- The Project Gutenberg EBook of Die Goettliche Komoedie, by Dante Alighieri
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- Title: Die Goettliche Komoedie
- Author: Dante Alighieri
- Release Date: May, 2005 [EBook #8085]
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- Edition: 10
- Language: German
- *** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE GOETTLICHE KOMOEDIE ***
- Produced by Mike Pullen
- This Etext is in German.
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- Die Göttliche Komödie
- Dante Alighieri
- Inhalt:
- Die Hölle
- Das Fegefeuer
- Das Paradies
- Die Hölle
- Erster Gesang
- Auf halbem Weg des Menschenlebens fand
- ich mich in einen finstern Wald verschlagen,
- Weil ich vom rechten Weg mich abgewandt.
- Wie schwer ists doch, von diesem Wald zu sagen,
- Wie wild, rauh, dicht er war, voll Angst und Not;
- Schon der Gedank erneuert noch mein Zagen.
- Nur wenig bitterer ist selbst der Tod;
- Doch um vom Heil, das ich drin fand, zu künden,
- Sag ich, was sonst sich dort den Blicken bot.
- Nicht weiß ich, wie ich mich hineingewunden,
- So ganz war ich von tiefem Schlaf berückt,
- Zur Zeit, da mir der wahre Weg verschwunden.
- Doch bis zum Fuß des Hügels vorgerückt,
- Der an dem Ende lag von jenem Tale,
- Das mir mit schwerer Furcht das Herz gedrückt,
- Schaut ich empor und sah, den Rücken male
- Ihm der Planet, der uns auf jeder Bahn
- Gerad zum Ziele führt mit feinem Strahle.
- Da fingen Angst und Furcht zu Schwinden an,
- Die mir des Herzens Blut erstarren machten,
- In jener Nacht, da Grausen mich umfahn.
- Und so wie atemlos, nach Angst und Schmachten,
- Schiffbrüchige vom Strand, entflohn der Flut,
- Starr rückwärts schauend, ihren Grimm betrachten;
- So kehrt ich, noch mit halberstorbnem Mut,
- Mich jetzt zurück, nach jenem Passe sehend,
- Der jeglichem verlöscht des Lebens Glut.
- Und, etwas ausgerastet, weitergehend,
- Wählt ich bergan den Weg der Wildnis mir,
- Fest immer auf dem tiefern Fuße stehend.
- Sieh, beim Beginn des steilen Weges schier,
- Bedeckt mit buntgeflecktem Fell die Glieder,
- Gewandt und sehr behend ein Panthertier.
- Nicht wichs von meinem Angesichte wieder,
- Und also hemmt es meinen weitern Lauf,
- Daß ich mich öfters wandt ins Tal hernieder.
- Am Morgen wars, die Sonne stieg itzt auf,
- Von jenen Sternen, so wie einst, umgeben,
- Als Gottes Lieb aus ödem Nichts herauf
- Die schöne Welt berief zu Sein und Leben;
- So ward mir Grund zu guter Hoffnung zwar
- Durch jenes Tieres heitres Fell gegeben
- Und durch die Frühstund und das junge Jahr
- Doch so nicht, daß in mir nicht Furcht sich regte,
- Als furchtbar mir ein Leu erschienen war.
- Es schien, daß er sich gegen mich bewegte,
- Mit hohem Haupt und mit des Hungers Wut,
- So daß er Schrecken, schiens, der Luft erregte.
- Auch eine Wölfin, welche jede Glut
- Der Gier durch Magerkeit mir schien zu zeigen,
- Die schon auf viele schweren Jammer lud.
- Vor dieser mußte so mein Mut sich neigen
- Aus Furcht, die bei dem Anblick mich durchbebt,
- Daß mir die Hoffnung schwand, zur Höhn zu steigen.
- Wie der, der eifrig zu gewinnen strebt,
- Wenn zum Verlieren nun die Zeit gekommen,
- In Kümmernis und tiefem Bangen lebt;
- So machte dieses Untier mich beklommen;
- Von ihm gedrängt, mußt ich mich rückwärts ziehn
- Dorthin, wo nimmer noch der Tag entkommen.
- Als ich zur Tiefe niederstürzt im Fliehn,
- Da war ein Wesen dorten zu erkennen,
- Das durch zu langes Schweigen heiser schien.
- Ich rief, sobald ichs nur gewahren können
- In großer Wildnis: "O erbarme dich,
- Du, seist du Schatten, seist du Mensch zu nennen."
- Und jener sprach: "Nicht bin, doch Mensch war ich;
- Lombarden waren die, so mich erzeugten,
- Und beide priesen Mantuaner sich.
- Eh, spät, die Römer sich dem Julius beugten,
- Sah ich das Licht, sah des Augustus Thron,
- Zur Zeit der Götter, jener Trugerzeugten.
- Ich war Poet und sang Anchises Sohn,
- Der Troja floh, besiegt durch Feindestücke,
- Als, einst so stolz, in Staub sank Ilion.
- Und du--du kehrst zu solchem Gram zurücke?
- Was bleibt die freudge Höhe nicht dein Ziel,
- Die Anfang ist und Grund zum vollen Glücke?"
- "So bist du," rief ich, "bist du der Virgil,
- Der Quell, dem reich der Rede Strom entflossen?"
- Ich sprachs mit Scham, die meine Stirn befiel.
- "O Ehr und Licht der andern Kunstgenossen,
- Mir gelt itzt große Lieb und langer Fleiß,
- Die meinem Forschen dein Gedicht erschlossen.
- Mein Meister, Vorbild! dir gebührt der Preis,
- Den ich durch schönen Stil davongetragen,
- Denn dir entnahm ich, was ich kann und weiß.
- Sieh dieses Tier, o sieh michs rückwärts jagen,
- Berühmter Weiser, sei vor ihm mein Hort.
- Es macht mir zitternd Puls und Adern schlagen."
- "Du mußt auf einem andern Wege fort,"
- Sprach er zu mir, den ganz der Schmerz bezwungen,
- "Willst du entfliehn aus diesem wilden Ort,
- Denn dieses Tier, das dich mit Graun durchdrungen,
- Läßt keinen ziehn auf seines Weges Spur,
- Hemmt jeden, bis es endlich ihn verschlungen.
- Es ist von böser, tückischer Natur
- Und nimmer fühlts die wilde Gier ermatten,
- Ja, jeder Fraß schärft seinen Hunger nur.
- Mit vielen Tieren wird sichs noch begatten,
- Bis daß die edle Dogge kommt, die kühn
- Es würgt und hinstürzt in die ewgen Schatten.
- Nicht wird nach Land und Erz ihr Hunger glühn,
- Doch wird sie nie an Lieb und Weisheit darben;
- Inmitten Feltr und Feltro wird sie blühn,
- Zu Welschlands Heil, des Ruhm und Glück verdarben,
- Obwohl vordem Camilla für dies Land,
- Eurialus, Turnus und Nisus starben.
- Nicht wird sie ruhn, bis sie dies Tier verbannt;
- Sie wird es wieder in die Hölle senken,
- Von wos zuerst der Neid heraufgesandt.
- Du folg itzt mir zu deinem Heil--mein Denken
- Und Urteil ists--ich will dein Führer sein,
- Und dich durch ewgen Ort von hinnen lenken.
- Dort wirst du hören der Verzweiflung Schrein,
- Wirst alte Geister schaun, die brünstig flehen
- Um zweiten Tod in ihrer langen Pein.
- Wirst jene dann im Feur zufrieden sehen,
- Weil sie verhoffen, zu dem selgen Chor,
- Seis wann es immer sei, noch einzugehen.
- Und willst du auch zu diesem dann empor,
- Würdger als ich, wird eine Seel erscheinen,
- Die geht, schied ich, als Führerin dir vor.
- Denn jener, der dort oben herrscht, läßt keinen
- Eingehn, von mir geführt, in seine Stadt,
- Weil ich mich nicht verbunden mit den Seinen.
- Er herrscht im All, dort ist die Herrscherstatt,
- Sein Thron und seine Burg in jener Höhe.
- Heil dem, den er erwählt dort oben hat"
- "O Dichter," Sprach ich jetzt zu ihm, "ich flehe
- Bei jenem Gotte, den du nicht erkannt,
- Daß diesem Leid und schlimmerm ich entgehe,
- Bring an die Orte mich, die du genannt,
- So, daß ich Petri Tor erschauen möge
- Und jene, wie du sprachst, zur Qual verbannt."
- Da schritt er fort, ich folgte seinem Wege.
- Zweiter Gesang
- Der Tag verging, das Dunkel brach herein,
- Und Nacht entzog die Wesen auf der Erden
- All ihren Mühn; da rüstet ich allein
- Mich zu dem harten Krieg und den Beschwerden
- Des Wegs und Mitleids, und jetzt soll ihr Bild
- Gemalt aus sicherer Erinnrung werden.
- O Mus, o hoher Geist, jetzt helft mir mild!
- Erinnrung, die du schriebst, was ich gesehen,
- Hier wird sichs zeigen, ob dein Adel gilt!
- "Jetzt, Dichter," fing ich an, "bevor wir gehen,
- Erwäge meine Kraft und Tüchtigkeit,
- Kann sie die große Reise wohl bestehen?
- Du sagst, daß Silvius Vater in der Zeit,
- im Körper noch und noch ein sterblich Wesen,
- Sei eingedrungen zur Unsterblichkeit.
- Doch da der ewge Gegner alles Bösen
- in seinen Empiren zum Stifter ihn
- Der Mutter Roma und des Reichs erlesen,
- Kann jeder, dem Vernunft ihr Licht verliehn,
- Beim hocherhabnen Zweck es wohl ergründen,
- Daß er nicht unwert solcher Huld erschien.
- Denn Rom und Reich, um Wahres zu verkünden,
- Gestiftet wurden sie, die heilge Stadt
- Zum Sitz für Petri Folger zu begründen.
- Durch diesen Gang, den du ihm nachrühmst, hat
- Er Kunde des, wodurch er siegt, empfangen
- Und Grund gelegt zur heilgen Herrscherstatt.
- Ist das erwählte Rüstzeug hingegangen,
- So stärkt es in dem Glauben dann die Welt,
- In dem der Weg des Heiles angefangen.
- Doch ich? Warum? Wer hat mirs freigestellt?
- Äneas nicht noch Paul, ich, dessen Schwäche
- Nicht ich, noch jemand dessen würdig hält,
- Wenn ich dorthin zu kommen mich erfreche,
- So fürcht ich, daß mein Kommen töricht sei.
- Du, Weiser, weißt es besser, als ich spreche."
- Und wie wer will und nicht will, mancherlei
- Erwägt und prüft und fühlt im bangen Schwanken,
- Mit dem, was er begonnen, seis vorbei;
- So ich--das, was ich leicht und ohne Wanken
- Begonnen hatte, gab ich wieder auf,
- Entmutigt von den wechselnden Gedanken.
- "Verstand ich dich," so sprach der Schatten drauf,
- "So fühlst du Angst und Schrecken sich erneuen,
- Und Feigheit nur hemmt deinen weitern Lauf.
- Das Beste macht sie oft den Mann bereuen,
- Daß er zurückespringt von hoher Tat,
- Gleich Rossen, die vor Truggebilden scheuen.
- Doch hindre sie dich nicht am weitern Pfad,
- Drum höre jetzt, was ich zuerst vernommen,
- Da mirs um dich im Herzen wehe tat.
- Mich, nicht in Höll und Himmel aufgenommen,
- Rief eine Frau, so selig und so schön,
- Daß ihr Geheiß mir wert war und willkommen.
- Mit Augen, gleich dem Licht an Himmelshöhn
- Begann sie gegen mich gelind und Ieise,
- Und jeder Laut war englisches Getön:
- O Geist, geboren einst zu Mantuas Preise,
- Des Ruhm gedauert hat und dauern wird,
- Solang die Sterne ziehn in ihrem Kreise,
- Mein Freund, doch nicht der Freund des Glückes, irrt
- In Wildnis dort, weil Wahn im Weg ihn störte,
- So daß er sich gewandt, von Furcht verwirrt.
- Schon irrte, fürcht ich, also der Betörte,
- Daß ich zu spät zum Schutz mich aufgerafft,
- Nach dem, was ich von ihm im Himmel hörte.
- Du geh; es sei durch deiner Rede Kraft,
- Durch das, was sonst ihm Not, sein Leid geendet,
- So sei ihm Hilf und Ruhe mir verschafft.
- Beatrix; bin ich, die ich dich gesendet;
- Mich trieb die Lieb und spricht aus meinem Wort.
- Vom Ort komm ich, wohin mein Wunsch sich wendet.
- Und steh ich erst vor meinem König dort,
- So werd ich oft dich loben und ihm preisen--
- Sie sprachs und schwieg, und ich begann sofort:
- O Weib voll Kraft, du Lehrerin der Weisen,
- Durch das die Menschheit alles überragt,
- Was lebt in jenes Himmels kleinern Kreisen!
- Spät dächt ich, wie mir dein Befehl behagt,
- Zu tun, tat ich sogleich, was du gebietest.
- Wohl deutlich haft du deinen Wunsch gesagt,
- Doch sage mir, warum du dich nicht hütest
- Herabzugehn zum Mittelpunkt vom Licht,
- Wohin du schon zurückzukehren glühtest.
- Willst du es denn so tief ergründen, spricht
- Die Hohe darauf, so will ichs kürzlich sagen.
- Ich fürchte mich vor diesem Dunkel nicht.
- Vor solchem Übel ziemt sich wohl zu zagen,
- Das mächtig ist und leicht uns Schaden tut,
- Vor solchem nicht, bei welchem nichts zu wagen.
- Gott schuf mich so, daß ich in seiner Hut
- Frei von den Nöten bin, die euch durchschauern,
- Und nicht ergreift mich dieses Brandes Glut.
- Ein edles Weib im Himmel sieht mit Trauern
- Das Hindernis, zu dem ich dich gesandt,
- Drum kann der harte Spruch nicht länger dauern.
- Sie flehte, zu Lucien hingewandt:
- Dein Treuer braucht dich jetzt im harten Streite,
- Darum empfehl ich ihn in deine Hand.
- Lucia, die sich ganz dem Mitleid weihte,
- Bewegte sich zum Orte, wo ich war,
- In Ruhe sitzend an der Rahel Seite.
- Sie sprach: Beatrix, Gottes Preis fürwahr!
- Hilfst du ihm nicht, ihm, der aus großer Liebe
- Für dich entrann aus der gemeinen Schar,
- Als ob dein Ohr taub seinen Klagen bliebe,
- Als sähest du ihn nicht im Wirbel dort,
- Bedroht, mehr als ob Meeressturm ihn triebe?
- Nicht eilt so schnell auf Erden einer fort,
- Den Gier nach Glück und Furcht vor Leid betören,
- Wie ich herabgeeilt bei solchem Wort,
- Von meinem Sitz in jenen selgen Chören,
- Vertraund auf deiner würdgen Rede Macht,
- Die Ruhm dir bringt und allen, die sie hören--
- Als nun Beatrix solches vorgebracht,
- Da wandte sie die Augenstern in Zähren,
- Und dies hat mich nur schneller hergebracht.
- So komm ich denn daher auf ihr Begehren,
- Das Untier von dir scheuchend, dems gelang,
- Den kurzen Weg des schönen Bergs zu wehren.
- Was also ist dir? Warum weilst du bang?
- Was herbergst du die Feigheit im Gemüte?
- Was weicht dein Mut, dein kühner Tatendrang,
- Da sich drei heilge Himmelsfraun voll Güte
- Für dich bemühn und dir mein Mund verspricht,
- Daß ihre treue Sorge dich behüte?"
- Gleichwie die Blum im ersten Sonnenlicht,
- Beim nächtgen Reif gesunken und verschlossen,
- Den Stiel erhebt und ihren Kelch entflicht;
- So hob die Kraft, erst schmachtend und verdrossen,
- In meinem Herzen sich zu gutem Mut,
- Und ich begann, frohsinnig und entschlossen:
- "O wie ist sie, die für mich sorgte, gut!
- Wie freundlich bist auch du, der den Befehlen
- Der Herrlichen so schnell Genüge tut l
- Schon fühl ich mich zu heißer Sehnsucht stählen
- Von deinem Wort, schon fühl ich, nicht mehr bang,
- Vom ersten Vorsatz wieder mich beseelen.
- Drum auf, in beiden ist ein gleicher Drang,
- Herr, Führer, Meister, auf zum großen Wege!"
- Ich sprachs zu ihm, und, folgend seinem Gang,
- Schritt ich daher auf waldig rauhem Stege.
- Dritter Gesang
- Durch mich gehts ein zur Stadt der Qualerkornen,
- Durch mich gehts ein zum ewgen Weheschlund,
- Durch mich gehts ein zum Volke der Verlornen.
- Das Recht war meines hohen Schöpfers Grund;
- Die Allmacht wollt in mir sich offenbaren;
- Allweisheit ward und erste Liebe kund.
- Die schon vor mir erschaffnen Dinge waren
- Nur ewige; und ewig daur auch ich.
- Laßt, die ihr eingeht jede Hoffnung fahren.
- Die Inschrift zeigt in dunkler Farbe sich
- Geschrieben dort am Gipfel einer Pforte,
- Drum ich: Hart, Meister, ist ihr Sinn für mich.
- Er, als Erfahrner, sprach dann diese Worte:
- "Hier sei jedweder Argwohn weggebannt,
- Und jede Feigheit sterb an diesem Orte.
- Wir sind zur Stelle, die ich dir genannt,
- Hier wirst du jene Jammervollen schauen,
- Für die das Heil des wahren Lichtes schwand."
- Er faßte meine Hand, daher Vertrauen
- Durch sein Gesicht voll Mut auch ich gewann.
- Drauf führt er mich in das geheime Grauen.
- Dort hob Geächz, Geschrei und Klagen an,
- Laut durch die sternenlose Luft ertönend,
- So daß ich selber weinte, das begann.
- Verschiedne Sprachen, Worte, gräßlich dröhnend,
- Handschläge, Klänge heiseren Geschreis,
- Die Wut, aufkreischend, und der Schmerz, erstöhnend--
- Dies alles wogte tosend stets, als seis
- Im Wirbel Sand, durch Lüfte, die zu schwärzen
- Es keiner Nacht bedarf, im ewgen Kreis.
- Und, ich vom Wahn umstrickt und bang im Herzen,
- Sprach: Meister, welch Geschrei, das sich erhebt?
- Wer ist doch hier so ganz besiegt von Schmerzen?
- Und er: "Der Klang, der durch die Lüfte bebt,
- Kommt von den Jammerseelen jener Wesen,
- Die ohne Schimpf und ohne Lob gelebt.
- Gemischt find die Nicht-Guten und Nicht-Bösen
- Den Engeln, die nicht Gott getreu im Strauß,
- Auch Meutrer nicht und nur für sich gewesen.
- Die Himmel trieben sie als Mißzier aus,
- Und da durch sie der Sünder Stolz erstünde,
- Nimmt sie nicht ein der tiefen Hölle Graus."
- Ich drauf: Was füllt ihr Wehlaut diese Gründe?
- Was ist das Leiden, das so hart sie drückt?
- Und er: "Vernimm, was ich dir kurz verkünde.
- Des Todes Hoffnung ist dem Volk entrückt.
- Im blinden Leben, trüb und immer trüber,
- Scheint ihrem Neid jed andres Los beglückt.
- Sie kamen lautlos aus der Welt herüber,
- Von Recht und Gnade werden sie verschmäht.
- Doch still von ihnen--Schau und geh vorüber."
- Ich schaute hin und sah im Kreis geweht,
- Ein Fähnlein ziehn, so eilig umgeschwungen,
- Daß sichs zum Ruhn, so schien mirs, nie versteht.
- In langer Reihe folgten ihm, gezwungen,
- So viele Leute, daß ich kaum geglaubt,
- Daß je der Tod so vieles Volk verschlungen.
- Und hier erblickt ich manch bekanntes Haupt,
- Auch jenes Schatten, der aus Angst und Zagen
- Sich den Verzicht, den großen, feig erlaubt.
- Ich war sogleich gewiß, auch hört ich sagen,
- Dies sei der Schlechten jämmerliche Schar,
- Die Gott und seinen Feinden mißbehagen.
- Dies Jammervolk, das niemals lebend war,
- War nackend und von Flieg und Wesp umflogen,
- Und ward gestachelt viel und immerdar.
- Tränen und Blut aus ihren Wunden zogen
- In Streifen durch das Antlitz bis zum Grund,
- Wo ekle Würmer draus sich Nahrung sogen.
- Drauf, als ich weiter blickt im düstern Schlund,
- Erblickt ich Leut an einem Stromgestade
- Und sprach: "Jetzt tu, ich bitte, Herr, mir kund,
- Von welcher Art sind die, die so gerade,
- Wie ich beim düstern Dämmerlicht ersehn,
- So eilig weiterziehn auf ihrem Pfade?"
- Und er darauf: "Dir wird genug geschehn
- Am Acheron--dort wird sich alles zeigen,
- Wenn wir am traurgen Ufer stillestehn."
- Da zwang mich Scham, die Augen tief zu neigen,
- Aus Furcht, daß ihm mein Fragen lästig sei,
- Und ich gebot mir bis zum Strome Schweigen.
- Und sieh, es kam ein Mann zu Schiff herbei,
- Ein Greis, bedeckt mit schneeig weißen Haaren.
- "Weh euch, Verworfne!" tönte sein Geschrei.
- "Nicht hofft, den Himmel jemals zu gewahren.
- Ich komm, euch jenseits hin an das Gestad
- In ewge Nacht, in Hitz und Frost zu fahren.
- Und du, lebendge Seele, die genaht,
- Mußt dich von diesen, die gestorben, trennen!"--
- Dann, da er sah, daß ich nicht rückwärts trat:
- "Hier kann ich dir den Übergang nicht gönnen,
- Für dich geziemen andre Wege sich,
- Ein leichtrer Kahn nur wird dich tragen können."
- Virgil drauf: "Charon, nicht erbose dich.
- Dort, wo der Wille Macht ist, wards verhangen;
- Dies sei genug, nicht weiter frage mich."
- Hierauf ließ ruhen die bewollten Wangen
- Des fahlen Sumpfs erzürnter Steuermann,
- Des Augen Flammenräder rings umschlangen.
- Da hob graunvolles Zähneklappen an,
- Und es entfärbten sich die Tiefgebeugten,
- Seit Charon jenen grausen Spruch begann.
- Sie fluchten Gott und denen, die sie zeugten,
- Dem menschlichen Geschlecht, dem Vaterland,
- Dem ersten Licht, den Brüsten, die sie säugten.
- Dann drängten sie zusammen sich am Strand,
- Dem Schrecklichen, zu welchem alle kommen,
- Die Gott nicht scheun, und laut Geheul entstand.
- Charon, mit Augen, die wie Kohlen glommen,
- Winkt ihnen und schlug mit dem Ruder los,
- Wenn einer sich zum Warten Zeit genommen.
- Gleich wie im Herbste bei des Nordwinds Stoß
- Ein Blatt zum ändern fällt, bis daß sie alle
- Der Baum erstattet hat dem Erdenschoß;
- So stürzen, hergewinkt, in jähem Falle
- Sich Adams schlechte Sprossen in den Kahn,
- Wie angelockte Vögel in die Falle.
- Durch schwarze Fluten geht des Nachens Bahn,
- Und eh sie noch das Ufer dort erreichen,
- Drängt hier schon eine neue Schar heran.
- "Mein Sohn," sprach mild der Meister, "die erbleichen
- In Gottes Zorne, werden alle hier
- Am Strand vereint aus allen Erdenreichen.
- Man scheint zur Überfahrt sehr eilig dir,
- Doch die Gerechtigkeit treibt diese Leute
- Und wandelt ihre bange Furcht in Gier.
- Kein guter Geist macht diese Fahrt; und dräute
- Dir Charon, weil du hier dich eingestellt,
- So kannst du wissen, was sein Wort bedeute"--
- Hier wankte so mit Macht das dunkle Feld,
- Daß mich noch jetzt Schweißtropfen übertauen,
- Sooft dies Schreckensbild mich überfällt.
- Ein Windstoß fuhr aus den betränten Auen,
- Und blitzt ein rotes Licht, das jeden Sinn
- Bewältigte mit ungeheurem Grauen,
- Und, wie vom Schlaf befallen, stürzt ich hin--
- Vierter Gesang
- Mir brach den Schlaf im Haupt ein Donnerkrachen,
- So schwer, daß ich zusammenfuhr dabei,
- Wie einer, den Gewalt zwingt, zu erwachen.
- Ich warf umher das Auge wach und frei,
- Emporgerichtet spähend, daß ich sähe
- Und unterschied, an welchem Ort ich sei.
- So fand ich mich am Talrand, in der Nähe
- Des qualenvollen Abgrunds, dessen Kluft
- Zum Donnerhall vereint unendlich Wehe.
- Tief war er, dunkel, nebelhaft die Luft,
- Drum wollte nichts sich klar dem Blicke zeigen,
- Den ich geheftet an den Grund der Gruft.
- "Laß uns zur blinden Welt hinunter steigen,
- Ich bin der Erste, du der Zweite dann."
- So sprach Virgil, um drauf erblaßt zu schweigen.
- Ich, sehend, wie die Bläss ihn überrann,
- Sprach: Scheust du selber dich, wie kann ichs wagen
- Der Trost im Zweifel nur durch dich gewann?
- Und er zu mir: "Des tiefen Abgrunds Plagen
- Entfärben mir durch Mitleid das Gesicht,
- Und nicht, so wie du meinst, durch feiges Zagen.
- Fort, zaudern läßt des Weges Läng uns nicht."
- So ging er fort und rief zum ersten Kreise
- Mich auch hinein, der jene Kluft umflicht.
- Mir schien, nach meinem Ohr, des Klanges Weise,
- Der durch die Luft hier bebt im ewgen Tal,
- Nicht Klaggeschrei, nur Seufzer dumpf und leise.
- Und dieses kam vom Leiden ohne Qual
- Der Kinder, Männer und der Fraun, in Scharen,
- Die viele waren und von großer Zahl-
- Da sprach der Meister: "Willst du nicht erfahren,
- Zu welchen Geistern du gekommen bist?
- Bevor wir fortgehn, will ich offenbaren,
- Daß sie nicht sündigten; doch gnügend mißt
- Nicht ihr Verdienst, da sie der Tauf entbehrten,
- Die Pfort und Eingang deines Glaubens ist.
- Und lebten sie vor Christo auch, so ehrten
- Sie doch den Höchsten nicht, wie sichs gebührt;
- Und diese Geister nenn ich selbst Gefährten.
- Nur dies, nichts andres hat uns hergeführt.
- Daß wir in Sehnsucht ohne Hoffnung leben,
- Ward uns Verlornen nur als Straf erkürt."
- Groß war mein Schmerz, als er dies kundgegeben,
- Denn Leute großen Wertes zeigten sich,
- Die unentschieden hier im Vorhof schweben.
- Und ich begann: Mein Herr und Meister, sprich
- (Ich wollte mich in jenem Glauben stärken,
- Vor dessen Licht des Irrtums Nacht entwich),
- Kam keiner je durch Kraft von eignen Werken,
- Durch fremd Verdienst von hier zur Seligkeit?--
- Er schien des Worts versteckten Sinn zu merken
- Und sprach: "Ich war noch neu in diesem Leid,
- Da ist ein Mächtiger hereingedrungen.
- Bekrönt mit Siegesglanz und Herrlichkeit.
- Der hat des Urahns Geist der Höll" entrungen,
- Auch Abels, Noahs; und auch Moses hat,
- Der Gott gehorcht, mit ihm sich aufgeschwungen.
- Abram und David folgten seinem Pfad,
- Jakob, sein Vater, seine Söhne schieden,
- Und Rahel auch, für die so viel er tat.
- Sie und viel andre führt er ein zum Frieden,
- Und wissen sollst du nun: Vor diesen war
- Erlösung keinem Menschengeist beschieden."
- Obwohl er sprach, gings vorwärts immerdar,
- So daß wir unterdes den Wald durchdrangen,
- Den Wald, mein ich, der dichten Geisterschar.
- Nicht weit von oben waren wir gegangen,
- Als ich ein Feur in lichten Flammen sah,
- Die rings im halben Kreis die Nacht bezwangen.
- Zwar waren wir dem Ort nicht völlig nah,
- Doch einen Kreis von ehrenhaften Leuten,
- Die diesen Platz besetzt, erkannt ich da.
- "Du, des sich Wissenschaft und Kunst erfreuten,
- Beliebe, wer sie sind, und was sie ehrt
- Und von den andern trennt, mir auszudeuten."
- Ich sprachs, und er: "Für hochgepriesnen Wert,
- Der oben widerklingt in deinem Leben,
- Ward ihnen hier vom Himmel Huld gewährt."
- Da hört ich eine Stimme sich erheben:
- Der hohe Dichter, auf jetzt zum Empfang!
- Sein Schatten kehrt, der jüngst sich fortbegeben.
- Sobald die Stimme, die dies sprach, verklang,
- Sah ich heran vier große Geister schreiten,
- Im Angesicht nicht fröhlich und nicht bang.
- Da sprach der gute Meister mir zur Seiten:
- "Sieh diesen, in der Hand das Schwert, voran
- Den andern gehn, um sie als Fürst zu leiten.
- Du siehst Homer, den Dichterkönig, nahn;
- Ihm folgt Horaz, berühmt durch Spott dort oben
- Ovid der Dritt, als letzter kommt Lukan.
- Im Namen, den die eine Stimm erhoben,
- Kommt mit mir selber jeder überein,
- Drum ehren sie mich, und dies ist zu loben."
- So war die schöne Schul hier im Verein
- Des hohen Herrn der höchsten Sangesweise,
- Der ob den andern fliegt, ein Aar, allein.
- Ein Weilchen sprachen sie im trauten Greise,
- Doch als sie grüßend sich zu mir gekehrt,
- Da lächelte Virgtl zu solchem Preise.
- Allein noch höher ward ich dort geehrt,
- Indem sie mich in ihrer Schar empfingen
- Als Sechsten unter solchem Geist und Wert,
- Wobei wir hin bis zu dem Lichte gingen,
- Sprechend, wovon ich schicklich schweigen muß,
- Wie man dort schicklich sprach von solchen Dingen.
- Bald kamen wir an eines Schlosses Fuß,
- Von siebenfacher hoher Maur umfangen,
- Und rings beschützt von einem schönen Fluß.
- Als wir mit trocknem Fuße durchgegangen,
- Gings weiter dann durch sieben Tore fort,
- Und eine Wiese sah ich grünend prangen.
- Wir fanden Leute strengen Blickes dort,
- Mit großer Würd in Ansehn, Gang und Mienen
- Und wenig sprechend, doch mit sanftem Wort.
- Und wir ersahn dort seitwärts nah bei ihnen
- Frei eine Höh hellem Lichte glühn,
- Vor welcher alle klar vor uns erschienen.
- Dort gegenüber auf dem samtnen Grün
- Sah ich die Großen, ewig Denkenswerten,
- Die heut mir noch in solzer Seele blühn.
- Elektren sah ich dort mit viel Gefährten,
- Äneas, Hektorn hatt ich bald erkannt,
- Cäsarn, den mit dem Adlerblick bewehrten.
- Penthesilea war auf grünem Land;
- Zur andern Seite sah ich auch Latinen,
- Der bei Lavinien, seiner Tochter, stand.
- Ich sah den Brutus, der verjagt Tarquinen,
- Lucrezien, Julien, Marzien, und, allein
- Beiseite sitzend, sah ich Saladinen.
- Dann, höher blickend, sah im hellen Schein
- Ich auch den Meister derer, welche wissen,
- Der von den Seinen schien umringt zu sein,
- Sie all ihn hochzuehren sehr beflissen;
- Den Plato ihm zunächst und Sokrates,
- Die dort den Sitz vor andern an sich rissen.
- Den Anaxagoras, Diogenes,
- Den Demokrit, des Welt der Zufall machte,
- Den Zeno, Heraklit, Empedokles.
- Ihn, der ans Licht der Pflanzen Kräfte brachte,
- Den Dioskorides, den Orpheus dann,
- Den Seneka, der Schmerz und Luft verlachte.
- Auch Ptolemäus kam, Euklid heran,
- So auch Averroes, der, seinen Weisen
- Erklärend, selbst der Weisheit Ruhm gewann.
- Doch nicht vermag ich jeden hier zu greifen,
- Denn also drängt des Stoffes Größe mich,
- Daß ihren Dienst mir kaum die Wort erweisen.
- Hier teilten nun die sechs Gefährten sich.
- Mich führt auf anderm Weg mein weiser Leiter
- Dahin, wo Stille lautem Tosen wich,
- Und dorthin, wo nichts leuchtet, schritt ich weiter.
- Fünfter Gesang
- So gings hinab vom ersten Kreis zum zweiten,
- Der kleinern Raum, doch größres Weh umringt,
- Das antreibt, Klag und Winseln zu verbreiten.
- Graus steht dort Minos, fletscht die Zähn und bringt
- Die Schuld ans Licht, wie tief sie sich verfehle,
- Urteilt, schickt fort, je wie er sich umschlingt.
- Ich sage, wenn die schlechtgeborne Seele
- Ihm vorkommt, beichtet sie der Sünden Last;
- Und jener Kenner aller Menschenfehle,
- Sieht, welcher Ort des Abgrunds für die paßt,
- Und schickt sie soviel Grad hinab zur Hölle,
- Als oft er sich mit seinem Schweif umfaßt.
- Von vielem Volk ist stets besetzt die Schwelle,
- Und nach und nach kommt jeder zum Gericht,
- Spricht, hört und eilt zu der bestimmten Stelle.
- "Du, der in diese Qualbehausung bricht,"
- So rief mir Minos, als er mich ersehen,
- Und ließ indes die Übung großer Pflicht;
- "Schau, wem du traust! Leicht ists hineinzugehen,
- Doch täusche nicht dich ein verwegner Drang."
- Mein Führer drauf: "Laß dir den Groll vergehen!
- Nicht hindre den von Gott gebotnen Gang,
- Dort will mans, wo das Können gleicht dem Wollen.
- Nicht mehr gefragt, denn unser Weg ist lang."
- Bald hört ich nun, wie Jammertön erschollen,
- Denn ich gelangte nieder zu dem Haus,
- Zur Klag und dem Geheul der Unglückvollen.
- Jedwedes Licht verstummt im dunkeln Graus,
- Das brüllte, wie wenn sich der Sturm erhoben,
- Beim Kampf der Winde lautes Meergebraus.
- Nie ruht der Höllenwirbelwind vom Toben
- Und reißt zu ihrer Qual die Geister fort
- Und dreht sie um nach unten und nach oben.
- Ihr Jammerschrei, Geheul und Klagewort,
- Nahn sie den trümmervollen Felsenklüften,
- Verlästern fluchend Gottes Tugend dort.
- Daß Fleischessünder dies erdulden müßten,
- Vernahm ich, die, verlockt vom Sinnentrug,
- Einst unterwarfen die Vernunft den Lüsten.
- So wie zur Winterszeit mit irrem Flug
- Ein dichtgedrängter breiter Troß von Staren,
- So sah ich hier im Sturm der Sünder Zug
- Hierhin und dort, hinauf, hinunterfahren,
- Gestärkt von keiner Hoffnung, mindres Leid,
- Geschweige jemals Ruhe zu erfahren.
- Wie Kraniche, zum Streifen lang gereiht
- In hoher Luft die Klagelieder krächzen,
- So sah ich von des Sturms Gewaltsamkeit
- Die Schatten hergeweht mit bangem Ächzen.
- "Wer sind die, Meister, welche her und hin
- Der Sturmwind treibt, und die nach Ruhe lechzen?"
- So ich--und er: "Des Zuges Führerin,
- Von welchem du gewünscht, Bericht zu hören,
- War vieler Zungen große Kaiserin.
- Sie ließ von Wollust also sich betören,
- Daß sie für das Gelüst Gesetz erfand.
- Um nur der tiefen Schmach sich zu erwehren.
- Sie ist Semiramis, wie allbekannt,
- Nachfolgerin des Ninus, ihres Gatten,
- Einst herrschend in des Sultans Stadt und Land.
- Dann Sie, die, ungetreu Sichäus Schatten,
- Aus Liebe selber sich geweiht dem Tod"
- Sieh dann Kleopatra im Flug ermatten."
- Auch Helena, die Ursach großer Not,
- Im Sturme sah ich den Achill sich heben,
- Der allem Trotz, nur nicht der Liebe, bot.
- Den Paris sah ich dort, den Tristan schweben,
- Und tausend andre zeigt und nannt er dann,
- Die Liebe fortgejagt aus unserm Leben.
- Lang hört ich den Bericht des Lehrers an,
- Von diesen Rittern und den Fraun der Alten,
- Voll Mitleid und voll Angst, bis ich begann:
- Mit diesen Zwein, die sich zusammenhalten,
- Die, wie es scheint, so leicht im Sturme sind,
- Möcht ich, o Dichter, gern mich unterhalten.
- Und er darauf: "Gib Achtung, wenn der Wind
- Sie näher führt, dann bei der Liebe flehe,
- Die beide führt, da kommen sie geschwind."
- Kaum waren sie geweht in unsre Nähe,
- Als ich begann: Gequälte Geister, weilt,
- Wenns niemand wehrt, und sagt uns euer Wehe.
- Gleich wie ein Taubenpaar die Lüfte teilt,
- Wenns mit weitausgespreizten steten Schwingen
- Zum süßen Nest herab voll Sehnsucht eilt;
- So sah ich sie dem Schwarme sich entringen,
- Bewegt vom Ruf der heißen Ungeduld,
- Und durch den Sturm sich zu uns niederschwingen.
- "Du, der du uns besuchst voll Gut und Huld
- In purpurschwarzer Nacht, uns, die die Erde
- Vordem mit Blut getüncht durch unsre Schuld,
- Gern bäten wir, daß Fried und Ruh dir werde,
- War uns der Fürst des Weltenalls geneigt,
- Denn dich erbarmt der seltsamen Beschwerde.
- Wie ihr zu Red und Hören Lust bezeigt,
- So reden wir, so leihn wir euch die Ohren,
- Wenn nur, wie eben jetzt, der Sturmwind schweigt.
- Ich ward am Meerstrand in der Stadt geboren,
- Wo Seinen Lauf der Po zur Ruhe lenkt,
- Bald mit dem Flußgefolg im Meer verloren.
- Die Liebe, die in edles Herz sich senkt,
- Fing diesen durch den Leib, den Liebreiz schmückte,
- Der mir geraubt ward, wies noch jetzt mich kränkt.
- Die Liebe, die Geliebte stets berückte,
- Ergriff für diesen mich mit solchem Brand,
- Daß, wie du stehst, kein Leid ihn unterdrückte.
- Die Liebe hat uns in ein Grab gesandt--
- Kaina harret des, der uns erschlagen."
- Der Schatten sprachs, uns kläglich zugewandt.
- Vernehmend der bedrängten Seelen Klagen,
- Neigt ich mein Angesicht und stand gebückt.
- Was denkst du? hört ich drauf den Dichter fragen.
- Weh, sprach ich, welche Glut, die sie durchzückt,
- Welch süßes Sinnen, liebliches Begehren
- Hat sie in dieses Qualenland entrückt?
- Drauf säumt ich nicht, zu jener mich zu kehren.
- "Franziska," So begann ich nun, "dein Leid
- Drängt mir ins Auge fromme Mitleidszähren.
- Doch sage mir: In süßer Seufzer Zeit,
- Wodurch und wie verriet die Lieb euch beiden
- Den zweifelhaften Wunsch der Zärtlichkeit."
- Und sie zu mir: Wer fühlt wohl größres Leiden
- Als der, dem schöner Zeiten Bild erscheint
- Im Mißgeschick? Dein Lehrer mags entscheiden.
- Doch da dein Wunsch so warm und eifrig scheint,
- Zu wissen, was hervor die Liebe brachte,
- So will ich tun, wie wer da spricht und weint.
- Wir lasen einst, weils beiden Kurzweil machte,
- Von Lanzelot, wie ihn die Lieb umschlang.
- Wir waren einsam, ferne von Verdachte.
- Das Buch regt in uns auf des Herzens Drang,
- Trieb unsre Blick und macht uns oft erblassen,
- Doch eine Stelle wars, die uns bezwang,
- Als das ersehnte Lächeln küssen lassen,
- Der, so dies schrieb, vom Buhlen schön und hehr.
- Da naht er, der mich nimmer wird verlassen,
- da küßte zitternd meinen Mund auch er--
- Galeotto war das Buch, und ders verfaßte--
- An jenem Tage lasen wir nicht mehr.
- Der eine Schatten sprachs, der andre faßte
- Sich kaum vor Weinen, und mir schwand der Sinn
- Vor Mitleid, daß ich wie im Tod erblaßte,
- Und wie ein Leichnam hinfällt, fiel ich hin.
- Sechster Gesang
- Bei Rückkehr der Erinnrung, die sich schloß
- Vor Mitleid um die zwei, das so mich quälte,
- Daß das Bewußtsein mir vor Schmerz zerfloß,
- Erblickt ich neue Qualen und Gequälte
- Rings um mich her, ob den, ob jenen Pfad
- Zum Gehn und Schaun sich Fuß und Auge wählte.
- Es war der dritte Kreis, den ich betrat,
- Von ewgem, kaltem, maledeitem Regen
- Von gleicher Art und Regel früh und spat.
- Schnee, dichter Hagel, dunkle Fluten pflegen
- Die Nacht dort zu durchziehn in wildem Guß;
- Stank qualmt die Erde, dies empfängt, entgegen.
- Ein Untier, wild und seltsam, Zerberus,
- Bellt, wie ein böser Hund, aus dreien Kehlen
- Jedweden an, der dort hinunter muß.
- Schwarz, feucht der Bart, die Augen rote Höhlen
- Mit weitem Bauch, die Hände scharf beklaut,
- Vierteilt, zerkratzt und schindet er die Seelen.
- Sie heulen, wie die Hund, im Regen laut,
- Und sie verschaffen sich durch öftres Drehen
- Auf einer Seite mindstens trockne Haut.
- Der große Höllenwurm, der uns ersehen,
- Riß auf die Rachen, zeigt uns ihr Gebiß
- Und ließ kein Glied am Leibe stillestehen.
- Virgil streckt aus die offnen Händ und riß
- Erd aus dem Grund, die in die giergen Rachen
- Er alsogleich mit vollen Fäusten schmiß.
- Wies pflegt ein keifig böser Hund zu machen,
- Des Bellen schweigt, wenn er den Fraß erbeißt,
- Der wilden Grimm vermocht, ihm anzufachen;
- So jetzt mit schmutzgen Schlünden jener Geist,
- Der so durchdröhnt die armen Leidensmatten,
- Daß jeder hochbeglückt die Taubheit preist.
- Wir gingen über die gequälten Schatten,
- Indem wir auf ihr Nichts, das Körper schien,
- Im tiefen Schlamm gestellt die Sohlen hatten.
- Sie lagen allesamt am Boden hin,
- Nur einen sahn wir sich zum Sitzen heben,
- Wie er uns dort erblickt im Weiterziehn.
- Er sprach: "Der du zur Hölle dich begeben,
- Erkenne mich, dafern dirs möglich ist;
- Du Iebtest, eh ich aufgehört zu leben."
- Und ich zu ihm: "Die Angst, in der du bist,
- Zieht dich vielleicht aus meinem Angedenken;
- Mir scheint, ich sähe dich zu keiner Frist.
- Wer bist du? Sprich, was konnte dich versenken
- In eine Qual, die, gibts auch größre Pein,
- Nicht widriger kann sein, noch ärger kränken."
- "In eurer Stadt," so sprach er, "die allein
- Der Neid erfüllt, und bis zum Überfließen,
- Genoß ich einst des Tages heitern Schein.
- Ich bins, den Ciacco eure Bürger hießen,
- Zur Qual für schnöde Schuld des Gaumens muß,
- Du siehsts, auf mich sich ewger Regen gießen.
- Und mich allein nicht züchtigt dieser Guß,
- Nein, alle diese leiden gleiche Plagen
- Für gleiche Schuld."--So seiner Rede Schluß.
- Und ich: "Mich haben, Ciacco, deine Klagen
- Zum Mitleid und zu Tränen fast gerührt.
- Allein, wenn du es weißt, so magst du sagen,
- Wohin noch unsrer Stadt Parteiung führt?
- Ob wer gerecht ist? Was in diesen Zeiten
- In ihr die Glut der wilden Zwietracht schürt?"
- Und er darauf zu mir: "Nach langem Streiten
- Kommts dort zu Blut, dann treibt die Waldpartei
- Die andre fort mit vielen Grausamkeiten.
- Doch in drei Sonnen ists mit ihr vorbei,
- Neu günstig sind der andern die Gestirne,
- Durch eines Mannes Macht und Heuchelei.
- Hoch hebt sie dann auf lange Zeit die Stirne
- Und hält den Feind mit großer Last beschwert,
- Wie er auch sich beklag und sich erzürne.
- Zwei find gerecht dort, aber nicht gehört.
- Neid, Geiz und Hochmut--diese drei sind Gluten,
- In welchen sich der Bürger Herz verzehrt."
- Als hier des Schattens Jammertöne ruhten,
- Sprach ich zu ihm: "Noch weiteren Bericht
- Erlaube mir, dir bittend anzumuten.
- Tegghiajo, Farinata, treu der Pflicht,
- Arrigo, Rusticucci, Mosca--sage!--
- Und andre, nur auf Gutestun erpicht,
- Wo find sie? Welches ist ihr Los? Ich trage
- Verlangen, hier ihr Schicksal zu erspähn,
- Obs Himmelswonne sei, ob Höllenplage?"
- Und er: "Sie stürzte mancherlei Vergehn
- Zu schwärzern Seelen nach den tiefern Gründen.
- Steigst du so tief, so wirst du alle sehn--
- Kehrst du zur süßen Welt aus diesen Schlünden,
- Bring ins Gedächtnis dann der Menschen mich.
- Mehr sag ich nicht, mehr darf ich nicht verkünden."
- Scheel ward sein grades Aug und wandte sich
- Nach mir; dann sank er mit dem Haupte nieder,
- So daß er ganz den andern Blinden glich.
- Drauf sprach mein Führer: "Nie erwacht er wieder,
- Bis er vor englischer Posaun ergraust,
- Und der Gewalt, dem Sündenvolk zuwider.
- Zum Grab kehrt jeder, wo sein Körper haust,
- Empfängt sein Fleisch zurück und die Gestaltung
- Und hört, was ewig widerhallend braust."
- Wir gingen langsam fort in schwerer Haltung,
- Durchs Kotgemisch von Schatten und von Flut.
- Vom künftgen Leben war die Unterhaltung.
- Drum ich: "Mein Meister, wird der Qualen Wut
- Sich nach dem großen Urteilsspruch vermehren?
- Vermindert sich, bleibt sich nur gleich die Glut?"
- Und er: "Gedenk an deines Weisen Lehren:
- So sehr ein Ding vollkommen ist, so sehr
- Wird sichs im Glücke freun, im Schmerz verzehren
- Und kann gleich der Verdammten zahllos Heer
- Vollkommenheit, die wahre, nie erringen,
- So harrt es doch in jener Zeit auf mehr."
- Wir fuhren fort, im Kreise vorzudringen,
- Mehr sprechend, als zu sagen gut erscheint,
- Bis hin zum Platz, wo Stufen niedergingen,
- Und fanden Plutus dort, den großen Feind.
- Siebenter Gesang
- Aleph, Pape Satan, Pape Satan!
- Erhob, rauh kluchzend, Plutus seine Stimme.
- Und er, der alles wohl verstand, begann:
- "Getrost, nicht fürchte dich vor seinem Grimme,
- Durch alle seine Macht wirds nicht verwehrt,
- Daß ich mit dir den Felsen niederklimme."
- Und dann, zu dem geschwollnen Mund gekehrt,
- Rief er: "Wolf, schweige, du Vermaledeiter!
- Von deiner Wut sei in dir selbst verzehrt!
- Wir gehn nicht ohne Grund zur Tiefe weiter,
- Dort will mans, dort, wo einst den Stolz mit Schmach
- Gezüchtigt Michael, der Himmelsstreiter."
- Gleichwie die Segel, wenn der Mast zerbrach,
- Erst aufgebläht zum Knäuel niederrollen,
- So fiel das Untier, das so drohend sprach.
- So gings zum vierten Kreis im schmerzenvollen
- Unselgen Schacht, der alle Schuld umfängt,
- Von welcher je im Weltall Kund erschollen.
- Gerechtigkeit des Herrn, dein Walten drängt
- So neue Mühn zusammen, solche Plagen!
- O blinde Schuld, die hier den Lohn empfängt!
- Wie der Charybdis Wogen sich zerschlagen,
- Zum Gegenstoß gewälzt von Süd und Nord,
- So muß sich hier das Volk im Wirbel jagen.
- Noch nirgend war die Schar so groß wie dort.
- Laut heulend kamen sie von beiden Enden
- Und wälzten Lasten mit den Brüsten fort.
- Und stießen sich, um sich beim Prall zu wenden,
- Und dann zurück im Bogenlauf zu ziehn,
- Und schrien sich zu: Was halten?--Was verschwenden?
- So durch den Kreis, in dem kein Lichtstrahl schien,
- Gings beiderseits dann nach der andern Seite,
- Indem sie beid ihr schändlich Schmähwort schrien.
- Dann wandte jeder sich zum neuen Streite,
- Sobald er seines Zirkels Hälft umkreist;
- Und ich, der ich den Armen Mitleid weihte,
- Sprach: "Meister, o wie zagt, wie bangt mein Geist
- Wer ist dies Volk? Die links hier scheinen Pfaffen!
- Ists jeder, der uns eine Glatze weist?
- Und er: "Dies sind die Blinden, Geistesschlaffen.
- Sie wußten in der Welt zum Geben nie
- Und nie zum Sparen sich ein Maß zu schaffen.
- Und dies erhellt aus dem, was jeder schrie,
- Wenn sie im Kreis gelangt zu zweien Orten;
- Da trennt der Gegensatz des Lasters sie.
- Die mit den Glatzen waren Pfaffen dorten;
- Auch öffneten wohl Papst und Kardinal
- Dem Geiz als Zwingherrn ihres Herzens Pforten."
- Drauf sprach ich: "Meister, kenn in dieser Zahl
- Ich keinen, der im Schmutz so eitlen Strebens
- Sich hier erworben hat die ewge Qual?"
- Und er zu mir: "Dein Suchen ist vergebens,
- Unkenntlich macht sie ihr verdientes Los
- Durch Kot und Schmutz bewußtlos dunkeln Lebens.
- So kommen stets zum Stoß und Gegenstoß,
- Bis sie erstehn--die mit verschnittnen Haaren,
- Die mit geschlossner Faust--dem Grabesschoß.
- Versetzt hat sie schlecht Geben und schlecht Sparen
- Von jener heitern Welt in diesen Zwist;
- Nicht sag ich welchen, denn du kannsts gewahren.
- Sieh hier, mein Sohn, welch eitles Ding es ist
- Um jenes Gut Fortunens, das die Leute
- Zum Kampfe reizt und zu Gewalt und List.
- Gib diesen Müden alles Gold zur Beute,
- Das sie gehabt, ja alles Gold der Welt,
- Und keine Stunde Ruh gibts ihnen heute."
- Und ich: "Mein Meister, sprich, wenn dirs gefällt,
- Wer ist Fortuna doch, die, wie ich hörte,
- In ihren Klaun der Erde Güter hält?"
- Und er zu mir: "O Arme, Trugbetörte!
- Unwissende, zum Schlimmsten stets geneigt!
- O daß mein Spruch jetzt aller Wahn zerstörte!
- Er, dessen Weisheit alles übersteigt,
- Erschuf die Himmel und gab ihnen Leitung,
- Daß jedem Teil sich jeder leuchtend zeigt,
- Durch seines Lichts gleichmäßige Verbreitung.
- So gab er schaffend auch die Dienerin
- Dem Erdenglanz zur Führung und Begleitung.
- Von Volk zu Volk, von Blut zu Blute hin,
- Bringt sie das eitle Gut, das nirgends dauert,
- Und kümmert nicht sich um der Menschen Sinn.
- Dies Volk befiehlt, ein andres dient und trauert,
- Wie jene Führerin das Urteil spricht,
- Die, wie die Schlang im Gras, verborgen lauert.
- Nichts gegen sie hilft eurer Weisheit Licht,
- Sie sorgt, erkennt, vollzieht in ihrem Reiche,
- Und weicht darin den andern Göttern nicht.
- Nie haben Stillstand ihre Wechselstreiche;
- So macht sie, von Notwendigkeit gejagt,
- Aus Reichen Arme, dann aus Armen Reiche.
- Sie ists, die ihr ans Kreuz oft wütend schlagt,
- Von der ihr oft, wenn ihr, anstatt zu schmollen,
- Sie loben solltet, fälschlich Böses sagt.
- Doch sie, die Selge, hört nicht euer Grollen;
- In andrer erstgeschaffnen Seligkeit
- Und Wonne, läßt sie ihre Kugel rollen.--
- Doch eilig weiter jetzt zu größerm Leid!
- Die Stern, aufsteigend, als ich fortgeschritten,
- Gehn abwärts itzt, und unser Weg ist weit."
- Am andern Rand ward nun der Kreis durchschnitten,
- An einem Quell, der siedend dort entspringt,
- Des Wellen fort durch einen Graben glitten.
- Mehr trüb als schwarz ist seine Flut und bringt,
- Wenn man ihr folgt, hinab zu rauhen Wegen,
- Durch die man mit Beschwerde niederdringt.
- Dann qualmt ein Sumpf, mit Namen Styx, entgegen
- Dort, wo der traurge Fluß vom Laufe ruht,
- Am Fuß des greulichen Gestads gelegen.
- Dort stand ich nun und sah nach jener Flut,
- Und jäh im Sumpfe Leute, kotge, nackte,
- Zugleich des Jammers Bilder und der Wut.
- Man schlug sich nicht mit Fäusten nur, man hackte
- Mit Haupt und Brust und Füßen auf sich ein,
- Indem man wild sich mit den Zähnen packte.
- Mein Meister sprach: "Sohn, sieh in dieser Pein
- Die Seelen derer, so der Zorn bezwungen.
- Auch unterm Wasser müssen viele sein;
- Und wenn ein Seufzer ihnen sich entrungen.
- Dann steigen Blasen auf von ihrer Not,
- Drum sieh von Kreisen diese Flut durchschwungen.
- Und immer rufen sie, versenkt im Kot:
- Wir waren elend einst im Sonnenschimmer
- Und hegten Groll und Tücke bis zum Tod,
- Und elend sind wir nun im Schlamm noch immer.
- Dies Lied klingt gurgelnd vor aus ihrem Schlund,
- Stets schluckend, enden sie die Worte nimmer.
- So gingen, zwischen Pfuhl und festem Grund,
- Wir an dem schmutzgen Teich in weitem Bogen,
- Den Blick gewandt zum Volk mit Schlamm im Mund,
- Bis wir zu eines Turmes Fuß gezogen.
- Achter Gesang
- Lang eh wir noch, so fahr ich fort, zu sagen,
- Dem Fuß des hohen Turms uns konnten nahn,
- War unser Blick zur Zinn emporgeschlagen,
- Weil wir zwei Flämmchen dort entzünden sahn,
- Als Rücksignal ein andres, So entlegen,
- Daß es das Auge kaum noch könnt erfahn.
- Da kehrt ich meinem Weisen mich entgegen:
- "Was ist dies? Welch ein Zeichen wohl bezweckt
- Das dritte Feur? Wer sind sie, dies erregen?"
- Und er zu mir: "Sieh hin, dein Aug entdeckt.
- Was unsrer harrt, dort auf den schmutzgen Wogen,
- Wenn dirs der Qualm des Sumpfes nicht versteckt."
- Und rasch, wie ich den leichten Pfeil vom Bogen
- Je fortgeschnellt durch hohe Lüfte sah,
- Kam durch das Moor ein kleiner Kahn gezogen.
- Bald war er uns am grauen Strande nah,
- Obwohl von einem Rudrer nur gefahren,
- Der schrie: Verruchte Seele, bist du da?
- "Phlegias, Phlegias, du magst dein Schreien sparen,"
- So sprach mein Herr, "umsonst ists angestimmt;
- Wir sind nur dein, solang wir überfahren."
- Wie wer von einem großen Trug vernimmt,
- Den man ihm angetan zu Schmach und Schaden,
- So zeigte Phlegias wild sich und ergrimmt.
- Mein Führer stieg ins Schiff von den Gestaden,
- Und zu sich setzen hieß er mich sodann,
- Und als ich drin war, schien es erst beladen.
- Sobald wir beid uns eingesetzt, begann
- Des Nachens Fahrt und furchte tiefre Zeilen,
- Als er mit andrer Bürde furchen kann.
- Indessen wir die tote Moorflut teilen,
- Kommt einer, kotbedeckt, vor mich und spricht:
- "Wer heißt dich vor der Zeit herniedereilen?"
- "Ich komme," sprach ich, "aber bleibe nicht.
- Doch wer bist du, So widrig und abscheulich?"--
- "Ein Heulender, dies sagt dir dein Gesicht."--
- Und ich: "Denkst du, dein Heulen sei erfreulich?
- Vermaledeiter Geist, fort, weg von mir!
- Ich kenne dich, sei noch so wild und greulich!"
- Die Hände streckt er nun zum Kahn voll Gier,
- Und mit Gewalt mußt ihn mein Herr verjagen,
- Der sprach: "Mit andern Hunden, weg von hier!"
- Drauf hielt er seinen Arm um mich geschlagen
- Und küßte mich und sprach: "Erzürnter Geist,
- Beglückt die Mutter, welche dich getragen!
- Stolz war im Leben dieser--niemand preist
- Von ihm nur einen guten Zug auf Erden,
- Daher er hier sich noch in Wut zerreißt.
- Viel Fürsten gibts dort, die sich stolz gebärden,
- Die, Schmach nur hinterlassend, wie die Saun,
- Im Schlamme hier auf ewig wühlen werden."
- Und ich: "Begierig war ich wohl, zu schaun,
- Wie er in diesem Schlamme tauchen müßte,
- Eh wir verlassen diesen See voll Graun."
- Und er zu mir: "Bevor sich noch die Küste
- Dir sehen läßt, erfreut dich der Genuß.
- Befriedigung gebühret dem Gelüste."
- Bald sah ich, wie zu Qual ihm und Verdruß
- Die Kotigen mit ihm beschäftigt waren,
- Drob ich Gott loben noch und danken muß.
- Frisch, auf Philipp Argenti! schrien die Scharen;
- Dann sah ich, selbst sich beißend, auf sie los
- Den tollen Geist des Florentiners fahren.
- Und dies erzähl ich nur von seinem Los.
- Ich ließ ihn dort und hört ein Schmerzensbrüllen
- Und macht, um vorzuschaun, die Augen groß.
- "Bald wird sich, Sohn, dir jene Stadt enthüllen,"
- So sprach mein guter Meister, " Dis genannt,
- Die scharenweis unselge Bürger füllen."
- Und ich: "Mein Meister, deutlich schon erkannt
- Hab ich im Tale jener Stadt Moscheen,
- Glutrot, als ragten sie aus lichtem Brand."
- Drauf sprach mein Führer: "Ewge Flammen wehen
- In ihrem Innern, drum im roten Schein
- Sind sie in diesem Höllengrund zu sehen."
- Bald fuhren wir in tiefe Gräben ein,
- Den Zugang sperrend zu dem grausen Orte;
- Die Mauer schien von Eisen mir zu sein.
- Dann aber hörten wir des Steurers Worte,
- Nachdem vorher wir auf dem Pfuhle weit
- Umhergekreuzt: "Steigt aus, hier ist die Pforte."
- Wohl tausend standen auf dem Tor bereit,
- Vom Himmel hergestürzt. Es schrien die Frechen:
- "Wer wagts, noch lebend, voll Verwegenheit
- Ins tiefe Reich der Toten einzubrechen?"
- Mein Meister aber, ihnen winkend, lud
- Sie klüglich ein, ihn erst geheim zu sprechen.
- Da legte sich ein wenig ihre Wut.
- Sie sprachen: "Komm allein, laß gehn den Toren,
- Der hier hereindrang mit so keckem Mut.
- Find er den Weg, den sich sein Wahn erkoren,
- Allein zurück--erprob er doch, wie er
- Sich durch die Nacht führt, wenn er dich verloren."
- Und nun bedenk, o Leser, wie so schwer
- Mich der Verdammten Rede niederdrückte,
- Denn ich verzweifelt an der Wiederkehr.
- "Mein teurer Führer, du, durch den mirs glückte,
- Daß ich gerettet ward schon siebenmal,
- Des Schutz mich drohender Gefahr entrückte,
- Verlaß mich", sprach ich, "nicht in dieser Qual,
- Und darf ich auch nicht weiter vorwärts dringen,
- So komm mit mir zurück durchs dunkle Tal."
- Und er, befehligt, mich hierher zu bringen,
- Sprach: "Fürchte nichts; erlaubt hat unsern Gang
- Er, dem nichts wehrt, drum wird er wohl gelingen.
- Hier harre mein, und ist die Seele bang,
- So magst du sie mit guter Hoffnung speisen,
- Denn nicht verlass ich dich in solchem Drang."
- So ging er.--ich, getrennt von meinem Weisen,
- Dem süßen Vater, fühlte Ja und Nein
- Beim Zweifelkampf in meinem Haupte kreisen.
- Nicht hört ich, was sein Antrag mochte sein,
- Allein er blieb bei jenem Volk nicht lange,
- Denn alle rannten in die Stadt hinein
- Und schlugen ihm das Tor im wilden Drange
- Vorm Antlitz zu und sperrten ihn heraus.
- Da kehrt er sich zu mir mit schwerem Gange.
- Den Blick gesenkt, die Braun verstört und kraus,
- Ließ er in Seufzern diese Worte hören:
- "Wer schließt mich von der Stadt der Schmerzen aus?"
- Und dann zu mir: "Nicht mög es dich verstören,
- Wenn du mich zürnen siehst--ich siege doch,
- Wie keck sie auch dort drinnen sich empören.
- Schon früher stieg ihr kecker Mut so hoch,
- An einem Tor, nicht so geheim gelegen,
- Und ohne Schloß und Riegel heute noch,
- Am Tor, von dem die schwarze Schrift entgegen
- Dem Wandrer droht--doch diesseits schon von dort
- Kommt, ohne Leitung, auf den dunkeln Wegen
- Ein andrer her und öffnet uns den Ort."
- Neunter Gesang
- Weil ich vor Angst und banger Furcht erblich,
- Als ich den Herrn sah sich zurückbewegen,
- Verschloß Virgil die eigne Furcht in sich.
- Aufmerksam stand er dort, wie Horcher pflegen,
- Denn, weit zu schaun, war ihm die Dunkelheit
- Der schwarzen Luft und Nebelqualm entgegen.
- Er sprach: "Wir siegen doch in diesem Streit--
- Wenn nicht--doch hab ich nicht ihr Wort vernommen?
- Er säumt fürwahr doch gar zu lange Zeit."
- Ich sah es deutlich ein, zurückgenommen
- Sei durch der Rede Folge der Beginn,
- Da beide mir verschieden vorgekommen.
- Drum lauscht ich sorgenvoll und zagend hin,
- Denn ich erklärte mir vielleicht noch schlimmer,
- Als er es war, des halben Wortes Sinn.
- "Kommt wohl ein Geist in diese Tiefe nimmer
- Vom ersten Grad, wo nichts zur Qual gereicht,
- Als daß erstorben jeder Hoffnungsschimmer?"
- So fragt ich ihn, und jener sprach: "Nicht leicht
- Geschiehts, daß auf dem Weg, den wir durchliefen,
- Ein andrer meines Grads dies Land erreicht.
- Wahr ists, daß ich vordem in diesen Tiefen
- Durch der Erichtho Zauberein erschien,
- Die oft den Geist zum Leib zurückberiefen.
- Kaum war mein Geist vom Fleisch entblößt, als ihn
- Die Zauberin beschwor in jene Mauer,
- Um eine Seel aus Judas Kreis zu ziehn.
- Dort ist die tiefste Nacht, der bängste Schauer,
- Am fernsten von des Himmels ewgem Licht.
- Ich weiß den Weg--drum scheuche Furcht und Trauer.
- Der Sumpf hier, welcher Stank verhaucht, umflicht
- Die qualenvolle Stadt, durch deren Pforten
- Man ohne Zorn die Bahn sich nimmer bricht."
- Mehr sprach er, doch mich zog von seinen Worten
- Der hohe Turm und bannte mit Gewalt
- Den Blick ans Feuer auf dem Gipfel dorten.
- Drei Höllenfurien sah ich dort alsbald,
- Die, blutbefleckt, grad aufgerichtet, stunden,
- Und Weibern gleich an Haltung und Gestalt,
- Mit grünen Hadern statt des Gurts umbunden,
- Mit kleinern Schlangen aber, wie mit Haar,
- Und Ottern rings die grausen Schläf umwunden.
- Und jener, dem bekannt ihr Anblick war,
- Der Sklavinnen der Fürstin ewger Plagen,
- Sprach: "Nimm die wilden Erinnyen wahr.
- Zur linken Seite sieh Megären ragen,
- Inmitten ist Tisiphone zu schaun,
- Und rechts Alecto in Geheul und Klagen."
- Die Brust zerriß sich jede mit den Klaun,
- Und sie zerschlugen sich mit solchem Brüllen,
- Daß ich mich an den Dichter drängt aus Graun.
- "Medusas Haupt! auf, laßt es uns enthüllen,"
- Sie riefens, niederbückend, allzugleich.
- "Was wir versäumt an Theseus, zu erfüllen."
- "Wende dich um, die Augen schließe gleich!
- Wenn sie bei Gorgos Anblick offenständen,
- Du kehrtest nimmer in des Tages Reich!"
- Er sprachs und eilte, selbst mich umzuwenden,
- Verließ sich auch auf meine Hände nicht
- Und schloß die Augen mir mit seinen Händen.
- Ihr, die erhellt gesunden Geistes Licht,
- Bemerkt die Lehre, die, vom Schleir umgeben,
- In dich verbirgt dies seltsame Gedicht.
- Ich hört ein Krachen mächtig sich erheben
- Auf trüber Flut, mit einem Ton voll Graus,
- Daß die und jene Hüfte schien zu beben.
- Nicht anders war es, als des Sturms Gebraus--
- Wild durch der kalten Dünste Kampf mit lauen,
- Stürzt er durch Wälder, Äste reißt er aus,
- Durch nichts gehemmt, jagt Blüten durch die Auen;
- Stolz wälzt er sich in Staubeswirbeln vor,
- Und Hirt und Herden fliehn voll Angst und Grauen.
- Die Augen löst er mir. "Jetzt schau empor,
- Dorthin, wo du den schärfsten Rauch entquellen
- Dem Schaume siehst auf diesem alten Moor."
- Wie Frösche, sich zerstreuend, durch die Wellen
- Vor ihrem Feind, der Wasserschlange, fliehn,
- Bis sie am Strand in Scharen sich gesellen,
- So sah ich schnell, als einer dort erschien,
- Das Tor von den zerstörten Seelen leeren
- Und ihn mit trocknem Fuß den Styx durchziehn.
- Er schien den Qualm vom Antlitz abzuwehren,
- Vor sich bewegend seine linke Hand,
- Und dieser Dunst nur schien ihn zu beschweren.
- Ich sahs, er sei vom Himmel hergesandt.
- Zum Meister kehrt ich mich, doch, auf sein Zeichen,
- Neigt ich mich schweigend, jenem zugewandt.
- Mir schien er einem Zornigen zu gleichen.
- Er kam zum Tore, das sein Stab erschloß,
- Und ohne Widerstreben sah ichs weichen.
- "O ihr verachteter, vestoßner Troß!"
- Begann er an dem Tor, dem schreckensvollen,
- "Woher die Frechheit, die hier überfloß?
- Was seid ihr widerspenstig jenem Wollen,
- Das nimmermehr sein Ziel verfehlen kann?
- Wird er die Qual, wie oft, euch mehren sollen?
- Was kämpft ihr gegen das Verhängnis an,
- Obwohl eur Zerberus, ihr mögts bedenken,
- Mit kahlem Kinn und Halse nur entrann?"
- Dann sah ich ihn zurück die Schritte lenken.
- Uns sagt er nichts, und achtlos ging er fort,
- Als müsst er ernst auf andre Sorgen denken,
- Als die um kleine Ding am nächsten Ort.
- Worauf wir beide nach der Festung schritten,
- Nun völlig sicher durch das heilge Wort.
- Auch ward der Eingang uns nicht mehr bestritten;
- Und ich, des Wunsches voll, mich umzusehn
- Nach dieser Stadt Verhältnis, Art und Sitten,
- Ließ, drinnen kaum, das Aug im Kreise gehn,
- Und rechts und links war weites Feld zu schauen,
- Von Martern voll und ungeheuren Wehn.
- Gleichwie wo sich der Rhone Wogen stauen,
- Bei Arles, und bei Pola dort am Meer,
- Das Welschland schließt und netzt der Grenze Gauen,
- Grabhügel sind im Lande rings umher,
- Wo auf unebnem Grunde Tote modern;
- So hier, doch schreckte dieser Anblick mehr,
- Denn zwischen Gräbern sieht man Flammen lodern,
- Und alle sind so durch und durch entflammt,
- Daß keine Kunst mehr Stahl und Eisen fodern.
- Halboffen ihre Deckel allesamt,
- Und draus erklingen solche Klagetöne,
- Daß man erkennt, wer drinnen, sei verdammt.
- Und ich: Verkünde, Meister, wer sind jene,
- Die, hier begraben, sonder Ruh und Rast
- Vernehmen lassen solches Schmerzgestöhne?
- Und er: "Hauptketzer hält der Ort umfaßt,
- Und die den Sekten angehangen haben,
- In größrer Zahl, als du gerechnet hast-
- Denn Gleiche sind zu Gleichen hier begraben,
- Und mehr und minder glüht jedwedes Mal"--
- Er sprachs, worauf wir rechtshin uns begaben,
- Fortschreitend zwischen hoher Maur und Qual.
- Zehnter Gesang
- Fort ging nun, hier die Mauer, dort die Pein,
- Auf einem engen Pfad der edle Weise,
- Er mir voraus und ich ihm hinterdrein.
- Der du mich führst durch die verruchten Kreise,
- Sprach ich, ich wünsche, daß, wenn dirs gefällt,
- Dein Wort auch hier mich ferner unterweise.
- Darf man die sehn, die jedes Grab enthält?
- Die Deckel, offen schon, sind nicht dawider,
- Auch ist zur Wache niemand aufgestellt.
- "Iedweder Deckel sinkt geschlossen nieder,"
- Sprach er, "wenn sie gekehrt von Josaphat,
- Mitbringend ihre dort gelassnen Glieder.
- Wiss, Epicurus liegt an dieser Statt
- Samt seinen Jüngern, die vom Tode lehren,
- Daß er so Seel als Leib vernichtet hat.
- Befriedigung soll also dem Begehren,
- Das du entdecktest, dies Begräbnis hier,
- Sowie dem Wunsch, den du verschwiegst, gewähren."
- Und ich: Mein Herz verberg ich nimmer dir,
- Nur redet ich in bündig kurzem Worte,
- Und nicht nur jetzt empfahlst du solches mir.
- "Toskaner, du, der lebend durch die Pforte
- Der Feuerstadt, so ehrbar sprechend, drang,
- Verweil, ich bitte dich, an diesem Orte.
- ich erkenn an deiner Sprache Klang,
- Du seist dem edlen Vaterland entsprungen,
- Dem ich, ihm nur zu lästig, auch entsprang."
- Urplötzlich war dies einem Sarg entklungen,
- Drum trat ich etwas näher meinem Hort,
- Denn wieder war mein Herz von Furcht durchdrungen.
- "Was tust du? Wende dich!" rief er sofort,
- "Sieh grad empor den Farinata ragen,
- Vom Gürtel bis zum Haupte sieh ihn dort!"
- Ich, der auf sein Gesicht den Blick geschlagen,
- Sah, wie er hoch mit Brust und Stirne stand,
- Als lach er nur der Höh und ihrer Plagen.
- Mein Führer, der mich schnell mit mutger Hand
- Durch Gräber bis zu ihm mit fortgenommen,
- Sprach: Was er fragt, mach offen ihm bekannt.
- Er sah mich, als ich bis zum Grab gekommen,
- Ein wenig an. "Wer deine Väter? Sprich!"
- So fragt er mich und schien von Zorn entglommen.
- Gern fügt ich dem Befehl des Meisters mich,
- Ihm alles unverstellt zu offenbaren,
- Da hoben etwas seine Brauen sich.
- Er sprach darauf: "Furchtbare Gegner waren
- Sie meinen Ahnen, mir und meinem Teil,
- Und zweimal drum vertrieb ich sie in Scharen."
- "Wenn auch vertrieben, kehrten sie in Eil",
- Sprach ich, "zweimal zurück aus jeder Gegend.
- Doch nicht den euren ward die Kunst zuteil."
- Sieh, da erhob, sich neben jenem regend,
- Ein Schatten sich urplötzlich bis zum Kinn,
- Sich auf den Knien, so schiens, empor bewegend.
- Er blickt um mich nach beiden Seiten hin,
- Als woll er sehn, ob jemand mich begleite,
- Doch floh der Irrtum bald aus seinem Sinn,
- Und weinend sprach er dann: "Wenn dein Geleite
- Des Geistes Hoheit ist durch diese Nacht,
- Wo ist mein Sohn? Warum nicht dir zur Seite?"--
- "Nicht eigner Geist hat mich hierher gebracht,
- Der dort harrt, führte mich ins Land der Klagen.
- Dein Guido hatte sein vielleicht nicht acht."
- So ich--beim Wort und bei der Art der Plagen
- Könnt ich wohl seines Namens sicher sein
- Und drum ihm auch so sicher Antwort sagen,
- Schnell richtet er sich auf mit lautem Schrein:
- "Er hatte, sagst du? Ist er nicht am Leben?
- Saugt nicht sein Auge mehr den süßen Schein?"
- Und da ich nun, statt Antwort ihm zu geben,
- Noch zauderte, so fiel er rücklings hin,
- Um fürder sich nicht wieder zu erheben.
- Doch jener andre mit dem stolzen Sinn,
- Der mich gerufen, blieb auf seiner Stätte
- Starr, ungebeugt und trotzig wie vorhin.
- Er, wieder knüpfend des Gespräches Kette:
- "Ward jene Kunst zuteil den Meinen nicht?
- Dies martert mehr mich noch als dieses Bette.
- Doch wird nicht fünfzigmal sich das Gesicht
- Der Herrin dieses Dunkels neu entzünden,
- So wirst du fühlen dieser Kunst Gewicht.
- Sprich, willst du je zurück aus diesen Gründen,
- Wie gegen mein Geschlecht mag solche Wut
- Das Volk in jeglichem Gesetz verkünden?"
- Ich sprach: "Das große Morden ists, das Blut,
- Das rotgefärbt der Arbia klare Wogen,
- Das eur Geschlecht mit solchem Fluch belud."
- Er seufzt und schüttelte das Haupt: "Vollzogen
- Hab ich allein nicht diese blutge Tat,
- Und. alle hat uns triftger Grund bewogen.
- Doch ich allein wars, der dem grausen Rat;
- Es müsse bis zum Grund Florenz verschwinden,
- Mit offnem Angesicht entgegentrat."
- "Soll euer Same jemals Ruhe finden,"
- So sprach ich bittend, "löst die Schlingen hier,
- Die noch, mein Urteil hemmend, mich umwinden.
- Versteh ich recht, so scheint es wohl, daß ihr
- Erkennen mögt, was künftge Zeiten bringen,
- Doch mit der Gegenwart scheints anders mir."
- Er sprach: "Uns trägt der Blick nach fernen Dingen,
- Wies öfters wohl der Schwachen Sehkraft geht,
- Denn dahin läßt der höchste Herr uns dringen.
- Doch naht sich und erscheint, was wir erspäht,
- Weg ist das Wissen, und nur durch Berichte
- Erfahren wir, wies jetzt auf Erden steht.
- Darum begreifst du: einst beim Weltgerichte,
- Wenn sich der Zukunft Tor auf ewig schließt,
- Wird die Erkenntnis unsers Geists zunichte."
- Drauf ich: "Wie jetzt mein Fehler mich verdrießt!
- O sagt dem Hingesunknen, Trostentblößten,
- Daß noch sein Sohn das heitre Licht genießt.
- Und war ich vorhin säumig, ihn zu trösten,
- So sagt ihm, daß ich Raum dem Irrtum gab,
- Den eben jetzt mir eure Worte lösten."
- Hier rief mein Meister schon mich wieder ab,
- Drum bat ich schnell den Geist, mir zu erzählen,
- Wer noch verborgen sei in seinem Grab.
- Er sprach: "Hier liegen mehr als tausend Seelen,
- Der Kardinal, der zweite Friederich
- Und andre, dies nicht nottut, aufzuzählen."
- Und er versank ich aber kehrte mich
- Zum alten Dichter, jene Red erwägend,
- Die einer Unglücksprophezeiung glich.
- Er aber ging und sprach, sich vorbewegend,
- Zu mir gewandt: "Was bist du so verstört?"
- Ich tats ihm kund, die Angst im Herzen hegend.
- "Behalte, was du Widriges gehört,"
- Sprach mit erhobnem Finger jener Weise,
- "Und merk itzt auf, daß dich kein Trug betört.
- Bist du dereinst im süßen Strahlenkreise,
- Verströmt vom schönen Blick, der alles sieht,
- Dann deutet sie dir deine Lebensreise."
- Nun ging es links ins höllische Gebiet,
- Um von der Maur der Mitte zuzuschreiten,
- Wo sich der Pfad nach einem Tale zieht,
- Von dem Gestank und Qualm sich weit verbreiten.
- Elfter Gesang
- Am äußern Saum von einem hohen Strande,
- Umkreist von Felsentrümmern ohne Zahl,
- Gelangten wir zu einem grausern Lande.
- Dort bargen wir vor des Gestankes Qual,
- Der gräßlich dampft aus jenen tiefen Gründen,
- Uns hinter eines hohen Grabes Mal.
- Wir sahn den Inhalt diese Schrift verkünden:
- Hier liegt Papst Anastasius, den Photin
- Vom rechten Pfad verführt zu Schmach und Sünden.
- "Wir müssen," sprach er, "langsam abwärtsziehn;
- Erträglicher wird nach und nach den Sinnen
- Der schlechte Dunst, der unerträglich schien."
- "So laß uns etwas," sprach ich drauf, "beginnen,
- Das uns die hier verbrachte Zeit ersetzt."
- "Du siehst," erwidert er, "darauf mich sinnen."
- "Mein Sohn, du wirst in diesen Steinen jetzt,"
- So fuhr er fort, "drei kleinre Kreise zählen,
- Nach Stufen, wie die andern, fortgesetzt.
- Erfüllt sind alle von verdammten Seelen,
- Doch weil du selbst sie sehn wirst, so vernimm,
- Wie und warum sie sich hier unten quälen.
- Jedwede Bosheit weckt des Himmels Grimm,
- Der Unrecht Zweck ist, denn sie macht es immer
- Durch Trug und durch Gewalt mit andern schlimm.
- Doch Trug, des Menschen eigne Sünd, ist schlimmer,
- Und die Betrüger bannt des Herrn Geheiß,
- Drum tiefer hin zu schmerzlichem Gewimmer.
- Gewalttat wird bestraft im ersten Kreis,
- Doch, nach dreifacher Gattung von Vergehen,
- In dreien Binnenkreisen stufenweis.
- An Gott, an sich, am Nächsten kanns geschehen,
- Daß man Gewalt verübt, an Leib und Gut.
- Wie? Sollst du jetzt mit klaren Gründen sehen.
- Gewalttat an des Nächsten Leib und Blut
- Geschieht durch Totschlag und durch schlimme Wunden,
- Am Gute durch Verwüstung, Raub und Glut.
- Totschläger werden, die, so schwer verwunden,
- Verwüster, Räuber, drum hinabgebannt
- Zur Pein im ersten Binnenkreis gefunden.
- Gewalt übt man an sich mit eigner Hand,
- Und seinem Gut.--Um fruchtlos zu bereuen,
- Sind drum zum zweiten Binnenkreis gesandt,
- Die selber sich zu töten sich nicht scheuen,
- Die, so im Spielhaus all ihr Gut vertan
- Und dorten weinten, statt sich zu erfreuen.
- Gewalt auch tut der Mensch der Gottheit an,
- Im Herzen sie verleugnend und nicht achtend,
- Was er durch Güte der Natur empfahn.
- Du wirst, den kleinsten Binnenkreis betrachtend,
- Drum die von Sodom und von Cahors schaun,
- Und Volk, im Herzen seinen Gott verachtend.
- Trug, des Gewissens Qual, ist am Vertraun,
- Und ist auch oft verübt an solchen worden,
- Die nicht als Freund auf den Betrüger baun.
- Die letzte Gattung scheint das Band zu morden,
- Das die Natur aus Lieb um alle flicht;
- Drum nisten in dem zweiten Kreis die Horden
- Der Heuchler, Schmeichler, die, so falsch Gewicht
- Gebrauchen, Simonisten, Zaubrer, Diebe
- Und Kuppler und dergleichen Schandgezücht.
- Zerrissen wird von jenem Trug die Liebe,
- So die Natur macht; die auch, die vermehrt,
- Noch Treue fordert aus besonderm Triebe.
- Drum auf dem Punkte, den das All beschwert,
- Wo Dis den Stand hat, dort, im kleinsten Kreise,
- Wird, wer Verrat übt, ewiglich verzehrt."
- Und ich: Du stellt nach deiner klaren Weise
- Wohlabgeteilt den Höllenschlund mir dar,
- Und welche Sünder jedes Rund umkreise;
- Doch sprich: Das Volk, das dort im Sumpfe war,
- Die, so der Wind führt und die Regen schlagen,
- Die mit Geschrei sich stoßen immerdar,
- Wie kommts, wenn sie den Zorn des Himmels tragen,
- Daß nicht die Feuerstadt ihr Strafort wird?
- Wenn nicht, was leiden sie doch solche Plagen?
- Und er darauf zu mir: "Was schweift verwirrt
- Dein Geist hier ab von den gewohnten Wegen?
- Woandershin hat sich dein Sinn verirrt?
- Willst du nicht deine Sittenlehr erwägen,
- Die Kunde von drei Neigungen verleiht,
- Die Gottes Zorn und seinen Haß erregen,
- Von Tollwut, Bosheit, Unenthaltsamkeit?
- Die dritt ist, da sie minderes Verachten
- Des Herrn verrät, von mindrer Strafbarkeit.
- Willst du den Spruch bedenken und betrachten,
- Wer jene sind, die vor der Stadt voll Glut
- Dort oben, ihre Straf erduldend, schmachten,
- So wirst du sehn, wie sie von dieser Brut
- Geschieden sind, und minder sie beschwerend
- Auf ihnen das Gewicht des Himmels ruht."--
- "O Sonne, du, die trübsten Blicke klärend,
- Wie Wissen, so erfreut der Zweifel mich,
- Vernehm ich dich ihn lösend, mich belehrend.
- Drum wend ein wenig," sprach ich, "rückwärts dich.
- Da sagtest, daß die Wuchrer Gott verletzen,
- Jetzt sage mir, wie löst dies Rätsel sich?"
- Weltweisheit, sprach er, lehrt in mehrern Sätzen,
- Daß nur aus Gottes Geist und Kunst und Kraft
- Natur entstand mit allen ihren Schätzen;
- Und überdenkst du deine Wissenschaft
- Von der Natur, so wirst du bald erkennen,
- Daß eure Kunst, mit allem, was sie schafft,
- Nur der Natur folgt, wie nach bestem Können
- Der Schüler geht auf seines Meisters Spur;
- Drum ist sie Gottes Enkelin zu nennen
- Vergleiche nun mit Kunst und mit Natur
- Die Genesis, wos also lautet: Leben
- Sollst du im Schweiß des Angesichtes nur.--
- Weil Wuchrer nun nach anderm Wege Streben,
- Schmähn sie Natur und ihre Folgerin,
- Indem sie andrer Hoffnung sich ergeben.
- Doch folge mir, denn vorwärts strebt mein Sinn,
- Da schon die Fisch empor am Himmel springen;
- Schon auf den Caurus sinkt der Wagen hin,
- Und weit ists noch, eh wir zur Tiefe dringen.
- Zwölfter Gesang
- Rauhfelsig war der Steig am Strand hernieder,
- Ob des, was sonst dort war, der Schauer groß,
- Und jedem Auge drum der Ort zuwider.
- Dem Bergsturz gleich bei Trento--in den Schoß
- Der Etsch ist seitwärts Trümmerschutt geschmissen,
- Durch Unterwühlung oder Erdenstoß--
- Wo von dem Gipfel, dem er sich entrissen,
- Der Fels so schräg ist, daß zum ebnen Land,
- Die oben sind, den Steg nicht ganz vermissen;
- So dieses Abgrunds Hang, und dort am Rand
- Wars, wo von Felsentrümmern überhangen
- Sich ausgestreckt die Schande Kretas fand,
- Einst von dem Scheinbild einer Kuh empfangen.
- Sich selber biß er, als er uns erblickt,
- Wie innerlich von wildem Grimm befangen.
- Mein Meister rief: "Bist du vom Wahn bestrickt.
- Als sähst du hier den Theseus vor dir stehen,
- Der dich von dort zur HöIl herabgeschickt?
- Fort, Untier, fort! Den Weg, auf dem wir gehen,
- Nicht deine Schwester hat ihn uns gelehrt,
- Doch dieser kommt, um eure Qual zu sehen."
- So wie der Stier, vom Todesstreich versehrt,
- Sich losreißt und nicht gehen kann, nur springen.
- Und Satz um Satz hierhin und dorthin fährt;
- So sahen wir den Minotaurus ringen,
- Drum rief Virgil: "Itzt weiter ohne Rast;
- Indes er tobt, ists gut, hinabzudringen."
- So klommen wir, von Trümmern rings umfaßt,
- Auf Trümmern sorglich fort, und oft bewegte
- Ein Stein sich unter mir der neuen Last.
- Ich ging, indem ich sinnend überlegte.
- Und er: "Du denkst an diesen Schutt, bewacht
- Von Zornwut, die vor meinem Wort sich legte.
- Vernimm jetzt, als ich in der Hölle Nacht
- Zum erstenmal so tief hereingedrungen.
- War dieser Fels noch nicht herabgekracht.
- Doch kurz eh jener sich herabgeschwungen
- Vom höchsten Kreis des Himmels, der dem Dis
- So edler Seelen großen Raub entrungen.
- Erbebte so die grause Finsternis,
- Daß ich die Meinung faßte, Liebe zücke
- Durchs Weltenall und stürz in mächtgern Riß
- Ins alte Chaos neu die Welt zurücke.
- Der Fels, der seit dem Anfang fest geruht,
- Ging damals hier und anderwärts in Stücke.
- Doch blick ins Tal, schon naht der Strom von Blut,
- In welchem jeder siedet, der dort oben
- Dem Nächsten durch Gewalttat wehe tut."
- O blinde Gier, o toller Zorn! eur Toben,
- Es spornt uns dort im kurzen Leben an
- Und macht uns ewig dann dies Bad erproben--
- Hier ist ein weiter Graben, der den Plan
- Ringshin umfaßt im weiten runden Bogen,
- Wie mir mein weiser Führer kundgetan.
- Zentauren, rennend, pfeilbewaffnet, zogen,
- Sich folgend, zwischen Fluß und Felsenwand,
- Wie in der Welt, wenn sie der Jagd gepflogen.
- Als sie uns klimmen sahn, ward Stillestand;
- Drei traten vor mit ausgesuchten Pfeilen
- Und schußbereit den Bogen in der Hand.
- Und einer rief von fern: "Ihr müßt verweilen!
- Zu welcher Qual kommt ihr an diesen Ort?
- Von dort sprecht, sonst soll euch mein Pfeil ereilen!
- "Dem Chiron sag ich in der Näh ein Wort,"
- Sprach drauf Virgil. "Zum Unheil dich verführend,
- Riß vorschnell stets der blinde Trieb dich fort."
- "Nessus ist dieser," sprach er, mich berührend,
- "Der starb, als Dejaniren er geraubt,
- Die Rache noch vor seinem Tod vollführend.
- Der in der Mitt ist, mit gesenktem Haupt,
- Der große Chiron, der Achillen nährte;
- Dort Pholus, welcher stets vor Zorn geschnaubt.
- Am Graben rings gehn tausend Pfeilbewehrte
- Und schießen die, so aus dem Pfuhl herauf
- Mehr tauchen, als der Richterspruch gewährte."
- Wir beide nahten uns dem flinken Hauf,
- Chiron nahm einen Pfeil und strich vom Barte
- Das Haar nach hinten sich mit seinem Knauf.
- Als nun das große Maul sich offenbarte,
- Sprach er: "Bemerkt: der hinten kommt, bewegt.
- Was er berührt, wie ich es wohl gewahrte.
- Und wies kein Totenfuß zu machen pflegt."
- Da trat ihm an die Brust mein weiser Leiter,
- Wo Mensch und Roß sich einigt und verträgt.
- "Lebendig ist," so sprach er, "der Begleiter,
- Der dieses dunkle Tal mit mir bereist;
- Notwendigkeit, nicht Neugier, zieht uns weiter.
- Von dort, wo Gott ihr Halleluja preist,
- Kam eine her, dies Amt mir aufzutragen.
- Er ist kein Räuber, ich kein böser Geist.
- Doch, bei der Kraft, durch die ich sonder Zagen
- Auf wildem Pfad im Schmerzensland erschien.
- Gib einen uns von diesen, die hier jagen.
- Daß er die Furt uns zeig, und jenseits ihn
- Trag auf dem Kreuz ans andere Gestade,
- Denn er, kein Geist, kann durch die Luft nicht ziehn."
- "Auf, Nessus, leite sie auf ihrem Pfade,"
- Rief Chiron rechts gewandt, "bewahre sie,
- Daß sonst kein Trupp der unsern ihnen schade."
- Da solch Geleit uns Sicherheit verlieh,
- So gingen wir am roten Sud von hinnen.
- Aus dem die Rotte der Gesottnen schrie.
- Bis zu den Brauen waren viele drinnen.
- "Tyrannen sinds, erpicht auf Gut und Blut,"
- So hört ich den Zentauren nun beginnen,
- "Jetzt heulen sie in ihrer Qualen Wut.
- Den Alexander sieh und Dionysen,
- Der auf Sizilien Schmerzensjahre lud.
- Die schwarzbehaarte Stirn sieh neben diesen,
- Den Ezzelin--und jener Blonde dort
- Ist Obiz Este, der, wies klar erwiesen,
- Vertilgt ward durch des Rabensohnes Mord."
- Den Dichter sah ich an, der sprach: "Der Zweite
- Bin ich, der Erste der, merk auf sein Wort."
- Und weiter gab uns Nessus das Geleite
- Zu Volke, das, bis an des Mundes Rand
- Im heißen Sprudel, heult und maledeite.
- Und seitwärts zeigt er einen mit der Hand:
- " Der macht einst am Altar das Herz verbluten,
- Das man noch jetzt verehrt am Themsestrand."
- Und viele hielten aus den heißen Fluten
- Das ganze Haupt, dann Brust und Leib gestreckt,
- Auch kannt ich manchen in den nassen Gluten.
- Stets seichter ward das Blut, so daß bedeckt
- Am Ende nur der Schatten Füße waren,
- Und dorten ward des Grabens Furt entdeckt.
- Da sagte der Zentaur: "Du wirst gewahren,
- Wie immer seichter hier das Blut sich zeigt.
- Jetzt aber, will ich, sollst du auch erfahren,
- Daß dort der Grund je mehr und mehr sich neigt.
- Bis wo die Flut verrinnt in jenen Tiefen,
- Woraus das Seufzen der Tyrannen steigt.
- Gerechter Zorn und Rache Gottes riefen
- Dorthin der Erde Geißel, Attila,
- Pyrrhus und Sextus; und von Tränen triefen.
- Von Tränen, ausgekocht vom Blute, da
- Die beiden Rinier, arge Raubgesellen,
- Die man die Straßen hart bekriegen sah--"
- Hier wandt er sich, rückeilend durch die Wellen.
- Dreizehnter Gesang
- Noch war nicht Nessus jenseits am Gestade,
- Da schritten wir in einen Wald voll Graun,
- Und nirgend war die Spur von einem Pfade.
- Nicht grün war dort das Laub, nur schwärzlichbraun,
- Nicht glatt ein Zweig, nur knotige, verwirrte,
- Nicht Frucht daran, nur giftger Dorn zu schaun.
- Nie bei Cornet und der Cecina irrte
- Damhirsch und Eber durch so dichten Hain,
- Dies Wild, das nie die Saat des Feldes kirrte.
- Hier aber nisten die Harpyn sich ein,
- Die, von den Inseln Trojas Volk zu scheuchen,
- Es ängsteten mit Unglücksprophezein,
- Mit breiten Schwingen, Federn an den Bäuchen,
- Klaun an den Füßen, menschlich von Gesicht,
- Wehklagend aus den seltsamen Gesträuchen.
- "Bevor du eindringst, wisse, dich umflicht",
- Sprach er, "der zweite Binnenkreis; zu schauen,
- Indes du weitergehst, versäume nicht.
- So kommst du, schauend, in den Sand voll Grauen,
- Und gib wohl acht; denn allem, was ich sprach,
- Wirst du dann durch den Augenschein vertrauen."
- Schon hört ich rings Geheul und Oh und Ach,
- Doch sah ich keinen, der so ächzt und schnaubte,
- So daß mein Knie mir fast vor Schauder brach.
- Ich glaub, er mochte glauben, daß ich glaubte.
- Verborgne stöhnten aus dem dunkeln Raum,
- Die mir zu sehn das Dickicht nicht erlaubte.
- "Brich nur ein Zweiglein ab von einem Baum,"
- Begann mein Meister, "und du wirst entdecken.
- Was du vermutest, sei ein leerer Traum.
- Da säumt ich nicht,- die Finger auszustrecken.
- Riß einen Zweig von einem großen Dorn,
- Und plötzlich schrie der stumpf zu meinem Schrecken:
- "Was brichst du mich?"--worauf ein blutger Born
- Aus ihm entquoll, und diese Wort erklangen:
- "Was peinigt uns dein rnitleidloser Zorn?
- Uns, Menschen einst, von Rinden jetzt umfangen.
- Wohl größre Schonung ziemte deiner Hand,
- Und wären wir auch Seelen nur von Schlangen."
- Gleich wie ein grüner Ast, hier angebrannt,
- Dort ächzt und sprüht, wenn, aufgelöst in Winde,
- Der feuchte Dunst den Weg nach außen fand;
- So drangen Wort und Blut aus Holz und Rinde,
- Und mir entsank das Reis, daß ich geraubt;
- Dann stand ich dort, als ob ich Furcht empfinde.
- "Verletzte Seele, hätt er je geglaubt.
- Was früher schon ihm mein Gedicht entdeckte,"
- So sprach Virgil, "nie hätt er sichs erlaubt.
- Wenn er die Hand nach deinem Aste streckte,
- So reuts mich itzt, daß, weils unglaublich schien,
- Ich Lust in ihm zu solcher Tat erweckte.
- Doch sag ihm, wer du warst. Er wird, wenn ihn
- Der Tag einst neu umfängt, den Fehl zu büßen,
- Dort frisch ans Licht dein Angedenken ziehn."
- Der Stamm: "Ein Köder ist im Wort, dem süßen,
- Der mich zum Sprechen lockt; mag euchs, wenn mich
- Der Leim beim Reden festhält, nicht verdrießen.
- Ich bins, der einst das Herz des Friederich
- Mit zweien Schlüsseln auf- und zugeschlossen
- Und sie so sanft und leis gedreht, daß ich,
- Nur ich, sonst keiner, sein Vertraun genossen--
- Und bis ich ihm geopfert Schlaf und Blut,
- Weiht ich dem hohen Amt mich unverdrossen.
- Die Hure, die mit buhlerischer Glut
- Auf Cäsars Haus die geilen Blicke spannte,
- Sie, aller Höfe Tod und Sünd und Wut,
- Schürt an, bis alles gegen mich entbrannte,
- Und alle schürten Friedrichs Gluten an.
- Daß heitrer Ruhm in düstres Leid sich wandte.
- Da hat mein zornentflammter Geist, im Wahn,
- Durch Sterben aller Schmach sich zu entwinden.
- Mir, dem Gerechten, Unrecht angetan.
- Bei diesen Wurzeln schwör ich, diesen Rinden:
- Stets wars um meine Treue wohlbestellt
- Für ihn, der wert war, ewgen Ruhm zu finden;
- Kehrt einer je von euch zurück zur Welt,
- So mög er dort mein Angedenken heben,
- Das jener Streich des Neids noch niederhält."
- Hier hielt er an, ich aber schwieg mit Beben.
- Da sprach der Dichter: "Ohne Zeitverlust
- Frag ihn, er wird auf alles Antwort geben."
- Ich aber: "Frag ihn selbst. Dir ist bewußt,
- Was mir ersprießlich sei, ihm abzufragen;
- Ich könnt es nicht, denn Leid drückt meine Brust."
- Und er: "Soll einst, was du ihm aufgetragen,--
- Er frei vollziehn, dann, o gefangner Geist,
- Beliebe dir, zuvor uns anzusagen,
- Wie dieser Stämme Band die Seel umkreist?
- Und, wenn um sie sich starre Rinden legen,
- Ob diesen Gliedern eine sich entreißt?
- Ein starker Hauch schien sich im Stamm zu regen,
- Dann aber ward der Wind zu diesem Wort:
- "In kurzer Rede sag ich dies dagegen:
- Wenn die vom Leib sich trennen, welche dort
- Sich frevelhaft in wildern Grimm entleiben,
- Schickt Minos sie zu diesem Schlunde fort.
- Hier fallen sie, wie sie die Stürme treiben,
- In diesen Wald nach Zufall, ohne Wahl,
- Um wie ein Speltkorn wuchernd zu bekleiben.
- So wachsen Büsch und Bäum in diesem Tal,
- Und die Harpyn, die sich vom Laube weiden,
- Sie machen Qual, und Öffnung für die Qual.
- Einst eilen wir nach unserm Leib, doch kleiden
- Uns nie darein; denn was man selbst sich nahm.
- Will Gott uns nimmer wieder neu bescheiden.
- Wir schleppen ihn in diesen Wald voll Gram,
- Und jeder Leib wird an den Baum gehangen.
- Den hier zur ewgen Haft sein Geist bekam."
- Wir horchten auf den Stamm noch, voll Verlangen,
- Mehr zu vernehmen, als urplötzlich schnell
- Schrein und Getos zu unsern Ohren drangen.
- Als ob hier Eber, Hund und Jagdgesell,
- Die ganze Jagd, heran laut tosend brauste
- Mit Waldesrauschen, Schreien und Gebell.--
- Und sieh, linksher, zwei Nackende, Zerzauste,
- Fortstürmen, wie vom Äußersten bedroht,
- Daß das Gezweig zertrümmert kracht und sauste.
- Der Vordre schrie: "Zu Hilfe, Hilfe, Tod!"
- Dem andern schiens, daß es mehr Eile brauche;
- "Lan," rief er, "dort bei Toppo in der Not
- Schien nicht dein Fußwerk gut zu dem Gebrauche."
- Dann, weil erschöpft vielleicht des Odems Rest,
- Macht er ein Knäul aus sich und einem Strauche.
- Sieh schwarze Hunde, durchs Gestrüpp gepreßt.
- Schnell hinterdrein, die wild die Läufe streckten,
- Wie Doggen, die man von der Kett entläßt.
- Sie schlugen ihre Zahn in den Versteckten,
- Zerrissen ihn und trugen stückweis dann
- Die Glieder fort, die frischen, blutbefleckten.
- Mein Führer faßte bei der Hand mich an
- Und führte mich zum Busche, der vergebens
- Aus Rissen klagte, welchen Blut entrann.
- Er sprach: "Was machtest du doch eitlen Strebens,
- O Jakob, meinen Busch zu deiner Hut?
- Trag ich die Schulden deines Lasterlebens?"
- Mein Meister, dessen Schritt bei ihm geruht,
- Sprach: "Wer bist du? Warum aus so viel Rissen
- Hauchst du zugleich die Schmerzensred und Blut?"
- Und er: "Die ihr gekommen, um zu wissen,
- Wie harte Schmach ich hier erdulden muß,
- Zu sehn, wie man mir so mein Laub entrissen.
- O sammelts an des traurgen Stammes Fuß.
- Ich bin aus jener Stadt, die statt des alten
- Den Täufer wählt als Schutzherrn. Voll Verdruß
- Wird jener drum als Feind ihr grausam walten,
- Und hätte man nicht noch sein Bild geschaut.
- Das dort sich auf der Arnobrück erhalten.
- Die Bürger, die sie wieder aufgebaut
- Vom Brand des Attila, aus Schutt und Grause,
- Sie hätten ihrer Müh umsonst vertraut.
- Den Galgen macht ich mir aus meinem Hause."
- Vierzehnter Gesang
- Weil ich der Vaterstadt mit Rührung dachte,
- Las ich das Laub, das ich, das Herz soll Leid,
- Zurück zum Stamm, der kaum noch ächzte, brachte.
- Drauf kamen wir zur Grenz in kurzer Zeit
- Vom zweiten Binnenkreis und sahn im dritten
- Ein krauses Kunstwerk der Gerechtigkeit.
- Denn dort eröffnete vor unsern Schritten
- Und unsern Blicken sich ein ebnes Land,
- Des Boden nimmer Pflanz und Gras gelitten.
- Und wie sich um den Wald der Graben wand,
- War dieses von dem Schmerzenswald umwunden.
- Hier weilten wir an beider Kreise Rand.
- Dort ward ein tiefer, dürrer Sand gefunden.
- Der dem, den Catos Füße stampften, glich,
- Wie wir vernehmen aus den alten Kunden.
- O Gottes Rache! Jeder fürchte dich,
- Dem, was ich sah, mein Lied wird offenbaren,
- Und wende schnell vom Lasterwege sich.
- Denn nackte Seelen sah ich dort in Scharen,
- Die, alle klagend jämmerlich und schwer,
- Doch sich nicht gleich in ihren Strafen waren.
- Die lagen rücklings auf der Erd umher,
- Die sah ich sich zusammenkrümmend kauern.
- Noch andre gingen immer hin und her.
- Die Mehrzahl mußt im Gehn die Straf erdauern.
- Der Liegenden war die geringre Zahl,
- Doch mehr gedrängt zum Klagen und zum Trauern.
- Langsamen Falls sah ich mit rotem Strahl
- Hernieder breite Feuerflocken wallen,
- Wie Schnee bei stiller Luft im Alpental.
- Wie Alexander einstens Feuerballen,
- Fest bis zur Erde, sah auf seine Schar
- In jener heißen Gegend Indiens fallen,
- Daher sein Volk, vorbeugend der Gefahr,
- Den Boden stampfen mußt, um sie zu töten,
- Weil einzeln sie zu tilgen leichter war;
- So sah ich von der Glut den Boden röten;
- Wie unterm Stahle Schwamm, entglomm der Sand,
- Wodurch die Qualen zwiefach sich erhöhten.
- Nie hatten hier die Hände Stillestand,
- Und hier- und dorthin sah ich sie bewegen,
- Abschüttelnd von der Haut den frischen Brand.
- Da sprach ich: "Du, dem alles unterlegen,
- Bis auf die Geister, die sich dort voll Wut
- Am Tor zur Wehr gestellt und dir entgegen.
- Wer ist der große, welcher, diese Glut
- Verachtend, liegt, die Blicke trotzig hebend,
- Noch nicht erweicht von dieser Feuerflut?"
- Und jener rief, mir selber Antwort gebend,
- Weil er gemerkt, daß ich nach ihm gefragt,
- Uns grimmig zu: "Tot bin ich, wie einst lebend.
- Sei auch mit Arbeit Jovis Schmied geplagt,
- Von welchem er den spitzen Pfeil bekommen,
- Den er zuletzt in meine Brust gejagt;
- Zur Hilfe sei die ganze Schar genommen,
- Die rastlos schmiedet in des Ätna Nacht;
- Hilf, hilf, Vulkan, so schrei er zornentglommen,
- Wie er bei Phlägra tat in jener Schlacht;
- Mit aller Macht sei das Geschoß geschwungen,
- Gewiß, daß nie ihm frohe Rache lacht--"
- Da hob so stark, wie sie mir nie erklungen,
- Mein Meister seine Stimm, ihm zuzuschrein:
- "O Kapaneus, daß ewig unbezwungen
- Dich Hochmut nagt, ist deine wahre Pein,
- Denn keine Marter, als dein eignes Wüten,
- Kann deiner Wut vollkommne Strafe sein."
- Drauf schien des Meisters Zorn sich zu begüten.
- Von jenen sieben war er, sagt er mir,
- Die Theben zu erobern sich bemühten.
- Er höhnt, so scheints, noch Gott in wilder Gier,
- Und, wie ich sprach, sein Stolz bleibt seine Schande,
- Sein Trotz des Busens wohlverdiente Zier.
- Jetzt folge mir, doch vor dem heißen Sande
- Verwahr im Gehen sorglich deinen Fuß
- Und halte nah dich an des Waldes Rande.
- Ich ging und schwieg, und einen kleinen Fluß
- Sah ich diesseits des Waldes sprudelnd quellen.
- Vor dessen Rot ich jetzt noch schaudern muß.
- Den Bach aus jenem Sprudel gleichzustellen.
- Der Buhlerinnen schändlichem Verein,
- Floß er den Sand hinab mit dunkeln Wellen.
- Und Grund und Ufer waren dort von Stein,
- Auch beide Ränder, die den Fluß umfassen.
- Drum mußte hier der Weg hinüber sein.
- "Von allem, was ich noch dich sehen lassen.
- Seit wir durch jenes Tor hier eingekehrt.
- Das uns, wie alle, ruhig eingelassen,
- War noch bis jetzt nichts so bemerkenswert.
- Als dieser Fluß, zu dem du eben ziehest,
- Der über sich die Flämmchen schnell verzehrt."
- So er zu mir und ich darauf: "Du siehest
- Mich lüstern schon genug, drum speist ich gern;
- Gib Kost nur, wie du Essenslust verliehest."
- Und er: "Öd liegt ein Land im Meere fern,
- Das Kreta hieß, und Keuschheit hat gewaltet,
- Als noch die Welt stand unter seinem Herrn.
- Ein Berg dort, Ida, war einst schön gestaltet,
- Mit Quellen, Laub und Blumen reich geschmückt,
- Jetzt ist er öd, verwittert und veraltet.
- Dorthin hat Rhea ihren Sohn entrückt.
- Und, alle Späher listig hintergehend,
- Des Kindes Schrein durch Tosen unterdrückt.
- Ein hoher Greis ist drin, grad aufrecht stehend,
- Den Rücken nach Damiette hingewandt,
- Nach Rom hin, wie in seinen Spiegel, sehend;
- Das Haupt von feinem Gold; Brust, Arm und Hand
- Von reinem Silber; weiter dann hernieder
- Von Kupfer nur bis an der Hüften Rand;
- Von tüchtgem Eisen bis zur Sohle nieder;
- Nur von gebranntem Ton der rechte Fuß,
- Doch ruht auf diesem meist die Last der Glieder.
- Das Gold allein ist von gediegnem Guß;
- Die andern haben Spalt und träufeln Zähren,
- Und diese brechen durch die Grott als Fluß,
- Um ihren Lauf nach diesem Tal zu kehren.
- Als Acheron, als Styx, als Phlegethon,
- Und bilden, wenn sie zu den tiefsten Sphären
- Durch diesen engen Graben hingeflohn,
- Dort den Kozyt; doch nahst du diesem Teiche
- Bald selber dich, drum hier nichts mehr davon."
- Und ich zu ihm: "Wenn auf der Erd, im Reiche
- Des Tages, schon der kleine Fluß entstund,
- Wie kommt es, daß ich ihn erst hier erreiche?"
- Und er zu mir: "Du weißt, der Ort ist rund,
- Und ob wir gleich schon tief hernieder drangen,
- Doch haben wir, da wir uns links zum Grund
- Herabgewandt, den Kreis nicht ganz umgangen,
- Und wenn du auch noch manches Neue siehst,
- Mag Staunen drum dein Auge nicht befangen."
- "Sprich noch, wo Phlegethon, wo Lethe fließt?
- Du schweigst von der; von jenem hört ich sagen,
- Daß er aus diesem Regen sich ergießt."
- So ich; und er: "Gern hör ich deine Fragen,
- Doch sollte wohl des roten Wassers Sud
- Auf jene selbst die Antwort in sich tragen.
- Nicht in der Hölle fließt der Lethe Flut,
- Dort siehst du sie beim großen Seelenbade,
- Wenn die bereute Schuld auf ewig ruht."
- Und drauf: "Jetzt weg vom Wald, und komm gerade
- Denselben Weg, den meine Spur dich lehrt;
- Die Ränder, nicht entzündet, bilden Pfade,
- Und über ihnen wird der Dunst verzehrt."
- Fünfzehnter Gesang
- Wir gehen nun auf hartem Rand zusammen,
- Und Dampf des Bachs, der drüber nebelt, schützt
- Das Wasser und die Dämme vor den Flammen.
- So wie sein Land der Flandrer unterstützt,
- Bang vor der Springflut Ansturz, die vom Baue
- Des festen Damms rückprallend schäumt und spritzt;
- Wie längs der Brenta Schloß und Dorf und Aue
- Die Paduaner sorglich wohl verwahrt,
- Bevor der Chiarentana Frost erlaue;
- So war der Damm auch hier von gleicher Art,
- Nur daß in minder hohen, dicken Massen
- Vom Meister dieser Bau errichtet ward.
- Schon weit zurück hatt ich den Wald gelassen,
- So daß der Blick, nach ihm zurückgewandt,
- Doch nicht vermögend war, ihn zu erfassen.
- Da kam am Fuß des Damms ein Schwarm gerannt.
- Und wie am Neumond bei des Abends Grauen
- Nach dem und jenem man die Blicke spannt,
- So sahn wir sie auf uns nach oben schauen;
- Und wie der alte Schneider nach dem Öhr,
- So spitzten sie nach uns die Augenbrauen.
- Und wie sie alle gafften, faßte wer
- Mich bei dem Saum, indem er mich erkannte,
- Und rief erstaunt: "Welch Wunder! Du? Woher?"
- Und ich, wie er nach mir gegriffen, wandte
- Den Blick ihm fest aufs Angesicht, das schier
- Geröstet war; doch zeigte das verbrannte
- Sogleich die wohlbekannten Züge mir;
- Drum, neigend, auf sein Antlitz zu, die Arme,
- Rief ich: "Ei, Herr Brunetto, seid ihr hier?"
- "Mein Sohn," sprach jener, "daß dich mein erbarme!
- Gern spräche wohl Brunett Latini dich
- Ein wenig hier, entfernt von diesem Schwarme."
- "Ich bitt euch selbst darum," entgegnet ich,
- "Daher ich gern mit euch mich setzen werde,
- Wenns dieser billigt, denn er leitet mich."
- Und er: "Ach Sohn, wer weilt von dieser Herde,
- Darf sich nicht wedeln hundert Jahr hernach
- Und liegt, die Glut erduldend, auf der Erde.
- Drum geh, ich folge deinem Tritte nach,
- Bis wir aufs neu zu meiner Rotte kommen,
- Die weinend geht in Leid und ewger Schmach."
- Gern war ich neben ihn hinabgeklommen.
- Doch wagt ichs nicht und ging, das Haupt geneigt,
- Wie wer da geht von Ehrfurcht eingenommen,
- "Du, welcher vor dem Tod herniedersteigt,"
- Begann er nun, "welch Schicksal führt dein Streben?
- Und wer ist der, der dir die Pfade zeigt?"
- "Dort oben," sprach ich, "in dem heitern Leben
- War ich, eh reif mein Alter, ohne Rat
- Verirrt und rings von einem Tal umgeben.
- Aus dem ich eben gestern morgens trat.
- Zurück ins Tal wollt ich, da kam mein Leiter
- Und führt mich wieder heim auf diesem Pfad."
- Drauf sprach er: "Folgst du deinem Sterne weiter.
- Dann, wenn ich recht bemerkt im Leben, schafft
- Er dich zum Hafen, ehrenvoll und heiter.
- Und hätte mich der Tod nicht weggerafft,
- Hart ich, da dir so hold die Sterne waren,
- Dich selbst zum Werk gestärkt mit Mut und Kraft.
- Doch jenem Volk von schnöden, Undankbaren,
- Das niederstieg von Fiesole und fast
- Des Bruchsteins Härte noch scheint zu bewahren,
- Ihm bist du, weil du wacker tust, verhaßt;
- Mit Recht, weil übel stets zu Dorngewinden
- Mit herber Frucht die süße Feige paßt.
- Man heißt sie dort nach altem Ruf die Blinden,
- Voll Geiz, Neid, Hochmut, faul an Schal und Kern--
- Laß rein dich stets von ihren Sitten finden,
- So großen Ruhm bewahrt dir noch dein Stern,
- Daß beide Teile hungrig nach dir ringen,
- Doch dieses Kraut bleibt ihrem Schnabel fern.
- Das Fiesolaner Vieh mag sich verschlingen,
- Sich gegenseits, doch nie berührs ein Kraut,
- Kann noch sein Mist hervor ein solches bringen,
- In dem man neubelebt den Samen schaut
- Von jenen Römern, welche dort geblieben.
- Als man dies Nest der Bosheit auferbaut."
- "War einst, was ich gewünscht, des Herrn Belieben,"
- Entgegnet ich, "gewiß, ihr wäret nicht
- Noch aus der menschlichen Natur vertrieben.
- Das teure, gute Vaterangesicht,
- Noch seh ichs vor betrübtem Geiste schweben,
- Noch denk ich, wie ihr mich im heitern Licht
- Gelehrt, wie Menschen ewgen Ruhm erstreben,
- Und wie mir dies noch teuer ist und wert,
- Soll kund, solang ich bin, die Zunge geben.
- Was ihr von meiner Laufbahn mich gelehrt,
- Bewahr ich wohl--Werd ich die Herrin schauen
- Nebst anderm Text wird mir auch dies erklärt.
- Dem aber, will ich, sollt ihr fest vertrauen:
- Ists nur mit dem Gewissen wohlbestellt,
- Dann macht kein Schicksal, wies auch sei, mir Grauen.
- Mir ist nicht neu, was eure Red enthält.
- Doch mag der Bauer seine Hacke schwingen
- Und seinen Kreis das Glück, wies ihm gefällt."
- Rechts kehrte sich Virgil, indem wir gingen,
- Nach mir zurück und sah mich an und sprach:
- "Gut hören, dies behalten und vollbringen."
- Ich aber ließ drum nicht im Sprechen nach,
- Und wünschte die berühmtesten zu kennen
- Von den Genossen dieser Pein und Schmach.
- Drauf Herr Brunett: "Gut ist es, einge nennen,
- So wie von andern schweigen löblich scheint,
- Auch würd ich nicht von allen sagen können.
- Gelehrte sind und Pfaffen hier vereint
- Von großem Ruf, die einst besudelt waren
- Mit jenem Fehl, den jeder nun beweint.
- Franz von Accorso geht in diesen Scharen,
- Auch Priscian, und war dirs nicht zu schlecht,
- Vorhin so schnöden Aussatz zu gewahren,
- So sahst du jenen, den der Knechte Knecht
- Zwang, nach Vicenz vom Arno aufzubrechen,
- Allwo der Tod sein toll Gelüst gerächt.
- Gern sagt ich mehr--doch mit dir gehn und sprechen
- Darf ich nicht länger, denn schon hebt sich dicht
- Ein neuer Rauch auf jenen sandgen Flächen.
- Auch naht hier Volk, von dem mich das Gericht
- Geschieden hat--Mein Schatz sei dir empfohlen,
- Ich leb in ihm noch--mehr begehr ich nicht."
- Hier wandt er sich, die andern einzuholen,
- Wie nach dem Ziel mit grünem Tuch geziert.
- Der Veroneser läuft mit flüchtgen Sohlen,
- Und schien, wie wer gewinnt, nicht wer verliert
- Sechzehnter Gesang
- Ich war am Ort, wos widerhallend brauste
- Vom Wasser, das da stürzt ins nächste Tal,
- Als ob ein Schwarm von Bienen summt und sauste;
- Da rannten Schatten her, drei an der Zahl,
- Und trennten sich von einer größern Bande,
- Die hinlief durch des Feuerregens Qual,
- Und schrien: "Halt du, wir sehn es am Gewande
- Dir deutlich an, du bist hierher versetzt
- Aus unserm eignen schnöden Vaterlande."
- Ach, alt und neue Wunden, eingeätzt
- Von Flammen, sah ich nun in ihrem Fleische,
- Und noch voll Mitleid denk ich ihrer jetzt.
- Mein Meister horcht auf dieses Schmerzgekreische
- Und sah mich an und sprach: "Hier harren wir!
- Bedenke jetzt, was Höflichkeit erheische.
- Denn wäre nicht der Feuerregen hier,
- Nach der Natur des Orts, so würd ich sagen:
- Die Eile zieme, mehr als ihnen, dir."
- Ich stand und hörte neu ihr altes Klagen;
- Zu uns gekommen waren alle nun,
- Da sah ich sie sich selbst im Kreise jagen.
- Wie nackende gesalbte Kämpfer tun,
- Die Griff und Vorteil zu erforschen pflegen,
- Indessen noch die Püff und Stöße ruhn;
- So sah ich sie im Kreise sich bewegen,
- Mir immerdar das Antlitz zugewandt,
- Und Hals und Fuß an Richtung sich entgegen.
- Und einer sprach: "Wenn dieser lockre Sand
- Und unsre Not uns nicht verächtlich machte.
- Und unsre Haut, so rußig und verbrannt,
- Dann unser Flehn, ob unsers Rufs, beachte;
- Sprich, wer bist du? Wie lebend hier erscheinst?
- Und was dich sicher her zur Hölle brachte?
- Der, welchem du mich folgen siehst, war einst,
- Muß er auch nackt hier und geschunden rennen.
- Von höherm Range wohl, als du vermeinst.
- Wer hörte nicht Gualdradas Enkel nennen,
- Den Guidoguerra, dessen Schwert und Geist
- Wohl Puglia und Florenz als tüchtig kennen?
- Der hinter mir den lockern Sand durchkreist,
- Tegghiajo ists, des Rat man noch auf Erden,
- Obwohl man ihm nicht folgt, als heilsam preist.
- Ich, ihr Genoss in schrecklichen Beschwerden,
- Bin Jakob Rusticucci, und mich ließ
- Mein böses, wildes Weib so elend werden."--
- Wenn irgend was vorm Feuer Schutz verhieß.
- So stürzt ich gern mich unter sie hernieder,
- Auch litt, so glaub ich, wohl mein Meister dies.
- Allein verbrannt hätt ich auch meine Glieder,
- Drum unterdrückte Furcht in mir die Lust,
- Die Jammervollen zu umarmen, wieder.
- "Nicht der Verachtung bin ich mir bewußt,"
- Begann ich, "nur des Leids für euch Geplagte,
- Und schwer verwinden wird es meine Brust.
- Ich fühlt es, als mein Herr mir Worte sagte,
- Durch welche mir es deutlich ward und klar,
- Daß, wer hier komme, hoch auf Erden ragte.
- Ich bin aus eurer Stadt, und nimmerdar
- Wird eures Tuns ruhmvoll Gedächtnis schwinden,
- Das immer mir auch lieb und teuer war.
- Ich ließ die Gall, um süße Frucht zu finden,
- Die mein wahrhafter Führer prophezeit,
- Doch muß ich erst zum Mittelpunkt mich winden."
- "Soll lang noch deine Seele das Geleit
- Der Glieder sein," so sprach nun er dagegen,
- "Soll leuchten noch dein Ruf nach deiner Zeit,
- So sage mir, bewohnen, wie sie pflegen,
- Wohl unsre Stadt noch Kraft und Edelmut?
- Sind sie verbannt und völlig unterlegen?
- Denn Borsiere, welcher diese Glut
- Seit kurzem teilt, und dort mit andern schreitet,
- Erzählt uns manches, was uns wehe tut!--"
- "Neu Volk und schleuniger Gewinn verleitet
- Zu Unmaß dich und Stolz, der dich betört,
- Florenz, und dir viel Leiden schon bereitet!"
- Ich riefs, das Aug emporgewandt, verstört.
- Starr sahn die drei sich an bei meinen Reden,
- Wie man sich anstarrt, wenn man Wahrheit hört.
- "Wir wünschen Glück, wenn du so wohlfeil jeden
- Abfertgen kannst," war aller Gegenwort,
- "Und dirs bekommt, nach Herzenslust zu reden.
- Entkommst du einst aus diesem dunkeln Ort
- Und siehst den Sternenglanz, den schönen, süßen,
- Und sagst dann froh und heiter: Ich war dort,
- Vergiß dann nicht, die Welt von uns zu grüßen!"--
- Hier aber brachen sie den Kreis und flohn
- Voll Eil und wie mit Flügeln an den Füßen.
- Eh man ein Amen ausspricht, waren schon
- Sie alle drei aus meinem Blick verschwunden.
- Drum ging sogleich mein Meister auch davon.
- Ich folgt ihm nach, um Weitres zu erkunden,
- Worauf uns bald des Stroms Gebraus erklang,
- So nah, daß wir uns sprechend kaum verstunden.
- Gleich jenem Flusse mit dem eignen Gang,
- Des Fluten ostwärts vom Berg Veso toben.
- Vom Apennin an seinem linken Hang;
- Das stille Wasser heißt er erst dort oben,
- Dann senkt er sich und wird bei Forli bald
- Des ersten Namens wiederum enthoben--
- Des Sturz dort ob Sankt Benedikt erschallt.
- Wo seine Wellen in den Abhang brausen,
- Der groß für Tausend ist zum Aufenthalt:
- So brach von einem Felsenhang voll Grausen
- Der rotgefärbte Fluß sich brüllend Bahn,
- Und kaum ertrug das Ohr sein wildes Sausen.
- Mit einem Stricke war ich umgetan,
- Und manches Mal mit diesem Gurte dachte
- Ich das gefleckte Panthertier zu sehn.
- Nachdem ich los von mir den Gürtel machte,
- Wie ich vom Führer mir geboten fand,
- Macht ich ein Knäuel draus, das ich ihm brachte.
- Er aber kehrte dann sich rechter Hand
- Und schleuderte zum tiefen Felsenschlunde
- Das Knäul hinunter ziemlich weit vom Rand.
- "Entsprechend", dacht ich, "muß die neue Kunde
- Dem neuen Wink und diesem Blicke sein,
- Womit mein Meister schaut zum tiefen Grunde."
- Stets präge doch der Mensch sich Vorsicht ein
- Mit solchen, die des Herzens Sinn erspähen,
- Und nicht sich halten an die Tat allein.
- Er sprach: "Bald werden wir auftauchen sehen,
- Was ich erwart; und das, was du gedacht,
- Wird deutlich bald vor deinen Blicken stehen."
- Bei Wahrheit, die der Lüge gleicht, habt acht,
- Soviel ihr könnt, euch nimmer auszusprechen,
- Sonst werdet ihr ohn eure Schuld verlacht.
- Doch kann ich mich zu reden nicht entbrechen
- Und schwör, o Leser, dir, bei dem Gedicht,
- Dem nimmer möge Huld und Gunst gebrechen:
- Ich sah durch jene Lüfte schwarz und dicht
- Ein Bild, nach oben schwimmend, sich erheben,
- Dem Kühnsten wohl ein wunderbar Gesicht--
- Wie jemand kehrt, der sich hinabbegeben.
- Den Anker, der im Felsenrisse steckt,
- Zu lösen, wenn er sich beim Aufwärtsstreben
- Von unten einzieht und nach oben streckt.
- Siebzehnter Gesang
- Sieh hier das Untier mit dem spitzen Schwanze,
- Der Berge spaltet, Mauer bricht und Tor!
- Sieh, was mit Stank erfüllt das große Ganze!
- So hob mein Führer seine Stimm empor
- Und rief mit seinem Wink das Tier zum Rande,
- Bis nah zu unserm Marmorpfade vor.
- Da kam des Truges Greuelbild zum Lande
- Und schob den Kopf und dann den Rumpf heran,
- Doch zog es nicht den scharfen Schweif zum Strande.
- Von Antlitz glich es einem Biedermann
- Und ließ von außen Mild und Huld gewahren,
- Doch dann fing die Gestalt des Drachen an.
- Mit zweien Tatzen, die bedeckt mit Haaren,
- Und Rücken, Brust und Seiten, die bemalt
- Mit Knoten und mit kleinen Schnörkeln waren;
- Vielfarbig, wie kein Werk Arachnes strahlt,
- Wie, was auch Türk und Tatar je gewoben,
- So bunt doch nichts an Grund und Muster prahlt.
- Wie man den Kahn, im Wasser halb, halb oben,
- Am Lande sieht an unsrer Flüsse Strand,
- Und wie, zum Kampf den Vorderleib erhoben.
- Der Biber in der deutschen Fresser Land;
- So sah ich jetzt das Ungeheuer, ragend
- Und vorgestreckt auf unsers Dammes Rand,
- Wild zappelnd, mit dem Schweif durchs Leere schlagend,
- Und, mit der Skorpionen Wehr versehn,
- Die Gabel windend und sie aufwärts tragend.
- Mein Führer sprach: Jetzt müssen wir uns drehn
- Und auf gewundnem Pfad zum Ungeheuer
- Dorthin, wos jetzo liegt, hinuntergehn.
- Nun führte rechter Hand mich mein Getreuer
- Nur wenig Schritt hinab am Rande fort,
- Den heißen Sand vermeidend und das Feuer.
- Und unten angelangt, erkannt ich dort
- Noch etwas vorwärts auf dem Sande Leute,
- Nah sitzend an des Abgrunds dunklem Bord,
- Mein Meister sprach: "Erkennen sollst du heute
- Den ganzen Binnenkreis mit seiner Pein,
- Drum geh und sieh, was jenes Volk bedeute.
- Doch kurz nur dürfen deine Worte sein.
- Ich will indes mich mit dem Tier vernehmen,
- Den starken Rücken uns zur Fahrt zu leihn."
- So mußt ich einsam mich zu gehn bequemen
- Am Rand des siebenten der Kreis und nahm
- Den Weg zum Sitze der betrübten Schemen.
- Aus jedem Auge starrte Schmerz und Gram,
- Indes die Hand, jetzt vor dem heißen Grunde,
- Jetzt vor dem Dunst dem Leib zu Hilfe kam.
- So scharren sich zur Sommerzeit die Hunde,
- Wenn Floh sie oder Flieg und Wespe sticht,
- Jetzt mit dem einen Fuß, jetzt mit dem Munde.
- Die Augen wandt ich manchem ins Gesicht,
- Der dort im Feuer saß und heißer Asche;
- Und keinen kannt ich, doch entging mir nicht,
- Vom Halse hänge jedem eine Tasche,
- Bezeichnet und bemalt, und wie voll Gier
- Nach diesem Anblick noch ihr Auge hasche.
- Ich sah, wie ich genaht, ein blaues Tier
- Auf gelbem Beutel, wie auf einem Schilde,
- Das schien ein Leu an Kopf und Haltung mir.
- Dann blickt ich weiter durch dies Qualgefilde,
- Und sieh, ein andrer Beutel, blutigrot,
- Zeigt eine butterweiße Gans im Bilde.
- Ein blaues Schwein auf weißem Sacke bot
- Sich dann dem Blick, und seine Stimm erheben
- Hört ich den Träger: "Du hier vor dem Tod?
- Fort! Fort! Doch wisse, weil du noch am Leben
- Bald findet mir mein Nachbar Vitalian,
- Zur Linken seinen Sitz, hier gleich daneben.
- Oft schrein mich diese Florentiner an,
- Mich Paduaner, mir zum größten Schrecken:
- Möcht aller Ritter Ausbund endlich nahn!
- Wo mag doch die Dreischnabeltasche stecken?"--
- Hier zerrt ers Maul schief, und die Zunge zog
- Er vor, gleich Ochsen, so die Nase lecken.
- Schon fürchtet ich, da ich so lang verzog,
- Den Zorn des Meisters, der auf Eil gedrungen,
- Daher ich schnell mich wieder rückwärts bog.
- Auch fand ich, daß er schon sich aufgeschwungen
- Und auf das Kreuz des Ungetüms gesetzt.
- Er sprach: "Stark sei dein Mut und unbezwungen!
- Hinunter gehts auf solcher Leiter jetzt.
- Steig vorn nur auf, ich will inmitten sitzen.
- Daß dich des Schwanzes Stachel nicht verletzt."
- Wie wer mit totenkalten Fingerspitzen
- Das Fieber nahen fühlt und doch nicht wagt,
- Wenn er schon zitternd bebt, sich zu erhitzen,
- So wurd ich jetzt bei dem, was er gesagt,
- Doch machte mich die Scham, gleich einem Knechte,
- Wenn ihm ein gütger Herr droht, unverzagt.
- Drum setzt ich auf dem Untier mich zurechte.
- Und bitten wollt ich (doch erstarb der Ton),
- Daß er mich halten und umfassen möchte.
- Doch er, der oft bei der Dämonen Drohn
- Mich unterstützt und der Gefahr entzogen,
- Umfaßte mich mit seinen Armen schon.
- Und sprach: "Geryon, auf! Nun fortgeflogen!
- Allein bedenke, wen dein Rücken trägt,
- Drum steige sanft hinab in weiten Bogen."
- Wie rückwärts sich vom Strand der Kahn bewegt,
- Schob sichs vom Damm, doch, kaum hinabgeklommen,
- Ward dann im freien Spielraum umgelegt.
- Als, wo die Brust war, nun der Schweif gekommen,
- Ward dieser, wie ein Aalschweif, ausgestreckt,
- Und mit dem Tatzenpaar die Luft durchschwommen.
- So, glaub ich, war nicht Phaethon erschreckt,
- Als einst die Zügel seiner Hand entgingen,
- Beim Himmelsbrand, des Spur man noch entdeckt;
- Noch Icarus, als von erwärmten Schwingen
- Das Wachs herniedertroff, bei Dädals Schrein:
- Dein Weg ist schlecht, dein Flug wird nicht gelingen;
- Wie ich, nichts sehend, als das Tier allein,
- Und rings umher von öder Luft umfangen,
- Wo nie entglomm des Lichtes heitrer Schein.
- Daß wir uns langsam, langsam niederschwangen,
- Im Bogenflug, bemerkt ich nur beim Wehn
- Der Luft von unten her an Stirn und Wangen.
- Rechts hört ich schon das Wirbeln und das Drehn
- Des Wasserfalls und sein entsetzlich Brausen,
- Und bog mich vorwärts, um hinabzusehn.
- Doch schüchtern wieder bei des Abgrunds Sausen,
- Bei Klag und Glut, die ich vernahm und sah,
- Duckt ich mich hin und zitterte vor Grausen.
- Was ich erst nicht gesehn, das sah ich da:
- Wie wir im weiten Kreis hinunterstiegen.
- Und sah mich überall den Qualen nah--
- Gleich wie ein Falk, wenn er, nach langem Wiegen
- In hoher Luft, nicht Raub noch Lockbild steht,
- Und ihn der Falkner ruft, herabzufliegen,
- So schnell er stieg, so langsam niederzieht
- Und, zürnend, wenn der Herr ihn eingeladen,
- Im Bogenflug zum fernen Sitze flieht;
- So setzt uns an den steilen Felsgestaden
- Geryon ab und flog in großer Eil,
- Sobald er nur sich unsrer Last entladen,
- Hinweg, gleich einem abgeschnellten Pfeil.
- Achtzehnter Gesang
- Ein Ort der Hölle, namens Übelsäcken,
- ist eisenfarbig, ganz erbaut von Stein,
- So auch die Dämme, die ringsum ihn decken.
- Grad in der Mitte dieses Lands der Pein
- Gähnt hohl ein Brunnen, weit, mit tiefem Schlunde.
- Von dem wird seines Orts die Rede sein.
- Und zwischen Höhl und Felswand gehn im Runde
- Rings so die Dämme, daß der Täler zehn
- Abschnitte bilden in dem tiefen Grunde.
- Wie um ein Schloß mehrfache Gräben gehn.
- Dahinter wohlverwahrt die Mauern ragen
- Und sicherer den Feinden widerstehn;
- So war umgürtet dieser Ort der Plagen;
- Und wie man Brücken pflegt zum andern Strand
- Aus solcher festen Schlösser Tor zu schlagen,
- So sprangen Zacken aus der Felsenwand,
- Durchschnitten Wäll und Gräben erst und gingen.
- Wie Räderspeichen, bis zum Brunnenrand.
- Kaum konnten wir vom Kreuz Geryons springen,
- So ging links hin mein Meister und befahl
- Auch mir, auf seinen Spuren vorzudringen.
- Und ganz erfüllt sah ich das erste Tal
- Rechts, wohin Klagen meine Blicke riefen.
- Von neuen Peinigern und neuer Qual.
- Es waren nackte Sünder in den Tiefen,
- Geteilt, denn hier zog gegen uns die Schar,
- Und dort mit uns, nur daß sie schneller liefen;
- Gleichwie man pflegt in Rom beim Jubeljahr
- Zum Übergang die Brücke herzurichten
- Ob übergroßen Andrangs, also zwar,
- Daß hier gewendet sind mit den Gesichten,
- Die zu Sankt Peter wallen, nach dem Schloß,
- Die andern dort sich nach dem Berge richten.
- Auf schwarzem Stein sprang hier und dort ein Troß
- Von Teufeln nach, von schrecklichen, gehörnten.
- Die schlugen wild auf sie von hinten los.
- Wie sie beim ersten Schlage laufen lernten!
- Wie sie, nicht harrend auf den zweiten Hieb,
- Mit jähen, langen Sprüngen sich entfernten!
- So fiel auf einen, den die Geißel trieb,
- Mein Auge jetzt hinab, bei dem ich dachte,
- Daß er nicht fremd mir auf der Erde blieb.
- Scharf blickt ich hin, damit ich ihn betrachte,
- Auch hielt mein Führer an, ders zugestand,
- Daß ich zurück erst einge Schritte machte.
- Zwar sucht er, bodenwärts den Blick gewandt,
- Mir mit Gestalt und Angesicht zu geizen,
- Doch rief ich, da ich dennoch ihn erkannt:
- "Wenn deine Züge nicht zum Irrtum reizen,
- So mein ich, daß du Venedigo seist;
- Doch weshalb steckst du so in scharfen Beizen?"
- "Nur ungern sag ichs," sprach er drauf, "doch reißt
- Dein klares Wort mich hin, das mich bezwungen,
- Weils alte Zeit zurückführt meinem Geist.
- Ich bins, der in Ghifolen so gedrungen,
- Daß sie nach des Markgrafen Willen tat,
- Wie ganz entstellt auch das Gerücht erklungen.
- Und aus Bologna ist auf gleichem Pfad
- An diesen Qualort so viel Volk gekommen,
- Als jetzo diese Stadt kaum Bürger hat.
- Und sollte dir hierbei ein Zweifel kommen,
- So denk, um sicher auf mein Wort zu baun.
- Wie Habsucht uns die Herzen eingenommen."
- Sprachs, und ein Teufel kam, um einzuhaun,
- Mit hochgeschwungner Geißel her und sagte:
- "Fort, Kuppler, fort, hier gibts nicht feile Fraun."
- Zum Führer ging ich, da ich bebt und zagte,
- Und bald gelangten wir an einen Ort,
- Wo aus der Wand ein Felsen vorwärts ragte.
- Und dieser Zacken dient als Brücke dort;
- Leicht klommen beide wir hinauf und zogen
- Rechts hin aus jenen ewgen Kreisen fort.
- Bald dort, wo unter uns der Fels als Bogen
- Sich höhlt und Durchgang der Gepeitschten war,
- Sprach er: "In gleicher Richtung fortgezogen,
- Sind wir bis jetzt mit jener zweiten Schar,
- Drum konnten wir sie nicht von vorne sehen.
- ietzt aber nimm die Angesichter wahr."
- Wir blieben nun am Rand der Brücke stehen
- Und sahn den Schwarm, der uns entgegensprang,
- Denn eilig hieß die Geißel alle gehen.
- Da sprach mein Hort: "Sieh, noch mit Stolz im Gang,
- Den Großen, der sich keine Klag erlaubte,
- Dem aller Schmerz noch keine Trän entrang.
- So königlich noch an Gestalt und Haupte!
- Der Jason ists, der durch Verstand und Mut
- Das Widdervlies dem Volk von Kolchis raubte.
- Nach Lemnos kam er, als in ihrer Wut
- Die Fraun, die glühend Eifersucht durchzuckte,
- Vergossen hatten aller Männer Blut;
- Wo er durch Worte, täuschend ausgeschmückte.
- Berückt Hypsipylen, das junge Herz,
- Die alle Fraun von Lemnos erst berückte.
- Dort ließ er schwanger sie in ihrem Schmerz.
- Dies bracht ihn her; und gleiche Straf erheischen
- Medeas Leiden, einst ihm Spiel und Scherz--
- Auch gehn mit ihm, die gleicherweise tauschen.
- Allein dies sei vorn ersten Tal genug
- Und denen, so die Geißeln drin zerfleischen."
- Im Kreuz den zweiten Damm durchschneidend, trug
- Der Felspfad uns, der, auf den Widerlagen
- Der Dämme, hier den andern Bogen schlug.
- Dort, aus dem zweiten Sack, klang dumpfes Klagen,
- Und Leute sahn wir tief im Grunde sich
- Laut schnaufend mit den flachen Händen schlagen.
- Der Dämme Seiten waren schimmelig
- Vom untern Dunste, der wie Teig dort klebte.
- Für Aug und Nase feindlich widerlich.
- Doch vor dem Blick, so sehr ich forschte, schwebte;
- Noch dunkle Nacht, weil tief der Abgrund ist,
- Bis ich des Felsenbogens Höh erstrebte.
- Von hier, wo erst der Blick die Tiefe mißt.
- Sah ich viel Leut in tiefem Kote stecken,
- Und, wie mirs vorkam, war es Menschenmist.
- Ich forscht und sah ein Haupt sich vorwärts strecken,
- Doch ganz beschmutzt mit Kot, drum könnt ich nicht,
- Obs Lai, ob Pfaffe sei, genau entdecken.
- Da schrie er her: "Was bist du so erpicht,
- Mich mehr als andre Schmutzge zu gewahren?"
- Und ich: "Weil, ist mir recht, ich dein Gesicht
- Bereits gesehm, allein mit trocknen Haaren.
- Alex, Interminei heißest du,
- Drum seh ich mehr auf dich als jene Scharen."
- Und er, die Stirn sich schlagend, rief mir zu:
- "Mich stürzte Schmeichelei herab zur Hölle,
- Die ich dort übte sonder Rast und Ruh."
- Da sprach zu mir mein guter Meister: "Stelle
- Dich etwas vor, und in die Augen fällt
- Dir eine schmutzge Dirn an jener Stelle.
- Sieh die Zerzauste, die sich kratzt und krellt
- Mit kotgen Nägeln, jetzt aufs neue greulich
- im Mist versinkt und jetzt sich aufrecht stellt,
- Die Hure Thais ists, jetzt so abscheulich.
- Fragt einst ihr Buhl: "Steh ich in Gunst bei dir?"
- Versetzte sie: "Ei, ganz erstaunlich! Freilich!"
- Doch sei gesättigt unsre Schaulust hier.
- Neunzehnter Gesang
- Simon Magus, ihr, o Arme, Blöde,
- Die, was der Tugend ihr vermählen sollt.
- Die Dinge Gottes, räuberisch und schnöde,
- Ihr euch erbuhlt durch Silber und durch Gold,
- Von euch soll jetzo die Posaun erschallen;
- Euch zahlt der dritte Sack der Sünden Sold.
- Erstiegen hatten wir die Felsenhallen
- Des Stegs, von welchem mitten in den Schoß
- Des nächsten Schlunds die Blicke senkrecht fallen.
- Allweisheit, wie ist deine Kunst so groß
- Im Himmel, auf der Erd, im Höllenschlunde,
- Und wie gerecht verteilst du jedes Los!
- Ich sah dort an den Seiten und im Grunde
- Viel Löcher im schwarzbläulichen Gestein,
- Gleich weit und sämtlich ausgehöhlt zum Runde.
- Sie mochten so, wie jene, wo hinein
- Beim Taufstein Sankt Johanns die Täufer treten,
- Und enger nicht, doch auch nicht weiter sein.
- Eins dieser sprengt ich einst, weil ich in Nöten
- Ein halbersticktes Kindlein drin entdeckt;
- So seis besiegelt, so will ichs vertreten;
- Ich sah, daß sich, aus jedem Loch gestreckt,
- Zwei Füß und Beine bis zum Dicken fanden,
- Der andre Leib blieb innerhalb versteckt;
- Sah, wie die Sohlen beid in Flammen standen,
- Und sah die Knorren zappeln und sich drehn
- So stark, daß sie wohl sprengten Kett und Banden.
- Wie wirs an ölgetränkten Dingen sehn,
- Wo obenhin die Flammen flackernd rennen,
- So von der Ferse dort bis zu den Zehn.
- "Gern, Meister," sprach ich, "möcht ich diesen kennen.
- Der wilder zuckt als die, so ihm gesellt,
- Und dessen beide Sohlen röter brennen."
- Und er: "Ich trage dich, wenn dirs gefällt,
- Arn schiefen Hang hinab--er wird dir zeigen,
- Wer einst er war, und was im Loch ihn hält."
- Drauf ich: "Du bist der Herr, und mein Bezeigen
- Folgt dem gern, was mir als dein Wille kund,
- Und du verstehst mich auch bei meinem Schweigen."
- Drauf gings zum vierten Damm, und links zum Schlund
- Trug mich mein Herr hinab zu neuen Leiden
- In den durchlöcherten und engen Grund.
- Er ließ mich nicht von seiner Hüfte scheiden,
- Auf die er mich gesetzt, bis bei dem Ort
- Des, der da weinte mit den Füßen beiden.
- "Du, mit dem Obern unten," sprach ich dort,
- "Hier eingerammt gleich einem Pfahl, verkünde:
- Wer bist du? Sprich, ist dir vergönnt dies Wort."
- Ich stand, dem Pfaffen gleich, dem seine Sünde
- Der Mörder beichtet, welcher, schon im Loch,
- Ihn rückruft, daß der Tod noch Aufschub finde.
- Da schrie er: "Bonifaz, so kommst du doch,
- So kommst du doch schon jetzt, mich fortzusenden?
- Und man versprach dir manche Jahre noch?
- Schon satt des Guts, ob des mit frechen Händen
- Du trügerisch die schöne Frau geraubt,
- Um ungescheut und frevelnd sie zu schänden?"
- Ich stand verlegen, mit gesenktem Haupt,
- Wie wer nicht recht versteht, was er vernommen.
- Und sich beschämt kein Gegenwort erlaubt.
- Da sprach Virgil: "Was stehst du so beklommen?
- Sag ihm geschwind, daß du nicht jener seist,
- Den er gemeint!"--Ich eilt, ihm nachzukommen.
- Die Fuße nun verdrehte wild der Geist
- Und sprach mit Seufzern und mit dumpfen Klagen:
- "Was also ists, das so dich fragen heißt?
- Doch standest du nicht an, dich herzuwagen.
- Um mich zu kennen, wohl, so sag ich dir,
- Daß ich den großen Mantel einst getragen.
- Der Bärin wahrer Sohn war ich, voll Gier
- Fürs Wohl der Bärlein, und für diese steckte
- Ich in den Sack dort Gold, mich selber hier.
- Auch unter meinem Haupt gibts viel Versteckte.
- Dort, durchgepreßt durch einen Felsenspalt,
- Sind, die vor mir die Simonie befleckte.
- Und dort hinab versink auch ich, sobald
- Der kommt, für welchen ich dich angesehen.
- Und der mir folgt in diesem Aufenthalt;
- Doch wird er nicht so lang, als mir geschehen,
- Die Füße brennend, köpflings eingesteckt,
- Fest eingepfählt in diesem Loche stehen.
- Denn nach ihm kommt, zu schlechterm Werk erweckt,
- Ein Hirt vom Westen, ein gesetzlos Wesen,
- Das, wie sich ziemt, mich und auch ihn bedeckt.
- Ein neuer Jason ists, von dem zu lesen
- Im Makkabäerbuch, dem Philipp wird.
- Was diesem einst Antiochus
- Ich weiß nicht, ob ich nicht zu sehr geirrt,
- Auf solche Red ihm dieses zu versetzen:
- "Sprich, was verlangt einst unser Herr und Hirt,
- Zuerst von Petrus wohl an Gold und Schätzen,
- Um ihm das Amt der Schlüssel zu verleihn?"
- Komm, sprach er, um mein Werk nun fortzusetzen
- Was trugs dem Petrus und den andern ein.
- Als man durch Los einst den Matthias kürte
- Statt dessen, der ein Raub ward ewger Pein?
- Nichts ward dir hier, als das, was sich gebührte;
- Betrachte nur das schlechterworbne Geld,
- Das gegen Karln zur Kühnheit dich verführte.
- Und nur weil Ehrfurcht meine Zunge hält
- Für jene Schlüssel, die du einst getragen,
- Da du gewandelt in der heitern Welt,
- Enthalt ich mich, dir Schlimmeres zu sagen:
- Daß schlecht die Welt durch eure Habsucht ist.
- Die Guten sanken und die Schlechten ragen.
- Euch Hirten meinte der Evangelist
- Bei ihr, die sitzend auf den Wasserwogen
- Mit Königen zu huren sich vermißt.
- Sie, mit den sieben Häuptern auferzogen,
- Sie hatt in zehen Hörnern Kraft und Macht,
- Solang der Tugend ihr Gemahl gewogen.
- Eur Gott ist Gold und Silber, Glanz und Pracht.
- Wohl besser sind die, so an Götzen hangen,
- Die einen haben, wo ihr hundert macht.
- Welch Unheil, Konstantin, ist aufgegangen,
- Nicht, weil du dich bekehrt, nein, weil das Gut
- Der erste reiche Papst von dir empfangen!"
- Indes ich also sprach mit keckem Mut,
- Da, seis daß Zorn ihn, daß ihn Reue nagte.
- Verdreht er beide Bein in großer Wut.
- Doch schiens, daß es dem Führer wohlbehagte;
- So stand er dort, zufrieden, aufmerksam.
- Als ich so nachdrucksvoll die Wahrheit sagte;
- Worauf er mich mit beiden Armen nahm,
- Und als er mich an seine Brust gewunden,
- Den Weg zurückestieg, auf dem er kam.
- Er trug, nie matt, wie fest er mich umwunden.
- Mich auf des Bogens Höhe sonder Rast,
- Durch den der viert und fünfte Damm verbunden.
- Dort setzt er sanft zu Boden meine Last,
- Sanft, ob der Fels auch, steil emporgeschossen,
- Zum Wege kaum für eine Ziege paßt;
- Da ward ein andres Tal mir aufgeschlossen.
- Zwanzigster Gesang
- Die neue Qual, zu der ich jetzt gewandelt.
- Sie gibt dem zwanzigsten Gesange Stoff
- Des ersten Lieds, das von Verdammten handelt.
- Ich stand auf jenem Felsen rauh und schroff
- Und spähte scharf hinab zum offnen Schlunde,
- Der ganz von angsterpreßten Zähren troff.
- Viel Leute gingen langsam in der Runde,
- So, wie ein Wallfahrtszug die Schritte lenkt.
- Stillschweigend, weinend in dem tiefen Grunde.
- Als tiefer ich auf sie den Blick gesenkt,
- Sah ich--ein Wunder scheint es und erdichtet--
- Vorn Kinn sie bis zum Achselbein verrenkt,
- Das Angesicht zum Rücken hin gerichtet;
- Drum mußten sie gezwungen rückwärts gehn,
- Und ihnen war das Vorwärtsschaun vernichtet.
- So soll der Fallsucht Krampf das Haupt verdrehn,
- Wie man erzählt in wunderlichen Sagen,
- Doch glaub ichs nicht, da ich es nie gesehn.
- Läßt Gott dein Lesen, Leser, Früchte tragen,
- So frage selber dich, wie mir geschah,
- Ob ich nicht weinen mußt und ganz verzagen,
- Als ich des Menschen Ebenbild so nah
- Verrenkt, verdreht und von der Augen Tränen
- Genetzt den Spalt der Hinterbacken sah?
- Wahr ists, auf eine von den Felsenlehnen
- Stand ich gestützt und weinte ganz verzagt;
- Da sprach mein Herr: "Willst du, gleich Toren, wähnen?
- Fromm ist nur, wer das Mitleid hier versagt.
- Wer ist verruchter wohl, als wer zu schmähen
- Durch sein Bedauern Gottes Urteil wagt?
- Empor das Haupt, empor! Den wirst du sehen,
- Den einst vor Thebens Blick der Grund verschlang;
- Drob alle schrien: Wohin? Was ist geschehen?
- Amphiaraus, wird der Kampf zu lang?--
- Doch stürzt er fort und fort im tiefen Schachte,
- Bis Minos ihn, gleich anderm Volk, bezwang.
- Schau, wie er ihm die Brust zum Rücken machte!
- Schau, wie er rückwärts schreitet, rückwärts steht,
- Weil er zu weit voraus zu sehen dachte.
- Tiresias sieh, der uns entgegenzieht.
- Er, erst ein Mann, ward durch des Zaubers Gabe
- Verwandelt in ein Weib an jedem Glied.
- Dann aber schlug er mit dem Zauberstabe
- Zuvor auf zwei verwundne Schlangen ein,
- Damit er wieder Mannsgestaltung habe.
- Den Rücken ihm am Bauch, kommt hinterdrein,
- Nah angedrängt an ihn, des Aruns Schatte,
- Der lebend einst in Lunis Felsenreihn
- Als Haus die weiße Marmorhöhle hatte,
- Wohl ausgesucht, daß sie zum Meeresstrand
- Und zu den Sternen freien Blick gestatte.--
- Die mit den wilden Haaren ohne Band
- Die Brüste deckt, die sich nach hinten kehren,
- Was sonst behaart ist, hinterwärts gewandt.
- War Manto, die in Ländern und auf Meeren
- Umirrte bis zum Ort, der mich gebar.
- Von dieser will ich näher dich belehren.
- Nachdem der Welt entrückt ihr Vater war
- Und Bacchus Stadt verfiel in Sklavenbande,
- Durchstreifte sie die Welt so manches Jahr.
- Ein See liegt an des schönen Welschlands Rande,
- Am Fuß des Alpgebirgs, das Deutschland schließt,
- Benaco heißend, beim Tiroler Lande.
- Zwischen Camonica und Gard ergießt,
- Und Apennin, sich Flut in tausend Bächen,
- Die in besagtem See zusammenfließt.
- Inmitten aber liegen ebne Flächen,
- Und drei verschiedne Hirten könnten dort
- Auf einem Grenzpunkt ihren Segen sprechen.
- Hier liegt Peschiera dann, ein starker Ort
- Um Bergamo von Brescia abzuschneiden,
- Und rings geht flacher dann die Gegend fort.
- Hier muß sich von dem See das Wasser scheiden,
- Das nicht mehr Raum in seinem Schoß gewinnt,
- Und strömt als Fluß herab durch grüne Weiden.
- Das Wasser, das hier seinen Lauf beginnt,
- Heißt Mincio nun, und seine Wellen gleiten
- Bis nach Governo, wos im Po verrinnt.
- Nicht weit gelaufen, trifft es ebne Weiten,
- Wo es sich ausdehnt und zum Sumpfe staut,
- Der bösen Dunst verhaucht zu Sommerszeiten.
- Als dort das rauhe Weib ein Land erschaut,
- Das jenes Sumpfes Wogen rings umgaben.
- Entblößt von Leuten und unangebaut,
- Da blieb, um nichts von Menschen nah zu haben.
- Sie mit den Dienern da, trieb Zauberei
- Und lebt und ward in diesem Land begraben.
- Bald kamen Menschen, rings zerstreut, herbei.
- Die, weil sie sich auf diesen Ort verließen,
- Und sahn, daß durch das Moor kein Zugang sei,
- Sich auf dem Grabe Mantos niederließen,
- Und dann nach ihr, die erst den Ort erwählt,
- Die Stadt, ohn andres Zeichen, Mantua hießen.
- Sie hat vordem des Volkes mehr gezählt,
- Eh Pinamont, den Toren zu betrügen.
- Dem Cassalodi seinen Trug verhehlt.
- Drum merke wohl, und sollt es ja sich fügen,
- Daß Mantuas Ursprung man nicht so erklärt,
- So laß der Wahrheit nichts entziehn durch Lügen."
- Und ich: "Mein Meister, was dein Wort mich lehrt.
- Ist mir gewiß und dient zu meinem Frommen,
- All andres ist nur tote Kohl an Wert.
- Doch sprich, von diesen, die uns näher kommen,
- Ist irgend wer bemerkenswerter Art?
- Denn dies nur hat den Geist mir eingenommen."
- Und er: "Des Augurs Trug hat der, des Bart
- Die braunen Schultern deckt, zur Zeit getrieben,
- Als Griechenland so leer an Männern ward,
- Daß Knaben kaum noch für die Wiegen blieben.
- In Aulis sagt er da mit Kalchas wahr,
- Zeit seis, daß sie das erste Tau zerhieben.
- Kund tut mein tragisch Lied dir, wer er war.
- Du wirst dich des Eurypylus entsinnen,
- Denn mein Gedicht ja kennst du ganz und gar.
- Sieh Michael Scotto auch, den magern, dünnen.
- Der jeden Trug des Zaubers klug gelenkt
- Und solches Spiel verstanden zu gewinnen.
- Bonatti sieh--Asdent, dens jetzo kränkt.
- Allein zu spät, daß er in eitlem Trachten
- Dort nicht auf seinen Leisten sich beschränkt.
- Sich Vetteln, die statt Spill und Rad zu achten
- Und Weberschiff, wies einem Weib gebührt,
- Mit Kraut und Bildern Hexereien machten.
- Jetzt komm! Indes ich dich hierher geführt,
- Hat an der Grenze beider Hemisphären
- Der Mond im Westen schon die Flut berührt.
- Du sahst ihn gestern völlig sich erklären
- Und sahst ihn dir im dichtverwachsnen Wald
- Verschiedne Mal willkommnes Licht gewähren."
- Er sprachs, doch gingen wir ohn Aufenthalt.
- Einundzwanzigster Gesang
- So gings von Brück auf Brück, in manchem Wort,
- Das ich zu sagen nicht für nötig halte;
- Und oben, an des Bogens höchstem Ort,
- Verweilten wir ob einer neuen Spalte
- Und hörten draus den eitlen Laut der Qual
- Und sahn, wie unten tiefes Dunkel walte.
- Gleich wie man in Venedigs Arsenal
- Das Pech im Winter sieht aufsiedend wogen,
- Womit das lecke Schiff, das manches Mal
- Bereits bei Sturmgetos das Meer durchzogen,
- Kalfatert wird--da stopft nun der in Eil
- Mit Werg die Löcher aus am Seitenbogen,
- Der klopft am Vorder-, der am Hinterteil
- Der ist bemüht, die Segel auszuflicken,
- Der bessert Ruder aus, der dreht ein Seil;
- So ist ein See von Pech dort zu erblicken,
- Das kocht durch Gottes Kunst, und nicht durch Glut,
- Des Dünste sich am Strand zum Leim verdicken.
- Ich sah den See, doch nichts in seiner Flut,
- Die jetzt sich senkt und jetzt sich wieder blähte.
- Als Blasen, ausgehaucht vom regen Sud.
- Indes ich scharfen Blicks hinunterspähte,
- Zog mich, indem er rief: "Hab acht! Hab acht!"
- Mein Meister zu sich hin von meiner Stätte.
- Da wandt ich mich, gleich einem, den mit Macht
- Die Neugier zieht, das Schreckliche zu sehen,
- Und der, da jähe Furcht ihn schaudern macht,
- Doch, um zu schaun, nicht zögert, fortzugehen.
- Und sieh, ein rabenschwarzer Teufel sprang
- Uns hinterdrein auf jenen Felsenhöhen.
- Ach, wie sein Ansehn mich mit Graus durchdrang,
- Wie wild er schien, wie froh in andrer Schaden!
- Gespreizt die Schwingen, leicht und schnell den Gang,
- Kam er, die Schultern hoch gespitzt, beladen
- Mit einem Sünder her, der oben ritt,
- Und mit den Klauen packt er seine Waden.
- "Von Lucca bring ich einen Ratsherrn mit"--
- Schrie er, "auf, taucht ihn unter, Grimmetatzen!
- Und jene Stadt ist wohlversehn damit,
- Drum hol ich gleich noch mehr von solchen Fratzen.
- Gauner sind alle dort, nur nicht Bontur,
- Und machen Ja aus Nein für blanke Batzen."
- Hinunterwarf er noch den Sünder nur,
- Und rannte gleich zurück in solcher Eile,
- Wie je der Hofhund nach dem Diebe fuhr.
- Der Sünder sank, doch hob sich sonder Weile,
- Da schrien die Teufel unten: "Fort mit dir,
- Hier dient kein Heilgenbild zu deinem Heile.
- Ganz anders als in Serchio schwimmt man hier.
- Und sollen dich nicht unsre Haken packen.
- So bleib im Peche nur, sonst fassen wir."
- Gleich stießen sie mit tausend scharfen Zacken
- Und schrien: "Dein Tänzchen mache hier versteckt.
- Such unten einem etwas abzuzwacken."
- Nicht anders machts ein Koch, wenn er entdeckt.
- Das Fleisch im Kessel komm emporgeschwommen,
- Und schnell es mit dem Haken untersteckt.
- Virgil sprach: "Geh, eh sie dich wahrgenommen.
- Und ducke dich bei jener Felsenbank;
- Durch diese wirst du eingen Schirm bekommen.
- Mir ist das Ding nicht fremd, drum bleibe frank
- Von jeder Furcht, was man mir auch erzeige.
- Denn früher war ich schon in solchem Zank."
- Dann ging er jenseits auf dem Felsensteige,
- Und wie er hingelangt zum sechsten Strand,
- Tats not ihm, daß er sichre Stirne zeige.
- Denn wie in Sturm und Wut hervorgerannt,
- Die Haushund auf den armen Bettler fallen.
- Wenn er am Haus, laut flehend, stillestand;
- So stürzten jen aus dunkeln Felsenhallen
- Und streckten all auf ihn die Haken hin,
- Er aber schrie: "Zurück jetzt mit euch allen.
- Mich anzuhaken habt ihr wohl im Sinn?
- Doch tret erst einer vor, um mich zu sprechen,
- Und dann bedenkt, ob ich zu packen bin."
- "Geh vor denn, Stachelschwanz." So schrien die Frechen,
- Und einer kam, die andern blieben stehn--
- Und fragte, wie er wag, hier einzubrechen?
- "Wie", sprach mein Meister, "würdest du mich sehn.
- Wie würd ich wagen, je hier einzudringen,
- War ich auch sicher, euch zu wiederstehn,
- Wenns Gott und Schicksal also nicht verhingen?
- Drum laß mich ziehn, der Himmel will, ich soll
- Als Führer einen durch die Hölle bringen."
- Der Haken fiel, da dieses Wort erscholl,
- Ihm aus der Hand, so hatt ihn Furcht durchschauert.
- "Gesellen," rief er aus, "laßt euren Groll!"
- "Du, der dort zwischen Felsenstücken kauert,"
- Rief nun mein Meister, "eile zu mir her,
- Da jetzt kein Feind mehr auf dem Wege lauert."
- Und vorwärts trat ich und kam schnell daher,
- Doch sah ich vorwärts auch die Teufel fahren,
- Als gelte nichts die Übereinkunft mehr;
- Und war voll Schrecken, wie Capronas Scharen,
- Die, dem Vertrag zum Trotz, dem Tode nah.
- Als sie die Festung übergeben, waren.
- Fest drängt ich mich an meinen Führer da
- Und hielt den Blick gespannt auf ihre Mienen,
- Aus denen ich nichts Gutes mir ersah.
- Und diese Rede hört ich zwischen ihnen:
- "Den Haken ihm ins Kreuz? Was meinst du? Sprich!"
- Der andre: "Ja, du magst ihn nur bedienen!"
- Doch jener Geist, der mit dem Meister sich
- Besprochen, wandte schleunig sich zurücke
- Und rief: "Still, Raufbold, ruhig halte dich."
- Und dann zu uns: "Auf diesem Felsenstücke
- Kommt ihr nicht weiter, denn im tiefen Grund
- Liegt längst zertrümmert schon die sechste Brücke.
- Und wollt ihr fort, geht oben, längs dem Schlund,
- Dann seht ihr vorwärts einen Felsen ragen
- Und kommt darauf bis zu dem nächsten Rund.
- Denn gestern, um euch alles anzusagen,
- Wars just zwölfhundertsechsundsechzig Jahr,
- Seit jenen Weg ein Erdenstoß zerschlagen.
- Dorthin entsend ich einge meiner Schar,
- Um Sündern, die sich lüften, nachzuspüren;
- Mit ihnen geht und fürchtet nicht Gefahr.
- Auf, ihr Gesellen, jetzt, euch frisch zu rühren;
- Eistreter, Senkflug, Bluthund, kommt heran,
- Du, Sträubebart, sollst alle zehen führen.
- Auf, Drachenblut, Kratzkrall und Eberzahn,
- Scharfhaker, und auch du, Grimmrot der Tolle,
- Und Firlefanz, schickt euch zum Wandern an.
- Schaut, wer etwa im Pech auftauchen wolle,
- Doch wißt, daß dieses Paar in Sicherheit
- Bis zu der nächsten Brücke reisen solle."
- "Ach, guter Meister," rief ich, "welch Geleit?
- Ich, meinerseits, ich will es gern entbehren,
- Und bin mit dir allein zu gehn bereit.
- Sieh nur, wie sie vor Grimm im Innern gären,
- Wie sie die Zähne fletschen und mit Drohn
- Nach uns die tiefgezognen Brauen kehren."
- Und er zu mir: "Nicht fürchte dich, mein Sohn,
- Laß sie nur fletschen ganz nach Gutbedünken,
- Sie tun dies nur zu der Verdammten Hohn"
- Sie schwenkten dann sich auf den Damm zur Linken,
- Nachdem vorher die Zunge jeder wies,
- Hervorgestreckt, dem Hauptmann zuzuwinken,
- Der mit dem hintern Mund zum Abmarsch blies.
- Zweiundzwanzigster Gesang
- Schon sah ich Reiter aus dem Lager ziehn,
- Die Mustrung machen, in die Feinde brechen,
- Auch wohl sich schwenken und zurückefliehn;
- Von Streifpartein sah ich in euren Flächen,
- Ihr Aretiner, einst euch hart bedrohn;
- Sah Festturnier und große Lanzenstechen;
- Drommeten hört ich, Trommeln, Glockenton,
- Sah Rauch und Feuer auch als Kriegeszeichen,
- Und fremd und heimische Signale schon;
- Doch nimmer hieß ein Tonwerkzeug, dergleichen
- Ich hier gehört, das Volk zu Roß und Fuß,
- Zu Land und Meer, noch vorgehn oder weichen.
- Mit zehen Teufeln ging ich, voll Verdruß,
- Doch wußt ich, daß man Säufer in den Schenken
- Und Beter in den Kirchen suchen muß,
- Auch war aufs Pech gerichtet all mein Denken,
- Um ganz des Orts Bewandtnis zu erspähn.
- Und welche Leut in diese Glut versänken.
- Wie die Delphine, die vor Sturmeswehn
- Mit den gebognen Rücken oft verkünden,
- Zeit seis, sich mit den Schiffen vorzusehn;
- So, um Erleichterung der Qual zu finden,
- Taucht oft ein Sünderrücken auf und schwand
- Im Peche dann so schnell, wie Blitze schwinden.
- Und wie die Frösch an eines Grabens Rand
- Mit Beinen, Bauch und Brust im Wasser stecken,
- Die Schnauzen nur nach außen hingewandt;
- So sah man jen hervor die Mäuler strecken,
- Allein, wenn sie den Sträubebart erschaut,
- Sich schleunig in dem heißen Pech verstecken.
- Ich sah, und jetzt noch schaudert mir die Haut,
- Nur einen harren, wie, wenn all entsprangen.
- Ein einzler Frosch noch aus dem Pfuhle schaut.
- Kratzkralle, der am weitsten vorgegangen,
- Schlug ihm den Haken ins bepichte Haar
- Und zog ihn auf, Fischottern gleich, gefangen.
- Ich wußte schon, wie jedes Name war
- Von ihrer Wahl und, daß mir nichts entfalle.
- Nahm ich der Namen dann im Sprechen wahr.
- "Frisch, Grimmrot, mit den scharfen Klauen falle
- Auf diesen Wicht und zieht ihm ab das Fell."
- So schrien zusammen die Verfluchten alle.
- Und ich: "Mein Meister, o erforsche schnell,
- Wer hier in seiner Feinde Hand gerate?
- Wer ist wohl der unselige Gesell?"
- Worauf mein Führer seiner Seite nahte,
- Ihn fragend, wer er sei, wo sein Geschlecht?
- "Ich bin gebürtig aus Navarras Staate.
- Die Mutter gab mich einem Herrn zum Knecht,
- Weil sie von einem Prasser mich geboren,
- Der all sein Gut und auch sich selbst verzecht.
- Zum Freunde dann vom Theobald erkoren,
- Dem guten König, trieb ich Gaunerei.
- Jetzt leg ich Rechnung ab in diesen Mooren."
- Und Eberzahn, aus dessen Munde zwei
- Hauzähne ragten, wie aus Schweinefratzen,
- Bewies ihm jetzt, wie scharf der eine sei.
- Die Maus war in den Krallen arger Katzen,
- Doch Sträubebart umarmt ihn fest und dicht
- Und rief: "Ich halt ihn, fort mit euren Tatzen."
- Und zu dem Meister kehrt er das Gesicht.
- "Willst du, bevor die andern ihn zerreißen,
- Noch etwas fragen, wohl, so zaudre nicht."
- Mein Führer: "Sprich, wie andre Sünder heißen,
- Dort unterm Pech? Sind auch Lateiner da?"
- Und jener sprach: "Mir war dort in der heißen
- Pechflut vor kurzer Zeit noch einer nah!
- Was mußt ich doch darüber mich erheben,
- Da ich dort nichts von Klaun und Haken sah!"
- "Wir habens schon zu lange zugegeben!"
- Scharfhaker schries und hakt auf ihn hinein,
- Auch blieb ein Stück vom Arm am Haken kleben.
- Schon zielte Drachenblut ihm nach dem Bein,
- Allein der Hauptmann blickt auf seine Scharen
- Im Kreis herum und schien ergrimmt zu sein.
- Da wandte sich, sobald sie stille waren,
- Mein Herr zu ihm, der auf sein wundes Glied
- Herniedersah, um mehr noch zu erfahren.
- "Wer ists, von dem dein Mißgeschick dich schied,
- Als du dich nach der Oberfläch erhoben?"--
- "Der von Gallura ists, der Mönch Gomit.
- Im Trug bestand er all und jede Proben,
- Des Herrschers Feinde hielt er im Verlies
- Und tat mit ihnen, was sie alle loben,
- Geld nahm er, wie er selber sagt, und ließ
- Sie sachte ziehn, er, der in Amt und Ehren
- Sich sonst als Schelm nicht klein, nein groß erwies.
- Viel pflegt mit ihm Herr Zanche zu verkehren
- Von Logodor--sie schwatzen immerfort.
- Als ob sie jetzt noch in Sardinien wären.
- Ach, Seht, wie fletscht die Zähne jener dort!
- Gern sprach ich mehr, doch würd er mich kuranzen!
- Er droht ja wütend schon bei jedem Wort."
- Doch Sträubebart, gewandt zu Firlefanzen,
- Des Auge grimmig glotzte, schalt ihn sehr:
- "Verdammter Vogel, wirst du rückwärts tanzen?"
- "Willst du," begann der bange Wicht nunmehr,
- "Willst du Toskaner und Lombarden sehen?
- Ich schaffe sie dir nach Belieben her,
- Wenn nur die Grimmetatzen ferne stehen.
- Und deren Rache sie nicht zittern macht.
- Und ich, ich will nicht von der Stelle gehen,
- Und locke doch dir leicht statt eines acht,
- Sobald ich pfeife, wie wir immer pflegen,
- Um anzudeuten, daß kein Teufel wacht."
- Da streckt ihm Bluthund seine Schnauz entgegen
- Und schrie kopfschüttelnd: "Hört die Büberei!
- Er will ins Pech, sobald wir uns bewegen."
- Allein der Sünder, reich an Schelmerei,
- Sprach: "Wahrlich, bübisch bin ich wohl zu nennen.
- Denn zu der Meinen Unglück trag ich bei."
- Und Senkflug wollt ihm den Versuch vergönnen;
- "Springst du," hob er mit jenen uneins an,
- "So werd ich nicht zu Fuße nach dir rennen.
- Nein, überm Pech schlag ich die Flügel dann.
- Laßt Platz uns hinter diesem Damme nehmen,
- Zu sehn, ob mehr als wir der eine kann."
- Jetzt werdet ihr ein neues Spiel vernehmen.
- Die Blicke wandten sie, und sehr bereit
- War, der der Schlimmste schien, sich zu bequemen.
- Doch wohl ersah der Gauner seine Zeit,
- Stemmt ein die Fuß und war mit einem Satze
- Von dem, was sie ihm zugedacht, befreit.
- Dort standen alle mit verblüffter Fratze.
- Und jener, der die Schuld des Fehlers trug,
- Flog nach und schrie: "Du bist in meiner Tatze!"
- Umsonst! die Furcht war schneller als der Flug.
- Das Pech verbarg bereits den Gauner wieder,
- Und rückwärts nahm der Teufel seinen Zug.
- So taucht die Ente vor dem Falken nieder,
- Und dieser hebt, ergrimmt und matt, vom Teich
- Zur Luft empor das sträubende Gefieder.
- Eistreter kam, wie jener sank, sogleich
- Im schnellsten Fluge durch die Luft geschossen
- Und fiel, erbost von diesem Narrenstreich,
- Mit seinen scharfen Klaun auf den Genossen,
- Und beide hielten überm Pech voll Wut
- In wilder Balgerei sich fest umchlossen.
- Doch braucht auch jener seine Krallen gut.
- Und beide stürzten bald zu den Bepichten,
- Die sie bewachten, in die heiße Flut.
- Der Hitze ward es leicht, den Kampf zu schlichten,
- Doch, ganz bepicht das rasche Flügelpaar,
- Vermochten sie es nicht, sich aufzurichten.
- Und Sträubebart, der sehr betreten war,
- Ließ vier der Seinen rasch zu Hilfe fliegen.
- Die äußerst schnell mit ihren Haken zwar,
- Auf sein Geheiß zum Peche niederstiegen.
- Wo jeder den Besalbten Hilfe bot,
- Doch sahn wir sie gekocht im Sude liegen
- Und ließen sie in dieser großen Not.
- Dreiundzwanzigster Gesang
- Wir gingen einsam, schweigend, unbegleitet.
- Ich hinterdrein, der Meister mir voraus,
- Wie auf dem Weg ein Franziskaner schreitet.
- Mir mußte wohl der Teufel wilder Strauß
- Äsopens Fabel ins Gedächtnis bringen,
- Worin er spricht vom Frosch und von der Maus.
- Denn wer Beginn und Schluß von beiden Dingen
- Mit reiflicher Erwägung wohl verglich,
- Dem konnte Jetzt und Itzt nicht gleicher klingen.
- Und wie aus einem der Gedanken sich
- Der zweit entspinnt, so mußt ich weiterdenken,
- Und doppelt faßte Furcht und Schrecken mich.
- Ich dachte so: Die sind in ihren Ränken
- Durch uns gestört, beschädigt und geneckt
- Und müssen drob sich ärgern und sich kränken.
- Wenn dies zur Bosheit noch den Zorn erweckt,
- So werden sie uns nach im Fluge brausen,
- Wie wild ein Hund sich nach dem Hafen streckt.
- Schon fühlt ich mir das Haar gesträubt vor Grausen,
- Und rückwärts lauschend, rief ich: "Meister, flieh!
- Verbirg uns wo in diesen Felsenklausen.
- Die Grimmetatzen kommen schon. O sieh,
- Sie kommen schon mit einem ganzen Heere!
- So, wie ich sie mir denke, fühl ich sie!"
- Und er zu mir: "Wenn ich ein Spiegel wäre,
- Kaum faßt ich doch dein äußres Bild so klar.
- Als ich dein inneres mir leicht erkläre.
- Jetzt aber nimmst auch du mein Innres wahr
- Und kommst mir selber schon mit dem entgegen,
- Was für uns beid in mir beschlossen war.
- Und ist der Abhang rechts nur so gelegen,
- Daß man zum nächsten Schlund hinunter kann,
- So sollen sie umsonst die Flügel regen."
- Kaum sprach ers, als die Teufelsjagd begann,
- Und mit gespreizter Schwing, um uns zu fangen.
- Kam, nicht gar fern, der wilde Zug heran.
- Mein Führer eilte nun, mich zu umfangen,
- Der Mutter gleich, die aufwacht beim Getos
- Und nahe sieht die Flammen aufgegangen,
- Ihr Kind erfaßt und, nur um dessen Los
- Bekümmert, nicht um ihrs, enteilt ins Weite
- Entkleidet noch und bis aufs Hemde bloß.
- Daß er herab am harten Felsen gleite,
- Streckt er sich rücklings an den steilen Hang,
- Der jenen Sack verstopft von einer Seite.
- Nie hat ein Mühlbach sich mit schnellerm Drang
- Aufs Mühlenrad durch seine Rinn ergossen,
- Als jetzt mein Meister, vor Verfolgung bang,
- Von jenem Felsenhang herabgeschossen,
- Mich mit sich nehmend, an die Brust gepreßt
- Und fest umstrickt, als Kind, nicht als Genossen.
- Kaum stand sein Fuß am Rand der Tiefe fest,
- So hörten wir sie über jenem Grunde,
- Doch er blieb ohne Furcht; denn nimmer läßt
- Die ewge Vorsicht, die im fünften Runde
- Als Diener ihrer Macht sie eingesetzt,
- Sie wieder vor aus diesem schmalen Schlunde.
- Getünchte Leute sahn wir unten jetzt
- Im Kreise ziehn mit langsam-schweren Tritten,
- Matt und erschöpft, von Tränen ganz benetzt.
- Verhüllt die Augen von Kapuzen, schritten
- Sie träg dahin in Kutten, gleich der Tracht
- Der Mönch in Köln am Rheine zugeschnitten;
- Gold außen, blendend durch des Glanzes Pracht,
- Von innen Blei, schwer, daß von Stroh erscheinen,
- Die Friedrich für den Hochverrat erdacht.
- O Mantel, lastend unter ewgen Peinen!
- Wir gingen, folgend, zu der Rechten mit,
- Aufmerksam auf ihr jammervolles Weinen.
- Doch so erschwert war durch die Last ihr Tritt,
- Daß neben uns, so oft wir vorwärts traten,
- Ein neuer Sünder durch das Dunkel schritt.
- Ich sprach: "Oh sieh dich um! ist wohl durch Taten
- Und Namen mir von diesen wer bekannt?
- Und sage mirs, sobald wir einem nahten!"
- Und einer, der Toskanisch wohl verstand,
- Rief hinter uns: "Oh bleibt ein wenig stehen,
- Ihr, die ihr rennt durch dieses dunkle Land.
- Was du verlangst, kann wohl durch mich geschehen!"
- Da wandte sich mein Herr und sprach: "Halt an
- Und suche langsam, wie er selbst, zu gehen."
- Ich stand und sah nun zwei, die, um zu nahn,
- Sich sehr anstrengten und sich weidlich plagten.
- Gehemmt von schwerer Last und enger Bahn;
- Dann, angelangt, mit keinem Worte fragten,
- Vielmehr nach mir den scheelen Blick gedreht,
- Sich unter sich besprechend, dieses sagten:
- " Der lebt, wie ihr am Zug des Odems seht,
- Und welcher Freibrief dient zu ihrem Schilde,
- Daß der und jener ohne Bleirock geht?"
- Zu mir dann: "Tusker, der du zu der Gilde
- Der Heuchler kommst, zu ihrem trüben Leid,
- Wer bist du? Sag es uns mit Huld und Milde."
- Und ich: "Mich hat die Stadt voll Herrlichkeit
- Am Arnostrand geboren und erzogen,
- Und diesen Körper trug ich jederzeit.
- Doch wer seid ihr, von deren Wang in Wogen
- Ein Tränenstrom so schmerzlich niederrinnt?
- Und was hat euch solch Übel zugezogen?"
- Und einer sprach: "Die gelben Kutten sind
- Von Blei, so schwer, daß ihr Gewicht der Wage,
- Dies trägt, ein heulend Knarren abgewinnt.
- Lustbrüder waren wir von gleichem Schlage,
- Ich Catalano, Loderingo er,
- Von deiner Stadt erwählt an einem Tage,
- Weil sich zum Friedensstifter eignet, wer
- Parteilos selber ist--und wer wir waren,
- Zeigt beim Gardingo noch sich ringsumher."
- Und ich begann: "Das Leid, das ihr erfahren--"
- Doch schwieg und mußt an dreien Pfählen dort
- Gekreuzigt einen auf dem Grund gewahren.
- Als er mich sah, verrenkt er sich sofort
- Und haucht in seinen Bart mit lautem Stöhnen,
- Und Bruder Catalan sprach dieses Wort:
- "Der Angepfählte, dessen Klagen tönen,
- Gab einst den Pharisäern diesen Rat:
- Mög eines Tod fürs Volk den Zorn versöhnen;
- Nun liegt er nackt und quer auf unserm Pfad,
- Und fühlen muß er, wenn wir drüberwallen,
- Wieviel Gewicht von uns ein jeder hat.
- So wird sein Schwäher auch gestraft, mit allen
- Vom Pharisäerrat, durch den so viel
- Der schlimmen Saat für Judas Volk gefallen."
- Und wie ich sah, erstaunte selbst Virgil,
- Daß er gestreckt am Kreuz an diesem Orte
- So schmählich lag im ewigen Exil.
- Zum Bruder richtet er dann diese Worte:
- "Sagt, wenn ihr dürft, ist rechts die Straße frei,
- Und ist wohl eine Schlucht dort, die als Pforte
- Zu brauchen ist zum Ausgang für uns zwei,
- Ohn einen von den Teufeln erst zu bannen,
- Daß er zum Weitergehn uns Führer sei?"
- Und jener drauf: "Ihr geht nicht weit von dannen,
- So seht ihr einen Stein vom großen Rund
- Als Steg sich über alle Täler Spannen.
- Er ist nur eingestürzt ob diesem Schlund,
- Allein ihr könnt die Trümmer leicht ersteigen,
- Denn, schief sich lagernd, stehn sie aus dem Grund."
- Ich sah den Herrn das Haupt ein wenig neigen.
- Drauf sprach er: "Mußte doch der Teufel hier
- Sich wiederum in schlechtem Ratschlag zeigen."
- Und jener: "In Bologna merkt ichs mir,
- Der Teufel sei ein Lügner stets, ein dreister,
- Ja, aller Lügen Vater für und für."
- Nun ging davon mit großem Schritt mein Meister
- Und schien ein wenig zornig und erbost,
- Und ich verließ die bleibeschwerten Geister
- Und folgte der verehrten Spur getrost.
- Vierundzwanzigster Gesang
- In jenem Teil vom jugendlichen Jahre,
- Wo Nacht den halben Tag nur deckt, und mild
- Im Wassermann erglänzen Phöbus Haare,
- Malt oft der Reif, wenn Nebel das Gefild
- Am Abend deckt, bei scharfen Morgenlüften
- Vom Bruder Schnee ein schnellverwischtes Bild.
- Wenn dann der Hirt, der Futter von den Triften
- Gar nötig braucht, aufsteht und jeden Ort
- Schneeweiß erblickt, dann schlägt er sich die Hüften
- Und kehrt zum Haus, beklagt sich hier und dort
- Und weiß nicht, was zu tun vor großem Leide--
- Doch frische Hoffnung faßt er dann sofort.
- Denn schon erscheint die Welt in anderm Kleide;
- Schnell kommt er nun mit seinem Stab herbei
- Und treibt die muntern Schäflein auf die Weide.
- So staunt ich, daß mein Meister zornig sei,
- Daß ungewohnter Mißmut ihn bedrücke;
- So schnell auch kam zum Schmerz die Arzenei.
- Denn kaum gelangt zu der verfallnen Brücke,
- Kehrt ihm die Huld, mit der er zu mir trat
- Am Fuß des Bergs, aufs Angesicht zurücke.
- Die Arme breitet er, nachdem er Rat
- Mit sich gepflogen, wohl den Schutt betrachtend,
- Und dann erfaßt er mich mit rascher Tat.
- Und wie ein Mann, der wohl auf alles achtend.
- Im voraus scharf erwägt, was er vermag,
- Hob er mich auf ein Felsenstück, beachtend,
- Daß nahe dort ein andrer Zacken lag,
- Und sprach: "Anklammre dich, doch wahrgenommen
- Sei durch Versuch erst, obs dich tragen mag.
- Kein Kuttenträger war hinaufgekommen.
- Da wir, ich fortgeschoben, er so Ieicht,
- Mit Mühe nur von Block zu Blocke klommen.
- Auch hätt ich nimmermehr, und er vielleicht,
- Wenn niedrer nicht, als jenseits diesem Grunde
- Das Ufer war, des Dammes Höh erreicht.
- Doch weil sich Übelsäcken nach dem Munde
- Des tiefen Brunnens hin allmählich neigt,
- So liegts von selbst im Bau von jedem Runde,
- Daß hier der Damm sich senkt, dort höher steigt.
- Am Ende kamen wir bis zu der Spitze,
- Wo sich der Felsentrümmer letzte zeigt-
- Mir glühte Wang und Blut in solcher Hitze,
- Daß ich. sobald ich mich hinaufgerafft,
- Mich keuchend niederließ auf einem Sitze.
- Mein Meister sprach: "Jetzt ziemt dir frische Kraft;
- Denn nimmer kommt der Ruhm dem zugeflogen,
- Der unter Flaum auf weichem Pfühl erschlafft.
- Und wer durchs Leben ruhmlos hingezogen,
- Der läßt nur so viel Spur in dieser Welt,
- Wie in den Lüften Rauch, Schaum in den Wogen.
- Drum auf! wenn Mattigkeit dich niederhält,
- Wird sie der Geist, wird jeden Feind besiegen,
- Wenn er nicht wie der schwere Leib verfällt.
- Erklimmen mußt du noch weit längre Stiegen;
- Nicht gnügts, von hier gerettet fortzuziehn,
- Verstehe mich, so wirst du nie erliegen!"--
- Da stand ich auf; mehr, als ichs fühlte, schien
- Mein Odem frei, die Brust der Bürd enthoben,
- Auch rief ich: Fort, denn ich bin stark und kühn!
- Wir gingen fort--der Fels war rauh, verschoben,
- Von Höckern voll und schwierig zu begehn,
- Bei weitem steiler auch, als weiter oben.
- Um frisch zu scheinen, sprach ich laut im Gehn,
- Bis eine Stimm aus jenem Grund erschollen,
- Verworren, wild und schwierig zu verstehn.
- Nicht weiß ich, was die Stimme sagen wollen,
- Obwohl ich auf des Bogens Höhe stand,
- Doch schien, der sprach, zu zürnen und zu grollen.
- Ich stand, das Angesicht zum Grund gewandt,
- Doch drang kein Menschenblick in seine Schauer,
- Drum sprach ich: "Meister, komm zum nächsten Strand
- Und führe mich hinab von dieser Mauer.
- Hier hör ich zwar, doch ich verstehe nicht,
- Und, sehend, unterscheid ich nichts genauer."
- "Die Tat", sprach er mit freundlichem Gesicht,
- "Sei Antwort dir, weil sichs geziemt, mit Schweigen
- Zu tun, was der verständ gen Bitt entspricht."
- Wir eilten, bei der Brück hinabzusteigen,
- Da, wo sie auf dem achten Damme ruht,
- Und hier begann die Tiefe sich zu zeigen.
- Ich sah in Knäueln grause Schlangenbrut,--
- Und denk ich heut der ekeln, mannigfachen
- Scheusale noch, so starrt vor Graun mein Blut.
- Nicht mag sichs Libyen mehr zum Ruhme machen,
- Daß es Blindschleichen, Nattern, Ottern hegt
- Und Vipernbrut und giftge Wasserdrachen.
- Wie solche Pest nicht Äthiopien trägt,
- So tönt am ganzen Strand kein solch Gezische,
- An den die Flut des Roten Meeres schlägt.
- Und unter diesem greulichen Gemische
- Lief eine nackte, schreckensvolle Schar,
- Nicht hoffend, daß sie je von dort entwische.
- Am Rücken band die Hand ein Schlangenpaar,
- Das Schwanz und Haupt durch Kreuz und Nieren steckte
- Und vorn zu einem KnäuI verschlungen war.
- Da stürzt auf einen, den ich dort entdeckte,
- Ein Ungeheur, das ihm den Hals durchstach
- Und aus dem Nacken vor die Zunge streckte.
- Und eh man Amen sagt und Oh und Ach,
- Sah ich, wie er, entzündet und in Flammen,
- Auch schon als Staub in sich zusammenbrach.
- Und wie die Glieder kaum in nichts verschwammen,
- So fügte sich, gesammelt, alsobald
- Der Staub zur vorigen Gestalt zusammen.
- So stirbt der Phönix, fünf Jahrhundert alt,
- (Die großen Weisen sagens) sich bekleidend
- Mit neuerzeugter Jugend und Gestalt,
- Sich nicht von Kräutern noch von Körnern weidend,
- Von Weihrauchtränen und Amomen nur,
- In einer Hüll aus Nard und Myrrhe scheidend.
- Und gleich wie der, der ohne Lebensspur
- Zu Boden sank, vielleicht vom Krampf gebunden,
- Vielleicht auch, weil in ihn ein Dämon fuhr.
- Sich umschaut, wenn er sich emporgewunden,
- Und um sich schauend stöhnt, verwirrt,
- Von großer Todesangst, die er empfunden;
- So war der aufgestandne Sünder jetzt.--
- Oh möge keiner Gottes Rach entzünden,
- Der solche Streich in deinem Zorn versetzt!
- Gebeten, seinen Namen zu verkünden,
- Entgegnet er: "Ich bin seit kurzem hier,
- Von Tuscien hergestürzt nach diesen Schlünden.
- Ich lebte nicht als Mensch, ich lebt als Tier,
- Ich, Bastard Fucci, den man Vieh benannte.
- Und würdge Höhle war Pistoja mir."
- Ich sprach, indem ich mich zum Meister wandte:
- "Er weicht uns aus--doch frag ihn: weshalb kam
- Er hierher, da er stets von Blutdurst brannte?"
- Aufrichtig ward er, als er dies vernahm,
- Und Geist und Angesicht mir zugewendet,
- Begann er nun, gedrückt von trüber Scham:
- "Mehr schmerzt michs, daß dein Schicksal dich gesendet,
- Um mich in diesem Jammerstand zu schaun,
- Als daß ich oben meinen Lauf geendet.
- Doch was du fragtest, muß ich dir vertraun:
- Daß ich im Heiligtum zu stehlen wagte,
- Hat mich herabgestürzt in tiefres Graun.
- Drob litten manche fälschlich Angeklagte.--
- Daß du mich sahst, soll wenig dich erfreun,
- Kommst du je fort von hier, wos nimmer tagte.
- Drum hör, um jetzt dein Hierein zu bereun:
- Pistoja wird die Schwarzen erst verjagen,
- Und dann Florenz so Volk als Sitt erneun.
- Aus Nebeln, die auf Magras Tale lagen,
- Zieht Mars den schweren Wetterdunst heraus,
- Und Sturme tosen dann und Blitze schlagen
- Auf dem Picener Feld im wilden Strauß,
- Daß sich zerstreut die Nebel plötzlich senken,
- Und alle Weißen fliehn in Angst und Graus.
- Dies aber sagt ich dir, um dich zu kränken."
- Fünfundzwanzigster Gesang
- Er sprachs und hob die Hand empor mit Spott,
- Ließ beide Daumen durch die Finger ragen
- Und rief dann aus: "Nimms hin, dies gilt dir, Gott!"
- Seitdem seh ich die Schlangen mit Behagen,
- Weil gleich um seinen Hals sich eine wand,
- Als sagte sie: Du sollst nichts weiter sagen.
- Die zweite schlang sich um die Arm und band
- Sie vorn, sich selbst umwickelnd, so zusammen,
- Daß er nicht Raum damit zu zucken fand.
- Was übergibst du dich nicht selbst den Flammen,
- Pistoja, du, und tilgst dich in der Glut?
- Sind Frevler alle doch, die dir entstammen?
- Nie fand ich so verruchten Übermut.
- Selbst Kapaneus gottlästerndes Erfrechen
- Erhob sich nicht zu dieses Diebes Wut.
- Er floh von dannen, ohn ein Wort zu sprechen,
- Und ein Zentaur kam rennend, pfeilgeschwind,
- Und schrie voll Wut: "Wo find ich diesen Frechen?"
- Nicht glaub ich, daß so viel der Schlangen sind
- An Tusciens Strand, als ihm am Kreuze hingen.
- Bis dahin, wo des Menschen Form beginnt.
- Ein Drache hielt mit ausgespreizten Schwingen
- Sich an den Schultern fest und spie mit Macht
- Glut auf uns alle, die vorübergingen.
- Da sprach mein Meister: "Kakus ists, hab acht!
- Er ist es, der so oft zu blutgen Teichen
- Die Auen unterm Aventin gemacht.
- Er geht nicht einen Weg mit seinesgleichen,
- Weil er als Dieb den schlauen Trug vollführt,
- Mit jener großen Herde zu entweichen.
- Dafür ward ihm der Lohn, der ihm gebührt,
- Weil Herkuls Keul ihn traf mit hundert Schlägen,
- Von welchen er vielleicht nicht zehn gespürt."
- Enteilt war Kakus schon und uns entgegen
- Herkamen drei an jenem tiefen Ort,
- Doch könnt uns erst ihr laut Geschrei bewegen,
- Auf sie hinabzuschaun: "Wer seid ihr dort?"
- Drum blieben wir in der Erzählung stehen
- Und horchten hin nach dieser Schatten Wort.
- Von ihnen hatt ich keinen je gesehen,
- Da rief den andern einer dieser drei
- Und nannt ihn, wies durch Zufall oft geschehen.
- "Wo bleibst du, Cianfa?" rief er, "Komm herbei!"
- Drum legt ich auf die Lippen meinen Finger,
- Damit mein Führer horch und stille sei.
- Meinst du jetzt, Leser, daß ich Hinterbringer
- Von eiteln Fabeln sei, so staun ich nicht;
- Ich sahs, doch ist mein Zweifel kaum geringer.
- Von vornher warf sich, wie ich das Gesicht
- Auf sie gekehrt, schnell eine von den Schlangen
- Mit drei Paar Füßen her und packt ihn dicht.
- Der Bauch ward von dem mittlern Paar umfangen,
- Indes das vordre Paar die Arm umfing,
- Dann schlug sie ihre Zähn in beide Wangen.
- Wie an den Lenden drauf das Hintre hing,
- Schlug sie den Schwanz durch zwischen beiden Beinen
- Und drückt ihn hinten an als engen Ring.
- Kein Efeu kann dem Baum sich so vereinen,
- Wie dieses Ungetüm sich wunderbar
- An jenes Glieder schmiegte mit den seinen.
- Zusammen klebte plötzlich dann dies Paar,
- Wie warmes Wachs, die Farben so vermengend,
- Daß keins von beiden mehr dasselbe war,
- Gleichwie die Flammen, ein Papier versengend,
- Bevor es brennt, mit Braun es überziehn,
- Noch eh es Schwarz wird, schon das Weiß verdrängend.
- Die andern beiden, ihn betrachtend, schrien:
- "Weh dir, Agnel, du bist nicht zwei, nicht einer!
- Doch sieh, dir ist ein andres Bild verliehn!"
- Schon war vereint der Schlange Kopf und seiner,
- Aus zwei Gestalten sah man ein entstehn,
- Vermischt, verwirrt, doch gleich von beiden keiner.
- Die Arme sah man auseinandergehn;
- Sie wurden vier, und Bauch und Brust und Lenden,
- Sie wurden Glieder, wie man nie gesehn.
- Es schien, als ob die vorgen ganz verschwänden.
- Nicht zwei, nicht einer schiens, und ganz entstellt
- Sah ich das Bild sich langsam abwärts wenden.
- Gleichwie die Eidechs öfters, wenn die Welt
- Der Hundstern peitscht, blitzschnell von Dorn zu Dorne,
- Von Zaun zu Zaun quer durch die Straße schnellt,
- So fuhr jetzt eine Schlang in wildem Zorne
- Auf jene zwei nach ihren Bäuchen hin,
- Bläulich und schwarz, gleich einem Pfefferkorne.
- Und durch den Teil, der bei des Seins Beginn
- Uns Nahrung zuführt, bohrte sie den einen,
- Dann fiel sie ausgestreckt vor ihm dahin.
- Er sah sie starr, mit festgeschlossnen Beinen,
- Stillschweigend, gähnend, an, und mußte mir
- Wie schläfrig oder fieberhaft erscheinen.
- Nach ihm hin sah die Schlang und er nach ihr,
- Sie rauchend aus dem Maul, er aus der Wunde,
- Dann nahte sich der Rauch von dort und hier.
- Still schweige jetzt Lucan mit seiner Kunde
- Vom Unglück des Sabell und vom Nasid,
- Und horchend häng er nur an meinem Munde.
- Von Arethus und Kadmus schweig Ovid;
- Denn wenn er ihn zum Drachen umgedichtet.
- Und Sie zum Quell, so neid ich nicht sein Lied.
- Nie hat er von zwei Wesen uns berichtet,
- Die umgetauscht Gestalt und Stoff und Sein,
- Indem sie starr auf sich den Blick gerichtet.
- Gleich ging die Wandlung fort in jenen zwein.
- Zur Gabel spaltete den Schwanz die Schlange,
- Und der Gestochne drückte Bein an Bein.
- Sie klebten aneinander, und nicht lange
- Hatt es gewährt, als auch die Fuge schwand,
- Verdrängt vom völligen Zusammenhange.
- Der Lenden Form, die hier entwich, entstand
- Am Gabelschweif; die Haut schien zu erweichen;
- Hart ward sie dort, nach Schlangenart gespannt.
- Die Arme sah ich in die Schultern weichen,
- Der Schlange kurze Vorderfüße dann,
- Wie jene schwanden, weiter vorwärts reichen.
- Wie drauf zu jedem Gliede, das der Mann
- Zu bergen pflegt, die hinten sich verbanden,
- So fing sich seins in zwei zu teilen an.
- Und unterm Rauch, der beide deckt, entstanden
- Ganz neue Farben, sproßten Haare vor
- Und zeigten hier sich, wenn sie dort verschwanden.
- Er sank dahin, Sie raffte sich empor,
- Doch blieb der Kopf mit jenen starren Blicken,
- Durch die er selbst nun seine Form verlor.
- An dem, der stand, schien er sich platt zu drücken,
- Auch sah man von dem Fleisch, das hinter drang,
- Die Ohren seitwärts aus den Wangen rücken.
- Aus dem, was vorn zurückeblieb, entsprang
- Ein Lippenpaar, wie sichs gebührt, erhoben.
- Und eine Nase, zugespitzt und lang.
- An dem, der dort lag, trieb der Mund nach oben,
- Auch wurden nach der Schneckenhörner Brauch
- Die Ohren in den Kopf zurückgeschoben.
- Die Zung, erst ganz, zur Rede schnell, ward auch
- Nunmehr geteilt, und ganz ward die geteilte
- Im Mund des andern, und es blieb der Rauch.
- Der Geist, jetzt Schlange, zischte laut und eilte
- Durchs Tal davon--der andre spuckt ihr nach,
- Indem er noch, sie schmähend, dort verweilte.
- Dann kehrt er ihr den Rucken zu und sprach:
- "So schlüpfe, Buoso, nun durch diese Gründe,
- Statt meiner, auf dem Bauch in Qual und Schmach."
- So mischt im siebenten der Lasterschlünde
- Sich Bild und Bild, drum werde mirs verziehn,
- Wenn ich so Neues etwas breit verkünde.
- Doch ob mir gleich der Blick geblendet schien,
- Und kaum mein Geist vom Staunen sich ermannte,
- Doch bargen jene sich nicht so im Fliehn,
- Daß ich den Puccio nicht gar wohl erkannte,
- Der einzig von den drein, erst hier vereint,
- Sich unverwandelt jetzt von dannen wandte.
- Der andre wars, um den Gaville weint.
- Sechsundzwanzigster Gesang
- Erfreue dich, Florenz, du bist so groß,
- Daß du zu Land und Meer die Flügel schwingest,
- Und selbst dein Nam erklingt im Höllenschoß.
- Fünf deiner Bürger fand ich--also zwingest
- Du mich zur Scham--den Dieben beigefügt,
- Wodurch du dir nicht größern Ruhm erringest.
- Doch wenn, was man am Morgen träumt, nicht lügt,
- So wirst du großes Unglück bald empfinden,
- Und Prato selbst, so nah dir, siehts vergnügt.
- Wars jetzt, nicht würde mans zu zeitig finden,
- So, das nun einmal sein muß, wars jetzt doch.
- Denn, älter, werd ichs schwerer nur verwinden.
- Wir gingen fort, und übers Felsenjoch
- Stieg, wie hinab, hinauf die Zackenleiter
- Mein Führer und war meine Stütze noch.
- Und, folgend zwischen mancher Felsenscheiter
- Und manchem Block dem Pfad im öden Raum,
- Kam, wenn die Hand nicht half, der Fuß nicht weiter.
- Ich fühlte Schmerz--jetzt fühl ich mindern kaum,
- Wenn ich zurück an das Erblickte denke,
- Und schärfer fass ich da des Geistes Zaum,
- Damit ich nicht den Lauf vom Rechten lenke,
- Und, was zu meinem Wohl mein Stern bezweckt,
- Was höhre Huld, mir selber feind, nicht kränke.
- Soviel der Baur, am Hügel hingestreckt,
- Zur Zeit, da er, des Blick die Erde lichtet,
- Sein Antlitz uns am wenigsten versteckt,
- Wenn sich die Fliege vor der Mücke flüchtet,
- Johanniswürmchen sieht im Tal entlang,
- Wo er mit Hipp und Pflug sein Tun verrichtet;
- So viele Flammen sah den tiefen Gang
- Des achten Tals mein Auge jetzt verklären,
- Sobald ich dort war, wos zur Tiefe drang.
- Wie der, der sich gerächt durch wilde Bären,
- Elias Wagen sah von dannen ziehn,
- Als das Gespann aufstieg zu Himmelssphären,
- Umonst ihm mit dem Auge folgt und ihn
- Gestaltlos nur als ferne Flamm erkannte.
- Die wie ein leichtes Abendwölkchen schien.
- So wars, wie wandelnd hier manch Flämmchen brannte,
- Doch keines war, das seine Beute wies,
- Ob jegliches gleich einem Geist entwandte.
- Am Brückenrande stehend, sah ich dies
- Und fiel, hielt ich nicht fest an einem Blocke,
- Hinunter, ohne daß mich jemand stieß.
- Virgil, der sah, wie mich der Anblick locke,
- Sprach nun: "Jedwedes Feur birgt einen Geist,
- Und das, worin er brennt, dient ihm zum Rocke."
- Drauf ich: "Die Kunde, die du mir verleihst
- Macht mich gewiß; schon glaubt ichs zu erkennen.
- Und fragen wollt ich schon, wie jener heißt.
- Ich sah die Flamm in zwei sich oben trennen.
- Als sah ich in des Scheiterhaufens Glut
- Eteokles und seinen Bruder brennen."
- Und er: "Sie dämpft Ulysseus Übermut
- Und Diomeds. Sie laufen hier zusammen
- In ihrer Qual, wie einst in ihrer Wut.
- Ums Trugroß klagen sie in diesen Flammen,
- Und um das Tor, das Ausgang jenen bot,
- Der Heldenschar, von der die Römer stammen.
- Die List beweinen sie, durch die, schon tot,
- Noch Deidamia den Achill beklagte,
- Auch das Palladium rächt nun ihre Not."
- "Vermögen sie noch hier zu sprechen," sagte
- Ich drauf zum Meister, "o, dann bitt ich dich
- Vieltausendmal, da ich sie gern befragte,
- Laß mich, bis die geteilte Flamme sich
- Zu uns hierherbewegt, ein wenig weilen.
- Sieh, hin zu ihr zieht die Begierde mich."
- "Der Bitte", sprach er, "muß ich Lob erteilen,
- Wie sie verdient; sie sei darum gewährt,
- Doch laß die Sprechlust nicht dich übereilen.
- Laß mir das Wort; ich weiß, was du begehrt.
- Spröd blieben sie gewiß bei deinem Worte,
- Denn Griechen sind sie, stolz auf ihren Wert.
- Als nun die Flamme nah war unserm Orte,
- Da hört ich diese Red, als Ort und Zeit
- Er für geeignet hielt, von meinem Horte:
- "Ihr, die ihr zwei in einer Flamme seid,
- Wenn ich euch jemals Grund gab, mich zu lieben,
- Da ich dem Ruhm der Helden mich geweiht,
- Und in der Welt das hohe Lied geschrieben,
- So weilt bei mir und sag Ulyß mir an,
- Wo auf der Irrfahrt sein Gebein geblieben."
- Der alten Flamme größres Horn begann
- Zu flackern erst und murmelnd sich zu regen.
- Als wäre sie vom Wind gefaßt, und dann
- Rasch hin und her die Spitze zu bewegen,
- Gleich einer Zung, und deutlich tönt und klar
- Dann aus der Flamm uns dieses Wort entgegen:
- "Als ich von Circen schied, die mich ein Jahr
- Und länger bei Gaëta festgehalten,
- Ehs so benannt noch von Äneas war,
- Da ließ ich nicht das Mitleid für den alten
- Gebeugten Vater, nicht die Gattenpflicht,
- Noch Vaterzärtlichkeit im Herzen walten.
- Sie tilgten all in mir das Sehnen nicht,
- Die Welt zu sehn und alles zu erkunden,
- Was sie besitzt, wie das, was ihr gebricht.
- Drum warf ich mich, kaum meiner Haft entbunden,
- In einem einzgen Schiff ins offne Meer,
- Samt einem Häuflein, das ich treu erfunden.
- Nach Spanien führt und Libyen hin und her
- Ich meine wackre Schar, als kühner Leiter,
- Und jedem Eiland jenes Meers umher.
- Alt war ich schon und schwach, auch die Begleiter,
- Da war mein Schiff am engen Schlunde dort,
- Wo Herkuls Säulenpaar gebeut: Nicht weiter!
- Als hinter uns nun rechts Sevillas Bord
- Und links in Libyen Septas Zinnen waren,
- Sprach ich zu den Gefährten dieses Wort:
- Brüder, die durch Tausend von Gefahren
- Ihr hier im Abend kühn euch eingestellt,
- Verwendet jetzt, um Neues zu erfahren,
- Weil Seele noch und Leib zusammenhält,
- Den kurzen Rest von eurem Erdenleben;
- Der Sonne nach zur unbewohnten Welt!
- Bedenkt, wozu dies Dasein euch gegeben;
- Nicht um dem Viehe gleich zu brüten, nein,
- Um Wissenschaft und Jugend zu erstreben.
- Den Meinen schien dies Wort ein Sporn zu sein,
- Kaum hielt ich sie, hätt ich gewollt, im Zügel,
- Und rastlos gings ins weite Meer hinein.
- Erst morgenwärts gewandt des Schiffes Spiegel
- Ging unser toller Flug dann linker Hand,
- Und seiner Eil verliehn die Ruder Flügel.
- Schon alle Sterne jenes Poles fand
- Der Blick der Nacht, und die des unsern klommen
- Kaum übers Meer noch an des Himmels Rand.
- Schon fünfmal war entzündet und verglommen
- Des Mondes Licht, seit wir, dem Glück vertraut,
- Durch den verhängnisvollen Paß geschwommen,
- Als uns ein Berg erschien, von Dunst umgraut
- Vor weiter Fern, und schien so hoch zu ragen,
- Wie ich noch keinen auf der Erd erschaut.
- Erst jubeln ließ er uns, dann bang verzagen,
- Denn einen Wirbelwind fühlt ich entstehn
- Vom neuen Land und unsern Vorbord schlagen.
- Er macht uns dreimal mit den Fluten drehn,
- Dann, als der hintre Teil emporgeschossen,
- Nach höhrem Spruch, den vordern untergehn,
- Bis über uns die Wogen sich verschlossen."
- Siebenundzwanzigster Gesang
- Schon aufrecht stand und still der Flamme Haupt,
- Und sie entfernte sich in tiefem Schweigen,
- Nachdem der süße Dichter ihrs erlaubt.
- Wir sahn nach ihr sich eine zweite zeigen,
- Und ein verwirrt Gestöhn, das ihr entquoll,
- Macht unsern Blick zu ihrer Spitze steigen.
- Gleich wie Siziliens Stier, der jammervoll
- Zuerst von seines Bildners Schrein erbrüllte,
- --Und so wars recht--von dessen Klag erscholl,
- Den er im innern hohlen Raum verhüllte,
- Und, ganz von Erz, in seinem Angstgestöhn
- Erschien, als ob ihn selbst der Schmerz erfüllte;
- So schien das Klagewort, das in den Höhn
- Und an den Seiten nirgend durchgedrungen,
- Erst gleich des Feuers knisterndem Getön.
- Doch als es sich zur Spitz emporgerungen,
- Die, wie die Zunge hin und wieder fährt,
- Sich bei dem Durchgang hin und her geschwungen.
- Da sprachs: O du, an den mein Wort sich kehrt,
- Der du, wie ich vernahm, mit welschem Klange
- Gesprochen: Geh, nicht weiter sei beschwert!
- Obwohl ich etwas spät hierhergelange,
- Doch weil und gib auf meine Fragen acht,
- Denn sieh, ich weile trotz der Gluten Drange.
- Bist du zur Reif in diesen dunklen Schacht
- Erst jetzt vom süßen Latierland geschieden,
- Von dem ich alle Schuld hierhergebracht,
- So sprich:Hat Krieg Romagna oder Frieden?
- Denn da das schöne Land auch mich erzeugt,
- So kümmert mich sein Schicksal noch hienieden."
- Ich stand aufmerksam niederwärts gebeugt,
- Da stieß Virgil mich leis und sagte: "Rede,
- Ein Latier ist er, wie sein Wort bezeugt."
- Worauf ich schon bereit zur Gegenrede,
- Ihn also sonder Zögerung beschied:
- "O Seele, hier verborgen, sonder Fehde
- War nimmer deines Vaterlands Gebiet,
- Weil stets im Kampf der Zwingherrn Herzen wüten;
- Doch offenbar war keine, da ich schied.
- Ravenna ist, wies war; dort pflegt zu brüten,
- So wie seit Jahren schon, Polentas Aar,
- Des Flügel unter sich auch Cervia hüten
- Die Stadt, die fest in langer Probe war,
- Wo rote Ströme Frankenblutes wallten,
- Liegt unterm grünen Leun nun ganz und gar.
- Verruchios alt und neuer Hund, sie walten
- Schlimm, wie sie den Montagna einst belohnt,
- Da, wo sie eingeholt die Zähne halten.
- Das, was am Lamon und Santerno wohnt,
- Läßt sich vom Leun im weißen Neste leiten,
- Der die Partei vertauscht mit jedem Mond.
- Sie, welchen Savios Flut benetzt die Seiten,
- Lebt zwischen Sklaverei und freiem Stand,
- Wie zwischen dem Gebirg und ebnen Weiten.
- Jetzt, bitt ich, mach uns, wer du bist, bekannt;
- Wie der Vergessenheit dein Nam enttauche,
- So sei nicht härter, als ich andre fand."
- Da grunzt und braust es in der Flamme Bauche,
- Wie Feuer braust; sie regte hin und her
- Das spitze Haupt und gab dann diese Hauche:
- "Sprach ich zu einem, dessen Wiederkehr
- Nach jener Welt ich jemals möglich glaubte,
- So regte nie sich diese Flamme mehr.
- Doch da dies keinem je die Höll erlaubte,
- So sag ich ohne Furcht vor Schand und Schmach,
- Was mich hierher stieß und des Heils beraubte.
- Ich war erst Kriegsmann und Mönch hernach,
- Um mich vom Fall durch Buß emporzurichten;
- Gewiß geschah auch, was ich mir versprach.
- Allein der Erzpfaff--mög ihn Gott vernichten--
- Er hat mich neu den Sündern beigesellt,
- Wie und warum? das will ich jetzt berichten.
- Als ich noch oben lebt in eurer Welt,
- Da ward ich nimmer mit dem Leun verglichen,
- Doch öfters wohl dem Fuchse gleichgestellt.
- In allen Ränken und geheimen Schlichen
- War ich geschickt, in ihrer Übung schlau
- Und drum berühmt in allen Himmelsstrichen.
- Doch als die Zeit kam, da des Haares Grau
- Uns dringend mahnt, das hohe Meer zu scheuen
- Und einzuziehn das Segel und das Tau,
- Da mußt ich, was mir erst gefiel, bereuen,
- Ward Mönch und tat nun Buß am heilgen Ort,
- Ach, und noch könnt ich mich des Heils erfreuen.
- Der neuen Pharisäer Herr und Hort
- (Im Krieg, mit Juden nicht und Türkenscharen,
- Vielmehr am Lateran und nahe dort,
- Weil alle seine Feinde Christen waren,
- Die nicht bei Acri mit gesiegt und nicht
- Des Sultans Land als Schacherer befahren),
- Nicht achtet er an sich die höchste Pflicht
- Und nicht den Strick, der meinen Leib umfangen,
- Der jeden mager macht, den er umflicht.
- Wie Konstantin Silvestern angegangen,
- Ihm Hilf und Rat beim Aussatz zu verleihn;
- So sollt ich jetzt als Arzt auf sein Verlangen
- Vom Fieber seines Hochmuts ihn befrein.
- Doch schweigen mußt ich und mich selber schämen,
- Denn eines Trunknen schien sein Wort zu sein.
- Du darfst nicht sorgen, sprach er, noch dich grämen;
- Ablaß erteil ich dir, mich lehre du:
- Wie fang ichs an, Preneste wegzunehmen.
- Du weißt, den Himmel schließ ich auf und zu,
- Denn beide Schlüssel sind mir übergeben,
- Die Cölestin vertauscht um träge Ruh.
- Nicht war so triftgem Grund zu widerstreben,
- Und da hier schweigen mir das Schlimmste schien,
- So sprach ich endlich: Vater, da du eben
- Die Sünde, die ich tun soll, mir verziehn,
- So wisse: Viel versprechen, wenig halten,
- Dadurch wird deinem Stuhl der Sieg verliehn--
- Franz wollte, wie ich starb, sein Amt verwalten,
- Mich heimzuführen, doch ein Teufel kam
- Und sprach: Halt ein, denn den muß ich erhalten.
- Er kommt mit mir hinab zu ewgem Gram,
- Weil ich, seitdem er jenen Trug geraten,
- Ihn bei dem Haar als meine Beute nahm.
- Wer Ablaß will, bereu erst seine Taten.
- Doch wer bereut und Böses will, der muß
- Wohl mit sich selbst in Widerspruch geraten.
- Ach! wie ich zuckt in Schrecken und Verdruß,
- Als er mich faßt und, mich von dannen reißend,
- Sprach: Meintest du, ich sei kein Logikus?
- Zu Minos trug er mich, der, sich umkreisend
- Den harten Rücken, bei dem achten Mal
- Ausrief, sich in den Schweif vor Ingrimm beißend:
- Der wird der Flamme Raub im achten Tal!
- Und also ward ich von dem Schlund verschlungen
- Und geh im Feuerkleid zu ewger Qual."
- Hier endet er, und als das Wort verklungen,
- Da ging sogleich die Flamme jammernd fort,
- Das Horn gedreht und hin und her geschwungen.
- Und weiter ging ich nun mit meinem Hort
- Zur nächsten Brück auf rauhen Felsenpfaden
- Und sah im Grund, den Lohn empfangend, dort
- Die, Zwiespalt stiftend, sich mit Schuld beladen.
- Achtundzwanzigster Gesang
- Wer könnte je, auch mit dem freisten Wort,
- Das Blut, das ich hier sah, die Wunden sagen,
- Erzählt er auch die Kunde fort und fort.
- Jedwede Zunge muß den Dienst versagen,
- Da Sprach und Geist zu eng und schwach erscheint,
- So Schreckliches zu fassen und zu tragen.
- Und wäre das gesamte Volk vereint,
- Das Puglien, das verhängnisvolle, hegte,
- Dies Land, das einst die blutge Schar beweint,
- Die Rom und jener lange Krieg erlegte,
- Wo man so große Beut an Ringen fand,
- Wie Livius schrieb, der nicht zu irren pflegte,
- Vereint mit dem, das harte Schläg empfand,
- Weils gegen Robert Guiscard ausgezogen;
- Mit dem, des Knochen modern, dort im Land
- Bei Ceperan, wo Pugliens Schar gelogen;
- Mit dem von Tagliacozzo, wo Alard,
- Der Greis, durch List die Waffen aufgewogen;
- Und zeigte, wie es dort verstümmelt ward,
- Sich jedes Glied, nicht war es zu vergleichen
- Mit dieses neunten Schlundes Weis und Art.
- Ein Faß, von welchem Reif und Dauben weichen,
- Ist nicht durchlöchert, wie hier einer ging,
- Zerfetzt vom Kinn bis zu Gefäß und Weichen,
- Dem aus dem Bauch in manchem ekeln Ring
- Gedärm und Eingeweid, wo sich die Speise
- In Kot verwandelt, samt dem Magen hing.
- Ich schaut ihn an und er mich gleicherweise,
- Dann riß er mit der Hand die Brust sich auf
- Und sprach zu mir: "Sieh, wie ich mich zerreiße!
- Sieh hier das Ziel von Mahoms Lebenslauf!
- Vor mir geht Ali, das Gesicht gespalten
- Vom Kinn bis zu dem Scheitelhaar hinauf.
- Sieh alle, die, da sie auf Erden wallten,
- Dort Ärgernis und Trennung ausgesät,
- Zerfetzt hier unten ihren Lohn erhalten.
- Ein wilder Teufel, der dort hinten steht,
- Er ists, der jeglichen zerfetzt und schändet,
- Mit scharfem Schwert, der dort vorübergeht,
- Wenn wir den schmerzensvollen Kreis vollendet;
- Weil jede Wunde heilt, wie weit sie klafft,
- Eh unser Lauf zu ihm zurück sich wendet.
- Doch wer bist du, der dort herniedergafft?
- Weilst du noch zögernd über diesen Schlünden,
- In welche Klag und Urteilsspruch dich schafft?"
- "Er ist nicht tot, noch hergeführt von Sünden,"
- So sprach mein Meister drauf, zu Mahoms Pein,
- "Doch soll er, was die Höll umfaßt, ergründen,
- Und ich, der tot bin, soll sein Führer sein.
- Drum führ ich ihn hinab von Rund zu Runde,
- Und Glauben könnt ihr meinem Wort verleihn."
- Jetzt blieben hundert wohl im tiefen Grunde,
- Nach mir hinblickend, still verwundert stehn,
- Vergessend ihre Qual bei dieser Kunde.
- "Du wirst vielleicht die Sonn in kurzem sehn,
- Dann sage dem Dolcin, er soll mit Speisen,
- Eh ihn der Schnee belagert, sich versehn,
- Wenn er nicht Lust hat, bald mir nachzureisen.
- Allein vollbringt er, was ich riet, so muß
- Novaras Heer ihn lang umsonst umkreisen."
- Zum Weitergehn erhoben einen Fuß,
- Rief dieses Wort mir zu des Mahom Seele,
- Und setzt ihn hin und ging dann voll Verdruß.
- Dann sah ich einen mit durchbohrter "Kehle,
- Die Nase bis zum Auge hin zerhaun,
- Und wohl bemerkt ich, daß ein Ohr ihm fehle.
- Und staunend sah auf mich dies Bild voll Graun
- Und öffnete zuerst des Schlundes Röhre,
- Von außen rot und blutig anzuschaun.
- "Du, nicht verdammt für Sünden, wie ich höre,
- Den ich bereits im Latierlande sah,
- Wenn ich durch Ähnlichkeit mich nicht betöre,
- "Kommst du den schönen Ebnen wieder nah,
- Die von Vercell nach Marcabo sich neigen,
- So denk an Pier von Medicina da.
- Du magst den Besten Panos nicht verschweigen,
- Dem Guid und Angiolell, daß, wenn nicht irrt
- Mein Geist, dem sich der Zukunft Bilder zeigen,
- Nah bei Cattolica, schlau angekirrt,
- Vom schändlichsten der Wüteriche verraten,
- Das edle Paar ersäuft im Meere wird.
- Noch nimmer hat Neptun so schnöde Taten
- Von Zypern bis Majorka hin geschaut,
- Von Griechenscharen nicht, noch von Piraten.
- Der Bub, auf einem Aug von Nacht umgraut,
- Jetzt Herr des Lands, von welchem mein Geselle
- Hier neben wünscht, er hätt es nie erschaut,
- Ruft sie als Freund und tut an jener Stelle
- So, daß sie nicht Gelübd tun, noch sich scheun,
- Wie wild der Wind auch von Focara schwelle."
- Drauf ich: "Soll dein Gedächtnis sich erneun,
- So magst du dich zu sagen nicht entbrechen,
- Wer muß den Anblick jenes Lands bereun?"
- Da griff er, um den Mund ihm aufzubrechen,
- Nach eines andern Kiefer hin und schrie:
- "Sieh her, der ists, allein er kann nicht sprechen,
- Er, der verbannt, einst Cäsarn Mut verlieh,
- Und alle seine Zweifel scheucht, ihm sagend:
- "Dem Kampfbereiten fromme Zögern nie."
- O wie jetzt Curio ganz verblüfft und zagend,
- Die Zunge tief am Schlund verschnitten, stand,
- Die Zung, einst kühn und eilig alles wagend--
- Und abgeschnitten die und jene Hand,
- Stand einer, in die Nacht die Stümpf erhoben,
- Das Antlitz blutbespritzt mir zugewandt,
- Und rief: "Denkt man des Mosca noch dort oben?
- Ich bins, der meine Hand zum Morde bot,
- Ob des jetzt Tuscien die Partein durchtoben."
- "Der Grund auch war zu deines Stammes Tod!"
- Setzt ich hinzu--und, häufend Graun auf Grauen,
- Zog er davon in höchster Angst und Not.
- Ich aber blieb, die andern anzuschauen,
- Und was ich sah, so furchtbar und so neu,
- Nicht wagt ichs unverbürgt euch zu vertrauen,
- Fühlt ich nicht mein Gewissen rein und treu,
- Dies gute feste Schild, den sichern Leiter,
- Und so mein Herz befreit von Furcht und Scheu.
- Ich sah--noch ist dies Schreckbild mein Begleiter--
- Ein Rumpf ging ohne Haupt mit jener Schar
- Von Unglückselgen in der Tiefe weiter.
- Er hielt das abgedchnittne Haupt beim Haar
- Und ließ es von der Hand als Leuchte hangen
- Und seufzte tief, wie er uns nahe war.
- So kam er eins in zwein dahergegangen
- Und leuchtet als Laterne sich mit sich--
- Wies möglich, weiß nur der, ders so verhangen.
- Nachdem er bis zum Fuß der Brücke schlich,
- Hob er, um näher mir ein Wort zu sagen,
- Den Arm zusamt dem Haupte gegen mich,
- Und sprach: "Hier sieh die schrecklichste der Plagen!
- Du, der du atmend in der Höll erscheinst,
- Sprich: Ist wohl eine schwerer zu ertragen?
- Jetzt horch, wenn du von mir zu künden meinst;
- Beltram von Bornio bin ich, und Johannen,
- Dem König, gab ich bösen Ratschlag einst,
- Darob dann Sohn und Vater Krieg begannen,
- Wie zwischen David einst und Absalon,
- Durch Ahitophel Fehden sich entspannen.
- Mein Hirn nun muß ich zum gerechten Lohn
- Getrennt von seinem Quell im Rumpfe sehen,
- Weil ich getrennt den Vater und den Sohn,
- Und so, wie ich getan, ist mir geschehen."
- Neunundzwanzigster Gesang
- Das viele Volk und die verschiednen Wunden,
- Sie hatten so die Augen mir berauscht,
- Daß sie vom Schaun mir ganz voll Zähren stunden.
- Da sprach Virgil: "Was willst du noch? Was lauscht
- Und starrt dein Auge so nach diesen Gründen,
- Wos Greuelbild um Greuelbild vertauscht?
- Nicht also tatst du in den andern Schlünden.
- An zweiundzwanzig Miglien kreist dies Tal,
- Drum kannst du hier nicht jegliches ergründen.
- Schon unter unserm Fuß glänzt Lunens Strahl,
- Und wenig dürfen wir uns nur verweilen,
- Denn noch zu sehn ist viel und große Qual."
- Ich sprach: "Erlaubtest du, dir mitzuteilen,
- Welch einen Grund ich hatt, hinabzuspähn,
- So würdest du wohl minder mich beeilen."
- Er ging und ich ihm nach und gab im Gehn
- Dem Meister von dem Grund des Forschens Kunde
- Und sprach: "Wohl hab ich scharf hinabgesehn,
- Denn eine Seele wohnt in diesem Schlunde
- Von meinem Stamm, und sicher ist an ihr
- Bestraft die Schuld durch manche schwere Wunde."
- Mein Meister sprach darauf: "Nicht mache dir
- Noch länger Sorg um diesen Anverwandten;
- An andres denk, er aber bleibe hier.
- Ich sah ihn bei der Brücke den Bekannten
- Dich zeigen und dir mit dem Finger drohn
- Und hörte, wie sie ihn del Bello nannten.
- Doch du bemerktest eben nichts davon,
- Weil auf dem Beltram deine Blicke weilten.
- Als dieser ging, war jener schon entflohn."
- "Weil Rach und Schwert des Feindes ihn ereilten",
- Sprach ich, "und keiner seinen Tod gerächt,
- Von allen denen, so die Kränkung teilten,
- Zürnt er auf mich und zürnt auf sein Geschlecht
- Und ging drum, ohne mich zu sprechen, weiter,
- Und darin, glaub ich, hat der Arme recht."
- Nun folgt ich hin zum Felsen meinem Leiter,
- Von wo man überblickt den nächsten Schlund,
- Wär irgend nur von Licht die Tiefe heiter.
- Von seiner Höh ward unserm Auge kund
- Der letzte Klosterbann von Übelsäcken,
- Und viel Bekehrte waren tief im Grund.
- Und gleich den Pfeilen drangen, mir zum Schrecken,
- Gespitzt durch Mitleid, Jammertön heraus
- Und zwangen mich, die Ohren zu bedecken.
- Wär aller Schmerz aus jedem Krankenhaus
- Zur Zeit, da wild die Sommergluten flammen,
- Und Valdichianas und Sardiniens Graus
- Und Seuch und Pest in einem Schlund beisammen,
- Nicht ärger wärs als hier, wo fauler Duft
- Und Stank vom Eiter in den Lüften schwammen.
- Wir stiegen auf den Rand der letzten Kluft
- Vom langen Felsen niederwärts zur Linken,
- Und deutlicher erschien der Schoß der Gruft.
- In diesem Grund läßt nach des Höchsten Winken
- Die nimmer irrende Gerechtigkeit
- Zur wohlverdienten Quäl die Fälscher sinken.
- Nicht in Ägina ist vor alter Zeit
- Des Volkes Anblick trauriger gewesen,
- Das krank darniedersank, dem Tod geweiht,
- Ja bis zum kleinsten Wurm jedwedes Wesen,
- Durch tückisch böse Luft, worauf im Land,
- Wie wir für sicher in den Dichtern lesen,
- Ein neues Volk aus Ämsenbrut entstand;
- Als hier zu sehn war, wie sich schwach und siechend
- Das Geistervolk in manchem Haufen wand.
- Die einen auf der andern Rücken liegend,
- Die auf dem Bauch, und die von einem Ort
- Zum andern hin auf allen vieren kriechend.
- Wir gingen Schritt um Schritt und schweigend fort,
- Sahn Kranke dort, unfähig aufzustehen
- Und horchten auf ihr kläglich Jammerwort.
- Sich gegenseitig stützend, saßen zween,
- Wie in der Küche Pfann an Pfanne lehnt,
- Mit Grind gefleckt vom Kopf bis zu den Zehen.
- Gleich wie ein Stallknecht, der nach Schlaf sich sehnt
- Und bald sein Tagwerk hofft vollbracht zu haben,
- Die Striegel eiligst führt und öfters gähnt;
- So sah ich sie sich mit den Nägeln schaben
- Und hier und dort sich kratzen und geschwind,
- So gut es ging, ihr wütend Jucken laben.
- Und schnell war unter ihren Klaun der Grind
- Wie Schuppen von den Barschen abgegangen,
- Die unterm Messer schneller Köche sind.
- "Du, vor des Fingern Schien und Masche sprangen,"
- Begann Virgil zu einem von den zwein,
- "Und der du sie auch oft gebrauchst wie Zangen,
- Sprich: Fanden sich auch hier Lateiner ein
- Und mögen dich zu kratzen und zu krauen,
- Dafür dir ewig scharf die Nägel sein."
- "Lateiner kannst du in uns beiden schauen,"
- Erwidert einer drauf, von Qual durchbebt,
- "Doch wer du bist, magst du mir erst vertrauen."
- Mein Führer sprach: "Von Fels zu Felsen strebt
- Mein Fuß hinab in diesen Finsternissen;
- Die Höll zeig ich diesem, der da lebt."
- Da schien das Band, das beide hielt, zerrissen,
- Und jeder, dems der Rückhall kundgetan,
- War zitternd nur mich anzuschaun beflissen.
- Dicht drängte sich an mich mein Meister an
- Und sprach: "Du magst sie nach Belieben fragen!"
- Und ich, da er es so gewollt, begann:
- "Soll dein Gedächtnis noch in späten Tagen
- Auf unsrer Welt und in der Menschen Geist
- Erhalten sein, so magst du jetzo sagen,
- Wie du dich nennst und deine Heimat heißt?
- Und, trotz der ekeln Qual, nimm dich zusammen,
- Daß du in deinen Reden offen seist."
- "Mich zeugt Arezzo, und den Tod in Flammen
- Verschafft einst Albero von Siena mir,
- Doch andrer Grund hieß Minos mich verdammen.
- Wahr ists, ich sagt im Scherz: ins Luftrevier
- Verstünd ich mich im Fluge hinzuschwingen.
- Er, klein an Witz und groß an Neubegier,
- Bat mich, ihm diese Kenntnis beizubringen,
- Und nur weil er durch mich kein Dädal ward,
- Befahl sein Vater dann, mich umzubringen.
- Doch Minos, dem sich alles offenbart,
- Hat, weil ich mich der Alchimie ergeben,
- Im letzten Schlund der zehen mich verwahrt."
- Zum Dichter sagt ich: "Sprich, ob man im Leben
- So eitles Volk wie die Sanesen fand?
- Selbst die Franzosen sind ja nichts daneben."
- Der andre Grindge, welcher mich verstand,
- Rief: "Mag nur Stricca ausgenommen bleiben,
- Der all sein Gut so klüglich angewandt;
- Und Nikel, dem die Ehre zuzuschreiben,
- Daß er zuerst die Braten wohl gewürzt,
- Dort, wo dergleichen Saaten wohl bekleiben;
- Und jener Klub, der wohl die Zeit gekürzt,
- In dem Caccia dAscian samt seinem Witze,
- Auch Wald und Weinberg durch den Schlund gestürzt.
- Doch willst du wissen, wer dir half, so spitze
- Den Blick auf mich und stelle dich dahin,
- Gerade gegenüber meinem Sitze;
- Dann wirst du sehn, daß ich Capocchio bin.
- Metall verfälscht ich, daß ich Gold erschaffe,
- Und, sah ich recht, so ist dirs noch im Sinn,
- Ich war von der Natur ein guter Affe".
- Dreißigster Gesang
- Zur Zeit, da Junos Herz in Zorn geraten
- Ob Semeles, in Zorn auf Thebens Blut,
- Wie sie so manches Mal gezeigt durch Taten,
- Ergriff den Athamas so tolle Wut,
- Daß er, als auf sein Weib der Blick gefallen,
- Das jeden Arm mit einem Sohn belud,
- Den wilden Ruf des Wahnsinns ließ erschallen:
- "Die Löwin samt den Jungen sei gefaßt!"
- Dann streckt er aus die mitleidlosen Krallen;
- Und wie er einen, den Learch, mit Hast
- Gepackt, geschwenkt und am Gestein zerschlagen,
- Ertränkte sie sich mit der zweiten Last.
- Und als das Glück, das alles kühn zu wagen,
- Die stolzen Troer trieb, sein Rad gewandt,
- So daß zusammen Reich und Fürst erlagen,
- Und Hekuba, gefangen und verbannt,
- Geopfert die Polyxena erblickte,
- Und sie ihr Mißgeschick an Thraziens Strand
- Zum Leichnam ihres Polydorus schickte,
- Da bellte sie, wahnsinnig, wie ein Hund,
- Weil Schmerz den Geist verkehrt und ganz bestrickte.
- Doch nichts in Theben ward noch Troja kund
- Von einer Wut, die Vieh und Menschen packte,
- Wie ich hier sah in diesem zehnten Schlund.
- Ein Paar von Geistern, totenfahle, nackte,
- Brach vor, so wie aus seinem Stall das Schwein,
- Indems auf alles mit den Hauern hackte.
- Der schlug sie in den Hals Capocchios ein
- Und schleppt ihn fort, und nicht gar sanft gerieben
- Ward ihm dabei der Bauch am harten Stein.
- Der Aretiner, der voll Angst geblieben,
- Sprach: "Schicchi ists, der tolle Poltergeist,
- Der solch ein wütend Spiel schon oft getrieben."
- "Wie du geschützt vor jenes Hauern seist,"
- Entgegnet ich, "so sprich, eh er entronnen,
- Wer dieser Schatten ist und wie er heißt."
- "Die Myrrha ists, die schnöden Trug ersonnen,"
- Erwidert er, "die mehr als sich gebührt
- Vor alter Zeit den Vater liebgewonnen,
- Und die mit ihm das Werk der Lust vollführt,
- Weil sie die fremde Form sich angedichtet;
- Wie jener, der Capocchio dort entführt,
- Weil Simon ihn durchs beste Roß verpflichtet,
- Als falscher Buoso sich ins Bett gelegt
- Und so für ihn ein Testament errichtet."
- Als nun die Tollen sich vorbeibewegt,
- Ließ ich mein Auge durch die Tiefe streichen
- Und sah, was sonst der Schlund an Sündern hegt.
- Der eine war der Laute zu vergleichen,
- Hätt ihm ein Schnitt die Gabel weggeschafft,
- Die jeder Mensch hat abwärts von den Weichen.
- Die Wassersucht, durch schlechtverkochten Saft
- Ein Glied abmagernd und das andre blähend,
- Die hart den Bauch macht, das Gesicht erschlafft,
- Hielt ihm die beiden Lippen offen stehend,
- Die nach dem Kinn, und die emporgekehrt,
- Und dem Schwindsüchtgen gleich, vor Durst vergehend.
- "Ihr, die ihr schmerzlos geht und unversehrt,
- Wie? weiß ich nicht, in diesen Schmerzenstalen,"
- Er sprachs, "o schaut und merkt und seid belehrt
- Von Meister Adams schreckenvollen Qualen.
- Kein Tröpflein, ach, stillt hier des Durstes Glühn;
- Dort konnt ich, was ich nur gewünscht, bezahlen.
- Die muntern Bächlein, die vom Hügelgrün
- Des Casentin zum Arno niederrollen
- Und frisch und lind des Bettes Rand besprühn,
- Ach, daß sie mir sich ewig zeigen sollen,
- Und nicht umsonst--mehr, als die Wassersucht,
- Entflammt dies Bild den Durst des Jammervollen.
- Denn die Gerechtigkeit, die mich verflucht,
- Treibt durch den Ort, wo ich in Schuld verfallen,
- Zu größrer Eile meiner Seufzer Flucht.
- Dort liegt Romena, wo ich mit Metallen
- Geringern Werts verfälscht das gute Geld,
- Weshalb ich dort der Flamm anheimgefallen.
- Doch wäre Guido nur mir beigesellt,
- Und jeder, der zum Laster mich verführte,
- Ich gäbe drum den schönsten Quell der Welt.
- Zwar, wenn der Tolle Wahrheit sagt, so spürte
- Er jüngst den einen auf in dieser Nacht.
- Doch da dies übel meine Glieder schnürte,
- Was hilft es mir? Hätt ich nur so viel Macht,
- Um zollweis im Jahrhundert vorzuschreiten,
- Ich hätte schon mich auf den Weg gemacht,
- Ihn suchend durch dies Tal nach allen Seiten,
- Mags in der Rund auch sich elf Miglien ziehn,
- Und minder nicht als eine halbe breiten.
- Bei diesen Krüppeln hier bin ich durch ihn,
- Denn er hat mich verführt, daß ich den Gulden
- An schlechterm Zusatz drei Karat verliehn."
- Und ich: "Was mochten jene zwei verschulden,
- Die, dampfend, wie im Frost die nasse Hand,
- Fest an dir liegend, ihre Straf erdulden?"
- Er sprach: "Sie liegen fest, wie ich sie fand,
- Als ich hierhergeschneit nach Minos Winken,
- Und werden ewiglich nicht umgewandt.
- Die ist das Weib des Potiphar; zur Linken
- Liegt Sinon mir, berühmt durch Trojas Roß.
- Im faulen Fieber liegen sie und stinken."
- Und dieser Letzte, dens vielleicht verdroß,
- Daß Meister Adams Wort ihn so verhöhnte,
- Gab auf den harten Wanst ihm einen Stoß,
- Daß dieser gleich der besten Trommel tönte.
- Doch in das Angesicht des andern warf
- Herr Adam die gleich harte Faust und stöhnte:
- "Ob ich mich gleich nicht fortbewegen darf,
- Doch ist mein Arm noch, wie du eben spürtest,
- Noch frei und flink zu solcherlei Bedarf."
- "Als du zum Feuer gingst," rief Sinon, "rührtest
- Du nicht den Arm schnell, wie er eben war,
- Doch schneller, da du einst den Stempel führtest."
- Der Wassersüchtge: "Darin sprichst du wahr,
- Doch stelltest du in Troja kein Exempel
- Von einem so wahrhaftgen Zeugnis dar."
- "Fälscht ich das Wort, so fälschtest du den Stempel.
- Hier bin ich doch für einen Fehler nur,
- Du aber dientest stets in Satans Tempel."
- So Sinon. "Denk ans Roß, du Schelm!" so fuhr
- Ihn jener an mit dem geschwollnen Bauche,
- "Qual sei dir, daß es alle Welt erfuhr."
- "Qual sei dir", rief der Grieche drauf, "die Jauche,
- Und blähe stets zum Bollwerk deinen Wanst,
- Der Durst, der deine Zung in Flammen tauche."
- Der Münzer: "Der du stets auf Lügen sannst,
- Dein Maul zerreiße dir für solch Erfrechen!
- Wenn du mich dürstend. schwellend sehen kannst,
- So möge Durst dich quälen, Kopfweh stechen.
- Sprach einer kurz: Sauf aus den ganzen Bach!
- Du würdest dessen wohl dich nicht entbrechen."
- Ich horchte stumm, was der und jener sprach,
- Da rief Virgil: "Nun, wirst du endlich kommen?
- Zu lange sah ich schon der Neugier nach."
- Als ich des Meisters Wort voll Zorn vernommen,
- Wandt ich voll Scham zu ihm das Angesicht
- Und fühle jetzt noch mich von Scham entglommen.
- Wie man im schreckenvollen Traumgesicht
- Zu wünschen pflegt, daß man nur träumen möge,
- Und das, was ist, ersehnt, als wär es nicht;
- So bangt ich, daß mir Scham das Wort entzöge;
- Entschuldgen wollt ich mich--Entschuldgung kam,
- Indem ich glaubte, daß ichs nicht vermöge.
- Da sprach mein guter Meister: "Mindre Scham
- Wäscht größern Fehler ab, als du begangen,
- Darum entlaste dich von jedem Gram;
- Doch wenn wir je zu solchem Streit gelangen,
- So denke stets, daß ich dir nahe bin,
- Und bleibe nicht daran voll Neugier hangen;
- Denn drauf zu horchen, zeigt gemeinen Sinn."
- Einunddreißigster Gesang
- Dieselbe Zunge, die mich erst verletzte
- Und beide Wangen überzog mit Rot,
- Wars, die mich dann mit Arzeneien letzte.
- So, hör ich, hat der Speer Achills gedroht,
- Und seines Vaters, der mit einem Zücken
- Verletzt und mit dem andern Hilfe bot.
- Wir kehrten nun dem Jammertal den Rücken,
- Den Damm durchschneidend, der es rings umlag,
- Um, schweigend, mehr nach innen vorzurücken.
- Dort wars nicht völlig Nacht, nicht völlig Tag,
- Daher die Blicke wenig vorwärts gingen;
- Doch tönt ein Horn--der stärkste Donner mag
- Bei solchem Ton kaum hörbar noch erklingen--
- Drum sucht ich nur, entgegen dem Gebraus,
- Mit meinem Blick zu seinem Quell zu dringen.
- Nicht tönte nach dem unglückselgen Strauß,
- Der Karls des Großen heilgen Plan vernichtet,
- Des Grafen Roland Horn mit solchem Graus.
- Wie ich mein Auge nun dorthin gerichtet,
- Glaubt ich, viel hohe Türme zu ersehn,
- Und sprach: "Ist eine Feste dort errichtet?"
- Mein Meister drauf: "Weil du zu weit zu spähn
- Versuchst in diesen nachterfüllten Räumen,
- Mußt du dich selber öfters hintergehn.
- Dort siehst du, daß, wie oft, zu eitlen Träumen
- Aus der Entfernung das Geschaute schwoll,
- Drum schreite vorwärts, ohne lang zu säumen."
- Dann faßt er bei der Hand mich liebevoll
- Und sprach: "Ich will dir die Bewandtnis sagen,
- Weils nah dann minder seltsam scheinen soll.
- Obs Türme wären, wolltest du mich fragen?
- Nein, Riesen sinds, die rings am Brunnenrand
- Vom Nabel aufwärts in die Lüfte ragen."
- Wie wenn der Nebel fortzieht, der das Land
- In Dunst gehüllt, allmählich unsre Blicke
- Das klar erkennen, was er erst umwand;
- So, bohrend durch die Luft, die trübe, dicke,
- Und mehr und mehr genaht dem tiefen Schlund,
- Scheucht ich den Wahn, doch kam die Furcht zurücke
- Wie um Montereggiones Zinnenrund
- Rings eine Krone hohe Türme machen,
- So türmten sich, mit halbem Leib im Grund,
- Mit halbem Leib rings um des Brunnens Rachen
- Giganten, Kämpfer jenes großen Streits,
- Sie, welchen nach die Donner Jovis krachen.
- Von einem sah ich das Gesicht bereits
- Und Schultern, Brust und großen Teil vom Bauche,
- Herabgestreckt die Arme beiderseits.
- Wenn die Natur nicht mehr nach altem Brauche
- Dergleichen Wesen schafft, so tut sie recht,
- Damit nicht Mars sie mehr als Schergen brauche.
- Schafft sie den Walfisch auch und das Geschlecht
- Der Elefanten noch, doch sicher findet,
- Wer reiflich urteilt, sie hierin gerecht,
- Weil, wenn die Überlegung sich verbindet
- Mit bösem Willen und mit großer Macht,
- Jedwede Schutzwehr dann dem Volke schwindet.
- Das Antlitz schien mir lang und ungeschlacht,
- Dem Turmknopf von Sankt Peter zu vergleichen,
- Und jedes Glied nach solchem Maß gemacht.
- Es mochten wohl vom Strand, der von den Weichen
- Ihn abwärts barg, der oberen Gestalt
- Drei Friesen ausgestreckt nicht dahin reichen,
- Wo seine Stirn das borstge Haar umwallt,
- Denn aufwärts maß er dreißig große Palmen,
- Bis zu dem Ort, wo man den Mantel schnallt.
- Raphegi mai amech itzabi Almen!
- So tönt es aus den dicken Lippen vor,
- Für die sich nicht geziemten sanftre Psalmen.
- Mein Führer rief: "Nimm doch dein Horn, du Tor,
- Und magst du Zorn und andern Trieb empfinden,
- So sprudl ihn flugs durch seinen Bauch hervor.
- Du kannst an deinem Hals den Riemen finden,
- Verwirrter Geist, ders angebunden hält.
- Sieh doch ihn dort die dicke Brust umwinden!"
- Darauf zu mir: "Sich selbst verklagt der Held;
- Der Nimrod ists, durch dessen toll Vergehen
- Man nicht mehr eine Sprach übt in der Welt.
- Mit ihm ist nicht zu sprechen. Mag er stehen!
- Kein Mensch versteht von seiner Sprach ein Wort,
- Und er kann keines andern Wort verstehen."
- Wir gingen nun zur Linken weiter fort,
- Und fanden schon in Bogenschusses Weite
- Den zweiten größern, wilden Riesen dort.
- Nicht weiß ich, wems gelang, daß er im Streite
- Ihn fing und band, doch vorn geschnürt erschien
- Sein linker Arm und hinter ihm der zweite;
- Denn eine Kett umwand vom Nacken ihn,
- Um, was von seinem Leib nach oben ragte,
- Nach unten hin fünf Male zu umziehn.
- Da sprach mein Meister: "Mit dem Donnrer wagte
- Sein kühner Stolz des großen Kampfes Los.
- Hier aber sieh den Preis, den er erjagte.
- Ephialtes ists. Sein Tun war kühn und groß
- Im Riesenkampfe, zu der Götter Schrecken;
- Nun ist sein drohnder Arm bewegungslos."
- Und ich zu ihm: "Den ungeheuern Recken,
- Den Briareus, wenn dies geschehen kann,
- Möcht ich wohl gern in diesem Tal entdecken."
- Mein Führer drauf: "Du siehst hier nebenan
- Antäus stehn. Er spricht, ist ungebunden
- Und setzt uns nieder in den tiefsten Bann.
- Der, den du suchst, wird weiterhin gefunden,
- Gleich diesem hier, nur schrecklicher zu schaun,
- Allein wie er mit Ketten fest umwunden."
- Hier schüttelt Ephialtes sich, und traun!
- Kein Erdenstoß, von dem die Türme schwanken,
- War heftiger, erregte tiefres Graun.
- Ich glaubte schon dem Tode zuzuwanken,
- Und sah ich nicht, wie ihn die Kett umschloß,
- So genügten, mich zu töten, die Gedanken.
- Wir gingen weiter, ich und mein Genoß,
- Und sahn Antäus, der dem tiefen Bronnen,
- Zehn Ellen bis zum Haupte hoch, entsproß.
- "Der du im Tal, das ewgen Ruhm gewonnen,
- Weil Hannibal in ihm, der kühne Feind,
- Mit seiner Schar vor Scipios Mut entronnen,
- Einst tausend Löwen fingst, wenn du, vereint
- Mit deinen Brüdern kühn den Arm geschwungen
- Im hohen Krieg, so hätten, wie man meint,
- Die Erdensöhne doch den Sieg errungen.
- Jetzt setz uns dort hinab, wo, fern dem Licht,
- Die starre Kälte den Kozyt bezwungen.
- Zu Tiphöus oder Tityus schick uns nicht.
- Das, was man hier ersehnt, kann dieser geben,
- Drum wende nicht so mürrisch dein Gesicht.
- Er kann auf Erden deinen Ruf erheben.
- Er lebt und hofft, wenn ihn nicht vor der Zeit
- Die Gnade zu sich ruft, noch lang zu leben."
- Er sprachs, und jener, schnell zum Griff bereit,
- Streckt aus die Hand, um auf ihn loszufahren,
- Die Hand, die Herkul fühlt im großen Streit.
- Virgil, kaum konnt er sich gepackt gewahren,
- Rief: "Komm hierher, wo dich mein Arm umstrickt!"
- Drauf macht ers, daß wir zwei ein Bündel waren.
- Wie Carisenda, unterm Hang erblickt,
- Sich vorzubeugen scheint und selbst zu regen,
- Wenn Wolken ihr den Wind entgegenschickt,
- So schien Antäus jetzt sich zu bewegen,
- Als er sich niederbog, und großen Hang
- Empfand ich, fortzugehn auf andern Wegen.
- Doch leicht zum Grund, der Luzifern verschlang
- Und Judas, setzt er nieder unsre Last,
- Und, so geneigt, verweilt er dort nicht lang
- Und schnellt empor, als wie im Schiff der Mast.
- Zweiunddreißigster Gesang
- O hätt ich Reime von so heiserm Schalle,
- So rauh, wie sie erheischt dies Loch voll Graus,
- Auf welchem ruhn die andern Felsen alle,
- Dann drückt ich, was ich will, vollkommner aus,
- Doch, sie nicht habend, geh ich nur mit Bangen
- Jetzt an die Rede, wie zum harten Strauß.
- Denn nicht ein Spiel ist ja mein Unterfangen,
- Den Grund des Alls dem Liede zu vertraun,
- Und nicht mit Kinderlallen auszulangen.
- Doch fördern meine Reim itzt jene Fraun,
- Amphions Hilf an Thebens Maur und Toren,
- Dann wohl entspricht mein Lied der Tat an Graun.
- O schlechtster Pöbel, an dem Ort verloren,
- Der hart zu schildern ist, oh wärst du doch
- In unsrer Welt als Zieg und Schaf geboren.
- Wir waren nun im dunkeln Brunnenloch
- Tief unterm Riesen, näher schon der Mitte,
- Und nach der hohen Mauer sah ich noch.
- Da hört ich sagen: "Schau auf deine Schritte,
- Daß du den Armen nicht im Weiterziehn
- Die Häupter stampfen magst mit deinem Tritte."
- Drum wandt ich mich, und vor mir hin erschien
- Und unter meinen Füßen auch ein Weiher,
- Der durch den Frost Glas, und nicht Wasser, schien.
- Die Donau bleibt im Frost vom Eise freier,
- Und nah dem Pol, selbst in der längsten Nacht,
- Deckt nicht den Sanais ein so dichter Schleier.
- Und wäre Tabernik herabgekracht
- Und Pietrapan, nicht hätte nur am Saume
- Bei ihrem Sturz das Eis krick krick gemacht.
- Wie abends, wenn die Bäuerin im Traume
- Noch Ähren liest--die Schnauze vorgestreckt,
- Der Frösche Volk quäkt aus dem nassen Raume;
- So bis dahin, wo sich die Scham entdeckt,
- Fahl, mit dem Ton des Storchs die Zähne schlagend,
- War elend Geistervolk im Eis versteckt,
- Zur Tiefe hingewandt das Antlitz tragend,
- Vom Froste mit dem Mund und von den Wehn
- Des Herzens mit den Augen Zeugnis sagend.
- Als ich ein Weilchen erst mich umgesehn,
- Schaut ich zum Boden hin und sah von oben
- Zwei, eng umfaßt, vermischt das Haupthaar, stehn.
- "Ihr, die ihr drängend Brust an Brust geschoben,
- Wer seid ihr?" sprach ich--dann, als sie auf mich,
- Die Hälse rückend, ihre Blick erhoben,
- Sah ich die Augen, feucht erst innerlich,
- Von Tränen träufeln, die, noch kaum ergossen,
- Zu Eis erstarrten; und sie schlossen sich,
- Fest, wie nie Klammern Holz an Holz geschlossen,
- Drum stießen sich im Grimme wilden Streits,
- Gleich zweien Böcken, diese Qualgenossen.
- Und einer, der sein Ohrenpaar bereits
- Durch Frost verlor, brach, stets gebückt, das Schweigen:
- Was hängst du so am Schauspiel unsres Leids?
- Soll ich, wer diese beiden sind, dir zeigen?
- Das Tal, das des Bisenzio Flut benetzt,
- War ihnen einst und ihrem Vater eigen.
- Ein Leib gebar sie, und durchsuche jetzt
- Kaina ganz, du findest sicher keinen
- Mit besserm Grund in dieses Eis versetzt;
- Nicht ihn, des Brust und Schatten einst durch einen
- Stoß seines Speers durchbohrt des Artus Hand;
- Focaccia nicht, noch ihn, des Kopf den meinen
- So deckt, daß mir die Aussicht gänzlich schwand.
- Den, hörst du Sassol Mascheroni nennen,
- Du, ein Toskaner, sicher leicht erkannt.
- Jetzt hör, um mir nur schleunig Ruh zu gönnen,
- Ich, Camicion, erwarte den Carlin
- Und werde neben ihm mich brüsten können:"
- Noch sah ich viele Hundesfratzen ziehn
- Vor großem Frost in diesem tiefen Kreise,
- Und schaudre noch vor dem, was mir erschien.
- Und weiter ging zum Mittelpunkt die Reise,
- Auf welchem ruht des ganzen Alls Gewicht,
- Und selber zittert ich beim ewgen Eise.
- Wars Vorsatz, wars Geschick--ich weiß es nicht,
- Genug, es stieß mein Fuß beim Weitergehen
- Durch viele Häupter, eins ins Angesicht.
- "Was trittst du mich?"--so hört ichs heulend schmähen,
- "Rächst du noch schärfer Montapert an mir?
- Wenn aber nicht, weswegen ists geschehen?--"
- "Mein Meister," sprach ich, "harr ein wenig hier,
- Denn gern belehrt ich mich von diesem näher,
- Dann folg ich, wie dirs gut dünkt, eilig dir."
- Still stand, wie ich gewünscht, der hohe Seher,
- Und jener fluchte noch so wild wie erst,
- Da sprach ich: "Wer bist du, du arger Schmäher?"
- "Und du, der du durch Antenora fährst,"
- Sprach er, "wer du, der so stößt andrer Wangen,
- Daß es zu arg war, wenn du lebend wärst?"--
- "Ich lebe", sagt ich. "Hättest du Verlangen
- Nach Ruf, so wird er dir durch mich zuteil,
- Drum wirst du wohl mit Freuden mich empfangen."
- Drauf er: "Ich wünsche nur das Gegenteil,
- Drum packe dich--in diesen Eisesmassen
- Verspricht solch Schmeichelwort ein schlechtes Heil."
- Da griff ich nieder, ihn beim Schopf zu fassen,
- Und sagt ihm: "Nötig wirds, daß du dich nennst,
- Soll ich ein Haar auf deinem Kopfe lassen."
- Und er: "Ob du mich zausen magst, du kennst
- Mich dennoch nicht--nichts sollst du hier erkunden,
- Wenn du mir tausendmal ins Antlitz rennst."
- Ich hielt sein Haar um meine Hand gewunden,
- Und ob schon ausgerauft manch Büschel war,
- Schaut er hinab und bellte gleich den Hunden.
- Da rief ein andrer: "Bocca, nun fürwahr,
- Du ließest schon genug die Kiefern klingen,
- Jetzt bellst du noch? Plagt dich der Teufel gar?"
- "Dich", rief ich, "mag ich nicht zum Reden zwingen,
- Verräter du, allein zu deiner Schmach
- Will ich zur Erde wahre Nachricht bringen."
- "Erzähle, was du willst, doch hintennach",
- Rief Bocca, "magst du diesen nur nicht schönen,
- Der eben jetzo so geläufig sprach.
- Sieh ihn fürs Gold der Franken hier belohnen
- Und sage, daß Duera da nicht fehlt,
- Wo ziemlich kühl und frisch die Sünder wohnen.
- Und fragt man noch, wen sonst dies Eis verhehlt,
- Dort siehst du Becherias Augen triefen,
- Den jüngst die Florentiner abgekehlt.
- Auch wohnt Soldanier jetzt in diesen Tiefen,
- Gan, Sribaldello, der Faenzas Tor
- Den Feinden aufschloß, da noch alle schliefen."
- Wir gingen fort, und, etwas weiter vor,
- War, Haupt auf Haupt gedrückt, ein Paar zu finden,
- Das fest in einem Loch zusammenfror.
- Wie man aus Hunger nagt an harten Rinden,
- So fraß der Obre hier den Untern an
- Da, wo sich Nacken und Gehirn verbinden.
- Wie in die Schläfe Menalipps den Zahn
- Einst Sydeus voll von wilder Wut geschlagen,
- So ward von ihm dem Schädel hier getan.
- "O du, der du mit viehischem Behagen
- Den Haß an diesem stillst, an dem du nagst,
- Weshalb", begann ich, "magst du dich beklagen?
- Und hör ich, daß du dich mit Recht beklagst,
- Und wer er sei, und was dein Nagen räche,
- So sollst du dort erstehn, wo du erlagst,
- Wenn diese nicht verdorrt, mit der ich spreche."
- Dreiunddreißigster Gesang
- Den Mund erhob vom schaudervollen Schmaus
- Der Sünder jetzt und wischt ihn mit den Locken
- Des angefressnen Hinterkopfes aus.
- Er sprach: "Du willst zum Reden mich verlocken?
- Verzweiflungsvollen Schmerz soll ich erneun,
- Bei des Erinnrung schon die Pulse stocken?
- Doch dient mein Wort, um Saaten auszustreun,
- Die Frucht der Schande dem Verräter bringen,
- Nicht Reden werd ich dann noch Tränen scheun.
- Zwar, wer du bist, wie dir hierherzudringen
- Gelungen, weiß ich nicht, doch schien vorhin
- Wie Florentiner Laut dein Wort zu klingen.
- Du höre jetzt: Ich war Graf Ugolin,
- Erzbischof Roger er, den ich zerbissen.
- Nun horch, warum ich solch ein Nachbar bin.
- Daß er die Freiheit tückisch mir entrissen,
- Als er durch Arglist mein Vertraun betört,
- Und mich getötet hat, das wirst du wissen.
- Vernimm darum, was du noch nicht gehört,
- Noch haben kannst--den Tod voll Graus und Schauer,
- Und fass es, wie sich noch mein Herz empört.
- Ein enges Loch in des Verlieses Mauer,
- Durch mich benannt vom Hunger, wo gewiß
- Man manchen noch verschließt zu bittrer Trauer,
- Es zeigte kaum nach nächtger Finsternis
- Das erste Zwielicht, als ein Traum voll Grauen
- Der dunkeln Zukunft Schleier mir zerriß.
- Er jagt, als Herr und Meister, durch die Auen
- Den Wolf und seine Brut zum Berg hinaus,
- Der Pisa hindert, Lucca zu erschauen.
- Mit Hunden, mager, gierig und zum Strauß
- Wohleingeübt, entsendet er Sismunden,
- Lanfranken samt Gualanden sich voraus.
- Bald schien im Lauf des Wolfes Kraft geschwunden
- Und seiner Jungen Kraft, und bis zum Tod
- Sah ich von scharfen Zähnen sie verwunden.
- Als ich erwacht im ersten Morgenrot,
- Da jammerten, halb schlafend noch, die Meinen,
- Die bei mir waren, und verlangten Brot.
- Teilst du nicht meinen Schmerz, so teilst du keinen,
- Und denkst du, was mein Herz mir kundgetan,
- Und weinest nicht, wann pflegst du denn zu weinen?
- Schon wachten sie, die Stunde naht heran,
- Wo man uns sonst die Speise bracht, und jeden
- Weht ob des Traumes Unglücksahndung an.
- Verriegeln hört ich unter mir den öden,
- Graunvollen Turm--und ins Gesicht sah ich
- Den Kindern allen, ohn ein Wort zu reden.
- Ich weinte nicht. So starrt ich innerlich,
- Sie weinten, und mein Anselmuccio fragte:
- Du blickst so,--Vater! Ach, was hast du? Sprich!
- Doch weint ich nicht, und diesen Tag lang sagte
- Ich nichts und nichts die Nacht, bis abermal
- Des Morgens Licht der Welt im Osten tagte.
- Als in mein jammervoll Verlies sein Strahl
- Ein wenig fiel, da schien es mir, ich fände
- Auf vier Gesichtern meins und meine Qual.
- Ich biß vor Jammer mich in beide Hände,
- Und jene, wähnend, daß ich es aus Gier
- Nach Speise tat, erhoben sich behende
- Und schrien: Iß uns, und minder leiden wir!
- Wie wir von dir die arme Hüll erhalten,
- Oh, so entkleid uns, Vater, auch von ihr.
- Da sucht ich ihrethalb mich still zu halten;
- Stumm blieben wir den Tag, den andern noch.
- Und du, o Erde, konntest dich nicht spalten?
- Als wir den vierten Tag erreicht, da kroch
- Mein Gaddo zu mir hin mit leisem Flehen:
- Was hilfst du nicht? Mein Vater, hilf mir doch!
- Dort starb er--und so hab ich sie gesehen,
- Wie du mich siehst, am fünften, sechsten Tag,
- Jetzt den, jetzt den hinsinken und vergehen.
- Schon blind, tappt ich dahin, wo jeder lag,
- Rief sie drei Tage, seit ihr Blick gebrochen,
- Bis Hunger tat, was Kummer nicht vermag."
- Und scheelen Blickes fiel er, dies gesprochen,
- Den Schädel an, den er zerriß, zerbrach,
- Mit Zähnen, wie des Hundes, stark für Knochen.
- Pisa, du, des schönen Landes Schmach,
- In dem das Si erklingt mit süßem Tone,
- Sieht träg dein Nachbar deinen Freveln nach,
- So schwimme her, Capraja und Gorgone,
- Des Arno Mund zu stopfen, daß die Flut
- Dich ganz ersäuf und keiner Seele schone.
- Denn, wenn auch Ugolinos Frevelmut,
- Wie man gesagt, die Schlösser dir verraten,
- Was schlachtete die Kinder deine Wut?
- Oh neues Theben, war an solchen Taten
- Nicht ohne Schuld das zarte Knabenpaar,
- Das ich genannt? nicht Hugo samt Brigaten?--
- Wir gingen nun zu einer andern Schar,
- Die, statt wie jene, sich hinabzukehren,
- Das Antlitz aufwärts, eingefroren war.
- Die Zähren selber hemmen hier die Zähren,
- Drum wälzt der Schmerz, der nicht nach außen kann,
- Sich ganz nach innen, um die Angst zu mehren.
- Denn, was zuerst dem trüben Aug entrann,
- Das war zum Klumpen von Kristall verdichtet
- Und füllte ganz die Augenhöhlen an.
- Und ob vom Frost, der solches Eis geschichtet,
- Mein Antlitz wie bedeckt mit Schwielen schien,
- Und deshalb jegliches Gefühl vernichtet,
- Doch fühlt ich, schiens mir Luft entgegenziehn,
- Drum sprach ich: "Herr, wie mag hier Luft sich regen,
- Wo nie die Sonne, dunstentwickelnd, schien?"
- Und er: "Du gehst der Antwort schnell entgegen
- Und siehst, wenn wir noch weiter fortgereist,
- Aus welchem Grund die Lüfte sich bewegen."
- Da rief ein eisumstarrter armer Geist:
- "Grausame Seelen, ihr, die jetzt vom Lichte
- Zu dieser letzten Stelle Minos weist,
- Hebt mir den harten Schleier vom Gesichte,
- Damit ich lüfte meines Herzens Wehn,
- Eh neu die Träne sich zu Eis verdichte."
- Ich sprach: "Soll dirs nach deinem Wunsch geschehn,
- So nenne dich, und wenn ichs nicht erzeige,
- So will ich selbst zum Grund des Eises gehn."
- Drauf er: "Ich bins, der Frucht vom bösen Zweige
- Als Bruder Alberich dort angeschafft,
- Und speise hier die Dattel für die Feige."
- "Oh," rief ich, "hat der Tod dich hingerafft?"
- Und er zu mir: "Ob noch mein Leib am Leben,
- Davon bekam ich keine Wissenschaft.
- Denn Ptolommäa hat den Vorzug eben,
- Daß oft die Seele stürzt in dies Gebiet,
- Eh ihr den Anstoß Atropos gegeben.
- Und daß du lieber mir vom Augenlid
- Verglaste Tränen nehmest sollst du wissen:
- Sobald die Seele den Verrat vollzieht,
- Wie ich getan, wird ihr der Leib entrissen
- Von einem Teufel, der dann drin regiert
- Bis an den Tod, indes in Finsternissen
- Des kalten Brunnens sie sich selbst verliert.
- Vielleicht ist oben noch der Körper dessen,
- Der hinter mir in diesem Eise friert.
- Kommst du von dort, so magst dus selbst ermessen.
- Herr Branca dOria ists, der jämmerlich
- Schon manches Jahr im Eise fest gesessen."
- "Ich glaube," Sprach ich, "du betrügest mich,
- Denn Branca dOria ist noch nicht begraben
- Und ißt und trinkt und schläft und kleidet sich."
- Und er darauf: "Es konnte jenen Graben,
- An dem beim Pech die Schar von Teufeln wacht,
- Noch nicht erreicht Herr Michel Zanche haben,
- Da war sein Leib schon in des Dämons Macht.
- So gings auch dem von dOrias Geschlechte,
- Der den Verrat zugleich mit ihm vollbracht.
- Jetzt aber strecke zu mir her die Rechte
- Und nimm das Eis hinweg!--doch tat ichs nicht,
- Denn gegen ihn war Schlechtsein nur das Rechte.
- Genua, Feindin jeder Sitt und Pflicht,
- Ihr Genueser, jeder Schuld Genossen,
- Was tilgt euch nicht des Himmels Strafgericht?
- Ich fand mit der Romagna schlimmsten Sprossen
- Der euren einen, für sein Tun belohnt,
- Die Seel in des Kozytus Eis verschlossen,
- Des Leib bei euch noch scheinbar lebend wohnt.
- Vierunddreißigster Gesang
- "Uns naht des Höllenköniges Panier!
- Schau hin, ob du vermagst ihn zu erspähen."
- So sprach mein edler Meister jetzt zu mir.
- Und wie, wenn dichte Nebel uns umwehen,
- Wie in der Dämmerung, vom fernen Ort
- Windmühlenflügel aussehn, die sich drehen;
- So sah ich jetzo ein Gebäude dort--
- Nichts fand ich sonst, mich vor dem Wind zu decken,
- Drum drängt ich fest mich hinter meinen Hort.
- Dort war ich, wo--ich sing es noch mit Schrecken--
- Die Geister, in durchsichtges Eis gebannt,
- Ganz drin, wie Splitterchen im Glase, stecken.
- Der lag darin gestreckt, und mancher stand,
- Der aufrecht, jener auf dem Kopf; der bückte
- Sich sprenkelkrumm, das Haupt zum Fuß gewandt.
- Als hinter ihm ich so weit vorwärts rückte,
- Daß es dem Meister nun gefällig schien,
- Mir den zu zeigen, den einst Schönheit schmückte.
- Da trat er weg von mir, hieß mich verziehn,
- Und sprach zu mir: "Bleib, um den Dis zu schauen,
- Und hier laß nicht dir Mut und Kraft entfliehn."
- Wie ich da starr und heiser ward vor Grauen,
- Darüber schweigt, o Leser, mein Bericht,
- Denn keiner Sprache läßt sich dies vertrauen.
- Nicht starb ich hier, auch lebend blieb ich nicht.
- Nun denke, was dem Zustand dessen gleiche,
- Dem Tod und Leben allzugleich gebricht.
- Der Kaiser von dem tränenvollen Reiche
- Entragte mit der halben Brust dem Glas,
- Und wie ich eines Riesen Maß erreiche,
- Erreicht ein Riese seines Armes Maß.
- Nun siehst du selbst das ungeheure Wesen,
- Dem solch ein Glied verhältnismäßig saß.
- Ist er, wie häßlich jetzt, einst schön gewesen,
- Und hat den gütgen Schöpfer doch bedroht,
- So muß er wohl der Quell sein alles Bösen.
- O Wunder, das sein Kopf dem Auge bot!
- Mit drei Gesichtern sah ich ihn erscheinen,
- Von diesen aber war das vordre rot.
- Anfügten sich die andern zwei dem einen,
- Gerad ob beiden Schultern hingestellt,
- Um oben sich beim Kamme zu vereinen;
- Das Antlitz links weißgelblich--ihm gesellt
- Das links, gleich dem der Leute, die aus Landen
- Von jenseits kommen, wo der Nilus fällt.
- Groß, angemessen solchem Vogel, standen
- Zwei Flügel unter jedem weit heraus,
- Die wir den Segeln gleich, nur größer, fanden,
- Und federlos, wie die der Fledermaus.
- Sie flatterten ohn Unterlaß und gossen
- Drei Winde nach verschiedner Richtung aus.
- Dadurch ward der Kozyt mit Eis verschlossen.
- Sechs Augen waren nie von Tränen frei,
- Die auf drei Kinn in blutgem Geifer flossen.
- Und einen armen Sünder malmt entzwei
- Und kaute jeder Mund, daher zerbissen,
- Flachsbrechen gleich, die scharfen Zähne drei.
- Der vordre Mund schien sanft in seinen Bissen,
- Verglichen mit den scharfen Klaun, zu sein,
- Die oft die Haut vom Fleisch des Sünders rissen.
- Da sprach Virgil: "Sieh hier die größte Pein!
- Ischariots Kopf steckt zwischen scharfen Fängen,
- Und außen zappelt er mit Arm und Bein.
- Zwei andre sieh, den Kopf nach unten hängen;
- Hier Brutus an der schwarzen Schnauze Schlund
- Sich ohne Laute winden, drehn und drängen;
- Dort Cassius, kräftig, wohlbeleibt und rund--
- Doch naht die Nacht, drum sei jetzt fortgegangen,
- Denn ganz erforscht ist nun der Hölle Grund."
- Jetzt winkte mir, den Hals ihm zu umfangen,
- Und Zeit und Ort ersah sich mein Gesell,
- Und, als sich weit gespreizt die Flügel schwangen,
- Hing er sich an die zottge Seite schnell,
- Griff Zott auf Zott, um sich herabzusenken
- Inmitten eisger Rind und rauhem Fell.
- Dort angelangt, wo in den Hüftgelenken
- Des Riesen sich der Lenden Kugeln drehn,
- Eilt er, mit Müh und Angst, sich umzuschwenken.
- Wo erst der Fuß war, kam das Haupt zu stehn;
- Die Zotten fassend, klomm er aufwärts weiter,
- Als sollten wir zurück zur Hölle gehn.
- "Hier halte fest dich; denn auf solcher Leiter
- Entkommt man nur so großem Leid," so sprach
- Tiefkeuchend, wie ein Müder, mein Begleiter.
- Worauf er Bahn sich durch ein Felsloch brach,
- Dann setzt er mich auf einen Rand daneben
- Und streckte mir den Fuß behutsam nach.
- Ich blickt empor und glaubte, wie ich eben
- Den Dis gesehn, so stell er noch sich dar.
- Doch seine Füße sah ich sich erheben.
- Wie ich erschrak, bedenk, o dumme Schar,
- Ders nottut, daß sie erst erkennen lerne,
- Durch welchen Punkt ich jetzt gedrungen war.
- Da sprach Virgil: "Jetzt auf, das Ziel ist ferne,
- Der Weg auch schwierig, den du vor dir hast;
- Und Sol, aufsteigend. scheucht bereits die Sternen
- Nicht wars ein Gang durch einen Prachtpalast,
- Der vor mir lag; er lief auf rauhem Grunde
- Durch eine Felsschlucht, völlig dunkel fast.
- Ich, aufrecht stehend, sprach: "Eh aus dem Schlunde
- Der Weg, den du mich leitest, mich entläßt,
- Reiß aus dem Irrtum mich und gib mir Kunde:
- Wo ist das Eis? Wie steckt Dis köpflings fest?
- Und wie hat Sol so schnell aus solchen Weiten
- Die Überfahrt gemacht zum Ost vom West?
- "Du glaubst dich auf des Zentrums andern Seiten,
- Wo du am Wurme, der die Erde kränkt
- Und sie durchbohrt, mich sahst herniedergleiten.
- Du warsts, solang ich mich hinabgesenkt;
- Allein den Punkt, der anzieht alle Schwere,
- Durchdrängest du, da ich mich umgeschwenkt.
- Jetzt kamst du zu der andern Hemisphäre,
- Entgegen der, die großes trocknes Land
- Bedeckt, und unter deren Zelt der Hehre
- So fehllos lebt und starb, wie er entstand.
- Du stehest jetzo auf dem kleinen Kreise,
- Der hier Judokas andre Seit umspannt.
- Und hier beginnt der Sonne Tagesreise,
- Wenn sie dort endet, und im Brunnen steckt
- Noch immer Luzifer nach alter Weise.
- Vom Himmel ward er hier herabgestreckt.
- Das Land, das erst hier ragte, hat sich droben
- Aus Furcht vor ihm im Meeresgrund versteckt
- Und sich auf jenem Halbkreis dort erhoben.
- Um ihn zu fliehn, drang auch die Erde vor
- Aus dieser Höhl und drängte sich nach oben."
- So sprach Virgil--und sieh, vom Dis empor
- Ging eine Schlucht, tief wie die ganze Hölle,
- Zwar nicht erkannt vom Auge, doch vom Ohr;
- Denn rauschend lief ein Bach, des rasche Welle
- Sich Bahn durch Felsen brach, mit sanftem Hang
- Und vielgewunden, bis zu jener Stelle.
- Nun trat mein Führer auf verborgnem Gang
- Den Rückweg an entlang des Baches Windung;
- Und wie ich, rastlos folgend, aufwärts drang,
- Da blickte durch der Felsschlucht obre Rundung
- Der schöne Himmel mir aus heitrer Ferne,
- Und eilig stiegen wir aus enger Mundung
- Und traten vor zum Wiedersehn der Sterne.
- Das Fegefeuer
- Erster Gesang
- Zur Fahrt in bessre Fluten aufgezogen
- Hat seine Segel meines Geistes Kahn,
- Und läßt nun hinter sich so grimme Wogen.
- Zum zweiten Reiche hin geht seine Bahn,
- Wohin zur Reinigung die Geister schweben,
- Um würdig dann dem Himmelreich zu nahn.
- Doch hier mag sich die tote Dichtung heben,
- O heilge Musen, da ich euer bin!
- Hier mög empor Kalliopeia streben!
- Sie folge mir mit jenem Ton dahin,
- Des Streich, die armen Elstern einst erschreckend,
- Verzweiflung bracht in ihren stolzen Sinn.
- Des Saphirs holde Farbe, ganz bedeckend
- Des reinen Äthers heiteres Gebäu
- Und bis zum ersten Kreise sich erstreckend,
- Erschuf vor mir der Augen Wonne neu,
- Sobald ich jetzt der toten Luft entklommen,
- Die Aug und Brust getrübt in Nacht und Scheu.
- Der schöne Stern, der Lieb erregt, entglommen
- Im Osten, hatt in Lächeln ihn verklärt,
- Die Fisch umschleiernd, die mit ihm gekommen.
- Dann rechts, dem andern Pole zugekehrt,
- Erblickt ich eines Viergestirnes Schimmer,
- Des Anschaun nur dem ersten Paar gewährt.
- Der Himmel schien entzückt durch sein Geflimmer.
- O du verwaistes Land, du öder Nord,
- Du siehst den Glanz der schönen Lichter nimmer.
- Als ich darauf vom Viergestirne fort
- Ein wenig hin zum andern Pole sah,
- Da war verschwunden schon der Wagen dort.
- Und einen Greis, allein, sah ich mir nahe,
- Der Ehrfurcht also wert an Mien und Art,
- Daß mir, als obs mein Vater sei, geschähe.
- Lang war, mit weißem Haar vermischt, sein Bart
- Und gleich dem Haar des Haupts, das, niedersinkend
- Als Doppelstreif, der Brust zur Hülle ward.
- Sein Angesicht, die heilgen Strahlen trinkend
- Des Viergestirnes, war so schön und klar,
- Als sah ich es, vom Schein der Sonne blinkend.
- "Wer seid ihr, die ihr fortflieht, wunderbar,
- Aus ewger Haft, dem blinden Strom entgegen"
- Er sprachs, bewegt des Bartes greises Haar,
- "Wer leitet euch? Wer leuchtet euren Wegen,
- Daß ihr entstiegt den Schatten tiefer Nacht,
- Die, ewig achwarz, der Hölle Täler hegend
- Verlor des Abgrunds Satzung ihre Macht?
- Hat neuer Ratschluß durch der Hölle Pforte
- Verdammt in meine Grotten hergebracht?"--
- Hier fühlt ich mich erfaßt von meinem Horte,
- Und ehrerbietig macht er Braun und Knie
- Mir alsogleich mit Hand und Wink und Worte
- Und sprach: "Nicht durch mich selber bin ich hie;
- Ein Weib kam bittend aus den höchsten Sphären,
- Darob ich diesem mein Geleit verlieh.
- Doch das dein Will ist, daß ich dich belehren
- Von unserm wahren Zustand soll, wie mag
- Mein Will ein andrer sein, als zu gewähren!
- Nicht sahe dieser noch den letzten Tag,
- Doch war er nah ihm, so vom Wahn verblendet,
- Daß er gewiß in kurzer Frist erlag.
- Um ihn zu retten, ward ich abgesendet,
- Und hierzu fand ich diesen Weg nur gut,
- Auf welchem ich mich jetzt hierher gewendet.
- Ich zeigt ihm schon der Sünder ganze Brut,
- Nun aber ist er die zu sehn bereitet,
- Die hier sich läutern unter deiner Hut.
- Lang wärs zu sagen, wie ich ihn begleitet.
- Kraft kam von oben, helfend, daß ich ihn,
- Um dich zu hören und zu sehn, geleitet.
- Laß dirs gefallen, daß er hier erschien.
- Er sucht die Freiheit--wie sie wert zu halten,
- Weiß, wer um sie des Lebens sich verziehn.
- Du weißts, du ließest gern sie zu erhalten,
- In Utica die Hülle blutbenetzt,
- Die hell am großen Tag sich wird entfalten.
- Nicht ward der ewge Schluß von uns verletzt.
- Er lebt und mich hält Minos nicht gefangen.
- Ich bin vom Kreis, wo deine Martia jetzt,
- Noch keuschen Augs, dir ausspricht das Verlangen,
- O heilge Brust, als dein sie anzusehn,
- Drum woll uns, ihr zuliebe, wohl empfangen.
- Laß uns durch deine sieben Reiche gehn,
- Dann grüß ich sie von dir in jenen Hallen,
- Willst, dort erwähnt zu sein, du nicht verschmähn."
- "Gefiel auch", sprach er, "Martia mir vor allen,
- Da ich gelebt, so daß ich ihr erwies,
- Wodurch ich irgend wußt, ihr zu gefallen,
- Doch jetzt nicht mehr bewegen darf mich dies,
- Da sie dort wohnt jenseits der nächtgen Wogen,
- Wie festgesetzt ward, als ich sie verließ.
- Doch hat ein Himmelsweib dich hergezogen,
- Wie du gesagt, was brauchts da Schmeichelein?
- Sie will, dies gnügt, und treulich wirds vollzogen
- Drum geh, zum weitern Weg ihn einzuweihn.
- Ihn muß ein Gurt von glatter Bins umschnüren,
- Dann wasch ihm das Gesicht vom Schmutze rein.
- Das Aug umnebelt, will sichs nicht gebühren,
- Zum ersten Diener, der vom selgen Land
- Herabgekommen ist, ihn hinzuführen.
- Rings trägt der kleinen Insel tiefster Strand,
- Wo Wog und Woge sich im Wechsel jagen,
- Viel Binsen am morastig weichen Rand.
- Die andern Pflanzen, welche Blätter tragen
- Und sich verhärten, kommen da nicht auf,
- Wos gilt, sich schmiegen, wenn die Wellen schlagen.
- Doch kehrt von dort nicht rückwärts euren Lauf;
- Die Sonne zeigt--seht, dort ersteht sie eben!--
- Euch dann den leichtern Weg den Berg hinauf."
- Hier sah ich ihn vor meinem Blick verschweben;
- Stumm stand ich auf und sah auf meinen Hort,
- In seinen Schutz und Willen ganz ergeben.
- Er sprach: "Sohn, folge mir jetzt rückwärts. Dort
- Neigt mehr und mehr die Ebene sich immer
- Nach ihren letzten tiefsten Grenzen fort."
- Schon trieb das Morgenrot mit lichtem Schimmer
- Die Frühe vor sich her, und vom Gestad
- Erkannt ich weit hinaus des Meers Geflimmer.
- Nun gingen wir dahin auf ödem Pfad,
- Wie wer, verirrt, zum rechten Wege schreitend,
- Sein Gehn umsonst glaubt, bis er ihn betrat.
- Wir sahn den Tau bald, mit der Sonne streitend,
- Doch, weil er dort an schattger Stelle war,
- Sich minder schnell in leichtem Dunst verbreitend.
- Worauf mein Hort mit seiner Hände Paar
- Sanft die zerstreuten, weichen Gräser deckte,
- Drob ich, denn seinen Vorsatz nahm ich wahr,
- Ihm die betränte Wang entgegenstreckte.
- Rein wusch er mir die Farbe der Natur,
- Die erst der Schmutz der Hölle ganz versteckte.
- Nun gingen wir dahin auf öder Flur
- Am Strande fort, der nie ein Schiff erblickte,
- Das wieder heim zum Vaterlande fuhr.
- Dort, so wie der geboten, der uns schickte,
- Umgürtet er mit schwachen Binsen mich,
- Und wo er nur die niedre Pflanze knickte,
- Erhob sie neu aus ihrer Wurzel sich.
- Zweiter Gesang
- Sol war zum Horizont herabgestiegen,
- Des Mittagskreis, wo er am höchsten steht,
- Sieht unter sich die Feste Zions liegen.
- Nacht, welche sich ihm gegenüber dreht,
- War mit der Wag am Ganges vorgegangen,
- Die, wenn sie zunimmt, ihrer Hand entgeht.
- Drum hatten Eos weiß und rote Wangen
- Dort, wo ich war, weil ihre Jugend schwand,
- In hohem Gelb zu schimmern angefangen.
- Wir waren noch am niedern Meeresstrand,
- Und gingen, ob des fernen Wegs in Sorgen,
- Im Herzen fort, indes der Körper stand.
- Und wie in trüber Röte, wenn der Morgen
- Sich nähert, Mars, im Westen, nah dem Meer
- Sich zeigt, von dichten Dünsten fast verborgen,
- So sah ich jetzt ein Licht--o säh ichs mehr!
- Und eilig, wie kein Vogel je geflogen,
- Glitts auf des Meeres glattem Spiegel her.
- Als ich von ihm die Augen abgezogen
- Ein wenig hatt und zu dem Führer sprach,
- Schiens heller dann und größer ob den Wogen.
- Dann auf des Lichtes beiden Seiten brach
- Ein weißer Glanz hervor, und er entbrannte,
- Wies näher kam, von unten nach und nach.
- Mein Meister, der nach ihm sich schweigend wandte,
- Solang der Flügel erstes Weiß erschien,
- Rief, wie er nun den hehren Schiffer kannte:
- "O eile jetzt, o eile, hinzuknien!
- Sieh Gottes Engel! Falte deine Händel
- Nun siehst du solche Gottes Wink vollziehen.
- Sieh, er verschmäht, was Menschenwitz erfände.
- Nicht Segel, Ruder nicht--sein Flügelpaar
- Braucht er zur Fahrt ans ferneste Gelände.
- Sieh, wies gen Himmel strebt so schön und klar!
- Die Luft bewegt das ewige Gefieder,
- Das nicht sich ändert wie der Menschen Haar."
- Und wieder naht er sich indes und wieder
- In hellerm Glanz, daß näher solchen Schein
- Mein Auge nicht ertrug, drum schlug ichs nieder.
- Und leicht und schnell sah ich durch ihn allein
- Das Schiff des Eilands niedern Strand gewinnen,
- Auch drückt es kaum die Spur den Fluten ein.
- Und als ein Selger stand vor meinen Sinnen
- Am Hinterteil des Schiffes Steuermann,
- Und mehr als hundert Geister saßen drinnen.
- "Als aus Ägypten Israel entrann";
- Die Schar, gewiß, das Ufer zu erreichen,
- Fing diesen Psalm einstimmgen Sanges an.
- Er macht auf sie des heilgen Kreuzes Zeichen,
- Drum warf sich jeder hin am Meeresbord,
- Dann sah man ihn schnell, wie er kam, entweichen.
- Fremd schienen alle, welche blieben, dort,
- Und um sich blickend sah ich sie verweilen,
- Wie den, der Neues sieht am fremden Ort.
- Von allen Seiten schoß mit Feuerpfeilen
- Den Tag die Sonne, die vom Meridian
- Den Steinbock schon gezwungen, zu enteilen
- Da hoben, die wir eben kommen sahn,
- Nach uns die Stirn empor mit diesem Worte:
- "Zeigt uns, dafern ihr könnt, zum Berg die Bahn."
- Erwidert ward darauf von meinem Horte:
- "Wißt, wenn ihr wähnt, wir wüßten hier Bescheid;
- Wir sind so fremd wie ihr an diesem Orte.
- Denn kurz vorher, eh ihr gekommen seid,
- Sind auf so rauhem Weg wir angekommen,
- Daß hier zu klimmen Spiel, nicht Müh und Leid."
- Wie jene nun am Atmen wahrgenommen,
- Daß ich noch lebe, schienen sie bewegt,
- Ja, vor Erstaunen ängstlich und beklommen.
- Und wie dem Boten, der den Ölzweig trägt,
- Die Menge folgt, voll Neubegier sich pressend,
- Und Tritt und Stöße sonder Scheu erträgt,
- So drängten jetzt, mich mit den Augen messend,
- Zu mir die hochbeglückten Seelen sich,
- Beinah den Gang zur Reinigung vergessend.
- Hervor trat eine jetzt, so inniglich
- Mich zu umarmen, mit so holden Mienen,
- Daß mein Verlangen ganz dem ihren glich.
- Leere Schatten, die Gestalt nur schienen!
- Dreimal halt ich die Hände hinter ihr,
- Und dreimal kehrt ich zu der Brust mit ihnen.
- Das Antlitz, glaub ich, malt Erstaunen mir,
- Und jenen sah ich lächelnd rückwärts schweben,
- Doch folgt ich ihm mit liebender Begier.
- Und lieblich hört ich ihn die Stimm erheben:
- "Sei ruhig!" Da erkannt ich ihn und bat,
- Er möge weilen und mir Antwort geben.
- "Dich lieb ich," sprach er, als ich ihn genaht,
- "Wie einst im Leib, so jetzt der Haft entbunden,
- Drum weil ich--doch was gehst du diesen Pfad?"
- "O mein Casella, hier nur eingefunden
- Hab ich mich, um zur Welt zurückzugehn.
- Doch wie bist du beraubt so vieler Stunden?"
- Und er: "Drob ist kein Unrecht mir geschehn.
- Mußt er auch öfters mich zurückeweisen,
- Der mit sich fortnimmt, wann er will und wen.
- Denn sein Will ist nur der des Ewig-Weisen.
- Und seit drei Monden hat er gern gewährt,
- Wenn irgendwer verlangt hat, mitzureisen.
- Auch mich, der ich mich zu dem Strand gekehrt,
- Wo salzig wird der Tiber süße Welle,
- Empfing er liebevoll, da ichs begehrt.
- Jetzt schwebt er wieder hin zu jener Stelle,
- Wo er vereint mit freudigem Empfang
- Die, so nicht Sünde stürzt zur Nacht der Hölle."
- Und ich: "Hat dir nicht jenen Liebessang,
- Den du geübt, ein neu Gesetz entrissen,
- Der öfters mir gestillt des Herzens Drang,
- So laß mich jetzt nicht seinen Trost vermissen;
- Denn meine Seele, die der Leib umflicht,
- Schwebt, da sie hier erscheint, in Kümmernissen."
- "Die Liebe, die zu mir im Herzen spricht
- Begann er jetzt, und ach, die süße Weise
- Verklingt noch jetzt in meinem Innern nicht.
- Mein Herr und ich, wir standen still im Kreise
- Der andern dort und alle so beglückt,
- Als kennten wir kein andres Ziel der Reise,
- Nur seinen Tönen horchend, hochentzückt.
- Da sieh bei uns den ehrenhaften Alten:
- "Was, träge Geister, ists, das euch berückt?
- Nachlässige, so lang euch aufzuhalten!
- Zum Berg hin, wo man frei der Hüllen wird,
- Die Gottes Anblick noch euch vorenthalten!
- Wie wenn, von Weizen oder Lolch gekirrt,
- Die Tauben still im Stoppelfelde schmausen
- Und keine mehr umherstolziert und girrt,
- Dann aber, wenn erscheint, wovor sie grausen,
- Sie alle jäh, mit größrer Sorg im Sinn,
- Von ihrer Weid empor im Fluge brausen;
- So lief die Schar der Seelen jetzt dahin,
- Vom Sange fort, zum Berge sonder Weile,
- Wie wer da läuft, allein nicht weiß wohin;
- Wir aber folgten mit nicht mindrer Eile.
- Dritter Gesang
- Trieb jähe Flucht auch alles, was vereinigt
- Beim Sänger war, zerstreut jetzt durch den Plan
- Dem Berge zu, wo die Vernunft uns peinigt,
- Doch drängt ich mich dem treuen Führer an.
- Wie könnt ich ihn auch bei der Reife missen?
- Wie kam ich wohl ohn ihn den Berg hinauf?
- Er schien gepeinigt von Gewissensbissen.
- würdig reine Seele, wie empört,
- Wie quält der kleinste Fehler dein Gewissen!
- Als seines Laufes Eil nun aufgehört,
- Bei welcher Würd im Anstand nimmer waltet,
- Da ward mein Geist, verengt erst und verstört,
- Zum Streben neu erweitert und entfaltet,
- Und, das Gesicht dem Berge zugewandt,
- Sah ich, dem Himmel zu, ihm hochgestaltet.
- Die Sonne, hinter mir in rotem Brand,
- War vor mir, nach Gestaltung und Gebärde,
- Gebrochen, da mein Leib ihr widerstand.
- Und bang, daß ich allein gelassen werde,
- Kehrt ich mich schleunig seitwärts, da ich sah,
- Beschattet sei vor mir allein die Erde.
- "Was argwöhnst du" begann mein Tröster da,
- Zu mir gewandt, erratend, was ich dachte,
- "Glaubst du, ich sei dir nicht, wie immer, nah?
- Dort liegt der Leib, in dem ich Schatten machte,
- An Napels Strand, den jetzt schon Nacht umflicht,
- Wohin man einst von Brindisi ihn brachte.
- Beschatt ich jetzt vor mir die Erde nicht,
- So staune nicht darum--deckt doch der Schimmer
- Des einen Himmels nie des andern Licht.
- Dergleichen Körper schafft der Herr noch immer,
- Damit sie dulden Hitz und Frost und Pein,
- Doch wie ers macht, entschleiert er uns nimmer.
- Tor, wer da hofft, er dring in alles ein
- Mit der Vernunft, selbst in endlose Sphären,
- Wo er, der Ewge, einer ist in drein.
- Strebt, Menschen, doch das Wie nicht aufzuklären;
- Denn wärs gestattet, alles zu erschaun,
- Nicht brauchte dann Maria zu gebären.
- Wohl mancher dürft auf seinen Geist vertrauen,
- Dem noch die Sehnsucht, alles zu erkunden,
- Geblieben ist zu ewiglichem Graun.
- Du weißt, wo wir den Plato aufgefunden
- Und manchen sonst." Er schwieg, die Stirn geneigt,
- Und alle Heiterkeit schien ihm geschwunden.
- Wir kamen hin, von wo man aufwärts steigt.
- Dort oben ist der Fels so steil gelegen,
- Daß sich kein Raum zu einem Dritte zeigt.
- Der rauhste von den öden Felsenwegen
- Inmitten Lerci und Turbia schmiegt
- Sich sanft und leicht, stellt man ihn dem entgegen.
- "Wer weiß, zu welcher Hand der Hang sich biegt."
- Der Meister sprachs und hielt jetzt ein im Schreiten,
- "So daß auch der hinauf kann, der nicht fliegt?"
- Er ließ indes den Blick zum Boden gleiten
- Und nahm im Geist des Pfades Prüfung wahr.
- Doch ich sah aufwärts nach des Berges Seiten,
- Und da erschien mir linksher eine Schar,
- Die schien so langsam zu uns her zu schweben,
- Daß kaum Bewegung zu bemerken war.
- "Laß," sprach ich, "Meister, deinen Blick sich heben,
- Die Rat erteilen können, nahen schon,
- Dafern du nicht vermagst, ihn selbst zu geben."
- Frei schaut er auf, und alle Sorgen flohn.
- "Nur langsam". sprach er, "geht ihr Gang vonstatten,
- Drum gehn wir hin. Getrost jetzt, süßer Sohn!"
- Wir waren noch entfernt von jenen Schatten
- Und ihnen etwa steinwurfweit genaht,
- Als wir getan an tausend Schritte hatten.
- Da drängten alle sich ans Felsgestad
- Und standen still und dicht, uns zugewendet,
- Wie wen Bedenken hemmt auf seinem Pfad.
- "O Auserwählte, die ihr wohl geendet,"
- Begann Virgil, "wie einst euch Friede jetzt,
- Den, wie ich glaube, Gott euch allen spendet,
- So zeigt uns des Gebirges Abhang jetzt
- Und laßt uns einen Weg nach oben sehen,
- Denn Zeitverlieren schmerzt den, der sie schätzt."
- Gleichwie die Schäflein aus dem Stalle gehen,
- Eins, zwei und drei, indessen noch verzagt
- Die andern mit gebeugten Köpfen stehen,
- Bis was das erste tat, nun jedes wagt,
- Wenn jenes harrt, geduldig die Beschwerde
- Des Drangs erträgt und nach dem Grund nicht fragt;
- So sah ich jetzt von der beglückten Herde
- Die vordem sich bewegen und uns nahn,
- Das Antlitz züchtig, ehrbar die Gebärde.
- Wie sie das Licht zur Rechten meiner Bahn
- Geteilt und, als des Erdenleibes Zeichen,
- Die Felsenwand von mir beschattet sahn,
- Sah ich sie stehn und etwas rückwärts weichen.
- Die andern wußten zwar nicht, was geschehn,
- Doch alle taten sie sofort desgleichen.
- "Ohn eure Frage will ich euch gestehn,
- Noch einem Menschen ist der Körper eigen,
- Von welchem ihr das Licht geteilt gesehn.
- Doch laßt Verwunderung und Staunen schweigen;
- Nicht ohne Kraft, die Gott nur geben kann,
- Sucht er die schroffe Wand zu übersteigen."
- Mein Hort sprachs, und die würdge Schar begann,
- Uns mit der Hände Rücken Zeichen gebend:
- "Kehrt wieder um und schreitet uns voran!"
- Und einer drauf, zu mir die Stimm erhebend:
- "Wer du auch seist, blick um, mich anzuschaun,
- Besinne dich: Sahst du mich jemals lebend`?"
- Ich wandt auf ihn die Augen voll Vertraun.
- Blond war er, schön, von würdigen Gebärden,
- Doch war gespalten eine seiner Braun.
- Demütig sagt ich, daß ich ihn auf Erden
- Niemals gesehn; da aber hieß er mich
- Aufmerksam auf die Wund am Busen werden,
- Und lächelnd sprach er dann: "Manfred bin ich!
- Wenn dich zur Welt zurück die Schritte tragen,
- Zu meiner Tochter geh, ich bitte dich,
- Die unterm Herzen jenes Paar getragen,
- Das Aragonien und Sizilien ehrt,
- Ihr Wahres, wenn man andres sagt, zu sagen.
- Als zweimal mich durchbohrt des Feindes Schwert,
- Da übergab ich weinend meine Seele
- Dem Richter, der Verzeihung gern gewährt.
- Oh groß und schrecklich waren meine Fehle,
- Doch groß ist Gottes Gnadenarm und faßt,
- Was sich ihm zukehrt, so daß keiner fehle.
- Und wenn Cosenzas Hirt, der sonder Rast,
- Wie Clemens wollte, mich gejagt, dies eine
- Erhabne Wort der Schrift wohl aufgefaßt,
- So lägen dort noch meines Leibs Gebeine
- Am Brückenkopf bei Benevent, vom Mal
- Geschützt der schweren aufgehäuften Steine.
- Nun netzts der Regen, dorrts der Sonnenstrahl,
- Dort, wo ers hinwarf mit verlöschten Lichten,
- Dem Reich entführt, entlang dem Verdetal.
- Doch kann ihr Fluch die Seele nicht vernichten,
- Aus welcher nicht die frohe Hoffnung weicht,
- An ewger Liebe neu sich aufzurichten.
- Wahr ists, daß, wer im Kirchenbann erbleicht,
- War auch zuletzt in ihm die Reu entglommen,
- Doch dieser Felswand Höhe nicht erreicht,
- Bis dreißigmal die Zeit, seit ihm genommen
- Der Kirche Segen ward, verflossen ist,
- Kürzt diese Zeit nicht ab das Flehn der Frommen.
- Sieh, ob du mir zum Heil gekommen bist,
- Wenn du Konstanzen, wie du mich gesehen,
- Entdeckst und ihr verkündest jene Frist,
- Denn viel gewinnt man hier durch euer Flehen."
- Vierter Gesang
- Wenn etwas, was uns wohltut oder kränkt,
- Uns eine Seelenkraft in Aufruhr brachte,
- Und sich die Seel in diese ganz versenkt,
- Dann scheints, als ob sie keiner andern achte;
- Und dies beweist genugsam gegen den,
- Der uns belebt von mehrern Seelen dachte.
- Indem wir etwas hören oder sehn,
- Was stark uns anzieht, ist die Zeit verschwunden,
- Bevor wirs glauben und es uns versehn.
- Denn anders wird die Kraft, die hört, empfunden,
- Und anders unsrer Seele ganze Kraft;
- Frei ist die erste, diese scheint gebunden.
- Davon erhielt ich jetzo Wissenschaft--
- Indessen ich gehorcht und stillgeschwiegen,
- Weil Staunen mir die Seele hingerafft,
- War fünfzig Grad die Sonn emporgestiegen,
- Eh ichs bemerkt--da ward ein Ruf mir kund
- Von den gesamten Seelen: "Seht die Stiegen!"
- Die Öffnung, die mit einem Dorngebund,
- Wenn sich die Traube bräunt, die Winzer schließen,
- Ist weiter oft als hier der Felsenschlund,
- Durch welchen uns die Seelen klimmen hießen.
- Er vor, ich folgend, stiegen wir allein
- Den Felsweg, da die ändern uns verließen.
- Empor zu Bismantova und bergein
- Bei Noli kann man auf den Füßen dringen,
- Doch wer hier aufstrebt, muß beflügelt sein;
- Ich meine, mit der großen Sehnsucht Schwingen,
- Die mich dem Führer nachzog mit Gewalt,
- Der Licht mir gab und Hoffnung zum Gelingen.
- Wir stiegen innerhalb dem Felsenspalt,
- Von ihm bedrängt, und fanden kaum mit Händen
- Und Füßen unter uns am Boden Halt.
- Nachdem wir aus den rauhen. schroffen Wänden
- Emporgelangt zum offenen Gestad,
- Da fragt ich: "Meister, sprich, wohin uns wendend"
- Und er: "Mir nach, zur Höhe geht dein Pfad!
- Rückwärts darf keiner deiner Schritte weichen,
- Bis irgendwo ein kundger Führer naht!"
- Den Gipfel konnte kaum der Blick erreichen;
- Die Seite ging, stolz, senkrecht fast, hinan,
- Dem Hang der Pyramide zu vergleichen.
- Ich war bereits ermattet und begann:
- "O süßer Vater, peinlich wird die Reife!
- Schau her und sieh, daß ich nicht folgen kann!"
- "Bis dorthin schleppe dich!" So sprach der Weise
- Und zeigt auf einen Vorsprung nahe dort,
- Von dem es schien, daß er den Berg umkreise.
- Mir war ein Sporn des edlen Meisters Wort,
- Mit aller Kraft die Reise fortzusetzen;
- So kroch ich bis zum Bergesgürtel fort.
- Und dort verweilten wir, um uns zu setzen,
- Ostwärts, nach dem erklommnen Pfad gewandt,
- An dem sich gern der Wandrer Blicke letzen.
- Die Augen kehrt ich erst zum tiefen Strand,
- Dann als ich sie zur Sonn emporgeschlagen,
- Die uns zur Linken, Gluten sprühend, stand,
- Da sah Virgil, daß ich des Lichtes Wagen
- Anstaunte, weil er zwischen Mitternacht
- Und unserm Standort schien dahinzujagen,
- Und sprach: "Wenn jenem Spiegel ewger Macht
- Castor und Pollux jetzt Begleiter wären,
- Ihm, welcher auf- und abführt Licht und Pracht,
- So würd er, kreisend näher bei den Bären,
- Wenn er vom alten Weg nicht abgeirrt,
- Mit seiner Glut den Zodiak verklären.
- Bedenke nur, wenn dich dies Wort verwirrt,
- Daß dieser Berg mit Zions heilgen Höhen
- Begrenzt von einem Horizonte wird,
- Doch beid auf andern Hemisphären stehen;
- Die Bahn, die Phaethon, der Tor, durchreist,
- Ist drum von hier zur linken Hand zu sehen,
- Indes sie dorten sich zur rechten weist--
- So hoff ich denn, daß du zur klaren Kenntnis,
- Wenn du wohl aufgemerkt, gefördert seist."
- "Gewiß, mir ward so klar noch kein Verständnis
- Als hier," begann ich, "wo mir dein Beweis
- Ersetzt den Mangel eigener Erkenntnis.
- Der ewigen Bewegung mittler Kreis,
- Den man Äquator in der Kunst benannte,
- Der fest bleibt zwischen Sonn und Wintereis,
- Zeigt, wie ich wohl aus deiner Red erkannte,
- Sich nordwärts hier, wie ihn die Juden sahn,
- Wenn sich ihr Antlitz gegen Süden wandte.
- Doch sprich, wie weit hinauf geht unsre Bahn?
- Denn sieh, so hoch, wie kaum die Augen kommen,
- Steigt ja des Berges Gipfel himmelan."
- Und er: "Wer ihn zu steigen unternommen,
- trifft große Schwierigkeit an seinem Fuß,
- Die kleiner wird, je mehr man aufgeklommen.
- Drum, wird dir erst die Mühe zum Genuß,
- Erscheint dirs dann so leicht, emporzusteigen,
- Als gings im Kahn hinab den muntern Fluß,
- Dann wird sich bald das Ziel des Weges zeigen,
- Dann wirst du sanft von deinen Mühen ruhn.
- Dies ist gewiß, vom andern will ich schweigen."
- Er sprachs, und eine Stimm ertönte nun
- Ganz nah bei uns: "Eh ihr so weit gegangen,
- Wird euch vielleicht zu sitzen nötig tun."
- Wir sahn dorthin, woher die Wort erklangen,
- Und linkshin lag ein Felsenblock uns nah,
- Der bis dahin mir und auch ihm entgangen.
- Hin schritten wir und fanden Leute da
- Verdeckt vom Felsen und in seinem Schatten,
- In welchen ich ein Bild der Trägheit sah.
- Und einer, wie im gänzlichen Ermatten,
- Saß dorten und umarmte seine Knie,
- Die das gesunkne Haupt inmitten hatten.
- "Der ist gewiß der Faulheit Bruder! sieh,"
- Begann ich, "sieh nur hin, mein süßer Leiter,
- Denn sicher sahst du einen Trägern nie."
- Da kehrt er sich zu mir und dem Begleiter,
- Hob, doch nur bis zum Schenkel, das Gesicht
- Und sprach: "Bist du so stark, so geh nur weiter."
- Und da erkannt ich ihn und säumte nicht,
- Noch atemlos vom Klettern, vorzustreben
- Bis hin zu ihm, und sah ihn, als ich dicht
- Schon bei ihm stand, das Haupt kaum merkbar heben.
- "Zur Linken fährt der Sonnenwagen fort,"
- Begann er nun, "hast du wohl acht gegeben?"
- Ich mußte lächeln bei dem kurzen Wort
- Und bei den faulen, langsamen Gebärden;
- Worauf ich sprach: "Belaqua, dieser Ort
- Bezeugt mir deutlich, du wirst selig werden.
- Doch sprich: harrst du des Führers sitzend hier?
- Wie? oder treibst dus hier noch wie auf Erden?"
- "Bruder," sprach er, "was hilft das Steigen mir?
- Ich würde doch zur Qual nicht kommen sollen,
- Denn Gottes Pförtner weist mich weg von ihr.
- Hier außen muß um mich der Himmel rollen,
- So oft als er im Leben tat, da spät
- Und erst im Tod mein Herz bereuen wollen,
- Wenn mir nicht früher beispringt das Gebet,
- Das sich aus gläubger Brust emporgerungen.
- Was hülf ein andres, da es Gott verschmäht?"
- Schon war vor mir Virgil hinaufgedrungen,
- Und rief: "Jetzt komm, schon hat in lichter Pracht
- Die Sonne sich zum Mittagskreis geschwungen,
- Und Mauritanien deckt der Fuß der Nacht."
- Fünfter Gesang
- Schon hatt ich, auf der Spur des Führers steigend,
- Mich ganz von jenen Seelen abgewandt,
- Als ein, auf mich mit ihrem Finger zeigend,
- Mir nachrief: "Seht den untern linker Hand
- Die Sonne teilen und den Grund beschatten
- Und tun, als lebt er noch in jenem Land."
- Sobald mein Ohr erreicht die Töne hatten,
- Kehrt ich mich ihnen zu, und jene sahn
- Erstaunt nur mich, nur mich und meinen Schatten.
- Da sprach Virgil: "Was zieht dich also an,
- Daß du den Gang zum Gipfel aufgeschoben"
- Und jenes Flüstern, was hat dirs getan?
- Was man auch spreche, folge mir nach oben!
- Steh wie ein fester Turm, des stolzes Haupt
- Nie wankend ragt, wenn auch die Winde toben.
- Das Ziel entweicht, dem man sich nah geglaubt,
- Wenn sich Gedanken und Gedanken jagen
- Und einer stets die Kraft dem andern raubt."
- "Ich komme schon!" Was könnt ich anders sagen,
- Da mich mein Fehler zum Erröten zwang,
- Das oft mir schon Verzeihung eingetragen?
- Indessen sahn wir quer am Bergeshang
- Nah vor uns eine Schar von Seelen kommen,
- Die Vers für Vers ihr Miserere sang.
- Wie sie an meinem Leibe wahrgenommen,
- Daß er den Strahlen undurchdringlich sei,
- Da ward ihr Sang zum Oh! lang und beklommen.
- Und, gleich Gesandten, kamen ihrer zwei,
- Uns beide zu befragen, wer wir wären,
- In vollem Laufe bis zu uns herbei.
- Da rief Virgil: "Ihr könnt zurückekehren.
- Sein Leib ist wirklich ganz von Fleisch und Bein,
- Und solches mögt ihr jenen dort erklären.
- Und wenn sie, wie ich glaube, dort allein,
- Um seinen Schatten anzusehn, verweilen,
- So wissen sie genug, um froh zu sein."
- Und schnell hingleitend, wie, gleich Feuerpfeilen,
- Entflammte Dünste, wenn die Nacht beginnt,
- Durchs heitere Gewölb des Himmels eilen;
- So kehrten sie empor, um dann geschwind
- Sich mit den andern nach uns umzudrehen,
- Gleich einer Schar, die ohne Zaum entrinnt.
- "Sieh, viele kommen jetzt, dich anzuflehen,
- In dichtem Drang," so sprach mein Meister drauf,
- "Doch geh nur immer fort und horch im Gehen."
- "O du, der du zum Heil den Berg herauf
- Die Glieder trägst, die immer dich umfingen,"
- So riefen sie, "hemm etwas deinen Lauf.
- Sieh, um zur Welt von uns Bericht zu bringen,
- Uns an--erkennst du Antlitz und Gestalt?
- Was weilst du nicht? Was eilst du, vorzudringen?
- Getötet sind wir alle durch Gewalt.
- Der Sünd uns bis zur letzten Stunde weihend,
- Allein im Tod von Himmelsglanz umwallt,
- Verstarben wir, bereuend und verzeihend,
- Und fühlten Gottes Frieden und das Licht,
- Nach seinem Anschaun Sehnsucht uns verleihend."
- Und ich: "Zwar kenn ich keinen von Gesicht,
- Doch fordert nur, ihr, die ihr wohl geboren,
- Und das, was ich vermag, verweigr ich nicht.
- Bei jenem Frieden sei es euch beschworen,
- Den ich, fortklimmend auf des Führers Spur,
- Von Welt zu Welt, zum Ziele mir erkoren."
- Darauf begann der eine: "Hindert nur
- Nicht Ohnmacht deinen Willen, so vertrauen
- Wir dem, was du versprachst, auch ohne Schwur.
- Und solltest du, ein Lebender, die Auen
- Der Mark Ankona jemals wiedersehn
- So will ich fest auf deine Güte bauen.
- Laß die von Fano gläubig für mich flehn,
- Daß mir gestatten himmlische Gewalten,
- Zur Reinigung von schwerer Schuld zu gehn.
- Von dort war ich--allein die tiefen Spalten,
- Woraus das Blut, in dem ich lebte, floß,
- Hab ich in Paduas Bezirk erhalten,
- Des Schoß mich, den Vertrauenden, umschloß.
- Zum Mord hatt Este den Befehl gegeben,
- Der mehr der Gall, als Recht, auf mich ergoß.
- Den Mordstahl sah ich bei Oriac sich heben,
- Doch wenn ich Mira mir zur Flucht erkor,
- So würd ich dort noch, wo man atmet, leben.
- Ich lief zum Sumpf, und dort, in Schlamm und Rohr,
- Verstrickt ich mich und fiel und sah die Erde
- Rings um mich her gemacht zum blutgen Moor."
- Ein andrer: "Wie dein Wunsch befriedigt werde,
- Des Fittich hin zum Bergesgipfel fleugt,
- So kürz auch mir mitleidig die Beschwerde.
- In Montefeltro hat mich Guid erzeugt;
- Ach wenn Johannen noch mein Schicksal rührte,
- Nicht ging ich mehr mit diesem hier gebeugt."
- "Welche Gewalttat, welch Verhängnis führte,"
- So sprach ich, "dich so weit vom Campaldin,
- Daß niemand noch bis jetzt dein Grab erspürte."
- "Oh," sprach er drauf, "am Fuß des Casentin
- Strömt vor der Archian, ein Fluß, entsprungen
- Beim Kloster oberhalb im Apennin.
- Bis dorthin, wo sein Namenslaut verklungen,
- Floh ich, durchbohrt den Hals, zu Fuße fort;
- Und blutleer schon, von Todesfrost durchdrungen,
- Verlor ich dorten Augenlicht und Wort,
- Um in Marias Namen wohl zu enden,
- Und fiel und ließ die leere Hülle dort.
- Da fühlt ich mich in eines Engels Händen,
- Doch schreiend fuhr ein Teufel auch herzu:
- "Wie, du vom Himmel, willst mir den entwenden?
- Wahr ists, was ewig ist, erbeutest du
- Nur durch ein Tränlein, das ihn mir entzogen,
- Doch gönn ich nun dem andern keine Ruh."
- Du weißt, wenn feuchten Dunst emporgezogen
- Die Sonne hat, so stürzt er, wenn ihn dann
- Die Kälte faßt, zurück in Regenwogen.
- Zum Willen nun, der stets nur Böses sann,
- Fügt er Verstand, und Rauch und Sturm erregte
- Die Kraft in ihm, die sie erregen kann.
- Als drauf der Tag erloschen war, belegte
- Er Pratomagnos Tal mit schwarzem Duft,
- Der vom Gebirg sich drohend herbewegte.
- Zu Fluten wurde nun die schwangre Luft,
- Zum Strombett rann, was von den Regengüssen
- Der Grund nicht trank, hervor aus Tal und Kluft.
- Der Archian, gleich andern großen Flüssen,
- Ergoß zum Königsstrom den Sturmeslauf,
- Dem Fels und Baum zertrümmert weichen müssen.
- Wie nun den starren Leib, nicht weit herauf
- Von seiner Mündung, jene Flut gefunden,
- Da löste sie das Kreuz am Busen auf,
- Das ich gemacht, da Schmerz mich überwunden,
- Und wirbelte zum Strom die träge Last.
- Dort liegt sie nun im Grund, von Schlamm umwunden."
- Als drauf der dritte Geist das Wort gefaßt,
- Sprach er: "Wenn du, zur Welt zurückgekommen,
- Erst ausgeruht vom langen Wege hast,
- So laß dein Hiersein auch der Pia frommen.
- Siena gebar, Maremma tilgte mich,
- Und er, von dem ich einst den Ring bekommen,
- Der Treue Pfand, er weiß, wie ich erblich."
- Sechster Gesang
- Wenn Spieler sich vom Würfelspiel entfernen,
- Bleibt, der verlor, betrübt und ärgerlich
- Und wirft und wirft, ums besser zu erlernen
- Doch alles drängt um den Gewinner sich.
- Der folgt und sucht, wie er sein Kleid erlange,
- Ein andrer, seitwärts, spricht: Gedenk an mich.
- Doch er verweilt nicht, hört auf keinen lange,
- Und wem er etwas gibt, der macht sich fort;
- So kommt er los vom lästigen Gedrange.
- So war ich in dem dichten Haufen dort,
- Und mußte hier den Kopf und dorthin wenden
- Und löste mich durch manch Verheißungswort;
- Sah Benincasa, der den Wütrichshänden
- Des Ghin erlag, und sah darauf auch ihn,
- Des Los war, jagend in der Flut zu enden.
- Novelle bat mich flehend, zu verziehn;
- Auch der von Pisa dann, durch den der gute,
- Der wackere Marzucco stark erschien.
- Graf Orfo auch, und der im Frevelmute
- Vertilgt ward, wie er sagt, aus Neid und Groll,
- Nicht weil auf ihm ein schwer Verbrechen ruhte,
- Den Broccia mein ich--mag sich demutsvoll
- Zur Reue die Brabanterin bequemen,
- Wenn sie zu schlechterm Troß nicht kommen soll.
- Kaum war ich frei von allen jenen Schemen,
- Die dort mich angefleht, zu flehn, daß sie
- Zur Heiligung mit größrer Eile kämen;
- Da sprach ich: "Du, der stets mir Licht verlieh,
- Hast irgendwo in deinem Werk geschrieben,
- Den Schluß des Himmels beuge Flehen nie.
- Doch hörtest du, wozu mich diese trieben.
- Täuscht nun vielleicht die Hoffnung diese Schar?
- Ist unklar mir vielleicht dein Sinn geblieben?"
- "Nicht täuscht sie Hoffnung, und mein Wort ist klar,"
- So sprach er drauf, "du magst es nur betrachten
- Mit hellem Geist, so wird dirs offenbar.
- Ist für gebeugt das strenge Recht zu achten,
- Wenn das erfüllt der Liebe heißer Trieb,
- Was jenen oblag und sie nicht vollbrachten?
- Da, wo ich jenen Grundsatz niederschrieb,
- Da sühnte man durch Bitten keine Sünden,
- Weil ungehört von Gott die Bitte blieb.
- Doch kannst du jetzt so tiefes nicht ergründen,
- So harr auf sie, die zwischen deinem Geist
- Und ewger Wahrheit wird ein Licht entzünden.
- Beatrix ists, wenn dus vielleicht nicht weißt,
- Die Lächelnde, Beglückte, die zu sehen
- Des hohen Berges Gipfel dir verheißt."
- Und ich: "Mein Meister, laß uns schneller gehen!
- Mir kehrt die Kraft, die kaum noch unterlag,
- Und sieh, schon werfen Schatten jene Höhen."
- "Wir gehn soweit als möglich diesen Tag,"
- Entgegnet er, "doch andres wirst du finden,
- Als eben jetzt dein Geist sich denken mag.
- Die Sonne, deren Strahlen jetzt verschwinden,
- So, daß zugleich dein Schatten flieht, sie kehrt,
- Bevor wir uns empor zum Gipfel winden.
- Doch eine Seele sieh, uns zugekehrt,
- Allein, betrachtend, wie du dich bewegtest.
- Gewiß, daß sie den nächsten Weg uns lehrt."
- O Geist von Mantua, wie du lebend pflegtest,
- So bliebst du stolzen, strengen Angesichts,
- Indem du langsam ernst die Augen regtest.
- Er ließ uns beide gehn und sagte nichts,
- Gleich einem Leun, der ruht, uns still betrachtend
- Mit scharfem Strahle seines Augenlichts.
- Allein Virgil, nur nach der Höhe trachtend,
- Befragt ihn: "Wo erklimmt man diese Wand?"
- Doch jener, nicht auf seine Fragen achtend,
- Fragt uns nach unserm Leben, unserm Land.
- Und: "Mantua"--begann nun mein Begleiter;
- Da hob der Schatten, erst in sich gewandt,
- Sich schnell vom Sitz und ward teilnehmend heiter.
- "Sordell bin ich, dein Landsmann!" rief er aus,
- Und, selbst umarmt, umarmt er meinen Leiter--
- Italien, Sklavin, Schlund voll Schmerz und Graus,
- Schiff ohne Steurer auf durchstürmten Meeren,
- Nicht Herrscherin der Welt, nein, Hurenhaus;
- Wie sah ich jenen Schatten dort, den hehren,
- Beim süßen Klange seiner Vaterstadt
- Hereilen, um den Landsmann froh zu ehren.
- Doch deine Lebenden sind nimmer satt,
- Im tollen Kampf sich wechselweis zu morden,
- Selbst die umschlossen eine Mauer hat.
- Elende, such an deinen Meeresborden,
- Im Innern such und keinen Winkel letzt
- Des Friedens Glück im Süden und im Norden.
- Was hilft dirs, da dein Sattel unbesetzt,
- Daß Justinian die Zügel dir erneute?
- Ohn ihn wär minder deine Schande jetzt.
- Ihr hattet längst mit frommem Sinn, ihr Leute,
- Zu Cäsars Sitz den Sattel eingeräumt,
- Verstündet ihr, was Gottes Wort bedeute.
- Seht, wie das wilde Tier sich tückisch bäumt,
- Seit niemand es die Sporen fühlen lassen,
- Und ihr es, die ihrs zähmen wollt, entzäumt.
- O deutscher Albrecht, der dies Tier verlassen,
- Das drum nun tobt in ungezähmter Wut,
- Statt mit den Schenkeln kräftig es zu fassen,
- Gerechtes Strafgericht fall auf dein Blut
- Vom Sternenzelt, auch sei es neu und offen,
- Dann ist dein Folger wohl auf seiner Hut.
- Was hat dich und den Vater schon betroffen,
- Weil ihr, verödend diese Gartenaun,
- Nach jenseits nur gestellt das gierge Hoffen.
- Komm her, der Philipeschi Stamm zu schaun
- Leichtsinniger, komm, sieh die Cappelletten,
- Die schon gebeugt, und die voll Angst und Graun!
- Komm, Grausamer, die Treuen zu erretten!
- Sieh, ungestraft drängt sie der schnöde Feind!
- Sieh Santafior in wilder Räuber Ketten!
- Komm her und sieh, wie deine Roma weint,
- Und höre Tag und Nacht die Witwe stöhnen:
- Mein Cäsar, ach, warum nicht mir vereint?
- Komm her und sieh, wie alle sich versöhnen,
- Komm her, und fühlst du dann auch Mitleid nicht,
- So schäme dich, daß alle dich verhöhnen.
- Verzeih, o höchster Zeus im ewgen Licht,
- Der du für uns gekreuzigt wardst auf Erden,
- Ist anderwärts gewandt dein Angesicht?
- Wie? oder soll aus schrecklichen Beschwerden,
- Ein neues Heil, von keinem Aug entdeckt,
- Nach deinem tiefen Rat bereitet werden?
- Wie voll Italien von Tyrannen steckt!
- Will sich ein Bauer der Partei verschwören,
- Gleich heißts von ihm, Marcell sei auferweckt.
- Du, mein Florenz, du kannst dies ruhig hören,
- Da dieser Abschweif nimmer dich berührt.
- Nie ließ sich ja dein wackres Volk betören.
- Gerechtigkeit hegt vieler Herz, nur spürt
- Man etwas spät, wie sehr es ihr gewogen,
- Indes dein Volk sie stets im Munde führt.
- Wenn Bürgerämtern viele sich entzogen,
- Nimmt sie dein Volk freiwillig an und schreit:
- Seht her, mich hat die Bürde krumm gebogen!
- Nun freue dich, wenn du verdienest Neid,
- Du Reiche, du Friedselige, du Weise--
- Ich red im Ernst, die Wahrheit liegt nicht weit.
- Man spreche von Athen und Sparta leise!
- Sollt ihr Gesetz wohl wert der Rede sein,
- Wie sehr mans anpreist, neben deinem Preise?
- Das, was du vorkehrst, ist gar dünn und fein;
- Denn wenn dus im Oktober angesponnen,
- Zerreißt es im November kurz und klein.
- Wie oft hast du geendet und begonnen,
- Hast über Münz und Art, Gesetz und Pflicht,
- Und Haupt und Glieder anders dich besonnen;
- Bist du nicht völlig blind für jedes Licht,
- So mußt du dich gleich einer Kranken sehen.
- Ruh findet sie auf ihren Kissen nicht
- Und wendet sich, den Schmerzen zu entgehen.
- Siebenter Gesang
- Nachdem sie würdig und voll Freudigkeit
- Drei-, viermal mit den Armen sich umgaben,
- Da trat Sordell zurück: "Sprecht, wer ihr seid?"
- "Eh sich zu diesem Berg gewendet haben
- Die Seelen, welche Gott zu schauen wert,
- Hat Octavianus mein Gebein begraben.
- Ich bin Virgil.--Des Himmels Eingang wehrt
- Mir Glaubensmangel nur, nicht andre Sünde,"
- So sprach Virgil, als jener es begehrt.
- Als ob ein Wunder plötzlich hier entstünde,
- Bei dem man sagt: Es ist! dann: Es ist nicht!
- Und staunend glaubt, und nicht, daß mans ergründe;
- So schien Sordell--dann neigt er das Gesicht,
- Worauf er zu den Knien Virgils sich beugte
- Und ihn umflocht, wo man den Herrn umflicht.
- "O Latiums Ruhm, du, dessen Werk bezeugte,
- Wie reich die Sprache sei an Kraft und Zier,
- O ewger Preis der Stadt, die mich erzeugte,
- Bringt mein Verdienst, mein Glück dich her zu mir?
- Und wenn ich wert mich solcher Huld erweise,
- So sprich, auf welchem Wege bist du hier?"
- Virgil darauf: "Ich kam durch alle Kreise
- Des wehevollen Reichs in dieses Land,
- Und Himmelskraft bewegte mich zur Reise.
- Nicht Tun, nein. Nichttun nur, hat mich verbannt,
- Hinab verbannt von hoher Sonne Strahlen,
- Die du ersehnst, die ich zu spät erkannt,
- Zu jenen tiefen nachterfüllten Talen,
- Zum Ort, wo leises Seufzen nur ertönt,
- Nicht Weheruf, noch Angstgeschrei von Qualen;
- Wo um mich her die Schar der Kindlein stöhnt,
- Die ungetauft aus jener Welt geschieden,
- Mit Gott für Adams Schuld noch unversöhnt.
- Wo die sind, die mit irdschem Wert zufrieden,
- Die Tugenden, bis auf die heilgen Drei,
- Sämtlich geübt und jede Schuld gemieden.
- Doch, wenn du kannst, so bring uns Kunde bei,
- Um schneller uns zu unserm Ziel zu leiten,
- Wo wohl der Läutrung wahrer Anfang sei."
- Und er: "Ich darf umher und aufwärts schreiten,
- Denn kein gewisser Ort ist uns bestimmt.
- Soweit ich gehn darf, will ich dich begleiten.
- Doch sieh, wie schon des Tages Licht verglimmt,
- Drum ist auf guten Aufenthalt zu sinnen,
- Weil man bei Nacht nicht in die Höhe klimmt.
- Dort rechts sind Seelen, nicht gar weit von hinnen;
- Zu diesen, wenn du einstimmst, führ ich dich,
- Und denke wohl, du wirst dabei gewinnen."--
- Virgil: "Wenns Nacht wird, steigt man nicht? So sprich,
- Erliegt vielleicht die Kraft dann der Beschwerde?
- Wie, oder widersetzt dann jemand sich?"
- Mit seinem Finger streifte nun die Erde
- Sordell und sprach: "Nicht hoffe, daß bei Nacht
- Dein Fuß den Strich nur überschreiten werde.
- An Steigen hindert sonst dich keine Macht
- Als Dunkelheit, die, wie sie uns ermattet,
- Verwirrt durch Ohnmacht unsern Willen macht.
- Hinabzugehn und rückwärts ist gestattet,
- Und irrend ringsumher zu gehn am Bord,
- Wenn auch ihr Schleier noch die Welt umschattet."
- Mein Meister stand erst wie bewundernd dort;
- "Wie du versprachst," So hört ich drauf ihn bitten,
- "Geleit uns an den angenehmen Ort."
- Wir waren eben noch nicht weit geschritten,
- Da war ein hohler Raum am Berg zu sehn,
- Ein Tal, das dort den Felsenrand durchschnitten.
- "Dorthin", So sprach der Schatten, "laß uns gehn,
- Seht dort den Berg von einer Höhlung teilen,
- Dort sehen wir den Morgen auferstehn."
- Ein krummer Fußpfad führte zwischen steilen
- Felshöhn und Ebene zum Rand der Schlucht,
- Da hieß Sordell am Abhang uns verweilen.
- Gold, feines Silber und des Coccums Frucht,
- Bleiweiß und Indiens Blau in hellster Reine,
- Smaragd, zerbrochen kaum--in dieser Bucht,
- Bei dieses Grases, dieser Blumen Scheine
- Schwänd ihrer Farben ganzer Glanz dahin,
- Wie seinem Größern unterliegt das Kleine;
- Nicht war Natur allein hier Malerin,
- Mit laufend wunderbar gemischten Düften
- Ergötzte sie auch des Geruches Sinn.
- Salve, Regina, tönt es in den Lüften
- Von Seelen auf dem blumenreichen Beet,
- Versteckt hierinnen zwischen Felsenklüften.
- "Bevor die Sonne ganz zu Rüste geht,
- Gehn", sprach Sordell, "wir nicht hinab zu ihnen,
- Denn, wenn ihr hier auf diesem Felsen steht,
- Erkennt ihr besser aller Art und Mienen,
- Als sie im Tale selber, im Gedrang
- So vieler großer Schatten euch erschienen.
- Der höher sitzt und scheint, als hätt er lang
- Versäumt, wozu ihn seine Pflicht verbunden,
- Und nicht den Mund regt bei der andern Sang,
- Jst Kaiser Rudolf, der Italiens Wunden
- Zu heilen zwar vermocht, doch nicht geheilt,
- So daß es spät durch andre wird gefunden.
- Der, dessen Anblick jetzt ihm Trost erteilt,
- Einst Herr des Landes, das der Fluß durchschneidet,
- Der in die Elb, in ihr zur Meerflut eilt,
- Hieß Ottokar--mit Windeln noch umkleidet,
- Weit besser doch, als Wenzeslaus, sein Sohn,
- Der Bärtge, der an Üppigkeit sich weidet.
- Der Kleingenaste dort--von Reich und Thron
- Scheints, daß er mit dem andern, Gütgen spreche--
- Starb fliehend, zu der Lilien Schmach und Hohn.
- Er schlägt die Brust, als ob das Herz ihm breche.
- Den andern fehl--es ruhet sein Gesicht
- In seiner aufgestützten Linken Fläche.
- An Frankreichs Aussatz, an den Bösewicht,
- Den Sohn und Eidam, denken sie, des Leben
- Voll Schmutz und Schmach sie feindlich quält und sticht
- Den Gliederstarken sieh! Mit dem daneben,
- Dem Adlernasgen, singt er im Akkord
- Und ragt einst hoch in jedem wackern Streben.
- Und könnt, als er verstarb, der Jüngling dort,
- Der hinten sitzt, den Königsthron ererben,
- So ging von Stamm zu Stamm die Tugend fort.
- Jakob und Friederich, die andern Erben,
- Sie sollten zwar des Thrones Herrlichkeit,
- Doch nicht des Vaters bessres Gut erwerben.
- Denn selten nur soll Menschenredlichkeit,
- Nach Gottes Schluß, neu aus der Wurzel Schlagen,
- Weil er sie nur auf frommes Flehn verleiht.
- Dem Adlernasgen ist dies auch zu sagen,
- So gut als feiern, welcher mit ihm singt,
- Weshalb Provence und Puglien sich beklagen,
- Weil so viel schlechtem Keim sein Same bringt,
- Als höher sich Konstanzas Gatt im Preise
- Vor Beatrixens und Margretens schwingt.
- Den König seht von schlichter Lebensweise,
- Der einsam sitzt, Heinrich von Engelland,
- Vergnügt, daß sich ihm gleich sein Sproß erweise.
- Der tiefer sitzt, den Blick emporgewandt,
- Ist Markgraf Wilhelm, welchen noch die Seinen
- In Montferrat, in Canaveser Land
- Und Alessandrias Tück und Krieg beweinen.
- Achter Gesang
- Die Stunde war es, die zu stillem Weinen
- Vor Heimweh den gerührten Schiffer zwingt,
- Am Tag, da er verließ die teuren Seinen,
- Die Liebesleid dem neuen Pilgram bringt,
- Wenn fernher, klagend ob des Tags Erbleichen,
- Der Abendglocken Trauerlied erklingt.
- Jedweder Laut schien mit dem Licht zu weichen,
- Und eine von den Seelen trat hervor
- Und heischt Aufmerksamkeit mit einem Zeichen
- Und naht und hob die beiden Händ empor,
- Als sagte sie: Du, Gott, nur bist mein Trachten!
- Indem ihr Blick im Osten sich verlor.
- Te Lucis Ante--diese Worte brachten
- Dann ihre Lippen vor. So fromm, so schön,
- Daß sie mich meiner Selbst vergessen machten.
- Mit andachtsvollem lieblichem Getön
- Stimmt ein der Chor zu reicher Wohllauts Fülle,
- Den Blick emporgewandt zu Himmelshöhn.
- Die Wahrheit liegt hier unter leichter Hülle;
- Ist, Leser, jetzt dein Blick nur scharf und klar,
- So wirst du leicht erspähn, was sie verhülle.
- Demütig, bleich, sah ich die edle Schar
- Nach oben schaun, erwartungsvoll und schweigend,
- Und sah aus himmlischem Gewölb ein Paar
- Von Engeln durch die Luft herniedersteigend,
- Zwei Flammenschwerter zwar in ihrer Hand,
- Allein mit abgebrochnen Spitzen zeigend;
- Grün wie das Laub, das eben erst entstand,
- Und, von der grünen Flügel Wehn getrieben,
- Nach hinten zu leicht flatternd das Gewand.
- Der eine blieb nah über uns, und drüben,
- Jenseit des Tales, blieb der andre stehn,
- So, daß die Schatten in der Mitte blieben.
- Ich konnte wohl die blonden Häupter sehn,
- Doch am Gesicht verging mein Blick, geblendet,
- Wie oft die Sinn am Übermaß vergehn.
- "Dies Paar ist aus Marias Schoß gesendet,
- Zur Hut des Tales, weil die Schlange naht."
- So sprach Sordell, uns beiden zugewendet.
- Und ich, der ich nicht wußt, auf welchem Pfad,
- Ich schaut umher, indem ich starr vor Grauen
- Fest an des treuen Führers Rücken trat.
- Sordell begann aufs neu: "Geht mit Vertrauen
- Jetzt zu den Großen hin und sprecht sie an,
- Denn lieb wirds ihnen sein, euch hier zu schauen.
- Ich war im Grund, wie ich drei Schritt getan,
- Und nach mir forschend spähn sah ich den einen,
- Als sah er ein bekanntes Antlitz nahn.
- Schon schwärzte sich die Luft, doch zwischen seinen
- Und meinen Blicken ließ sie, nah, was sich
- Vorher durch sie verschlossen, klar erscheinen.
- Nun ging ich auf ihn zu und er auf mich.
- "Mein edler Richter Nin, o welch Vergnügen!
- Hier--nicht bei den Verdammten--find ich dich!"
- Kein schöner Gruß ward zwischen uns verschwiegen.
- Und er: "Wann bist du aus dem weiten Meer
- Am Fuße dieses Berges ausgestiegen?"
- "Heut morgen kam ich aus der Hölle her",
- Entgegnet ich, "und bin im ersten Leben,
- Doch suche hier des künftigen Gewähr."
- Und wie ich ihnen den Bescheid gegeben,
- Da fuhr Sordell und er zurück, verstört,
- Als halt ein Wunder plötzlich sich begeben,
- Der dem Virgil, der einem zugekehrt,
- Der dorten saß, am grünen Talgestade:
- "Auf, Konrad, sieh, was uns der Herr beschert."
- Und drauf zu mir: "Erwies besondre Gnade
- Dir der, des erster Grund verborgen ruht,
- Wohin kein Geist je findet Furt und Pfade,
- So sag einst jenseits dieser weiten Flut
- Meiner Johanna, daß sie für mich flehe,
- Zu ihm, der nach dem Flehn der Unschuld tut.
- Nicht liebt die Mutter wohl mich noch wie ehe,
- Da sie den Witwenschleier abgelegt,
- Nach dem sie bald sich sehnt in ihrem Wehe.
- An ihr sieh, wie ein Weib zu lieben pflegt,
- Wenn ihre Liebesglut nicht um die Wette
- Jetzt Anschaun, jetzt Betastung, neu erregt.
- Gewiß wird einstens ihre Grabesstätte
- Von Mailands Schlange nicht so schön geschmückt,
- Als sie geschmückt der Hahn Galluras hätte."
- Er sprachs, und ihm im Antlitz ausgedrückt
- War ein gerechter Eifer, der dem Weisen
- Wohl durch das Herz, doch nur gemäßigt, zückt.
- Ich blickte sehnlich nach des Himmels Kreisen
- Dorthin, wo träger ist der Sterne Lauf,
- So wie, der Achse nah, des Rades Kreisen.
- Mein Führer sprach: "Was blickst du dort hinauf?"
- Und ich: "Nach den drei Lichtern, denn mit ihnen
- Geht ja am ganzen Pol ein Feuer auf."
- Und er: "Die vier, die dir heut morgen schienen,
- Sind tief jetzt unterm Horizont versteckt,
- Und diese sind an ihrer Stell erschienen."
- Hier ward ich durch den Ruf Sordells erschreckt:
- "Den Widersacher seht!" Er sprachs und zeigte
- Zur Gegend hin, den Finger ausgestreckt,
- Wo sich das kleine Tal geöffnet neigte;
- Dort war die Schlange, die wohl jener glich,
- Die Even einst die bittre Speise reichte.
- Wie sie daher durch Gras und Blumen strich,
- Hob sie von Zeit zu Zeit den Kopf zum Rücken
- Verdreht empor und leckt und putzte sich.
- Nicht sah ich und vermags nicht auszudrücken,
- Wie die zwei Engel sich bewegt zum Flug,
- Doch deutlich sah ich sie herniederzücken.
- Und wie ihr Flügelpaar die Lüfte schlug,
- Entfloh die Schlang, und jene beiden flogen
- Zu ihrem Platz zurück in gleichem Zug.
- Der Schatten, der von Ninos Ruf bewogen
- Sich uns genähert, hatte bei dem Strauß
- Die Blicke nimmer von mir abgezogen.
- "Die Leuchte, die dich führt zu Gottes Haus,
- Sie find in deinem Willen und Verstande
- Ihr Öl und gehe bis zum Ziel nicht aus."
- So sprach er, "doch wenn von der Magra Strande
- Du wahre Kunde hast, so gib sie mir,
- Denn wiss, ich war einst groß in seinem Lande.
- Corrado Malaspina spricht mit dir,
- Der Alte bin ich nicht, doch ihm entsprungen;
- Die Meinen liebt ich stets, doch reiner hier."
- "Oh," sprach ich, "nimmer noch ist mirs gelungen,
- Dies Land zu sehn, allein sein Nam und Wert
- Ist, wo man in Europa sei, erklungen.
- Der Ruf, der euer Haus erhebt und ehrt,
- Schallt zu der Herrn, schallt zu des Landes Preise,
- So daß, wer dort nicht war, davon erfährt.
- Ich schwör es dir beim Ziele meiner Reise,
- Daß dein Geschlecht in voller Blüte steht,
- Des Muts, der Gastlichkeit, der edlen Weise.
- Und wenn die Tollheit alle Welt verdreht,
- Sitt und Natur wird ihm den Vorzug schenken,
- Daß es allein den schlechten Weg verschmäht."
- Und er: "Jetzt geh, nicht siebenmal versenken
- Wird sich die Sonn im Bett an jenem Ort,
- Den ringsumher des Widders Füß umschränken,
- So wird dir diese gute Meinung dort
- In deinem Kopfe festgenagelt werden,
- Mit bessern Nägeln als mit andrer Wort,
- Wird nicht des Schicksals Lauf gehemmt auf Erden."
- Neunter Gesang
- Schon Thithons Buhlerin, entgleitend
- Dem Arm des süßen Freunds und einen Kranz
- Von weißem Licht im Orient verbreitend,
- Geschmückt die Stirn mit der Demanten Glanz,
- Die jenes kalten Tiers Gestaltung zeigen,
- Das tödlich sticht mit seinem giftgen Schwanz.
- Zwei Schritte hatte, wo ich war, im Steigen
- Die Nacht getan, um sich beim dritten jetzt
- Mit ihren Fittichen herabzuneigen,
- Als meine Sinne, da ich herversetzt
- Mit Adams Erbschaft war, dem Schlaf erlagen
- Und ich ins Gras sank, wo wir uns gesetzt.
- Zur Stunde war es, wo mit bangen Klagen,
- Wenn sich der Morgen naht, die Schwalbe girrt,
- Vielleicht gedenkend ihrer ersten Plagen,
- Und wo der Geist, vom Leibe nicht verwirrt,
- Frei und entledigt von den Sorgen allen,
- Im Traumgesicht beinahe göttlich wird.
- Da sah ich, träumend, an des Himmels Hallen
- Mit goldenem Gefieder einen Aar,
- Gespreizt die Flügel, um herabzufallen.
- Mir schiens der Ort, wo Ganymedes war,
- Als er, indem die Seinen ihn umfingen,
- Entrückt ward zu der ewgen Götter Schar.
- "Er pflegt vielleicht sich hier herabzuschwingen",
- So dacht ich, "und verschmäht, von anderm Ort
- In seinen Klauen uns emporzubringen."
- Ein wenig kreist er erst im Bogen dort,
- Dann schoß er, schrecklich, wie ein Blitz, hernieder
- Und riß mich bis zum Feuer aufwärts fort.
- Mir schien, ich brenn, auch brenne sein Gefieder,
- Und ganz erglüht von dem erträumten Brand,
- Erwacht ich jäh aus meinem Schlummer wieder.
- So fuhr Achill empor im fremden Land
- Und drehte dann die wachen Blick im Kreise,
- Weil er nicht wußte, wo er sich befand,
- Als Thetis ihn im Schlaf dem Chiron leise
- Entführt und ihn nach Skyros hingebracht,
- Von wo Ulyß ihn rief zur großen Reise;
- Wie ich emporfuhr, da ich aufgewacht;
- Doch fühlt ich Frost sich über mich verbreiten,
- Gleich einem, den der Schreck erstarren macht.
- Mein treuer Hort allein war mir zur Seiten--
- Zwei Stunden aufwärts stieg die Sonne schon
- Und vor mir lagen frei des Meeres Weiten.
- Da sprach mein Herr: "Nicht fürchte dich, mein Sohn.
- Mut, denn uns ist das Schwerste nun gelungen,
- Drum halte fest die Kraft, die fast entflohn.
- Zum Fegefeuer bist du nun gedrungen.
- Den Felsen sieh, ders einschließt--sieh das Tor
- Dort, wo, wies scheint, der Stein entzweigesprungen,
- Noch glänzt Aurora nicht dem Tage vor,
- Du aber lagst, den Geist vom Schlaf befangen,
- Im Tale dort auf jenem Blumenflor,
- Da kam ein Himmelsweib dahergegangen.
- Lucien seh--den Schläfer nehm ich fort,
- Und leichter soll er so zum Ziel gelangen.
- Sordell blieb mit den andern Seelen dort;
- Sie faßte dich, und als der Tag begonnen,
- Stieg sie empor mit dir an diesen Ort.
- Ich folgt ihr; und als mir ihr Blick voll Wonnen
- Das Tor gewiesen, legte sie dich hin
- Und ging, und mit ihr war dein Schlaf entronnen."
- Gleichwie wir, wenn uns offenen Gewinn
- Die Wahrheit zeigte. Sorg und Furcht verjagen,
- Von Mut und Lust erfüllt den freien Sinn,
- So ich--und da mich frei von Angst und Zagen
- Mein Meister sah, so schritt er zu den Höhn,
- Und ich auch stand nicht an, den Gang zu wagen.
- Sieh, Leser, hier sich meinen Stoff erhöhn,
- Drum staune nicht, wenn größre Kunst die Worte,
- Dem Stoff gemäß, sich aussucht, hoch und schön.
- Wir gingen fort und nahten einem Orte,
- Der erst als Felsenspalt erschien; doch nah
- Erkannt ich in der Öffnung eine Pforte.
- Drei Stufen von verschiednen Farben sah
- Ich unter ihr, um zu ihr aufzusteigen;
- Dann auch erkannt ich einen Pförtner da,
- Der auf der höchsten saß in tiefem Schweigen,
- Doch wie ich auf sein Antlitz hingewandt
- Mein Auge hatte, mußt ichs wieder neigen.
- Er hatt ein nacktes Schwert in seiner Hand,
- Und wollt ich auf dies Schwert die Blicke kehren,
- So blitzt es her der Sonne Glanz und Brand.
- "Von dorten sprecht: Was mögt ihr hier begehren?"
- Sprach er. "Wer bracht euch bis zu mir empor?
- Habt acht, sonst wird das Kommen euch beschweren."
- Mein Meister drauf: "Uns sagte kurz zuvor
- Ein Weib, vom Himmel selbst dazu berufen:
- Kehrt dorthin euren Schritt, dort ist das Tor!
- Da hört ich gleich den edlen Pförtner rufen:
- "So mögt ihr denn durch sie zum Heile ziehen;
- Kommt, schreitet weiter vor zu unsern Stufen!"
- Wir kamen hin--die erste Stufe schien
- Von Marmor, weiß, von höchster Glätt und Reine,
- Drin spiegelt ich mich ab, wie ich erschien.
- Die zweite schien mir von verbranntem Steine,
- Rauh, lang und quer geborsten und zerschlitzt,
- Und ihre Farbe schwärzlichdunkle Bräune.
- Die dritte höchste Stuf erschien mir itzt
- Wie Porphyr, flammend, gleich des Blutes Quelle,
- Die frisch und warm aus einer Ader spritzt.
- Dem Pförtner diente sie zur Ruhestelle
- Für seine Fuß, und höher saß er dann
- Auf der durchsichtgen diamantnen Schwelle.
- Gern folgt ich meinem Führer dorthinan,
- Der sprach: "Jetzt geh, ihn flehend zu begrüßen,
- Denn er ists, der das Schloß dir öffnen kann."
- Demütig sank ich zu des Engels Füßen,
- Schlug dreimal erst auf meinen Busen mich
- Und bat ihn, aus Erbarmen aufzuschließen.
- Mit seines Schwertes scharfer Spitze strich
- Er sieben P auf meine Stirn und machte
- Sie wund und sprach: "Dort drinnen wasche dich."
- Noch, wenn ich Asch und Erdenstaub betrachte,
- Seh ich des Kleides Farb, aus welchem er
- Mit seiner Hand hervor zwei Schlüssel brachte.
- Von Gold war dieser und von Silber der.
- Den weißen sah ich ihn, den gelben drehen,
- Und sieh, verschlossen war das Tor nicht mehr.
- Er sprach darauf: "Trifft einer von den zween
- Im Schloß beim Umdrehn irgend Widerstand,
- So bleibt die Türe fest verschlossen stehen.
- Mehr Wert hat der von Gold, doch mehr Verstand
- Und Kunst wird jener, eh er schließt, bedürfen,
- Denn er nur löst das vielverschlungne Band.
- Beim Öffnen sollt ich eher irren dürfen,
- Sprach Petrus, der sie gab, als beim Verschluß,
- Wenn nur, die kämen, erst sich niederwürfen."
- Er stieß ans heilge Tor und sprach zum Schluß:
- "So geht denn ein, doch daß euchs nie entfalle,
- Daß, wer rückblickt, nach außen kehren muß."
- Beim Öffnen drehte mit so lautem Schalle
- Die heilge Pfort in ihren Angeln sich,
- Gemacht von starkem, klingendem Metalle,
- Daß es dem Knarren jenes Tores glich,
- Vom Schloß Tarpeja, dessen Riegel sprangen,
- Als der Gewalt Metell, sein Wächter, wich.
- Ich horcht aufmerksam hin, denn Stimmen sangen,
- Und ein Tedeum schien mir, was man sang,
- Zu welchem volle süße Tön erklangen.
- Denn das, was jetzt zu meinen Ohren drang,
- War, wie wenn zu Gesängen Orgeln gehen,
- Und wir vor ihrem vollen hellen Klang
- Die Worte halb verstehn, bald nicht verstehen.
- Zehnter Gesang
- Kaum war ich innerhalb der Tür der Gnade,
- Die selten aufgeht durch den schlechten Hang,
- Der grad erscheinen läßt die krummen Pfade,
- Da hört ich, wie sie beim Verschließen klang.
- Wie wards auch wohl entschuldigt, wie verziehen,
- Wenn nach ihr umzuschaun mich Neugier zwang?
- Wir mußten durch gespaltnen Felsen ziehen,
- Der vor- und rückwärts sprang vor unsrer Bahn,
- Wie Wogen sich anwälzen erst, dann fliehen.
- "Jetzt gilt es", also fing mein Führer an,
- "Wohl etwas Kunst, um hier und dort den Seiten,
- Da, wo sie rückwärts weichen, uns zu nahn."
- Wir durften drum nur Iangsam vorwärts schreiten,
- Und schon war Lunas Rand dem Meer genaht,
- Schon sah ich sie hinab ins Bette gleiten,
- Eh wir zurückgelegt den engen Pfad;
- Doch blieben wir an seinem offnen Rande,
- Da, wo der Berg etwas zurücke trat,
- Ich matt, und fremd wir beid in diesem Lande,
- In Zweifeln stehn auf einem ebnen Ort,
- Der öd war wie ein Berg in Lybiens Sande.
- Von wo sein Rand ans Leere grenzt, bis dort
- Zum Fuß der Felsen, die sich jenseits heben,
- Ging ebner Raum drei Menschenlängen fort.
- Soweit gradaus der Blicke Flügel schweben,
- schien solch ein Raum zur recht und linken Hand
- Den Berg, gleich einem Kranze, zu umgeben.
- Wie ich dort still mit meinem Führer stand,
- Erkannt ich, daß der Felsrand, uns entgegen,
- Der steil sich hob, gleich einer schroffen Wand,
- Von weißem Marmor war und allerwegen
- Voll Bildnerei, um Polyklet zur Scham,
- Ja die Natur zum Neide zu erregen.
- Der mit dem Friedensfchluß, den längst in Gram
- Die Welt ersehnt, aufs irdische Gefilde,
- Den lang verschloßnen Himmel öffnend, kam,
- Der Engel war dort eingehaun, und Milde
- Und Liebe tat so wahr sein Wesen kund,
- Daß niemand glaubt, es sei ein stumm Gebilde.
- Man schwor, ein Ave schweb auf seinem Mund,
- Denn sie war dort, durch die des Himmels Riegel
- Der Höchste löst im neuen Liebesbund.
- Es zeigte der Gebärde reiner Spiegel
- Das Wort: Sieh Gottes Magd, so ausgeprägt,
- Wie sich im Wachs ausprägt das schöne Siegel.
- "Was schaust du", sprach Virgil, "so unbewegt,
- Als ob nur diesem Bild dein Blick gebührte?"--
- Ich ging zur Seit ihm, wo das Herz uns schlägt,
- Daher sich jetzt dorthin mein Auge rührte;
- Und hinter der Maria war der Stein,
- Zur andern Seite dessen, der mich führte,
- Geschmückt mit andern schönen Schilderein.
- Drum trat ich, vor Virgil vorbeigeschritten,
- Ihm näher, um zum Schaun bequem zu sein.
- Der Wagen war, in Marmor eingeshnitten,
- Die stierbespannte Bundeslade da,
- Drob ungeheischtes Dienen Straf erlitten.
- Das Volk voraus, in sieben Chören, sah
- Ich jubelnd ziehn und sagt ich: Ob sie singen?
- So sagt ein Sinn mir nein, der andre ja!
- Sah Weihrauchduft sich in die Lüfte schwingen,
- Und auch bei diesem Bilde ließen schwer
- Geruch sich und Gesicht zum Einklang bringen.
- Im Tanze vor der heilgen Lade her,
- Sah ich erhöht in Demut den Psalmisten,
- Der minder hier, als König, war, und mehr,
- Und, wie erfüllt von Ränken und von Listen,
- Am Fenster des Palasts mit schnödem Wort
- spöttisch bewundernd sich die Michal brüsten.
- Darauf bewegt ich mich von meinem Ort,
- Um weiterhin ein andres Bild zu schauen,
- Und sah den edlen Römerherrscher dort
- Zu hohem Ruhm in Marmor eingehauen,
- Ihn, der zum großen Siege den Gregor
- Beseelt mit Kraft und gläubigem Vertrauen.
- Trajan, den Imperator, stellt es vor,
- Und eine Witw, ihm in die Zügel fallend,
- Die, schmerzerfüllt, mit Flehen ihn beschwor.
- Rings Reiterei gedrängt. Trompeten schallend,
- --so schiens dem Aug--im goldenen Panier
- Die Adler drüberhin im Winde wallend.
- Die Arme schrie mit Macht, so schien es mir:
- "Verweile, Herr, mir ward der Sohn erschlagen,
- Du räche mich, die Rache ziemet dir."--
- So warte, bis ich kehre!" Dies zu sagen
- schien er, und sie darauf: "Und wenn du nun"
- (Und ihre Worte schien der Schmerz zu jagen)
- "Nicht wiederkehrst?"--So wirds mein Folger tun!"
- "Vertraust du, was dir obliegt, fremden Armen,
- Mag auch indes die Pflicht vergessen ruhn?"--
- "So tröste dich," entgegnet er der Armen,
- "Bevor ich ziehe, lös ich meine Pflicht,
- Gerechtigkeit gebeuts, mich hält Erbarmen!"--
- Sichtbar macht er die Red, er, des Gesicht
- Von Ewigkeit nichts Neues noch gesehen,
- Doch uns ists neu, weil uns die Kunst gebricht.
- Indes ich mich ergötzte, hinzuspähen
- Nach solcher Demut Bildern, deren Wert
- Noch er erhöht, durch welchen sie entstehen,
- Da lispelte Virgil, mir zugekehrt:
- Sieh jene dort, die langsam, langsam schreiten,
- Von diesen wird uns wohl der Weg gelehrt."
- Ich ließ, da immer hier nach Neuigkeiten
- Mein ganzes Streben war, voll Ungeduld
- Nach dieser Seite hin die Blicke gleiten,
- Vernimmst du, Leser, wie sich Gott die Schuld
- Bezahlen läßt, nicht denke drum zu weichen
- Vom guten Pfad und trau auf seine Huld.
- Mag diese Qual auch der der Hölle gleichen,
- Denk an die Folg--im schlimmsten Falle wird
- Nur bis zum großen Spruch die Marter reichen.
- Ich sprach: "Nur unklar seh ich und verwirrt,
- Was dort sich naht. Sinds menschliche Gestalten,
- Was unstet itzt vor meinem Auge flirrt?"--
- "Kaum seh ich selbst ihr Bild sich klar entfalten,"
- Entgegnet er, "weil erdwärts tiefgebückt
- Vor schwerer Last sie Haupt und Schultern halten.
- Sieh, was dort unter Steinen näher rückt,
- Sieh scharf, und du entwirrst gequälte Schatten
- Und siehst genau, was jeden niederdrückt."--
- Stolze Christen, o ihr Armen, Matten!
- Der Fuß schlüpft rückwärts, doch, an Geiste blind,
- Glaubt ihr, vortrefflich geh eur Lauf vonstatten.
- Bemerkt ihr nicht, daß wir nur Würmer sind,
- Bestimmt zu jenes Schmetterlings Entfaltung,
- Des Flug nie der Gerechtigkeit entrinnt.
- Was tragt ihr hoch das Haupt in stolzer Haltung?
- Gewürm, das öfters, wenns der Pupp entflieht,
- Verkrüppelt ist zu schnöder Mißgestaltung;
- Wie man zuweilen wohl Gestalten sieht,
- Anstatt des Simses tragend Dach und Decken,
- Gekrümmt, daß sich das Knie zum Busen zieht,
- Die im Beschauer wahres Leid erwecken
- Durch falschen Schmerz--so könnt ich jetzo klar
- Bei schärferm Hinschaun jene dort entdecken,
- Den mehr, den minder tiefgebogen zwar,
- Als ob die Last hier mehr, dort minder wiege,
- Doch der auch, der am meisten duldsam war,
- Schien tränenvoll zu sagen: Ich erliege!
- Elfter Gesang
- "Oh Vater unser, in den Himmeln wohnend,
- Du, nimmer zwar von ihrer Schrank umkreist,
- Doch lieber bei den ersten Werken thronend,
- Es preis deinen Namen, deinen Geist,
- Was lebt, weil deinem süßen Hauch hienieden
- Der Mensch nur würdig dankt, wenn er ihn preist.
- Zu uns, Herr, komme deines Reiches Frieden,
- Den keiner je durch eigne Kraft errang,
- Und der zu uns nur kommt, von dir beschieden.
- Gleichwie die Engel beim Hosiannasang
- Ihr Wollen auf das Deine nur beschränken,
- So opfre dir der Mensch des Herzens Hang.
- Wollt unser täglich Manna heut uns schenken;
- Zurückgehn ohne dies auf rauher Bahn
- Die, so am meisten vorzuschreiten denken.
- Wie wir, was andre Böses uns getan,
- Verzeihn, oh so verzeih uns du in Hulden
- Und sieh nicht das, was wir verdienen, an.
- Nicht laß die schwanke Kraft Versuchung dulden
- Vom alten Feinde, sondern mache los
- Von ihm, des Arglist reizt zu Sünd und Schulden.
- Für uns nicht, teurer Herr, für jene bloß
- Geschieht, tut not die letzte dieser Bitten,
- Die dort noch sind in unentschiednem Los."
- So für sich selbst, für uns auch betend, schritten
- Die Schatten langsam unter schwerer Last,
- Wie man im Traum oft ihren Druck erlitten,
- Im ersten Kreise, der den Berg umfaßt;
- Sie läutern sich vom Erdenqualm und tragen
- Ungleiche Bürden, matt, doch ohne Rast.
- Wenn stets für uns dort jene Gutes sagen,
- Was kann für sie von solchen hier geschehn,
- Die Wurzeln schon im bessern Sein geschlagen?
- Sie unterstütze treulich unser Flehn,
- Daß sie der Erdenschuld sich bald entringen
- Und leicht und rein die Sternenkreise sehn.
- "Euch möge Recht und Huld Erleichtrung bringen,
- Um zu dem Ziel, daß euch die Sehnsucht zeigt,
- Mit freien Flügeln bald euch aufzuschwingen.
- Ihr aber zeigt uns, wo man aufwärts steigt,
- Weist uns den Weg, und gibt es mehr als einen,
- So lehrt uns den, der minder steil sich neigt.
- Denn dieser hier, mit Fleisch und mit Gebeinen
- Von Adam her bekleidet und beschwert,
- Muß wider Willen träg im Steigen scheinen."
- So sprach mein Führer, jenen zugekehrt,
- Und diese Rede ward darauf vernommen,
- Doch wußt ich nicht, von wem ich sie gehört.
- "Ihr könnt mit uns zur rechten Seite kommen,
- Dort ist ein Paß, nicht steiler, als der Fuß
- Des Lebenden schon anderwärts erklommen.
- Und drückte nicht der Stein nach Gottes Schluß
- Den stolzen Nacken jetzt der Erd entgegen,
- So daß ich stets zu Boden blicken muß,
- So würd ich nach ihm hin den Blick bewegen,
- Zu sehn, ob ich ihn, der sich nicht genannt,
- Erkenn, und um sein Mitleid zu erregen.
- Wilhelm Aldobrandeschi, der dem Land,
- Das ihn geboren, Ruhm und Ehre brachte,
- Erzeugte mich, und ist euch wohl bekannt.
- Das alte Blut, der Ruhm der Ahnen machte
- So übermütig mich und stolz und roh,
- Daß ich nicht mehr der Mutter aller dachte.
- Und ich verachtete die Menschen so,
- Daß ich drum starb, wie die Sanesen wissen
- Und jedes Kind in Campagnatico.
- Omberto bin ich; nicht nur mein Gewissen
- Befleckt der Stolz, er hat auch alle schier
- Von meinem Stamm ins Elend fortgerissen.
- Bis ich dem Herrn genugtat, ruht auf mir
- Die schwere Last, und was ich dort im Leben
- Nicht tat, daß tu ich bei den Toten hier."
- Ich horcht und ging gesenkten Blicks daneben,
- Ein andrer aber, unterm Steine, fing
- sich an zu winden, um den Blick zu heben.
- Er sah, erkannt und nannte mich und hing,
- Kaum fähig, doch den Blick vom Grund zu trennen,
- An mir, der ganz gebückt mit ihnen ging,
- "Du Odrisl" rief ich, froh, ihn zu erkennen,
- Scheinst Gubbios Ruhm, der Ruhm der Kunst zu sein,
- Die Miniaturkunst die Pariser nennen."
- "Ach, Bruder, heitrer sind die Schilderein,"
- Versetzte jener, "Franks, des Bolognesen,
- Sein ist der Ruhm nun ganz, zum Teil nur mein.
- So edel war ich, lebend, nicht gewesen,
- Dies zu gestehn, denn ach! vor Ruhmgier schwoll
- Damals mein stolzes Herz, mein ganzes Wesen.
- Fürs solchen Stolz bezahlt man hier den Zoll.
- Wo ich, weil ich bereute, durch Beschwerden
- Von seinem finstern Dampf mich läutern soll.
- O eitler Ruhm des Könnens auf der Erden!
- Wie wenig dauert deines Gipfels Grün,
- Wenn roher nicht darauf die Zeiten werden.
- Als Maler sah man Cimabue blühn,
- Jetzt sieht man über ihn den Giotto ragen,
- Und jenes Glanz in trüber Nacht erglühn.
- Den Ruhm der Sprache nahm in diesen Tagen
- Ein Guid dem andern, und ein andrer lauscht
- Vielleicht versteckt, auch ihn vom Nest zu jagen.
- Ein Windstoß nur ist Erdenruhm. Er rauscht
- Von hier, von dort, um schleunig zu verhallen,
- Indem er Seit und Namen nur vertauscht.
- Wird lauter wohl dereinst dein Ruhm erschallen,
- Wenn du als Greis vom Leib geschieden bist,
- Als wenn du stirbst beim ersten Kinderlallen,
- Eh tausend Jahr entfliehn?--wohl kürzre Frist
- Zur Ewigkeit, als zu dem trägsten Kreise
- Des Himmels deines Auges Blinken ist.
- Ganz Tuscien scholl einst laut von dessen Preise,
- Der dort vor mir so träg und langsam schleicht,
- Jetzt flüsterts kaum von ihm in Siena leise.
- Dort herrscht er, als, von dem Geschick erreicht,
- Fiorenzas Wut erlag, der stolzen, kühnen,
- Der Stadt, die jetzt der feilen Hure gleicht.
- Dem Grase gleicht der Menschenruhm, dem Grünen,
- Das kommt und geht, und durch die Glut verdorrt,
- Die erst es mild hervorrief, zu ergrünen."
- Und ich: "Mir dämpft den Stolz dein wahres Wort
- Und weiß mir trefflich Demut einzuprägen;
- Doch sprich: Wer geht so schwer belastet dort?"
- Silvani," sprach er, "ist es, hier deswegen,
- Weil sich so weit sein toller Stolz vergaß,
- Dem freien Siena Ketten anzulegen.
- Drum ging er so und geht ohn Unterlaß,
- Seitdem er starb--der Zoll wird hier erhoben
- Von jedem, der sich dort zu hoch vermaß."
- Und ich: "Weilt jeder, welcher aufgeschoben
- Bis zu dem Rand des Lebens Reu und Leid.
- Dort unten erst und dringet nicht nach oben,
- Wenn ihm nicht Hilfe gläubig Flehn verleiht,
- Bis so viel Jahr, als er gelebt, vergangen,
- Wie kam denn er herauf in kürzrer Zeit?"--
- Und er: "Er ist auf Sienas Markt gegangen
- Zur Zeit, da er den höchsten Ruhm erstrebt,
- Hat dort gestanden, nicht von Scham befangen,
- Und, weil sein Freund in Carlos Haft gelebt,
- Um Hilf ihm und Befreiung zu gewähren,
- Als Bettler dort an jedem Puls gebebt.
- Ich red unklar, doch wirds nicht lange währen,
- So handelt also deine Nachbarschaft,
- Daß du vermagst, dir alles zu erklären--
- Die Tat hat jene Schrank ihm weggeschafft."
- Zwölfter Gesang
- Gleichmäßig, wie zwei Stier im Joche ziehn,
- Ging ich dem schwerbeladnen Geist zur Seiten,
- Solang es gut dem süßen Lehrer schien.
- Doch als er sprach: "Laß ihn, um vorzuschreiten,
- Hier gilts. soviel man immer kann, den Kahn
- Mit Segeln und mit Rudern fortzuleiten!"
- Da richtet ich mich auf zur weitern Bahn
- Mit meinem Leib, obwohl gebeugt und bange
- Des Geistes Blicke noch zu Boden sahn,
- Und folgte meinem Hort im regen Drange
- Der Wißbegier, und beide zeigten wir,
- Wie leicht wir waren, schon im raschen Gange;
- Bis daß er sprach: "Zu Boden blicke hier,
- Um, was dein Fuß beschreitet, zu gewahren,
- Denn zu des Weges Kürzung frommt es dir."
- Wie, um der Freund Erinnrung zu bewahren,
- Auf irdschen Gräbern dargestellt erscheint,
- Was, die drin ruhen, einst im Leben waren,
- So daß bei diesem Anblick jeder weint,
- Gereizt vom Schmerz der aufgerißnen Wunde,
- Ders gut und fromm mit ihnen einst gemeint;
- So wies der Vorsprung mir, der in der Runde,
- Den Pfad dort bildend, jenen Berg umschloß,
- Manch Bild, doch trefflicher, auf seinem Grunde
- Ihn, edler, als was je der Erd entsproß,
- Erschaffen, sah ich, welcher mit der Eile
- Des Blitzes hier vom Himmel niederschoß.
- Dort aber auf des Weges anderm Teile,
- In starrem Todesfrost und träg und schwer,
- Lag Briareus, durchbohrt vom Himmelspfeile.
- Mars, Phöbus, Pallas standen hoch und hehr,
- Auf die zerstreuten Riesenglieder sehend,
- Bewaffnet noch, um ihren Vater her.
- Am Fuß des großen Werks den Nimrod stehend,
- Erblickt ich dann, und wie verwirrt und toll
- Nach den Genossen seiner Arbeit spähend.
- Dich Niobe, dich sah ich jammervoll,
- Hier sieben Kinder tot, dort andre sieben;
- Wie jedem Aug ein Tränenstrom entquoll.
- Saul, du schienst, ins eigne Schwert getrieben,
- Tot, wie auf Gilboa, das seit der Zeit
- Von Tau und Regen unbenetzt geblieben.
- Arachne, Törin, einst voll Eitelkeit,
- Halb Spinn itzt, auf den Fetzen vom Gewebe,
- Das du, o Arme, wobst zu deinem Leid.
- Rehabeam--es schien, als ob er bebe,
- Als ob er, statt wie immer sonst, zu drohn,
- Im Wagen flüchtig, unverjagt, entschwebe.
- Man sah Eriphylen und ihren Lohn,
- Wie teuer das unselige Geschmeide
- Ihr hier bezahlt ward von dem eignen Sohn:
- Den Sanherib, den seine Söhne beide
- Im Tempel töteten voll Frevelmut
- Und liegen ließen in dem letzten Leide.
- Des Cyrus Tod und der Tomyris Wut--
- Sie schien zum abgeschnittnen Haupt zu sagen:
- Dein Durst war Blut, nun füll ich dich mit Blut.
- Dann der Assyrer Heer--es floh, geschlagen,
- Nach Holofernes Tod, und hinterdrein
- Sah man mit grimmer Wut die Feinde jagen.
- O Ilion, wie niedrig und wie klein!
- Wohl standest du auf Trojas Fluren dreister
- Als hier, in Asch und Schutt, auf dem Gestein!
- Wer war des Griffels und des Pinsels Meister,
- Der Formen und Gebärden ausgedrückt
- Selbst zur Bewunderung der feinsten Geister?
- Mir schien, wie ich dahinging, tiefgebückt,
- Was tot war, tot, was lebend war, zu leben,
- Nicht besser hats, wers wirklich sah, erblickt.
- Stolziert nur hin, fahrt fort, das Haupt zu heben,
- Senkt nicht den Blick, ihr, Evens Söhn, er weist
- Euch sonst den schlechten Weg, das eitle Streben!--
- Schon hatten wir vom Berge mehr umkreist,
- Schon war die Sonne weiter fortgegangen,
- Als ich bemerkt mit dem befangnen Geist;
- Als er, des Fuß und Seele vorwärts drangen,
- Begann: "Blick auf, erhebe Haupt und Sinn!
- Nicht ists mehr Zeit, den Bildern anzuhangen.
- Ein Engel naht--drum blick empor, dorthin!
- Schon kehrt, von schnellen Fittichen getragen,
- Zurück des Tages sechste Dienerin.
- Schmück itzt mit Ehrfurcht Antlitz und Betragen,
- Dann führt er wohl mit Freuden uns empor.
- Denk, nie wird dieser Tag dir wieder tagen."
- Und da er mich ermahnt schon oft zuvor,
- Die Zeit zu nutzen, kam es, daß ich nimmer
- Den Sinn, den solch ein Wort verschloß, verlor.
- Das schöne Wesen naht--ein weißer Schimmer
- War sein Gewand; dem Stern des Morgens war
- Sein Antlitz gleich an zitterndem Geflimmer.
- Die Arm erschloß er, dann das Flügelpaar,
- Und sprach: "Kommt jetzt, denn nahe sind die Stufen
- Und leicht erklimmt ihr sie und ohne Fahr.
- Nur wenge nahn von vielen, die berufen.
- O Mensch, du fällst bei jedes Windes Wehn,
- Du, den zum Aufflug Gottes Händ erschufen."
- Bald ließ er uns des Felsen Öffnung sehn.
- Dort schlug er meine Stirn mit seinem Flügel
- Und hieß mich dann gesichert weitergehn.
- Wie ob der Stadt, die ihrer Herrschaft Zügel
- So wohl zu führen weiß wie Recht und Pflicht,
- Am Weg zur Kirche, rechts am steilen Hügel,
- Den kühnen Schwung des Bergs die Treppe bricht,
- Die man gebaut in jenen guten Zeiten,
- Wo sicher war das Maß und das Gewicht;
- So war der Fels, durch Stufen zu beschreiten,
- Obwohl er jäh sich senkt als steile Wand,
- Doch streift man das Gestein von beiden Seiten.
- Laut klangs, indem ich dort mich aufwärts wand,
- "Den geistlich Armen Heil!"--mit einem Sange,
- Wie ich so süß noch keinen je empfand.
- Wie anders war es hier, als bei dem Gange
- Ins Höllenreich! Bei Liedern klomm ich auf,
- Und dort hinab bei wildem Jammerklange.
- Die heilgen Stiegen klommen wir hinauf,
- Und leichter schien mirs hier, emporzukommen,
- Als erst auf ebner Bahn der leichtste Lauf.
- Sprich, Meister, welche Last ist mir entnommen,"
- So rief ich, da ich dies bemerkt, zuletzt,
- "Daß ich fast mühelos emporgeklommen?"
- Und er: sind diese P, die zwar noch jetzt
- Dein Antlitz trägt, doch die schon halb verschwunden,
- Erst, wie das eine, völlig ausgewetzt,
- Dann wird den Fuß dein Streben überwinden,
- So daß ihm Klimmen keine Mühe macht,
- Ja, Wonne wird er dann im Steigen finden."
- Da tat ich jenen gleich, die, sonder Acht,
- Etwas mit sich am Haupte tragend, gehen,
- Bis sie bemerkt, daß man sich winkt und lacht;
- Drum sie die Hand gebrauchen, um zu spähen,
- Mit dieser suchen, finden und damit
- Zuletzt erschaun, was nicht die Augen sehen.
- Denn mit den ausgespreizten Fingern glitt
- Ich an der Stirne hin, und sieh, vergangen
- War eins der Zeichen, das der Engel schnitt.
- Da schwebt ein Lächeln um des Meisters Wangen.
- Dreizehnter Gesang
- Wir waren auf dem Gipfel jener Stiegen,
- Wo sich des Berges zweiter Abschnitt zeigt,
- Des Bergs, der läutert, die hinaufgestiegen.
- Hier, wo man auf den zweiten Vorsprung steigt,
- Der, gleich dem ersten, rings die Höh umwindet,
- Nur daß ein Bogen noch sich schneller beugt,
- Hier ist kein Bild, und jedes Zeichen schwindet,
- Daher man glatt den Weg und das Gestad
- Von des Gesteins schwarzgelber Farbe findet.
- "Dafern wir harrten, bis der Führer naht,"
- So sprach Virgil darauf, "hier säumig stehend,
- So wählten wir zu spät wohl unsern Pfad."
- Dann macht er, festen Blicks zur Sonne sehend,
- Für die Bewegung seinen rechten Fuß
- Zum Mittelpunkt, sich mit dem linken drehend.
- "O süßes Licht, du flößest den Entschluß
- Zum neuen Weg mir ein, du führ uns weiter,"
- Begann er, "wie ein treuer Führer muß.
- Du wärmst die Welt, du machst sie hell und heiter;
- Nie wandle man, wenn sich dein Glanz verhehlt,
- Drängt nicht die Not, und er sei unser Leiter."
- Soviel man hier auf eine Miglie zählt,
- So weit schon gingen wir auf jenen Pfaden
- In wenig Zeit, vom regen Trieb beseelt.
- Ein Geisterzug flog längs den Felsgestaden,
- Gehört, doch nicht gesehn, herbei und schien
- Zum Tisch der Lieb uns freundlich einzuladen.
- Der erste Geist rief im Vorüberfliehn:
- Sie haben keinen Wein! Die Worte klangen
- Dann nochmals hinter uns im Weiterziehn.
- Und eh sie, sich entfernend, ganz verklangen,
- Da rief: Ich bin Orest!--ein zweiter Geist,
- Und war im schnellen Flug vorbeigegangen.
- "O", sprach ich, "Vater, sage, was dies heißt?"
- Da klang die dritte Stimm in meine Frage
- Und rief: Liebt den, der Böses euch erweist.
- Und er: "Du findest hier des Neides Plage!
- Gegeißelt wird er hier, doch Liebe schwingt
- Der strengen Geißel Schnur zu jedem Schlage.
- Doch wisse, daß der Zügel anders klingt.
- Du wirst ihn hören, eh im Weitergehen
- Dein Fuß zum Passe der Verzeihung dringt.
- Versuch es jetzo, scharf dorthin zu spähen,
- Und vor uns wirst du Leute, langgereiht,
- An dieser Wand des Felsens sitzen sehen.
- Da öffnet ich sogleich die Augen weit
- Und sah die Schatten an der Felsenhalle,
- An Farbe dem Gesteine gleich ihr Kleid.
- Und näher hört ich sie mit lautem Schalle
- "Bitte für uns, Maria!" brünstig schrein,
- "Michael und Petrus und ihr Heilgen alle!"
- Möcht einer noch so hart und grausam sein,
- Vor Mitleid wäre doch sein Herz entglommen,
- Hält er, wie ich, gesehn der Armen Pein.
- Denn als ich nun so nahe hingekommen,
- Daß ich Gebärd und Angesicht erkannt,
- Da ward mein Herz durchs Auge schwer beklommen.
- Ihr Anzug war ein schlechtes Bußgewand;
- Sie lehnten sich an sich und ihren Rücken
- Sie allesamt an jene Felsenwand;
- Den Blinden gleich, die Not und Hunger drücken,
- Und die an Ablaßtagen bettelnd stehn,
- Und, Kopf an Kopf gedrängt, sich kläglich bücken,
- Indem sie, um das Mitleid zu erhöhn,
- Nicht minder mit den jämmerlichen Mienen,
- Als mit den lauten Jammerworten flehn.
- Und, gleich den armen Blinden, war auch ihnen
- Den bangen Schatten, welchen ich genaht,
- Der Glanz des Himmelslichts umsonst erschienen.
- Gebohrt war durch die Augenlider Draht,
- Ihr Auge, wie des Sperbers, ganz vernähen;
- Der, wild, nicht nach des Jägers Willen tat.
- Mir aber schien es unrecht, daß ich sehend,
- Doch ungesehn dort ging, drum wandt ich mich
- Zum weisen Rat, nach seiner Meinung spähend.
- Er, der sogleich erriet, weswegen ich
- Noch stumm, auf ihn die Blicke fragend lenkte,
- Sprach: "Rede jetzt, doch kurz und sinnig sprich."
- An jener Seite, wo der Fels sich senkte,
- Ging mir Virgil, wo leicht zu fallen war,
- Weil kein Geländer dort den Rand verschränkte;
- Zur andern Seite saß die fromme Schar,
- Und durch die grause Naht gepreßte Zähren,
- Die ihre Wangen netzten, nahm ich wahr.
- "Ihr, sicher, euch im Lichte zu verklären,"
- Begann ich nun, "das einzig euer Traum,
- Das einzig euer Wunsch ist und Begehren,
- Die Gnade lös euch des Gewissens Schaum
- Und mache drin auf reinem lauterm Grunde
- Der Seele klaren Fluß zum Strömen Raum.
- Doch bitt ich euch, gebt mir gefällig Kunde:
- Ist eine Seel aus Latium hier?--Ich bin
- Für sie vielleicht dann hier zur guten Stunde."
- "O Bruder, jede Seel ist Bürgerin
- Von einer wahren Stadt--doch willst du fragen,
- Ob ein in Welschland lebt als Pilgerin."
- So schiens, von mir noch etwas fern, zu sagen,
- Daher ich, weil ich fast das Wort verlor,
- Sogleich beschloß, mich weiter vor zu wagen.
- Und eine wartete, so kam mirs vor,
- Auf Antwort, und, ums deutlicher zu zeigen,
- Hob sie, dem Blinden gleich, das Kinn empor.
- "Du," sprach ich, "die sich beugt, um aufzusteigen,
- Warst dus, die Antwort gab, so magst du mir
- Jetzt deinen Ort und Namen nicht verschweigen."
- "Ich war von Siena, und mit diesen hier",
- So sprach sie, "läutr ich mich vom Lasterleben,
- Und weinend flehn um Gottes Gnade wir.
- Sapia hieß ich, ob ich gleich ergeben
- Der Torheit war, denn mir schien andrer Leid
- Weit größre Lust, als eignes Glück zu geben.
- Doch zweifelst du an meinem tollen Neid,
- So höre nur!--Die Jugend war verflossen,
- Und abwärts ging der Bogen meiner Zeit,
- Als nah bei Colle meine Landsgenossen
- Den kampfbereiten starken Feind erreicht;
- Da bat ich Gott um das, was er beschlossen.
- Drauf wird ihr Heer geschlagen und entweicht,
- Und ich, erblickend, wie der Feind es jage,
- Fühl eine Lust, der keine weiter gleicht,
- So daß ich kühn den Blick gen Himmel schlage
- Und rufe: Gott, nicht fürcht ich mehr dich jetzt!
- Der Amsel gleich am ersten warmen Tage.
- Nach Gottes Frieden sehnt ich mich zuletzt
- Am Rand des Lebens, aber meine Schulden,
- Durch Reue wären sie nicht ausgewetzt,
- Wenn Pettinagno meiner nicht in Hulden
- Gedacht in seinem heiligen Gebet;
- Noch müßt ich vor dem Tore harrend dulden.
- Doch wer bist du, der offnen Auges geht,
- So scheints, um unsern Zustand zu erkunden,
- Und dessen Atem noch beim Sprechen weht?"--
- "Mit Draht wird einst mein Auge hier durchwunden,"
- So sprach ich, "doch ich hoffe kurze Frist,
- Weil mans nur selten scheel vor Neid gefunden.
- Mehr als das Leid, ob des du traurig bist,
- Hat Sorge mir die untre Qual bereitet.
- Schon fühl ich, wie die Bürde drückend ist."
- Und sie: "Wer also hat dich hergeleitet,
- Daß du, um rückzukehren, hier erscheinst?"
- "Er, der dort schweigend steht, hat mich begleitet.
- Ich leb, erwählter Geist, und wenn ich einst
- Jenseits als Sterblicher für dich bewegen
- Die Füße soll, so fordre, was du meinst."
- "So Neues sagtest du," sprach sie dagegen,
- "Daß es dir sicher Gottes Huld bewährt.
- Verwende drum dein Flehn zu meinem Segen.
- Ich bitte dich, bei allem, was dir wert,
- Wirst du dich je im Tuscierland befinden,
- So sei zum Bessern dort mein Ruf gekehrt.
- Beim eiteln Volk wirst du die Meinen finden,
- Das Talamon verlockt zum Hoffnungswahn;
- Und wie bei Dianas Quelle wird er schwinden,
- Doch setzen mehr die Admirale dran."
- Vierzehnter Gesang
- "Wer ist der, welcher unsern Berg umgeht,
- Eh ihn der Tod beschwingt--dem, nach Behagen,
- Das Auge bald sich schließt, bald offen steht?"
- "Daß er allein nicht ist, das kann ich sagen,
- Nicht wer er ist. Da ich ihm ferner bin,
- Magst du, damit er red, ihn höflich fragen."
- So redeten, von mir zur Rechten hin,
- Zwei Geister dort, sich zueinander neigend,
- Dann, um zu sprechen, hoben sie das Kinn.
- "O Seele, die, empor zum Himmel steigend,"
- Sprach dann der eine, "noch im Körper steckt,
- O sprich, dich hold und trostreich uns erzeigend,
- Woher? Wer bist du? Denn solch Staunen weckt
- Die Gnade, die wir an dir schauen sollen,
- Wie wenn, was nie geschehn, sich uns entdeckt."
- Und ich: "Ein Fluß, der Falteron entquollen,
- Lustwandelt mitten durch das Tuscierland,
- Dem hundert Miglien Laufs nicht gnügen wollen.
- Ich bringe diesen Leib von seinem Strand.
- Doch sagt ich, wer ich sei--nicht würd euchs frommen,
- Da wenig Ruhm bis jetzt mein Name fand."
- "Bin ich auf deiner Meinung Grund gekommen,
- Meinst du den Arno und sein Talgebiet?"
- So sprach jetzt, der zuerst das Wort genommen.
- Der zweite sprach darauf: "Warum vermied
- Er, jenes Flusses Namen zu verkünden,
- Wies sonst nur mit Abscheulichem geschieht?"
- Und jener sprach: "Nicht kann ich dies ergründen,
- Doch wert des Untergangs ist jenes Wort,
- Das nur Erinnrung weckt an Schmach und Sünden.
- Denn von dem Ursprung im Gebirge dort,
- Von dem sich einst Pelorum trennen müssen,
- Dort wasserreich, wie sonst an keinem Ort,
- Bis dahin, wo der Fluß mit ewgen Güssen
- Das, was dem Meer die Sonn entsaugt, ersetzt,
- Was Nahrung gibt den Bächen und den Flüssen,
- Wird, seis durch schlechte Sitt und Neigung jetzt,
- Seis, daß der Ort an einem Fluche leide,
- Die Tugend, gleich den Schlangen, fortgehetzt.
- Denn was im Tal, gedrückt von schwerem Leide,
- Nur irgend wohnt, hat die Natur verkehrt,
- Als hätt es mitgeschmaust auf Circes Weide.
- Zu garstgen Schweinen, mehr der Eicheln wert
- Als dessen, was Natur den Menschen spendet,
- Ist erst sein wasserarmer Lauf gekehrt.
- Dann, wie er weiter seine Wogen sendet,
- Trifft er ohnmächtge kleine Kläffer an,
- Von welchen er die Stirn unwillig wendet
- Je mehr er schwillt in seiner tiefern Bahn,
- Sieht der unselge maledeite Graben
- Die Hund an Art sich mehr den Wölfen nahn.
- In tiefen Tümpeln scheint er drauf vergraben
- Und trifft dann Füchs, in List so eingeweiht,
- Daß sie nicht scheu mehr vor dem Schlausten haben.
- Frei red ich. Sei der Horcher auch nicht weit,
- Und gut wirds diesem sein, das zu behalten,
- Was der wahrhafte Geist mir prophezeit.
- Ich sehe deinen Neffen furchtbar schalten,
- Der jene Wölfe so zu jagen weiß,
- Daß sie vor grauser Todesangst erkalten.
- Denn er verkauft sie lebend scharenweis,
- Dann sticht er sie, gleich einem alten Schlachtvieh, nieder.
- Das Leben raubt er vielen, sich den Preis.
- Zuletzt verläßt er, blutbespritzt die Glieder,
- Den Wald gefällt, und ringsum öd und tot,
- Und tausend Jahr erneun sein Laub nicht wieder."
- Wie bei Verkündigung zukünftger Not
- Des bangen Hörers Züge sich umschatten,
- Der sich gefährdet glaubt und rings bedroht,
- So sah ich jetzo jenen andern Schatten,
- Der zugehorcht, verstört und bange stehn,
- Wie seinen Geist erfüllt die Worte hatten.
- Was ich von dem gehört, von dem gesehn,
- Mich reizt es, ihren Namen nachzufragen,
- Und bittend ließ ich meine Frag ergehn.
- Und den, der erst gesprochen, hört ich sagen:
- "Du also willst, für dich tun soll ich dies,
- Was du für mich zu tun mir abgeschlagen?
- Doch kargen will ich nicht, denn herrlich ließ
- Gott in dir strahlen seine Huld und Güte.
- Drum wisse, daß ich Guid del Duca hieß.
- Von Neid verbrannt war also mein Gemüte,
- Daß, wenn ich sah, ein andrer sei erfreut,
- Ich schwarz vor Gall in bitterm Ingrimm glühte.
- Hier mäh ich Saat, die ich dort ausgestreut.
- O Sterbliche, was müßt ihr das begehren,
- Was Ausschluß der Genossenschaft gebeut!
- Der hier ist Rainer, der zu Preis und Ehren
- Das Haus von Calboli gebracht, des Mut
- Und Kraft und Wert die Erben ganz entbehren.
- Denn alle sieht man jetzt aus seinem Blut
- Das Schlechte tun, das Rechte träg versäumen,
- Und zwischen Po, Berg, Ren und Meeresflut
- Sieht mans nur sprossen noch in giftgen Bäumen,
- Und keinem Gärtner glückts, der schlechten Art
- Wildwucherndes Gewürzel wegzuräumen.
- Wo mag der wackre Licio, wo Manard,
- Wo Traversar, wo Guid Carpigna bleiben?
- Ist jeder Romagnol heut ein Bastard?
- Ein Schmied muß in Bologna Äste treiben,
- Und in Faenza jetzt ein Bernardin,
- Der edle Sproß aus niederm Keim, bekleiden!
- Nicht staune, Tuscier, daß ich traurig bin,
- Wenn ich des Guid von Prata noch gedenke,
- Und des, der mit uns war, des Ugolin.
- Dann auf Tignoso die Erinnrung lenke,
- Auf Traversars und Anastasens Haus,
- Und über den enterbten Stamm mich kränke;
- Auf Ritter, Fraun, auf Ruhe, Müh und Strauß,
- Was wir aus Lieb und Edelsinn begannen,
- Wo jetzt die Herzen sind voll Tück und Graus.
- Brettinoro, fliehst du nicht von dannen,
- Da, um zu fliehn Verderben, Schand und Hohn,
- Die Guten allesamt aus dir entrannen!
- Wohl dir, Bagnacaval, dir fehlt der Sohn!
- Weh, Castrocaro, dir, da mit Verderben
- Dich solche Grafen, wie du zeugst, bedrohen!
- Gut handeln einst, wird erst ihr Dämon sterben,
- Faenzas Herrn, doch nimmer werden sie
- Des Ruhmes reines Zeugnis sich erwerben.
- Dir, Ugolin von Fantoli, wird nie
- Des edlen Namens reiner Glanz gebrechen,
- Da dir das Schicksal keinen Sohn verlieh.
- Doch jetzt, Toskaner, geh; denn nicht zum Sprechen,
- Mich reizt zum Weinen nur mein armes Land,
- Und preßt mein Herz durch Untat und Verbrechen."
- Durchs Ohr ward jenen unser Gehn bekannt,
- Drum wußten wir, da sie es schweigend litten,
- Daß wir uns auf den rechten Weg gewandt.
- Indem wir einsam nun von dannen schritten,
- Scholl eine Stimm uns zu, eh wirs gedacht,
- Gleich einem Blitze, der die Luft durchschnitten:
- Mich tötet, .wer mich trifft! Sie riefs mit Macht
- Und floh im schnellen Flug dann und verhallte,
- Dem Donner gleich, der aus den Wolken kracht.
- Und wie sie kaum an uns vorüberwallte,
- Braust eine zweite schon an unser Ohr,
- Die schrecklich, wie ein zweiter Donner schallte:
- Ich bin Aglauros, die zum Stein erfror!
- Und als ich an Virgil mich drängen wollte,
- Schritt ich vor großer Angst zurück, nicht vor.
- Schon schwieg die Luft, kein dritter Donner rollte,
- Da sprach Virgil: "Dies ist der harte Zaum,
- Der auf der rechten Bahn euch halten sollte.
- Doch winkt des alten Feindes Köder kaum,
- So laßt ihr euch in seinem Hamen fangen,
- Gebt nicht dem Rufe, nicht dem Zügel Raum.
- Euch rufend, hält der Himmel euch umfangen,
- Der, ewig schön, rings seine Kreise zieht,
- Doch euer Blick bleibt an der Erde hangen,
- Und deshalb schlägt euch der, der alles sieht."
- Fünfzehnter Gesang
- So viel, als bis zum Schluß der dritten Stunde,
- Vom Tagsbeginn des Wegs die Sphäre macht,
- Die wie ein Kindlein tanzt im ewgen Runde,
- So viel des Weges halt, eh noch vollbracht
- Ihr Tageslauf, die Sonne zu vollbringen;
- Dort war es Vesperzeit, hier Mitternacht.
- Auf jenen Pfaden, die den Berg umringen,
- Schien uns die Sonne mitten ins Gesicht,
- Weil wir jetzt grade gegen Westen gingen.
- Da fiel ein Glanz mit lastendem Gewicht
- Mir auf die Stirn, mich mehr als erst zu blenden.
- Ich staunt, und was es war, begriff ich nicht.
- Schnell deckt ich mir die Augen mit den Händen
- Als wie mit einem Schirm, daß vor der Glut
- Die schwachen Blicke Schutz und Ruhe fänden.
- Gleich wie der Strahl vom Spiegel, von der Flut
- Nach jenseits hüpft, und dann beim Aufwärtssteigen,
- So wie vorher beim Niedersteigen tut,
- Weil er von Linien, die sich senkrecht neigen,
- So hier wie dort abweicht in gleichem Zug,
- Wie uns die Kunst und die Erfahrung zeigen;
- So ward mein Auge jetzt in jähem Flug
- Getroffen vom zurückgeworfnen Lichte,
- Drob ichs in Eile schloß und niederschlug.
- "Was, süßer Vater, ist dies? Dem Gesichte
- Will, was ich tue, nicht zum Schutz gedeihn.
- Es scheint, als ob der Glanz hierher sich richte!"
- Drauf er: "Nicht staune, wenn in solchem Schein
- Noch blendend dir des Himmels Diener nahen.
- Ein Bote kommt und lädt zum Steigen ein.
- Bald wird, was erst die Augen tränend sahen,
- Dir so zur Lust, als du nur Fähigkeit,
- Sie zu empfinden, von Natur empfahen."
- Der Engel sprach zu uns voll Freudigkeit:
- "Geht dorten ein auf minder schroffen Stiegen,
- Als jene sind, die ihr gestiegen seid."
- Indem wir nun zusammen aufwärts stiegen,
- Sangs hinter uns: "Heil den Barmherzgen, Heil!"
- Und wieder klangs: "Sei froh in deinen Siegen!"
- Und da wir beid allein, und minder steil
- Die Treppen waren, dacht ich: Noch im Gehen
- Wird Lehre wohl vom Meister dir zuteil.
- "Was mochte Guido bei dem Gut verstehen,
- Das Ausschluß der Genossenschaft gebeut?"
- Ich sprachs, gewandt, ihm ins Gesicht zu sehen.
- "Weil stets sein Hauptfehl ihm den Schmerz erneut"
- Sprach drauf Virgil, "will er dich weiser machen
- Und tadelt drum, was er nun schwer bereut.
- Denn euer Sehnen geht nach solchen Sachen,
- Die Mitbesitz verringert, die durch Neid
- In eurer Brust der Seufzer Glut entfachen.
- Doch möchten in des Himmels Herrlichkeit
- Des Menschen Wünsch ihr rechtes Ziel erkennen,
- War eure Brust von solcher Angst befreit.
- Je mehrere dies Gut ihr eigen nennen,
- Je mehr besitzt des Guts ein jeder dort,
- Je stärker fühlt er sich in Lieb entbrennen."
- "Noch fass ich nichts," versetzt ich meinem Hort,
- "Und mindre Zweifel hat vorher das Schweigen
- In meiner Seel erweckt, als jetzt dein Wort.
- Kann höher je der Reichtum vieler steigen,
- Wenn man ein Gut verteilt, als wenn es nicht
- Gemeinsam wäre. Sondern einem eigen?"
- Und er: "Weil, nur auf Erdengut erpicht,
- Dein Geist noch nicht den höhern Flug gewonnen,
- Drum schöpfst du Finsternis aus wahrem Licht.
- Des Himmels unaussprechlich große Wonnen,
- Sie eilen so ins liebende Gemüt,
- Wie nach dem Spiegel hin der Strahl der Sonnen
- Sie geben sich je mehr, je mehr es glüht,
- Und reicher strömt die ewge Kraft hernieder,
- Je freudiger des Herzens Lieb erblüht.
- Erhebt die Seel erst aufwärts ihr Gefieder,
- Dann liebt sie mehr, je mehr zu lieben ist,
- Denn eine strahlt den Glanz der andern wieder--
- Und gnügt mein Wort dir nicht, in kurzer Frist
- Wird dort von dir Beatrix aufgefunden,
- Durch welche du dann ganz befriedigt bist.
- Jetzt sorge nur, daß bald von deinen Wunden
- Die fünf sich schließen wie das erste Paar,
- Das von der Stirn durch Reu und Leid geschwunden."
- Schon wollt ich sagen: Deine Red ist klar!
- Da war ich an des andern Kreises Saume,
- Wo schnell mein Wort gehemmt durch Schaulust war.
- In einen Tempel schien, von wachem Traume
- Dahingerissen, meine Seel entflohn,
- Und Leute sah ich viel in seinem Raume.
- Am Eingang schien mit süßem Mutterton
- Und zärtlicher Gebärd ein Weib zu sagen:
- "Was hast du dies an uns getan, mein Sohn?
- Wir suchten dich voll Angst seit dreien Tagen,
- Ich und der Vater"--sprachs, und wundersam
- Schien sie vom Wehn der Luft davongetragen.
- Drauf vors Gesicht mir eine zweite kam,
- Von Zähren naß, die--wohl wars zu erkennen--
- Dem Aug entpreßte zornerzeugter Gram.
- Sie rief: "Willst du den Herrn der Stadt dich nennen,
- Ob deren Namen Götter sich gegrollt,
- Wo Strahlen jeder Wissenschaft entbrennen,
- Dann, Pisistrat, zahl ihm der Frechheit Sold,
- Ders wagte, deine Tochter zu umfassen!"
- Allein der Herr, der liebreich schien und hold,
- Entgegnet ihr, die also rief, gelassen:
- "Wird jener, der uns liebt, von uns verdammt,
- Was tun wir dann an solchen, die uns hoffen?"--
- Dann sah ich eine Schar, von Zorn entflammt,
- Und einen Jüngling dort, von ihr gesteinigt,
- Tod! Tod! so schrien sie wütend allesamt.
- Er beugte sich, schon bis zum Tod gepeinigt,
- Des Last ihn zu der Erde niederrang,
- Doch seinen Blick dem Himmel stets vereinigt,
- Und fleht empor zu Gott in solchem Drang:
- "Vergib der Wut, die gegen mich entbrannte!"
- Mit einem Blicke, der zum Mitleid zwang.
- Als meine Seele sich von außen wandte
- Zurück zu dem, was wahr ist außer ihr,
- Und ich nun den nicht falschen Wahn erkannte,
- Da sprach mein Führer, der, nicht weit von mir,
- Mich gleich dem Schläfer, der erwacht, erblickte:
- "Nicht halten kannst du dich! Was ist mit dir?
- Bereits seit einer halben Stunde knickte
- Dein Knie, du taumeltest, dein Auge brach,
- Als ob dich Schlummer oder Wein bestrickte."
- "O süßer Vater, hörst dus an"--dies sprach
- Ich drauf zu ihm--"so will ich dir verkünden,
- Was mir erschien, als mir die Kraft gebrach."
- "Ob mir entgegen hundert Masken stünden,"
- Entgegnet er, "und deckten dein Gesicht,
- Doch würd ich, was du denkst, genau ergründen.
- Das, was du sahst, du sahsts, damit du nicht
- Dich ungemahnt verschlössest jenem Frieden,
- Des Strom hervor aus ewger Quelle bricht.
- Was ist dir? fragt ich nicht, wie der danieden
- Zu fragen pflegt, des Auge nicht mehr schaut,
- Sobald die Seel aus seinem Leib geschieden.
- Die Füße dir zu kräftgen, fragt ich laut,
- Denn treiben muß man so den wachen Trägen,
- Den Tag zu nützen, eh der Abend graut."
- Wir gingen beid in sinnigem Erwägen
- Dem Abend zu und sahn, soweit man kann,
- Der Sonne tiefem Strahlenglanz entgegen.
- Und sieh, ein Rauch kam nach und nach heran,
- Der, schwarz wie Nacht, sich bis zu uns erstreckte,
- Und nirgends traf man Raum zum Weichen an,
- Daher er bald uns Aug und Himmel deckte.
- Sechzehnter Gesang
- Das Schwarz der Höll und einer Nacht, durchfunkelt
- Nicht von des ärmsten Himmels bleichstem Schein,
- Vom dichtesten der Nebel rings umdunkelt,
- Nie schloß es mich in grobem Schleier ein,
- Als jener Rauch, der dorten uns umflossen;
- Nie schien es mir so schmerzlich rauh zu sein.
- Nicht könnt ich stehn, die Augen unverschlossen,
- Drum nahte sich, und seine Schulter bot
- Mein Führer mir treu, weis und unverdrossen.
- So wie der Blinde gern in seiner Not
- Dem Führer nachfolgt, um nicht anzurennen
- An was Gefahr bring und vielleicht den Tod,
- So folgt ich ihm, ohn etwas zu erkennen,
- Durch widrig bittern Qualm und horcht auf ihn,
- Der sprach: "Gib Achtung, daß wir uns nicht trennen."
- Ich hörte Stimmen dort, und jede schien
- Um Gnad und Frieden zu dem Lamm zu stöhnen,
- Ob des der Herr die Sünden uns verziehn.
- Agnus Dei hört ich den Anfang tönen,
- Wobei sich aller Wort und Weise glich,
- Und voller Einklang herrscht in ihren Tönen.
- "Dies sind wohl Geister, Herr!" so wandt ich mich
- An ihn, und er: "Es ist, wie du entscheidest;
- Sie lösen von der Zornwut Schlingen sich."
- "Wer bist du, der du unsern Rauch durchschneidest,
- Von dem man, wie du von uns sprichst, vernimmt,
- Daß du die Zeit dir noch nach Monden scheidest?"
- Die Rede ward von einem angestimmt,
- Drum sprach mein Meister: "Stille sein Begehren
- Und frag ihn, ob man hier nach oben klimmt."
- "Geschöpf, das, um zum Schöpfer heimzukehren,
- Sich reiniget und schön wird wie zuvor,
- Begleite mich, dann sollst du Wunder hören!"
- So ich, und er: "Ich schreite mit dir vor,
- So weit ich darf, und, um uns nicht zu scheiden,
- Führ uns im Rauch an Auges Statt das Ohr."
- Drauf ich: "Obschon die Hüllen mich umkleiden,
- Die nur der Tod löst, schreit ich doch hinauf
- Und drang bis hierher durch der Hölle Leiden.
- Und nahm der Herr mich so zu Gnaden auf,
- Daß ich vermag zu ihm emporzustreben,
- Ganz gegen dieser Zeit gewohnten Lauf,
- So sage mir, wer warst du einst im Leben,
- Und ob ich hier die rechte Straße hielt,
- Denn unsre Richtung wird dein Wort uns geben."--
- "Mark hieß ich einst, und was die Welt enthielt,
- Ich konnt es wohl und strebte nach dem Preise,
- Nach welchem jetzt auf Erden keiner zielt.
- Grad vor dir ist der Weg zum höhern Kreise."
- Er sprachs: "Noch bitt ich dich," So fügt er bei,
- "Fürbittend denke mein am Ziel der Reise."
- Und ich zu ihm: "Bei meiner Treu, es sei!
- Doch wisse, daß ich einen Zweifel finde,
- An dem ich berste, sag ich ihn nicht frei.
- Er war einst einfach; doppelt jetzt empfinde
- Ich ihn in mir, nach dem, was du gesagt,
- Sobald ich mit dem Dort das Hier verbinde.
- Wahr ists, die Welt, so wie du mir geklagt,
- Ist öd an jeder Tugend, jeder Ehre,
- Und ganz mit Bosheit schwanger und geplagt.
- Doch daß ich sie erkenn und ändern lehre,
- So bitt ich, deute jetzt die Ursach mir.
- Der sucht sie dort, der in des Himmels Sphäre."
- Ein bang gepreßtes Ach! entwand sich hier
- Laut seiner Brust, und dann begann er: "Wisse,
- Die Welt ist blind, und du, Freund, kommst von ihr.
- Ihr, die ihr lebt, sprecht immer nur, es müsse
- Der Himmel selber Schuld an allem sein,
- Als ob er euch gewaltsam mit sich risse.
- Wärs also, sprich, wo wäre nur ein Schein
- Von freiem Willen? Wie entsprächs dem Rechte,
- Daß Lust der Tugend folgt, dem Laster Pein?
- Die Triebe pflanzen ein des Himmels Mächte,
- Nicht sag ich all; allein auch dies gesetzt,
- Ward euch Erkenntnis auch fürs Gut und Schlechte,
- Und freier Will--und, wenn er, auch verletzt
- Und müde, standhaft mit dem Himmel streitet,
- So siegt er, wohlgenährt, doch stets zuletzt.
- Die Urkraft, welche sich durchs All verbreitet,
- Beherrscht die Freien und erschafft den Geist,
- Den nicht der Himmel mehr als Vormund leitet.
- Drum, wenn die Gegenwart euch mit sich reißt,
- In euch nur liegt der Grund, liegt in euch allen,
- Wie, was ich sage, deutlich dir beweist.
- Es kommt aus dessen Hand, des Wohlgefallen
- Ihr lächelt, eh sie ist, gleich einem Kind,
- Das lacht und weint in unschuldsvollem Lallen,
- Die junge Seele, die nichts weiß und sinnt,
- Als daß, vom heitern Schöpfer ausgegangen,
- Sie gern dahin kehrt, wo die Freuden sind.
- Sie schmeckt ein kleines Gut erst, fühlt Verlangen
- Und rennt ihm nach, wenn sie kein Führer hält,
- Kein Zaum sie hemmt, der Neigung nachzuhangen.
- Gesetz, als Zaum, ist nötig drum der Welt,
- Ein Herrscher auch, der von der Stadt, der wahren,
- Im Auge mindestens den Turm behält.
- Gesetze sind, doch wer mag sie bewahren?
- Kein Mensch! Denn seht, ein Hirt, der wiederkaut,
- Doch nicht gespaltne Klaun hat, führt die Scharen;
- Daher die Herde, die dem Führer traut,
- Der das verschlingt, wonach sie selber lüstert,
- Nur dies verzehrt und nicht nach Höherm schaut.
- Drum, was man auch von anderm Grunde flüstert,
- Nicht die Natur ist ruchlos und verkehrt,
- Nur schlechte Führung hat die Welt verdüstert.
- Rom hatte, das zum Glück die Welt bekehrt,
- Zwei Sonnen, und den Weg der Welt hatt eine,
- Die andere den Weg zu Gott verklärt.
- Verlöscht ward eine von der andern Scheine,
- Und Schwert und Hirtenstab von einer Hand
- Gefaßt im übel passenden Vereine.
- Denn nicht mehr fürchten, wenn man sie verband,
- Sich Hirtenstab und Schwert--du kannsts begreifen,
- Denn an den Früchten wird der Baum erkannt.
- Man sah im Land, das Etsch und Po durchstreifen
- Eh man dem Kaiser Widerstand getan,
- Stets edle Sitt und Kraft und Tugend reifen.
- Jetzt finden, die den Guten sich zu nahn
- Und sie zu sprechen, sich errötend scheuen,
- In jenem Land vollkommen sichre Bahn.
- Die alten Zeiten schelten dort die neuen
- Noch durch drei Greise von der echten Art,
- Die sich des nahen Todes harrend freuen.
- Konrad Pallazzo ist es, und Gherard
- Und Guid Castel, der besser heißen würde
- Nach fränkscher Art: der ehrliche Lombard.
- Roms Kirche fällt, weil sie die Doppelwürde,
- Die Doppelherrschaft jetzt in sich vermengt,
- In Kot, besudelnd sich und ihre Bürde"--
- "Mein Marco," sprach ich, "klares Licht empfängt
- Durch deine Rede jetzt mein Geist--ich sehe,
- Was aus der Erbschaft Levis Stamm verdrängt.
- Doch sage, welcher Gherard, meinst du, stehe
- Als Trümmer noch versunkner guter Zeit,
- So, daß er dieser Zeit Verderbnis schmähe?--
- "Betrügst, versuchst du mich in meinem Leid?"
- So er: "Du, Tuscisch sprechend, tust dergleichen,
- Als kenntest du nicht Gherards Trefflichkeit?
- Den Namen kenn ich, sonst kein andres Zeichen,
- Wenn mans von seiner Gaja nicht entnimmt,
- Gott sei mit dir, hier muß ich von euch weichen.
- Sieh, wie in weißem Glanz der Rauch entglimmt.
- Fort muß ich, denn schon ist der Engel dorten;
- Ich scheid, eh er mich wahr hier sprechend nimmt."
- Er sprachs und horchte nicht mehr meinen Worten.
- Siebzehnter Gesang
- Denk, Leser, wenn dich Nebel je umstrickte,
- Auf Alpenhöhn, durch den, wie durch die Haut
- Des Maulwurfs Auge blickt, das deine blickte,
- Wie, wenn der feuchte Qualm, der dich umgraut,
- Nun dünn wird und beginnt, sich zu erhellen,
- Dann matt hinein das Rund der Sonne schaut;
- Und doch vermagst du kaum, dir vorzustellen,
- Wie ich die Sonn itzt wiedersah, die sich
- Soeben senken wollt ins Bett der Wellen.
- So, gleichen Schritts mit meinem Hort, entwich
- Ich aus der Wolk, als wie aus dunkler Klause,
- Zum Strahl, der sterbend schon am Strand erblich.
- Phantasie, die du aus ihrem Hause
- Weithin die Seel entrückst, daß mans nicht spürt,
- Ob ringsumher Trompetenschall erbrause,
- Was regt dich auf, wenn nichts den Sinn berührt?
- Das Himmelslicht erregt dich, das hernieder
- Von selber strömt, das auch ein Wille führt.
- Die Arge sah ich, die sich im Gefieder
- Des Vogels barg, der ewig Reu und Gram
- Verhaucht im Klang der süßen Klagelieder.
- Und ganz zurückgedrängt ward wundersam
- Hier meine Seel in sich, zu nichts sich neigend
- Und nichts aufnehmend, was von außen kam.
- Darauf erschien, der Phantasie entsteigend,
- Ein Mann am Kreuz, so trotzig-stolz wie er
- Von Ansehn war, sich auch im Tode zeigend.
- Ich sah dabei den großen Ahasver,
- Esther, sein Weib, und Mardochai, den Frommen,
- In Wort und Tat so ganz, rund um ihn her.
- Und dieses Bild zersprang, kaum wahrgenommen,
- Gleich einer Blase, die mit kurzem Schein
- Im Wasser glänzt, wenn sie emporgeschwommen.
- Dann zeigte mein Gesicht ein Mägdelein.
- "O Fürstin, Mutter!" rief die Tränenvolle,
- "Was wolltest du aus Zorn vernichtet sein!
- Du starbst, daß dein Lavinia bleiben solle.
- Bin ich nun dein? Nicht andrer Tod, es zwingt
- Der deine mich zu bittrem Tränenzolle."
- Gleich wie der Schlaf in jähem Schreck zerspringt,
- Wenn Strahlen an des Schläfers Antlitz prallen,
- Doch eh er ganz erstirbt, sich sträubt und ringt,
- So sah ich jetzt mein Traumbild niederfallen,
- Als mir ein Licht ins Antlitz schlug, so klar,
- Wies nie zur Erde strömt aus Himmelshallen.
- Ich wandte mich, zu sehen, wo ich war,
- Als eine Stimm erklang: "Hier müßt ihr steigen!"
- Und ich vergaß des andern ganz und gar.
- Sie zwang den Willen, sich dorthin zu neigen,
- Zu sehn, wer sprach, und ließ, bis ich belehrt,
- Die Unruh nicht in meinem Innern Schweigen.
- Wie von der Sonne, die den Blick beschwert,
- Durch zuviel Licht ihr eignes Bild bedeckend,
- Ward von dem Glanze meine Kraft verzehrt.
- "Ein Himmelsgeist ists, uns den Weg entdeckend,
- Der aufwärts führt, auch ohne daß wir flehn,
- Und selber sich in seinem Licht versteckend.
- Wie wir uns selber tun, ist uns geschehn,
- Denn wer die Not erblickt und harrt der Bitte,
- Ist böslich schon geneigt, sie zu verschmähn.
- Auf! Solchem Rufe nach mit raschem Tritte!
- Wir müssen aufwärts, eh das Dunkel naht,
- Sonst löst der Tag erst die gehemmten Schritte."
- Mein Führer sprachs, worauf zum Felsgestad
- Wir, hingewandt nach einer Stiege, gingen,
- Und wie ich auf die erste Stufe trat,
- Fühlt ich ein Wehn, wie von bewegten Schwingen
- Im Angesicht, und laut erklangs, mir nah:
- "Heil den Friedfertgen, die den Zorn bezwingen."
- Der Sonne letzte bleiche Strahlen sah
- Ich über uns, gefolgt von nächtgen Schatten.
- Und schon erschienen Sternlein hier und da.
- "O meine Kraft, was mußt du so ermatten!"
- So dacht ich still bei mir, denn ich empfand,
- Daß sich entstrickt der Füße Nerven hatten.
- Wir waren auf der höchsten Stufe Rand
- Und standen fest, wie angeheftet, dorten,
- Gleich einem Kahn in des Gestades Sand.
- Aufmerksam lauscht ich erst nach allen Orten,
- Ob nichts zu hören sei, und wandte nun
- Zu meinem Meister mich mit diesen Worten:
- "Mein süßer Vater, sprich, welch übles Tun
- Führt uns zur Läuterung in diesem Kreise.
- Laß nicht die Rede, gleich den Füßen, ruhn."
- "Trägheit zum Guten", Sprach darauf der Weise,
- "Zahlt hier die dort gemachten Schulden erst;
- Hier wird der träge Rudrer schnell zur Reife.
- Merk auf, damit dus deutlicher erfährst,
- Weil ungenutzt sonst unser Stillstand bliebe--
- Frucht bringt dein Weilen, wenn du dich belehrst.
- Nicht Schöpfer, noch Geschöpf ist ohne Liebe,
- Noch war es je. Du weißt, in der Natur
- Und in der Seel entkeimen ihre Triebe.
- Nie irrt die erste von der rechten Spur.
- Die zweite kann im Gegenstande fehlen
- Und bald zu stark sein, bald zu lässig nur.
- Weiß sie zum Ziel das erste Gut zu wählen,
- Ist sie beim zweiten nicht zu heiß, zu kalt,
- Dann reizt sie nicht zu schlechter Lust die Seelen
- Doch schweift sie ab zum Bösen, ist sie bald
- Zum Guten lau, zu eifrig bald im Rennen,
- So tut dem Schöpfer das Geschöpf Gewalt.
- So muß die Liebe, wie du wirst erkennen,
- In euch die Saat zu jeder Tugend streun,
- Doch auch zu allem, was wir Laster nennen.
- Nun, weil ob ihres Gegenstands sich freun
- Die Liebe muß, an dessen Heil sich weiden,
- Drum hat kein Ding den eignen Haß zu scheuen.
- Und weil kein Sein sich kann vom Ursein scheiden
- Und ohne dieses für sich selbst bestehn,
- Muß dies zu hoffen jeder Trieb vermeiden.
- Drum kannst du, folgr ich richtig, deutlich sehn:
- Dem Nächsten gilt die Liebe nur zum Schlimmen
- Und kann aus dreifach schmutzgem Quell entstehn.
- Der hofft zur Herrlichkeit emporzuklimmen
- Durch andrer Fall, und dieses muß zur Lust,
- Die Größe zu erniedrigen, ihn stimmen.
- Der Gunst, des Ruhmes und der Macht Verlust
- Scheut der, wenn sich ein andrer aufgeschwungen,
- Und liebt das Gegenteil mit banger Brust.
- Der ist entrüstet von Beleidigungen,
- Drob Durst nach Rach in ihm sich offenbart,
- Bis ihm dem andern weh zu tun gelungen.
- Ob dieser Liebe von dreifacher Art
- Weint man dort unten--jetzt vernimm von Liebe,
- Die nicht durch rechtes Maß geregelt ward.
- Nach einem Gute strebt mit dunkelm Triebe
- Der Mensch und fühlt, daß seiner Wünsche Glut,
- Erreicht ers nicht, ihm unbefriedigt bliebe.
- Die träge Lieb ists zu dem wahren Gut,
- Die säumt, es zu erschaun, es zu erringen,
- Die hier nach echter Reue Buße tut.
- Gut scheinen andre Güter, doch sie bringen
- Nicht wahres Glück, sind Stoff und Wurzel nicht,
- Aus welchen Früchte wahren Heils entspringen.
- Die Lieb, auf solches Gut zu sehr erpicht,
- Büßt in drei Kreisen oberhalb mit Zähren;
- Doch wie sie dreifach irrt von Recht und Pflicht,
- Das sollst du selbst dir suchen und erklären."
- Achtzehnter Gesang
- Mein hoher Lehrer hatte seiner Lehre
- Ein Ziel gesetzt und blickt aufmerksam mir
- Ins Angesicht, ob ich zufrieden wäre.
- Ich, noch gereizt von frischem Durst nach ihr,
- Schwieg äußerlich, doch sprach bei mir im stillen:
- "Beschwert ihn wohl zu viele Wißbegier?"
- Doch der wahrhafte Vater, der den Willen,
- Den schüchternen, bemerkt, gab sprechend jetzt
- Mir neuen Mut, des Sprechens Lust zu stillen.
- Drum ich: "Dein Licht, mein teurer Meister, letzt
- Mein Auge so, daß es an allen Dingen,
- Die du beschreibst, klar schauend sich ergötzt.
- Doch, süßer Vater, laß es tiefer dringen.
- Was ist doch jene Lieb--ich bitte, sprich!--
- Aus welcher gut und schlechte Werk entspringen?"
- "Scharf richte deines Geistes Aug auf mich,"
- Versetzt er, "und den Irrtum jener Blinden,
- Die sich zu Führern machen, lehr ich dich.
- Der Geist, geschaffen, Liebe zu empfinden,
- Bewegt sich schnell zu allem, was gefällt,
- Wenn Reize sich, ihn zu erwecken, finden.
- Was Wirklichkeit euch vor die Augen stellt,
- paßt der Begriff, um es dem Geist zu zeigen,
- Der dann dorthin nur sich gerichtet hält.
- Und diese Richtung, dies Entgegenneigen,
- Lieb ist es, ist Natur, die dem, was schön
- Und reizend ist, sich hingibt als ihm eigen.
- Dann, wie die Flamm emporglüht zu den Höhn
- Durch ihre Form bestimmt, dorthin zu streben,
- Wo ihre Stoffe minder schnell vergehn,
- So scheint der Geist der Sehnsucht nur zu leben,
- Der geistigen Bewegung, die nicht ruht,
- Bis, was er liebt, sich zum Genuß ergeben.
- Drum sieh, wie not die Wahrheit jenen tut,
- Die, lehren wollend, noch den Irrwahn hegen,
- Jedwede Lieb an sich sei recht und gut.
- Gut ist vielleicht ihr Grundstoff allerwegen;
- Doch sei das Wachs auch echt und gut, man preist
- Das Bild, drin abgedrückt, noch nicht deswegen."
- Drauf ich: "Dein Wort und mein folgsamer Geist,
- Sie lassen mich der Liebe Wesen sehen,
- Obgleich der Geist noch zweifelschwanger kreist.
- Denn, muß durch äußern Reiz die Lieb entstehen,
- Lenkt die Natur die Seele, wie ists dann
- Verdienstlich, ob wir krumm, ob grade gehen?"--
- "Hör itzt, wie weit Vernunft hier schauen kann,"
- So er, "dort stellt Beatrix dich zufrieden,
- Denn jenseits fängt das Werk des Glaubens an.
- Die wesentliche Form--sie ist geschieden
- Vom Stoff und ihm vereint, und eine Kraft,
- Die ihr nur eigen ist, ist ihr beschieden.
- Sie kann, nicht fühlbar, bis sie wirkt und schafft,
- Durch Wirkung nur sich zeigen und bewähren,
- Wie durch das Laub des Baumes Lebenssaft.
- Daher vermag der Mensch nicht, zu erklären,
- Woher zuerst in ihm Begriff entstehn,
- Woher das erste Sehnen und Begehren.
- Denn wie den Trieb, dem Honig nachzugehn,
- Die Bien erhielt, so habt ihr sie erhalten,
- Die nicht zu loben ist und nicht zu schmähn.
- Doch fühlt ihr auch die Kraft, die Rat gibt, walten,
- Und sie, der andern Haupt und Herrscherin,
- Soll Wach an eures Beifalls Schwelle halten.
- Sie, des Verdienstes und der Schuld Beginn,
- Nimmt, wie euch gut und schlechte Lieb entzündet,
- Sie auf und lenkt zu eurer Wahl euch hin.
- Drum haben jene, so die Sach ergründet,
- Die angeborne Freiheit wohl bedacht,
- Und euch die Lehren der Moral verkündet.
- Mag wirklich nun im Innern, angefacht
- Von der Notwendigkeit, die Lieb entbrennen,
- So habt ihr doch auch sie zu zügeln Macht.
- Die edle Kraft wird Beatrice nennen,
- Wenn sie dir kund vom freien Willen tut,
- Drum merk es, um des Wortes Sinn zu kennen."
- Der Mond, der fast bis Mitternacht geruht,
- Kam itzt hervor, der Sterne Zahl beschränkend,
- Gleich einem Kessel anzusehn von Glut,
- Den Pfad dem Himmelslauf entgegenlenkend,
- Den Pfad, den Sol, von Rom gesehn, durchglühe
- Inmitten Sard und Cors ins Meer sich senkend.
- Der edle Geist, ob des im Ruhme blüht
- Pietola vor Mantuas andern Orten,
- War jetzt nicht mehr durch meine Last bemüht.
- Ich, der die Zweifel all in seinen Worten
- Gelöset sah und alles hell und klar,
- Stand wie ein Schläfriger hinbrütend dorten.
- Doch plötzlich naht im Kreislauf eine Schar
- Und scheuchte diese Schläfrigkeit des Matten,
- Da sie bereits in unserm Rücken war.
- Und wie Böotiens Flüss in nächtgen Schatten
- Ein wild Gedräng an ihrem Strande sahn,
- Wenn die Thebaner Bacchus nötig hatten,
- So sah ich jen im Kreise trabend nahn,
- Und alle trieb--so wollte mirs erscheinen--
- Gerechte Lieb und wackrer Eifer an.
- Und schon bei uns, denn zögern sah ich keinen,
- War angelangt der ganze große Hauf,
- Da riefen die zwei Vordersten mit Weinen:
- "Rasch zum Gebirge ging Marions Lauf;
- Und Cäsar, um Ilerda zu gewinnen,
- Umschloß Marseill und brach nach Spanien auf."
- "Rasch, laßt aus Trägheit nicht die Zeit entrinnen,"
- Schrien alle nun, "es macht der rege Fleiß
- Zum Guten neu der Gnade Lenz beginnen."--
- "O ihr, in denen Eifer scharf und heiß
- Das, was ihr dort aus Lauheit nicht vollbrachtet,
- Was ihr versäumt, wohl zu ersetzen weiß,
- Der, welcher lebt--nicht sag ich Lügen--trachtet
- Emporzusteigen, eh der Morgen wach,
- Drum sagt den Weg, den ihr den nächsten achtet."
- Mein Führer sagte dies, und einer sprach:
- "Wollt ihr zum Orte, wo der Fels, gespalten
- Zur Schlucht, euch durchziehn läßt. So folgt uns nach.
- Uns ist es nicht erlaubt, uns aufzuhalten,
- Denn Eile treibt uns fort, drum mögt ihr nicht,
- Was uns das Recht gebeut, für Grobheit halten.
- Ich übt in Zenos Haus des Abtes Pflicht,
- Unter des guten Rotbart Herrscherstabe,
- Von welchem Mailand noch mit Schmerzen spricht.
- Und einer, schon mit einem Fuß im Grabe,
- Er weint, gedenkend jenes Klosters, bald,
- Daß er gehabt dort Macht und Ansehn habe,
- Weil er den Sohn, verpfuscht an der Gestalt,
- Noch mehr verpfuscht an Geiste, schlechtgeboren,
- Anstatt des wahren Hirten dort bestallt."
- Ob er noch sprach? Ob schwieg?--vor meinen Ohren
- Verklang, sich schnell entfernend, jener Ton.
- Doch merkt ich dies und hab es nicht verloren.
- Und er, in jeder Not mein Helfer schon,
- Sprach: "Sieh dorthin, woher die beiden kommen,
- Die Trägheit scheuchend und ihr selbst entflohn."
- Sie riefen jenen nach: "Erst umgekommen
- War jenes Volk, dem sich das Meer erschloß,
- Bevor der Jordan seine Herrn bekommen.
- Und jenes, das die edle Müh verdroß,
- Bis an sein Ziel Äneen zu begleiten,
- Es ward seitdem ein ruhmlos schlechter Troß."
- Die Schatten schwanden kaum in fernen Weiten,
- Als ein Gedank aufs neu in mir entstand,
- Und dieser erste zeigte bald den zweiten,
- Dem sich verwirrt der dritte, viert entwand,
- Bis mir zuletzt die Augenlider sanken;
- Und wie verschmelzend Bild um Bild verschwand,
- Da ward zum Traum das Wogen der Gedanken.
- Neunzehnter Gesang
- Zur Stunde, da, vom Erdqualm überwunden,
- Oft vom Saturn, den Nachtfrost zu durchlaun,
- Der Tagesglut die Kraft dahingeschwunden,
- Wenn in dem Osten vor des Frühlichts Grauen
- Ihr größtes Glück die Geomanten sehen,
- Wos kurze Zeit sich hält in nächtgem Braun,
- Sah ich ein Weib im Traume vor mir stehen,
- Kalkweiß, verstümmelt, stotternd, krummgebückt,
- Und schielend sah ich sie die Augen drehen.
- Ich schaut auf sie--wie der, den Nachtfrost drückt,
- Gestärkt wird und belebt vom Blick der Sonnen,
- So wurde sie von meinem Blick durchzückt.
- Schnell sprang das Band, das ihre Zung umsponnen;
- Sie richtete sich auf; ein roter Schein
- Färbt ihr Gesicht, wie Hauch der Liebeswonnen.
- Kaum fühlte sie die Zunge sich befrein,
- Als sie ein Lied begann, so holden Sanges,
- Daß ich auf nichts horcht, als auf sie allein.
- "Ich, der Sirenen Süßeste," so klang es,
- "Ich bins, durch die vom Weg der Schiffer schweift;
- Denn wer mich hört, ist voll des Wonnedranges.
- Mir folgt Ulyß, der lang umhergestreift,
- Und wie Entzücken ihn und Wollust kirren,
- Verläßt mich keiner, der mich ganz begreift."
- Noch hört ich in der Luft die Töne schwirren,
- Sieh, da erschien ein heilges Weib, mir nah,
- Die Sängerin beschämend zu verwirren.
- "Virgil! Virgil! sprich, wer ist diese da?"
- Sie riefs mit Zorn, als sie dies Weib entdeckte
- Indes er fest nur ihr ins Auge fah.
- Sie aber riß das Kleid, das jene deckte,
- Ihr vorn entzwei, daß mir der Bauch erschien,
- Aus dem Gestank quoll, welcher mich erweckte.
- Ich schlug die Augen auf und sah auf ihn.
- "Schon dreimal rief ich dich," begann der Weise.
- "Auf, laß uns jetzt zur Felsenöffnung ziehn."
- Ich richtete mich auf, und alle Kreise
- Des heilgen Bergs erfüllte Morgenpracht
- Und leuchtet hinter uns zu unsrer Reise.
- Ich folgt ihm nach und neigte, längst erwacht,
- Die Stirn, wie einer, der in schweren Sinnen
- Sich selbst zum halben Brückenbogen macht.
- "Kommt, hier steigt auf!" So hört ichs nun beginnen,
- Mit Tönen, wie sie nie im irdschen Land,
- So huldvoll und so süß, das Herz gewinnen.
- Die Flügel, wie des Schwanes, ausgespannt,
- Winkt uns der Engel vor, und beide gingen
- Wir durch des Felsens enge Doppelwand.
- Er weht uns an mit den bewegten Schwingen
- Und sprach: "Heil dem, der stark das Leid erträgt,
- Denn reichen Trost wird seine Seel erringen."
- "Was hast du, das dich immer noch erregt?
- Was sinkt verworren noch dein Blick zur Erden?"
- So sprach Virgil, als wir uns fortbewegt.
- "Ein neu Gesicht--noch seh ich die Gebärden"--
- Versetzt ich, "macht mich so in Zweifeln gehn!
- Noch kann ich dieses Bilds nicht ledig werden."--
- "Die alte Hexe--hast du sie gesehn,
- Ob der man dorten klagt, wohin wir reisen,"
- Sprach er, "und wie mans macht, ihr zu entgehn?
- Doch weiter jetzt. Schau auf! In mächtgen Kreisen
- Wird dort im klaren himmlischen Gebiet
- Lockbilder dir der ewge König weisen!"
- Wie erst der Falk auf seine Füße sieht,
- Doch dann nicht säumt, sich nach dem Ruf zu wenden,
- Sich streckt und fliegt, wohin die Beut ihn zieht.
- So ich--so klomm ich zwischen Felsenwänden,
- Soweit der Weg sich hebt im engen Schlund,
- Bis wo die Stiegen auf dem Vorsprung enden.
- Und als ich frei im fünften Kreise stund,
- Da lagen Leute, die sich weinend plagten,
- Das Auge ganz hinabgewandt, am Grund.
- "Ach, meine Seele klebt am Staube!" klagten
- Sie all, und ihrer Seufzer laut Getön,
- Es ließ mich kaum vernehmen, was sie sagten.
- "Ihr Gotterwählte, deren Angstgestöhn
- Gerechtigkeit und Hoffnung mild versüßen,
- O sprecht, wo ist die Stiege zu den Höhn?"
- "Kommt ihr, gewiß, nicht liegend hier zu büßen,
- So nehmt nur links den Felsen euren Lauf,
- Dann liegt der Eingang bald vor euren Füßen."
- So bat Virgil, und so versetzt es drauf
- Nicht weit von uns, und, schnell erratend, klärte
- Ich, was drin sonst verborgen war, mir auf.
- Als ich den Blick nach dem des Führers kehrte, .
- Stimmt er mit frohem Winke gern mir bei,
- Ich möge tun, was mein Gesicht begehrte.
- Kaum stand mir nun nach Wunsch zu handeln frei,
- So sucht ich ihn, des Wort den Sinn verborgen:
- Er wisse nicht, daß ich noch lebend sei.
- Und sprach: "O Geist, für den des Heiles Morgen
- Durch Tränen früher tagt, o laß für mich
- Ein wenig ab von deinen größern Sorgen.
- Wer warst du? Und was kehrt dein Rücken sich
- Empor? Und dort, woher ich, noch im Leben,
- Gekommen bin, dort bitt ich dann für dich."
- "Wie wir hier liegen für verkehrtes Streben,
- Bald hörst dus," sprach er, "doch vernimm zuvor:
- Mir waren Petri Schlüssel übergeben.
- Bei Siestri rollt aus einem Tal hervor
- Ein schöner Fluß, den das Geschlecht der Meinen
- Zu seinem ersten Titel sich erkor.
- Ich fühlt als Papst fünf Wochen lang, daß einen,
- Der rein die Stola hält, sie so beschwert,
- Daß leicht, wie Flaum, all andre Bürden scheinen.
- Und leider, ward ich nur zu spät bekehrt;
- Doch als ich zu dem Heilgen Stuhl gelangte,
- Da ward ich von des Lebens Trug belehrt.
- Ich sah, daß dort das Herz nie Ruh erlangte,
- Daß jenes Leben mir nichts Höhres bot,
- Daher ich heiß nach diesem nur verlangte.
- Bis dahin war ich arm, getrennt von Gott,
- Und völlig machte mich der Geiz zum Sklaven,
- Dafür sie mich bestraft mit dieser Not.
- Die Läutrungsqualen, die mich hier betrafen,
- Tun dir des Geizes Art und Wesen kund,
- Und auf dem Berg gibts keine härtern Strafen.
- Wie einst das Auge nicht nach oben stund,
- Und nur gefesselt war von irdschen Dingen,
- So drückts Gerechtigkeit hier an den Grund.
- Und wie den Trieb, das Gute zu vollbringen,
- Der Geiz erstickt und nimmer handeln läßt,
- So hält Gerechtigkeit in festen Schlingen
- Hier Hand und Fuß gebunden und gepreßt;
- So liegen wir, bis uns der Herr die Glieder
- Einst wieder löst, hier unbeweglich fest."
- Antworten wollt ich ihm und kniete nieder,
- Doch, da ich sprach und er durchs Ohr erkannt,
- Daß Ehrfurcht mich gebeugt, begann er wieder:
- "Was kniest du hier?" Und ich drauf: "Ich empfand
- Ob deiner Würde Vorwürf im Gewissen,
- Daß ich vor dir noch grad und aufrecht stand."
- "Bruder, steh auf!"--so er--"du mußt ja wissen,
- Dein Mitknecht bin ich nur von einer Macht,
- Der du und ich und all uns beugen müssen.
- Und hattest du des heilgen Spruches acht:
- Sie freien nicht, so wirst du dir erklären,
- Was ich bei meiner Rede mir gedacht.
- Jetzt geh. Dein Weilen hemmt den Lauf der Zähren,
- Die früher mir--denk an dein eignes Wort--
- Das Morgenlicht des ewgen Heils gewähren.
- Alagia, eine Nichte, hab ich dort,
- Gut von Natur, reißt nicht zu schlechten Trieben
- Sie der Verwandten übles Beispiel fort,
- Und sie allein ist jenseits mir geblieben."
- Zwanzigster Gesang
- Schwer kämpft der Wille gegen bessern Willen,
- Drum zog ich ungern jetzt vom Quell den Mund,
- Weil er es wünscht, ohn erst den Durst zu stillen.
- Wir gingen einen Weg, wo frei der Grund
- Zum Gehen war, entlang dem Felsgestade,
- Gleich engem Steg am Mauerzinnenrund.
- Denn jene Schar, die sich im Tränenbade
- Vom Übel, das die Welt erfüllt, befreit,
- Versperrt uns mehr nach außen hin die Pfade.
- Du alte Wölfin, sei vermaledeit!
- Kein Tier erjagt sich Beute gleich der deinen,
- Doch bleibt dein Bauch noch endlos hohl und weit.
- O Himmel, dessen Kreislauf, wie wir meinen,
- Der Erde Sein und Zustand wandeln soll,
- Wann wird der Held, der sie vertreibt, erscheinen?
- Wir gingen langsam fort und mühevoll
- Ich, horchend, als aus jener Schatten Mitte
- Ein jammervoller Klageton erscholl.
- "Maria, Süße!" klangs vor meinem Schritte,
- Und wie ein kreißend Weib zu jammern pflegt,
- So kläglich schien der Ruf der frommen Bitte.
- "Du warst so arm!" so sagt es dann bewegt,
- "Der Armut sehn wir jene Kripp entsprechen,
- In welche du die heilge Frucht gelegt."
- "Fabricius, Wackrer!" hört ichs weiter sprechen,
- "Tugend mit Armut schien dir mehr Gewinn
- Als der Besitz des Reichtums mit Verbrechen."
- Gar wohl gefiel mir dieser Rede Sinn,
- Und um zu sehn, wer von den Felsenbänken
- Sie ausgesprochen, wandt ich mich dahin.
- Und weiter sprach er noch von den Geschenken,
- Die Nikolaus gemacht den Mägdelein,
- Um sie zum Weg der Ehre hinzulenken.
- "O Geist, der du so wohl sprichst," fiel ich ein,
- "Sprich jetzt, wer warst du und aus welchem Grunde
- Erneust du hier so würdges Lob allein?
- Nicht unbelohnt soll bleiben solche Kunde,
- Kehr ich zurück zum Rest der kurzen Bahn
- Des Lebens, das da eilt zur letzten Stunde."
- Und er: "Nicht will von dort ich Hilf empfahn,
- Doch red ich, denn mir strahlt im hellen Lichte
- Die Huld, die Gott dir vor dem Tod getan.
- Des Baumes Wurzel bin ich, der in dichte
- Umschattung hüllt die ganze Christenheit,
- Von dem man selten nur pflückt gute Früchte.
- Doch wäre schon die Rache nicht mehr weit,
- Wenn Macht Gent, Brügge, Lille und Douai hätten,
- Auch bitt ich drum des Herrn Gerechtigkeit.
- Hugo bin ich, der Stammherr der Capetten,
- Philipp und Ludwige, die auf den Thron
- Des schönen Frankreichs jetzt sich üppig betten.
- Als ich lebt in Paris, ein Metzgersohn,
- Erstarb der Königsstamm in allen Zweigen,
- Und nur noch einer lebt in Schmach und Hohn;
- Da macht ich mir des Reiches Zaum zu eigen,
- Und so vermehrt ich meine Macht alsdann,
- So sah ich sie durch Land und Freunde steigen,
- Daß den verwaisten Thron mein Sohn gewann,
- Von welchem nach dem Walten ewger Mächte
- Die Reihe der Gesalbten dort begann.
- Bis der Provence Mitgift dem Geschlechte
- Der Meinen nicht die heilge Scham entriß,
- Galts wenig zwar, allein vermied das Schlechte.
- Seitdem verübt es Tat der Finsternis,
- Log, raubt und stahl, woraufs, aus Reu und Buße,
- Die Normandie und Ponthieu an sich riß.
- Karl kam nach Welschland, und, aus Reu und Buße,
- Köpft er den Konradin und sandte drauf
- Den Thomas heim zu Gott, aus Reu und Buße.
- Bald bricht ein andrer Karl im vollen Lauf,
- Denn besser sollt ihr seine Sitt erkennen
- Und seines Stammes Art, aus Frankreich auf.
- Zur Rüstung wird er nicht sich Zeit vergönnen,
- Und nur mit Judas Lanze, so, daß dir,
- Florenz, der Wanst platzt, in die Schranken rennen.
- Nicht Land, nur Sünd und Schmach gewinnt er hier.
- Und trägt er sie gar leicht und unbefangen,
- So wird er einst noch mehr gedrückt von ihr.
- Ein andrer Karl, im Seegefecht gefangen,
- Verschachert, wie die Sklavin der Korsar,
- Die Tochter, um das Kaufgeld zu empfangen.
- Ach, was vermagst nicht du, o Geiz! Sogar
- Sein eignes Fleisch beut, schmählich überwunden
- Von deiner Macht, mein Blut zum Kaufe dar.
- Doch ist der Frevel schon in nichts verschwunden;
- Ich seh Alagna, wo die Lilie weht!
- Seh im Statthalter Christum selbst gebunden.
- Seh ihn drauf verspottet und geschmäht!
- Seh ihn aufs neue Gall und Essig schmecken!
- Seh ihn, der unter Räubern dann vergeht!
- Den grimmigen Pilatus seh ich schrecken
- Und, noch nicht satt, ihn, ohne Kirchenschluß,
- Die gierge Hand nach Kirchengütern strecken.
- Gott, was säumt dein Rächerarm? Was muß
- So lang an mir gerechter Unmut nagen?
- Die Frevler strafend, stille den Verdruß!--
- Du hörtest mich vorhin von jener sagen,
- Die einzig ist des Heilgen Geistes Braut,
- Und dies beweg dich, nach dem Grund zu fragen.
- Von ihr erklingt das Flehen leis und laut
- Beim Tageslicht, doch von den Gegensätzen
- Tönt unsre Klage, wenn die Nacht ergraut.
- Dann denken wir Pygmalions mit Entsetzen,
- Der ein Verwandtenmörder ward, ein Dieb
- Und ein Verräter aus Begier nach Schätzen;
- Des Midas, der so lang im Elend blieb,
- Das jedem, der ihn sah, weils ihn nicht freute,
- Als er die Gier gestillt, zum Lachen trieb;
- Des tollen Achan auch, des Diebs der Beute,
- Der, wie es scheint, noch hier nicht tragen kann
- Des Josua Zorn, der ihm im Leben dräute.
- Sapphiren tadeln wir und ihren Mann
- Und loben den, der hinwarf Heliodoren;
- Den ganzen Berg umkreist mit Schande dann
- Polynestor, der totschlug Polydoren.
- Zuletzt erklingt es: Crassus, sprich, wie schmeckt
- Das Gold, das du zur Lieblingsspeis erkoren?
- Der redet laut, der leis und unentdeckt,
- Je wie der Drang des Leids, das wir erproben,
- Uns minder oder mehr erregt und weckt.
- Ich sprach vom Heil, das wir am Tage loben,
- Hier nicht allein, nur daß zu lautem Klang,
- Die mir hier nah sind, nicht die Stimm erhoben."
- Wir richteten nun vorwärts unsern Gang,
- Nachdem wir diesen Schatten kaum verlassen,
- So schleunig, als es nur der Kraft gelang.
- Da aber zitterten des Berges Massen,
- Als stürz er hin, und Furcht erfaßte mich,
- Wie sie den, der zum Tod geht, pflegt zu fassen.
- Nicht schüttelte so heftig Delos sich,
- Eh, beide Himmelsaugen zu gebären,
- Dorthin zum sichern Nest Laton entwich.
- Rings braust ein Ruf, um meine Furcht zu mehren,
- Doch näher trat zu mir mein Meister da:
- "Ich führe dichl--was magst du Sorgen nähren?"
- Und könnt ich aus den Stimmen, die mir nah
- Erklangen, recht das ganze Lied verstehen,
- Klangs: Deo in excelsis gloria!
- Wir blieben staunend, gleich den Hirten, stehen,
- Die diesen Sang zum erstenmal gehört,
- Und ließen Erdenstoß und Lied vergehen.
- Doch dann, zum heilgen Weg zurückgekehrt,
- Sahn wir die Schatten, die am Boden lagen,
- Schon wieder vom gewohnten Leid beschwert.
- Noch nie bekämpften sich mit solchen Plagen
- In mir Unwissenheit und Wißbegier,
- Mag ich auch forschend die Erinnrung fragen:
- Wonach ich grübelnd je gespäht?--wie hier.
- Nicht fragen dürft ich, denn er ging von hinnen,
- Und nichts erklären könnt ich selber mir;
- So ging ich schüchtern fort in tiefem Sinnen.
- Einundzwanzigster Gesang
- Der Durst, den die Natur gegeben hat,
- Den nur das Wasser stillt, um dessen Gnade
- Die Samariterin den Heiland bat,
- Verzehrte mich, und auf verengtem Pfade
- Trieb Eile mich, dem Führer nachzuziehn,
- Voll Gram, daß Schuld uns so mit Leid belade.
- Und sieh, wie Kunde Lukas uns verliehn,
- Daß Christus zween, die unterweges waren,
- Erstanden aus dem Grabgewölb, erschien;
- So uns ein Schatten--hinter uns, die Scharen,
- Dort ausgestreckt, betrachtend, ging er fort
- Und ließ sich sprechend erst von uns gewahren.
- "Gott geb euch Frieden, Brüder!" war sein Wort,
- Das plötzlich hin zu ihm uns beide kehrte;
- Und ziemend dankt ihm mein getreuer Hort
- Und sprach: "Zu denen, so der Herr verklärte,
- Versetz er dich, zu jenem selgen Chor,
- Des Frieden er auf ewig mir verwehrte."
- Und jener sprach: "Wenn Gott euch nicht erkor,"
- (Doch säumte nicht, indessen fortzugehen,)
- "Wer leitet euch die heilge Stieg empor?"
- Virgil darauf: "Sieh hier die Zeichen stehen,
- Die diesem eingeprägt vom Engel sind,
- Und daß er auserwählt ist, wirst du sehen.
- Allein weil sie, die unablässig spinnt,--
- Ihm noch nicht ganz den Rocken abgesponnen,
- Den Klotho anlegt, wenn ein Sein beginnt,
- Hätt er, allein, die Höhe nie gewonnen,
- Weil seine Seele, Schwester dir und mir,
- Noch nicht nach unsrer Art zu sehn begonnen.
- Drum bin ich aus dem Höllenschlunde hier,
- Und meine Schule wies und weist ihm alles,
- Was sie gewähren kann der Wißbegier.
- Doch sprich, was schwankte so gewaltgen Pralles
- Vorhin der Berg? Was tönte bis zum Strand
- Der allgemeine Ruf so lauten Schalles?"
- Mein teurer Meister, also fragend, fand
- So meiner Sehnsucht Ohr, daß mein Begehren,
- Mein Durst durch Hoffnung Lindrung schon empfand.
- Und jener sprach: "Den Berg, den heilgen, hehren,
- Nichts trifft ihn sonder Ordnung, was es sei,
- Und ewge Regel herrscht in diesen Sphären.
- Stets ist er hier von jeder Störung frei;
- Wenn einen Geist von ihm Gott aufgenommen,
- Verkündens Erdenstoß und Jubelschrei.
- Wer jene kleine Stieg emporgeklommen
- Von dreien Stufen, sieht nicht Reif noch Tau,
- Nicht Hagel mehr, noch Schnee, noch Regen kommen.
- Kein Wölkchen trübt hier je des Himmels Blau,
- Nie blinkt des Blitzes Schnell verschwundne Helle
- Nie baut sich Iris Brück auf dunkelm Grau.
- Kein trockner Dunst steigt über jene Stelle,
- Von der ich sprach, auf der die Füße stehn
- Des Pförtners von der diamantnen Schwelle.
- Von Stürmen, die im Erdenschoß entstehn,
- Mags sein, daß unten oft der Berg erdröhne,
- Hier--wie, begreif ich nicht--ists nie geschehn.
- Hier bebt er, wenn in neuer Rein und Schöne
- Die Seele fühlt, sie woll erhoben sein.
- Ihr Steigen fördern dann die Jubeltöne.
- Der Reinheit Prob ist dieser Will allein;
- Frei, treibt er sie, zum Zuge sich zu rüsten,
- Und er verleiht ihr sicheres Gedeihn.
- Erst will sie zwar, doch fühlt auch, mit Gelüsten
- Nach längrer Qual, daß nach Gerechtigkeit,
- Die, so einst sündigten, erst leiden müßten.
- Ich lag fünfhundert Jahr in diesem Leid
- Und länger noch und fühlte mir soeben .
- Zum Aufwärtsziehn den Willen erst befreit.
- Drum fühltest du den ganzen Berg erbeben,
- Drum pries den Herrn die ganze fromme Schar,
- In Hoffnung, bald sich selber zu erheben."
- Sprachs, und je heißer die Begierde war,
- Je mehr fühlt ich vom Tranke mich erquicken
- Und fühlte mich gestärkt und frei und klar.
- Virgil drauf: "Welche Netz euch hier umstricken,
- Wie ihr entschlüpft, was durch den Berg gezückt,
- Was Jubeltön empor die Seelen schicken,
- Das hat dein Wort mir deutlich ausgedrückt.
- Jetzt sage mir: Wer bist du einst gewesen?
- Und was hat hier so lang dich schwer gedrückt?"
- Drauf jener: "Damals, als das höchste Wesen,
- Das Blut zu rächen, das für schnödes Geld
- Judas verkauft, den Titus auserlesen,
- Da lebt ich mit dem Namen, der bei Welt
- Und Nachwelt gilt, geschmückt mit höchstem Preise,
- Doch war noch nicht vom Glaubenslicht erhellt.
- So süß war des klangreichen Geistes Weise,
- Daß Rom mich Tolosanen rief und hoch
- Mich ehrte mit verdientem Myrtenreise.
- Mich, Statius, nennt man jenseits heute noch.
- Von Theben hob ich, vom Achill gesungen,
- Bis unterwegs ich sank dem zweiten Joch.
- Auch meine Glut ist an der Flamm entsprungen,
- Der göttlichen, die Funken ausgesprüht
- Und Tausende mit ihrem Licht durchdrungen.
- Sie, die Äneis, ists, die mich durchglüht,
- Sie nur war Mutter, Amme mir im Dichten,
- Und ohne sie war ich umsonst bemüht.
- O hätt ich mit Virgil gelebt! Mit nichten
- Schien mirs zu schwer, ein Jahr lang, noch im Bann,
- Dafür auf die Befreiung zu verzichten."
- Bei diesen Worten sah Virgil mich an
- Mit einem Blick, der schweigend sagte: Schweige!
- Doch weil die Kraft, die will, nicht alles kann,
- Nicht hindern kann, daß sich die Seele zeige,
- Und, wie durch sie die jähe Regung blitzt,
- Trän oder Lächeln uns ins Antlitz steige,
- So blinkt ich lächelnd mit den Augen itzt,
- Drum sah mir jener, dem dies nicht entgangen,
- Ins Auge, wo das Bild der Seele sitzt.
- "So wie du mögst zum großen Ziel gelangen,"
- Begann er drauf, mir zugewandt, "So sprich:
- Was schwebt ein Lächeln jetzt um deine Wangen?"
- Nun zeigen hier und dorten Schlingen sich.
- Der heißt mich schweigen, jener, offenbaren.
- Ich seufze nur, doch man ergründet mich.
- "Du magst dir jetzt das längre Schweigen sparen,"
- Begann Virgil, "sprich nur, denn er beweist
- .Zu große Sehnsucht, alles zu erfahren."
- "Vielleicht wohl wunderts dich, du alter Geist,"
- Also begann ich jetzo, "daß ich lachte,
- Doch will ich, daß du mehr verwundert seist.
- Er, der mich aufwärts führt, wohin ich trachte,
- Es ist Virgil, der Quell, der deinen Sang
- Von Helden und von Göttern strömen machte.
- Glaubst du, das andrer Grund des Lachens Drang
- In mir erregt, magst du den Glauben lassen;
- Es war dein Wort, das mich zum Lachen zwang."
- Da neigt er sich, die Knie ihm zu umfassen,
- Zu meinem Hort, der sprach: "Laß, Bruder, laß!
- Wir sind ja Schatten beid und nicht zu fassen."
- Und er stand auf und sprach: "Du wirst das Maß
- Der Liebe, die mich an dich zieht begreifen,
- Da ich der Körper Mangel ganz vergaß
- Und Schatten sucht als Festes zu ergreifen."
- Zweiundzwanzigster Gesang
- Schon hinter uns geblieben war der Engel,
- Der unsern Schritt zum sechsten Kreis gekehrt
- Und mir getilgt ein Zeichen meiner Mängel.
- Sie, deren Wunsch Gerechtigkeit begehrt,
- Sie riefen: "Heil dem Dürstenden!" und schwiegen,
- Und ohne weitres war ihr Sinn erklärt.
- Ich, leichter als auf andern Felsenstiegen,
- Ging aufwärts, den behenden Geistern nach,
- Und sonder Mühe ward der Kreis erstiegen.
- "An Lieb, entzündet von der Tugend," sprach
- Mein Meister nun, "ist andre stets entglommen,
- Wenn sichtbar nur hervor die Flamme brach.
- Darum, seit Juvenal hinabgekommen
- Zum Höllenvorhof, und mit uns vereint,
- Von dem ich, wie du mich geliebt, vernommen,
- War ich in Liebe dir so wohlgemeint,
- Wie wir sie selten Niegesehnen weihen,
- So, daß nun kurz mir diese Stiege scheint.
- Doch sprich und wolle mir als Freund verzeihen,
- Löst mir zu große Sicherheit den Zaum,
- Und wolle Kunde mir als Freund verleihen:
- Wie fand der Geiz doch--ich begreif es kaum--
- Bei solcher Weisheit, wie dein eifrig Streben
- Errungen hat, in deinem Busen Raum?"
- Hier sah ich Lächeln jenes Mund umschweben,
- Dann sprach er: "Jedes Wort aus deinem Mund,
- Zeugts nur von Liebe, muß mir Freude geben.
- Oft werden uns von außen Dinge kund,
- Die falsche Zweifel in der Seel erregen,
- Weil tief verborgen ist ihr wahrer Grund.
- Du scheinst--die Frage zeigts--den Wahn zu hegen,
- Daß mich der Geiz auf Erden einst geplagt,
- Vielleicht weil ich in diesem Kreis gelegen.
- Jetzt wisse, daß ich ihm zu sehr entsagt,
- Und dieses Unmaß hab ich hier in Schlingen
- So viele tausend Monden lang beklagt.
- Dort unten müßt ich, Steine wälzend, ringen,
- Hätt ich dein zürnend Warnen nicht gehört:
- Zu was kannst du die Menschenbrust nicht zwingen.
- Verfluchter Durst nach Gold, der uns betört!--
- Die ernste Mahnung hört ich dich verkünden
- Und ward aus eitlen Träumen aufgestört.
- Daß nur zu offen meine Hände stünden,
- Dies ward mir nun in meinem Geiste klar,
- Mit Reu ob dieser und der andern Sünden.
- Wieviel erstehn einst mit verschnittnem Haar,
- Weil bis zum Tod sie nicht erkannt, daß Sühne
- Durch Reu auch diesem Fehler nötig war.
- Wisse, die Schuld, die auf des Lebens Bühne
- Sich einer andern grad entgegensetzt,
- Verliert zugleich mit ihr hier ihre Grüne.
- Drum sahst du mich bei jenen Scharen jetzt
- Der Reuigen, die einst der Geiz bezwungen;
- Drum hat das Gegenteil mich herversetzt."
- "Zur Zeit, da du der Waffen Graus gesungen.
- Die Jokasten Gram zu Gram gefügt,"
- Sprach jener, dem das Hirtenlied gelungen,
- "War, wenn, was Klio aus dir singt, nicht trügt,
- Nicht durch den Glauben noch dein Herz gelichtet,
- Bei dessen Mangel keine Tugend gnügt.
- Nun, welche Sonne hat die Nacht vernichtet,
- Welch irdisch Licht, daß du an deinem Kahn
- Die Segel dann, dem Fischer nach, gerichtet?"
- Und er: "Du zeigtest mir zuerst die Bahn
- Zu dem Parnaß und seinen süßen Quellen
- Und warst mein erstes Licht, um Gott zu nahn.
- Dem, der bei Nacht geht, warst du gleichzustellen,
- Dem seine Leuchte selbst kein Licht verleiht,
- Um hinter ihm die Straße zu erhellen,
- Indem du sprachst: Erneuert wird die Zeit,
- Ich seh ein neu Geschlecht vom Himmel steigen
- Und Ordnung herrschen und Gerechtigkeit.
- Durch dich ward mir der Ruhm des Dichters eigen,
- Durch dich ward ich den Christen beigesellt;
- Wie? Soll sich dir in klarem Bilde zeigen.
- Vom wahren Glauben schwanger war die Welt
- Schon überall; es streuten diesen Samen
- Die Boten ewgen Reichs ins weite Feld.
- Mit deinem oft berührten Worte kamen
- Die neuen Predger sämtlich überein,
- Drum folgt ich denen, die ihr Wort vernahmen.
- Sie schienen mir so heilig und so rein--
- Und als sie Domitian verfolgte, machten
- Mich weinen ihre Klag und ihre Pein.
- Und ihnen beizustehn war all mein Trachten,
- Da mir so redlich ihre Sitt erschien;
- All andre Sekten mußt ich drum verachten.
- Eh dichtend, ich an Thebens Flüsse ziehn
- Die Griechen ließ, hatt ich die Tauf empfangen,
- Obwohl ich äußerlich als Heid erschien,
- Und ein versteckter Christ verblieb aus Bangen;
- Und ob der Lauheit hab ich mehr als vier
- Jahrhunderte den vierten Kreis umgangen.
- Sprich jetzo du, der du den Schleier mit
- Gehoben hast vom Heile, das ich preise,
- Denn Zeit genug beim Steigen haben wir:
- Wo Freund Terenz, wo Varro ist, der Weise,
- Cäcilius, Plautus?--sprich, ich bitte sehr,
- Ob sie verdammt sind und in welchem Kreise?"
- "Sie, ich und mancher sonst," erwidert er,
- "Wir sind beim Griechen, jenem blinden Alten,
- Den Musenmilch getränkt, wie keinen mehr,
- Im ersten Kreis der blinden Haft enthalten;
- Oft sprachen wir von jenem Berge schon,
- Wo unsre süßen Nährerinnen walten.
- Dort ist Euripides, Anakreon
- Mit vielen Griechen, die der Lorbeer krönte,
- Mit dem Simonides und Agathon.
- Auch sie, von welchen einst dein Lied ertönte,
- Antigone, Ismene, so gebeugt,
- Wie einst, da sie um den Verlobten stöhnte.
- Auch jene, die das Kind, das sie gesäugt,
- Rückkehrend von Langia, tot gefunden,
- Und Daphne, von Tiresias erzeugt."
- Die Dichter schwiegen beide jetzt und stunden,
- Vom Steigen frei und von der Felsenwand,
- Und sahn umher, das Weitre zu erkunden.
- Die fünfte Dienerin des Tages stand
- Am Wagen schon, um seinen Lauf zu leiten,
- Der Deichsel Flammenspitz emporgewandt.
- "Wir kehren, denk ich, unsre rechten Seiten",
- Begann mein Herr, "zum freien Rande hin,
- Um, wie wir pflegen, um den Berg zu schreiten."
- So ward Gewohnheit unsre Führerin;
- Auch Statius winkte Beifall dem Genossen,
- Drum gingen wir mit sorgenfreiem Sinn,
- Sie mir voraus, ich einsam, unverdrossen,
- Ging hinterdrein, den Reden horchend, fort,
- Die meinem Geist der Dichtung Tief erschlossen.
- Doch machte bald der Dichter süßes Wort
- Ein Baum mit würzig duftgen Äpfeln schweigen.
- Inmitten unsers Weges stand er dort;
- Und wie die Tann aufwärts, von Zweig zu Zweigen
- Sich enger abstuft, so von Sproß zu Sproß
- Er niederwärts, erschwerend das Ersteigen.
- Auf jener Seite, wo der Weg sich schloß,
- Fiel klares Naß vom hohen Felsensaume,
- Das auf die Blätter sprühend sich ergoß.
- Da nahte sich das Dichterpaar dem Baume,
- Aus dessen Zweigen eine Stimm erscholl:
- "Die Speise hier wird teuer eurem Gaume."
- "Der Hochzeit nur, um ganz und ehrenvoll
- Sie auszurichten, galt Marias Sinnen,
- Nicht ihrem Mund, der für euch sprechen soll.
- Nur Wasser tranken einst die Römerinnen;
- Nicht Königskost hat Daniel gewollt,
- Um reichen Schatz der Weisheit zu gewinnen.
- Die Urzeit war so schön wie lautres Gold,
- Als Eichen noch dem Hunger leckre Speisen
- Und Nektar jeder Bach dem Durst gezollt.
- Heuschrecken hat und Honig einst zu speisen
- Der Täufer in der Wüste nicht verschmäht,
- Und hoch und herrlich ist er drob zu preisen,
- Wies offenbart im Evangelium steht."
- Dreiundzwanzigster Gesang
- Indes ins Laubwerk meine Blicke drangen,
- So scharf und spähend, wie sie einer spannt,
- Der seine Zeit verliert mit Vogelfangen,
- Rief er, der mehr als Vatersorg empfand:
- "Sohn, komm. Die Zeit, die uns verliehn zum Reisen,
- Sei eingeteilt und nützlicher verwandt."
- Schnell wandt ich Blick und Schritt zu beiden Weisen,
- Die also sprachen, daß zum leichten Gang
- Die Mühe ward, den Felsen zu umkreisen.
- Sieh, da erklangen Klagen und Gesang:
- "Herr, meine Lippen," klangs mit einem Stöhnen,
- Das mich zugleich mit Lust und Leid durchdrang.
- "Mein süßer Vater, welche Stimmen tönen?"
- Ich riefs, und er drauf: "Schatten sinds, die nun
- Für einst versäumte Pflicht den Herrn versöhnen."
- Wie unterweges eilge Wandrer tun,
- Die Leut einholen, welche sie nicht kennen,
- Und sich zwar umsehn, doch nicht stehn und ruhn;
- So kam jetzt hinter uns in schnellerm Rennen
- Ein frommer Haufe, lief vorbei und schaut
- Uns staunend an, um schweigend fortzurennen.
- Die Augen tief und hohl und nachtumgraut,
- Erschienen sie, die Hagern, die Erblaßten,
- Die Knochen alle sichtbar durch die Haut.
- So mager, glaub ich, war nach langem Fasten,
- So ausgetrocknet nicht Erisichthon,
- Als nun sein eignes Fleisch die Zähn erfaßten.
- Sie gleichen jenen, dacht ich, da sie flohn,
- Die einst Jerusalem verloren haben,
- Wo selbst die Mutter fraß den eignen Sohn.
- Tief war das Aug in seinem Rund vergraben,
- Das einem Ringe sonder Gemme glich,
- Und Nas und rings die Knochen scharf erhaben.
- Daß eines Apfels Duft so jämmerlich
- Zurichten könn und Duft von einer Quelle,
- Begier erzeugend, wer wohl dächt es sich?
- Schon staunt ich, wie der Hunger sie entstelle,
- Indem ich noch die Ursach nicht verstund,
- Von ihrem magern Leib und traurgem Felle.
- Da sah ich, wie aus seines Hauptes Grund
- Ein Geist auf mich die Augen forschend richte,
- Der ausrief: Welche Gnade wird mir kund?
- Nie hätt ich ihn erkannt am Angesichte,
- Doch durch die Stimme ward mir offenbart,
- Wie Hunger Ansehn und Gestalt vernichte.
- Und dieser Funke machte völlig klar
- Mir die Erinnrung, daß ich sein gedachte,
- Und sah, daß dies Foreses Antlitz war.
- Und er begann nun flehend: "Ach, verachte
- Die dürre Haut nicht, noch mein blaß Gesicht,
- Ob auch die Schuld um alles Fleisch mich brachte.
- Gib wahrhaft mir von deinem Los Bericht,
- Und von den zwein, die bei dir sind--ich flehe!--
- Verweigre mir erwünschte Kunde nicht."
- "Dein Angesicht, bei dem mit tiefem Wehe,"
- Begann ich, "als ichs tot sah, ich geklagt,
- Betrübt mich mehr, da ichs so hager sehe.
- Drum sprich, bei Gott, was so dein Laub zernagt.
- Nicht wolle, daß ich, weil ich staun, erzähle,
- Denn übel spricht, wen selbst die Neugier plagt."--
- "Vom ewgen Rat", so sprach Foreses Seele,
- "Sinkt eine Kraft, die Bach und Baum durchdringt,
- Durch die ich hier mich abgemagert quäle.
- Sie ists, die jeden, der hier weinend singt,
- Zur Heiligkeit vom wüsten Schwelgerleben
- Durch Hunger und durch Durst zurückebringt.
- Der Duft, den jene Früchte von sich geben,
- Der Quell auch, der sie netzt, entflammt der Brust
- Nach Speis und Trank ein nie gestilltes Streben.
- Sooft im Kreis wir dorthin ziehn gemußt,
- Wird immer diese Pein in uns erneuert.
- Ich sage Pein und sollte sagen: Lust,
- Weil nach dem Baum uns jener Drang befeuert,
- Der Christum froh dahin zum Kreuz gebracht,
- Wo unsrer Schmach sein teures Blut gesteuert."
- Drauf ich: "Forese, seit du jene Nacht
- Vertauscht mit diesem bessern Leben, zählte
- Man nur fünf Jahr, die kaum den Lauf vollbracht.
- Wenn dir die Kraft zu sündgen eher fehlte,
- Als du durchdrungen warst von gutem Leid,
- Das stets die Seele neu mit Gott vermählte,
- Wie stiegst du in so kurzer Frist so weit?
- Dort unten dich zu finden mußt ich meinen,
- Wo man verlorne Zeit ersetzt durch Zeit."
- Und er: "Zum süßen Wermutstrank der Peinen
- Hat mich befördert meiner Nella Fleiß
- In frommem Flehn und ihr unendlich Weinen.
- Denn ihr Gebet, ihr Stöhnen fromm und heiß,
- Hat mich der Küste, wo man harrt, entzogen
- Und mich befreit aus jedem andern Kreis.
- Ihr. die ich so geliebt, ist Gott gewogen,
- Weil sie, der nur der Tugend Reiz gefällt,
- Sich ganz vom Pfad der andern abgezogen.
- Der Sarden rohes Bergesland enthält
- Mehr Scham und Sitte noch in feinen Frauen
- Als das, wo ich sie ließ in jener Welt.
- O süßer Bruder, soll ich dirs vertrauen?
- Ich glaube schon die Zukunft, der das Heut
- Nicht alt erscheinen wird, vor mir zu schauen,
- Wo man den frechen Fraun, die ungescheut
- Den Busen mit den Brüsten offenbaren,
- Dies von der Kanzel in Florenz verbeut.
- Wann mußten Fraun von Türken und Barbaren,
- Um mit bedeckter Brust einherzugehn,
- Von Staat und Kirche Rügen erst erfahren?
- Doch könnten nur die Unverschämten sehn,
- Was ihnen schon der Himmel vorbereitet,
- Sie wurden heulend, offnen Mundes, stehn.
- Sie jammern, wenn kein Wahn mich hier verleitet,
- Eh auf des Wange, der jetzt eingelullt
- Von Eipopeia wird, sich Flaum verbreitet.
- Jetzt sprich von dir und zahle mir die Schuld.
- Sieh alle, die dorthin die Augen lenken,
- Wo du die Sonne deckst, voll Ungeduld."
- Und ich versetzt ihm: "Willst du des gedenken,
- Was du mit mir einst warst, und ich mit dir,
- So wird noch jetzt dich die Erinnrung kränken.
- Vor kurzem hat von dort er, der vor mir
- Als Führer geht, mich mit sich fortgenommen,
- Als rund euch schien der Bruder dieser hier."
- --Die Sonne zeigt ich--"Mir zum Heil und Frommen
- Bin ich durch wahren Todes tiefe Nacht
- Mit ihm in diesem wahren Fleisch gekommen.
- Er hat im Kreislauf mich emporgebracht
- Zu diesem Berg, wo die sich grad erheben,
- Die einst das Erdenleben krumm gemacht.
- Er wird mir sein Geleit so lange geben,
- Bis ich gelangt zu Beatricen bin;
- Ohn ihn dann muß ich weiter aufwärts streben.
- Es ist Virgil"--hier zeigt ich nach ihm hin--
- "Sieh auch den andern und erkenne diesen
- Als den, ob des der Berg gebebt vorhin,
- Da euer Reich ihn von sich weggewiesen."
- Vierundzwanzigster Gesang
- Nicht hemmt uns Gehn im Reden, Red im Gehn;
- Der Lauf ging beim Gespräch so rasch vonstatten,
- Wie eines Schiffs bei guten Windes Wehn.
- Und die, wies schien, zweimal gestorbnen Schatten,
- Sie sogen Staunen durch die Augen ein,
- Da sie bemerkt mein irdisch Leben hatten.
- "Wohl eilger", sprach ich weiter, "würd er sein,
- Zum Platz zu ziehn, der dort ihm angewiesen,
- War er nicht aufgehalten von uns zwein.
- Doch sprich, wo ist Piccarda? Wer von diesen,
- Von welchen jeder Blick jetzt auf mir ruht,
- Ward durch den Ruf im Leben einst gepriesen?"
- "Sie, meine Schwester, einst so schön als gut,
- Trägt dort, wo wir das ewge Licht erkennen,
- Die Krone des Triumphs mit heiterm Mut."
- Sprachs, und darauf: "Hier darf man alle nennen,
- Denn, vom heilsamen Fasten abgezehrt,
- Würd einer sonst den andern nimmer kennen.
- Sieh dort"--er sprachs, den Finger hingekehrt--
- "Den Buonagiunta; sieh dort den Erblaßten,
- Vom Hunger mehr als jeden sonst, verheert,
- Des Arme dort die heilge Kirch umfaßten.
- Er war von Tours und büßt hier manchen Schmaus
- Von weinersäuften Aal mit schwerem Fasten."
- Noch wählt er manchen von der Schar heraus
- Und nannt ihn mir, was jeden sehr erfreute,
- Und keiner sah drum trüb und finster aus.
- Ich Sah den Bonifaz, der viel Leute
- Mit Pfründenfett geatzt; den Ubaldin,
- Der an den Zähnen selbst vor Hunger käute;
- Sah den Marchese, den, trotz allem Ziehn
- Aus seinem Krug, der Durst nur ärger brannte,
- Und dem der Mund beständig trocken schien.
- Doch wie, wer viel sah, eins nur wählt. So wandte
- Ich mein Gesicht nun zu dem Buonagiunt,
- Der, wie es schien, mich dort am besten kannte.
- Er murmelt in sich, und von seinem Mund,
- An dem sich hier der Schlemmer Sünden rächen,
- Ward etwas wie das Wort Gentucca kund.
- Ich sprach: "Der du das Schweigen abzubrechen
- So lüstern scheinst, sprich so, daß mans versteht,
- Und dich und mich befriedige dein Sprechen."
- Drauf er: "Ein Weib, das noch entschleiert geht,
- Gibt dir dereinst an meiner Stadt Behagen,
- So sehr man diese Stadt auch immer schmäht.
- Du wirst dorthin die Rede mit dir tragen,
- Und trog mein Murmeln dich, in kurzer Zeit
- Wird dir die Wirklichkeit er klarer sagen.
- Doch sprich, erblick ich den in meinem Leid,
- Der jene neuen Weisen fand, beginnend:
- Ihr Fraun, die ihr der Liebe kundig seid."
- Drauf ich: "Dem Hauch der Liebe lausch ich sinnend;
- Was sie mir immer vorspricht, nehm ich wahr
- Und schreib es nach, nichts aus mir selbst ersinnend."
- "Die Schlinge, Bruder," sprach er, "seh ich klar,
- Die von dem neuen süßen Stil gehalten
- Mich diesseits hat, Guitton und den Notar.
- Ich seh, ihr lasset nur die Liebe walten,
- Und eure Feder folgt, wie sie gebeut,
- Wir aber ließen sie nicht also schalten.
- Wer, Beifall suchend, keck sie überbeut,
- Gibt Schwulst, statt des, was euch Natur verliehen."
- Er schwieg und schien befriedigt und erfreut.
- Wie Vögel, die zum Nil im Winter ziehen,
- Sich oft versammeln in gedrängtem Hauf
- Und schneller dann in Streifen weiterfliehen;
- So machten alle dort sich wieder auf,
- Die, abgewandt, sich eilig fort begaben,
- Durch Magerkeit und Willen leicht zum Lauf.
- Und gleich wie einer, atemlos vom Traben,
- Die andern läßt, um ganz gemach zu gehn,
- Bis ausgeschnauft die heißen Laugen haben,
- So war es mit Forese jetzt geschehn;
- Er, hinter mir, ließ ziehn die heilge Herde
- Und sprach: "Wann werd ich wohl dich wiedersehn?"
- "Nicht weiß ich es. Doch glaub ich, daß der Erde",
- Versetzt ich, "nicht so schnell mein Geist entfleugt,
- Als ich nach diesem Strand mich sehnen werde.
- Denn seh ich dort den Ort, der mich erzeugt,
- Tagtäglich mehr vom Guten sich entblößen
- Und jämmerlich bereits zum Sturz gebeugt!"
- Und er: "Jetzt geh, den Stifter alles Bösen
- Seh ich am Schweif des Pferds geschleppt zum Ort,
- Von welchem Reu und Tränen nie erlösen.
- Stets schneller geht der Lauf des Tieres fort,
- Und endlich läßts den Leib des Jammervollen
- Zerstampft, entstellt, ein widrig Scheusal, dort.
- Nicht lange werden diese Kreise rollen"
- --Zum Himmel blickt er auf--"und klar wird dir,
- Was dämmernd nur mein Wort dir zeigen sollen.
- Du bleibe jetzt; die Zeit ist teuer hier,
- Und daß ich gleichen Schritts mit dir gegangen,
- Dies kostet mich bereits zuviel von ihr."
- Wie einer, wenn die Reiter vorwärts drangen,
- Hervorsprengt aus der Reih, in der er ritt,
- Den Ruhm des ersten Angriffs zu erlangen,
- So trennt er sich von uns mit größerm Schritt,
- Indes ich hinter ihm mit meinem Horte
- Und mit dem andern Meister weiterschritt.
- Schon war er vor uns an so fernem Orte,
- Daß ihm mein Blick dahin durch weiten Raum,
- Wie die Erinnrung folgte seinem Worte;
- Als wir voll Obstes einen andern Baum
- Mit üppigem Gezweig nicht fern entdeckten,
- Da wir uns bogen um des Kreises Saum.
- Und Leute, die hinauf die Hände streckten,
- Schrien auf zum Laub, das in die Lüfte steigt,
- Den Kindlein gleich, den gierigen, geneckten,
- Die bitten, während der Gebetne schweigt,
- Und, um zu schärfen die Begier, ihr Sehnen
- Hoch hinhält und es frei und offen zeigt.
- Dann gingen sie, geheilt vom eitlen Wähnen;
- Wir aber schritten zu dem Baum heran,
- Der alle Bitten abweist, alle Tränen.
- "Vorüber schreitet, denn ihr dürft nicht nahn!
- Der Baum, der Even reizt, ist weiter oben.
- Von ihm hat dieser seinen Keim empfahn."
- So sprach, ich weiß nicht wer, vom Baume droben,
- Weshalb Virgil mit Statius, engverschränkt,
- Und mir hinging, wo sich die Felsen hoben.
- "An die verfluchten Wolkensöhne denkt,"
- Sprachs, "die dem Theseus mit den Doppelbrüsten
- Im Kampf getrotzt, von zuviel Wein getränkt.
- An die Hebräer denkt und ihr Gelüsten,
- Und denkt, weshalb verschmäht hat Gideon,
- Mit ihnen gegen Midian sich zu rüsten."
- So gingen wir, dem Felsen nah, davon,
- Und hörten aus des Laubs geheimer Regung
- Des Gaumens Schuld und ihren schlechten Lohn.
- Dann aber gings mit freierer Bewegung
- Auf breitem Pfad an laufend Schritte fort,
- Und jeder schwieg in sinniger Erwägung.
- "Was geht ihr drei so ernst erwägend dort?"
- Riefs plötzlich nun, ich aber fuhr zusammen,
- Gleich einem scheuen Roß, bei diesem Wort.
- Mein Haupt kehrt ich dorthin, woher zu stammen
- Die Rede schien, und sah in rotem Schein
- Glas und Metall nie so im Ofen flammen,
- Wie einen hier, der sprach: "Hier geht ihr ein,
- Wollt ihr empor zur freien Höhe kommen,
- Und im Genuß des ewgen Friedens sein."
- Mir hatte das Gesicht sein Glanz benommen,
- Drum wandt ich mich zu meinen Führern hin,
- Wie wer dem folgt, was er durchs Ohr vernommen.
- Und wie des Morgenrots Verkünderin,
- Die, Düfte raubend, in den Blüten wühlte,
- Die Mailuft, weht, die süße Schmeichlerin,
- So fühlt ich an der Stirn ein Wehn, so fühlte
- Ich ein Gefieder, sanft bewegt, das mir
- Das Antlitz mit Ambrosiadüften kühlte.
- Und dann erklang dies Wort: "O selig ihr,
- Die ihr die Gnad empfingt, daß unverdüstert
- Des Geistes Licht euch bleibt von der Begier,
- Indem euch nur, wies ziemt, nach Speise lüstert."
- Fünfundzwanzigster Gesang
- Die Stund erheischte rasches Steigen schon,
- Nachdem die Sonne hier den Mittagsbogen
- Dem Stier geräumt, dort Nacht dem Skorpion.
- Drum, wie ein Mann, der, von nichts angezogen,
- Was sich auch zeige, seines Weges zieht
- Vom Drang der Not zu größter Eil bewogen,
- So drangen wir ins höhere Gebiet
- Durch eine Stiege, die uns so beschränkte,
- Daß uns die Enge voneinander schied.
- Und wie ein Störchlein, das die Flügel schwenkte,
- Aus Luft zum Flug, dann aber, sonder Mut,
- Vom Neste fortzuziehn, sie wieder senkte,
- So ich, bald lodernd, bald verlöscht die Glut
- Der Fragelust, das Antlitz also zeigend,
- Wie der, der sich zum Sprechen anschickt, tut.
- Da sprach mein Herr, obwohl voll Eifer steigend:
- "Laß nicht der Rede Pfeil unabgeschnellt,
- Die Sehne nur bis hin zum Drücker beugend."
- Worauf ich, sicher durch dies Wort gestellt,
- Den Mund erschloß: "Wie wird man hier so mager,
- Hier, wo kein Leib ist, welchen Speis erhält?"
- Drauf er: "Gedächtest du an Meleager,
- Der eben, wie verzehrt ein Holzbrand ward,
- Sich abgezehrt, du wärst kein solcher Frager.
- Und dächtest du, wie gleich an Mien und Art
- Sich euer Antlitz regt in Spiegelbildern,
- Dann schiene lind und weich dir, was jetzt hart.
- Allein um alles dir nach Wunsch zu schildern,
- Sieh hier den Statius, welcher dir verspricht,
- Weil ich ihn bitte, deinen Durst zu mildern."
- "Entwickl ich ihm das göttliche Gericht,"
- Sprach Statius drauf, "hier, wo du gegenwärtig,
- So seis verziehn--du willst, drum weigr ich nicht."
- Und dann: "Jetzt sei dein Geist bereit und fertig
- Für meine Rede, Sohn--dann sei des Wie?
- Das du erfragst, in vollem Licht gewärtig.
- Das reinste Blut, das von den Adern nie
- Getrunken wird, vergleichbar einer Speise,
- Die über den Bedarf Natur verlieh,
- Empfängt im Herzen wunderbarerweise
- Die Bildungskraft für menschliche Gestalt,
- Geht dann mit dieser durch der Adern Kreise,
- Noch mehr verkocht, zu einem Aufenthalt,
- Den man nicht nennt, von wos zu anderm Blute
- In ein natürlich Becken überwallt.
- Daß beides zum Gebild zusammenflute,
- Ist leidend dies, und tätig das, vom Ort,
- In dem die hohe Bildungskraft beruhte.
- Drin angelangt, beginnts sein Wirken dort;
- Geronnen erst, erzeugt es junges Leben
- Und schreitet in des Stoffs Verdichtung fort.
- Die Seel entsteht aus tätger Kräfte Streben,
- Wie die der Pflanze, die schon stillesteht,
- Wenn jene kaum beginnt, sich zu erheben.
- Bewegung zeigt sich dann, Gefühl entsteht,
- Wie in dem Schwamm des Meers, und zu entfalten
- Beginnt die tätge Kraft, was sie gesät.
- Nun beugt, nun dehnt die Frucht sich aus, beim Walten
- Der Kraft des Zeugenden, die, nie verwirrt
- Von fremdem Trieb, nur ist, um zu gestalten.
- Doch, Sohn, wie nun das Tier zum Menschen wird,
- Noch siehst dus nicht, und dies ist eine Lehre,
- Worin ein Weiserer als du geirrt.
- Er war der Meinung, von der Seele wäre
- Gesondert die Vernunft, weil kein Organ
- Die Äußerung der letztern uns erkläre.
- Jetzt sei dein Herz der Wahrheit aufgetan,
- Damit dein Geist, was folgen wird, bemerke!
- Wenn Bildung das Gehirn der Frucht empfahn,
- Kehrt, froh ob der Natur kunstvollem Werke,
- Zu ihr der Schöpfer sich und haucht den Geist,
- Den neuen Geist ihr ein, von solcher Stärke,
- Daß er, was tätig dort ist, an sich reißt,
- Und mit ihm sich vereint zu einer Seele,
- Die lebt und fühlt und in sich wogt und kreist.
- Und, daß dirs nicht an hellerm Lichte fehle,
- So denke nur, wie sich zum edlen Wein
- Die Sonnenglut dem Rebensaft vermalte.
- Gebricht es dann der Lachesis an Lein,
- Dann trägt sie mit sich aus des Leibes Hülle
- Des Menschlichen und Göttlichen Verein;
- Die andern Kräfte sämtlich stumm und stille,
- Doch schärfer als vorher in Macht und Tat,
- Erinnerung, Verstandeskraft und Wille.
- Und ohne Säumen fällt sie am Gestad,
- An dem, an jenem, wunderbarlich nieder,
- Und hier erkennt sie erst den weitern Pfad.
- Kaum ist sie nun auf sicherm Orte wieder,
- Da strahlt die Bildungskraft rings um sie her,
- So hell wie einst beim Leben ihrer Glieder.
- Und wie die Luft, vom Regen feucht und Schwer.
- Sich glänzend schmückt mit buntem Farbenbogen
- Im Widerglanz vom Sonnenfeuermeer;
- So jetzt die Lüfte, so die Seel umwogen,
- Worein die Bildungskraft ein Bildnis prägt,
- Sobald die Seel an jenen Strand gezogen.
- Und gleich der Flamme, die sich nachbewegt,
- Wo irgendhin des Feuers Pfade gehen,
- So folgt die Form, wohin der Geist sie trägt.
- Sieh daher die Erscheinung dann entstehen,
- Die Schatten heißt; so bildet sich in ihr
- Jedwed Gefühl, das Hören und das Sehen.
- Und daher sprechen, daher lachen wir,
- Und daher weinen wir die bittern Zähren
- Und seufzen laut auf unserm Berge hier.
- Der Schatten bildet sich, je wie Begehren
- Und Leidenschaft uns reizt und Lust und Gram.
- Dies mag dir, was du angestaunt, erklären."
- Und schon als ich zur letzten Marter kam,
- Indem wir, rechts gewandt, die Schlucht verließen,
- Ward ich auf das, was dort war, aufmerksam.
- Den Felsen sah ich Flammen vorwärts schießen,
- Der Vorsprung aber haucht empor zur Wand
- Windstöße, die zurück die Flammen stießen.
- Wir mußten einzeln gehn am freien Rand,
- Und ängstlich hört ich hier die Flamme schwirren,
- Indes sich dort ein tiefer Abgrund fand.
- Mein Führer sprach: "Hier laß dich nichts verwirren
- Und halte straff der schnellen Augen Zaum,
- Denn leicht ists hier, mit einem Tritt zu irren."
- Gott höchster Gnade! hört ichs aus dem Raum,
- Den jene große Glut erfüllte, singen
- Und hielt den Blick an meinem Wege kaum.
- Ich sah dort Geister, die durchs Feuer gingen,
- Und sah auf meinen bald, bald ihren Gang
- Und ließ den Blick von hier nach dorten springen.
- Ich weiß von keinem Mann--dies Wort erklang
- Mit lautem Ruf, als jenes Lied verklungen,
- Und neu begannen sies mit leisem Sang,
- Und riefen wieder, als sies ausgesungen:
- "Diana blieb im Hain und jagt ergrimmt
- Kalisto fort, die Venus Gift durchdrungen."
- Dann ward die Hymne wieder angestimmt,
- Dann riefen sie von keuschen Fraun und Gatten,
- Die lebten, wies zu Eh und Tugend stimmt.
- Und dies nur tun sie, ohne zu ermatten,
- Wies scheint, solang die Flamme sie umfließt,
- Bis solche Pfleg und Arzenei den Schatten
- Zuletzt die Wund auf ewig wieder schließt.
- Sechsundzwanzigster Gesang
- Indem wir, einer so dem andern nach,
- Am Rand hingingen, sprach mein treu Geleite:
- "Gib acht und nütze, was ich warnend sprach."
- Die Sonne schlug auf meine rechte Seite
- Und übergoß, ein blendend Strahlenmeer,
- Mit lichtem Weiß des Westens blaue Weite.
- In meinem Schatten schien die Glut noch mehr
- Hochrot zu glühn, drum sahn bei solchem Zeichen
- Der Schatten viel im Gehen nach mir her.
- Und dieses schien zum Anlaß zu gereichen,
- Daß über mich sich ein Gespräch erhob:
- " Der scheinet einem Scheinleib nicht zu gleichen."
- Soviel sie konnten, richteten sie drob
- Sich zu mir hin, doch immer wohl beachtend,
- Daß nie ihr Fuß der Flamme sich enthob.
- "Du, der du wohl, sie ehrerbietig achtend,
- Und nicht aus Trägheit nachgehst diesen zwein,
- Oh, sieh mich hier in Durst und Feuer schmachtend
- Und sprich, uns allen Labung zu verleihn;
- Denn wie wir jetzt nach deinem Wort verlangen,
- Kann durstger nach dem Quell kein Libyer sein.
- Wie machst dus doch, die Strahlen aufzufangen,
- Gleich einer Wand, als wärest du dem Tod
- Bis jetzt noch nicht, wie wir, ins Netz gegangen."
- So rief der ein in seiner Flammennot,
- Und eben wollt ich alles ihm verkünden,
- Als meinem Blick sich etwas Neues bot.
- Denn auf dem Weg, den Flammen rings entzünden,
- Entgegen jenen, kam ein zweiter Hauf,
- Drum späht ich hin, das Weitre zu ergründen.
- Und die und jene machten schnell sich auf
- Und küßten sich mit kurzer Lust und waren
- Zufrieden schon und flohn im vollen Lauf.
- So sieht man im Gewühl der braunen Scharen
- Sich Äms und Ämse mit den Rüsseln nahn,
- Vielleicht: Wies geht? Wes Weges? zu erfahren,
- Sobald der Gruß der Freundschaft abgetan,
- Hob, eh sie weiterzog, nach kurzer Weile
- Die Schar wetteifernd laut zu schreien an.
- "Sodom! Gomorra!" klangs von diesem Teile;
- Von dort: "Pasiphae kroch in die Kuh,
- Und also lockt an sich den Stier die Geile."
- Wie Kranichscharen teils nach kurzer Ruh
- Gen Libyen fliegen, scheu vor Frost und Eise,
- Teils scheu vor Hitze den Riphäen zu,
- So ziehn die hier-, die dortenhin im Kreise
- Und singen dann ihr Lied mit Reu und Gram
- Und schrein von ihrer Schuld nach alter Weise.
- Doch jener, der vorhin mir näher kam
- Und bat, blieb wieder mit den andern stehen,
- Dem Ansehn nach herhorchend, aufmerksam.
- Ich, der ich zweimal ihren Wunsch ersehen,
- Begann: "O ihr, die Hoffnung aufrechthält,
- Seis, wann es sei, zum Frieden einzugehen,
- Nicht reif noch unreif ließ ich auf der Welt
- Den Leib zurück und hob auf diesen Wegen
- Mit Fleisch und Bein und Blut mich eingestellt.
- Ich stieg empor, die Blindheit abzulegen,
- Und geh--ein Himmelsweib erfleht es mir--
- Mit dem, was sterblich ist, dem Licht entgegen.
- Doch wie sich euch erfüllen mag, was ihr
- So heiß ersehnt: zum Himmel euch zu Schwingen,
- Dem lieberfüllten räumigen Revier;
- So sprecht, ich wills zu aller Kunde bringen:
- Wer seid dort ihr, um die die Flamme schwirrt,
- Und wer sind die, die euch entgegengingen?"
- So stutzt, erstaunt, verblüfft, der Bergeshirt,
- Dem beim Umherschaun selbst die Worte fehlen,
- Wenn, roh und wild, er sich zur Stadt verirrt,
- Wie sie--ihr Ansehn könnt es nicht verhehlen--
- Allein sobald ihr trübes Staunen schwand,
- Das bald sich abklärt in erhabnen Seelen,
- "Heil dir, des Fuß den Weg in unser Land,"
- Sprach er, den ich aus frührer Frage kannte,
- "Des Geist zur Besserung Erfahrung fand!
- Vernimm, daß jene Schar im Trieb entbrannte,
- Ob des man Cäsarn, so, daß ers gehört,
- Einst beim Triumphe Königin benannte,
- Drum schrien sie: Sodom!--was sie einst betört,
- Voll Reue tadelnd, wie du jetzt vernommen;
- So wird der Brand durch Scham noch aufgestört.
- Im Zwittertriebe waren wir entglommen,
- Doch weil wir menschliches Gesetz verlacht,
- Von tierischen Gelüsten eingenommen.
- Drum rufen wir, auf eigne Schmach bedacht,
- Des Weibes Namen aus, wenn wir uns trennen,
- Das sich im Viehgebild zum Vieh gemacht.
- Nun hortest du mich unsre Schuld bekennen,
- Doch unsre Namen kundzutun verbeut
- Die Zeit; auch wüßt ich alle nicht zu nennen.
- Wer ich bin, höre, wenn es dich erfreut.
- Guid Guinicell, zur Läutrung zugelassen,
- Weil ich vor meinem Tod die Schuld bereut."--
- Wie hergestürzt, die Mutter zu umfassen,
- Die Söhne, da sein Schwert Lykurgus schwang,
- So wollt ich tun, doch mußt ich mehr mich fassen,
- Als meines Vaters Name mir erklang,
- Des Vaters manches, der vom süßen Minnen
- Besser als ich in holden Weisen sang.
- Ich ging und sah ihn an in tiefem Sinnen
- Und sagte nichts und hörte keinen Laut,
- Auch ließ die Glut nicht weiter mich nach innen.
- Doch als ich satt mich dann an ihm geschaut,
- Erbot ich mich, in allem ihm zu dienen,
- In solcher Art, der gern der andre traut.
- Und er: "Wie du so freundlich mir erschienen.
- Tilgt deine Spur in mir nicht Leibes Flut,
- Und ewig wirst du meinen Dank verdienen.
- Doch meinst dus wirklich denn mit mir so gut,
- So sprich, warum? Sprich, weshalb eben wieder
- So liebevoll auf mir dein Auge ruht?"
- Und ich darauf: "Ob deiner süßen Lieder,
- Die teuer sind den Herzen fort und fort,
- Sinkt nicht der neuern Sprache ganz danieder."
- "Ach, Bruder," sprach er, und bei diesem Wort
- Zeigt er mit seinem Finger hin auf einen,
- "Der Sprache bessrer Schmied war jener dort,
- Der in Romanz und Liebesliedern keinen
- Unüberwunden ließ; und Toren sind,
- Die ihn von Giraut übertroffen meinen.
- Nicht nach der Wahrheit--nach des Rufes Wind
- Gerichtet werden Meinung und Gesichter;
- So läßt Vernunft und Kunst sie taub und blind.
- So machtens mit Guitton viel alte Richter,
- Des Lob so viele schrien, weil andre schrien,
- Bis Wahrheit ihn besiegt und andre Dichter.
- Jetzt, wenn so weites Vorrecht dir verliehn,
- Daß dirs erlaubt ist, zu dem Kloster droben,
- Wo Christus selber Abt ist, hinzuziehn,
- So bet ein Paternoster doch dort oben
- Bei ihm für mich, soweits in dieser Welt
- Noch not für uns, die wir der Sünd enthoben."
- Drauf schwand er, jenem, der sich nah gestellt,
- Vielleicht Platz machend, in der Flammen Röte,
- Wie in der Flut ein Fisch, der niederschnellt.
- Und dem Gewiesnen naht ich mich und flehte
- Ihn inniglich um seinen Namen an,
- Dem schon Willkommen! meine Sehnsucht böte.
- Worauf er gleich mit frohem Mut begann:
- "Die edle Frage weißt du zu verschönen,
- Daß ich mich bergen weder will noch kann.
- Ich bin Arnald und geh in Schmerz und Stöhnen,
- Den Wahn erkennend der Vergangenheit,
- Und singe, hoffend, dann in Jubeltönen.
- Jetzt bitt ich dich, hast du die Herrlichkeit
- Auf dieses Berges Gipfel aufgefunden,
- Dann denke meines Leids zur rechten Zeit."
- Hier war er in der Läutrungsglut verschwunden.
- Siebenundzwanzigster Gesang
- Wie wenn der erste Strahl vom jungen Tage
- Im Lande glänzt, benetzt von Gottes Blut,
- Wenn Ebro hinfließt unter hoher Wage.
- Und Mittagshitz erwärmt des Ganges Flut,
- So stand die Sonn itzt, drob der Tag entflohe,
- Als uns ein Engel glänzt in heitrer Glut.
- Er sang am Felsrand, außerhalb der Lohe:
- "Beglückt, die reines Herzens sind!"--und mehr
- Als menschlich war sein Ton, der mächtge, frohe.
- Drauf: "Weiter nicht, ihr Heilgen, bis vorher
- Die Glut euch nagte! Tretet in die Flammen,
- Und seid nicht taub dem Sang von dortenher!"
- Dies Wort ertönte jetzt, da wir zusammen
- Uns ihm genaht, so schrecklich in mein Ohr,
- Als hört ich mich zum schwersten Tod verdammen.
- Ich sank auf die gefaltnen Hände vor,
- Ins Feuer schauend--wen ich brennen sehen,
- Des Bild stieg jetzt vor meinem Geist empor.
- Die Führer nahten sich, mir beizustehen,
- Und tröstend sprach zu mir Virgil: "Mein Sohn,
- Du kannst zur Qual hier, nicht zum Tode gehen.
- Gedenk, gedenke--konnt ich früher schon
- Dich sicher auf Geryons Rücken führen
- Wie jetzt, viel näher hier bei Gottes Thron?
- War auch die Glut noch loher anzuschüren,
- Und stündest du auch tausend Jahre drin,
- Doch dürfte sie dir nicht ein Haar berühren.
- Glaubst du, daß ich nicht treu der Wahrheit bin,
- So nahe dich und halt, um selbst zu schauen,
- Des Kleides Saum mit deinen Händen hin.
- Leg ab, mein Sohn, leg ab hier jedes Grauen,
- Dorthin sei sicher jetzt dein Fuß gewandt!"
- Doch säumt ich, wider besseres Vertrauen.
- Er, sehend, daß ich starr und stille stand,
- Sprach, fast unwillig: "Wie, Sohn, noch verdrossen?
- Von Beatricen trennt dich diese Wand!"
- Wie sterbend Ppyramus den Blick erschlossen,
- Das: Thisbe! klang, gekehrt zum teuren Bild,
- Als blutges Rot die Maulbeer übergossen;
- So kehrt ich, nicht mehr hart, nein, sanft und mild,
- Zum Führer mich, sobald der Nam erschollen,
- Der ewig frisch in meinem Herzen quillt.
- Drob schüttelt er das Haupt und sagte: "Sollen
- Wir diesseits bleiben?" lächelnd, denn ich tat
- Wie Knaben, die, besiegt vom Apfel, wollen.
- Drauf trat er vor mir in die Flamm und bat
- Den Statius, uns folgend, nachzukommen,
- Der uns vorher getrennt den langen Pfad.
- Ich folgt und hätt, um Kühlung zu bekommen,
- Mich in geschmolznes Glas gestürzt. So war
- Im höchsten Übermaß die Flamm entglommen.
- Doch bot mir Trost mein süßer Vater dar,
- Sprechend von ihr, und half mir weiter dringen,
- Und sprach: "Ich seh im Geist ihr Augenpaar!"
- Wir hörten jenseits eine Stimme singen,
- Und dieser folgten wir, ihr horchend, nach,
- Indem wir, wo man stieg, der Flamm entgingen.
- "Gesegnete des Vaters, kommt!" so sprach
- Die Stimm aus einem Licht, dort aufgegangen,
- Bei dessen Anschaun mir das Auge brach.
- "Die Sonne geht, der Abend kommt"--so klangen
- Die Töne fort--"nicht weilt, beeilt den Lauf,
- Bevor den Westen dunkles Grau umfangen."
- Grad durch den Felsen ging der Weg hinauf,
- Und, ostwärts steigend, hielt vor meinen Tritten
- Ich die schon matten Sonnenstrahlen auf.
- Und als wir wenig Stufen aufgeschritten,
- Bemerkten wir am Schatten, der verging,
- Sol, uns im Rücken, sei ins Meer geglitten.
- Eh gleiches Grau den Horizont umfing
- In allen seinen unermeßnen Teilen,
- Eh Nacht um alles ihren Schleier hing,
- Da mußt auf einer Stufe jeder weilen,
- Die uns zum Bett ward, denn die Zeit benahm
- Die Macht mehr, als die Lust, empor zu eilen.
- Gleichwie die Ziegenherde, satt und zahm,
- Im Schatten wiederkäut in stillem Brüten,
- Die, hungrig, jähen Sprungs zur Höhe kam,
- Wenn nun im Mittagsbrand die Luft entglühten,
- Indes der Hirt den Stab zur Stütze macht,
- Und dorten steht, gestützt, um sie zu hüten;
- Und wie ein Hirt im freien Feld bei Nacht,
- Damit kein wildes Tier der Herde schade,
- Und sie zerstreu, entlang der Hürde wacht;
- So jetzt wir drei auf engem Bergespfade,
- Der Zieg ich gleich, den Hirten jenes Paar,
- Umschlossen hier und dort vom Felsgestade.
- Ob wenig gleich zu sehn nach außen war,
- Doch sah ich durch dies wenige die Sterne
- Weit mehr, als sonst gewöhnlich, groß und klar.
- Indes ich staunt in unermeßne Ferne,
- Befiel mich Schlaf, der öfters uns befällt,
- Damit der Geist die Zukunft kennen lerne.
- Zur Stunde, glaub ich, da vom Sternenzelt
- Cytherens erster Strahl die Höhe schmückte.
- Wie immerdar, von Liebesglut erhellt,
- Sah ich im Traum, der mich mir selbst entrückte,
- Ein schönes junges Weib, das hold bewegt,
- Durch Wiesen ging und singend Blumen pflückte.
- "Lea bin ich, dies wisse, wer mich fragt,
- Ich liebe, Kränze windend, hier zu wallen,
- Und emsig wird die schöne Hand geregt.
- Ich will, geschmückt, im Spiegel mir gefallen.
- Die Schwester Rahel liebt es, stets zu ruhn,
- Und läßt dem Spiegel keinen Blick entfallen.
- Und freut sie sich der schönen Augen nun,
- So bin ich froh, mich mit den Händen schmückend,
- Denn schaun befriedigt sie, und mich das Tun."
- Des Tages Vorlicht, um so mehr entzückend,
- Je mehr des Pilgrims Nachtquartier dem Ort
- Der Heimat nah ist, scheuchte, höher ruckend,
- Die Finsternis von allen Seiten fort,
- Mit ihr den Traum; drum eilt ich, aufzusteigen,
- Und sah schon aufrecht beide Meister dort.
- "Die süße Frucht, die auf so vielen Zweigen
- Voll Eifer sucht der Sterblichen Begier,
- Bringt alle deine Wünsche heut zum Schweigen!"
- Mit dieser Rede sprach Virgil zu mir,
- Und nie empfand bei Erdenherrlichkeiten
- Ein Mensch noch solche Lust, als ich bei ihr.
- Hinauf! Mich triebs und triebs, hinauf zu schreiten!
- So fühlt ich nun mit jedem Schritt zum Flug
- Die Schwingen wachten und sich freier breiten.
- Und wie er mich empor die Stufen trug,
- Stand bald ich auf der höchsten dort mit beiden,
- Wo fest auf mich Virgil die Augen schlug.
- "Des zeitlichen und ewgen Feuers Leiden
- Sahst du, und bist, wo weiterhin nichts mehr
- Ich durch mich selbst vermag zu unterscheiden.
- Durch Geist und Kunst geleitet ich dich her;
- Zum Führer nimm fortan dein Gutbedünken;
- Dein Pfad ist fürderhin nicht steil und schwer.
- Sieh dort die Sonn auf deine Stirne blinken,
- Sieh, durch des Bodens Kraft und ohne Saat
- Entkeimt, dir Gras, Gesträuch und Blumen winken.
- Bis sich dir froh ihr schönes Auge naht
- Das mich zu dir einst rief mit bittern Zähren,
- Ruh oder wandle hier auf heiterm Pfad.
- Nicht harre fürder meiner Wink und Lehren,
- Frei, grad, gesund ist, was du wollen wirst,
- Und Fehler wär es, deiner Willkür wehren,
- Drum sei fortan dein Bischof und dein Fürst.
- Achtundzwanzigster Gesang
- Begierig schon, zu spähn umher und innen
- Im göttlichen, lebendgen, dichten Wald,
- Der sanft den Morgen milderte den Sinnen,
- Verließ ich das Gestad nun alsobald,
- Um langsam, langsam in das Feld zu treten,
- Auf einem Grund, dem ringsum Duft entwallt.
- Von einem Lüftchen, einem sanften, steten,
- Ward leiser Zug an meiner Stirn erregt,
- Nicht mehr, als ob mich Frühlingswind umwehten.
- Er zwang das Laub, zum Zittern leicht bewegt,
- Sich ganz nach jener Seite hin zu neigen,
- Wohin der Berg den ersten Schatten schlägt.
- Doch nicht so heftig wühlt er in den Zweigen,
- Daß es die Vöglein hindert, im Gesang
- Aus grünen Höhn all ihre Kunst zu zeigen.
- Nein, wie der Lüfte Hauch ins Dickicht drang,
- Frohlockten sie ihr Morgenlied entgegen,
- Wozu, begleitend. Laubgeflüster klang,
- So klingts, wenn Zweig um Zweige sich bewegen
- Im Fichtenwald an Chiassis Meergestad,
- Sobald sich des Schirokko Schwingen regen.
- Schon war ich mit langsamem Schritt genaht,
- Und bald so dicht vom alten Hain umschlossen,
- Daß nicht zu sehn war, wo ich ihn betrat.
- Da sieh die Bahn durch einen Bach verschlossen,
- Der links hin, mit der kleinen Wellen Schlag
- Die Gräser bog, die seinem Bord entsprossen.
- Das reinste Wasser hier am klarsten Tag,
- Trüb scheint es und vermischt mit fremden Dingen,
- Vergleicht mans dem, wo nichts sich bergen mag,
- Obwohl, da Schatten ewig es umringen,
- Es dunkel, dunkel strömt und nie hinein
- Der Sonne noch des Mondes Strahlen dringen.
- Es stand mein Fuß; doch jenseits in den Hain
- Ließ übern Fluß ich meine Blicke schreiten,
- Und sah dort mannigfache grüne Main.
- Und mir erschien--so stellt dem Blick zuzeiten
- Sich unversehn Erstaunenswertes dar,
- Den Geist von allem andern abzuleiten--
- Ein einsam wandelnd Weib, das wunderbar
- Im Gehen sang, aufsammelnd Blüt um Blüte,
- Womit vor ihr bemalt der Boden war.
- "O Schöne, die du, zeigt sich das Gemüte,
- Wies pflegt, im Äußern, mich zu glauben zwingst,
- Daß an der Liebe Strahl dein Herz entglühte,
- O käme Lust dir, daß du näher gingst,"
- Ich sprachs zu ihr, den Fuß zum Bache lenkend,
- "Daß ich verstehen könne, was du singst.
- Dich seh ich jetzt, Proserpinens gedenkend,
- Des Orts auch, wo die Mutter sie verlor,
- Und sie den Lenz, sich in die Nacht versenkend."
- Und wie die Tänzerin, die kaum empor
- Die Sohlen hebt, mit engen Schritten gleitend,
- Ein zartes Füßlein kaum dem andern vor;
- So sah ich sie, durch bunte Blumen schreitend,
- Jungfräulich bodenwärts den Blick gewandt,
- Und Ehrbarkeit und Würde sie begleitend,
- 5o daß ich bald den Wunsch befriedigt fand,
- Indem ich, wie sie näher hergezogen,
- Den Sinn des süßen Liedes wohl verstand.
- Sobald sie dort war, wo des Flusses Wogen
- Den grünen Rasen am Gestad besprühn,
- Erhob sie hold der Wimpern schöne Bogen.
- Nicht mocht, als Amor, übermäßig kühn,
- Die Mutter wund mit seinem Pfeile machte,
- In solcher Lust Cytherens Auge glühn.
- Am rechten Ufer stand sie dort und lachte,
- Und pflückte Blumen von der Wiese Saum,
- Die ohne Saat hervor die Höhe brachte.
- Das Bächlein trennt uns um drei Schritte kaum,
- Doch Hellespont, den Xexes überschritten,
- Noch jetzt dem höchsten Menschenstolz ein Zaum,
- Hat schärfer nicht Leanders Haß erlitten,
- Indem er Sestos und Abydos schied,
- Als meinen er, ein Hemmnis meinen Schritten.
- "Ihr seid hier neu und weil in dem Gebiet,"
- Begann sie nun, "das an der Menschheit Morgen
- Zu ihrer Wiege Gott, der Herr, beschied,
- Ich lächle, staunt ihr noch und seid in Sorgen.
- Doch zeigt der Psalm: Herr, du erfreutest mich--
- Euch klar das Licht, das Nebel noch verborgen.
- Du, der du vorn stehst und mich batest, sprich;
- Noch scheinst du einem Zweifel nachzuhängen,
- Drum frage nur, und ich befriedge dich."
- "Das Wasser," sprach ich, "samt des Waldes Klängen,
- Sie müssen das, worauf ich kaum getraut,
- Da sie ihm widersprechen, hart bedrängen."
- Drum sie: "Vom Grunde des, was du geschaut,
- Und was gehört, sei Kunde dir beschieden;
- Sie scheucht den Nebel, welcher dich umgraut.
- Das höchste Gut, allein in sich zufrieden,
- Den Menschen schufs zum Guten gut, und wies
- Dies Land ihm an, als Pfand für ewgen Frieden,
- Aus welchem bald ihn seine Schuld verstieß,
- Die Schuld, die süße Spiele mit Beschwerden,
- Mit Zähren ehrbar Lachen wechseln ließ.
- Damit, entqualmt dem Wasser und der Erden
- Die Dünste, die der Hitze nach, so weit
- Es möglich ist, emporgezogen werden,
- Ihn nicht befehdeten mit ihrem Streit,
- Stieg himmelwärts der Berg in solcher Weise,
- Und ist vom Tor an ganz von Dunst befreit.
- Nun, weil noch immerfort im ersten Gleise
- Der Lüfte ganzer Zirkellauf sich dreht,
- Wenn nichts ihn unterbricht in seinem Kreise,
- Trifft diesen Gipfel, der frei ragend steht,
- Die Lebensluft, die, jedes Blatt bewegend,
- Den dichten Wald mit diesem Klang durchweht.
- Die Pflanze, sich in ihrem Hauche regend,
- Beschwängert dann die Luft mit ihrer Kraft,
- Und diese streut sie aus in jede Gegend.
- Die Länder, wie ihr Boden wirkt und schafft,
- Ihr Himmelsstrich und ihre Lage, treiben
- Dann Bäume von verschiedner Eigenschaft.
- Nun wird dies fürder nicht ein Wunder bleiben,
- Wie manche Pflanzen, wo man nicht bestellt,
- Ja, ohne sichtbarn Samen doch bekleiben.
- Und wissen sollst du, daß im heilgen Feld,
- In dem du bist, die Samen alle sprießen,
- Und Früchte, nie gepflückt in eurer Welt.
- Den Fluß auch siehst du nicht aus Adern fließen,
- Genährt vom Dunst, den Kälte niederpreßt,
- Die bald vertrocknen, bald sich wild ergießen.
- Ihm ward ein Quell, aus welchem, stät und fest,
- Die Wässer, die dem Doppelarm entfluten,
- Die Wille Gottes neu ersetzen läßt.
- Der Arm hier hat die Kraft, daß in den Fluten
- Jedweder Schuld Erinnerung versinkt;
- Der andre dort erneuert die des Guten,
- Der hier heißt Lethe; aber dorten winkt
- Dir Eunoe--allein nur jenen letzen
- Wird seine Kraft, der aus dem erstem trinkt.
- Kein Wohlgeschmack ist seinem gleich zu schätzen;
- Und wäre schon genügend, was ich sprach,
- Vermöcht ich auch nichts weiter zuzusetzen,
- Doch bring ich gern noch einen Zusatz nach,
- Und deinen Dank vermein ich zu verdienen,
- Wenn ich dir mehr erfüll, als ich versprach.
- Den alten Dichtern, glaub ich, wenn von ihnen
- Gepriesen ward das Glück der goldnen Zeit,
- War dieser Ort im Traumgesicht erschienen.
- Hier sproß die Menschheit ohne Schuld und Leid,
- Hier jede Frucht in ewgem Frühlingsleben,
- Hier schmeckst du noch des Nektars Lieblichkeit."
- Und als sie noch mir solches kundgegeben,
- Kehrt ich mich um, und sah ein Lächeln hier,
- Bei diesem Schluß, der Dichter Mund umschweben,
- Dann aber wandt ich wieder mich zu ihr.
- Neunundzwanzigster Gesang
- In Sang, nach liebentglühter Frauen Art,
- ließ sie zuletzt der Rede Schluß verhallen:
- "Heil, wem bedeckt jedwede Sünde ward."
- Und gleichwie Nymphen, in der Waldnacht Hallen,
- Hier vor der Sonne Strahlen fliehend, dort
- Aufsuchend ihren Schimmer, einsam wallen;
- Ging sie dem Strom entgegen hin am Bord,
- Ich, folgend kleinem Schritt mit kleinem Schritte,
- Ging sie begleitend gegenüber fort.
- Kaum hundert waren mein und ihrer Tritte,
- Da bog mit beiden Ufern sich der Bach,
- Und ostwärts ging ich durch des Waldes Mitte.
- Nicht lange zog ich dieser Richtung nach,
- Da sah ich sich zu mir die Schöne wenden:
- "Mein Bruder, halt itzt Ohr und Auge wach!"
- Sie sprachs, und gleich durchlief von allen Enden
- Ein schnell entstandner Glanz den großen Hain;
- Ich glaubt, es möge mich ein Blitzstrahl blenden,
- Doch weil, wie kommt, so geht des Blitzes Schein
- Und dieser Glanz sich dauernd nur vermehrte,
- So dacht ich still bei mir: Was mag das sein?
- Und durch die Luft, die helle, lichtverklärte,
- Zog süßer Laut, und eifrig schalt ich jetzt.
- Daß Evas Frevelmut zu viel begehrte.
- Wo Erd und Himmel nicht sich widersetzt,
- Da fühlt ein Weib sich, kaum der Ripp entsprossen,
- Vom Schleier, der ihr Aug umzog, verletzt.
- O hätte sie sich fromm in ihm verschlossen,
- Hätt ich die überschwänglich große Lust,
- Wohl früher schon und länger dann genossen.
- Nachdem ich zweifelnd, meiner kaum bewußt,
- In diesen Erstlingswonnen fortgegangen,
- Mit Drang nach größern Freuden in der Brust,
- Da glüht, als war ein Feuer aufgegangen,
- Die Luft im Laubgewölb--es scholl ein Ton,
- Und deutlich hört ich bald, daß Stimmen sangen.
- Hochheilge Jungfraun, wenn ich öfter schon
- Frost, Hunger, Wachen treu für euch ertragen,
- Jetzt treibt der Anlaß mich, jetzt fordr ich Lohn.
- Laßt auf mich her des Pindus Wellen schlagen,
- Urania sei meine Helferin,
- Was schwer zu denken ist, im Lied zu sagen.
- Ich glaubte sieben Bäume weiterhin
- Von Gold zu schaun, allein vom Schein betrogen
- War durch den weiten Zwischenraum mein Sinn.
- Denn als ich nun so nahe hingezogen,
- Daß sich vom Umriß, der den Sinn betört,
- Gestalt und Art durch Ferne nicht entzogen,
- Da ließ die Kraft, die den Verstand belehrt,
- Anstatt der Bäume Leuchter mich erkennen,
- Und deutlich ward Hosiannasang gehört.
- Und oben sah ich das Geräte brennen,
- Und heller ward die Flamm als Lunas Licht
- In Monats Mitt um Mitternacht zu nennen.
- Zum Führer wandt ich staunend mein Gesicht,
- Doch nichts vermocht er weiter vorzubringen,
- Als was ein tief erstauntes Antlitz spricht.
- Da blickt ich wieder nach den hohen Dingen,
- Die langsamer als eine junge Braut,
- Sich stillbewegend, mir entgegengingen.
- "Was bist du doch", so schalt die Schöne laut,
- "Für die lebendgen Lichter so entglommen,
- Daß nicht auf das, was folgt, dein Auge schaut?"
- Und hinter ihnen sah ich Leute kommen,
- Wie man dem Führer folgt, weiß ihr Gewand,
- Weiß, wie man nichts auf Erden wahrgenommen.
- Das Wasser glänzte mir zur linken Hand,
- Worin, wenn ich in seinen Spiegel sähe,
- Ich meine linke Seite wiederfand.
- Als ich am rechten Platze war, so nahe,
- Daß nur der Fluß mich schied, hemmt ich den Schritt,
- Um besser zu erschaun, was dort geschahe.
- Ich sah, wie jede Flamme vorwärts glitt,
- Und hinter jeder blieb ein helles Strahlen,
- Das, Pinselstrichen gleich, die Luft durchschnitt.
- So sah man sieben Streifen oben strahlen,
- Sie allesamt in jenen Farben bunt,
- Die Phöbes Gurt und Phöbus Bogen malen.
- Nicht ward ihr Ende meinem Auge kund,
- Doch sah ich, daß an beiden äußern Grenzen
- Zehn Schritt der erste von dem letzten stund.
- Und wie ich also sah den Himmel glänzen,
- Da zogen drunten, zwei an zwei gereiht,
- Zweimal zwölf Greise her in Lilienkränzen.
- Und alle sangen: "Sei gebenedeit
- In Adams Töchtern! Herrlich und gepriesen
- Sei deine Huld und Schön in Ewigkeit."
- Und als nun die beblümten frischen Wiesen,
- Die jenseits das Gestad des Bachs begrenzt,
- Die Auserwählten nach und nach verließen,
- Sah ich, wie Stern um Stern am Himmel glänzt,
- Vier Tiere dort zunächst sich offenbaren,
- Und jedes ward mit grünem Laub bekränzt
- Und war versehn mit dreien Flügelpaaren,
- Mit Augen ihre Federn ganz besetzt,
- Wie die des Argus, als er lebte, waren.
- Nicht viel der Reime, Leser, wend ich jetzt
- Auf ihre Form, denn sparsam muß ich bleiben,
- Da größrer Stoff mich noch in Kosten setzt.
- Laß von Ezechiel sie dir beschreiben;
- Von Norden sah er sie, so wie er spricht,
- Mit Sturm, mit Wolken und mit Feuer treiben.
- Wie ich sie fand, beschreibt sie sein Bericht,
- Nur stimmt Johannes in der Zahl der Schwingen
- Mir völlig bei und dem Propheten nicht.
- Es stellt im Raum sich, den die Tier umfingen,
- Ein Siegeswagen auf zwei Rädern dar,
- Des Seil an eines Greifen Hälse hingen.
- Und in die Streifen ging der Flügel Paar,
- Die hoch, den mittelsten umschließend, standen,
- So, daß kein Streif davon durchschnitten war.
- Sie hoben sich so hoch, daß sie verschwanden;
- Gold schien, soweit er Vogel, jedes Glied,
- Wie sich im andern Weiß und Rot verbanden.
- Nicht solchen Wagen zum Triumph beschied
- Rom dem Augustus, noch den Afrikanen;
- Ja, arm erschiene dem, der diesen sieht,
- Sols Wagen, der, entrückt aus seinen Bahnen,
- Verbrannt ward auf der Erde frommes Flehn
- Durch Zeus gerechten Ratschluß, wie wir ahnen,
- Man sah im Kreis drei Fraun sich tanzend drehn
- Am Rande rechts, und hochrot war die eine,
- Gleich lichter Glut der Flammen anzusehn.
- Die zweite glänzte hell in grünem Scheine,
- Gleich dem Smaragden, und die dritte schien
- Wie frisch gefallner Schnee an Weiß und Reine.
- Die Weiße sah man bald den Reigen ziehn,
- Die Rote dann, und nach dem Sang der letzten
- Die andern langsam gehn und eilig fliehn.
- Links vier im Purpurkleid, die sich ergötzten,
- Und, wie die eine, mit drei Augen, sang,
- Nach ihrer Weis im Tanz die Schritte setzten.
- Nach allen diesen kam den Pfad entlang,
- Ungleich in ihrer Tracht, ein paar von Alten,
- Doch gleich an Ernst und Würd in Mien und Gang.
- Der erste war für einen Freund zu halten
- Des Hippokrat, den die Natur gemacht,
- Um ihrer Kinder liebste zu erhalten.
- Der andre schien aufs Gegenteil bedacht,
- Mit einem Schwert, und durch das scharfe, lichte,
- Ward ich diesseits des Bachs in Angst gebracht.
- Dann kamen vier daher, demütge, schlichte,
- Und hinter ihnen kam ein Greis, allein
- Und schlafend, mit scharfsinnigem Gesichte.
- Die sieben schienen gleich an Tracht zu sein
- Den ersten zweimal zwölf, doch nicht umblühten
- Die Häupter Lilienkränz in weißem Schein,
- Rosen vielmehr und andre rote Blüten,
- Und wer vom weiten sie erblickte, schwor,
- Daß oberhalb der Braun sie alle glühten.
- Mir gegenüber fuhr der Wagen vor,
- Worauf ein Donnerhall mein Ohr ereilte,
- Und sich des Zugs Bewegung schnell verlor,
- Der jetzt zugleich mit seinen Fahnen weilte.
- Dreißigster Gesang
- Sobald der Empyren Gestirn des Norden,
- (Das nimmer aufgeht, noch sich wieder senkt,
- Und das durch Sünden nur umnebelt worden;
- Bei welchem jeder dort der Pflicht gedenkt,
- Zu der es leitet, wie den Kahn hienieden,
- Das, welches tiefer steht, zum Hafen lenkt),
- Stillstand, da wandten, dies vom Greifen schieden,
- Die zweimal zwölf und vier Wahrhaften, sich
- Zum Wagen hin als wie zu ihrem Frieden.
- Und einer, der des Himmels Boten glich,
- Rief dreimal singend zu der andern Sange:
- "Komm, Braut vom Libanon, und zeige dich!"
- Wie bei des Weltgerichts Posaunenklange
- Der Selgen Schar, mit leichtem Leib umfahn,
- Dem Grab erstehen wird mit eilgem Drange,
- So hoben von des heilgen Wagens Bahn
- Wohl hundert sich bei solcher Stimme Schalle,
- Des ewgen Lebens Diener, himmelan.
- "Heil dir, der kommt!" so klangs im Widerhalle,
- "Streut Lilien jetzt mit vollen Händen hin!"
- Und Blumen warfen rings und oben alle.
- Schon sah ich bei des Tages Anbeginn
- Geschmückt den Osten sich mit Rosen zeigen,
- Sah klar den Himmel und die Königin
- Des Tages, sanft umschattet, höher steigen,
- So daß, da ihren Schimmer Dunst umfloß,
- Mein Blick ihn aushielt, ohne sich zu neigen.
- Hier, durch die. Blumenflut, die sie umschloß,
- Und niederstürzend um und in den Wagen,
- Sich aus der Himmelsboten Hand ergoß,
- Sah ich ein Weib in weißem Schleier ragen,
- Olivenzweig ihr Kranz, und ums Gewand,
- Das Feuer schien, des Mantels Grün geschlagen.
- Mein Geist, dem schon so manches Jahr entschwand,
- Seit er in ihrer Gegenwart mit Beben
- Demütgen Staunens bange Lust empfand,
- Fühlt, eh das Aug ihm-Kunde noch gegeben,
- Durch die geheime Kraft, die ihr entquoll,
- Die alte Liebe mächtig sich erheben.
- Kaum war der hohen Kraft die Seele voll,
- Der Kraft, durch die, bevor ich noch entgangen
- Der Knabenzeit, mein wundes Herz erschwoll,
- So wandt ich links mich hin, mit dem Verlangen,
- Mit dem ein Kind zur Mutter läuft und Mut
- Im Schrecken sucht und Trost im Leid und Bangen,
- Um zu Virgil zu sagen: "Ach mein Blut!
- Kein Tröpflein blieb mir, das nicht bebend zücke--
- Ich kenne schon die Zeichen alter Glut."
- Doch sein beraubt ließ uns Virgil zurücke,
- Virgil, der väterliche Freund--Virgil,
- Dem sie mich übergab zu meinem Glücke.
- Was Eva einst verloren, da sie fiel,
- Nicht half es mir, die Tränen zu vermeiden,
- Wovon ein Strom die Wangen niederfiel.
- "O Dante, mag Virgil auch von dir scheiden,
- Nicht weine drum, noch jetzo weine nicht;
- Zu weinen ziemt dir über andres Leiden!"
- Und wie mit ernstgebietendem Gesicht
- Ein Admiral, der, musternd seine Scharen
- Vom hohen Bord, sie mahnt an ihre Pflicht,
- So war sie links im Wagen zu gewahren,
- Als ich nach meines Namens Klang mich bog,
- Den hier die Not mich zwang, zu offenbaren;
- Ich sah die Frau, die erst sich mir entzog,
- Als sie erschien, in jener Engelfeier,
- Wie nach mir her ihr Blick von jenseits flog.
- Doch ihr vom Haupte wallend ließ der Schleier,
- Der von Minervens Laub umkränzet ward,
- Mir ihren Anblick nur noch wenig freier.
- Stolz sprach sie nun mit königlicher Art,
- Gleich einem, der erst mild spricht, anzuschauen,
- Und sich das härtre Wort fürs Ende spart:
- "Schau her, Beatrix bin ich! Welch Vertrauen
- Führt dich zu diesen Höhn? Wie? Weißt du nicht,
- Beglückte wohnen nur in diesen Auen."
- Ich sah zum Bach hinab, sah mein Gesicht,
- Sah auf die Blumen dann, die mich umgaben,
- Gedrückt die Stirn von schwerer Scham Gewicht.
- So stolz erscheint die Mutter ihrem Knaben,
- Wie sie mir schien; denn ihr mitleidig Wort
- Schien den Geschmack der Bitterkeit zu haben.
- Sie schwieg, da sang der Engel Chor sofort
- Den Psalmen: Herr, auf dich nur steht mein Hoffen,
- Bis: Stellest meine Fuß auf weiten Ort.
- Wie auf den Rücken Welschlands, welcher offen
- Den Stürmen ragt, der Schnee, im Frost gehäuft,
- Zu Eis erstarrt, vom slawschen Wind getroffen,
- Dann, in sich selbst versickernd, niederträuft,
- Wenn laue Wind aus Libyen ihn verzeihen,
- So wie, dem Feuer nah, das Wachs zerläuft;
- So war ich ohne Seufzer, ohne Zähren,
- Bevor die Engel sangen, deren Sang
- Nur Nachklang ist vom Lied der ewgen Sphären.
- Doch als im Lied ihr Mitleid mir erklang,
- Wohl heller klang, als hätten sie gesungen:
- "Was, Herrin, machst du ihm das Herz so bang?"
- Da ward das Eis, das fest mein Herz umschlungen,
- Zu Hauch und Wasser bald und kam durch Mund
- Und Auge bang aus meiner Brust gedrungen.
- Sie, welche, wie zuvor, im Wagen stund,
- Sie wandte sich dem Engelchor entgegen,
- Und tat den heilgen Scharen dieses kund:
- "Ihr wacht im ewgen Tag, und nimmer mögen
- Euch einen Schritt entziehen Schlaf und Nacht,
- Den das Jahrhundert tut auf seinen Wegen.
- Drum ist die Antwort wohl für ihn bedacht,
- Der drüben weint, damit sie klar beweise,
- Daß große Schuld auch große Schmerzen macht.
- Nicht durch die Kraft allein der ewgen Kreise,
- Die jedes Wesen zu dem Ziele lenkt,
- Das ihm sein Stern gesteckt für seine Reise,
- Durch das auch, was die Gnade Gottes schenkt,
- Sie, deren Regen solche Dünst umgeben,
- Daß sich kein Blick in ihre Tiefen senkt,
- War dieser einst in seinem neuen Leben
- Gar hoch begabt, um sich zur Trefflichkeit
- Durch rechte Sitte mächtig zu erheben.
- Doch wilder wird in schnöder Üppigkeit
- Jedweder schlechte Same sich entfalten,
- Je kräftger ist des Bodens Fruchtbarkeit.
- Wohl wußt ich einge Zeit ihn festzuhalten,
- Indem ich ihm die jungen Augen wies;
- Da ließ er gern als Führerin mich walten.
- Doch hatt er, als ich kaum die Welt verließ,
- Zum bessern Sein zu gehn, sich mir entzogen,
- Indem er andern ganz sich überließ.
- Als ich vom Fleisch zum Geist emporgeflogen,
- Und höhre Tugend, höhern Reiz empfahn,
- Da war er minder hold mir und gewogen.
- Er wandte seinen Schritt zur falschen Bahn,
- Trugbildern folgend schnöden Wonnelebens,
- Den falschen Lockungen und leerem Wahn.
- Im Traum und Wachen rief ich ihn vergebens,
- Und Mahnung haucht ich ihm und Warnung ein,
- Doch blieb er taub im Leichtsinn eiteln Strebens.
- Ein Mittel könnt ihm nur zum Heil gedeihn,
- So tief schon hatt er sich im Wahn verloren,
- Und solches war der Anblick ewger Pein.
- Deswegen drang ich zu der Hölle Toren
- Und habe den, der ihn herauf geführt,
- Mit Bitten und mit Tränen dort beschworen.
- Nicht wärs, wie sichs nach ewgem Rat gebührt,
- Wenn er durch Lethe ging und sie genösse,
- Und nicht vorher, bußfertig und gerührt,
- In Reuezähren seine Schuld ergösse.
- Einunddreißigster Gesang
- "Du, jenseits dort am heilgen Strom," so kehrte
- Sie jetzt der Rede Spitze gegen mich,
- Nachdem die Schneide schon mich hart versehrte,
- Fortfahrend ohne Säumen: "Sprich, o sprich,
- Ist dieses wahr? Erkennst du deine Fehle?
- Auf solche Klage ziemt die Beichte sich."
- Die Stimme regte sich, doch in der Kehle
- Erstarb das Wort; denn, statt gehoffter Huld.
- Verwirrte finstre Strenge meine Seele.
- Nur wenig hatte sie mit mir Geduld:
- "Was sinnst du? Sprich! Noch tilgten nicht die Wogen
- Der Lethe die Erinnrung deiner Schuld."
- Furcht und Verwirrung, sich vermischend, zogen
- Ein Ja! aus meinem Mund, das zwar erblickt
- Vom Auge ward, allein dem Ohr entzogen.
- Gleichwie zu scharf gespannt die Armbrust knickt,
- Und, wenn sich Sehn und Bogen überschlagen,
- Den Pfeil mit mindrer Kraft zum Ziele Schickt,
- So brach, zu schwach, so schwere Last zu tragen,
- Ich jetzt in Seufzer aus und Tränenflut
- Und ließ den Ton sich nicht ins Freie wagen.
- Drum sie zu mir: "In meiner Wünsche Glut,
- Die einst dich jenes Gut zu lieben führte,
- Das unserm Wunsch entrückt all andres Gut.
- Welch eine Kette wars, die dich umschnürte,
- Das auf den Fortschritt, mit verzagtem Sinn,
- Die Hoffnung abzulegen dir gebührte.
- Und welche Fördrung, welcherlei Gewinn,
- Die lockend dir von andrer Stirne lachten?
- Was führte dich zu ihrem Wege hin?"
- Nach einem tiefen, bittern Seufzer machten
- Sich Töne mühsam frei aus meiner Brust,
- Die kaum als Wort hervor die Lippen brachten.
- "Die Gegenwart, mit ihrer falschen Lust,"
- So weint ich, "hat, als eure Blick entschwanden,
- Rückwärts zu wenden meinen Schritt gewußt."
- "Verschwiegst, vermeintest du, was du gestanden,"
- Sprach sie, "nicht minder wärs dem Richter kund,
- Vor dessen Blick die Lüge nie bestanden.
- Doch wenn man sich verklagt mit eignem Mund.
- So wird hier abgestumpft das Schwert der Rache,
- Und Gnade macht des Sünders Herz gesund.
- Drum, daß dein Wahn dich mehr erröten mache,
- Und daß dein Herz zu jeder andern Zeit
- Die Lockung der Sirenen kühn verlache,
- Laß ab vom Weinen jetzt und Traurigkeit;
- Vernimm vielmehr, welch andern Weg zu wallen
- Dir ziemend war, als mich der Tod befreit.
- Nichts ließ Natur und Kunst dir je gefallen,
- Wie jenen Leib, in dem ich dort erschien,
- Des schöne Glieder jetzt in Staub zerfallen.
- Und sahest du die höchste Wonn entfliehn
- Bei meinem Tod, was konnte dich besiegen?
- Welch irdsche Lust dich fürder an sich ziehn?
- Beim Reiz der Dinge, die das Herz betrügen,
- Bei ihrem ersten Pfeil, wars ziemend, mir,
- Die ich mein Sein verwandelt, nachzufliegen.
- Nicht niederziehn sollt er die Schwingen dir,
- Nicht harren solltest du der andern Pfeile,
- Des Mägdleins nicht, nach andrer eitlen Zier.
- Der junge Vogel harrt in träger Weile
- Des zweiten Pfeils, doch der beschwingte flieht
- Und schützt vor Netz und Pfeilen sich durch Eile."
- Gleichwie ein Knabe schweigend niedersieht,
- Wenn Vorwurf und Bewußtsein ihn verstören,
- Und Reue sein Gesicht zur Erde zieht;
- So stand ich dort: "Betrübt dich schon das Hören,"
- Sie sprachs, "So sei emporgewandt dein Bart;
- Das Schauen wird noch deinen Schmerz vermehren."-
- In ihrem Widerstande minder hart,
- Läßt ihrem Grund die Eiche sich entreißen,
- Wenn sie von Nordsturms Macht durchschüttelt ward,
- Als ich das Kinn erhob, da sies geheißen.
- Auch fühlt ich, da sie Bart für Antlitz sprach,
- Des Wortes Gift an meinem Herzen reißen.
- Das Antlitz hob ich zögernd und gemach,
- Und sieh, die schönen englischen Gestalten,
- Sie ließen jetzt im Blumenstreuen nach.
- Mein Blick, kaum fähig noch, ein Bild zu halten,
- Erschaute sie, dem Greifen zugewandt,
- In dem, dem einen, zwei Naturen walten.
- Sie schien, verschleiert, jenseits dort am Strand,
- Das, was sie einst war, jetzt zu überwinden,
- Wie sie vordem die andern überwand.
- Wie mußt ich da der Reue Schmerz empfinden!
- Wie, was mich von ihr abgewandt, die Lust
- Der eiteln Welt jetzt hassenswürdig finden!
- So nagte Selbstbewußtsein meine Brust,
- Daß ich hinsank--mit welchem innrem Beben,
- Ihr, die es mir erregt, ihr ists bewußt.
- Als äußre Kraft das Herz mir neu gegeben,
- Sprach über mir sie, die mir erst allein
- Erschienen war: "Mich fass, um dich zu heben!"
- Sie zog mich bis zum Hals den Fluß hinein,
- Glitt, wie ein Webschiff, ohne sich zu senken,
- Auf seiner Fläch und zog mich hinterdrein,
- Um mich zum selgen Ufer hinzulenken.
- Dort klangs: "Entsündge mich!" so süß--ich kann
- Es nicht beschreiben, ja, nicht wieder denken.
- Die schöne Frau erschloß die Arme dann,
- Umschlang mein Haupt und taucht es in die Wogen,
- Drob ich vom Wasser trank, das mich umrann.
- Drauf, als sie mich gebadet vorgezogen,
- Bot sie zum Tanze mich den schönen vier,
- Die hold um meinen Hals die Arme bogen.
- "Wir sind am Himmel Sterne, Nymphen hier.
- Und als zur Welt Beatrix kam, so gingen
- Als ihre Dienerinnen wir mit ihr.
- Wir werden dich ihr vor die Augen bringen;
- Dir schärfen dann, fürs holde Licht darin
- Den Blick die drei, die schauend tiefer dringen."
- Sie sangen diese Worte zum Beginn,
- Worauf sie mich zur Brust des Greifen brachten.
- Dort wandte sie nach uns das Antlitz hin.
- Sie sprachen dann: "Hier darfst du frei betrachten,
- Wir stellten dich vor der Smaragden Licht,
- Woraus dich wund der Liebe Pfeile machten."
- Mir weckt ein glühend Sehnen ihr Gesicht
- Und band an ihrer Augen Glanz die meinen;
- Die ihren wichen vor dem Greifen nicht.
- Und drinnen sah ich den zwiefachen Einen,
- Gleichwie die Sonn im Spiegel, schimmernd klar,
- Als diesen bald, als jenen bald erscheinen.
- Nun denke, Leser, selbst, wie wunderbar,
- Das Abbild, sich verwandelnd, zu erblicken,
- Obwohl das Urbild stets dasselbe war.
- Indes die Seel in Staunen und Entzücken
- Die Speise kostete, die größern Drang
- Nach sich erweckt, je mehr wir uns erquicken,
- Da sah ich jene drei vom höchsten Rang,
- Dies zeigte die Gebärd, uns nahe kommen,
- Den Engeltanz begleitend mit Gesang.
- "Beatrix, laß den Blick, den heilgen, frommen,"
- So sangen sie, "auf deinen Treuen sehn,
- Der dich zu schaun so hoch emporgeklommen.
- Enthüll aus Gnad ihm deinen Mund, wir flehnl
- Die zweite Schönheit, die du noch verborgen,
- O laß sie auf vor seinen Augen gehen!"
- O Glanz lebendgen Lichts! o ewger Morgen!
- Wer trank so tief aus des Parnassus Flut,
- Wer ward so bleich in seinen Mühn und Sorgen,
- Daß er vermag, mit freiem, kühnem Mut
- Sich deiner Schilderung zu unterfangen,
- Wenn du bei Himmelsharmonien in Glut
- Den unbewölkten Lüften aufgegangen?
- Zweiunddreißigster Gesang
- Den zehenjährgen Durst zu löschen, hingen
- An ihrem Reiz die Augen, so voll Gier,
- Daß mir die andern Sinne ganz vergingen.
- Seitwärts baut eine Mauer dort und hier
- Nichtachtung auf, denn mit dem Netz, dem alten,
- Zog mich ihr heilges Lächeln hin zu ihr.
- Da wandten mir die himmlischen Gestalten
- Mit Macht nach meiner Linken das Gesicht,
- Mit diesem Ruf: Im Schauen Maß gehalten!
- Nun stand ich dort wie einer, den das Licht
- Der Sonne mit dem Flammenpfeil geblendet,
- Und dem zunächst die Sehkraft ganz gebricht.
- Doch als das wenge sie mir neu gespendet--
- Nach jenem vielen wenig und gering,
- Von dem ich mit Gewalt mich abgewendet--
- Da sah ich, das ruhmvolle Kriegsheer fing
- Sich rechts zu kehren an, indems den Lichten,
- Den sieben, nach, der Sonn entgegenging.
- Wie, wenn die Scharen auf den Sieg verzichten,
- Sie unterm Schild sich mit der Fahne drehn,
- Eh sie, geschwenkt, sich ganz zum Rückzug richten,
- So war die Schar des Himmelreichs zu sehn,
- Und eh sich um des Wagens Deichsel legte,
- Sah man den Zug vor und vorübergehn.
- Die sieben Frauen rechts und links, bewegte
- Der Greif die heilge Last mit stiller Macht,
- So daß an ihm sich keine Feder regte.
- Ich, Statius, sie, die mich zum Furt gebracht,
- Wir leiteten dem Rade nach die Schritte,
- Das, umgeschwenkt, den kleinern Bogen macht.
- So ging es durch des hohen Waldes Mitte,
- Öd, weil der Schlang einst Eva Glauben gab,
- Und Engelsang gab Maß für unsre Tritte.
- Dreimal so weit nur, als ein Pfeil herab
- Vom Bogen fliegt, war nun der Zug gekommen,
- Und Beatrice stieg vom Wagen ab.
- "Adam!" so ward ein Murmeln rings vernommen,
- Und einen Baum, von Laub und Blüten leer,
- Umringt im Kreise nun die Schar der Frommen.
- Sein Haar verbreitet sich so mehr, je mehr
- Er aufwärts steigt, hoch, daß er selbst den Indern
- Durch seine Höhe zum Erstaunen war.
- "Heil dir, o Greif, mit deinem Schnabel plündern
- Willst du nicht diesen Baum, der Süßes zwar
- Dem Gaumen gibt, doch Marter dann den Sündern."
- So rief rings um den starken Baum die Schar.
- Und er, in dem sich Leu und Aar verbunden:
- "So nimmt man jedes Rechtes Samen wahr."
- Die Deichsel, wo ich ziehend ihn gefunden,
- Schob er zum öden Stamm und ließ am Baum,
- Aus ihm entnommen, sie an ihn gebunden.
- Wie unsre Pflanzen, wenn zum Meeressaum
- Das große Licht sich senkt, von dem umschlossen,
- Das nach den Fischen glänzt am Himmelsraum,
- Sich üppig blähn zu neuen jungen Sprossen,
- Jede gefärbt nach der Natur Gebot, .
- Eh Sol den Stier erreicht mit seinen Rossen;
- So, mehr als Veilchen zwar, doch minder rot
- Als Rosenglut, erneute sich die Pflanze,
- Die erst verwaist erschien und kahl und tot.
- Und wie sie nun erblüht im neuen Glanze,
- Ertönt ein nie gehörter Lobgesang,
- Doch nicht ertrug mein müder Sinn das Ganze.
- Könnt ich euch malen, wie mit süßem Klang
- Von Pan und Syrinx einst Merkur den Späher,
- Den unbarmherzgen, zum Entschlummern zwang,
- So zeigt ich, wie nach einem Urbild, eher,
- Wie jener Sang in Schlummer mich gebracht,
- Doch das Entschlummern sing ein bessrer Seher.
- Ich springe bis zur Zeit, da ich erwacht,
- Da mir ein Glanz zerriß den dunkeln Schleier,
- Und eine Stimme rief: Steh auf, hab acht!
- Wie zu der Blut des Baums, des Apfel teuer
- Den Engeln sind, den nichts erschöpfen kann,
- Der Speise gibt zur ewgen Hochzeitsfeier,
- Geführt, Jakobus, Petrus und Johann
- Aus ihrer Ohnmacht bei dem Wort erstanden,
- Bei dessen Klang wohl tiefrer Schlaf entrann,
- Und nun vermindert ihre Schule fanden.
- Denn Moses und Elias waren fort,
- Und ihren Herrn in anderen Gewanden;
- So ich--und über mich gebogen dort
- Stand jetzt die Schöne, wie um mein zu hüten,
- Die mich geführt entlang des Flusses Bord.
- "Wo ist Beatrix?" rief ich, und mir glühten
- Vor Angst die Wangen. "Auf der Wurzel", sprach
- Die Schöne, "sitzt sie unter neuen Blüten.
- Sieh hin, wer sie umgibt. Dem Greifen nach
- Entflohn empor die anderen, mit Sange,
- Der süßer, tiefer klang, als dort am Bach.
- Ob sie noch mehr gesprochen und wie lange,
- Nicht weiß ich es, denn mir im Auge stand
- Sie, die mein Ohr versperrte jedem Klange.
- Sie saß allein auf jenem reinen Land,
- Wies schien, zur Hut des Wagens dort gelassen,
- Den an den Baum der Zweigestaltge band.
- Die sieben Nymphen sah ich sie umfassen,
- Im Kreis, die Lichter haltend, die vom Zwist
- Des Nord- und Südwinds nie sich löschen lassen.
- "Als Fremdling weilst du dort nur kurze Frist
- Und wirst mit mir als ewger Bürger bleiben
- In jenem Rom, wo Christus Römer ist.
- Zum Heil der Welt mit ihrem bösen Treiben
- Schau auf den Wagen, um, was du gesehn,
- Zurückgekehrt, den Menschen zu beschreiben."
- Beatrix sprachs--wie könnt ich widerstehn?
- Ganz so, wies der Gebieterin gefallen,
- Ließ ich voll Demut Geist und Auge gehn.
- Nicht sah man je so schnell aus Himmels Hallen.
- Aus dichter Wölk, ein flammendes Geschoß,
- Den Blitz aus fernster Höhe niederfallen,
- Als auf den Baum Zeus Vogel niederschoß,
- Nicht wühlend bloß in Blüten und in Blättern,
- Die Rind auch brechend, die sein Mark umschloß.
- Dann sah man ihn zum Wagen niederschmettern,
- Der bei dem Stoße rechts und links sich bog,
- Gleich einem Schiff im Kampf mit wilden Wettern.
- Dann war ein Fuchs, der jähen Sprunges flog,
- Ins Innre selbst des Wagens eingebrochen,
- Wohin ihn Gier nach beßrer Speise zog.
- Doch mit dem Vorwurf des, was er verbrochen,
- Trieb meine Herrin ihn so eilig fort,
- Als laufen konnten seine magern Knochen.
- Und nochmals stürzte von dem hohen Ort,
- Wie schon vorhin, der Adler in den Wagen,
- Und ließ ihm viel von seinen Federn dort.
- Und wie aus banger Brust der Laut der Klagen,
- Klang aus dem Himmel eine Stimm und sprach:
- "Mein Schifflein, schlechte Ladung mußt du tragen!"
- Und unten, zwischen beiden Rädern, brach
- Der Erde Grund, ausspeiend einen Drachen,
- Der nach dem Wagen mit dem Schwanze stach.
- Dann zog er ihn zurück, wies Wespen machen,
- Nahm einen Teil des Bodens mit und schien,
- Von dannen eilend, des Gewinns zu lachen.
- Der Rest des Wagens blieb, doch sah man ihn
- Mit Federn, die wohl reiner Sinn gespendet,
- Wie üppig Land mit Gras, sich überziehn.
- Und dieses Werk war so geschwind vollendet,
- Und voll die Deichsel und das Räderpaar,
- Bevor die Brust ein Oh! und Ach! beendet.
- Und Häupter trieb, als er verwandelt war,
- Der Wagen vor, an den vier Ecken viere,
- Drei aber nahm man auf der Deichsel wahr,
- Die letzten drei gehörnt wie die der Stiere,
- Die ersten vier mit einem Horn versehn;
- So glich er nie geschautem Wundertiere.
- Und sicher, wie auf Bergen Schlösser stehn,
- Saß eine zügellose Hure drinnen
- Und ließ umher die flinken Augen spähn.
- Und, gleich, als solle sie ihm nicht entrinnen,
- Stand ihr zur Seit ein Ries, und diese zwei
- Sah ich sich küssen und sich zärtlich minnen.
- Allein, weil sie die Augen gierig frei
- Auf mich gewandt, schlug sie der wilde Freier
- Vom Kopf zum Fuß mit wütendem Geschrei.
- Drauf löst er ab vom Baum das Ungeheuer,
- Von Argwohn voll und wildem Zorn und Arg,
- Und zog es durch den Wald, des dichter Schleier
- Die Hure samt dem Wundertier verbarg.
- Dreiunddreißigster Gesang
- Herr, eingefallen sind die Heiden! fingen,
- Abwechselnd drei und vier, mit süßem Klang,
- Doch tränenvoll, die Frauen an zu singen.
- Beatrix horchte schweigend dem Gesang,
- Verwandelt wie Maria, die mit Grauen
- Des Mutterschmerzes unterm Kreuze rang.
- Doch als nun ihrem Wort die andern Frauen
- Erst Raum gegeben, sah ich sie erstehn,
- Grad, aufrecht, gleich dem Feuer anzuschauen.
- " Über ein kleines sollt ihr nicht mich sehn,
- Und wiederum, ihr Schwestern, meine Lieben,
- Über ein kleines werdet ihr mich sehn."
- Sie sprachs und stellte vor sich alle sieben,
- Und hinter sich, durch ihren Wink allein,
- Die Frau, mich und den Weisen, der geblieben.
- Sie ging, doch mochtens kaum zehn Schritte sein,
- Die sie gegangen und uns gehen lassen,
- Da blitzt ins Auge mir des ihren Schein.
- "Geh itzt geschwinder," sagte sie gelassen,
- "Komm näher her, daß, red ich nun mit dir,
- Du wohl vermögend seist, mein Wort zu fassen."
- Kaum war ich, wie ich sollte, nah bei ihr,
- Da sprach sie: "Bruder, bist mir nah gekommen,
- Doch zu erfragen wagst du nichts von mir?"
- Wie wenn von zuviel Ehrfurcht schwer beklommen
- Mit seiner Obrigkeit ein niedrer Mann
- Halblaut und stockend spricht und kaum vernommen,
- So sprach ich jetzt, da ich zu ihr begann:
- "O Herrin, Ihr erkennt ja mein Verlangen,
- Und was ich brauch, und was mir frommen kann."
- Und sie: "Mach itzt dich los von Scham und Bangen,
- Ich wills, und rede sicher nun und klar,
- Und nicht wie einer, der im Traum befangen.
- Der Wagen, den die Schlange brach, er war,
- Doch wer dies zu verschulden sich nicht scheute,
- Er fürchte Gottes Rach auf immerdar!
- Nicht immer sonder Erben wird, wie heute
- Der Adler sein, der ihm die Federn ließ,
- Drob er erst Ungeheuer ward, dann Beute.
- Schon nahen Sterne sich--wie ichs gewiß
- Im Geist erkannt, so sei es ausgesprochen--
- Da kommt, von Schranke frei und Hindernis,
- Fünfhundert fünf und zehn hervorgebrochen,
- Ein Gottgesandter, der die Dirn erschlägt
- Zusamt dem Riesen, der mit ihr verbrochen.
- Und hab ich jetzt dir Worte vorgelegt,
- Wie Sphinx und Themis, schwierig zu erraten,
- Daher dein Geist im Dunkel Zweifel hegt,
- So lösen bald dies Rätsel dir die Taten
- Statt der Najaden auf, und unbedroht
- Verbleiben drob die Herden und die Saaten.
- Merk, was ich sagt, und höre mein Gebot:
- Du sollst es dort den Lebenden erzählen,
- Im Leben, das ein Rennen ist zum Tod.
- Nicht sollst du, wenn du dorten schreibst, verhehlen,
- Wie du den Baum gesehn. Erinnre dich:
- Du sahst zu zweien Malen ihn bestehlen.
- Wer diesen Baum bestiehlt und freventlich
- Verletzt, kränkt Gott mit tätgen Lästerungen,
- Denn er schuf heilig nur den Baum für sich.
- Für solchen Raub hat qualenvoll gerungen
- Fünftausend Jahr und mehr der erste Geist
- Nach ihm, des Tod des Bisses Fluch bezwungen.
- Wohl schlummert dein Verstand, wenn du nicht weißt,
- So hoch sei jener Baum aus tiefen Gründen,
- Wenn dir des Gipfels Bau dies nicht beweist.
- Und hätte nicht, wie Elsas Flut, mit Rinden
- Von Stein dein Grübeln die Vernunft bedeckt,
- Und war ihr Licht dir nicht getrübt von Sünden,
- So hättest du, was das Verbot bezweckt,
- Und wie darin der Herr gerecht erscheine,
- Am Baum durch solche Zeichen leicht entdeckt.
- Doch weil dein Geist verhärtet ist zum Steine,
- Befleckt von Schuld, verworren und berückt
- Und blöde bei der Wahrheit hellem Scheine,
- So nimm, zwar nicht als Wort, doch ausgedrückt
- Als Bild, in dir die Rede mit von hinnen,
- Wie man den Pilgerstab mit Palmen schmückt."
- Und ich: "So fest, als nur im Wachse drinnen
- Das Bild sich hält, das drein das Siegel gräbt,
- Trag ich, was ihr gezeichnet habt, hier innen.
- Doch was, wenn sich so hoch mein Blick nicht hebt,
- Fliegt eur ersehntes Wort in solche Sphären,
- Daß er es mehr verliert, je mehr er strebt."
- "Auf, daß du wissest, welcher Schule Lehren",
- So sprach sie, "du gefolgt, und sehst, wie weit
- Sie meinem Wort zu folgen sich bewähren;
- Und wie ihr fern mit eurem Wege seid
- Von Gottes Weg, so fern, wie von der Erden
- Des höchsten Himmels Glanz und Herrlichkeit."
- Und ich: "Nicht wills mir klar im Geiste werden,
- Daß ich mich je entfernt von eurer Spur;
- Nicht fühl ich im Gewissen drob Beschwerden."
- "Entsinnst du dessen dich nicht mehr?" so fuhr
- Sie lächelnd fort; "doch von der Lethe Fluten
- Trankst du noch heute, des gedenke nur.
- Und, wie man richtig schließt vom Rauch auf Gluten,
- So siehest du durch dies Vergessen klar,
- Daß du dich abgewandt vom wahren Guten.
- Jetzt wahrlich stellt, von jeder Hülle bar,
- Soviel, im engsten Kreise sich bewegend,
- Dein Blick es fassen kann, mein Wort sich dar."
- Und flammender, sich trägem Schrittes regend,
- Betrat jetzt Sol des Meridians Gebiet,
- Das stets ein andres ist in andrer Gegend.
- Da standen still, wie, wer als Führer zieht
- Vor einer Schar, sich schickt zum Stillestande,
- Wenn er auf seinem Wege Neues sieht,
- Die sieben Fraun an dichten Schattens Rande.
- Wie grünbelaubt schwarzästig Waldgeheg
- Auf kalte Flüss ihn fließt im Alpenlande.
- Euphrat und Tigris schien vor ihrem Weg
- Sich aus derselben Quelle zu ergießen,
- Sich dann, wie Freunde, trennend, still und träg.
- "O Licht, der Menschheit Ruhm, welch Wasser sprießen
- Seh ich aus einem Ursprung hier und dann
- Sich von sich selbst entfernend weiterfließen?"
- Auf diese Bitte hob Beatrix an:
- "Mathilden bitt,"--und diese sprach dagegen,
- Wie wer vom Vorwurf leicht sich lösen kann:
- "Dies und noch anderes ihm auszulegen,
- Versäumt ich nicht, was, des bin ich gewiß,
- Der Lethe Wässer nicht zu tilgen pflegen."
- Beatrix drauf: "Die größre Sorg entriß,
- Wies oft geschieht, dies seinem Angedenken
- Und ließ sein geistig Aug in Finsternis.
- Doch Eunoe sieh--eil, ihn dahin zu lenken,
- Und, wie du immer pflegst, ihm durch die Flut
- Mit Leben die erstorbne Kraft zu tränken."
- Wie ohn Entschuldigung, wer, mild und gut,
- Als eignen Willen fremden aufgenommen,
- Der sich durch Wink und Wort ihm zeigte, tut,
- So ging, nachdem sie mich am Arm genommen,
- Die schöne Frau und sagte weiblich mild
- Zu Statius: "Auch du sollst mit ihm kommen."
- Hätt ich, o Leser, Raum zu größerm Bild,
- So würd ich dir zum Teil die Wonnen singen
- Des Tranks, der Durst erregt, wenn er ihn stillt.
- Doch läßt sich nichts mehr auf die Blätter bringen,
- Die ich zu diesem zweiten Lied erkor,
- Drum hemmt der Zaum der Kunst mein Weiterdringen.
- Ich ging aus jener heilgen Flut hervor,
- Wie neu erzeugt, von Leid und Schwäche ferne,
- Gleich neuer Pflanz in neuen Lenzes Flor,
- Rein und bereit zum Flug ins Land der Sterne.
- Das Paradies
- Erster Gesang
- Der Ruhm des, der bewegt das große Ganze,
- Durchdringt das All, und diesem Teil gewährt
- Er minder, jenem mehr von seinem Glanze.
- Im Himmel, den sein hellstes Licht verklärt,--
- War ich und sah, was wiederzuerzählen
- Der nicht vermag, der von dort oben kehrt.
- Denn, nahn dem Ziel des Sehnens unsre Seelen,
- Das unsern Geist zur tiefsten Tiefe zieht,
- Dann muß der Rückweg dem Gedächtnis fehlen.
- Doch alles, was im heiligen Gebiet
- Nur einzusammeln war von selger Schöne,
- Der edle Schatz, sei Stoff jetzt meinem Lied.
- Apollo, Gütger, leih mir deine Töne
- Zum letzten Werk--mach ein Gefäß aus mir,
- Wert, daß es dein geliebter Lorbeer kröne.
- Mir gnügt ein Gipfel des Parnaß bis hier,
- Doch, soll der Rennbahn Ziel der Sieger grüßen,
- So fleh ich jetzt um beid empor zu dir.
- Den Odem hauch in mich, den reinen, süßen,
- Daß du hier stark, wie bei dem Wettkampf, seist,
- Den Marsyas kämpft, um frevlen Stolz zu büßen.
- O Götterkraft, wenn du dich jetzt mir leihst,
- Den Nachschein von des selgen Reiches Glanze
- Zu malen aus dem Bild in meinem Geist,
- Dann siehest du mich nahn der teuren Pflanze
- Und, durch den Stoff und dich des wert, geschmückt
- Und reichgekrönt mein Haupt mit ihrem Kranze.
- Wenn man ihr Laub, o Vater, selten pflückt,
- Um Cäsars und des Dichters Sieg zu ehren,
- Weil Schuld und Schmach den Willen niederdrückt,
- Muß Freud es wohl dem freudgen Gott gewähren,
- Den Delphos preist, kehrt nun mit kühnem Mut
- Nach Daphnes Laub ein Herz all sein Begehren.
- Und weckt ein kleiner Funk oft große Glut,
- So fleht nach mir zu höherer Verkündung
- Ein andrer wohl um deine Hilf und Hut.--
- Den Sterblichen entsteigt aus mancher Mündung
- Das Licht der Welt; allein in einer sind
- Vier Kreise mit drei Kreuzen in Verbindung,
- Wos bessern Lauf mit besserm Stern beginnt,
- So daß der Erde Wachs in diesem Zeichen
- Von ihm ein schöneres Gepräg gewinnt.
- In ihm hieß Sol den Tag bei uns erbleichen
- Und dort entglühn; und auf dem Halbkreis hier
- Die schwarze Nacht sich nahn und dort entweichen.
- Und links gewandt erschien Beatrix mir,
- Und wie kein Aar je fest und ungeblendet
- Zur Sonne sah, so blickte sie zu ihr.
- Und wie der erste Strahl den zweiten sendet,
- Der, ihm entflammt, hell auf- und rückwärts blitzt,
- Dem Pilgrim gleich, der sich zur Heimat wendet,
- So macht ihr Blick, der durch die Augen itzt
- Mein Innres traf, zur Sonn auch meinen steigen,
- Mit größrer Kraft, als onst der Mensch besitzt.
- Viel darf man dort, was hier zu übersteigen
- Die Kraft pflegt, die uns nimmer dort gebricht,
- Am Ort, den Gott schuf als der Menschheit eigen.
- Nicht lang ertrug ichs, doch so wenig nicht,
- Um nicht zu sehn, daß, wie dem Feur entnommen,
- Das Eisen sprüht, sie sprüht in Glut und Licht.
- Und plötzlich schien ein Tag zum Tag zu kommen,
- Als sei durch den, ders kann, am Himmelsrand
- Noch eine zweite neue Sonn entglommen.
- Fest schauend nach den ewgen Kreisen, stand
- Beatrix dort, und ihr ins glanzerhellte
- Gesicht sah ich, von oben abgewandt,
- Und fühlte, da mir Lust das Innre schwellte,
- Was Glaukus fühlt, als er das Kraut geschmeckt,
- Das ihn im Meer den Göttern zugesellte.
- Verzückung fühlt ich. Was sie sei, entdeckt
- Die Sprache nicht, mags drum dies Beispiel Iehren,
- Wenn je in euch die Gnade sie erweckt.
- Ob ich nur Seele war?--Du magsts erklären,
- O Liebe, Himmelslenkerin, die mich
- Mit ihrem Licht erhob zu jenen Sphären.
- Als nun der Kreis, der durch dich ewiglich
- In Sehnsucht rollt, mein Aug an sich gezogen
- Mit Harmonien, verteilt, gemischt durch dich,
- Durchflammte Sonnenglut des Himmels Bogen
- So weit hin, wie von Strom und Regenflut
- Kein See noch je erstreckt die breiten Wogen.
- Des Klanges Neuheit und die lichte Glut,
- Sie machten, daß ich vor Begierde brannte,
- Wie nimmer sie erweckt ein andres Gut;
- Drob sie, die mich, wie ich mich selbst, erkannte,
- Mir zu befriedgen den erregten Geist,
- Noch eh ich fragte, schon sich zu mir wandte
- Und sprach: "Ein Wahn ist Schuld, daß du nicht weißt,
- Was du sogleich erkennen wirst und sehen,
- Sobald du dich von seinem Trug befreist.
- Du glaubst noch auf der Erde fest zu stehen,
- Doch flieht kein Blitz aus seinem Vaterland
- So schnell, wie du jetzt eilst, hinaufzugehen."
- Kaum daß der erste Zweifel mir verschwand,
- Durchs kurze Wort und ihres Lächelns Frieden,
- Als wieder schon ein neuer mich umwand.
- Ich sprach: "Vom Staunen ruht ich schon zufrieden;
- Doch steig ich jetzt durch leichte Stoff empor,
- Drum ist dazu mir neuer Grund beschieden."
- Ein Seufzer weht aus ihrem Mund hervor,
- Dann sah sie hin auf mich, wie auf den Knaben
- Die Mutter blickt, die sagen will: Du Tor!
- "Die Dinge sämtlich", so begann sie, "haben
- Unter sich Ordnung, und das All ist nur
- Durch diese Form gottähnlich und erhaben.
- Die höhern Wesen sehn in ihr die Spur
- Der Kraft, der ewgen, die zum Ziel gegeben
- Vom Schöpfer ward der Ordnung der Natur.
- Nach ihr nun sehn wir alle Wesen streben,
- Ob hoch ihr Los, ob niedrig sei; ob mehr,
- Ob minder nah sie ihrem Ursprung leben.
- Sie treiben durch des Seins unendlich Meer,
- Geleitet vom Instinkt, den Gott als Steuer
- Jedwedem gab, auf mancher Bahn daher.
- Er trägt zum Mond empor das rege Feuer,
- Er ists, der rund den Bau der Erde drückt,
- Er ist der Herzschläg Ordner und Erneurer.
- Nicht nur auf Wesen, die vernunftlos, zückt
- Er, wie ein Bogen, seine sichern Pfeile,
- Auf die auch, die Vernunft und Liebe schmückt.
- Die Vorsicht, die zum Ganzen eint die Teile,
- Die durch ihr Licht des Himmels Ruh erhält,
- In dem der Kreis sich dreht von größter Eile,
- Läßt zum bestimmten Platz in jener Welt
- Uns jetzo durch die Kraft der Sehne bringen,
- Die, was sie treibt, nach heiterm Ziele schnellt.
- Wahr ists, daß, wie oft Formen nicht gelingen,
- Wie sie in sich des Künstlers Geist empfahn,
- Wenn spröde mit der Kunst die Stoffe ringen,-
- So das Geschöpf oft weicht von seiner Bahn,
- Denn ihm ist von Natur die Kraft verliehen,
- Trotz jener Kraft, sich anderm Ziel zu nahn,
- Wenn erdenwärts es falsche Reize ziehen;
- Wie aus der Wolke, wenn das Wetter grollt,
- Zum Boden hin des Feuers Strahlen fliehen.
- Nun staunst du, war ich klar, wie ich gewollt,
- So wenig drob, daß du emporgestiegen,
- Als daß der Bach vom Berg zur Tiefe rollt.
- Bliebst du, von Hemmnis frei, am Boden liegen,
- Erstaunenswerter wärs, als sähest du
- Träg an den Grund sich lebend Feuer schmiegen."
- Hier wandt ihr Antlitz sich dem Himmel zu.
- Zweiter Gesang
- O ihr, die ihr, von Hörbegier verleitet,
- Des Nachens Fahrt nach meinem Schiff gewandt,
- Das mit Gesange durch die Fluten gleitet,
- Kehrt wieder heim zu dem verlaßnen Strand,
- Schifft nicht ins Meer, denn, die mir folgen, wären
- Vielleicht verirrt, wenn meine Spur verschwand.
- Ich steure hin zu nie befahrnen Meeren;
- Minerva haucht, Apoll ist mein Geleit,
- Neun Musen zeigen mir am Pol die Bären.
- Ihr andern wengen, die zur rechten Zeit
- Ihr euch geneigt zum Engelsbrot, das Leben
- Hienieden uns nie Sättigung verleiht,
- Ihr könnt euch kühn aufs hohe Meer begeben,
- Wenn ihr daher auf meiner Furche fahrt,
- Eh wieder gleich das Wasser wird und eben.
- Anstaunen sollt ihr, was ihr bald gewahrt,
- Mehr als die Helden, die nach Kolchis zogen,
- Anstaunten, daß zum Pflüger Jason ward.
- So schnell fast, als des Himmels Kreise, flogen
- - Wir fort, zum Reich, dem Gott die Form verlieh,
- Vom angebornen, ewgen Durst gezogen.
- Beatrix blickt empor und ich auf sie,
- Doch kaum so lang, als sich ein Pfeil zu schwingen
- Vom Bogen pflegt und fliegt und ruht--da sieh
- Mich dort, wo mir der Blick von Wunderdingen
- Gefesselt ward, schon angelangt mit ihr;
- Und sie, gewohnt, mein Innres zu durchdringen,
- Sie wandte sich so froh, wie schön, zu mir:
- "Auf, bring itzt Gott des Dankes Huldigungen!
- Wir sind durch ihn im ersten Sterne hier."
- Mir schiens, als hielt uns eine Wolk umschlungen,
- Von Glanz durchstrahlt, dicht, ungetrennt und rein,
- Wie Diamant, vom Sonnenstrahl durchdrungen.
- Die ewge Perle nahm uns also ein,
- Gleichwie das Wasser, ohne sich zu trennen,
- In sich aufnimmt des Strahles goldnen Schein.
- Wenn ich nun Leib war, und wir nicht erkennen,
- Wie sich in einem Raum ein zweiter fand,
- So, daß im Körper Körper tauchen können,
- Was sind wir drum nicht mehr vom Trieb entbrannt,
- Das Ursein zu erschaun, in dem wir schauen,
- Wie unserer Natur sich Gott verband.
- Dort wird uns das, worauf wir gläubig bauen,
- Nicht durch Beweis, nein, durch sich selber klar,
- Der ersten Wahrheit gleich, auf die wir trauen.
- "Ihm, Herrin," sprach ich, "der mich wunderbar
- Der Erd entrückt, ihm bring ich jetzt, entglommen
- Von frommer Glut, des Dankes Opfer dar.
- Doch sprecht, woher die dunkeln Flecken kommen
- Auf dieses Körpers Scheib, aus welchen man
- Zur Kainsfabel dort den Stoff entnommen."
- Sie lächelt erst ein wenig und begann:
- "Irrt sich des Menschen Geist in solchen Dingen,
- Die nicht der Sinne Schlüssel öffnen kann,
- So solltest du dein Staunen jetzt bezwingen,
- Erkennend, daß, den Sinnen nach, nicht weit
- Sich die Vernunft erhebt mit ihren Schwingen.
- Allein was meinst du selbst? Gib mir Bescheid!"
- Und ich: "Von dünnern oder dichtern Stellen
- Kommt, wie mir scheint, des Lichts Verschiedenheit."
- Drauf sie: "Du wirst bald selbst das Urteil fällen,
- Daß falsch die Meinung sei, drum gib wohl acht,
- Was ich für Gründ ihr werd entgegenstellen.
- Der achte Kreis zeigt vieler Sterne Pracht,
- An Groß und Eigenschaften sehr verschieden,
- Wie ihr verschiednes Ansehn kenntlich macht.
- War dies durch Dünn und Dichtigkeit entschieden,
- So gäbs in allen ja nur eine Kraft,
- Dem mehr, dem minder, jenen gleich beschieden.
- Doch der verschiedne Bildungsgrund erschafft
- Verschiedne Kräft, und alle diese schwanden,
- Nach deinem Satz, vor einer Eigenschaft.
- Dann, wenn die Flecken durch die Dünn entständen,
- So denke, daß entweder hier und dort
- Sich durch und durch stoffarme Stellen fänden;
- Oder, gleichwie im Leib an manchem Ort
- Die Fettigkeit das Magre deckt, so gingen
- Die Schichten durch den Mond abwechselnd fort.
- Das Erste würd ans Licht die Sonne bringen,
- Wenn sie verfinstert ist--es ward ihr Schein
- Dann wie durch andre dünne Stoffs dringen.
- Doch dies ist nicht, drum bleibt das Zweit allein,
- Und wenn wir widerlegt auch dieses sehen,
- Dann wird dein Satz als falsch erwiesen sein.
- Kann durch und durch der dünne Stoff nicht gehen,
- So muß wohl eine Grenze sein, und hier
- Der dichte Stoff den Strahlen widerstehen.
- Zurücke blitzt sodann der Strahl von ihr--
- So wirft das Glas, auf seiner hintern Seite
- Mit Blei belegt, zurück dein Bildnis dir--
- Nun sagst du wohl, daß, weil aus größrer Weite
- Der Strahl sodann auf dich zurückeprallt,
- Er deshalb auch geringres Licht verbreite.
- Doch diesen Einwurf widerlegt dir bald
- Erfahrung, der, als seiner ersten Quelle,
- Jedweder Strom der Wissenschaft entwallt.
- Drei Spiegel nimm und zwei von diesen stelle
- Gleich weit von dir--dem dritten gib sodann
- Entfernter zwischen beiden seine Stelle.
- Kehrst du dich ihnen zu, so stelle man
- Drauf hinter dich ein Licht, das sich in allen
- Zum Widerstrahl des Schimmers spiegeln kann.
- Ins Auge wird der fernre kleiner fallen,
- Doch wird auf dich von ihnen allzumal
- Ein gleich lebendig Licht zurückeprallen.
- Jetzt aber, wie beim warmen Sonnenstrahl
- Des Schnees Massen in sich selbst zergehen,
- Und Farb und Frost zerrinnt im lauen Tal,
- So solls dem Wahn in deinem Geist geschehen,
- Und durch mein Wort sollst du lebendge Glut
- Vor deinem Blick in regem Schimmer sehen.
- Im Himmel, wo der Frieden Gottes ruht,
- Dreht sich ein Kreis, in dessen Kraft und Walten
- Das Sein all des, was er enthält, beruht.
- Der nächste Himmel, reich an Lichtgestalten,
- Verteilt dies Sein verschiednen Körpern drauf,
- Von ihm gesondert, doch in ihm enthalten.
- Aus ändern Kreisen von verschiednem Lauf
- Nimmt die verschiedne Kraft, in ihnen lebend,
- Dann jeder Stern nach seinen Zwecken auf.
- So siehst du diese Weltorgane schwebend,
- In sich im Kreis bewegt von Grad zu Grad,
- Von oben nehmend und nach unten gebend.
- Betrachte wohl den Weg, den ich betrat,
- Auf dem ich dir erwünschte Wahrheit weise,
- Dann findest du wohl künftig selbst den Pfad.
- Kraft und Bewegung nehmen jene Kreise
- Von Lenkern an, die ewges Heil beglückt,
- Wie Stein sich formt nach seines Künstlers Weise.
- Den Himmel, den die Schar der Sterne schmückt,
- Wird von dem Geist, durch den sie rollend Schweben,
- Gepräg und Bildnis mächtig eingedrückt.
- Und wie die Seele, noch vom Staub umgeben,
- Durch Glieder von verschiedner Art beweist,
- Was in ihr für verschiedne Kräfte leben,
- So zeiget seine Huld der Weltengeist,
- Der ewig einer ist, hier, vielgestaltet,
- Im Sternenheer, das durch die Himmel kreist.
- Daher verschiedne Kraft verschieden waltet
- Im edlen Körper, welchen sie durchdrang,
- In dem sie, wie in euch das Leben, schaltet.
- Und da sie heiterer Natur entsprang,
- Glänzt diese Kraft in jedes Sternes Lichte,
- Gleichwie im Augenstern der Wonne Drang.
- Durch sie also, und nicht durchs Dünn und Dichte,
- Erhält verschiednen Glanz der Sterne Schar;
- Daß sie ein Denkmal ihrer Huld errichte,
- Schafft diese Bildnerin, was trüb und klar."
- Dritter Gesang
- Die Sonne, die mich einst mit Glut erfüllt,
- Beweisend hatte sie und widerlegend
- Der Wahrheit holdes Antlitz mir enthüllt.
- Und ich, belehrt, nicht länger Zweifel hegend,
- Wollt eben, daß ichs sei, gestehn und stand,
- Das Haupt, soweit sichs ziemt, emporbewegend.
- Doch ein Gesicht erschien, und so gespannt
- Hielt ich den Blick darauf, ums zu gewahren,
- Daß mein Geständnis der Erinnrung schwand.
- Und wie von Gläsern, von durchsichtgen, klaren,
- Von Weihern, welche seicht, doch still und rein,
- Den Boden unverdunkelt offenbaren,
- Ein Antlitz widerstrahlt, so schwach und fein,
- Daß man erkennen würd in größrer Schnelle
- Auf weißer Stirn der Perle bleichen Schein;
- So sah ich manch Gesicht an jener Stelle
- Und war im Gegensatz des Wahns, durch den
- Einst Lieb entflammt ward zwischen Mann und Quelle.
- Denn plötzlich glaubt ich, wie ich sie ersehn,
- Es wären Spiegelbilder, und bemühte
- Mich, ringsumher ihr Urbild zu erspähn.
- Doch sah ich nichts, und, zweifelnd im Gemüte,
- Schaut ich ins Licht der süßen Führerin,
- Die lächelnd in den heilgen Augen glühte.
- Und sie begann: "Nicht staun in deinem Sinn.
- Belacht ich deine kindischen Gedanken.
- Noch gehst du auf der Wahrheit strauchelnd hin,
- Um, wie du pflegst, dem Wahne zuzuwanken.
- Wirkliche Wesen zeigt dir dies Gesicht,
- Die, untreu dem Gelübd, in Schuld versanken.
- Sprich, hör und glaube; denn das wahre Licht,
- Das sie beseligt, wird es nie gestatten,
- Daß ihm zu folgen sich ihr Fuß entbricht.
- Ich wandte mich und sprach zu einem Schatten,
- Der sprechenslustig schien, schnell, als ein Mann,
- Den längst gequält der Neugier Stacheln hatten:
- "O Seele, die das ewge Licht gewann,
- Die selig hier die Süßigkeiten machten,
- Die nur, wer sie geschmeckt, begreifen kann,
- O sei jetzt freundlich mir. Mein ganzes Trachten
- Ist ja dein Nam und euer Los. Drum sprich!"--
- Und sie, bereit, mit Augen, welche lachten,
- Sprach: "Unsre Lieb erschließt sich williglich
- Gerechtem Wunsch, gleich der, der Liebe Bronnen,
- Die ihr Gefolg gebildet will nach sich.
- Dort auf der Welt gehört ich zu den Nonnen,
- Doch wende nur mir die Erinnrung zu,
- Und durch die höhre Schönheit, höhern Wonnen,
- Daß ich Piccarda bin, erkennest du,
- Mit diesen allen, die sich selig nennen,
- Zum trägsten Kreis versetzt in Wonn und Ruh.
- All unsre Triebe, die allein entbrennen
- In Lust des Heilgen Geists, sind hoch ergetzt,
- Weil sie in seiner Weihe sich erkennen.
- Dies Los, von dir vielleicht geringgeschätzt,
- Ward uns zuteile, weil wir dort auf Erden
- Verabsäumt die Gelübd und sie verletzt."
- Drauf ich: "Euch glänzt in Antlitz und Gebärden,
- Ich weiß nicht was, von Gottheit, wunderbar,
- Und läßt die ersten Züg unkenntlich werden,
- Drob ich so säumig im Erkennen war,
- Jetzt hilft mir, was du sprichst, dem Auge trauen
- Und stellt mir deutlicher dein Bildnis dar.
- Doch sprich: Ihr, glücklich hier in diesen Auen,
- Zieht euch nach höherm Ort nicht die Begier,
- Um mehr euch zu befreunden, mehr zu schauen?"
- Ein wenig lächelten die Schatten hier,
- Denn, als ob sie in erster Liebe glühte,
- Erwiderte sie froh und wonnig mir:
- "Bruder, hier stillt die Kraft der Lieb und Güte
- Jedweden Wunsch, und völlig gnügt uns dies,
- Und nicht nach anderm dürstet das Gemüte.
- Denn wenn es höherm Wunsch sich überließ,
- So würd es ja dem Willen widerstehen,
- Der uns in diesen niedern Kreis verwies.
- Dies kann in diesen Sphären nicht geschehen;
- Lieb ist das Band des ewigen Vereins,
- Mit der nicht Kampf noch Widerstand bestehen.
- Vielmehr ists Wesen dieses selgen Seins,
- Nur in dem Willen Gottes hinzuwallen,
- Drum schmilzt hier aller Wunsch und Trieb in eins.
- Und, wie wir sind von Grad zu Grad, muß allen
- Wie ihm, des Will allein nach seiner Spur
- Den unsern lenkt, dies ganze Reich gefallen.
- Und unser Frieden ist sein Wille nur,
- Dies Meer, wohin sich alles muß bewegen,
- Was er schafft, was hervorbringt die Natur."--
- Nun sah ich: Paradies ist allerwegen
- Wo Himmel ist, strömt auch von oben her
- Vom höchsten Gut nicht gleich der Gnade Regen.--
- Wie bei verschiednen Speisen man nicht mehr
- Von dieser will und sich nach jener wendet,
- Für diese dankt und noch verlangt von der,
- So ich mit Wink und Wort, als sie geendet,
- Um zu erfahren, was sie dort gewebt,
- Allein verlassen, ehe sies vollendet.
- "Vollkommnes Leben und Verdienst erhebt
- Ein Weib", so sprach sie, "zu den höhern Kreisen,
- In deren Tracht und Schleier manche strebt,
- In Schlaf und Wachen treu sich zu erweisen
- Dem Bräutigam, dem jeder Schwur gefällt,
- Den reine Liebestrieb ihm schwören heißen.
- Ihr nachzufolgen floh ich jung die Welt,
- Weiht ihrem Orden mich und war beflissen,
- Dem gnugzutun, was sein Gesetz enthält.
- Doch Menschen, ruchlos mehr, als gut, entrissen
- Gewaltsam dem Verlies, dem süßen, mich
- Wie drauf mein Leben war--Gott wird es wissen--
- Der andre Glanz, der mir zur Rechten dich
- So freudig hell bestrahlt, denn er entzündet
- In unsrer Sphäre ganzem Schimmer sich,
- Versteht von sich, was ich von mir verkündet.
- Denn man entriß, wie meinem, ihrem Haupt
- Den Schleier, der der Nonnen Stirn umwindet.
- Doch, ob man Rückkehr ihr zur Welt erlaubt,
- Blieb doch ihr Herz bekrönt mit jenem Kranze,
- Den ihrer Stirn verruchte Tat geraubt.
- Sie ist das Licht der trefflichen Konstanze,
- Die mit dem zweiten Sturm aus Schwabenland
- Den dritten zeugt, umstrahlt vom letzten Glanze."
- Piccarda sprachs, mir heiter zugewandt,
- Und fing ein Ave an, indem sie singend,
- Wie Schweres in der tiefen Flut, verschwand.
- Mein Blick, ihr nach, soweit er konnte, dringend,
- Erhob sich dann, sobald er sie verlor,
- Nach einem Ziele größern Sehnens ringend,
- Zu Beatricens Antlitz ganz empor,
- Doch als ihr Aug, ein Blitz, in meins geschlagen,
- So daß zuerst es niedersank davor,
- Da macht es zögern mich mit weitern Fragen.
- Vierter Gesang
- Zwischen zwei Speisen, gleich entfernt und lockend,
- Ging hungrig wohl ein freier Mann zugrund,
- Nicht von der einen noch der andern brockend.
- So stund ein Lämmchen zwischen Schlund und Schlund
- Von zweien Wölfen fest, in gleichem Zagen,
- So stund auch zwischen zweien Rehn ein Hund.
- So ließ verschiedner Zweifel mich nicht fragen.
- Ich schwieg nur, weil ich mußt, und kann davon
- Drum weder Gutes jetzt noch Böses sagen.
- Ich schwieg, doch ward mein Wunsch vom Antlitz schon
- Klar ausgedrückt und deutlicher vernommen,
- Als hätt ich ihn erklärt mit klarem Ton.
- Beatrix tat wie Daniel, als entglommen
- Nebukadnezar war in blinder Wut,
- Die des Propheten Deutung ihm benommen.
- "Daß dich zwei Wünsche drängen, seh ich gut,"
- Begann sie, "die dich fesseln. So daß keiner
- Von beiden sich nun kund nach außen tut.
- Du fragst: Bleibt unser Will ein guter, reiner,
- Wie macht Gewalttat andrer dann den Wert
- Und wie den Umfang des Verdienstes kleiner?
- Hiernächst auch zweifelst du, weil Plato lehrt,
- Daß, wies ihm scheint, zu ihrem Sternenkreise
- Die Seele von der Erde wiederkehrt.
- Die beiden Zweifel drängen gleicherweise
- Auf deinen Willen ein, daher ich Ietzt
- Der schlimmern Meinung Falschheit erst beweise.
- Der Seraph, den der reinste Schimmer letzt,
- Moses und Samuel--die je heilig waren,
- Ja, selbst Marien nenn ich dir zuletzt,
- Sind nicht in anderm Himmel als die Scharen
- Der selgen Geister, die du jetzt gesehn,
- Sind reicher nicht und ärmer nicht an Jahren.
- Die erste Sphäre machen alle schön,
- Doch ist verschiedner Art ihr süßes Leben,
- Wie mehr und minder Gottes Hauche wehn.
- Sie zeigten hier sich, nicht, weil ihnen eben
- Der Kreis zuteil ward, nein, weil dies beweist,
- Daß sie zum Höchsten minder sich erheben.
- So sprechen muß man ja zu eurem Geist,
- Den nur die Sinne zu dem allen leiten.
- Was die Vernunft sodann ihr eigen heißt.
- Drum läßt sich auch zu euren Fähigkeiten
- Die Schrift herab, wenn sie von Gott euch spricht,
- Von Hand und Fuß, um andres anzudeuten.
- Die Kirche zeigt mit menschlichem Gesicht
- Gabriel und Michael und Raphaelen,
- Der neu geklärt Tobias Augenlicht.
- Doch des Timäus Lehre von den Seelen
- Ist andrer Art. Er glaubt auch, was er lehrt,
- Und scheint darin kein Sinnbild zu verhehlen.
- Daß sich zu ihrem Stern die Seele kehrt,
- Er sprichts und glaubt, daß sie von dort gekommen,
- Als die Natur sie uns zur Form gewährt.
- Allein wird dies nicht wörtlich angenommen,
- So kann er doch vielleicht mit dem Beweis
- Dem Ziel der Wahrheit ziemlich nahekommen,
- Dafern er meinte, daß aus jedem Kreis
- Das Gut und Böse stamm, und deshalb lehrte,
- Dem kehre Schimpf zurück und jenem Preis.
- Und dieser schlechtverstandne Satz verkehrte
- Fast alle Welt, so daß in Sternen man
- Den Mars, Merkur und Jupiter verehrte.--
- Der andre Zweifel, welcher dich umspann,
- Hat mindres Gift, indem er nicht entrücken
- Dich meinem Pfad durch seine Schlingen kann.
- Denn scheint auch ungerecht den Menschenblicken
- Unsre Gerechtigkeit, nun, so beweist
- Dies Glauben nur, nicht ketzerische Tücken.
- Allein wohl fähig ist des Menschen Geist,
- In diese Wahrheit tiefer einzudringen,
- Drum will ich jetzt, daß du befriedigt seist.
- Ist das Gewalt, wenn jenen, welche zwingen,
- Der, welcher leidet, nie sich willig zeigt,
- So kann sie jenen nicht Entschuldgung bringen.
- Denn Wille, der nicht will, bleibt ungebeugt,
- Wie Feuer, mag der Sturmwind tosend Schwellen,
- Oft hingeweht, neu in die Höhe steigt.
- Der Wille wird zu der Gewalt Gesellen,
- Wenn er sich beugt; drum fehlte jenes Paar
- Rückkehren könnend zu den heilgen Zellen.
- Blieb jener Nonnen Will unwandelbar,
- Wie auf dem Rost Laurentius geblieben,
- Wie Scävola, der streng der Rechten war,
- So hätt er sie, befreit, zurückgetrieben
- Denselben Pfad, auf dem man sie entführt;
- Doch selten sind, die solchen Willen lieben.
- Noch hättest du den Zweifel oft gespürt,
- Der jetzt gewiß vor meinem Wort geschwunden,
- Wenn du wohl aufgemerkt, wie sichs gebührt.
- Doch hält ein andrer schon dein Aug umwunden,
- Und gänzlich schwände deine Kraft dahin,
- Eh du dich Selbst aus ihm herausgefunden.
- Ich legt es als gewiß in deinen Sinn,
- Die Seele, die der ersten Wahrheit Pforten
- Stets nahe bleibt, sei niemals Lügnerin.
- Doch nun erfuhrst du durch Piccarda dorten,
- Daß ihren Schleir Konstanze nie vergaß,
- Und dies scheint Widerspruch mit meinen Worten.
- Oft, Bruder, die Gefahr zu fliehn, geschahs,
- Daß sich ein Mensch, auch wider Willen, dessen,
- Was nimmer sich zu tun geziemt, vermaß.
- So hat Alkmäon, welcher sich vermessen
- Des Muttermords, weil ihn sein Vater bat,
- Die Sohnespflicht aus Sohnespflicht vergessen.
- Daraus erkennst du diese Wahrheit: hat
- Der Wille sich vermischt dem äußern Drange,
- So liegt in ihm die Schuld der bösen Tat.
- Der unbedingte Wille trotzt dem Zwange,
- Doch stimmt insofern bei, als der Gefahr
- Er zagend weicht, vor größerm Schaden bange.
- Piccarda sprach, dies siehst du jetzo klar,
- Vom unbedingten Willen nur zum Guten,
- Vom zweiten Ich, und beider Wort ist wahr."
- So war das Wogen jener heilgen Fluten
- Dem Quell entströmt, dem Wahrheit nur entquillt,
- Daß süß befriedigt meine Wünsche ruhten.
- "Liebste des ersten Liebenden, o Bild
- Der Gottheit," rief ich, "deren Rede regnet,
- Erwärmt und mehr und mehr belebt und stillt.
- Oh, war mit Inbrunst doch mein Herz gesegnet
- Zum Dank, der gnügte deiner Huld--doch dir
- Sei nur von ihm, der sieht und kann, entgegnet.
- Nie sättigt sich der Geist, dies seh ich hier,
- Als in der Wahrheit Glanz, dem Quell des Lebens,
- Die uns als Wahn zeigt alles außer ihr.
- Doch fand er sie, dann ruht die Qual des Strebens,
- Und finden kann er sie, sonst wäre ja
- Jedweder Wunsch der Menschenbrust vergebens.
- Dann läßt der Geist, wenn er die Wahrheit sah,
- An ihrem Fuß den Zweifel Wurzel schlagen
- Und treibt von Höhn zu Höhn dem Höchsten nah.
- Dies ladet nun mich ein, dies heißt mich wagen,
- Nach einer andern dunkeln Wahrheit jetzt
- Voll Ehrfurcht, hohe Herrin, Euch zu fragen.
- Kann wohl der Mensch, der ein Gelübd verletzt,
- Durch andres gutes Werk dies so vergüten,
- Daß Ihrs, nach Eurer Wag, als gnügend schätzt?
- Sie sah mich an, und Liebesfunken sprühten
- Aus ihrem Aug so göttlich klar hervor,
- Daß ich, besiegt, sobald sie mir erglühten,
- Gesenkten Blicks mich selber fast verlor.
- Fünfter Gesang
- "Wenn ich in Liebesglut dir flammend funkle,
- Mehr, als es je ein irdisch Auge sieht,
- So, daß ich deines Auges Licht verdunkle,
- Nicht staune drum--es macht, daß dies geschieht,
- Vollkommnes Schauen, welches, wies ergründet,
- In dem Ergründeten uns weiterzieht.
- Schon glänzt, ich sehs in deinem Blick verkündet.
- In deinem Geist ein Schein vom ewgen Licht,
- Das, kaum gesehen, Liebe stets entzündet.
- Und liebt ihr, weil euch andrer Reiz besticht,
- So ists, weil, unerkannt, vom Licht, dem wahren,
- Ein Strahl herein auf das Geliebte bricht.
- Ob andrer Dienst, dies willst du jetzt erfahren,
- Gebrochenes Gelübd ersetzen kann,
- Um vor dem Vorwurf euer Herz zu wahren."
- So fing ihr heilges Wort Beatrix an
- Und setzte dann, die Rede zu vollenden,
- Ununterbrochen fort, was sie begann.
- "Die größte Gab aus Gottes Vaterhänden
- Und seiner reichen Güte klarste Spur,
- Von ihm geschätzt als höchste seiner Spenden,
- Ist Willensfreiheit, so die Kreatur,
- Der er Vernunft verlieh, von ihm bekommen,
- Von diesen jede, doch auch diese nur.
- Hieraus ersieh den hohen Wert des frommen
- Gelübdes, wenn es so beschaffen ist,
- Daß Gott, was du geboten, angenommen.
- Denn, wer mit Gott Vertrag schließt, der vermißt
- Sich, diesen Schatz zum Opfer darzubringen,
- Mit dessen Werte sich kein andrer mißt.
- Wie kann drum je hier ein Ersatz gelingen?
- Brauchst du auch wohl, was du geopfert hast,
- So ists nur Wohltat mit gestohlnen Dingen.
- Du hast das Wichtigste nun aufgefaßt,
- Doch weil die Kirche vom Gelübd entbindet,
- So zweifelst du an meiner Wahrheit fast.
- Drum bleib am Tisch ein wenig noch. Hier findet,
- Ob du auch Unverdauliches gespeist,
- Das Mittel sich, vor dem der Schmerz verschwindet.
- Dem, was ich sag, erschließe deinen Geist,
- Denn Hören gibt nicht Weisheit, nein, Behalten;
- Behalt es drum, damit du weise seist.
- In diesem Opfer sind zwei Ding enthalten;
- Das erste: des Gelübdes Gegenst and--
- Das zweite: der Vertrag, es treu zu halten.
- Der letztere hat ewigen Bestand,
- Bis er erfüllt ist, und wie er zu achten,
- Dies macht ich oben dir genau bekannt.
- Drum mußten die Hebräer Opfer schlachten,
- Obwohl für das Gelobte dann und wann
- Sie, wie du wissen mußt, ein andres brachten.
- Der Gegenstand kann also sein, daß man,
- Auch ohne Reu und Vorwurf zu empfinden,
- Mit einem andern ihn vertauschen kann.
- Nur mag sich dessen niemand unterwinden
- Nach eigner Wahl, wenn ihn der ersten Last
- Der gelb und weiße Schlüssel nicht entbinden.
- Und jeder Tausch der Bürd ist Gott verhaßt,
- Wenn, die wir nehmen, die wir von uns legen,
- Nicht wie die Sechs die Vier, voll in sich faßt.
- Drum, ziehet das, was man gelobt, beim Wägen
- Jedwede Wag herab durch sein Gewicht,
- So gibts auch nirgendwo Ersatz dagegen.
- Scherzt, Sterbliche, mit dem Gelübde nicht.
- Seid treu, doch seht euch vor; denn schwer beklagen
- Wirds jeder, der, wie Jephtha, blind verspricht.
- Ihm ziemt es besser: Ich tat schlimm! zu sagen,
- Als, haltend, schlimmer tun--und gleiche Scham
- Sah man davon den Griechenfeldherrn tragen;
- Drob Iphigenia weint in bitterm Gram
- Und um sich weinen Weis und Toren machte,
- Ja, jeden, der von solchem Dienst vernahm.
- Sei nicht leichtgläubig, Christenvolk, und trachte,
- Nicht wie der Flaum im Windeshauch zu sein;
- Daß dich nicht jedes Wasser wäscht, beachtet
- Das Alt und Neue Testament ist dein,
- Der Kirche Hirt ist Führer ihren Söhnen,
- Und dieses gnügt zu eurem Heil allein.
- Und reizt euch jemand, schlechtem Trieb zu frönen,
- Nicht Schafe seid ihr, eurer unbewußt,
- Drum laßt vom Nachbar Juden euch nicht höhnen.
- Tut nicht dem Lamm gleich, das der Mutter Brust
- Aus Einfalt läßt und, dumm und geil, vergebens
- Nur mit sich selber kämpft nach seiner Lust."
- Beatrix sprachs und wandte, regen Strebens,
- Ganz Sehnen, ihren Blick zum hellem Licht,
- Empor zur schönen Welt des höhern Lebens.
- Ihr Schweigen, ihr verwandelt Angesicht
- Geboten dem begiergen Geiste Schweigen
- Und ließen mich zu neuen Fragen nicht.
- Und schnell, wie sich beschwingte Pfeile zeigen,
- Ins Ziel einbohrend, eh die Sehne ruht,
- So eilten wir, zum zweiten Reich zu steigen.
- Die Herrin sah ich so in frohem Mut,
- Da uns der Flug zum neuen Glänze brachte,
- Daß heller ward des Sternes Licht und Glut.
- Wenn der Planet nun, sich verwandelnd, lachte,
- Wie ward wohl mir, mir, den verwandelbar
- Schon die Natur auf alle Weisen machte?
- Gleichwie im Teich, der ruhig ist und klar,
- Wenn das, wovon die Fischlein sich ernähren,
- Von außen kommt, her eilt die muntre Schar,
- So sah ich hier zu uns sich Strahlen kehren
- Wohl Tausende, von welchen jeder sprach:
- "Seht, der da kommt, wird unser Lieben mehren!"
- Und wie sie uns sich nahten nach und nach,
- Da sah ich süßer Wonne voll die Seelen,
- Im Glanz, der hell hervor aus jeder brach.
- Bedenke, Leser, wollt ich dir verhehlen,
- Was ich noch sah, und schweigend von dir gehn,
- Wie würde dich der Durst nach Wissen quälen?
- Du wirst daraus wohl durch dich selbst verstehn,
- Wie ich ihr Los mich sehnte zu erfahren,
- Sobald mein Aug in ihren Glanz gesehn.
- "Begnadigter, dem hier sich offenbaren
- Des ewigen Triumphes Thron, eh dort
- Du noch verlassen hast der Krieger Scharen,
- Wir sind entglüht vom Licht, das fort und fort
- Den Himmel füllt--drum, wünschest du Erklärung,
- So sättige nach Wunsch dich unser Wort."
- Ein frommer Geist verhieß mir so Gewährung,
- Beatrix drauf: "Sprich, sprich und glaub ihm fest,
- So fest, als war es göttliche Belehrung."
- "Ich sehe, würdger Geist, du hast dein Nest
- Im eignen Licht, das, wie du lächelst, immer
- Mit hellerm Glanz dein Auge strahlen läßt,
- Doch wer bist du? Was ward der schwache Flimmer
- Der niedern Sphäre dir zum Sitz gewährt,
- Die uns umschleiert wird durch fremden Schimmer?"
- So sprach ich, jenem Lichte zugekehrt,
- Das erst gesprochen hatt, und sahs in Wogen
- Von Strahlen drum weit mehr als erst verklärt.
- Denn gleichwie Sol, von dichtem, Dunst umzogen,
- In zu gewaltgen Glanz sich selber hüllt,
- Wenn Glut der Nebel Schleier weggesogen,
- So barg sich jetzt, von größrer Lust erfüllt,
- Die heilige Gestalt im Strahlenringe,
- Und sie entgegnete mir, so verhüllt,
- Das, was ich bald im nächsten Sange singe.
- Sechster Gesang
- "Nachdem der Kaiser Konstantin, entgegen
- Der Himmelsbahn, gewendet jenen Aar,
- Der einst ihr folgt auf des Äneas Wegen,
- Da sah man mehr als schon zweihundert Jahr
- Zeus Vogel an Europens Rand verbringen,
- Nah dem Gebirg, dem er entflogen war.
- Beherrschend unterm Schatten heilger Schwingen
- Von dort die Welt, ging er von Hand zu Hand,
- Bis ihm beim Wechsel meine Hand empfingen.
- Cäsar war ich, Justinian genannt,
- Der, nach der ersten heilgen Liebe Walten,
- Unmaß und Leeres ins Gesetz gebannt.
- Und eh ichs unternahm, dies zu gestalten,
- Lebt ich zufrieden in dem Wahne fort,
- Ein Wesen sei in Christo nur enthalten.
- Doch Agapet, der höchste Hirt und Hort,
- Er lenkte mich zurück zum Echten, Wahren,
- Zum rechten Glauben durch sein heilig Wort.
- Ich glaubt ihm und bin jetzt ob des im klaren,
- Was er mir sagt--und du auch wirst nun sehn,
- Daß Wahr und Falsch im Gegensatz sich paaren.
- Kaum fing ich an, der Kirche nachzugehn,
- So flößt es Gott mir ein, mich aufzuraffen,
- Und nur dem hohen Werke vorzustehn.
- Dem Belisar vertraut ich meine Waffen,
- Und ihm verband des Himmels Rechte sich
- Zum Zeichen mir, ich soll in Ruhe schaffen.
- Befriedigt hab ich nun im ersten dich,
- Was du gefragt; allein die Art der Frage
- Verbindet noch zu einem Zusatz mich,
- Damit du sehst, welch Unrecht jeder trage,
- Der dieses hehren, heilgen Zeichens Macht
- An sich zu ziehn und ihr zu trotzen wage.
- Du siehst die Kraft, dies wert der Ehrfurcht macht,
- Seit seiner Herrschaft Pallas, überwunden,
- Sein Leben selbst zum Opfer dargebracht;
- Weißt, daß es drauf den Aufenthalt gefunden,
- Dreihundert Jahr und mehr in Albas Aun,
- Bis drei und drei dafür den Kampf bestunden;
- Weißt, was vom Raube der Sabinerfraun
- Es tat bis zu Lukreziens Schmerz, durch sieben,
- Die ringsumher besiegt die Nachbargaun.
- Weißt, wie es Brennus, Pyrrhus auch vertrieben,
- Getragen vor der wackern Römer Schar
- Und siegreich noch in manchem Kampf geblieben;
- Drob Quinctius, benannt vom wirren Haar,
- Drob auch Torquatus, Decier, Fabier glänzen
- In freudgem Ruhme durch den heilgen Aar.
- Er schlug der Libyer Stolz, die, Welschlands Grenzen
- Einst Hannibal verführt, zu überziehn,
- Wo Alpen deinen Quell, o Po, umkränzen.
- Ein Jüngling noch, hob Scipio sich durch ihn.
- Pompejus auch, zu des Triumphes Ehren,
- Der bitter deinem Vaterlande schien.
- Dann, nah der Zeit, in der die Welt verklären
- Der Himmel wollt in seinem eignen Schein,
- Nahm Julius Cäsar ihn auf Roms Begehren.
- Was er dann tat vom Varus bis zum Rhein,
- Jser und Seine sahns, es sahns, bezwungen,
- Die Tale, die der Rhon ihr Wasser Ieihn.
- Wie er den Rubikon dann übersprungen,
- Was er dann tat, das war von solchem Flug,
- Daß Zung und Feder nie sich nachgeschwungen.
- Nach Spanien lenkt er dann den Siegerzug,
- Dann nach Durazz und traf Pharsaliens Auen
- So, daß man Leid am heißen Nile trug.
- Sah wieder dann den Simois, die Gauen,
- Von wo er kam, wo Hektor ruht und schwang
- Sich auf dann, zu des Ptolemäus Grauen.
- Worauf er blitzend hin zum Juba drang;
- Dann sah man ihn die Flügel westwärts schlagen,
- Wo ihm Pompejus Kriegsdrommet erklang.
- Was er mit dem tat, der ihn dann getragen,
- Bellt Brutus, Cafsius noch in ewger Not,
- Sagt Modena, Perugia noch mit Klagen.
- Kleopatra beweints noch, die, bedroht
- Von seinem Zorn, entfloh und an die Brüste
- Die Schlange nahm zu schnellem, schwarzem Tod.
- Mit diesem eilt er bis zur roten Küste,
- Mit diesem schloß er fest des Janus Tor,
- Weil Fried und Ruh den ganzen Erdball küßte.
- Doch was der Adler je getan zuvor,
- Und was noch drauf getan dies hohe Zeichen,
- Das Gott zur Herrschaft irdschen Reichs erkor,
- Muß dem gering erscheinen und erbleichen,
- Ders in der Hand des dritten Cäsar schaut
- Mit klarem Blick, dem Wahn und Irrtum weichen.
- Denn die Gerechtigkeit, die jeden Laut
- Mir einhaucht, hat ihn, ihren Zorn zu rächen.
- Der Hand des, den ich dir benannt, vertraut.
- Jetzt staun ob dessen, was ich werde sprechen:
- Er nahm, begleitend dann des Titus Bahn,
- Rach an der Rache für ein alt Verbrechen.
- Und als darauf der Langobarden Zahn
- Die Kirche biß, sah unter seinen Schwingen
- Man Karl den Großen ihr mit Hilfe nahn.
- Nun siehst du selbst, wie jene sich vergingen,
- Von denen ich, sie hart anklagend, sprach,
- Die über euch all euer Übel bringen.
- Der trachtet selbst dem Reicheszeichen nach,
- Der will es durch die Lilien überwinden,
- Und schwer zu sagen ist, wer mehr verbrach.
- Der Ghibellin mög andres Zeichen finden,
- Denn schlechte Folger sind dem heilgen Aar,
- Die standhaft nicht das Recht und ihn verbinden.
- Der neue Karl mit seiner Guelfenschar,
- Nicht trotz er ihm, der wohl schon stärkerm Leuen
- Das Vlies abzog mit seinem Klauenpaar.
- Oft muß der Sohn des Vaters Fehl bereuen.
- Nicht glaub er seine Lilien Gott so lieb,
- Um ihrethalb sein Zeichen zu erneuen--
- Der kleine Stern, der fern und dämmernd blieb,
- Ist Wohnsitz derer, die zum tätgen Leben
- Der Durst allein nach Ruf und Ehre trieb.
- Und wenn so falsch gelenkt die Wünsche streben,
- So muß sich wohl der wahren Liebe Licht
- Mit minderm Glanz zum rechten Ziel erheben.
- Doch wägen wir dann des Verdiensts Gewicht
- Mit dem des Lohns, so wird uns Wonn und Frieden,
- Weil eins dem andern so genau entspricht.
- Dann stellt uns die Gerechtigkeit zufrieden
- Und sichert uns vor jedem sündgen Hang,
- Denn glücklich macht uns das, was uns beschieden.
- Verschiedne Tön erzeugen süßen Klang;
- So bilden hier die Harmonie der Sphären
- Die lichten Kreise von verschiednem Rang.
- Du siehst in dieser Perle sich verklären
- Romeos Licht, mußt auch sein schönes Tun
- Auf Erden des verdienten Lohns entbehren.
- Allein die Pprovenzalen lachen nun
- Nicht ihres Grolls, denn solche nahn dem Falle,
- Die sich in andrer Guttat Schaden tun.
- Vier Töchter hatt, und Königinnen alle,
- Graf Raimund, und Romeo tat ihm dies,
- Der niedre Fremd in stolzer Fürstenhalle.
- Und jener folgt, als ihm die Scheelsucht hieß,
- Dem Biedermanne Rechnung anzusinnen,
- Der acht und vier für zehn ihm überwies.
- Arm und veraltet ging er dann von hinnen;
- Und wußte man, mit welchem Herzen er
- fortzog, sein Brot als Bettler zu gewinnen,
- Man preist ihn hoch und pries ihn dann noch mehr.
- Siebenter Gesang
- Hosianna dir, du Gott der Macht und Wahrheit,
- Dir, der du hier der selgen Flammen Glanz
- Reich überströmst mit Fülle deiner Klarheit!"
- So schien, zurückgewandt zu ihrem Tanz,
- Die Seel im Lied den höchsten Herrn zu feiern,
- Umringt ihr Licht von neuem Strahlenkranz.
- Den Reigen sah ich alle nun erneuern,
- Und Funken gleich, die durch die Lüfte fliehn,
- Von plötzlicher Entfernung sie verschleiern.
- Ich zweifelte. "Sprich, sprich, zur Herrin," schien
- Mein Herz zu sprechen bei des Mundes Schweigen,
- "Die stets dir Lab in süßem Tau verliehn."
- Allein die Ehrfurcht, der ich immer eigen
- Als Sklav war, wo nur be nd ice klang,
- Ließ, gleich dem Schläfrigen, das Haupt mich neigen.
- Sie aber duldete mich so nicht lang;
- In Lächeln strahlte mir das hohe Wesen,
- Das Feuerpein umschüf in Wonnedrang.
- Sie sprach: "Ich hab in deiner Brust gelesen,
- Wie ist--dies ists, was dir im Haupte kreist--
- Gerechter Rache Züchtgung Recht gewesen.
- Doch bald entwirren will ich deinen Geist,
- Damit du, wenn dein Sinn sich mir erschlossen,
- Um eine große Wahrheit reicher seist.
- Der Mensch, der nicht geboren ward, verdrossen,
- Zu dulden, sich zum Heil, des Willens Zaum,
- Verdammte sich und mit sich seine Sprossen;
- Drob das Geschlecht in Wahn und falschem Traum
- Viel hundert Jahre krank lag, matt und trübe,
- Bis sich das Wort geneigt zum niedern Raum,
- Wos der Natur, die sich im irren Triebe
- Vom Schöpfer abgekehrt, sich ganz verband,
- Bloß durch das Walten seiner ewgen Liebe.
- Scharf sei dein Blick jetzt auf mein Wort gespannt.
- Diese Natur, dem Schöpfer hingegeben
- Und ihm vereint, war rein, wie sie entstand.
- Doch durch sie selbst war sie für falsches Streben
- Vom Paradies verbannt, weil sie die Bahn
- Verlassen, wo nur Wahrheit ist und Leben.
- Drum ward die Strafe, durch das Kreuz empfahn,
- Mit größerm Recht, als jemals irgendeine,
- Der angenommenen Natur getan.
- So war die Straf auch ungerecht wie keine,
- In Hinsicht des, der sie erlitten hat,
- Mit der Natur, der irdschen, im Vereine.
- Verschieden war die Wirkung einer Tat.
- Gott und den Juden mußt ein Tod gefallen,
- Drob Erd erbebt und Himmel auf sich tat.
- Schwer wird dirs nicht mehr zu begreifen fallen,
- Wenn man von dem gerechten Richter spricht,
- Des Rach auf rechte Rache schwer gefallen.
- Doch deinen Geist, gleich einem Netz, umflicht
- Gedank itzt und Gedank in engem Kreise,
- Aus dem er sehnlich Lösung sich verspricht.
- Der Rache Recht war klar in dem Beweise,
- Denkst du; doch weshalb wählt in seiner Macht
- Gott zur Erlösung ebendiese Weise?
- Der Schluß, mein Bruder, birgt sich dem in Nacht,
- Dem nicht, wenn hell der Liebe Flammen brennen,
- Die Glut den Geist zur Mündigkeit gebracht.
- Vernimm deshalb, weil wenig zu erkennen,
- Wo viel der Blick umsonst sich spähend müht,
- Warum die Art die würdigste zu nennen.
- Die ewge Gut, in sich nie zornentglüht,
- Zeigt, wenn im All sich ihre Schönheit spiegelt,
- Wie sie die Funken eigner Glut versprüht.
- Was ihr unmittelbar entströmt--verriegelt
- Ist dem des Todes Tür, und fest und treu
- Ist das Gepräge, wenn sie selber siegelt.
- Was ihr unmittelbar entströmt, ist frei,
- Ist völlig frei, und deshalb wohnt dem Neuen
- Die Kraft nicht, es zu unterjochen, bei.
- Je mehrs ihr gleicht, je mehr muß sies erfreuen,
- Drum will die heilge Glut, das Licht der Welt,
- Aufs ähnlichste den hellsten Schimmer streuen.
- In allem dem ist hoch der Mensch gestellt,
- Der aber, wenn nur eins ihm fehlt, entweihet,
- Mit Schmach herab von seinem Adel fällt.
- Die Sünd allein ist das, was ihn entfreiet.
- Unähnlich macht sie ihn dem höchsten Gut,
- Das wenig drum von seinem Glanz ihm leihet.
- Nie kehrt zurück ihm seine Würde, tut
- Er dem nicht Gnüge durch gerechte Leiden,
- Was er gefehlt in sündger Lüste Glut.
- Eure Natur, die in den ersten beiden
- Ganz sündigte, ward, wie der Würd entsetzt,
- So auch verdammt, das Paradies zu meiden.
- Und Möglichkeit, dahin zurückversetzt
- Dereinst zu sein, gabs nur auf zweien Pfaden,
- Wenn scharf dein Geist der Dinge Wesen schätzt:
- Entweder Gott verzieh allein aus Gnaden,
- Oder es mußte sich, der ihn gekränkt,
- Der Mensch, gnugtuend, selbst der Schuld entladen.
- Dein Blick sei in den Abgrund jetzt versenkt
- Des ewgen Rates, und mit ernstem Schweigen
- Sei ganz dein Geist nach meinem Wort gelenkt.
- Gnugtuung konnte nie der Mensch erzeigen,
- Und, eng beschränkt, so tief nicht niedergehn,
- Gehorchend, nicht sich so in Demut neigen,
- Als, ungehorsam, er sich wollt erhöhn;
- Drum könnt er nie sich von der Schuld befreien,
- Genugtuung nicht durch ihn selbst geschehn.
- Drum wählt, ihn neu zum Leben einzuweihen,
- Gott, so gerecht wie gnädig, seinen Pfad
- Und führt auf diesem ihn, vielmehr auf zweien.
- Doch weil so werter ist des Täters Tat,
- Je heller strahlt die Gut in dem Gemüte,
- In dem die Handlung ihre sQuelle hat,
- Hat, die die Welt gestaltet, Gottes Güte,
- Auf jedem Wege, der ihr offen lag,
- Euch neu erhöht zu eurer ersten Blüte.
- Und zwischen letzter Nacht und erstem Tag
- Ist nie so Hohes, Herrliches gediehen
- Für sie und euch, was er auch schaffen mag.
- Freigebger wars, daß Gott sich selbst verliehen,
- Drob zu erstehn der Mensch genügend ward,
- Als hätt er ihm nur aus sich selbst verziehen,
- Karg war erfüllt in jeder andern Art
- Das Recht, wenn Gottes Sohn um euretwillen
- Nicht demutsvoll dem Fleische sich gepaart.
- Jetzt, um noch besser deinen Wunsch zu stillen,
- Und daß du sehst, gleich mir, das volle Licht,
- Will ich noch eins dir deutlicher enthüllen.
- Ich sehe Feuer, sehe Luft--so spricht
- Dein Zweifel--Wasser, Erd, in mannigfachen
- Vermischungen, und alle dauern nicht.
- Geschöpfe sind ja alle diese Sachen;
- Und sollte dies, wenn ich dich recht verstand,
- Sie nicht vor der Verderbnis sicher machen?
- Die Engel, Bruder, und dies reine Land,
- Sie dürfen wohl sich für erschaffen halten,
- Weil, wie sie sind, ihr volles Sein entstand.
- Doch alles, was die Element entfalten,
- Die Elemente selbst, sie läßt allein
- Der Höchste durch geschaffne Kraft gestalten.
- Geschaffen ward ihr Stoff, ihr erstes Sein,
- Geschaffen ward die Bildungskraft dem Tanze
- Der Sterne, die um eure Welt sich reihn.
- Die Seele jedes Tiers und jeder Pflanze
- Zielet nach verschiedner Bildungsfähigkeit
- Regung und Licht aus ihrem heilgen Glanze.
- Allein der höchsten Güte Hauch verleiht
- Unmittelbar uns selber unser Leben
- Und Liebe, die dann ihr sich sehnend weiht.
- Wie aus der Gruft die Leiber sich erheben,
- Erkennst du, wenn du denkest, wessen Ruf
- Dem Menschenleib sein erstes Sein gegeben,
- Als er die beiden ersten Eltern schuf.
- Achter Gesang
- Die Welt glaubt einst, unselgen Irrtum hegend,
- Daß Cypris toller Liebe Glut entflammt,
- Im dritten Epizyklus sich bewegend.
- Drob nicht zu ihr allein mit Opferamt
- Und Weiherufen sich anbetend kehrte
- Das alte Volk, im alten Wahn verdammt;
- Nein, auch Dionen und Cupiden ehrte,
- Als ihre Mutter sie, ihn als das Kind,
- Dem Dido ihren Schoß zum Sitz gewährte.
- So ward nach ihr, von der mein Sang beginnt,
- Der Stern benannt, der, bald der Sonn im Rücken,
- Bald ihr im Angesicht liebäugelnd minnt.
- Nicht fühlt ich mich in diesen Stern entrücken,
- Doch daß ich wirklich drinnen sei, entschied
- Der Herrin höhres, schöneres Entzücken.
- Und wie man Funken in der Flamme sieht,
- Und wie wir Stimmen in der Stimm erkennen,
- Die aushält, wenn die andre kommt und flieht;
- So sah ich Lichter hier im Lichte brennen,
- Und, nach dem Maß des innern Schauns erregt,
- So schiens, im Kreis mehr oder minder rennen.
- Kein Wind, unsichtbar oder sichtbar, pflegt
- So schnell aus kalter Wolk herabzugleiten,
- Daß er nicht langsam schien und schwer bewegt
- Dem, der die Lichter uns entgegenschreiten
- Im Flug gesehn, aus jenem Kreis hervor,
- Den hohe Seraphim bewegend leiten.
- Und hinter diesen ersten klangs im Chor:
- Hosianna! Und seit ich den Ton vernommen,
- Sehnt stets nach ihm sich brünstig Herz und Ohr.
- Und einen sah ich dann uns näher kommen,
- Und er begann allein mit frohem Klang:
- "Willfährig sind wir alle, dir zu frommen.
- Wir wandeln hin, ein Kreis, ein Schwung, ein Drang,
- Uns nie vom Pfad der Himmelsfürsten trennend,
- Zu welchem du gejagt in deinem Sang:
- Die ihr den dritten Himmel lenkt, erkennend;
- Für dich wird uns nicht schwer ein Stillestand,
- Für dich in so inbrünstger Liebe brennend."
- Als ich zu ihr voll Ehrfurcht mich gewandt,
- Und so der Herrin Blick sich ausgesprochen,
- Daß ich mich sicher und befriedigt fand,
- Schaut ich zum Licht, das mir in sich versprochen
- So vieles hatt, und sprach: "Wer bist du, sprich!"
- Den Ton vor großer Inbrunst fast gebrochen.
- O wie vermehrte, wie verschönte sich
- Der frohe Glanz in Mienen und Gebärden
- Bei meinem Wort!--Dann sprach er freudiglich:
- "Nur kurze Zeit verweilt ich auf der Erden,
- Verweilt ich mehr, dann wären viele nicht
- Der Übel, die dich noch betreffen werden.
- Nur meine Freude birgt dir mein Gesicht,
- Nur sie verhüllt mich rings im Strahlenrunde,
- So wie den Seidenwurm die Seid umflicht.
- Du liebtest mich, und wohl aus gutem Grunde;
- Denn lebt ich noch, gewiß dir keimten jetzt
- Nicht Blätter nur aus unserm Liebesbunde.
- Der linke Strand, den Rhodanus benetzt,
- Nachdem er mit der Sargue sich verbündet,
- Sah einst im Geist durch mich den Thron besetzt;
- So auch Ausoniens Horn, wo, festbegründet,
- Bari, Gaëta und Crotona drohn,
- Von wo im Meere Verd und Tronto mündet.
- Auch schmückte mich des Landes Krone schon,
- Das längs durchstreift der Donau Wogenfülle,
- Nachdem sie aus Germaniens Gaun entflobn.
- Trinacria--bedeckt von schwarzer Hülle
- Zwischen Pachino und Pelor, am Schlund
- Des Meers, das schäumt bei Eurus Wutgebrülle,
- Durch Typhöus nicht, nein, durch den Schwefelgrund
- Der Fürsten harrt es noch, der edeln Sprossen
- Rudolfs und Karls aus meinem Ehebund,
- Wenn schlechte Herrschaft, welche stets verdrossen
- Der Unterworfne trägt, zum Mordgeschrei
- Nicht in Palermo jeden Mund erschlossen.
- Ging Ahnung dessen meinem Bruder bei,
- So würd er Kataloniens Bettler jagen,
- Damit ihr Geiz kein Sporn zum Aufruhr sei.
- Nottuts fürwahr, daß ihm die Freund es sagen,
- Wenn ers nicht sieht: daß volle Ladung schon
- Sein Nachen hat, und nichts kann weiter tragen.
- Er, des freigebgen Vaters karger Sohn,
- Braucht Diener, die nicht Gold nur zu gewinnen
- Begierig sind, nicht bloß erpicht auf Lohn."--
- "Herr, weil ich glaube, daß die Lust hierinnen,
- Die deine Rede strömt in meine Brust,
- Du, wo die Güter enden und beginnen,
- So deutlich schauest, wie sie mir bewußt,
- Wird sie mir werter--daß du beim Betrachten
- Des Herrn sie schauest, gibt mir neue Lust.
- Mach itzt, wie froh mich deine Worte machten,
- Mich klar und schaffe noch dem Zweifel Ruh:
- Wie süße Saaten bittre Früchte brachten?"
- So ich--und er: "Die Wahrheit fasse du,
- Und dem. was du gefragt, kehrst du zufrieden,
- Wie jetzt den Rücken, dann das Antlitz zu.
- Das Gut, das ihren Lauf und ihren Frieden
- Den Himmeln gab, hat jedem Stern den Schein
- Und eine Kraft, als Vorsehung, beschieden.
- Nicht nur der Wesen vorbestimmtes Sein
- Hat der durch sich vollkommne Geist erwogen,
- Er schließt in sich auch ihre Wohlfahrt ein.
- Drum, was nur immer fliegt von diesem Bogen,
- Kommt, gleich dem Pfeil, auf vorbestimmtem Gang
- Gewiß herab zu seinem Ziel geflogen.
- War dieses nicht, dann würd im wirren Drang,
- Was diese Himmel irgend wirkend schaffen,
- Kein Kunstwerk sein, nein, Graus und Untergang.
- Dies kann nicht sein, wenn jene nicht erschlaffen,
- Die Geister, lenkend diese Sternenschar,
- Der Urgeist auch, der dann sie schlecht erschaffen.
- Ist diese Wahrheit nun dir völlig klar?"
- Und ich: "Gewiß, ich sehs, Natur bleibt immer
- In dem, was nötig ist, unwandelbar;"
- Drum er: "Nun sprich, wärs für den Menschen schlimmer,
- Wenn er nicht Bürger ward und einsam blieb?"
- Ich: "Ja, und weitern Grund begehr ich nimmer!"
- "Und wär ein Staat, wenn in verschiednem Trieb
- Die Menschen nicht verschieden sind erwiesen?
- Nein, wenn die Wahrheit euer Meister schrieb!"
- So folgert ich bis jetzt, um hier zu schließen:
- "Drum also muß der Menschen Tun hervor
- Verschieden aus verschiedner Wurzel Sprießen.
- Und Solon sproßt und Xerres so empor,
- Also Melchisedek, und der Erfinder,
- Der bei dem luftgen Flug den Sohn verlor.
- Natur, im Kreislauf, so die Menschenkinder
- Wie Wachs ausprägt, übt ihre Kunst und sieht
- Auf dies und jenes Haus nicht mehr noch minder.
- Dies ists, was Esaus Keim von Jakobs schied,
- Drob auch Quirin entsproß so niedrer Lende,
- Daß man als Vater ihm den Mars beschied.
- Und stets auf der Erzeuger Wegen fände
- Man die, so sie erzeugten, nur, wenn nicht
- Die Vorsehung des Höchsten überwände.
- Was hinter dir war, sieh jetzt im Gesicht;
- Doch wie ich dein mich freue, geb ich Kunde
- Und dir durch einen Zusatz beßres Licht.
- Ist die Natur nicht mit dem Glück im Bunde,
- Dann kommt sie übel fort, wie jede Saat,
- Die man gesät auf fremdem, falschem Grunde.
- Und folgte der Natur des Menschen Pfad,
- Suchtet auf ihrem Grund ihr nach dem Rechten,
- Dann gab es gute Leut und wackre Tat.
- Doch solche, die geboren sind, zu fechten,
- Macht ihr zu Priestern wider die Natur
- Und macht zu Fürsten die, so predgen möchten,
- Und deshalb schweift ihr von der rechten Spur.
- Neunter Gesang
- Noch sprach dein Karl, als er mich aufgeklärt,
- Schöne Clemenza, von den Ränkevollen,
- Durch welche schnöden Trug sein Sam erfährt.
- Doch sagt er: "Schweig und laß die Jahre rollen!"
- Drum sag ich nur, daß eurem Schaden bald
- Gerechte Straf und Klage folgen sollen.
- Schon war das Leben jener Lichtgestalt
- Zur Sonn, in deren Strahl es ganz genesen,
- Zum Gut, das allem gnügt, zurückgewallt.
- Betrogne Seelen, gottvergeßne Wesen!
- Was wendet ihr das Herz von solchem Gut
- Und habt nur Eitelkeit zum Ziel erlesen!
- Und sieh, ein andres jener Lichter lud
- Mich, nahend, ein und zeigte seinen Willen,
- Mich zu befriedigen, in hellrer Glut.
- Beatrix, die den Blick, den heilgen, stillen,
- Auf mich gewandt, wie erst, erlaubte mir,
- Durch teure Zustimmung, den Wunsch zu stillen.
- Ich sprach: "O gnüge meiner Wißbegier,
- Bewähr, o Geist, den Fried und Lust durchdringen,
- Daß, was ich denke, widerstrahl in dir."
- Das Licht, das ich aus seinem Innern singen
- Vorher gehört, sprach, mir noch unbekannt,
- Wie der, dens freut, das Gute zu vollbringen:
- "Doch im verkehrten schnöden welschen Land
- Zwischen der Brenta und der Piave Quelle
- Und des Rialto meerumfloßnem Strand,
- Dort hat ein niedrer Hügel seine Stelle;
- Von ihm herab stürzt eine Fackel sich
- Und macht in grausem Brand die Gegend helle.
- Aus einer Wurzel sproßten sie und ich.
- Ich, einst Cunizza, glänz in diesem Sterne,
- Denn seines Schimmers Reiz besiegte mich.
- Und meines Schicksals Grund verzeih ich gerne
- Mir selber hier, das mir nicht bitter dünkt,
- So schwer eur Pöbel dies auch fassen lerne.
- Sieh diesen Glanz, der mir am nächsten blinkt
- In unserm Kreis, den leuchtenden, den teuern!
- Groß blieb sein Ruhm, und, eh er ganz versinkt,
- Wird fünfmal das Jahrhundert sich erneuern.
- Sieh, wenn das erste Sein ein zweites schenkt,
- Soll dies zur Trefflichkeit euch nicht befeuern?
- Doch dies ists nicht, woran die Rotte denkt,
- Die Tagliamento hier, dort Etsch umfließen,
- Die selbst das Unglück nicht zur Reue lenkt.
- Doch färbend wird sich Paduas Blut ergießen
- Zum Sumpfe, der Vicenzas Mauer wahrt,
- Weil die Verstockten sich der Pflicht verschließen.
- Und dort, wo sich Tagnan mit Sile paart,
- Herrscht einer, hoch die stolze Stirne tragend,
- Zu dessen Fang das Netz schon fertig ward.
- Schon seh ich Feltre, den Verrat beklagend
- Des Hirten, der dort herrscht, an Schändlichkeit,
- Was je geführt nach Malta, überragend.
- Kein Paß auf Erden ist so hohl und weit,
- Um alles Ferrareser Blut zu fassen,
- Das zum Geschenk der wackre Pfaff verleiht,
- Um als Parteiglied recht sich sehn zu lassen;
- Und solcherlei Geschenk wird wohl zum Geist
- Und zu des Landes Art und Leben passen.
- Von hohen Spiegeln, die ihr Throne heißt,
- Glänzt Gott, der Richtende, zu uns hernieder,
- Worin als wahr sich, was ich sprach, erweist."
- Sie sprachs, von mir gekehrt, und wandte wieder
- Sich hin zu ihrem Kreis, wo sie verschwand,
- So wie sie kam, beim Klang der Himmelslieder.
- Die andre Wonne, mir bereits bekannt,
- Ward leuchtender in Mienen und Gebärden,
- Wie in der Sonne Blitz der Diamant.
- Dort gibt die Wonne Glanz, wie sie auf Erden
- Das Lächeln zeugt, indes bei innrer Pein
- Die äußern Schatten unten dunkler werden.
- "Alles sieht Gott--du siehst in seinen Schein,"
- Sprach ich, "und kann in ihn dein Auge dringen,
- So muß dir klar sein ganzer Wille fein.
- Drum deine Stimme, die im frommen Singen
- Den Himmel mit dem Sang der Feuer letzt.
- Die sich bekleiden mit sechsfachen Schwingen,
- Warum nicht gnügt sie meinen Wünschen jetzt?
- Auch ungefragt harrt ich so lang nicht säumend,
- War ich in dich, wie du in mich versetzt."--
- "Das größte Tal, worin das Wasser schäumend
- Sich ausgedehnt," begann des Selgen Wort,
- "Außer dem Meere, rings die Erd umsäumend,
- Geht zwischen Feindesufern westlich fort,
- So weit, daß hier, an seinem letzten Strande,
- Gesichtskreis ist, was Mittagsbogen dort.
- Ich lebt an dieses großen Tales Rande
- Zwischen Ebro und Magra, die, nicht lang,
- Trennt Genuas Gebiet vom Tuskerlande.
- Fast einen Aufgang hat und Niedergang
- Buggéa und die Stadt, der ich entsprossen,
- Sie, deren Blut einst warm den Port durchdrang.
- Mich hießen Folco meine Zeitgenossen
- Und diesen Stern schmückt meine Freudigkeit,
- Wie dort sein Licht sich in mein Herz ergossen.
- Nicht zu Sichäus und Creusas Leid
- Fühlt in sich Dido solche Flammen wogen,
- Wie ich einst fühlt in meiner Jugendzeit;
- Nicht Phyllis, von Demophoon betrogen;
- Und nicht Alcid, nachdem in seine Brust
- Eurytos Tochter siegend eingezogen.
- Doch fühlt man hier nicht Reue drob, nein Lust,
- Ganz die Erinnerung der Schuld verlierend,
- Und nur des ewgen Ordners sich bewußt.
- Und jene Kunst, die Welten herrlich zierend,
- Sehn wir, und sehn zu gutem Zwecke nun
- Die obre Welt die untere regierend.
- Doch um dem Wunsche ganz genugzutun,
- Der dich durchdrungen hat in dieser Sphäre,
- Darf ich noch nicht in meiner Rede ruhn.
- Du möchtest wissen, wer der Schimmer wäre,
- Der nahe hier so strahlt, als ob die Glut
- Der Sonn in reinem Wasser sich verkläre.
- So wisse, daß darinnen Rahab ruht,
- Die hier, in unsern Orden aufgenommen,
- Sich kund im höchsten Glanz des Sternes tut.
- Vor jedem andern Geist der Höll entrommen,
- Ist sie zum Stern, wo sich vom Erdenrund
- Der Schatten spitzt, durch Christi Sieg gekommen.
- Der Sieg, den er, an beiden Händen wund,
- Errungen hat, wird hier von ihr verkündet;
- Den Himmeln tut sie, als Trophä, ihn kund,
- Weil sie des Josua ersten Ruhm begründet
- Durch ihre Hilf in jenem heilgen Land,
- Das jetzt der Papst kaum wert der Sorge findet.
- Und deine Stadt, die einst durch den entstand,
- Des Neid euch alles Mißgeschick bereitet,
- Und der zuerst von Gott sich abgewandt,
- Sie ists, die das verfluchte Geld verbreitet,
- Das einzig, weils zum Wolf den Hirten macht,
- Vom rechten Wege Schaf und Lämmer leitet.
- Drum wird nicht an die Bibel mehr gedacht,
- Doch hat man sehr genau--wars zu verhehlen,
- So zeigts der Rand--der Dekretalen Acht.
- Drin wird studiert von Papst und Kardinälen
- Und Nazareth, wo Gabriel das Wort
- Verkündigt hat, wird fremd den geizgen Seelen.
- Doch Vatikan, samt jedem heilgen Ort
- In Rom, wo Petri Folger einst gepredigt,
- Der Märtyrer geweihte Gräber dort,
- Bald werden sie des Ehebruchs entledigt.
- Zehnter Gesang
- Urkraft, der Liebe voll den Sohn beschauend,
- Die ihr und ihm allewiglich entweht,
- Die Unaussprechliche, das All erbauend,
- Schuf, was ihr nur mit Geist und Aug erseht
- So ordnungsvoll, daß sie mit Wonneregung
- Den ganz durchdringt, der ihre Werk erspäht.
- Erheb, o Leser, Blick und Überlegung
- Miit mir zum Himmel jetzt, gerad dahin,
- Wo sich durchkreuzt die doppelte Bewegung.
- Von dort an letz am Kunstwerk deinen Sinn,
- Denn selbst der Meister sieht es mit Vergnügen
- Und spiegelt liebend seinen Blick darin.
- Von dort verteilt sich zu verschiednen Zügen
- Der schiefe Kreis, der die Planeten trägt,
- Um denen, die sie rufen, zu genügen.
- Und war ihr Lauf von dort nicht schief bewegt,
- So wäre viele Himmelskraft verschwendet,
- Und nichts beinah auf Erden angeregt.
- Und war er mehr und minder abgewendet
- Vom graden Weg, so blieb auf Erden dort,
- Wie hier, die Weltenordnung unvollendet.
- Jetzt bleib, o Leser, still auf deinem Ort,
- Um dem, was du gekostet, nachzudenken,
- Und eh du matt wirst, reißt dich Wonne fort.
- Ich gab dir Wein--du magst dich selber tränken,
- Denn alle meine Sorgen muß ich nur
- Auf jenen Stoff, den ich beschreibe, lenken.
- Die Dienerin, die größte, der Natur,
- Die sich die Himmelskraft zum Spiegel machte,
- Die leuchtend zeigt der Zeiten Maß und Spur.
- Vereint dem Orte, dessen ich gedachte,
- Sah man in schraubenförmgem Kreis sich drehn,
- In dem sie schneller hier die Tage brachte.
- Ich war in ihr--allein wie dies geschehn,
- Das spürt ich nur, wie wir Gedanken spüren,
- Bevor sie noch in unserm Geist entstehn.
- Beatrix, die so schnell uns weiß zu führen,
- Vom Guten uns zum Bessern einzuweihn,
- Daß sich indessen nicht die Stunden rühren,
- Wie leuchtend mußte sie von selber sein!
- Und was ich drinnen in der Sonne schaute,
- Durch Farbe nicht, durch hellen Glanz allein,
- Ob ich auf Geist und Kunst und Übung baute,
- Nie stellt es doch mein Wort euch deutlich vor,
- Drum sehne sich, zu schaun, wer mir vertraute.
- Nicht staunt, wenn Phantasie die Kraft verlor,
- Daß sie zu solchen Höhn sich schwach erweise;
- Kein Blick fliegt über diesen Stern empor.
- So war ich nun im vierten Kinderkreise
- Des Vaters, der, ihm zeigend, wie er weht,
- Und wie er zeugt, ihn nährt mit ewger Speise.
- Beatrix sprach: "Dank, Dank sei dein Gebet.
- Zur Engelsonne laß ihn sich erheben,
- Die dich zu dieser sichtbaren erhöht."
- Kein Menschenherz war je mit allem Streben
- Zur Andacht noch so freudig hingewandt,
- Keins noch so ganz und innig Gott ergeben,
- Als ich bei diesem Worte meins empfand,
- Das so zu ihm hin all sein Lieben wandte,
- Daß in Vergessenheit Beatrix schwand.
- Sie zürnte nicht; ihr lächelnd Aug entbrannte
- Drob so in Glanz, daß nun mein Geist, der nicht
- An andres dacht, itzt andres doch erkannte.
- Und sieh, viel siegendes lebendges Licht
- Macht uns zum Mittelpunkt und sich zur Krone
- Süßer im Sang, als leuchtend im Gesicht.
- So schmückt ein Kranz die Tochter der Latone,
- Wenn dunstgeschwängert sie die Luft umzieht,
- Die widerstrahlt den Streif der lichten Zone.
- Am Himmelshof, von dem ich wieder schied,
- Gibts viele Schöne, köstliche Juwelen,
- Nicht auszuführen aus des Reichs Gebiet.
- Dergleichen eins war der Gesang der Seelen;
- Doch wer nicht selbst zu jenen Höhn sich schwang.
- Der lasse von den Stummen sichs erzählen.
- Nachdem dreimal die Sonnen mit Gesang,
- Gleich Nachbarsternen, die den Pol umkreisen,
- Uns rings umtanzt in Glut und Wonnedrang,
- Da schienen sie wie Fraun sich zu erweisen,
- Die horchend stehn, noch nicht gelöst vom Tanz,
- Bis sie gefaßt das Maß der neuen Weisen.
- "Wenn, wahre Lieb entzündend, dir der Glanz
- Der Gnade lacht, der sich durch Liebe mehret,"
- So sprach ein Licht aus jenem Strahlenkranz,
- "Wenn er in dir vervielfacht sich verkläret,
- So, daß er dich empor die Stiege lenkt,
- Die niemand absteigt, der nicht aufwärts kehret,
- So wird der, welcher deinen Durst nicht tränkt
- Mit seinem Wein, so wenig Freiheit zeigen,
- Als Wasser, das sich nicht zum Meere senkt.
- Erfahren möchtest du, von welchen Zweigen
- Des Kranzes Blumen sind, der feiernd sich
- Um sie schlingt, die dich stärkt, emporzusteigen.
- Von Dominiks geweihter Schar war ich,
- Der solche Wege leitet seine Herden,
- Wo wohl gedeiht, wer nicht dem Wahne wich.
- Man hieß mich Thomas von Aquin auf Erden,
- Und meines Meisters, meines Bruders Schein,
- Albrechts von Köln, sieh rechts hier heller werden
- Und willst du aller andern sicher sein,
- So folge mit den Augen meinen Worten
- Auf diese Blumen, die zum Kranz sich reihn.
- Den Gratian sieh wonneflammend dorten;
- Dem doppelten Gerichtshof dienend, fand
- Er frohen Einlaß an des Himmels Pforten.
- Auch jenen Petrus sieh von Lust entbrannt;
- Als Scherflein bot er, nach der Witwe Weise,
- Der Kirche seinen Schatz mit treuer Hand.
- Der fünfte Glanz, der schönste hier im Kreise,
- Haucht solche Liebe, daß die ganze Welt
- Nach Kunde gierig ist von seinem Preise.
- So tiefes Wasser ists, das er enthält,
- Daß, ist das Wahre wahr, ihm nie ein zweiter
- Als Weiser sich und Seher gleichgestellt.
- Sieh neben ihm den leuchtenden Begleiter.
- Niemand war je auf Erden noch im Amt
- Und der Natur der Engel eingeweihter.
- Das kleinre Licht, das dorten lächelnd flammt,
- Des Glaubens Anwalt ists, aus des Lateine
- In Augustini Schriften manches stammt.
- Verfolgend nun mein Lob von Schein zu Scheine
- Mit geistgem Blick, erspähst du dürstend jetzt,
- Wer in dem achten Lichte dir erscheine.
- Jedwedes Gut in sich zu schaun, ergetzt
- Die heilge Seele, die den Trug danieden
- Dem offen kund tut, der sie hört und schätzt.
- Der Leib, von dem sie durch Gewalt geschieden
- Liegt in Cieldor, und sie kam aus Gefahr
- Und Bann und Märtyrtum zu diesem Frieden.
- Bedo und Isidor sieh hell und klar,
- Sieh Richard dann die Liebesstrahlen spenden,
- Der mehr als Mensch einst im Betrachten war.
- Das Licht, von dem zurück zu mir sich wenden
- Dein Auge wird, rief, bei der Erde Gram
- Tiefsinnig ernst, den Tod, um ihn zu enden.
- Sigieri ists, der zu der Toren Scham
- Einst im Strohgäßchen las und, streng und trübe,
- Durch Folgerung auf bittre Wahrheit kam."--
- Dann wie, uns rufend, früh der Uhr Getriebe,
- Wenn Gottes Braut aufsteht, das Morgenlied
- Singend dem Bräutigam, daß er sie liebe,
- Hierhin und dorthin kreisend drängt und zieht
- Tini tin! verklingend in so süßem Tone,
- Daß frische Lieb in frommen Herzen blüht;
- So regte sich die edle Strahlenkrone,
- Mit Süßigkeit im himmlischen Gesang,
- Die nur begreift, wer dort am Sternenthrone
- Die ewig ungetrübte Lust errang.
- Elfter Gesang
- O menschliche Begier voll Wahn und Trug,
- Wie mangelhaft sind doch die Syllogismen,
- Die dir herabziehn des Gefieders Flug!
- Der ging dem Jus nach, der den Aphorismen;
- Der sucht als Priester Ehren und Gewinn;
- Der herrschte durch Gewalt, der durch Sophismen;
- Der stahl, der hatt ein Staatsamt nur im Sinn;
- Der mühte sich, in Fleischeslust befangen,
- Und jener gab dem Müßiggang sich hin;
- Indes ich, allem diesem Tand entgangen,
- Im Himmel oben mit Beatrix war,
- So herrlich und so ruhmvoll dort empfangen.
- Still stand nun jeder von der selgen Schar
- Im Kreis zurückgekehrt zur ersten Stelle,
- Und stellte sich, wie Licht auf Leuchtern, dar.
- Da schien es mir, aus jenem Schimmer quelle,
- Der mich zuerst gesprochen, neuer Laut,
- Und lächelnd sprach er dann in reinrer Helle:
- "Wie, wenn ins ewge Licht mein Auge schaut,
- Mich dieses ganz mit seinem Strahl entzündet,
- So ist mir deines Denkens Grund vertraut.
- Du zweifelst noch und hörtest gern verkündet
- In offnen Worten und verständlich breit,
- So, daß sie deine Fassungskraft ergründet,
- Was wohl mein obges Wort: Wo wohl gedeiht--
- Und dann: Kein zweiter kam ihm gleich--bedeutet.
- Und hier ist nötig scharfer Unterscheid.
- Die ewge Vorsicht, die das Weltall leitet,
- Mit jener Weisheit, die in Tiefen ruht,
- Zu welchen kein erschaffnes Auge gleitet,
- Damit sich dem Geliebten ihre Glut,
- Die Glut der Braut, die er mit lautem Schreie
- Sich anvermählt hat durch sein heilges Blut,
- Sichrer in sich und ihm getreuer, weihe,
- Hat, ihr zur Gunst, zwei Fürsten ihr bestallt.
- Und hier und dorten führen sie die zweie.
- Der eine war von Seraphsglut umwallt,
- Der andre zeigt im Glanz der Cherubinen
- Die Weisheit dort im irdschen Aufenthalt.
- Von einem sprech ich, weil, wen man von ihnen
- Auch preisen mag, man nie vom andern schweigt,
- Da beide wirkten, einem Zweck zu dienen.
- Beim Bach, der von Ubaldos Hügel steigt,
- Und dem Tupino, hebt sich, zwischen beiden,
- Ein Berg, des Abhang fruchtbar grün sich neigt.
- Von ihm muß Hitz und Frost Perugia leiden,
- Und hinter diesem Berg liegt Gualdo dicht,
- Und fühlt mit Nocera des Joches Leiden.
- Dort, wo sich seines Abhangs jähe bricht,
- Dort sah man einer Sonne Glanz entbrennen,
- Gleich der am Ganges klar im hellsten Licht.
- Nicht möge man den Ort Ascesi nennen,
- Denn wenig sagt, wer also ihn benannt;
- Nein, was er war, gibt Orient zu erkennen.
- Schon als der Glanz nicht fern dem Aufgang stand,
- Begann er solche Kraft zu offenbaren,
- Daß sich dadurch erquickt die Erde fand.
- Denn mit dem Vater stritt er, jung an Jahren,
- Für eine Frau, vor der der Freuden Tor
- Die Menschen fest, wie vor dem Tod, verwahren,
- Bis vor dem geistlichen Gericht und vor
- Dem Vater sie zur Gattin er sich wählte
- Und täglich lieber hielt, was er beschwor.
- Sie, des beraubt, der sich ihr erst vermählte,
- Blieb ganz verschmäht mehr als elfhundert Jahr,
- Da, bis zu diesem, ihr der Freier fehlte,
- Obgleich durch sie Amicias in Gefahr
- So sicher ruht, als dessen Stimm erklungen,
- Des Mächtgen, der der Erd ein Schrecken war;
- Obgleich sie standhaft, kühn und unbezwungen,
- Als selbst Maria unten blieb, sich dort,
- An Christi Kreuz, zu ihm emporgeschwungen.
- Allein nicht mehr in Rätseln red ich fort;
- Franziskus und die Armut sieh in ihnen,
- Die dir geschildert hat mein breites Wort.
- Der Gatten Eintracht, ihre frohen Mienen
- Und Lieb und Wunder und der süße Blick
- Erweckten heilgen Sinn, wo sie erschienen.
- Und solchem Frieden eilte, solchem Glück
- Barfuß erst Bernhard nach, der Ehrenwerte,
- Und glaubte doch, er bliebe träg zurück.
- O neuer Reichtum! Gut von echtem Werte!
- Egid, Silvester folgten bald dem Mann
- Barfuß, weil hoher Reiz die Frau verklärte.
- Der Vater und der Meister ging sodann
- Nach Rom mit deiner Frau und mit den Seinen,
- Die schon des niedern Strickes Band umspann.
- Nicht feig sich beugend sah man ihn erscheinen,
- Als Peter Bernardones niedrer Sohn,
- Mocht er auch ärmlich und verächtlich scheinen,
- Nein, kund tat er vor Innocenzens Thron
- Den strengen Plan mit königlicher Würde,
- Und der besiegelte die Stiftung schon.
- Dann, als die Schar der Armen in der Hürde
- Des Hirten wuchs, des Wunderleben hier,
- Im Himmelsglanz, man besser singen würde,
- Verlieh der frommen heiligen Begier,
- Auf Gottes Eingebung, zum Eigentume
- Honorius der zweiten Krone Zier.
- Dann predigend, aus Durst nach Märtyrtume,
- Kühn in des stolzen Sultans Gegenwart,
- Von Christi und von seiner Folger Ruhme,
- Fand zur Bekehrung er das Volk zu hart,
- Drob, da ihm hier sein edles Werk nicht glückte,
- Von ihm bebaut Italiens Garten ward.
- Und auf Alvernas Felsenböhen drückte
- Das letzte Siegel noch ihm Christus ein,
- Das dann zwei Jahre seine Glieder schmückte.
- Als der, der ihn berufen, aus der Pein
- Zur Wonn ihn rief, den Lohn hier zu erwerben,
- Daß er sein Knecht war, niedrig, arm und klein,
- Empfahl er noch, als seinen rechten Erben,
- Den Brüdern seine Frau, ihm lieb und wert,
- Zu treuer Lieb im Leben und im Sterben.
- Eh ihrem Schoß die Seele, schon verklärt,
- Entfloh, heimkehrend zu des Vaters Reiche,
- Ward nur die Erd als Sarg von ihm begehrt.
- Jetzt denke selbst, wer dem an Würde gleiche,
- Der, sein Genoß, durchs Meer führt Petri Kahn,
- Daß er auf gradem Weg das Ziel erreiche.
- Dies Amt hatt unser Patriarch empfahn,
- Und gute Ware trägt auf deiner Reise,
- Wer treu ihm folgt auf der befohlnen Bahn.
- Doch deine Herd ist jetzt nach neuer Speise
- So lüstern, daß sie üppig hüpft und springt
- Und sich zerstreut und irrt vom rechten Gleise.
- Je weiter hin der Schäflein Herde dringt,
- Dem Hirten fern sich irrend zu zerstreuen,
- Je minder Milch zum Stalle jedes bringt.
- Wohl gibts noch welche, die den Schaden scheuen.
- Die folgen, angedrängt dem Hirten, nach,
- Doch wenig Tuch gibt Kutten diesen Treuen.
- Jetzt aber, war mein Wort nicht trüb und schwach,
- Verblieb dein Ohr, aufmerksam meinen Lehren,
- Rufst du zurück dem Geiste, was ich sprach,
- Dann wirds Befriedgung deinem Wunsch gewähren,
- Dann zeigt der Baum, von dem ich pflückte, sich,
- Und meines Tadels Grund wird sich erklären:
- Wo wohl gedeiht, wer nicht dem Wahne wich."
- Zwölfter Gesang
- Sobald mir nur das letzte Wort erschollen,
- Das aus der selgen Himmelsflamme drang,
- Begann die heilge Mühl im Kreis zu rollen.
- Doch eh sie rundherum sich völlig schwang,
- War sie umringt von einem zweiten Kranze,
- Eingreifend Tanz in Tanz und Sang in Sang;
- Sang, hold verhaucht bei diesem Strahlentanze,
- Dem unsrer Musen und Sirenen Lied
- So weicht, wie Widerschein dem ersten Glanze.
- Wie auf Gewölk, das leicht das Blau umsieht,
- Man zwei gleichfarbge, gleichgespannte Bogen,
- Wenn Juno ihrer Magd befiehlt, ersieht,
- Erzeugt vom innern der, der ihm umzogen--
- Der Rede jener gleich, die Liebesglut,
- Wie Sonnenglut die Dünste, weggesogen--
- Die Bogen, die nach allgemeiner Flut
- Der Herr dem Noah zeigte, zum Beweise
- Des Bunds, durch den die Erde sicher ruht;--
- So drehte jetzt um uns sich gleicherweise
- Der ewgen Rosen schöner Doppelkranz,
- So glich der äußere dem innern Kreise.
- Und als zuletzt der festlich frohe Tanz,
- Die Lust des Sangs, der lichten Flammen schweben,
- Das Spiegeln einer in der andern Glanz,
- Still ward in einem Nu, mit gleichem Streben,
- Wie sich die Augen, wenn es dem gefällt,
- Der sie bewegt, verschließen und erheben;
- Klang aus dem Kreis, von neuem Licht erhellt,
- Ein Laut, nach dem ich mich so eilig kehrte,
- Wie der Magnet nach seinem Sterne schnellt.
- Er sprach: Die Liebe, die mich schön verklärte,
- Ists, die vom zweiten Hort mich sprechen heißt,
- Durch den man hier so hoch den meinen ehrte.
- Vom andern spreche, wer den einen preist,
- Zusammen glänzt ihr Ruhm, so wie sie stritten
- Für einen Zweck und mit gleich tapferm Geist.
- Des Heilands Heer, für welches schwer gelitten,
- Ders neu bewehrt, zog zweifelnd und voll Leid
- Der Fahne nach, schwach und mit trägen Schritten,
- Als er, der herrscht in Zeit und Ewigkeit,
- Den Kriegern half, die hart gefährdet waren,
- Aus Gnad und nicht ob ihrer Würdigkeit;
- Und, wie gesagt, um seine Braut zu wahren.
- Zwei Kämpfer rief, durch deren Wort und Tat
- Gesammelt wurden die zerstreuten Scharen.
- Woher der Zephir haucht, um am Gestad
- In Tal und Au die Knospen froh zu schwellen,
- Wenn sich der Lenz im Schmuck Europen naht,
- Dort, nah dem Strand, wo hochgetürmte Wellen
- Weit hergewälzt, von Sturmeswut bekriegt,
- Dem Sonnenstrahl sich oft entgegenstellen,
- Dort ist der Platz, wo Callaroga liegt,
- Beschützt und wohlgedeckt vom großen Schilde,
- Auf dem der Leu obsiegt und unterliegt.
- Dort ward erzeugt im glücklichen Gefilde
- Der Glaubenstreue Buhle, der Athlet,
- Dem Feind ein Graus, den Seinigen voll Milde.
- Dem Geist, erschaffen kaum, ward zugeweht
- Vom höchsten Geiste Kraft und hohe Gabe,
- Und ungeboren war er schon Propbet.
- Als mit der Glaubenstreue drauf der Knabe
- Verlöbnis hielt, vom heilgen Quell benetzt,
- Wo gegenseitges Heil die Morgengabe,
- Da ward die Zeugin, die Sein Ja! ersetzt,
- Schon von der Wunderfrucht, die ihm entsprieße,
- Und seiner Schul, im Traumgesicht ergetzt.
- Und daß sich, was er war, erkennen ließe,
- Gebot ein Geist, vom Himmel hergesandt,
- Daß man nach ihm, der ihn besaß, ihn hieße.
- Dominikus ward er darum benannt,
- Der Gärtner, welchen als Gehilfen Christus
- Für seinen Garten wählt und sich verband.
- Wohl schien er Bot und treuer Knecht von Christus,
- Wie das, was er zuerst geliebt, bezeugt,
- Denn er vollzog den ersten Rat von Christus.
- Wohl fand ihn öfters die, so ihn gesäugt,
- Am Boden liegend, wach, in tiefem Schweigen,
- Als spräch er aus: Hierzu bin ich gezeugt.
- O du, sein Vater, Felix wahr und eigen!
- O Mutter, wahrhaft als Johann erblüht,
- Wenn wir bis zu des Namens Wurzel steigen!
- Nicht für die Welt, für die man jetzt sich müht,
- Nach des von Ostia, des Thaddäus Lehren,
- Nein, fürs wahrhafte Manna nur entglüht,
- Sollt er als Lehrer bald sich groß bewähren,
- Den Weinberg pflegend, der bald Unkraut trägt,
- Wenn nicht des Winzers Hand ihm emsig wehren.
- Vom Stuhl, der einst die Armen mild gehegt--
- Einst, nicht durch Schuld des Stuhls--durch dessen Sünden
- Der sitzt, und aus der Art der Väter schlägt,
- Erbat er Zehnten nicht, noch fette Pfründen,
- Erlaubnis nicht, Ablaß und Heil für Geld,
- Um drei und vier für zehen, zu verkünden;
- Nein die, zu kämpfen mit der irren Welt,
- Durch jenen Samen, dem die Bäum entspringen,
- Die, zweimal zwölf, sich um dich her gestellt,
- Die Pflichten des Apostels zu vollbringen,
- Strebt auf sein Will und seine Wissenschaft,
- Gleich Strömen, die aus tiefer Ader Springen.
- Und ihre Wellen stürzten grausenhaft
- Auf ketzerisch Gestrüpp, es auszubrechen,
- Und mit dem Widerstand wuchs ihre Kraft.
- Er gab darauf den Ursprung manchen Bächen,
- Die hinziehn durch der Kirche Gartenland,
- Drob ihre Bäume schönre Frucht versprechen--
- Wenn so ein Rad des Kriegeswagens stand,
- Auf dem den Kampf die heilge Kirche wagte,
- Als sie die innern Meutrer überwand,
- So muß dir jetzt, wie hoch das andre ragte
- An Trefflichkeit, vollkommen deutlich sein,
- Und was von ihm dir Thomas Gutes sagte.
- Allein das Gleis hält jetzo niemand ein,
- Das in den Grund der Schwung des Rades prägte,
- Und Essig wird, was vormals süßer Wein.
- Die Schar, die seiner Spur zu folgen pflegte,
- Hat jetzt der Füße Stellung ganz gewandt
- Und geht zurück, wo er sich vorbewegte.
- Wie schlecht die Saat ist, wird euch bald bekannt,
- Denn bei der Ernte wird das Korn erlesen
- Und eingescheuert, doch der Lolch verbrannt.
- Zwar, will man Blatt für Blatt das Buch durchlesen,
- Das unsre Namen zeigt, so sagt ein Blatt
- Noch hier und dort: Ich bin, was ich gewesen.
- Doch nicht Casal, noch Aquasparta hat
- Dergleichen Glieder unsrer Schar gegeben,
- Da der zu streng ist, der zu schlaff und matt.
- Jetzt wiss, ich bin Buonaventuras Leben,
- Von Bagnoregio, und gering erschien
- Beim großen Amt mir jedes andre Streben.
- Hier sind Jlluminat und Augustin,
- Zwei von den ersten barfußarmen Scharen,
- Die durch den Strick in Gottes Huld gediehn.
- Hier sind der von Sankt Viktor zu gewahren,
- Und Mangiador, der Spanier Peter dann,
- Des Ruhm der Welt zwölf Bücher offenbaren.
- Nathan der Seher, Erzbischof Johann,
- Anselm, Donat, der sich dem Werke weihte,
- Des sich die erste Kunst berühren kann.
- Ruban ist hier; und solchen Brüdern reihte
- Sich dieser an, begabt mit Sehergeist
- Abt Joachim, helleuchtend mir zur Seite.
- Wenn solchen Kämpfer meine Rede preist,
- So ists des Thomas liebentflammte Weise,
- Die mit sich fort auch meine Rede reißt,
- Und mit mir fortzieht all in diesem Kreise.
- Dreizehnter Gesang
- Wer wohl verstehn will, was ich nun gesehen,
- Bild itzt sich ein und lass im Geist das Bild,
- Indes ich spreche, fest, wie Felsen, stehen,
- Fünfzehen Sterne, die man am Gefild
- Des Himmels in verschiedner Gegend findet,
- So glanzvoll, daß ihr Licht durch Nebel quillt;
- Den Wagen, der um unsern Pol sich windet,
- Und sein Gewölb bei Tag und Nacht durchreist,
- Drob er beim Deichselwenden nicht verschwindet;
- Bild ein sich, was der Mund des Hornes weist,
- Das anfängt an der Himmelsachse Grenzen,
- Um die das erste Rad nie rastend kreist;
- Die Sterne denk er sich in zweien Kränzen,
- Die, dem gleich, der sich zur Erinnrung flicht
- An Ariadnens Tod, am Himmel glänzen,
- Umringt den einen von des andern Licht,
- Und beid im Kreis gedreht in solcher Weise,
- Daß dem, der vorgeht, der, so folgt, entspricht;
- Dann glaub er, daß sich ihm ein Schatten weise
- Des wahren Sternbilds, welches, zweigereiht,
- Den Punkt, auf dem ich stand, umtanzt im Kreise.
- Denn was wir kennen, steht ihm nach, so weit,
- Als nur der Chiana träger Lauf dem Rollen
- Des fernsten Himmels weicht an Schnelligkeit.
- Dort sang man nicht von Bacchus, von Apollen,
- Nein, drei in einem--Gott und Mensch nur eins,
- Die Lieder warens, welche dort erschollen.
- Als Sang und Tanz des heiligen Vereins
- Vollbracht war, wandt er sich zu uns, von Streben
- Zu Streben, ewig froh des selgen Seins.
- Und jenes Licht hört ich die Stimm erheben
- Im eintrachtsvollen Kreis, das mir vorher
- Erzählt des heilgen Armen Wunderleben.
- Es sprach zu mir: Das eine Stroh ist leer
- Und wohlverwahrt die Saat, allein entglommen
- Von süßer Liebe, dresch ich dir noch mehr.
- Du glaubst: Der Brust, aus der die Ripp entnommen
- Zum Stoff des Weibes, deren Gaum hernach
- Der ganzen Welt so hoch zu stehn gekommen,
- Und jener, die, als sie der Speer durchstach,
- So nach wie vor so große Gnüge brachte,
- Daß sie die Macht jedweder Sünde brach,
- Sei alles Licht, das je dem Menschen lachte,
- Und des er fähig ist, voll eingehaucht
- Von jener Kraft, die jen und diese machte;
- Und staunst, daß ich vorhin das Wort gebraucht:
- Der fünfte Glanz sei bis zum tiefsten Grunde
- Der Weisheit, wie kein zweiter mehr, getaucht.
- Erschließ itzt wohl die Augen meiner Kunde;
- Mein Wort und deinen Glauben siehst du dann
- Im Wahren, wie den Mittelpunkt im Runde.
- Das, was nicht stirbt, und das, was sterben kann,
- Ist nur als Glanz von der Idee erschienen,
- Die, liebreich zeugend, unser Heer ersann.
- Denn jenes Licht des Lebens, das entschienen
- Dem ewgen Lichtquell, ewig mit ihm eins,
- Und mit der Lieb, als dritter, eins in ihnen,
- Eint gnädiglich die Strahlen seines Scheins
- Sie, wie in Spiegeln, in neun Himmeln zeigend,
- Im ewigen Verein des einen Seins.
- Von dort sich zu den letzten Kräften neigend,
- Wird schwächer dann der Glanz von Grad zu Grad,
- Zuletzt nur Dinge kurzer Dauer zeugend.
- Die Dinge, die mein Wort bezeichnet hat,
- Sind die Erschaffnen, welche die Bewegung
- Des Himmels zeugt, so mit wie ohne Saat.
- Ihr Wachs ist ungleich, und die Kraft der Prägung
- Und von des Urgedankens Glanz gewahrt
- Man drum hier schwächere, dort stärkre Regung;
- Daher denn auch von Bäumen gleicher Art
- Bald bessere, bald schlechtre Früchte kommen,
- Und euch verschiedne Kraft des Geistes ward--
- War irgendwo das Wachs rein und vollkommen,
- Und ausgeprägt mit höchster Himmelskraft,
- Rein würde das Gepräg dann wahrgenommen.
- Doch die Natur gibts immer mangelhaft
- Und wirkt dem Künstler gleich, der wohl vertrauen
- Der Übung kann, doch dessen Hand erschlafft.
- Drum, bildet heiße Lieb und klares Schauen
- Der ersten Kraft, dann wird sie, rein und groß,
- Vollkommenes erschaffen und erbauen.
- So ward gewürdiget der Erdenkloß,
- Die tierische Vollkommenheit zu zeigen,
- Und so geschwängert ward der Jungfrau Schoß.
- Darum ist deine Meinung mir auch eigen:
- Daß menschliche Natur in jenen zwein
- Am höchsten stieg und nie wird höher steigen.
- Hielt ich mit meinen Lehren jetzo ein,
- So würdest du die Frage nicht verschieben:
- Wie könnt ein dritter ohnegleichen sein?
- Doch, daß erscheine, was versteckt geblieben,
- So denke, wer er war, und was zum Flehn,
- Als ihm gesagt ward: "Bitt!" ihn angetrieben.
- Aus meiner Rede konntest du ersehn:
- Als König fleht er um Verstand, beflissen,
- Damit dem Reiche gnügend vorzustehn,
- Nicht um der Himmelslenker Zahl zu wissen,
- Nicht, ob Notwendges und Zufälligkeit
- Notwendiges als Schluß ergeben müssen;
- Nicht, was zuerst bewegt, Bewegung leiht;
- Nicht, ob ein Dreieck in dem halben Kreise
- Noch anderen, als rechten Winkel, beut--
- Was ich gemeint, erhellt aus dem Beweise.
- Du siehst: eine Seher sondergleichen war
- Durch Königsklugheit jener hohe Weise,
- Auch ist mein Wort: dem nie ein zweiter, klar;
- Von Köngen sprach ich nur an jenem Orte,
- Die selten gute sind, ob viele zwar.
- Mit diesem Unterschied nimm meine Worte,
- Daß nicht im Streit damit dein Glaube sei
- Vom ersten Vater und von unserm Horte.
- Und dieses leg an deine Füße Blei
- Und mache schwer dich, gleich dem Müden, gehen
- Zum Ja! und Nein! wo nicht dein Auge frei,
- Weil die selbst unter Toren niedrig stehen,
- Die sich zum Ja und Nein, ohn Unterschied,
- Gar schnell entschließen, eh sie deutlich sehen;
- Drob sich die Meinung, wie es oft geschieht,
- Zum Irrtum neigt, und dann im Drang des Lebens
- Die Leidenschaft das Urteil mit sich zieht--
- Wer nach der Wahrheit fischt und, irren Strebens,
- Die Kunst nicht kennt, der kehrt nicht, wie er geht,
- Und schifft vom Strand drum schlimmer als vergebens,
- Wie ihr dies an Melissus deutlich seht
- Und an Parmenides und andern vielen,
- Die gingen, eh sie nach dem Ziel gespäht;
- Drob Arius und Sabell in Torheit fielen.
- Gleich Schwertern waren sie dem heilgen Wort
- Und machten die geraden Blicke schielen.
- Nicht reiß euch Wahn zum schnellen Urteil fort,
- Gleich denen, die das Korn zu schätzen wagen,
- Das eh es reift, vielleicht im Feld verdorrt.
- Denn öfters sah ich erst in Wintertagen
- Den Dornenbusch gar rauh und stachlicht stehn.
- Und auf dem Gipfel dann die Rose tragen.
- Und manches Schiff hab ich im Meer gesehn,
- Gerad und flink auf allen seinen Wegen,
- Und doch zuletzt am Hafen untergehn.
- Nicht glauben möge Hinz und Kunz deswegen,
- Weil dieser stiehlt und der als frommer Mann
- Der Kirche schenkt, mit Gott schon Rat zu pflegen.
- Da der erstehn und jener fallen kann.
- Vierzehnter Gesang
- Vom Rand zur Mitte sieht man Wasser rinnen
- Im runden Napf, vom Mittelpunkt zum Rand,
- Je wie mans treibt nach außen oder innen.
- Dies wars, was jetzt vor meiner Seele stand,
- Als stille schwieg des Thomas heilges Leben
- Und süß verhallend seine Stimme schwand,
- Ob jener Ähnlichkeit, die sich ergeben,
- Da er erst sprach, dann Beatricens Mund,
- Ders jetzt gefiel, die Stimme zu erheben:
- "Ihm tut es not, obwohl ers euch nicht kund
- In Worten gibt, noch läßt im Innern lesen,
- Zu spähn nach einer andern Wahrheit Grund.
- Sagt ihm, ob dieses Licht, das euer Wesen
- So schön umblüht, euch ewig bleiben wird
- Im selben Glanze, wies bis jetzt gewesen.
- Und, bleibts. So sagt, damit er nimmer irrt,
- Wie, wenn ihr werdet wieder sichtbar werden,
- Es euren Blick nicht blendet und verwirrt."
- Wie mit verstärkter Lust oft hier auf Erden
- Die Tanzenden im heitern Ringeltanz
- Die Stimm erhöhn und froher sich gebärden;
- So zeigte neue Lust der Doppelkranz,
- Als sie ihn bat, so rasch, doch fromm-bescheiden,
- In freudgem Drehn und Wundersang und Glanz--
- Wer klagt, daß wir den Tod auf Erden leiden,
- Um dort zu leben, oh, der fühlt und denkt
- Nicht, wie wir dort am ewgen Tau uns weiden.
- Daß drei und zwei und eins, das alles lenkt
- Und ewig lebt in einein, zwein und dreien,
- Und, ewig unumschränkt, das All umschränkt,
- Gesungen wards in solchen Melodeien
- Dreimal im Chor, um vollen Lohn der Pflicht
- Und jeglichem Verdienste zu verleihen.
- Und eine Stimm entklang dem hellem Licht
- Des kleinern Kreises dann und wich an Milde
- Wohl der des Engels der Verkündung nicht.
- "Solang die Lust im himmlischen Gefilde,
- So lange währt auch unsre Lieb und tut
- Sich kund um uns in diesem Glanzgebilde.
- Und seine Klarheit, sie entspricht der Glut,
- Die Glut dem Schaun, und dies wird mehr uns frommen,
- Je mehr auf uns die freie Gnade ruht.
- Wenn wir den heilgen Leib neu angenommen,
- Wird unser Sein in höhern Gnaden stehn,
- Je mehr es wieder ganz ist und vollkommen.
- Drum wird sich das freiwillge Licht erhöhn,
- Das wir vom höchsten Gut aus Huld empfangen,
- Licht, welches uns befähigt, ihn zu sehn,
- Und höher wird zum Schaun der Blick gelangen,
- Höher die Glut sein, die dem Schaun entglüht,
- Höher der Strahl, der von ihr ausgegangen.
- Doch, wie die Kohle, der die Flamm entsprüht,
- Sie an lebendgem Schimmer überwindet
- Und wohl sich zeigt, wie hell auch jene glüht;
- So wird der Glanz, der jetzt schon uns umwindet,
- Dereinst besiegt von unsres Fleisches Schein,
- Wenn Gott es seiner Grabeshaft entbindet.
- Nicht wird uns dann so heller Glanz zur Pein;
- Denn stark, um alle Wonnen zu genießen,
- Wird jedes Werkzeug unsers Körpers sein."--
- Und Amen riefen beide Chör und ließen
- Durch Einklang wohl den Wunsch ersehn, den Drang,
- Sich ihren Leibern wieder anzuschließen.
- Und wohl für sich nicht nur, nein, zum Empfang
- Der Väter, Mütter und der andern Teuern,
- Die sie geliebt, eh sie die Flamm umschlang.
- Und sieh, zum Glanz von diesen ewgen Feuern
- Kam gleiche Klarheit rings, wie wenn das Licht
- Des Tags der Sonne goldne Pfeil erneuern.
- Wie, wenn allmählich an der Abend bricht,
- Am Himmel Punkte, klein und bleich, erglänzen,
- So daß die Sach als wahr erscheint und nicht;
- So glaubt ich jetzt in neuen Ringeltänzen
- Noch zweifelnd, neue Wesen zu erspähn,
- Weit außerhalb von jenen beiden Kränzen.
- O wahrer Schimmer, angefacht vom Wehn
- Des Heilgen Geists so plötzlich hell!--Geblendet
- Könnt ihm mein Auge jetzt nicht widerstehn.
- Doch als ich zu Beatrix mich gewendet,
- War sie so lachend schön, so hochbeglückt,
- Daß solches Bild kein irdisch Wort vollendet.
- Da ward von neuer Kraft mein Aug entzückt;
- Ich schlug es auf und sah mich schon nach oben
- Mit ihr allein zu höherm Heil entrückt.
- Wohl nahm ich wahr, ich sei emporgehoben.
- Denn glühend lächelte der neue Stern
- Und schien von ungewohntem Rot umwoben.
- Von Herzen, in der Sprache, welche fern
- Und nah gemeinsam ist den Völker Scharen,
- Bracht ich Dankopfer dar dem höchsten Herrn.
- Und lustentzündet könnt ich schon gewahren,
- Eh ich die ganze Glut ihm dargebracht,
- Daß angenehm dem Herrn die Opfer waren.
- Denn Lichter, in des Glanzes höchster Macht,
- Sah ich aus zweien Schimmerstreifen scheinen,
- Und rief: O Gott, du Schöpfer solcher Pracht!--
- So tut, besät mit Sternen, groß und kleinen,
- Galassia zwischen Pol und Pol sich kund,
- Von welcher dies und das die Weisen meinen,
- Wie diese Streifen, bildend auf dem Grund
- Des roten Mars das hochgeehrte Zeichen,
- Gleich vier Quadranten, wohlgefügt im Rund.
- Wohl muß die Kunst hier dem Gedächtnis weichen,
- Denn von dem Kreuz hernieder blitzte Christus;
- Wo gäbs ein Bild, ihm würdig zu vergleichen?
- Doch wer sein Kreuz nimmt, folgend seinem Christus,
- Von ihm wird das, was ich verschwieg, verziehn,
- Denn blitzen sieht auch er im Glanze Christus.
- Von Arm zu Arm, vom Fuß zur Höh erschien
- Bewegtes Licht, hier hell in Glanz entbrennend,
- Weil sichs verband, dort beim Vorüberziehn.
- So sieht man wohl, hier träg bewegt, dort rennend,
- Atome, hier grad, dort krummgeschweift,
- Und lang und kurz, sich einend und sich trennend,
- Wirbelnd im Strahl, der durch den Schatten streift,
- Nach dem, wenn heiß die Sonnengluten flirren,
- Der Mensch mit Witz und Kunst begierig greift.--
- Und wie harmonisch Laut und Harfe schwirren,
- Sind nur die vielen Saiten rein gespannt,
- Ob auch im Ohr die Töne sich verwirren;
- So hört ich jetzt den Sang vom Kreuz und stand,
- Als ob in Lust die Sinne sich verlören,
- Obwohl ich von der Hymne nichts verstand.
- Doch hohen Preis vernahm ich in den Chören,
- Denn: Du erstehst und siegst!--erklangs, und ich
- Glich denen, welche nicht verstehn, doch hören.
- Und so durchdrang hier süße Liebe mich,
- Daß, welche holde Band auch mich umfingen,
- Doch keins bis dahin diesem Bande glich.
- Vielleicht scheint sich zu kühn mein Wort zu schwingen,
- Nachsetzend selbst der schönen Augen paar,
- Die jeden Wunsch in mir zur Ruhe bringen.
- Doch nimmt man die lebendgen Stempel wahr,
- Die, höher, immer schöneres gestalten,
- Und denkt, daß ich gewandt von jenen war,
- So wird man drob mich für entschuldigt halten
- Und sehn, daß ich vom Wahren nicht geirrt;
- Doch dürft auch hier die heilge Wonne walten,
- Die, wie man aufsteigt, immer reiner wird.
- Fünfzehnter Gesang
- Gewogner Will, in welchem immer dir
- Sich offen wird die echte Liebe zeigen,
- Wie böser Wille kund wird durch Begier,
- Gebot der süßen Leier Stilleschweigen
- Und hielt im Schwung der heilgen Saiten ein,
- Die Gottes Rechte sinken macht und steigen.
- Wie werden taub gerechter Bitte sein
- Sie, die einhellig den Gesang itzt meiden,
- Um Mut zur Bitte selbst mir zu verleihn.
- Oh, wohl verdienen ewiglich zu leiden
- Die, weil die Lieb in ihrer Brust erwacht
- Für Irdisches, sich jener Lieb entkleiden.
- Wie durch die Heiterkeit der stillen Nacht
- Oft Feuer läuft, vom Augenblick geboren,
- Und des Beschauers Augen zücken macht,
- Gleich einem Stern, der andern Platz erkoren,
- Nur, daß an jenem Ort, wo er entbrannt,
- Sich nichts verliert und er sich schnell verloren;
- So sah ich aus dem Arm zur rechten Hand
- Jetzt einen Stern zum Fuß des Kreuzes wallen,
- Aus jenem Sternbild, das dort glänzend stand.
- Die Perl war nicht aus ihrem Band gefallen;
- Sie lief am lichten Streif dahin und war
- Wie Feuer hinter glänzenden Kristallen.
- So, redet unsre größte Muse wahr,
- Stellt in Elysiums Hainen seinem Sprossen
- Anchises sich mit frommer Liebe dar.
- "O du, mein Blut, auf welches sich ergossen
- Die Gnade hat, wem hat der höchste Hort
- Zweimal, wie dir, des Himmels Tür erschlossen?"
- Mir zog den Geist zum Lichte dieses Wort;
- Drauf, als ich mich zu meiner Herrin wandte,
- Ward mir Entzückung, Staunen, hier wie dort,
- Weil ihr im Auge solch ein Lächeln brannte,
- Daß, wie ich glaubte, meins den Grund darin
- Von meinem Himmel, meiner Gnad erkannte.
- Der Geist dann fügte Dinge zum Beginn,
- Er, angenehm zu hören und zu sehen,
- Die ich nicht faßte vor zu tiefem Sinn.
- Doch wollt er nicht, ich soll ihn nicht verstehen;
- Es mußte sein, weil Reden solcher Art
- Weit übers Ziel der Menschenfassung gehen.
- Doch als der Schwung, in dem sich offenbart
- Der Liebe Glut, insoweit nachgelassen,
- Daß jenes Ziel nicht überflogen ward,
- Sprach er, was ich nun fähig war, zu fassen:
- "Preis dir, Dreieiner, der du auf mein Blut
- So reich an Gnade dich herabgelassen."
- Und dann: "Der Sehnsucht lange, süße Glut.
- Entflammt, da ich im großen Buch gelesen,
- Das kund unwandelbar die Wahrheit tut,
- Stillst du, mein Sohn, im Licht, aus dem mein Wesen
- Jetzt freudig zu dir spricht; Dank ihr, die dich
- Zum Flug beschwingt und dein Geleit gewesen!
- Du glaubst, daß alles, was du denkst, in mich
- Vom Urgedanken strömt; denn es entfalten
- Die fünf und sechs ja aus der Einheit sich;
- Drum fragst du nicht nach mir und meinem Walten,
- Und weshalb höher meine Freude scheint
- Als die der andern dieser Lichtgestalten.
- Dein Glaub ist wahr, weil groß und klein vereint
- In diesem Reich, nach jenem Spiegel blicken,
- Wo, eh du denkest, der Gedank erscheint,
- Doch, um die Lieb, in die mit wachen Blicken
- Ich ewig schau, und die die Süßigkeit
- Der Sehnsucht zeugt, vollkommner zu erquicken,
- Erklinge sicher, kühn, voll Freudigkeit
- Die Stimm in deinem Willen, deinem Sehnen,
- Und die Entgegnung drauf ist schon bereit."
- Ich sah auf sie, die, eh die Wort ertönen,
- Mich schon versteht, und lächelnd im Gesicht,
- Hieß sie mich frei des Willens Flügel dehnen.
- Ich sprach: "Die Neigung und des Geistes Licht
- Sind, seit die erste Gleichheit ihr ergründet,
- Bei jeglichem von euch im Gleichgewicht,
- Weil euch die Sonne, die euch hellt und zündet
- Mit Licht und Glut, damit sogleich durchdringt,
- Daß man, was sonst sich gleicht, hier ungleich findet.
- Doch Will und Witz, wie sie der Mensch erringt,
- Sie sind aus dem euch offenbaren Grunde
- Mit sehr verschiedner Kraft zum Flug beschwingt.
- Dies fühl ich Sterblicher in dieser Stunde,
- Und danke deine Vaterliebe dir
- Drum mit dem Herzen nur, nicht mit dem Munde.
- O du lebendiger Topas, du Zier
- Des edlen Kleinods, hell in Glanz entglommen,
- Still itzt, dich nennend, meine Wißbegier!"
- "Mein Sproß, längst froh erwartet, jetzt willkommen,
- In mir sieh deine Wurzel!" So der Geist,
- Und setzt hinzu, nachdem ich dies vernommen:
- "Und er, nach welchem dein Geschlecht sich heißt,
- Der hundert Jahr und mehr für stolzes Wesen
- Des Berges ersten Vorsprung schon umkreist,
- Er ist mein Sohn, dein Urgroßahn, gewesen,
- Und dir geziemts, von solcher langen Pein
- Durch gute Werk ihn schneller zu erlösen.
- Florenz, im alten Umkreis, eng und klein,
- Woher man jetzt noch Terzen hört und Nonen,
- War damals friedlich, nüchtern, keusch und rein.
- Nicht Kettchen hatt es damals noch, nicht Kronen,
- Nicht reichgeputzte Fraun--kein Gürtelband,
- Das sehenswerter war als die Personen.
- Bei der Geburt des Töchterleins empfand
- Kein Vater Furcht, weil man zur Mitgift immer,
- So wie zur Zeit, die rechten Maße fand.
- Und öde, leere Häuser gabs da nimmer;
- Nicht zeigte dort noch ein Sardanapal,
- Was man vermag in Üppigkeit der Zimmer.
- Nicht übertroffen ward der Montemal
- Von dem Uccellatojo noch im Prangen,
- Und wie im Steigen, also einst im Fall.
- Ich sah vom schlichten Ledergurt umfangen
- Bellincion Berti noch und sah sein Weib
- Vom Spiegel gehn mit ungeschminkten Wangen.
- Ich sah ein unverbrämtes Wams am Leib
- Des Nerli und des Vecchio--und den Frauen
- War Spill und Rocken froher Zeitvertreib.
- Glückselge Fraun! In eurer Heimat Auen
- War euch ein Grab gewiß--durch Frankreichs Schuld
- War keiner noch das öde Bett zum Grauen.
- Die, wach und emsig an der Wiege, lullt
- In jener Sprach ihr Kindlein ein, die jeden
- Der Vater ist, entzückt in Süß und Huld.
- Die, ziehend aus dem Rocken glatte Fäden,
- Letzt ihrer Kinder Kreis von Römertat,
- Von Troja, Fiesole mit klugen Reden.
- Was ihr an einer Cianghella saht,
- An Salterell, solch Wunder hätts gegeben,
- Als itzt Cornelia gab und Cincinnat.
- So ruhigem, so schönem Bürgerleben,
- So treuer Bürgerschaft, so teurem Land,
- Gab mich Maria, die mit Angst und Beben
- Die Mutter anrief, als sie Wehn empfand,
- Und dort, in unserm Taufgebäu, dem alten,
- Ward ich ein Christ und Cacciaguid genannt.
- Zwei Brüder hatt ich, und zu treuem Walten
- Im Haufe kam die Gattin mir vom Po,
- Von der den zweiten Namen du erhalten.
- Den Kaiser Konrad folgt und dient ich, so,
- Daß er mich weihte zu des Ritters Ehren,
- Und immer blieb ich seiner Gnade froh.
- Mit ihm wollt ich des Greuels Reich zerstören,
- Des Volk, durch eurer Hirten Fehler, sich
- Der Länder anmaßt, die euch angehören.
- Und dort, von jenem schnöden Volk, ward ich
- Vom Trug der Welt entkettet und geschieden,
- Der viele Herzen jeder Zeit beschlich,
- Und kam vom Märtyrtum zu diesem Frieden.
- Sechzehnter Gesang
- O du geringer Adel unsers Bluts,
- Kannst du hienieden uns zum Stolz verführen,
- Wo wir noch fern vom Schaun des wahren Guts.
- So werd ich nimmer drob Verwundrung spüren;
- Denn dort, wo falsche Lust uns nicht erreicht,
- Fühlt ich darob in mir den Stolz sich rühren.
- Du bist ein Mantel, der, sich kürzend, weicht,
- Setzt man nicht Neues zu von Tag zu Tagen,
- Weil rings die Zeit mit ihrer Schere schleicht--
- Mit jenem ihr, das Rom zuerst ertragen,
- Das jetzt die Römer minder brauchen, trat
- Ich näher hin, beginnend neue prägen.
- Beatrix drum, zur Seite stehend, tat,
- Lächelnd, gleich jener, die beim ersten Fehle
- Ginevrens, wie man schreibt, gehustet hat.
- "Ihr seid mein Vater; Ihr erhebt die Seele,
- Daß ich mehr bin als ich; Ihr gebt mir Mut
- Mit Euch zu sprechen frei und sonder Hehle.
- Mir strömt zur Brust vielfacher Wonne Flut,
- Doch sie erträgt es, ohne zu zerspringen,
- Weil süß das Herz in eigner Freude ruht.
- Drum sprecht, mein Urahn, welche Vordern gingen
- Euch noch voraus, und wie bezeichnet man
- Die Jahre, die Euch hier itzt Früchte bringen?
- Vom Schafstall sprecht des heiligen Johann;
- Wie groß war er? Wer ist, den, hochzustehen
- In jenem Volk, man würdig preisen kann?"
- Gleichwie, belebt von frischen Windeswehen,
- Die Kohl in Flammen glüht, so war das Licht
- Bei meinem Liebeswort in Glanz zu sehen.
- Und so verschont er jetzt sich dem Gesicht,
- Wie seine Sprache sich dem Ohr verschönte;
- Doch wars nicht jene, die man jetzo spricht.
- Er sprach: "Seitdem des Engels Ave tönte,
- Bis meine Mutter, heilig itzt, in Qual
- Sich meiner Last entledigend, erstöhnte,
- Kam allbereits fünfhundertachtzigmal
- Dies Feuer zu den Füßen seines Leuen,
- Dort zu erneuern seinen Flammenstrahl.
- Des ersten Lichts sollt ich am Ort mich freuen,
- Den Vätern gleich, wo man das Sechsteil fand.
- In dem sich eure Jahresläuf erneuen.
- Und dies sei von den Ahnen dir bekannt;
- Wer sie gewesen, und woher entsprossen,
- Wird schicklicher verschwiegen als benannt.
- Was da, von Mars und Täufer eingeschlossen,
- Befähigt war, sich zum Gefecht zu reihn,
- Ein Fünfteil wars der jetzigen Genossen.
- Allein die Bürgerschaft, jetzt groß zum Schein,
- Vermischt mit Campis und Certaldos Scharen,
- War noch im letzten Handwerksmanne rein.
- Wohl besser wären, die einst Nachbarn waren,
- Es jetzo noch--wohl besser wars, Galluzz
- Und Trespian als Grenzen zu bewahren,
- Als innerhalb der Bauern Stank und Schmutz
- Von Aguglion und Signa zu ertragen,
- Die listig schachern allem Recht zum Trutz.
- Wenn sich, der gänzlich aus der Art geschlagen,
- Am Kaiser nicht stiefväterlich verging,
- Statt ihn am Herzen väterlich zu tragen,
- War mancher Schachrer, den Florenz empfing,
- Bereits zurückgekehrt nach Simifonte,
- Wo sein Großvater schmählich betteln ging.
- Wie Montemurlo Grafschaft bleiben konnte,
- So wären noch die Cerchi in Acon,
- Vielleicht in Valdigriev die Buondelmonte.
- In Volksvermischung fand man immer schon
- Den ersten Keim zu einer Stadt Verfalle,
- Wie Speis auf Speisen unsern Leib bedrohn.
- Ein blinder Stier stürzt hin in jäherm Falle
- Als blindes Lamm, und öfters ist ein Schwert
- Mehr wert als fünf und schneidet mehr als alle.
- Sieh Luni, Urbifaglia schon verheert,
- Sieh Chiusi in derselben Not sich winden,
- Die Sinigaglia, jenen gleich, erfährt;
- Dann wirst dus nicht mehr neu und schrecklich finden,
- Hüllt Nacht des Todes die Geschlechter ein,
- Da Städte selbst vom festen Grund verschwinden.
- Was euer ist, das trägt, wie euer Sein,
- Den Tod in sich; doch, was sich minder wandelt,
- Verbirgt ihn euch, denn eure Zeit ist klein.
- Und wie des Mondes Lauf den Strand verwandelt
- Und ihn in Ebb und Flut entblößt und deckt,--
- So ists, wie das Geschick Florenz behandelt.
- Drum werde dir kein Staunen mehr erweckt,
- Sprech ich von Edeln deiner Stadt, von ihnen,
- Die in Vergessenheit die Zeit versteckt.
- Die Ughi hob ich und die Catellinen
- Der Greci und Ormanni Stamm gesehn,
- Die selbst im Fall erhabne Bürger schienen.
- Mocht alt, wie hoch, der von Sanella stehn,
- Er mußte mit Soldanier, den von Arke
- Und den Bostichi kläglich untergehn.
- Am Tor, das jetzt an Hochverrat so starke
- Belastung hat, daß in den Wogen bald
- Versinken wird die überladne Barke,
- Dort war der Ravignani Aufenthalt,
- Das Stammhaus derer, so den Namen führen
- Des Bellincion, der edel ist und alt.
- Wohl wußte, wie sichs zieme, zu regieren,
- Der della Pressa--Galigajo nahm
- Das Schwert, das goldnes Blatt und Knauf verzieren.
- Groß war die graue Säul und wundersam,
- Groß waren die Sachetti, die Barucci
- Und die ein Scheffel jetzt durchglüht mit Scham.
- Groß war vordem der Urstamm der Calfucci;
- Zu jeglichem erhabnen Platz im Staat
- Rief man die Sizii, die Arrigucci.
- Wie groß wart ihr! Allein des Stolzes Saat
- Trug Untergang--wie blüht auf allen Ästen
- So edler Stämme Mut und große Tat!
- So waren deren Väter, die in Festen,
- Wenn man den Sitz des Bischofs ledig sieht,
- Im Konsistorium sich behaglich mästen.
- Das prahlende Geschlecht, das dem, der flieht,
- Zum Drachen wird, doch sanft wird, gleich dem Lamme,
- Wenn man die Zahne weist, den Beutel zieht
- Kam schon empor, allein aus niederm Stamme,
- Drum zürnt Ubert dem Bellincion, daß er
- Zu solcherlei Verwandtschaft ihn verdamme.
- Von Fiesole kam Caponsacco her
- Auf euren Markt und trieb in jenen Tagen,
- Wie Infangato bürgerlich Verkehr.
- Unglaubliches, doch Wahres werd ich sagen:
- Ein Tor des Städtchens ließ man ungescheut
- Den Namen des Geschlechts der Pera tragen.
- Wen nur des schönen Wappens Schmuck erfreut,
- Des großen Freiherrn, dessen Preis und Ehren
- Alljährlich noch das Thomasfest erneut.
- Ließ Ritterwürden sich von ihm gewähren,
- Mag der auch, ders mit goldner Zier umwand,
- Jetzt im Vereine mit dem Volk verkehren.
- Da hoch der Stamm der Gualterotti stand,
- So würd in Kriegsnot Borgo minder beben,
- Wenn er sich mit den Nachbarn nicht verband.
- Das Haus, das euch zum Weinen Grund gegeben,
- Das in gerechtem Grimm euch Tod gebracht
- Und ganz beendigt euer heitres Leben,
- Stand mit den Seinen fest in Ehr und Macht.
- Buondelmont, was hattest du Verlangen
- Nach andrer Braut? Was fremden Antriebs acht?
- Wohl viele würden froh sein, die jetzt bangen,
- Wenn Gott der Ema dich vermählt, als du
- Zum ersten Male nach der Stadt gegangen.
- Doch wohl stand dieser Stadt das Opfer zu,
- Das sie der Brückenwacht, dem wüsten Steine,
- Mit Blut gebracht in ihrer letzten Ruh.
- Mit diesen und mit andern im Vereine
- Sah ich Florenz des süßen Friedens wert,
- Indems nie Ursach fand, weshalb es weine.
- Mit diesem sah ich hoch sein Volk geehrt,
- Gerecht und treu, in ruhig stiller Haltung,
- Und nie am Speer die Lilie umgekehrt
- Und nimmer rotgefärbt durch innre Spaltung.
- Siebzehnter Gesang
- Wie der, der Väter karg gemacht den Söhnen,
- An Climene um Kunde sich gewandt
- Von dem, was man gejagt, ihn zu verhöhnen;
- So war ich jetzt in mir, und so empfand
- Beatrix mich und er, des Liebesregung
- Vom Flammenkreuz ihn zu mir hergebannt.
- Drum sie: "Folg itzt der inneren Bewegung
- Und laß den Wunsch hervor, nur sei er rein
- Bezeichnet durch des innern Stempels Prägung.
- Er soll nicht größre Kenntnis uns verleihn,
- Doch mutig sollst du deinen Durst bekennen,
- Als ob ein Mensch ihn stillen sollt in Wein."
- "O teurer Ahn, hochragend im Erkennen,
- Gleich wie der Mensch sieht, daß im Dreieck nicht
- Zwei stumpfe Winkel sich gestalten können,
- So siehst du, was da sein wird, das Gesicht
- Dem Spiegel zugewandt, der alle Zeiten
- Als Gegenwart dir zeigt im klaren Licht.
- Als noch Virgil bestimmt war, mich zu leiten,
- Um auf den Berg, der unsre Seelen heilt,
- Und zu der toten Welt hinabzuschreiten,
- Ward von der Zukunft Kunde mir erteilt,
- Die hart ist, mag ich auch als Turm mich fühlen,
- Der trotzend steht, wenn ihn der Sturm umheult.
- Drum wüßt ich gern, um meinen Wunsch zu kühlen,
- Welch ein Geschick mir naht. Vorausgeschaut,
- Scheint minder tief ein Pfeil sich einzuwühlen."
- Ich sprachs zum Licht, das mir mit süßem Laut
- Gesprochen hatt, und hatt ihm nun vollkommen,
- Nach meiner Herrin Wink, den Wunsch vertraut.
- In Rätseln nicht, wie man sie einst vernommen,
- Bestimmt, ein Netz für Torenwahn zu sein,
- Eh Gottes Lamm die Sünd auf sich genommen,
- In klarem Wort und bündigem Latein,
- Antwortete mir jene Vaterliebe
- Verschlossen in der eignen Wonne Schein:
- "Der Zufall, Werk allein der Erdentriebe,
- Malt sich im ewgen Blick, wie vorbestimmt,
- Und keiner ist, der ihm verborgen bliebe,
- Obwohl er euch die Freiheit nicht benimmt
- So wenig, als das Aug ein Schifflein leitet,
- Das drin sich spiegelt, wenns stromunter schwimmt.
- Wie Orgelharmonie zum Ohre gleitet,
- So kann mein Aug im ewgen Blicke sehn,
- Welch ein Geschick die Zukunft dir bereitet.
- Wie Hippolyt, vertrieben aus Athen
- Von der Stiefmutter treulos argen Ränken,
- So mußt du aus dem Vaterlande gehn.
- Dies wollen sie, dies ists, worauf sie denken;
- Und wo man Christum frech zu Markte trägt,
- Dort wird zur Tat, was nottut, dich zu kränken.
- Und dem verletzten Teil folgt, wie er pflegt,
- Der Ruf der Schuld--allein die Wahrheit künden
- Wird Gottes Rache, die den Argen schlägt.
- Du wirst dich allem, was du liebst, entwinden
- Und wirst, wenn dies dir bittern Schmerz erweckt,
- Darin den ersten Pfeil des Banns empfinden.
- Wie fremdes Brot gar scharf versalzen schmeckt,
- Wie hart es ist, zu steigen fremde Stiegen,
- Wird dann durch die Erfahrung dir entdeckt.
- Doch wird so schwer nichts seinen Rücken biegen,
- Als die Gesellschaft jener schlechten Schar,
- Mit welcher du dem Bann wirst unterliegen.
- Ganz toll und ganz verrucht und undankbar
- Bekämpft sie dich; doch zeiget bald, zerschlagen,
- Ihr Kopf, nicht deiner, wer im Rechte war.
- Wie dumm sie ist, das wird ihr Tun besagen;
- Und daß du für dich selbst Partei gemacht,
- Wird dir erwünschte, schöne Früchte tragen.
- Die erste Zuflucht in der harten Acht
- Wird dir der herrliche Lombard gewähren,
- Den heilger Aar und Leiter kenntlich macht.
- Zwischen euch wird von Geben und Begehren
- Das, was sonst später kommt, das erste sein,
- So sorgsam wird auf dich sein Blick sich kehren.
- Dort siehst du ihn, dem dieses Sternes Schein
- Bei der Geburt im hellsten Licht entglommen,
- Ihm das Gepräg zu hoher Tat zu leihn.
- Und hat die Welt noch nichts davon vernommen,
- So ists, weil eben erst zum neuntenmal
- Die Sonn um ihm den Zirkellauf genommen.
- Doch glänzt er, ungerührt durch Gold und Quäl,
- Bevor sich des Gascogners Tücken zeigen
- Bei Heinrichs Zug, in heller Tugend Strahl.
- Hochherrlich wird sein Ruhm zum Himmel steigen;
- Der Feind selbst kann, obwohl voll Ungeduld
- Bei seiner Taten Lob, es nicht verschweigen.
- Gewärtig sei denn sein und seiner Huld;
- Aus Armen macht er Reich und Arm aus Reichen,
- Hebt arme Tugend, stürzt die reiche Schuld.
- Laß nicht dies Wort aus dem Gedächtnis weichen,
- Doch sage nichts!" Dann sagt er Dinge mir,
- Die dem selbst, der sie sah, noch Wundern gleichen.
- "Sohn," also sprach er weiter, "siehe hier,
- Zu dem, was dir verkündet ward, die Glossen.
- Schon droht man aus dem Hinterhalte dir.
- Doch nicht beneide deine Landsgenossen,
- Denn lang, bevor du sinkst ins dunkle Grab,
- Ist dem Verrat gerechte Rach entsprossen."
- Hier brach die heilge Seel ihr Reden ab
- Und hatte das Gewebe ganz vollendet,
- Wozu ich fragend ihr den Aufzug gab.
- Und wie man zweifelnd sich an jemand wendet,
- Der innig liebt und Rechtes will und sieht,
- Nach gutem Rat--so ich, als er geendet:
- "Ich sehs, wie rasch heran die Stunde zieht,
- Um gegen mich den scharfen Pfeil zu kehren,
- Der schwerer trifft, wen die Besinnung flieht.
- Drum muß ich wohl mit Vorsicht mich bewehren,
- Um fern dem Ort, der, was ich lieb, enthält,
- Nicht durch mein Lied der Zuflucht zu entbehren.
- Denn reifend durch die endlos bittre Welt,
- Dann auf die Höh, wo mich vom Angesichte
- Der Herrin Licht zum höhern Flug erhellt,
- Dann durch den Himmel selbst von Licht zu Lichte,
- Erfuhr ich, was wohl manchen brennt und beißt
- Durch ätzenden Geschmack, wenn ichs berichte.
- Und zagt, der Wahrheit feiger Freund, mein Geist,
- Dann, fürcht ich, bin ich tot bei jenen allen,
- Bei welchen diese Zeit die alte heißt."
- Und neuen Glanz sah ich dem Licht entwallen,
- Das Strahlen, wie ein goldner Spiegel, warf,
- Auf den der Sonne Feuerblicke fallen.
- "Wer rein nicht sein Gewissen nennen darf,"
- Sprach er, "wen eigne Schmach, wen fremde drücket,
- Dem schmeckt wohl deine Rede streng und scharf.
- Dennoch verkünde ganz und unzerstücket
- Was du gesehn, von jeder Lüge frei
- Und laß nur den sich kratzen, den es jücket.
- Ob schwer dein Werk beim ersten Kosten sei,
- Doch Nahrung hinterläßts zu kräftgerm Leben,
- Ist des Gerichts Verdauung erst vorbei.
- Dein Laut wird sich, dem Sturme gleich, erheben,
- Der hohe Gipfel stärker schüttelnd faßt,
- Und dies wird Grund zu größrer Ehre geben.
- Drum sind berühmte Seelen alle fast,
- Die du im dunkeln, wehevollen Schlunde
- Und auf dem Berg und hier gesehen hast.
- Denn niemand traut beruhigt einer Kunde,
- Verbirgt das Bild, das sie vor Augen stellt,
- Die Wurzel tief im unbekannten Grunde,
- Und nur was schimmert überzeugt die Welt."
- Achtzehnter Gesang
- Schon freute sich der selge Geist alleine
- An seinem Wort. und ich, mit Süßigkeit
- Das Bittre mäßigend, genoß das meine.
- Und jene Frau, zum Höchsten mein Geleit,
- Sprach: "Wechsle die Gedanken--denk, ich wohne
- Dem nah, der mildert unverdientes Leid."
- Ich, hingewandt zum süßen Liebestone,
- Konnt in den heilgen Augen Liebe schaun,
- Die ich nicht sing in dieser niedern Zone.
- Denn nicht der Sprache nur muß ich mißtraun;
- Selbst das Gedächtnis kehrt nicht, ungetragen
- Vom Flug der Gnade, zu den selgen Aun.
- Ich kann von jenem Augenblick nur sagen:
- Ich fühlte jeden Wunsch der Brust entfliehn,
- Als ich den Blick zur Herrin aufgeschlagen,
- Bis, die nun selbst aus ihrem Auge schien,
- Die ewge Luft, vom schönen Angesichte
- Im zweiten Anblick Gnüge mir verliehn,
- Besiegend mich mit eines Lächelns Lichte.
- "Nicht mir im Aug allein ist Paradies."
- Sie sprachs. "Horch auf! Dorthin die Augen richte!"
- Wie Lieb auf Erden wohl sich mir erwies,
- Die lächelnd glänzt auf eines Freundes Zügen,
- Der seine Seele ganz ihr überließ,
- So zeigt in Glanz und wonnigem Vergnügen
- Des Urahns Geist die liebende Begier,
- Mir noch durch einge Reden zu genügen:
- "In dieses Baumes fünfter Stufe hier,
- Der von dem Gipfel Nahrung zieht und Leben,
- Stets reich an Frucht und frischer Blätter Zier,
- Sind Selge, die, eh sie emporzuschweben
- Der Himmel rief, in eurem Erdental
- Durch Ruhm der Muse reichen Stoff gegeben.
- Sieh auf die Arme hin am Kreuzesmal,
- Und zeigen wird sich jeder, den ich nannte,
- Wie in der Wolk ihr schneller Feuerstrahl.
- Und sieh, ein Licht, gleich schnellem Blitz, entbrannte,
- Beim Namen Josua--so daß ich Wort
- Und Tat in einem Augenblick erkannte.
- Den Makkabäus nannt er dann, und dort
- War kreisend Feuer glänzend vorgedrungen,
- Und Freude trieb den heilgen Kreisel fort.
- Als Karl der Groß und Roland dann erklungen,
- Folgt ich so aufmerksam dem Glanz, als man
- Dem Falken folgt, der sich emporgeschwungen.
- Wilhelm zog meinen Blick zum Kreuz hinan,
- Und Rinoard, bei ihres Namens Klange.
- Auch Herzog Gottfried, Robert Guiscard dann.
- Drauf mischte sich dem schimmernden Gedrange
- Die Seele, die erst sprach, als Meisterin
- Sich zeigend in dem himmlischen Gesange.
- Ich kehrte mich zur rechten Seite hin,
- Um in Beatrix; meine Pflicht zu lesen,
- In Wink und Wort der heilgen Führerin,
- Und sah so rein ihr Aug, ihr ganzes Wesen
- So hold, daß, was ich hab an Himmelsluft,
- Sie übertraf, ja, was sie je gewesen.
- Und, wie des guten Wirkens sich bewußt,
- In größrer Wonne man von Tag zu Tagen
- Der Tugend Wachstum merkt in eigner Brust;
- So merkt ich jetzt, vom Himmel fortgetragen
- In seinem Schwung, gewachsen sei der Kreis,
- Sobald ich sah dies schönre Wunder tagen.
- Und wie das Rot der Scham, die glühend heiß
- Gefärbet hat der zarten Jungfrau Wangen,
- Bald wieder schwindet vor dem lautern Weiß;
- So, nach dem roten Licht, das mich umfangen,
- Sah ich mich in den Silberglanz entrückt
- Des sechsten Sterns, der mich in sich empfangen.
- Und in dem Stern des Zeus, den Freude schmückt,
- War frohes Liebesfunkeln zu gewahren,
- Durch unsrer Sprache Zeichen ausgedrückt.
- Wie Vögel, die empor vom Strande fahren,
- Gemeinsam neuer Weide froh, sich bald
- In runden, bald in langen Haufen scharen;
- So flatterten, von Himmelslicht umwallt,
- In Sängen Selge hin, im Fluge zeigend
- Des D und dann des I und L Gestalt,
- Im Sang, erst bald gesenkt, bald wieder steigend,
- Und war die Ordnung diesen Zeichen gleich,
- Einhaltend in des Fluges Schwung und schweigend.
- Kalliope, die du die Geister reich
- An Ruhme machst, sie ewig zu erhalten,
- Die du erhältst mit ihnen Stadt und Reich,
- Erleuchte mich, damit ich die Gestalten
- Getreu beschreibe, jetzt mit deinem Strahl;
- Laß deine Kraft in kurzen Reimen walten!--
- Vokal und Konsonanten--siebenmal
- Fünf warens, die mein Auge dort ergötzten,
- Auch merkt ich wohl die Ordnung dieser Zahl.
- Diligite iustitiam--So setzten
- Erst Haupt und Zeitwort sich; dann sieh sofort:
- Qui iudicatis terram--als die letzten.
- Und alles blieb beim M im fünften Wort
- Geordnet stehn, hiermit das Werk vollbringend.
- So stand die Schrift wie Gold in Silber dort.
- Ich sah viel andres Licht, sich niederschwingend
- Zum Haupt des M, dort still und unbewegt,
- Vom Gut, so schien es, das sie anzieht, singend.
- Dann, wie wenn man mit Feuerbränden schlägt,
- Draus unzählbare Funken sprühend flammen,
- Woraus die Torheit wahrzusagen pflegt;
- So hoben dort sich mehr als tausend Flammen,
- Und die stieg mehr, und minder die empor,
- Wie sie die Sonne trieb, aus der sie stammen.
- Als jed an ihrer Stelle war, verlor
- Sich das Gewühl--da trat in Flammenzügen
- Der Kopf und Hals von einem Adler vor.
- Der dorten malt, weiß selbst sich zu genügen;
- Er, ungeleitet, lenkt des Künstlers Hand,
- Damit der Form sich die Gebilde fügen.
- Die selge Schar, die dort zufrieden stand,
- Das M bekrönend mit dem Lilienkranze,
- Vollendete das Bild jetzt, leicht gewandt.
- So sah ich, schöner Stern, der Himmel pflanze
- In uns die Keime der Gerechtigkeit,
- Der Himmel, den du schmückst mit deinem Glanze.
- Zum Geist, der Kraft dir und Bewegung leiht,
- Fleh ich, nach jenem Rauche hinzuschauen,
- Der deinen Strahl verdunkelt und entweiht.
- Sein Zorn mach einmal noch dem Volke Grauen,
- Das in dem Tempel schachert und verkehrt,
- Den er aus Wundern ließ und Martern bauen.
- Himmelskriegerschar, dort hellverklärt,
- Bitte für die, so noch der Leib umschlossen,
- Die schlechtes Beispiel falsche Wege lehrt.
- Einst kriegte man mit Schwertern und Geschossen,
- Doch jetzt, das Brot wegnehmend dort und hie,
- Das unser frommer Vater nie verschlossen.
- Du, der du schreibst, um auszustreichen, sie:
- Für jenen Weinberg, welchen du verdorben,
- Starb Paul und Petrus, doch noch leben sie.
- Du aber denkst: Hab ich nur den erworben,
- Der in die Einsamkeit der Wüst entrann,
- Und der zum Lohn für einen Tanz gestorben,
- Was kümmern Paulus mich und Petrus dann?
- Neunzehnter Gesang
- Vor mir erschien mit offnem Flügelpaar
- Das schöne Bild, wo, selig im Vereine,
- Der Geister lichter Kranz verflochten war.
- Jedweder war wie ein Rubin, vom Scheine
- Der Sonne so in Licht und Glut entbrannt,
- Als ob sie selbst mir in die Augen Scheine.
- Der Schilderung, zu der ich mich gewandt,
- Wie kann die Sprache sie, die Feder wagen,
- Da Phantasie dergleichen nie erkannt?--
- Ich sah den Aar und hört ihn Worte sagen,
- Und in der Stimm erklangen Ich und Mein,
- Als Wir und Unser ihm im Sinne lagen:
- Er sprach: "Für frommes und gerechtes Sein
- Sollt ich zu dieser Glorie mich erheben,
- Die jeden Wunsch uns zeigt als arm und klein.
- Und solch Gedächtnis ließ ich dort im Leben,
- Daß es für rühmlich selbst den Bösen gilt,
- Die nicht auf meiner Spur zu wandeln streben."
- Wie vielen Kohlen eine Glut entquillt,
- So tönte jetzt von vielen Liebesgluten
- Ein einzger Ton mir zu aus jenem Bild.
- "Ihr ewge Blüten des endlosen Guten,"
- Begann ich, "die ihr mir als einen jetzt
- Laßt eure Wohlgerüch entgegenfluten,
- Ich bitt euch nun, mit eurem Hauch ergetzt
- Mich Hungrigen und reicht mir jene Speise,
- Mit welcher mich die Erde nie geletzt.
- Wohl weiß ich, spiegelt sich in anderm Kreise
- Des Himmels ab des Herrn Gerechtigkeit,
- Daß sie sich euch nicht unterm Schleier weise.
- Ihr wißt, zum Hören bin ich schon bereit,
- Auch wißt ihr, welch ein Zweifel mich befangen,
- Der unbefriedigt ist seit langer Zeit."
- Gleichwie ein edler Falk, der Kapp entgangen,
- Das Haupt bewegt, sich schön und freudig macht,
- Stolz mit den Flügeln schlägt und zeigt Verlangen,
- So machte sich des hohen Zeichens pracht,
- Das Gottes Gnade laut dem All verkündet,
- Mit Sang, wie der nur hört, der dort erwacht.
- Und es begann: "Er, der die Welt gerundet
- Und sie begrenzt, hat viel Geheimes drin
- Und Offenbares viel darin begründet;
- Doch hat er seine Kraft vom Anbeginn
- Nicht völlig ausgeprägt im Weltenaue,
- Denn endlos überragts sein hoher Sinn.
- Der erste Stolze, welcher höhr als alle
- Geschöpfe stand, sank drum im frevlen Zwist,
- Des Lichts nicht harrend, früh in jähem Falle.
- Denn jegliches der kleinern Wesen ist
- Zu eng, um jenes Gut darein zu bringen,
- Das, endlos, sich nur mit sich selber mißt,
- Drum kann so weit der Menschenblick nicht dringen,
- Er, nur ein Strahl von jenes Geistes Schein,
- Der Urstoff ist und Grund von allen Dingen,
- Kann nie durch eigne Kraft so mächtig sein,
- Um Seinen Ursprung deutlich zu ersehen,
- Denn Nebel hüllt für ihn so Tiefes ein;
- Drob zu der Urgerechtigkeit das Spähen
- Des Menschenblicks sich nur so weit erstreckt,
- Als in den Grund des Meers die Augen gelten.
- Leicht wird der Grund am Strand vom Aug entdeckt,
- Doch nie im Meer, wie sehr sichs müh und übe;
- Grund ist dort, doch zu tief und drum versteckt.
- Nur aus der Heiterkeit, die nimmer trübe,
- Kommt Licht--all andres ist nur Dunkelheit,
- Ist Schatten oder Gift der Fleischestriebe.
- Sieh das Versteck, das die Gerechtigkeit
- Dir lang verhehlt, jetzt offen dem Verstande,
- Und ruhn wird nun in dir der Zweifel Streit.
- Erzeugt wird jemand an des Indus Strande,
- So sprachst du, doch wer spricht von Jesus Christ,
- Wer liest und schreibt von ihm in jenem Lande?
- Wenn er, soweit es die Vernunft ermißt,
- In Tat und Willen rein und unverdorben
- Und ohne Sünd in Wort und Leben ist
- Und er ungläubig, ungetauft gestorben,
- Wo ist dann wohl ein Recht, dem er verfällt?
- Wo Schuld, daß er den Glauben nicht erworben?--
- Und wer bist du, der sich so hoch gestellt,
- Um, richtend, tausend Meilen weit zu springen,
- Da eine Spanne kaum dein Blick enthält?
- Gewiß, daß die mir nach im Forschen ringen,
- War über euch nicht Gottes heilges Wort,
- Zum Zweifel und Erstaunen Grund empfingen.
- O Tier aus Erd! Ihrr groben Geister dort!
- Der erste Wille, gut von selber, gehet
- Nie aus sich selbst, dem höchsten Gute, fort.
- Gerecht ist, was mit ihm in Einklang stehet.
- Ihn kann nicht anziehn ein erschaffnes Gut,
- Das nur aus seiner Strahlenfüll entstehet."--
- Wie über ihrem Nest die Störchin tut,
- Wenn sie die Brut gespeist, im Kreise schwebend,
- Und wie nach ihr hinschaut die satte Brut;
- So tat--und so auch ich, das Aug erhebend--
- Das heilge Bild, das seine Flügel Schwang,
- Den Willen kund der freudgen Scharen gebend,
- Indems, im Kreis sich schwingend, also sang:
- "So wie du nicht verstehst, was ich verkündet,
- So kennt ihr nicht des ewgen Urteils Gang."
- Dann, noch im Zeichen, das den Ruhm begründet
- Der Römer hat, stand still die selge Schar,
- Von lichter Glut des Heilgen Geists entzündet.
- "In dieses Reich", begann aufs neu der Aar,
- "Stieg keiner je, der nicht geglaubt an Christus,
- Vor oder nach, als er gekreuzigt war.
- Doch siehe, viele rufen: Christus! Christus!
- Und stehn ihm ferner einst beim Weltgericht
- Als jene, welche nichts gewußt von Christus.
- Das Strafurteil für solche Christen Spricht
- Der Heid einst aus, wenn sich die Scharen trennen,
- Die zu der ewgen Nacht und die zum Licht.
- Wie wird ein Perser eure Fürsten nennen,
- Zeigt ihm sich aufgeschlagen jenes Buch,
- In dem er ihre Schmach wird lesen können?
- Die Tat des Albrecht wird mit hartem Spruch
- Er in dem Buch dann eingetragen sehen,
- Ob der ihn trifft, des Böhmerreiches Fluch.
- Auch Frankreichs Schmerz wird aufgezeichnet stehen,
- In den es durch den Münzverfälscher fällt,
- Der durch des Ebers Stoß wird untergehen.
- Dort steht der Stolz, der Durst nach Land und Geld,
- Drob Schott und Engelländer tun gleich Tollen,
- Und keiner sich in seiner Grenze hält.
- Dort wird die Üppigkeit sich zeigen sollen
- Des Spaniers und des Böhmen, welcher nie
- Die Trefflichkeit gekannt, noch kennen wollen.
- Dort, Lahmer von Jerusalem, dort sieh
- Mit einem M bezeichnet deine Sünden,
- Und deine Tugenden mit einem I.
- Dort wird sich auch der niedre Geiz verkünden
- Des, der dort herrschet, wo Anchises ruht
- Nach langer Fahrt, bei Ätnas Feuerschlünden.
- Und wie gering er ist an Kraft und Mut,
- Das wird die abgekürzte Schrift bezeugen,
- Die vieles kund auf engem Raums tut.
- Auch wird das schmutzge Tun des Ohms sich zeigen,
- Und das des Bruders kund sein überall,
- Die mit dem edlen Stamm zwei Kronen beugen.
- Auch den von Norweg, den von Portugal
- Und den von Rascia wird man unterscheiden,
- Der Schuld ist an Venedigs Münzverfall.
- Mög Ungarn fernerhin nicht Unbill leiden!
- Navarra, es verteidige getrost
- Die Bergesreihn, die es von Frankreich scheiden!
- Und Nicosia ist und Famagost,
- Vorläufig und als Angeld, sehr mit Fuge,
- Wie jeder zugibt, auf ihr Vieh erbost,
- Das mit dem andern geht in gleichem Zuge."
- Zwanzigster Gesang
- Wenn sie, die hell die ganze Welt verklärt,
- Von unsrer Hemisphär herabgeschwommen
- Und rings der Tag ersterbend sich verzeiht,
- Dann zeigt der Himmel, erst von ihr entglommen,
- Von ihr allein, viel Sterne rings im Rund,
- Die all ihr Licht von einem Licht entnommen.
- Dies wars, was jetzt vor meiner Seele stund,
- Als unsrer Welt und ihrer Herrscher Zeichen
- Stillschweigen ließ den benedeiten Mund.
- Denn alle Lichter, jene wonnereichen,
- Erglänzten mehr im Sang, an dessen Macht
- Nicht irdischer Erinnrung Schwingen reichen.
- O Lieb, umkleidet mit des Lächelns Pracht,
- Wie sah ich Glanz dich in die Funken gießen,
- Die heilger Sinn allein dort angefacht!
- Dann, als die Edelsteine, die mit süßen
- Lichtstrahlen hold das sechste Licht erhöhn,
- Die Engelsglocken wieder schweigen ließen,
- Schien mirs, es zeig in murmelndem Getön
- Ein Fluß, von Fels zu Felsen niederfallend,
- Wie reich sein Quell entstand auf Bergeshöhn.
- Und wie ein Ton, aus reiner Laute schallend,
- An ihrem Hals sich formt und wie der Wind
- Durchs Mundloch eindringt, die Schalmei durchhallend;
- So hatte jener Murmelton geschwind
- Sich bis zum Hals des Adlers aufgeschwungen
- Und drang, wie aus der Kehle, süß und lind
- Und ward zur Stimm, und, dort hervorgedrungen,
- Ward er gebildet zum erwünschten Wort,
- Und wohl behält mein Herz, was mir erklungen.
- "Den Teil in mir, der bei den Adlern dort
- Die Sonne sieht und trägt, schau an!" so hoben
- Die Wort itzt an und fuhren weiter fort:
- "Denn von den Feuern, die mein Bild gewoben,
- Stehn, die hier glänzen an des Auges Statt,
- In allen Würden vor den andern oben.
- Der, so den Platz des Augenapfels hat,
- Des Heilgen Geistes Sänger wars und brachte
- Die Bundeslade fort von Stadt zu Stadt.
- Wie der, der ihn begeistert, seiner achte
- Und seines Sangs, das kann er jetzo sehn,
- Da er dem Wert gleich die Belohnung machte.
- Von fünf, die um mein Aug als Braue stehn,
- Sieh nächst dem Schnabel den, der ehmals Weile
- Dem Heer gebot auf einer Witwe Flehn.
- Wie, wer nicht Christo folgt zu seinem Heile,
- Dies teuer büßt, das hat er nun erkannt
- In dieser Wonn und in dem Gegenteile.
- Der Nächst im Kreise, der mein Aug umspannt,
- Ist jener, der den Tod auf fünfzehn Jahre
- Durch wahre Reue von sich abgewandt.
- Jetzt sieht er ein, der Herr, der ewig Wahre,
- Bleib ewig wahr, obwohl sein Urteil sich
- Auf würdges Flehn von heut auf morgen spare.
- Der nachfolgt, führte das Gesetz und mich,
- Durch guten Sinn zu schlimmem Tun bewogen,
- Nach Griechenland, weil er dem Hirten wich.
- Jetzt sieht er, daß, vom Guten abgezogen,
- Das Übel, das in Trümmern euch begräbt,
- Ihm dennoch nichts von seiner Wonn entzogen.
- Sieh Wilhelm, wo der Bogen abwärts strebt,
- Ob dessen Tod des Landes Bürger weinen,
- Das weint, weil Karl und Friederich gelebt.
- Jetzt sieht er, Gott liebt zärtlich, als die Seinen,
- Gerechte Fürsten, und, in Glanz erhellt,
- Läßt er dies hier in frohem Blitz erscheinen.
- Wer glaubt es in der wahnbefangnen Welt,
- Daß Ripheus, den Trojaner, hier im Runde
- Des fünften Lichtes heilger Glanz enthält?
- Jetzt hat er wohl von Gottes Gnade Kunde
- Und siehet mehr, als eurer Welt sich zeigt,
- Dringt auch sein Blick nicht bis zum tiefsten Grunde."
- Wie in die Luft die kleine Lerche steigt,
- Erst singend flattert, aber dann, zufrieden,
- Vom letzten süßen Ton gesättigt, schweigt;
- So schien mir jenes Bild, durch das hienieden
- Des Höchsten ewger Wille zu uns spricht,
- Der jedem Ding das, was es ist, beschieden.
- Und barg ich auch den Zweifel minder dicht,
- Als Glas die Farbe, litt er doch mein Schweigen,
- Und längres Harren auf Verkündung nicht.
- Er zwang dies Wort, dem Munde zu entsteigen:
- "Was sah ich dort!" durch seines Dranges Macht,
- Denn Freudenfunkeln sah ich dort sich zeigen.
- Im Auge hellre Gluten angefacht,
- Sprach drauf der Adler, um mich aufzuregen,
- Den Staunen fesselte bei solcher Pracht:
- "Ich sah, du glaubest dies, doch nur deswegen,
- Weil ichs gesagt, und siehest nicht das Wie?
- Wie wir Verborgenes zu glauben pflegen,
- Wie man der Sache Namen lernt, doch sie
- Nicht kann nach ihrem Wesen unterscheiden,
- Wenn nicht ein anderer uns Licht verlieh.
- Das Reich der Himmel muß Gewalt erleiden,
- Wenn Kraft der Lieb und Hoffnung es bekriegt,
- Denn Gottes Wille wird besiegt von beiden;
- Nicht wie ein Mensch dem Stärkern unterliegt;
- Nein, er siegt, denn er will sich ja ergeben.
- Drob er, besiegt durch seine Güte, siegt.
- Du staunst beim ersten und beim fünften Leben
- In meiner Brau und nennst es wunderbar,
- Daß beide hier in hellem Glanze schweben.
- Als Christen, nicht als Heiden, starb dies Paar.
- Der glaubt ans Leiden, das schon eingetroffen,
- Der zweit an das, das noch zu dulden war.
- Der ist vom Höllenschlund, der nimmer offen
- Zur Rückkehr war, zum Leib zurückgekehrt,
- Und dies verdankt er nur lebendgem Hoffen;
- Lebendgem Hoffen, das von Gott begehrt,
- Ihn zu befreien aus des Todes Banden,
- Damit er lebe, wie das Wort gelehrt.
- Und die ruhmwürdge Seele kehrt erstanden
- Auf kurze Zeit zum Leib und glaubt an ihn,
- Des Allmacht auf ihr Flehn ihr beigestanden.
- Und fühlte, glaubend, sich so hell erglühn
- In wahrer Liebe, daß sie dieser Wonnen
- Bei ihrem zweiten Tode wert erschien.
- Der zweit, aus Gnade, die so tiefem Bronnen
- Entquollen ist, daß nie die Kreatur
- Die Quell erspähen kann, wo er begonnen,
- Weiht all sein Lieben einst dem Rechte nur,
- Drum hob ihn Gott empor zu Gnad und Gnaden
- Und zeigt ihm künftiger Erlösung Spur.
- Er glaubt an sie und schalt sodann, entladen
- Des Heidentums, von seinem Stanke frei,
- Die, so noch wandelten auf falschen Pfaden.
- Anstatt der Taufe standen ihm die drei,
- Die du am rechten Rad im Tanz gesehen,
- Wohl tausend Jahre vor der Taufe bei.
- O Gnadenwahl, wie tief verborgen stehen
- Doch deine Wurzeln jenem Blick, der nicht
- Vermag den Urgrund völlig zu erspähen!
- Kurz sei dein Urteil, Mensch, wie dein Gesicht,
- Da wir nicht all die Auserwählten wissen,
- Wir, die wir schaun in Gottes ewges Licht.
- Und süß ist uns auch das, was wir vermissen,
- Da daraus uns das höchste Heil entquillt,
- Daß dessen, was Gott will, auch wir beflissen."
- So reichte jenes gottgeliebte Bild,
- Der schwachen Sehkraft Stärkung zu bereiten,
- Mir Arzeneien, wundersüß und mild.
- Und wie mit lieblichem Geschwirr der Saiten
- Die guten Lautner guter Sänger Lied
- Zu größrer Süßigkeit des Sangs begleiten;
- So regt, indes der Adler mich beschied,
- Der benedeiten Lichter Paar, zusammen,
- Wie man die Augen blicken sieht,
- Bei seinem Wort die hellen Wonneflammen.
- Einundzwanzigster Gesang
- Schon heftet ich die Augen aufs Gesicht
- Der Herrin wieder, Augen und Gemüte,
- Und dachte drum an alles andre nicht.
- Sie lächelte mir nicht, doch sprach voll Güte:
- "Dafern ich lachte, würde dir geschehn
- Wie Semelen, als sie in Staub verglühte.
- Wenn meine Schönheit, die, wie du gesehn,
- Beim Steigen in dem ewigen Palaste
- Sich mehr entflammt, je mehr wir uns erhöhn,
- Sich deinem Blick nicht mäßigte, sie faßte
- Dich wie ein Blitz--du wärst von ihr erdrückt,
- Zerschmettert, gleich dem blitzgetroffnen Aste.
- Wir sind zum Glanz, dem siebenten, entrückt,
- Der vom Gebild des Himmelsleun umgeben,
- Aus seiner Glut den Strahl herniederzückt.
- Laß itzt den Geist, dem Blicke nach, sich heben;
- Und deinen Blick--mach itzt zum Spiegel ihn
- Fürs Bild, das kund wird dieser Spiegel geben."
- Wer wüßte, wie ihr Blick so selig schien,
- Wie er dem meinen ward zur süßen Weide,
- Als sie gebot, ihn wieder abzuzielen,
- Oh, der erkennt auch wohl, mit welcher Freude
- Ich dem gehorcht, was sie mir auferlegt,
- Denn Wonne hielt das Gleichgewicht dem Leide.
- In dem Kristall, das, um die Welt bewegt,
- Vom teuren Führer, unter dem entweichen
- Die Bosheit mußte, noch den Namen trägt,
- Erblickt ich einer Leiter schimmernd Zeichen,
- An Farbe gleich dem Gold, durchglänzt vom Strahl,
- Hoch, daß zur Höh nicht Menschenblicke reichen.
- Und auf den Sprossen stieg in solcher Zahl
- Die Schar der selgen Himmelslichter nieder,
- Als ström hier alles Licht mit einemmal.
- Und wie, nach ihrer Art, die Krähn, wenn wieder
- Der Tag beginnt, sich rasch bewegend ziehn.
- Um zu erwärmen ihr erstarrt Gefieder,
- Und die von dannen ohne Rückkehr fliehn,
- Die rückwärts fliegen, andre dann, im Bogen
- Dieselbe Stell umkreisend, dort verziehn;
- So sah ichs jetzt in jenem Glanze wogen,
- Der sich als Strom ergoß. Sobald die Flut
- Bis zu gewissen Stufen hergezogen.
- Und einer glänzte, der, uns nah, geruht,
- Drum wollte schon dies Wort der Lipp entsteigen:
- "Ich seh es wohl, du zeigst mir Liebesglut."
- Doch sie, die mir zum Sprechen und zum Schweigen
- Das Wie und Wann bestimmt, sie schwieg, und ich
- Tat wohl, nicht fragend meinen Wunsch zu zeigen.
- Doch sie erklärte wohl mein Schweigen sich,
- In ihm, der alles sieht, mich klar erschauend,
- Und sprach: "Still itzt den heißen Wunsch und sprichl"
- Und ich begann: "Nicht dem Verdienste trauend,
- Halt ich von dir mich einer Antwort wert;
- Ich frag, auf sie, die mirs gestattet, bauend,
- O selges Leben, das du schön verklärt
- Dich in der Freude birgst, aus welchem Grunde
- Hast du zu mir dich liebevoll gekehrt?
- Und sage mir, weswegen diesem Runde
- Die Paradiessymphonie gebricht,
- Die tiefer dort erklang im frommen Bunde?"
- Und er:"Dein Ohr ist schwach, wie dein Gesicht,
- Weshalb Beatrix nicht gelacht, deswegen
- Ertönt der Sang in diesem Kreise nicht.
- Ich kam von heilger Leiter dir entgegen,
- Um mit der Red und mit dem Licht, das mir
- Zum Kleide dient, dich freudig aufzuregen.
- Und nicht aus größrer Liebe bin ich hier;
- Nein, mehr und gleiche Liebe glüht in ihnen,
- Die dorten sind, und Schimmer zeigt sie dir.
- Doch höchste Liebe, die uns treibt, zu dienen
- Dem ewgen Rat, braucht, wen sie wählt, dabei,
- Wie dir in dem, was du gesehn erschienen."
- "Ich sehe," sprach ich, "daß die Liebe, frei,
- An diesem Hof den Schlüssen nachzugehen
- Der ewgen Vorsehung, genügend sei.
- Doch bleibt mir eins noch schwierig zu verstehen:
- Warum bist du von allen jenen dort
- Schon im voraus zu diesem Amt ersehen?"
- Noch war ich nicht gelangt zum letzten Wort,
- Da drehte sich, sich um sich selber schwingend,
- Das Licht im Kreis gleich einer Mühle fort.
- "Da jenes Licht, dem Urquell selbst entspringend,"
- Antwortete die Liebe drin, "mir scheint,
- Das, welches mich in sich verschließt, durchdringend,
- Hebt seine Kraft, mit meinem Schaun vereint,
- Mich über mich, so daß in seinem Schimmer
- Das Ursein, das ihn ausströmt, mir erscheint.
- Und daher kommt mein freudiges Geflimmer,
- Denn wie des Blickes Klarheit sich vermehrt,
- Vermehrt sich auch der Flammen Klarheit immer.
- Doch der, der sich im reinsten Licht verklärt,
- Der Seraph selbst, der Gott am hellsten siebet,
- Genügt dir nicht in dem, was du begehrt.
- Denn in dem Abgrund ewgen Rats umziehet
- Das, was du fragtest, Nacht, die, nie erhellt,
- Es jeglichem geschaffnen Blick entziehet.
- Verkünde dies, zurückgekehrt, der Welt
- Und warne sie vor jenem stolzen Streben,
- Das so Erhabnes sich zum Ziele stellt.
- Der Geist, von Licht hier, dort von Rauch umgeben,
- Sucht, wie er kann, zum höchsten Ziel hinauf,
- Das er nicht sehn kann, dort den Blick zu heben."
- Dies trug das Wort des Seligen mir auf,
- Drum ließ ich demutsvoll von diesen Fragen
- Und fragte nur nach seinem Lebenslauf.
- "Zwischen Italiens beiden Küsten ragen
- Gebirge, Tuscien nah, so hoch empor,
- Daß unter ihren Höhn die Wolken jagen.
- In ihnen springt ein Bergeshöcker vor,
- Catria genannt, und drunter liegt die Öde,
- Die Gott zu seinem echten Dienst erkor."
- Also begann er seine dritte Rede
- Und fuhr dann fort: "Dort stärkt ich meine Kraft
- Im Dienste so, daß ich der Speisen jede
- Mit nichts mir würzt als mit Olivensaft;
- Dort hat Beschauung mir in vielen Jahren
- Bei Hitz und Frost Zufriedenheit verschafft.
- Fruchtbare Felder für den Himmel waren
- Im Klosterbann--jetzt wuchert Unkraut dort,
- Und wohl geziemt sichs, dies zu offenbaren.
- Pier Damian war ich an jenem Ort.
- (Petrus Peccator lebt in Unsrer Lieben
- Fraun heilgem Kloster an Ravennas Bord.)
- Nur wenig Leben war mir noch geblieben,
- Da rief, ja zog man mich zu jenem Hut,
- Der jetzt zu Schlimmen reizt und schlimmem Trieben.
- Petrus war mager einst und unbeschuht,
- Paulus ging so einher in jenen Tagen
- Und fand die Kost in jeder Hütte gut.
- Die neuen Hirten, feist, voll Wohlbehagen,
- Sieht man gestützt, geführt und schwerbewegt,
- Und hinten läßt man gar die Schleppe tragen.
- Wenn übers Prachtroß sich ihr Mantel schlägt,
- Sind zwei Stück Vieh in einer Haut beisammen.
- O göttliche Geduld, die viel erträgt!"--
- Hier stiegen von der Leiter viele Flammen
- Und kreisten dort, so daß sie mehr und mehr
- Bei jedem Kreis in schönem Lichte schwammen.
- Sie stellten sich um jenen Schimmer her,
- Mit einem Rufe von so lautem Schalle,
- Daß nichts auf Erden tönt so laut und schwer.
- Doch nichts verstand ich in dem Donnerhalle.
- Zweiundzwanzigster Gesang
- Ich kehrte mich, vom Staunen überwunden,
- Zu meiner Führerin, gleich einem Kind,
- Das Hilfe sucht, wos immer sie gefunden.
- Sie sprach, der Mutter gleich, die sich geschwind
- Zum Knaben kehrt, der atemlos, beklommen
- In ihrer Stimme frischen Mut gewinnt:
- "Bedenks, dich hat der Himmel aufgenommen,
- Wo alles heilig ist, wo heißem Drang
- Gerechten Eifers, was geschieht. entglommen.
- Wie dich mein Lächeln, wie dich der Gesang
- Verwandelt hätten, wirst du jetzt verstehen,
- Da jener Ruf dich so mit Graus durchdrang.
- Verstündest du das drin enthaltne Flehen,
- So wäre dir die Rache schon erklärt,
- Die du noch wirst vor deinem Tode sehen.
- Von droben fällt zu frühe nicht das Schwert,
- Und nicht zu spät, wies dem scheint, der mit Grauen
- Es harrend fürchtet oder es begehrt.
- Jetzt blicke nur auf andres mit Vertrauen,
- Sieh dortenhin; du wirst in großer Zahl
- Dort hochberühmte selge Geister chauen."
- Ich sah, den Blick gewandt, wie sie befahl,
- Wohl hundert Kreise, welche Funken Sprühten,
- Verschönert von dem gegenseitgen Strahl.
- Wie auch in mir der Sehnsucht Stacheln glühten,
- Doch wagt ich keine Frag und hieß sie ruhn,
- Um vor zu großer Kühnheit mich zu hüten.
- Die größte, hellste Perle nahte nun,
- Um jenem Wunsch, den sie in mir ergründet,
- Mit süßem Liebeswort genugzutun.
- "Wenn du die Liebe sähst, die uns entzündet,"
- So sprach die Stimme jetzt aus jenem Licht,
- "Du hättest, was du denkst, mir frei verkündet.
- Doch horch, auf daß du, harrend, später nicht
- Zum hohen Ziel gelangest, und ich deute
- Dir, was zu fragen dir der Mut gebricht.
- Des Berges Höh, an dessen Abhang heute
- Cassino liegt, war einst Versammlungsort
- Für viel Betrüger und betrogne Leute.
- Der erste, nannt ich dessen Namen dort,
- Der jene Wahrheit, die uns hoch erhoben,
- Der Erde bracht in seinem heilgen Wort.
- Und solche Gnade glänzt auf mich von oben,
- Daß ich das Land umher vom Dienst befreit,
- Der mit verruchtem Trug die Welt umwoben.
- Wer hier glänzt, lebt einst in Beschaulichkeit,
- Und keiner ließ in sich die Flamm erkalten,
- Die Blüten treibt und heilge Frucht verleiht.
- Sieh des Maccar, des Romuald Lichtgestalten,
- Sieh meine Brüder, die im Klosterbann
- Den Fuß gehemmt und fest das Herz gehalten."
- "Dein liebevolles Wort", so hob ich an,
- "Und diese Freundlichkeit, die es begleitet,
- Die ich an jedem Glanz bemerken kann,
- Sie haben also mein Vertraun erweitet,
- Wie Sonnenschein die Rose, welche sich,
- Soweit sie kann, erschließet und verbreitet.
- Und, so vertrauend, Vater, bitt ich dich,
- Dich meinen Blicken unverhüllt zu zeigen,
- Ist solche Gnade nicht zu groß für mich."
- "Wenn so hoch", sprach er, "deine Wünsche steigen,
- Beut dir der letzte Kreis Erfüllung dar.
- Durch sie wird jeder Wunsch, auch meiner, schweigen.
- Dort wird vollkommen, reif und ganz und wahr,
- Was nur das Herz ersehnt--und dort nur findet
- Sich jeder Teil da, wo er ewig war,
- Weil jener Kreis sich nicht im Raum befindet;
- Doch unsrer Leiter Höh erreichet ihn,
- Daher sie also deinem Blicke schwindet.
- Als sie dem Jakob einst im Traum erschien,
- Sah er die Spitze bis zum Himmel streben
- Und drauf die Engel auf und nieder ziehn.
- Jetzt mag man nicht den Fuß vom Boden heben,
- Um sie zu steigen, und bei Schreiberein
- Bleibt an der Erde träg mein Orden kleben.
- Denn Räuberhöhlen sind, was einst Abtein,
- Und ihrer Mönche weiße Kutten pflegen
- Nur Säcke, voll von dumpfgem Mehl, zu sein.
- Kein Wucher ist so sehr dem Herrn entgegen
- Als jene Frucht, auf die die Mönch erpicht,
- Drob sie im Herzen solche Torheit hegen.
- Das, was die Kirche wahrt, gehört nach Pflicht
- Den Armen nur zur Lindrung der Beschwerden,
- Nicht Vettern, noch auch schlechterem Gezücht.
- Schwach ist des Menschen Fleisch, so, daß auf Erden
- Ein guter Urspung nicht genügen kann,
- Bis Eichensprossen Eichenbäume werden.
- Petrus fing ohne Gold und Silber an,
- Und ich begann mit Fasten und mit Flehen,
- Franz seinen Orden als ein niedrer Mann.
- Willst du nach eines jeden Ursprung spähen,
- Dann sehn, wie ihn verführt der Übermut,
- So wirst du Schwarzes statt des Weißen sehen.
- Traun! daß sich aufgetürmt des Jordans Flut
- Auf Gottes Wink, ist wunderbar zu finden,
- Mehr als die Hilfe, die euch nötig tut."
- Sprachs, um mit seiner Schar sich zu verbinden;
- Zusammen drängte sich die Schar und fuhr
- Vereint empor, gleich schnellen Wirbelwinden.
- Und ihnen nach, mit einem Winke nur,
- Trieb mich die Herrin aufwärts jene Stiegen;
- So zwang jetzt ihre Kraft mir die Natur.
- Hienieden, wo bald sinkt, was erst gestiegen,
- Gibt die Natur nie solche Schnelligkeit,
- Daß sie vergleichbar ist mit meinem Fliegen.
- So wahr ich, Leser, zu der Herrlichkeit
- Einst kehren will, für die ich oft in Zähren
- Den Busen Schlag in Reu und tiefem Leid;
- Du kannst ins Feur den Finger tun und kehren
- So schnell nicht, als ich war im Sterngebild,
- Das nach dem Stier durchrollt die Himmelssphären.
- O edle Sterne, kraftgeschwängert Bild,
- Dem das, was ich an Geist und Witz empfangen,
- Seis wenig oder sei es viel, entquillt,
- In euch ist auf-, in euch ist untergangen
- Die Mutter dessen, was auf Erden lebt,
- Als mich zuerst Toskanas Luft umfangen.
- Als ich zum hohen Kreis, in dem ihr schwebt,
- Geführt von reicher Gnad, emporgeflogen,
- Da ward zuteil mir, daß ich euch erstrebt.
- Fromm seufz ich jetzt zu euch, seid mir gewogen!
- Wollt Kraft zum schweren Pfade mir verleihn,
- Der meine Seele ganz an sich gezogen,
- "Zum letzten Heile führ ich bald dich ein,"
- Sie sprachs, die mich zu diesen Höhen brachte,
- "Und scharf und klar muß itzt dein Auge sein.
- Darum, bevor du tiefer dringst, betrachte
- Was unten liegt, und sieh, wie viele Welt
- Ich unter deinem Fuß schon liegen machte.
- Damit dein Herz, soviel es kann, erhellt,
- Bereit sei, vor den Siegern zu erscheinen,
- Die fröhlich sich in diesem Kreis gesellt."
- Durch alle sieben Sphären warf ich meinen
- Blick nun zurück und sah dies Erdenrund,
- So daß ich lächelt ob des niedern, kleinen.
- Und jener Rat beruht auf gutem Grund,
- Denn die dies Rund verschmähn in höherm Streben,
- Nur ihnen wird die echte Weisheit kund.
- Ich sah in Glut Latonas Tochter schweben,
- Von jenem Schatten frei, der mir zum Wahn
- Vom Dünnen und vom Dichten Grund gegeben.
- Dich, strahlenreicher Sohn Hvperions, sahn
- Jetzt meine Blicke fest und ungeblendet,
- Und um dich Majas und Diones Bahn.
- Dich sah ich, Zeus, der mäßgen Schimmer spendet,
- Zwischen Saturn und Mars, auch ward mir klar,
- Wie seinen Wechsellauf ein jeder wendet.
- Wie groß die sieben sind, ward offenbar,
- Wie schnell sie sind, den Weltenraum durchreisend,
- Auch stellte mir sich ihre Ferne dar.
- Und mit dem ewgen Zwillingspaare kreisend,
- Sah ich die Scheibe, die so stolz uns macht,
- Mir Land und Meer und Berg und Täler weisend.
- Dann kehrt ich mich zu ihrer Augen Pracht.
- Dreiundzwanzigster Gesang
- Gleichwie der Vogel, der, vom Laub geborgen,
- Im Nest bei seinen Jungen süß geruht,
- Indes die Nacht die Dinge rings verborgen,
- Um zu erschauen die geliebte Brut
- Und ihr zu bringen die willkommne Speise,
- Um die bemüht, er selbst sich gütlich tut,
- Noch vor der Zeit, sobald am Himmelskreise
- Aurora nur erschien, in Lieb entbrannt,
- Der Sonn entgegenschaut vom offnen Reife;
- So, aufmerksam, das Haupt erhebend, stand
- Die Herrin, nach dem Teil der Himmelsauen,
- Wo minder eilig Sol sich zeigt, gewandt.
- Ich konnte harrend sie und sehnend schauen,
- Und war gleich dem, der anderes begehrt,
- Doch freudig ist in Hoffnung und Vertrauen.
- Und bald ward Schaun für Hoffen mir gewährt,
- Denn fort und fort sah ich den Glanz sich mehren
- Und sah den Himmel mehr und mehr verklärt.
- Beatrix sprach: "Sieh in den selgen Heeren
- Christi Triumph und sieh geerntet hier
- Die ganze Frucht des Rollens dieser Sphären!"
- Als reine Glut erschien ihr Antlitz mir,
- Als reine Wonn ihr Blick--und nimmer brächten
- Die Wort hervor ein würdig Bild von ihr.
- Wie in des Vollmonds ungetrübten Nächten
- Luna inmitten ewger Nymphen lacht,
- Die das Gewölb des Himmels rings durchflechten;
- So über tausend Leuchten stand in Pracht
- Die Sonne, so die Gluten all erzeugte,
- Wie unsre mit den Himmelsaugen macht.
- Und, glänzend durch lebendgen Schimmer, zeigte
- Der Lichtstoff sich, in solcher Herrlichkeit
- Mir im Gesicht, daß es, besiegt, sich neigte.
- O Herrin! teures, himmlisches Geleit!--
- Sie sprach zu mir: "Was hier dich überwunden,
- Ist Kraft, vor der nichts Hilf und Schutz verleiht.
- Hier ists, wo Weisheit sich und Macht verbunden;
- Sie machten zwischen Erd und Himmel Bahn,
- Nach welcher Sehnsucht längst die Welt empfunden."
- Wie wenn der Wolken Schoß sich aufgetan,
- Die Feuer sich, sie sprengend, niedersenken
- Und gegen ihren Trieb der Erde nahn;
- So rang mein Geist, von diesen Himmelstränken
- Gestärkt, vergrößert, aus sich selber sich,
- Doch, wie ihm ward, wie könnt er des gedenken?
- "Sieh auf, und wie ich bin, erschaue mich!
- Durch das Erschaute hast du Kraft empfangen,
- Und nicht vernichtet mehr mein Lächeln dich."
- Ich war, wie einer, dem sein Traum entgangen,"
- Und der, vom dunklen Umriß nur betört,
- Umsonst sich müht, die Bilder zu erlangen,
- Als ich dies Wort, so wert des Danks, gehört,
- Daß in dem Buch, das den vergangnen Dingen
- Gewidmet ist, es keine Zeit zerstört.
- Und möchten mit mir alle Zungen singen,
- Die von der hohen Pierinnen Schar
- Die reinste Milch zum Labetrunk empfingen,
- Doch stellt ichs nicht zum Tausendteile dar,
- Wie hold ihr heilges Lächeln, wie entzündet
- In lauterm Glanz ishr heilges Wesen war.
- Und so, das Paradieses Lust verkündet,
- Muß jetzo springen mein geweiht Gedicht,
- Gleich dem, der seinen Weg durchschnitten findet.
- Doch wer bedenkt des Gegenstands Gewicht,
- Und daß es schwache Menschenschultern tragen,
- Der schilt mich, wenn ich drunter zittre, nicht.
- Durch Wogen, die mein kühnes Fahrzeug schlagen,
- Darf sich kein Schiffer, scheu vor Not und Mühn,
- Darf sich kein kleiner schwanker Nachen wagen.
- "Was macht mein Blick dich so in Lieb entglühn,
- Um nicht zum schönen Garten hinzusehen,
- Wo unter Christi Strahlen Blumen blühn.
- Die Rose siehe dort, in ders geschehen,
- Daß Fleisch das Wort ward--sieh die Lilien dort,
- Bei deren Duft wir gute Wege gehen."
- Beatrix sprachs,--ich aber, ihrem Wort
- Gehorsam stets, erneute, mit den matten
- Besiegten Augen doch den Kampf sofort.
- Wie ich besonnt oft sah beblümte Matten,
- Besonnt vom Strahl aus einer Wolke Spalt,
- Indes bedeckt mein Auge war von Schatten;
- So sah ich Scharen dort, von Glanz umwallt,
- Der, Blitzen gleich, auf sie von oben sprühte,
- Doch sah ich nicht den Quell, dem er entwallt.
- Du, die du ihn verströmst, o Kraft voll Güte,
- Du bargst dich in den Höhn, so daß mein Sinn
- Ertragen konnte, was dort strahlend blühte.
- Der Name klang der Blumenkönigin,
- Zu der ich ruf in allen Erdenleiden,
- Und zog mich ganz zum größten Feuer hin.
- Kaum malte sich in meinen Augen beiden
- Die Größ und Glut des Sterns, den Strahl und Glanz
- Siegreich, wie hier einst, so itzt dort umkleiden,
- Da kam, gleich einer Kron, ein Feuerkranz
- Vom Himmel her, die Blume zu bekrönen,
- Umwand sie auch mit Strahlenkreisen ganz.
- Was auch hienieden klingt von süßen Tönen,
- Von Harmonie, die hold das Herz erweicht,
- Scheint wie zerrißner Wolke Donnerdröhnen,
- Wenn mans mit jener Leier Ton vergleicht,
- Der Leier, den Saphir als Krön umgebend,
- Der zu des klarsten Himmels Schmuck gereicht.
- "Ich bin die Engelslieb, im Kreise schwebend,
- Und von der Lust, die uns der Leib gebracht,
- Der unser Sehnen aufnahm, Kunde gebend.
- Und kreisen werd ich, wenn in höhrer Pracht,
- Weil, Herrin, du dem Sohn dich nachgeschwungen,
- Bei deinem Nahn die höchste Sphäre lacht."
- Hier war des Kreises Melodie verklungen.
- Maria! tönt es aus dem andern Licht
- Mit einem Klang, doch wie von tausend Zungen.
- Der Königsmantel, der die Stern umflicht,
- Entglüht in lebensvollerm Strahlenbrande
- In Gottes Hauch und Strahlenangesicht,
- War über uns mit seinem innern Rande
- So weit entfernt, daß er noch nicht erschien,
- Noch nicht erkennbar war von meinem Stande.
- Drum war dem Auge nicht die Kraft verliehn,
- Um, als sie sich erhob zu ihrem Sprossen,
- Der Flamme, der bekrönten, nachzuziehn.
- Und wie das Kindlein, wenns die Milch genossen,
- Zur Brust, aus der es trank, die Arme reckt,
- Von Liebesglut auch außen übergossen;
- So sah ich hier, die Flamm emporgestreckt,
- Jedweden Glanz; so ward sein innig Lieben
- Zur hohen Jungfrau-Mutter mir entdeckt.
- Worauf sie noch mir im Gesichte blieben,
- Als ihr Regina coeli!--mir erscholl
- Im Sang, des Lust mir keine Zeit vertrieben.
- O wie sind dorten doch die Scheuern voll
- Von reicher Frucht, die jeder, der hienieden
- Gut ausgesät, in Lust genießen soll.
- Dort lebt bei solchem Schatz in selgem Frieden,
- Der weinend ihn erlangt in Babylon
- Und sich im Bann vom Erdengut geschieden;
- Dort triumphieret unterm hohen Sohn
- Der Jungfrau und des Herrn, und mit dem Alten
- Und Neuen Bund, so nah dem ewgen Thron,
- Er, der die Schlüssel solchen Reichs erhalten.
- Vierundzwanzigster Gesang
- "O auserwählte Tischgenossenschaft
- Beim großen Mahl des Lamms, daß solcherweise
- Euch speiset, daß euchs voll Gnüge schafft,
- Wenn er, durch Gottes Huld sich an der Speise,
- Die eurem Tisch entfällt, vorkostend stillt,
- Eh ihn der Tod beschwingt zur letzten Reise
- So denkt, wie seine Brust vor Sehnen schwillt;
- Netzt ihn mit eurem Tau--auch letzt die Quelle,
- Der alles, was er sinnt und denkt, entquillt."
- Beatrix sprachs--wie um des Poles Stelle
- Sich Sphären drehn, so jene Selgen nun,
- Flammend, Kometen gleich, in Glut und Helle.
- Wie, wohlgefügt, der Uhren Räder tun--
- In voller Eil zu fliegen scheint das letzte,
- Das erste scheint, wenn mans beschaut, zu ruhn
- Also verschieden in Bewegung setzte
- Sich jeder Kreis, drob, wie er sich erwies,
- Schnell oder trag, ich seinen Reichtum schätzte.
- Und aus dem Kreis, den ich den schönsten pries,
- Sah ich ein so beseligt Feuer schweben,
- Daß es nichts Klareres drin hinterließ.
- Um Beatricen Schwang dies heilge Leben
- Sich erst dreimal, und Sang entquoll dem Licht,
- Den keine Phantasie kann wiedergeben.
- Drum springt die Feder hier und schreibt es nicht,
- Weil, wo der Phantasie die Kraft benommen,
- Sie noch weit mehr dem armen Wort gebricht.
- "O heilge Schwester, die du in so frommen
- Gebeten flehst, durch deine Liebesglut
- Bin ich aus schönerm Kreis herabgekommen!"
- Nachdem das heilge Feur im Tanz geruht,
- Wandt es den Hauch zur Herrin mit den Worten,
- Die mein Gedicht euch kund hier oben tut.
- "O ewges Licht des großen Manns, dem dorten"
- --Sie sprachs--"der Herr die Schlüssel ließ, die er
- Getragen, zu des Wunderreiches Pforten,
- Prüf ihn mit eingen Fragen, leicht und schwer,
- Wie dirs gefällt, ob jener Glaub ihm eigen,
- Durch welchen du gegangen auf dem Meer.
- Ob er gut liebt, gut hofft und glaubt--verschweigen
- Kann er dirs nicht, denn dort ist dein Gesicht,
- Wo abgemalt sich alle Dinge zeigen.
- Doch weil man hier durch wahren Glaubens Licht
- Zum Bürger wird, so wird es Früchte tragen,
- Wenn er mit dir zu seinem Preise spricht."
- Gleichwie der Bakkalaur, des Meisters Fragen
- Erwartend, stillschweigt, denn er rüstet sich,
- Entscheidung nicht, doch den Beweis zu wagen;
- So rüstet ich mit jedem Grunde mich,
- Indes sie sprach, um schnell und wohlerfahren
- Zu reden, wenn der Meister spräche: Sprich!
- "Sprich, guter Christ, um dich zu offenbaren:
- Was ist der Glaub?"--Ich hob die Stirne schnell
- Zum Lichte, dem entweht die Worte waren.
- Zur Herrin blickt ich dann, die, froh und hell,
- Mir Mut verlieh, die Flut hervorzulassen,
- Wie sie entströmte meinem innern Quell.
- "Hat Gnade", fing ich an, "mich zugelassen
- Zur Beichte bei der Streiter hohem Hort,
- So lasse sie mich klar die Antwort fassen.
- Die Wahrheit, Vater," also fuhr ich fort,
- "Hab ich in deines Bruders Buch getroffen,
- Der Rom bekehrt hat durch sein heilig Wort.
- Glaub ist der Stoff des, was wir fröhlich hoffen,
- Ist der Beweis von dem, was wir nicht sehn.
- Und hierin zeigt sich mir sein Wesen offen."
- "Wohl richtig denkst du," hört ichs jetzo wehn,
- "Wenn du den Grund erkennst. Darum verkünde:
- Was mocht er bei Beweis und Stoff verstehn?"
- Drauf ich: "Die Dinge, die ich hier ergründe,
- Die ihres Anblicks Wonne mir verleihn,
- Sind so versteckt dem Blick im Land der Sünde,
- Daß dorten nur im Glauben ist ihr Sein,
- Auf welchen wir die hohe Hoffnung bauen,
- Und deshalb ist er auch ihr Stoff allein.
- Auch muß dann, ohn auf anderes zu schauen,
- Vom Glauben aus nur folgern der Verstand;
- Drum muß man ihm auch als Beweise trauen."
- Ich hörte drauf: "Würd alles so erkannt,
- Was dort auf Erden die Gelehrten lehren,
- So wäre der Sophisten Witz verbannt."
- Den Hauch ließ jene Liebesglut mich hören
- Und fuhr dann fort: "Fürwahr, ich sehe dich
- Die Münz als echt in Schrot und Korn bewähren.
- Allein hast du sie auch im Beutel? Sprich!"
- Und ich drauf: "Ja, so hell und so gerundet,
- Daß beim Gepräg nie Zweifel mich beschlich."
- Da sprach es aus dem Licht, dort hellentzündet:
- "Wie ward dies teure Kleinod dein, dies Gut,
- Auf welches sich jedwede Tugend gründet?"
- Und ich: "Des Heilgen Geistes Regenflut,
- Die sich so reich aufs Pergament ergossen,
- Das kund den Alten Bund und Neuen tut,
- Sie ist der Grund, aus dem ich es geschlossen
- So scharf, daß anderer Beweis und Grund
- Mir stumpf erscheint wie Tand und leere Possen." .
- Ich hörte drauf: "Der Alt und Neue Bund,
- Durch den dein Geist, so folgernd, dieses dachte.
- Wie wurden sie als Gottes Wort dir kund?"
- Und ich: "Das, was mir klar die Wahrheit machte,
- Die Werke sinds, von der Art, daß Natur
- Sie nie hervor in ihrer Werkstatt brachte."
- Drauf klangs: "Wo aber ist die klare Spur,
- Daß sie geschehn? Dies wäre zu bewähren,
- Das niemand dir bezeugt mit sicherm schämt."--
- "Daß ohne Wunder sich zu Christi Lehren
- Die Welt bekehrt--dies Wunder schon bezeugt
- Die Wahrheit sichrer, als wenns hundert waren.
- Denn du betratest arm und tiefgebeugt
- Das Feld, den guten Samen dreinzubringen,
- Der einst die Reb und jetzt den Dorn erzeugt."
- Ich sprachs und hörte durch die Sphären klingen
- Der Selgen Lied: Herr Gott, dich loben wir!
- In Melodien, wie sie nur jene singen.
- Und jener Herr, der Zweig um Zweig mit mir
- Emporklomm und mich prüfend also führte,
- Daß ich erreicht des Gipfels Höhe schier,
- Sprach weiter: "Wie dein Herz die Gnade rührte,
- Erschloß sie dir den Mund auch wundersam,
- Drum öffnet er sich jetzt, wie sichs gebührte;
- Drum billigt ich, was ich aus ihm vernahm.
- Doch was du glaubst, das sollst du jetzt bekunden,
- Und auch woher dir dieser Glaube kam."--
- "O Heilger," sprach ich, "der du hier gefunden,
- Was du so fest geglaubt, daß du den Fuß
- Des Jüngern einst am Grabmal überwunden,
- In meinem Wort soll, dies ist dein Beschluß,
- Auch meines Glaubens Form dir klar erscheinen,
- So auch, warum ich also glauben muß.
- So hör: Ich glaub an Gott, den Ewgen, Einen,
- Der, unbewegt, des Himmels All bewegt,
- Durch Lieb und Trieb zu ihm, dem Ewigreinen.
- Und nicht Vernunft nur und Natur erregt
- Den Glauben mir und gibt mir die Beweise;
- Die Offenbarung auch, so dargelegt
- Moses, Propheten, Davids Sangesweise,
- Das Evangelium, und was ihr, vom Schein
- Des Geists erleuchtet, schriebt zu Gottes Preise.
- Ich glaub an drei Personen, eins in drein,
- Dreifach in einem Wesen, einem Leben,
- Und Ist und Sind gestattet ihr Verein.
- Von dieser Gotteseigenschaft, die eben
- Mein Wort berührt, hat meinem innern Sinn
- Das Evangelium das Gepräg gegeben,
- Dies ist der Funke, dies der Glut Beginn,
- Die dann lebendig in mir aufgestiegen,
- Der Stern, von welchem ich erleuchtet bin."
- So wie der Herr, erst horchend mit Vergnügen,
- pur gute Nachricht in der Freude Drang,
- Zuletzt den Knecht umarmt, wenn er geschwiegen;
- Also das Licht, das dreimal mich umschlang,
- Als ich geendet, was es mir befohlen,
- Mich segnend mit dem himmlischen Gesang--
- So hatte, was ich sprach, mich ihm empfohlen.
- Fünfundzwanzigster Gesang
- Zwäng einst dies heilge Lied, zu dem die Erde,
- Zu dem der Himmel mir den Stoff gereicht,
- Durch das auf lang ich blaß und mager werde,
- Die Grausamkeit, die mich von dort verscheucht,
- Wo ich, ein Lamm, geruht in schöner Hürde,
- Jedwedem Wolfe feind, der sie umschleicht,
- Mit anderm Ton und Haar, als Dichter, würde
- Ich kehren und am Taufquell dort empfahn
- Im Lorbeerkranz des Dichters höchste Würde.
- Denn dort betrat ich jenes Glaubens Bahn,
- Durch welchen Gott bekannt die Seelen werden,
- Für den mit Petri Licht die Stirn umfahn.
- Da naht ein Licht aus der der selgen Herden,
- Aus der der Erste derer vorgewallt,
- Die Christ als Stellvertreter ließ auf Erden.
- Beatrix sprach, umstrahlt die Lichtgestalt
- Von neuer Lust: "Sieh ihn, sich zu uns neigend,
- Den Herrn, für den man nach Galizien wallt."
- Wie wenn die Taub, aus hohen Lüften steigend,
- Zur Taube fliegt, wie sich das Paar umkreist,
- Und fröhlich girrt, die heiße Liebe zeigend;
- So wars, wie jetzo der und jener Geist
- Der hohen Fürsten freudig sich empfingen,
- Lobend die Kost, die man dort oben speist.
- Dann standen nach dem Freudentanz und Singen
- Die beiden Lichter schweigend vor mir dort,
- So feurig, daß die Augen mir vergingen.
- Und selig lächelnd fuhr Beatrix fort:
- "Der du geschrieben hast, erlauchtes Leben,
- Was gut sei, komm allein von diesem Ort,
- O laß dein Wort die Hoffnung hier erheben;
- Du stellst ja, wie du weißt, so oft sie vor,
- Als Jesus sich den dreien kundgegeben."--
- "Du, fasse Mut--das Antlitz heb empört
- An unserm Strahl muß reisen der Beglückte,
- Der von der Erde kommt zum selgen Chor."
- Als so das zweite Feuer mich erquickte,
- Hob ich die Augen zu den Bergen auf,
- Vor deren Last ich erst das Antlitz bückte.
- "Läßt unsers Kaisers Gnade deinen Lauf,
- Bevor du stirbst, zu seinem Hofe gehen,
- Führt er zu seinen Grafen dich herauf,
- Um, wenn du das Geheimste hier gesehen,
- Die Hoffnung, die euch dort im Herzen blüht
- In dir und andern heller anzuwehen,
- So sage, was sie ist? Ob im Gemüt
- Sie dir entkeimt? Woher du sie entnommen?"
- Das zweite Feuer sprachs, in Licht entglüht.
- Und sie, durch die in mir die Kraft entglommen
- Zum hohen Flug, war mit der Antwort schon
- In diesen Worten mir zuvorgekommen:
- "Die Kirche, die da kämpft, hat keinen Sohn
- Von stärkrer Hoffnung--also zeigts geschrieben
- Die Sonn auf unsres Freudenreiches Thron.
- Drum aus Ägypten, nach des Herrn Belieben,
- Kommt er nach Zion, wo das Licht ihm tagt,
- Eh ihn des Kampfes Ende vorgeschrieben.
- Zwei andre Punkt, um die du ihn befragt,
- Nicht um zu wissen, nein, damit er sage,
- Wie diese Tugend hier noch dir behagt,
- Lass ich ihm selbst; denn nicht, wie jene Frage,
- Sind sie ihm schwer, nicht Reiz zur Prahlerei;
- Und helf ihm Gott, daß er sie würdig trage."
- Dem Schüler gleich, der seinem Meister frei
- Entgegenkommt und freudig und besonnen,
- Daß, was er weiß, kund in der Antwort sei,
- Sprach ich: "Die Hoffnung ist der künftgen Wonnen
- Erwartung und gewisse Zuversicht,
- Durch Gnad und früheres Verdienst gewonnen.
- Von vielen Sternen kam mir dieses Licht;
- Der höchste Sänger macht es mir entbrennen,
- Der im Gesang vom höchsten Horte spricht.
- Oh alle die, so deinen Namen nennen,
- Hoffen auf dich--so sang der Gottesmann--
- Und wer, der glaubt, wie ich, sollt ihn nicht kennen.
- Du träufeltest mir feine Tropfen dann
- Ins Herz durch deinen Brief, mit solchem Segen,
- Daß ich die Flut auf andre gießen kann."
- Indem ich sprach, sah ichs im Licht sich regen,
- Und, wie ein Blitz, schnell und von Glanz umsprüht,
- Mit zitterndem Gefunkel sich bewegen.
- "Die Liebe," weht es, "die mich noch durchglüht
- Für jene Tugend, welche mir durchs Grauen
- Des Kampfs gefolgt, bis mir die Palm erblüht,
- Heißt mich durch sie dich letzen und erbauen,
- Und gern vernehm ich dieses noch von dir:
- Auf was heißt deine Hoffnung dich vertrauen?"--
- "Die alt und neuen Schriften zeigen mir",
- Sprach ich, "das Ziel, das denen Gott bescheidet,
- Die er geliebt, und dieses seh ich hier.
- Jesajas zeigt vom Doppelkleid bekleidet,
- Sie all in ihrem Land--und dieses Land,
- Das süße Leben ists, das hier euch weidet.
- In denen, so, die Palmen in der Hand,
- In weißen Kleidern vor dem Lamme stehen,
- Machts klarer noch dein Bruder mir bekannt."--
- Als ich geendet, tönt es aus den Höhen:
- Ihr Hoffen sei auf dich!--und aus dem Tanz
- Der Selgen hört ich die Erwidrung wehen.
- Dann zwischen beiden drin entglüht ein Glanz,
- So hell, daß, wär dem Krebs ein solcher eigen,
- Es würd ein Wintermond zum Tage ganz.
- Wie froh aufsteht und geht und in den Reigen
- Die Jungfrau tritt, aus eitelm Triebe nicht,
- Nur dem Verlobten Ehre zu erzeigen;
- So schwebte zu den zwein das neue Licht,
- Die ich so eilig in lebendgem Kreise
- Sich schwingen sah, wies heißer Lieb entspricht.
- Einstimmt es zu dem Lied und zu der Weise;
- Und, gleich der Braut, sah sie die Herrin an,
- Stillschweigend, unbewegt bei solchem Preise.
- "Er ruht am Busen unsers Pelikan;
- Ihn hat der Herr zur großen Pflicht erlesen,
- Als er den Martertod am Kreuz empfahn."
- Sie sprachs; ihr Blick war, wie er erst gewesen;
- Nicht mehr Aufmerksamkeit war jetzt darin
- Als erst, bevor sie dies gesagt, zu lesen.
- Wie der, der nach dem Sonnenrande hin,
- Der sich verfinstern soll, die Blicke sendet
- Und, um zu sehn, verliert des Auges Sinn;
- So stand ich, zu dem letzten Glanz gewendet.
- Da klang es: "Was nicht ist an diesem Ort,
- Was suchst dus hier und stehst drum hier geblendet?
- Mein Leib ist jetzt noch Erd auf Erden dort,
- Und bleibts mit andern, bis die selgen Scharen
- Die Zahl erreicht, gesetzt vom ewgen Wort.
- Zum Himmel sind zwei Lichter nur gefahren,
- Bekleidet mit dem doppelten Gewand:
- Und dieses laß einst deine Welt erfahren."
- Als dieses Wort gesprochen war, da stand
- Der Kreis der Flammen still, samt dem Gesange,
- Zu welchem sich dreifaches Wehn verband,
- Gleichwie nach Mühn und schwerem Wogendrange,
- Die Ruder, so die Flut durchwühlt, zugleich
- Allsämtlich ruhn bei einer Pfeife Klange,
- Ach, wie ward ich vor Angst und Sorge bleich,
- Als ich mich nun zu Beatricen kehrte,
- Und, zwar ihr nah und im beglückten Reich,
- Doch sie nicht sah, die ich zu sehn begehrte.
- Sechsundzwanzigster Gesang
- Ob des erloschnen Augenlichts voll Gram,
- Hört ich ein Wehn aus jener Flamme kommen,
- Die mirs verlöscht, und horcht ihm aufmerksam.
- Es sagte: "Bis das Licht, das dir verglommen
- In meinem Schimmer ist, dir wiederkehrt,
- Wird sprechen zum Ersatz des Schauens frommen.
- Drum sprich: Was ist es, das dein Herz begehrt?
- Und möge deinen Mut der Trost erheben:
- Dein Aug ist nur verwirrt und nicht zerstört.
- Denn sie, die dich geführt ins höhre Leben,
- Hat jene Kraft im Blicke, die der Hand
- Des Ananias unser Herr gegeben."--
- "Sie helfe dann, wann sies für gut erkannt,"
- Sprach ich, "den Augen, die ihr Pforten waren,
- Als sie, einziehend, ewig mich entbrannt.
- Das Gut, das froh macht dieses Reiches Scharen,
- Das A und O der Schriften ists, die hier
- Mir Lieb andeuten, dort sie offenbaren."
- Dieselbe Stimm erklang--wie sich an ihr
- Mein Mut, als ich mich blind fand, aufgerichtet,
- Gebot sie jetzo weitres Sprechen mir.
- "Durch engres Sieb sei, was du meinst, gesichtet,
- Und klarer sei von dir noch dargelegt,
- Was dein Geschoß auf solches Ziel gerichtet?"--
- "Durch das, was Weltweisheit zu lehren pflegt,"
- Versetzt ich, "und durch Himmelsoffenbarung
- Ward solche Liebe mir ins Herz geprägt.
- Je mehr ein Gut, soweit es die Erfahrung
- Uns kennen lehrt, der Güt in sich enthält,
- Je stärker gibts der Liebesflamme Nahrung.
- Das Wesen drum. So gut, daß, was der Welt
- Sich außer ihm noch als ein Gut verkündet,
- Ein Strahl nur ist, der seinem Licht entfällt,
- Dies ist es, das die höchste Lieb entzündet.
- Und wohl erkennt es liebend jeder Geist,
- Der jene Wahrheit kennt, die dies begründet;
- Und jener ists, ders der Vernunft beweist,
- Der die für alle Göttlichen entglühte
- Erhabne Liebesbrunst die erste heißt.
- Er selbst erweckte sie mir im Gemüte,
- Der einst zu Moses sprach, der wahre Hort:
- Dein Angesicht schau alle meine Güte.
- Du prägst sie ein, dein hohes Heroldswort
- Beginnend vom Geheimnis dieser Sphären.
- Lauter als andres tönts auf Erden fort:"
- Da sprachs: "Nach menschlichen Verstandes Lehren
- Und höherm Wort, das beistimmt dem Verstand,
- Muß sich zu Gott dein höchstes Lieben kehren.
- Doch fühlst du nicht noch manches andre Band
- Zu ihm dich ziehn? Du sollst mir jedes nennen,
- Mit welchem diese Liebe dich umwand."
- Nicht war der heilge Wille zu verkennen
- Des Adlers Christi, ja, ich sah, wohin
- Er mich gelenkt zum weiteren Bekennen.
- Und wieder sprach ich: "Was nur Herz und Sinn
- Hinlenkt zu Gott, erzeugt hats im Vereine
- Die Lieb, in welcher ich entzündet bin.
- Denn durch des Weltalls Dasein und das meine
- Und durch den Tod des, der mich leben macht,
- Durch das, was hofft die gläubige Gemeine,
- Und die Erkenntnis, deren ich gedacht,
- Bin ich dem Meer der falschen Lieb entgangen
- Und an der echten Liebe Strand gebracht.
- Die Blätter, die im ganzen Garten prangen
- Des ewgen Gärtners, lieb ich auch, je mehr
- Des Guten sie aus seiner Hand empfangen."
- Ich schwieg--und durch die Himmel, süß und hehr,
- Hört ich der Herrin sang und aller klingen,
- Erschallend: Heilig, heilig, heilig er!--
- Und, wie wir uns dem schweren Schlaf entringen
- Beim scharfen Licht, das unsre Sehkraft weckt,
- Wenn uns von Haut zu Haut die Strahlen dringen,
- Und, was er sieht, den jäh Erwachten schreckt,
- Der sich noch nicht besinnt, vom Schlafe trunken,
- Bis der Verstand die Wahrheit ihm entdeckt;
- So war die Decke meinem Aug entsunken
- Vor Beatricens Strahlenangesicht,
- Auf tausend Meilen streuend Glanzesfunken.
- Drum sah ich klar, wie vorhin nimmer nicht,
- Und fragte staunend noch und kaum besonnen,
- Nach einem vierten uns gesellten Licht.
- "Aus diesen Strahlen schaut in Liebeswonnen",
- Sprach sie, "zum Schöpfer hin der erste Geist,
- Des Dasein durch die erste Kraft begonnen."
- Gleichwie der Baum, an dem der Sturmwind reißt,
- Den Gipfel beugt, dann, wenn der Sturm vergangen,
- Sich wieder hebt, wie innre Kraft ihn heißt;
- So tat jetzt ich, der, als sie sprach, befangen,
- Erstaunt, gebückt, jetzt in die Höhe fuhr,
- Denn mich erhob nun Sprechlust und Verlangen.
- Ich sprach: "O Frucht, die als die einzge nur
- Schon reif entstand, o alter Vater, sage
- Du dem, was Weib heißt, Tochter ist und Schnur,
- Sag an, was ich dich fromm zu bitten wage.
- Du siehst ja, welch ein Sehnen mich bewegt,
- Und schneller hör ich, wenn ich dich nicht frage."
- Wie ein bedecktes Tier sich rückt und regt
- Und so die Neigung zeigt, dem nachzurennen,
- Der um dasselbe die Verhüllung legt;
- So ließ durch ihre Hülle jetzt erkennen
- Die erste Seele, wie so froh sie war,
- Mir das, was ich gebeten, tun zu können.
- "Dein Sehnen", weht es, "nehm ich besser wahr,
- Magst dus auch nicht bekennen und gestehen,
- Als du, was noch so sicher ist und klar.
- Im wahren Spiegel kann ich es erspähen,
- Der jedes Dinges Bildnis in sich faßt,
- Doch seines läßt in keinem Dinge sehen.
- Du fragst: Wieviel der Zeitraum wohl umfaßt,
- Seit Gott mich in den hohen Garten setzte,
- Aus dem du dich mit ihr erhoben hast?
- Wie lange mir sein Reiz die Augen letzte?
- Was eigentlich den großen Zorn erweckt?
- Und welche Sprach ich mir zusammensetzte?
- Mein Sohn, nicht daß ich jene Frucht geschmeckt,
- War Grund des Zorns an sich--daß ich entronnen
- Den Schranken war, die mir der Herr gesteckt.
- Mich hat viertausend und dreihundert Sonnen
- Und zwei, im Höllenvorhof sonder Qual
- Sehnsucht erfüllt nach diesen Himmelswonnen.
- Auch sah ich, daß neunhundertdreißigmal
- Zu jedem Sterngebild die Sonne kehrte,
- Indes ich lebt in eurem Erdental.
- Die Sprache, die ich einst gesprochen, hörte
- Schon vor dem Bau auf, der, wie schwach die Kraft
- Des Menschen sei, das Volk des Nimrod lehrte.
- Denn was nur irgend die Vernunft erschafft,
- Ist, weil die Neigung nach der Sterne Walten
- Zu wechseln pflegt, nur wenig dauerhaft.
- Die Sprache habt ihr von Natur erhalten,
- Allein so oder so--euch läßt hierin
- Sodann Natur nach Gutbedünken schalten.
- Eh ich zur Hölle sank, im Anbeginn
- Hieß El das höchste Gut, an dem entglommen
- Der Glanz, mit welchem ich umkleidet bin.
- Den Namen Eli hat man drauf vernommen,
- Weil Menschenbrauch sich gleich den Blättern zeigt,
- Von welchen jene gehn, wenn diese kommen.
- Auf jenem Berge, der am höchsten steigt,
- Hab ich, rein und befleckt, mich sieben Stunden
- Von früh, bis wieder sich die Sonne neigt,
- Wenn sie im zweiten Vierteil steht, befunden."
- Siebenundzwanzigster Gesang
- Dem Vater, Sohn und Heilgen Geiste fang
- Das ganze Paradies; ihm jubelt alles,
- So daß ich trunken ward vom süßen Klang.
- Ein Lächeln schien zu sein des Weltenalles,
- Das, was ich sah, drum zog die Trunkenheit
- Durch Aug und Ohr im Reiz des Blicks und Schalles.
- O Lust! O unnennbare Seligkeit!
- O friedenreiches, lieberfülltes Leben!
- O sichrer Reichtum sonder Wunsch und Neid!
- Ich sah vor mir die Feuer glühend Schweben,
- Und das der vier, das erst gekommen war,
- Sah ich in höherm Glanze sich beleben.
- Und also stellt es sich den Blicken dar,
- Wie Jupiter, nahm man an seinen Gluten
- Das hohe Rot des Marsgestirnes wahr.
- Und jetzt gebot der Wink des ewig Guten,
- Des Vorsicht dort verteilet Pflicht und Amt,
- Daß aller Selgen Wonnechöre ruhten.
- Da hört ich: "Siehst du höher mich entflammt,
- So staune nicht--bei meinen Worten werden
- Sich diese hier entflammen allesamt.
- Der meines Stuhls sich anmaßt dort auf Erden,
- Des Stuhls, des Stuhls, auf dem kein Hirt itzt wacht,
- Vor Christi Blick, zum Schutze seiner Herden,
- Hat meine Grabstatt zur Kloak gemacht
- Von Blut und Stank, drob der zu ewgen Qualen
- Einst von hier oben fiel, dort unten lacht."
- Wie früh und abends sich die Wolken malen,
- Die grad der Sonne gegenüberstehn,
- So sah ich jetzt den ganzen Himmel stralhlen.
- Wie wir ein ehrbar Weib sich wandeln sehn,
- Das, sicher seiner selbst, nichts zu verschulden,
- Nur hörend, schüchtern wird durch fremd Vergehn;
- So meiner Herrin Angesicht voll Hulden;
- Und so verfinstert, glaub ich, wie sie dort,
- War einst der Himmel bei der Allmacht Dulden.
- Er aber fuhr in seiner Rede fort,
- Und wie verwandelt erst der heitre Schimmer,
- So war verwandelt jetzt das heilge Wort.
- "Die Braut des Herrn hat zu dem Zwecke nimmer
- Mein Blut, des Lin und Cletus Blut, genährt,
- Daß man durch sie erwerbe Gold und Flimmer,
- Nein, dieses frohe Sein, das ewig währt;
- Dem hat des Sirt und Pius Blut gegolten,
- Dies hat Calixt, dies hat Urban begehrt.
- Das wars nicht, was wir von den Folgern wollten,
- Daß sie um sich das Christenvolk getrennt
- Zur Rechten und zur Linken setzen sollten.
- Nicht sollten jene Schlüssel, mir vergönnt,
- Als Kriegeszeichen in den Fahnen stehen,
- Woran man der Getauften Feind erkennt.
- Nicht sollte man mein Bild auf Siegeln sehen,
- Erkauftem Lügenfreibrief beigedrückt,
- Drob ich erröt und glüh in diesen Höhen.
- Jetzt sieht man, mit dem Hirtenkleid geschmückt,
- Raubgierge Wölfe dort die Herden hüten.
- O Gott, was ruht dein Schwert noch ungezückt!
- Und Caorsiner und Gascogner brüten
- Schon Tücken aus, voll Gier nach meinem Blut.
- Schnöde, schlechte Frucht von schönen Blüten!
- Allein die Vorsicht, die durch Scipios Mut
- Den Ruhm der Welt beschützt in Romas Siegen,
- Bald hilft sie, wie mir kund mein Spiegel tut.
- Du, Sohn, wenn du zur Erd hinabgestiegen,
- Erschleuß den Mund und sprich, wie sichs gebührt,
- Und nicht verschweige, was ich nicht verschwiegen."
- Wie, wenn der Wolken feuchter Dunst gefriert,
- Durch unsre Luft die Flocken niederfallen,
- Zur Zeit, da Sol des Steinbocks Horn berührt;
- So, aufwärts, sah ich an des Äthers Hallen
- Mit jenem Licht, das eben zu mir sprach,
- Der andern Schar, wie Schimmerflocken, wallen.
- Mein Auge folgte diesem Anblick nach,
- Bis sie so weit im Raum emporgeflogen,
- Daß er den Pfad des Blickes unterbrach.
- Da sprach die Herrin, die mich abgezogen
- Von oben sah: "Jetzt schau hinab--hab acht,
- Wie weit du fortzogst mit des Himmels Bogen."
- Vom ersten Rückblick an, des ich gedacht,
- Hatt ich den Weg der Hälft im halben Kreise
- Von seiner Mitte bis zum Rand gemacht.
- Von Kadix jenseits lag das Furt zur Reise
- Ulyß, des Toren--diesseits nah der Strand,
- Dem Zeus entrann, beschwert mit süßem Preise.
- Noch mehr von unserm Ball hätt ich erkannt,
- Doch unten war die Sonne vorgegangen,
- Der fern um mehr noch als ein Zeichen stand.
- Mein liebend Herz, das immer mit Verlangen
- Der Herrin schlug, war mehr als je entglüht,
- Ihr wieder mit den Augen anzuhangen.
- Was jemals der Natur und Kunst entblüht
- An Leib und Bild, dem Aug als Reiz zu dienen
- Und durch den Blick zu fesseln das Gemüt,
- Vereint war alles dies als nichts erschienen
- Bei jener Götterlust, die mich beglückt,
- Als ich hinschaut ins Lächeln ihrer Mienen.
- Und durch die Kraft, die aus dem Blicke zückt,
- Hatt ich dem Nest der Leda mich entrungen
- Und war zum schnellsten Himmelskreis entrückt.
- Ich weiß, da er von Lebensglanz durchdrungen
- Gleichförmig war, nicht, wo mit mir in ihn,
- Nach ihrer Wahl, die Herrin eingedrungen.
- Doch sie, der klar mein Herzenswunsch erschien,
- Begann jetzt lächelnd in so selgen Wonnen,
- Daß Gott in ihrem Blick zu lächeln schien:
- "Sieh hier des Zirkellaufs Natur begonnen,
- Durch die der Mittelpunkt in Ruhe weilt,
- Und alles rings umher den Flug gewonnen.
- In diesem Himmel, der am schnellsten eilt,
- Wohnt Gottes Geist nur, der die Lieb entzündet,
- Die ihn bewegt--die Kraft, die er verteilt.
- Ein Kreis von Licht und Liebesglut umwindet
- Ihn, wie die andern er; allein verstehn
- Kann diesen Kreis nur er, der ihn gerundet.
- Nichts läßt das Maß von seinem Lauf uns sehn;
- Nach ihm nur mißt sich der der andern Sphären,
- Wie man nach Hälft und Fünfteil mißt die Zehn.
- Wie sich in diesem Kreis die Wurzeln nähren
- Der Zeit, wie ihr Gezweig zu ändern strebt,
- Das kannst du jetzt dir selber leicht erklären.
- Gier, die tief die Sterblichen begräbt
- In ihrem Schlund, so kraftlos fortgerissen,
- Daß sich kein Blick aus deinem Wirbel hebt!
- Wohl blüht des Menschen Will, allein in Güssen
- Strömt Regen drauf, der unaufhörlich rinnt,
- Drob echte Pflaumen Butten werden müssen.
- Unschuld und Treue trifft man nur im Kind,
- Doch sie entweichen von den Kindern allen,
- Bevor mit Flaum bedeckt die Wangen sind.
- Die fasten noch beim ersten Kinderlallen,
- Die, mit gelösten Zungen, gierig dann
- In jedem Mond auf jede Speise fallen.
- Der liebt die Mutter noch und hört sie an,
- Solang er lallt, der ihren Tod im Herzen
- Bei voller Sprache kaum erwarten kann.
- Drum muß, erst weiß, das Angesicht sich schwärzen
- Der schönen Tochter des, der, kommend, bringt
- Und, gehend, mit sich nimmt des Tages Kerzen.
- Du denke, wenn dich dies zum Staunen zwingt,
- Daß dort kein Herrscher ist, um euch zu leiten,
- Drob das Geschlecht, verirrt, mit Jammer ringt,
- Doch eh der Jänner fällt in Frühlingszeiten
- Durch das von euch vergeßne Hundertteil,
- Wird dieser Kreise Lauf Gebrüll verbreiten,
- Daß das Geschick, erharrt zu eurem Heil,
- Damits auf graden Lauf die Flotte richte,
- Den Spiegel dreht, wo jetzt das Vorderteil,
- Und auf die Blüten folgen echte Früchte."
- Achtundzwanzigster Gesang
- Nachdem sie tadelnd mir das jetzge Leben
- Der armen Menschen wahrhaft kundgemacht,
- Sie, welche mir das Paradies gegeben,
- Da, dem gleich, der im Spiegelglas bei Nacht
- Der Fackel Schein sieht hinter sich entglommen,
- Bevor er sie gesehn und dran gedacht,
- Und rückblickt, ob das, was er wahrgenommen,
- Auch wirklich sei, und sieht, daß Glas und Tat
- So überein, wie Ton und Tonmaß, kommen;
- War ich, und seinem Tun gleich, was ich tat,
- Als ich ins Auge sah, woraus die Schlingen,
- Um mich zu sahn, die Lieb entnommen hat.
- Ich sah itzt das mir in die Augen dringen,
- Als ich die Blicke suchend rückwärts warf,
- Was die erspähn, die diesen Kreis erringen.
- Mir strahlt ein Punkt, so glanzentglüht und scharf,
- Daß nie ein Auge, das er mit dem hellen
- Glutschein bestrahlt, ihm offen trotzen darf.
- Ließ sich zu ihm das kleinste Sternlein stellen,
- Ein Mond erschien es, könnt es seinem Licht
- So nah wie Stern dem Stern sich beigesellen.
- So weit, als Sonn und Mond ein Hof umflicht,
- Vom eignen Glanz der beiden Stern entsprungen,
- Wenn sich in dichtem Dunst ihr Schimmer bricht,
- War um den Punkt ein Kreis, so schnell geschwungen
- In reger Glut, daß er auch überwand
- Den schnellsten Kreis, der rings die Welt umschlungen.
- Und dieser war vom zweiten rings umspannt,
- Um den der dritte dann, der vierte wallten,
- Die dann der fünfte, dann der sechst umwand.
- Drauf sah man sich den siebenten gestalten,
- So weit, daß Iris halber Kreis, auch ganz,
- Doch viel zu enge war, ihn zu enthalten.
- Dann wand der achte sich, der neunte Kranz,
- Je träger jeder Kreis im Schwung, je weiter
- Er ferne stand von jenem einen Glanz.
- Mehr ist des Kreises Flamme rein und heiter,
- Je minder fern er ist von seiner Spur,
- Und in der reinen Glut je eingeweihter.
- Sie, die, mich sehend, meinen Wunsch erfuhr,
- Sprach ungefragt: "Von diesem Punkte hangen
- Die Himmel ab, die sämtliche Natur.
- Sieh jenen Kreis, der ihn zunächst umfangen;
- Das, was ihn treibt, daß er so eilig fliegt,
- Es ist der heilgen Liebe Glutverlangen."
- Und ich zu ihr: "Wäre die Welt gefügt
- Nach dem Gesetz, das herrscht in diesen Kreisen,
- So hätte völlig mir dein Wort genügt.
- Doch in der Welt, der fühlbaren, beweisen
- Die Schwingungen je größre Göttlichkeit,
- Je ferner sie vom Mittelpunkte kreisen.
- Drum soll in diesem Bau voll Herrlichkeit,
- Im Tempel, den nur Lieb und Licht umschränken,
- Ich ruhig sein, von jedem Wunsch befreit,
- So sprich: Wie-kommts--ich kann mirs nicht erdenken
- Daß Abbild sich und Urbild nicht entspricht.
- Und andere Gesetze beide lenken?"
- "Genügt dein Finger solchem Knoten nicht,
- So ists kein Wunder--weil ihn zu entstricken
- Niemand versuchte, ward er fest und dicht."
- Sie sprachs, und dann: "Nimm, um dich zu erquicken,
- Das, was ich dir verkünden werd; allein
- Betracht es ganz genau mit scharfen Blicken.
- Ein Körperkreis muß weiter, enger sein,
- Je wie die Kraft, die sich durch seine Teile
- Gleichmäßig ausdehnt, groß ist oder klein.
- Die größre Güte wirkt in größerm Heile,
- Und größres Heil füllt größeres Gebiet,
- Ward jeder Gegend gleiche Kraft zuteile.
- Der Kreis drum, der das Weltall mit sich zieht
- In seinem Schwung, entspricht in seiner Weise
- Dem, der am meisten liebt, am tiefsten sieht.
- Darum, wenn du dein Maß dem Innern preise,
- Und nicht dem äußern Umfang angelegt
- Von dem, was dort erscheint, wie runde Kreise,
- So wirst du, zur Bewunderung erregt,
- Das Mehr und Minder sich entsprechen sehen
- In jedem Kreis und dem, was ihn bewegt."
- Wie rein das Blau erglänzt aus Äthers Höhen,
- Wenn Boreas Luft aus jener Backe stößt,
- Aus der gelinder seine Hauche wehen,
- So, daß vom Dunst gereinigt und gelöst,
- Der ihn getrübt, in seinen weiten Auen
- Der Himmel lächelnd jeden Reiz entblößt;
- So ward mir jetzt beim Worte meiner Frauen,
- Denn dieses ließ die Wahrheit mich so klar,
- Wie einen Stern am reinen Himmel schauen.
- Und als ihr heilges Wort beendet war,
- Da stellten anders nicht als siedend Eisen
- Sich jene Kreise, funkensprühend, dar.
- Die Funken folgten den entflammten Kreisen
- In größrer Meng, als durch Verdoppelung
- Schachfelder sich vertausendfacht erweisen.
- Dem festen Punkt, der sie ohn Änderung
- Dort, wo er sie erhält, auch wird erhalten,
- Scholl Lobgesang aus dieser Kreise Schwung.
- "Zwei Kreise sieh dem Punkt zunächst sich halten,"
- Sie sprachs, stets wissend, was mein Geist ersinnt,
- "Und Seraphim und Cherubim drin walten.
- Sie folgen ihren Fesseln so geschwind,
- Um, wie sie können, ihm sich anzuschließen,
- Und können, wie sie hoch im Schauen sind.
- Die Gluten drauf, die diese rings umfließen,
- Die Throne sinds von Gottes Angesicht,
- Benannt, weil sie die erste Dreizahl schließen.
- So groß ist aller Wonn, als ihr Gesicht
- Tief in die ewge Wahrheit eingedrungen,
- Die alle Geister stillt mit ihrem Licht.
- Durch Schaun wird also Seligkeit errungen,
- Nicht durch die Liebe; denn sie folgt erst dann,
- Wenn sie dem Schaun, wie ihrem Quell, entsprungen.
- Und das Verdienst, das durch die Gnade man
- Und Willensgüt erwirbt, ist Maß dem Schauen.
- So steiget man von Grad zu Grad hinan.
- Die andre Dreizahl, die in diesen Auen
- Des ewgen Lenzes blüht, und welcher nie
- Das Laub entfällt bei nächtgen Widders Grauen,
- Singt ewig in dreifacher Melodie
- Hosiannagesang in dreien selgen Scharen,
- Und also eins aus dreien bilden sie.
- Herrschaften sinds, die erst sich offenbaren,
- Die Tugenden sind dann im zweiten Kranz,
- Im dritten sind die Mächte zu gewahren.
- Die Fürstentümer sieh zunächst im Tanz,
- Dann die Erzengel ihre Lieb erproben;
- Den letzten Kreis füllt Engelsfeier ganz.
- Die Ordnungen schaun allesamt nach oben;
- Nach unten wirken sie, was lebt, mit sich
- Zu Gott erhebend und zu ihm erhoben.
- Und Dionysius rang so brünstiglich,
- Damit sein Blick die Ordnungen betrachte,
- Daß er sie nannt und unterschied wie ich.
- Wahr ist es, daß Gregorius anders dachte,
- Doch er belächelte dann seinen Wahn.
- Sobald er erst in diesem Reich erwachte.
- Hat solch Geheimnis kund ein Mensch getan,
- So staune nicht; von ihm, der alles schaute,
- Hatt er davon auf Erden Kund empfahn,
- Der sonst auch viel vom Himmel ihm vertraute."
- Neunundzwanzigster Gesang
- So lang, wenn beide Kinder der Latone
- Bedeckt von Wag und Widder stehn, am Rand
- Des Horizonts, vereint in einer Zone,
- Die Wage des Zenit in gleichem Stand
- Sie beide zeigt, bis dann vom Gleichgewichte,
- Den Halbkreis tauschend, sie sich abgewandt:
- So lang, des Lächelns Glut im Angesichte,
- Sah schweigend fest den Punkt Beatrix an,
- Der meinen Blick besiegt mit seinem Lichte.
- "Ich red und frage nicht," so sprach sie dann,
- "Da, was du hören willst, ich dort erkenne
- Im Punkt, wo anhebt jedes Wo und Wann.
- Nicht daß er--was nicht sein kann--selbst gewönne,
- Nein, daß der Glanz von seiner Herrlichkeit
- Im Widerglanz ich bin verkünden könne,
- Hat er, der Ewge, außerhalb der Zeit
- Und des Begriffs, wies ihm gefiel, die Gluten
- Erschaffner Lieb an ewiger geweiht.
- Nicht daß, wie starr, erst seine Kräfte ruhten;
- Denn früher nicht und später nicht ergoß
- Der Geist des Herrn sich, schwebend ob den Fluten.
- Auch Form und Stoff, vermischt und rein, entsproß
- Zugleich, vortretend herrlich und vollkommen,
- Drei Pfeile von dreisehnigem Geschoß.
- Und wie im Widerschein des Strahls, vom Kommen
- Zum vollen sein, kein Zwischenraum zu sehn,
- Wenn rein Kristall im Sonnenglanz entglommen;
- So ließ der Herr hervor drei Strahlen gehn,
- All im vollkommnen Glanz zugleich gesendet,
- Und sonder Unterscheidung im Entstehn.
- Der Wesen Ordnung ward zugleich vollendet,
- Und hoch am Gipfel wurden die gereiht,
- Welchen er reine Tätigkeit gespendet.
- Die Tiefe ward reiner Empfänglichkeit,
- Empfänglichkeit und Tatkraft ist mittinnen,
- Verknüpft und nie von diesem Band befreit.
- Zwar Hieronymus läßt vom Beginnen
- Die Engel bis von dem der andern Welt
- Den Zeitraum von Jahrhunderten entrinnen;
- Doch läßt die Wahrheit, die ich dargestellt,
- Sich vielfach aus der Heilgen Schrift bewähren,
- Wies dir auch, wenn du wohl bemerkst, erhellt.
- Auch die Vernunft kann dies beinah erklären;
- Nicht konnten ja so lang, so folgert sie,
- Die Lenker des, was lenkbar ist, entbehren.
- Der Liebesschöpfung Wo und Wann und Wie
- Erkennst du--nun, so daß in dem Gehörten
- Dir schon dreifache Labung angedieh.
- Allein bevor man zwanzig zählt empörten
- Die Engel sich zum Teil, so daß sie nun
- Im Fall der Elemente trägstes störten.
- Die Bleibenden begannen drauf das Tun,
- Das du erkennst, so selig in Entzücken,
- Daß sie in ihrem Kreislauf nimmer ruhn.
- Grund war des Falls, daß jener sich berücken
- Von frevlem Hochmut ließ, der dir erschien,
- Dort, wo auf ihn des Weltalls Bürden drücken--
- Die du bei Gott hier siehest, sahn auf ihn
- Bescheiden und mit Dank für seine Gaben,
- Da er nur Kraft zu solchem Schaun verliehn.
- Drum wurden sie zum Schauen so erhaben
- Durch Gnadenlicht und ihr Verdienst gestellt,
- Daß sie vollkommen festen Willen haben.
- Und zweifelfrei verkünd es einst der Welt:
- Verdienstlich ists, die Gnade zu empfangen,
- Je wie sich offen ihr die Lieb erhält.
- Jetzt, wenn ins Herz dir meine Lehren drangen,
- Errennst du ganz den englischen Verein
- Und brauchst nicht andre Hilfe zu verlangen.
- Doch weil den Engeln jene, die ihr Sein
- Auf Erden dort in Schulen euch erklären,
- Verstand, Erinnerung und Willen leihn,
- So zeig ich, um dich völlig zu belehren,
- Dir noch die Wahrheit rein und unbefleckt,
- Die jene dort verwirren und verkehren.
- Die Wesen, die des Anschauns Lust geschmeckt,
- Verwenden nie den Blick vom ewgen Schimmer
- Des Angesichts, in dem sich nichts versteckt.
- Drum unterbricht das Neu ihr Schauen nimmer,
- Drum brauchen sie auch die Erinnrung nicht,
- Denn ungeteilt bleibt ja ihr Denken immer.
- So träumt ihr unten wach beim Tageslicht;
- Ihr glaubt und glaubt auch nicht, was ihr verbreitet,
- Doch ärger kränkt dies Letzte Recht und Pflicht.
- Der eine Weg ists nicht, auf dem ihr schreitet
- Bei eurem Forschen; drob ihr irregeht,
- Von Lust am Schein und Eitelkeit verleitet.
- Doch, wer dies tut, wird minder hier verschmäht,
- Als wer die Heilgen Schriften leeren Possen
- Hintansetzt und sie freventlich verdreht.
- Nicht denkt man, wieviel teures Blut geflossen,
- Sie auszusähn; nicht, wie Gott dem geneigt,
- Der demutsvoll an sie sich angeschlossen.
- Zu glänzen strebt ein jeder itzt und zeigt
- Sich in Erfindungen, die der verkehrte
- Pfaff predigt, der vom Evangelium schweigt.
- Der sagt, daß rückwärts Lunas Lauf sich kehrte
- Bei Christi Leiden und sich zwischenschob
- Und drum der Sonn herabzuscheinen wehrte.
- Der, daß von selbst das Licht erlosch und drob
- Den Spanier, den Juden und den Inder
- Zu gleicher Zeit die Finsternis umwob.
- Lapi und Bindi hat Florenz weit minder,
- Als Fabeln, die man von den Kanzeln schreit
- Das Jahr hindurch, des Aberwitzes Kinder,
- So daß die Schäflein, blind zu ihrem Leid,
- Wind schlucken, wo sie sich zu weiden meinen.
- Und nicht entschuldigt sie Unwissenheit.
- Nicht sprach der Herr zur Ersten der Gemeinen:
- Geht hin und tut der Erde Possen kund!--
- Nein, wahre Lehre spendet er den Seinen.
- Von ihr ertönt im Kampf des Jüngers Mund,
- Wenn er, die Welt zum Glauben hinzulenken,
- Mit Schild und Speer des Evangeliums stund.
- Jetzt predigt man von Possen und von Schwänken,
- Und die Kapuze schwillt, wenn alles lacht,
- Und, der sie trägt, braucht sonst an nichts zu denken.
- Drin hat solch Vögelein sein Nest gemacht,
- Daß, säh mans, es den Wert dem Ablaß raubte,
- Den man beim Volk so hoch in Preis gebracht.
- Drob wuchs die Dummheit so in manchem Haupte,
- Daß, möcht ein Priesterwort das tollste sein,
- Man ohne Prüfung und Beweise glaubte.
- Und damit mästet Sankt Anton das Schwein,
- Und andre, die noch ärger sind denn Sauen,
- Falschmünzer, reich an trügerischem Schein.
- Doch seitwärts führt ich dich von diesen Auen;
- Drum, daß zugleich sich kürze Zeit und Pfad,
- Mußt du jetzt wieder grade vorwärts schauen--
- So sehr vervielfacht sind von Grad zu Grad
- Der unzählbaren selgen Engel Scharen,
- Daß ihrer Zahl nicht Sinn noch Sprache naht.
- Und Daniel will, dies kannst du wohl gewahren,
- Wenn er zehntausendmal zehntausend spricht,
- Uns nicht bestimmte Zahlen offenbaren.
- Das ihnen allen strahlt, das erste Licht,
- So vielfach wirds von ihnen aufgenommen,
- Als Engel schaun in Gottes Angesicht.
- Drum, da vom Schaun der Liebe Gluten kommen,
- Ist auch verschieden ihre Süßigkeit
- Hier lauer, dorten glühender entglommen.
- Sieh jetzt die Hoheit, die Unendlichkeit
- Der ewgen Kraft, die, teilend ihren Schimmer,
- So unzählbaren Spiegeln ihn verleiht,
- Und ein in sich bleibt ewiglich und immer."
- Dreißigster Gesang
- Uns fern, etwa sechstausend Meilen, steiget
- Der Mittag auf, indes schon diese Welt
- Den Schatten fast zum ebnen Bette neiget,
- Wenn nach und nach sich uns der Ost erhellt;
- Dann wird der Glanz erst manchem Stern benommen,
- Des Strahl nicht mehr bis zu uns niederfällt,
- Und wie Aurora mehr emporgeklommen,
- Verschließt der Himmel sich von Glanz zu Glanz,
- Bis auch des schönsten Sternes Licht verglommen.
- So der Triumph, der ewiglich im Tanz
- Den Punkt umkreist, der alles hält umschlungen,
- Was scheinbar ihn umschlingt als lichter Kranz.
- Er schwand allmählich, meinem Aug entschwungen,
- Drum kehrt ich zu der Herrin das Gesicht,
- Von Nichtschaun und von Liebesdrang gezwungen.
- War alles, was bis jetzo mein Gedicht
- Von ihr gelobt, in ein Lob einzuschließen,
- Doch gnügend wärs für diesen Anblick nicht.
- Denn Reize, wie sie hier sich sehen ließen,
- Weit überschreiten sie der Menschen Art;
- Ihr Schöpfer nur kann ihrer ganz genießen.
- Ich bin besiegt von dem, was ich gewahrt,
- Mehr als ein Komiker von seinen Stoffen,
- Als ein Tragöd je überwunden ward.
- Gleichwie ein Blick, den Sonnenstrahlen offen,
- Vergeht vor ihren- Blitzen, so geschieht
- Dem Geist, von dieses Lächelns Reiz getroffen.
- Vom ersten sag, da mir der Herr beschied,
- Ihr Angesicht zu schaun in diesem Leben,
- Folgt ihr bis hin zu diesem Blick mein Lied.
- Doch muß ich jetzt des Folgens mich begeben,
- Ein Künstler, der sein höchstes Ziel errang,
- Und hoher nicht vermag emporzustreben.
- Und so, wie ich sie lasse vollerm Klang,
- Als meiner Tuba, die ich also richte,
- Wie sie beenden kann den schweren Sang,
- Sprach sie, mit Ton, Gebärd und Angesichte
- Eifrigen Führers froh zu mir: "Du bist
- Gelangt zum Himmel nun von reinem Lichte,
- Von geistgem Licht, das nur ein Lieben ist,
- Ein Lieben jenes Guts, des ewig wahren,
- Von Luft, mit der kein Erdenglück sich mißt.
- Du siehst hier beide Himmelskriegerscharen
- Und siehst die ein in dem Gewande heut,
- Wie du sie wirst beim Weltgericht gewahren."
- Wie jäher Blitz des Auges Kraft zerstreut,
- So daß er jeden Gegenstand umdunkelt,
- Den stärksten Selbst, der sich dem Blicke beut;
- So ward ich von lebendgem Licht umfunkelt,
- Des Glanz mir tat, wie uns ein Schleier tut,
- Denn alles außer ihm war mir verdunkelt.
- "Die Lieb, in welcher dieser Himmel ruht
- Pflegt so in sich zum Heile zu empfangen
- Und macht die Kerz empfänglich ihrer Glut."
- Wie mir die kurzen Wort ins Innre drangen,
- Da fühlt ich, daß sich Geist mir und Gemüt
- Weit über die gewohnten Kräfte schwangen.
- Und neue Sehkraft war in mir entglüht,
- So, daß mein Auge, stark und ohne Qualen,
- Dem Licht sich auftat, das am reinsten blüht.
- Ich sah das Licht als einen Fluß von Strahlen
- Glanzwogend zwischen zweien Ufern ziehn,
- Und einen Wunderlenz sie beide malen
- Und aus dem Strom lebendge Funken sprühn;
- Und in die Blumen senkten sich die Funken,
- Gleichwie in goldne Fassung der Rubin.
- Dann tauchten sie, wie von den Düften trunken,
- Sich wieder in die Wunderfluten ein,
- Und der erhob sich neu, wenn der versunken.
- "Dein heißer Wunsch, in dem dich einzuweihn,
- Was deine Blicke hier auf sich gezogen,
- Muß mir, je mehr er drängt, je lieber sein.
- Doch trinken mußt du erst aus diesen Wogen,
- Eh solch ein Durst in dir sich stillen kann."
- So sprach die Sonn, aus der ich Licht gesogen.
- "Der Fluß und diese Funken", sprach sie dann,
- "Und dieser Pflanzen heitre Pracht, sie zeigen
- Die Wahrheit dir voraus, wie Schatten, an.
- An sich ist ihnen zwar nichts Schweres eigen,
- Sie zu erkennen, fehlt nur dir die Macht,
- Weil noch so stolz nicht deine Blicke steigen."
- Kein Kind, das durstig langer Schlaf gemacht,
- Kann sein Gesicht zur Brust so eilig kehren,
- Wenns über die Gewohnheit spät erwacht,
- Als, um der Augen Spiegel mehr zu klären,
- Ich mein Gesicht zu jenem Flusse bog,
- Dort strömend, um der Seele Kraft zu mehren.
- Und wie der Rand der Augenlider sog
- Von seiner Flut, da war zum Kreis gewunden,
- Was sich zuvor in langen Streifen zog.
- Dann, Leuten gleich, die sich verlarvt befunden,
- Verändert erst, wenn sie ausziehn das Kleid,
- Worin sie unter fremdem Schein verschwunden;
- Verwandelten zu größrer Herrlichkeit
- Sich Blumen mir und Funken, und ich schaute
- Die Himmelsscharen beide dort gereiht.
- O Gottes Glanz, o du, durch den ich schaute
- Des ewig wahren Reichs Triumphespracht,
- Gib jetzt mir Kraft, zu sagen, wie ich schaute.
- Licht ist dort, das den Schöpfer sichtbar macht,
- Damit er ganz sich dem Geschöpf verkläre,
- Dem nur in seinem Schaun der Friede tacht.
- Es dehnt sich weithin aus in Form der Sphäre
- Und schließt so viel in seinem Umkreis ein,
- Daß es zu weit als Sonnengürtel wäre.
- Und einem Strahl entquillt sein ganzer Schein,
- Rückscheinend von des schnellsten Kreises Rande,
- Um Sein und Wirkung diesem zu verleihn.
- Und wie ein Hügel, an der Wogen Strande,
- Sich spiegelt, wie um sich geschmückt zu sehn
- Im blütenreichen, grünenden Gewande;
- Also sich spiegelnd, sah ich in den Höhn
- In tausend Stufen die das Licht umringen,
- Die von der Erd in jene Heimat gehn.
- Und kann der tiefste Grad solch Licht umschlingen,
- Zu welcher Weite muß der letzte Kranz
- Der Blätter dieser Himmelsrose dringen?
- Mein Aug ermaß die Weit und Höhe ganz
- Und unverwirrt, und konnte sich erheben
- Zum Was und Wie von diesem Wonneglanz.
- Nicht Fern noch Nah kann nehmen dort noch geben,
- Denn da, wo Gott regiert, unmittelbar,
- Tritt fürder kein Naturgesetz ins Leben.
- Ins Gelb der Rose, die sich immerdar
- Ausdehnt, abstuft und Duft des Preises sendet
- Zur Sonne, die stets heiter ist und klar,
- Zog, wie wer schweigt, doch sich zum Sprechen wendet,
- Beatrix mich und sprach: "Sieh hier verschönt
- In weißem Kleid, die dorten wohl geendet.
- Sieh, wie so weithin unsre Stadt sich dehnt,
- Sieh, so gefüllt die Bänk in unserm Saale,
- Daß man jetzt hier nach wenigen sich sehnt.
- Auf jenem großen Stuhl, wo du dem Strahle
- Der Krone, die dort glänzt, dein Auge leihst,
- Dort, eh du kommst zu diesem Hochzeitsmahle,
- Wird sitzen des erhabnen Heinrichs Geist,
- Des Cäsars, der Italien zu gestalten
- Kommt, eh es sich dazu geneigt beweist.
- Die blinde Gier ists, die mit Zauberwalten
- Euch gleich dem Kind macht, das die Brust verschmäht,
- Die Nahrung hat, sein Leben zu erhalten.
- Dem göttlichen Gerichtshof aber steht
- Solch Obrer vor dann, daß er im Geheimen
- Und offen nie mit ihm zusammengeht.
- Doch stürzt des Himmels Räch ihn ohne Säumen
- Vom Heilgen Stuhl zur qualenvollen Welt,
- Wo Simon Magus stöhnt in dunkeln Räumen,
- Drob tiefer noch der von Alagna fällt."
- Einunddreißigster Gesang
- So sah ich denn, geformt als weiße Rose,
- Die heilge Kriegsschar, die als Christi Braut
- Durch Christi Blut sich freut in seinem Schoße.
- Allein die andre, welche, fliegend, schaut
- Und singt des Ruhm, der sie in Lieb entzündet,
- Die Huld, die hehre Kraft ihr anvertraut,
- Sie senkt, ein Bienenschwarm, der jetzt ergründet
- Der Blüten Kelch, jetzt wieder dorthin eilt,
- Wo würzger Honigseim sein Tun verkündet,
- Sich in die Blum, im reichen Kelch verteilt,
- Und flog dann aufwärts aus dem schönen Zeichen,
- Dorthin, wo ihre Lieb all-ewig weilt;
- Lebendger Flamm, ihr Antlitz zu vergleichen,
- Die Flügel Gold, das andre weiß und rein,
- So daß nicht Reif noch Schnee den Glanz erreichen.
- Und in die Rose zog von Reihn zu Reihn
- Frieden und Glut, von ihnen eingesogen
- Im Flug zur Hohe, stets mit ihnen ein.
- Und, ob sie zwischen Blum und Höhe flogen,
- Doch ward durch die beschwingte Menge nicht
- Des Höchsten Blick und Glanz der Ros entzogen.
- Denn so durchdringend ist das höchste Licht,
- Das seinen Schimmer nach Verdienste spendet,
- Daß nichts im Weltenall es unterbricht.
- Dies Freudenreich, gesichert und vollendet,
- Bevölkert von Bewohnern, neu und alt,
- Hielt Lieb und Blick ganz auf ein Ziel gewendet.
- O dreifach Licht, du, einem Stern entwallt,
- Dort, wo man dich schaut, selgen Frieden hegend,
- Schau her auf uns, die wilder Sturm umbaut.--
- Wenn die Barbaren, kommend aus der Gegend,
- Die stets die Bärin deckt, in gleicher Bahn
- Sich mit dem lieben Sohn im Kreis bewegend,
- Zu jenen Zeiten, als der Lateran
- Die Welt beherrscht, von Staunen überwunden,
- Rom und der Römer große Werke sahn;
- Wie ich, der ich, dem Menschlichen entwunden,
- Zum Höchsten kam, von Zeit zur Ewigkeit,
- Von Florenz zu Gerechten und Gesunden,
- Wie mußt ich staunen solcher Herrlichkeit?
- Lust fühlt ich, nicht zu sprechen, nichts zu hören,
- Geteilt in Staunen und in Freudigkeit.
- Gleichwie ein Pilgrim, der sein lang Begehren
- Im Tempel des Gelübdes, schauend, letzt,
- Und hofft von ihm einst andre zu belehren;
- So war ich, zum lebendgen Licht versetzt,
- Den Blick, lustwandelnd, durch die Stufen führend,
- Jetzt auf, jetzt nieder und im Kreise jetzt.
- Gesichter sah ich hier, zur Liebe rührend,
- In fremdem Licht und eignem Lächeln schön,
- Gebärden, sich mit jeder Tugend zierend.
- Im allgemeinen könnt ich schon ersehn,
- Wie sich des Paradieses Form gestalte,
- Doch blieb mein Blick noch nicht beim einzlen stehn;
- Und da mir neuer Wunsch im Herzen wallte,
- So kehrt ich, um zu fragen, mich nach ihr,
- Wie das, was ich nicht einsah, sich verhalte.
- Sie fragt ich, und ein andrer sprach zu mir.
- Sie suchend, fand ich mich bei einem Greise,
- Gekleidet in der andern Selgen Zier.
- Auf Aug und Wang ergoß sich gleicherweise
- So Gut als Freude--fromm war Art und Tun,
- Wies Vätern ziemt, in lieber Kinder Kreise.
- "Und wo ist sie?" so sprach ich eilig nun.
- Drum er: "Beatrix hat mich hergesendet
- Von meinem Platz, um dir genugzutun.
- Du wirst, den Blick zum dritten Sitz gewendet
- Des höchsten Grads, sie auf dem Throne schaun,
- Der ihren Lohn für ihr Verdienst vollendet."
- Ohn Antwort hob ich rasch die Augenbraun--
- Sah sie--sah ewge Strahlen ihr entwallen
- Im Widerschein und ihr die Krone baun.
- Vom Raum, aus dem die höchsten Donner hauen,
- War nimmer noch ein Menschenblick so weit,
- Und war er auch ins tiefste Meer gefallen,
- Als ich von meiner Herrin Herrlichkeit,
- Doch sah ich klar ihr Bildnis niederschweben
- Rein, unvermischt, in lichter Deutlichkeit.
- "O Herrliche, du, meiner Hoffnung Leben,
- Du, ders zu meinem Heile nicht gegraut,
- Dich in den Schlund der Hölle zu begeben,
- Dir dank ich alles, was ich dort geschaut,
- Wohin du mich durch Macht und Güte brachtest,
- Und deine Gnad und Tugend preis ich laut.
- Die du zum Freien mich, den Sklaven, machtest,
- Mir halfst auf jedem Weg, in jeder Art,
- Die du zu diesem Zweck geeignet dachtest,
- Hilf, daß, was du geschenkt, mein Herz bewahrt,
- Damit sich dir die Seele dort geselle,
- Die Seele, die gesund durch dich nur ward."
- So fleht ich heiß--und sie, von ferner Stelle,
- Sie lächelte, wies schien, und sah mich an,
- Dann schaute sie zurück zur ewgen Quelle.
- "Damit du ganz vollendest deine Bahn,"
- Begann der Greis, "auf der dich fortzuleiten
- Ich Auftrag von der heilgen Lieb empfahn,
- Laß deinen Blick durch diesen Garten gleiten,
- Denn stärken wird dir dies des Auges Sinn,
- Und ihn auf Gottes Strahlen vorbereiten.
- Und sie, die mich entflammt, die Königin
- Des Himmels, läßt uns ihre Gnade frommen,
- Weil ich ihr vielgetreuer Bernhard bin."
- Wie der, der von Kroatien hergekommen,
- Um unser Schweißtuch zu betrachten, nicht
- Satt wird, zu sehn, wovon er längst vernommen,
- Und, wenn mans zeigt, zu sich im Innern spricht:
- Herr Jesus Christus, wahrer Gott, hienieden
- War wirklich so geformt dein Angesicht?
- So ich, als mir der Anblick ward beschieden
- Der Liebe dessen, der in dieser Welt,
- Betrachtend, schon gekostet jenen Frieden.
- Er sprach: "Was Schönes dieses Reich enthält,
- Wird, Sohn der Gnade, sich dir nimmer zeigen,
- Wenn sich dein Blick nur tief am Grunde hält.
- Doch laß den Blick von Kreis zu Kreise steigen,
- Bis daß er sich zur Königin erhöht,
- Vor der sich fromm des Himmels Bürger neigen."
- Aufschaut ich, und, wie, wenn die Früh ersteht,
- Der Ost den Himmelsteil mit goldnen Strahlen
- Besiegt, in dem die Sonne niedergeht,
- So, steigend mit dem Blick, wie wir aus Taten
- Die Berg ersteigen, sah ich einen Ort
- Im höchsten Rand all andres überstrahlen.
- Und als ob früh der Ost, da, wo sofort
- Die Sonne steigen soll, sich mehr entflamme,
- Wenn sich das Licht vermindert hier und dort;
- So sah ich jene Friedens-Oriflamme
- Inmitten mehr erglühn, und bleicher ward
- Bei ihrem Glanz der andern Lichter Flamme.
- Ich sah viel tausend Engel, dort geschart,
- Sie feiernd, mit verbreitetem Gefieder,
- Verschieden jeglichen an Glanz und Art.
- Und Schönheit lachte bei dem Klang der Lieder
- Und bei dem Spiel und strahlt in Seligkeit
- Aus aller andern Selgen Augen wieder.
- Und reichte meiner Sprache Kraft so weit,
- Als meine Phantasie, doch nie beschriebe
- Ich nur den kleinsten Teil der Herrlichkeit.
- Bernhard, bemerkend, daß mit heilgem Triebe
- An seiner glühnden Glut mein Auge hing,
- Erhob auch seins zu ihr mit solcher Liebe,
- Daß meins zum Schauen neue Glut empfing.
- Zweiunddreißigster Gesang
- Indes sein Blick nach seiner Wonne flammte,
- Tat er mit heilgem Wort mir dieses kund,
- Sich unterziehend freiem Lehreramte:
- "Sie zu Mariens Fuß, die euch gesund
- Und heil gemacht, die Erste dort der Frauen,
- Die Schönste, die euch krank gemacht und wund.
- Im Range, den die dritten Sitze bauen,
- Wirst du sodann die Rahel unter ihr,
- Mit Beatricen, deiner Herrin, schauen.
- Sara, Rebekka, Judith zeigen dir
- Sich mit des Ahnfrau, der im Bußgesange
- Voll Reu ausrief: Herr, schenk Erbarmen mir!
- Absteigend stufenweis von Rang zu Range,
- Gereiht, wie Kunde dir mein Wort verlieh,
- Von Blatt zu Blatt mit ihrer Namen Klange.
- Hebräerfraun, vom siebten Kreis ab, wie
- Bis hin zu ihm, ward dieser Sitz zuteile,
- Und dieser Blume Locken scheiden sie,
- Weil sie, wie gläubig sich der Blick zum Heile,
- Das Christus gab, gewandt, als Mauer stehn,
- Daß sich durch sie die heilge Stiege teile.
- Hier, wo die Blume reich und voll und schön
- Entfaltet ist, hier sitzen die Verklärten,
- Die gläubig auf den künftgen Christ gesehn.
- Dort, wo noch leerer Raum für viel Gefährten
- Im Halbkreis ist, dort sitzen die gereiht,
- Die ihren Blick auf den Gekommnen kehrten.
- Wie hier der Fürstin Stuhl in Herrlichkeit
- Und unter ihr die ändern zu gewahren,
- Und wie sie bilden solchen Unterscheid;
- So dort der Stuhl des Täufers, der erfahren,
- Der immer Heilge, Wüst und Märtyrpein
- Und dann der Hölle Nacht in zweien Jahren.
- Franz, Benedikt und Augustin--sie reihn
- Sich unter ihm, die Scheidewand zu bauen,
- Mit andern unterhalb von Reihn zu Reihn.
- Hier magst du Gottes hohe Vorsicht schauen,
- Denn Glaube, welcher vor- und rückwärts sieht,
- Erfüllt gleich zahlreich diese Gartenauen.
- Und von der Stieg abwärts, die dies Gebiet
- In zwei geschieden, sitzen solche Seelen,
- Die eigenes Verdienst nicht herbeschied,
- Nein, fremdes--nur darf der Beding nicht fehlen--
- Denn hier sind alle, die dem Leib entflohn,
- Bevor sie noch vermochten, selbst zu wählen.
- Dies merkst du an den Angesichtern schon
- Und an den Stimmen, die noch kindlich klingen,
- Wenn du wohl spähst und horchst auf ihren Ton.
- Noch seh ich schweigend dich mit Zweifeln ringen,
- Doch lösen werd ich dir das feste Band,
- Mit welchem dich die Grübelein umschlingen.
- Aus unsers ewgen Königs weitem Land
- Ist auch des kleinsten Zufalls blindes Walten,
- Wie Hunger, Durst und Traurigkeit, verbannt.
- Nach ewigem Gesetz muß sich gestalten
- Was du hier siehst, und muß sich, wie der Ring
- Zum Finger paßt, so unter sich verhalten.
- Daher auch, wer dem Truge früh entging
- Und zu der Wahrheit kam, nicht ohne Gründe
- Mehr oder minder Herrlichkeit empfing.
- Der Fürst, durch den dies Reich, entrückt der Sünde,
- In solcher Lieb und solcher Wonne ruht,
- Daß keiner ist, des Wille höher stünde,
- Verteilt den Seelen, seiner heitern Glut
- Entstammt, nach eigner Willkür seine Gaben;
- Und gnüge hier, was kund die Wirkung tut.
- Und hiervon legt in jenen Zwillingsknaben
- Die Heilge Schrift ein deutlich Beispiel dar,
- Die sich bekämpft im Leib der Mutter haben.
- Und also krönt der Gnade Schein ihr Haar,
- Und also scheint das höchste Licht in ihnen
- Nach ihrem Werte mehr und minder klar.
- Verschieden, nicht nach dem, was sie verdienen,
- Sind sie von Grad zu Grade hier gestellt,
- Nur wie auf sie des Schöpfers Huld geschienen.
- So gnügt es in der Jugendzeit der Welt
- Unschuldgen, um zum Heile zu gelangen,
- Daß Glaubenslicht der Eltern Geist erhellt.
- Dann mußte, wie die erste Zeit vergangen,
- Was männlich war, zuvor zur Seligkeit
- Durch die Beschneidung noch die Kraft empfangen.
- Doch, als gekommen war der Gnade Zeit,
- Blieb ohne die vollkommne Taufe Christi
- Die Unschuld in der ewgen Dunkelheit.
- Jetzt schau ins Antlitz, das dem Antlitz Christi
- Am meisten gleicht, und deine Kraft erhohn
- Wird seine Klarheit zu dem Anschaun Christi."
- Lust strahlt aus dem Gesicht, so klar und schön,
- Die er zu ihr durch jene Heilgen schickte,
- Erschaffen, zu durchfliegen jene Höhn,
- Daß nichts, was ich noch je zuvor erblickte,
- Mich also mit Bewunderung durchdrang,
- Nichts mich so sehr durch Gottes Bild erquickte.
- Die Liebe, die zuerst sich niederschwang,
- Verbreitete vor ihr jetzt das Gefieder,
- Indem sie--Sei begrüßt, Maria! sang.
- Und alsogleich antworteten die Lieder
- Der Selgen Geister diesem Himmelslied,--
- Und heitrer strahlten rings die Wonnen wider.
- "O Heilger, du, den Lieb herniederzieht,
- Der du für mich dem süßen Ort entronnen,
- Wo ewge Vorsicht dir den Sitz beschied;
- Wer ist der Engel, der mit solchen Wonnen
- Im Blick Marias mit dem seinen ruht
- Und scheint an ihr in Liebe sich zu sonnen?"
- So wandt ich mich zu ihm mit heiterm Mut
- Und sah ihn in Marias Glanz entbrennen,
- Gleichwie den Morgenstern in Sonnenglut.
- Und er: "Was Seel und Engel haben können
- Von Zuversicht und Schönheit, er bekam
- Es ganz von Gott, wie wirs ihm alle gönnen,
- Weil er zu ihr einst mit der Palme kam,
- Als Gottes Sohn die Lasten, die euch drücken,
- Nach seinem heilgen Willen übernahm.
- Doch folge meinem Wort mit deinen Blicken,
- Und von dem frommen und gerechten Reich
- Wirst du den hohen Adel jetzt erblicken.
- Die zwei dort, an der höchsten Wonne reich,
- Weil sie die Nächsten sind der Benedeiten,
- Sind zweien Wurzeln dieser Rose gleich.
- Der Vater sitzt zu, ihrer linken Seiten,
- Des kühner Gaum der Menschheit fort und fort
- Zu kosten gibt so herbe Bitterkeiten.
- Sieh rechts der heilgen Kirche Vater dort,
- Dem dieser Blume Schlüssel übergeben
- Auf Erden hat der Heiland, unser Hort.
- Und jener, welcher noch im Erdenleben
- Das Mißgeschick der schönen Braut erblickt,
- Die Wundenmal erwarben, sitzt daneben.
- Neben dem andern sitzt, in Ruh beglückt,
- Des Volkes Führer, das der Herr mit Manna
- Trotz Undanks, Tück und Wankelmuts erquickt
- Dort sitzt, dem Petrus gegenüber, Anna
- Und blickt die Tochter so zufrieden an,
- Daß sie den Blick nicht abkehrt beim Hosianna.
- Und gegenüber sitzt dem ersten Ahn
- Lucia, die die Herrin dir gesendet,
- Als du den Blick gesenkt zur schlimmen Bahn.
- Doch bald ist nun dein hoher Traum beendet,
- Drum tun wir, wie der gute Schneider tut,
- Der, soviel Zeug er hat, ins Kleid verwendet.
- Die Augen richten wir aufs höchste Gut
- Und dringen so, indem wir nach ihm sehen,
- So tief als möglich in die reine Glut.
- Gewiß, und nicht vielleicht, muß rückwärts gehen,
- Wer vorwärts hier die kühnen Flügel schwingt,
- Denn Gnad erlangt man hier allein durch Flehen;
- Gnade von jener, die dir Hilfe bringt,
- Und folgen wirst du mir, wenn deine Liebe
- Zu ihr empor mit meinem Worte dringt."
- Und also betet er mit brünstgem Triebe:
- Dreiunddreißigster Gesang
- "O Jungfrau Mutter, Tochter deines Sohns,
- Demütger, höher, als was je gewesen,
- Ziel, ausersehn vom Herrn des ewgen Throns,
- Geadelt hast du so des Menschen Wesen,
- Daß, ders erschaffen hat, das höchste Gut,
- Um sein Geschöpf zu sein, dich auserlesen.
- In deinem Leib entglomm der Liebe Glut,
- An der die Blume hier äu ewgen Wonnen
- Entsprossen ist, in ewgem Frieden ruht.
- Die Lieb entflammst du, gleich der Mittagssonnen,
- In diesem Reich; dort, in der Sterblichkeit,
- Bist du der frommen Hoffnung Lebensbronnen.
- Du giltst so viel, ragst so in Herrlichkeit,
- Daß Gnade Suchen und zu dir nicht flehen,
- Wie Flug dem Unbeflügelten gedeiht.
- Du pflegst dem Armen huldreich beizustehen,
- Der zu dir fleht, ja öfters pflegt von dir
- Die Gabe frei dem Flehn vorauszugehen.
- In dir ist Huld, Erbarmen ist in dir,
- In dir der Gaben Fülle--ja, verbunden.
- Was Gutes das Geschöpf hat, ist in dir.
- Er, der vom tiefsten Schlund sich eingefunden
- Des Weltalls hat, der Geister Art und Sein,
- Von Reich zu Reich zu sehn und zu erkunden,
- Er fleht zu dir, ihm Kräfte zu verleihn,
- Daß er die Augen höher heben könne,
- Und seinen Blick fürs höchste Heil zu weihn.
- Und ich, der ich mehr für sein Schauen brenne,
- Als für mein eignes je, wie dir bewußt,
- Ich fleh, und das, was ich gefleht, vergönne!
- Nimm ihm der Erde Nacht von Aug und Brust
- Und flehe du für ihn, daß sich entfalten
- Vor seinen Augen mag die höchste Lust.
- Noch bitt ich, Königin, dich, die du walten
- Kannst, wie du willst, in ihm und solchem Sehn,
- Gesund des Herzens Neigung zu erhalten.
- Laß ihn der irdschen Regung widerstehn;
- Sieh Beatricen, sieh so viel Verklärte
- Mit mir zugleich, die Hände faltend, flehn!"
- Die Augen, die Gott liebt und wert halt, kehrte
- Sie fest dem Redner zu und zeigte drin,
- Ihr sei das fromme Flehn von hohem Werte.
- Dann blickten sie zum ewgen Lichte hin;
- Und einen Blick so klar dorthin zu senden
- Wie sie, vermag nicht des Geschöpfes Sinn.
- Dem Ziel, zu dem sich alle Wünsche wenden,
- Mich nähernd, fühlt in meinem Innern ich
- So, wie ich mußte, jede Sehnsucht enden.
- Und lächelnd winkte Bernhard mir, daß sich
- Mein Auge nun empor zum Höchsten richte;
- Doch, wie er wollte, war ich schon durch mich.
- Denn stets wards klarer mir vorm Angesichte,
- Und mehr und mehr drang durch den Glanz hinan
- Mein Blick zum hohen, in sich wahren Lichte.
- Und tiefer, größer war mein Schaun fortan,
- Daß solchen Blick die Sprache nicht bekunden,
- Nicht die Erinnerung ihn fassen kann.
- Wie der, dem nach dem Traum, was er empfunden,
- Tief eingeprägt, das Herz noch lang erfüllt,
- Wenn das, was er geträumt, ihm schon entschwunden;
- So bin ich, dem beinah sein Traumgebild
- Entschwunden ist, und dem die Lust, geboren
- Aus jenem Traum, noch stets im Herzen quillt.
- So schmilzt der Schnee, wenn aus des Ostens Toren
- Die Sonn erwärmend steigt; so war beim Wind
- In leichtem Staub Sibyllas Spruch verloren.--
- O höchstes Licht, das, was der Mensch ersinnt,
- So weit zurückläßt, leih itzt meiner Seele
- Ein wenig nur von dem, was ihr verrinnt.
- Mach itzt, daß Kraft die Zunge mir beseele,
- Damit ein Funke deiner Glorie nur
- Der Nachwelt bleib in dem, was ich erzähle.
- Wenn deine Huld von dem, was ich erfuhr,
- Nur schwachen Nachhall diesem Liede spendet,
- Dann sieht man klarer deiner Siege Spur.
- Mich hätte, glaub ich, ganz der Blitz geblendet,
- Den ich von dem lebendgen Strahl empfand,
- Hätt ich von ihm die Augen abgewendet.
- Und ich erinnre mich: mein Mut erstand
- Durch ihn, die Blitze kühner zu ertragen,
- Bis sich mein Blick der ewgen Kraft verband.
- O überreiche Gnad! Ich dürft es wagen,
- Fest zu durchschaun des ewgen Lichtes Schein
- Und ins Unendliche den Blick zu tragen.
- Er drang bis zu den tiefsten Tiefen ein;
- Die Dinge, die im Weltall sich entfalten,
- Sah ich durch Lieb im innigsten Verein.
- Wesen und Zufall, ihre Weis, ihr Walten,
- Dies alles war in eines Lichtes Glanz,
- In eines unvermischten Lichts, enthalten.
- Die Form, die allgemeine, dieses Bands,
- Ich sah sie, glaub ich; denn den Schatten gleichen
- Die Bilder nur, und Wonne füllt mich ganz.
- Mehr macht mein Bild ein Augenblick erbleichen,
- Als drittehalb Jahrtausende die Fahrt
- Der Argo nach Neptunus fernsten Reichen.
- Scharf, unbeweglich schaut in solcher Art
- Die Seele nach dem göttlichen Gesichte,
- Drob sie stets mehr im Schaun entzündet ward.
- Und also wird man dort bei jenem Lichte,
- Daß es nicht sein kann, daß man, abgewandt
- Von ihm, je anderwärts die Augen richte,
- Weil es das Gut, des Wollens Gegenstand,
- Ganz in sich faßt und ärmlich und voll Schwächen
- All andres zeigt, was man vollkommen fand.
- Kurz werd ich nun von dem Geschauten sprechen,
- Und sprechend stell ich mich als Kindlein dar,
- Dem noch Erinnerung und Wort gebrechen.
- Nicht weil ein andrer jetzt, als einfach klar,
- Der Schimmer ward, zu dem mein Blick sich kehrte;
- Denn jener bleibt so, wie er immer war,
- Nur weil im Schaun sich meine Sehkraft mehrte,
- Schiens, daß verwandelt jener eine Schein,
- Sich mir, der selbst verwandelt war, verklärte.
- Zum tiefen, klaren Lichtstoff drang ich ein,
- Da schienen mir drei Kreise, dort zu sehen,
- Dreifarbig und an Umfang gleich zu sein.
- Wie Iris in der Iris glänzt, so zween
- Im Widerschein--der dritte, Glut und Licht,
- Schien gleich von hier aus und von dort zu wehen.
- Wie kurz, wie rauh mein Wort für solch Gesicht!
- Und dem, was zu erschaun mir ward beschieden,
- Genügen wenig schwache Worte nicht.
- O ewges Licht, allein in dir in Frieden,
- Allein dich kennend und von dir erkannt,
- Dir selber lächelnd und mit dir zufrieden,
- Als ich zur Kreisform, die in dir entstand,
- Wie widerscheinend Licht, die Augen wandte,
- Und sie verfolgend mit den Blicken stand,
- Da schiens, gemalt in seiner Mitt erkannte,
- Mit eigner Farb, ich unser Ebenbild,
- Drob ich nach ihm die Blicke gierig spannte.
- Wie eifrig strebend, aber nie gestillt,
- Der Geometer forscht, den Kreis zu messen,
- Und nie den Grundsatz findet, welcher gilt;
- So ich beim neuen Schaun--ich wollt ermessen,
- Wie sich das Bild zum Kreis verhielt, und wie
- Die Züge mit dem Licht zufammenflössen.
- Doch dies erflog der eigne Fittich nie,
- Ward nicht mein Geist von einem Blitz durchdrungen,
- Der, was die Seel ersehnt hatt, ihr verlieh.
- Hier war die Macht der Phantasie bezwungen,
- Doch Wunsch und Will, in Kraft aus ewger Ferne,
- Ward, wie ein Rad, gleichmäßig umgeschwungen,
- Durch Liebe, die beweget Sonn und Sterne.
- Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes Die Göttliche Komödie,
- von Dante Alighieri.
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