere Sache. Ich sage eben: in
  • bezug auf die literarischen Qualitäten habe ich kein Urteil; ich habe
  • nur bemerkt, daß das Stück komisch ist und unterhält.
  • Der Literat. Aber es ist auch nicht komisch. Ich bitte Sie, was ist hier
  • komisch, und worin liegt der Genuß? Das Sujet: unmöglich! Alles Unsinn;
  • kein Auftakt, keine Handlung, keine Struktur.
  • Der unbekannte Herr. Nun ja, dagegen sage ich ja gar nichts. In
  • literarischer Beziehung ist es schon so; in literarischer Beziehung ist
  • sie nicht komisch, aber vom Standpunkt eines sozusagen Außenstehenden
  • hat sie ...
  • Der Literat. Ja, was hat sie? Ich bitte Sie, sie hat auch das nicht! Was
  • für eine Konversation! Wer spricht so in der besseren Gesellschaft? Nun
  • sagen Sie doch selbst, sprechen wir so miteinander?
  • Der unbekannte Herr. Das ist allerdings wahr. Das haben Sie sehr fein
  • bemerkt. Darüber habe ich eben auch selbst nachgedacht: in der
  • Konversation ist keine Vornehmheit. Es scheint, daß alle Personen ihre
  • niedrige Natur nicht verbergen können -- das ist wahr.
  • Der Literat. Nun -- und Sie loben noch!
  • Der unbekannte Herr. Wer lobt? Ich lobe doch nicht! Ich sehe es jetzt
  • selbst ein, daß das ganze Stück Unsinn ist. Aber mit einemmal kann man
  • das doch nicht einsehen, in literarischer Beziehung habe ich kein
  • Urteil. (Beide entfernen sich.)
  • Ein anderer Literat (kommt mit zwei Zuschauern, mit denen er unter
  • heftigen Gestikulationen spricht). Glauben Sie mir, ich kenne die Sache
  • schon. Ein abscheuliches Stück! Ein schmutziges, ein schmutziges Stück!
  • Kein einziger wirklicher Mensch, lauter Karikaturen! In der Natur gibt
  • es so etwas nicht, glauben Sie mir, ich weiß das besser: ich bin selbst
  • Schriftsteller. Man behauptet, es enthält Frische, Beobachtung ... aber
  • das ist ja alles Unsinn! Das sind alles Freunde, Freunde, die es loben
  • -- alles Freunde! Ich habe schon gehört, man hat ihn neben die Von
  • Wisins gestellt, und das Stück ist einfach nicht wert, eine Komödie zu
  • heißen. Eine Farce, nichts als eine Farce, und keine gelungene Farce.
  • Der schlechteste, leerste Schwank von Kotzebue ist im Vergleich mit ihr
  • -- ein Montblanc gegen einen Pulkowoberg. Ich werde Ihnen das alles
  • beweisen, mathematisch beweisen -- wie, daß zweimalzwei gleich vier ist.
  • Die Freunde und Kameraden haben ihn so über alle Maßen gelobt, daß er
  • wohl nun selbst glaubt, daß ihm nicht mehr viel zum Shakespeare fehlt.
  • Bei uns übertreiben ja die Freunde immer. Zum Beispiel auch Puschkin!
  • Warum spricht jetzt ganz Rußland von ihm? -- Alles nur die Freunde: sie
  • haben geschrien und geschrien, und nach ihnen hat auch ganz Rußland zu
  • schreien begonnen. (Entfernt sich mit den Zuschauern.)
  • Die beiden Offiziere (treten hervor und nehmen ihre vorigen Plätze ein).
  • Der erste. Das ist richtig, vollständig richtig: nichts als eine Farce;
  • ich habe es schon früher gesagt, eine dumme Farce, die nur durch die
  • Freunde gehalten wird. Ich muß gestehen, manches war geradezu ekelhaft
  • anzuschauen.
  • Der andere. Aber du sagtest doch, daß du nie so gelacht hättest!
  • Der erste. Ah, das ist wieder eine andere Sache. Du verstehst mich
  • nicht, man muß dir das auseinandersetzen. Was ist denn das für ein
  • Stück? Erstens keine Exposition, auch keine Handlung, absolut keine
  • Kombinationen; lauter Unmöglichkeiten -- und dazu lauter Karikaturen ...
  • Zwei andere im Hintergrunde.
  • Der eine (zum andern). Wer kritisiert da? Scheinbar einer von den
  • Unseren.
  • Der andere (schaut dem Sprechenden von der Seite ins Gesicht und macht
  • eine Handbewegung).
  • Der erste. Was? Ist er dumm?
  • Der andere. Nein, das nicht. Verstand hat er schon -- doch erst nach dem
  • Erscheinen der Zeitschrift, allein verspätet sie sich -- ist so nichts
  • in seinem Kopfe. Aber gehen wir doch. (Sie entfernen sich.)
  • (Zwei Kunstliebhaber.)
  • Der erste. Ich gehöre durchaus nicht zu denen, die immer nur zu Worten
  • greifen, wie schmutzig, ekelhaft, schlechter Ton und ähnliches. Das ist
  • doch eine fast bewiesene Sache, daß solche Worte meist aus dem Munde
  • solcher kommen, deren Ton selbst zweifelhaft ist; sie sprechen vom Salon
  • und werden nur im Vorzimmer empfangen. Aber von denen ist ja nicht die
  • Rede. Ich spreche davon, daß das Stück keine Exposition hat.
  • Der andere. Ja, wenn man die Exposition in dem Sinne nimmt, wie sie
  • gewöhnlich genommen wird, d. h. im Sinne einer Liebesintrige, so ist sie
  • wirklich nicht vorhanden. Aber es scheint mir, daß es Zeit ist, mit der
  • ewigen Berufung auf diese Exposition aufzuhören. Man muß nur scharf um
  • sich blicken. Alles hat sich in der Welt längst geändert. Jetzt wird ein
  • Drama durch das Bestreben der Helden exponiert, sich eine vorteilhafte
  • Stellung zu erobern, zu glänzen, einen andern um jeden Preis in den
  • Schatten zu stellen, Rache für eine Mißachtung, für eine Verhöhnung zu
  • nehmen. Elektrisiert ein Amt, ein Kapital, eine vorteilhafte Heirat
  • nicht mehr als die Liebe?
  • Der erste. Das ist ja alles sehr gut; aber auch unter diesem
  • Gesichtspunkt finde ich keine Exposition in dem Stücke.
  • Der andere. Ich will jetzt nicht untersuchen, ob es in diesem Stück eine
  • Exposition gibt oder nicht. Ich will nur sagen, daß man jetzt nur auf
  • Einzelheiten achtet und die allgemeine Exposition überhaupt nicht sieht.
  • Die Menschen sind einfach an diese unvermeidlichen Liebespaare gewöhnt,
  • ohne deren Heirat kein Stück schließen kann. Gewiß ist auch das eine
  • Exposition: aber was für eine! Ein Knoten im Zipfel eines Taschentuchs.
  • Nein, eine Komödie muß sich selbst knüpfen -- und zwar mit ihrer ganzen
  • Masse, zu einem großen allgemeinen Knoten. Diese Exposition muß alle
  • Personen umfassen, nicht nur eine oder zwei; muß berühren, was alle
  • handelnden Personen mehr oder weniger tief ergreift. Hier ist jeder der
  • Held: der Fluß, der Gang des Stückes bewirkt eine Erschütterung der
  • ganzen Maschinerie. Kein einziges Rad darf stehen bleiben, als wäre es
  • verrostet oder gehörte nicht zur Sache.
  • Der erste. Aber es kann doch nicht jeder der Held sein. Einer oder zwei
  • müssen doch die andern leiten.
  • Der andere. Doch nicht leiten, sondern hervorragen. Auch in der Maschine
  • bewegen sich bestimmte Räder bemerkbarer und stärker. Und man kann sie
  • höchstens die Haupträder nennen; aber gelenkt wird das Stück durch eine
  • Idee, durch einen Gedanken: ohne sie gibt es keine Einheit. Und
  • exponieren kann alles: selbst das Entsetzen, die Angst der Erwartung,
  • das ferne Gewitter des herannahenden Gesetzes ...
  • Der erste. Aber das heißt schon, der Komödie eine allgemeine Bedeutung
  • zu geben.
  • Der andere. Ja ist denn das nicht ihre wahre und wirkliche Bedeutung?
  • Schon von Beginn an war die Komödie eine öffentliche Angelegenheit des
  • Volkes. Zumindest stellte sie sich so bei ihrem Vater Aristophanes dar.
  • Später wurde sie in den Engpaß privater Beziehungen gedrängt, das Auf
  • und Ab der Liebe wurde hineingetragen, immer dieselbe unvermeidliche
  • Exposition. Und wie schwach ist sie deshalb selbst bei den besten
  • Komödiendichtern! Wie nichtig sind diese Theaterliebhaber mit ihrer
  • papierenen Liebe!
  • Ein dritter (tritt heran und klopft ihm leicht auf die Schulter). Du
  • hast unrecht. Die Liebe kann ebenso wie jedes andere Gefühl Ingredienz
  • einer Komödie sein.
  • Der andere. Ich sage ja auch gar nicht, daß sie es nicht sein kann. Aber
  • die Liebe kann, wie andere erhabenere Gefühle, nur dann einen erhebenden
  • Eindruck machen, wenn sie in ihrer ganzen Tiefe entwickelt wird. Hat man
  • einmal begonnen, sie darzustellen, muß man alles andere aufopfern;
  • alles, was eben den Charakter der Komödie ausmacht, verblaßt dann, und
  • die Bedeutung der Komödie als Angelegenheit der Gesellschaft
  • verschwindet.
  • Der dritte. Also muß der Gegenstand der Komödie unbedingt etwas
  • Niedriges sein? Die Komödie ist also immer ein untergeordnetes Genre?
  • Der andere. Für den, der nur auf die Worte achtet und nicht den Sinn zu
  • begreifen sucht, wird es so sein. Kann das Positive wie das Negative
  • nicht der gleichen Absicht dienen? Können die Komödie und die Tragödie
  • nicht den gleichen hohen Gedanken ausdrücken? Die seelischen
  • Schwingungen eines schurkischen und ehrlosen Menschen, die gröbsten wie
  • die feinsten, -- zeichnen sie nicht schon das Bild eines ehrenhaften
  • Mannes? Verraten denn nicht die Anhäufung von Niedrigkeiten, von
  • Verletzungen der Gesetze und der Gerechtigkeit deutlich, was Gesetz,
  • Pflicht und Gerechtigkeit von uns fordert? In den Händen eines
  • geschickten Arztes heilen das heiße wie das kalte Wasser mit gleichem
  • Erfolge dieselben Krankheiten. In der Hand des Talents kann alles ein
  • Mittel des Schönen werden, wenn es nur durch die hohe Absicht, dem
  • Schönen zu dienen, geleitet wird.
  • Ein vierter (tritt hinzu). Was kann dem Schönen dienen und worüber
  • streitet ihr?
  • Der erste. Der Streit entstand bei uns über die Komödie. Wir sprechen
  • allgemein von der Komödie, über die neue Komödie hat noch keiner ein
  • Wort gesagt. Und was haben Sie zu bemerken?
  • Der vierte. Ich möchte folgendes bemerken: man spürt das Talent,
  • Beobachtung des Lebens, viel Lächerliches, Richtiges, der Natur
  • Abgelauschtes, aber ganz allgemein: dem Stück fehlt etwas. Man sieht
  • weder eine Intrige noch eine Auflösung. Es ist doch merkwürdig, daß alle
  • unsere Komödiendichter nicht ohne die Regierung auskommen können. Ohne
  • sie schließt bei ihnen keine Komödie.
  • Der dritte. Das ist wahr. Aber übrigens, es ist andererseits sehr
  • natürlich. Wir haben doch alle mit der Regierung zu tun, wir stehen ja
  • fast alle in ihrem Dienst; unser aller Interessen sind mehr oder weniger
  • mit der Regierung verknüpft. Es ist also nicht verwunderlich, wenn sich
  • das in den Schöpfungen unserer Dichter spiegelt.
  • Der vierte. Richtig. Mag diese Beziehung auch spürbar sein, so ist es
  • doch lächerlich, daß ein Stück keinesfalls ohne die Regierung auskommen
  • kann. Sie muß unbedingt erscheinen: wie das unentrinnbare Schicksal in
  • den Tragödien der Alten.
  • Der andere. Nun sehen Sie: es ist also beinahe etwas Unwillkürliches bei
  • unseren Komödiendichtern. Und das bildet also ein charakteristisches
  • Merkmal unserer Komödie. Unsere Seele enthält irgendeinen geheimen
  • Glauben an die Regierung. Nun? Dabei ist doch nichts Schlimmes: Gott
  • gebe, daß die Regierung immer und überall von ihrer Bestimmung, die
  • Vertreterin der Vorsehung auf Erden zu sein, zu hören bekommt. Und daß
  • wir daran glauben, so wie die Alten geglaubt haben, daß das Verbrechen
  • vom Schicksal ereilt wird.
  • Der fünfte. Guten Abend, meine Herren. Ich höre nur immer das eine Wort
  • »Regierung«. Die Komödie hat Lärm und Streit entfesselt ...
  • Der zweite. Wollen wir diesen Zank und Lärm nicht lieber bei mir
  • austragen, als in diesem Theatervorraum. (Sie entfernen sich.)
  • (Einige würdige und anständig gekleidete Herren erscheinen einer
  • nach dem andern.)
  • Erster Herr. So, so, ich sehe: es ist wahr, es gibt so etwas bei uns,
  • aber es kommt auch anderswo vor, und noch Schlimmeres; aber zu welchem
  • Zwecke, wozu so etwas darstellen? -- Das ist die Frage. Warum diese
  • Vorstellungen? Was für einen Nutzen bringen sie? -- Erklären Sie mir
  • das! Was nützt es mir, zu wissen, daß es da und dort Schelme gibt? Ich
  • ... ich verstehe einfach die Notwendigkeit solcher Vorführungen nicht.
  • (Er entfernt sich.)
  • Zweiter Herr. Nein, das ist doch keine Verhöhnung der Laster, das ist
  • doch eine widerwärtige Verhöhnung Rußlands. -- Das ist die Sache. Das
  • heißt, die Regierung selbst in ein schlechtes Licht stellen, denn
  • schlechte Beamte und Übergriffe, die in allen Ständen vorkommen,
  • bloßstellen, bedeutet die Regierung selbst kompromittieren. Man sollte
  • solche Vorstellungen nicht erlauben. (Er entfernt sich.)
  • (Herr A. und Herr B. treten ein, Männer von nicht geringem Rang.)
  • Herr A. Ich spreche nicht davon; im Gegenteil, Mißbräuche muß man uns
  • zeigen; das ist notwendig, daß wir unsere Vergehen sehen; und ich teile
  • nicht im geringsten die Meinung vieler allzu stark erregter Patrioten;
  • aber mich dünkt, daß hier zu viel Trauriges vorkommt ...
  • Herr B. Ich wünschte sehr, daß Sie die Meinung eines sehr bescheiden
  • angezogenen Herrn gehört hätten, der neben mir im Sessel saß ... Ach, da
  • ist er ja selbst.
  • Herr A. Wer?
  • Herr B. Eben dieser sehr bescheiden angezogene Herr. (Wendet sich zu
  • ihm.) Wir haben unser Gespräch nicht beendet, dessen Anfang mir sehr
  • interessant war.
  • Der sehr bescheiden angezogene Herr. Auch ich muß gestehen, daß ich sehr
  • froh bin, die Unterhaltung fortsetzen zu können. Ich habe soeben
  • allerlei Diskussionen gehört, zum Beispiel: daß das alles nicht wahr
  • sei, daß es eine Verhöhnung unserer Regierung, unserer Sitten sei und
  • daß das alles gar nicht vorgeführt werden dürfe. Das zwang mich, das
  • ganze Stück noch einmal durchzudenken und in Gedanken zu überschauen.
  • Und ich muß gestehen, daß mir der Gehalt der Komödie noch bedeutender
  • erschien. Mir scheint, das Lachen trifft hier am stärksten und tiefsten
  • die Heuchelei, die wohlanständige Maske, unter der Niedrigkeit und
  • Schurkerei erscheinen, den Schelm, der sich hinter dem Äußeren eines
  • ehrbaren Mannes verbirgt. Ich muß gestehen, ich empfand Freude, als ich
  • sah, wie lächerlich die ehrbaren Worte im Munde eines Schurken klingen,
  • und wie ungeheuer lächerlich wurde allen vom Parkett bis zum Olymp diese
  • von ihm angenommene Maske. Und danach gibt es noch Menschen, die
  • behaupten, daß man so etwas nicht auf der Bühne vorführen sollte! Ich
  • vernahm eine Bemerkung, die ein, wie mir schien, sehr achtbarer Herr
  • gemacht hatte: »Und was wird das Volk sagen, wenn es sieht, daß bei uns
  • solche Übergriffe vorkommen?«
  • Herr A. Ich muß gestehen, entschuldigen Sie, daß mir selbst auch diese
  • Frage aufgetaucht ist: und was wird unser Volk sagen, wenn es dies alles
  • sieht?
  • Der sehr bescheiden angezogene Herr. Was das Volk sagen wird? (Geht zur
  • Seite, zwei Männer in Armjaks gehen vorüber.)
  • Der blaue Armjak (zum grauen). Frech waren die Woiwoden, aber sie
  • erblaßten doch, als das Zarengericht begann! (Beide gehen hinaus.)
  • Der sehr bescheiden angezogene Herr. Das wird das Volk sagen! Haben Sie
  • gehört?
  • Herr A. Was?
  • Der sehr bescheiden angezogene Herr. Es wird sagen: »Frech waren die
  • Woiwoden, aber sie erblaßten doch, als das Zarengericht begann!« Haben
  • Sie gehört, wie sicher der Instinkt und das Gefühl des Menschen sind?
  • Wie treu das einfache Auge sieht, wenn es nicht von Theorien und
  • Gedanken verschleiert ist, die aus Büchern herausgezupft sind; sondern
  • alles aus der menschlichen Natur schöpft? Ist es denn nicht ganz
  • offensichtlich, daß nach so einer Vorstellung das Volk mehr Glauben an
  • die Regierung bekommt? Ja, es braucht solche Aufführungen! Es soll die
  • Regierung von ihren schlechten Vertretern trennen lernen. Es soll sehen,
  • daß die Übergriffe nicht von der Regierung aus geschehen, sondern von
  • denen, die ihre Forderungen nicht verstehen. Die der Regierung gegenüber
  • keine Verantwortung auf sich nehmen wollen. Es soll sehen, daß sie edel
  • denkt, daß sie mit wachem Auge alle gleich behütet, daß sie früher oder
  • später die Verräter des Gesetzes, der Ehre und der heiligen Pflicht der
  • Menschheit herausfinden wird, daß die, die kein reines Gewissen haben,
  • vor ihr erblassen werden. Ja, es muß diese Vorstellungen sehen; glauben
  • Sie mir, wenn es einmal am eigenen Leibe die Schikanen und
  • Ungerechtigkeiten erfahren sollte, wird es getröstet, mit einem festen
  • Glauben an das stets wache höhere Gesetz aus dieser Vorstellung
  • hinausgehen. Auch noch eine andere Bemerkung gefiel mir: »Das Volk wird
  • eine schlechte Meinung von seinen Beamten bekommen.« Das heißt, man
  • glaubt, daß das Volk hier im Theater zum ersten Male seine Vorgesetzten
  • kennen lernt: wenn ihm zu Hause irgendein schurkischer Amtmann den Fuß
  • auf den Nacken setzt, so wird es dies nicht bemerken, aber wenn es ins
  • Theater geht, dann erst gehen ihm die Augen auf. Man hält unser Volk
  • wirklich für dümmer als einen Klotz -- für so dumm, daß es nicht
  • imstande ist, zu unterscheiden, ob ein Kuchen mit Fleisch oder mit Brei
  • gefüllt ist. Nein, jetzt scheint es mir sogar gut, daß auf der Bühne
  • kein einziger ehrlicher Mensch vorgeführt wurde. Der Mensch ist so
  • eitel: zeige ihm unter vielen schlechten Eigenschaften nur eine gute,
  • und er wird stolz aus dem Theater gehen. Nein, es ist gut, daß nur
  • Ausnahmefälle und lasterhafte Menschen dargestellt sind, die so in die
  • Augen fallen, daß man nicht ihr Mitbürger zu sein wünscht, daß man sich
  • zu gestehen schämt, daß es so etwas überhaupt gibt.
  • Herr A. Aber gibt es denn bei uns wirklich solche Menschen, genau
  • solche?
  • Der sehr bescheiden angezogene Herr. Gestatten Sie mir, Ihnen darauf
  • folgendes zu antworten: ich weiß nicht, warum ich jedesmal traurig
  • werde, wenn ich eine solche Frage höre. Ich kann offen mit Ihnen
  • sprechen, in Ihren Zügen sehe ich etwas, das mich zur Aufrichtigkeit
  • auffordert. Der Mensch stellt zu allererst diese Frage: »Gibt es denn
  • wirklich solche Menschen?« Aber hat man je gehört, daß einer diese Frage
  • gestellt hätte: »Bin ich denn selbst ganz frei von diesen Lastern?«
  • Niemals, niemals! Noch eins -- ich will ja offen mit Ihnen reden. -- Ich
  • habe ein gutes Herz und viel Liebe in meiner Brust, aber wenn Sie
  • wüßten, wieviel seelische Anstrengungen und Erschütterungen es mich
  • gekostet hat, um nicht in viele Laster zu verfallen, in die man
  • unwillkürlich gerät, wenn man mit den Menschen zusammenlebt! Und wie
  • kann ich jetzt sagen, daß in mir selbst, in diesem Augenblick, sich
  • nicht die gleichen Neigungen regen, über die alle vor zehn Minuten
  • gelacht haben, über die ich selbst gelacht habe?
  • Herr A. (nach kurzem Schweigen). Ich muß gestehen, Ihre Worte zwingen
  • mich zum Nachdenken. Und wenn ich mich erinnere, wenn ich mir vorstelle,
  • wie stolz uns unsere europäische Erziehung gemacht hat, wie sie uns
  • überhaupt vor uns selbst verborgen hat, wie hochmütig und mit welcher
  • Verachtung wir auf jene sehen, die diesen äußeren Schliff nicht
  • empfangen haben, wie jeder von uns sich fast als Heiligen hinstellt, und
  • von dem Schlechten immer in dritter Person spricht -- ich muß gestehen,
  • dann wird mir traurig zumute ... Aber verzeihen Sie meine
  • Unbescheidenheit -- Sie sind übrigens selbst schuld daran -- darf ich
  • wissen, mit wem ich das Vergnügen zu sprechen habe?
  • Der sehr bescheiden angezogene Herr. Ich bin nicht mehr und nicht
  • weniger als einer jener Beamten und nehme eine Stellung ein, deren
  • Träger in der Komödie vorgeführt werden; und ich bin erst vorgestern aus
  • meinem Städtchen hier angekommen.
  • Herr B. Das hätte ich kaum geglaubt. Und scheint es Ihnen nach alledem
  • nicht peinlich, mit solchen Menschen zu dienen und zusammen zu leben?
  • Der sehr bescheiden angezogene Herr. Peinlich? Darauf möchte ich Ihnen
  • folgendes antworten: ich gestehe, daß ich oft die Geduld verloren habe.
  • In unserem Städtchen gehören nicht alle Beamten zu dem ehrlichen
  • Dutzend, oft muß man die Wände hinaufklettern, um eine gute Tat
  • durchzusetzen, schon mehrere Male wollte ich den Dienst quittieren; aber
  • jetzt, eben nach dieser Vorstellung, fühle ich eine Frische und zugleich
  • neue Kraft, um meine Tätigkeit fortzusetzen. Mich tröstet schon der
  • Gedanke, daß die Gemeinheit bei uns nicht verborgen bleibt oder gar
  • gefördert wird. Daß sie dort, im Angesicht aller ehrlichen Menschen vom
  • Lachen getroffen wird; daß es eine Feder gibt, die es nicht unterläßt,
  • unsere niedrigen Taten bloßzustellen, wenn dies auch unserem nationalen
  • Stolze nicht schmeichelt, und daß es bei uns eine gute Regierung gibt,
  • die es gestattet, dies all denen vor Augen zu führen, für die es
  • bestimmt ist; und schon das allein gibt mir den Mut, meinen
  • nutzbringenden Dienst fortzusetzen.
  • Herr A. Erlauben Sie mir, Ihnen einen Vorschlag zu machen. Ich bekleide
  • ein Amt, ein ziemlich hohes Amt. Ich brauche wahrhaft edeldenkende und
  • ehrliche Mitarbeiter. Ich biete Ihnen eine Stellung an, in der Sie ein
  • weites Feld für Ihre Tätigkeit finden werden, die Ihnen unvergleichlich
  • mehr Vorteile bieten wird und wo Sie an einer achtbaren Stelle stehen
  • werden.
  • Der sehr bescheiden angezogene Herr. Gestatten Sie mir, Ihnen von ganzem
  • Herzen und ganzer Seele für Ihr Anerbieten zu danken. Und erlauben Sie
  • mir zugleich, es abzulehnen. Wenn ich fühle, daß ich in meiner Stellung
  • nützlich sein kann, wäre es dann anständig von mir, sie zu verlassen?
  • Und wie kann ich sie verlassen, wo ich nicht fest überzeugt bin, daß
  • nach mir nicht irgend ein Kerl kommen wird, der ein Schreckensregiment
  • beginnt. Wenn Sie aber das Anerbieten als Belohnung gedacht haben, so
  • gestatten Sie mir Ihnen folgendes zu sagen: Ich habe wie alle andern dem
  • Dichter des Stückes applaudiert, aber ich habe ihn nicht hervorgerufen.
  • Was für eine Belohnung käme ihm zu? Wem das Stück gefällt, der mag es
  • loben, aber er -- er hat nur seine Pflicht erfüllt. Wir sind wahrhaftig
  • so weit gekommen, daß einer sich nicht nur um einer Heldentat willen,
  • sondern schon wenn er einem andern im Leben oder im Dienst nicht
  • schadet, für einen Gott weiß wie edlen Menschen hält, und ernsthaft
  • beleidigt ist, wenn man dies nicht bemerkt und ihn nicht dafür belohnt.
  • »Aber ich bitte,« schreit er, »ich war Zeit meines Lebens ein ehrlicher
  • Mensch, ich habe kaum eine Niederträchtigkeit begangen, -- warum gibt
  • man mir kein Amt, keine Orden?« Ich dagegen denke so: wer nicht ohne
  • Aufmunterung anständig sein kann -- an dessen Anstand glaube ich nicht;
  • sein Krämeranstand ist keinen Heller wert!
  • Herr A. Zumindest werden Sie mir doch Ihre nähere Bekanntschaft nicht
  • versagen: verzeihen Sie meine Zudringlichkeit. Sie sehen ja selbst, daß
  • sie die Folge meiner aufrichtigen Hochachtung ist. Geben Sie mir Ihre
  • Adresse.
  • Der sehr bescheiden angezogene Herr. Hier ist meine Adresse. Aber seien
  • Sie überzeugt, ich werde nicht zulassen, daß Sie von ihr Gebrauch
  • machen, und schon morgen früh werde ich selbst bei Ihnen vorsprechen.
  • Verzeihen Sie mir, ich bin nicht in der großen Welt erzogen und kann
  • nicht reden ... Aber bei einem Staatsbeamten diese großmütige
  • Aufmerksamkeit, dieses Streben nach dem Guten zu finden ... Gott gebe,
  • daß jeder Herrscher von solchen Leuten umgeben sei! (Entfernt sich
  • eilig.)
  • Herr A. (dreht die Visitkarte in den Händen herum). Ich blicke auf diese
  • Karte und den mir unbekannten Namen, und mir wird das Herz so voll. Wie
  • sich dieser anfangs so traurige Eindruck von selbst verflüchtigt hat!
  • Gott behüte dich, mein Rußland, das wir noch so wenig kennen! In der
  • fernsten Provinz, in einem deiner verlorenen Winkel ist so eine Perle
  • verborgen und sicher ist sie nicht die einzige. Sie sind wie die Körner
  • einer Goldader, versprengt in den finstern Tiefen deines Granits. Es
  • liegt ein Gefühl tiefen Trostes in einer solchen Erscheinung, und es
  • wurde hell in meiner Seele nach der Begegnung mit diesem Beamten, wie es
  • in seiner eignen Seele hell wurde nach der Aufführung dieser Komödie.
  • Leben Sie wohl! Ich danke Ihnen, daß Sie mir diese Begegnung verschafft
  • haben. (Entfernt sich.)
  • Herr W. (tritt zu Herrn B. heran). Wer war das, mit dem Sie sprachen?
  • Ich glaube, er ist Minister, nicht wahr?
  • Herr P. (kommt von der anderen Seite). Hör doch Bruder, was ist das
  • eigentlich für eine Geschichte? ...
  • Herr B. Was?
  • Herr P. Wie kann man so etwas aufführen?!
  • Herr B. Warum denn nicht?
  • Herr P. Aber ich bitte, urteile doch selbst. Was ist denn das
  • eigentlich? Nichts als Laster und Laster; was für ein Beispiel sollen
  • sich die Zuschauer daran nehmen?
  • Herr B. Ja, wird denn das Laster verherrlicht? Es wird doch dem Spott
  • preisgegeben.
  • Herr P. Na Bruder, was du auch sagen magst: die Achtung ... aber dadurch
  • geht doch die Achtung vor Amt und Beamten verloren.
  • Herr B. Nicht vor Amt und Beamten geht die Achtung verloren, sondern vor
  • denen, die ihre Pflichten schlecht erfüllen.
  • Herr W. Gestatten Sie mir jedoch, zu bemerken: das alles ist immerhin
  • eine Beleidigung, die mehr oder weniger alle trifft.
  • Herr P. Sehr richtig. Das wollte ich ihm schon selbst sagen. Das ist
  • eine Beleidigung, die alle trifft. Jetzt führt man uns zum Beispiel
  • einen Titularrat vor, und nächstens ... äh ... wird man uns noch am Ende
  • ... äh ... einen wirklichen Staatsrat vorführen.
  • Herr B. Nun und was wäre dabei? Die Persönlichkeit darf nicht angetastet
  • werden; aber wenn ich mir eine Figur erdenke und sie mit den Lastern
  • versehe, die unter uns Menschen vorkommen, und wenn ich ihr einen Rang
  • gebe, der mir geeignet erscheint, wenn es auch der eines wirklichen
  • Staatsrats ist, und wenn ich sage, daß dieser wirkliche Staatsrat nicht
  • so ist, wie er sein sollte: was ist dabei? Kommen denn solche Patrone
  • unter wirklichen Staatsräten nicht vor?
  • Herr P. Aber nein, mein Lieber, das ist schon zu viel. Wie kann denn ein
  • solcher Patron wirklicher Staatsrat sein? Vielleicht Titularrat ...
  • Nein, du gehst schon zu weit.
  • Herr W. Aber warum soll man uns nur das Schlechte zeigen und nicht auch
  • das Gute, das, was der Nacheiferung würdig ist?
  • Herr B. Warum? Eine merkwürdige Frage: Warum? So kann man oftmals
  • »Warum« fragen. Warum führte ein Vater seinen Sohn, um ihn dem
  • liederlichen Leben zu entreißen, ohne viele Worte und Moralpredigten in
  • ein Krankenhaus, wo ihm die furchtbaren Folgen eines lasterhaften Lebens
  • in all ihren Schrecknissen offenbar wurden? Warum tat er das?
  • Herr W. Gestatten Sie mir, Ihnen zu bemerken: das heißt doch
  • gewissermaßen Krankheiten der Gesellschaft entblößen, die man verhüllen,
  • und nicht noch aufzeigen sollte!
  • Herr P. Das ist wahr. Ich bin damit vollkommen einverstanden. Bei uns
  • muß man das Schlimme verbergen, und nicht noch aufdecken.
  • Herr B. Wenn ein anderer als Sie diese Worte gesprochen hätte, würde ich
  • sagen, daß nicht wahre Liebe zum Vaterland, sondern Heuchelei sie
  • diktiert habe. Nach Ihrer Meinung muß man die gesellschaftlichen
  • Krankheiten, wie Sie sie nennen, nur verhüllen, nur äußerlich heilen,
  • sie sollen nur vorläufig nicht zu sehen sein, aber im Innern mag die
  • Krankheit fortwüten -- das macht nichts. Es macht nichts, daß sie
  • ausbricht und sich in solchen Symptomen offenbart, die keiner Heilung
  • mehr fähig sind. Das macht nichts. Sie wollen nicht wissen, daß wir ohne
  • ein tiefes herzliches Bekenntnis, ohne christliches Eingestehen unserer
  • Sünden, ohne sie in unsern eigenen Augen zu übertreiben, nicht die Kraft
  • haben, uns über sie zu erheben, wir nicht die Kraft haben, uns mit
  • unserer Seele über die Gemeinheit des Lebens emporzuschwingen. Sie
  • wollen es nicht wissen! Soll der Mensch taub bleiben, soll er schlafend
  • durch das Leben wandeln, soll er nie erschüttert werden, nie aus
  • tiefster Seele weinen, soll er seine Seele so einschläfern, daß nichts
  • mehr ihn aufrütteln kann! Nein ... verzeihen Sie mir! Wer so spricht,
  • dessen Lippen werden von kaltem Egoismus bewegt und nicht von heiliger,
  • reiner Liebe zur Menschheit. (Er entfernt sich.)
  • Herr P. (nach einigem Schweigen). Warum schweigst du? -- Nun wie gefällt
  • er dir? Was er nicht alles erzählt hat! Wie?
  • Herr W. (schweigt).
  • Herr P. (fortfahrend). Er mag reden was er will -- aber das sind doch
  • immerhin unsere Wunden.
  • Herr W. (beiseite). Nein, was sich der mit seinen »Wunden« hat! Jetzt
  • wird er sie jedem vorsetzen, der ihm über den Weg läuft!
  • Herr P. Ich könnte vielleicht auch eine ganze Menge darüber sagen: aber
  • was würde das beweisen? ... Ah da ist ja Fürst N. Höre Fürst, lauf nicht
  • davon.
  • Fürst N. Was gibts?
  • Herr P. Nun, wir wollen uns ein wenig unterhalten. Na, wie ist das
  • Stück?
  • Fürst N. Recht komisch.
  • Herr P. Sag doch bitte: wie kann man das nur aufführen! Wie ist das blos
  • möglich?
  • Fürst N. Warum soll man es nicht aufführen?
  • Herr P. Urteile doch selbst, das geht doch nicht: Plötzlich steht ein
  • Schurke auf der Bühne -- das sind doch unsere Wunden!
  • Fürst N. Was für Wunden?
  • Herr P. Das sind doch unsere Wunden! Sozusagen unsere gesellschaftlichen
  • Wunden.
  • Fürst N. (ärgerlich). Ich schenke sie dir! Mögen es meinetwegen deine
  • Wunden sein, aber nicht meine! Warum schiebst du sie mir zu? Ich muß
  • nach Hause. (Entfernt sich.)
  • Herr P. (fortfahrend). Und weiter: was für Unsinn hat er hier
  • zusammengeredet? Er sagte, ein wirklicher Staatsrat kann ein Schelm
  • sein. Wenn es noch ein Titularrat wäre ... das wäre noch möglich ...
  • Herr W. Aber wollen wir doch gehen. Genug von dem Gerede; ich denke,
  • alle Vorübergehenden haben schon erfahren, daß Sie ein wirklicher
  • Staatsrat sind. (Beiseite.) Es gibt Menschen, die die Kunst besitzen,
  • alles in den Schmutz zu ziehen. Wenn sie deinen eigenen Gedanken
  • wiederholen, wissen sie ihn so banal zu machen, daß man rot wird. Wenn
  • du eine Dummheit gesagt hast, die vielleicht noch durchschlüpfen könnte,
  • so findet sich immer noch ein Freund oder Verehrer, der sie in Umlauf
  • bringt und sie noch dümmer macht, als sie ist. Es ist wirklich ärgerlich
  • -- wie wenn man in den Dreck gestoßen wird! (Sie entfernen sich.)
  • (Ein Militär und ein Zivilist treten zusammen auf.)
  • Der Zivilist. So seid ihr Herren vom Militär! Ihr sagt: »Das muß man auf
  • die Bühne bringen«, ihr seid bereit, euch über einen Zivilbeamten lustig
  • zu machen; aber greift man irgendwie das Militär an, sagt man nur, daß
  • in dem und dem Regiment einige Offiziere -- von lasterhaften Neigungen
  • ganz zu schweigen -- sich zum Beispiel schlecht benehmen, schlechte
  • Manieren haben -- so seid ihr gleich bereit, mit einer Klage zum
  • Reichsrat zu laufen.
  • Der Militär. Nein hören Sie: für wen halten Sie mich? Gewiß, es gibt
  • auch unter uns solche Don Quijotes, aber glauben Sie mir, es gibt auch
  • viele wahrhaft vernünftige Männer, die froh sein würden, wenn man die,
  • die ihren Beruf schänden, dem allgemeinen Spott ausliefern würde. Ja, wo
  • ist denn hier eine Beleidigung? Geben Sie uns nur mehr davon! Wir sind
  • bereit, jeden Tag zuzuschauen.
  • Der Zivilist. So sind die Menschen, immer schreien sie: »Gib uns, gib
  • uns«. Aber wenn du es tust, sind sie empört. (Sie entfernen sich.)
  • (Zwei Pekeschen.)
  • Die erste Pekesche. Man nehme zum Beispiel die Franzosen; aber bei ihnen
  • ist das alles sehr nett. Erinnerst du dich unter anderem des gestrigen
  • Vaudeville: sie entkleidet sich, legt sich ins Bett, nimmt die
  • Salatschüssel vom Tisch und stellt sie unter das Bett. Das ist natürlich
  • indezent, aber allerliebst. Das alles kann man sich ansehen, das
  • verletzt nicht ... Meine Frau und meine Kinder gehen jeden Tag ins
  • Theater. Aber hier -- was ist das nun? Irgend ein Lump, ein Bauer, den
  • ich nicht in mein Vorzimmer hineingelassen hätte, macht sichs mit seinen
  • Stiefeln bequem, gähnt und stochert sich in den Zähnen -- wirklich, was
  • soll das bedeuten? Wie sieht das aus?
  • Die zweite Pekesche. Bei den Franzosen ist das eine andere Sache! Dort
  • machts die _societé, mon cher_! Bei uns ist so etwas unmöglich. Bei uns
  • sind die Autoren ohne jede Bildung: zum größten Teil sind es alles
  • Zöglinge eines Seminars. Sie neigen zum Wein, zur Ausschweifung. Auch zu
  • meinem Lakei kam immer so ein Autor: wo soll der also eine Vorstellung
  • von der guten Gesellschaft hernehmen? (Sie entfernen sich.)
  • Eine Weltdame (in Begleitung zweier Herren, der eine trägt einen Frack
  • und der andere eine Uniform): Was für Menschen, was für Personen hier
  • vorgeführt werden! Nicht einer, der einigermaßen anziehend ist ... Warum
  • schreibt man bei uns nicht so, wie die Franzosen schreiben, zum Beispiel
  • Dumas und ähnliche. Ich verlange keine Muster von Tugend; zeigt mir eine
  • Frau, die irrt, die ihren Mann betrügt, die sich zum Beispiel einer
  • lasterhaften und verbotenen Liebe hingibt -- aber stellt es mir so
  • hinreißend dar, daß ich mit ihr mitfühle, daß ich sie lieb gewinne ...
  • Hier dagegen ist eine Person immer ekelhafter als die andere.
  • Der Herr in Uniform. Ja, so trivial, so trivial.
  • Die Weltdame. Sagen Sie: warum ist bei uns in Rußland alles noch so
  • trivial?
  • Der Herr im Frack. Mein Herz, du wirst mir nachher erzählen, warum alles
  • so trivial ist. Man ruft unsern Wagen auf. (Sie entfernen sich.)
  • (Drei Herren treten auf.)
  • Der erste. Warum soll man denn nicht ein wenig lachen? Man darf doch
  • noch lachen: aber ist das ein Gegenstand für den Spott -- Mißbräuche und
  • Laster! Was gibt es da zu spotten?
  • Der zweite. Über was soll man denn sonst lachen? Etwa über die Tugenden,
  • über die Vorzüge eines Menschen?
  • Der erste. Nein; das ist doch kein Gegenstand für eine Komödie, mein
  • Lieber! Das soll sozusagen auch die Regierung treffen. Gibt es denn
  • keine anderen Gegenstände, worüber man schreiben kann?
  • Der zweite. Was wären das für andere Gegenstände?
  • Der erste. Nun, gibt es denn so wenig komische gesellschaftliche
  • Ereignisse? Nehmen wir zum Beispiel an: ich will zu einem Gartenfest auf
  • die Apothekerinsel fahren, und der Kutscher würde mich plötzlich auf der
  • Wyborgskaja oder bei dem Smolnikloster absetzen. Gibt es denn nicht
  • genug solcher komischer Situationen?
  • Der zweite. Das heißt: Sie wollen der Komödie jede ernste Bedeutung
  • nehmen. Aber warum solche absolute Gesetze aufstellen? Komödien in der
  • Art, wie Sie es wünschen, gibt es ja in Unzahl. Warum soll es nicht zwei
  • oder drei wie die eben gespielte geben dürfen? Wenn Ihnen solche
  • Komödien gefallen, wie die, von denen Sie soeben sprachen, so brauchen
  • Sie nur ins Theater zu gehen: dort können Sie täglich ein Stück sehen,
  • wo einer sich unter dem Stuhl versteckt und der andere ihn am Bein
  • hervorzieht.
  • Der dritte. Nein, nein, bitte, so ist es denn doch nicht. Alles hat
  • seine Grenzen, es gibt Dinge, über die man sozusagen nicht spotten darf,
  • die schon gewissermaßen etwas Heiliges sind.
  • Der zweite (für sich mit einem bitteren Lächeln): So ists immer auf der
  • Welt. Lacht man über das wahrhaft Edele, über das, was das große
  • Heiligtum unserer Seele ausmacht, so wird keiner dafür eintreten; lacht
  • man aber über das Laster, über das Gemeine und Niedrige -- dann schreien
  • alle: »Er verspottet unsere Heiligtümer!«
  • Der erste. Na, nun sehen Sie's; wie ich merke, sind Sie jetzt überzeugt:
  • Sie sagen kein Wort. Glauben Sie mir, man muß überzeugt sein: das ist
  • das Wahre. Ich selbst bin ein unparteiischer Mensch und ich will nicht
  • sagen, daß ... aber das ist einfach keine Angelegenheit für einen Autor,
  • kein Gegenstand für eine Komödie. (Sie entfernen sich.)
  • Der zweite (für sich). Ich gestehe, ich möchte um keinen Preis an Stelle
  • des Autors sein. Allen soll man's recht machen! Wählt man ein
  • unbedeutendes gesellschaftliches Ereignis, so schreien alle: »Er
  • schreibt Unsinn! Das hat doch keinen tiefen moralischen Zweck;« wählt
  • man aber einen Gegenstand, der irgendeinen sittlichen Kern enthält, so
  • sagen sie: »Das ist nicht seine Sache, er soll spaßige Sachen
  • schreiben!« (Er entfernt sich.)
  • (Eine junge Weltdame in Begleitung ihres Mannes.)
  • Der Mann. Unser Wagen kann nicht weit sein, wir können gleich fahren.
  • Herr N. (tritt zu der Dame heran). Was sehe ich! Sie sind hergekommen,
  • um sich ein russisches Stück anzusehen!
  • Die junge Dame. Was ist dabei? Habe ich denn gar keinen Patriotismus?
  • Herr N. Nun, wenn es so wäre: so werden Sie mit Ihrem Patriotismus doch
  • nicht allzusehr auf ihre Kosten gekommen sein. Sie schimpfen doch wohl
  • auf das Stück?
  • Die junge Dame. Gar nicht. Ich finde, daß vieles darin ungemein richtig
  • ist: ich habe von Herzen gelacht.
  • Herr N. Warum haben Sie denn gelacht? Vielleicht weil Sie gern über
  • alles Russische lachen?
  • Die junge Dame. Nein, nur darum, weil es einfach komisch war. Weil hier
  • jene Niedertracht, jene Gemeinheit öffentlich entlarvt wurde, die immer
  • die gleiche Gemeinheit und Niedertracht bleibt, welches Gewand sie auch
  • anlegen mag, und ob sie sich in einer Kreisstadt oder hier, mitten unter
  • uns abspielt: deshalb habe ich gelacht.
  • Herr N. Mir sagte eben eine sehr gescheite Dame, daß sie auch gelacht
  • hat, aber bei alledem hat das Stück auf sie einen sehr traurigen
  • Eindruck gemacht.
  • Die junge Dame. Ich mag nicht wissen, was Ihre gescheite Dame empfunden
  • hat, aber ich habe keine so empfindlichen Nerven, und ich lache immer
  • gern über das, was in seinem Kern komisch ist. Ich weiß, daß es unter
  • uns auch Leute gibt, die im Herzen über die schiefe Nase eines Menschen
  • lachen können, aber den Mut nicht aufbringen, über die häßliche Seele
  • eines Menschen zu lachen.
  • (In der Entfernung erscheint noch eine junge Dame mit ihrem
  • Mann.)
  • Herr N. Ah da kommt Ihre Freundin. Ich möchte ihre Meinung über die
  • Komödie hören. (Die Damen reichen sich die Hände.)
  • Die erste Dame. Ich sah von weitem, wie du lachtest.
  • Die zweite Dame. Ja, wer hat denn nicht gelacht? Alle haben doch
  • gelacht.
  • Herr N. Und hatten Sie denn gar kein trauriges Gefühl dabei?
  • Die zweite Dame. Ich gestehe, mir war wirklich traurig zu Mut. Ich weiß,
  • daß das alles sehr wahr ist; ich habe viel Ähnliches gesehen, und es hat
  • mich immer traurig gestimmt.
  • Herr N. Also hat Ihnen die Komödie nicht gefallen?
  • Die zweite Dame. Aber erlauben Sie, wer sagt denn das? Ich habe Ihnen
  • doch schon gesagt, daß ich von ganzem Herzen gelacht habe und sogar mehr
  • als alle andern; ich glaube sogar, daß man mich für eine Wahnsinnige
  • gehalten hat ... Aber ich wurde deshalb traurig, weil ich den Wunsch
  • hatte, wenigstens auf einem guten Gesicht ausruhen zu können. Diese
  • Masse, diese Überfülle des Gemeinen ...
  • Herr N. Sprechen Sie! Sprechen Sie!
  • Die zweite Dame. Hören Sie: empfehlen Sie dem Autor, daß er wenigstens
  • _einen_ anständigen Menschen hineinbringt. Sagen Sie ihm, daß man ihn
  • darum bittet, daß es wirklich gut wäre.
  • Der Mann der ersten Dame. Gerade dies sollten Sie ihm nicht empfehlen!
  • Die Damen wollen unbedingt einen Ritter sehen, der bei jeder Gelegenheit
  • von Edelmut spricht, und sei es auch in den banalsten Phrasen.
  • Die zweite Dame. Durchaus nicht. Wie wenig Sie uns kennen! Gerade Ihnen
  • ist dies eigentümlich! Gerade Ihr liebt nur Phrasen und Reden von
  • Hochherzigkeit und Edelmut. Ich habe einmal das Urteil eines von den
  • Euren gehört: ein Dickwanst schrie so, daß er, wie ich glaube, die
  • allgemeine Aufmerksamkeit auf sich lenkte -- das alles sei Verleumdung,
  • solche Gemeinheiten und Schurkereien kämen bei uns nie vor. Und wer
  • sagte das? -- Der allerniedrigste und gemeinste Mensch, der stets bereit
  • war, seine Seele, sein Gewissen und alles, was Sie wollen, zu verkaufen.
  • Ich will ihn nur nicht beim Namen nennen.
  • Herr N. Aber sagen Sie es doch: Wer war es?
  • Die zweite Dame. Warum wollen Sie es wissen? Er war es ja nicht allein;
  • ich hörte, wie man um uns herum unaufhörlich schrie: »Das ist eine
  • widerwärtige Verhöhnung Rußlands, eine Verhöhnung der Regierung! Wie
  • kann man nur so etwas zulassen? Was wird das Volk dazu sagen?« Und
  • _warum_ haben sie so geschrieen? Etwa, weil sie wirklich so dachten und
  • fühlten? -- Oh nein, verzeihen Sie. Nur darum, um Lärm zu machen, damit
  • man das Stück verbietet, oder vielleicht, weil sie etwas in ihm gefunden
  • hatten, das sie an sich selbst erinnerte. So sind Ihre wahren Ritter,
  • und -- nicht die Theaterhelden!
  • Der Mann der ersten Dame. O bei Ihnen regt sich schon etwas wie eine
  • kleine Empörung!
  • Die zweite Dame. Empörung -- jawohl Empörung. Ja, ich bin empört, sehr
  • empört. Man kann doch nicht ruhig bleiben, wenn man sieht, wie die
  • Gemeinheit unter allen möglichen Masken auftritt.
  • Der Mann der ersten Dame. Nun ja: Sie möchten, daß sofort irgendein
  • Ritter hervortritt, über einen Abgrund springt und sich das Genick
  • bricht ...
  • Die zweite Dame. O nein, verzeihen Sie.
  • Der Mann der ersten Dame. Natürlich: was verlangt denn eine Frau? -- Sie
  • verlangt unbedingt, daß sich im Leben irgendein Roman abspielt.
  • Die zweite Dame. Nein, nein, nein! Ich könnte es zweihundertmal
  • wiederholen: nein! Das ist eine ganz alte, banale Vorstellung, die Sie
  • uns immer wieder aufdrängen wollen. Die Frau hat mehr wahrhaften
  • Edelmut, als der Mann, die Frau ist nicht imstande, sie ist unfähig,
  • alle jene Niedrigkeiten und Schurkereien zu begehen, die ihr Männer euch
  • leistet. Die Frau kann nicht heucheln, wo ihr heuchelt, sie kann nicht
  • durch die Finger sehen, wo ihr es tut, wo es sich um solche Gemeinheiten
  • handelt! Sie ist anständig genug, um dies alles auszusprechen, ohne sich
  • erst überall umzuschauen, ob es den Leuten auch gefällt -- denn das muß
  • ausgesprochen werden. Was gemein ist -- ist gemein, da hilft kein
  • Vertuschen und kein Beschönigen. Es bleibt eine Gemeinheit, eine
  • Gemeinheit, eine Gemeinheit!
  • Der Mann der ersten Dame. Ich glaube, jetzt sind Sie wahrhaftig allen
  • Ernstes böse.
  • Die zweite Dame. Weil ich offen bin und es nicht ertragen kann, wenn man
  • die Unwahrheit spricht.
  • Der Mann der ersten Dame. Nun, nun, seien Sie nicht böse und geben Sie
  • mir Ihr Händchen. Ich scherzte ja nur.
  • Die zweite Dame. Hier haben Sie meine Hand -- ich bin ja gar nicht böse.
  • (Sie wendet sich an Herrn N.) Hören Sie: bitte raten Sie doch dem Autor,
  • daß er einen edlen und ehrlichen Menschen in die Komödie hineinbringt.
  • Herr N. Ja aber wie soll man das machen? Wie, wenn er nun einen
  • ehrlichen Menschen hineinbrächte und dieser ehrliche Mensch ein
  • Theaterheld würde?
  • Die zweite Dame. O nein, wenn er wirklich stark und tief empfindet, so
  • wird sein Held kein Theaterritter werden.
  • Herr N. Aber ich glaube, das ist nicht so leicht zu machen.
  • Die zweite Dame. Sagen Sie doch einfach, daß Ihr Autor keine starken und
  • tiefen Seelenregungen hat.
  • Herr N. Aber warum nur?
  • Die zweite Dame. Nun, wer unaufhörlich und immerfort lacht, der kann
  • doch keine allzu hohen Gefühle haben: unmöglich kann ihm bekannt sein,
  • was nur ein zartes Herz empfindet.
  • Herr N. Das ist ausgezeichnet! Also nach Ihnen kann der Verfasser kein
  • edler Mensch sein?
  • Die zweite Dame. Sehen Sie! Sie legen es gleich ganz anders aus. Ich
  • habe doch kein Wort davon gesagt, daß ein Komödiendichter nicht edel
  • sein und keinen strengen Begriff von der Ehre im vollen Sinn dieses
  • Wortes haben kann. Ich sage nur, daß er nicht imstande ist ... eine von
  • Herzen kommende Träne zu vergießen und etwas aus ganzer Kraft, aus
  • tiefster Seele zu lieben.
  • Der Mann der zweiten Dame. Aber wie kannst du das nur so positiv
  • behaupten?
  • Die zweite Dame. Ich kann es, weil ich es weiß. Alle Menschen, die immer
  • nur lachten, oder Spötter waren, besaßen eine große Eigenliebe und waren
  • fast alle Egoisten; vornehme und edle Egoisten natürlich -- aber immer
  • doch Egoisten.
  • Herr N. Also Sie geben unbedingt jener Art von Werken den Vorzug, in
  • denen nur die hohen Regungen der Menschen vorkommen.
  • Die zweite Dame. Aber natürlich! Ich werde sie immer höher stellen, und
  • ich muß gestehen, ich habe mehr inneres Vertrauen zu einem solchen
  • Autor.
  • Der Mann der ersten Dame (wendet sich an Herrn N.). Nun, du siehst doch,
  • es kommt auf das gleiche hinaus -- so ist der Geschmack der Frauen. In
  • ihren Augen steht die banalste Tragödie höher als die allerbeste
  • Komödie. Schon allein, weil es eine Tragödie ist ...
  • Die zweite Dame. Schweigen Sie, sonst werde ich wieder böse. (Wendet
  • sich an Herrn N.) Nun sagen Sie, habe ich denn nicht die Wahrheit
  • gesagt: ein Komödienschreiber muß doch unbedingt eine kalte Seele haben?
  • Der Mann der zweiten Dame. Oder eine glühende, denn ein reizbares
  • Temperament fordert doch auch zum Spott und zur Satire heraus.
  • Die zweite Dame. Oder eine leicht erregbare Seele. Aber was bedeutet
  • das? -- Das bedeutet, daß der Anlaß zu diesen Werken immer nur Galle,
  • Verbitterung, Empörung ist, wenn auch eine in jeder Hinsicht gerechte
  • Empörung. Aber es fehlt das, was erkennen läßt, daß das Werk aus einer
  • hohen Liebe zur Menschheit ... kurz aus Liebe geboren ward. Nicht wahr?
  • Herr N. Sehr richtig.
  • Die zweite Dame. Und nun sagen Sie: hat der Autor der Komödie
  • Ähnlichkeit mit diesem Porträt?
  • Herr N. Wie soll ich Ihnen sagen? Ich kenne ihn nicht so gut, um über
  • seine Seele urteilen zu können. Aber wenn ich überlege, was ich alles
  • von ihm gehört habe, so muß er entweder ein Egoist oder ein sehr
  • reizbarer Mensch sein.
  • Die zweite Dame. Nun sehen Sie, ich wußte es doch ganz genau.
  • Die erste Dame. Ich weiß nicht warum -- aber ich möchte nicht, daß er
  • ein Egoist wäre.
  • Der Mann der ersten Dame. Ah, da kommt unser Lakai, unser Wagen ist also
  • vorgefahren. Leben Sie wohl. (Drückt der zweiten Dame die Hand.) Sie
  • kommen doch zu uns, nicht wahr? Wir wollen doch bei uns zu Hause Tee
  • trinken?
  • Die erste Dame (im Weggehen). Gern.
  • Die zweite Dame. Unbedingt.
  • Der Mann der zweiten Dame. Ich glaube, unser Wagen ist auch vorgefahren.
  • (Folgen ihnen.)
  • (Zwei Zuschauer treten herein.)
  • Der erste. Erklären Sie mir nur das eine: wenn man jeden Akt, jede
  • Person, jeden Charakter einzeln betrachtet, warum sieht man dann, daß
  • alles wahr, alles lebendig und der Natur entnommen ist, und doch
  • erscheint es im ganzen als etwas Ungeheuerliches, Übertriebenes, als
  • eine Karikatur, so daß man sich nach Verlassen des Theaters
  • unwillkürlich fragt: existieren denn wirklich solche Menschen? Und dabei
  • sind es doch nicht eigentlich Verbrecher!
  • Der zweite. Nicht im geringsten -- es sind durchaus keine Verbrecher!
  • Sie sind einfach das, was das Sprichwort so ausdrückt: Kein böser Sinn,
  • ein Schelm schlechthin.
  • Der erste. Und dann noch eins: diese ungeheure Anhäufung, dieses Übermaß
  • -- ist das nicht schon ein Fehler einer Komödie? Sagen Sie mir, wo gibt
  • es eine Gesellschaft, die aus lauter solchen Menschen besteht, wo --
  • wenn nicht die Hälfte -- so doch mindestens nicht ein kleiner Bruchteil
  • anständige Menschen sind. Wenn eine Komödie ein Bild, ein Spiegel
  • unseres sozialen Lebens sein soll, so muß dieses sich in voller
  • Deutlichkeit spiegeln.
  • Der zweite. Erstens ist meiner Meinung nach diese Komödie kein Bild,
  • sondern eher noch eine Frontispice. Sie sehen, Szene und Schauplatz sind
  • imaginär. Sonst hätte der Autor wohl keine Fehler und keine
  • offensichtlichen Anachronismen begangen und nicht manche Personen solche
  • Worte sagen lassen, die weder ihrem Charakter noch der Stellung, die sie
  • einnehmen, entsprechen. Nur die erste Gereiztheit hat das für eine
  • persönliche Anspielung nehmen können, worin auch nicht einmal ein
  • Schatten von Persönlichem liegt und was mehr oder weniger allen Menschen
  • eigen ist. Das ist vielmehr ein großer Sammelpunkt: von überall her, aus
  • allen Winkeln Rußlands sind hier alle Abnormitäten, alle Mißbräuche und
  • Verirrungen zusammengeströmt, um einer Idee zu dienen und dem Zuschauer
  • eine lebhafte edle Abscheu vor vielem Häßlichen und Niedrigen
  • einzuflößen. Der Eindruck wird aber immer größer, weil keine der
  • dargestellten Personen alles Menschliche verloren hat: überall klingt
  • dies Menschliche hindurch. Dadurch wird die seelische Erschütterung noch
  • tiefer, und wenn der Zuschauer lacht, wendet er sich unwillkürlich um,
  • wie wenn er fühlte, daß ihm das ganz nahe ist, worüber er lachte, und
  • daß er jeden Augenblick darüber wachen muß, daß es nicht in seine eigene
  • Seele hinüberfließe. Am amüsantesten mußte wohl folgender Vorwurf für
  • den Autor sein, wie ich glaube. »Warum sind seine Personen und Helden
  • nicht sympathisch?« während er doch alles getan hat, um sie recht
  • abstoßend zu machen. Und wenn auch nur _ein_ anständiger Mensch in die
  • Komödie hineingebracht worden wäre, mit der ganzen Anziehungskraft, die
  • von einem solchen ausgeht, so hätten sich alle, bis auf den Letzten, auf
  • die Seite des anständigen Menschen gestellt und die ganz und gar
  • vergessen, vor denen sie jetzt so erschrocken sind. Diese Gestalten
  • würden uns vielleicht nach der Vorstellung nicht so verfolgen, wie wenn
  • sie lebendig wären; der Zuschauer nähme kein schmerzliches Gefühl aus
  • dem Stück mit und würde sich nicht fragen: »Existieren denn wirklich
  • solche Menschen?«
  • Der erste. Gewiß. Aber das wird man doch nicht gleich begreifen.
  • Der zweite. Sehr natürlich. Der innere Sinn der Sache wird immer erst
  • nachher verstanden. Und je lebhafter, je deutlicher die Gestalten sind,
  • in denen er sich verkörpert und auf die er sich verteilt, um so mehr
  • bleibt die allgemeine Aufmerksamkeit an diesen Gestalten haften. Nur
  • wenn man sie zusammenaddiert, erhält man die Summe und den Sinn einer
  • solchen Schöpfung. Aber solche Zeichen schnell zergliedern und addieren,
  • sie sogleich auf den ersten Blick lesen -- das kann nicht jeder; und bis
  • dahin wird man immer nur Zeichen sehen. Und ich sage es Ihnen im Voraus,
  • Sie werden es noch erleben: vor allem wird jedes Kreisstädtchen in
  • Rußland in Empörung geraten und behaupten, daß das eine böse Satire,
  • eine platte und gemeine Erdichtung ist, die sich offen gegen dies
  • Städtchen richtet. (Sie entfernen sich.)
  • Ein Beamter. Das ist nichts wie eine platte gemeine Erdichtung! Das ist
  • eine Satire! Ein Pasquill!
  • Ein anderer Beamter. Jetzt ist also gar nichts mehr übriggeblieben. Man
  • braucht keine Gesetze, man braucht auch dem Staate nicht zu dienen.
  • Diese Uniform, die ich trage, -- muß ich also fortwerfen: sie ist jetzt
  • nicht mehr als ein Lappen.
  • (Zwei junge Menschen laufen herein.)
  • Der eine. Jetzt sind alle zornig. Ich habe schon so viel reden hören,
  • daß ich schon, wenn ich einen bloß ansehe, erraten kann, was er über das
  • Stück denkt.
  • Der andere. Nun, und was denkt dieser da?
  • Der erste. Der grade in die Ärmel seines Mantels fährt?
  • Der andere. Ja.
  • Der erste. Der denkt folgendes: »Für so eine Komödie solltest du mir
  • nach Nertschinsk! ...« Aber ich glaube, die Galerie kommt schon
  • herunter. Das Vaudeville scheint schon aus zu sein. Gleich wird der
  • Strom der kleinen Leute hereinbrechen. Wir wollen gehen. (Beide
  • entfernen sich.)
  • (Der Lärm wird stärker; man hört und sieht die Menschen alle
  • Treppen herunterlaufen. Es kommen: Bauernröcke, Pelzjacken,
  • Hauben, lange deutsche Kaufmanns-Kaftans, Dreimaster und
  • Federbüsche, Mäntel aller Arten: Friesmäntel, Militäruniformen,
  • abgetragene und stutzerhafte mit Biberkragen. Die Menge stößt den
  • Herrn, der in die Ärmel des Mantels fährt, weg; der Herr tritt
  • zur Seite und fährt dort fort, den Mantel anzuziehen. In der
  • Menge werden Herren und Beamte aller Art sichtbar. Lakaien in
  • Livree bahnen den gnädigen Frauen den Weg.)
  • Man hört eine kreischende Frauenstimme: Herrgott, man erdrückt mich ja
  • ganz von allen Seiten.
  • Ein geschmeidiger junger Beamter (läuft an den Herrn heran, der den
  • Mantel anzieht). Erlauben Exzellenz, daß ich Ihnen den Mantel halte.
  • Der Herr im Mantel. Ah, guten Tag! Du hier? Du bist wohl hergekommen, um
  • das Stück zu sehen?
  • Der junge Beamte. Jawohl, Exzellenz, es ist sehr gut und mit viel Witz
  • beobachtet!
  • Der Herr im Mantel. Ach Unsinn! Da gibts gar nichts Witziges!
  • Der junge Beamte. Sehr richtig, Exzellenz! Absolut nichts!
  • Der Herr im Mantel. Für solche Sachen verdient man, ausgepeitscht und
  • nicht noch gelobt zu werden.
  • Der junge Beamte. Jawohl, Exzellenz.
  • Der Herr im Mantel. Daß man die jungen Leute nur ins Theater läßt! Die
  • werden dort viel Nützliches lernen! Auch du: jetzt wirst du wohl in die
  • Kanzlei kommen und gleich mit Grobheiten beginnen?
  • Der junge Beamte. Wie könnte ich nur, Exzellenz! ... Gestatten Sie, daß
  • ich Ihnen den Weg freimache. (Zu der Menge, während er ein paar Leute
  • fortstößt.) He, ihr da, macht Platz! Ein General kommt! (Tritt mit
  • übertriebener Höflichkeit an zwei stutzerhaft gekleidete Herren heran.)
  • Meine Herren, tuen Sie mir den Gefallen, lassen Sie den General durch!
  • (Die gutgekleideten Herren treten zur Seite und geben den Weg frei.)
  • Der erste. Weißt du, was das für ein General ist? Es muß wohl eine
  • bekannte Größe sein?
  • Der zweite. Ich weiß nicht. Ich habe ihn noch nie gesehen.
  • Ein redseliger Beamter (mischt sich von hinten in das Gespräch). Ein
  • ganz einfacher Staatsrat vierter Klasse. So ein Glück! Nach
  • fünfzehnjährigem Dienst hat er schon den Wladimir-, den Anna- und
  • Stanislaworden, dreitausend Rubel Gehalt, und außerdem zweitausend
  • Zuschuß und dazu noch Zulagen vom Rat, von der Kommission und vom
  • Departement.
  • Die gutgekleideten Herren (einer zum andern). Gehen wir. (Sie entfernen
  • sich.)
  • Der redselige Herr. Das sind wohl verwöhnte Muttersöhnchen. Dienen
  • wahrscheinlich im auswärtigen Amt. Ich habe die Komödien nicht gern;
  • meinem Geschmack entspricht mehr die Tragödie. (Geht ab.)
  • Eine Stimme aus der Menge. Wieviel Volk hier zusammengeströmt ist!
  • Ein Offizier (drängt sich mit einer Dame am Arm durch die Menge). He,
  • ihr Langbärte da, drängt doch nicht so. Siehst du denn nicht -- das ist
  • eine Dame!
  • Ein Kaufmann (mit einer Dame am Arm). Wir haben doch auch eine Dame bei
  • uns, Väterchen.
  • Eine Stimme aus der Menge. Jetzt hat sie sich umgesehen, siehst du,
  • siehst du? Sie ist jetzt häßlicher geworden -- aber vor drei Jahren ...
  • Verschiedene Stimmen. Hörst du, dreißig Kopeken habe ich von ihm
  • zurückbekommen. -- Ein schurkisches, schlechtes Stück! -- Ein amüsantes
  • Stück. -- Was drängst du dich mir bis an die Gurgel ran?
  • Eine Stimme vom äußersten Ende. Das ist alles Unsinn! Wo hätte sich so
  • ein Ereignis abspielen können? So etwas könnte höchstens noch auf der
  • Tschukotzki-Insel geschehen.
  • Eine Stimme vom anderen Ende. Nun, ganz so eine Sache ist unserer Stadt
  • passiert. Ich glaubte schon, der Autor habe -- wenn er nicht selbst dort
  • gewesen ist -- doch zum mindesten davon gehört.
  • Die Stimme des Kaufmanns. Es ist -- sehen Sie wohl -- sozusagen mehr von
  • der moralischen Seite gesehen. Gewiß, es gibt sozusagen sehr
  • verschiedene Menschen. Aber wollen Sie bitte in Betracht ziehen, daß
  • auch ein ehrlicher Mensch, wenn die Gelegenheit sich bietet ... Und von
  • wegen der Moral -- so kommt das auch bei den Adligen vor.
  • Die Stimme eines Mäzens. Wahrscheinlich ist er eine Kanaille, ein Schuft
  • -- dieser Dichter: alles hat er ausgekundschaftet, er weiß alles!
  • Die Stimme eines brummigen, aber offenbar erfahrenen Beamten. Was weiß
  • er denn? Den Teufel weiß er! Und schwindeln tut er, schwindeln: alles,
  • was er da geschrieben hat -- alles ist gelogen! Man nimmt auch die
  • Schmiergelder nicht auf diese Weise, wenn es darauf ankommt ...
  • Die Stimme eines andern Beamten aus der Menge. Ach was sagen Sie:
  • »Lächerlich, ganz lächerlich!« Wissen Sie auch warum das lächerlich ist?
  • Das sind doch alles bestimmte Personen. Er hat nämlich alle seine
  • Großmütter und Tanten dargestellt. Das ist das Lächerliche daran!
  • Eine unbekannte Stimme. Halt, man hat ein Tuch gestohlen!
  • (Zwei Offiziere, die sich erkennen, begrüßen einander über die
  • Menschen hinweg.)
  • Der erste. Michèl, gehst du hin?
  • Der zweite. Jawohl.
  • Der erste. Nun, ich bin auch dort.
  • Ein Beamter von bedeutendem Äußern. Ich würde alles verbieten. Nichts
  • braucht man zu drucken. Genieße die Errungenschaften der Bildung, lies
  • -- aber schreib nicht! Es gibt schon genug Bücher -- wir brauchen keine
  • mehr!
  • Eine Stimme aus dem Volke. Nun wenn er ein Schurke ist -- so ist er eben
  • ein Schurke! Sei kein Schurke, und man wird nicht über dich lachen.
  • Ein hübscher und wohlbeleibter Herr (spricht hitzig zu einem
  • unansehnlichen kleinen Herrn). Die Sittlichkeit leidet darunter, die
  • Sittlichkeit leidet darunter -- das ist das Wesentliche.
  • Ein kleiner, unansehnlicher Herr von boshaftem Charakter. Aber die
  • Sittlichkeit ist doch etwas Relatives.
  • Der schöne und beleibte Herr. Was verstehen Sie unter dem Wort
  • »relativ«?
  • Der unansehnliche kleine Herr von boshaftem Charakter. Das, daß jeder
  • die Sittlichkeit mit seinem eigenen Maßstabe mißt. Der eine nennt es
  • sittlich, wenn man den Hut vor ihm auf der Straße lüftet. Der andere
  • nennt das Sittlichkeit, daß man durch die Finger sieht, wenn er stiehlt;
  • der dritte nennt die Dienste sittlich, die man seiner Geliebten erweist.
  • Wie sagt doch jeder von uns gewöhnlich zu seinen Untergebenen? -- Er
  • erklärt von oben herab: »Mein Herr, geben Sie sich Mühe, Ihre Pflicht
  • gegen Gott, Kaiser und Vaterland zu erfüllen,« worauf das aber zu
  • beziehen ist -- das kannst du dir selbst zurechtlegen. Allerdings ist
  • das nur noch in der Provinz üblich, in der Residenz passiert so etwas
  • nicht mehr, nicht wahr? Wenn sich hier jemand in drei Jahren zwei Häuser
  • anschafft -- wie hängt das zusammen? Doch nur mit der Ehrlichkeit; nicht
  • wahr?
  • Der hübsche beleibte Herr (beiseite). Der ist bös wie der Teufel und hat
  • eine Zunge wie eine Schlange!
  • Der unansehnliche Herr von boshaftem Charakter (stößt einen ihm gänzlich
  • unbekannten Herrn am Arm und spricht zu ihm, indem er auf den hübschen
  • Herrn hinweist). Vier Häuser in einer Straße; alle nebeneinander, die
  • sind in sechs Jahren aus der Erde gewachsen! Wie wirkt die Ehrlichkeit
  • auf die Vegetation, was?
  • Der Unbekannte (entfernt sich eilig). Verzeihen Sie, ich habe nicht ganz
  • verstanden ...
  • Der unansehnliche Herr von boshaftem Charakter (stößt einen unbekannten
  • Nachbar am Arm). Wie sich heutzutage die Taubheit in der Stadt
  • verbreitet hat, was? Das macht alles das ungesunde und feuchte Klima!
  • Der unbekannte Nachbar. Ja, und die Grippe. Bei mir waren sämtliche
  • Kinder krank.
  • Der unansehnliche Herr von boshaftem Charakter. Ja, die Grippe, die
  • Taubheit und der Ziegenpeter im Halse. (Verliert sich in der Menge.)
  • (Eine Unterhaltung in einer abseits stehenden Gruppe.)
  • Der erste. Man behauptet, daß mit dem Autor selbst eine ähnliche
  • Geschichte passiert ist; er soll schuldenhalber in einem Städtchen im
  • Gefängnis gesessen haben.
  • Ein Herr auf der anderen Seite der Gruppe (fällt ihm ins Wort). Nein,
  • nicht im Gefängnis, sondern auf einem Turm. Vorüberfahrende haben es
  • gesehen. Man sagt, es sei etwas Außerordentliches gewesen. Denken Sie
  • sich, ein Dichter auf einem fabelhaft hohen Turm, ringsherum Berge, in
  • einer entzückenden Lage und von dort herab rezitiert er seine Gedichte.
  • Nicht wahr, darin offenbart sich doch ein ganz besonderer Zug des
  • Dichters?
  • Ein positiv gesinnter Herr. Der Autor muß ein gescheiter Mensch sein.
  • Ein negativ gesinnter Herr. Aber nicht im geringsten. Ich weiß, er hat
  • gedient, und man hat ihn fortgejagt: er war nicht einmal imstande, ein
  • Gesuch abzufassen.
  • Ein ganz gewöhnlicher Lügner. Ein kecker, ein schlauer Kopf! Man wollte
  • ihm lange keine Anstellung geben -- und was glauben Sie? Er schrieb ganz
  • einfach einen Brief an den Minister. Und wie der geschrieben war! -- In
  • Quintilianischem Stil. Schon allein der Anfang: »Sehr geehrter Herr!«
  • Und so ging es weiter, weiter und weiter ... so an die acht Seiten
  • heruntergehauen! Als der Minister das las, sagte er: »nun, ich danke,
  • ich danke! Ich sehe, du hast viel Feinde. Du sollst Chef der Abteilung
  • werden.« Und so hat er sich gleich von einem gewöhnlichen Schreiber zum
  • Abteilungschef aufgeschwungen.
  • Ein Herr mit gutmütigem Charakter (wendet sich zu einem anderen
  • kaltblütigen Herrn). Der Teufel weiß, wem man da glauben soll! Im
  • Gefängnis hat er gesessen und auf den Turm ist er geklettert! Aus dem
  • Dienst hat man ihn gejagt und eine Anstellung hat er bekommen.
  • Ein kaltblütiger Herr. Das sind ja alles Improvisationen.
  • Der gutmütige Herr. Wieso -- Improvisationen?
  • Der kaltblütige Herr. Ganz einfach ... Zwei Minuten vorher wissen sie ja
  • selbst nicht, was sie von sich hören werden. Ein Zungenschlag -- und
  • plötzlich platzen sie, ohne daß sie selbst etwas davon wissen, mit einer
  • Neuigkeit heraus, sind zufrieden, -- und kehren nach Haus zurück, als ob
  • sie sich satt gegessen hätten. Am andern Tag aber ist alles vergessen,
  • was sie selbst sich ausgedacht hatten. Es scheint ihnen, als ob sie es
  • von andern Leuten gehört hätten, und dann gehen sie los und erzählen es
  • in der ganzen Stadt herum.
  • Der gutmütige Herr. Aber das ist gewissenlos: lügen und es selbst nicht
  • fühlen.
  • Der kaltblütige Herr. Oh, es gibt auch empfindliche Leute. Es gibt
  • solche, die fühlen, daß sie lügen, aber sie halten es in der
  • Unterhaltung für etwas Notwendiges: Wie das Korn auf dem Felde das Auge
  • entzückt, so eine Lüge die Rede erst schmückt.
  • Eine gutsituierte Dame. Aber was für ein boshafter Spötter dieser Autor
  • sein muß! Ich gestehe, daß ich ihm um keinen Preis unter die Augen
  • kommen möchte: er würde sofort etwas Komisches an mir entdecken.
  • Ein Mann von Gewicht. Ich weiß nicht, was für ein Mann das ist. Das ist
  • ... das ist ... das ist ... Für diesen Menschen gibt es nichts Heiliges:
  • heut sagt er: der Rat Soundso ist kein guter Beamter, und morgen wird er
  • erklären, daß es keinen Gott gibt. Bis dahin ist nur ein Schritt.
  • Ein zweiter Herr. Verspotten! Aber mit dem Lachen darf man nicht spaßen!
  • Das heißt doch jede Achtung zerstören -- ja das heißt es!! Danach kann
  • ja jeder kommen und mir auf der Straße einen Schlag versetzen und sagen:
  • »Man lacht doch über euch; du bekleidest doch dasselbe Amt, da hast du
  • eine Ohrfeige!« Jawohl, das bedeutet es.
  • Ein dritter Herr. Natürlich! Das ist eine ernste Sache. Man sagt: »so
  • eine Kleinigkeit, so eine Bagatelle: eine Theatervorstellung!« Nein, das
  • ist gar keine solche Kleinigkeit. Darauf muß man ernstlich achtgeben!
  • Für solche Sachen kommt man nach Sibirien. Wenn ich die Macht hätte --
  • würde der Autor nicht zu mucksen wagen! Ich würde ihn an einen solchen
  • Ort bringen lassen, wo kein Lichtstrahl hineinfällt.
  • (Es erscheint eine Gruppe von Menschen, von Gott weiß welcher
  • Art, übrigens aber von vornehmem Äußeren und gutgekleidet.)
  • Der erste. Bleiben wir lieber hier stehen, bis die Menge sich verlaufen
  • hat. Nein, was soll das wirklich! Lärm machen, in die Hände klatschen,
  • als ob das Gott weiß was wäre! So eine Kleinigkeit, irgendein
  • bedeutungsloses Theaterstück -- und so einen Alarm zu schlagen!
  • Schreien, den Autor hervorrufen -- was soll das wirklich!
  • Der zweite. Immerhin war das Stück amüsant und unterhaltend.
  • Der erste. Nun ja, amüsant, so wie uns gewöhnlich jede Bagatelle
  • amüsiert. Aber warum dieser Lärm, diese Diskussionen? Man streitet
  • darüber wie über eine wichtige Sache, man applaudiert ... was soll das
  • bedeuten! Schön, ich verstehe, wenn es sich noch um eine Sängerin oder
  • Tänzerin handelte -- das verstände ich noch: da bewundert man doch
  • wenigstens die Kunst, die Geschmeidigkeit, die Geschicklichkeit, das
  • natürliche Talent. Aber hier? Man schreit: »ein Literat, ein Literat,
  • ein Schriftsteller«! Ja, was ist denn ein Schriftsteller? Weil ihm
  • manchmal ein witziges Wort einfällt, oder weil er die Natur abschreibt
  • ... Ist denn das so schwer? Was ist denn das für eine Kunst? Das sind
  • doch alles Fabeln und weiter nichts!
  • Der zweite. Aber natürlich -- eine höchst mittelmäßige Sache.
  • Der erste. Denken Sie selbst: Ein Tänzer zum Beispiel: Das ist doch
  • immerhin Kunst, was er leistet, das kann ihm doch keiner nachmachen.
  • Wenn ich es zum Beispiel wollte: ja bei mir würden sich einfach die Füße
  • nicht von der Stelle bewegen. Ich sollte mal versuchen, einen Entrechat
  • zu machen: ich würde keinen einzigen fertig bringen. Aber schreiben kann
  • man, auch ohne es gelernt zu haben. Ich weiß nicht, wer der Autor ist,
  • aber man hat mir erzählt, daß er ein absolut ungebildeter Mensch ist,
  • der nichts weiß -- den man irgendwo hinausgeworfen hat.
  • Der zweite. Aber erlauben Sie mal, etwas muß er doch wissen: ohne dies
  • kann man doch nicht schreiben.
  • Der erste. Aber ich bitte Sie, was kann er denn wissen? Sie wissen ja
  • selbst, was ein Literat ist. Der leerste Mensch! Das ist doch
  • weltbekannt -- zu nichts zu gebrauchen. Man hat schon versucht, sie
  • irgendwie zu verwenden -- aber man hat es aufgegeben. Nun sagen Sie
  • selbst: was schreiben sie denn? Das sind doch alles Torheiten und
  • Fabeln. Wenn ich wollte, könnte ich sofort so etwas schreiben, und
  • ebenso Sie und er, jeder kann so etwas schreiben.
  • Der zweite. Nun ja ... gewiß -- warum sollte man so etwas nicht
  • schreiben können. Wenn man nur ein Funken Verstand im Kopf hat, so kann
  • man es schon.
  • Der erste. Man braucht auch keinen Verstand dazu. Wozu denn Verstand?
  • Das sind doch alles Fabeln. Ja, wenn es noch zum Beispiel eine
  • schwierige Wissenschaft wäre, irgendeine Sache die man nicht kennt --
  • aber was ist denn das? Das weiß doch jeder Bauer. Das kann man jeden Tag
  • auf der Straße sehen. Man braucht sich nur ans Fenster zu setzen und
  • sich alles zu notieren, was passiert -- das ist das ganze Kunststück.
  • Der dritte. Das ist wahr. Wahrhaftig, wenn man nur bedenkt, mit was für
  • Unsinn man seine Zeit vergeudet!
  • Der erste. Sehr richtig, das ist Zeitverschwendung und sonst nichts.
  • Lauter Fabeln und Torheiten! Man müßte es einfach verbieten, ihnen Tinte
  • und Feder in die Hand zu geben. Aber das Volk strömt heraus -- wollen
  • wir gehen! Lärm machen, schreien, Beifall klatschen! Und die Sache ist
  • doch ganz wertlos! Fabeln! (Sie entfernen sich. Die Menge lichtet sich,
  • einige Zurückgebliebene laufen vorüber.)
  • Der gutmütige Beamte. Nun immerhin, er hätte doch wirklich wenigstens
  • einen anständigen Menschen auftreten lassen können. Aber nichts als
  • Schurken und Gauner!
  • Ein Mann aus dem Volke. Hörst du, erwarte mich an der Straßenkreuzung!
  • Ich laufe nur hinein und hole meine Handschuhe.
  • Ein vornehmer Herr (sieht auf die Uhr). Es ist bald ein Uhr. Noch nie
  • bin ich so spät aus dem Theater gekommen. (Er entfernt sich.)
  • Ein Beamter der sich verspätet hat. Nichts als unnütz verlorene Zeit!
  • Nein, ich gehe nie mehr ins Theater! (Er entfernt sich, das Vestibül
  • leert sich.)
  • Der Autor des Stücks (tritt hervor). Ich habe mehr gehört, als ich
  • vermutete. Was für eine bunte Menge von Ansichten. Wie glücklich ist
  • doch der Komödiendichter, der einer Nation entstammt, wo die
  • Gesellschaft noch keine kompakte unbewegliche Masse bildet, wo sie noch
  • nicht von einer Rinde alter Vorurteile umgeben ist, die die Gedanken
  • aller mit derselben Form und demselben Maß umschließt; wo jeder Mensch
  • seine eigene Meinung hat, wo jeder selbst der Schöpfer seines Charakters
  • ist. Welche Mannigfaltigkeit liegt in allen diesen Meinungen, und wie
  • leuchtete doch aus allen der starke, klare, russische Geist hervor!: in
  • dem edlen Streben des Staatsmanns, in der hohen Selbstverleugnung des in
  • die Provinz verschlagenen Beamten, in der zarten Schönheit einer
  • großmütigen Frauenseele, dem ästhetischen Gefühl der Kenner und in dem
  • schlichten sicheren Instinkt des Volkes. Wie war selbst in den
  • unfreundlichen Urteilen noch so vieles enthalten, was der
  • Komödiendichter wissen muß! Ja, ich bin befriedigt. Aber warum wird mir
  • so traurig ums Herz ...? Seltsam: es schmerzt mich, daß keiner die
  • redliche Person bemerkt hat, die in meinem Stück auftritt. Und doch gibt
  • es eine ehrliche, edle Persönlichkeit, die während des ganzen Stückes
  • mitwirkt. Diese edle ehrliche Person war -- das _Lachen_. Es war
  • hochherzig, weil es sich hervorzutreten entschloß, trotz der gemeinen
  • Bedeutung, die die Welt ihm beilegt. Es war hochherzig, weil es sich
  • hervorzutreten entschloß, obschon es dem Komödiendichter einen
  • schlechten Ruf einbrachte -- den Ruf eines kalten Egoisten, und sogar
  • die Leute zwang, an das Vorhandensein zarter Seelenregungen bei ihm zu
  • zweifeln. Für dieses Lachen ist keiner eingetreten. Ich aber, der
  • Komödiendichter, ich diente ihm treu und ehrlich, und darum muß ich sein
  • Fürsprecher sein. Nein, das Lachen hat eine größere Bedeutung und ist
  • tiefer, als alle glauben -- nicht das Lachen, das ein flüchtiger Reiz,
  • das die Galle oder ein krankhafter Charakter erzeugt; auch nicht das
  • leichte Lachen, das der müßigen Zerstreuung und Unterhaltung dient --
  • sondern jenes Lachen, das ganz aus der lichten Natur des Menschen strömt
  • -- das aus ihr hervorströmt, weil sich auf ihrem Grunde sein ewig
  • sprudelnder Quell befindet; ein Lachen das den Gegenstand vertieft, und
  • hell hervortreten läßt, was sonst flüchtig vorübergeglitten wäre, und
  • ohne dessen durchdringende Kraft diese Kleinheit und die Hohlheit des
  • Lebens den Menschen nicht so mit Schrecken erfüllen würde. Das
  • Verächtliche und Nichtige, an dem er täglich gleichgültig vorbeigeht,
  • würde nicht mit dieser furchtbaren, beinahe bizarren Gewalt vor ihm
  • emporwachsen und er würde nicht in den Ruf ausbrechen: »Gibt es denn
  • wirklich solche Menschen?« während es, wie er selbst weiß, noch viel
  • schlimmere Menschen gibt. Nein, die haben unrecht, die da behaupten, daß
  • das Lachen uns empört. Nur das Finstere empört uns, das Lachen aber ist
  • leuchtend und hell. Vieles würde den Menschen empören, wenn es ihm in
  • seiner ganzen Nacktheit gezeigt würde, aber von der Macht des Lachens
  • erleuchtet, bringt es unserer Seele Frieden und Versöhnung. Und wer an
  • einem boshaften Menschen Rache nehmen will, söhnt sich schon beinahe mit
  • ihm aus, wenn er gewahr wird, wie die gemeinen Regungen seiner Seele
  • verlacht werden. Die sind ungerecht, die da behaupten, das Lachen wirke
  • nicht auf die, gegen die es gerichtet ist, und daß der Spitzbube der
  • erste ist, der über einen andern Spitzbuben lacht. Der Enkel des
  • Schurken wird darüber lachen, aber über seinen schurkischen Zeitgenossen
  • wird kein Spitzbube lachen können. Er merkt, daß sich der Eindruck
  • seines Wesens schon allen unwiderstehlich eingeprägt hat, daß eine
  • einzige gemeine Bewegung von ihm genügt, um ihm diesen Eindruck als
  • ewiges Kennzeichen anzuheften; und vor dem Spott fürchtet sich sogar
  • der, der sich vor nichts auf der Welt mehr fürchtet. Nein, nur dem ist
  • jenes gütige Lachen gegeben, der ein von Grund aus gutes Herz hat. Aber
  • man hört sie nicht, die gewaltsame Macht dieses Lachens; »was lächerlich
  • ist, ist gemein«, sagt die Welt; nur das, was im erhobenem Tone gesagt
  • wird, nur das wird als das Hohe bezeichnet. Aber mein Gott, wie viel
  • Menschen gehen täglich an uns vorüber, für die es überhaupt nichts Hohes
  • in der Welt gibt! Alles, was die Begeisterung erschuf, ist für sie
  • Torheit und Fabelei. Die Werke Shakespeares sind Fabeln für sie, die
  • heiligsten Regungen der Seele sind auch nichts als Fabeln. Nein, nicht
  • verletzte kleinliche Dichtereitelkeit zwingt mich, das zu sagen, nicht
  • weil meine unreifen schwachen Schöpfungen soeben als Fabeln bezeichnet
  • wurden -- nein, ich sehe meine Fehler ein, ich sehe ein, daß ich
  • Vorwürfe verdient habe; aber meine Seele konnte es nicht gleichgültig
  • ertragen, daß die vollendetsten Schöpfungen als Torheiten und Fabeln
  • bezeichnet wurden, daß alle Leuchten und Sterne dieser Welt nur für
  • Verfasser von Torheiten und Fabeln gehalten wurden. Das Herz tat mir
  • weh, als ich sah, wieviel stumpfe, tote Menschen es hier, mitten im
  • treibenden Leben gibt, die uns durch die starre Kälte ihrer Seelen
  • erschrecken, durch die unfruchtbare Wüstenei ihrer Herzen; das Herz tat
  • mir weh, als ich sah, wie auf ihren unempfindlichen Gesichtern auch
  • nicht die Spur eines Eindrucks dessen aufblitzte, was einer von tiefer
  • Liebe erfüllten Seele himmlische Tränen entlockt hätte. Und ihre Zunge
  • zögerte keinen Augenblick, ihr ewiges »Fabeln«, »Fabeln« auszusprechen.
  • Doch sieh, Jahrhunderte sind verflossen, Städte und Völker sind vom
  • Angesicht der Erde getilgt und verschwunden, wie Rauch ist alles
  • verflogen, was einstmals war -- aber die Fabeln leben noch und
  • wiederholen sich bis heute, und andächtig lauschen ihnen weise
  • Herrscher, tiefsinnige Fürsten, der herrliche Greis und der von edlem
  • Streben erfüllte Jüngling. Fabeln ...! Es ächzen die Balkone und die
  • Brüstungen des Theaters: von oben bis unten erschauert alles, ist ganz
  • in ein einziges Gefühl, in einen Augenblick verwandelt, alles
  • verschmilzt zu einem einzigen Menschen, alle Menschen treffen wie Brüder
  • in einer seelischen Regung zusammen, und der einstimmige Beifallssturm
  • wird zu einer hehren Dankhymne für den, der schon seit fünfhundert
  • Jahren nicht mehr auf der Welt ist. Vernehmen es seine verwesten Knochen
  • im Grabe? Gibt seine Seele Antwort, die im Leben so herbes Leid erduldet
  • hat? Fabeln ...! Dort, in die Reihen der erschütterten Menge tritt ein
  • vom Unglück und der schier unerträglichen Last des Lebens Gebeugter;
  • schon will er in seiner Verzweiflung Hand an sich legen -- da plötzlich
  • entströmen erfrischende Tränen seinen Augen, er geht hinaus, versöhnt
  • mit dem Leben, und bittet den Himmel um neue Leiden und Schmerzen, nur
  • damit er leben und wieder Tränen vergießen kann über solche Fabeln.
  • Fabeln ...! Die Welt würde einschlummern ohne solche Fabeln, das Leben
  • verflachen, Schlamm und Schimmel würden die Seele überziehen. Fabeln
  • ...! Oh! heilig seien die Namen derer, die solchen Fabeln andächtig
  • gelauscht haben, heilig noch ihren Enkeln bis in alle Ewigkeit: der
  • wunderbare Finger der Vorsehung schwebte ewig über dem Haupt ihrer
  • Schöpfer. Selbst in den Zeiten des Unglücks und der Verfolgungen traten
  • die Vornehmsten und Besten im Staate, als die ersten, schützend auf ihre
  • Seite, und ein gekrönter Monarch beschattete sie mit seinem königlichen
  • Schild von der Höhe seines unerreichbaren Thrones.
  • Wohlan denn, frisch auf den Weg. Nicht möge die Seele der Tadel
  • verwirren, sondern hochherzig nehme sie die Hinweise auf ihre Mängel
  • hin. Selbst das darf sie nicht betrüben, daß man ihr große Regungen und
  • die heilige Liebe zur Menschheit abspricht. Die Welt gleicht einem
  • Strudel: ewig kreisen in ihr Meinungen und Ansichten, aber sie alle
  • zermahlt die Zeit: wie eine Schale fallen die falschen ab, aber gleich
  • harten Körnern bleiben unerschütterlich die ewigen Wahrheiten bestehen.
  • Was einst als hohl und leer angesehen wurde, kann später mit ernster
  • Bedeutung ausgerüstet erscheinen. In der Tiefe eines kalten Gelächters
  • entdeckt man vielleicht plötzlich glühende Funken einer ewigen,
  • machtvollen Liebe. Und wer will es wissen -- vielleicht kommt einmal die
  • Zeit, wo alle Menschen anerkennen, daß kraft der gleichen Gesetze, nach
  • denen der Stolze und Starke im Unglück klein und schwach erscheint,
  • während das Elend den Schwachen zu einem Riesen emporwachsen läßt -- daß
  • kraft der gleichen Gesetze der, der häufig weint und bittre, von Herzen
  • kommende Tränen vergießt, vielleicht mehr lacht als alle andern auf der
  • Welt ...!
  • Anhang
  • Der Revisor
  • Diese Komödie ist im Jahre 1834 begonnen. Das Bühnenmanuskript wurde am
  • 4. Dezember 1835 vollendet und am 2. März für die Aufführung
  • freigegeben, trotzdem fuhr der Autor fort, auch nach der Freigabe durch
  • die Zensur an diesem Texte weiterzuarbeiten. Am 19. April 1836 fand die
  • erste Aufführung am Alexandertheater zu St. Petersburg, und zwar an
  • einem Sonntage statt -- das kleine Theater in Moskau folgte am 25. Mai
  • desselben Jahres. Zugleich mit der Aufführung erfolgte die Drucklegung
  • der Buchausgabe des Revisor, die sich in vieler Hinsicht von der
  • Bühnenausgabe unterschied. Das Buch erschien im April 1836 (die
  • Unterschrift des Zensors trägt das Datum: den 13. März 1836). Von diesem
  • Zeitpunkt ab ist der Revisor mehrmals und zu verschiedenen Zeiten immer
  • wieder umgearbeitet worden, bis er die Fassung erhielt, die im dritten
  • Bande der ersten Ausgabe der »Werke Gogols« abgedruckt ist. Die
  • endgültige Umarbeitung des Textes fällt in den Zeitabschnitt zwischen
  • dem März 1841 und dem 15. Juli 1842. Eine der letzten Fassungen, die im
  • Druck vorliegen, weist folgende Abweichungen gegenüber den
  • vorhergehenden Ausgaben auf:
  • 1) Ist die stumme Schlußszene, die in den früheren Ausgaben
  • folgendermaßen lautete, weit ausführlicher behandelt: »Alle stoßen einen
  • Schrei der Überraschung aus und bleiben mit offenem Munde und langen
  • Gesichtern stehen. Stumme Szene. Der Vorhang fällt.«
  • 2) In der zweiten Ausgabe von »Gogols Werken« fehlen folgende
  • Ausführungen über die Gäste, die offenbar vom Verfasser herstammen: »Die
  • Gäste müssen einen möglichst verschiedenartigen Charakter haben. Es
  • müssen große und kleine, dicke und dünne, ungekämmte und gekämmte
  • darunter sein. Auch müssen sie verschieden angezogen sein, die einen
  • müssen Fräcke, die andern ungarische Röcke und andre Röcke von
  • verschiedener Farbe und verschiedenem Schnitt tragen. Auch die Kostüme
  • der Damen müssen dieselbe Mannigfaltigkeit aufweisen, die einen müssen
  • ziemlich anständig angezogen sein, sogar mit einem gewissen Anspruch auf
  • Modernität, doch aber muß es immer an etwas fehlen: entweder sitzt die
  • Haube schief, oder sie haben einen ganz seltsamen Pompadour usw., wieder
  • andre haben Kleider an, die überhaupt keiner Mode entsprechen -- sie
  • tragen große Tücher und Hauben in Form eines Zuckerhutes -- überhaupt
  • muß man auf das Ganze des Stückes achten. Angst, Entsetzen,
  • Überraschung, Unruhe -- das alles muß plötzlich und überall in der
  • ganzen Gruppe der handelnden Personen zum Ausdruck kommen und sich
  • zugleich in jedem Einzelnen in seiner Weise und gemäß seinem besonderen
  • Charakter spiegeln« (Vergl. Seite 8).
  • 3) Die Stelle im Monolog Chlestakoffs (Seite 35 »Dieser Hauptmann« usw.)
  • hatte in den beiden ersten Ausgaben folgende Fassung: »Dieser Hauptmann
  • hat mich am meisten ausgebeutelt, übrigens: man kann sagen, was man
  • will, die Bestie konnte glänzend die Volte schlagen. Kaum ein
  • Viertelstündchen gespielt und ratzekahl geschoren! Er spielt wirklich
  • fein! Wenn ich doch noch einmal irgendwo mit ihm zusammentreffen könnte!
  • Übrigens, wie sollten wir noch einmal zusammentreffen? Zu alledem
  • bedarf's eines glücklichen Zufalls. Wenn ich doch nur schnell nach Hause
  • fahren könnte. Wirklich, ich habe das Reisen satt. Und dazu muß es noch
  • so ein ekelhaftes Nest sein! In andern Städten, da findet man doch noch
  • wenigstens etwas: hier dagegen gibt es auch gar nichts. Im Obstladen, da
  • gibt es zwar noch einen passablen Stör, aber die verdammten Verkäufer
  • geben einem so schrecklich wenig zum Probieren«.
  • 4) Ferner ist folgende Stelle aus den ersten beiden gedruckten Ausgaben
  • des Revisor umgearbeitet: »Chlestakoff (erschrocken). Da haben wir die
  • Bescherung! Daran hätte ich weiß Gott niemals gedacht. Diese Bestie von
  • Wirt! Was nun, wenn er mich wirklich ins Loch steckt! Hm! In ein
  • standesgemäßes Gewahrsam ... das wäre noch nicht so schlimm, da ginge
  • ich vielleicht noch mit. Nein, was sage ich, ich ginge noch mit? Gestern
  • haben mir zwei Kaufmannstöchter nachgesehen, und dann treiben sich da
  • auch immerfort Offiziere herum ... Nein damit bin ich nicht
  • einverstanden. Das kann er nicht machen, oder wenn er es täte, wäre er
  • ein solches Schwein ... Das kann man sich wohl mit irgendeinem Krämer
  • oder mit einem Handwerker erlauben ... Nein, nur nicht nachgeben (Mut
  • fassend). Was kann er mir antun? Ich sags ihm geradezu. Wie können Sie!
  • ... Ich will nichts davon wissen. (Die Türklinke bewegt sich,
  • Chlestakoff erbleicht).«
  • 5) Auch folgende Stelle aus der ersten und zweiten Ausgabe hat leichte
  • Änderungen erfahren: Seite 120. »Schweig still, gar nichts weißt du, und
  • menge dich nicht in anderer Leute Angelegenheiten. Anna Andrejewna,
  • glauben Sie mir, ich bitte nur _darum_ um Ihre Hand oder um die Ihrer
  • Tochter, weil ich mich von herzlicher Liebe ergriffen fühle, und von
  • Bewunderung für Ihre Vorzüge erfüllt bin. In so schmeichelhaften
  • Ausdrücken bewegte er sich, ... und als ich sagen wollte, wir erkühnen
  • uns nie, auf eine solche Ehre zu hoffen, da sagte er kein Wort, fiel
  • plötzlich auf die Knie und rief in derselben vornehmen Art: Anna
  • Andrejewna, machen Sie mich nicht unglücklich! Wenn Sie meine Gefühle
  • nicht erwidern, so macht der Tod meinem Leben ein Ende. Und weiter --
  • Kreisrichter. In der Tat! Ein außerordentliches Ereignis!
  • Schulinspektor. Das gnädige Schicksal hat es so gefügt. --
  • Hospitalverwalter (beiseite). Diesem Schwein fliegen auch immer die
  • gebratenen Tauben ins Maul.«
  • Alle Korrekturen und Verbesserungen, die in der endgültigen Fassung des
  • Revisors Aufnahme fanden, sind von Gogol in die erste in Druck
  • erschienene Ausgabe eingetragen (1836).
  • _Abriß aus einem Brief, den der Autor bald nach der ersten Aufführung an
  • einen Schriftsteller richtete._ Der erste Entwurf stammt aus dem April
  • des Jahres 1836. Die endgültige Ausarbeitung für den Druck fand Anfang
  • März 1841 statt.
  • _Vorbemerkung für diejenigen, die den Revisor sachgemäß aufzuführen
  • beabsichtigen._ Ist wahrscheinlich gegen Ende des Jahres 1842
  • niedergeschrieben.
  • _Zwei Szenen, die schon bei der ersten Ausgabe, als den Gang der
  • Handlung störend, ausgeschieden wurden._ Der erste Entwurf stammt aus
  • den Jahren 1834 und 1835. Ende 1835 wurden sie noch einmal umgearbeitet.
  • Die zweite von diesen Szenen erschien zum erstenmal im »Moskwitjanin«
  • (Der Moskauer) Band 3, 1841, und dann um einige Stellen vermehrt in der
  • zweiten Ausgabe des »Revisor«, 1841 wurden beide Szenen für den Druck
  • umgearbeitet.
  • _Eine vom Autor in die Buchausgabe nicht mit aufgenommene Szene des
  • »Revisor«._ Stammt aus dem Jahr 1835.
  • _Vorwort zu einer zum Besten der Armen geplanten Ausgabe des »Revisor«._
  • Ist im Oktober des Jahres 1846 niedergeschrieben.
  • _Die Deutung des »Revisors«._ Stammt aus dem Jahre 1846.
  • _Nachtrag zur »Deutung des Revisor«_ stammt aus der zweiten Hälfte des
  • Jahres 1847.
  • Eine Heiratsgeschichte
  • Der erste Entwurf dieser Komödie stammt aus dem Jahre 1833. 1834 wurde
  • das Werk von Grund aus umgearbeitet, aber erst 1841 oder zu Anfang des
  • Jahres 1842, erhielt das Stück nach wiederholten Umarbeitungen seine
  • endgültige Gestalt. Es erschien zum erstenmal in der ersten Ausgabe von
  • Gogols Werken im Druck.
  • Die Spieler
  • Diese Komödie wurde im Anfang Juni 1836 noch vor Gogols Reise ins
  • Ausland begonnen und erschien 1842 zum erstenmal in Druck. Als Gogol das
  • Werk für den Druck fertiggestellt hatte, schrieb er an Prokopowitsch.
  • »Ich habe die Ihnen zugehenden _Spieler_ nur mit Mühe rekonstruiert, das
  • Brouillon ist vor so langer Zeit und so unleserlich geschrieben, daß es
  • mich eine schier unendliche Arbeit kostete, es zu entziffern.«
  • Der Morgen eines vielbeschäftigten Herrn. Der Prozeß. Das
  • Bedientenzimmer und das Fragment
  • bilden Teile, oder nach Gogols eigenen Worten, »die Fetzen einer vom
  • Autor vernichteten Komödie: Der Wladimirorden dritter Klasse«, deren
  • erster Entwurf aus dem Jahre 1832 stammt.
  • _Der Morgen eines vielbeschäftigten Herrn._ Diese Szenen wurden im
  • Herbst des Jahres 1835 für den Druck bearbeitet, und zwar aus jenen
  • Fetzen der vernichteten Komödie. Diese Szenen gehörten zu den frühesten
  • der Komödie. Später bearbeitete Gogol diese Szenen noch einmal für
  • Puschkins »Ssowremennik« (der Zeitgenosse). Dies war die letzte Fassung
  • vom März des Jahres 1836. Sie trugen den Titel _Der Morgen eines
  • Beamten_ und erschienen im Ssowremennik unter dem Titel _Der Morgen
  • eines vielbeschäftigten Herrn. Petersburger Szenen._ Als Gogol diese
  • Szenen für die gesammelten Werke vom Jahre 1842 fertigstellte, änderte
  • er nur folgende Stelle: »Alexander Iwanowitsch: Er stach nicht, weil ich
  • meine Dame noch nicht abgeworfen hatte. Iwan Petrowitsch: Gut, Sie
  • spielen Dame, aber Lukian Fedossejewitsch hat ja noch die Trumpf Sieben.
  • Alexander Iwanowitsch: Ja hatte er denn noch einen Trumpf? Ich kann mich
  • gar nicht erinnern. Iwan Petrowitsch: Aber gewiß. Er hatte noch _zwei_
  • Trümpfe! die Zehn, mit der er die Trümpfe herauslocken mußte, und die
  • Sieben. Alexander Iwanowitsch: Aber nein, Iwan Petrowitsch, erlauben
  • Sie, er konnte nicht mehr als einen Trumpf haben, denn ... Iwan
  • Petrowitsch: Aber mein Gott, Alexander Iwanowitsch, wem erzählen Sie
  • das? Zwei Trümpfe. Zwei Trümpfe! Ich sehe sie noch jetzt vor mir! die
  • Zehn und die Sieben. Alexander Iwanowitsch: Eine Zehn hatte er, das
  • stimmt, aber keine Sieben. Dann hätte er doch Trumpf gespielt, das
  • müssen Sie doch zugeben, dann hätte er eben Trumpf gespielt. Iwan
  • Petrowitsch: Bei Gott, Alexander Iwanowitsch. Bei Gott.«
  • _Der Prozeß._ Wurde im Jahre 1839 oder Anfang 1840 vollendet.
  • _Die Bedientenstube._ Wurde gegen Ende des Jahres 1839 neu bearbeitet
  • und in einigen Teilen ergänzt.
  • _Das Fragment_ -- die erste Niederschrift -- stammt wahrscheinlich aus
  • dem Jahre 1837. Es wurde 1840 umgearbeitet. Anfang 1841 wurde diese
  • Bearbeitung ins reine geschrieben. Die letzten Korrekturen stammen vom
  • August des Jahres 1842 aus der Zeit der Drucklegung der »Werke« Gogols.
  • Im gedruckten Text fehlen folgende Seiten aus dem Manuskript »Mischa.
  • Ach Mutter, Mamachen, wie oft habe ich Sie gebeten, dieses Wort nicht zu
  • wiederholen. Sie glauben nicht, wie widerwärtig es mir ist, wie gemein
  • es klingt und was für eine dumme und falsche Bedeutung es bei uns
  • angenommen hat. Seien Sie doch nicht so, wie jene alten Herren, die
  • dieses Wort allen Menschen unter die Nase reiben, ohne sich den Menschen
  • und das Wort erst ordentlich angesehen zu haben, das sie einem ins
  • Gesicht schleudern. Was ist von den fünfzig Hohlköpfen (_sic!_)
  • übriggeblieben, denen man eine französische Erziehung angedeihen ließ?
  • Sie haben sich an dies sagenhafte Wort geklammert, legen es nun
  • jedermann bei, und beehren jeden damit, der ihnen in den Weg läuft. Wenn
  • sie einen Menschen sehen, dessen Anzug ein wenig anders ist, als der
  • anderer Leute, der eine andre Frisur hat oder bei dem kurz gesagt etwas
  • nicht _ganz_ so ist, wie bei andern Menschen, so schreien sie gleich:
  • Ein Liberaler! Ein Liberaler! Ein Revolutionär! Seht doch seine
  • Frackschöße an, die sind ganz anders wie bei andern Leuten, sein
  • Halstuch ist ganz anders gebunden, er trägt seine Haare anders! Sie
  • glauben nicht, wie sich jedesmal mein Herz empört, wenn ich etwas
  • Derartiges höre. Wie wenig kennen sie das Herz eines Russen und die
  • starken festen Züge seines Charakters! Sie wissen nicht, daß, wenn er
  • sich auch von etwas hinreißen läßt, er dies nur auf Grund von schönen,
  • geistigen Motiven tut und nicht infolge einer zusammenhanglosen Idee,
  • die in dem leichtsinnigen Kopfe eines Franzosen entsprungen ist, (der in
  • der Tiefe seines Herzens soviel tiefe innerliche Überzeugungen birgt,
  • die ihn auf ewig wider alle kleinlichen Verirrungen des Verstandes
  • behüten. Schon diese Liebe für seinen Zaren, dieses ganze ursprüngliche
  • Gefühl, das in seiner Seele lebt, und von dem er sich nicht befreien
  • kann, selbst wenn es ihm einfiele! Für _ihn_ ist er bereit, sein ganzes
  • Hab und Gut hinzugeben, sein Leben zu opfern, alles stumm zu ertragen,
  • und das ohne vorher ein Wort davon zu reden oder sich gar damit zu
  • brüsten. Ist es da nicht bitter, zu sehen, daß man einem solchen
  • russischen Mann in trivialer Weise Gedanken beilegt, die er nie gehabt
  • hat und nicht haben kann, und daß man ihn mit dem abgeschmackten,
  • abgedroschenen Wort zu treffen glaubt, er spiele den Liberalen.
  • Mütterchen! um Gottes willen brauchen Sie dieses widerwärtige Wort
  • nicht. Und vermeiden Sie es, wahllos all das, was Ihnen nicht gefällt,
  • damit zu bezeichnen. Bitte sehen Sie doch zu: Wann und worin war ich
  • Ihnen je ungehorsam?)« Die zweite eingeklammerte Hälfte des Textes hat
  • Gogol durchgestrichen und auf der dritten Seite folgenden Passus dafür
  • gesetzt: »Und dieser russische Mann, in dessen Busen eine ursprüngliche,
  • mit seiner eigensten Natur erwachsene, unergründliche Liebe für seinen
  • Zaren lebt -- ein Gefühl, für das er alles hingeben, sein ganzes Hab und
  • Gut zum Opfer bringen, ja sein Leben aufopfern würde, ohne vorher ein
  • Wort darüber zu reden oder sich später damit zu rühmen und zu brüsten --
  • dieser russische Mann soll durch dieses häßliche Wort getroffen werden,
  • das man ebensogut jedem hergelaufenen Frechling oder Vagabunden beilegt.
  • Nein Mütterchen, brauchen Sie alle Worte, die Sie wollen, nur nicht dies
  • banale und abgedroschene Wort. Denken Sie doch, _wann und worin war ich
  • Ihnen je ungehorsam_?« Von diesem ganzen Absatz ist nur die letzte
  • gesperrt gedruckte Zeile in den Text der gedruckten Ausgabe aufgenommen
  • worden.
  • Nach dem Theater
  • _Epilog zu einer neuen Komödie._ Die ersten Entwürfe sind im April des
  • Jahres 1836 in Petersburg niedergeschrieben. Im Oktober 1842 wurde diese
  • Szene vollendet.
  • Die Nachträge und Varianten zu diesem Bande sind der Ausgabe von
  • Tischonorawow, St. Petersburg 1901, entnommen.
  • _Der Herausgeber._
  • Druck von Mänicke und Jahn, Rudolstadt.
  • MODERNE RUSSEN
  • MICH. P. ARTZIBASCHEW:
  • Ssanin, Roman
  • GEHEFTET M. 5.--, GEBUNDEN M. 6.50
  • Aufruhr, Novellen
  • GEHEFTET M. 3.--, GEBUNDEN M. 4.50
  • Millionen
  • GEHEFTET M. 5.--, GEBUNDEN M. 6.50
  • Revolutionsgeschichten
  • GEHEFTET M. 4.--, GEBUNDEN M. 5.50
  • FJODOR SSOLOGUB:
  • Der kleine Dämon
  • GEHEFTET M. 5.--, GEBUNDEN M. 6.50
  • ALEXANDER KUPRIN:
  • Die Gruft
  • GEHEFTET M. 3.--, GEBUNDEN M. 4.50
  • GEORG MÜLLER VERLAG MÜNCHEN
  • M. ARTZIBASCHEW, Ssanin. Roman. 20. Auflage.
  • Finster, groß und ernst, von religiösem und sozial-ethischem
  • Pathos erfüllt, mit weltreformatorischen Absichten und
  • Gesinnungen, steht die russische Kunst, wie in Dostojewski und
  • Tolstoi, so auch in Artzibaschew vor uns. Mit düsteren und
  • starren Savonarola-Mienen blickt der Dichter auf das Leben seiner
  • Zeit und seines Volkes, und er trägt Geißeln in seiner Hand;
  • überall lodern die Flammen der Revolution, verspürt man den Atem
  • umstürzlerischen Fühlens und Denkens.
  • Julius Hart im Tag
  • Das Dichterische hebt das ganze Buch Artzibaschews über das
  • Niveau der Tendenz- und Absichtenbücher empor. Artzibaschew müßte
  • zwar kein Russe sein, wenn sein Buch nicht im Grundton aller
  • russischen Literatur, in philosophierender Grübelei erklingen
  • sollte, aber er phantasiert nicht ins Blaue hinein, er hat vor
  • allem wirklich etwas zu sagen. Und er sagt es mit künstlerischem
  • Stil und poetischer Kraft.
  • Münchener Post
  • Der Verfasser verfügt über einen eigentümlichen Zauber in der
  • knappen Charakteristik der Frauengestalten. Er gibt reizende,
  • poetische Naturbilder von Gärten und Landschaften, in denen die
  • jungen Leute sich umhertreiben; einzelne Szenen haben einen
  • großartigen Zug echt russischen Charakters, wie man derartiges
  • nur bei den ganz großen russischen Dichtern findet.
  • Kölnische Zeitung
  • M. ARTZIBASCHEW, Aufruhr u. andere Novellen. 3. Aufl.
  • Artzibaschew ist unstreitig der beste unter den jungrussischen
  • Erzählern, der schon eine unendliche Reihe von Nachtretern
  • gefunden hat. Er ist im Grunde seines Schaffens Impressionist ...
  • seine Bilder stehen vor uns in einem packenden Rahmen, in klarer
  • Deutlichkeit, mit richtiger Licht- und Schattenverteilung und in
  • der menschlichen Unmittelbarkeit, die uns am tiefsten ergreift.
  • Sein vorliegender Novellenband ist wieder einmal die Bestätigung
  • dieser seiner großen poetischen Kunst.
  • Berliner Morgenpost
  • Es ist etwas Gewaltiges um den Realismus und die nackte Offenheit
  • von dem Autor des »Ssanin«! Er ist ein Arzt der Seele, der die
  • Wunden am Organismus des russischen Volkskörpers rücksichtslos
  • bloßlegt. Keinem denkenden Leser wird es je einfallen, eine
  • zynische Note in diesen aus künstlerischem und sozialethischem
  • Geiste entstandenen Bildern zu suchen.
  • Hamburgisches Fremdenblatt
  • M. ARTZIBASCHEW, Millionen u. andere Novellen. 3. Aufl.
  • Die Psychologie der Erzählung ist so ausgezeichnet, wie man das
  • von den Russen gewohnt ist. Sie geht in den Spuren des großen
  • Dostojewski. Ein besonderes formales Moment sind die
  • Naturstimmungen zu Anfang fast jeden Kapitels. Auch in der
  • zweiten Erzählung finden sie sich. Sie sind eine Art von
  • intimerem Symbolismus. Artzibaschews Sprache ... zeigt aber
  • bemerkenswerte und besondere individuelle Vorzüge.
  • Unvergleichlich und von höchst unmittelbarer, reizvoller Wirkung
  • ist z. B. die schlichte und knappe und doch sehr plastische und
  • suggestive Wirkung, wie Artzibaschew den Reiz des weiblichen
  • Körpers und seine Macht auf den Mann mitzuteilen weiß. Ich könnte
  • mir vorstellen, daß Artzibaschew nach solcher Richtung ein
  • Dichter des Weibes werden könnte, wie ihn Rußland noch nicht
  • gehabt hat.
  • Johannes Schlaf in »Nord und Süd«
  • Ein bis ins Unterbewußtsein kühn hineingreifendes, scharfes und
  • unfehlbares psychologisches Vermögen, eine meisterhafte,
  • wohlklingende Bildersprache, eine bis hart an die Grenze des
  • Überfeinerten gesteigerte Ästhetik ... In allem eine minutiöse
  • Detailmalerei, und eine Milieuschilderung, wie sie zum Besten in
  • ihrer Art gerechnet werden müssen.
  • B. Z. am Mittag
  • M. ARTZIBASCHEW, Revolutionsgeschichten. 3. Aufl.
  • Der berühmte Dichter des »Ssanin« zeigt sein hervorragendes
  • dichterisches Können auch in diesem neuen Werk. Die
  • »Revolutionsgeschichten« sind furchtbare Illustrationen zu den
  • nun schon historisch gewordenen Greueltaten jener Zeit, da
  • Revolution und Reaktion in Rußland einen grauenvollen Kampf
  • begannen. In diesen Geschichten steckt die sittliche Kraft der
  • russischen Jugend und Intelligenz, die es gewagt hat, an den
  • Grundlagen des tönernen Kolosses zu rühren und die Reformation
  • des Landes unter Aufopferung ihrer eignen Personen zu erzwingen.
  • Und doch lesen sich diese Geschichten nicht etwa bloß wie
  • historische Berichte. Sie sind dichterische Schöpfungen.
  • Dr. Messer i. d. Neuen Freien Presse, Wien
  • FJODOR SSOLOGUB, Der kleine Dämon. Roman. 3. Aufl.
  • Ssologubs »Kleiner Dämon« ist ein Buch, das man gerne liest und
  • über das man gerne schreibt, seinem furchtbaren Stoffe, der
  • Tatsache zum Trotz, daß es Seite für Seite vom Schmutz eines für
  • westeuropäische Begriffe schier unglaublich niedrigen Alltags
  • geradezu pappt. Dies grausame Buch ... bedarf einer energischen
  • Abwehr der Insinuation des Naturalismus und seiner Lust zu
  • stinken. Ssologub steht hoch über dem Verdachte, mit den
  • Widrigkeiten seines Werkes Sensation beabsichtigt zu haben ... Er
  • ist Dichter durch und durch und blickt mit den ernsten, echt
  • menschlichen Augen eines vornehmen Ethikers. Ssologub macht
  • keinerlei literarischen Getues mit dem Satanismus der Welt, die
  • er schildert. Er spricht ruhig und gelassen wie von einer Sache,
  • über die wir uns längst einig sind. Sein Pessimismus posiert
  • nicht und ist keine trockene These, sondern bitterlich ernste
  • Lebenserfahrung, Lebensstimmung.
  • Hermann Eßwein im Literarischen Echo
  • ALEXANDER KUPRIN, Die Gruft. Ein Roman aus der russischen Tiefe.
  • Dritte Auflage.
  • Ein mächtiges Gefühl der Wirklichkeit lodert in seinem Schaffen,
  • ein Streben, das ganze russische Leben zu umfassen und die
  • Vielheit seiner Formen sinnreich zu beleuchten ... Kuprins
  • Naturalismus hat hier in der Sprache, in der Darstellung von
  • Tatsachen und in den Farben den Höhepunkt erreicht. Er erscheint
  • hier als Naturforscher, als Psychologe und als Chirurg, der mit
  • verblüffender Kaltblütigkeit das Seziermesser handhabt, um alle
  • Atome zu zerlegen ... Die ethische Kraft, mit der Kuprin sein
  • Werk geschrieben, ist gewaltig genug, um jede ernstdenkende und
  • mitfühlende Persönlichkeit hinzureißen.
  • Neue Freie Presse, Wien
  • Was Kuprins Buch, das er den Müttern und der Jugend widmet, von
  • der Bordell- und Dirnenliteratur unterscheidet, in der mit einem
  • ethisch-sentimentalen Rittertum die Notwendigkeit der Institution
  • und die Zusammenhänge unterschlagen wurden, ist die Objektivität,
  • mit der er den Dingen aus nächster Nähe klar ins Auge sieht, ohne
  • das ungeheuer Geschäftsmäßige der Prostitution dabei mit Gemüt zu
  • überfälschen ... Es ist ein Erkenntnis- und ein Mahnbuch, ein
  • Buch der Nächstenliebe, voll großen sozialen Empfindens.
  • Vorwärts, Berlin
  • RUDOLF HUCH
  • Mehr Goethe
  • 7. Aufl. Geh. M. 2.--, geb. M. 3,--
  • Winterwanderung
  • 2. Aufl. Geh. M. 2.50, geb. M. 3.50
  • Die beiden Ritterhelm
  • Roman. 2. Aufl. Geh. M. 4.--, geb. M. 5.--
  • Die Familie Hellmann
  • Roman. 2. Aufl. Geh. M. 6.--, geb. M. 7.50
  • Die Rübenstedter
  • Eine Kleinstadtsommergeschichte
  • 2. Aufl. Geh. M. 3.--, geb. M. 4.--
  • Wilhelm Brinkmeyers Abenteuer
  • von ihm selbst erzählt
  • 2. Aufl. Geh. M. 5.--, geb. M. 6.50
  • GEORG MÜLLER VERLAG MÜNCHEN
  • Mehr Goethe
  • Und nun komme ich zu einem der eigenartigsten und selbständigsten
  • Bücher, die den Namen Goethe auf ihren Schild geschrieben haben.
  • Das Buch von Rudolf Huch »Mehr Goethe!« hat ja inzwischen seinen
  • breiten Weg in die deutsche Leserwelt gefunden, es bedarf also
  • der Empfehlung kaum noch ... _Es ist ein frisches, mutiges und
  • gesundes Buch_, das aus seinem Herzen keine Mördergrube macht,
  • keck und dreist, ohne viel gelehrten Ballast im Schulsack, mitten
  • in die Dinge hineinspringt und alle graue Theorie zum Teufel
  • jagt.
  • (>Westermanns Monatshefte<)
  • Winterwanderung
  • Anmutig und durch einen Beigeschmack feiner Ironie ätzend und oft
  • fast pikant in gutem Sinne liest sich ein gleichwohl
  • gedankenreiches, zu aphoristischer Form neigendes Werk von Rudolf
  • Huch: Winterwanderung ... _Ein vornehmer Grundton, ein
  • aristokratischer Pessimismus, der sich an Schopenhauer vertieft
  • hat, zieht durch Huchs Weltanschauung_; aber ein oft
  • feinsatirischer, oft grimmiger Humor bildet das angenehme
  • Gegengewicht und läßt steife Feierlichkeit nicht aufkommen. Das
  • geistvolle Buch, wiederum ausgezeichnet durch eine fesselnde
  • Stilistik, ist insofern eine empfehlenswerte Ergänzung zu des
  • Verfassers bekanntem Buch: Mehr Goethe.
  • (>Der Türmer<)
  • Die beiden Ritterhelm
  • Den hohen Reiz des Buches macht die gleichmäßige, epische
  • Gelassenheit aus und, mit ihr zusammenhängend, die dem Stoff
  • gemäße patrizische Natur des Erzählers. Das gibt dem Ganzen _eine
  • ungewöhnliche, lückenlose Einheitlichkeit_. Wir spüren ein
  • bildungsgesättigtes Wesen, das der Bildungsprotzerei
  • entgegengesetzt ist, wir spüren einen tiefen Ernst der
  • Lebensanschauung und zugleich eine humorisch mildernde
  • Überstrahlung; weite Ausblicke werden in verhaltener Darstellung
  • angedeutet, und überall erfreut die unsüßliche Anmut der
  • sparsamsten Linie.
  • (>Der Kunstwart<)
  • Huchs Buch ist von einer kräftigen Strenge, herb und
  • unerbittlich, männlich durch und durch. Und es ist fest in seinem
  • Gefüge, seine Gewölbe sind tragkräftig, und der Mörtel des Baues
  • ist hart wie Stein ... Die Gefühle der Menschen in diesem Buche
  • liegen nicht an der Oberfläche und können nicht leichthin berührt
  • werden. Sie sind in Knospen eingeschlossen ... _Huchs Buch gehört
  • zu jenen, die man nicht vergißt._
  • (Karl Hans Strahl in >Die Zeit<, Wien)
  • Die Familie Hellmann
  • _Kein Buch führt wohl so in gerader Linie auf den Stammbaum
  • Goethes zurück wie dieser Familienroman Rudolf Huchs. Er ist ein
  • Erlebnis für den Leser_, davon er manchen Tag zehren kann und das
  • ihm schwerlich mehr aus dem Gedächtnis schwindet; auf den
  • fünfhundert Seiten wird keine Zeile langweilig sein. _Da ist edle
  • Ausgeglichenheit der Sprache, Wohlklang, Feinnervigkeit,
  • männliche Kraft und frauliche Süßigkeit: das Buch hat etwas im
  • tiefsten Grunde Musikalisches_ ... »Die Familie Hellmann« bildet
  • einen Höhepunkt in Rudolf Huchs künstlerischem Schaffen und
  • verdient es, den bisher noch viel zu wenig gekannten Dichter
  • endlich ans Licht zu führen.
  • (Dr. Ludwig Finckh in den >Propyläen<)
  • Rudolf Huch hat sich schon früher durch einige Werke die Achtung
  • des deutschen Publikums errungen. _Mit diesem Roman steht er als
  • ein ganz reifer, eigenartiger und als literarischer Charakter
  • durchgebildeter Künstler vor uns_, der auf äußeren und inneren
  • Stil etwas hält, nicht gewisser Szenen wegen sich technisch
  • überhastet, sondern ruhig und sachlich, das heißt episch langsam
  • von Nuance zu Nuance, von Stufe zu Stufe fortschreitend erzählt.
  • Und trotz dieser scheinbar ruhigen und sachlichen Art formt sich
  • seine Geschichte immer mehr, runden sich seine Gestalten und
  • erleben mit objektiver Unerbittlichkeit ihr Schicksal. Neben den
  • tatsächlichen Hauptpersonen gewinnt eine Anzahl Nebenfiguren
  • durch die liebevolle Behandlung von seiten des Autors wirkliches
  • Leben und wirkliche, menschenähnliche Plastik.
  • (>Pester Lloyd<)
  • Rudolf Huch hat eine streitbare Schrift »Mehr Goethe!« verfaßt,
  • in der er den Deutschen als unverlierbare Richtschnur den Weg zu
  • Goethe anpreist. Diesen Weg ist er mit seinem schönen Roman
  • selbst geschritten. Er beleuchtete den Grundsatz des großen
  • Meisters: Bilde, Künstler, rede nicht. _Seine Figuren haben
  • plastisches Leben. Sie bleiben in unserer Erinnerung, als ob wir
  • sie selbst gesehen hätten._ Lyrische Stimmungen, an denen auch
  • dieser Roman nicht arm ist, verdrängen doch nicht die
  • hartgefügten Menschengestalten, die der Dichter geschaffen hat.
  • (Dr. Max Messer)
  • Rudolf Huch ist ein Dichter mit starker Eigenart. Er prägt scharf
  • und hart und baut seine Sachen ohne alle umhüllende Weichheit und
  • Zartheit aus. _Eine wirkliche Kompositionskunst und eine
  • wundervolle Teleologie ist da, die jedes einmal aufgenommene
  • Moment des Stoffes entwickelt und zur Geltung bringt. Huch
  • schmückt die Form; doch sein Schmuck ist karg und spröd, voll
  • Einfalt und Ungebrochenheit_ ... Wenige sind so frisch, kernhaft
  • und anspruchslos wie er. Schönheit, tiefe und innere Größe ist
  • auch den Menschen nahe, die durch diese letzte Arbeit Huchs
  • gehen.
  • (>Mannheimer General-Anzeiger<)
  • Die Rübenstedter
  • _Gottlob, endlich einmal Humor, wirklicher deutscher
  • Erzählerhumor!_ Der Verfasser zitiert nicht umsonst in seiner
  • Vorrede solch gute Geister wie Wilhelm Raabe und Fritz Reuter. Er
  • hätte meinethalben auch noch Dickens nennen können, ja vielleicht
  • den mit dem besten Recht. Denn Rudolf Huch streift ... durchaus
  • die behagliche, künstlerische Sphäre des englischen Erzählers ...
  • Huch steht alle »Moral« so fern, daß er für die moralisch
  • außerordentlich streng geregelte Lebensweise von Rübenstedt ein
  • wirklich befreiendes Lachen des Mitgefühls übrig hat, das
  • durchhält bis zum Schluß.
  • (Eugen Kalkschmidt in der >B. Z. am Mittag<)
  • Die Rübenstedter sind _ein ganz selbständiges Buch, durchsonnt
  • von einem breiten, behäbigen Humor_, köstlich in der feinen
  • Verspottung der Kleinstädter, der Philister und all der Leute,
  • deren freie geistige Regungen in der Kleinstadt verkümmert und
  • die in ihr lederne Pedanten und Banausen geworden sind ... Die
  • Gestalten der Geschichte sind mit wenig Strichen prächtig
  • charakterisiert, die Darstellung ist von reifer Lebensweisheit
  • getragen.
  • (>Rhein- und Ruhr-Zeitung<)
  • Rudolf Huchs Kleinstadtsommergeschichte »Die Rübenstedter« ist
  • _ein prächtiges Buch .... Es ist ein Buch, das ganz köstliche
  • Einzelheiten enthält, und über viele Stellen kann man bis zu
  • Tränen lachen._ Die Sprache in ihrer Ruhe und Sachlichkeit, die
  • reiche Reihe glänzend gezeichneter, lebensvoller Gestalten ...
  • sichern dem Buche einen guten Platz in unserer humoristischen
  • Erzählungsliteratur.
  • (>Literar. Zentralblatt<)
  • Anmerkungen zur Transkription
  • Die Schreibweise der Buchvorlage wurde weitgehend beibehalten. Auch
  • Variationen in der Transliteration der russischen Namen wurden nicht
  • verändert. Die Übersetzer haben teilweise, zumeist im »Revisor«, die
  • russischen Namen unter Verwendung von Akzenten transliteriert. Dies
  • wurde unverändert übernommen und auch nicht vereinheitlicht.
  • Offensichtliche Fehler wurden, teilweise unter Zuhilfenahme des
  • russischen Originaltextes, korrigiert wie hier aufgeführt
  • (vorher/nachher):
  • [S. 10]:
  • ... ich mich, dir unter anderem zu melden, daß ein ...
  • ... mich, dir unter anderem zu melden, daß ein ...
  • [S. 32]:
  • ... Sie so delikat, als ob alles adlig wär'. Geht man auf ...
  • ... sie so delikat, als ob alles adlig wär'. Geht man auf ...
  • [S. 46]:
  • ... bündig sagen: wie du wünscht, aber ohne Petersburg ...
  • ... bündig sagen: wie du wünschst, aber ohne Petersburg ...
  • [S. 51]:
  • ... Polizeimeister (macht Bóbtschinski ein Zeichen der ...
  • ... Polizeimeister (macht Bóbtschinski ein Zeichen des ...
  • [S. 64]:
  • ... Aexándrowitsch, daß ich Ihnen erst die Stiefel säubere!« ...
  • ... Alexándrowitsch, daß ich Ihnen erst die Stiefel säubere!« ...
  • [S. 68]:
  • ... wird aber von den Beamten erfurchtsvoll gestützt.) ...
  • ... wird aber von den Beamten ehrfurchtsvoll gestützt.) ...
  • [S. 96]:
  • ... is da? 'n Strick? Her mit dem Strick? Auch 'n ...
  • ... is da? 'n Strick? Her mit dem Strick! Auch 'n ...
  • [S. 100]:
  • ... Chestakóff (galant.) Aber mein Fräulein, es ist ...
  • ... Chlestakóff (galant.) Aber mein Fräulein, es ist ...
  • [S. 124]:
  • ... Polzeimeister. Wie konnten Sie sich erdreisten, ...
  • ... Polizeimeister. Wie konnten Sie sich erdreisten, ...
  • [S. 125]:
  • ... Polizeimeister. Was sollte er denn nach ihrer ...
  • ... Polizeimeister. Was sollte er denn nach Ihrer ...
  • [S. 130]:
  • ... Antón, er hat sich doch mit Mascha verlobt! ...
  • ... Antón, er hat sich doch mit Máscha verlobt! ...
  • [S. 142]:
  • ... kleinen Beamten Schtschepkin und Rjäsanski auf den ...
  • ... kleinen Beamten Schtschepkin und Rjásanski auf den ...
  • [S. 142]:
  • ... chlecht und karikiert. Ich hatte das gewissermaßen ...
  • ... schlecht und karikiert. Ich hatte das gewissermaßen ...
  • [S. 148]:
  • ... suchen, wozu diese bestimmt ist, worin die haupsächlichste ...
  • ... suchen, wozu diese bestimmt ist, worin die hauptsächlichste ...
  • [S. 177]:
  • ... befehlender Geberde). Michailo Sjemjonowitsch, den Kranz ...
  • ... befehlender Gebärde). Michailo Sjemjonowitsch, den Kranz ...
  • [S. 178]:
  • ... keinem ihren Rat versagt und keinen gering geachtet ...
  • ... keinem Ihren Rat versagt und keinen gering geachtet ...
  • [S. 179]:
  • ... umarmend). Michailo Sjemonowitsch, ich bin außer ...
  • ... umarmend). Michailo Sjemjonowitsch, ich bin außer ...
  • [S. 185]:
  • ... Zweiter Schauspieler. Wahr, sehr war; ...
  • ... Zweiter Schauspieler. Wahr, sehr wahr; ...
  • [S. 196]:
  • ... gegen bestechliche Beamten wappnet; und zwar darum, ...
  • ... gegen bestechliche Beamte wappnet; und zwar darum, ...
  • [S. 223]:
  • ... eigentlich? Guck dich doch bloß mal in den Spiegel! ...
  • ... eigentlich? Guck doch bloß mal in den Spiegel! ...
  • [S. 289]:
  • ... fühlt, empfindet, sich gewissermaßen verflüchtigt, weist ...
  • ... fühlt, empfindet, sich gewissermaßen verflüchtigt, weißt ...
  • [S. 290]:
  • ... 22. Auftritt ...
  • ... 20. Auftritt ...
  • [S. 328]:
  • ... häußlichen Kreis. Alles was Sie jetzt umgibt, sind ja ...
  • ... häuslichen Kreis. Alles was Sie jetzt umgibt, sind ja ...
  • [S. 329]:
  • ... Ich begreife nicht, wie sie es dem Menschen nicht sofort ...
  • ... Ich begreife nicht, wie Sie es dem Menschen nicht sofort ...
  • [S. 334]:
  • ... Das ist mein wahrer Geschmack, solche offenherzige ...
  • ... Das ist mein wahrer Geschmack, solche offenherzigen ...
  • [S. 365]:
  • ... es waren anwesend: Pawel Grigojewitsch Borschtschow, ...
  • ... es waren anwesend: Pawel Grigorjewitsch Borschtschow, ...
  • [S. 374]:
  • ... einfach nach Kamschatka schicken. Ich würde ihm mit ...
  • ... einfach nach Kamtschatka schicken. Ich würde ihm mit ...
  • [S. 377]:
  • ... ging. ...
  • ... ging? ...
  • [S. 389]:
  • ... (Zu Iwan.) Geh, mach auf! Was, hälst du Maulaffen ...
  • ... (Zu Iwan.) Geh, mach auf! Was, hältst du Maulaffen ...
  • [S. 405]:
  • ... Sobatschkin. Wissen Sie, daß Sie ihre Mädchen ...
  • ... Sobatschkin. Wissen Sie, daß sie ihre Mädchen ...
  • [S. 426]:
  • ... eine Mißachtung, für eine Verlöhnung zu nehmen. Elektrisiert ...
  • ... eine Mißachtung, für eine Verhöhnung zu nehmen. Elektrisiert ...
  • [S. 431]:
  • ... der Laster, das ist doch eine widerwärtige Verhöhnung
  • Rußland. ...
  • ... der Laster, das ist doch eine widerwärtige Verhöhnung
  • Rußlands. ...
  • [S. 440]:
  • ... im innern mag die Krankheit fortwüten -- das macht nichts. ...
  • ... im Innern mag die Krankheit fortwüten -- das macht nichts. ...
  • [S. 442]:
  • ... sich immer noch ein Freund oder Verehrer, der sie im ...
  • ... sich immer noch ein Freund oder Verehrer, der sie in ...
  • [S. 445]:
  • ... sehen, wo einer sich unter den Stuhl versteckt und der ...
  • ... sehen, wo einer sich unter dem Stuhl versteckt und der ...
  • [S. 446]:
  • ... so empfindliche Nerven, und ich lache immer gern über ...
  • ... so empfindlichen Nerven, und ich lache immer gern über ...
  • [S. 448]:
  • ... Gerade ihr liebt nur Phrasen und Reden von Hochherzigkeit ...
  • ... Gerade Ihr liebt nur Phrasen und Reden von Hochherzigkeit ...
  • [S. 461]:
  • ... Der unansehnliche Herr von boshaften ...
  • ... Der unansehnliche Herr von boshaftem ...
  • [S. 464]:
  • ... ich die Macht hätte -- würde der Autor nicht zu muksen ...
  • ... ich die Macht hätte -- würde der Autor nicht zu mucksen ...
  • [S. 464]:
  • ... wirklich! Lärm machen, in die Hände klaschen, als ob ...
  • ... wirklich! Lärm machen, in die Hände klatschen, als ob ...
  • [S. 479]:
  • ... Ein Heiratsgeschichte ...
  • ... Eine Heiratsgeschichte ...
  • End of the Project Gutenberg EBook of Sämmtliche Werke 5: Dramatische Werke, by
  • Nikolaj Gogol
  • *** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK SÄMMTLICHE WERKE 5: ***
  • ***** This file should be named 55487-8.txt or 55487-8.zip *****
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  • be renamed.
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