- The Project Gutenberg EBook of Kabale und Liebe
- by Friedrich (Johann Christoph Friedrich von ) Schiller
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- Title: Kabale und Liebe
- Author: Friedrich (Johann Christoph Friedrich von ) Schiller
- Release Date: September, 2004 [EBook #6498]
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- Edition: 10
- Language: German
- *** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK, KABALE UND LIEBE ***
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- Friedrich Schiller
- Kabale und Liebe
- Ein bürgerliches Trauerspiel.
- ---------------------------------------------
- Personen:
- Präsident von Walter, am Hof eines deutschen Fürsten.
- Ferdinand, sein Sohn, Major.
- Hofmarschall von Kalb.
- Lady Milford, Favoritin des Fürsten.
- Wurm, Haussecretär des Präsidenten.
- Miller, Stadtmusikant oder, wie man sie an einigen Orten
- nennt, Kunstpfeifer.
- Dessen Frau.
- Luise, dessen Tochter.
- Sophie, Kammerjungfer der Lady.
- Ein Kammerdiener des Fürsten.
- Verschiedene Nebenpersonen.
- Erster Akt.
- Erste Scene.
- Zimmer beim Musikus.
- Miller steht eben vom Sessel auf und stellt sein Violoncell auf die
- Seite. An einem Tisch sitzt Frau Millerin noch im Nachtgewand und
- trinkt ihren Kaffee.
- Miller (schnell auf- und abgehend). Einmal für allemal! Der Handel
- wird ernsthaft. Meine Tochter kommt mit dem Baron ins Geschrei.
- Mein Haus wird verrufen. Der Präsident bekommt Wind, und kurz und
- gut, ich biete dem Junker aus.
- Frau. Du hast ihn nicht in dein Haus geschwatzt--hast ihm deine
- Tochter nicht nachgeworfen.
- Miller. Hab' ihn nicht in mein Haus geschwatzt--hab' ihm 's Mädel
- nicht nachgeworfen; wer nimmt Notiz davon?--Ich war Herr im Haus.
- Ich hätt' meine Tochter mehr coram nehmen sollen. Ich hätt' dem
- Major besser auftrumpfen sollen--oder hätt' gleich Alles Seiner
- Excellenz, dem Herrn Papa, stecken sollen. Der junge Baron bringt's
- mit einem Wischer hinaus, das muß ich wissen, und alles Wetter kommt
- über den Geiger.
- Frau (schlürft eine Tasse aus). Possen! Geschwätz! Was kann über
- dich kommen? Wer kann dir was anhaben? Du gehst deiner Profession
- nach und raffst Scholaren zusammen, wo sie zu kriegen sind.
- Miller. Aber, sag mir doch, was wird bei dem ganzen Commerz auch
- herauskommen?--Nehmen kann er das Mädel nicht--Vom Nehmen ist gar die
- Rede nicht, und zu einer--daß Gott erbarm?--Guten Morgen!--Gott, wenn
- so ein Musje von sich da und dort, und dort und hier schon
- herumbeholfen hat, wenn er, der Henker weiß! was als? gelöst hat,
- schmeckt's meinem guten Schlucker freilich, einmal auf süß Wasser zu
- graben. Gib du Acht! gib du Acht! und wenn du aus jedem Astloch ein
- Auge strecktest und vor jedem Blutstropfen Schildwache ständest, er
- wird sie, dir auf der Nase, beschwatzen, dem Mädel Eins hinsetzen und
- führt sich ab, und das Mädel ist verschimpfiert auf ihr Lebenlang,
- bleibt sitzen, oder hat's Handwerk verschmeckt, treibt's fort. (Die
- Hand vor der Stirn) Jesus Christus!
- Frau. Gott behüt' uns in Gnaden!
- Miller. Es hat sich zu behüten. Worauf kann so ein Windfuß wohl
- sonst sein Absehen richten?--Das Mädel ist schön--schlank--führt
- seinen netten Fuß. Unterm Dach mag's aussehen, wie's will. Darüber
- guckt man bei euch Weibsleuten weg, wenn's nur der liebe Gott
- parterre nicht hat fehlen lassen--Stöbert mein Springinsfeld erst
- noch dieses Kapital aus--he da! geht ihm ein Licht auf, wie meinem
- Rodney, wenn er die Witterung eines Franzosen kriegt, und nun müssen
- alle Segel dran, und drauf los, und--ich verdenk's ihm gar nicht.
- Mensch ist Mensch. Das muß ich wissen.
- Frau. Solltest nur die wunderhübsche Billeter auch lesen, die der
- gnädige Herr an deine Tochter als schreiben thut. Guter Gott! da
- sieht man's ja sonnenklar, wie es ihm pur um ihre schöne Seele zu
- thun ist.
- Miller. Das ist die rechte Höhe. Auf den Sack schlägt man, den Esel
- meint man. Wer einen Gruß an das liebe Fleisch zu bestellen hat,
- darf nur das gute Herz Boten gehen lassen. Wie hab' ich's gemacht?
- Hat man's nur erst so weit im Reinen, daß die Gemüther topp machen,
- wutsch! nehmen die Körper ein Exempel; das Gesind macht's der
- Herrschaft nach, und der silberne Mond ist am End nur der Kuppler
- gewesen.
- Frau. Sieh doch nur erst die prächtigen Bücher an, die der Herr
- Major ins Haus geschafft haben. Deine Tochter betet auch immer draus.
- Miller (pfeift). Hui da! Betet! Du hast den Witz davon. Die rohen
- Kraftbrühen der Natur sind Ihro Gnaden zartem Makronenmagen noch zu
- hart.--Er muß sie erst in der höllischen Pestilenzküche der
- Belletristen künstlich aufkochen lassen. Ins Feuer mit dem Quark.
- Da saugt mir das Mädel--weiß Gott, was als für?--überhimmlische
- Alfanzereien ein, das läuft dann wie spanische Mucken ins Blut und
- wirft mir die Handvoll Christenthum noch gar auseinander, die der
- Vater mit knapper Noth soso noch zusammenhielt. Ins Feuer, sag' ich.
- Das Mädel setzt sich alles Teufelsgezeug in den Kopf; über all dem
- Herumschwänzen in der Schlaraffenwelt findet's zuletzt seine Heimath
- nicht mehr, vergißt, schämt sich, daß sein Vater Miller der Geiger
- ist, und verschlägt mir am End einen wackern ehrbaren Schwiegersohn,
- der sich so warm in meine Kundschaft hineingesetzt hätte--Nein! Gott
- verdamm mich! (Er springt auf, hitzig.) Gleich muß die Pastete auf
- den Herd, und dem Major--ja ja, dem Major will ich weisen, wo Meister
- Zimmermann das Loch gemacht hat. (Er will fort.)
- Frau. Sei artig, Miller. Wie manchen schönen Groschen haben uns nur
- die Präsenter-Miller (kommt zurück und bleibt vor ihr stehen). Das
- Blutgeld meiner Tochter?--Schier dich zum Satan, infame Kupplerin!
- --Eh will ich mit meiner Geig' auf den Bettel herumziehen und das
- Concert um was Warmes geben--eh will ich mein Violoncello zerschlagen
- und Mist im Sonanzboden führen, eh ich mir's schmecken lass' von dem
- Geld, das mein einziges Kind mit Seel' und Seligkeit abverdient.
- --Stell den vermaledeiten Kaffee ein und das Tobackschnupfen, so
- brauchst du deiner Tochter Gesicht nicht zu Markt zu treiben. Ich
- hab mich satt gefressen und immer ein gutes Hemd auf dem Leib gehabt,
- eh so ein vertrackter Tausendsasa in meine Stube geschmeckt hat.
- Frau. Nur nicht gleich mit der Thür ins Haus! Wie du doch den
- Augenblick in Feuer und Flammen stehst! Ich sprech ja nur, man müss'
- den Herrn Major nicht disguschthüren, weil Sie des Präsidenten Sohn
- sind.
- Miller. Da liegt der Haas im Pfeffer. Darum, just eben darum muß
- die Sach noch heut auseinander. Der Präsident muß es mir Dank wissen,
- wenn er ein rechtschaffener Vater ist. Du wirst mir meinen rothen
- plüschenen Rock ausbürsten, und ich werde mich bei Seiner Excellenz
- anmelden lassen. Ich werde sprechen zu seiner Excellenz: Dero Herr
- Sohn haben ein Aug auf meine Tochter; meine Tochter ist zu schlecht
- zu Dero Herrn Sohnes Frau, aber zu Dero Herrn Sohnes Hure ist meine
- Tochter zu kostbar, und damit basta!--Ich heiße Miller.
- Zweite Scene.
- Secretär Wurm. Die Vorigen.
- Frau. Ah guten Morgen, Herr Sekertare! Hat man auch einmal wieder
- das Vergnügen von Ihnen?
- Wurm. Meinerseits, meinerseits, Frau Base! Wo eine Cavaliersgnade
- einspricht, kommt mein bürgerliches Vergnügen in gar keine Rechnung.
- Frau. Was Sie nicht sagen, Herr Sekertare! Des Herrn Majors von
- Walter hohe Gnaden machen uns wohl je und je das Bläsier; doch
- verachten wir darum Niemand.
- Miller (verdrießlich). Dem Herrn einen Sessel, Frau. Wollen's
- ablegen, Herr Landsmann?
- Wurm (legt Hut und Stock weg, setzt sich). Nun! nun! und wie
- befindet sich denn meine Zukünftige--oder Gewesene?--Ich will doch
- nicht hoffen--kriegt man sie nicht zu sehen--Mamsell Luisen?
- Frau. Danken der Nachfrage, Herr Sekertare. Aber meine Tochter ist
- doch gar nicht hochmüthig.
- Miller (ärgerlich, stößt sie mit dem Ellenbogen). Weib!
- Frau. Bedauern's nur, daß sie die Ehre nicht haben kann vom Herrn
- Sekertare. Sie ist eben in der Meß, meine Tochter.
- Wurm. Das freut mich, freut mich. Ich werd' mal eine fromme,
- christliche Frau an ihr haben.
- Frau (lächelt dumm-vornehm). Ja--aber, Herr Sekertare-Miller (in
- sichtbarer Verlegenheit, kneipt sie in die Ohren). Weib!
- Frau. Wenn Ihnen unser Haus sonst irgend wo dienen kann--mit allem
- Vergnügen, Herr Sekertare-Wurm (macht falsche Augen). Sonst irgendwo!
- Schönen Dank! Schönen Dank!--Hem! hem! hem!
- Frau. Aber--wie der Herr Sekertare selber die Einsicht werden
- haben-Miller (voll Zorn seine Frau vor den Hintern stoßend). Weib!
- Frau. Gut ist gut, und besser ist besser, und einem einzigen Kind
- mag man doch auch nicht vor seinem Glück sein. (Bäurisch-stolz.) Sie
- werden mich ja doch wohl merken, Herr Sekertare?
- Wurm (rückt unruhig im Sessel, kratzt hinter den Ohren und zupft an
- Manschetten und Jabot). Merken? Nicht doch--O ja--Wie meinen Sie
- denn?
- Frau. Nu--nu--ich dächte nur--ich meine, (hustet) weil eben halt der
- liebe Gott meine Tochter barrdu zur gnädigen Madam will haben-Wurm
- (fährt vom Stuhl). Was sagen Sie da? Was?
- Miller. Bleiben sitzen! Bleiben sitzen, Herr Secretarius! Das Weib
- ist eine alberne Gans. Wo soll eine gnädige Madam herkommen? Was
- für ein Esel streckt sein Langohr aus diesem Geschwätze?
- Frau. Schmähl du, so lang du willst. Was ich weiß, weiß ich--und
- was der Herr Major gesagt hat, das hat er gesagt.
- Miller (aufgebracht, springt nach der Geige). Willst du dein Maul
- halten? Willst du das Violoncell am Hirnkasten wissen?--Was kannst
- du wissen? Was kann er gesagt haben?--Kehren sich an das Geklatsch
- nicht, Herr Vetter--Marsch du, in deine Küche!--Werden mich doch
- nicht für des Dummkopfs leiblichen Schwager halten, daß ich oben aus
- woll' mit dem Mädel? Werden doch das nicht von mir denken, Herr
- Secretarius?
- Wurm. Auch hab' ich es nicht um Sie verdient, Herr Musikmeister.
- Sie haben mich jederzeit den Mann von Wort sehen lassen und meine
- Ansprüche auf Ihre Tochter waren so gut als unterschrieben. Ich habe
- ein Amt, das seinen guten Haushälter nähren kann; der Präsident ist
- mir gewogen; an Empfehlungen kann's nicht fehlen, wenn ich mich höher
- poussieren will. Sie sehen, daß meine Absichten auf Mamsell Luisen
- ernsthaft sind, wenn Sie vielleicht von einem adeligen Windbeutel
- herumgeholt-Frau. Herr Sekertare Wurm! Mehr Respect, wenn man
- bitten darf-Miller. Halt du dein Maul, sag' ich--Lassen Sie es gut
- sein, Herr Vetter! Es bleibt beim Alten. Was ich Ihnen verwichenen
- Herbst zum Bescheid gab, bring' ich heut wieder. Ich zwinge meine
- Tochter nicht. Stehen Sie ihr an--wohl und gut, so mag sie zusehen,
- wie sie glücklich mit Ihnen wird. Schüttelt sie den Kopf--noch
- besser--in Gottes Namen wollt' ich sagen--so stecken Sie den Korb ein
- und trinken eine Bouteille mit dem Vater--Das Mädel muß mit Ihnen
- leben--ich nicht.--Warum soll ich ihr einen Mann, den sie nicht
- schmecken kann, aus purem klarem Eigensinn an den Hals werfen?--Daß
- mich der böse Feind in meinen eisgrauen Tagen noch wie sein Wildpret
- herumhetzt--daß ich's in jedem Glas Wein zu saufen--in jeder Suppe zu
- fressen kriege: Du bist der Spitzbube, der sein Kind ruiniert hat.
- Frau. Und kurz und gut--ich geb meinen Consenz absolut nicht; meine
- Tochter ist zu was Hohem gemünzt, und ich lauf' in die Gerichte, wenn
- mein Mann sich beschwatzen läßt.
- Miller. Willst du Arm und Bein entzwei haben, Wettermaul?
- Wurm (zu Millern). Ein väterlicher Rath vermag bei der Tochter viel,
- und hoffentlich werden Sie mich kennen, Herr Miller?
- Miller. Daß dich alle Hagel! 's Mädel muß Sie kennen. Was ich alter
- Knasterbart an Ihnen abgucke, ist just kein Fressen fürs junge
- naschhafte Mädel. Ich will Ihnen aufs Haar hin sagen, ob Sie ein
- Mann fürs Orchester sind--aber eine Weiberseel' ist auch für einen
- Kapellmeister zu spitzig.--Und dann von der Brust weg, Herr
- Vetter--ich bin halt ein plumper gerader deutscher Kerl--für meinen
- Rath würden Sie sich zuletzt wenig bedanken. Ich rathe meiner
- Tochter zu Keinem--aber Sie mißrath ich meiner Tochter, Herr
- Secretarius! Lassen mich ausreden. Einem Liebhaber, der den Vater
- zu Hilfe ruft, trau' ich--erlauben Sie--keine hohle Haselnuß zu. Ist
- er was, so wird er sich schämen, seine Talente durch diesen
- altmodischen Kanal vor seine Liebste zu bringen--Hat er's Courage
- nicht, so ist er ein Hasenfuß, und für den sind keine Luisen
- gewachsen--Da! hinter dem Rücken des Vaters muß er sein Gewerb an die
- Tochter bestellen. Machen muß er, daß das Mädel lieber Vater und
- Mutter zum Teufel wünscht, als ihn fahren läßt,--oder selber kommt,
- dem Vater zu Füßen sich wirft und sich um Gotteswillen den schwarzen
- gelben Tod oder den Herzeinigen ausbittet--Das nenn' ich einen Kerl!
- das heißt lieben!--und wer's bei dem Weibsvolk nicht so weit bringt,
- der soll--auf seinem Gänsekiel reiten.
- Wurm (greift nach Hut und Stock und zum Zimmer hinaus). Obligation,
- Herr Miller!
- Miller (geht ihm langsam nach). Für was? für was? Haben Sie ja doch
- nichts genossen, Herr Secretarius! (Zurückkommend.) Nichts hört er,
- und hin zieht er--Ist mir's doch wie Gift und Operment, wenn ich den
- Federfuchser zu Gesichte krieg'. Ein confiscierter widriger Kerl,
- als hätt' ihn irgend ein Schleichhändler in die Welt meines Herrgotts
- hineingeschachert--Die kleinen tückischen Mausaugen--die Haare
- brandroth--das Kinn herausgequollen, gerade als wenn die Natur für
- purem Gift über das verhunzte Stück Arbeit meinen Schlingel da
- angefaßt und in irgend eine Ecke geworfen hätte--Nein! eh ich meine
- Tochter an so einen Schuft wegwerfe, lieber soll sie mir--Gott
- verzeih mir's-Frau (spuckt aus, giftig). Der Hund!--aber man wird
- dir's Maul sauber halten!
- Miller. Du aber auch mit deinem pestilenzialischen Junker--Hast mich
- vorhin auch so in Harnisch gebracht--Bist doch nie dummer, als wenn
- du um Gotteswillen gescheidt sein solltest. Was hat das Geträtsch
- von einer gnädigen Madam und deiner Tochter da vorstellen sollen?
- Das ist mir der Alte! Dem muß man so was an die Nase heften, wenn's
- morgen am Marktbrunnen ausgeschellt sein soll. Das ist just so ein
- Musje, wie sie in der Leute Häusern herumriechen, über Keller und
- Koch räsonnieren, und springt einem ein nasenweises Wort übers
- Maul--Bumbs! haben's Fürst und Mätreß und Präsident, und du hast das
- siedende Donnerwetter am Halse.
- Dritte Scene.
- Luise Millerin kommt, ein Buch in der Hand. Vorige.
- Luise (legt das Buch nieder, geht zu Millern und drückt ihm die Hand).
- Guten Morgen, lieber Vater.
- Miller (warm). Brav, meine Luise--Freut mich, daß du so fleißig an
- deinen Schöpfer denkst. Bleib immer so, und sein Arm wird dich
- halten.
- Luise. O! ich bin eine schwere Sünderin, Vater--War er da, Mutter?
- Frau. Wer, mein Kind?
- Luise. Ah! ich vergaß, daß es noch außer ihm Menschen gibt--Mein
- Kopf ist so wüste--Er war nicht da? Walter?
- Miller (traurig und ernsthaft). Ich dachte, meine Luise hätte den
- Namen in der Kirche gelassen?
- Luise (nachdem sie ihn eine Zeitlang starr angesehen). Ich versteh'
- ihn, Vater--fühle das Messer, das Er in mein Gewissen stößt; aber es
- kommt zu spät.--Ich hab' keine Andacht mehr, Vater--der Himmel und
- Ferdinand reißen an meiner blutenden Seele, und ich fürchte--ich
- fürchte--(Nach einer Pause.) Doch nein, guter Vater. Wenn wir ihn
- über dem Gemälde vernachlässigen, findet sich ja der Künstler am
- feinsten gelobt.--Wenn meine Freude über sein Meisterstück mich ihn
- selbst übersehen macht, Vater, muß das Gott nicht ergötzen?
- Miller (wirft sich unmuthig in den Stuhl). Da haben wir's! Das ist
- die Frucht von dem gottlosen Lesen.
- Luise (tritt unruhig an ein Fenster). Wo er wohl jetzt ist?--Die
- vornehmen Fräulein, die ihn sehen--ihn hören--ich bin ein schlechtes,
- vergessenes Mädchen. (Erschrickt an dem Wort und stürzt ihrem Vater
- zu.) Doch nein, nein! verzeih' Er mir. Ich beweine mein Schicksal
- nicht. Ich will ja nur wenig--an ihn denken--das kostet ja nichts.
- Dies Bischen Leben--dürft' ich es hinhauchen in ein leises,
- schmeichelndes Lüftchen, sein Gesicht abzukühlen;--dies Blümchen
- Jugend--wär' es ein Veilchen, und er träte drauf, und es dürfte
- bescheiden unter ihm sterben!--Damit genügte mir, Vater! Wenn die
- Mücke in ihren Strahlen sich sonnt--kann sie das strafen, die stolze
- majestätische Sonne?
- Miller (beugt sich gerührt an die Lehne des Stuhls und bedeckt das
- Gesicht). Höre, Luise--das Bissel Bodensatz meiner Jahre, ich gäb'
- es hin, hättest du den Major nie gesehen.
- Luise (erschrocken). Was sagt Er da? was?--Nein, er meint es anders,
- der gute Vater. Er wird nicht wissen, daß Ferdinand mein ist, mir
- geschaffen, mir zur Freude vom Vater der Liebenden. (Sie steht
- nachdenkend.) Als ich ihn das Erstemal sah--(rascher) und mir das
- Blut in die Wangen stieg, froher jagten alle Pulse, jede Wallung
- sprach, jeder Athem lispelte: er ist's!--und mein Herz den
- Immermangelnden erkannte, bekräftigte: er ist's! und wie das
- wiederklang durch die ganze mitfreuende Welt! Damals--o damals ging
- in meiner Seele der erste Morgen auf. Tausend junge Gefühle schossen
- aus meinem Herzen, wie die Blumen aus dem Erdreich, wenn's Frühling
- wird. Ich sah keine Welt mehr, und doch besinn' ich mich, daß sie
- niemals so schön war. Ich wußte von keinem Gott mehr, und doch hatt'
- ich ihn nie so geliebt.
- Miller (tritt auf sie zu, drückt sie wider seine Brust).
- Luise--theures--herrliches Kind--nimm meinen alten mürben Kopf--nimm
- Alles--Alles!--den Major--Gott ist mein Zeuge--ich kann dir ihn
- nimmer geben. (Er geht ab.)
- Luise. Auch will ich ihn ja jetzt nicht, mein Vater! Dieser karge
- Thautropfen Zeit--schon ein Traum von Ferdinand trinkt ihn wollüstig
- auf. Ich entsag' ihm für dieses Leben. Dann, Mutter--dann wenn die
- Schranken des Unterschieds einstürzen--wenn von uns abspringen all
- die verhaßten Hülsen des Standes--Menschen nur Menschen sind--Ich
- bringe nichts mit mir, als meine Unschuld; aber der Vater hat ja so
- oft gesagt, daß der Schmuck und die prächtigen Titel wohlfeil werden,
- wenn Gott kommt, und die Herzen im Preise steigen. Ich werde dann
- reich sein. Dort rechnet man Thränen für Triumphe und schöne
- Gedanken für Ahnen an. Ich werde dann vornehm sein, Mutter--Was
- hätte er dann noch vor seinem Mädchen voraus?
- Frau (fährt in die Höhe). Luise! der Major! Er springt über die
- Planke. Wo verberg' ich mich doch?
- Luise (fängt an zu zittern). Bleib Sie doch, Mutter!
- Frau. Mein Gott! Wie seh' ich aus; ich muß mich ja schämen. Ich
- darf mich nicht vor seiner Gnaden so sehen lassen. (Ab.)
- Vierte Scene.
- Ferdinand von Walter. Luise.
- (Er fliegt auf sie zu--sie sinkt entfärbt und matt auf einen
- Sessel--er bleibt vor ihr stehn--sie sehen sich eine Zeitlang
- stillschweigend an. Pause.)
- Ferdinand. Du bist blaß, Luise?
- Luise (steht auf und fällt ihm um den Hals). Es ist nichts! nichts!
- Du bist ja da. Es ist vorüber.
- Ferdinand (ihr Hand nehmend und zum Munde führend). Und liebt mich
- meine Luise noch? Mein Herz ist das gestrige, ist's auch das deine
- noch? Ich fliege nur her, will sehen, ob du heiter bist, und gehn
- und es auch sein--Du bist's nicht.
- Luise. Doch, doch, mein Geliebter.
- Ferdinand. Rede mir Wahrheit. Du bist's nicht. Ich schau durch
- deine Seele, wie durch das klare Wasser dieses Brillanten. (Zeigt
- auf seinen Ring.) Hier wirft sich kein Bläschen auf, das ich nicht
- merkte--kein Gedanke tritt in dies Angesicht, der mir entwischte.
- Was hast du? Geschwind! Weiß ich nur diesen Spiegel helle, so läuft
- keine Wolke über die Welt. Was bekümmert dich?
- Luise (sieht ihn eine Weile stumm und bedeutend an, dann mit Wehmuth).
- Ferdinand! Ferdinand! Daß du doch wüßtest, wie schön in dieser
- Sprache das bürgerliche Mädchen sich ausnimmt-Ferdinand. Was ist
- das? (Befremdet.) Mädchen! Höre! wie kommst du auf das?--Du bist
- meine Luise. Wer sagt dir, daß du noch etwas sein solltest? Siehst
- du, Falsche, auf welchem Kaltsinn ich dir begegnen muß. Wärest du
- ganz nur Liebe für mich, wann hättest du Zeit gehabt, eine
- Vergleichung zu machen? Wenn ich bei dir bin, zerschmilzt meine
- Vernunft in einen Blick--in einen Traum von dir, wenn ich weg bin,
- und du hast noch eine Klugheit neben deiner Liebe?--Schäme dich!
- Jeder Augenblick, den du an diesen Kummer verlorst, war deinem
- Jüngling gestohlen.
- Luise (faßt seine Hand, indem sie den Kopf schüttelt). Du willst
- mich einschläfern, Ferdinand--willst meine Augen von diesem Abgrund
- hinweglocken, in den ich ganz gewiß stürzen muß. Ich seh' in die
- Zukunft--die Stimme des Ruhms--deine Entwürfe--dein Vater--mein
- Nichts. (Erschrickt und läßt plötzlich seine Hand fahren.) Ferdinand!
- Ein Dolch über dir und mir!--Man trennt uns!
- Ferdinand. Trennt uns! (Er springt auf.) Woher bringst du diese
- Ahnung, Luise? Trennt uns?--Wer kann den Bund zweier Herzen lösen,
- oder die Töne eines Accords auseinander reißen?--Ich bin ein
- Edelmann--Laß doch sehen, ob mein Adelbrief älter ist, als der Riß
- zum unendlichen Weltall? oder mein Wappen gültiger, als die
- Handschrift des Himmels in Luisens Augen: dieses Weib ist für diesen
- Mann?--Ich bin des Präsidenten Sohn. Eben darum. Wer, als die Liebe,
- kann mir die Flüche versüßen, die mir der Landeswucher meines Vaters
- vermachen wird?
- Luise. O wie sehr fürcht' ich ihn--diesen Vater!
- Ferdinand. Ich fürchte nichts--nichts--als die Grenzen deiner Liebe.
- Laß auch Hindernisse wie Gebirge zwischen uns treten, ich will sie
- für Treppen nehmen und drüber hin in Luisens Arme fliegen. Die
- Stürme des widrigen Schicksals sollen meine Empfindung emporblasen,
- Gefahren werden meine Luise nur reizender machen.--Also nichts mehr
- von Furcht, meine Liebe. Ich selbst--ich will über dir wachen, wie
- der Zauberdrach über unterirdischem Golde--Mir vertraue dich! Du
- brauchst keinen Engel mehr--Ich will mich zwischen dich und das
- Schicksal werfen--empfangen für dich jede Wunde--auffassen für dich
- jeden Tropfen aus dem Becher der Freude--dir ihn bringen in die
- Schale der Liebe. (Sie zärtlich umfassend.) An diesem Arm soll meine
- Luise durchs Leben hüpfen; schöner, als er dich von sich ließ, soll
- der Himmel dich wieder haben und mit Verwunderung eingestehn, daß nur
- die Liebe die letzte Hand an die Seelen legte-Luise (drückt ihn von
- sich, in großer Bewegung). Nichts mehr! Ich bitte dich, schweig!
- --Wüßtest du--Laß mich--du weißt nicht, daß deine Hoffnungen mein
- Herz wie Furien anfallen. (Will fort.)
- Ferdinand (hält sie auf). Luise? Wie! Was! Welche Anwandlung?
- Luise. Ich hatte diese Träume vergessen und war glücklich--Jetzt!
- jetzt! von heut an--der Friede meines Lebens ist aus--Wilde
- Wünsche--ich weiß es--werden in meinem Busen rasen.--Geh--Gott
- vergebe dir's--Du hast den Feuerbrand in mein junges, friedsames Herz
- geworfen, und er wird nimmer, nimmer gelöscht werden. (Sie stürzt
- hinaus. Er folgt ihr sprachlos nach.)
- Fünfte Scene.
- Saal beim Präsidenten.
- Der Präsident, ein Ordenskreuz um den Hals, einen Stern an der Seite,
- und Secretär Wurm treten auf.
- Präsident. Ein ernsthaftes Attachement! Mein Sohn?--Nein, Wurm, das
- macht Er mich nimmermehr glauben.
- Wurm. Ihro Excellenz haben die Gnade, mir den Beweis zu befehlen.
- Präsident. Daß er der Bürgercanaille den Hof macht--Flatterieen
- sagt--auch meinetwegen Empfindungen vorplaudert--das sind lauter
- Sachen, die ich möglich finde--verzeihlich finde--aber--und noch gar
- die Tochter eines Musikus, sagt Er?
- Wurm. Musikmeister Millers Tochter.
- Präsident. Hübsch--Zwar das versteht sich.
- Wurm (lebhaft). Das schönste Exemplar einer Blondine, die, nicht zu
- viel gesagt, neben den ersten Schönheiten des Hofes noch Figur machen
- würde.
- Präsident (lacht). Er sagt mir, Wurm--Er habe ein Aug auf das
- Ding--das find' ich. Aber sieht Er, mein lieber Wurm--daß mein Sohn
- Gefühl für das Frauenzimmer hat, macht mir Hoffnung, daß ihn die
- Damen nicht hassen werden. Er kann bei Hof etwas durchsetzen. Das
- Mädchen ist schön, sagt Er; das gefällt mir an meinem Sohn, daß er
- Geschmack hat. Spiegelt er der Närrin solide Absichten vor? Noch
- besser--so seh' ich, daß er Witz genug hat, in seinen Beutel zu lügen.
- Er kann Präsident werden. Setzt er es noch dazu durch? Herrlich!
- das zeigt mir an, daß er Glück hat.--Schließt sich die Farce mit
- einem gesunden Enkel--unvergleichlich! so trink' ich auf die guten
- Aspecten meines Stammbaums eine Bouteille Malaga mehr und bezahle die
- Scortationsstrafe für seine Dirne.
- Wurm. Alles, was ich wünsche, Ihr' Excellenz, ist, daß Sie nicht
- nöthig haben möchten, diese Bouteille zu Ihrer Zerstreuung zu trinken.
- Präsident (ernsthaft). Wurm, besinn' Er sich, daß ich, wenn ich
- einmal glaube, hartnäckig glaube; rase, wenn ich zürne--Ich will
- einen Spaß daraus machen, daß Er mich aufhetzen wollte. Daß Er sich
- seinen Nebenbuhler gern vom Hals geschafft hätte, glaub' ich Ihm
- herzlich gern. Da Er meinen Sohn bei dem Mädchen auszustechen Mühe
- haben möchte, soll Ihm der Vater zur Fliegenklatsche dienen, das
- find' ich wieder begreiflich--und daß er einen so herrlichen Ansatz
- zum Schelmen hat, entzückt mich sogar--Nur, mein lieber Wurm, muß Er
- mich nicht mit prellen wollen.--Nur, versteht Er mich, muß Er den
- Pfiff nicht bis zum Einbruch in meine Grundsätze treiben.
- Wurm. Ihro Excellenz verzeihen. Wenn auch wirklich--wie Sie
- argwohnen--die Eifersucht hier im Spiel sein sollte, so wäre sie es
- wenigstens nur mit den Augen und nicht mit der Zunge.
- Präsident. Und ich dächte, sie bliebe ganz weg. Dummer Teufel, was
- verschlägt es denn Ihm, ob Er die Karolin frisch aus der Münze oder vom
- Bankier bekommt. Tröst' Er sich mit dem hiesigen Adel--wissentlich
- oder nicht--bei uns wird selten eine Mariage geschlossen, wo nicht
- wenigstens ein halb Dutzend der Gäste--oder der Aufwärter--das Paradies
- des Bräutigams geometrisch ermessen kann.
- Wurm (verbeugt sich). Ich mache hier gern den Bürgersmann, gnädiger
- Herr.
- Präsident. Überdies kann Er mit Nächstem die Freude haben, seinem
- Nebenbuhler den Spott auf die schönste Art heimzugeben. Eben jetzt
- liegt der Anschlag im Kabinet, daß, auf die Ankunft der neuen
- Herzogin, Lady Milford zum Schein den Abschied erhalten und, den
- Betrug vollkommen zu machen, eine Verbindung eingehen soll. Er weiß,
- Wurm, wie sehr sich mein Ansehen auf den Einfluß der Lady stützt--wie
- überhaupt meine mächtigsten Springfedern in die Wallungen des Fürsten
- hineinspielen. Der Herzog sucht eine Partie für die Milford. Ein
- Anderer kann sich melden--den Kauf schließen, mit der Dame das
- Vertrauen des Fürsten anreißen, sich ihm unentbehrlich machen--Damit
- nun der Fürst im Netz meiner Familie bleibe, soll mein Ferdinand die
- Milford heirathen--Ist Ihm das helle?
- Wurm. Daß mich die Augen beißen--Wenigstens bewies der Präsident
- hier, daß der Vater nur ein Anfänger gegen ihn ist. Wenn der Major
- Ihnen eben so den gehorsamen Sohn zeigt, als Sie ihm den zärtlichen
- Vater, so dürfte Ihre Anforderung mit Protest zurückkommen.
- Präsident. Zum Glück war mir noch nie für die Ausführung eines
- Entwurfes bang, wo ich mich mit einem: es soll so sein! einstellen
- konnte.--Aber seh' Er nun, Wurm, das hat uns wieder auf den vorigen
- Punkt geleitet. Ich kündige meinem Sohn noch diesen Vormittag seine
- Vermählung an. Das Gesicht, das er mir zeigen wird, soll Seinen
- Argwohn entweder rechtfertigen oder ganz widerlegen.
- Wurm. Gnädiger Herr, ich bitte sehr um Vergebung. Das finstre
- Gesicht, das er Ihnen ganz zuverlässig zeigt, läßt sich eben so gut
- auf die Rechnung der Braut schreiben, die Sie ihm zuführen, als
- derjenigen, die Sie ihm nehmen. Ich ersuche Sie um eine schärfere
- Probe. Wählen Sie ihm die untadelichste Partie im Lande, und sagt er
- Ja, so lassen Sie den Secretär Wurm drei Jahre Kugeln schleifen.
- Präsident (heißt die Lippen). Teufel!
- Wurm. Es ist nicht anders! Die Mutter--die Dummheit selbst--hat mir
- in der Einfalt zu viel geplaudert.
- Präsident (geht auf und nieder, preßt seinen Zorn zurück). Gut!
- Diesen Morgen noch.
- Wurm. Nur vergessen Ew. Excellenz nicht, daß der Major--der Sohn
- meines Herrn ist!
- Präsident. Er soll geschont werden, Wurm.
- Wurm. Und daß der Dienst, Ihnen von einer unwillkommenen
- Schwiegertochter zu helfen-Präsident. Den Gegendienst werth ist, Ihm
- zu einer Frau zu helfen?--Auch das, Wurm!
- Wurm (bückt sich vergnügt). Ewig der Ihrige, gnädiger Herr! (Er
- will gehen.)
- Präsident. Was ich Ihm vorhin vertraut habe, Wurm! (Drohend.) Wenn
- Er plaudert-Wurm (lacht). So zeigen Ihr' Excellenz meine falschen
- Handschriften auf. (er geht ab.)
- Präsident. Zwar bist du mir gewiß! Ich halte dich an deiner eigenen
- Schurkerei, wie den Schröter am Faden.
- Ein Kammerdiener (tritt herein). Hofmarschall von Kalb-Präsident.
- Kommt wie gerufen.--Er soll mir angenehm sein. (Kammerdiener geht.)
- Sechste Scene.
- Hofmarschall von Kalb in einem reichen, aber geschmacklosen Hofkleid,
- mit Kammerherrnschlüsseln, zwei Uhren und einem Degen, Chapeaubas und
- frisiert à la Hérisson. Er fliegt mit großem Gekreisch auf den
- Präsidenten zu und breitet einen Bisamgeruch über das ganze Parterre.
- Präsident.
- Hofmarschall (ihn umarmend). Ah guten Morgen, mein Bester! Wie geruht?
- wie geschlafen?--Sie verzeihen doch, daß ich so spät das Vergnügen
- habe--dringende Geschäfte--der Küchenzettel--Visitenbillets--das
- Arrangement der Partieen auf die heutige Schlittenfahrt--Ah--und dann
- mußt' ich ja auch bei dem Lever zugegen sein und Seiner Durchleucht das
- Wetter verkündigen.
- Präsident. Ja, Marschall, da haben Sie freilich nicht abkommen
- können.
- Hofmarschall. Oben drein hat mich ein Schelm von Schneider noch
- sitzen lassen.
- Präsident. Und doch fix und fertig?
- Hofmarschall. Das ist noch nicht Alles.--Ein Malheur jagt heut das
- andere. Hören Sie nur!
- Präsident (zerstreut). Ist das möglich?
- Hofmarschall. Hören Sie nur! Ich steige kaum aus dem Wagen, so
- werden die Hengste scheu, stampfen und schlagen aus, daß mir--ich
- bitte Sie!--der Gassenkoth über und über an die Beinkleider spritzt.
- Was anzufangen? Setzen Sie sich um Gotteswillen in meine Lage, Baron!
- Da stand ich. Spät war es. Eine Tagreise ist es--und in dem
- Aufzug vor Seine Durchleucht! Gott der Gerechte!--Was fällt mir bei?
- Ich fingiere eine Ohnmacht. Man bringt mich über Hals und Kopf in
- die Kutsche. Ich in voller Carrière nach Haus--wechsle die
- Kleider--fahre zurück--Was sagen Sie?--und bin noch der erste in der
- Antichambre--Was denken Sie?-Präsident. Ein herrliches Impromptu des
- menschlichen Witzes--Doch das beiseite, Kalb--Sie sprachen also schon
- mit dem Herzog?
- Hofmarschall (wichtig). Zwanzig Minuten und eine halbe.
- Präsident. Das gesteh' ich!--und wissen wir also ohne Zweifel eine
- wichtige Neuigkeit?
- Hofmarschall (ernsthaft, nach einigem Stillschweigen). Seine
- Durchleucht haben heute einen Merde d'Oye Biber an.
- Präsident. Man denke!--Nein, Marschall, so hab' ich doch eine
- bessere Zeitung für Sie--Daß Lady Milford Majorin von Walter wird,
- ist Ihnen gewiß etwas Neues?
- Hofmarschall. Denken Sie!--Und das ist schon richtig gemacht?
- Präsident. Unterschrieben, Marschall--und Sie verbinden mich, wenn
- Sie ohne Aufschub dahin gehen, die Lady auf seinen Besuch präparieren
- und den Entschluß meiner Ferdinands in der ganzen Residenz bekannt
- machen.
- Hofmarschall (entzückt). O mit tausend Freuden, mein Bester!--Was
- kann mir erwünschter kommen?--Ich fliege sogleich--(Umarmt ihn.)
- Leben Sie wohl--in drei Viertelstunden weiß es die ganze Stadt.
- (Hüpft hinaus.)
- Präsident (lacht dem Marschall nach). Man sage noch, daß diese
- Geschöpfe in der Welt zu nichts taugen--Nun muß ja mein Ferdinand
- wollen, oder die ganze Stadt hat gelogen. (Klingelt--Wurm kommt.)
- Mein Sohn soll hereinkommen. (Wurm geht ab, der Präsident auf und
- nieder, gedankenvoll.)
- Siebente Scene.
- Ferdinand. Präsident. Wurm, welcher gleich abgeht.
- Ferdinand. Sie haben befohlen, gnädiger Herr Vater-Präsident.
- Leider muß ich das, wenn ich meines Sohns einmal froh werden
- will--Laß Er uns allein, Wurm!--Ferdinand, ich beobachte dich schon
- eine Zeitlang und finde die offene rasche Jugend nicht mehr, die mich
- sonst so entzückt hat. Ein seltsamer Gram brütet auf deinem Gesicht.
- Du fliehst mich--du fliehst deine Zirkel--Pfui!--Deinen Jahren
- verzeiht man zehn Ausschweifungen vor einer einzigen Grille.
- Überlaß diese mir, lieber Sohn! Mich laß an deinem Glück arbeiten
- und denke auf nichts, als in meine Entwürfe zu spielen.--Komm! umarme
- mich, Ferdinand!
- Ferdinand. Sie sind heute sehr gnädig, mein Vater.
- Präsident. Heute, du Schalk--und dieses Heute noch mit der herben
- Grimasse? (Ernsthaft.) Ferdinand!--Wem zu lieb hab' ich die
- gefährliche Bahn zum Herzen des Fürsten betreten? Wem zu lieb bin
- ich auf ewig mit meinem Gewissen und dem Himmel zerfallen?--Höre,
- Ferdinand!--Ich spreche mit meinem Sohn--Wem hab' ich durch die
- Hinwegräumung meines Vorgängers Platz gemacht--eine Geschichte, die
- desto blutiger in mein Inwendiges schneidet, je sorgfältiger ich das
- Messer der Welt verberge! Höre! sage mir, Ferdinand! Wem that ich
- Dies alles?
- Ferdinand (tritt mit Schrecken zurück). Doch mir nicht, mein Vater?
- Doch auf mich soll der blutige Widerschein dieses Frevels nicht
- fallen? Beim allmächtigen Gott! es ist besser, gar nicht geboren zu
- sein, als dieser Missethat zur Ausrede dienen!
- Präsident. Was war das? Was? Doch ich will es dem Romanenkopfe zu
- gut halten!--Ferdinand!--ich will mich nicht erhitzen, vorlauter
- Knabe--Lohnst du mir also für meine schlaflosen Nächte? Also für
- meine rastlose Sorge? Also für den ewigen Scorpion meines
- Gewissens?--Auf mich fällt die Last der Verantwortung--auf mich der
- Fluch, der Donner des Richters--Du empfängst dein Glück von der
- zweiten Hand--das Verbrechen klebt nicht am Erbe.
- Ferdinand (streckt die rechte Hand gen Himmel). Feierlich entsag'
- ich hier einem Erbe, das mich nur an einen abscheulichen Vater
- erinnert.
- Präsident. Höre, junger Mensch, bringe mich nicht auf!--Wenn es nach
- deinem Kopf ginge, du kröchest dein Lebenlang im Staube.
- Ferdinand. O, immer noch besser, Vater, als ich kröch' um den Thron
- herum.
- Präsident (verbeißt seinen Zorn). Hum!--Zwingen muß man dich,
- dein Glück zu erkennen. Wo zehn Andre mit aller Anstrengung
- nicht hinaufklimmen, wirst du spielend, im Schlafe gehoben. Du
- bist im zwölften Jahre Fähndrich. Im zwanzigsten Major. Ich
- hab' es durchgesetzt beim Fürsten. Du wirst die Uniform
- ausziehen und in das Ministerium eintreten. Der Fürst sprach
- vom Geheimenrath--Gesandtschaften--außerordentlichen Gnaden.
- Eine herrliche Aussicht dehnt sich vor dir!--Die ebene Straße
- zunächst nach dem Throne--zum Throne selbst, wenn anders die
- Gewalt so viel werth ist, als ihr Zeichen--das begeistert dich
- nicht?
- Ferdinand. Weil meine Begriffe von Größe und Glück nicht ganz die
- Ihrigen sind--Ihre Glückseligkeit macht sich nur selten anders, als
- durch Verderben bekannt. Neid, Furcht, Verwünschung sind die
- traurigen Spiegel, worin sich die Hoheit eines Herrschers belächelt.
- --Thränen, Flüche, Verzweiflung die entsetzliche Mahlzeit, woran
- diese gepriesenen Glücklichen schwelgen, von der sie betrunken
- aufstehen und so in die Ewigkeit vor den Thron Gottes taumeln--Mein
- Ideal von Glück zieht sich genügsamer in mich selbst zurück. In
- meinem Herzen liegen alle meine Wünsche begraben.-Präsident.
- Meisterhaft! Unverbesserlich! Herrlich! Nach dreißig Jahren die
- erste Vorlesung wieder!--Schade nur, daß mein fünfzigjähriger Kopf zu
- zäh für das Lernen ist!--Doch--dies seltne Talent nicht einrosten zu
- lassen, will ich dir Jemand an die Seite geben, bei dem du dich in
- dieser buntscheckigen Tollheit nach Wunsch exercieren kannst.--Du
- wirst dich entschließen--noch heute entschließen--eine Frau zu nehmen.
- Ferdinand (tritt bestürzt zurück). Mein Vater?
- Präsident. Ohne Complimente.--Ich habe der Lady Milford in deinem
- Namen eine Karte geschickt. Du wirst dich ohne Aufschub bequemen,
- dahin zu gehen und ihr zu sagen, daß du ihr Bräutigam bist!
- Ferdinand. Der Milford, mein Vater?
- Präsident. Wenn sie dir bekannt ist-Ferdinand (außer Fassung).
- Welcher Schandsäule im Herzogthum ist sie das nicht!--Aber ich bin
- wohl lächerlich, lieber Vater, daß ich Ihre Laune für Ernst aufnehme?
- Würden Sie Vater zu dem Schurken Sohn sein wollen, der eine
- privilegierte Buhlerin heirathete?
- Präsident. Noch mehr! Ich würde selbst um sie werben, wenn sie
- einen Fünfziger möchte--Würdest du zu dem Schurken Vater nicht Sohn
- sein wollen?
- Ferdinand. Nein! So wahr Gott lebt!
- Präsident. Eine Frechheit, bei meiner Ehre! die ich ihrer Seltenheit
- wegen vergebe-Ferdinand. Ich bitte Sie, Vater! Lassen Sie mich
- nicht länger in einer Vermuthung, wo es mir unerträglich wird, mich
- Ihren Sohn zu nennen.
- Präsident. Junge, bist du toll? Welcher Mensch von Vernunft würde
- nicht nach der Distinction geizen, mit seinem Landesherrn an einem
- dritten Orte zu wechseln?
- Ferdinand. Sie werden mir zum Räthsel, mein Vater. Distinction
- nennen Sie es--Distinction, da mit dem Fürsten zu theilen, wo er auch
- unter den Menschen hinunterkriecht?
- Präsident (schlägt ein Gelächter auf).
- Ferdinand. Sie können lachen--und ich will über das hinweggehen,
- Vater. Mit welchem Gesicht soll ich unter den schlechtesten
- Handwerker treten, der mit seiner Frau wenigstens doch einen ganzen
- Körper zum Mitgift bekommt? Mit welchem Gesicht vor die Welt? Vor
- den Fürsten? Mit welchem vor die Buhlerin selbst, die den
- Brandflecken ihrer Ehre in meiner Schande auswaschen würde?
- Präsident. Wo in aller Welt bringst du das Maul her, Junge?
- Ferdinand. Ich beschwöre Sie bei Himmel und Erde! Vater, Sie können
- durch diese Hinwerfung Ihres einzigen Sohnes so glücklich nicht
- werden, als Sie ihn unglücklich machen. Ich gebe Ihnen mein Leben,
- wenn das Sie steigen machen kann. Mein Leben hab' ich von Ihnen, ich
- werde keinen Augenblick anstehen, es ganz Ihrer Größe zu opfern.
- --Meine Ehre, Vater--wenn Sie mir diese nehmen, so war es ein
- leichtfertiges Schelmenstück, mir das Leben zu geben, und ich muß den
- Vater wie den Kuppler verfluchen.
- Präsident (freundlich, indem er ihn auf die Achsel klopft). Brav,
- lieber Sohn. Jetzt seh' ich, daß du ein ganzer Kerl bist und der
- besten Frau im Herzogthum würdig. Sie soll dir werden--noch diesen
- Mittag wirst du dich mit der Gräfin von Ostheim verloben.
- Ferdinand (aufs Neue betreten). Ist diese Stunde bestimmt, mich ganz
- zu zerschmettern?
- Präsident (einen lauernden Blick auf ihn werfend). Wo doch
- hoffentlich deine Ehre nichts einwenden wird?
- Ferdinand. Nein, mein Vater! Friederike von Ostheim könnte jeden
- Andern zum Glücklichsten machen. (Vor sich in höchster Verwirrung.)
- Was seine Bosheit an seinem Herzen noch ganz ließ, zerreißt seine
- Güte.
- Präsident (noch immer kein Auge von ihm wendend). Ich warte auf
- deine Dankbarkeit, Ferdinand-Ferdinand (stürzt auf ihn zu und küßt
- ihm feurig die Hand). Ihre Gnade entflammt meine ganze
- Empfindung--Vater! meinen heißesten Dank für Ihre herzliche
- Meinung--Ihre Wahl ist untadelhaft--aber--ich kann--ich
- darf--bedauern Sie mich--ich kann die Gräfin nicht lieben!
- Präsident (tritt einen Schritt zurück). Holla! Jetzt hab'
- ich den jungen Herrn! Also in diese Falle ging er, der
- listige Heuchler--Also es war nicht die Ehre, die dir die Lady
- verbot?--Es war nicht die Person, sondern die Heirath, die du
- verabscheutest?-Ferdinand (steht zuerst wie versteinert, dann
- fährt er auf und will fortrennen).
- Präsident. Wohin? Halt! Ist das der Respect, den du mir schuldig
- bist? (Der Major kehrt zurück.) Du bist bei der Lady gemeldet. Der
- Fürst hat mein Wort. Stadt und Hof wissen es richtig.--Wenn du mich
- zum Lügner machst, Junge--vor dem Fürsten--der Lady--der Stadt--dem
- Hof mich zum Lügner machst--Höre, Junge--oder wenn ich hinter gewisse
- Historien komme?--Halt! Holla! Was bläst so auf einmal das Feuer in
- deinen Wangen aus?
- Ferdinand (schneeblaß und zitternd). Wie? Was? Es ist gewiß nichts,
- mein Vater!
- Präsident (einen fürchterlichen Blick auf ihn heftend). Und wenn es
- was ist--und wenn ich die Spur finden sollte, woher diese
- Widersetzlichkeit stammt--Ha, Junge! der bloße Verdacht schon bringt
- mich zum Rasen! Geh den Augenblick! Die Wachtparade fängt an! Du
- wirst bei der Lady sein, sobald die Parole gegeben ist--Wenn ich
- auftrete, zittert ein Herzogthum. Laß doch sehen, ob mich ein
- Starrkopf von Sohn meistert. (Er geht und kommt noch einmal wieder.)
- Junge, ich sage dir, du wirst dort sein, oder fliehe meinen Zorn!
- (Er geht ab.)
- Ferdinand (erwacht aus einer dumpfen Betäubung). Ist er weg? War
- das eines Vaters Stimme?--Ja! ich will zu ihr--will hin--will ihr
- Dinge sagen, will ihr einen Spiegel vorhalten--Nichtswürdige! und
- wenn du auch noch dann meine Hand verlangst--Im Angesicht des
- versammelten Adels, des Militärs und des Volks--Umgürte dich mit dem
- ganzen Stolz deines Englands--Ich verwerfe dich--ein deutscher
- Jüngling! (Er eilt hinaus.)
- Zweiter Akt.
- Ein Saal im Palais der Lady Milford; zur rechten Hand steht ein Sopha,
- zur linken ein Flügel.
- Erste Scene.
- Lady in einem freien, aber reizenden Negligé, die Haare noch
- unfrisiert, sitzt vor dem Flügel und phantasiert; Sophie, die
- Kammerjungfer, kommt von dem Fenster.
- Sophie. Die Officiers gehen auseinander. Die Wachtparade ist
- aus--aber ich sehe noch keinen Walter.
- Lady (sehr unruhig, indem sie aufsteht und einen Gang durch den Saal
- macht). Ich weiß nicht, wie ich mich heute finde, Sophie--Ich bin
- noch nie so gewesen--Also du sahst ihn gar nicht?--Freilich wohl--Es
- wird ihm nicht eilen--Wie ein Verbrechen liegt es auf meiner
- Brust--Geh, Sophie--Man soll mir den wildesten Renner herausführen,
- der im Marstall ist. Ich muß ins Freie--Menschen sehen und blauen
- Himmel, und mich leichter reiten ums Herz herum.
- Sophie. Wenn Sie sich unpäßlich fühlen, Milady--berufen Sie
- Assemblee hier zusammen. Lassen Sie den Herzog hier Tafel halten,
- oder die l'Hombretische vor Ihren Sopha setzen. Mir sollte der Fürst
- und sein ganzer Hof zu Gebote stehen und eine Grille im Kopfe surren?
- Lady (wirft sich in den Sopha). Ich bitte, verschone mich! Ich gebe
- dir einen Demant für jede Stunde, wo ich sie mir vom Hals schaffen
- kann! Soll ich meine Zimmer mit diesem Volk tapezieren?--Das sind
- schlechte, erbärmliche Menschen, die sich entsetzen, wenn mir ein
- warmes herzliches Wort entwischt, Mund und Nasen aufreißen, als sähen
- sie eine Geist--Sklaven eines einzigen Marionettendrahts, den ich
- leichter als mein Filet regiere!--Was fang' ich mit Leuten an, deren
- Seelen so gleich als ihre Sackuhren gehen? Kann ich eine Freude dran
- finden, sie was zu fragen, wenn ich voraus weiß, was sie mir
- antworten werden? Oder Worte mit ihnen zu wechseln, wenn sie das
- Herz nicht haben, andrer Meinung als ich zu sein?--Weg mit ihnen! Es
- ist verdrießlich, ein Roß zu reiten, das nicht auch in den Zügel
- beißt. (Sie tritt zum Fenster.)
- Sophie. Aber den Fürsten werden Sie doch ausnehmen, Lady? Den
- schönsten Mann--den feurigsten Liebhaber--den witzigsten Kopf in
- seinem ganzen Lande!
- Lady (kommt zurück). Denn es ist sein Land--und nur ein Fürstenthum,
- Sophie, kann meinem Geschmack zur erträglichen Ausrede dienen--Du
- sagst, man beneide mich. Armes Ding! Beklagen soll man mich
- vielmehr! Unter Allen, die an den Brüsten der Majestät trinken,
- kommt die Favoritin am schlechtesten weg, weil sie allein dem großen
- und reichen Mann auf dem Bettelstabe begegnet--Wahr ist's, er kann
- mit dem Talisman seiner Größe jeden Gelust meines Herzens, wie ein
- Feenschloß, aus der Erde rufen.--Er setzt den Saft von zwei Indien
- auf die Tafel--ruft Paradiese aus Wildnissen--läßt die Quellen seines
- Landes in stolzen Bögen gen Himmel springen, oder das Mark seiner
- Unterthanen in einem Feuerwerk hinpuffen--Aber kann er auch seinem
- Herzen befehlen, gegen ein großes, feuriges Herz groß und feurig zu
- schlagen? Kann er sein darbendes Gehirn auf ein einziges schönes
- Gefühl exequieren?--Mein Herz hungert bei all dem Vollauf der Sinne;
- und was helfen mich tausend beßre Empfindungen, wo ich nur Wallungen
- löschen darf?
- Sophie (blickt sie verwundernd an). Wie lang ist es denn aber, daß
- ich Ihnen diene, Milady?
- Lady. Weil du erst heute mit mir bekannt wirst?--Es ist wahr, liebe
- Sophie--ich habe dem Fürsten meine Ehre verkauft; aber mein Herz habe
- ich frei behalten--ein Herz, meine Gute, das vielleicht eines Mannes
- noch werth ist--über welches der giftige Wind des Hofes nur wie der
- Hauch über den Spiegel ging--Trau' es mir zu, meine Liebe, daß ich es
- längst gegen diesen armseligen Fürsten behauptet hätte, wenn ich es
- nur von meinem Ehrgeiz erhalten könnte, einer Dame am Hof den Rang
- vor mir einzuräumen.
- Sophie. Und dieses Herz unterwarf sich dem Ehrgeiz so gern?
- Lady (lebhaft). Als wenn es sich nicht schon gerächt hätte?--Nicht
- jetzt noch rächte?--Sophie! (Bedeutend, indem sie die Hand auf
- Sophiens Achsel fallen läßt.) Wir Frauenzimmer können nur zwischen
- Herrschen und Dienen wählen, aber die höchste Wonne der Gewalt ist
- doch nur ein elender Behelf, wenn uns die größere Wonne versagt wird,
- Sklavinnen eines Mannes zu sein, den wir lieben.
- Sophie. Eine Wahrheit, Milady, die ich von Ihnen zuletzt hören
- wollte!
- Lady. Und warum, meine Sophie? Sieht man es denn dieser kindischen
- Führung des Scepters nicht an, daß wir nur für das Gängelband taugen?
- Sahst du es denn diesem launischen Flattersinn nicht an--diesen
- wilden Ergötzungen nicht an, daß sie nur wildere Wünsche in meiner
- Brust überlärmen sollten?
- Sophie (tritt erstaunt zurück). Lady!
- Lady (lebhafter). Befriedige diese! Gib mir den Mann, den ich jetzt
- denke--den ich anbete--sterben, Sophie, oder besitzen muß.
- (Schmelzend.) Laß mich aus seinem Mund es vernehmen, daß Thränen der
- Liebe schöner glänzen in unsern Augen, als die Brillanten in unserm
- Haar, (feurig) und ich werfe dem Fürsten sein Herz und sein
- Fürstenthum vor die Füße, fliehe mit diesem Mann, fliehe in die
- entlegenste Wüste der Welt-Sophie (blickt sie erschrocken an).
- Himmel! Was machen Sie? Wie wird Ihnen, Lady?
- Lady (bestürzt). Du entfärbst dich?--Hab' ich vielleicht etwas zu
- viel gesagt? O so laß mich deine Zunge mit meinem Zutrauen
- binden--höre noch mehr--höre Alles-Sophie (schaut sich ängstlich um).
- Ich fürchte, Milady--ich fürchte--ich brauch' es nicht mehr zu hören.
- Lady. Die Verbindung mit dem Major--Du und die Welt stehen im Wahn,
- sie sei eine Hof-Kabale--Sophie--erröthe nicht--schäme dich meiner
- nicht--sie ist das Werk--meiner Liebe!
- Sophie. Bei Gott! Was mir ahnete!
- Lady. Sie ließen sich beschwatzen, Sophie--der schwache Fürst--der
- hofschlaue Walter--der alberne Marschall--Jeder von ihnen wird darauf
- schwören, daß diese Heirath das unfehlbarste Mittel sei, mich dem
- Herzog zu retten, unser Band um so fester zu knüpfen!--Ja! es auf
- ewig zu trennen! auf ewig diese schändlichen Ketten zu brechen!
- --Belogene Lügner! Von einem schwachen Weib überlistet! Ihr selbst
- führt mir jetzt meinen Geliebten zu! Das war es ja nur, was ich
- wollte--Hab' ich ihn einmal--hab' ich ihn--o dann auf immer gute
- Nacht, abscheuliche Herrlichkeit-
- Zweite Scene.
- Ein alter Kammerdiener des Fürsten, der ein Schmuckkästchen trägt.
- Die Vorigen.
- Kammerdiener. Seine Durchlaucht der Herzog empfehlen sich Milady zu
- Gnaden und schicken Ihnen diese Brillanten zur Hochzeit. Sie kommen
- so eben erst aus Venedig.
- Lady (hat das Kästchen geöffnet und fährt erschrocken zurück).
- Mensch! was bezahlt dein Herzog für diese Steine?
- Kammerdiener (mit finsterm Gesicht). Sie kosten ihn keinen Heller!
- Lady. Was? Bist du rasend? Nichts?--und (indem sie einen Schritt
- von ihm wegtritt) du wirfst mir ja einen Blick zu, als wenn du mich
- durchbohren wolltest--Nichts kosten ihn diese unermeßlich kostbaren
- Steine?
- Kammerdiener. Gestern sind siebentausend Landskinder nach Amerika
- fort--die bezahlen Alles.
- Lady (setzt den Schmuck plötzlich nieder und geht rasch durch den
- Saal, nach einer Pause zum Kammerdiener). Mann! Was ist dir? Ich
- glaube, du weinst?
- Kammerdiener (wischt sich die Augen, mit schrecklicher Stimme, alle
- Glieder zitternd). Edelsteine, wie diese da--ich hab' auch ein paar
- Söhne drunter.
- Lady (wendet sich bebend weg, seine Hand fassend). Doch keinen
- gezwungenen?
- Kammerdiener (lacht fürchterlich). O Gott!--Nein--lauter Freiwillige!
- Es traten wohl so etliche vorlaute Bursch' vor die Front heraus und
- fragten den Obersten, wie theuer der Fürst das Joch Menschen verkaufe.
- --Aber unser gnädigster Landesherr ließ alle Regimenter auf dem
- Paradeplatz aufmarschieren und die Maulaffen niederschießen. Wir
- hörten die Büchsen knallen, sahen ihr Gehirn auf das Pflaster
- spritzen, und die ganze Armee schrie: Juchhe! nach Amerika!-Lady
- (fällt mit Entsetzen in den Sopha). Gott! Gott!--Und ich hörte
- nichts? Und ich merkte nichts?
- Kammerdiener. Ja, gnädige Frau--Warum mußtet ihr denn mit unserm
- Herrn gerad' auf die Bärenhatz reiten, als man den Lärmen zum
- Aufbruch schlug?--Die Herrlichkeit hättet ihr doch nicht versäumen
- sollen, wie uns die gellenden Trommeln verkündigten, es ist Zeit, und
- heulende Waisen dort einen lebendigen Vater verfolgten, und hier eine
- wüthende Mutter lief, ihr saugendes Kind an Bajonetten zu spießen,
- und wie man Bräutigam und Braut mit Säbelhieben auseinander riß, und
- wir Graubärte verzweiflungsvoll da standen und den Burschen auch
- zuletzt die Krücken noch nachwarfen in die neue Welt--Oh, und
- mitunter das polternde Wirbelschlagen, damit der Allwissende uns
- nicht sollte beten hören-Lady (steht auf, heftig bewegt). Weg mit
- diesen Steinen--sie blitzen Höllenflammen in mein Herz. (Sanfter zum
- Kammerdiener.) Mäßige dich, armer alter Mann. Sie werden wieder
- kommen. Sie werden ihr Vaterland wieder sehen.
- Kammerdiener (warm und voll). Das weiß der Himmel! Das werden sie!
- --Noch am Stadtthor drehten sie sich um und schrieen: "Gott mit euch,
- Weib und Kinder!--Es leb' unser Landesvater--Am jüngsten Gericht sind
- wir wieder da!"-Lady (mit starkem Schritt auf und nieder gehend).
- Abscheulich! Fürchterlich!--Mich beredet man, ich habe sie alle
- getrocknet, die Thränen des Landes--Schrecklich, schrecklich gehen
- mir die Augen auf--Geb du--Sag deinem Herrn--Ich werd' ihm persönlich
- danken! (Kammerdiener will gehen, sie wirft ihm ihre Geldbörse in
- den Hut.) Und das nimm, weil du mir Wahrheit sagtest-Kammerdiener
- (wirft sie verächtlich auf den Tisch zurück). Legt's zu dem Übrigen.
- (Er geht ab.)
- Lady (sieht ihm erstaunt nach). Sophie, spring ihm nach, frag' ihn
- um seinen Namen! Er soll seine Söhne wieder haben. (Sophie ab.
- Lady nachdenkend auf und nieder. Pause. Zu Sophien, die wieder
- kommt.) Ging nicht jüngst ein Gerücht, daß das Feuer eine Stadt an
- der Grenze verwüstet und bei vierhundert Familien an den Bettelstab
- gebracht habe? (Sie klingelt.)
- Sophie. Wie kommen Sie auf das? Allerdings ist es so, und die
- mehresten dieser Unglücklichen dienen jetzt ihren Gläubigern als
- Sklaven, oder verderben in den Schachten der fürstlichen
- Silberbergwerke.
- Bedienter (kommt). Was befehlen Milady?
- Lady (gibt ihm den Schmuck). Daß das ohne Verzug in die Landschaft
- gebracht werde!--Man soll es sogleich zu Geld machen, befehl' ich,
- und den Gewinst davon unter die Vierhundert verteilen, die der Brand
- ruiniert hat.
- Sophie. Milady, bedenken Sie, daß Sie die höchste Ungnade wagen!
- Lady (mit Größe). Soll ich den Fluch seines Landes in meinen Haaren
- tragen? (Sie winkt dem Bedienten; dieser geht.) Oder willst du, daß
- ich unter dem schrecklichen Geschirr solcher Thränen zu Boden
- sinke?--Geh, Sophie--Es ist besser, falsche Juwelen im Haar und das
- Bewußtsein dieser That im Herzen zu haben!
- Sophie. Aber Juwelen wie diese! Hätten Sie nicht Ihre schlechtern
- nehmen können? Nein, wahrlich, Milady! es ist Ihnen nicht zu
- vergeben.
- Lady. Närrisches Mädchen! Dafür werden in einem Augenblick mehr
- Brillanten und Perlen für mich fallen, als zehn Könige in ihren
- Diademen getragen, und schönere-Bedienter (kommt zurück). Major von
- Walter-Sophie (springt auf die Lady zu). Gott! Sie verblassen-Lady.
- Der erste Mann, der mir Schrecken macht--Sophie--Jetzt sei unpäßlich,
- Eduard--Halt--Ist er aufgeräumt? Lacht er? Was spricht er? O,
- Sophie! Nicht wahr, ich sehe häßlich aus?
- Sophie. Ich bitte Sie, Lady-Bedienter. Befehlen Sie, daß ich ihn
- abweise?
- Lady (stotternd). Er soll mir willkommen sein. (Bedienter hinaus.)
- Sprich, Sophie--Was sag' ich ihm? Wie empfang' ich ihn?--Ich werde
- stumm sein.--Er wird meiner Schwäche spotten--Er wird--o was ahnet
- mir--Du verlässest mich, Sophie?--Bleib!--Doch nein! Gehe!--So bleib
- doch! (Der Major kommt durch das Vorzimmer.)
- Sophie. Sammeln Sie sich! Er ist schon da!
- Dritte Scene.
- Ferdinand von Walter. Die Vorigen.
- Ferdinand (mit einer kurzen Verbeugung). Wenn ich Sie worin
- unterbreche, gnädige Frau-Lady (unter merkbarem Herzklopfen). In
- nichts, Herr Major, das mir wichtiger wäre.
- Ferdinand. Ich komme auf Befehl meines Vaters-Lady. Ich bin seine
- Schuldnerin.
- Ferdinand. Und soll Ihnen melden, daß wir uns heirathen--So weit der
- Auftrag meines Vaters.
- Lady (entfärbt sich und zittert). Nicht Ihres eigenen Herzens?
- Ferdinand. Minister und Kuppler pflegen das niemals zu fragen.
- Lady (mit einer Beängstigung, daß ihr die Worte versagen). Und Sie
- selbst hätten sonst nichts beizusetzen?
- Ferdinand (mit einem Blick auf die Mamsell). Noch sehr viel, Milady!
- Lady (gibt Sophien einen Wink, diese entfernt sich). Darf ich Ihnen
- diesen Sopha anbieten?
- Ferdinand. Ich werde kurz sein, Milady!
- Lady. Nun?
- Ferdinand. Ich bin ein Mann von Ehre.
- Lady. Den ich zu schätzen weiß.
- Ferdinand. Cavalier.
- Lady. Kein beßrer im Herzogthum.
- Ferdinand. Und Officier.
- Lady (schmeichelhaft). Sie berühren hier Vorzüge, die auch Andere
- mit Ihnen gemein haben. Warum verschweigen Sie größere, worin Sie
- einzig sind?
- Ferdinand (frostig). Hier brauch' ich sie nicht.
- Lady (mit immer steigender Angst). Aber für was muß ich diesen
- Vorbericht nehmen?
- Ferdinand (langsam und mit Nachdruck). Für den Einwurf der Ehre,
- wenn Sie Lust haben sollten, meine Hand zu erzwingen.
- Lady (auffahrend). Was ist das, Herr Major?
- Ferdinand (gelassen). Die Sprache meines Herzens--meines
- Wappens--und dieses Degens.
- Lady. Diesen Degen gab Ihnen der Fürst.
- Ferdinand. Der Staat gab mir ihn durch die Hand des Fürsten--mein
- Herz Gott--mein Wappen ein halbes Jahrtausend.
- Lady. Der Name des Herzogs-Ferdinand (hitzig). Kann der Herzog
- Gesetze der Menschheit verdrehen, oder Handlungen münzen wie seine
- Dreier?--Er selbst ist nicht über die Ehre erhaben, aber er kann
- ihren Mund mit seinem Golde verstopfen. Er kann den Hermelin über
- seine Schande herwerfen. Ich bitte mir aus, davon nichts mehr,
- Milady.--Es ist nicht mehr die Rede von weggeworfenen Aussichten und
- Ahnen--oder von dieser Degenquaste--oder von der Meinung der Welt.
- Ich bin bereit, Dies alles mit Füßen zu treten, sobald Sie mich nur
- überzeugt haben werden, daß der Preis nicht schlimmer noch als das
- Opfer ist.
- Lady (schmerzhaft von ihm weggehend). Herr Major! das hab' ich nicht
- verdient.
- Ferdinand (ergreift ihre Hand). Vergeben Sie. Wir reden hier
- ohne Zeugen. Der Umstand, der Sie und mich--heute und nie
- mehr--zusammenführt, berechtigt mich, zwingt mich, Ihnen mein
- geheimstes Gefühl nicht zurück zu halten.--Es will mir nicht
- zu Kopfe, Milady, daß eine Dame von so viel Schönheit und
- Geist--Eigenschaften, die ein Mann schätzen würde--sich an einen
- Fürsten sollte wegwerfen können, der nur das Geschlecht an ihr
- zu bewundern gelernt hat, wenn sich diese Dame nicht schämte,
- vor einen Mann mit ihrem Herzen zu treten.
- Lady (schaut ihm groß ins Gesicht). Reden Sie ganz aus!
- Ferdinand. Sie nennen sich eine Brittin. Erlauben Sie mir--ich kann
- es nicht glauben, daß Sie eine Brittin sind. Die freigeborne Tochter
- des freiesten Volks unter dem Himmel--das auch zu stolz ist, fremder
- Tugend zu räuchern--kann sich nimmermehr an fremdes Laster verdingen.
- Es ist nicht möglich, daß Sie eine Brittin sind,--oder das Herz
- dieser Brittin muß um so viel kleiner sein, als größer und kühner
- Britanniens Adern schlagen.
- Lady. Sind Sie zu Ende?
- Ferdinand. Man könnte antworten, es ist weibliche
- Eitelkeit--Leidenschaft--Temperament--Hang zum Vergnügen. Schon
- öfters überlebte Tugend die Ehre. Schon Manche, die mit Schande in
- diese Schranke trat, hat nachher die Welt durch edle Handlungen mit
- sich ausgesöhnt und das häßliche Handwerk durch einen schönen
- Gebrauch geadelt--Aber woher denn jetzt diese ungeheure Pressung des
- Landes, die vorher nie so gewesen?--Das war im Namen des Herzogthums.
- --Ich bin zu Ende.
- Lady (mit Sanftmuth und Hoheit). Es ist das Erstemal, Walter, daß
- solche Reden an mich gewagt werden, und Sie sind der einzige Mensch,
- dem ich darauf antworte--Daß Sie meine Hand verwerfen, darum schätz'
- ich Sie. Daß Sie meine Hand lästern, vergebe ich Ihnen. Daß es Ihr
- Ernst ist, glaube ich Ihnen nicht. Wer sich herausnimmt,
- Beleidigungen dieser Art einer Dame zu sagen, die nicht mehr als eine
- Nacht braucht, ihn ganz zu verderben, muß dieser Dame eine große
- Seele zutrauen, oder--von Sinnen sein--Daß Sie den Ruin des Landes
- auf meine Brust wälzen, vergebe Ihnen Gott der Allmächtige, der Sie
- und mich und den Fürsten einst gegen einander stellt.--Aber Sie haben
- die Engländerin in mir aufgefordert, und auf Vorwürfe dieser Art muß
- mein Vaterland Antwort haben.
- Ferdinand (auf seinen Degen gestützt). Ich bin begierig.
- Lady. Hören Sie also, was ich, außer Ihnen, noch Niemand vertraute,
- noch jemals einem Menschen vertrauen will.--Ich bin nicht die
- Abenteurerin, Walter, für die Sie mich halten. Ich könnte groß thun
- und sagen: ich bin fürstlichen Geblüths--aus des unglücklichen Thomas
- Norfolks Geschlechte, der für die schottische Maria ein Opfer ward.
- --Mein Vater, des Königs oberster Kämmerer, wurde bezichtigt, in
- verrätherischem Vernehmen mit Frankreich zu stehen, durch einen
- Spruch der Parlamente verdammt und enthauptet.--Alle unsre Güter
- fielen der Krone zu. Wir selbst wurden des Landes verwiesen. Meine
- Mutter starb am Tage der Hinrichtung. Ich--ein vierzehnjähriges
- Mädchen--flohe nach Deutschland mit meiner Wärterin--einem Kästchen
- Juwelen--und diesem Familienkreuz, das meine sterbende Mutter mit
- ihrem letzten Segen mir an den Busen steckte.
- Ferdinand (wird nachdenkend und heftet wärmere Blicke auf die Lady).
- Lady (fährt fort mit immer zunehmender Rührung). Krank--ohne
- Namen--ohne Schutz und Vermögen--eine ausländische Waise, kam ich
- nach Hamburg. Ich hatte nichts gelernt, als das Bischen
- Französisch--ein wenig Filet und den Flügel--desto besser verstund
- ich, auf Gold und Silber zu speisen, unter damastenen Decken zu
- schlafen, mit einem Wink zehn Bediente fliegen zu machen und die
- Schmeicheleien der Großen Ihres Geschlechts aufzunehmen.--Sechs Jahre
- waren schon hingeweint.--Und die letzte Schmucknadel flog
- dahin--Meine Wärterin starb--und jetzt führte mein Schicksal Ihren
- Herzog nach Hamburg. Ich spazierte damals an den Ufern der Elbe, sah
- in den Strom und fing eben an zu phantasieren, ob dieses Wasser oder
- mein Leiden das Tiefste wäre?--Der Herzog sah mich, verfolgte mich,
- fand meinen Aufenthalt,--lag zu meinen Füßen und schwur, daß er mich
- liebe. (Sie hält in großen Bewegungen inne, dann fährt sie fort mit
- weinender Stimme.) Alle Bilder meiner glücklichen Kindheit wachten
- jetzt wieder mit verführendem Schimmer auf--Schwarz wie das Grab
- graute mich eine trostlose Zukunft an--Mein Herz brannte nach einem
- Herzen--Ich sank an das seinige. (Von ihm wegstürzend.). Jetzt
- verdammen Sie mich!
- Ferdinand (sehr bewegt, eilt ihr nach und hält sie zurück). Lady! o
- Himmel! Was hör' ich? Was that ich?--Schrecklich enthüllt sich mein
- Frevel mir. Sie können mir nicht mehr vergeben.
- Lady (kommt zurück und hat sich zu sammeln gesucht). Hören Sie
- weiter. Der Fürst überraschte zwar meine wehrlose Jugend--aber das
- Blut der Norfolk empörte sich in mir: Du, eine geborene Fürstin,
- Emilie, rief es, und jetzt eines Fürsten Concubine?--Stolz und
- Schicksal kämpften in meiner Brust, als der Fürst mich hieher brachte
- und auf einmal die schauderndste Scene vor meinen Augen stand!--Die
- Wollust der Großen dieser Welt ist die nimmersatte Hyäne, die sich
- mit Heißhunger Opfer sucht.--Fürchterlich hatte sie schon in diesem
- Lande gewüthet--hatte Braut und Bräutigam zertrennt--hatte selbst der
- Ehen göttliches Band zerrissen--hier das stille Glück einer Familie
- geschleift--dort ein junges unerfahrenes Herz der verheerenden Pest
- aufgeschlossen, und sterbende Schülerinnen schäumten den Namen ihres
- Lehrers unter Flüchen und Zuckungen aus--Ich stellte mich zwischen
- das Lamm und den Tiger, nahm einen fürstlichen Eid von ihm in einer
- Stunde der Leidenschaft, und diese abscheuliche Opferung mußte
- aufhören.
- Ferdinand (rennt in der heftigsten Unruhe durch den Saal). Nichts
- mehr, Milady! Nicht weiter!
- Lady. Diese traurige Periode hatte einer noch traurigern Platz
- gemacht. Hof und Serail wimmelten jetzt von Italiens Auswurf.
- Flatterhafte Pariserinnen tändelten mit dem furchtbaren Scepter, und
- das Volk blutete unter ihren Launen--Sie alle erlebten ihren Tag.
- Ich sah sie neben mir in den Staub sinken, denn ich war mehr Kokette,
- als sie alle. Ich nahm dem Tyrannen den Zügel ab, der wollüstig in
- meiner Umarmung erschlappte--dein Vaterland, Walter, fühlte zum
- erstenmal eine Menschenhand und sank vertrauend an meinen Busen.
- (Pause, worin sie ihn schmelzend ansieht.) O daß der Mann, von dem
- ich allein nicht verkannt sein möchte, mich jetzt zwingen muß, groß
- zu prahlen und meine stille Tugend am Licht der Bewunderung zu
- versengen!--Walter, ich habe Kerker gesprengt--habe Todesurtheile
- zerrissen und manche entsetzliche Ewigkeit auf Galeeren verkürzt. In
- unheilbare Wunden hab' ich doch wenigstens stillenden Balsam
- gegossen--mächtige Frevler in Staub gelegt und die verlorene Sache
- der Unschuld oft noch mit einer buhlerischen Thräne gerettet--Ha,
- Jüngling, wie süß war mir das! Wie stolz konnte mein Herz jede
- Anklage meiner fürstlichen Geburt widerlegen!--Und jetzt kommt der
- Mann, der allein mir Das alles belohnen sollte--der Mann, den mein
- erschöpftes Schicksal vielleicht zum Ersatz meiner vorigen Leiden
- schuf--der Mann, den ich mit brennender Sehnsucht im Traum schon
- umfasse-Ferdinand (fällt ihr ins Wort, durch und durch erschüttert).
- Zu viel! zu viel! Das ist wieder die Abrede, Lady. Sie sollten sich
- von Anklagen reinigen und machen mich zu einem Verbrecher. Schonen
- Sie--ich beschwöre Sie--schonen Sie meines Herzens, das Beschämung
- und wüthende Reue zerreißen-Lady (hält seine Hand fest). Jetzt oder
- nimmermehr! Lange genug hielt die Heldin Stand--das Gewicht dieser
- Thränen mußt du noch fühlen. (Im zärtlichsten Ton.) Höre,
- Walter--wenn eine Unglückliche--unwiderstehlich, allmächtig an dich
- gezogen--sich an dich preßt mit einem Busen voll glühender,
- unerschöpflicher Liebe--Walter!--und du jetzt noch das kalte Wort
- Ehre sprichst--wenn diese Unglückliche--niedergedrückt vom Gefühl
- ihrer Schande--des Lasters überdrüssig--heldenmäßig emporgehoben vom
- Rufe der Tugend--sich so--in deine Arme wirft (sie umfaßt ihn,
- beschwörend und feierlich)--durch dich gerettet--durch dich dem
- Himmel wieder geschenkt sein will, oder (das Gesicht von ihm
- abgewandt, mit hohler bebender Stimme) deinem Bild zu entfliehen, dem
- fürchterlichen Ruf der Verzweiflung gehorsam, in noch abscheulichere
- Tiefen des Lasters wieder hinuntertaumelt-Ferdinand (von ihr
- losreißend, in der schrecklichsten Bedrängniß). Nein, beim großen
- Gott! ich kann das nicht aushalten--Lady, ich muß--Himmel und Erde
- liegen auf mir--ich muß Ihnen ein Geständniß thun, Lady!
- Lady (von ihm wegfliehend). Jetzt nicht! Jetzt nicht, bei Allem,
- was heilig ist--in diesem entsetzlichen Augenblick nicht, wo mein
- zerrissenes Herz an tausend Dolchstichen blutet--Sei's Tod oder
- Leben--ich darf es nicht--ich will es nicht hören!
- Ferdinand. Doch, doch, beste Lady! Sie müssen es. Was ich Ihnen
- jetzt sagen werde, wird meine Strafbarkeit mindern und eine warme
- Abbitte des Vergangenen sein--Ich habe mich in Ihnen betrogen, Milady.
- Ich erwartete--ich wünschte, Sie meiner Verachtung würdig zu finden.
- Fest entschlossen, Sie zu beleidigen und Ihren Haß zu verdienen,
- kam ich her--Glücklich wir Beide, wenn mein Vorsatz gelungen wäre!
- (Er schweigt eine Weile, darauf leise und schüchterner.) Ich liebe,
- Milady--liebe ein bürgerliches Mädchen--Luise Millerin, eines Musikus
- Tochter. (Lady wendet sich bleich von ihm weg, er fährt lebhafter
- fort.) Ich weiß, worein ich mich stürze; aber wenn auch Klugheit die
- Leidenschaft schweigen heißt, so redet die Pflicht desto lauter--Ich
- bin der Schuldige. Ich zuerst zerriß ihrer Unschuld goldenen
- Frieden--wiegte ihr Herz mit vermessenen Hoffnungen und gab es
- verrätherisch der wilden Leidenschaft Preis--Sie werden mich an
- Stand--an Geburt--an die Grundsätze meines Vaters erinnern--aber ich
- liebe.--Meine Hoffnung steigt um so höher, je tiefer die Natur mit
- Convenienzen zerfallen ist.--Mein Entschluß und das Vorurtheil!--Wir
- wollen sehen, ob die Mode oder die Menschheit auf dem Platz bleiben
- wird. (Lady hat sich unterdeß bis an das äußerste Ende des Zimmers
- zurückgezogen und hält das Gesicht mit beiden Händen bedeckt. Er
- folgt ihr dahin.) Sie wollten mir etwas sagen, Milady?
- Lady (im Ausdruck des heftigsten Leidens). Nichts, Herr von Walter!
- Nichts, als daß Sie sich und mich und noch eine Dritte zu Grund
- richten.
- Ferdinand. Noch eine Dritte?
- Lady. Wir können mit einander nicht glücklich w. Wir müssen doch
- der Voreiligkeit Ihres Vaters zum Opfer werden. Nimmermehr werd' ich
- das Herz eines Mannes haben, der mir seine Hand nur gezwungen gab.
- Ferdinand. Gezwungen? Lady? gezwungen gab? und also doch gab?
- Können Sie eine Hand ohne Herz erzwingen? Sie einem Mädchen den Mann
- entwenden, der die ganze Welt dieses Mädchens ist? Sie einen Mann
- von dem Mädchen reißen, das die ganze Welt dieses Mannes ist? Sie,
- Milady--vor einem Augenblick die bewundernswürdige Britten?--Sie
- können das?
- Lady. Weil ich es muß. (Mit Ernst und Stärke.) Meine Leidenschaft,
- Walter, weicht meiner Zärtlichkeit für Sie. Meine Ehre kann's nicht
- mehr--Unsre Verbindung ist das Gespräch des ganzen Landes. Alle
- Augen, alle Pfeile des Spotts sind auf mich gespannt. Die
- Beschimpfung ist unauslöschlich, wenn ein Unterthan des Fürsten mich
- ausschlägt. Rechten Sie mit Ihrem Vater. Wehren Sie sich, so gut
- Sie können.--Ich lass' alle Minen springen. (Sie geht schnell ab.
- Der Major bleibt in sprachloser Erstarrung stehen. Pause. Dann
- stürzt er fort durch die Flügelthüre.)
- Vierte Scene.
- Zimmer beim Musikanten.
- Miller. Frau Millerin. Luise treten auf.
- Miller (hastig ins Zimmer). Ich hab's ja zuvor gesagt!
- Luise (sprengt ihn ängstlich an). Was, Vater? was?
- Miller (rennt wie toll auf und nieder). Meinen Staatsrock
- her--hurtig--ich muß ihm zuvorkommen--und ein weißes Manschettenhemd!
- --Das hab' ich mir gleich eingebildet!
- Luise. Um Gotteswillen! Was?
- Millerin. Was gibt's denn? was ist's denn?
- Miller (wirft seine Perrücke ins Zimmer). Nur gleich zum Friseur das!
- --Was es gibt? (Vor den Spiegel gesprungen.) Und mein Bart ist auch
- wieder fingerslang--Was es gibt?--Was wird's geben, du Rabenaas?--Der
- Teufel ist los, und dich soll das Wetter schlagen!
- Frau. Da sehe man! Über mich muß gleich alles kommen.
- Miller. Über dich? Ja, blaues Donnermaul! und über wen anders?
- Heute früh mit deinem diabolischen Junker--Hab ich's nicht im Moment
- gesagt?--Der Wurm hat geplaudert.
- Frau. Ah was! Wie kannst du das wissen?
- Miller. Wie kann ich das wissen?--Da!--unter der Hausthüre spukt ein
- Kerl des Ministers und fragt nach dem Geiger.
- Luise. Ich bin des Todes!
- Miller. Du aber auch mit deinen Vergißmeinnicht-Augen! (Lacht
- voller Bosheit.) Das hat seine Richtigkeit, wem der Teufel ein Ei in
- die Wirthschaft gelegt hat, dem wird eine hübsche Tochter
- geboren--Jetzt hab' ich's blank.
- Frau. Woher weißt du denn, daß es der Luise gilt?--Du kannst dem
- Herzog recommendiert worden sein. Er kann dich ins Orchester
- verlangen.
- Miller (springt nach seinem Rohr). Daß dich der Schwefelregen von
- Sodom!--Orchester!--Ja, wo du Kupplerin den Discant wirst heulen und
- mein blauer Hinterer den Conterbaß vorstellen! (Wirft sich in seinen
- Stuhl.) Gott im Himmel!
- Luise (setzt sich todtenbleich nieder). Mutter! Vater! Warum wird
- mir auf einmal so bange?
- Miller (springt wieder vom Stuhl auf). Aber soll mir der
- Dintenkleckser einmal in den Schuß laufen?--Soll er mir laufen? Es
- sei in dieser oder in jener Welt--Wenn ich ihm nicht Leib und Seele
- breiweich zusammendresche, alle zehen Gebote und alle sieben Bitten
- im Vaterunser, und alle Bücher Mosis und der Propheten aufs Leder
- schreibe, daß man die blauen Flecken bei der Auferstehung der Todten
- noch sehen soll-Frau. Ja! fluch du und poltre du! Das wird jetzt
- den Teufel bannen! Hilf, heiliger Herregott! Wo hinaus nun? Wie
- werden wir Rath schaffen? Was nun anfangen? Vater Miller, so rede
- doch! (Sie läuft heulend durchs Zimmer.)
- Miller. Auf der Stell zum Minister will ich. Ich zuerst will mein
- Maul aufthun--ich selbst will es angeben. Du hast es vor mir gewußt.
- Du hättest mir einen Wink geben können. Das Mädel hätt' sich noch
- weisen lassen. Es wäre noch Zeit gewesen--aber nein!--Da hat sich
- was makeln lassen; da hat sich was fischen lassen! Da hast du noch
- Holz obendrein zugetragen!--Jetzt sorg' auch für deinen Kuppelpelz.
- Friß aus, was du einbrocktest! Ich nehme meine Tochter in Arm, und
- marsch mit ihr über die Grenze!
- Fünfte Scene.
- Ferdinand von Walter stürzt erschrocken und außer Athem ins Zimmer.
- Die Vorigen.
- Ferdinand. War mein Vater da?
- Luise (fährt mit Schrecken auf). Sein Vater! Allmächtiger Gott!
- Frau (zugleich; schlägt die Hände zusammen). Der Präsident! Es ist
- aus mit uns!
- Miller (zugleich; lacht voller Bosheit). Gottlob! Gottlob! da haben
- wir ja die Bescherung!
- Ferdinand (eilt auf Luisen zu und drückt sie stark in die Arme).
- Mein bist du, und wärfen Höll' und Himmel sich zwischen uns!
- Luise. Mein Tod ist gewiß--Rede weiter--Du sprachst einen
- schrecklichen Namen aus--Dein Vater?
- Ferdinand. Nichts. Nichts. Es ist überstanden. Ich hab' dich ja
- wieder. Du hast mich ja wieder. O, laß mich Athem schöpfen an
- dieser Brust! Es war eine schreckliche Stunde.
- Luise. Welche? Du tödtest mich?
- Ferdinand (tritt zurück und schaut sie bedeutend an). Eine Stunde,
- Luise, wo zwischen mein Herz und dich eine fremde Gewalt sich
- warf--wo meine Liebe vor meinem Gewissen erblaßte--wo meine Luise
- aufhörte, ihrem Ferdinand Alles zu sein-Luise (sinkt mit verhülltem
- Gesicht auf den Sessel nieder).
- Ferdinand (geht schnell auf sie zu, bleibt sprachlos mit starrem
- Blick vor ihr stehen, dann verläßt er sie plötzlich, in großer
- Bewegung). Nein! Nimmermehr! Unmöglich, Lady! Zu viel verlangt!
- Ich kann dir diese Unschuld nicht opfern--Nein, beim unendlichen Gott!
- ich kann meinen Eid nicht verletzen, der mich laut wie des Himmels
- Donner aus diesem brechenden Auge mahnt--Lady, blick hieher--hieher,
- du Rabenvater--Ich soll diesen Engel würgen! Die Hölle soll ich in
- diesen himmlischen Busen schütten? (Mit Entschluß auf sie zueilend.)
- Ich will sie führen vor des Weltrichters Thron, und ob meine Liebe
- Verbrechen ist, soll der Ewige sagen. (Er faßt sie bei der Hand und
- hebt sie vom Sessel.) Fasse Muth, meine Theuerste!--Du hast gewonnen!
- Als Sieger komm' ich aus dem gefährlichsten Kampf zurück.
- Luise. Nein! Nein! Verhehle mir nichts. Sprich es aus, das
- entsetzliche Urtheil. Deinen Vater nanntest du? Du nanntest die
- Lady?--Schauer des Todes ergreifen mich--Man sagt, sie wird heirathen.
- Ferdinand (stürzt betäubt zu Luisens Füßen nieder). Mich,
- Unglückselige!
- Luise (nach einer Pause, mit stillem bebenden Ton und schrecklicher
- Ruhe). Nun--was erschreck' ich denn? Der alte Mann dort hat mir's
- ja oft gesagt--ich hab' es ihm nie glauben wollen. (Pause, dann
- wirft sie sich Millern laut weinend in die Arme.). Vater, hier ist
- deine Tochter wieder--Verzeihung, Vater!--Dein Kind kann ja nicht
- dafür, daß dieser Traum so schön war, und--so fürchterlich jetzt das
- Erwachen-Miller. Luise! Luise!--O Gott, sie ist von sich--Meine
- Tochter, mein armes Kind--Fluch über den Verführer!--Fluch über das
- Weib, das ihm kuppelte!
- Frau (wirft sich jammernd auf Luisen). Verdien' ich diesen Fluch,
- meine Tochter? Vergeb's Ihnen Gott, Baron!--Was hat dieses Lamm
- gethan, daß Sie es würgen?
- Ferdinand (springt an ihr auf, voll Entschlossenheit). Aber ich will
- seine Kabalen durchbohren--durchreißen will ich alle diese eisernen
- Ketten des Vorurtheils--Frei wie ein Mann will ich wählen, daß diese
- Insektenseelen am Riesenwerk meiner Liebe hinaufschwindeln! (Er will
- fort.)
- Frau (eilt ihm nach, hängt sich an ihn). Der Präsident wird hieher
- kommen--Er wird unser Kind mißhandeln--Er wird uns mißhandeln--Herr
- von Walter, und Sie verlassen uns?
- Miller (lacht wüthend). Verläßt uns! Freilich! Warum nicht?--Sie
- gab ihm ja Alles hin! (Mit der einen Hand den Major, mit der andern
- Luisen fassend.) Geduld, Herr! der Weg aus meinem Hause geht nur über
- diese da--Erwarte erst deinen Vater! wenn du kein Bube bist--Erzähl'
- es ihm, wie du dich in ihr Herz stahlst, Betrüger, oder, bei Gott!
- (Ihm seine Tochter zuschleudernd, wild und heftig.) Du sollst mir
- zuvor diesen wimmernden Wurm zertreten, den Liebe zu dir so zu
- Schanden richtete!
- Ferdinand (kommt zurück und geht auf und ab in tiefen Gedanken).
- Zwar die Gewalt des Präsident ist groß--Vaterrecht ist ein weites
- Wort--der Frevel selbst kann sich in seinen Falten verstecken, er
- kann es weit damit treiben--weit!--Doch aufs Äußerste treibt's nur
- die Liebe--Hier, Luise! Deine Hand ist die meinige! (Er faßt diese
- heftig.) So wahr mich Gott im letzten Hauch nicht verlassen soll!
- --der Augenblick, der diese zwei Hände trennt, zerreißt auch den
- Faden zwischen mir und der Schöpfung!
- Luise. Mir wird bange! Blick' weg! Deine Lippen beben! Dein Auge
- rollt fürchterlich-Ferdinand. Nein, Luise! Zittre nicht! Es ist
- nicht Wahnsinn, was aus mir redet. Es ist das köstliche Geschenk des
- Himmels, Entschluß in dem geltenden Augenblick, wo die gepreßte Brust
- nur durch etwas Unerhörtes sich Luft macht--Ich liebe dich, Luise--Du
- sollst mir bleiben, Luise--Jetzt zu meinem Vater! (Er eilt schnell
- fort und rennt--gegen den Präsident.)
- Sechste Scene.
- Der Präsident mit einem Gefolge von Bedienten. Vorige.
- Präsident (im Hereintreten). Da ist er schon.
- Alle (erschrocken).
- Ferdinand (weicht einige Schritte zurück). Im Hause der Unschuld.
- Präsident. Wo der Sohn Gehorsam gegen den Vater lernt?
- Ferdinand. Lassen Sie und das-Präsident (unterbricht ihn, zu
- Millern). Er ist der Vater?
- Miller. Stadtmusikant Miller.
- Präsident (zur Frau). Sie die Mutter?
- Frau. Ach ja, die Mutter!
- Ferdinand (zu Millern). Vater, bring Er die Tochter weg--sie droht
- eine Ohnmacht.
- Präsident. Überflüssige Sorgfalt! Ich will sie anstreichen. (Zu
- Luisen.) Wie lang kennt Sie den Sohn des Präsidenten?
- Luise. Diesem habe ich nie nachgefragt. Ferdinand von Walter
- besucht mich seit dem November.
- Ferdinand. Betet sie an.
- Präsident. Erhielt sie Versicherungen?
- Ferdinand. Vor wenig Augenblicken die feierlichste im Angesicht
- Gottes.
- Präsident (zornig zu seinem Sohn). Zur Beichte deiner Thorheit wird
- man dir schon das Zeichen geben. (Zu Luisen.) Ich warte auf Antwort.
- Luise. Er schwur mir Liebe.
- Ferdinand. Und wird sie halten.
- Präsident. Muß ich befehlen, daß du schweigst?--Nahm Sie den Schwur
- an?
- Luise (zärtlich). Ich erwiederte ihn.
- Ferdinand (mit fester Stimme). Der Bund ist geschlossen.
- Präsident. Ich werde das Echo hinaus werfen lassen. (Boshaft zu
- Luisen.) Aber er bezahlte Sie doch jederzeit baar?
- Luise (aufmerksam). Diese Frage verstehe ich nicht ganz.
- Präsident (mit beißendem Lachen). Nicht? Nun! ich meine nur--Jedes
- Handwerk hat, wie man sagt, einen goldenen Boden--auch Sie, hoff' ich,
- wird Ihre Gunst nicht verschenkt haben--oder war's Ihr vielleicht
- mit dem bloßen Verschluß gedient? Wie?
- Ferdinand (fährt wie rasend auf). Hölle! was war das?
- Luise (zum Major mit Würde und Unwillen). Herr von Walter, jetzt
- sind Sie frei.
- Ferdinand. Vater! Ehrfurcht befiehlt die Tugend auch im
- Bettlerkleid.
- Präsident (lacht lauter). Eine lustige Zumuthung! Der Vater soll
- die Hure des Sohns respectieren.
- Luise (stürzt nieder). O Himmel und Erde!
- Ferdinand (mit Luisen zu gleicher Zeit, indem er den Degen nach dem
- Präsidenten zückt, den er aber schnell wieder sinken läßt). Vater!
- Sie hatten einmal ein Leben an mich zu fordern--Es ist bezahlt. (Den
- Degen einsteckend.) Der Schuldbrief der kindlichen Pflicht liegt
- zerrissen da-Miller (der bis jetzt furchtsam auf der Seite gestanden,
- tritt hervor in Bewegung, wechselweis vor Wuth mit den Zähnen
- knirschend und vor Angst damit klappernd): Euer Excellenz--Das Kind
- ist des Vaters Arbeit--Halten zu Gnaden--Wer das Kind eine Mähre
- schilt, schlägt den Vater ans Ohr, und Ohrfeig um Ohrfeig--Das ist so
- Tax bei uns--Halten zu Gnaden.
- Frau. Hilf, Herr und Heiland!--Jetzt bricht auch der Alte los--über
- unserm Kopf wird das Wetter zusammenschlagen.
- Präsident (der es nur halb gehört hat). Regt sich der Kuppler
- auch?--Wir sprechen uns gleich, Kuppler.
- Miller. Halten zu Gnaden. Ich heiße Miller, wenn Sie ein Adagio
- hören wollen--mit Buhlschaften dien' ich nicht. So lang der Hof da
- noch Vorrath hat, kommt die Lieferung nicht an uns Bürgersleut'.
- Halten zu Gnaden.
- Frau. Um des Himmels willen, Mann! Du bringst Weib und Kind um.
- Ferdinand. Sie spielen hier eine Rolle, mein Vater, wobei Sie sich
- wenigstens die Zeugen hätten ersparen können.
- Miller (kommt ihm näher, herzhafter). Deutsch und verständlich.
- Halten zu Gnaden. Euer Excellenz schalten und walten im Land. Das
- ist meine Stube. Mein devotestes Compliment, wenn ich dermaleins ein
- pro memoria bringe, aber den ungehobelten Gast werf' ich zur Thür
- hinaus--Halten zu Gnaden.
- Präsident (vor Wuth blaß). Was?--Was ist das? (Tritt näher.)
- Miller (zieht sich sachte zurück). Das war nur so meine Meinung,
- Herr--Halten zu Gnaden.
- Präsident (in Flammen). Ha, Spitzbube! Ins Zuchthaus spricht dich
- deine vermessene Meinung--Fort! Man soll Gerichtsdiener holen.
- (Einige vom Gefolge gehen ab; der Präsident rennt voll Wuth durch das
- Zimmer.) Vater ins Zuchthaus--an den Pranger Mutter und Metze von
- Tochter!--Die Gerechtigkeit soll meiner Wuth ihre Arme borgen. Für
- diesen Schimpf muß ich schreckliche Genugthuung haben--Ein solches
- Gesindel sollte meine Plane zerschlagen und ungestraft Vater und Sohn
- aneinander hetzen?--Ha, Verflucht! Ich will meinen Haß an eurem
- Untergang sättigen, die ganze Brut, Vater, Mutter und Tochter, will
- ich meiner brennenden Rache opfern.
- Ferdinand (tritt gelassen und standhaft unter sie hin). O nicht doch!
- Seit außer Furcht! Ich bin zugegen. (Zum Präsidenten mit
- Unterwürfigkeit.) Keine Übereilung, mein Vater! Wenn Sie sich selbst
- lieben, keine Gewaltthätigkeit!--Es gibt eine Gegend in meinem Herzen,
- worin das Wort Vater noch nie gehört worden ist--Dringen Sie nicht
- bis in diese.
- Präsident. Nichtswürdiger! Schweig! Reize meinen Grimm nicht noch
- mehr!
- Miller (kommt aus einer dumpfen Betäubung zu sich selbst).
- Schau du nach deinem Kinde, Frau. Ich laufe zum Herzog--Der
- Leibschneider--das hat mir Gott eingeblasen!--der Leibschneider
- lernt die Flöte bei mir. Es kann mir nicht fehlen beim Herzog.
- (Er will gehen.)
- Präsident. Beim Herzog, sagst du?--Hast du vergessen, daß ich die
- Schwelle bin, worüber du springen oder den Hals brechen mußt?--Beim
- Herzog, du Dummkopf?--Versuch' es, wenn du, lebendig todt, eine
- Thurmhöhe tief, unter dem Boden im Kerker liegst, wo die Nacht mit
- der Hölle liebäugelt und Schall und Licht wieder umkehren. Raßle
- dann mit deinen Ketten und wimmre: Mir ist zu viel geschehen.
- Siebente Scene.
- Gerichtsdiener. Die Vorigen.
- Ferdinand (eilt auf Luisen zu, die ihm halb todt in die Arme fällt).
- Luise! Hilfe! Rettung! Der Schrecken überwältigt sie!
- Miller (ergreift sein spanisches Rohr, setzt den Hut auf und macht
- sich zum Angriff gefaßt).
- Frau (wirft sich auf die Kniee vor dem Präsident).
- Präsident (zu den Gerichtsdienern, seinen Orden entblößend). Legt
- Hand an, im Namen des Herzogs--Weg von der Metze, Junge--Ohnmächtig
- oder nicht--wenn sie nur erst das eiserne Halsband um hat, wird man
- sie schon mit Steinwürfen aufwecken.
- Frau. Erbarmung, Ihro Excellenz! Erbarmung! Erbarmung!
- Miller (reißt seine Frau in die Höhe). Knie vor Gott! alte Heulhure,
- und nicht vor--Schelmen, weil ich ja doch schon ins Zuchthaus muß.
- Präsident (beißt die Lippen). Du kannst dich verrechnen, Bube. Es
- stehen noch Galgen leer! (Zu den Gerichtsdienern.) Muß ich es noch
- einmal sagen?
- Gerichtsdiener (dringen auf Luisen ein).
- Ferdinand (springt an ihr auf und stellt sich vor sie, grimmig). Wer
- will was? (Er zieht den Degen sammt der Scheide und wehrt sich mit
- dem Gefäß.) Wag' es, sie anzurühren, wer nicht auch die Hirnschale an
- die Gerichte vermiethet hat. (Zum Präsident.) Schonen Sie Ihrer
- selbst! Treiben Sie mich nicht weiter, mein Vater.
- Präsident (drohend zu den Gerichtsdienern). Wenn euch euer Brod lieb
- ist, Memmen-Gerichtsdiener (greifen Luisen wieder an).
- Ferdinand. Tod und alle Teufel! Ich sage: Zurück!--Noch einmal!
- Haben Sie Erbarmen mit sich selbst. Treiben Sie mich nicht aufs
- Äußerste, Vater.
- Präsident (aufgebracht zu den Gerichtsdienern). Ist das euer
- Diensteifer, Schurken?
- Gerichtsdiener (greifen hitziger an).
- Ferdinand. Wenn es denn sein muß (indem er den Degen zieht und
- einige von denselben verwundet), so verzeih mir, Gerechtigkeit!
- Präsident (voll Zorn). Ich will doch sehen, ob auch ich diesen Degen
- fühle. (Er faßt Luisen selbst, zerrt sie in die Höhe und übergibt
- sie einem Gerichtsknecht.)
- Ferdinand (lacht erbittert). Vater, Vater! Sie machen hier ein
- beißendes Pasquill auf die Gottheit, die sich so übel auf ihre Leute
- verstund und aus vollkommenen Henkersknechten schlechte Minister
- machte.
- Präsident (zu den Übrigen). Fort mit ihr!
- Ferdinand. Vater, sie soll an den Pranger stehen, aber mit dem Major,
- des Präsidenten Sohn--Bestehen Sie noch darauf?
- Präsident. Desto possierlicher wird das Spektakel--Fort!
- Ferdinand. Vater, ich werfe meinen Officiersdegen auf das Mädchen.
- --Bestehen Sie noch darauf?
- Präsident. Das Porte-Epée ist an deiner Seite des Prangerstehens
- gewohnt worden--Fort! Fort! Ihr wißt meinen Willen.
- Ferdinand (drückt einen Gerichtsdiener weg, faßt Luisen an einem Arm,
- mit dem andern zückt er den Degen auf sie). Vater! Eh Sie meine
- Gemahlin beschimpfen, durchstoß' ich sie--Bestehen Sie noch darauf?
- Präsident. Thu' es, wenn deine Klinge noch spitzig ist.
- Ferdinand (läßt Luisen fahren und blickt fürchterlich zum Himmel).
- Du, Allmächtiger, bist Zeuge! Kein menschliches Mittel ließ ich
- unversucht--ich muß zu einem teuflischen schreiten--Ihr führt sie zum
- Pranger fort, unterdessen (dem Präsidenten ins Ohr rufend) erzähl'
- ich der Residenz eine Geschichte, wie man Präsident wird. (Ab.)
- Präsident (wie vom Blitz gerührt). Was ist das?--Ferdinand--Laßt sie
- ledig! (Er eilt dem Major nach.)
- Dritter Akt.
- Saal beim Präsidenten.
- Erste Scene.
- Der Präsident und Sekretär Wurm kommen.
- Präsident. Der Streich war verwünscht.
- Wurm. Wie ich befürchtete, gnädiger Herr. Zwang erbittert die
- Schwärmer immer, aber bekehrt sie nie.
- Präsident. Ich hatte mein bestes Vertrauen in diesen Anschlag
- gesetzt. Ich urtheilte so: Wenn das Mädchen beschimpft wird, muß er,
- als Officier, zurücktreten.
- Wurm. Ganz vortrefflich. Aber zum Beschimpfen hätt' es auch kommen
- sollen.
- Präsident. Und doch--wenn ich es jetzt mit kaltem Blut
- überdenke--Ich hätte mich nicht sollen eintreiben lassen--Es war eine
- Drohung, woraus er wohl nimmermehr Ernst gemacht hätte.
- Wurm. Das denken Sie ja nicht. Der gereizten Leidenschaft ist keine
- Thorheit zu bunt. Sie sagen mir, der Herr Major habe immer den Kopf
- zu Ihrer Regierung geschüttelt. Ich glaub's. Die Grundsätze, die er
- aus Akademien hieher brachte, wollten mir gleich nicht recht
- einleuchten. Was sollten auch die phantastischen Träumereien von
- Seelengröße und persönlichem Adel an einem Hof, wo die größte
- Weisheit diejenige ist, im rechten Tempo, auf eine geschickte Art,
- groß und klein zu sein! Er ist zu jung und zu feurig, um Geschmack
- am langsamen, krummen Gang der Kabale zu finden, und nichts wird
- seine Ambition in Bewegung setzen, als was groß ist und abenteuerlich.
- Präsident (verdrießlich). Aber was wird diese wohlweise Anmerkung an
- unserm Handel verbessern?
- Wurm. Wie wird Ew. Excellenz auf die Wunde hinweisen, und auch
- vielleicht auf den Verband. Einen solchen Charakter--erlauben
- Sie--hätte man entweder nie zum Vertrauten, oder niemals zum Feind
- machen sollen. Er verabscheut das Mittel, wodurch Sie gestiegen sind.
- Vielleicht war es bis jetzt nur der Sohn, der die Zunge des
- Verräthers band. Geben Sie ihm Gelegenheit, jenen rechtmäßig
- abzuschütteln; machen Sie ihn durch wiederholte Stürme auf seine
- Leidenschaft glauben, daß Sie der zärtliche Vater nicht sind, so
- dringen die Pflichten des Patrioten bei ihm vor. Ja, schon allein
- die seltsame Phantasie, der Gerechtigkeit ein so merkwürdiges Opfer
- zu bringen, könnte Reiz genug für ihn haben, selbst seinen Vater zu
- stürzen.
- Präsident. Wurm--Wurm--Er führt mich da vor einen entsetzlichen
- Abgrund.
- Wurm. Ich will Sie zurückführen, gnädiger Herr. Darf ich freimüthig
- reden?
- Präsident (indem er sich niedersetzt). Wie ein Verdammter zum
- Mitverdammten.
- Wurm. Also verzeihen Sie--Sie haben, dünkt mich, der biegsamen
- Hofkunst den ganzen Präsidenten zu danken, warum vertrauen Sie ihr
- nicht auch den Vater an? Ich besinne mich, mit welcher Offenheit Sie
- Ihren Vorgänger damals zu einer Partie Piquet beredeten und bei ihm
- die halbe Nacht mit freundschaftlichem Burgunder hinwegschwemmten,
- und das war doch die nämliche Nacht, wo die große Mine losgehen und
- den guten Mann in die Luft blasen sollte--Warum zeigten Sie Ihrem
- Sohne den Feind? Nimmermehr hätte dieser erfahren sollen, daß ich um
- seine Liebesangelegenheit wisse. Sie hätten den Roman von Seiten des
- Mädchens unterhöhlt und das Herz Ihres Sohnes behalten. Sie hätten
- den klugen General gespielt, der den Feind nicht am Kern seiner
- Truppen faßt, sondern Spaltungen unter den Gliedern stiftet.
- Präsident. Wie war das zu machen?
- Wurm. Auf die einfachste Art--und die Karten sind noch nicht ganz
- vergeben. Unterdrücken Sie eine Zeit lang, daß Sie Vater sind.
- Messen Sie sich mit einer Leidenschaft nicht, die jeder Widerstand
- nur mächtiger machte--Überlassen Sie es mir, an ihrem eigenen Feuer
- den Wurm auszubrüten, der sie zerfrißt.
- Präsident. Ich bin begierig.
- Wurm. Ich müßte mich schlecht auf den Barometer der Seele verstehen,
- oder der Herr Major ist in der Eifersucht schrecklich, wie in der
- Liebe. Machen Sie ihm das Mädchen verdächtig--Wahrscheinlich oder
- nicht. Ein Gran Hefe reicht hin, die ganze Masse in eine zerstörende
- Gährung zu jagen.
- Präsident. Aber woher diesen Gran nehmen?
- Wurm. Da sind wir auf dem Punkt--vor allen Dingen, gnädiger Herr,
- erklären Sie sich mir, wie viel Sie bei der ferneren Weigerung des
- Majors auf dem Spiel haben--in welchem Grade es Ihnen wichtig ist,
- den Roman mit dem Bürgermädchen zu endigen und die Verbindung mit
- Lady Milford zu Stand zu bringen?
- Präsident. Kann Er noch fragen, Wurm?--Mein ganzer Einfluß ist in
- Gefahr, wenn die Partie mit der Lady zurückgeht, und wenn ich den
- Major zwinge, mein Hals.
- Wurm (munter). Jetzt haben Sie die Gnade und hören--Den Herrn Major
- umspinnen wir mit List. Gegen das Mädchen nehmen wir Ihre ganze
- Gewalt zu Hilfe. Wir dictieren ihr ein Billetdoux an eine dritte
- Person in die Feder und spielen das mit guter Art dem Major in die
- Hände.
- Präsident. Toller Einfall! Als ob sie sich so geschwind hin
- bequemen würde, ihr eigenes Todesurtheil zu schreiben?
- Wurm. Sie muß, wenn Sie mir freie Hand lassen wollen. Ich kenne das
- gute Herz auf und nieder. Sie hat nicht mehr als zwo tödtliche
- Seiten, durch welche wir ihre Gewissen bestürmen können--ihren Vater
- und den Major. Der letztere bleibt ganz und gar aus dem Spiel; desto
- freier können wir mit dem Musikanten umspringen.
- Präsident. Als zum Exempel?
- Wurm. Nach Dem, was Ew. Excellenz mir von dem Auftritt in
- seinem Hause gesagt haben, wird nichts leichter sein, als den
- Vater mit einem Halsproceß zu bedrohen. Die Person des
- Günstlings und Siegelbewahrers ist gewissermaßen der Schatten
- der Majestät--Beleidigungen gegen jenen sind Verletzungen
- dieser--Wenigstens will ich den armen Schächer mit diesem
- zusammengeflickten Kobold durch ein Nadelöhr jagen.
- Präsident. Doch--ernsthaft dürfte der Handel nicht werden.
- Wurm. Ganz und gar nicht--Nur in so weit, als es nöthig ist, die
- Familie in die Klemme zu treiben--Wir setzen also in aller Stille den
- Musikus fest--Die Noth um so dringender zu machen, könnte man auch
- die Mutter mitnehmen,--sprechen von peinlicher Anklage, von Schaffot,
- von ewiger Festung, und machen den Brief der Tochter zur einzigen
- Bedingung seiner Befreiung.
- Präsident. Gut! Gut! Ich verstehe.
- Wurm. Sie liebt ihren Vater--bis zur Leidenschaft, möcht' ich sagen.
- Die Gefahr seines Lebens--seiner Freiheit zum Mindesten--die
- Vorwürfe ihres Gewissens, den Anlaß dazu gegeben zu haben--die
- Unmöglichkeit, den Major zu besitzen--endlich die Betäubung ihres
- Kopfs, die ich auf mich nehme--es kann nicht fehlen--sie muß in die
- Falle gehn.
- Präsident. Aber mein Sohn? Wird er nicht auf der Stelle Wind davon
- haben?
- Wurm. Das lassen Sie meine Sorge sein, gnädiger Herr--Vater und
- Mutter werden nicht eher freigelassen, bis die ganze Familie einen
- körperlichen Eid darauf abgelegt, den ganzen Vorgang geheim zu halten
- und den Betrug zu bestätigen.
- Präsident. Einen Eid? Was wird ein Eid fruchten, Dummkopf?
- Wurm. Nichts bei uns, gnädiger Herr! Bei dieser Menschenart
- Alles--Und sehen Sie nun, wie schön wir Beide auf diese Manier zum
- Ziele kommen werden--Das Mädchen verliert die Liebe des Majors und
- den Ruf ihrer Tugend. Vater und Mutter ziehen gelindere Saiten auf,
- und durch und durch weich gemacht von Schicksalen dieser Art,
- erkennen sie's noch zuletzt für Erbarmung, wenn ich der Tochter durch
- meine Hand ihre Reputation wieder gebe.
- Präsident (lacht unter Kopfschütteln). Ja, ich gebe mich dir
- überwunden, Schurke! Das Geweb' ist satanisch fein. Der Schüler
- übertrifft seinen Meister--Nun ist die Frage, an wen das Billet muß
- gerichtet werden? Mit wem wir sie in Verdacht bringen müssen?
- Wurm. Nothwendig mit Jemand, der durch den Entschluß Ihres Sohnes
- Alles gewinnen oder Alles verlieren muß.
- Wurm (nach einigem Nachdenken). Ich weiß nur den Hofmarschall.
- Wurm (zuckt die Achseln). Mein Geschmack wär' es nun freilich nicht,
- wenn ich Luise Millerin hieße.
- Präsident. Und warum nicht? Wunderlich! Eine blendende
- Garderobe--Eine Atmosphäre von Eau de mille fleurs und Bisam--und
- jedes alberne Wort eine Handvoll Ducaten--und alles Das sollte die
- Delicatesse einer bürgerlichen Dirne nicht endlich bestechen können?
- O, guter Freund! so scrupulös ist die Eifersucht nicht! Ich schicke
- zum Marschall. (Klingelt.)
- Wurm. Unterdessen, daß Ew. Excellenz dieses und die Gefangennehmung
- des Geigers besorgen, werd' ich hingehen und den bewußten Liebesbrief
- aufsetzen.
- Präsident (zum Schreibpult gehend). Den Er mir zum Durchlesen
- heraufbringt, sobald er zu Stand sein wird. (Wurm geht ab. Der
- Präsident setzt sich zu schreiben; ein Kammerdiener kommt; er steht
- auf und gibt ihm ein Papier.) Dieser Verhaftsbefehl muß ohne Aufschub
- in die Gerichte--ein Andrer von euch wird den Hofmarschall zu mir
- bitten.
- Kammerdiener. Der gnädige Herr sind so eben hier angefahren.
- Präsident. Noch besser--aber die Anstalten sollen mit Vorsicht
- getroffen werden, sagt ihr, daß kein Aufstand erfolgt.
- Kammerdiener. Sehr wohl, Ihr' Excellenz!
- Präsident. Versteht ihr? Ganz in der Stille!
- Kammerdiener. Ganz gut, Ihr' Excellenz! (Ab.)
- Zweite Scene.
- Der Präsident und der Hofmarschall.
- Hofmarschall (eilfertig). Nur en passant, mein Bester!--Wie leben
- Sie? Wie befinden Sie sich?--Heute Abend ist große Opéra Dido--das
- süperbeste Feuerwerk--eine ganze Stadt brennt zusammen--Sie sehen sie
- doch auch brennen? Was?
- Präsident. Ich habe Feuerwerk genug in meinem eigenen Hause, das
- meine ganze Herrlichkeit in die Luft nimmt--Sie kommen erwünscht,
- lieber Marschall, mir in einer Sache zu rathen, thätig zu helfen, die
- uns Beide poussiert, oder völlig zu Grund richtet. Setzen Sie sich.
- Hofmarschall. Machen Sie mir nicht Angst, mein Süßer.
- Präsident. Wie gesagt--poussiert, oder ganz zu Grund richtet. Sie
- wissen mein Project mit dem Major und der Lady. Sie begreifen auch,
- wie unentbehrlich es war, unser Beider Glück zu fixieren. Es kann
- Alles zusammenfallen, Kalb. Mein Ferdinand will nicht.
- Hofmarschall. Will nicht--will nicht--ich hab's ja in der ganzen
- Stadt schon herumgesagt. Die Mariage ist in Jedermanns Munde.
- Präsident. Sie können vor der ganzen Stadt als Windmacher dastehen.
- Er liebt eine Andere.
- Hofmarschall. Sie scherzen. Ist das auch wohl ein Hindernis?
- Präsident. Bei dem Trotzkopf das unüberwindlichste.
- Hofmarschall. Er soll so wahnsinnig sein und sein Fortune von sich
- stoßen? Was?
- Präsident. Fragen Sie ihn das und hören Sie, was er antwortet.
- Hofmarschall. Aber, mon Dieu! was kann er denn antworten?
- Präsident. Daß er der ganzen Welt das Verbrechen entdecken wolle,
- wodurch wir gestiegen sind--daß er unsere falschen Briefe und
- Quittungen angeben--daß er uns Beide ans Messer liefern wolle--das
- kann er antworten.
- Hofmarschall. Sind Sie von Sinnen?
- Präsident. Das hat er geantwortet. Das war er schon Willens, ins
- Werk zu richten--Davon hab' ich ihn kaum noch durch meine höchste
- Erniedrigung abgebracht. Was wissen Sie hierauf zu sagen?
- Hofmarschall (mit einem Schafsgesicht). Mein Verstand steht still.
- Präsident. Das könnte noch hingehen. Aber zugleich hinterbringen
- mir meine Spionen, daß der Oberschenk von Bock auf dem Sprunge sei,
- um die Lady zu werben.
- Hofmarschall. Sie machen mich rasend. Wer sagen Sie? von Bock sagen
- Sie?--Wissen Sie denn auch, daß wir Todfeinde zusammen sind? Wissen
- Sie auch, warum wir es sind?
- Präsident. Das erste Wort, das ich höre.
- Hofmarschall. Bester! Sie werden hören, und aus der Haut werden Sie
- fahren--Wenn Sie sich noch des Hofballs entsinnen--es geht jetzt ins
- einundzwanzigste Jahr--wissen Sie, worauf man den ersten Englischen
- tanzte, und dem Grafen von Meerschaum das heiße Wachs von einem
- Kronleuchter auf den Domino tröpfelte--Ach Gott, das müssen Sie
- freilich noch wissen!
- Präsident. Wer könnte so was vergessen?
- Hofmarschall. Sehen Sie! da hatte Prinzessin Amalie in der Hitze des
- Tanzes ein Strumpfband verloren--Alles kommt, wie befreiflich ist, in
- Allarm--von Bock und ich--wir waren noch Kammerjunker--wir kriechen
- durch den ganzen Redoutensaal, das Strumpfband zu suchen--endlich
- erblick ich's--von Bock merkt's--von Bock darauf zu, reißt es mir aus
- den Händen--ich bitte Sie!--bringt's der Prinzessin und schnappt mir
- glücklich das Compliment weg--Was denken Sie?
- Präsident. Impertinent!
- Hofmarschall. Schnappt mir das Compliment weg--Ich meine in Ohnmacht
- zu sinken. Eine solche Malice ist gar nicht erlebt worden.--Endlich
- ermann' ich mich, nähere mich Ihrer Durchlaucht und spreche:
- Gnädigste Frau! von Bock war so glücklich, Höchstdenenselben das
- Strumpfband zu überreichen, aber wer das Strumpfband zuerst erblickte,
- belohnt sich in der Stille und schweigt.
- Präsident. Bravo, Marschall! Bravissimo!
- Hofmarschall. Und schweigt--Aber ich werd's dem von Bock bis zum
- jüngsten Gerichte noch nachtragen--der niederträchtige, kriechende
- Schmeichler!--Und das war noch nicht genug--wie wir beide zugleich
- auf das Strumpfband zu Boden fallen, wischt mir von Bock an der
- rechten Frisur allen Puder weg, und ich bin ruiniert auf den ganzen
- Ball.
- Präsident. Das ist der Mann, der die Milford heirathen und die erste
- Person am Hof werden wird.
- Hofmarschall. Sie stoßen mir ein Messer ins Herz. Wird? wird?
- Warum wird er? Wo ist die Nothwendigkeit?
- Präsident. Weil mein Ferdinand nicht will und sonst Keiner sich
- meldet.
- Hofmarschall. Aber wissen Sie denn gar kein einziges Mittel, den
- Major zum Entschluß zu bringen?--Sei's auch noch so bizarr, so
- verzweifelt!--Was in der Welt kann so widrig sein, das uns jetzt
- nicht willkommen wäre, den verhaßten von Bock auszustechen?
- Präsident. Ich weiß nur eines, und das bei Ihnen steht.
- Hofmarschall. Bei mir steht? Und das ist?
- Präsident. Den Major mit seiner Geliebten zu entzweien.
- Hofmarschall. Zu entzweien? Wie meinen Sie das?--Und wie mach' ich
- das?
- Präsident. Alles ist gewonnen, sobald wir ihm das Mädchen verdächtig
- machen.
- Hofmarschall. Daß sie stehle, meinen Sie?
- Präsident. Ach nein doch! Wie glaubte er das?--daß sie es noch mit
- einem Andern habe.
- Hofmarschall. Dieser Andre?
- Präsident. Müßten Sie sein, Baron.
- Hofmarschall. Ich sein? Ich?--Ist sie von Adel?
- Präsident. Wozu das? Welcher Einfall!--Eines Musikanten Tochter.
- Hofmarschall. Bürgerlich also? Das wird nicht angehen. Was?
- Präsident. Was wird nicht angehen? Narrenspossen! Wem unter der
- Sonne wird es einfallen, ein paar runde Wangen nach dem Stammbaum zu
- fragen?
- Hofmarschall. Aber bedenken Sie doch, ein Ehmann! Und meine
- Reputation bei Hofe.
- Präsident. Das ist was anders. Verzeihen Sie. Ich habe das noch
- nicht gewußt, daß Ihnen der Mann von unbescholtenen Sitten mehr ist,
- als der von Einfluß. Wollen wir abbrechen?
- Hofmarschall. Seien Sie klug, Baron. Es war ja nicht so verstanden.
- Präsident (frostig). Nein--nein! Sie haben vollkommen Recht. Ich
- bin es auch müde. Ich lasse den Karren stehen. Dem von Bock wünsch'
- ich Glück zum Premierminister. Die Welt ist noch anderswo. Ich
- fordre meine Entlassung vom Herzog.
- Hofmarschall. Und ich?--Sie haben gut schwatzen, Sie! Sie sind ein
- Studierter! Aber ich,--mon Dieu!--was bin dann ich, wenn mich Seine
- Durchleucht entlassen?
- Präsident. Ein Bonmot von vorgestern. Die Mode vom vorigen Jahr.
- Hofmarschall. Ich beschwöre Sie, Theurer, Goldner!--Ersticken Sie
- diesen Gedanken! Ich will mir ja Alles gefallen lassen.
- Präsident. Wollen Sie Ihren Namen zu einem Rendez-vous hergeben, den
- Ihnen diese Millerin schriftlich vorschlagen soll?
- Hofmarschall. Im Namen Gottes! Ich will ihn hergeben.
- Präsident. Und den Brief irgendwo herausfallen lassen, wo er dem
- Major zu Gesicht kommen muß?
- Hofmarschall. Zum Exempel auf der Parade will ich ihn, als von
- ungefähr, mit dem Schnupftuch heraus schleudern.
- Präsident. Und die Rolle ihres Liebhabers gegen den Major behaupten?
- Hofmarschall. Mort de ma vie! Ich will ihn schon waschen! Ich will
- dem Naseweis den Appetit nach meinen Amouren verleiden.
- Präsident. Nun geht's nach Wunsch. Der Brief muß noch heute
- geschrieben sein. Sie müssen vor Abend noch herkommen, ihn abzuholen
- und Ihre Rolle mit mir zu berichtigen.
- Hofmarschall. Sobald ich sechzehn Visiten werde gegeben haben, die
- von allerhöchster Importance sind. Verzeihen Sie also, wenn ich mich
- ohne Aufschub beurlaube. (Geht.)
- Präsident (klingelt). Ich zähle auf Ihre Verschlagenheit, Marschall.
- Hofmarschall (ruft zurück). Ah, mon Dieu!--Sie kennen mich ja.
- Dritte Scene.
- Der Präsident und Wurm.
- Wurm. Der Geiger und seine Frau sind glücklich und ohne alles
- Geräusch in Verhaft gebracht. Wollen Ew. Excellenz jetzt den Brief
- überlesen?
- Präsident (nachdem er gelesen). Herrlich! herrlich, Secretär! Auch
- der Marschall hat angebissen!--Ein Gift wie das müßte die Gesundheit
- selbst in eiternden Aussatz verwandeln--Nun gleich mit den
- Vorschlägen zum Vater, und dann warm zu der Tochter. (Gehen ab zu
- verschiedenen Seiten.)
- Vierte Scene.
- Zimmer in Millers Wohnung.
- Luise und Ferdinand.
- Luise. Ich bitte dich, höre auf. Ich glaube an keine glücklichen
- Tage mehr. Alle meine Hoffnungen sind gesunken.
- Ferdinand. So sind die meinigen gestiegen. Mein Vater ist
- aufgereizt; mein Vater wird alle Geschütze gegen uns richten. Er
- wird mich zwingen, den unmenschlichen Sohn zu machen. Ich stehe
- nicht mehr für meine kindliche Pflicht. Wuth und Verzweiflung werden
- mir das schwarze Geheimniß seiner Mordthat erpressen. Der Sohn wird
- den Vater in die Hände des Henkers liefern--Es ist die höchste
- Gefahr--und die höchste Gefahr mußte da sein, wenn meine Liebe den
- Riesensprung wagen sollte--Höre, Luise--Ein Gedanke, groß und
- vermessen wie meine Leidenschaft, drängt sich vor meine Seele--Du,
- Luise, und ich und die Liebe!--liegt nicht in diesem Zirkel der ganze
- Himmel? oder brauchst du noch etwas Viertes dazu?
- Luise. Brich ab. Nichts mehr. Ich erblasse über Das, was du sagen
- willst.
- Ferdinand. Haben wir an die Welt keine Forderung mehr, warum denn
- ihren Beifall erbetteln? Warum wagen, wo nichts gewonnen wird und
- Alles verloren werden kann?--Wird dieses Aug nicht eben so schmelzend
- funkeln, ob es im Rhein oder in der Elbe sich spiegelt, oder im
- baltischen Meer? Mein Vaterland ist, wo mich Luise liebt. Deine
- Fußtapfe in wilden, sandigten Wüsten mir interessanter, als das
- Münster in meiner Heimath--Werden wir die Pracht der Städte
- vermissen? Wo wir sein mögen, Luise, geht eine Sonne auf, eine
- unter--Schauspiele, neben welchen der üppigste Schwung der Künste
- verblaßt. Werden wir Gott in keinem Tempel mehr dienen, so ziehet
- die Nacht mit begeisterndem Schauern auf, der wechselnde Mond predigt
- uns Buße, und eine andächtige Kirche von Sternen betet mit uns.
- Werden wir uns in Gesprächen der Liebe erschöpfen?--Ein Lächeln
- meiner Luise ist Stoff für Jahrhunderte, und der Traum des Lebens ist
- aus, bis ich diese Thräne ergründe.
- Luise. Und hättest du sonst keine Pflicht mehr als deine Liebe?
- Ferdinand (sie umarmend). Deine Ruhe ist meine heiligste.
- Luise (sehr ernsthaft). So schweig und verlaß mich--Ich habe einen
- Vater, der kein Vermögen hat, als diese einzige Tochter--der morgen
- sechzig wird--der der Rache des Präsidenten gewiß ist.-Ferdinand
- (fällt rasch ein). Der uns begleiten wird. Darum keinen Einwurf
- mehr, Liebe. Ich gehe, mache meine Kostbarkeiten zu Geld, erhebe
- Summen auf meinen Vater. Es ist erlaubt, einen Räuber zu plündern,
- und sind seine Schätze nicht Blutgeld des Vaterlands?--Schlag ein Uhr
- um Mitternacht wird ein Wagen hier anfahren. Ihr werft euch hinein.
- Wir fliehen.
- Luise. Und der Fluch deines Vaters uns nach?--ein Fluch,
- Unbesonnener, den auch Mörder nie ohne Erhörung aussprechen, den die
- Rache des Himmels auch dem Dieb auf dem Rade hält, der uns
- Flüchtlinge unbarmherzig wie ein Gespenst von Meer zu Meer jagen
- würde?--Nein, mein Geliebter! Wenn nur ein Frevel dich mir erhalten
- kann, so hab' ich noch Stärke, dich zu verlieren.
- Ferdinand (steht still und murmelt düster). Wirklich?
- Luise. Verlieren!--O, ohne Grenzen entsetzlich ist der
- Gedanke--gräßlich genug, den unsterblichen Geist zu durchbohren und
- die glühende Wange der Freude zu bleichen--Ferdinand! dich zu
- verlieren! Doch, man verliert ja nur, was man besessen hat, und dein
- Herz gehört deinem Stande--Mein Anspruch war Kirchenraub, und
- schaudernd geb' ich ihn auf.
- Ferdinand (das Gesicht verzerrt und an der Unterlippe nagend). Gibst
- du ihn auf.
- Luise. Nein! Sieh mich an, lieber Walter. Nicht so bitter die
- Zähne geknirscht. Komm! Laß mich jetzt deinen sterbenden Muth durch
- mein Beispiel beleben. Laß mich die Heldin dieses Augenblicks
- sein--einem Vater den entflohenen Sohn wieder schenken--einem Bündniß
- entsagen, das die Fugen der Bürgerwelt auseinander treiben und die
- allgemeine ewige Ordnung zu Grund stürzen würde--Ich bin die
- Verbrecherin--mit frechen, thörigten Wünschen hat sich mein Busen
- getragen--mein Unglück ist meine Strafe, so laß mir doch jetzt die
- süße, schmeichelnde Täuschung, daß es mein Opfer war--Wirst du mir
- diese Wollust mißgönnen?
- Ferdinand (hat in der Zerstreuung und Wuth eine Violine ergriffen und
- auf derselben zu spielen versucht--Jetzt zerreißt er die Saiten,
- zerschmettert das Instrument auf dem Boden und bricht in ein lautes
- Gelächter aus).
- Luise. Walter! Gott im Himmel! Was soll das?--Ermanne dich!
- --Fassung verlangt diese Stunde--es ist eine trennende. Du hast ein
- Herz, lieber Walter. Ich kenne es.--Warm wie das Leben ist deine
- Liebe, und ohne Schranken wie das Unermeßliche--Schenke sie einer
- Edeln und Würdigern--sie wird die Glücklichste ihres Geschlechts
- nicht beneiden--(Thränen unterdrückend.) Mich sollst du nicht mehr
- sehn--Das eitle betrogene Mädchen verweine seinen Gram in einsamen
- Mauern, um seine Thränen wird sich Niemand bekümmern--Leer und
- erstorben ist meine Zukunft--Doch werd' ich noch je und je am
- verwelkten Strauß der Vergangenheit riechen. (Indem sie ihm mit
- abgewandtem Gesicht ihre zitternde Hand gibt.) Leben Sie wohl, Herr
- von Walter.
- Ferdinand (springt aus seiner Betäubung auf). Ich entfliehe, Luise.
- Willst du mir wirklich nicht folgen?
- Luise (hat sich im Hintergrund des Zimmers niedergesetzt und hält das
- Gesicht mit beiden Händen bedeckt). Meine Pflicht heißt mich bleiben
- und dulden.
- Ferdinand. Schlange, du lügst. Dich fesselt was anders hier.
- Luise (im Ton des tiefsten inwendigen Leidens). Bleiben Sie bei
- dieser Vermuthung--sie macht vielleicht weniger elend.
- Ferdinand. Kalte Pflicht gegen feurige Liebe!--Und mich soll das
- Märchen blenden? Ein Liebhaber fesselt dich, und Weh über dich und
- ihn, wenn mein Verdacht sich bestätigt. (Geht schnell ab.)
- Fünfte Scene.
- Luise allein.--(Sie bleibt noch eine Zeit lang ohne Bewegung und
- stumm in dem Sessel liegen, endlich steht sie auf, kommt vorwärts und
- sieht furchtsam herum.)
- Wo meine Eltern bleiben?--Mein Vater versprach, in wenigen Minuten
- zurück zu sein, und schon sind fünf volle fürchterliche Stunden
- vorüber--Wenn ihm ein Unfall--wie wird mir?--Warum geht mein Odem so
- ängstlich?
- (Jetzt tritt Wurm in das Zimmer und bleibt im Hintergrund stehen,
- ohne von ihr bemerkt zu werden.)
- Es ist nichts Wirkliches--Es ist nichts als das schaudernde
- Gaukelspiel des erhitzten Geblüths--Hat unsre Seele nur einmal
- Entsetzen genug in sich getrunken, so wird das Aug in jedem Winkel
- Gespenster sehn.
- Sechste Scene.
- Luise und Secretär Wurm.
- Wurm (kommt näher). Guten Abend, Jungfer.
- Luise. Gott! Wer spricht da? (Sie dreht sich um, wird den Secretär
- gewahr und tritt erschrocken zurück.) Schrecklich! Schrecklich!
- Meiner ängstlichen Ahnung eilt schon die unglückseligste Erfüllung
- nach. (Zum Secretär mit einem Blick voll Verachtung.) Suchen Sie
- etwa den Präsidenten? Er ist nicht mehr da.
- Wurm. Jungfer, ich suche Sie.
- Luise. So muß ich mich wundern, daß Sie nicht nach dem Marktplatz
- gingen.
- Wurm. Warum eben dahin?
- Luise. Ihre Braut von der Schaubühne abzuholen.
- Wurm. Mamsell Millerin, Sie haben einen falschen Verdacht-Luise
- (unterdrückt eine Antwort). Was steht Ihnen zu Diensten?
- Wurm. Ich komme, geschickt von Ihrem Vater.
- Luise (bestürzt). Von meinem Vater?--Wieder ist mein Vater?
- Wurm. Wo er nicht gern ist.
- Luise. Um Gotteswillen! Geschwind! Mich befällt eine üble
- Ahnung--Wo ist mein Vater?
- Wurm. Im Thurm, wenn Sie es ja wissen wollen.
- Luise (mit einem Blick zum Himmel). Das noch! Das auch noch!--Im
- Thurm? Und warum im Thurm?
- Wurm. Auf Befehl des Herzogs.
- Luise. Des Herzogs?
- Wurm. Der die Verletzung der Majestät in der Person seines
- Stellvertreters-Luise. Was? was? O ewige Allmacht!
- Wurm. Auffallend zu ahnden beschlossen hat.
- Luise. Das war noch übrig! Das!--Freilich, freilich, mein Herz
- hatte noch außer dem Major etwas Theures--das durfte nicht übergangen
- werden--Verletzung der Majestät--Himmlische Vorsicht! Rette! o rette
- meinen sinkenden Glauben!--Und Ferdinand?
- Wurm. Wählt Lady Milford, oder Fluch und Enterbung.
- Luise. Entsetzliche Freiheit!--Und doch--doch ist er glücklicher.
- Er hat keinen Vater zu verlieren. Zwar keinen haben, ist Verdammniß
- genug!--Mein Vater auf Verletzung der Majestät--mein Geliebter die
- Lady oder Fluch und Enterbung--Wahrlich bewundernswerth! Eine
- vollkommene Büberei ist auch eine Vollkommenheit--Vollkommenheit?
- Nein! dazu fehlt noch etwas--Wo ist meine Mutter?
- Wurm. Im Spinnhaus.
- Luise (mit schmerzvollem Lächeln). Jetzt ist es völlig!--Völlig, und
- jetzt wär' ich ja frei--Abgeschält von allen Pflichten--und
- Thränen--und Freuden. Abgeschält von der Vorsicht. Ich brauch' sie
- ja nicht mehr--(Schreckliches Stillschweigen.) Haben Sie vielleicht
- noch eine Zeitung? Reden Sie immerhin. Jetzt kann ich Alles hören.
- Wurm. Was geschehen ist, wissen Sie.
- Luise. Also nicht, was noch kommen wird? (Wiederum Pause, worin sie
- den Secretär von oben bis unten ansieht.) Armer Mensch! du treibst
- ein trauriges Handwerk, wobei du unmöglich selig werden kannst.
- Unglückliche machen, ist schon schrecklich genug, aber gräßlich ist's,
- es ihnen verkündigen--ihn vorzusingen, den Eulengesang, dabei stehn,
- wenn das blutende Herz am eisernen Schaft der Nothwendigkeit zittert
- und Christen an Gott zweifeln--Der Himmel bewahre mich! Und würde
- dir jeder Angsttropfe, den du fallen siehst, mit einer Tonne Golds
- aufgewogen--ich möchte nicht du sein--Was kann noch geschehen?
- Wurm. Ich weiß nicht.
- Luise. Sie wollen nicht wissen?--Diese lichtscheue Bothschaft
- fürchtet das Geräusch der Worte, aber in der Grabesstille Ihres
- Gesichts zeigt sich mir das Gespenst--Was ist noch übrig?--Sie sagten
- vorhin, der Herzog wollte es auffallend ahnden? Was nennen Sie
- auffallend?
- Wurm. Fragen Sie nichts mehr.
- Luise. Höre, Mensch! Du gingst beim Henker zur Schule. Wie
- verstündest du sonst, das Eisen erst langsam bedächtlich an den
- knirschenden Gelenken hinaufzuführen und das zuckende Herz mit dem
- Streich der Erbarmung zu necken?--Welches Schicksal wartet auf meinen
- Vater? Es ist Tod in Dem, was du lachend sagst; wie mag Das aussehen,
- was du an dich hältst? Sprich es aus. Laß mich sie auf einmal
- haben, die ganze zermalmende Ladung. Was wartet auf meinen Vater?
- Wurm. Ein Criminal-Proceß.
- Luise. Was ist aber das?--Ich bin ein unwissendes, unschuldiges Ding,
- verstehe mich wenig auf eure fürchterlichen lateinischen Wörter.
- Was heißt Criminal-Proceß?
- Wurm. Gericht um Leben und Tod.
- Luise (standhaft). So dank' ich Ihnen! (Sie eilt schnell in ein
- Seitenzimmer.)
- Wurm (steht betroffen da). Wo will das hinaus! Sollte die Närrin
- etwa?--Teufel! Sie wird doch nicht--Ich eile nach--ich muß für ihr
- Leben bürgen. (Im Begriff, ihr zu folgen.)
- Luise (kommt zurück, einen Mantel umgeworfen). Verzeihen Sie,
- Secretär. Ich schließe das Zimmer.
- Wurm. Und wohin denn so eilig?
- Luise. Zum Herzog. (Will fort.)
- Wurm. Was? Wo hin? (Er hält sie erschrocken zurück.)
- Luise. Zum Herzog. Hören Sie nicht? Zu eben dem Herzog, der meinen
- Vater auf Tod und Leben will richten lassen--Nein! nicht will--muß
- richten lassen, weil einige Böswichter wollen; der zu dem ganzen
- Proceß der beleidigten Majestät nichts hergibt, als eine Majestät und
- seine fürstliche Handschrift.
- Wurm (lacht überlaut). Zum Herzog!
- Luise. Ich weiß, worüber Sie lachen--aber ich will ja auch kein
- Erbarmen dort finden--Gott bewahre mich! nur Ekel--Ekel nur an meinem
- Geschrei. Man hat mir gesagt, daß die Großen der Welt noch nicht
- belehrt sind, was Elend ist--nicht wollen belehrt sein. Ich will ihm
- sagen, was Elend ist--will es ihm vormalen in allen Verzerrungen des
- Todes, was Elend ist--will es ihm vorheulen in Mark und Bein
- zermalmenden Tönen, was Elend ist--und wenn ihm jetzt über der
- Beschreibung die Haare zu Berge fliegen, will ich ihm noch zum Schluß
- in die Ohren schrei'n, daß in der Sterbestunde auch die Lungen der
- Erdengötter zu röcheln anfangen und das jüngste Gericht Majestäten
- und Bettler in dem nämlichen Siebe rüttelt. (Sie will gehen.)
- Wurm (boshaft freundlich). Gehen Sie, o gehen Sie ja. Sie können
- wahrlich nichts Klügeres thun. Ich rathe es Ihnen, gehen Sie, und
- ich gebe Ihnen mein Wort, daß der Herzog willfahren wird.
- Luise (steht plötzlich still). Wie sagen Sie?--Sie rathen mir selbst
- dazu? (Kommt schnell zurück.) Hm! Was will ich denn? Etwas
- Abscheuliches muß es sein, weil dieser Mensch dazu rathet--Woher
- wissen Sie, daß der Fürst mir willfahren wird?
- Wurm. Weil er es nicht wird umsonst thun dürfen.
- Luise. Nicht umsonst? Welchen Preis kann er auf eine Menschlichkeit
- setzen?
- Wurm. Die schöne Supplicantin ist Preises genug.
- Luise (bleibt erstarrt stehen, dann mit brechendem Laut).
- Allgerechter!
- Wurm. Und einen Vater werden Sie doch, will ich hoffen, um diese
- gnädige Taxe nicht überfordert finden?
- Luise (auf und ab, außer Fassung). Ja! ja! Es ist wahr! Sie sind
- verschanzt, eure Großen--verschanzt vor der Wahrheit hinter ihre
- eigenen Laster, wie hinter Schwerter der Cherubim--Helfe dir der
- Allmächtige, Vater! Deine Tochter kann für dich sterben, aber nicht
- sündigen.
- Wurm. Das mag ihm wohl eine Neuigkeit sein, dem armen verlassenen
- Mann--"Meine Luise," sagte er mir, "hat mich zu Boden geworfen.
- Meine Luise wird mich auch aufrichten."--Ich eile, Mamsell, ihm die
- Antwort zu bringen. (Stellt sich, als ob er ginge.)
- Luise (eilt ihm nach, hält ihn zurück). Bleiben Sie! bleiben Sie!
- Geduld! Wie flink dieser Satan ist, wenn es gilt, Menschen rasend zu
- machen!--Ich hab' ihn niedergeworfen. Ich muß ihn aufrichten. Reden
- Sie! Rathen Sie! Was kann ich? was muß ich thun?
- Wurm. Es ist nur ein Mittel.
- Luise. Dieses einzige Mittel?
- Wurm. Auch Ihr Vater wünscht-Luise. Auch mein Vater?--Was ist das
- für ein Mittel?
- Wurm. Es ist Ihnen leicht.
- Luise. Ich kenne nichts Schwereres, als die Schande.
- Wurm. Wenn Sie den Major wieder frei machen wollen.
- Luise. Von seiner Liebe? Spotten Sie meiner?--Das meiner Willkür zu
- überlassen, wozu ich gezwungen ward?
- Wurm. So ist es nicht gemeint, liebe Jungfer. Der Major muß zuerst
- und freiwillig zurücktreten.
- Luise. Er wird nicht.
- Wurm. So scheint es. Würde man denn wohl seine Zuflucht zu Ihnen
- nehmen, wenn nicht Sie allein dazu helfen könnten?
- Luise. Kann ich ihn zwingen, daß er mich hassen muß?
- Wurm. Wir wollen versuchen. Setzen Sie sich.
- Luise (betreten). Mensch! Was brütest du?
- Wurm. Setzen Sie sich. Schreiben Sie! Hier ist Feder, Papier und
- Dinte.
- Luise (setzt sich in höchster Beunruhigung). Was soll ich schreiben?
- An wen soll ich schreiben?
- Wurm. An den Henker Ihres Vaters.
- Luise. Ha! du verstehst dich darauf, Seelen auf die Folter zu
- schrauben. (Ergreift die Feder.)
- Wurm (dictiert). "Gnädiger Herr"-Luise (schreibt mit zitternder Hand).
- Wurm. "Schon drei unerträgliche Tage sind vorüber--sind vorüber--und
- wir sahen uns nicht"
- Luise (stutzt, legt die Feder weg). An wen ist der Brief?
- Wurm. An den Henker Ihres Vaters.
- Luise. O mein Gott!
- Wurm. "Halten Sie sich deßwegen an den Major--an den Major--der mich
- den ganzen Tag wie ein Argus hütet"
- Luise (springt auf). Büberei, wie noch keine erhört worden! An wen
- ist der Brief?
- Wurm. An den Henker Ihres Vaters.
- Luise (die Hände ringend, auf und nieder). Nein! nein! nein! das ist
- tyrannisch, o Himmel! Strafe Menschen menschlich, wenn sie dich
- reizen, aber warum mich zwischen zwei Schrecknisse pressen? Warum
- zwischen Tod und Schande mich hin und her wiegen? Warum diesen
- blutsaugenden Teufel mir auf den Nacken setzen?--Macht, was ihr wollt.
- Ich schreibe das nimmermehr.
- Wurm (greift nach dem Hut). Wie Sie wollen, Mademoiselle! Das steht
- ganz in Ihrem Belieben.
- Luise. Belieben, sagen Sie? In meinem Belieben?--Geh, Barbar!
- Hänge einen Unglücklichen über dem Abgrund der Hölle aus, bitt' ihn
- um etwas, und lästre Gott, und frag' ihn, ob es ihm beliebe?--O du
- weißt allzu gut, daß unser Herz an natürlichen Trieben so fest als an
- Ketten liegt--Nunmehr ist Alles gleich. Dictieren Sie weiter! Ich
- denke nichts mehr. Ich weiche der überlistenden Hölle. (Sie setzt
- sich zum zweitenmal.)
- Wurm. "Den ganzen Tag wie ein Argus hütet"--Haben Sie das?
- Luise. Weiter! weiter!
- Wurm. "Wir haben gestern den Präsidenten im Haus gehabt. Es war
- possierlich zu sehen, wie der gute Major um meine Ehre sich
- wehrte"-Luise. O schön, schön! o herrlich!--Nur immer fort.
- Wurm. "Ich nahm meine Zuflucht zu einer Ohnmacht--zu einer
- Ohnmacht--daß ich nicht laut lachte"
- Luise. O Himmel!
- Wurm. "Aber bald wird mir meine Maske
- unerträglich--unerträglich--Wenn ich nur loskommen könnte"-Luise
- (hält inne, steht auf, geht auf und nieder, den Kopf gesenkt, als
- suchte sie was auf dem Boden; dann setzt sie sich wiederum, schreibt
- weiter). "Loskommen könnte"
- Wurm. "Morgen hat er den Dienst--Passen Sie ab, wenn er von mir geht,
- und kommen an den bewußten Ort"--Haben Sie "bewußten?"
- Luise. Ich habe Alles!
- Wurm. "An den bewußten Ort zu Ihrer zärtlichen.... Luise"
- Luise. Nun fehlt die Adresse noch.
- Wurm. "An Herrn Hofmarschall von Kalb."
- Luise. Ewige Vorsicht! Ein Name, so fremd meinen Ohren, als meinem
- Herzen diese schändlichen Zeilen. (Sie steht auf und betrachtet eine
- große Pause lang mit starrem Blick das Geschriebene, endlich reicht
- sie es dem Secretär mit erschöpfter, hinsterbender Stimme.) Nehmen
- Sie, mein Herr. Es ist mein ehrlicher Name--es ist Ferdinand--es ist
- die ganze Wonne meines Lebens, was ich jetzt in Ihre Hände gebe--Ich
- bin eine Bettlerin.
- Wurm. O nein doch! Verzagen Sie nicht, liebe Mademoiselle. Ich
- habe herzliches Mitleid mit Ihnen. Vielleicht--wer weiß?--Ich könnte
- mich noch wohl über gewisse Dinge hinwegsetzen--Wahrlich! Bei Gott!
- Ich habe Mitleid mit Ihnen.
- Luise (blickt ihn starr und durchdringend an). Reden Sie nicht aus,
- mein Herr. Sie sind auf dem Wege, sich etwas Entsetzliches zu
- wünschen.
- Wurm (im Begriff, ihre Hand zu küssen). Gesetzt, es wäre diese
- niedliche Hand--Wie so, liebe Jungfer?
- Luise (groß und schrecklich). Weil ich dich in der Brautnacht
- erdrosselte und mich dann mit Wollust aufs Rad flechten ließe. (Sie
- will gehen, kommt aber schnell zurück.) Sind wir jetzt fertig, mein
- Herr? Darf die Taube nun fliegen?
- Wurm. Nur noch die Kleinigkeit, Jungfer. Die müssen mit mir und das
- Sacrament darauf nehmen, diesen Brief für einen freiwilligen zu
- erkennen.
- Luise. Gott! Gott! und du selbst mußt das Siegel geben, die Werke
- der Hölle zu verwahren? (Wurm zieht sie fort.)
- Vierter Akt.
- Erste Scene.
- Saal beim Präsidenten.
- Ferdinand von Walter, einen offenen Brief in der Hand, kommt
- stürmisch durch eine Thüre, durch eine andere ein Kammerdiener.
- Ferdinand. War kein Marschall da?
- Kammerdiener. Herr Major, der Herr Präsident fragt nach Ihnen.
- Ferdinand. Alle Donner! Ich frag', war kein Marschall da?
- Kammerdiener. Der gnädige Herr sitzt oben am Pharotisch.
- Ferdinand. Der gnädige Herr soll im Namen der ganzen Hölle daher
- kommen. (Kammerdiener geht.)
- Zweite Scene.
- Ferdinand allein, den Brief durchfliegend, bald erstarrend, bald
- wüthend herumstürzend.
- Es ist nicht möglich! nicht möglich! Diese himmlische Hülle
- versteckt kein so teuflisches Herz--Und doch! doch! Wenn alle Engel
- herunter stiegen, für ihre Unschuld bürgten--wenn Himmel und Erde,
- wenn Schöpfung und Schöpfer zusammenträten, für ihre Unschuld
- bürgten--es ist ihre Hand--Ein unerhörter, ungeheurer Betrug, wie die
- Menschheit noch keinen erlebte!--Das also war's, warum man sich so
- beharrlich der Flucht widersetzt!--Darum--o Gott! jetzt erwach' ich,
- jetzt enthüllt sich mir Alles!--Darum gab man seinen Anspruch auf
- meine Liebe mit so viel Heldenmuth auf, und bald, bald hätte selbst
- mich die himmlische Schminke betrogen!
- (Er stürzt rascher durchs Zimmer, dann steht er wieder nachdenkend
- still.)
- Mich so ganz zu ergründen!--Jedes kühne Gefühl, jede leise
- schüchterne Bebung zu erwiedern, jede feurige Wallung--An der
- feinsten Unbeschreiblichkeit eines schwebenden Lauts meine Seele zu
- fassen--Mich zu berechnen in einer Thräne--Auf jeden gähen Gipfel der
- Leidenschaft mich zu begleiten, mir zu begegnen vor jedem
- schwindelnden Absturz--Gott! Gott! und alles Das nichts als
- Grimasse?--Grimasse? O, wenn die Lüge eine so haltbare Farbe hat,
- wie ging es zu, daß sich kein Teufel noch in das Himmelreich
- hineinlog?
- Da ich ihr die Gefahr unsrer Liebe entdeckte, mit welch überzeugender
- Täuschung erblaßte die Falsche da! Mit welch siegender Würde schlug
- sie den frechen Hohn meines Vaters zu Boden, und in eben dem
- Augenblick fühlte das Weib sich doch schuldig!--Was? hielt sie nicht
- selbst die Feuerprobe der Wahrheit aus--die Heuchlerin sinkt in
- Ohnmacht. Welche Sprache wirst du jetzt führen, Empfindung? Auch
- Koketten sinken in Ohnmacht. Womit wirst du dich rechtfertigen,
- Unschuld?--Auch Metzen sinken in Ohnmacht.
- Sie weiß, was sie aus mir gemacht hat. Sie hat meine ganze Seele
- gesehen. Mein Herz trat beim Erröthen des ersten Kusses sichtbar in
- meine Augen--und sie empfand nichts? empfand vielleicht nur den
- Triumph ihrer Kunst?--Da mein glücklicher Wahnsinn den ganzen Himmel
- in ihr zu umspannen wähnte, meine wildesten Wünsche schwiegen--vor
- meinem Gemüth stand kein Gedanke, als die Ewigkeit und das
- Mädchen--Gott! da empfand sie nichts? fühlte nichts, als ihren
- Anschlag gelungen? nichts, als ihre Reize geschmeichelt? Tod und
- Rache! Nichts! als daß ich betrogen sei?
- Dritte Scene.
- Der Hofmarschall und Ferdinand.
- Hofmarschall (ins Zimmer trippelnd). Sie haben den Wunsch blicken
- lassen, mein Bester-Ferdinand (vor sich hinmurmelnd). Einem Schurken
- den Hals zu brechen. (Laut.) Marschall, dieser Brief muß Ihnen bei
- der Parade aus der Tasche gefallen sein--und ich (mit boshaftem
- Lachen) war zum Glück noch der Finder.
- Hofmarschall. Sie?
- Ferdinand. Durch den lustigsten Zufall. Machen Sie's mit der
- Allmacht aus.
- Hofmarschall. Sie sehen, wie ich erschrecke, Baron.
- Ferdinand. Lesen Sie! Lesen Sie! (Von ihm weggehend.) Bin ich auch
- schon zum Liebhaber zu schlecht, vielleicht lass' ich mich desto
- besser als Kuppler an.
- (Während Jener liest, tritt er zur Wand und nimmt zwei Pistolen
- herunter.)
- Hofmarschall (wirft den Brief auf den Tisch und will sich davon
- machen). Verflucht!
- Ferdinand (führt ihn am Arm zurück). Geduld, lieber Marschall. Die
- Zeitungen dünken mich angenehm. Ich will meinen Finderlohn haben.
- (Hier zeigt er ihm die Pistolen.)
- Hofmarschall (tritt bestürzt zurück). Sie werden vernünftig sein,
- Bester.
- Ferdinand (mit starker, schrecklicher Stimme). Mehr als zu viel, um
- einen Schelmen, wie du bist, in jene Welt zu schicken! (Er dringt
- ihm die eine Pistole auf, zugleich zieht er sein Schnupftuch.) Nehmen
- Sie! Dieses Schnupftuch da fassen Sie!--Ich hab's von der Buhlerin.
- Hofmarschall. Über dem Schnupftuch? Rasen Sie? Wohin denken Sie?
- Ferdinand. Faß dieses End' an, sag' ich! sonst wirst du ja fehl
- schießen, Memme!--Wie sie zittert, die Memme! Du solltest Gott
- danken, Memme, daß du zum ersten Mal etwas in deinen Hirnkasten
- kriegst. (Hofmarschall macht sich auf die Beine.) Sachte! dafür wird
- gebeten sein. (Er überholt ihn und riegelt die Thür.)
- Hofmarschall. Auf dem Zimmer, Baron?
- Ferdinand. Als ob sich mit dir ein Gang vor den Wall
- verlohnte?--Schatz, so knallt's desto lauter, und das ist ja doch
- wohl das erste Geräusch, das du in der Welt machst--Schlag an!
- Hofmarschall (wischt sich die Stirn). Und Sie wollen Ihr kostbares
- Leben so aussetzen, junger, hoffnungsvoller Mann?
- Ferdinand. Schlag an, sag' ich. Ich habe nichts mehr in dieser Welt
- zu thun.
- Hofmarschall. Aber ich desto mehr, mein Allervortrefflichster.
- Ferdinand. Du, Bursche? Was, du?--Der Nothnagel zu sein, wo die
- Menschen sich rar machen? In einem Augenblick siebenmal kurz und
- siebenmal lang zu werden, wie der Schmetterling an der Nadel? Ein
- Register zu führen über die Stuhlgänge deines Herrn und der Miethgaul
- seines Witzes zu sein? Eben so gut, ich führe dich, wie irgend ein
- seltenes Murmelthier mit mir. Wie ein zahmer Affe sollst du zum
- Geheul der Verdammten tanzen, apportieren und aufwarten und mit
- deinen höfischen Künsten die ewige Verzweiflung belustigen.
- Hofmarschall. Was Sie befehlen, Herr! wie Sie belieben--Nur die
- Pistolen weg!
- Ferdinand. Wie er dasteht, der Schmerzenssohn!--Dasteht dem sechsten
- Schöpfungstag zum Schimpfe! Als wenn ihn ein Tübinger Buchhändler
- dem Allmächtigen nachgedruckt hätte!--Schade nur, ewig Schade für die
- Unze Gehirn, die so schlecht in diesem undankbaren Schädel wuchert.
- Diese einzige Unze hätte dem Pavian noch vollends zum Menschen
- geholfen, da sie jetzt nur einen Bruch von Vernunft macht--Und mit
- Diesem ihr Herz zu theilen?--Ungeheuer! Unverantwortlich!--Einem
- Kerl, mehr gemacht, von Sünden zu entwöhnen, als dazu anzureizen.
- Hofmarschall. O! Gott sei ewig Dank! Er wird witzig.
- Ferdinand. Ich will ihn gelten lassen. Die Toleranz, die der
- Raupe schont, soll auch Diesem zu gute kommen. Man begegnet
- ihm, zuckt etwa die Achsel, bewundert vielleicht noch die kluge
- Wirthschaft des Himmels, der auch mit Träbern und Bodensatz noch
- Creaturen speist; der dem Raben am Hochgericht und einem Höfling
- im Schlamme der Majestäten den Tisch deckt--Zuletzt erstaunt man
- noch über die große Polizei der Vorsicht, die auch in der
- Geisterwelt ihre Blindschleichen und Taranteln zur Ausfuhr des
- Gifts besoldet--Aber (indem seine Wuth sich erneuert) an meine
- Blume soll mir das Ungeziefer nicht kriechen, oder ich will es
- (den Marschall fassend und unsanft herumschüttelnd) so, und so,
- und wieder so durcheinander quetschen.
- Hofmarschall (für sich hinseufzend). O mein Gott! Wer hier weg wäre!
- Hundert Meilen von hier, im Bicêtre zu Paris, nur bei Diesem nicht!
- Ferdinand. Bube! Wenn sie nicht rein mehr ist? Bube! wenn du
- genossest, wo ich anbetete? (wüthender) Schwelgtest, wo ich einen
- Gott mich fühlte. (Plötzlich schweigt er, darauf fürchterlich.) Dir
- wäre besser, Bube, du flöhest der Hölle zu, als daß dir mein Zorn im
- Himmel begegnete!--Wie weit kamst du mit dem Mädchen? Bekenne!
- Hofmarschall. Lassen Sie mich los. Ich will Alles verrathen.
- Ferdinand. O! es muß reizender sein, mit diesem Mädchen zu buhlen,
- als mit andern noch so himmlisch zu schwärmen--Wollte sie
- ausschweifen, wollte sie, sie könnte den Werth der Seele
- herunterbringen und die Tugend mit der Wollust verfälschen. (Dem
- Marschall die Pistole aufs Herz drückend.) Wie weit kamst du mit ihr?
- Ich drücke ab, oder bekenne!
- Hofmarschall. Es ist nichts--ist ja Alles nichts. Haben Sie nur
- eine Minute Geduld. Sie sind ja betrogen.
- Ferdinand. Und daran mahnst du mich, Bösewicht?--Wie weit kamst du
- mit ihr? Du bist des Todes, oder bekenne!
- Hofmarschall. Mon Dieu! Mein Gott! Ich spreche ja--so hören Sie
- doch nur--Ihr Vater--Ihr eigener, leiblicher Vater-Ferdinand
- (grimmiger). Hat seine Tochter an dich verkuppelt? Und wie weit
- kamst du mit ihr? Ich ermorde dich, oder bekenne!
- Hofmarschall. Sie rasen. Sie hören nicht. Ich sah sie nie. Ich
- kenne sie nicht. Ich weiß gar nichts von ihr.
- Ferdinand (zurücktretend). Du sahst sie nie? Kennst sie nicht?
- Weißt gar nichts von ihr?--Die Miller ist ist verloren um
- deinetwillen; die leugnest sie dreimal in einem Athem hinweg?--Fort,
- schlechter Kerl! (Er gibt ihm mit der Pistole einen Streich und
- stößt ihn aus dem Zimmer.) Für deines Gleichen ist kein Pulver
- erfunden!
- Vierte Scene.
- Ferdinand nach einem langen Stillschweigen, worin seine Züge einen
- schrecklichen Gedanken entwickeln.
- Verloren! ja, Unglückselige!--Ich bin es. Du bist es auch. Ja, bei
- dem großen Gott! wenn ich verloren bin, bist du es auch! Richter der
- Welt! Fordre sie mir nicht ab! Das Mädchen ist mein. Ich trat dir
- deine ganze Welt für das Mädchen ab, habe Verzicht gethan auf deine
- ganze herrliche Schöpfung. Laß mir das Mädchen.--Richter der Welt!
- dort winseln Millionen Seelen nach dir--dorthin kehre das Auge deines
- Erbarmens--mich laß allein machen, Richter der Welt! (Indem er
- schrecklich die Hände faltet.) Sollte der reiche, vermögende Schöpfer
- mit einer Seele geizen, die noch dazu die schlechteste seiner
- Schöpfung ist?--Das Mädchen ist mein! Ich einst ihr Gott, jetzt ihr
- Teufel!
- (Die Augen graß in einen Winkel geworfen.)
- Eine Ewigkeit mit ihr auf ein Rad der Verdammniß geflochten--Augen in
- Augen wurzelnd--Haare zu Berge stehend gegen Haare--auch unser hohles
- Wimmern in eins geschmolzen--und jetzt zu wiederholen meine
- Zärtlichkeiten und jetzt ihr vorzusingen ihre Schwüre--Gott! Gott!
- die Vermählung ist fürchterlich--aber ewig! (Er will schnell hinaus.
- Der Präsident tritt herein.)
- Fünfte Scene.
- Der Präsident und Ferdinand.
- Ferdinand (zurücktretend). O!--mein Vater!
- Präsident. Sehr gut, daß wir uns finden, mein Sohn. Ich komme, dir
- etwas Angenehmes zu verkündigen, und etwas, lieber Sohn, das dich
- ganz gewiß überraschen wird. Wollen wir uns setzen?
- Ferdinand (sieht ihn lange Zeit starr an). Mein Vater! (Mit
- stärkerer Bewegung zu ihm gehend und seine Hand fassend.) Mein Vater!
- (Seine Hand küssend, vor ihm niederfallend.) O mein Vater!
- Präsident. Was ist dir, mein Sohn? Steh auf. Deine Hand brennt und
- zittert.
- Ferdinand (mit wilder, feuriger Empfindung). Verzeihung für meinen
- Undank, mein Vater! Ich bin ein verworfener Mensch. Ich habe Ihre
- Güte mißkannt! Sie meinten es mit mir so väterlich!--O! Sie hatten
- eine weissagende Seele--jetzt ist's zu spät--Verzeihung! Verzeihung!
- Ihren Segen, mein Vater!
- Präsident (heuchelt eine schuldlose Miene). Steh auf, mein Sohn!
- Besinne dich, daß du mir Räthsel sprichst.
- Ferdinand. Diese Millerin, mein Vater--O, Sie kennen den
- Menschen--Ihre Wuth war damals so gerecht, so edel, so väterlich
- warm--nur verfehlte der warme Vatereifer des Weges--diese Millerin!
- Präsident. Martre mich nicht, mein Sohn. Ich verfluche meine Härte!
- Ich bin gekommen, dir abzubitten.
- Ferdinand. Abbitten an mir! Verfluchen an mir!--Ihre Mißbilligung
- war Weisheit. Ihre Härte war himmlisches Mitleid--Diese Millerin,
- Vater-Präsident. Ist ein edles, ein liebes Mädchen.--Ich widerrufe
- meinen übereilten Verdacht. Sie hat meine Achtung erworben.
- Ferdinand (springt erschüttert auf). Was? auch Sie?--Vater! auch
- Sie?--und nicht wahr, mein Vater, ein Geschöpf wie die Unschuld?--Und
- es ist so menschlich, dieses Mädchen zu lieben?
- Präsident. Sage so: es ist Verbrechen, sie nicht zu lieben.
- Ferdinand. Unerhört! Ungeheuer!--Und Sie schauen ja doch sonst die
- Herzen so durch! Sahen sie noch dazu mit Augen des Hasses!
- --Heuchelei ohne Beispiel--Diese Millerin, Vater-Präsident. Ist es
- werth, meine Tochter zu sein. Ich rechne ihre Tugend für Ahnen und
- ihre Schönheit für Gold. Meine Grundsätze weichen deiner Liebe--Sie
- sei dein!
- Ferdinand (stürzt fürchterlich aus dem Zimmer). Das fehlte noch!
- --Leben Sie wohl, mein Vater. (Ab.)
- Präsident (ihm nachgehend). Bleib! Bleib! Wohin stürmst du? (Ab.)
- Sechste Scene.
- Ein prächtiger Saal bei der Lady.
- Lady und Sophie treten herein.
- Lady. Also sahst du sie? Wird sie kommen?
- Sophie. Diesen Augenblick. Sie war noch im Hausgewand und wollte
- sich nur in der Geschwindigkeit umkleiden.
- Lady. Sage mir nichts von ihr--Stille--wie eine Verbrecherin zittre
- ich, die Glückliche zu sehen, die mit meinem Herzen so schrecklich
- harmonisch fühlt--Und wie nahm sie sich bei der Einladung?
- Sophie. Sie schien bestürzt, wurde nachdenkend, sah mich mit großen
- Augen an und schwieg. Ich hatt mich schon auf ihre Ausflüchte
- vorbereitet, als sie mit einem Blick, der mich ganz überraschte, zur
- Antwort gab: Ihre Dame befiehlt mir, was ich mir morgen erbitten
- wollte.
- Lady (sehr unruhig). Laß mich, Sophie. Beklage mich. Ich muß
- erröthen, wenn sie nur das gewöhnliche Weib ist, und wenn sie mehr
- ist, verzagen.
- Sophie. Aber, Milady--das ist die Laune nicht, eine Nebenbuhlerin zu
- empfangen. Erinnern Sie sich, wer Sie sind. Rufen Sie Ihre Geburt,
- Ihren Rang, Ihre Macht zu Hilfe. Ein stolzeres Herz muß die stolze
- Pracht Ihres Anblicks erheben.
- Lady (zerstreut). Was schwatzt die Närrin da?
- Sophie (boshaft). Oder ist es vielleicht Zufall, daß eben heute die
- kostbarsten Brillanten an Ihnen blitzen? Zufall, daß eben heute der
- reichste Stoff Sie bekleiden muß--daß Ihre Antichambre von Heiducken
- und Pagen wimmelt und das Bürgermädchen im fürstlichen Saal Ihres
- Palastes erwartet wird?
- Lady (auf und ab voll Erbitterung). Verwünscht! Unerträglich! Daß
- Weiber für Weiberschwächen solche Luchsaugen haben!--Aber wie tief,
- wie tief muß ich schon gesunken sein, daß eine solche Creatur mich
- ergründet!
- Ein Kammerdiener (tritt auf). Mamsell Millerin-Lady (zu Sophien).
- Hinweg, du! Entferne dich! (Drohend, da diese noch zaudert.) Hinweg!
- Ich befehl' es! (Sophie geht ab, Lady macht einen Gang durch den
- Saal.) Gut! Recht gut, daß ich in Wallung kam! Ich bin, wie ich
- wünschte! (Zum Kammerdiener.) Die Mamsell mag hereintreten.
- (Kammerdiener geht. Sie wirft sich in den Sopha und nimmt eine
- vornehm-nachlässige Lage an.)
- Siebente Scene.
- Luise Millerin tritt schüchtern herein und bleibt in einer großen
- Entfernung von der Lady stehen; Lady hat ihr den Rücken zugewandt und
- betracht sie eine Zeit lang aufmerksam in dem gegenüber stehenden
- Spiegel. (Nach einer Pause.)
- Luise. Gnädige Frau, ich erwarte Ihre Befehle.
- Lady (dreht sich nach Luisen um und nickt nur eben mit dem Kopfe,
- fremd und zurückgezogen). Aha! Ist Sie hier?--Ohne Zweifel die
- Mamsell--eine gewisse--wie nennt man Sie doch?
- Luise (etwas empfindlich). Miller nennt sich mein Vater, und Ihro
- Gnaden schickten nach seiner Tochter.
- Lady. Recht! Recht! ich entsinne mich--die arme Geigerstochter,
- wovon neulich die Rede war. (Nach einer Pause vor sich.) Seht
- interessant, und doch keine Schönheit--(Laut zu Luisen.) Treten Sie
- näher, mein Kind. (Wieder vor sich.) Augen, die sich im Weinen
- übten--Wie lieb' ich sie, diese Augen! (Wiederum laut.) Nur
- näher--Nur ganz nah--Gutes Kind, ich glaube, du fürchtest mich?
- Luise (groß, mit entschiedenem Ton). Nein, Milady. Ich verachte das
- Urtheil der Menge.
- Lady (vor sich). Sieh doch! und diesen Trotzkopf hat sie von ihm.
- (Laut.) Man hat Sie mir empfohlen, Mamsell. Sie soll was gelernt
- haben und sonst auch zu leben wissen--Nun ja. Ich will's
- glauben--auch nähm' ich die ganze Welt nicht, einen so warmen
- Fürsprecher Lügen zu strafen.
- Luise. Doch kenn' ich Niemand, Milady, der sich Mühe gäbe, mir eine
- Patronin zu suchen.
- Lady (geschraubt). Mühe um die Clientin oder Patronin?
- Luise. Das ist mir zu hoch, gnädige Frau.
- Lady. Mehr Schelmerei, als diese offene Bildung vermuthen läßt!
- Luise nennt sie sich? Und wie jung, wenn man fragen darf?
- Luise. Sechzehn gewesen.
- Lady (steht rasch auf). Nun ist's heraus! Sechzehn Jahre! Der
- erste Puls dieser Leidenschaft!--Auf dem unberührten Clavier der
- erste einweihende Silberton--Nichts ist verführender--Setz dich, ich
- bin dir gut, liebes Mädchen--Und auch er liebt zum ersten Mal--Was
- Wunder, wenn sich die Strahlen eines Morgenroths finden? (Sehr
- freundlich und ihre Hand ergreifend.) Es bleibt dabei, ich will dein
- Glück machen, Liebe--Nichts, nichts als die süße, frühe verfliegende
- Träumerei. (Luisen auf die Wange klopfend.) Meine Sophie heirathet.
- Du sollst ihre Stelle haben--Sechzehn Jahr! Es kann nicht von Dauer
- sein.
- Luise (küßt ihr ehrerbietig die Hand). Ich danke für diese Gnade,
- Milady, als wenn ich sie annehmen dürfte.
- Lady (in Entrüstung zurückfallend). Man sehe die große Dame!--Sonst
- wissen sich Jungfern Ihrer Herkunft noch glücklich, wenn sie
- Herrschaften finden--Wo will denn Sie hinaus, meine Kostbare? Sind
- diese Finger zur Arbeit zu niedlich? Ist es Ihr Bischen Gesicht,
- worauf Sie so trotzig thut?
- Luise. Mein Gesicht, gnädige Frau, gehört mir so wenig, als meine
- Herkunft.
- Lady. Oder glaubt Sie vielleicht, das werde nimmer ein Ende
- nehmen?--Armes Geschöpf, wer dir das in den Kopf setzte--mag er sein,
- wer er will--er hat euch Beide zum Besten gehabt. Diese Wangen sind
- nicht im Feuer vergoldet. Was dir dein Spiegel für massiv und ewig
- verkauft, ist nur ein dünner, angeflogener Goldschaum, der deinem
- Anbeter über kurz oder lang in der Hand bleiben muß--Was werden wir
- dann machen?
- Luise. Den Anbeter bedauern, Milady, der einen Demant kaufte, weil
- er in Gold schien gefaßt zu sein.
- Lady (ohne darauf achten zu wollen). Ein Mädchen von Ihren
- Jahren hat immer zween Spiegel zugleich, den wahren und ihren
- Bewunderer--die gefällige Geschmeidigkeit des letztern macht die
- rauhe Offenherzigkeit des erstern wieder gut. Der eine rügt eine
- häßliche Blatternarbe. Weit gefehlt, sagt der andere, es ist ein
- Grübchen der Grazien. Ihr guten Kinder glaubt jenem nur, was euch
- dieser gesagt hat, hüpft von einem zum andern, bis ihr zuletzt die
- Aussagen beider verwechselt--Warum begaffen Sie mich so?
- Luise. Verzeihen Sie, gnädige Frau--Ich war so eben im Begriff,
- diesen prächtig blitzenden Rubin zu beweinen, der es nicht wissen muß,
- daß seine Besitzerin so scharf wider Eitelkeit eifert.
- Lady (erröthend). Keinen Seitensprung, Lose!--Wenn es nicht die
- Promessen Ihrer Gestalt sind, was in der Welt könnte Sie abhalten,
- einen Stand zu erwählen, der der einzige ist, wo Sie Manieren und
- Welt lernen kann, der einzige ist, wo Sie sich Ihrer bürgerlichen
- Vorurtheile entledigen kann?
- Luise. Auch meiner bürgerlichen Unschuld, Milady?
- Lady. Läppischer Einwurf! Der ausgelassenste Bube ist zu verzagt,
- uns etwas Beschimpfendes zuzumuthen, wenn wir ihm nicht selbst
- ermunternd entgegen gehn. Zeige Sie, wer Sie ist. Gebe Sie sich
- Ehre und Würde, und ich sage Ihrer Jugend für alle Versuchung gut.
- Luise. Erlauben Sie, gnädige Frau, daß ich mich unterstehe, daran zu
- zweifeln. Die Paläste gewisser Damen sind oft die Freistätten der
- frechsten Ergötzlichkeit. Wer sollte der Tochter des armen Geigers
- den Heldenmuth zutrauen, den Heldenmuth, mitten in die Pest sich zu
- werfen und doch dabei vor der Vergiftung zu schaudern? Wer sollte
- sich träumen lassen, daß Lady Milford ihrem Gewissen einen ewigen
- Skorpion halte, daß sie Geldsummen aufwende, um den Vortheil zu haben,
- jeden Augenblick schamroth zu werden?--Ich bin offenherzig, gnädige
- Frau--Würde Sie mein Anblick ergötzen, wenn Sie einem Vergnügen
- entgegen gingen? Würden Sie ihn ertragen, wenn Sie zurückkämen?--O
- besser, besser, Sie lassen Himmelsstriche uns trennen--Sie lassen
- Meere zwischen uns fließen!--Sehen Sie sich wohl für, Milady--Stunden
- der Nüchternheit, Augenblicke der Erschöpfung könnten sich
- melden--Schlangen der Reue könnten Ihren Busen anfallen, und
- nun--welche Folter für Sie, im Gesicht Ihres Dienstmädchens die
- heitre Ruhe zu lesen, womit die Unschuld ein reines Herz zu belohnen
- pflegt. (Sie tritt einen Schritt zurück.) Noch einmal, gnädige Frau.
- Ich bitte sehr um Vergebung.
- Lady (in großer innrer Bewegung herumgehend). Unerträglich, daß sie
- mir das sagt! Unerträglicher, daß sie Recht hat! (Zu Luisen tretend
- und ihr starr in die Augen sehend.) Mädchen, du wirst mich nicht
- überlisten. So warm sprechen Meinungen nicht. Hinter diesen Maximen
- lauert ein feurigeres Interessen, das dir meine Dienste besonders
- abscheulich malt--das dein Gespräch so erhitzte--das ich (drohend)
- entdecken muß.
- Luise (gelassen und edel). Und wenn Sie es nun entdeckten? Und
- wenn Ihr verächtlicher Fersenstoß den beleidigten Wurm aufweckte,
- dem sein Schöpfer gegen Mißhandlung noch einen Stachel gab?--Ich
- fürchte Ihre Rache nicht, Lady--Die arme Sünderin auf dem
- berüchtigten Henkerstuhl lacht zum Weltuntergang. Mein Elend ist
- so hoch gestiegen, daß selbst Aufrichtigkeit es nicht mehr
- vergrößern kann. (Nach einer Pause sehr ernsthaft.) Sie wollen
- mich aus dem Staub meiner Herkunft reißen. Ich will sie nicht
- zergliedern, diese verdächtige Gnade. Ich will nur fragen, was
- Milady bewegen konnte, mich für die Thörin zu halten, die über
- ihre Herkunft erröthet? Was sie berechtigen konnte, sich zur
- Schöpferin meines Glücks aufzuwerfen, ehe sie noch wußte, ob ich
- mein Glück auch von ihren Händen empfangen wollte?--Ich hatte
- meinen ewigen Anspruch auf die Freuden der Welt zerrissen. Ich
- hatte dem Glück seine Übereilung vergeben--Warum mahnen Sie mich
- aufs Neu an dieselbe?--Wenn selbst die Gottheit dem Blick der
- Erschaffenen ihre Strahlen verbirgt, daß nicht ihr oberster Seraph
- vor seiner Verfinsterung zurückschaure--warum wollen Menschen so
- grausam-barmherzig sein?--Wie kommt es, Milady, daß Ihr
- gepriesenes Glück das Elend so gern um Neid und Bewunderung
- anbettelt?--Hat Ihre Wonne die Verzweiflung so nöthig zur
- Folie?--O lieber! so gönnen Sie mir doch eine Blindheit, die mich
- allein noch mit meinem barbarischen Loos versöhnt--Fühlt sich doch
- das Insekt in einem Tropfen Wassers so selig, als wär' es ein
- Himmelreich, so froh und so selig, bis man ihm von einem Weltmeer
- erzählt, worin Flotten und Wallfische spielen!--Aber glücklich
- wollen Sie mich ja wissen? (Nach einer Pause plötzlich zur Lady
- hintretend und mit Überraschung fragend:) Sind Sie glücklich,
- Milady? (Diese verläßt sie schnell und betroffen, Luise folgt ihr
- und hält ihr die Hand vor den Busen.) Hat dieses Herz auch die
- lachende Gestalt Ihres Standes? Und wenn wir jetzt Brust gegen
- Brust und Schicksal gegen Schicksal auswechseln sollten--und wenn
- ich in kindlicher Unschuld--und wenn ich auf Ihr Gewissen--und
- wenn ich als meine Mutter Sie fragte--würden Sie mir wohl zu dem
- Tausche rathen?
- Lady (heftig bewegt in den Sopha sich werfend). Unerhört!
- Unbegreiflich! Nein, Mädchen! Nein! Diese Größe hast du nicht auf
- die Welt gebracht, und für einen Vater ist sie zu jugendlich. Lüge
- mir nicht. Ich höre einen andern Lehrer-Luise (fein und scharf ihr
- in die Augen sehend). Es sollte mich doch wundern, Milady, wenn Sie
- jetzt erst auf diesen Lehrer fielen, und doch vorhin schon eine
- Condition für mich wußten.
- Lady (springt auf). Es ist nicht auszuhalten!--Ja denn! weil ich
- dir doch nicht entwischen kann. Ich kenn' ihn--weiß Alles--weiß
- mehr, als ich wissen mag. (Plötzlich hält sie inne, darauf mit
- einer Heftigkeit, die nach und nach bis beinahe zum Toben steigt.)
- Aber wag' es, Unglückliche--wag' es, ihn jetzt noch zu lieben oder
- von ihm geliebt zu werden--Was sage ich?--Wag' es, an ihn zu
- denken oder einer von seinen Gedanken zu sein--Ich bin mächtig,
- Unglückliche--fürchterlich--so wahr Gott lebt! Du bist verloren!
- Luise (standhaft). Ohne Rettung, Milady, sobald Sie ihn zwingen, daß
- er Sie lieben muß.
- Lady. Ich verstehe dich--aber er soll mich nicht lieben. Ich will
- über diese schimpfliche Leidenschaft siegen, mein Herz unterdrücken
- und das deinige zermalmen--Felsen und Abgründe will ich zwischen euch
- werfen; eine Furie will ich mitten durch euren Himmel gehen; mein
- Name soll eure Küsse, wie ein Gespenst Verbrecher, auseinander
- scheuchen; deine junge blühende Gestalt unter seiner Umarmung welk,
- wie eine Mumie, zusammenfallen--Ich kann nicht mit ihm glücklich
- werden--aber du sollst es auch nicht werden--Wisse das, Elende!
- Seligkeit zerstören ist auch Seligkeit.
- Luise. Eine Seligkeit, um die man Sie schon gebracht hat, Milady.
- Lästern Sie Ihr eigenes Herz nicht. Sie sind nicht fähig, Das
- auszuüben, was Sie so drohend auf mich herabschwören. Sie sind nicht
- fähig, ein Geschöpf zu quälen, das Ihnen nichts zu Leide gethan, als
- daß es empfunden hat wie Sie--Aber ich liebe Sie um dieser Wallung
- willen, Milady.
- Luise (die sich jetzt gefaßt hat). Wo bin ich? Wo war ich? Was
- hab' ich merken lassen? Wen hab' ich's merken lassen?--O Luise, edle,
- große, göttliche Seele! Vergib's einer Rasenden--Ich will dir kein
- Haar kränken, mein Kind. Wünsche! Fordre! Ich will dich auf den
- Händen tragen, deine Freundin, deine Schwester will ich sein--Du bist
- arm--Sieh! (Einige Brillanten herunternehmend.) Ich will diesen
- Schmuck verkaufen--meine Garderobe, Pferd und Wagen verkaufen--Dein
- sei Alles, aber entsag' ihm!
- Luise (tritt zurück voll Befremdung). Spottet sie einer
- Verzweifelnden, oder sollte sie an der barbarischen That im Ernst
- keinen Antheil gehabt haben?--Ha! So könnt' ich mir ja noch den
- Schein einer Heldin geben und meine Ohnmacht zu einem Verdienst
- aufputzen. (Sie steht eine Weile gedankenvoll, dann tritt sie näher
- zur Lady, faßt ihre Hand und sieht sie starr und bedeutend an.)
- Nehmen Sie ihn denn hin, Milady!--Freiwillig tret' ich Ihnen ab den
- Mann, den man mit Haken der Hölle von meinem blutenden Herzen riß.
- --Vielleicht wissen Sie es selbst nicht, Milady, aber Sie haben den
- Himmel zweier Liebenden geschleift, von einander gezerrt zwei Herzen,
- die Gott aneinander band; zerschmettert ein Geschöpf, das ihm nahe
- ging wie Sie, das er zur Freude schuf wie Sie, das ihn gepriesen hat
- wie Sie, und ihn nun nimmermehr preisen wird--Lady! ins Ohr des
- Allwissenden schreit auch der letzte Krampf des zertretenen Wurms--Es
- wird ihm nicht gleichgültig sein, wenn man Seelen in seinen Händen
- mordet! Jetzt ist er Ihnen! Jetzt, Milady, nehmen Sie ihn hin!
- Rennen Sie in seine Arme! Reißen Sie ihn zum Altar--Nur vergessen
- Sie nicht, daß zwischen Ihren Brautkuß das Gespenst einer
- Selbstmörderin stürzen wird--Gott wird barmherzig sein--Ich kann mir
- nicht anders helfen! (Sie stürzt hinaus.)
- Achte Scene.
- Lady allein, steht erschüttert und außer sich, den starren Blick nach
- der Thüre gerichtet, durch welche die Millerin weggeeilt; endlich
- erwacht sie aus ihrer Betäubung.
- Wie war das? Wie geschah mir? Was sprach die Unglückliche?--Noch, o
- Himmel! noch zerreißen sie meine Ohren, die fürchterlichen, mich
- verdammenden Worte: nehmen Sie ihn hin!--Wen, Unglückselige? das
- Geschenk deines Sterberöchelns--das schauervolle Vermächtniß deiner
- Verzweiflung? Gott! Gott! Bin ich so tief gesunken--so plötzlich
- von allen Thronen meines Stolzes herabgestürzt, daß ich heißhungrig
- erwarte, was einer Bettlerin Großmuth aus ihrem letzten Todeskampfe
- mir zuwerfen wird?--Nehmen Sie ihn hin! und das spricht sie mit einem
- Tone, begleitet sie mit einem Blick--Ha! Emilie! bist du darum über
- die Grenzen deines Geschlechts weggeschritten? Mußtest du darum um
- den prächtigen Namen des großen brittischen Weibes buhlen, daß das
- prahlende Gebäude deiner Ehre neben der höheren Tugend einer
- verwahrlosten Bürgerdirne versinken soll?--Nein, stolze Unglückliche!
- nein!--Beschämen läßt sich Emilie Milford--doch beschimpfen nie!
- Auch ich habe Kraft, zu entsagen.
- (Mit majestätischen Schritten auf und nieder.)
- Verkrieche dich jetzt, weiches, leidendes Weib!--Fahret hin, süße,
- goldene Bilder der Liebe--Großmuth allein sei jetzt meine
- Führerin!--Dieses liebende Paar ist verloren, oder Milford muß
- ihren Anspruch vertilgen und im Herzen des Fürsten erlöschen!
- (Nach einer Pause, lebhaft.) Es ist geschehen!--Gehoben das
- furchtbare Hinderniß--zerbrochen alle Bande zwischen mir und dem
- Herzog, gerissen aus meinem Busen diese wüthende Liebe!--In deine
- Arme werf' ich mich, Tugend!--Nimm sie auf, deine reuige Tochter
- Emilie!--Ha! wie mir so wohl ist! Wie ich auf einmal so leicht,
- so gehoben mich fühle!--Groß, wie eine fallende Sonne, will ich
- heut vom Gipfel meiner Hoheit heruntersinken, meine Herrlichkeit
- sterbe mit meiner Liebe, und nichts als mein Herz begleite mich in
- diese stolze Verweisung. (Entschlossen zum Schreibpult gehend.)
- Jetzt gleich muß es geschehen--jetzt auf der Stelle, ehe die Reize
- des lieben Jünglings den blutigen Kampf meines Herzens erneuern.
- (Sie setzt sich nieder und fängt an zu schreiben.)
- Neunte Scene.
- Lady. Ein Kammerdiener. Sophie, hernach der Hofmarschall, zuletzt
- Bedienter.
- Kammerdiener. Hofmarschall von Kalb stehen im Vorzimmer mit einem
- Auftrag vom Herzog.
- Lady (in der Hitze des Schreibens.) Auftaumeln wird sie, die
- fürstliche Drahtpuppe! Freilich! Der Einfall ist auch drollig genug,
- so eine durchlauchtigte Hirnschale auseinander zu treiben!--Seine
- Hofschranzen werden wirbeln--Das ganze Land wird in Gährung kommen.
- Kammerdiener und Sophie. Der Hofmarschall, Milady-Lady (dreht sich
- um). Wer? Was?--Desto besser! Diese Sorte von Geschöpfen ist zum
- Sacktragen auf der Welt. Er soll mir willkommen sein.
- Kammerdiener (geht ab).
- Sophie (ängstlich näher kommend). Wenn ich nicht fürchten müßte,
- Milady, es wäre Vermessenheit (Lady schreibt hitzig fort.) Die
- Millerin stürzte außer sich durch den Vorsaal--Sie glühen--Sie
- sprechen mit sich selbst. (Lady schreibt immer fort.) Ich
- erschrecke--Was muß geschehen sein?
- Hofmarschall (tritt herein, macht dem Rücken der Lady tausend
- Verbeugungen; da sie ihn nicht bemerkt, kommt er näher, stellt sich
- hinter ihren Sessel, sucht den Zipfel ihres Kleides wegzukriegen und
- drückt einen Kuß darauf, mit furchtsamem Lispeln). Serenissimus-Lady
- (indem sie Sand streut und das Geschriebene durchfliegt). Er wird
- mir schwarzen Undank zur Last legen--Ich war eine verlassene. Er hat
- mich aus dem Elend gezogen--Aus dem Elend?--Abscheulicher Tausch!
- --Zerreiße deine Rechnung, Verführer! Meine ewige Schamröthe bezahlt
- sie mit Wucher.
- Hofmarschall (nachdem er die Lady vergeblich von allen Seiten
- umgangen hat). Milady scheinen etwas distrait zu sein--Ich werde mir
- wohl selbst die Kühnheit erlauben müssen. (Sehr laut.) Serenissimus
- schicken mich, Milady zu fragen, ob diesen Abend Vauxhall sein werde
- oder deutsche Komödie?
- Lady (lachend aufstehend). Eines von beiden, mein Engel--Unterdessen
- bringen Sie Ihrem Herzog diese Karte zum Dessert! (Gegen Sophie.).
- Du, Sophie, befiehlst, daß man anspannen soll, und rufst meine ganze
- Garderobe in diesem Saal zusammen-Sophie (geht ab voll Bestürzung).
- O Himmel! Was ahnet mir? Was wird das noch werden?
- Hofmarschall. Sie sind echauffiert, meine Gnädige?
- Lady. Um so weniger wird hier gelogen sein--Hurrah, Herr
- Hofmarschall! Es wird eine Stelle vacant. Gut Wetter für Kuppler!
- (Das der Marschall einen zweifelhaften Blick auf den Zettel wirft.)
- Lesen Sie, lesen Sie!--Es ist mein Wille, daß der Inhalt nicht unter
- vier Augen bleibe.
- Hofmarschall (liest, unterdessen sammeln sich die Bedienten der Lady
- im Hintergrund):
- "Gnädigster Herr!
- Ein Vertrag, den Sie so leichtsinnig brachen, kann mich nicht mehr
- binden. Die Glückseligkeit Ihres Landes war die Bedingung meiner
- Liebe. Drei Jahre währte der Betrug. Die Binde fällt mir von den
- Augen. Ich verabscheue Gunstbezeugungen, die von den Thränen der
- Unterthanen triefen.--Schenken Sie die Liebe, die ich Ihnen nicht
- mehr erwiedern kann, Ihrem weinenden Lande und lernen von einer
- brittischen Fürstin Erbarmen gegen Ihr deutsches Volk. In einer
- Stunde bin ich über der Grenze.
- Johanna Norfolk."
- Alle Bedienten (murmeln bestürzt durcheinander). Über der Grenze?
- Hofmarschall (legt die Karte erschrocken auf den Tisch). Behüte der
- Himmel, meine Beste und Gnädige! Den Überbringer müßte der Hals eben
- so jücken, als der Schreiberin.
- Lady. Das ist deine Sorge, du Goldmann--Leider weiß ich es, daß du
- und deines Gleichen am Nachbeten Dessen, was Andre gethan haben,
- erwürgen!--Mein Rath wäre, man backt den Zettel in eine
- Wildpretpastete, so fänden ihn Serenissimus auf dem
- Teller-Hofmarschall. Ciel! Diese Vermessenheit!--So erwägen Sie
- doch, so bedenken Sie doch, wie sehr Sie sich in Disgrace setzen,
- Lady!
- Lady (wendet sich zu der versammelten Dienerschaft und spricht das
- Folgende mit der innigsten Rührung). Ihr steht bestürzt, guten Leute,
- erwartet angstvoll, wie sich das Räthsel entwickeln wird?--Kommt
- näher, meine Lieben!--Ihr dientet mir redlich und warm, sahet mir
- öfter in die Augen, als ich die Börse; euer Gehorsam war eure
- Leidenschaft, euer Stolz--meine Gnade!--Daß das Andenken eurer Treue
- zugleich das Gedächtniß meiner Erniedrigung sein muß! Trauriges
- Schicksal, daß meine schwärzesten Tage eure glücklichen waren! (Mit
- Thränen in den Augen.) Ich entlasse euch, meine Kinder--Lady Milford
- ist nicht mehr, und Johanna von Norfolk zu arm, ihre Schuld
- abzutragen--Mein Schatzmeister stürze meine Schatulle unter
- euch--Dieser Palast bleibt dem Herzog--Der Ärmste von euch wird
- reicher von hinnen gehen, als seine Gebieterin. (Sie reicht ihre
- Hände hin, die alle nach einander mit Leidenschaft küssen.) Ich
- verstehe euch, meine Guten--Lebt wohl! Lebt ewig wohl! (Faßt sich
- aus ihrer Beklemmung.) Ich höre den Wagen vorfahren. (Sie reißt sich
- los, will hinaus, der Hofmarschall verrennt ihr den Weg.) Mann des
- Erbarmens, stehst du noch immer da?
- Hofmarschall (der diese ganze Zeit über mit einem Geistesbankerott
- auf den Zettel sah). Und dieses Billet soll ich Seiner
- Hochfürstlichen Durchlaucht zu Höchsteigenen Händen geben?
- Lady. Mann des Erbarmens! zu Höchsteigenen Händen, und sollst melden
- zu Höchsteigenen Ohren, weil ich nicht barfuß nach Loretto könne, so
- werde ich um den Taglohn arbeiten, mich zu reinigen von dem Schimpf,
- ihn beherrscht zu haben.
- (Sie eilt ab. Alle Übrigen gehen sehr bewegt auseinander.)
- Fünfter Akt.
- Abend zwischen Licht im Zimmer beim Musikanten.
- Erste Scene.
- Luise sitzt stumm und ohne sich zu rühren in dem finstersten Winkel
- des Zimmers, den Kopf auf den Arm gesunken. Nach einer großen und
- tiefen Pause kommt Miller mit einer Handlaterne, leuchtet ängstlich
- im Zimmer herum, ohne Luisen zu bemerken, dann legt er den Hut auf
- den Tisch und setzt die Laterne nieder.
- Miller. Hier ist sie auch nicht. Hier wieder nicht--Durch alle
- Gassen bin ich gezogen, bei allen Bekannten bin ich gewesen, auf
- allen Thoren hab' ich gefragt--mein Kind hat man nirgends gesehen.
- (Nach einigem Stillschweigen.) Geduld, armer, unglücklicher Vater!
- Warte ab, bis es Morgen wird. Vielleicht kommt deine Einzige dann
- ans Ufer geschwommen--Gott! Gott! Wenn ich mein Herz zu abgöttisch
- an diese Tochter hing?--Die Strafe ist hart. Himmlischer Vater, hart!
- Ich will nicht murren, himmlischer Vater, aber die Strafe ist hart!
- (Er wirft sich gramvoll in einen Stuhl.)
- Luise (spricht aus dem Winkel). Du thust recht, armer alter Mann!
- Lerne bei Zeit noch verlieren.
- Miller (springt auf). Bist du da, mein Kind? Bist du?--Aber warum
- denn so einsam und ohne Licht?
- Luise. Ich bin darum doch nicht einsam. Wenn's so recht schwarz
- wird um mich herum, hab' ich meine besten Besuche.
- Miller. Gott bewahre dich! Nur der Gewissenswurm schwärmt mit der
- Eule. Sünden und böse Geister scheuen das Licht.
- Luise. Auch die Ewigkeit, Vater, die mit der Seele ohne Gehilfen
- redet.
- Miller. Kind! Kind! Was für Reden sind das?
- Luise (steht auf und kommt vorwärts). Ich hab' einen harten Kampf
- gekämpft. Er weiß es, Vater. Gott gab mir Kraft. Der Kampf ist
- entschieden. Vater, man pflegt unser Geschlecht zart und
- zerbrechlich zu nennen. Glaub' Er das nicht mehr. Vor einer Spinne
- schütteln wir uns, aber das schwarze Ungeheuer Verwesung drücken wir
- im Spaß in die Arme. Dieses zur Nachricht, Vater. Seine Luise ist
- lustig.
- Miller. Höre, Tochter! ich wollte du heultest. Du gefielst mir so
- besser.
- Luise. Wie ich ihn überlisten will, Vater! Wie ich den Tyrannen
- betrügen will!--Die Liebe ist schlauer als die Bosheit und
- kühner--das hat er nicht gewußt, der Mann mit dem traurigen Stern--O,
- sie sind pfiffig, so lang sie es nur mit dem Kopf zu thun haben; aber
- sobald sie mit dem Herzen anbinden, werden die Böswichter dumm--Mit
- einem Eid gedachte er seinen Betrug zu versiegeln? Eide, Vater,
- binden wohl die Lebendigen, im Tode schmilzt auch der Sacramente
- eisernes Band. Ferdinand wird seine Luise kennen--Will Er mir dies
- Billet besorgen, Vater? Will Er so gut sein?
- Miller. An wen, meine Tochter?
- Luise. Seltsame Frage! Die Unendlichkeit und mein Herz haben mit
- einander nicht Raum genug für einen einzigen Gedanken an ihn--Wenn
- hätt' ich denn wohl an sonst Jemand schreiben sollen?
- Miller (unruhig). Höre, Luise! Ich erbrechen den Brief.
- Luise. Wie Er will, Vater--aber Er wird nicht klug daraus werden.
- Die Buchstaben liegen wie kalte Leichname da und leben nur dem Auge
- der Liebe.
- Miller (liest). "Du bist verrathen, Ferdinand!--Ein Bubenstück ohne
- Beispiel zerriß den Bund unsrer Herzen, aber ein schrecklicher Schwur
- hat meine Zunge gebunden, und dein Vater hat überall seine Horcher
- gestellt. Doch, wenn du Muth hast, Geliebter,--ich weiß einen
- dritten Ort, wo kein Eidschwur mehr bindet und wohin ihm kein Horcher
- geht." (Miller hält inne und sieht ihr ernsthaft ins Gesicht.)
- Luise. Warum sieht Er mich so an? Les' Er doch ganz aus, Vater.
- Miller. "Aber Muth genug mußt du haben, eine finstre Straße zu
- wandeln, wo dir nichts leuchtet, als deine Luise und Gott--Ganz zur
- Liebe mußt du kommen, daheim lassen all deine Hoffnungen und all deine
- brausenden Wünsche; nichts kannst du brauchen, als dein Herz. Willst
- du--so brich auf, wenn die Glocke den zwölften Streich thut auf dem
- Carmeliterthurm. Bangt dir--so durchstreiche das Wort stark vor
- deinem Geschlechte, denn ein Mädchen hat dich zu Schanden gemacht."
- (Miller legt das Billet nieder, schaut lange mit einem schmerzlichen,
- starren Blick vor sich hinaus, endlich kehrt er sich gegen sie und
- sagt mit leiser, gebrochener Stimme.) Und dieser dritte Ort, meine
- Tochter?
- Luise. Er kennt ihn nicht? Er kennt ihn wirklich nicht,
- Vater?--Sonderbar! Der Ort ist zum Finden gemalt. Ferdinand wird
- ihn finden.
- Miller. Hum! rede deutlicher.
- Luise. Ich weiß so eben kein liebliches Wort dafür--Er muß nicht
- erschrecken, Vater, wenn ich Ihm ein häßliches nenne. Dieser Ort--O
- warum hat die Liebe nicht Namen erfunden! den schönsten hätte sie
- diesem gegeben. Der dritte Ort, guter Vater--aber Er muß mich
- ausreden lassen--der dritte Ort ist das Grab.
- Miller (zu seinem Sessel hinwankend). O mein Gott!
- Luise (geht auf ihn zu und hält ihn). Nicht doch, mein Vater! Das
- sind nur Schauer, die sich um das Wort herum lagern--Weg mit diesem,
- und es liegt ein Brautbette da, worüber der Morgen seinen goldenen
- Teppich breitet und die Frühlinge ihre bunten Guirlanden streun. Nur
- ein heulender Sünder konnte den Tod ein Gerippe schelten; es ist ein
- holder, niedlicher Knabe, blühend, wie sie den Liebesgott malen, aber
- so tückisch nicht--ein stiller, dienstbarer Genius, der der
- erschöpften Pilgerin Seele den Arm bietet über den Graben der Zeit,
- das Feenschloß der ewigen Herrlichkeit aufschließt, freundlich nickt
- und verschwindet.
- Miller. Was hast du vor, meine Tochter?--Du willst eigenmächtig Hand
- an dich legen.
- Luise. Nenn' Er es nicht so, mein Vater. Eine Gesellschaft räumen,
- wo ich nicht wohl gelitten bin--an einen Ort vorausspringen, den ich
- nicht länger missen kann--ist denn das Sünde?
- Miller. Selbstmord ist die abscheulichste, mein Kind--die einzige,
- die man nicht mehr bereuen kann, weil Tod und Missethat
- zusammenfallen.
- Luise (bleibt erstarrt stehn). Entsetzlich!--Aber so rasch wird es
- doch nicht gehn. Ich will in den Fluß springen, Vater, und im
- Hinuntersinken Gott den Allmächtigen um Erbarmen bitten.
- Miller. Das heißt, du willst den Diebstahl bereuen, sobald du das
- Gestohlene in Sicherheit weißt--Tochter! Tochter! Gib Acht, daß du
- Gottes nicht spottest, wenn du seiner am meisten vonnöthen hast. O!
- es ist weit, weit mit dir gekommen!--Du hast dein Gebet aufgegeben,
- und der Barmherzige zog seine Hand von dir.
- Luise. Ist lieben denn Frevel, mein Vater!
- Miller. Wenn du Gott liebst, wirst du nie bis zum Frevel lieben--Du
- hast mich tief gebeugt, meine Einzige! tief, tief, vielleicht zur
- Grube gebeugt.--Doch, ich will dir dein Herz nicht noch schwerer
- machen--Tochter, ich sprach vorhin etwas. Ich glaubte allein zu sein.
- Du hast mich behorcht; und warum sollt' ich's noch länger geheim
- halten? Du warst mein Abgott. Höre, Luise, wenn du noch Platz für
- das Gefühl eines Vaters hast--Du warst mein Alles. Jetzt verthust du
- nichts mehr von deinem Eigenthum. Auch ich hab' Alles zu verlieren.
- Du siehst, mein Haar fängt an grau zu werden. Die Zeit meldet sich
- allgemach bei mir, wo uns Vätern die Kapitale zu statten kommen, die
- wir im Herzen unsrer Kinder anlegten--Wirst du mich darum betrügen,
- Luise? Wirst du dich mit dem Hab' und Gut deines Vaters auf und
- davon machen?
- Luise (küßt seine Hand mit der heftigsten Rührung). Nein, mein Vater.
- Ich gehe als Seine große Schuldnerin aus der Welt und werde in der
- Ewigkeit mit Wucher bezahlen.
- Miller. Gib Acht, ob du dich da nicht verrechnest, mein Kind? (Sehr
- ernst und feierlich.) Werden wir uns dort wohl noch finden?--Sieh!
- wie du blaß wirst!--Meine Luise begreift es von selbst, daß ich sie
- in jener Welt nicht mehr wohl einholen kann, weil ich nicht so früh
- dahin eile, wie sie. (Luise stürzt ihm in den Arm, von Schauern
- ergriffen--Er drückt sie mit Feuer an seine Brust und fährt fort mit
- beschwörender Stimme.) O Tochter! Tochter! gefallene, vielleicht
- schon verlorene Tochter! Beherzige das ernsthafte Vaterwort! Ich
- kann nicht über dich wachen. Ich kann dir die Messer nehmen, du
- kannst dich mit einer Stricknadel tödten. Vor Gift kann ich dich
- bewahren, du kannst dich mit einer Schnur Perlen erwürgen.
- --Luise--Luise--nur warnen kann ich dich noch--Willst du es darauf
- ankommen lassen, daß dein treuloses Gaukelbild auf der schrecklichen
- Brücke zwischen Zeit und Ewigkeit von dir weiche? Willst du dich vor
- des Allwissenden Thron mit der Lüge wagen: Deinetwegen, Schöpfer, bin
- ich da--wenn deine strafbaren Augen ihre sterbliche Puppe
- suchen?--Und wenn dieser zerbrechliche Gott deines Gehirns, jetzt
- Wurm wie du, zu den Füßen deines Richters sich windet, deine gottlose
- Zuversicht in diesem schwankenden Augenblick Lügen straft und deine
- betrogenen Hoffnungen an die ewige Erbarmung verweist, die der Elende
- für sich selbst kaum erflehen kann--wie dann? (Nachdrücklicher,
- lauter.) Wie dann, Unglückselige? (Er hält sie fester, blickt sie
- eine Weile starr und durchdringend an, dann verläßt er sie schnell.)
- Jetzt weiß ich nichts mehr--(mit aufgehobener Rechte) stehe dir, Gott
- Richter! für diese Seele nicht mehr. Thu, was du willst. Bring
- deinem schlanken Jüngling ein Opfer, daß deine Teufel jauchzen und
- deine guten Engel zurücktreten--Zieh hin! Lade alle deine Sünden auf,
- lade auch diese, die letzte, die entsetzlichste auf, und wenn die
- Last noch zu leicht ist, so mache mein Fluch das Gewicht
- vollkommen--Hier ist ein Messer--durchstich dein Herz und (indem er
- lautweinend fortstürzen will) das Vaterherz!
- Luise (springt auf und eilt ihm nach). Halt! halt! O mein Vater!
- --daß die Zärtlichkeit noch barbarischer zwingt, als Tyrannenwuth!
- --Was soll ich? Ich kann nicht! Was muß ich thun?
- Miller. Wenn die Küsse deines Majors heißer brennen als die Thränen
- deines Vaters--stirb!
- Luise (nach einem qualvollen Kampf mit einiger Festigkeit). Vater!
- Hier ist meine Hand! Ich will--Gott! Gott! Was thu' ich? was will
- ich?--Vater, ich schwöre--wehe mir, wehe! Verbrecherin, wohin ich
- mich neige!--Vater, es sei!--Ferdinand--Gott sieht herab!--So
- zernicht' ich sein letztes Gedächtniß. (Sie zerreißt ihren Brief.)
- Miller (stürzt ihr freudetrunken an den Hals). Das ist meine Tochter!
- --Blick' auf! um einen Liebhaber bist du leichter, dafür hast du
- einen glücklichen Vater gemacht. (Unter Lachen und Weinen sie
- umarmend.) Kind! Kind! das ich den Tag meines Lebens nicht werth war!
- Gott weiß, wie ich schlechter Mann zu diesem Engel gekommen bin!
- --Mein Luise, mein Himmelreich!--O Gott! ich verstehe ja wenig vom
- Lieben, aber daß es eine Qual sein muß, aufzuhören--so was begreif'
- ich noch.
- Luise. Doch hinweg aus dieser Gegend, mein Vater--Weg von der Stadt,
- wo meine Gespielinnen meiner spotten und mein guter Name dahin ist
- auf immerdar--Weg, weg, weit weg von dem Ort, wo mich so viele Spuren
- der verlorenen Seligkeit anreden. Weg, wenn es möglich ist-Miller.
- Wohin du nur willst, meine Tochter. Das Brod unsers Herrgotts wächst
- überall, und Ohren wird er auch meiner Geige bescheren. Ja! laß auch
- Alles dahingehn--Ich setze die Geschichte deines Grams auf die Laute,
- singe dann ein Lied von der Tochter, die, ihren Vater zu ehren, ihr
- Herz zerriß--wir betteln mit der Ballade von Thüre zu Thüre, und das
- Almosen wird köstlich schmecken von den Händen der Weinenden-
- Zweite Scene.
- Ferdinand zu den Vorigen.
- Luise (wird ihn zuerst gewahr und wirft sich Millern laut schreiend
- um den Hals). Gott! Da ist er! Ich bin verloren.
- Miller. Wo? Wer?
- Luise (zeigt mit abgewandtem Gesicht auf den Major und drückt sich
- fester an ihren Vater). Er! er selbst--Seh' Er nur um sich,
- Vater--Mich zu ermorden, ist er da.
- Miller (erblickt ihn, fährt zurück.) Was? Sie hier, Baron?
- Ferdinand (kommt langsam näher, bleibt Luisen gegenüber stehen und
- läßt den starren forschenden Blick auf ihr ruhen, nach einer Pause).
- Überraschtes Gewissen, habe Dank! Dein Bekenntniß ist schrecklich,
- aber schnell und gewiß, und erspart mir die Folterung.--Guten Abend,
- Miller.
- Miller. Aber um Gottes willen! Was wollen Sie, Baron? Was führt
- Sie her? Was soll dieser Überfall?
- Ferdinand. Ich weiß eine Zeit, wo man den Tag in seine Secunden
- zerstückte, wo Sehnsucht nach mir sich an die Gewichte der zögernden
- Wanduhr hing und auf den Aderschlag lauerte, unter dem ich erscheinen
- sollte--Wie kommt's, daß ich jetzt überrasche?
- Miller. Gehen Sie, gehen Sie, Baron--Wenn noch ein Funke von
- Menschlichkeit in Ihrem Herzen zurückblieb--wenn Sie Die nicht
- erwürgen wollen, die Sie zu lieben vorgeben, fliehen Sie, bleiben Sie
- keinen Augenblick länger. Der Segen war fort aus meiner Hütte,
- sobald Sie einen Fuß darein setzten. Sie haben das Elend unter mein
- Dach gerufen, wo sonst nur die Freude zu Hause war. Sind Sie noch
- nicht zufrieden? Wollen Sie auch in der Wunde noch wühlen, die Ihre
- unglückliche Bekanntschaft mit meinem einzigen Kinde schlug?
- Ferdinand. Wunderlicher Vater, jetzt komm' ich ja, deiner Tochter
- etwas Erfreuliches zu sagen.
- Miller. Neue Hoffnungen etwa zu einer neuen Verzweiflung?--Geh,
- Unglücksbote! Dein Gesicht schimpft deine Waare.
- Ferdinand. Endlich ist es erschienen, das Ziel meiner Hoffnungen!
- Lady Milford, das furchtbarste Hindernis unsrer Liebe, floh diesen
- Augenblick aus dem Lande. Mein Vater billigt meine Wahl. Das
- Schicksal läßt nach, uns zu verfolgen. Unsere glücklichen Sterne
- gehen auf--Ich bin jetzt da, mein gegebenes Wort einzulösen und meine
- Braut zum Altar abzuholen.
- Miller. Hörst du ihn, meine Tochter? Hörst du ihn sein Gespötte mit
- deinen getäuschten Hoffnungen treiben? O wahrlich, Baron! es steht
- dem Verführer so schön, an seinem Verbrechen seinen Witz noch zu
- kitzeln.
- Ferdinand. Du glaubst, ich scherze. Bei meiner Ehre nicht! Meine
- Aussage ist wahr, wie die Liebe meiner Luise, und heilig will ich sie
- halten, wie sie ihre Eide--Ich kenne nichts Heiligeres--Noch
- zweifelst du? noch kein freudiges Erröthen auf den Wangen meiner
- schönen Gemahlin? Sonderbar! die Lüge muß hier gangbare Münze sein,
- wenn die Wahrheit so wenig Glauben findet. Ihr mißtraut meinen
- Worten? So glaubt diesem schriftlichen Zeugniß. (Er wirft Luisen
- den Brief an den Marschall zu.)
- Luise (schlägt ihn auseinander und sinkt leichenblaß nieder).
- Miller (ohne das zu bemerken, zum Major). Was soll das bedeuten,
- Baron? Ich verstehe Sie nicht.
- Ferdinand (führt ihn zu Luisen hin). Desto besser hat mich Diese
- verstanden.
- Miller (fällt an ihr nieder). O Gott! meine Tochter!
- Ferdinand. Bleich wie der Tod!--Jetzt erst gefällt sie mir, deine
- Tochter! So schön war sie nie, die fromme, rechtschaffene
- Tochter--Mit diesem Leichengesicht--Der Odem des Weltgerichts, der
- den Firniß von jeder Lüge streift, hat jetzt die Schminke verblasen,
- womit die Tausendkünstlerin auch die Engel des Lichts hintergangen
- hat--Es ist ihr schönstes Gesicht! Es ist ihr erstes wahres Gesicht!
- Laß mich es küssen. (Er will auf sie zugehen.)
- Miller. Zurück! Weg! Greife nicht an das Vaterherz, Knabe! Vor
- deinen Liebkosungen konnt' ich sie nicht bewahren, aber ich kann es
- vor deinen Mißhandlungen.
- Ferdinand. Was willst du, Graukopf? Mit dir hab' ich nichts zu
- schaffen. Menge dich ja nicht in ein Spiel, das so offenbar verloren
- ist--oder bist du auch vielleicht klüger, als ich dir zugetraut habe?
- Hast du die Weisheit deiner sechzig Jahre zu den Buhlschaften deiner
- Tochter geborgt und dies ehrwürdige Haar mit dem Gewerb eines
- Kupplers geschändet?--O! wenn das nicht ist, unglücklicher alter Mann,
- lege dich nieder und stirb--Noch ist es Zeit. Noch kannst du in dem
- süßen Taumel entschlafen: ich war ein glücklicher Vater!--Einen
- Augenblick später, und du schleuderst die giftige Natter ihrer
- höllischen Heimath zu, verfluchst das Geschenk und den Geber und
- fährst mit der Gotteslästerung in die Grube. (Zu Luisen.) Sprich,
- Unglückselige! Schriebst du diesen Brief?
- Miller (warnend zu Luisen). Um Gottes Willen, Tochter! Vergiß nicht!
- Vergiß nicht!
- Luise. O dieser Brief, mein Vater-Ferdinand. Daß er in die
- unrechten Hände fiel?--Gepriesen sei mir der Zufall, er hat größere
- Thaten gethan, als die klügelnde Vernunft, und wird besser bestehn an
- jenem Tag, als der Witz aller Weisen--Zufall, sage ich?--O die
- Vorsehung ist dabei, wenn Sperlinge fallen, warum nicht, wo ein
- Teufel entlarvt werden soll?--Antwort will ich!--Schriebst du diesen
- Brief?
- Miller (seitwärts zu ihr mit Beschwörung). Standhaft! Standhaft,
- meine Tochter! Nur noch das einzige Ja, und Alles ist überwunden.
- Ferdinand. Lustig! lustig! Auch der Vater betrogen! Alles betrogen.
- Nun sieh, wie sie dasteht, die Schändliche, und selbst ihre Zunge
- nun ihrer letzten Lüge den Gehorsam aufkündigt! Schwöre bei Gott,
- bei dem fürchterlich wahren! Schriebst du diesen Brief?
- Luise (nach einem qualvollen Kampf, worin sie durch Blicke mit ihrem
- Vater gesprochen hat, fest und entscheidend). Ich schrieb ihn.
- Ferdinand (bleibe erschrocken stehen). Luise!--Nein! So wahr meine
- Seele lebt! du lügst--Auch die Unschuld bekennt sich auf der
- Folterbank zu Freveln, die sie nie beging--Ich fragte zu
- heftig--Nicht wahr, Luise--Du bekanntest nur, weil ich zu heftig
- fragte?
- Luise. Ich bekannte, was wahr ist.
- Ferdinand. Nein, sag' ich! nein! nein! Du schriebst nicht. Es ist
- deine Hand gar nicht--Und wäre sie's, warum sollten Handschriften
- schwerer nachzumachen sein, als Herzen zu verderben? Rede mir wahr,
- Luise--Oder nein, nein, thu' es nicht, du könntest Ja sagen, und ich
- wär' verloren--Eine Lüge, Luise--ein Lüge!--O wenn du jetzt eine
- wüßtest, mir hinwärfest mit der offenen Engelmiene, nur mein Ohr, nur
- mein Aug überredetest, dieses Herz auch noch so abscheulich
- täuschtest--O Luise! Alle Wahrheit möchte dann mit diesem Hauch aus
- der Schöpfung wandern und die gute Sache ihren starren Hals von nun
- an zu einem höfischen Bückling beugen! (Mit scheuem bebendem Ton.)
- Schriebst du diesen Brief?
- Luise. Bei Gott! bei dem fürchterlich wahren! Ja!
- Ferdinand (nach einer Pause, im Ausdruck des tiefsten Schmerzes).
- Weib! Weib!--Das Gesicht, mit dem du jetzt vor mir stehst!--Theile
- mit diesem Gesicht Paradiese aus, du wirst selbst im Reich der
- Verdammniß keinen Käufer finden--Wußtest du, was du mir warst, Luise?
- Unmöglich! Nein! Du wußtest nicht, daß du mir Alles warst! Alles!
- --Es ist ein armes verächtliches Wort, aber die Ewigkeit hat Mühe, es
- zu umwandern; Weltsysteme vollenden ihre Bahnen darin--Alles! und so
- frevelhaft damit zu spielen--O, es ist schrecklich!-Luise. Sie haben
- mein Geständniß, Herr von Walter. Ich habe mich selbst verdammt.
- Gehen Sie nun! Verlassen Sie ein Haus, wo Sie so unglücklich waren.
- Ferdinand. Gut! gut! Ich bin ja ruhig--ruhig, sagt man ja, ist auch
- der schaudernde Strich Landes, worüber die Pest ging--ich bin's.
- (Nach einigem Nachdenken.) Noch eine Bitte, Luise--die letzte! Mein
- Kopf brennt so fieberisch. Ich brauch Kühlung--Willst du mir ein
- Glas Limonade zurecht machen? (Luise geht ab.)
- Dritte Scene.
- Ferdinand und Miller.
- (Beide gehen, ohne ein Wort zu reden, einige Pausen lang auf den
- entgegengesetzten Seiten des Zimmers auf und ab).
- Miller (bleibt endlich stehen und betrachtet den Major mit trauriger
- Miene). Lieber Baron, kann es Ihren Gram vielleicht mindern, wenn
- ich Ihnen gestehe, daß ich Sie herzlich bedaure!
- Ferdinand. Laß Er es gut sein, Miller. (Wieder einige Schritte.)
- Miller, ich weiß nur kaum noch, wie ich in Sein Haus kam--Was war die
- Veranlassung?
- Miller. Wie, Herr Major? Sie wollten ja Lection auf der Flöte bei
- mir nehmen? Das wissen Sie nicht mehr?
- Ferdinand (rasch). Ich sah Seine Tochter! (Wiederum einige Pausen.)
- Er hat nicht Wort gehalten, Freund. Wir accordierten Ruhe für meine
- einsamen Stunden. Er betrog mich und verkaufte mir Skorpionen. (Da
- er Millers Bewegung sieht.) Nein, erschrick nur nicht, alter Mann.
- (Gerührt an seinem Hals.) Du bist nicht schuldig.
- Miller (die Augen wischend). Das weiß der allwissende Gott!
- Ferdinand (aufs neue hin und her, in düstres Grübeln versunken).
- Seltsam, o unbegreiflich seltsam spielt Gott mit uns. An dünnen
- unmerkbaren Seilen hängen oft fürchterliche Gewichte--Wüßte der
- Mensch, daß er an diesem Apfel den Tod essen sollte--Hum!--Wüßte er
- das? (Heftiger auf und nieder, dann Millers Hand mit starker
- Bewegung fassend.) Mann! Ich bezahle dir dein Bischen Flöte zu
- theuer--und du gewinnst nicht einmal--auch du verlierst--verlierst
- vielleicht Alles. (Gepreßt von ihm weggehend.) Unglückseliges
- Flötenspiel, das mir nie hätte einfallen sollen!
- Miller (sucht seine Rührung zu verbergen). Die Limonade bleibt auch
- gar zu lang außen. Ich denke, ich sehe nach, wenn Sie mir's nicht
- für übel nehmen-Ferdinand. Es eilt nicht, lieber Miller. (Vor sich
- hinmurmelnd.) Zumal für den Vater nicht--Bleib' Er nur--Was hatt' ich
- doch fragen wollen?--Ja!--Ist Luise Seine einzige Tochter? Sonst hat
- Er keine Kinder mehr?
- Miller (warm). Habe sonst keins mehr, Baron--wünsch' mir auch keins
- mehr. Das Mädel ist just so recht, mein ganzes Vaterherz
- einzustecken--hab' meine ganze Baarschaft von Liebe an der Tochter
- schon zugesetzt.
- Ferdinand (heftig erschüttert). Ha!--Seh' Er doch lieber nach dem
- Trank, guter Miller. (Miller ab.)
- Vierte Scene.
- Ferdinand allein.
- Das einzige Kind!--Fühlst du das, Mörder? Das einzige! Mörder!
- hörst du, das einzige?--Und der Mann hat auf der großen Welt Gottes
- nichts, als sein Instrument und das einzige--Du willst's ihm rauben?
- Rauben?--rauben den letzten Nothpfenning einem Bettler? Die Krücke
- zerbrochen vor die Füße werfen dem Lahmen? Wie? Hab' ich auch Brust
- für das?--Und wenn er nun heimeilt und nicht erwarten kann, die ganze
- Summe seiner Freuden vom Gesicht dieser Tochter herunter zu zählen,
- und hereintritt und sie da liegt, die Blume--welk--todt--zertreten,
- muthwillig, die letzte, einzige, unüberschwängliche Hoffnung--Ha, und
- er dasteht vor ihr, und dasteht und ihm die ganze Natur den
- lebendigen Odem anhält, und sein erstarrter Blick die entvölkerte
- Unendlichkeit fruchtlos durchwandert, Gott sucht, und Gott nicht mehr
- finden kann und leerer zurückkommt--Gott! Gott! Aber auch mein
- Vater hat diesen einzigen Sohn--den einzigen Sohn, doch nicht den
- einzigen Reichthum--(Nach einer Pause.) Doch wie? Was verliert er
- denn? Das Mädchen, dem die heiligsten Gefühle der Liebe nur Puppen
- waren, wird es den Vater glücklich machen können?--Es wird nicht, es
- wird nicht! Und ich verdiene noch Dank, daß ich die Natter zertrete,
- ehe sie auch noch den Vater verwundet.
- Fünfte Scene.
- Miller, der zurückkommt, und Ferdinand.
- Miller. Gleich sollen Sie bedient sein, Baron! Draußen sitzt das
- arme Ding und will sich zu Tod weinen. Sie wird Ihnen mit der
- Limonade auch Thränen zu trinken geben.
- Ferdinand. Und wohl, wenn's nur Thränen wären!--Weil wir vorhin von
- der Musik sprachen, Miller--(Eine Börse ziehend.) Ich bin noch Sein
- Schuldner.
- Miller. Wie? Was? Gehen Sie mir, Baron! Wofür halten Sie mich?
- Das steht ja in guter Hand, thun Sie mir doch den Schimpf nicht an,
- und sind wir ja, will's Gott, nicht das letzte Mal bei einander.
- Ferdinand. Wer kann das wissen? Nehm' Er nur. Es ist für Leben und
- Sterben.
- Miller (lachend). O deßwegen, Baron! Auf den Fall, denk' ich, kann
- man's wagen bei Ihnen.
- Ferdinand. Man wagte wirklich--Hat Er nie gehört, daß Jünglinge
- gefallen sind--Mädchen und Jünglinge, die Kinder der Hoffnung, die
- Luftschlösser betrogener Väter--Was Wurm und Alter nicht thun, kann
- oft ein Donnerschlag ausrichten--Auch Seine Luise ist nicht
- unsterblich.
- Miller. Ich hab' sie von Gott.
- Ferdinand. Hör' Er--Ich sag' Ihm, sie ist nicht unsterblich. Diese
- Tochter ist Sein Augapfel. Er hat sich mit Herz und Seel' an diese
- Tochter gehängt. Sei Er vorsichtig, Miller. Nur ein verzweifelter
- Spieler setzt Alles auf einen einzigen Wurf. Einen Waghals nennt man
- den Kaufmann, der auf ein Schiff sein ganzes Vermögen ladet--Hör' Er,
- denk' Er der Warnung nach--Aber warum nimmt Er Sein Geld nicht?
- Miller. Was, Herr? die ganze allmächtige Börse? Wohin denken Eure
- Gnaden?
- Ferdinand. Auf meine Schuldigkeit--Da! (Er wirft den Beutel auf den
- Tisch, daß Goldstücke herausfallen.) Ich kann den Quark nicht eine
- Ewigkeit so halten.
- Miller (bestürzt). Was beim großen Gott? Der klang nicht wie
- Silbergeld! (Er tritt zum Tisch und ruft mit Entsetzen.) Wie, um
- aller Himmel willen, Baron? Baron? Wie sind Sie? Was treiben Sie,
- Baron? Das nenn' ich mir Zerstreuung! (Mit zusammengeschlagenen
- Händen.) Hier liegt ja--oder bin ich verhext,--oder--Gott
- verdamm mich! Da greif' ich ja das baare, gelbe, leibhaftige
- Gottesgold--Nein, Satanas! Du sollst mich nicht daran kriegen!
- Ferdinand. Hat Er Alten oder Neuen getrunken, Miller?
- Miller (grob). Donner und Wetter! Da schauen Sie nur hin!--Gold!
- Ferdinand. Und was weiter?
- Miller. Ins Henkers Namen--ich sage--ich bitte Sie um Gottes Christi
- willen--Gold!
- Ferdinand. Das ist nun freilich etwas Merkwürdiges.
- Miller (nach einigem Stillschweigen zu ihm gehend, mit Empfindung).
- Gnädiger Herr, ich bin ein schlichter, gerader Mann, wenn Sie mich
- etwa zu einem Bubenstück anspannen wollen--denn so viel Geld läßt
- sich, weißt Gott, nicht mit etwas Gutem verdienen.
- Ferdinand (bewegt). Sei Er ganz getrost, lieber Miller. Das Geld
- hat Er längst verdient, und Gott bewahre mich, daß ich mich mit
- Seinem guten Gewissen dafür bezahlt machen sollte.
- Miller (wie ein Halbnarr in die Höhe springend). Mein also! mein!
- Mit des guten Gottes Wissen und Willen, mein! (Nach der Thür laufend,
- schreiend.) Weib! Tochter! Victoria! Herbei! (Zurückkommend.)
- Aber du lieber Himmel! Wie komm' ich denn so auf einmal zu dem
- ganzen grausamen Reichthum? Wie verdien' ich ihn? lohn' ich ihn?
- Heh?
- Ferdinand. Nicht mit Seinen Musikstunden, Miller.--Mit dem Geld hier
- bezahl' ich Ihm, (von Schauern ergriffen hält er inn) bezahl' ich Ihm
- (nach einer Pause mit Wehmuth) den drei Monat langen glücklichen
- Traum von Seiner Tochter.
- Miller (faßt seine Hand, die er stark drückt). Gnädiger Herr! Wären
- Sie ein schlechter, geringer Bürgersmann--(rasch) und mein Mädel
- liebte Sie nicht--erstechen wollt' ich's, das Mädel! (Wieder beim
- Geld, darauf niedergeschlagen.) Aber da hab' ich ja nun Alles und Sie
- nichts, und da werd' ich nun das ganze Gaudium wieder herausblechen
- müssen? Heh?
- Ferdinand. Laß Er sich das nicht anfechten, Freund--Ich reise ab,
- und in dem Land, wo ich mich zu setzen gedenke, gelten die Stempel
- nicht.
- Miller (unterdessen mit unverwandten Augen auf das Gold hingeheftet,
- voll Entzückung). Bleibt's also mein? Bleibt's?--Aber das thut mir
- nur leid, daß Sie verreisen--Und wart, was ich jetzt auftreten will!
- Wie ich die Backen jetzt vollnehmen will! (Er setzt den Hut auf und
- schießt durch das Zimmer.) Und auf den Markt will ich und meine
- Musikstunden geben und Numero fünfe Dreikönig rauchen, und wenn ich
- wieder auf dem Dreibatzenplatz sitze, soll mich der Teufel holen.
- (Will fort.)
- Ferdinand. Bleib' Er! Schweig' Er! und streich' Er sein Geld ein!
- (Nachdrücklich.) Nur diesen Abend noch schweig' Er und geb' Er, mir
- zu Gefallen, von nun an keine Musikstunden mehr.
- Miller (noch hitziger und ihn hart an der Weste fassend, voll inniger
- Freude). Und, Herr! meine Tochter! (Ihn werden loslassend.) Geld
- macht den Mann nicht--Geld nicht--Ich habe Kartoffeln gegessen oder
- ein wildes Huhn; satt ist satt, und dieser Rock da ist ewig gut, wenn
- Gottes liebe Sonne nicht durch den Ärmel scheint--Für mich ist das
- Plunder--Aber dem Mädel soll der Segen bekommen; was ich ihr nur an
- den Augen absehen kann, soll sie haben-Ferdinand (fällt rasch ein).
- Stille, o stille-Miller (immer feuriger). Und soll mir Französisch
- lernen aus dem Fundament und Menuet-Tanzen und Singen, daß man's in
- den Zeitungen lesen soll; und eine Haube soll sie tragen, wie die
- Hofrathstöchter, und einen Kidebarri, wie sie's heißen, und von der
- Geigerstochter soll man reden auf vier Meilen weit-Ferdinand
- (ergreift seine Hand mit der schrecklichsten Bewegung). Nichts mehr!
- Nichts mehr! Um Gotteswillen, schweig' Er still! Nur noch heute
- schweig' Er still! Das sei der einzige Dank, den ich von Ihm fordre.
- Sechste Scene.
- Luise mit der Limonade, und die Vorigen.
- Luise (mit rotgeweinten Augen und zitternder Stimme, indem sie dem
- Major das Glas auf einem Teller bringt). Sie befehlen, wenn sie
- nicht stark genug ist.
- Ferdinand (nimmt das Glas, setzt es nieder und dreht sich rasch gegen
- Millern). O beinahe hätt' ich das vergessen!--Darf ich Ihn um etwas
- bitten, lieber Miller? Will Er mir einen kleinen Gefallen thun?
- Miller. Tausend für einen! Was befehlen-Ferdinand. Man wird mich
- bei der Tafel erwarten. Zum Unglück hab' ich eine sehr böse Laune.
- Es ist mir ganz unmöglich, unter Menschen zu gehn--Will Er einen Gang
- thun zu meinem Vater und mich entschuldigen?
- Luise (erschrickt und fällt schnell ein). Den Gang kann ja ich thun.
- Miller. Zum Präsidenten?
- Ferdinand. Nicht zu ihm selbst. Er übergibt Seinen Auftrag in der
- Garderobe einem Kammerdiener--Zu Seiner Legitimation ist hier meine
- Uhr--Ich bin noch da, wenn Er wieder kommt.--Er wartet auf Antwort.
- Luise (sehr ängstlich). Kann denn ich das nicht auch besorgen?
- Ferdinand (zu Millern, der eben fort will). Halt, und noch etwas!
- Hier ist ein Brief an meinen Vater, der diesen Abend an mich
- eingeschlossen kam--Vielleicht dringende Geschäfte--Es geht in einer
- Bestellung hin-Miller. Schon gut, Baron!
- Luise (hängt sich an ihn, in der entsetzlichsten Bangigkeit). Aber,
- mein Vater, Dies alles könnt' ich ja recht gut besorgen.
- Miller. Du bist allein, und es ist finstre Nacht, meine Tochter.
- (Ab.)
- Ferdinand. Leuchte deinem Vater, Luise! (Während dem, daß sie
- Millern mit dem Licht begleitet, tritt er zum Tisch und wirft Gift in
- ein Glas Limonade.) Ja, sie soll dran! Sie soll! Die obern Mächte
- nicken mir ihr schreckliches Ja herunter, die Rache des Himmels
- unterschreibt, ihr guter Engel läßt sie fahren-
- Siebente Scene.
- Ferdinand und Luise.
- Sie kommt langsam mit dem Lichte zurück, setzt es nieder und stellt
- sich auf die entgegengesetzte Seite vom Major, das Gesicht auf den
- Boden geschlagen und nur zuweilen furchtsam und verstohlen nach ihm
- hinüberschielend. Er steht auf der andern Seite und sieht starr vor
- sich hinaus. (Großes Stillschweigen, das diesen Auftritt ankündigen
- muß.)
- Luise. Wollen Sie mich accompagnieren, Herr von Walter, so mach' ich
- einen Gang auf dem Fortepiano. (Sie öffnet den Pantalon.)
- (Ferdinand gibt keine Antwort. Pause.)
- Luise. Sie sind mir auch noch Revanche auf dem Schachbrett schuldig.
- Wollen wir eine Partie, Herr von Walter? (Eine neue Pause.)
- Luise. Herr von Walter, die Brieftasche, die ich Ihnen einmal zu
- sticken versprochen--ich habe sie angefangen--Wollen Sie das Dessin
- nicht besehen? (Wieder eine Pause.)
- Luise. Ich bin sehr elend!
- Ferdinand (in der bisherigen Stellung). Das könnte wahr sein.
- Luise. Meine Schuld ist es nicht, Herr von Walter, daß Sie so
- schlecht unterhalten werden.
- Ferdinand (lacht beleidigend vor sich hin). Denn was kannst du für
- meine blöde Bescheidenheit?
- Luise. Ich hab' es ja wohl gewußt, daß wir jetzt nicht zusammen
- taugen. Ich erschrak auch gleich, ich bekenne es, als Sie meinen
- Vater verschickten--Herr von Walter, ich vermuthe, dieser Augenblick
- wird uns Beiden gleich unerträglich sein--Wenn Sie mir's erlauben
- wollen, so geh' ich und bitte einige von meinen Bekannten her.
- Ferdinand. O ja doch, das thu'. Ich will auch gleich gehn und von
- den meinigen bitten.
- Luise (sieht ihn stutzend an). Herr von Walter?
- Ferdinand (sehr hämisch). Bei meiner Ehre! der gescheidteste Einfall,
- den ein Mensch in dieser Lage nur haben kann. Wir machen aus diesem
- verdrießlichen Duett eine Lustbarkeit und rächen uns mit Hilfe
- gewisser Galanterieen an den Grillen der Liebe.
- Luise. Sie sind aufgeräumt, Herr von Walter.
- Ferdinand. Ganz außerordentlich, um die Knaben auf dem Markt hinter
- mir her zu jagen! Nein! In Wahrheit, Luise! dein Beispiel bekehrt
- mich--du sollst meine Lehrerin sein. Thoren sind's, die von ewiger
- Liebe schwatzen. Ewiges Einerlei widersteht, Veränderung nur ist das
- Salz des Vergnügens--Topp, Luise! Ich bin dabei--Wir hüpfen von
- Roman zu Roman, wälzen uns von Schlamme zu Schlamm--Du dahin--ich
- dorthin--vielleicht, daß meine verlorene Ruhe sich in einem Bordell
- wieder finden läßt--Vielleicht, daß wir dann nach dem lustigen
- Wettlauf, zwei modernde Gerippe, mit der angenehmsten Überraschung
- von der Welt zum zweiten Mal aufeinander stoßen, daß wir uns da an
- dem gemeinschaftlichen Familienzug, den kein Kind dieser Mutter
- verleugnet, wie in Komödien wieder erkennen, daß Ekel und Scham noch
- eine Harmonie veranstalten, die der zärtlichsten Liebe unmöglich
- gewesen ist.
- Luise. O Jüngling! Jüngling! Unglücklich bist du schon; willst du
- es auch noch verdienen?
- Ferdinand (ergrimmt durch die Zähne murmelnd). Unglücklich bin
- ich? Wer hat dir das gesagt? Weib, du bist zu schlecht, und
- selbst zu empfinden--womit kannst du eines Andern Empfindungen
- wägen?--Unglücklich, sagte sie?--Ha! dieses Wort könnte meine
- Wuth aus dem Grabe rufen! Unglücklich mußt' ich werden, das
- wußte sie. Tod und Verdammniß! das wußte sie und hat mich
- dennoch verrathen--Siehe, Schlange! das war der einzige Fleck der
- Vergebung--Deine Aussage bricht dir den Hals--Bis jetzt konnt'
- ich deinen Frevel mit deiner Einfalt beschönigen, in meiner
- Verachtung wärst du beinahe meiner Rache entsprungen. (Indem
- er hastig das Glas ergreift.) Also leichtsinnig warst du
- nicht--dumm warst du nicht--du warst nur ein Teufel. (Er
- trinkt.) Die Limonade ist matt wie deine Seele--Versuche!
- Luise. O Himmel! Nicht umsonst hab' ich diesen Auftritt gefürchtet.
- Ferdinand (gebieterisch). Versuche!
- Luise (nimmt das Glas etwas unwillig und trinkt).
- Ferdinand (wendet sich, sobald sie das Glas an den Mund setzt, mit
- einer plötzlichen Erblassung weg und eilt nach dem hintersten Winkel
- des Zimmers).
- Luise. Die Limonade ist gut.
- Ferdinand (ohne sich umzukehren, von Schauer geschüttelt). Wohl
- bekomm's!
- Luise (nachdem sie es niedergesetzt). O wenn Sie wüßten, Walter, wie
- ungeheuer Sie meine Seele beleidigen.
- Ferdinand. Hum!
- Luise. Es wird eine Zeit kommen, Walter-Ferdinand (wieder vorwärts
- kommend). O! mit der Zeit wären wir fertig.
- Luise. Wo der heutige Abend schwer auf Ihr Herz fallen
- dürfte-Ferdinand (fängt an stärker zu gehen und beunruhigter zu
- werden, indem er Schärpe und Degen von sich wirft). Gute Nacht,
- Herrendienst!
- Luise. Mein Gott! Wie wird Ihnen?
- Ferdinand. Heiß und enge--Will mir's bequemer machen.
- Luise Trinken Sie! Trinken Sie! Der Trank wird Sie kühlen.
- Ferdinand. Das wird er auch ganz gewiß--Die Metze ist gutherzig;
- doch, das sind alle!
- Luise (mit dem vollen Ausdruck der Liebe ihm in die Arme eilend).
- Das deiner Luise, Ferdinand?
- Ferdinand (drückt sie von sich). Fort! Fort! Diese sanften
- schmelzenden Augen weg! Ich erliege. Komm in deiner ungeheuern
- Furchtbarkeit, Schlange! spring an mir auf, Wurm!--Krame vor mir
- deine gräßlichen Knoten aus, bäume deine Wirbel zum Himmel!--so
- abscheulich, als dich jemals der Abgrund sah--nur keinen Engel
- mehr--nur jetzt keinen Engel mehr--Es ist zu spät--Ich muß dich
- zertreten, wie eine Natter, oder verzweifeln--Erbarme dich!
- Luise. O! daß es so weit kommen mußte!
- Ferdinand (sie von der Seite betrachtend). Dieses schöne Werk des
- himmlischen Bildners--Wer kann das glauben?--Wer sollte das glauben?
- (Ihre Hand fassend und emporhaltend.) Ich will dich nicht zur Rede
- stellen, Gott Schöpfer--Aber warum denn dein Gift in so schönen
- Gefäßen?--Kann das Laster in diesem milden Himmelstrich
- fortkommen?--O, es ist seltsam.
- Luise. Das anzuhören und schweigen zu müssen!
- Ferdinand. Und die süße melodische Stimme--Wie kann so viel
- Wohlklang kommen aus zerrissenen Saiten? (Mit trunkenem Aug auf
- ihrem Anblick verweilend.) Alles so schön--so voll Ebenmaß--so
- göttlich vollkommen!--Überall das Werk seiner himmlischen
- Schäferstunde! Bei Gott! als wäre die große Welt nur entstanden, den
- Schöpfer für dieses Meisterstück in Laune zu setzen!--Und nur in der
- Seele sollte Gott sich vergriffen haben? ist es möglich, daß diese
- empörende Mißgeburt in die Natur ohne Tadel kam? (Indem er sie
- schnell verläßt.) Oder sah er einen Engel unter dem Meißel
- hervorgehen und half diesem Irrthum in der Eile mit einem desto
- schlechteren Herzen ab?
- Luise. O des frevelhaften Eigensinns! Ehe er sich eine Übereilung
- gestände, greift er lieber den Himmel an.
- Ferdinand (stürzt ihr heftig weinend an den Hals). Noch einmal,
- Luise!--Noch einmal wie am Tag unsers ersten Kusses, da du Ferdinand
- stammeltest und das erste Du auf deine brennenden Lippen trat--O eine
- Saat unendlicher, unaussprechlicher Freuden schien in dem Augenblick
- wie in der Knospe zu liegen--Da lag die Ewigkeit wie ein schöner
- Maitag vor unsern Augen; goldne Jahrtausende hüpften, wie Bräute, vor
- unsrer Seele vorbei--Da war ich der Glückliche!--O Luise! Luise!
- Luise! Warum hat du mir das gethan?
- Luise. Weinen Sie, weinen Sie, Walter. Ihre Wehmuth wird gerechter
- gegen mich sein, als Ihre Entrüstung.
- Ferdinand. Du betrügst dich. Das sind ihre Thränen nicht--Nicht
- jener warme, wollüstige Thau, der in die Wunde der Seele balsamisch
- fließt und das starre Rad der Empfindung wieder in Gang bringt. Es
- sind einzelne--kalte Tropfen--das schauerliche ewige Lebewohl meiner
- Liebe. (Furchtbar feierlich, indem er die Hand auf ihren Kopf sinken
- läßt.) Thränen um deine Seele, Luise--Thränen um die Gottheit, die
- ihres unendlichen Wohlwollens hier verfehlte, die so muthwillig um
- das herrlichste ihrer Werke kommt--O mich däucht, die ganze Schöpfung
- sollte den Flor anlegen und über das Beispiel betreten sein, das in
- ihrer Mitte geschieht--Es ist was Gemeines, daß Menschen fallen und
- Paradiese verloren werden; aber wenn die Pest unter Engel wüthet, so
- rufe man Trauer aus durch die ganze Natur.
- Luise. Treiben Sie mich nicht aufs Äußerste, Walter. Ich habe
- Seelenstärke, so gut wie Eine--aber sie muß auf eine menschliche
- Probe kommen. Walter, das Wort noch und dann geschieden--Ein
- entsetzliches Schicksal hat die Sprache unsrer Herzen verwirrt.
- Dürft' ich den Mund aufthun, Walter, ich könnte dir Dinge sagen--ich
- könnte--aber das harte Verhängniß band meine Zunge wie meine Liebe,
- und dulden muß ich's, wenn du mich wie eine gemeine Metze mißhandelst.
- Ferdinand. Fühlst du dich wohl, Luise?
- Luise. Wozu diese Frage?
- Ferdinand. Sonst sollte mir's leid um dich thun, wenn du mit einer
- Lüge von hinnen müßtest.
- Luise. Ich beschwöre Sie, Walter-Ferdinand (unter heftigen
- Bewegungen). Nein! nein! Zu satanisch wäre diese Rache! Nein!
- Gott bewahre mich! In jene Welt hinaus will ich's nicht
- treiben--Luise! Hast du den Marschall geliebt? Du wirst nicht mehr
- aus diesem Zimmer gehen.
- Luise. Fragen Sie, was Sie wollen. Ich antworte nichts mehr. (Sie
- setzt sich nieder.)
- Ferdinand (ernster). Sorge für deine unsterbliche Seele, Luise!
- --Hast du den Marschall geliebt? Du wirst nicht mehr aus diesem
- Zimmer gehen.
- Luise. Ich antworte nichts mehr.
- Ferdinand (fällt in fürchterlicher Bewegung vor ihr nieder).
- Luise! Hast du den Marschall geliebt? Ehe dieses Licht noch
- ausbrennt--stehst du--vor Gott!
- Luise (fährt erschrocken in die Höhe). Jesus! Was ist das?--und
- mir wird sehr übel. (Sie sinkt auf den Sessel zurück.)
- Ferdinand. Schon?--Über euch Weiber und das ewige Räthsel! Die
- zärtliche Nerve hält Freveln fest, die die Menschheit an ihren
- Wurzeln zernagen; ein elender Gran Arsenik wirft sie um-Luise. Gift!
- Gift! O mein Herrgott!
- Ferdinand. So fürchte ich. Deine Limonade war in der Hölle gewürzt.
- Du hast sie dem Tod zugetrunken.
- Luise. Sterben! Sterben! Gott Allbarmherziger! Gift in der
- Limonade und sterben!--O meiner Seele erbarme dich, Gott der Erbarmer!
- Ferdinand. Das ist die Hauptsache. Ich bitt' ihn auch darum.
- Luise. Und meine Mutter--mein Vater--Heiland der Welt! Mein armer,
- verlorener Vater! Ist keine Rettung mehr? Mein junges Leben, und
- keine Rettung! Und muß ich jetzt schon dahin?
- Ferdinand. Keine Rettung, mußt jetzt schon dahin--aber sei ruhig.
- Wir machen die Reise zusammen.
- Luise. Ferdinand, auch du! Gift, Ferdinand! Von dir! O Gott,
- vergiß es ihm--Gott der Gnade, nimm die Sünde von ihm-Ferdinand.
- Sieh du nach deinen Rechnungen--Ich fürchte, sie stehen übel.
- Luise. Ferdinand! Ferdinand!--O--Nun kann ich nicht mehr
- schweigen--Der Tod--der Tod hebt alle Eide auf--Ferdinand!--Himmel
- und Erde hat nichts Unglückseligeres als dich!--Ich sterbe unschuldig,
- Ferdinand.
- Ferdinand (erschrocken). Was sagt sie da?--Eine Lüge pflegt man doch
- sonst nicht auf diese Reise zu nehmen?
- Luise. Ich lüge nicht--lüge nicht--hab' nur einmal gelogen mein
- Lebenlang--Huh! wie das eiskalt durch meine Adern schauert--als ich
- den Brief schrieb an den Hofmarschall-Ferdinand. Ha! Dieser Brief!
- --Gottlob! Jetzt hab' ich all meine Mannheit wieder.
- Luise (ihre Zunge wird schwerer, ihre Finger fangen an gichterisch zu
- zucken). Dieser Brief--Fasse dich, ein entsetzliches Wort zu
- hören--Meine Hand schrieb, was mein Herz verdammte--dein Vater hat
- ihn dictiert.
- Ferdinand (starr und einer Bildsäule gleich, in langer todter Pause
- hingewurzelt, fällt endlich wie von einem Donnerschlag nieder).
- Luise. O des kläglichen Mißverstands--Ferdinand--man zwang
- mich--vergib--deine Luise hätte den Tod vorgezogen--aber mein
- Vater--die Gefahr--sie machten es listig.
- Ferdinand (schrecklich emporgeworfen). Gelobet sei Gott! noch spür'
- und das Gift nicht. (Er reißt den Degen heraus.)
- Luise (von Schwäche zu Schwäche sinkend). Weh! Was beginnst du? Es
- ist dein Vater-Ferdinand (im Ausdruck der unbändigsten Wuth). Mörder
- und Mördervater!--Mit muß er, daß der Richter der Welt nur gegen den
- Schuldigen rase. (Will hinaus.)
- Luise. Sterbend vergab mein Erlöser--Heil über dich und ihn (Sie
- stirbt.)
- Ferdinand (kehrt schnell um, wird ihre letzte sterbende Bewegung
- gewahr und fällt in Schmerz aufgelöst vor der Todten nieder). Halt!
- Halt! Entspringe mir nicht, Engel des Himmels! (Er faßt ihre Hand
- an und läßt sie schnell wie fallen.) Kalt, kalt und feucht! Ihre
- Seele ist dahin. (Er springt wieder auf.) Gott meiner Luise! Gnade!
- Gnade dem verruchtesten der Mörder! Es war ihr letztes Gebet!--Wie
- reizend und schön auch ihr Leichnam! Der gerührte Würger ging
- schonend über diese freundlichen Wangen hin--Diese Sanftmuth war
- keine Larve, sie hat auch dem Tod Stand gehalten. (Nach einer Pause.)
- Aber wie? Warum fühl' ich nichts? Will die Kraft meiner Jugend
- mich retten? Undankbare Mühe! Das ist meine Meinung nicht. (Er
- greift nach dem Glase.)
- Letzte Scene.
- Ferdinand. Der Präsident. Wurm und Bediente, welche alle voll
- Schrecken ins Zimmer stürzen, darauf Miller mit Volk und
- Gerichtsdienern, welche sich im Hintergrund sammeln.
- Präsident (den Brief in der Hand). Sohn, was ist das?--Ich will doch
- nimmermehr glauben-Ferdinand (wirft ihm das Glas vor die Füße). So
- sieh, Mörder!
- Präsident (taumelt hinter sich. Alle erstarren. Eine schreckhafte
- Pause.) Mein Sohn, warum hast du mir das gethan?
- Ferdinand (ohne ihn anzusehen). O ja freilich! Ich hätte den
- Staatsmann erst hören sollen, ob der Streich auch zu seinen Karten
- passe?--Fein und bewundernswerth, ich gesteh's, war die Finte, den
- Bund unsrer Herzen zu zerreißen durch Eifersucht--Die Rechnung hatte
- ein Meister gemacht, aber Schade nur, daß die zürnende Liebe dem
- Draht nicht so gehorsam blieb wie deine hölzerne Puppe.
- Präsident (sucht mit verdrehten Augen im ganzen Kreise herum). Ist
- hier Niemand, der um einen trostlosen Vater weint?
- Miller (hinter der Scene rufend). Laßt mich hinein! Um Gottes
- willen! Laßt mich!
- Ferdinand. Das Mädchen ist eine Heilige--für sie muß ein Anderer
- rechten. (Er öffnet Millern die Thüre, der mit Volk und
- Gerichtsdienern hineinstürzt.)
- Miller (in der fürchterlichsten Angst). Mein Kind! Mein Kind!
- --Gift--Gift, schreit man, sei hier genommen worden--Meine Tochter!
- Wo bist du?
- Ferdinand (führt ihn zwischen den Präsident und Luisens Leiche). Ich
- bin unschuldig--Danke Diesem hier.
- Miller (fällt an ihr zu Boden). O Jesus!
- Ferdinand. In wenig Worten, Vater--Sie fangen an mir kostbar zu
- werden--Ich bin bübisch um mein Leben bestohlen, bestohlen durch Sie.
- Wie ich mit Gott stehe, zittre ich--doch ein Bösewicht bin ich
- niemals gewesen. Mein ewiges Loos falle, wie es will--auf Sie fall'
- es nicht--Aber ich hab' einen Mord begangen, (mit furchtbar erhobener
- Stimme) einen Mord, den du mir nicht zumuthen wirst, allein vor den
- Richter der Welt hinzuschleppen. Feierlich wälz' ich dir hier die
- größte, gräßlichste Hälfte zu; wie du damit zurecht kommen magst,
- siehe du selber. (Ihn zu Luisen hinführend.) Hier, Barbar! Weide
- dich an der entsetzlichen Frucht deines Witzes, auf dieses Gesicht
- ist mit Verzerrungen dein Name geschrieben, und die Würgengel werden
- ihn lesen--Eine Gestalt wie diese ziehe den Vorhang von deinem Bette,
- wenn du schläfst, und gebe dir ihre eiskalte Hand--Eine Gestalt wie
- diese stehe vor deiner Seele, wenn du stirbst, und dränge dein
- letztes Gebet weg--Eine Gestalt wie diese stehe auf deinem Grabe,
- wenn du auferstehst--und neben Gott, wenn er dich richtet. (Er wird
- ohnmächtig. Bediente halten ihn.)
- Präsident (eine schreckliche Bewegung des Arms gegen den Himmel).
- Von mir nicht, von mir nicht, Richter der Welt, fordre diese Seelen,
- von Diesem! (Er geht auf Wurm zu.)
- Wurm (auffahrend). Von mir?
- Präsident. Verfluchter, von dir! Von dir, Satan!--Du, du gabst den
- Schlangenrath--Über dich die Verantwortung--ich wasche die Hände.
- Wurm. Über mich? (Er fängt gräßlich an zu lachen.) Lustig!
- Lustig! So weiß ich doch nun auch, auf was Art sich die Teufel
- danken.--Über mich, dummer Bösewicht? War es mein Sohn? War ich
- dein Gebieter?--Über mich die Verantwortung? Ha! bei diesem Anblick,
- der alles Mark in meinen Gebeinen erkältet! Über mich soll sie
- kommen!--Jetzt will ich verloren sein, aber du sollst es mit mir
- sein--Auf! Auf! Ruft Mord durch die Gassen! Weckt die Justiz auf!
- Gerichtsdiener, bindet mich! Führt mich von hinnen! Ich will
- Geheimnisse aufdecken, daß Denen, die sie hören, die Haut schauern
- soll. (Will gehen.)
- Präsident (hält ihn). Du wirst doch nicht, Rasender?
- Wurm (klopft ihn auf die Schulter). Ich werde, Kamerad! Ich werde!
- --Rasend bin ich, das ist wahr--das ist dein Werk--so will ich auch
- jetzt handeln wie ein Rasender--Arm in Arm mit dir zum Blutgerüst!
- Arm in Arm mit dir zur Hölle! Es soll mich kitzeln, Bube, mit dir
- verdammt zu sein! (Er wird abgeführt.)
- Miller (der die ganze Zeit über, den Kopf in Luisens Schooß gesunken,
- in stummem Schmerz gelegen hat, steht schnell auf und wirft dem Major
- die Börse vor die Füße). Giftmischer! Behalt dein verfluchtes Gold!
- --wolltest du mir mein Kind damit abkaufen? (Er stürzt aus dem
- Zimmer.)
- Ferdinand (mit brechender Stimme). Geht ihm nach! Er
- verzweifelt--Das Geld hier soll man ihm retten--Es ist meine
- fürchterliche Erkenntlichkeit. Luise!--Luise!--Ich komme--Lebt
- wohl--Laßt mich an diesem Altar verscheiden-Präsident (aus einer
- dumpfen Betäubung zu seinem Sohn). Sohn Ferdinand! Soll kein Blick
- mehr auf einen zerschmetterten Vater fallen? (Der Major wird neben
- Luisen niedergelassen.)
- Ferdinand. Gott dem Erbarmenden gehört dieser letzte.
- Präsident (in der schrecklichsten Qual vor ihm niederfallend).
- Geschöpf und Schöpfer verlassen mich--Soll kein Blick mehr zu meiner
- letzten Erquickung fallen?
- Ferdinand (reicht ihm seine sterbende Hand).
- Präsident (steht schnell auf). Er vergab mir! (Zu den Andern.)
- Jetzt euer Gefangener! (Er geht ab, Gerichtsdiener folgen ihm, der
- Vorhang fällt.)
- Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes Kabale und Liebe, von Friedrich
- Schiller.
- *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK, KABALE UND LIEBE ***
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