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  • The Project Gutenberg EBook of Die Goettliche Komoedie, by Dante Alighieri
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  • Title: Die Goettliche Komoedie
  • Author: Dante Alighieri
  • Release Date: May, 2005 [EBook #8085]
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  • [This file was last updated March 17, 2004]
  • Edition: 10
  • Language: German
  • *** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE GOETTLICHE KOMOEDIE ***
  • Produced by Mike Pullen
  • This Etext is in German.
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  • Die Göttliche Komödie
  • Dante Alighieri
  • Inhalt:
  • Die Hölle
  • Das Fegefeuer
  • Das Paradies
  • Die Hölle
  • Erster Gesang
  • Auf halbem Weg des Menschenlebens fand
  • ich mich in einen finstern Wald verschlagen,
  • Weil ich vom rechten Weg mich abgewandt.
  • Wie schwer ist’s doch, von diesem Wald zu sagen,
  • Wie wild, rauh, dicht er war, voll Angst und Not;
  • Schon der Gedank’ erneuert noch mein Zagen.
  • Nur wenig bitterer ist selbst der Tod;
  • Doch um vom Heil, das ich drin fand, zu künden,
  • Sag’ ich, was sonst sich dort den Blicken bot.
  • Nicht weiß ich, wie ich mich hineingewunden,
  • So ganz war ich von tiefem Schlaf berückt,
  • Zur Zeit, da mir der wahre Weg verschwunden.
  • Doch bis zum Fuß des Hügels vorgerückt,
  • Der an dem Ende lag von jenem Tale,
  • Das mir mit schwerer Furcht das Herz gedrückt,
  • Schaut’ ich empor und sah, den Rücken male
  • Ihm der Planet, der uns auf jeder Bahn
  • Gerad zum Ziele führt mit feinem Strahle.
  • Da fingen Angst und Furcht zu Schwinden an,
  • Die mir des Herzens Blut erstarren machten,
  • In jener Nacht, da Grausen mich umfah’n.
  • Und so wie atemlos, nach Angst und Schmachten,
  • Schiffbrüchige vom Strand, entfloh’n der Flut,
  • Starr rückwärts schauend, ihren Grimm betrachten;
  • So kehrt’ ich, noch mit halberstorbnem Mut,
  • Mich jetzt zurück, nach jenem Passe sehend,
  • Der jeglichem verlöscht des Lebens Glut.
  • Und, etwas ausgerastet, weitergehend,
  • Wählt’ ich bergan den Weg der Wildnis mir,
  • Fest immer auf dem tiefern Fuße stehend.
  • Sieh, beim Beginn des steilen Weges schier,
  • Bedeckt mit buntgeflecktem Fell die Glieder,
  • Gewandt und sehr behend ein Panthertier.
  • Nicht wich’s von meinem Angesichte wieder,
  • Und also hemmt es meinen weitern Lauf,
  • Daß ich mich öfters wandt’ ins Tal hernieder.
  • Am Morgen war’s, die Sonne stieg itzt auf,
  • Von jenen Sternen, so wie einst, umgeben,
  • Als Gottes Lieb’ aus ödem Nichts herauf
  • Die schöne Welt berief zu Sein und Leben;
  • So ward mir Grund zu guter Hoffnung zwar
  • Durch jenes Tieres heitres Fell gegeben
  • Und durch die Frühstund’ und das junge Jahr
  • Doch so nicht, daß in mir nicht Furcht sich regte,
  • Als furchtbar mir ein Leu erschienen war.
  • Es schien, daß er sich gegen mich bewegte,
  • Mit hohem Haupt und mit des Hungers Wut,
  • So daß er Schrecken, schien’s, der Luft erregte.
  • Auch eine Wölfin, welche jede Glut
  • Der Gier durch Magerkeit mir schien zu zeigen,
  • Die schon auf viele schweren Jammer lud.
  • Vor dieser mußte so mein Mut sich neigen
  • Aus Furcht, die bei dem Anblick mich durchbebt,
  • Daß mir die Hoffnung schwand, zur Höh’n zu steigen.
  • Wie der, der eifrig zu gewinnen strebt,
  • Wenn zum Verlieren nun die Zeit gekommen,
  • In Kümmernis und tiefem Bangen lebt;
  • So machte dieses Untier mich beklommen;
  • Von ihm gedrängt, mußt’ ich mich rückwärts zieh’n
  • Dorthin, wo nimmer noch der Tag entkommen.
  • Als ich zur Tiefe niederstürzt’ im Flieh’n,
  • Da war ein Wesen dorten zu erkennen,
  • Das durch zu langes Schweigen heiser schien.
  • Ich rief, sobald ich’s nur gewahren können
  • In großer Wildnis: "O erbarme dich,
  • Du, seist du Schatten, seist du Mensch zu nennen."
  • Und jener sprach: "Nicht bin, doch Mensch war ich;
  • Lombarden waren die, so mich erzeugten,
  • Und beide priesen Mantuaner sich.
  • Eh’, spät, die Römer sich dem Julius beugten,
  • Sah ich das Licht, sah des Augustus Thron,
  • Zur Zeit der Götter, jener Trugerzeugten.
  • Ich war Poet und sang Anchises’ Sohn,
  • Der Troja floh, besiegt durch Feindestücke,
  • Als, einst so stolz, in Staub sank Ilion.
  • Und du--du kehrst zu solchem Gram zurücke?
  • Was bleibt die freud’ge Höhe nicht dein Ziel,
  • Die Anfang ist und Grund zum vollen Glücke?"
  • "So bist du," rief ich, "bist du der Virgil,
  • Der Quell, dem reich der Rede Strom entflossen?"
  • Ich sprach’s mit Scham, die meine Stirn befiel.
  • "O Ehr’ und Licht der andern Kunstgenossen,
  • Mir gelt’ itzt große Lieb’ und langer Fleiß,
  • Die meinem Forschen dein Gedicht erschlossen.
  • Mein Meister, Vorbild! dir gebührt der Preis,
  • Den ich durch schönen Stil davongetragen,
  • Denn dir entnahm ich, was ich kann und weiß.
  • Sieh dieses Tier, o sieh’ mich’s rückwärts jagen,
  • Berühmter Weiser, sei vor ihm mein Hort.
  • Es macht mir zitternd Puls’ und Adern schlagen."
  • "Du mußt auf einem andern Wege fort,"
  • Sprach er zu mir, den ganz der Schmerz bezwungen,
  • "Willst du entfliehn aus diesem wilden Ort,
  • Denn dieses Tier, das dich mit Graun durchdrungen,
  • Läßt keinen zieh’n auf seines Weges Spur,
  • Hemmt jeden, bis es endlich ihn verschlungen.
  • Es ist von böser, tückischer Natur
  • Und nimmer fühlt’s die wilde Gier ermatten,
  • Ja, jeder Fraß schärft seinen Hunger nur.
  • Mit vielen Tieren wird sich’s noch begatten,
  • Bis daß die edle Dogge kommt, die kühn
  • Es würgt und hinstürzt in die ew’gen Schatten.
  • Nicht wird nach Land und Erz ihr Hunger glüh’n,
  • Doch wird sie nie an Lieb’ und Weisheit darben;
  • Inmitten Feltr’ und Feltro wird sie blüh’n,
  • Zu Welschlands Heil, des Ruhm und Glück verdarben,
  • Obwohl vordem Camilla für dies Land,
  • Eurialus, Turnus und Nisus starben.
  • Nicht wird sie ruh’n, bis sie dies Tier verbannt;
  • Sie wird es wieder in die Hölle senken,
  • Von wo’s zuerst der Neid heraufgesandt.
  • Du folg’ itzt mir zu deinem Heil--mein Denken
  • Und Urteil ist’s--ich will dein Führer sein,
  • Und dich durch ew’gen Ort von hinnen lenken.
  • Dort wirst du hören der Verzweiflung Schrei’n,
  • Wirst alte Geister schau’n, die brünstig flehen
  • Um zweiten Tod in ihrer langen Pein.
  • Wirst jene dann im Feu’r zufrieden sehen,
  • Weil sie verhoffen, zu dem sel’gen Chor,
  • Sei’s wann es immer sei, noch einzugehen.
  • Und willst du auch zu diesem dann empor,
  • Würd’ger als ich, wird eine Seel’ erscheinen,
  • Die geht, schied ich, als Führerin dir vor.
  • Denn jener, der dort oben herrscht, läßt keinen
  • Eingehn, von mir geführt, in seine Stadt,
  • Weil ich mich nicht verbunden mit den Seinen.
  • Er herrscht im All, dort ist die Herrscherstatt,
  • Sein Thron und seine Burg in jener Höhe.
  • Heil dem, den er erwählt dort oben hat"
  • "O Dichter," Sprach ich jetzt zu ihm, "ich flehe
  • Bei jenem Gotte, den du nicht erkannt,
  • Daß diesem Leid und schlimmerm ich entgehe,
  • Bring’ an die Orte mich, die du genannt,
  • So, daß ich Petri Tor erschauen möge
  • Und jene, wie du sprachst, zur Qual verbannt."
  • Da schritt er fort, ich folgte seinem Wege.
  • Zweiter Gesang
  • Der Tag verging, das Dunkel brach herein,
  • Und Nacht entzog die Wesen auf der Erden
  • All ihren Müh’n; da rüstet’ ich allein
  • Mich zu dem harten Krieg und den Beschwerden
  • Des Wegs und Mitleids, und jetzt soll ihr Bild
  • Gemalt aus sicherer Erinn’rung werden.
  • O Mus’, o hoher Geist, jetzt helft mir mild!
  • Erinn’rung, die du schriebst, was ich gesehen,
  • Hier wird sich’s zeigen, ob dein Adel gilt!
  • "Jetzt, Dichter," fing ich an, "bevor wir gehen,
  • Erwäge meine Kraft und Tüchtigkeit,
  • Kann sie die große Reise wohl bestehen?
  • Du sagst, daß Silvius’ Vater in der Zeit,
  • im Körper noch und noch ein sterblich Wesen,
  • Sei eingedrungen zur Unsterblichkeit.
  • Doch da der ew’ge Gegner alles Bösen
  • in seinen Empire’n zum Stifter ihn
  • Der Mutter Roma und des Reichs erlesen,
  • Kann jeder, dem Vernunft ihr Licht verlieh’n,
  • Beim hocherhabnen Zweck es wohl ergründen,
  • Daß er nicht unwert solcher Huld erschien.
  • Denn Rom und Reich, um Wahres zu verkünden,
  • Gestiftet wurden sie, die heil’ge Stadt
  • Zum Sitz für Petri Folger zu begründen.
  • Durch diesen Gang, den du ihm nachrühmst, hat
  • Er Kunde des, wodurch er siegt’, empfangen
  • Und Grund gelegt zur heil’gen Herrscherstatt.
  • Ist das erwählte Rüstzeug hingegangen,
  • So stärkt’ es in dem Glauben dann die Welt,
  • In dem der Weg des Heiles angefangen.
  • Doch ich? Warum? Wer hat mir’s freigestellt?
  • Äneas nicht noch Paul, ich, dessen Schwäche
  • Nicht ich, noch jemand dessen würdig hält,
  • Wenn ich dorthin zu kommen mich erfreche,
  • So fürcht’ ich, daß mein Kommen töricht sei.
  • Du, Weiser, weißt es besser, als ich spreche."
  • Und wie wer will und nicht will, mancherlei
  • Erwägt und prüft und fühlt im bangen Schwanken,
  • Mit dem, was er begonnen, sei’s vorbei;
  • So ich--das, was ich leicht und ohne Wanken
  • Begonnen hatte, gab ich wieder auf,
  • Entmutigt von den wechselnden Gedanken.
  • "Verstand ich dich," so sprach der Schatten drauf,
  • "So fühlst du Angst und Schrecken sich erneuen,
  • Und Feigheit nur hemmt deinen weitern Lauf.
  • Das Beste macht sie oft den Mann bereuen,
  • Daß er zurückespringt von hoher Tat,
  • Gleich Rossen, die vor Truggebilden scheuen.
  • Doch hindre sie dich nicht am weitern Pfad,
  • Drum höre jetzt, was ich zuerst vernommen,
  • Da mir’s um dich im Herzen wehe tat.
  • Mich, nicht in Höll’ und Himmel aufgenommen,
  • Rief eine Frau, so selig und so schön,
  • Daß ihr Geheiß mir wert war und willkommen.
  • Mit Augen, gleich dem Licht an Himmelshöhn
  • Begann sie gegen mich gelind und Ieise,
  • Und jeder Laut war englisches Getön:
  • O Geist, geboren einst zu Mantuas Preise,
  • Des Ruhm gedauert hat und dauern wird,
  • Solang die Sterne zieh’n in ihrem Kreise,
  • Mein Freund, doch nicht der Freund des Glückes, irrt
  • In Wildnis dort, weil Wahn im Weg’ ihn störte,
  • So daß er sich gewandt, von Furcht verwirrt.
  • Schon irrte, fürcht’ ich, also der Betörte,
  • Daß ich zu spät zum Schutz mich aufgerafft,
  • Nach dem, was ich von ihm im Himmel hörte.
  • Du geh; es sei durch deiner Rede Kraft,
  • Durch das, was sonst ihm Not, sein Leid geendet,
  • So sei ihm Hilf und Ruhe mir verschafft.
  • Beatrix; bin ich, die ich dich gesendet;
  • Mich trieb die Lieb’ und spricht aus meinem Wort.
  • Vom Ort komm’ ich, wohin mein Wunsch sich wendet.
  • Und steh’ ich erst vor meinem König dort,
  • So werd ich oft dich loben und ihm preisen--
  • Sie sprach’s und schwieg, und ich begann sofort:
  • O Weib voll Kraft, du Lehrerin der Weisen,
  • Durch das die Menschheit alles überragt,
  • Was lebt in jenes Himmels kleinern Kreisen!
  • Spät dächt’ ich, wie mir dein Befehl behagt,
  • Zu tun, tat’ ich sogleich, was du gebietest.
  • Wohl deutlich haft du deinen Wunsch gesagt,
  • Doch sage mir, warum du dich nicht hütest
  • Herabzugeh’n zum Mittelpunkt vom Licht,
  • Wohin du schon zurückzukehren glühtest.
  • Willst du es denn so tief ergründen, spricht
  • Die Hohe darauf, so will ich’s kürzlich sagen.
  • Ich fürchte mich vor diesem Dunkel nicht.
  • Vor solchem Übel ziemt sich wohl zu zagen,
  • Das mächtig ist und leicht uns Schaden tut,
  • Vor solchem nicht, bei welchem nichts zu wagen.
  • Gott schuf mich so, daß ich in seiner Hut
  • Frei von den Nöten bin, die euch durchschauern,
  • Und nicht ergreift mich dieses Brandes Glut.
  • Ein edles Weib im Himmel sieht mit Trauern
  • Das Hindernis, zu dem ich dich gesandt,
  • Drum kann der harte Spruch nicht länger dauern.
  • Sie flehte, zu Lucien hingewandt:
  • Dein Treuer braucht dich jetzt im harten Streite,
  • Darum empfehl’ ich ihn in deine Hand.
  • Lucia, die sich ganz dem Mitleid weihte,
  • Bewegte sich zum Orte, wo ich war,
  • In Ruhe sitzend an der Rahel Seite.
  • Sie sprach: Beatrix, Gottes Preis fürwahr!
  • Hilfst du ihm nicht, ihm, der aus großer Liebe
  • Für dich entrann aus der gemeinen Schar,
  • Als ob dein Ohr taub seinen Klagen bliebe,
  • Als sähest du ihn nicht im Wirbel dort,
  • Bedroht, mehr als ob Meeressturm ihn triebe?
  • Nicht eilt so schnell auf Erden einer fort,
  • Den Gier nach Glück und Furcht vor Leid betören,
  • Wie ich herabgeeilt bei solchem Wort,
  • Von meinem Sitz in jenen sel’gen Chören,
  • Vertrau’nd auf deiner würd’gen Rede Macht,
  • Die Ruhm dir bringt und allen, die sie hören--
  • Als nun Beatrix solches vorgebracht,
  • Da wandte sie die Augenstern’ in Zähren,
  • Und dies hat mich nur schneller hergebracht.
  • So komm’ ich denn daher auf ihr Begehren,
  • Das Untier von dir scheuchend, dem’s gelang,
  • Den kurzen Weg des schönen Bergs zu wehren.
  • Was also ist dir? Warum weilst du bang?
  • Was herbergst du die Feigheit im Gemüte?
  • Was weicht dein Mut, dein kühner Tatendrang,
  • Da sich drei heil’ge Himmelsfrau’n voll Güte
  • Für dich bemüh’n und dir mein Mund verspricht,
  • Daß ihre treue Sorge dich behüte?"
  • Gleichwie die Blum’ im ersten Sonnenlicht,
  • Beim nächt’gen Reif gesunken und verschlossen,
  • Den Stiel erhebt und ihren Kelch entflicht;
  • So hob die Kraft, erst schmachtend und verdrossen,
  • In meinem Herzen sich zu gutem Mut,
  • Und ich begann, frohsinnig und entschlossen:
  • "O wie ist sie, die für mich sorgte, gut!
  • Wie freundlich bist auch du, der den Befehlen
  • Der Herrlichen so schnell Genüge tut l
  • Schon fühl’ ich mich zu heißer Sehnsucht stählen
  • Von deinem Wort, schon fühl’ ich, nicht mehr bang,
  • Vom ersten Vorsatz wieder mich beseelen.
  • Drum auf, in beiden ist ein gleicher Drang,
  • Herr, Führer, Meister, auf zum großen Wege!"
  • Ich sprach’s zu ihm, und, folgend seinem Gang,
  • Schritt ich daher auf waldig rauhem Stege.
  • Dritter Gesang
  • Durch mich geht’s ein zur Stadt der Qualerkornen,
  • Durch mich geht’s ein zum ew’gen Weheschlund,
  • Durch mich geht’s ein zum Volke der Verlornen.
  • Das Recht war meines hohen Schöpfers Grund;
  • Die Allmacht wollt’ in mir sich offenbaren;
  • Allweisheit ward und erste Liebe kund.
  • Die schon vor mir erschaffnen Dinge waren
  • Nur ewige; und ewig daur’ auch ich.
  • Laßt, die ihr eingeht jede Hoffnung fahren.
  • Die Inschrift zeigt’ in dunkler Farbe sich
  • Geschrieben dort am Gipfel einer Pforte,
  • Drum ich: Hart, Meister, ist ihr Sinn für mich.
  • Er, als Erfahrner, sprach dann diese Worte:
  • "Hier sei jedweder Argwohn weggebannt,
  • Und jede Feigheit sterb’ an diesem Orte.
  • Wir sind zur Stelle, die ich dir genannt,
  • Hier wirst du jene Jammervollen schauen,
  • Für die das Heil des wahren Lichtes schwand."
  • Er faßte meine Hand, daher Vertrauen
  • Durch sein Gesicht voll Mut auch ich gewann.
  • Drauf führt’ er mich in das geheime Grauen.
  • Dort hob Geächz, Geschrei und Klagen an,
  • Laut durch die sternenlose Luft ertönend,
  • So daß ich selber weinte, da’s begann.
  • Verschiedne Sprachen, Worte, gräßlich dröhnend,
  • Handschläge, Klänge heiseren Geschreis,
  • Die Wut, aufkreischend, und der Schmerz, erstöhnend--
  • Dies alles wogte tosend stets, als sei’s
  • Im Wirbel Sand, durch Lüfte, die zu schwärzen
  • Es keiner Nacht bedarf, im ew’gen Kreis.
  • Und, ich vom Wahn umstrickt und bang im Herzen,
  • Sprach: Meister, welch Geschrei, das sich erhebt?
  • Wer ist doch hier so ganz besiegt von Schmerzen?
  • Und er: "Der Klang, der durch die Lüfte bebt,
  • Kommt von den Jammerseelen jener Wesen,
  • Die ohne Schimpf und ohne Lob gelebt.
  • Gemischt find die Nicht-Guten und Nicht-Bösen
  • Den Engeln, die nicht Gott getreu im Strauß,
  • Auch Meutrer nicht und nur für sich gewesen.
  • Die Himmel trieben sie als Mißzier aus,
  • Und da durch sie der Sünder Stolz erstünde,
  • Nimmt sie nicht ein der tiefen Hölle Graus."
  • Ich drauf: Was füllt ihr Wehlaut diese Gründe?
  • Was ist das Leiden, das so hart sie drückt?
  • Und er: "Vernimm, was ich dir kurz verkünde.
  • Des Todes Hoffnung ist dem Volk entrückt.
  • Im blinden Leben, trüb und immer trüber,
  • Scheint ihrem Neid jed’ andres Los beglückt.
  • Sie kamen lautlos aus der Welt herüber,
  • Von Recht und Gnade werden sie verschmäht.
  • Doch still von ihnen--Schau’ und geh vorüber."
  • Ich schaute hin und sah im Kreis geweht,
  • Ein Fähnlein zieh’n, so eilig umgeschwungen,
  • Daß sich’s zum Ruh’n, so schien mir’s, nie versteht.
  • In langer Reihe folgten ihm, gezwungen,
  • So viele Leute, daß ich kaum geglaubt,
  • Daß je der Tod so vieles Volk verschlungen.
  • Und hier erblickt’ ich manch bekanntes Haupt,
  • Auch jenes Schatten, der aus Angst und Zagen
  • Sich den Verzicht, den großen, feig erlaubt.
  • Ich war sogleich gewiß, auch hört’ ich sagen,
  • Dies sei der Schlechten jämmerliche Schar,
  • Die Gott und seinen Feinden mißbehagen.
  • Dies Jammervolk, das niemals lebend war,
  • War nackend und von Flieg’ und Wesp’ umflogen,
  • Und ward gestachelt viel und immerdar.
  • Tränen und Blut aus ihren Wunden zogen
  • In Streifen durch das Antlitz bis zum Grund,
  • Wo ekle Würmer draus sich Nahrung sogen.
  • Drauf, als ich weiter blickt’ im düstern Schlund,
  • Erblickt’ ich Leut’ an einem Stromgestade
  • Und sprach: "Jetzt tu, ich bitte, Herr, mir kund,
  • Von welcher Art sind die, die so gerade,
  • Wie ich beim düstern Dämmerlicht ersehn,
  • So eilig weiterzieh’n auf ihrem Pfade?"
  • Und er darauf: "Dir wird genug gescheh’n
  • Am Acheron--dort wird sich alles zeigen,
  • Wenn wir am traur’gen Ufer stillestehn."
  • Da zwang mich Scham, die Augen tief zu neigen,
  • Aus Furcht, daß ihm mein Fragen lästig sei,
  • Und ich gebot mir bis zum Strome Schweigen.
  • Und sieh, es kam ein Mann zu Schiff herbei,
  • Ein Greis, bedeckt mit schneeig weißen Haaren.
  • "Weh euch, Verworfne!" tönte sein Geschrei.
  • "Nicht hofft, den Himmel jemals zu gewahren.
  • Ich komm’, euch jenseits hin an das Gestad’
  • In ew’ge Nacht, in Hitz’ und Frost zu fahren.
  • Und du, lebend’ge Seele, die genaht,
  • Mußt dich von diesen, die gestorben, trennen!"--
  • Dann, da er sah, daß ich nicht rückwärts trat:
  • "Hier kann ich dir den Übergang nicht gönnen,
  • Für dich geziemen andre Wege sich,
  • Ein leichtrer Kahn nur wird dich tragen können."
  • Virgil drauf: "Charon, nicht erbose dich.
  • Dort, wo der Wille Macht ist, ward’s verhangen;
  • Dies sei genug, nicht weiter frage mich."
  • Hierauf ließ ruhen die bewollten Wangen
  • Des fahlen Sumpfs erzürnter Steuermann,
  • Des Augen Flammenräder rings umschlangen.
  • Da hob grau’nvolles Zähneklappen an,
  • Und es entfärbten sich die Tiefgebeugten,
  • Seit Charon jenen grausen Spruch begann.
  • Sie fluchten Gott und denen, die sie zeugten,
  • Dem menschlichen Geschlecht, dem Vaterland,
  • Dem ersten Licht, den Brüsten, die sie säugten.
  • Dann drängten sie zusammen sich am Strand,
  • Dem Schrecklichen, zu welchem alle kommen,
  • Die Gott nicht scheu’n, und laut Geheul entstand.
  • Charon, mit Augen, die wie Kohlen glommen,
  • Winkt’ ihnen und schlug mit dem Ruder los,
  • Wenn einer sich zum Warten Zeit genommen.
  • Gleich wie im Herbste bei des Nordwinds Stoß
  • Ein Blatt zum ändern fällt, bis daß sie alle
  • Der Baum erstattet hat dem Erdenschoß;
  • So stürzen, hergewinkt, in jähem Falle
  • Sich Adams schlechte Sprossen in den Kahn,
  • Wie angelockte Vögel in die Falle.
  • Durch schwarze Fluten geht des Nachens Bahn,
  • Und eh’ sie noch das Ufer dort erreichen,
  • Drängt hier schon eine neue Schar heran.
  • "Mein Sohn," sprach mild der Meister, "die erbleichen
  • In Gottes Zorne, werden alle hier
  • Am Strand vereint aus allen Erdenreichen.
  • Man scheint zur Überfahrt sehr eilig dir,
  • Doch die Gerechtigkeit treibt diese Leute
  • Und wandelt ihre bange Furcht in Gier.
  • Kein guter Geist macht diese Fahrt; und dräute
  • Dir Charon, weil du hier dich eingestellt,
  • So kannst du wissen, was sein Wort bedeute"--
  • Hier wankte so mit Macht das dunkle Feld,
  • Daß mich noch jetzt Schweißtropfen übertauen,
  • Sooft dies Schreckensbild mich überfällt.
  • Ein Windstoß fuhr aus den betränten Auen,
  • Und blitzt’ ein rotes Licht, das jeden Sinn
  • Bewältigte mit ungeheurem Grauen,
  • Und, wie vom Schlaf befallen, stürzt’ ich hin--
  • Vierter Gesang
  • Mir brach den Schlaf im Haupt ein Donnerkrachen,
  • So schwer, daß ich zusammenfuhr dabei,
  • Wie einer, den Gewalt zwingt, zu erwachen.
  • Ich warf umher das Auge wach und frei,
  • Emporgerichtet spähend, daß ich sähe
  • Und unterschied’, an welchem Ort ich sei.
  • So fand ich mich am Talrand, in der Nähe
  • Des qualenvollen Abgrunds, dessen Kluft
  • Zum Donnerhall vereint unendlich Wehe.
  • Tief war er, dunkel, nebelhaft die Luft,
  • Drum wollte nichts sich klar dem Blicke zeigen,
  • Den ich geheftet an den Grund der Gruft.
  • "Laß uns zur blinden Welt hinunter steigen,
  • Ich bin der Erste, du der Zweite dann."
  • So sprach Virgil, um drauf erblaßt zu schweigen.
  • Ich, sehend, wie die Bläss’ ihn überrann,
  • Sprach: Scheust du selber dich, wie kann ich’s wagen
  • Der Trost im Zweifel nur durch dich gewann?
  • Und er zu mir: "Des tiefen Abgrunds Plagen
  • Entfärben mir durch Mitleid das Gesicht,
  • Und nicht, so wie du meinst, durch feiges Zagen.
  • Fort, zaudern läßt des Weges Läng’ uns nicht."
  • So ging er fort und rief zum ersten Kreise
  • Mich auch hinein, der jene Kluft umflicht.
  • Mir schien, nach meinem Ohr, des Klanges Weise,
  • Der durch die Luft hier bebt’ im ew’gen Tal,
  • Nicht Klaggeschrei, nur Seufzer dumpf und leise.
  • Und dieses kam vom Leiden ohne Qual
  • Der Kinder, Männer und der Frau’n, in Scharen,
  • Die viele waren und von großer Zahl-
  • Da sprach der Meister: "Willst du nicht erfahren,
  • Zu welchen Geistern du gekommen bist?
  • Bevor wir fortgehn, will ich offenbaren,
  • Daß sie nicht sündigten; doch g’nügend mißt
  • Nicht ihr Verdienst, da sie der Tauf entbehrten,
  • Die Pfort’ und Eingang deines Glaubens ist.
  • Und lebten sie vor Christo auch, so ehrten
  • Sie doch den Höchsten nicht, wie sich’s gebührt;
  • Und diese Geister nenn’ ich selbst Gefährten.
  • Nur dies, nichts andres hat uns hergeführt.
  • Daß wir in Sehnsucht ohne Hoffnung leben,
  • Ward uns Verlornen nur als Straf erkürt."
  • Groß war mein Schmerz, als er dies kundgegeben,
  • Denn Leute großen Wertes zeigten sich,
  • Die unentschieden hier im Vorhof schweben.
  • Und ich begann: Mein Herr und Meister, sprich
  • (Ich wollte mich in jenem Glauben stärken,
  • Vor dessen Licht des Irrtums Nacht entwich),
  • Kam keiner je durch Kraft von eignen Werken,
  • Durch fremd Verdienst von hier zur Seligkeit?--
  • Er schien des Worts versteckten Sinn zu merken
  • Und sprach: "Ich war noch neu in diesem Leid,
  • Da ist ein Mächtiger hereingedrungen.
  • Bekrönt mit Siegesglanz und Herrlichkeit.
  • Der hat des Urahns Geist der Höll" entrungen,
  • Auch Abels, Noahs; und auch Moses hat,
  • Der Gott gehorcht, mit ihm sich aufgeschwungen.
  • Abram und David folgten seinem Pfad,
  • Jakob, sein Vater, seine Söhne schieden,
  • Und Rahel auch, für die so viel er tat.
  • Sie und viel andre führt’ er ein zum Frieden,
  • Und wissen sollst du nun: Vor diesen war
  • Erlösung keinem Menschengeist beschieden."
  • Obwohl er sprach, ging’s vorwärts immerdar,
  • So daß wir unterdes den Wald durchdrangen,
  • Den Wald, mein’ ich, der dichten Geisterschar.
  • Nicht weit von oben waren wir gegangen,
  • Als ich ein Feu’r in lichten Flammen sah,
  • Die rings im halben Kreis die Nacht bezwangen.
  • Zwar waren wir dem Ort nicht völlig nah,
  • Doch einen Kreis von ehrenhaften Leuten,
  • Die diesen Platz besetzt, erkannt’ ich da.
  • "Du, des sich Wissenschaft und Kunst erfreuten,
  • Beliebe, wer sie sind, und was sie ehrt
  • Und von den andern trennt, mir auszudeuten."
  • Ich sprach’s, und er: "Für hochgepriesnen Wert,
  • Der oben widerklingt in deinem Leben,
  • Ward ihnen hier vom Himmel Huld gewährt."
  • Da hört’ ich eine Stimme sich erheben:
  • Der hohe Dichter, auf jetzt zum Empfang!
  • Sein Schatten kehrt, der jüngst sich fortbegeben.
  • Sobald die Stimme, die dies sprach, verklang,
  • Sah ich heran vier große Geister schreiten,
  • Im Angesicht nicht fröhlich und nicht bang.
  • Da sprach der gute Meister mir zur Seiten:
  • "Sieh diesen, in der Hand das Schwert, voran
  • Den andern gehn, um sie als Fürst zu leiten.
  • Du siehst Homer, den Dichterkönig, nah’n;
  • Ihm folgt Horaz, berühmt durch Spott dort oben
  • Ovid der Dritt’, als letzter kommt Lukan.
  • Im Namen, den die eine Stimm’ erhoben,
  • Kommt mit mir selber jeder überein,
  • Drum ehren sie mich, und dies ist zu loben."
  • So war die schöne Schul’ hier im Verein
  • Des hohen Herrn der höchsten Sangesweise,
  • Der ob den andern fliegt, ein Aar, allein.
  • Ein Weilchen sprachen sie im trauten Greise,
  • Doch als sie grüßend sich zu mir gekehrt,
  • Da lächelte Virgtl zu solchem Preise.
  • Allein noch höher ward ich dort geehrt,
  • Indem sie mich in ihrer Schar empfingen
  • Als Sechsten unter solchem Geist und Wert,
  • Wobei wir hin bis zu dem Lichte gingen,
  • Sprechend, wovon ich schicklich schweigen muß,
  • Wie man dort schicklich sprach von solchen Dingen.
  • Bald kamen wir an eines Schlosses Fuß,
  • Von siebenfacher hoher Mau’r umfangen,
  • Und rings beschützt von einem schönen Fluß.
  • Als wir mit trocknem Fuße durchgegangen,
  • Ging’s weiter dann durch sieben Tore fort,
  • Und eine Wiese sah ich grünend prangen.
  • Wir fanden Leute strengen Blickes dort,
  • Mit großer Würd’ in Ansehn, Gang und Mienen
  • Und wenig sprechend, doch mit sanftem Wort.
  • Und wir ersah’n dort seitwärts nah bei ihnen
  • Frei eine Höh’ hellem Lichte glüh’n,
  • Vor welcher alle klar vor uns erschienen.
  • Dort gegenüber auf dem samtnen Grün
  • Sah ich die Großen, ewig Denkenswerten,
  • Die heut mir noch in solzer Seele blüh’n.
  • Elektren sah ich dort mit viel Gefährten,
  • Äneas, Hektorn hatt’ ich bald erkannt,
  • Cäsarn, den mit dem Adlerblick bewehrten.
  • Penthesilea war auf grünem Land;
  • Zur andern Seite sah ich auch Latinen,
  • Der bei Lavinien, seiner Tochter, stand.
  • Ich sah den Brutus, der verjagt Tarquinen,
  • Lucrezien, Julien, Marzien, und, allein
  • Beiseite sitzend, sah ich Saladinen.
  • Dann, höher blickend, sah im hellen Schein
  • Ich auch den Meister derer, welche wissen,
  • Der von den Seinen schien umringt zu sein,
  • Sie all ihn hochzuehren sehr beflissen;
  • Den Plato ihm zunächst und Sokrates,
  • Die dort den Sitz vor andern an sich rissen.
  • Den Anaxagoras, Diogenes,
  • Den Demokrit, des Welt der Zufall machte,
  • Den Zeno, Heraklit, Empedokles.
  • Ihn, der ans Licht der Pflanzen Kräfte brachte,
  • Den Dioskorides, den Orpheus dann,
  • Den Seneka, der Schmerz und Luft verlachte.
  • Auch Ptolemäus kam, Euklid heran,
  • So auch Averroes, der, seinen Weisen
  • Erklärend, selbst der Weisheit Ruhm gewann.
  • Doch nicht vermag ich jeden hier zu greifen,
  • Denn also drängt des Stoffes Größe mich,
  • Daß ihren Dienst mir kaum die Wort’ erweisen.
  • Hier teilten nun die sechs Gefährten sich.
  • Mich führt’ auf anderm Weg mein weiser Leiter
  • Dahin, wo Stille lautem Tosen wich,
  • Und dorthin, wo nichts leuchtet, schritt ich weiter.
  • Fünfter Gesang
  • So ging’s hinab vom ersten Kreis zum zweiten,
  • Der kleinern Raum, doch größres Weh umringt,
  • Das antreibt, Klag’ und Winseln zu verbreiten.
  • Graus steht dort Minos, fletscht die Zähn’ und bringt
  • Die Schuld ans Licht, wie tief sie sich verfehle,
  • Urteilt, schickt fort, je wie er sich umschlingt.
  • Ich sage, wenn die schlechtgeborne Seele
  • Ihm vorkommt, beichtet sie der Sünden Last;
  • Und jener Kenner aller Menschenfehle,
  • Sieht, welcher Ort des Abgrunds für die paßt,
  • Und schickt sie soviel Grad’ hinab zur Hölle,
  • Als oft er sich mit seinem Schweif umfaßt.
  • Von vielem Volk ist stets besetzt die Schwelle,
  • Und nach und nach kommt jeder zum Gericht,
  • Spricht, hört und eilt zu der bestimmten Stelle.
  • "Du, der in diese Qualbehausung bricht,"
  • So rief mir Minos, als er mich ersehen,
  • Und ließ indes die Übung großer Pflicht;
  • "Schau’, wem du traust! Leicht ist’s hineinzugehen,
  • Doch täusche nicht dich ein verwegner Drang."
  • Mein Führer drauf: "Laß dir den Groll vergehen!
  • Nicht hindre den von Gott gebotnen Gang,
  • Dort will man’s, wo das Können gleicht dem Wollen.
  • Nicht mehr gefragt, denn unser Weg ist lang."
  • Bald hört’ ich nun, wie Jammertön’ erschollen,
  • Denn ich gelangte nieder zu dem Haus,
  • Zur Klag’ und dem Geheul der Unglückvollen.
  • Jedwedes Licht verstummt’ im dunkeln Graus,
  • Das brüllte, wie wenn sich der Sturm erhoben,
  • Beim Kampf der Winde lautes Meergebraus.
  • Nie ruht der Höllenwirbelwind vom Toben
  • Und reißt zu ihrer Qual die Geister fort
  • Und dreht sie um nach unten und nach oben.
  • Ihr Jammerschrei, Geheul und Klagewort,
  • Nah’n sie den trümmervollen Felsenklüften,
  • Verlästern fluchend Gottes Tugend dort.
  • Daß Fleischessünder dies erdulden müßten,
  • Vernahm ich, die, verlockt vom Sinnentrug,
  • Einst unterwarfen die Vernunft den Lüsten.
  • So wie zur Winterszeit mit irrem Flug
  • Ein dichtgedrängter breiter Troß von Staren,
  • So sah ich hier im Sturm der Sünder Zug
  • Hierhin und dort, hinauf’, hinunterfahren,
  • Gestärkt von keiner Hoffnung, mindres Leid,
  • Geschweige jemals Ruhe zu erfahren.
  • Wie Kraniche, zum Streifen lang gereiht
  • In hoher Luft die Klagelieder krächzen,
  • So sah ich von des Sturms Gewaltsamkeit
  • Die Schatten hergeweht mit bangem Ächzen.
  • "Wer sind die, Meister, welche her und hin
  • Der Sturmwind treibt, und die nach Ruhe lechzen?"
  • So ich--und er: "Des Zuges Führerin,
  • Von welchem du gewünscht, Bericht zu hören,
  • War vieler Zungen große Kaiserin.
  • Sie ließ von Wollust also sich betören,
  • Daß sie für das Gelüst Gesetz’ erfand.
  • Um nur der tiefen Schmach sich zu erwehren.
  • Sie ist Semiramis, wie allbekannt,
  • Nachfolgerin des Ninus, ihres Gatten,
  • Einst herrschend in des Sultans Stadt und Land.
  • Dann Sie, die, ungetreu Sichäus’ Schatten,
  • Aus Liebe selber sich geweiht dem Tod"
  • Sieh dann Kleopatra im Flug ermatten."
  • Auch Helena, die Ursach’ großer Not,
  • Im Sturme sah ich den Achill sich heben,
  • Der allem Trotz, nur nicht der Liebe, bot.
  • Den Paris sah ich dort, den Tristan schweben,
  • Und tausend andre zeigt’ und nannt’ er dann,
  • Die Liebe fortgejagt aus unserm Leben.
  • Lang hört’ ich den Bericht des Lehrers an,
  • Von diesen Rittern und den Frau’n der Alten,
  • Voll Mitleid und voll Angst, bis ich begann:
  • Mit diesen Zwei’n, die sich zusammenhalten,
  • Die, wie es scheint, so leicht im Sturme sind,
  • Möcht’ ich, o Dichter, gern mich unterhalten.
  • Und er darauf: "Gib Achtung, wenn der Wind
  • Sie näher führt, dann bei der Liebe flehe,
  • Die beide führt, da kommen sie geschwind."
  • Kaum waren sie geweht in unsre Nähe,
  • Als ich begann: Gequälte Geister, weilt,
  • Wenn’s niemand wehrt, und sagt uns euer Wehe.
  • Gleich wie ein Taubenpaar die Lüfte teilt,
  • Wenn’s mit weitausgespreizten steten Schwingen
  • Zum süßen Nest herab voll Sehnsucht eilt;
  • So sah ich sie dem Schwarme sich entringen,
  • Bewegt vom Ruf der heißen Ungeduld,
  • Und durch den Sturm sich zu uns niederschwingen.
  • "Du, der du uns besuchst voll Gut’ und Huld
  • In purpurschwarzer Nacht, uns, die die Erde
  • Vordem mit Blut getüncht durch unsre Schuld,
  • Gern bäten wir, daß Fried’ und Ruh’ dir werde,
  • War’ uns der Fürst des Weltenalls geneigt,
  • Denn dich erbarmt der seltsamen Beschwerde.
  • Wie ihr zu Red’ und Hören Lust bezeigt,
  • So reden wir, so leih’n wir euch die Ohren,
  • Wenn nur, wie eben jetzt, der Sturmwind schweigt.
  • Ich ward am Meerstrand in der Stadt geboren,
  • Wo Seinen Lauf der Po zur Ruhe lenkt,
  • Bald mit dem Flußgefolg im Meer verloren.
  • Die Liebe, die in edles Herz sich senkt,
  • Fing diesen durch den Leib, den Liebreiz schmückte,
  • Der mir geraubt ward, wie’s noch jetzt mich kränkt.
  • Die Liebe, die Geliebte stets berückte,
  • Ergriff für diesen mich mit solchem Brand,
  • Daß, wie du stehst, kein Leid ihn unterdrückte.
  • Die Liebe hat uns in ein Grab gesandt--
  • Kaina harret des, der uns erschlagen."
  • Der Schatten sprach’s, uns kläglich zugewandt.
  • Vernehmend der bedrängten Seelen Klagen,
  • Neigt’ ich mein Angesicht und stand gebückt.
  • Was denkst du? hört’ ich drauf den Dichter fragen.
  • Weh, sprach ich, welche Glut, die sie durchzückt,
  • Welch süßes Sinnen, liebliches Begehren
  • Hat sie in dieses Qualenland entrückt?
  • Drauf säumt’ ich nicht, zu jener mich zu kehren.
  • "Franziska," So begann ich nun, "dein Leid
  • Drängt mir ins Auge fromme Mitleidszähren.
  • Doch sage mir: In süßer Seufzer Zeit,
  • Wodurch und wie verriet die Lieb’ euch beiden
  • Den zweifelhaften Wunsch der Zärtlichkeit."
  • Und sie zu mir: Wer fühlt wohl größres Leiden
  • Als der, dem schöner Zeiten Bild erscheint
  • Im Mißgeschick? Dein Lehrer mag’s entscheiden.
  • Doch da dein Wunsch so warm und eifrig scheint,
  • Zu wissen, was hervor die Liebe brachte,
  • So will ich tun, wie wer da spricht und weint.
  • Wir lasen einst, weil’s beiden Kurzweil machte,
  • Von Lanzelot, wie ihn die Lieb’ umschlang.
  • Wir waren einsam, ferne von Verdachte.
  • Das Buch regt’ in uns auf des Herzens Drang,
  • Trieb unsre Blick’ und macht’ uns oft erblassen,
  • Doch eine Stelle war’s, die uns bezwang,
  • Als das ersehnte Lächeln küssen lassen,
  • Der, so dies schrieb, vom Buhlen schön und hehr.
  • Da naht’ er, der mich nimmer wird verlassen,
  • da küßte zitternd meinen Mund auch er--
  • Galeotto war das Buch, und der’s verfaßte--
  • An jenem Tage lasen wir nicht mehr.
  • Der eine Schatten sprach’s, der andre faßte
  • Sich kaum vor Weinen, und mir schwand der Sinn
  • Vor Mitleid, daß ich wie im Tod erblaßte,
  • Und wie ein Leichnam hinfällt, fiel ich hin.
  • Sechster Gesang
  • Bei Rückkehr der Erinn’rung, die sich schloß
  • Vor Mitleid um die zwei, das so mich quälte,
  • Daß das Bewußtsein mir vor Schmerz zerfloß,
  • Erblickt’ ich neue Qualen und Gequälte
  • Rings um mich her, ob den, ob jenen Pfad
  • Zum Geh’n und Schau’n sich Fuß und Auge wählte.
  • Es war der dritte Kreis, den ich betrat,
  • Von ew’gem, kaltem, maledeitem Regen
  • Von gleicher Art und Regel früh und spat.
  • Schnee, dichter Hagel, dunkle Fluten pflegen
  • Die Nacht dort zu durchzieh’n in wildem Guß;
  • Stank qualmt die Erde, die’s empfängt, entgegen.
  • Ein Untier, wild und seltsam, Zerberus,
  • Bellt, wie ein böser Hund, aus dreien Kehlen
  • Jedweden an, der dort hinunter muß.
  • Schwarz, feucht der Bart, die Augen rote Höhlen
  • Mit weitem Bauch, die Hände scharf beklaut,
  • Vierteilt, zerkratzt und schindet er die Seelen.
  • Sie heulen, wie die Hund’, im Regen laut,
  • Und sie verschaffen sich durch öftres Drehen
  • Auf einer Seite mind’stens trockne Haut.
  • Der große Höllenwurm, der uns ersehen,
  • Riß auf die Rachen, zeigt uns ihr Gebiß
  • Und ließ kein Glied am Leibe stillestehen.
  • Virgil streckt aus die offnen Händ’ und riß
  • Erd’ aus dem Grund, die in die gier’gen Rachen
  • Er alsogleich mit vollen Fäusten schmiß.
  • Wie’s pflegt ein keifig böser Hund zu machen,
  • Des Bellen schweigt, wenn er den Fraß erbeißt,
  • Der wilden Grimm vermocht’, ihm anzufachen;
  • So jetzt mit schmutz’gen Schlünden jener Geist,
  • Der so durchdröhnt die armen Leidensmatten,
  • Daß jeder hochbeglückt die Taubheit preist.
  • Wir gingen über die gequälten Schatten,
  • Indem wir auf ihr Nichts, das Körper schien,
  • Im tiefen Schlamm gestellt die Sohlen hatten.
  • Sie lagen allesamt am Boden hin,
  • Nur einen sahn wir sich zum Sitzen heben,
  • Wie er uns dort erblickt im Weiterziehn.
  • Er sprach: "Der du zur Hölle dich begeben,
  • Erkenne mich, dafern dir’s möglich ist;
  • Du Iebtest, eh’ ich aufgehört zu leben."
  • Und ich zu ihm: "Die Angst, in der du bist,
  • Zieht dich vielleicht aus meinem Angedenken;
  • Mir scheint, ich sähe dich zu keiner Frist.
  • Wer bist du? Sprich, was konnte dich versenken
  • In eine Qual, die, gibt’s auch größre Pein,
  • Nicht widriger kann sein, noch ärger kränken."
  • "In eurer Stadt," so sprach er, "die allein
  • Der Neid erfüllt, und bis zum Überfließen,
  • Genoß ich einst des Tages heitern Schein.
  • Ich bin’s, den Ciacco eure Bürger hießen,
  • Zur Qual für schnöde Schuld des Gaumens muß,
  • Du siehst’s, auf mich sich ew’ger Regen gießen.
  • Und mich allein nicht züchtigt dieser Guß,
  • Nein, alle diese leiden gleiche Plagen
  • Für gleiche Schuld."--So seiner Rede Schluß.
  • Und ich: "Mich haben, Ciacco, deine Klagen
  • Zum Mitleid und zu Tränen fast gerührt.
  • Allein, wenn du es weißt, so magst du sagen,
  • Wohin noch unsrer Stadt Parteiung führt?
  • Ob wer gerecht ist? Was in diesen Zeiten
  • In ihr die Glut der wilden Zwietracht schürt?"
  • Und er darauf zu mir: "Nach langem Streiten
  • Kommt’s dort zu Blut, dann treibt die Waldpartei
  • Die andre fort mit vielen Grausamkeiten.
  • Doch in drei Sonnen ist’s mit ihr vorbei,
  • Neu günstig sind der andern die Gestirne,
  • Durch eines Mannes Macht und Heuchelei.
  • Hoch hebt sie dann auf lange Zeit die Stirne
  • Und hält den Feind mit großer Last beschwert,
  • Wie er auch sich beklag’ und sich erzürne.
  • Zwei find gerecht dort, aber nicht gehört.
  • Neid, Geiz und Hochmut--diese drei sind Gluten,
  • In welchen sich der Bürger Herz verzehrt."
  • Als hier des Schattens Jammertöne ruhten,
  • Sprach ich zu ihm: "Noch weiteren Bericht
  • Erlaube mir, dir bittend anzumuten.
  • Tegghiajo, Farinata, treu der Pflicht,
  • Arrigo, Rusticucci, Mosca--sage!--
  • Und andre, nur auf Gutestun erpicht,
  • Wo find sie? Welches ist ihr Los? Ich trage
  • Verlangen, hier ihr Schicksal zu erspäh’n,
  • Ob’s Himmelswonne sei, ob Höllenplage?"
  • Und er: "Sie stürzte mancherlei Vergehn
  • Zu schwärzern Seelen nach den tiefern Gründen.
  • Steigst du so tief, so wirst du alle sehn--
  • Kehrst du zur süßen Welt aus diesen Schlünden,
  • Bring’ ins Gedächtnis dann der Menschen mich.
  • Mehr sag’ ich nicht, mehr darf ich nicht verkünden."
  • Scheel ward sein g’rades Aug’ und wandte sich
  • Nach mir; dann sank er mit dem Haupte nieder,
  • So daß er ganz den andern Blinden glich.
  • Drauf sprach mein Führer: "Nie erwacht er wieder,
  • Bis er vor englischer Posaun’ ergraust,
  • Und der Gewalt, dem Sündenvolk zuwider.
  • Zum Grab kehrt jeder, wo sein Körper haust,
  • Empfängt sein Fleisch zurück und die Gestaltung
  • Und hört, was ewig widerhallend braust."
  • Wir gingen langsam fort in schwerer Haltung,
  • Durch’s Kotgemisch von Schatten und von Flut.
  • Vom künft’gen Leben war die Unterhaltung.
  • Drum ich: "Mein Meister, wird der Qualen Wut
  • Sich nach dem großen Urteilsspruch vermehren?
  • Vermindert sich, bleibt sich nur gleich die Glut?"
  • Und er: "Gedenk’ an deines Weisen Lehren:
  • So sehr ein Ding vollkommen ist, so sehr
  • Wird sich’s im Glücke freu’n, im Schmerz verzehren
  • Und kann gleich der Verdammten zahllos Heer
  • Vollkommenheit, die wahre, nie erringen,
  • So harrt es doch in jener Zeit auf mehr."
  • Wir fuhren fort, im Kreise vorzudringen,
  • Mehr sprechend, als zu sagen gut erscheint,
  • Bis hin zum Platz, wo Stufen niedergingen,
  • Und fanden Plutus dort, den großen Feind.
  • Siebenter Gesang
  • Aleph, Pape Satan, Pape Satan!
  • Erhob, rauh kluchzend, Plutus seine Stimme.
  • Und er, der alles wohl verstand, begann:
  • "Getrost, nicht fürchte dich vor seinem Grimme,
  • Durch alle seine Macht wird’s nicht verwehrt,
  • Daß ich mit dir den Felsen niederklimme."
  • Und dann, zu dem geschwollnen Mund gekehrt,
  • Rief er: "Wolf, schweige, du Vermaledeiter!
  • Von deiner Wut sei in dir selbst verzehrt!
  • Wir gehn nicht ohne Grund zur Tiefe weiter,
  • Dort will man’s, dort, wo einst den Stolz mit Schmach
  • Gezüchtigt Michael, der Himmelsstreiter."
  • Gleichwie die Segel, wenn der Mast zerbrach,
  • Erst aufgebläht zum Knäuel niederrollen,
  • So fiel das Untier, das so drohend sprach.
  • So ging’s zum vierten Kreis im schmerzenvollen
  • Unsel’gen Schacht, der alle Schuld umfängt,
  • Von welcher je im Weltall Kund’ erschollen.
  • Gerechtigkeit des Herrn, dein Walten drängt
  • So neue Mühn zusammen, solche Plagen!
  • O blinde Schuld, die hier den Lohn empfängt!
  • Wie der Charybdis Wogen sich zerschlagen,
  • Zum Gegenstoß gewälzt von Süd und Nord,
  • So muß sich hier das Volk im Wirbel jagen.
  • Noch nirgend war die Schar so groß wie dort.
  • Laut heulend kamen sie von beiden Enden
  • Und wälzten Lasten mit den Brüsten fort.
  • Und stießen sich, um sich beim Prall zu wenden,
  • Und dann zurück im Bogenlauf zu zieh’n,
  • Und schrien sich zu: Was halten?--Was verschwenden?
  • So durch den Kreis, in dem kein Lichtstrahl schien,
  • Ging’s beiderseits dann nach der andern Seite,
  • Indem sie beid’ ihr schändlich Schmähwort schrien.
  • Dann wandte jeder sich zum neuen Streite,
  • Sobald er seines Zirkels Hälft’ umkreist;
  • Und ich, der ich den Armen Mitleid weihte,
  • Sprach: "Meister, o wie zagt, wie bangt mein Geist
  • Wer ist dies Volk? Die links hier scheinen Pfaffen!
  • Ist’s jeder, der uns eine Glatze weist?
  • Und er: "Dies sind die Blinden, Geistesschlaffen.
  • Sie wußten in der Welt zum Geben nie
  • Und nie zum Sparen sich ein Maß zu schaffen.
  • Und dies erhellt aus dem, was jeder schrie,
  • Wenn sie im Kreis gelangt zu zweien Orten;
  • Da trennt der Gegensatz des Lasters sie.
  • Die mit den Glatzen waren Pfaffen dorten;
  • Auch öffneten wohl Papst und Kardinal
  • Dem Geiz als Zwingherrn ihres Herzens Pforten."
  • Drauf sprach ich: "Meister, kenn’ in dieser Zahl
  • Ich keinen, der im Schmutz so eitlen Strebens
  • Sich hier erworben hat die ew’ge Qual?"
  • Und er zu mir: "Dein Suchen ist vergebens,
  • Unkenntlich macht sie ihr verdientes Los
  • Durch Kot und Schmutz bewußtlos dunkeln Lebens.
  • So kommen stets zum Stoß und Gegenstoß,
  • Bis sie erstehn--die mit verschnittnen Haaren,
  • Die mit geschlossner Faust--dem Grabesschoß.
  • Versetzt hat sie schlecht Geben und schlecht Sparen
  • Von jener heitern Welt in diesen Zwist;
  • Nicht sag’ ich welchen, denn du kannst’s gewahren.
  • Sieh hier, mein Sohn, welch eitles Ding es ist
  • Um jenes Gut Fortunens, das die Leute
  • Zum Kampfe reizt und zu Gewalt und List.
  • Gib diesen Müden alles Gold zur Beute,
  • Das sie gehabt, ja alles Gold der Welt,
  • Und keine Stunde Ruh’ gibt’s ihnen heute."
  • Und ich: "Mein Meister, sprich, wenn dir’s gefällt,
  • Wer ist Fortuna doch, die, wie ich hörte,
  • In ihren Klau’n der Erde Güter hält?"
  • Und er zu mir: "O Arme, Trugbetörte!
  • Unwissende, zum Schlimmsten stets geneigt!
  • O daß mein Spruch jetzt aller Wahn zerstörte!
  • Er, dessen Weisheit alles übersteigt,
  • Erschuf die Himmel und gab ihnen Leitung,
  • Daß jedem Teil sich jeder leuchtend zeigt,
  • Durch seines Lichts gleichmäßige Verbreitung.
  • So gab er schaffend auch die Dienerin
  • Dem Erdenglanz zur Führung und Begleitung.
  • Von Volk zu Volk, von Blut zu Blute hin,
  • Bringt sie das eitle Gut, das nirgends dauert,
  • Und kümmert nicht sich um der Menschen Sinn.
  • Dies Volk befiehlt, ein andres dient und trauert,
  • Wie jene Führerin das Urteil spricht,
  • Die, wie die Schlang’ im Gras, verborgen lauert.
  • Nichts gegen sie hilft eurer Weisheit Licht,
  • Sie sorgt, erkennt, vollzieht in ihrem Reiche,
  • Und weicht darin den andern Göttern nicht.
  • Nie haben Stillstand ihre Wechselstreiche;
  • So macht sie, von Notwendigkeit gejagt,
  • Aus Reichen Arme, dann aus Armen Reiche.
  • Sie ist’s, die ihr ans Kreuz oft wütend schlagt,
  • Von der ihr oft, wenn ihr, anstatt zu schmollen,
  • Sie loben solltet, fälschlich Böses sagt.
  • Doch sie, die Sel’ge, hört nicht euer Grollen;
  • In andrer erstgeschaffnen Seligkeit
  • Und Wonne, läßt sie ihre Kugel rollen.--
  • Doch eilig weiter jetzt zu größerm Leid!
  • Die Stern’, aufsteigend, als ich fortgeschritten,
  • Gehn abwärts itzt, und unser Weg ist weit."
  • Am andern Rand ward nun der Kreis durchschnitten,
  • An einem Quell, der siedend dort entspringt,
  • Des Wellen fort durch einen Graben glitten.
  • Mehr trüb’ als schwarz ist seine Flut und bringt,
  • Wenn man ihr folgt, hinab zu rauhen Wegen,
  • Durch die man mit Beschwerde niederdringt.
  • Dann qualmt ein Sumpf, mit Namen Styx, entgegen
  • Dort, wo der traur’ge Fluß vom Laufe ruht,
  • Am Fuß des greulichen Gestad’s gelegen.
  • Dort stand ich nun und sah nach jener Flut,
  • Und jäh im Sumpfe Leute, kot’ge, nackte,
  • Zugleich des Jammers Bilder und der Wut.
  • Man schlug sich nicht mit Fäusten nur, man hackte
  • Mit Haupt und Brust und Füßen auf sich ein,
  • Indem man wild sich mit den Zähnen packte.
  • Mein Meister sprach: "Sohn, sieh in dieser Pein
  • Die Seelen derer, so der Zorn bezwungen.
  • Auch unterm Wasser müssen viele sein;
  • Und wenn ein Seufzer ihnen sich entrungen.
  • Dann steigen Blasen auf von ihrer Not,
  • Drum sieh von Kreisen diese Flut durchschwungen.
  • Und immer rufen sie, versenkt im Kot:
  • Wir waren elend einst im Sonnenschimmer
  • Und hegten Groll und Tücke bis zum Tod,
  • Und elend sind wir nun im Schlamm noch immer.
  • Dies Lied klingt gurgelnd vor aus ihrem Schlund,
  • Stets schluckend, enden sie die Worte nimmer.
  • So gingen, zwischen Pfuhl und festem Grund,
  • Wir an dem schmutz’gen Teich in weitem Bogen,
  • Den Blick gewandt zum Volk mit Schlamm im Mund,
  • Bis wir zu eines Turmes Fuß gezogen.
  • Achter Gesang
  • Lang’ eh’ wir noch, so fahr’ ich fort, zu sagen,
  • Dem Fuß des hohen Turms uns konnten nah’n,
  • War unser Blick zur Zinn’ emporgeschlagen,
  • Weil wir zwei Flämmchen dort entzünden sah’n,
  • Als Rücksignal ein andres, So entlegen,
  • Daß es das Auge kaum noch könnt’ erfah’n.
  • Da kehrt’ ich meinem Weisen mich entgegen:
  • "Was ist dies? Welch ein Zeichen wohl bezweckt
  • Das dritte Feu’r? Wer sind sie, die’s erregen?"
  • Und er zu mir: "Sieh hin, dein Aug’ entdeckt.
  • Was unsrer harrt, dort auf den schmutz’gen Wogen,
  • Wenn dir’s der Qualm des Sumpfes nicht versteckt."
  • Und rasch, wie ich den leichten Pfeil vom Bogen
  • Je fortgeschnellt durch hohe Lüfte sah,
  • Kam durch das Moor ein kleiner Kahn gezogen.
  • Bald war er uns am grauen Strande nah,
  • Obwohl von einem Rud’rer nur gefahren,
  • Der schrie: Verruchte Seele, bist du da?
  • "Phlegias, Phlegias, du magst dein Schreien sparen,"
  • So sprach mein Herr, "umsonst ist’s angestimmt;
  • Wir sind nur dein, solang’ wir überfahren."
  • Wie wer von einem großen Trug vernimmt,
  • Den man ihm angetan zu Schmach und Schaden,
  • So zeigte Phlegias wild sich und ergrimmt.
  • Mein Führer stieg ins Schiff von den Gestaden,
  • Und zu sich setzen hieß er mich sodann,
  • Und als ich drin war, schien es erst beladen.
  • Sobald wir beid’ uns eingesetzt, begann
  • Des Nachens Fahrt und furchte tiefre Zeilen,
  • Als er mit andrer Bürde furchen kann.
  • Indessen wir die tote Moorflut teilen,
  • Kommt einer, kotbedeckt, vor mich und spricht:
  • "Wer heißt dich vor der Zeit herniedereilen?"
  • "Ich komme," sprach ich, "aber bleibe nicht.
  • Doch wer bist du, So widrig und abscheulich?"--
  • "Ein Heulender, dies sagt dir dein Gesicht."--
  • Und ich: "Denkst du, dein Heulen sei erfreulich?
  • Vermaledeiter Geist, fort, weg von mir!
  • Ich kenne dich, sei noch so wild und greulich!"
  • Die Hände streckt’ er nun zum Kahn voll Gier,
  • Und mit Gewalt mußt’ ihn mein Herr verjagen,
  • Der sprach: "Mit andern Hunden, weg von hier!"
  • Drauf hielt er seinen Arm um mich geschlagen
  • Und küßte mich und sprach: "Erzürnter Geist,
  • Beglückt die Mutter, welche dich getragen!
  • Stolz war im Leben dieser--niemand preist
  • Von ihm nur einen guten Zug auf Erden,
  • Daher er hier sich noch in Wut zerreißt.
  • Viel Fürsten gibt’s dort, die sich stolz gebärden,
  • Die, Schmach nur hinterlassend, wie die Sau’n,
  • Im Schlamme hier auf ewig wühlen werden."
  • Und ich: "Begierig war’ ich wohl, zu schau’n,
  • Wie er in diesem Schlamme tauchen müßte,
  • Eh’ wir verlassen diesen See voll Grau’n."
  • Und er zu mir: "Bevor sich noch die Küste
  • Dir sehen läßt, erfreut dich der Genuß.
  • Befriedigung gebühret dem Gelüste."
  • Bald sah ich, wie zu Qual ihm und Verdruß
  • Die Kotigen mit ihm beschäftigt waren,
  • Drob ich Gott loben noch und danken muß.
  • Frisch, auf Philipp Argenti! schrien die Scharen;
  • Dann sah ich, selbst sich beißend, auf sie los
  • Den tollen Geist des Florentiners fahren.
  • Und dies erzähl’ ich nur von seinem Los.
  • Ich ließ ihn dort und hört’ ein Schmerzensbrüllen
  • Und macht’, um vorzuschau’n, die Augen groß.
  • "Bald wird sich, Sohn, dir jene Stadt enthüllen,"
  • So sprach mein guter Meister, " Dis genannt,
  • Die scharenweis’ unsel’ge Bürger füllen."
  • Und ich: "Mein Meister, deutlich schon erkannt
  • Hab’ ich im Tale jener Stadt Moscheen,
  • Glutrot, als ragten sie aus lichtem Brand."
  • Drauf sprach mein Führer: "Ew’ge Flammen wehen
  • In ihrem Innern, drum im roten Schein
  • Sind sie in diesem Höllengrund zu sehen."
  • Bald fuhren wir in tiefe Gräben ein,
  • Den Zugang sperrend zu dem grausen Orte;
  • Die Mauer schien von Eisen mir zu sein.
  • Dann aber hörten wir des Steurers Worte,
  • Nachdem vorher wir auf dem Pfuhle weit
  • Umhergekreuzt: "Steigt aus, hier ist die Pforte."
  • Wohl tausend standen auf dem Tor bereit,
  • Vom Himmel hergestürzt. Es schrien die Frechen:
  • "Wer wagt’s, noch lebend, voll Verwegenheit
  • Ins tiefe Reich der Toten einzubrechen?"
  • Mein Meister aber, ihnen winkend, lud
  • Sie klüglich ein, ihn erst geheim zu sprechen.
  • Da legte sich ein wenig ihre Wut.
  • Sie sprachen: "Komm allein, laß gehn den Toren,
  • Der hier hereindrang mit so keckem Mut.
  • Find’ er den Weg, den sich sein Wahn erkoren,
  • Allein zurück--erprob’ er doch, wie er
  • Sich durch die Nacht führt, wenn er dich verloren."
  • Und nun bedenk’, o Leser, wie so schwer
  • Mich der Verdammten Rede niederdrückte,
  • Denn ich verzweifelt’ an der Wiederkehr.
  • "Mein teurer Führer, du, durch den mir’s glückte,
  • Daß ich gerettet ward schon siebenmal,
  • Des Schutz mich drohender Gefahr entrückte,
  • Verlaß mich", sprach ich, "nicht in dieser Qual,
  • Und darf ich auch nicht weiter vorwärts dringen,
  • So komm mit mir zurück durchs dunkle Tal."
  • Und er, befehligt, mich hierher zu bringen,
  • Sprach: "Fürchte nichts; erlaubt hat unsern Gang
  • Er, dem nichts wehrt, drum wird er wohl gelingen.
  • Hier harre mein, und ist die Seele bang,
  • So magst du sie mit guter Hoffnung speisen,
  • Denn nicht verlass’ ich dich in solchem Drang."
  • So ging er.--ich, getrennt von meinem Weisen,
  • Dem süßen Vater, fühlte Ja und Nein
  • Beim Zweifelkampf in meinem Haupte kreisen.
  • Nicht hört’ ich, was sein Antrag mochte sein,
  • Allein er blieb bei jenem Volk nicht lange,
  • Denn alle rannten in die Stadt hinein
  • Und schlugen ihm das Tor im wilden Drange
  • Vorm Antlitz zu und sperrten ihn heraus.
  • Da kehrt’ er sich zu mir mit schwerem Gange.
  • Den Blick gesenkt, die Brau’n verstört und kraus,
  • Ließ er in Seufzern diese Worte hören:
  • "Wer schließt mich von der Stadt der Schmerzen aus?"
  • Und dann zu mir: "Nicht mög’ es dich verstören,
  • Wenn du mich zürnen siehst--ich siege doch,
  • Wie keck sie auch dort drinnen sich empören.
  • Schon früher stieg ihr kecker Mut so hoch,
  • An einem Tor, nicht so geheim gelegen,
  • Und ohne Schloß und Riegel heute noch,
  • Am Tor, von dem die schwarze Schrift entgegen
  • Dem Wandrer droht--doch diesseits schon von dort
  • Kommt, ohne Leitung, auf den dunkeln Wegen
  • Ein andrer her und öffnet uns den Ort."
  • Neunter Gesang
  • Weil ich vor Angst und banger Furcht erblich,
  • Als ich den Herrn sah sich zurückbewegen,
  • Verschloß Virgil die eigne Furcht in sich.
  • Aufmerksam stand er dort, wie Horcher pflegen,
  • Denn, weit zu schau’n, war ihm die Dunkelheit
  • Der schwarzen Luft und Nebelqualm entgegen.
  • Er sprach: "Wir siegen doch in diesem Streit--
  • Wenn nicht--doch hab’ ich nicht ihr Wort vernommen?
  • Er säumt fürwahr doch gar zu lange Zeit."
  • Ich sah es deutlich ein, zurückgenommen
  • Sei durch der Rede Folge der Beginn,
  • Da beide mir verschieden vorgekommen.
  • Drum lauscht’ ich sorgenvoll und zagend hin,
  • Denn ich erklärte mir vielleicht noch schlimmer,
  • Als er es war, des halben Wortes Sinn.
  • "Kommt wohl ein Geist in diese Tiefe nimmer
  • Vom ersten Grad, wo nichts zur Qual gereicht,
  • Als daß erstorben jeder Hoffnungsschimmer?"
  • So fragt’ ich ihn, und jener sprach: "Nicht leicht
  • Geschieht’s, daß auf dem Weg, den wir durchliefen,
  • Ein andrer meines Grads dies Land erreicht.
  • Wahr ist’s, daß ich vordem in diesen Tiefen
  • Durch der Erichtho Zauberei’n erschien,
  • Die oft den Geist zum Leib zurückberiefen.
  • Kaum war mein Geist vom Fleisch entblößt, als ihn
  • Die Zauberin beschwor in jene Mauer,
  • Um eine Seel’ aus Judas Kreis zu zieh’n.
  • Dort ist die tiefste Nacht, der bängste Schauer,
  • Am fernsten von des Himmels ew’gem Licht.
  • Ich weiß den Weg--drum scheuche Furcht und Trauer.
  • Der Sumpf hier, welcher Stank verhaucht, umflicht
  • Die qualenvolle Stadt, durch deren Pforten
  • Man ohne Zorn die Bahn sich nimmer bricht."
  • Mehr sprach er, doch mich zog von seinen Worten
  • Der hohe Turm und bannte mit Gewalt
  • Den Blick ans Feuer auf dem Gipfel dorten.
  • Drei Höllenfurien sah ich dort alsbald,
  • Die, blutbefleckt, g’rad’ aufgerichtet, stunden,
  • Und Weibern gleich an Haltung und Gestalt,
  • Mit grünen Hadern statt des Gurts umbunden,
  • Mit kleinern Schlangen aber, wie mit Haar,
  • Und Ottern rings die grausen Schläf’ umwunden.
  • Und jener, dem bekannt ihr Anblick war,
  • Der Sklavinnen der Fürstin ew’ger Plagen,
  • Sprach: "Nimm die wilden Erinnyen wahr.
  • Zur linken Seite sieh Megären ragen,
  • Inmitten ist Tisiphone zu schau’n,
  • Und rechts Alecto in Geheul und Klagen."
  • Die Brust zerriß sich jede mit den Klau’n,
  • Und sie zerschlugen sich mit solchem Brüllen,
  • Daß ich mich an den Dichter drängt’ aus Grau’n.
  • "Medusas Haupt! auf, laßt es uns enthüllen,"
  • Sie riefen’s, niederbückend, allzugleich.
  • "Was wir versäumt an Theseus, zu erfüllen."
  • "Wende dich um, die Augen schließe gleich!
  • Wenn sie bei Gorgos Anblick offenständen,
  • Du kehrtest nimmer in des Tages Reich!"
  • Er sprach’s und eilte, selbst mich umzuwenden,
  • Verließ sich auch auf meine Hände nicht
  • Und schloß die Augen mir mit seinen Händen.
  • Ihr, die erhellt gesunden Geistes Licht,
  • Bemerkt die Lehre, die, vom Schlei’r umgeben,
  • In dich verbirgt dies seltsame Gedicht.
  • Ich hört’ ein Krachen mächtig sich erheben
  • Auf trüber Flut, mit einem Ton voll Graus,
  • Daß die und jene Hüfte schien zu beben.
  • Nicht anders war es, als des Sturms Gebraus--
  • Wild durch der kalten Dünste Kampf mit lauen,
  • Stürzt er durch Wälder, Äste reißt er aus,
  • Durch nichts gehemmt, jagt Blüten durch die Auen;
  • Stolz wälzt er sich in Staubeswirbeln vor,
  • Und Hirt und Herden flieh’n voll Angst und Grauen.
  • Die Augen löst’ er mir. "Jetzt schau’ empor,
  • Dorthin, wo du den schärfsten Rauch entquellen
  • Dem Schaume siehst auf diesem alten Moor."
  • Wie Frösche, sich zerstreuend, durch die Wellen
  • Vor ihrem Feind, der Wasserschlange, flieh’n,
  • Bis sie am Strand in Scharen sich gesellen,
  • So sah ich schnell, als einer dort erschien,
  • Das Tor von den zerstörten Seelen leeren
  • Und ihn mit trocknem Fuß den Styx durchzieh’n.
  • Er schien den Qualm vom Antlitz abzuwehren,
  • Vor sich bewegend seine linke Hand,
  • Und dieser Dunst nur schien ihn zu beschweren.
  • Ich sah’s, er sei vom Himmel hergesandt.
  • Zum Meister kehrt’ ich mich, doch, auf sein Zeichen,
  • Neigt’ ich mich schweigend, jenem zugewandt.
  • Mir schien er einem Zornigen zu gleichen.
  • Er kam zum Tore, das sein Stab erschloß,
  • Und ohne Widerstreben sah ich’s weichen.
  • "O ihr verachteter, vestoßner Troß!"
  • Begann er an dem Tor, dem schreckensvollen,
  • "Woher die Frechheit, die hier überfloß?
  • Was seid ihr widerspenstig jenem Wollen,
  • Das nimmermehr sein Ziel verfehlen kann?
  • Wird er die Qual, wie oft, euch mehren sollen?
  • Was kämpft ihr gegen das Verhängnis an,
  • Obwohl eu’r Zerberus, ihr mögt’s bedenken,
  • Mit kahlem Kinn und Halse nur entrann?"
  • Dann sah ich ihn zurück die Schritte lenken.
  • Uns sagt’ er nichts, und achtlos ging er fort,
  • Als müsst’ er ernst auf andre Sorgen denken,
  • Als die um kleine Ding’ am nächsten Ort.
  • Worauf wir beide nach der Festung schritten,
  • Nun völlig sicher durch das heil’ge Wort.
  • Auch ward der Eingang uns nicht mehr bestritten;
  • Und ich, des Wunsches voll, mich umzusehn
  • Nach dieser Stadt Verhältnis, Art und Sitten,
  • Ließ, drinnen kaum, das Aug’ im Kreise gehn,
  • Und rechts und links war weites Feld zu schauen,
  • Von Martern voll und ungeheuren Weh’n.
  • Gleichwie wo sich der Rhone Wogen stauen,
  • Bei Arles, und bei Pola dort am Meer,
  • Das Welschland schließt und netzt der Grenze Gauen,
  • Grabhügel sind im Lande rings umher,
  • Wo auf unebnem Grunde Tote modern;
  • So hier, doch schreckte dieser Anblick mehr,
  • Denn zwischen Gräbern sieht man Flammen lodern,
  • Und alle sind so durch und durch entflammt,
  • Daß keine Kunst mehr Stahl und Eisen fodern.
  • Halboffen ihre Deckel allesamt,
  • Und draus erklingen solche Klagetöne,
  • Daß man erkennt, wer drinnen, sei verdammt.
  • Und ich: Verkünde, Meister, wer sind jene,
  • Die, hier begraben, sonder Ruh’ und Rast
  • Vernehmen lassen solches Schmerzgestöhne?
  • Und er: "Hauptketzer hält der Ort umfaßt,
  • Und die den Sekten angehangen haben,
  • In größrer Zahl, als du gerechnet hast-
  • Denn Gleiche sind zu Gleichen hier begraben,
  • Und mehr und minder glüht jedwedes Mal"--
  • Er sprach’s, worauf wir rechtshin uns begaben,
  • Fortschreitend zwischen hoher Mau’r und Qual.
  • Zehnter Gesang
  • Fort ging nun, hier die Mauer, dort die Pein,
  • Auf einem engen Pfad der edle Weise,
  • Er mir voraus und ich ihm hinterdrein.
  • Der du mich führst durch die verruchten Kreise,
  • Sprach ich, ich wünsche, daß, wenn dir’s gefällt,
  • Dein Wort auch hier mich ferner unterweise.
  • Darf man die sehn, die jedes Grab enthält?
  • Die Deckel, offen schon, sind nicht dawider,
  • Auch ist zur Wache niemand aufgestellt.
  • "Iedweder Deckel sinkt geschlossen nieder,"
  • Sprach er, "wenn sie gekehrt von Josaphat,
  • Mitbringend ihre dort gelass’nen Glieder.
  • Wiss’, Epicurus liegt an dieser Statt
  • Samt seinen Jüngern, die vom Tode lehren,
  • Daß er so Seel’ als Leib vernichtet hat.
  • Befriedigung soll also dem Begehren,
  • Das du entdecktest, dies Begräbnis hier,
  • Sowie dem Wunsch, den du verschwiegst, gewähren."
  • Und ich: Mein Herz verberg’ ich nimmer dir,
  • Nur redet’ ich in bündig kurzem Worte,
  • Und nicht nur jetzt empfahlst du solches mir.
  • "Toskaner, du, der lebend durch die Pforte
  • Der Feuerstadt, so ehrbar sprechend, drang,
  • Verweil’, ich bitte dich, an diesem Orte.
  • ich erkenn’ an deiner Sprache Klang,
  • Du seist dem edlen Vaterland entsprungen,
  • Dem ich, ihm nur zu lästig, auch entsprang."
  • Urplötzlich war dies einem Sarg entklungen,
  • Drum trat ich etwas näher meinem Hort,
  • Denn wieder war mein Herz von Furcht durchdrungen.
  • "Was tust du? Wende dich!" rief er sofort,
  • "Sieh g’rad’ empor den Farinata ragen,
  • Vom Gürtel bis zum Haupte sieh ihn dort!"
  • Ich, der auf sein Gesicht den Blick geschlagen,
  • Sah, wie er hoch mit Brust und Stirne stand,
  • Als lach’ er nur der Höh’ und ihrer Plagen.
  • Mein Führer, der mich schnell mit mut’ger Hand
  • Durch Gräber bis zu ihm mit fortgenommen,
  • Sprach: Was er fragt, mach’ offen ihm bekannt.
  • Er sah mich, als ich bis zum Grab gekommen,
  • Ein wenig an. "Wer deine Väter? Sprich!"
  • So fragt’ er mich und schien von Zorn entglommen.
  • Gern fügt’ ich dem Befehl des Meisters mich,
  • Ihm alles unverstellt zu offenbaren,
  • Da hoben etwas seine Brauen sich.
  • Er sprach darauf: "Furchtbare Gegner waren
  • Sie meinen Ahnen, mir und meinem Teil,
  • Und zweimal drum vertrieb ich sie in Scharen."
  • "Wenn auch vertrieben, kehrten sie in Eil’",
  • Sprach ich, "zweimal zurück aus jeder Gegend.
  • Doch nicht den euren ward die Kunst zuteil."
  • Sieh, da erhob, sich neben jenem regend,
  • Ein Schatten sich urplötzlich bis zum Kinn,
  • Sich auf den Knien, so schien’s, empor bewegend.
  • Er blickt’ um mich nach beiden Seiten hin,
  • Als woll’ er sehn, ob jemand mich begleite,
  • Doch floh der Irrtum bald aus seinem Sinn,
  • Und weinend sprach er dann: "Wenn dein Geleite
  • Des Geistes Hoheit ist durch diese Nacht,
  • Wo ist mein Sohn? Warum nicht dir zur Seite?"--
  • "Nicht eigner Geist hat mich hierher gebracht,
  • Der dort harrt, führte mich ins Land der Klagen.
  • Dein Guido hatte sein vielleicht nicht acht."
  • So ich--beim Wort und bei der Art der Plagen
  • Könnt’ ich wohl seines Namens sicher sein
  • Und drum ihm auch so sicher Antwort sagen,
  • Schnell richtet’ er sich auf mit lautem Schrei’n:
  • "Er hatte, sagst du? Ist er nicht am Leben?
  • Saugt nicht sein Auge mehr den süßen Schein?"
  • Und da ich nun, statt Antwort ihm zu geben,
  • Noch zauderte, so fiel er rücklings hin,
  • Um fürder sich nicht wieder zu erheben.
  • Doch jener andre mit dem stolzen Sinn,
  • Der mich gerufen, blieb auf seiner Stätte
  • Starr, ungebeugt und trotzig wie vorhin.
  • Er, wieder knüpfend des Gespräches Kette:
  • "Ward jene Kunst zuteil den Meinen nicht?
  • Dies martert mehr mich noch als dieses Bette.
  • Doch wird nicht fünfzigmal sich das Gesicht
  • Der Herrin dieses Dunkels neu entzünden,
  • So wirst du fühlen dieser Kunst Gewicht.
  • Sprich, willst du je zurück aus diesen Gründen,
  • Wie gegen mein Geschlecht mag solche Wut
  • Das Volk in jeglichem Gesetz verkünden?"
  • Ich sprach: "Das große Morden ist’s, das Blut,
  • Das rotgefärbt der Arbia klare Wogen,
  • Das eu’r Geschlecht mit solchem Fluch belud."
  • Er seufzt’ und schüttelte das Haupt: "Vollzogen
  • Hab’ ich allein nicht diese blut’ge Tat,
  • Und. alle hat uns trift’ger Grund bewogen.
  • Doch ich allein war’s, der dem grausen Rat;
  • Es müsse bis zum Grund Florenz verschwinden,
  • Mit offnem Angesicht entgegentrat."
  • "Soll euer Same jemals Ruhe finden,"
  • So sprach ich bittend, "löst die Schlingen hier,
  • Die noch, mein Urteil hemmend, mich umwinden.
  • Versteh’ ich recht, so scheint es wohl, daß ihr
  • Erkennen mögt, was künft’ge Zeiten bringen,
  • Doch mit der Gegenwart scheint’s anders mir."
  • Er sprach: "Uns trägt der Blick nach fernen Dingen,
  • Wie’s öfters wohl der Schwachen Sehkraft geht,
  • Denn dahin läßt der höchste Herr uns dringen.
  • Doch naht sich und erscheint, was wir erspäht,
  • Weg ist das Wissen, und nur durch Berichte
  • Erfahren wir, wie’s jetzt auf Erden steht.
  • Darum begreifst du: einst beim Weltgerichte,
  • Wenn sich der Zukunft Tor auf ewig schließt,
  • Wird die Erkenntnis unsers Geists zunichte."
  • Drauf ich: "Wie jetzt mein Fehler mich verdrießt!
  • O sagt dem Hingesunknen, Trostentblößten,
  • Daß noch sein Sohn das heitre Licht genießt.
  • Und war ich vorhin säumig, ihn zu trösten,
  • So sagt ihm, daß ich Raum dem Irrtum gab,
  • Den eben jetzt mir eure Worte lösten."
  • Hier rief mein Meister schon mich wieder ab,
  • Drum bat ich schnell den Geist, mir zu erzählen,
  • Wer noch verborgen sei in seinem Grab.
  • Er sprach: "Hier liegen mehr als tausend Seelen,
  • Der Kardinal, der zweite Friederich
  • Und andre, die’s nicht nottut, aufzuzählen."
  • Und er versank ich aber kehrte mich
  • Zum alten Dichter, jene Red’ erwägend,
  • Die einer Unglücksprophezeiung glich.
  • Er aber ging und sprach, sich vorbewegend,
  • Zu mir gewandt: "Was bist du so verstört?"
  • Ich tat’s ihm kund, die Angst im Herzen hegend.
  • "Behalte, was du Widriges gehört,"
  • Sprach mit erhobnem Finger jener Weise,
  • "Und merk’ itzt auf, daß dich kein Trug betört.
  • Bist du dereinst im süßen Strahlenkreise,
  • Verströmt vom schönen Blick, der alles sieht,
  • Dann deutet sie dir deine Lebensreise."
  • Nun ging es links ins höllische Gebiet,
  • Um von der Mau’r der Mitte zuzuschreiten,
  • Wo sich der Pfad nach einem Tale zieht,
  • Von dem Gestank und Qualm sich weit verbreiten.
  • Elfter Gesang
  • Am äußern Saum von einem hohen Strande,
  • Umkreist von Felsentrümmern ohne Zahl,
  • Gelangten wir zu einem grausern Lande.
  • Dort bargen wir vor des Gestankes Qual,
  • Der gräßlich dampft aus jenen tiefen Gründen,
  • Uns hinter eines hohen Grabes Mal.
  • Wir sahn den Inhalt diese Schrift verkünden:
  • Hier liegt Papst Anastasius, den Photin
  • Vom rechten Pfad verführt zu Schmach und Sünden.
  • "Wir müssen," sprach er, "langsam abwärtszieh’n;
  • Erträglicher wird nach und nach den Sinnen
  • Der schlechte Dunst, der unerträglich schien."
  • "So laß uns etwas," sprach ich drauf, "beginnen,
  • Das uns die hier verbrachte Zeit ersetzt."
  • "Du siehst," erwidert’ er, "darauf mich sinnen."
  • "Mein Sohn, du wirst in diesen Steinen jetzt,"
  • So fuhr er fort, "drei kleinre Kreise zählen,
  • Nach Stufen, wie die andern, fortgesetzt.
  • Erfüllt sind alle von verdammten Seelen,
  • Doch weil du selbst sie sehn wirst, so vernimm,
  • Wie und warum sie sich hier unten quälen.
  • Jedwede Bosheit weckt des Himmels Grimm,
  • Der Unrecht Zweck ist, denn sie macht es immer
  • Durch Trug und durch Gewalt mit andern schlimm.
  • Doch Trug, des Menschen eigne Sünd’, ist schlimmer,
  • Und die Betrüger bannt des Herrn Geheiß,
  • Drum tiefer hin zu schmerzlichem Gewimmer.
  • Gewalttat wird bestraft im ersten Kreis,
  • Doch, nach dreifacher Gattung von Vergehen,
  • In dreien Binnenkreisen stufenweis.
  • An Gott, an sich, am Nächsten kann’s geschehen,
  • Daß man Gewalt verübt, an Leib und Gut.
  • Wie? Sollst du jetzt mit klaren Gründen sehen.
  • Gewalttat an des Nächsten Leib und Blut
  • Geschieht durch Totschlag und durch schlimme Wunden,
  • Am Gute durch Verwüstung, Raub und Glut.
  • Totschläger werden, die, so schwer verwunden,
  • Verwüster, Räuber, drum hinabgebannt
  • Zur Pein im ersten Binnenkreis gefunden.
  • Gewalt übt man an sich mit eigner Hand,
  • Und seinem Gut.--Um fruchtlos zu bereuen,
  • Sind drum zum zweiten Binnenkreis gesandt,
  • Die selber sich zu töten sich nicht scheuen,
  • Die, so im Spielhaus all ihr Gut vertan
  • Und dorten weinten, statt sich zu erfreuen.
  • Gewalt auch tut der Mensch der Gottheit an,
  • Im Herzen sie verleugnend und nicht achtend,
  • Was er durch Güte der Natur empfah’n.
  • Du wirst, den kleinsten Binnenkreis betrachtend,
  • Drum die von Sodom und von Cahors schau’n,
  • Und Volk, im Herzen seinen Gott verachtend.
  • Trug, des Gewissens Qual, ist am Vertrau’n,
  • Und ist auch oft verübt an solchen worden,
  • Die nicht als Freund’ auf den Betrüger bau’n.
  • Die letzte Gattung scheint das Band zu morden,
  • Das die Natur aus Lieb’ um alle flicht;
  • Drum nisten in dem zweiten Kreis die Horden
  • Der Heuchler, Schmeichler, die, so falsch Gewicht
  • Gebrauchen, Simonisten, Zaubrer, Diebe
  • Und Kuppler und dergleichen Schandgezücht.
  • Zerrissen wird von jenem Trug die Liebe,
  • So die Natur macht; die auch, die vermehrt,
  • Noch Treue fordert aus besonderm Triebe.
  • Drum auf dem Punkte, den das All beschwert,
  • Wo Dis den Stand hat, dort, im kleinsten Kreise,
  • Wird, wer Verrat übt, ewiglich verzehrt."
  • Und ich: Du stellt nach deiner klaren Weise
  • Wohlabgeteilt den Höllenschlund mir dar,
  • Und welche Sünder jedes Rund umkreise;
  • Doch sprich: Das Volk, das dort im Sumpfe war,
  • Die, so der Wind führt und die Regen schlagen,
  • Die mit Geschrei sich stoßen immerdar,
  • Wie kommt’s, wenn sie den Zorn des Himmels tragen,
  • Daß nicht die Feuerstadt ihr Strafort wird?
  • Wenn nicht, was leiden sie doch solche Plagen?
  • Und er darauf zu mir: "Was schweift verwirrt
  • Dein Geist hier ab von den gewohnten Wegen?
  • Woandershin hat sich dein Sinn verirrt?
  • Willst du nicht deine Sittenlehr’ erwägen,
  • Die Kunde von drei Neigungen verleiht,
  • Die Gottes Zorn und seinen Haß erregen,
  • Von Tollwut, Bosheit, Unenthaltsamkeit?
  • Die dritt’ ist, da sie minderes Verachten
  • Des Herrn verrät, von mindrer Strafbarkeit.
  • Willst du den Spruch bedenken und betrachten,
  • Wer jene sind, die vor der Stadt voll Glut
  • Dort oben, ihre Straf erduldend, schmachten,
  • So wirst du sehn, wie sie von dieser Brut
  • Geschieden sind, und minder sie beschwerend
  • Auf ihnen das Gewicht des Himmels ruht."--
  • "O Sonne, du, die trübsten Blicke klärend,
  • Wie Wissen, so erfreut der Zweifel mich,
  • Vernehm’ ich dich ihn lösend, mich belehrend.
  • Drum wend’ ein wenig," sprach ich, "rückwärts dich.
  • Da sagtest, daß die Wuchrer Gott verletzen,
  • Jetzt sage mir, wie löst dies Rätsel sich?"
  • Weltweisheit, sprach er, lehrt in mehrern Sätzen,
  • Daß nur aus Gottes Geist und Kunst und Kraft
  • Natur entstand mit allen ihren Schätzen;
  • Und überdenkst du deine Wissenschaft
  • Von der Natur, so wirst du bald erkennen,
  • Daß eure Kunst, mit allem, was sie schafft,
  • Nur der Natur folgt, wie nach bestem Können
  • Der Schüler geht auf seines Meisters Spur;
  • Drum ist sie Gottes Enkelin zu nennen
  • Vergleiche nun mit Kunst und mit Natur
  • Die Genesis, wo’s also lautet: Leben
  • Sollst du im Schweiß des Angesichtes nur.--
  • Weil Wuchrer nun nach anderm Wege Streben,
  • Schmäh’n sie Natur und ihre Folgerin,
  • Indem sie andrer Hoffnung sich ergeben.
  • Doch folge mir, denn vorwärts strebt mein Sinn,
  • Da schon die Fisch’ empor am Himmel springen;
  • Schon auf den Caurus sinkt der Wagen hin,
  • Und weit ist’s noch, eh’ wir zur Tiefe dringen.
  • Zwölfter Gesang
  • Rauhfelsig war der Steig am Strand hernieder,
  • Ob des, was sonst dort war, der Schauer groß,
  • Und jedem Auge drum der Ort zuwider.
  • Dem Bergsturz gleich bei Trento--in den Schoß
  • Der Etsch ist seitwärts Trümmerschutt geschmissen,
  • Durch Unterwühlung oder Erdenstoß--
  • Wo von dem Gipfel, dem er sich entrissen,
  • Der Fels so schräg ist, daß zum ebnen Land,
  • Die oben sind, den Steg nicht ganz vermissen;
  • So dieses Abgrunds Hang, und dort am Rand
  • War’s, wo von Felsentrümmern überhangen
  • Sich ausgestreckt die Schande Kretas fand,
  • Einst von dem Scheinbild einer Kuh empfangen.
  • Sich selber biß er, als er uns erblickt,
  • Wie innerlich von wildem Grimm befangen.
  • Mein Meister rief: "Bist du vom Wahn bestrickt.
  • Als sähst du hier den Theseus vor dir stehen,
  • Der dich von dort zur HöIl’ herabgeschickt?
  • Fort, Untier, fort! Den Weg, auf dem wir gehen,
  • Nicht deine Schwester hat ihn uns gelehrt,
  • Doch dieser kommt, um eure Qual zu sehen."
  • So wie der Stier, vom Todesstreich versehrt,
  • Sich losreißt und nicht gehen kann, nur springen.
  • Und Satz um Satz hierhin und dorthin fährt;
  • So sahen wir den Minotaurus ringen,
  • Drum rief Virgil: "Itzt weiter ohne Rast;
  • Indes er tobt, ist’s gut, hinabzudringen."
  • So klommen wir, von Trümmern rings umfaßt,
  • Auf Trümmern sorglich fort, und oft bewegte
  • Ein Stein sich unter mir der neuen Last.
  • Ich ging, indem ich sinnend überlegte.
  • Und er: "Du denkst an diesen Schutt, bewacht
  • Von Zornwut, die vor meinem Wort sich legte.
  • Vernimm jetzt, als ich in der Hölle Nacht
  • Zum erstenmal so tief hereingedrungen.
  • War dieser Fels noch nicht herabgekracht.
  • Doch kurz eh’ jener sich herabgeschwungen
  • Vom höchsten Kreis des Himmels, der dem Dis
  • So edler Seelen großen Raub entrungen.
  • Erbebte so die grause Finsternis,
  • Daß ich die Meinung faßte, Liebe zücke
  • Durchs Weltenall und stürz’ in mächt’gern Riß
  • Ins alte Chaos neu die Welt zurücke.
  • Der Fels, der seit dem Anfang fest geruht,
  • Ging damals hier und anderwärts in Stücke.
  • Doch blick’ ins Tal, schon naht der Strom von Blut,
  • In welchem jeder siedet, der dort oben
  • Dem Nächsten durch Gewalttat wehe tut."
  • O blinde Gier, o toller Zorn! eu’r Toben,
  • Es spornt uns dort im kurzen Leben an
  • Und macht uns ewig dann dies Bad erproben--
  • Hier ist ein weiter Graben, der den Plan
  • Ringshin umfaßt im weiten runden Bogen,
  • Wie mir mein weiser Führer kundgetan.
  • Zentauren, rennend, pfeilbewaffnet, zogen,
  • Sich folgend, zwischen Fluß und Felsenwand,
  • Wie in der Welt, wenn sie der Jagd gepflogen.
  • Als sie uns klimmen sahn, ward Stillestand;
  • Drei traten vor mit ausgesuchten Pfeilen
  • Und schußbereit den Bogen in der Hand.
  • Und einer rief von fern: "Ihr müßt verweilen!
  • Zu welcher Qual kommt ihr an diesen Ort?
  • Von dort sprecht, sonst soll euch mein Pfeil ereilen!
  • "Dem Chiron sag’ ich in der Näh’ ein Wort,"
  • Sprach drauf Virgil. "Zum Unheil dich verführend,
  • Riß vorschnell stets der blinde Trieb dich fort."
  • "Nessus ist dieser," sprach er, mich berührend,
  • "Der starb, als Dejaniren er geraubt,
  • Die Rache noch vor seinem Tod vollführend.
  • Der in der Mitt’ ist, mit gesenktem Haupt,
  • Der große Chiron, der Achillen nährte;
  • Dort Pholus, welcher stets vor Zorn geschnaubt.
  • Am Graben rings gehn tausend Pfeilbewehrte
  • Und schießen die, so aus dem Pfuhl herauf
  • Mehr tauchen, als der Richterspruch gewährte."
  • Wir beide nahten uns dem flinken Hauf,
  • Chiron nahm einen Pfeil und strich vom Barte
  • Das Haar nach hinten sich mit seinem Knauf.
  • Als nun das große Maul sich offenbarte,
  • Sprach er: "Bemerkt: der hinten kommt, bewegt.
  • Was er berührt, wie ich es wohl gewahrte.
  • Und wie’s kein Totenfuß zu machen pflegt."
  • Da trat ihm an die Brust mein weiser Leiter,
  • Wo Mensch und Roß sich einigt und verträgt.
  • "Lebendig ist," so sprach er, "der Begleiter,
  • Der dieses dunkle Tal mit mir bereist;
  • Notwendigkeit, nicht Neugier, zieht uns weiter.
  • Von dort, wo Gott ihr Halleluja preist,
  • Kam eine her, dies Amt mir aufzutragen.
  • Er ist kein Räuber, ich kein böser Geist.
  • Doch, bei der Kraft, durch die ich sonder Zagen
  • Auf wildem Pfad im Schmerzensland erschien.
  • Gib einen uns von diesen, die hier jagen.
  • Daß er die Furt uns zeig’, und jenseits ihn
  • Trag auf dem Kreuz ans andere Gestade,
  • Denn er, kein Geist, kann durch die Luft nicht zieh’n."
  • "Auf, Nessus, leite sie auf ihrem Pfade,"
  • Rief Chiron rechts gewandt, "bewahre sie,
  • Daß sonst kein Trupp der unsern ihnen schade."
  • Da solch Geleit uns Sicherheit verlieh,
  • So gingen wir am roten Sud von hinnen.
  • Aus dem die Rotte der Gesottnen schrie.
  • Bis zu den Brauen waren viele drinnen.
  • "Tyrannen sind’s, erpicht auf Gut und Blut,"
  • So hört’ ich den Zentauren nun beginnen,
  • "Jetzt heulen sie in ihrer Qualen Wut.
  • Den Alexander sieh und Dionysen,
  • Der auf Sizilien Schmerzensjahre lud.
  • Die schwarzbehaarte Stirn sieh neben diesen,
  • Den Ezzelin--und jener Blonde dort
  • Ist Obiz Este, der, wie’s klar erwiesen,
  • Vertilgt ward durch des Rabensohnes Mord."
  • Den Dichter sah ich an, der sprach: "Der Zweite
  • Bin ich, der Erste der, merk’ auf sein Wort."
  • Und weiter gab uns Nessus das Geleite
  • Zu Volke, das, bis an des Mundes Rand
  • Im heißen Sprudel, heult’ und maledeite.
  • Und seitwärts zeigt er einen mit der Hand:
  • " Der macht’ einst am Altar das Herz verbluten,
  • Das man noch jetzt verehrt am Themsestrand."
  • Und viele hielten aus den heißen Fluten
  • Das ganze Haupt, dann Brust und Leib gestreckt,
  • Auch kannt’ ich manchen in den nassen Gluten.
  • Stets seichter ward das Blut, so daß bedeckt
  • Am Ende nur der Schatten Füße waren,
  • Und dorten ward des Grabens Furt entdeckt.
  • Da sagte der Zentaur: "Du wirst gewahren,
  • Wie immer seichter hier das Blut sich zeigt.
  • Jetzt aber, will ich, sollst du auch erfahren,
  • Daß dort der Grund je mehr und mehr sich neigt.
  • Bis wo die Flut verrinnt in jenen Tiefen,
  • Woraus das Seufzen der Tyrannen steigt.
  • Gerechter Zorn und Rache Gottes riefen
  • Dorthin der Erde Geißel, Attila,
  • Pyrrhus und Sextus; und von Tränen triefen.
  • Von Tränen, ausgekocht vom Blute, da
  • Die beiden Rinier, arge Raubgesellen,
  • Die man die Straßen hart bekriegen sah--"
  • Hier wandt’ er sich, rückeilend durch die Wellen.
  • Dreizehnter Gesang
  • Noch war nicht Nessus jenseits am Gestade,
  • Da schritten wir in einen Wald voll Grau’n,
  • Und nirgend war die Spur von einem Pfade.
  • Nicht grün war dort das Laub, nur schwärzlichbraun,
  • Nicht glatt ein Zweig, nur knotige, verwirrte,
  • Nicht Frucht daran, nur gift’ger Dorn zu schau’n.
  • Nie bei Cornet und der Cecina irrte
  • Damhirsch und Eber durch so dichten Hain,
  • Dies Wild, das nie die Saat des Feldes kirrte.
  • Hier aber nisten die Harpy’n sich ein,
  • Die, von den Inseln Trojas Volk zu scheuchen,
  • Es ängsteten mit Unglücksprophezei’n,
  • Mit breiten Schwingen, Federn an den Bäuchen,
  • Klau’n an den Füßen, menschlich von Gesicht,
  • Wehklagend aus den seltsamen Gesträuchen.
  • "Bevor du eindringst, wisse, dich umflicht",
  • Sprach er, "der zweite Binnenkreis; zu schauen,
  • Indes du weitergehst, versäume nicht.
  • So kommst du, schauend, in den Sand voll Grauen,
  • Und gib wohl acht; denn allem, was ich sprach,
  • Wirst du dann durch den Augenschein vertrauen."
  • Schon hört’ ich rings Geheul und Oh und Ach,
  • Doch sah ich keinen, der so ächzt’ und schnaubte,
  • So daß mein Knie mir fast vor Schauder brach.
  • Ich glaub’, er mochte glauben, daß ich glaubte.
  • Verborgne stöhnten aus dem dunkeln Raum,
  • Die mir zu sehn das Dickicht nicht erlaubte.
  • "Brich nur ein Zweiglein ab von einem Baum,"
  • Begann mein Meister, "und du wirst entdecken.
  • Was du vermutest, sei ein leerer Traum.’’
  • Da säumt’ ich nicht,- die Finger auszustrecken.
  • Riß einen Zweig von einem großen Dorn,
  • Und plötzlich schrie der stumpf zu meinem Schrecken:
  • "Was brichst du mich?"--worauf ein blut’ger Born
  • Aus ihm entquoll, und diese Wort’ erklangen:
  • "Was peinigt uns dein rnitleidloser Zorn?
  • Uns, Menschen einst, von Rinden jetzt umfangen.
  • Wohl größre Schonung ziemte deiner Hand,
  • Und wären wir auch Seelen nur von Schlangen."
  • Gleich wie ein grüner Ast, hier angebrannt,
  • Dort ächzt und sprüht, wenn, aufgelöst in Winde,
  • Der feuchte Dunst den Weg nach außen fand;
  • So drangen Wort und Blut aus Holz und Rinde,
  • Und mir entsank das Reis, daß ich geraubt;
  • Dann stand ich dort, als ob ich Furcht empfinde.
  • "Verletzte Seele, hätt’ er je geglaubt.
  • Was früher schon ihm mein Gedicht entdeckte,"
  • So sprach Virgil, "nie hätt’ er sich’s erlaubt.
  • Wenn er die Hand nach deinem Aste streckte,
  • So reut’s mich itzt, daß, weil’s unglaublich schien,
  • Ich Lust in ihm zu solcher Tat erweckte.
  • Doch sag’ ihm, wer du warst. Er wird, wenn ihn
  • Der Tag einst neu umfängt, den Fehl zu büßen,
  • Dort frisch ans Licht dein Angedenken zieh’n."
  • Der Stamm: "Ein Köder ist im Wort, dem süßen,
  • Der mich zum Sprechen lockt; mag euch’s, wenn mich
  • Der Leim beim Reden festhält, nicht verdrießen.
  • Ich bin’s, der einst das Herz des Friederich
  • Mit zweien Schlüsseln auf- und zugeschlossen
  • Und sie so sanft und leis gedreht, daß ich,
  • Nur ich, sonst keiner, sein Vertraun genossen--
  • Und bis ich ihm geopfert Schlaf und Blut,
  • Weiht’ ich dem hohen Amt mich unverdrossen.
  • Die Hure, die mit buhlerischer Glut
  • Auf Cäsars Haus die geilen Blicke spannte,
  • Sie, aller Höfe Tod und Sünd’ und Wut,
  • Schürt an, bis alles gegen mich entbrannte,
  • Und alle schürten Friedrichs Gluten an.
  • Daß heitrer Ruhm in düstres Leid sich wandte.
  • Da hat mein zornentflammter Geist, im Wahn,
  • Durch Sterben aller Schmach sich zu entwinden.
  • Mir, dem Gerechten, Unrecht angetan.
  • Bei diesen Wurzeln schwör’ ich, diesen Rinden:
  • Stets war’s um meine Treue wohlbestellt
  • Für ihn, der wert war, ew’gen Ruhm zu finden;
  • Kehrt einer je von euch zurück zur Welt,
  • So mög’ er dort mein Angedenken heben,
  • Das jener Streich des Neids noch niederhält."
  • Hier hielt er an, ich aber schwieg mit Beben.
  • Da sprach der Dichter: "Ohne Zeitverlust
  • Frag’ ihn, er wird auf alles Antwort geben."
  • Ich aber: "Frag’ ihn selbst. Dir ist bewußt,
  • Was mir ersprießlich sei, ihm abzufragen;
  • Ich könnt’ es nicht, denn Leid drückt meine Brust."
  • Und er: "Soll einst, was du ihm aufgetragen,--
  • Er frei vollzieh’n, dann, o gefangner Geist,
  • Beliebe dir, zuvor uns anzusagen,
  • Wie dieser Stämme Band die Seel’ umkreist?
  • Und, wenn um sie sich starre Rinden legen,
  • Ob diesen Gliedern eine sich entreißt?
  • Ein starker Hauch schien sich im Stamm zu regen,
  • Dann aber ward der Wind zu diesem Wort:
  • "In kurzer Rede sag’ ich dies dagegen:
  • Wenn die vom Leib sich trennen, welche dort
  • Sich frevelhaft in wildern Grimm entleiben,
  • Schickt Minos sie zu diesem Schlunde fort.
  • Hier fallen sie, wie sie die Stürme treiben,
  • In diesen Wald nach Zufall, ohne Wahl,
  • Um wie ein Speltkorn wuchernd zu bekleiben.
  • So wachsen Büsch’ und Bäum’ in diesem Tal,
  • Und die Harpy’n, die sich vom Laube weiden,
  • Sie machen Qual, und Öffnung für die Qual.
  • Einst eilen wir nach unserm Leib, doch kleiden
  • Uns nie darein; denn was man selbst sich nahm.
  • Will Gott uns nimmer wieder neu bescheiden.
  • Wir schleppen ihn in diesen Wald voll Gram,
  • Und jeder Leib wird an den Baum gehangen.
  • Den hier zur ew’gen Haft sein Geist bekam."
  • Wir horchten auf den Stamm noch, voll Verlangen,
  • Mehr zu vernehmen, als urplötzlich schnell
  • Schrei’n und Getos zu unsern Ohren drangen.
  • Als ob hier Eber, Hund und Jagdgesell,
  • Die ganze Jagd, heran laut tosend brauste
  • Mit Waldesrauschen, Schreien und Gebell.--
  • Und sieh, linksher, zwei Nackende, Zerzauste,
  • Fortstürmen, wie vom Äußersten bedroht,
  • Daß das Gezweig zertrümmert kracht’ und sauste.
  • Der Vordre schrie: "Zu Hilfe, Hilfe, Tod!"
  • Dem andern schien’s, daß es mehr Eile brauche;
  • "Lan," rief er, "dort bei Toppo in der Not
  • Schien nicht dein Fußwerk gut zu dem Gebrauche."
  • Dann, weil erschöpft vielleicht des Odems Rest,
  • Macht’ er ein Knäu’l aus sich und einem Strauche.
  • Sieh schwarze Hunde, durchs Gestrüpp gepreßt.
  • Schnell hinterdrein, die wild die Läufe streckten,
  • Wie Doggen, die man von der Kett’ entläßt.
  • Sie schlugen ihre Zahn’ in den Versteckten,
  • Zerrissen ihn und trugen stückweis dann
  • Die Glieder fort, die frischen, blutbefleckten.
  • Mein Führer faßte bei der Hand mich an
  • Und führte mich zum Busche, der vergebens
  • Aus Rissen klagte, welchen Blut entrann.
  • Er sprach: "Was machtest du doch eitlen Strebens,
  • O Jakob, meinen Busch zu deiner Hut?
  • Trag’ ich die Schulden deines Lasterlebens?"
  • Mein Meister, dessen Schritt bei ihm geruht,
  • Sprach: "Wer bist du? Warum aus so viel Rissen
  • Hauchst du zugleich die Schmerzensred’ und Blut?"
  • Und er: "Die ihr gekommen, um zu wissen,
  • Wie harte Schmach ich hier erdulden muß,
  • Zu sehn, wie man mir so mein Laub entrissen.
  • O sammelt’s an des traur’gen Stammes Fuß.
  • Ich bin aus jener Stadt, die statt des alten
  • Den Täufer wählt als Schutzherrn. Voll Verdruß
  • Wird jener drum als Feind ihr grausam walten,
  • Und hätte man nicht noch sein Bild geschaut.
  • Das dort sich auf der Arnobrück’ erhalten.
  • Die Bürger, die sie wieder aufgebaut
  • Vom Brand des Attila, aus Schutt und Grause,
  • Sie hätten ihrer Müh’ umsonst vertraut.
  • Den Galgen macht’ ich mir aus meinem Hause."
  • Vierzehnter Gesang
  • Weil ich der Vaterstadt mit Rührung dachte,
  • Las ich das Laub, das ich, das Herz soll Leid,
  • Zurück zum Stamm, der kaum noch ächzte, brachte.
  • Drauf kamen wir zur Grenz’ in kurzer Zeit
  • Vom zweiten Binnenkreis und sah’n im dritten
  • Ein krauses Kunstwerk der Gerechtigkeit.
  • Denn dort eröffnete vor unsern Schritten
  • Und unsern Blicken sich ein ebnes Land,
  • Des Boden nimmer Pflanz’ und Gras gelitten.
  • Und wie sich um den Wald der Graben wand,
  • War dieses von dem Schmerzenswald umwunden.
  • Hier weilten wir an beider Kreise Rand.
  • Dort ward ein tiefer, dürrer Sand gefunden.
  • Der dem, den Cato’s Füße stampften, glich,
  • Wie wir vernehmen aus den alten Kunden.
  • O Gottes Rache! Jeder fürchte dich,
  • Dem, was ich sah, mein Lied wird offenbaren,
  • Und wende schnell vom Lasterwege sich.
  • Denn nackte Seelen sah ich dort in Scharen,
  • Die, alle klagend jämmerlich und schwer,
  • Doch sich nicht gleich in ihren Strafen waren.
  • Die lagen rücklings auf der Erd’ umher,
  • Die sah ich sich zusammenkrümmend kauern.
  • Noch andre gingen immer hin und her.
  • Die Mehrzahl mußt’ im Gehn die Straf’ erdauern.
  • Der Liegenden war die geringre Zahl,
  • Doch mehr gedrängt zum Klagen und zum Trauern.
  • Langsamen Falls sah ich mit rotem Strahl
  • Hernieder breite Feuerflocken wallen,
  • Wie Schnee bei stiller Luft im Alpental.
  • Wie Alexander einstens Feuerballen,
  • Fest bis zur Erde, sah auf seine Schar
  • In jener heißen Gegend Indiens fallen,
  • Daher sein Volk, vorbeugend der Gefahr,
  • Den Boden stampfen mußt’, um sie zu töten,
  • Weil einzeln sie zu tilgen leichter war;
  • So sah ich von der Glut den Boden röten;
  • Wie unterm Stahle Schwamm, entglomm der Sand,
  • Wodurch die Qualen zwiefach sich erhöhten.
  • Nie hatten hier die Hände Stillestand,
  • Und hier- und dorthin sah ich sie bewegen,
  • Abschüttelnd von der Haut den frischen Brand.
  • Da sprach ich: "Du, dem alles unterlegen,
  • Bis auf die Geister, die sich dort voll Wut
  • Am Tor zur Wehr gestellt und dir entgegen.
  • Wer ist der große, welcher, diese Glut
  • Verachtend, liegt, die Blicke trotzig hebend,
  • Noch nicht erweicht von dieser Feuerflut?"
  • Und jener rief, mir selber Antwort gebend,
  • Weil er gemerkt, daß ich nach ihm gefragt,
  • Uns grimmig zu: "Tot bin ich, wie einst lebend.
  • Sei auch mit Arbeit Jovis Schmied geplagt,
  • Von welchem er den spitzen Pfeil bekommen,
  • Den er zuletzt in meine Brust gejagt;
  • Zur Hilfe sei die ganze Schar genommen,
  • Die rastlos schmiedet in des Ätna Nacht;
  • Hilf, hilf, Vulkan, so schrei’ er zornentglommen,
  • Wie er bei Phlägra tat in jener Schlacht;
  • Mit aller Macht sei das Geschoß geschwungen,
  • Gewiß, daß nie ihm frohe Rache lacht--"
  • Da hob so stark, wie sie mir nie erklungen,
  • Mein Meister seine Stimm’, ihm zuzuschrei’n:
  • "O Kapaneus, daß ewig unbezwungen
  • Dich Hochmut nagt, ist deine wahre Pein,
  • Denn keine Marter, als dein eignes Wüten,
  • Kann deiner Wut vollkommne Strafe sein."
  • Drauf schien des Meisters Zorn sich zu begüten.
  • Von jenen sieben war er, sagt’ er mir,
  • Die Theben zu erobern sich bemühten.
  • Er höhnt, so scheint’s, noch Gott in wilder Gier,
  • Und, wie ich sprach, sein Stolz bleibt seine Schande,
  • Sein Trotz des Busens wohlverdiente Zier.
  • Jetzt folge mir, doch vor dem heißen Sande
  • Verwahr’ im Gehen sorglich deinen Fuß
  • Und halte nah dich an des Waldes Rande.
  • Ich ging und schwieg, und einen kleinen Fluß
  • Sah ich diesseits des Waldes sprudelnd quellen.
  • Vor dessen Rot’ ich jetzt noch schaudern muß.
  • Den Bach aus jenem Sprudel gleichzustellen.
  • Der Buhlerinnen schändlichem Verein,
  • Floß er den Sand hinab mit dunkeln Wellen.
  • Und Grund und Ufer waren dort von Stein,
  • Auch beide Ränder, die den Fluß umfassen.
  • Drum mußte hier der Weg hinüber sein.
  • "Von allem, was ich noch dich sehen lassen.
  • Seit wir durch jenes Tor hier eingekehrt.
  • Das uns, wie alle, ruhig eingelassen,
  • War noch bis jetzt nichts so bemerkenswert.
  • Als dieser Fluß, zu dem du eben ziehest,
  • Der über sich die Flämmchen schnell verzehrt."
  • So er zu mir und ich darauf: "Du siehest
  • Mich lüstern schon genug, drum speist’ ich gern;
  • Gib Kost nur, wie du Essenslust verliehest."
  • Und er: "Öd liegt ein Land im Meere fern,
  • Das Kreta hieß, und Keuschheit hat gewaltet,
  • Als noch die Welt stand unter seinem Herrn.
  • Ein Berg dort, Ida, war einst schön gestaltet,
  • Mit Quellen, Laub und Blumen reich geschmückt,
  • Jetzt ist er öd, verwittert und veraltet.
  • Dorthin hat Rhea ihren Sohn entrückt.
  • Und, alle Späher listig hintergehend,
  • Des Kindes Schrei’n durch Tosen unterdrückt.
  • Ein hoher Greis ist drin, g’rad’ aufrecht stehend,
  • Den Rücken nach Damiette hingewandt,
  • Nach Rom hin, wie in seinen Spiegel, sehend;
  • Das Haupt von feinem Gold; Brust, Arm und Hand
  • Von reinem Silber; weiter dann hernieder
  • Von Kupfer nur bis an der Hüften Rand;
  • Von tücht’gem Eisen bis zur Sohle nieder;
  • Nur von gebranntem Ton der rechte Fuß,
  • Doch ruht auf diesem meist die Last der Glieder.
  • Das Gold allein ist von gediegnem Guß;
  • Die andern haben Spalt’ und träufeln Zähren,
  • Und diese brechen durch die Grott’ als Fluß,
  • Um ihren Lauf nach diesem Tal zu kehren.
  • Als Acheron, als Styx, als Phlegethon,
  • Und bilden, wenn sie zu den tiefsten Sphären
  • Durch diesen engen Graben hingefloh’n,
  • Dort den Kozyt; doch nahst du diesem Teiche
  • Bald selber dich, drum hier nichts mehr davon."
  • Und ich zu ihm: "Wenn auf der Erd’, im Reiche
  • Des Tages, schon der kleine Fluß entstund,
  • Wie kommt es, daß ich ihn erst hier erreiche?"
  • Und er zu mir: "Du weißt, der Ort ist rund,
  • Und ob wir gleich schon tief hernieder drangen,
  • Doch haben wir, da wir uns links zum Grund
  • Herabgewandt, den Kreis nicht ganz umgangen,
  • Und wenn du auch noch manches Neue siehst,
  • Mag Staunen drum dein Auge nicht befangen."
  • "Sprich noch, wo Phlegethon, wo Lethe fließt?
  • Du schweigst von der; von jenem hört’ ich sagen,
  • Daß er aus diesem Regen sich ergießt."
  • So ich; und er: "Gern hör’ ich deine Fragen,
  • Doch sollte wohl des roten Wassers Sud
  • Auf jene selbst die Antwort in sich tragen.
  • Nicht in der Hölle fließt der Lethe Flut,
  • Dort siehst du sie beim großen Seelenbade,
  • Wenn die bereute Schuld auf ewig ruht."
  • Und drauf: "Jetzt weg vom Wald, und komm gerade
  • Denselben Weg, den meine Spur dich lehrt;
  • Die Ränder, nicht entzündet, bilden Pfade,
  • Und über ihnen wird der Dunst verzehrt."
  • Fünfzehnter Gesang
  • Wir gehen nun auf hartem Rand zusammen,
  • Und Dampf des Bachs, der drüber nebelt, schützt
  • Das Wasser und die Dämme vor den Flammen.
  • So wie sein Land der Flandrer unterstützt,
  • Bang vor der Springflut Ansturz, die vom Baue
  • Des festen Damms rückprallend schäumt und spritzt;
  • Wie längs der Brenta Schloß und Dorf und Aue
  • Die Paduaner sorglich wohl verwahrt,
  • Bevor der Chiarentana Frost erlaue;
  • So war der Damm auch hier von gleicher Art,
  • Nur daß in minder hohen, dicken Massen
  • Vom Meister dieser Bau errichtet ward.
  • Schon weit zurück hatt’ ich den Wald gelassen,
  • So daß der Blick, nach ihm zurückgewandt,
  • Doch nicht vermögend war, ihn zu erfassen.
  • Da kam am Fuß des Damms ein Schwarm gerannt.
  • Und wie am Neumond bei des Abends Grauen
  • Nach dem und jenem man die Blicke spannt,
  • So sahn wir sie auf uns nach oben schauen;
  • Und wie der alte Schneider nach dem Öhr,
  • So spitzten sie nach uns die Augenbrauen.
  • Und wie sie alle gafften, faßte wer
  • Mich bei dem Saum, indem er mich erkannte,
  • Und rief erstaunt: "Welch Wunder! Du? Woher?"
  • Und ich, wie er nach mir gegriffen, wandte
  • Den Blick ihm fest aufs Angesicht, das schier
  • Geröstet war; doch zeigte das verbrannte
  • Sogleich die wohlbekannten Züge mir;
  • Drum, neigend, auf sein Antlitz zu, die Arme,
  • Rief ich: "Ei, Herr Brunetto, seid ihr hier?"
  • "Mein Sohn," sprach jener, "daß dich mein erbarme!
  • Gern spräche wohl Brunett Latini dich
  • Ein wenig hier, entfernt von diesem Schwarme."
  • "Ich bitt’ euch selbst darum," entgegnet’ ich,
  • "Daher ich gern mit euch mich setzen werde,
  • Wenn’s dieser billigt, denn er leitet mich."
  • Und er: "Ach Sohn, wer weilt von dieser Herde,
  • Darf sich nicht wedeln hundert Jahr hernach
  • Und liegt, die Glut erduldend, auf der Erde.
  • Drum geh, ich folge deinem Tritte nach,
  • Bis wir aufs neu’ zu meiner Rotte kommen,
  • Die weinend geht in Leid und ew’ger Schmach."
  • Gern war’ ich neben ihn hinabgeklommen.
  • Doch wagt’ ich’s nicht und ging, das Haupt geneigt,
  • Wie wer da geht von Ehrfurcht eingenommen,
  • "Du, welcher vor dem Tod herniedersteigt,"
  • Begann er nun, "welch Schicksal führt dein Streben?
  • Und wer ist der, der dir die Pfade zeigt?"
  • "Dort oben," sprach ich, "in dem heitern Leben
  • War ich, eh’ reif mein Alter, ohne Rat
  • Verirrt und rings von einem Tal umgeben.
  • Aus dem ich eben gestern morgens trat.
  • Zurück ins Tal wollt’ ich, da kam mein Leiter
  • Und führt mich wieder heim auf diesem Pfad."
  • Drauf sprach er: "Folgst du deinem Sterne weiter.
  • Dann, wenn ich recht bemerkt im Leben, schafft
  • Er dich zum Hafen, ehrenvoll und heiter.
  • Und hätte mich der Tod nicht weggerafft,
  • Hart’ ich, da dir so hold die Sterne waren,
  • Dich selbst zum Werk gestärkt mit Mut und Kraft.
  • Doch jenem Volk von schnöden, Undankbaren,
  • Das niederstieg von Fiesole und fast
  • Des Bruchsteins Härte noch scheint zu bewahren,
  • Ihm bist du, weil du wacker tust, verhaßt;
  • Mit Recht, weil übel stets zu Dorngewinden
  • Mit herber Frucht die süße Feige paßt.
  • Man heißt sie dort nach altem Ruf die Blinden,
  • Voll Geiz, Neid, Hochmut, faul an Schal’ und Kern--
  • Laß rein dich stets von ihren Sitten finden,
  • So großen Ruhm bewahrt dir noch dein Stern,
  • Daß beide Teile hungrig nach dir ringen,
  • Doch dieses Kraut bleibt ihrem Schnabel fern.
  • Das Fiesolaner Vieh mag sich verschlingen,
  • Sich gegenseits, doch nie berühr’s ein Kraut,
  • Kann noch sein Mist hervor ein solches bringen,
  • In dem man neubelebt den Samen schaut
  • Von jenen Römern, welche dort geblieben.
  • Als man dies Nest der Bosheit auferbaut."
  • "War einst, was ich gewünscht, des Herrn Belieben,"
  • Entgegnet’ ich, "gewiß, ihr wäret nicht
  • Noch aus der menschlichen Natur vertrieben.
  • Das teure, gute Vaterangesicht,
  • Noch seh’ ich’s vor betrübtem Geiste schweben,
  • Noch denk’ ich, wie ihr mich im heitern Licht
  • Gelehrt, wie Menschen ew’gen Ruhm erstreben,
  • Und wie mir dies noch teuer ist und wert,
  • Soll kund, solang’ ich bin, die Zunge geben.
  • Was ihr von meiner Laufbahn mich gelehrt,
  • Bewahr’ ich wohl--Werd’ ich die Herrin schauen
  • Nebst anderm Text wird mir auch dies erklärt.
  • Dem aber, will ich, sollt ihr fest vertrauen:
  • Ist’s nur mit dem Gewissen wohlbestellt,
  • Dann macht kein Schicksal, wie’s auch sei, mir Grauen.
  • Mir ist nicht neu, was eure Red’ enthält.
  • Doch mag der Bauer seine Hacke schwingen
  • Und seinen Kreis das Glück, wie’s ihm gefällt."
  • Rechts kehrte sich Virgil, indem wir gingen,
  • Nach mir zurück und sah mich an und sprach:
  • "Gut hören, die’s behalten und vollbringen."
  • Ich aber ließ drum nicht im Sprechen nach,
  • Und wünschte die berühmtesten zu kennen
  • Von den Genossen dieser Pein und Schmach.
  • Drauf Herr Brunett: "Gut ist es, ein’ge nennen,
  • So wie von andern schweigen löblich scheint,
  • Auch würd’ ich nicht von allen sagen können.
  • Gelehrte sind und Pfaffen hier vereint
  • Von großem Ruf, die einst besudelt waren
  • Mit jenem Fehl, den jeder nun beweint.
  • Franz von Accorso geht in diesen Scharen,
  • Auch Priscian, und war dir’s nicht zu schlecht,
  • Vorhin so schnöden Aussatz zu gewahren,
  • So sahst du jenen, den der Knechte Knecht
  • Zwang, nach Vicenz vom Arno aufzubrechen,
  • Allwo der Tod sein toll Gelüst gerächt.
  • Gern sagt’ ich mehr--doch mit dir gehn und sprechen
  • Darf ich nicht länger, denn schon hebt sich dicht
  • Ein neuer Rauch auf jenen sand’gen Flächen.
  • Auch naht hier Volk, von dem mich das Gericht
  • Geschieden hat--Mein Schatz sei dir empfohlen,
  • Ich leb’ in ihm noch--mehr begehr’ ich nicht."
  • Hier wandt’ er sich, die andern einzuholen,
  • Wie nach dem Ziel mit grünem Tuch geziert.
  • Der Veroneser läuft mit flücht’gen Sohlen,
  • Und schien, wie wer gewinnt, nicht wer verliert
  • Sechzehnter Gesang
  • Ich war am Ort, wo’s widerhallend brauste
  • Vom Wasser, das da stürzt’ ins nächste Tal,
  • Als ob ein Schwarm von Bienen summt’ und sauste;
  • Da rannten Schatten her, drei an der Zahl,
  • Und trennten sich von einer größern Bande,
  • Die hinlief durch des Feuerregens Qual,
  • Und schrien: "Halt du, wir sehn es am Gewande
  • Dir deutlich an, du bist hierher versetzt
  • Aus unserm eignen schnöden Vaterlande."
  • Ach, alt’ und neue Wunden, eingeätzt
  • Von Flammen, sah ich nun in ihrem Fleische,
  • Und noch voll Mitleid denk’ ich ihrer jetzt.
  • Mein Meister horcht’ auf dieses Schmerzgekreische
  • Und sah mich an und sprach: "Hier harren wir!
  • Bedenke jetzt, was Höflichkeit erheische.
  • Denn wäre nicht der Feuerregen hier,
  • Nach der Natur des Orts, so würd’ ich sagen:
  • Die Eile zieme, mehr als ihnen, dir."
  • Ich stand und hörte neu ihr altes Klagen;
  • Zu uns gekommen waren alle nun,
  • Da sah ich sie sich selbst im Kreise jagen.
  • Wie nackende gesalbte Kämpfer tun,
  • Die Griff und Vorteil zu erforschen pflegen,
  • Indessen noch die Püff’ und Stöße ruh’n;
  • So sah ich sie im Kreise sich bewegen,
  • Mir immerdar das Antlitz zugewandt,
  • Und Hals und Fuß an Richtung sich entgegen.
  • Und einer sprach: "Wenn dieser lockre Sand
  • Und unsre Not uns nicht verächtlich machte.
  • Und unsre Haut, so rußig und verbrannt,
  • Dann unser Flehn, ob unsers Rufs, beachte;
  • Sprich, wer bist du? Wie lebend hier erscheinst?
  • Und was dich sicher her zur Hölle brachte?
  • Der, welchem du mich folgen siehst, war einst,
  • Muß er auch nackt hier und geschunden rennen.
  • Von höherm Range wohl, als du vermeinst.
  • Wer hörte nicht Gualdradas Enkel nennen,
  • Den Guidoguerra, dessen Schwert und Geist
  • Wohl Puglia und Florenz als tüchtig kennen?
  • Der hinter mir den lockern Sand durchkreist,
  • Tegghiajo ist’s, des Rat man noch auf Erden,
  • Obwohl man ihm nicht folgt’, als heilsam preist.
  • Ich, ihr Genoss’ in schrecklichen Beschwerden,
  • Bin Jakob Rusticucci, und mich ließ
  • Mein böses, wildes Weib so elend werden."--
  • Wenn irgend was vor’m Feuer Schutz verhieß.
  • So stürzt’ ich gern mich unter sie hernieder,
  • Auch litt, so glaub’ ich, wohl mein Meister dies.
  • Allein verbrannt hätt’ ich auch meine Glieder,
  • Drum unterdrückte Furcht in mir die Lust,
  • Die Jammervollen zu umarmen, wieder.
  • "Nicht der Verachtung bin ich mir bewußt,"
  • Begann ich, "nur des Leids für euch Geplagte,
  • Und schwer verwinden wird es meine Brust.
  • Ich fühlt’ es, als mein Herr mir Worte sagte,
  • Durch welche mir es deutlich ward und klar,
  • Daß, wer hier komme, hoch auf Erden ragte.
  • Ich bin aus eurer Stadt, und nimmerdar
  • Wird eures Tuns ruhmvoll Gedächtnis schwinden,
  • Das immer mir auch lieb und teuer war.
  • Ich lieߒ die Gall, um süße Frucht zu finden,
  • Die mein wahrhafter Führer prophezeit,
  • Doch muß ich erst zum Mittelpunkt mich winden."
  • "Soll lang’ noch deine Seele das Geleit
  • Der Glieder sein," so sprach nun er dagegen,
  • "Soll leuchten noch dein Ruf nach deiner Zeit,
  • So sage mir, bewohnen, wie sie pflegen,
  • Wohl unsre Stadt noch Kraft und Edelmut?
  • Sind sie verbannt und völlig unterlegen?
  • Denn Borsiere, welcher diese Glut
  • Seit kurzem teilt, und dort mit andern schreitet,
  • Erzählt’ uns manches, was uns wehe tut!--"
  • "Neu Volk und schleuniger Gewinn verleitet
  • Zu Unmaß dich und Stolz, der dich betört,
  • Florenz, und dir viel Leiden schon bereitet!"
  • Ich rief’s, das Aug’ emporgewandt, verstört.
  • Starr sah’n die drei sich an bei meinen Reden,
  • Wie man sich anstarrt, wenn man Wahrheit hört.
  • "Wir wünschen Glück, wenn du so wohlfeil jeden
  • Abfert’gen kannst," war aller Gegenwort,
  • "Und dir’s bekommt, nach Herzenslust zu reden.
  • Entkommst du einst aus diesem dunkeln Ort
  • Und siehst den Sternenglanz, den schönen, süßen,
  • Und sagst dann froh und heiter: Ich war dort,
  • Vergiß dann nicht, die Welt von uns zu grüßen!"--
  • Hier aber brachen sie den Kreis und floh’n
  • Voll Eil’ und wie mit Flügeln an den Füßen.
  • Eh’ man ein Amen ausspricht, waren schon
  • Sie alle drei aus meinem Blick verschwunden.
  • Drum ging sogleich mein Meister auch davon.
  • Ich folgt’ ihm nach, um Weitres zu erkunden,
  • Worauf uns bald des Stroms Gebraus erklang,
  • So nah, daß wir uns sprechend kaum verstunden.
  • Gleich jenem Flusse mit dem eignen Gang,
  • Des Fluten ostwärts vom Berg Veso toben.
  • Vom Apennin an seinem linken Hang;
  • Das stille Wasser heißt er erst dort oben,
  • Dann senkt er sich und wird bei Forli bald
  • Des ersten Namens wiederum enthoben--
  • Des Sturz dort ob Sankt Benedikt erschallt.
  • Wo seine Wellen in den Abhang brausen,
  • Der groß für Tausend ist zum Aufenthalt:
  • So brach von einem Felsenhang voll Grausen
  • Der rotgefärbte Fluß sich brüllend Bahn,
  • Und kaum ertrug das Ohr sein wildes Sausen.
  • Mit einem Stricke war ich umgetan,
  • Und manches Mal mit diesem Gurte dachte
  • Ich das gefleckte Panthertier zu seh’n.
  • Nachdem ich los von mir den Gürtel machte,
  • Wie ich vom Führer mir geboten fand,
  • Macht’ ich ein Knäuel draus, das ich ihm brachte.
  • Er aber kehrte dann sich rechter Hand
  • Und schleuderte zum tiefen Felsenschlunde
  • Das Knäul hinunter ziemlich weit vom Rand.
  • "Entsprechend", dacht’ ich, "muß die neue Kunde
  • Dem neuen Wink und diesem Blicke sein,
  • Womit mein Meister schaut zum tiefen Grunde."
  • Stets präge doch der Mensch sich Vorsicht ein
  • Mit solchen, die des Herzens Sinn erspähen,
  • Und nicht sich halten an die Tat allein.
  • Er sprach: "Bald werden wir auftauchen sehen,
  • Was ich erwart’; und das, was du gedacht,
  • Wird deutlich bald vor deinen Blicken stehen."
  • Bei Wahrheit, die der Lüge gleicht, habt acht,
  • Soviel ihr könnt, euch nimmer auszusprechen,
  • Sonst werdet ihr ohn’ eure Schuld verlacht.
  • Doch kann ich mich zu reden nicht entbrechen
  • Und schwör’, o Leser, dir, bei dem Gedicht,
  • Dem nimmer möge Huld und Gunst gebrechen:
  • Ich sah durch jene Lüfte schwarz und dicht
  • Ein Bild, nach oben schwimmend, sich erheben,
  • Dem Kühnsten wohl ein wunderbar Gesicht--
  • Wie jemand kehrt, der sich hinabbegeben.
  • Den Anker, der im Felsenrisse steckt,
  • Zu lösen, wenn er sich beim Aufwärtsstreben
  • Von unten einzieht und nach oben streckt.
  • Siebzehnter Gesang
  • Sieh hier das Untier mit dem spitzen Schwanze,
  • Der Berge spaltet, Mauer bricht und Tor!
  • Sieh, was mit Stank erfüllt das große Ganze!
  • So hob mein Führer seine Stimm’ empor
  • Und rief mit seinem Wink das Tier zum Rande,
  • Bis nah zu unserm Marmorpfade vor.
  • Da kam des Truges Greuelbild zum Lande
  • Und schob den Kopf und dann den Rumpf heran,
  • Doch zog es nicht den scharfen Schweif zum Strande.
  • Von Antlitz glich es einem Biedermann
  • Und ließ von außen Mild’ und Huld gewahren,
  • Doch dann fing die Gestalt des Drachen an.
  • Mit zweien Tatzen, die bedeckt mit Haaren,
  • Und Rücken, Brust und Seiten, die bemalt
  • Mit Knoten und mit kleinen Schnörkeln waren;
  • Vielfarbig, wie kein Werk Arachnes strahlt,
  • Wie, was auch Türk und Tatar je gewoben,
  • So bunt doch nichts an Grund und Muster prahlt.
  • Wie man den Kahn, im Wasser halb, halb oben,
  • Am Lande sieht an unsrer Flüsse Strand,
  • Und wie, zum Kampf den Vorderleib erhoben.
  • Der Biber in der deutschen Fresser Land;
  • So sah ich jetzt das Ungeheuer, ragend
  • Und vorgestreckt auf unsers Dammes Rand,
  • Wild zappelnd, mit dem Schweif durchs Leere schlagend,
  • Und, mit der Skorpionen Wehr versehn,
  • Die Gabel windend und sie aufwärts tragend.
  • Mein Führer sprach: Jetzt müssen wir uns dreh’n
  • Und auf gewundnem Pfad zum Ungeheuer
  • Dorthin, wo’s jetzo liegt, hinuntergehn.
  • Nun führte rechter Hand mich mein Getreuer
  • Nur wenig Schritt’ hinab am Rande fort,
  • Den heißen Sand vermeidend und das Feuer.
  • Und unten angelangt, erkannt’ ich dort
  • Noch etwas vorwärts auf dem Sande Leute,
  • Nah sitzend an des Abgrunds dunklem Bord,
  • Mein Meister sprach: "Erkennen sollst du heute
  • Den ganzen Binnenkreis mit seiner Pein,
  • Drum geh und sieh, was jenes Volk bedeute.
  • Doch kurz nur dürfen deine Worte sein.
  • Ich will indes mich mit dem Tier vernehmen,
  • Den starken Rücken uns zur Fahrt zu leih’n."
  • So mußt’ ich einsam mich zu geh’n bequemen
  • Am Rand des siebenten der Kreis’ und nahm
  • Den Weg zum Sitze der betrübten Schemen.
  • Aus jedem Auge starrte Schmerz und Gram,
  • Indes die Hand, jetzt vor dem heißen Grunde,
  • Jetzt vor dem Dunst dem Leib zu Hilfe kam.
  • So scharren sich zur Sommerzeit die Hunde,
  • Wenn Floh sie oder Flieg’ und Wespe sticht,
  • Jetzt mit dem einen Fuß, jetzt mit dem Munde.
  • Die Augen wandt’ ich manchem ins Gesicht,
  • Der dort im Feuer saß und heißer Asche;
  • Und keinen kannt’ ich, doch entging mir nicht,
  • Vom Halse hänge jedem eine Tasche,
  • Bezeichnet und bemalt, und wie voll Gier
  • Nach diesem Anblick noch ihr Auge hasche.
  • Ich sah, wie ich genaht, ein blaues Tier
  • Auf gelbem Beutel, wie auf einem Schilde,
  • Das schien ein Leu an Kopf und Haltung mir.
  • Dann blickt’ ich weiter durch dies Qualgefilde,
  • Und sieh, ein andrer Beutel, blutigrot,
  • Zeigt’ eine butterweiße Gans im Bilde.
  • Ein blaues Schwein auf weißem Sacke bot
  • Sich dann dem Blick, und seine Stimm’ erheben
  • Hört’ ich den Träger: "Du hier vor dem Tod?
  • Fort! Fort! Doch wisse, weil du noch am Leben
  • Bald findet mir mein Nachbar Vitalian,
  • Zur Linken seinen Sitz, hier gleich daneben.
  • Oft schrei’n mich diese Florentiner an,
  • Mich Paduaner, mir zum größten Schrecken:
  • Möcht’ aller Ritter Ausbund endlich nah’n!
  • Wo mag doch die Dreischnabeltasche stecken?"--
  • Hier zerrt’ er’s Maul schief, und die Zunge zog
  • Er vor, gleich Ochsen, so die Nase lecken.
  • Schon fürchtet’ ich, da ich so lang verzog,
  • Den Zorn des Meisters, der auf Eil’ gedrungen,
  • Daher ich schnell mich wieder rückwärts bog.
  • Auch fand ich, daß er schon sich aufgeschwungen
  • Und auf das Kreuz des Ungetüms gesetzt.
  • Er sprach: "Stark sei dein Mut und unbezwungen!
  • Hinunter geht’s auf solcher Leiter jetzt.
  • Steig vorn nur auf, ich will inmitten sitzen.
  • Daß dich des Schwanzes Stachel nicht verletzt."
  • Wie wer mit totenkalten Fingerspitzen
  • Das Fieber nahen fühlt und doch nicht wagt,
  • Wenn er schon zitternd bebt, sich zu erhitzen,
  • So wurd’ ich jetzt bei dem, was er gesagt,
  • Doch machte mich die Scham, gleich einem Knechte,
  • Wenn ihm ein güt’ger Herr droht, unverzagt.
  • Drum setzt’ ich auf dem Untier mich zurechte.
  • Und bitten wollt’ ich (doch erstarb der Ton),
  • Daß er mich halten und umfassen möchte.
  • Doch er, der oft bei der Dämonen Droh’n
  • Mich unterstützt und der Gefahr entzogen,
  • Umfaßte mich mit seinen Armen schon.
  • Und sprach: "Geryon, auf! Nun fortgeflogen!
  • Allein bedenke, wen dein Rücken trägt,
  • Drum steige sanft hinab in weiten Bogen."
  • Wie rückwärts sich vom Strand der Kahn bewegt,
  • Schob sich’s vom Damm, doch, kaum hinabgeklommen,
  • Ward dann im freien Spielraum umgelegt.
  • Als, wo die Brust war, nun der Schweif gekommen,
  • Ward dieser, wie ein Aalschweif, ausgestreckt,
  • Und mit dem Tatzenpaar die Luft durchschwommen.
  • So, glaub’ ich, war nicht Phaethon erschreckt,
  • Als einst die Zügel seiner Hand entgingen,
  • Beim Himmelsbrand, des Spur man noch entdeckt;
  • Noch Icarus, als von erwärmten Schwingen
  • Das Wachs herniedertroff, bei Dädals Schrei’n:
  • Dein Weg ist schlecht, dein Flug wird nicht gelingen;
  • Wie ich, nichts sehend, als das Tier allein,
  • Und rings umher von öder Luft umfangen,
  • Wo nie entglomm des Lichtes heitrer Schein.
  • Daß wir uns langsam, langsam niederschwangen,
  • Im Bogenflug, bemerkt’ ich nur beim Weh’n
  • Der Luft von unten her an Stirn und Wangen.
  • Rechts hört’ ich schon das Wirbeln und das Dreh’n
  • Des Wasserfalls und sein entsetzlich Brausen,
  • Und bog mich vorwärts, um hinabzusehn.
  • Doch schüchtern wieder bei des Abgrunds Sausen,
  • Bei Klag’ und Glut, die ich vernahm und sah,
  • Duckt’ ich mich hin und zitterte vor Grausen.
  • Was ich erst nicht gesehn, das sah ich da:
  • Wie wir im weiten Kreis hinunterstiegen.
  • Und sah mich überall den Qualen nah--
  • Gleich wie ein Falk, wenn er, nach langem Wiegen
  • In hoher Luft, nicht Raub noch Lockbild steht,
  • Und ihn der Falkner ruft, herabzufliegen,
  • So schnell er stieg, so langsam niederzieht
  • Und, zürnend, wenn der Herr ihn eingeladen,
  • Im Bogenflug zum fernen Sitze flieht;
  • So setzt’ uns an den steilen Felsgestaden
  • Geryon ab und flog in großer Eil’,
  • Sobald er nur sich unsrer Last entladen,
  • Hinweg, gleich einem abgeschnellten Pfeil.
  • Achtzehnter Gesang
  • Ein Ort der Hölle, namens Übelsäcken,
  • ist eisenfarbig, ganz erbaut von Stein,
  • So auch die Dämme, die ringsum ihn decken.
  • Grad’ in der Mitte dieses Lands der Pein
  • Gähnt hohl ein Brunnen, weit, mit tiefem Schlunde.
  • Von dem wird seines Orts die Rede sein.
  • Und zwischen Höhl’ und Felswand gehn im Runde
  • Rings so die Dämme, daß der Täler zehn
  • Abschnitte bilden in dem tiefen Grunde.
  • Wie um ein Schloß mehrfache Gräben gehn.
  • Dahinter wohlverwahrt die Mauern ragen
  • Und sicherer den Feinden widerstehn;
  • So war umgürtet dieser Ort der Plagen;
  • Und wie man Brücken pflegt zum andern Strand
  • Aus solcher festen Schlösser Tor zu schlagen,
  • So sprangen Zacken aus der Felsenwand,
  • Durchschnitten Wäll’ und Gräben erst und gingen.
  • Wie Räderspeichen, bis zum Brunnenrand.
  • Kaum konnten wir vom Kreuz Geryons springen,
  • So ging links hin mein Meister und befahl
  • Auch mir, auf seinen Spuren vorzudringen.
  • Und ganz erfüllt sah ich das erste Tal
  • Rechts, wohin Klagen meine Blicke riefen.
  • Von neuen Peinigern und neuer Qual.
  • Es waren nackte Sünder in den Tiefen,
  • Geteilt, denn hier zog gegen uns die Schar,
  • Und dort mit uns, nur daß sie schneller liefen;
  • Gleichwie man pflegt in Rom beim Jubeljahr
  • Zum Übergang die Brücke herzurichten
  • Ob übergroßen Andrangs, also zwar,
  • Daß hier gewendet sind mit den Gesichten,
  • Die zu Sankt Peter wallen, nach dem Schloß,
  • Die andern dort sich nach dem Berge richten.
  • Auf schwarzem Stein sprang hier und dort ein Troß
  • Von Teufeln nach, von schrecklichen, gehörnten.
  • Die schlugen wild auf sie von hinten los.
  • Wie sie beim ersten Schlage laufen lernten!
  • Wie sie, nicht harrend auf den zweiten Hieb,
  • Mit jähen, langen Sprüngen sich entfernten!
  • So fiel auf einen, den die Geißel trieb,
  • Mein Auge jetzt hinab, bei dem ich dachte,
  • Daß er nicht fremd mir auf der Erde blieb.
  • Scharf blickt’ ich hin, damit ich ihn betrachte,
  • Auch hielt mein Führer an, der’s zugestand,
  • Daß ich zurück erst ein’ge Schritte machte.
  • Zwar sucht’ er, bodenwärts den Blick gewandt,
  • Mir mit Gestalt und Angesicht zu geizen,
  • Doch rief ich, da ich dennoch ihn erkannt:
  • "Wenn deine Züge nicht zum Irrtum reizen,
  • So mein’ ich, daß du Venedigo seist;
  • Doch weshalb steckst du so in scharfen Beizen?"
  • "Nur ungern sag’ ich’s," sprach er drauf, "doch reißt
  • Dein klares Wort mich hin, das mich bezwungen,
  • Weil’s alte Zeit zurückführt meinem Geist.
  • Ich bin’s, der in Ghifolen so gedrungen,
  • Daß sie nach des Markgrafen Willen tat,
  • Wie ganz entstellt auch das Gerücht erklungen.
  • Und aus Bologna ist auf gleichem Pfad
  • An diesen Qualort so viel Volk gekommen,
  • Als jetzo diese Stadt kaum Bürger hat.
  • Und sollte dir hierbei ein Zweifel kommen,
  • So denk’, um sicher auf mein Wort zu bau’n.
  • Wie Habsucht uns die Herzen eingenommen."
  • Sprach’s, und ein Teufel kam, um einzuhau’n,
  • Mit hochgeschwungner Geißel her und sagte:
  • "Fort, Kuppler, fort, hier gibt’s nicht feile Frau’n."
  • Zum Führer ging ich, da ich bebt’ und zagte,
  • Und bald gelangten wir an einen Ort,
  • Wo aus der Wand ein Felsen vorwärts ragte.
  • Und dieser Zacken dient’ als Brücke dort;
  • Leicht klommen beide wir hinauf und zogen
  • Rechts hin aus jenen ew’gen Kreisen fort.
  • Bald dort, wo unter uns der Fels als Bogen
  • Sich höhlt’ und Durchgang der Gepeitschten war,
  • Sprach er: "In gleicher Richtung fortgezogen,
  • Sind wir bis jetzt mit jener zweiten Schar,
  • Drum konnten wir sie nicht von vorne sehen.
  • ietzt aber nimm die Angesichter wahr."
  • Wir blieben nun am Rand der Brücke stehen
  • Und sah’n den Schwarm, der uns entgegensprang,
  • Denn eilig hieß die Geißel alle gehen.
  • Da sprach mein Hort: "Sieh, noch mit Stolz im Gang,
  • Den Großen, der sich keine Klag’ erlaubte,
  • Dem aller Schmerz noch keine Trän’ entrang.
  • So königlich noch an Gestalt und Haupte!
  • Der Jason ist’s, der durch Verstand und Mut
  • Das Widdervlies dem Volk von Kolchis raubte.
  • Nach Lemnos kam er, als in ihrer Wut
  • Die Frau’n, die glühend Eifersucht durchzuckte,
  • Vergossen hatten aller Männer Blut;
  • Wo er durch Worte, täuschend ausgeschmückte.
  • Berückt Hypsipylen, das junge Herz,
  • Die alle Frau’n von Lemnos erst berückte.
  • Dort ließ er schwanger sie in ihrem Schmerz.
  • Dies bracht’ ihn her; und gleiche Straf’ erheischen
  • Medeas Leiden, einst ihm Spiel und Scherz--
  • Auch gehn mit ihm, die gleicherweise tauschen.
  • Allein dies sei vorn ersten Tal genug
  • Und denen, so die Geißeln drin zerfleischen."
  • Im Kreuz den zweiten Damm durchschneidend, trug
  • Der Felspfad uns, der, auf den Widerlagen
  • Der Dämme, hier den andern Bogen schlug.
  • Dort, aus dem zweiten Sack, klang dumpfes Klagen,
  • Und Leute sah’n wir tief im Grunde sich
  • Laut schnaufend mit den flachen Händen schlagen.
  • Der Dämme Seiten waren schimmelig
  • Vom untern Dunste, der wie Teig dort klebte.
  • Für Aug’ und Nase feindlich widerlich.
  • Doch vor dem Blick, so sehr ich forschte, schwebte;
  • Noch dunkle Nacht, weil tief der Abgrund ist,
  • Bis ich des Felsenbogens Höh’ erstrebte.
  • Von hier, wo erst der Blick die Tiefe mißt.
  • Sah ich viel Leut in tiefem Kote stecken,
  • Und, wie mir’s vorkam, war es Menschenmist.
  • Ich forscht’ und sah ein Haupt sich vorwärts strecken,
  • Doch ganz beschmutzt mit Kot, drum könnt’ ich nicht,
  • Ob’s Lai’, ob Pfaffe sei, genau entdecken.
  • Da schrie er her: "Was bist du so erpicht,
  • Mich mehr als andre Schmutz’ge zu gewahren?"
  • Und ich: "Weil, ist mir recht, ich dein Gesicht
  • Bereits gesehm, allein mit trocknen Haaren.
  • Alex, Interminei heißest du,
  • Drum seh’ ich mehr auf dich als jene Scharen."
  • Und er, die Stirn sich schlagend, rief mir zu:
  • "Mich stürzte Schmeichelei herab zur Hölle,
  • Die ich dort übte sonder Rast und Ruh’."
  • Da sprach zu mir mein guter Meister: "Stelle
  • Dich etwas vor, und in die Augen fällt
  • Dir eine schmutz’ge Dirn’ an jener Stelle.
  • Sieh die Zerzauste, die sich kratzt und krellt
  • Mit kot’gen Nägeln, jetzt aufs neue greulich
  • im Mist versinkt und jetzt sich aufrecht stellt,
  • Die Hure Thais ist’s, jetzt so abscheulich.
  • Fragt’ einst ihr Buhl: "Steh’ ich in Gunst bei dir?"
  • Versetzte sie: "Ei, ganz erstaunlich! Freilich!"
  • Doch sei gesättigt unsre Schaulust hier.
  • Neunzehnter Gesang
  • Simon Magus, ihr, o Arme, Blöde,
  • Die, was der Tugend ihr vermählen sollt.
  • Die Dinge Gottes, räuberisch und schnöde,
  • Ihr euch erbuhlt durch Silber und durch Gold,
  • Von euch soll jetzo die Posaun’ erschallen;
  • Euch zahlt der dritte Sack der Sünden Sold.
  • Erstiegen hatten wir die Felsenhallen
  • Des Stegs, von welchem mitten in den Schoß
  • Des nächsten Schlunds die Blicke senkrecht fallen.
  • Allweisheit, wie ist deine Kunst so groß
  • Im Himmel, auf der Erd’, im Höllenschlunde,
  • Und wie gerecht verteilst du jedes Los!
  • Ich sah dort an den Seiten und im Grunde
  • Viel Löcher im schwarzbläulichen Gestein,
  • Gleich weit und sämtlich ausgehöhlt zum Runde.
  • Sie mochten so, wie jene, wo hinein
  • Beim Taufstein Sankt Johanns die Täufer treten,
  • Und enger nicht, doch auch nicht weiter sein.
  • Eins dieser sprengt’ ich einst, weil ich in Nöten
  • Ein halbersticktes Kindlein drin entdeckt;
  • So sei’s besiegelt, so will ich’s vertreten;
  • Ich sah, daß sich, aus jedem Loch gestreckt,
  • Zwei Füߒ und Beine bis zum Dicken fanden,
  • Der andre Leib blieb innerhalb versteckt;
  • Sah, wie die Sohlen beid’ in Flammen standen,
  • Und sah die Knorren zappeln und sich dreh’n
  • So stark, daß sie wohl sprengten Kett’ und Banden.
  • Wie wir’s an ölgetränkten Dingen sehn,
  • Wo obenhin die Flammen flackernd rennen,
  • So von der Ferse dort bis zu den Zeh’n.
  • "Gern, Meister," sprach ich, "möcht’ ich diesen kennen.
  • Der wilder zuckt als die, so ihm gesellt,
  • Und dessen beide Sohlen röter brennen."
  • Und er: "Ich trage dich, wenn dir’s gefällt,
  • Arn schiefen Hang hinab--er wird dir zeigen,
  • Wer einst er war, und was im Loch ihn hält."
  • Drauf ich: "Du bist der Herr, und mein Bezeigen
  • Folgt dem gern, was mir als dein Wille kund,
  • Und du verstehst mich auch bei meinem Schweigen."
  • Drauf ging’s zum vierten Damm, und links zum Schlund
  • Trug mich mein Herr hinab zu neuen Leiden
  • In den durchlöcherten und engen Grund.
  • Er ließ mich nicht von seiner Hüfte scheiden,
  • Auf die er mich gesetzt, bis bei dem Ort
  • Des, der da weinte mit den Füßen beiden.
  • "Du, mit dem Obern unten," sprach ich dort,
  • "Hier eingerammt gleich einem Pfahl, verkünde:
  • Wer bist du? Sprich, ist dir vergönnt dies Wort."
  • Ich stand, dem Pfaffen gleich, dem seine Sünde
  • Der Mörder beichtet, welcher, schon im Loch,
  • Ihn rückruft, daß der Tod noch Aufschub finde.
  • Da schrie er: "Bonifaz, so kommst du doch,
  • So kommst du doch schon jetzt, mich fortzusenden?
  • Und man versprach dir manche Jahre noch?
  • Schon satt des Guts, ob des mit frechen Händen
  • Du trügerisch die schöne Frau geraubt,
  • Um ungescheut und frevelnd sie zu schänden?"
  • Ich stand verlegen, mit gesenktem Haupt,
  • Wie wer nicht recht versteht, was er vernommen.
  • Und sich beschämt kein Gegenwort erlaubt.
  • Da sprach Virgil: "Was stehst du so beklommen?
  • Sag’ ihm geschwind, daß du nicht jener seist,
  • Den er gemeint!"--Ich eilt’, ihm nachzukommen.
  • Die Fuße nun verdrehte wild der Geist
  • Und sprach mit Seufzern und mit dumpfen Klagen:
  • "Was also ist’s, das so dich fragen heißt?
  • Doch standest du nicht an, dich herzuwagen.
  • Um mich zu kennen, wohl, so sag’ ich dir,
  • Daß ich den großen Mantel einst getragen.
  • Der Bärin wahrer Sohn war ich, voll Gier
  • Fürs Wohl der Bärlein, und für diese steckte
  • Ich in den Sack dort Gold, mich selber hier.
  • Auch unter meinem Haupt gibt’s viel Versteckte.
  • Dort, durchgepreßt durch einen Felsenspalt,
  • Sind, die vor mir die Simonie befleckte.
  • Und dort hinab versink’ auch ich, sobald
  • Der kommt, für welchen ich dich angesehen.
  • Und der mir folgt in diesem Aufenthalt;
  • Doch wird er nicht so lang, als mir geschehen,
  • Die Füße brennend, köpflings eingesteckt,
  • Fest eingepfählt in diesem Loche stehen.
  • Denn nach ihm kommt, zu schlechter’m Werk erweckt,
  • Ein Hirt vom Westen, ein gesetzlos Wesen,
  • Das, wie sich ziemt, mich und auch ihn bedeckt.
  • Ein neuer Jason ist’s, von dem zu lesen
  • Im Makkabäerbuch, dem Philipp wird.
  • Was diesem einst Antiochus
  • Ich weiß nicht, ob ich nicht zu sehr geirrt,
  • Auf solche Red’ ihm dieses zu versetzen:
  • "Sprich, was verlangt’ einst unser Herr und Hirt,
  • Zuerst von Petrus wohl an Gold und Schätzen,
  • Um ihm das Amt der Schlüssel zu verleih’n?"
  • Komm, sprach er, um mein Werk nun fortzusetzen
  • Was trug’s dem Petrus und den andern ein.
  • Als man durch Los einst den Matthias kürte
  • Statt dessen, der ein Raub ward ew’ger Pein?
  • Nichts ward dir hier, als das, was sich gebührte;
  • Betrachte nur das schlechterworbne Geld,
  • Das gegen Karl’n zur Kühnheit dich verführte.
  • Und nur weil Ehrfurcht meine Zunge hält
  • Für jene Schlüssel, die du einst getragen,
  • Da du gewandelt in der heitern Welt,
  • Enthalt’ ich mich, dir Schlimmeres zu sagen:
  • Daß schlecht die Welt durch eure Habsucht ist.
  • Die Guten sanken und die Schlechten ragen.
  • Euch Hirten meinte der Evangelist
  • Bei ihr, die sitzend auf den Wasserwogen
  • Mit Königen zu huren sich vermißt.
  • Sie, mit den sieben Häuptern auferzogen,
  • Sie hatt’ in zehen Hörnern Kraft und Macht,
  • Solang der Tugend ihr Gemahl gewogen.
  • Eu’r Gott ist Gold und Silber, Glanz und Pracht.
  • Wohl besser sind die, so an Götzen hangen,
  • Die einen haben, wo ihr hundert macht.
  • Welch Unheil, Konstantin, ist aufgegangen,
  • Nicht, weil du dich bekehrt, nein, weil das Gut
  • Der erste reiche Papst von dir empfangen!"
  • Indes ich also sprach mit keckem Mut,
  • Da, sei’s daß Zorn ihn, daß ihn Reue nagte.
  • Verdreht er beide Bein’ in großer Wut.
  • Doch schien’s, daß es dem Führer wohlbehagte;
  • So stand er dort, zufrieden, aufmerksam.
  • Als ich so nachdrucksvoll die Wahrheit sagte;
  • Worauf er mich mit beiden Armen nahm,
  • Und als er mich an seine Brust gewunden,
  • Den Weg zurückestieg, auf dem er kam.
  • Er trug, nie matt, wie fest er mich umwunden.
  • Mich auf des Bogens Höhe sonder Rast,
  • Durch den der viert’ und fünfte Damm verbunden.
  • Dort setzt’ er sanft zu Boden meine Last,
  • Sanft, ob der Fels auch, steil emporgeschossen,
  • Zum Wege kaum für eine Ziege paßt;
  • Da ward ein andres Tal mir aufgeschlossen.
  • Zwanzigster Gesang
  • Die neue Qual, zu der ich jetzt gewandelt.
  • Sie gibt dem zwanzigsten Gesange Stoff
  • Des ersten Lieds, das von Verdammten handelt.
  • Ich stand auf jenem Felsen rauh und schroff
  • Und spähte scharf hinab zum offnen Schlunde,
  • Der ganz von angsterpreßten Zähren troff.
  • Viel Leute gingen langsam in der Runde,
  • So, wie ein Wallfahrtszug die Schritte lenkt.
  • Stillschweigend, weinend in dem tiefen Grunde.
  • Als tiefer ich auf sie den Blick gesenkt,
  • Sah ich--ein Wunder scheint es und erdichtet--
  • Vorn Kinn sie bis zum Achselbein verrenkt,
  • Das Angesicht zum Rücken hin gerichtet;
  • Drum mußten sie gezwungen rückwärts gehn,
  • Und ihnen war das Vorwärtsschau’n vernichtet.
  • So soll der Fallsucht Krampf das Haupt verdreh’n,
  • Wie man erzählt in wunderlichen Sagen,
  • Doch glaub’ ich’s nicht, da ich es nie gesehn.
  • Läßt Gott dein Lesen, Leser, Früchte tragen,
  • So frage selber dich, wie mir geschah,
  • Ob ich nicht weinen mußt’ und ganz verzagen,
  • Als ich des Menschen Ebenbild so nah
  • Verrenkt, verdreht und von der Augen Tränen
  • Genetzt den Spalt der Hinterbacken sah?
  • Wahr ist’s, auf eine von den Felsenlehnen
  • Stand ich gestützt und weinte ganz verzagt;
  • Da sprach mein Herr: "Willst du, gleich Toren, wähnen?
  • Fromm ist nur, wer das Mitleid hier versagt.
  • Wer ist verruchter wohl, als wer zu schmähen
  • Durch sein Bedauern Gottes Urteil wagt?
  • Empor das Haupt, empor! Den wirst du sehen,
  • Den einst vor Thebens Blick der Grund verschlang;
  • Drob alle schrien: Wohin? Was ist geschehen?
  • Amphiaraus, wird der Kampf zu lang?--
  • Doch stürzt’ er fort und fort im tiefen Schachte,
  • Bis Minos ihn, gleich anderm Volk, bezwang.
  • Schau’, wie er ihm die Brust zum Rücken machte!
  • Schau’, wie er rückwärts schreitet, rückwärts steht,
  • Weil er zu weit voraus zu sehen dachte.
  • Tiresias sieh, der uns entgegenzieht.
  • Er, erst ein Mann, ward durch des Zaubers Gabe
  • Verwandelt in ein Weib an jedem Glied.
  • Dann aber schlug er mit dem Zauberstabe
  • Zuvor auf zwei verwundne Schlangen ein,
  • Damit er wieder Mannsgestaltung habe.
  • Den Rücken ihm am Bauch, kommt hinterdrein,
  • Nah angedrängt an ihn, des Aruns Schatte,
  • Der lebend einst in Lunis Felsenreih’n
  • Als Haus die weiße Marmorhöhle hatte,
  • Wohl ausgesucht, daß sie zum Meeresstrand
  • Und zu den Sternen freien Blick gestatte.--
  • Die mit den wilden Haaren ohne Band
  • Die Brüste deckt, die sich nach hinten kehren,
  • Was sonst behaart ist, hinterwärts gewandt.
  • War Manto, die in Ländern und auf Meeren
  • Umirrte bis zum Ort, der mich gebar.
  • Von dieser will ich näher dich belehren.
  • Nachdem der Welt entrückt ihr Vater war
  • Und Bacchus’ Stadt verfiel in Sklavenbande,
  • Durchstreifte sie die Welt so manches Jahr.
  • Ein See liegt an des schönen Welschlands Rande,
  • Am Fuß des Alpgebirgs, das Deutschland schließt,
  • Benaco heißend, beim Tiroler Lande.
  • Zwischen Camonica und Gard’ ergießt,
  • Und Apennin, sich Flut in tausend Bächen,
  • Die in besagtem See zusammenfließt.
  • Inmitten aber liegen ebne Flächen,
  • Und drei verschiedne Hirten könnten dort
  • Auf einem Grenzpunkt ihren Segen sprechen.
  • Hier liegt Peschiera dann, ein starker Ort
  • Um Bergamo von Brescia abzuschneiden,
  • Und rings geht flacher dann die Gegend fort.
  • Hier muß sich von dem See das Wasser scheiden,
  • Das nicht mehr Raum in seinem Schoß gewinnt,
  • Und strömt als Fluß herab durch grüne Weiden.
  • Das Wasser, das hier seinen Lauf beginnt,
  • Heißt Mincio nun, und seine Wellen gleiten
  • Bis nach Governo, wo’s im Po verrinnt.
  • Nicht weit gelaufen, trifft es ebne Weiten,
  • Wo es sich ausdehnt und zum Sumpfe staut,
  • Der bösen Dunst verhaucht zu Sommerszeiten.
  • Als dort das rauhe Weib ein Land erschaut,
  • Das jenes Sumpfes Wogen rings umgaben.
  • Entblößt von Leuten und unangebaut,
  • Da blieb, um nichts von Menschen nah zu haben.
  • Sie mit den Dienern da, trieb Zauberei
  • Und lebt’ und ward in diesem Land begraben.
  • Bald kamen Menschen, rings zerstreut, herbei.
  • Die, weil sie sich auf diesen Ort verließen,
  • Und sah’n, daß durch das Moor kein Zugang sei,
  • Sich auf dem Grabe Mantos niederließen,
  • Und dann nach ihr, die erst den Ort erwählt,
  • Die Stadt, ohn’ andres Zeichen, Mantua hießen.
  • Sie hat vordem des Volkes mehr gezählt,
  • Eh’ Pinamont, den Toren zu betrügen.
  • Dem Cassalodi seinen Trug verhehlt.
  • Drum merke wohl, und sollt’ es ja sich fügen,
  • Daß Mantuas Ursprung man nicht so erklärt,
  • So laß der Wahrheit nichts entzieh’n durch Lügen."
  • Und ich: "Mein Meister, was dein Wort mich lehrt.
  • Ist mir gewiß und dient zu meinem Frommen,
  • All andres ist nur tote Kohl’ an Wert.
  • Doch sprich, von diesen, die uns näher kommen,
  • Ist irgend wer bemerkenswerter Art?
  • Denn dies nur hat den Geist mir eingenommen."
  • Und er: "Des Augurs Trug hat der, des Bart
  • Die braunen Schultern deckt, zur Zeit getrieben,
  • Als Griechenland so leer an Männern ward,
  • Daß Knaben kaum noch für die Wiegen blieben.
  • In Aulis sagt’ er da mit Kalchas wahr,
  • Zeit sei’s, daß sie das erste Tau zerhieben.
  • Kund tut mein tragisch Lied dir, wer er war.
  • Du wirst dich des Eurypylus entsinnen,
  • Denn mein Gedicht ja kennst du ganz und gar.
  • Sieh Michael Scotto auch, den magern, dünnen.
  • Der jeden Trug des Zaubers klug gelenkt
  • Und solches Spiel verstanden zu gewinnen.
  • Bonatti sieh--Asdent, den’s jetzo kränkt.
  • Allein zu spät, daß er in eitlem Trachten
  • Dort nicht auf seinen Leisten sich beschränkt.
  • Sich Vetteln, die statt Spill’ und Rad zu achten
  • Und Weberschiff, wie’s einem Weib gebührt,
  • Mit Kraut und Bildern Hexereien machten.
  • Jetzt komm! Indes ich dich hierher geführt,
  • Hat an der Grenze beider Hemisphären
  • Der Mond im Westen schon die Flut berührt.
  • Du sahst ihn gestern völlig sich erklären
  • Und sahst ihn dir im dichtverwachsnen Wald
  • Verschiedne Mal’ willkommnes Licht gewähren."
  • Er sprach’s, doch gingen wir ohn’ Aufenthalt.
  • Einundzwanzigster Gesang
  • So ging’s von Brück’ auf Brück’, in manchem Wort,
  • Das ich zu sagen nicht für nötig halte;
  • Und oben, an des Bogens höchstem Ort,
  • Verweilten wir ob einer neuen Spalte
  • Und hörten draus den eitlen Laut der Qual
  • Und sah’n, wie unten tiefes Dunkel walte.
  • Gleich wie man in Venedigs Arsenal
  • Das Pech im Winter sieht aufsiedend wogen,
  • Womit das lecke Schiff, das manches Mal
  • Bereits bei Sturmgetos das Meer durchzogen,
  • Kalfatert wird--da stopft nun der in Eil
  • Mit Werg die Löcher aus am Seitenbogen,
  • Der klopft am Vorder-, der am Hinterteil
  • Der ist bemüht, die Segel auszuflicken,
  • Der bessert Ruder aus, der dreht ein Seil;
  • So ist ein See von Pech dort zu erblicken,
  • Das kocht durch Gottes Kunst, und nicht durch Glut,
  • Des Dünste sich am Strand zum Leim verdicken.
  • Ich sah den See, doch nichts in seiner Flut,
  • Die jetzt sich senkt’ und jetzt sich wieder blähte.
  • Als Blasen, ausgehaucht vom regen Sud.
  • Indes ich scharfen Blicks hinunterspähte,
  • Zog mich, indem er rief: "Hab’ acht! Hab’ acht!"
  • Mein Meister zu sich hin von meiner Stätte.
  • Da wandt’ ich mich, gleich einem, den mit Macht
  • Die Neugier zieht, das Schreckliche zu sehen,
  • Und der, da jähe Furcht ihn schaudern macht,
  • Doch, um zu schau’n, nicht zögert, fortzugehen.
  • Und sieh, ein rabenschwarzer Teufel sprang
  • Uns hinterdrein auf jenen Felsenhöhen.
  • Ach, wie sein Ansehn mich mit Graus durchdrang,
  • Wie wild er schien, wie froh in andrer Schaden!
  • Gespreizt die Schwingen, leicht und schnell den Gang,
  • Kam er, die Schultern hoch gespitzt, beladen
  • Mit einem Sünder her, der oben ritt,
  • Und mit den Klauen packt’ er seine Waden.
  • "Von Lucca bring’ ich einen Ratsherrn mit"--
  • Schrie er, "auf, taucht ihn unter, Grimmetatzen!
  • Und jene Stadt ist wohlversehn damit,
  • Drum hol’ ich gleich noch mehr von solchen Fratzen.
  • Gauner sind alle dort, nur nicht Bontur,
  • Und machen Ja aus Nein für blanke Batzen."
  • Hinunterwarf er noch den Sünder nur,
  • Und rannte gleich zurück in solcher Eile,
  • Wie je der Hofhund nach dem Diebe fuhr.
  • Der Sünder sank, doch hob sich sonder Weile,
  • Da schrien die Teufel unten: "Fort mit dir,
  • Hier dient kein Heil’genbild zu deinem Heile.
  • Ganz anders als in Serchio schwimmt man hier.
  • Und sollen dich nicht unsre Haken packen.
  • So bleib im Peche nur, sonst fassen wir."
  • Gleich stießen sie mit tausend scharfen Zacken
  • Und schrien: "Dein Tänzchen mache hier versteckt.
  • Such’ unten einem etwas abzuzwacken."
  • Nicht anders macht’s ein Koch, wenn er entdeckt.
  • Das Fleisch im Kessel komm’ emporgeschwommen,
  • Und schnell es mit dem Haken untersteckt.
  • Virgil sprach: "Geh, eh’ sie dich wahrgenommen.
  • Und ducke dich bei jener Felsenbank;
  • Durch diese wirst du ein’gen Schirm bekommen.
  • Mir ist das Ding nicht fremd, drum bleibe frank
  • Von jeder Furcht, was man mir auch erzeige.
  • Denn früher war ich schon in solchem Zank."
  • Dann ging er jenseits auf dem Felsensteige,
  • Und wie er hingelangt zum sechsten Strand,
  • Tat’s not ihm, daß er sichre Stirne zeige.
  • Denn wie in Sturm und Wut hervorgerannt,
  • Die Haushund’ auf den armen Bettler fallen.
  • Wenn er am Haus, laut flehend, stillestand;
  • So stürzten jen’ aus dunkeln Felsenhallen
  • Und streckten all auf ihn die Haken hin,
  • Er aber schrie: "Zurück jetzt mit euch allen.
  • Mich anzuhaken habt ihr wohl im Sinn?
  • Doch tret erst einer vor, um mich zu sprechen,
  • Und dann bedenkt, ob ich zu packen bin."
  • "Geh vor denn, Stachelschwanz." So schrien die Frechen,
  • Und einer kam, die andern blieben stehn--
  • Und fragte, wie er wag’, hier einzubrechen?
  • "Wie", sprach mein Meister, "würdest du mich sehn.
  • Wie würd’ ich wagen, je hier einzudringen,
  • War’ ich auch sicher, euch zu wiederstehn,
  • Wenn’s Gott und Schicksal also nicht verhingen?
  • Drum laß mich zieh’n, der Himmel will, ich soll
  • Als Führer einen durch die Hölle bringen."
  • Der Haken fiel, da dieses Wort erscholl,
  • Ihm aus der Hand, so hatt’ ihn Furcht durchschauert.
  • "Gesellen," rief er aus, "laßt euren Groll!"
  • "Du, der dort zwischen Felsenstücken kauert,"
  • Rief nun mein Meister, "eile zu mir her,
  • Da jetzt kein Feind mehr auf dem Wege lauert."
  • Und vorwärts trat ich und kam schnell daher,
  • Doch sah ich vorwärts auch die Teufel fahren,
  • Als gelte nichts die Übereinkunft mehr;
  • Und war voll Schrecken, wie Capronas Scharen,
  • Die, dem Vertrag zum Trotz, dem Tode nah.
  • Als sie die Festung übergeben, waren.
  • Fest drängt’ ich mich an meinen Führer da
  • Und hielt den Blick gespannt auf ihre Mienen,
  • Aus denen ich nichts Gutes mir ersah.
  • Und diese Rede hört’ ich zwischen ihnen:
  • "Den Haken ihm ins Kreuz? Was meinst du? Sprich!"
  • Der andre: "Ja, du magst ihn nur bedienen!"
  • Doch jener Geist, der mit dem Meister sich
  • Besprochen, wandte schleunig sich zurücke
  • Und rief: "Still, Raufbold, ruhig halte dich."
  • Und dann zu uns: "Auf diesem Felsenstücke
  • Kommt ihr nicht weiter, denn im tiefen Grund
  • Liegt längst zertrümmert schon die sechste Brücke.
  • Und wollt ihr fort, geht oben, längs dem Schlund,
  • Dann seht ihr vorwärts einen Felsen ragen
  • Und kommt darauf bis zu dem nächsten Rund.
  • Denn gestern, um euch alles anzusagen,
  • War’s just zwölfhundertsechsundsechzig Jahr,
  • Seit jenen Weg ein Erdenstoß zerschlagen.
  • Dorthin entsend’ ich ein’ge meiner Schar,
  • Um Sündern, die sich lüften, nachzuspüren;
  • Mit ihnen geht und fürchtet nicht Gefahr.
  • Auf, ihr Gesellen, jetzt, euch frisch zu rühren;
  • Eistreter, Senkflug, Bluthund, kommt heran,
  • Du, Sträubebart, sollst alle zehen führen.
  • Auf, Drachenblut, Kratzkrall’ und Eberzahn,
  • Scharfhaker, und auch du, Grimmrot der Tolle,
  • Und Firlefanz, schickt euch zum Wandern an.
  • Schaut, wer etwa im Pech auftauchen wolle,
  • Doch wißt, daß dieses Paar in Sicherheit
  • Bis zu der nächsten Brücke reisen solle."
  • "Ach, guter Meister," rief ich, "welch Geleit?
  • Ich, meinerseits, ich will es gern entbehren,
  • Und bin mit dir allein zu gehn bereit.
  • Sieh nur, wie sie vor Grimm im Innern gären,
  • Wie sie die Zähne fletschen und mit Droh’n
  • Nach uns die tiefgezognen Brauen kehren."
  • Und er zu mir: "Nicht fürchte dich, mein Sohn,
  • Laß sie nur fletschen ganz nach Gutbedünken,
  • Sie tun dies nur zu der Verdammten Hohn"
  • Sie schwenkten dann sich auf den Damm zur Linken,
  • Nachdem vorher die Zunge jeder wies,
  • Hervorgestreckt, dem Hauptmann zuzuwinken,
  • Der mit dem hintern Mund zum Abmarsch blies.
  • Zweiundzwanzigster Gesang
  • Schon sah ich Reiter aus dem Lager zieh’n,
  • Die Must’rung machen, in die Feinde brechen,
  • Auch wohl sich schwenken und zurückeflieh’n;
  • Von Streifpartei’n sah ich in euren Flächen,
  • Ihr Aretiner, einst euch hart bedroh’n;
  • Sah Festturnier und große Lanzenstechen;
  • Drommeten hört’ ich, Trommeln, Glockenton,
  • Sah Rauch und Feuer auch als Kriegeszeichen,
  • Und fremd’ und heimische Signale schon;
  • Doch nimmer hieß ein Tonwerkzeug, dergleichen
  • Ich hier gehört, das Volk zu Roß und Fuß,
  • Zu Land und Meer, noch vorgehn oder weichen.
  • Mit zehen Teufeln ging ich, voll Verdruß,
  • Doch wußt’ ich, daß man Säufer in den Schenken
  • Und Beter in den Kirchen suchen muß,
  • Auch war aufs Pech gerichtet all mein Denken,
  • Um ganz des Orts Bewandtnis zu erspäh’n.
  • Und welche Leut’ in diese Glut versänken.
  • Wie die Delphine, die vor Sturmesweh’n
  • Mit den gebognen Rücken oft verkünden,
  • Zeit sei’s, sich mit den Schiffen vorzusehn;
  • So, um Erleichterung der Qual zu finden,
  • Taucht’ oft ein Sünderrücken auf und schwand
  • Im Peche dann so schnell, wie Blitze schwinden.
  • Und wie die Frösch’ an eines Grabens Rand
  • Mit Beinen, Bauch und Brust im Wasser stecken,
  • Die Schnauzen nur nach außen hingewandt;
  • So sah man jen’ hervor die Mäuler strecken,
  • Allein, wenn sie den Sträubebart erschaut,
  • Sich schleunig in dem heißen Pech verstecken.
  • Ich sah, und jetzt noch schaudert mir die Haut,
  • Nur einen harren, wie, wenn all entsprangen.
  • Ein einzler Frosch noch aus dem Pfuhle schaut.
  • Kratzkralle, der am weitsten vorgegangen,
  • Schlug ihm den Haken ins bepichte Haar
  • Und zog ihn auf, Fischottern gleich, gefangen.
  • Ich wußte schon, wie jedes Name war
  • Von ihrer Wahl und, daß mir nichts entfalle.
  • Nahm ich der Namen dann im Sprechen wahr.
  • "Frisch, Grimmrot, mit den scharfen Klauen falle
  • Auf diesen Wicht und zieht ihm ab das Fell."
  • So schrien zusammen die Verfluchten alle.
  • Und ich: "Mein Meister, o erforsche schnell,
  • Wer hier in seiner Feinde Hand gerate?
  • Wer ist wohl der unselige Gesell?"
  • Worauf mein Führer seiner Seite nahte,
  • Ihn fragend, wer er sei, wo sein Geschlecht?
  • "Ich bin gebürtig aus Navarras Staate.
  • Die Mutter gab mich einem Herrn zum Knecht,
  • Weil sie von einem Prasser mich geboren,
  • Der all sein Gut und auch sich selbst verzecht.
  • Zum Freunde dann vom Theobald erkoren,
  • Dem guten König, trieb ich Gaunerei.
  • Jetzt leg’ ich Rechnung ab in diesen Mooren."
  • Und Eberzahn, aus dessen Munde zwei
  • Hauzähne ragten, wie aus Schweinefratzen,
  • Bewies ihm jetzt, wie scharf der eine sei.
  • Die Maus war in den Krallen arger Katzen,
  • Doch Sträubebart umarmt’ ihn fest und dicht
  • Und rief: "Ich halt’ ihn, fort mit euren Tatzen."
  • Und zu dem Meister kehrt’ er das Gesicht.
  • "Willst du, bevor die andern ihn zerreißen,
  • Noch etwas fragen, wohl, so zaudre nicht."
  • Mein Führer: "Sprich, wie andre Sünder heißen,
  • Dort unterm Pech? Sind auch Lateiner da?"
  • Und jener sprach: "Mir war dort in der heißen
  • Pechflut vor kurzer Zeit noch einer nah!
  • Was mußt ich doch darüber mich erheben,
  • Da ich dort nichts von Klau’n und Haken sah!"
  • "Wir haben’s schon zu lange zugegeben!"
  • Scharfhaker schrie’s und hakt auf ihn hinein,
  • Auch blieb ein Stück vom Arm am Haken kleben.
  • Schon zielte Drachenblut ihm nach dem Bein,
  • Allein der Hauptmann blickt’ auf seine Scharen
  • Im Kreis herum und schien ergrimmt zu sein.
  • Da wandte sich, sobald sie stille waren,
  • Mein Herr zu ihm, der auf sein wundes Glied
  • Herniedersah, um mehr noch zu erfahren.
  • "Wer ist’s, von dem dein Mißgeschick dich schied,
  • Als du dich nach der Oberfläch’ erhoben?"--
  • "Der von Gallura ist’s, der Mönch Gomit.
  • Im Trug bestand er all und jede Proben,
  • Des Herrschers Feinde hielt er im Verlies
  • Und tat mit ihnen, was sie alle loben,
  • Geld nahm er, wie er selber sagt, und ließ
  • Sie sachte zieh’n, er, der in Amt und Ehren
  • Sich sonst als Schelm nicht klein, nein groß erwies.
  • Viel pflegt’ mit ihm Herr Zanche zu verkehren
  • Von Logodor--sie schwatzen immerfort.
  • Als ob sie jetzt noch in Sardinien wären.
  • Ach, Seht, wie fletscht die Zähne jener dort!
  • Gern sprach’ ich mehr, doch würd’ er mich kuranzen!
  • Er droht ja wütend schon bei jedem Wort."
  • Doch Sträubebart, gewandt zu Firlefanzen,
  • Des Auge grimmig glotzte, schalt ihn sehr:
  • "Verdammter Vogel, wirst du rückwärts tanzen?"
  • "Willst du," begann der bange Wicht nunmehr,
  • "Willst du Toskaner und Lombarden sehen?
  • Ich schaffe sie dir nach Belieben her,
  • Wenn nur die Grimmetatzen ferne stehen.
  • Und deren Rache sie nicht zittern macht.
  • Und ich, ich will nicht von der Stelle gehen,
  • Und locke doch dir leicht statt eines acht,
  • Sobald ich pfeife, wie wir immer pflegen,
  • Um anzudeuten, daß kein Teufel wacht."
  • Da streckt’ ihm Bluthund seine Schnauz’ entgegen
  • Und schrie kopfschüttelnd: "Hört die Büberei!
  • Er will ins Pech, sobald wir uns bewegen."
  • Allein der Sünder, reich an Schelmerei,
  • Sprach: "Wahrlich, bübisch bin ich wohl zu nennen.
  • Denn zu der Meinen Unglück trag’ ich bei."
  • Und Senkflug wollt ihm den Versuch vergönnen;
  • "Springst du," hob er mit jenen uneins an,
  • "So werd’ ich nicht zu Fuße nach dir rennen.
  • Nein, überm Pech schlag’ ich die Flügel dann.
  • Laßt Platz uns hinter diesem Damme nehmen,
  • Zu sehn, ob mehr als wir der eine kann."
  • Jetzt werdet ihr ein neues Spiel vernehmen.
  • Die Blicke wandten sie, und sehr bereit
  • War, der der Schlimmste schien, sich zu bequemen.
  • Doch wohl ersah der Gauner seine Zeit,
  • Stemmt’ ein die Fuߒ und war mit einem Satze
  • Von dem, was sie ihm zugedacht, befreit.
  • Dort standen alle mit verblüffter Fratze.
  • Und jener, der die Schuld des Fehlers trug,
  • Flog nach und schrie: "Du bist in meiner Tatze!"
  • Umsonst! die Furcht war schneller als der Flug.
  • Das Pech verbarg bereits den Gauner wieder,
  • Und rückwärts nahm der Teufel seinen Zug.
  • So taucht die Ente vor dem Falken nieder,
  • Und dieser hebt, ergrimmt und matt, vom Teich
  • Zur Luft empor das sträubende Gefieder.
  • Eistreter kam, wie jener sank, sogleich
  • Im schnellsten Fluge durch die Luft geschossen
  • Und fiel, erbost von diesem Narrenstreich,
  • Mit seinen scharfen Klau’n auf den Genossen,
  • Und beide hielten überm Pech voll Wut
  • In wilder Balgerei sich fest umchlossen.
  • Doch braucht’ auch jener seine Krallen gut.
  • Und beide stürzten bald zu den Bepichten,
  • Die sie bewachten, in die heiße Flut.
  • Der Hitze ward es leicht, den Kampf zu schlichten,
  • Doch, ganz bepicht das rasche Flügelpaar,
  • Vermochten sie es nicht, sich aufzurichten.
  • Und Sträubebart, der sehr betreten war,
  • Ließ vier der Seinen rasch zu Hilfe fliegen.
  • Die äußerst schnell mit ihren Haken zwar,
  • Auf sein Geheiß zum Peche niederstiegen.
  • Wo jeder den Besalbten Hilfe bot,
  • Doch sahn wir sie gekocht im Sude liegen
  • Und ließen sie in dieser großen Not.
  • Dreiundzwanzigster Gesang
  • Wir gingen einsam, schweigend, unbegleitet.
  • Ich hinterdrein, der Meister mir voraus,
  • Wie auf dem Weg ein Franziskaner schreitet.
  • Mir mußte wohl der Teufel wilder Strauß
  • Äsopens Fabel ins Gedächtnis bringen,
  • Worin er spricht vom Frosch und von der Maus.
  • Denn wer Beginn und Schluß von beiden Dingen
  • Mit reiflicher Erwägung wohl verglich,
  • Dem konnte Jetzt und Itzt nicht gleicher klingen.
  • Und wie aus einem der Gedanken sich
  • Der zweit’ entspinnt, so mußt’ ich weiterdenken,
  • Und doppelt faßte Furcht und Schrecken mich.
  • Ich dachte so: Die sind in ihren Ränken
  • Durch uns gestört, beschädigt und geneckt
  • Und müssen drob sich ärgern und sich kränken.
  • Wenn dies zur Bosheit noch den Zorn erweckt,
  • So werden sie uns nach im Fluge brausen,
  • Wie wild ein Hund sich nach dem Hafen streckt.
  • Schon fühlt’ ich mir das Haar gesträubt vor Grausen,
  • Und rückwärts lauschend, rief ich: "Meister, flieh!
  • Verbirg uns wo in diesen Felsenklausen.
  • Die Grimmetatzen kommen schon. O sieh,
  • Sie kommen schon mit einem ganzen Heere!
  • So, wie ich sie mir denke, fühl’ ich sie!"
  • Und er zu mir: "Wenn ich ein Spiegel wäre,
  • Kaum faßt’ ich doch dein äußres Bild so klar.
  • Als ich dein inneres mir leicht erkläre.
  • Jetzt aber nimmst auch du mein Innres wahr
  • Und kommst mir selber schon mit dem entgegen,
  • Was für uns beid’ in mir beschlossen war.
  • Und ist der Abhang rechts nur so gelegen,
  • Daß man zum nächsten Schlund hinunter kann,
  • So sollen sie umsonst die Flügel regen."
  • Kaum sprach er’s, als die Teufelsjagd begann,
  • Und mit gespreizter Schwing’, um uns zu fangen.
  • Kam, nicht gar fern, der wilde Zug heran.
  • Mein Führer eilte nun, mich zu umfangen,
  • Der Mutter gleich, die aufwacht beim Getos
  • Und nahe sieht die Flammen aufgegangen,
  • Ihr Kind erfaßt und, nur um dessen Los
  • Bekümmert, nicht um ihr’s, enteilt ins Weite
  • Entkleidet noch und bis aufs Hemde bloß.
  • Daß er herab am harten Felsen gleite,
  • Streckt er sich rücklings an den steilen Hang,
  • Der jenen Sack verstopft von einer Seite.
  • Nie hat ein Mühlbach sich mit schnellerm Drang
  • Aufs Mühlenrad durch seine Rinn’ ergossen,
  • Als jetzt mein Meister, vor Verfolgung bang,
  • Von jenem Felsenhang herabgeschossen,
  • Mich mit sich nehmend, an die Brust gepreßt
  • Und fest umstrickt, als Kind, nicht als Genossen.
  • Kaum stand sein Fuß am Rand der Tiefe fest,
  • So hörten wir sie über jenem Grunde,
  • Doch er blieb ohne Furcht; denn nimmer läßt
  • Die ew’ge Vorsicht, die im fünften Runde
  • Als Diener ihrer Macht sie eingesetzt,
  • Sie wieder vor aus diesem schmalen Schlunde.
  • Getünchte Leute sahn wir unten jetzt
  • Im Kreise zieh’n mit langsam-schweren Tritten,
  • Matt und erschöpft, von Tränen ganz benetzt.
  • Verhüllt die Augen von Kapuzen, schritten
  • Sie träg dahin in Kutten, gleich der Tracht
  • Der Mönch’ in Köln am Rheine zugeschnitten;
  • Gold außen, blendend durch des Glanzes Pracht,
  • Von innen Blei, schwer, daß von Stroh erscheinen,
  • Die Friedrich für den Hochverrat erdacht.
  • O Mantel, lastend unter ew’gen Peinen!
  • Wir gingen, folgend, zu der Rechten mit,
  • Aufmerksam auf ihr jammervolles Weinen.
  • Doch so erschwert war durch die Last ihr Tritt,
  • Daß neben uns, so oft wir vorwärts traten,
  • Ein neuer Sünder durch das Dunkel schritt.
  • Ich sprach: "Oh sieh dich um! ist wohl durch Taten
  • Und Namen mir von diesen wer bekannt?
  • Und sage mir’s, sobald wir einem nahten!"
  • Und einer, der Toskanisch wohl verstand,
  • Rief hinter uns: "Oh bleibt ein wenig stehen,
  • Ihr, die ihr rennt durch dieses dunkle Land.
  • Was du verlangst, kann wohl durch mich geschehen!"
  • Da wandte sich mein Herr und sprach: "Halt an
  • Und suche langsam, wie er selbst, zu gehen."
  • Ich stand und sah nun zwei, die, um zu nah’n,
  • Sich sehr anstrengten und sich weidlich plagten.
  • Gehemmt von schwerer Last und enger Bahn;
  • Dann, angelangt, mit keinem Worte fragten,
  • Vielmehr nach mir den scheelen Blick gedreht,
  • Sich unter sich besprechend, dieses sagten:
  • " Der lebt, wie ihr am Zug des Odems seht,
  • Und welcher Freibrief dient zu ihrem Schilde,
  • Daß der und jener ohne Bleirock geht?"
  • Zu mir dann: "Tusker, der du zu der Gilde
  • Der Heuchler kommst, zu ihrem trüben Leid,
  • Wer bist du? Sag’ es uns mit Huld und Milde."
  • Und ich: "Mich hat die Stadt voll Herrlichkeit
  • Am Arnostrand geboren und erzogen,
  • Und diesen Körper trug ich jederzeit.
  • Doch wer seid ihr, von deren Wang’ in Wogen
  • Ein Tränenstrom so schmerzlich niederrinnt?
  • Und was hat euch solch Übel zugezogen?"
  • Und einer sprach: "Die gelben Kutten sind
  • Von Blei, so schwer, daß ihr Gewicht der Wage,
  • Die’s trägt, ein heulend Knarren abgewinnt.
  • Lustbrüder waren wir von gleichem Schlage,
  • Ich Catalano, Loderingo er,
  • Von deiner Stadt erwählt an einem Tage,
  • Weil sich zum Friedensstifter eignet, wer
  • Parteilos selber ist--und wer wir waren,
  • Zeigt beim Gardingo noch sich ringsumher."
  • Und ich begann: "Das Leid, das ihr erfahren--"
  • Doch schwieg und mußt’ an dreien Pfählen dort
  • Gekreuzigt einen auf dem Grund gewahren.
  • Als er mich sah, verrenkt’ er sich sofort
  • Und haucht’ in seinen Bart mit lautem Stöhnen,
  • Und Bruder Catalan sprach dieses Wort:
  • "Der Angepfählte, dessen Klagen tönen,
  • Gab einst den Pharisäern diesen Rat:
  • Mög’ eines Tod fürs Volk den Zorn versöhnen;
  • Nun liegt er nackt und quer auf unserm Pfad,
  • Und fühlen muß er, wenn wir drüberwallen,
  • Wieviel Gewicht von uns ein jeder hat.
  • So wird sein Schwäher auch gestraft, mit allen
  • Vom Pharisäerrat, durch den so viel
  • Der schlimmen Saat für Judas Volk gefallen."
  • Und wie ich sah, erstaunte selbst Virgil,
  • Daß er gestreckt am Kreuz an diesem Orte
  • So schmählich lag im ewigen Exil.
  • Zum Bruder richtet’ er dann diese Worte:
  • "Sagt, wenn ihr dürft, ist rechts die Straße frei,
  • Und ist wohl eine Schlucht dort, die als Pforte
  • Zu brauchen ist zum Ausgang für uns zwei,
  • Ohn’ einen von den Teufeln erst zu bannen,
  • Daß er zum Weitergehn uns Führer sei?"
  • Und jener drauf: "Ihr geht nicht weit von dannen,
  • So seht ihr einen Stein vom großen Rund
  • Als Steg sich über alle Täler Spannen.
  • Er ist nur eingestürzt ob diesem Schlund,
  • Allein ihr könnt die Trümmer leicht ersteigen,
  • Denn, schief sich lagernd, stehn sie aus dem Grund."
  • Ich sah den Herrn das Haupt ein wenig neigen.
  • Drauf sprach er: "Mußte doch der Teufel hier
  • Sich wiederum in schlechtem Ratschlag zeigen."
  • Und jener: "In Bologna merkt’ ich’s mir,
  • Der Teufel sei ein Lügner stets, ein dreister,
  • Ja, aller Lügen Vater für und für."
  • Nun ging davon mit großem Schritt mein Meister
  • Und schien ein wenig zornig und erbost,
  • Und ich verließ die bleibeschwerten Geister
  • Und folgte der verehrten Spur getrost.
  • Vierundzwanzigster Gesang
  • In jenem Teil vom jugendlichen Jahre,
  • Wo Nacht den halben Tag nur deckt, und mild
  • Im Wassermann erglänzen Phöbus’ Haare,
  • Malt oft der Reif, wenn Nebel das Gefild
  • Am Abend deckt, bei scharfen Morgenlüften
  • Vom Bruder Schnee ein schnellverwischtes Bild.
  • Wenn dann der Hirt, der Futter von den Triften
  • Gar nötig braucht, aufsteht und jeden Ort
  • Schneeweiß erblickt, dann schlägt er sich die Hüften
  • Und kehrt zum Haus, beklagt sich hier und dort
  • Und weiß nicht, was zu tun vor großem Leide--
  • Doch frische Hoffnung faßt er dann sofort.
  • Denn schon erscheint die Welt in anderm Kleide;
  • Schnell kommt er nun mit seinem Stab herbei
  • Und treibt die muntern Schäflein auf die Weide.
  • So staunt’ ich, daß mein Meister zornig sei,
  • Daß ungewohnter Mißmut ihn bedrücke;
  • So schnell auch kam zum Schmerz die Arzenei.
  • Denn kaum gelangt zu der verfallnen Brücke,
  • Kehrt’ ihm die Huld, mit der er zu mir trat
  • Am Fuß des Bergs, aufs Angesicht zurücke.
  • Die Arme breitet’ er, nachdem er Rat
  • Mit sich gepflogen, wohl den Schutt betrachtend,
  • Und dann erfaßt’ er mich mit rascher Tat.
  • Und wie ein Mann, der wohl auf alles achtend.
  • Im voraus scharf erwägt, was er vermag,
  • Hob er mich auf ein Felsenstück, beachtend,
  • Daß nahe dort ein andrer Zacken lag,
  • Und sprach: "Anklammre dich, doch wahrgenommen
  • Sei durch Versuch erst, ob’s dich tragen mag.
  • Kein Kuttenträger war’ hinaufgekommen.
  • Da wir, ich fortgeschoben, er so Ieicht,
  • Mit Mühe nur von Block zu Blocke klommen.
  • Auch hätt’ ich nimmermehr, und er vielleicht,
  • Wenn niedrer nicht, als jenseits diesem Grunde
  • Das Ufer war, des Dammes Höh’ erreicht.
  • Doch weil sich Übelsäcken nach dem Munde
  • Des tiefen Brunnens hin allmählich neigt,
  • So liegt’s von selbst im Bau von jedem Runde,
  • Daß hier der Damm sich senkt, dort höher steigt.
  • Am Ende kamen wir bis zu der Spitze,
  • Wo sich der Felsentrümmer letzte zeigt-
  • Mir glühte Wang’ und Blut in solcher Hitze,
  • Daß ich. sobald ich mich hinaufgerafft,
  • Mich keuchend niederließ auf einem Sitze.
  • Mein Meister sprach: "Jetzt ziemt dir frische Kraft;
  • Denn nimmer kommt der Ruhm dem zugeflogen,
  • Der unter Flaum auf weichem Pfühl erschlafft.
  • Und wer durchs Leben ruhmlos hingezogen,
  • Der läßt nur so viel Spur in dieser Welt,
  • Wie in den Lüften Rauch, Schaum in den Wogen.
  • Drum auf! wenn Mattigkeit dich niederhält,
  • Wird sie der Geist, wird jeden Feind besiegen,
  • Wenn er nicht wie der schwere Leib verfällt.
  • Erklimmen mußt du noch weit längre Stiegen;
  • Nicht g’nügt’s, von hier gerettet fortzuzieh’n,
  • Verstehe mich, so wirst du nie erliegen!"--
  • Da stand ich auf; mehr, als ich’s fühlte, schien
  • Mein Odem frei, die Brust der Bürd’ enthoben,
  • Auch rief ich: Fort, denn ich bin stark und kühn!
  • Wir gingen fort--der Fels war rauh, verschoben,
  • Von Höckern voll und schwierig zu begehn,
  • Bei weitem steiler auch, als weiter oben.
  • Um frisch zu scheinen, sprach ich laut im Gehn,
  • Bis eine Stimm’ aus jenem Grund erschollen,
  • Verworren, wild und schwierig zu verstehn.
  • Nicht weiß ich, was die Stimme sagen wollen,
  • Obwohl ich auf des Bogens Höhe stand,
  • Doch schien, der sprach, zu zürnen und zu grollen.
  • Ich stand, das Angesicht zum Grund gewandt,
  • Doch drang kein Menschenblick in seine Schauer,
  • Drum sprach ich: "Meister, komm zum nächsten Strand
  • Und führe mich hinab von dieser Mauer.
  • Hier hör’ ich zwar, doch ich verstehe nicht,
  • Und, sehend, unterscheid’ ich nichts genauer."
  • "Die Tat", sprach er mit freundlichem Gesicht,
  • "Sei Antwort dir, weil sich’s geziemt, mit Schweigen
  • Zu tun, was der verständ gen Bitt’ entspricht."
  • Wir eilten, bei der Brück’ hinabzusteigen,
  • Da, wo sie auf dem achten Damme ruht,
  • Und hier begann die Tiefe sich zu zeigen.
  • Ich sah in Knäueln grause Schlangenbrut,--
  • Und denk’ ich heut der ekeln, mannigfachen
  • Scheusale noch, so starrt vor Grau’n mein Blut.
  • Nicht mag sich’s Libyen mehr zum Ruhme machen,
  • Daß es Blindschleichen, Nattern, Ottern hegt
  • Und Vipernbrut und gift’ge Wasserdrachen.
  • Wie solche Pest nicht Äthiopien trägt,
  • So tönt am ganzen Strand kein solch Gezische,
  • An den die Flut des Roten Meeres schlägt.
  • Und unter diesem greulichen Gemische
  • Lief eine nackte, schreckensvolle Schar,
  • Nicht hoffend, daß sie je von dort entwische.
  • Am Rücken band die Hand’ ein Schlangenpaar,
  • Das Schwanz und Haupt durch Kreuz und Nieren steckte
  • Und vorn zu einem Knäu’I verschlungen war.
  • Da stürzt’ auf einen, den ich dort entdeckte,
  • Ein Ungeheu’r, das ihm den Hals durchstach
  • Und aus dem Nacken vor die Zunge streckte.
  • Und eh’ man Amen sagt und Oh und Ach,
  • Sah ich, wie er, entzündet und in Flammen,
  • Auch schon als Staub in sich zusammenbrach.
  • Und wie die Glieder kaum in nichts verschwammen,
  • So fügte sich, gesammelt, alsobald
  • Der Staub zur vorigen Gestalt zusammen.
  • So stirbt der Phönix, fünf Jahrhundert’ alt,
  • (Die großen Weisen sagen’s) sich bekleidend
  • Mit neuerzeugter Jugend und Gestalt,
  • Sich nicht von Kräutern noch von Körnern weidend,
  • Von Weihrauchtränen und Amomen nur,
  • In einer Hüll’ aus Nard’ und Myrrhe scheidend.
  • Und gleich wie der, der ohne Lebensspur
  • Zu Boden sank, vielleicht vom Krampf gebunden,
  • Vielleicht auch, weil in ihn ein Dämon fuhr.
  • Sich umschaut, wenn er sich emporgewunden,
  • Und um sich schauend stöhnt, verwirrt,
  • Von großer Todesangst, die er empfunden;
  • So war der aufgestandne Sünder jetzt.--
  • Oh möge keiner Gottes Rach’ entzünden,
  • Der solche Streich’ in deinem Zorn versetzt!
  • Gebeten, seinen Namen zu verkünden,
  • Entgegnet’ er: "Ich bin seit kurzem hier,
  • Von Tuscien hergestürzt nach diesen Schlünden.
  • Ich lebte nicht als Mensch, ich lebt’ als Tier,
  • Ich, Bastard Fucci, den man Vieh benannte.
  • Und würd’ge Höhle war Pistoja mir."
  • Ich sprach, indem ich mich zum Meister wandte:
  • "Er weicht uns aus--doch frag’ ihn: weshalb kam
  • Er hierher, da er stets von Blutdurst brannte?"
  • Aufrichtig ward er, als er dies vernahm,
  • Und Geist und Angesicht mir zugewendet,
  • Begann er nun, gedrückt von trüber Scham:
  • "Mehr schmerzt mich’s, daß dein Schicksal dich gesendet,
  • Um mich in diesem Jammerstand zu schau’n,
  • Als daß ich oben meinen Lauf geendet.
  • Doch was du fragtest, muß ich dir vertrau’n:
  • Daß ich im Heiligtum zu stehlen wagte,
  • Hat mich herabgestürzt in tiefres Grau’n.
  • Drob litten manche fälschlich Angeklagte.--
  • Daß du mich sahst, soll wenig dich erfreu’n,
  • Kommst du je fort von hier, wo’s nimmer tagte.
  • Drum hör’, um jetzt dein Hierein zu bereu’n:
  • Pistoja wird die Schwarzen erst verjagen,
  • Und dann Florenz so Volk als Sitt’ erneu’n.
  • Aus Nebeln, die auf Magras Tale lagen,
  • Zieht Mars den schweren Wetterdunst heraus,
  • Und Sturme tosen dann und Blitze schlagen
  • Auf dem Picener Feld im wilden Strauß,
  • Daß sich zerstreut die Nebel plötzlich senken,
  • Und alle Weißen flieh’n in Angst und Graus.
  • Dies aber sagt’ ich dir, um dich zu kränken."
  • Fünfundzwanzigster Gesang
  • Er sprach’s und hob die Hand’ empor mit Spott,
  • Ließ beide Daumen durch die Finger ragen
  • Und rief dann aus: "Nimm’s hin, dies gilt dir, Gott!"
  • Seitdem seh’ ich die Schlangen mit Behagen,
  • Weil gleich um seinen Hals sich eine wand,
  • Als sagte sie: Du sollst nichts weiter sagen.
  • Die zweite schlang sich um die Arm’ und band
  • Sie vorn, sich selbst umwickelnd, so zusammen,
  • Daß er nicht Raum damit zu zucken fand.
  • Was übergibst du dich nicht selbst den Flammen,
  • Pistoja, du, und tilgst dich in der Glut?
  • Sind Frevler alle doch, die dir entstammen?
  • Nie fand ich so verruchten Übermut.
  • Selbst Kapaneus’ gottlästerndes Erfrechen
  • Erhob sich nicht zu dieses Diebes Wut.
  • Er floh von dannen, ohn’ ein Wort zu sprechen,
  • Und ein Zentaur kam rennend, pfeilgeschwind,
  • Und schrie voll Wut: "Wo find’ ich diesen Frechen?"
  • Nicht glaub’ ich, daß so viel der Schlangen sind
  • An Tusciens Strand, als ihm am Kreuze hingen.
  • Bis dahin, wo des Menschen Form beginnt.
  • Ein Drache hielt mit ausgespreizten Schwingen
  • Sich an den Schultern fest und spie mit Macht
  • Glut auf uns alle, die vorübergingen.
  • Da sprach mein Meister: "Kakus ist’s, hab’ acht!
  • Er ist es, der so oft zu blut’gen Teichen
  • Die Auen unterm Aventin gemacht.
  • Er geht nicht einen Weg mit seinesgleichen,
  • Weil er als Dieb den schlauen Trug vollführt,
  • Mit jener großen Herde zu entweichen.
  • Dafür ward ihm der Lohn, der ihm gebührt,
  • Weil Herkuls Keul’ ihn traf mit hundert Schlägen,
  • Von welchen er vielleicht nicht zehn gespürt."
  • Enteilt war Kakus schon und uns entgegen
  • Herkamen drei an jenem tiefen Ort,
  • Doch könnt’ uns erst ihr laut Geschrei bewegen,
  • Auf sie hinabzuschau’n: "Wer seid ihr dort?"
  • Drum blieben wir in der Erzählung stehen
  • Und horchten hin nach dieser Schatten Wort.
  • Von ihnen hatt’ ich keinen je gesehen,
  • Da rief den andern einer dieser drei
  • Und nannt’ ihn, wie’s durch Zufall oft geschehen.
  • "Wo bleibst du, Cianfa?" rief er, "Komm herbei!"
  • Drum legt’ ich auf die Lippen meinen Finger,
  • Damit mein Führer horch’ und stille sei.
  • Meinst du jetzt, Leser, daß ich Hinterbringer
  • Von eiteln Fabeln sei, so staun’ ich nicht;
  • Ich sah’s, doch ist mein Zweifel kaum geringer.
  • Von vornher warf sich, wie ich das Gesicht
  • Auf sie gekehrt, schnell eine von den Schlangen
  • Mit drei Paar Füßen her und packt’ ihn dicht.
  • Der Bauch ward von dem mittlern Paar umfangen,
  • Indes das vordre Paar die Arm’ umfing,
  • Dann schlug sie ihre Zähn’ in beide Wangen.
  • Wie an den Lenden drauf das Hintre hing,
  • Schlug sie den Schwanz durch zwischen beiden Beinen
  • Und drückt’ ihn hinten an als engen Ring.
  • Kein Efeu kann dem Baum sich so vereinen,
  • Wie dieses Ungetüm sich wunderbar
  • An jenes Glieder schmiegte mit den seinen.
  • Zusammen klebte plötzlich dann dies Paar,
  • Wie warmes Wachs, die Farben so vermengend,
  • Daß keins von beiden mehr dasselbe war,
  • Gleichwie die Flammen, ein Papier versengend,
  • Bevor es brennt, mit Braun es überzieh’n,
  • Noch eh’ es Schwarz wird, schon das Weiß verdrängend.
  • Die andern beiden, ihn betrachtend, schrien:
  • "Weh dir, Agnel, du bist nicht zwei, nicht einer!
  • Doch sieh, dir ist ein andres Bild verlieh’n!"
  • Schon war vereint der Schlange Kopf und seiner,
  • Aus zwei Gestalten sah man ein’ entstehn,
  • Vermischt, verwirrt, doch gleich von beiden keiner.
  • Die Arme sah man auseinandergehn;
  • Sie wurden vier, und Bauch und Brust und Lenden,
  • Sie wurden Glieder, wie man nie gesehn.
  • Es schien, als ob die vor’gen ganz verschwänden.
  • Nicht zwei, nicht einer schien’s, und ganz entstellt
  • Sah ich das Bild sich langsam abwärts wenden.
  • Gleichwie die Eidechs öfters, wenn die Welt
  • Der Hundstern peitscht, blitzschnell von Dorn zu Dorne,
  • Von Zaun zu Zaun quer durch die Straße schnellt,
  • So fuhr jetzt eine Schlang’ in wildem Zorne
  • Auf jene zwei nach ihren Bäuchen hin,
  • Bläulich und schwarz, gleich einem Pfefferkorne.
  • Und durch den Teil, der bei des Seins Beginn
  • Uns Nahrung zuführt, bohrte sie den einen,
  • Dann fiel sie ausgestreckt vor ihm dahin.
  • Er sah sie starr, mit festgeschlossnen Beinen,
  • Stillschweigend, gähnend, an, und mußte mir
  • Wie schläfrig oder fieberhaft erscheinen.
  • Nach ihm hin sah die Schlang’ und er nach ihr,
  • Sie rauchend aus dem Maul, er aus der Wunde,
  • Dann nahte sich der Rauch von dort und hier.
  • Still schweige jetzt Lucan mit seiner Kunde
  • Vom Unglück des Sabell und vom Nasid,
  • Und horchend häng’ er nur an meinem Munde.
  • Von Arethus’ und Kadmus schweig’ Ovid;
  • Denn wenn er ihn zum Drachen umgedichtet.
  • Und Sie zum Quell, so neid’ ich nicht sein Lied.
  • Nie hat er von zwei Wesen uns berichtet,
  • Die umgetauscht Gestalt und Stoff und Sein,
  • Indem sie starr auf sich den Blick gerichtet.
  • Gleich ging die Wandlung fort in jenen zwei’n.
  • Zur Gabel spaltete den Schwanz die Schlange,
  • Und der Gestochne drückte Bein an Bein.
  • Sie klebten aneinander, und nicht lange
  • Hatt’ es gewährt, als auch die Fuge schwand,
  • Verdrängt vom völligen Zusammenhange.
  • Der Lenden Form, die hier entwich, entstand
  • Am Gabelschweif; die Haut schien zu erweichen;
  • Hart ward sie dort, nach Schlangenart gespannt.
  • Die Arme sah ich in die Schultern weichen,
  • Der Schlange kurze Vorderfüße dann,
  • Wie jene schwanden, weiter vorwärts reichen.
  • Wie drauf zu jedem Gliede, das der Mann
  • Zu bergen pflegt, die hinten sich verbanden,
  • So fing sich sein’s in zwei zu teilen an.
  • Und unterm Rauch, der beide deckt’, entstanden
  • Ganz neue Farben, sproßten Haare vor
  • Und zeigten hier sich, wenn sie dort verschwanden.
  • Er sank dahin, Sie raffte sich empor,
  • Doch blieb der Kopf mit jenen starren Blicken,
  • Durch die er selbst nun seine Form verlor.
  • An dem, der stand, schien er sich platt zu drücken,
  • Auch sah man von dem Fleisch, das hinter drang,
  • Die Ohren seitwärts aus den Wangen rücken.
  • Aus dem, was vorn zurückeblieb, entsprang
  • Ein Lippenpaar, wie sich’s gebührt, erhoben.
  • Und eine Nase, zugespitzt und lang.
  • An dem, der dort lag, trieb der Mund nach oben,
  • Auch wurden nach der Schneckenhörner Brauch
  • Die Ohren in den Kopf zurückgeschoben.
  • Die Zung’, erst ganz, zur Rede schnell, ward auch
  • Nunmehr geteilt, und ganz ward die geteilte
  • Im Mund des andern, und es blieb der Rauch.
  • Der Geist, jetzt Schlange, zischte laut und eilte
  • Durch’s Tal davon--der andre spuckt’ ihr nach,
  • Indem er noch, sie schmähend, dort verweilte.
  • Dann kehrt’ er ihr den Rucken zu und sprach:
  • "So schlüpfe, Buoso, nun durch diese Gründe,
  • Statt meiner, auf dem Bauch in Qual und Schmach."
  • So mischt’ im siebenten der Lasterschlünde
  • Sich Bild und Bild, drum werde mir’s verzieh’n,
  • Wenn ich so Neues etwas breit verkünde.
  • Doch ob mir gleich der Blick geblendet schien,
  • Und kaum mein Geist vom Staunen sich ermannte,
  • Doch bargen jene sich nicht so im Flieh’n,
  • Daß ich den Puccio nicht gar wohl erkannte,
  • Der einzig von den drei’n, erst hier vereint,
  • Sich unverwandelt jetzt von dannen wandte.
  • Der andre war’s, um den Gaville weint.
  • Sechsundzwanzigster Gesang
  • Erfreue dich, Florenz, du bist so groß,
  • Daß du zu Land und Meer die Flügel schwingest,
  • Und selbst dein Nam’ erklingt im Höllenschoß.
  • Fünf deiner Bürger fand ich--also zwingest
  • Du mich zur Scham--den Dieben beigefügt,
  • Wodurch du dir nicht größern Ruhm erringest.
  • Doch wenn, was man am Morgen träumt, nicht lügt,
  • So wirst du großes Unglück bald empfinden,
  • Und Prato selbst, so nah dir, sieht’s vergnügt.
  • War’s jetzt, nicht würde man’s zu zeitig finden,
  • So, da’s nun einmal sein muß, war’s jetzt doch.
  • Denn, älter, werd’ ich’s schwerer nur verwinden.
  • Wir gingen fort, und übers Felsenjoch
  • Stieg, wie hinab, hinauf die Zackenleiter
  • Mein Führer und war meine Stütze noch.
  • Und, folgend zwischen mancher Felsenscheiter
  • Und manchem Block dem Pfad im öden Raum,
  • Kam, wenn die Hand nicht half, der Fuß nicht weiter.
  • Ich fühlte Schmerz--jetzt fühl’ ich mindern kaum,
  • Wenn ich zurück an das Erblickte denke,
  • Und schärfer fass’ ich da des Geistes Zaum,
  • Damit ich nicht den Lauf vom Rechten lenke,
  • Und, was zu meinem Wohl mein Stern bezweckt,
  • Was höh’re Huld, mir selber feind, nicht kränke.
  • Soviel der Bau’r, am Hügel hingestreckt,
  • Zur Zeit, da er, des Blick die Erde lichtet,
  • Sein Antlitz uns am wenigsten versteckt,
  • Wenn sich die Fliege vor der Mücke flüchtet,
  • Johanniswürmchen sieht im Tal entlang,
  • Wo er mit Hipp’ und Pflug sein Tun verrichtet;
  • So viele Flammen sah den tiefen Gang
  • Des achten Tals mein Auge jetzt verklären,
  • Sobald ich dort war, wo’s zur Tiefe drang.
  • Wie der, der sich gerächt durch wilde Bären,
  • Elias’ Wagen sah von dannen zieh’n,
  • Als das Gespann aufstieg zu Himmelssphären,
  • Umonst ihm mit dem Auge folgt’ und ihn
  • Gestaltlos nur als ferne Flamm’ erkannte.
  • Die wie ein leichtes Abendwölkchen schien.
  • So war’s, wie wandelnd hier manch Flämmchen brannte,
  • Doch keines war, das seine Beute wies,
  • Ob jegliches gleich einem Geist entwandte.
  • Am Brückenrande stehend, sah ich dies
  • Und fiel’, hielt’ ich nicht fest an einem Blocke,
  • Hinunter, ohne daß mich jemand stieß.
  • Virgil, der sah, wie mich der Anblick locke,
  • Sprach nun: "Jedwedes Feu’r birgt einen Geist,
  • Und das, worin er brennt, dient ihm zum Rocke."
  • Drauf ich: "Die Kunde, die du mir verleihst
  • Macht mich gewiß; schon glaubt’ ich’s zu erkennen.
  • Und fragen wollt’ ich schon, wie jener heißt.
  • Ich sah die Flamm’ in zwei sich oben trennen.
  • Als sah’ ich in des Scheiterhaufens Glut
  • Eteokles und seinen Bruder brennen."
  • Und er: "Sie dämpft Ulysseus Übermut
  • Und Diomeds. Sie laufen hier zusammen
  • In ihrer Qual, wie einst in ihrer Wut.
  • Ums Trugroß klagen sie in diesen Flammen,
  • Und um das Tor, das Ausgang jenen bot,
  • Der Heldenschar, von der die Römer stammen.
  • Die List beweinen sie, durch die, schon tot,
  • Noch Deidamia den Achill beklagte,
  • Auch das Palladium rächt nun ihre Not."
  • "Vermögen sie noch hier zu sprechen," sagte
  • Ich drauf zum Meister, "o, dann bitt’ ich dich
  • Vieltausendmal, da ich sie gern befragte,
  • Laß mich, bis die geteilte Flamme sich
  • Zu uns hierherbewegt, ein wenig weilen.
  • Sieh, hin zu ihr zieht die Begierde mich."
  • "Der Bitte", sprach er, "muß ich Lob erteilen,
  • Wie sie verdient; sie sei darum gewährt,
  • Doch laß die Sprechlust nicht dich übereilen.
  • Laß mir das Wort; ich weiß, was du begehrt.
  • Spröd blieben sie gewiß bei deinem Worte,
  • Denn Griechen sind sie, stolz auf ihren Wert.
  • Als nun die Flamme nah war unserm Orte,
  • Da hört’ ich diese Red’, als Ort und Zeit
  • Er für geeignet hielt, von meinem Horte:
  • "Ihr, die ihr zwei in einer Flamme seid,
  • Wenn ich euch jemals Grund gab, mich zu lieben,
  • Da ich dem Ruhm der Helden mich geweiht,
  • Und in der Welt das hohe Lied geschrieben,
  • So weilt bei mir und sag’ Ulyß mir an,
  • Wo auf der Irrfahrt sein Gebein geblieben."
  • Der alten Flamme größres Horn begann
  • Zu flackern erst und murmelnd sich zu regen.
  • Als wäre sie vom Wind gefaßt, und dann
  • Rasch hin und her die Spitze zu bewegen,
  • Gleich einer Zung’, und deutlich tönt’ und klar
  • Dann aus der Flamm’ uns dieses Wort entgegen:
  • "Als ich von Circen schied, die mich ein Jahr
  • Und länger bei Gaëta festgehalten,
  • Eh’s so benannt noch von Äneas war,
  • Da ließ ich nicht das Mitleid für den alten
  • Gebeugten Vater, nicht die Gattenpflicht,
  • Noch Vaterzärtlichkeit im Herzen walten.
  • Sie tilgten all in mir das Sehnen nicht,
  • Die Welt zu sehn und alles zu erkunden,
  • Was sie besitzt, wie das, was ihr gebricht.
  • Drum warf ich mich, kaum meiner Haft entbunden,
  • In einem einz’gen Schiff ins offne Meer,
  • Samt einem Häuflein, das ich treu erfunden.
  • Nach Spanien führt’ und Libyen hin und her
  • Ich meine wackre Schar, als kühner Leiter,
  • Und jedem Eiland jenes Meers umher.
  • Alt war ich schon und schwach, auch die Begleiter,
  • Da war mein Schiff am engen Schlunde dort,
  • Wo Herkuls Säulenpaar gebeut: Nicht weiter!
  • Als hinter uns nun rechts Sevillas Bord
  • Und links in Libyen Septas Zinnen waren,
  • Sprach ich zu den Gefährten dieses Wort:
  • Brüder, die durch Tausend’ von Gefahren
  • Ihr hier im Abend kühn euch eingestellt,
  • Verwendet jetzt, um Neues zu erfahren,
  • Weil Seele noch und Leib zusammenhält,
  • Den kurzen Rest von eurem Erdenleben;
  • Der Sonne nach zur unbewohnten Welt!
  • Bedenkt, wozu dies Dasein euch gegeben;
  • Nicht um dem Viehe gleich zu brüten, nein,
  • Um Wissenschaft und Jugend zu erstreben.
  • Den Meinen schien dies Wort ein Sporn zu sein,
  • Kaum hielt ich sie, hätt’ ich gewollt, im Zügel,
  • Und rastlos ging’s ins weite Meer hinein.
  • Erst morgenwärts gewandt des Schiffes Spiegel
  • Ging unser toller Flug dann linker Hand,
  • Und seiner Eil’ verlieh’n die Ruder Flügel.
  • Schon alle Sterne jenes Poles fand
  • Der Blick der Nacht, und die des unsern klommen
  • Kaum übers Meer noch an des Himmels Rand.
  • Schon fünfmal war entzündet und verglommen
  • Des Mondes Licht, seit wir, dem Glück vertraut,
  • Durch den verhängnisvollen Paß geschwommen,
  • Als uns ein Berg erschien, von Dunst umgraut
  • Vor weiter Fern’, und schien so hoch zu ragen,
  • Wie ich noch keinen auf der Erd’ erschaut.
  • Erst jubeln ließ er uns, dann bang verzagen,
  • Denn einen Wirbelwind fühlt’ ich entstehn
  • Vom neuen Land und unsern Vorbord schlagen.
  • Er macht’ uns dreimal mit den Fluten dreh’n,
  • Dann, als der hintre Teil emporgeschossen,
  • Nach höh’rem Spruch, den vordern untergehn,
  • Bis über uns die Wogen sich verschlossen."
  • Siebenundzwanzigster Gesang
  • Schon aufrecht stand und still der Flamme Haupt,
  • Und sie entfernte sich in tiefem Schweigen,
  • Nachdem der süße Dichter ihrs erlaubt.
  • Wir sah’n nach ihr sich eine zweite zeigen,
  • Und ein verwirrt Gestöhn, das ihr entquoll,
  • Macht’ unsern Blick zu ihrer Spitze steigen.
  • Gleich wie Siziliens Stier, der jammervoll
  • Zuerst von seines Bildners Schrei’n erbrüllte,
  • --Und so war’s recht--von dessen Klag’ erscholl,
  • Den er im innern hohlen Raum verhüllte,
  • Und, ganz von Erz, in seinem Angstgestöhn
  • Erschien, als ob ihn selbst der Schmerz erfüllte;
  • So schien das Klagewort, das in den Höh’n
  • Und an den Seiten nirgend durchgedrungen,
  • Erst gleich des Feuers knisterndem Getön.
  • Doch als es sich zur Spitz’ emporgerungen,
  • Die, wie die Zunge hin und wieder fährt,
  • Sich bei dem Durchgang hin und her geschwungen.
  • Da sprach’s: O du, an den mein Wort sich kehrt,
  • Der du, wie ich vernahm, mit welschem Klange
  • Gesprochen: Geh, nicht weiter sei beschwert!
  • Obwohl ich etwas spät hierhergelange,
  • Doch weil’ und gib auf meine Fragen acht,
  • Denn sieh, ich weile trotz der Gluten Drange.
  • Bist du zur Reif in diesen dunklen Schacht
  • Erst jetzt vom süßen Latierland geschieden,
  • Von dem ich alle Schuld hierhergebracht,
  • So sprich:Hat Krieg Romagna oder Frieden?
  • Denn da das schöne Land auch mich erzeugt,
  • So kümmert mich sein Schicksal noch hienieden."
  • Ich stand aufmerksam niederwärts gebeugt,
  • Da stieß Virgil mich leis und sagte: "Rede,
  • Ein Latier ist er, wie sein Wort bezeugt."
  • Worauf ich schon bereit zur Gegenrede,
  • Ihn also sonder Zögerung beschied:
  • "O Seele, hier verborgen, sonder Fehde
  • War nimmer deines Vaterlands Gebiet,
  • Weil stets im Kampf der Zwingherrn Herzen wüten;
  • Doch offenbar war keine, da ich schied.
  • Ravenna ist, wie’s war; dort pflegt zu brüten,
  • So wie seit Jahren schon, Polentas Aar,
  • Des Flügel unter sich auch Cervia hüten
  • Die Stadt, die fest in langer Probe war,
  • Wo rote Ströme Frankenblutes wallten,
  • Liegt unterm grünen Leu’n nun ganz und gar.
  • Verruchios alt’ und neuer Hund, sie walten
  • Schlimm, wie sie den Montagna einst belohnt,
  • Da, wo sie eingeholt die Zähne halten.
  • Das, was am Lamon und Santerno wohnt,
  • Läßt sich vom Leu’n im weißen Neste leiten,
  • Der die Partei vertauscht mit jedem Mond.
  • Sie, welchen Savios Flut benetzt die Seiten,
  • Lebt zwischen Sklaverei und freiem Stand,
  • Wie zwischen dem Gebirg und ebnen Weiten.
  • Jetzt, bitt’ ich, mach’ uns, wer du bist, bekannt;
  • Wie der Vergessenheit dein Nam’ enttauche,
  • So sei nicht härter, als ich andre fand."
  • Da grunzt’ und braust’ es in der Flamme Bauche,
  • Wie Feuer braust; sie regte hin und her
  • Das spitze Haupt und gab dann diese Hauche:
  • "Sprach’ ich zu einem, dessen Wiederkehr
  • Nach jener Welt ich jemals möglich glaubte,
  • So regte nie sich diese Flamme mehr.
  • Doch da dies keinem je die Höll’ erlaubte,
  • So sag’ ich ohne Furcht vor Schand’ und Schmach,
  • Was mich hierher stieß und des Heils beraubte.
  • Ich war erst Kriegsmann und Mönch hernach,
  • Um mich vom Fall durch Buߒ emporzurichten;
  • Gewiß geschah auch, was ich mir versprach.
  • Allein der Erzpfaff--mög’ ihn Gott vernichten--
  • Er hat mich neu den Sündern beigesellt,
  • Wie und warum? das will ich jetzt berichten.
  • Als ich noch oben lebt’ in eurer Welt,
  • Da ward ich nimmer mit dem Leu’n verglichen,
  • Doch öfters wohl dem Fuchse gleichgestellt.
  • In allen Ränken und geheimen Schlichen
  • War ich geschickt, in ihrer Übung schlau
  • Und drum berühmt in allen Himmelsstrichen.
  • Doch als die Zeit kam, da des Haares Grau
  • Uns dringend mahnt, das hohe Meer zu scheuen
  • Und einzuziehn das Segel und das Tau,
  • Da mußt’ ich, was mir erst gefiel, bereuen,
  • Ward Mönch und tat nun Buߒ am heil’gen Ort,
  • Ach, und noch könnt’ ich mich des Heils erfreuen.
  • Der neuen Pharisäer Herr und Hort
  • (Im Krieg, mit Juden nicht und Türkenscharen,
  • Vielmehr am Lateran und nahe dort,
  • Weil alle seine Feinde Christen waren,
  • Die nicht bei Acri mit gesiegt und nicht
  • Des Sultans Land als Schacherer befahren),
  • Nicht achtet’ er an sich die höchste Pflicht
  • Und nicht den Strick, der meinen Leib umfangen,
  • Der jeden mager macht, den er umflicht.
  • Wie Konstantin Silvestern angegangen,
  • Ihm Hilf und Rat beim Aussatz zu verleih’n;
  • So sollt’ ich jetzt als Arzt auf sein Verlangen
  • Vom Fieber seines Hochmuts ihn befrei’n.
  • Doch schweigen mußt’ ich und mich selber schämen,
  • Denn eines Trunknen schien sein Wort zu sein.
  • Du darfst nicht sorgen, sprach er, noch dich grämen;
  • Ablaß erteil’ ich dir, mich lehre du:
  • Wie fang’ ich’s an, Preneste wegzunehmen.
  • Du weißt, den Himmel schlieߒ ich auf und zu,
  • Denn beide Schlüssel sind mir übergeben,
  • Die Cölestin vertauscht um träge Ruh’.
  • Nicht war so trift’gem Grund zu widerstreben,
  • Und da hier schweigen mir das Schlimmste schien,
  • So sprach ich endlich: Vater, da du eben
  • Die Sünde, die ich tun soll, mir verziehn,
  • So wisse: Viel versprechen, wenig halten,
  • Dadurch wird deinem Stuhl der Sieg verlieh’n--
  • Franz wollte, wie ich starb, sein Amt verwalten,
  • Mich heimzuführen, doch ein Teufel kam
  • Und sprach: Halt ein, denn den muß ich erhalten.
  • Er kommt mit mir hinab zu ew’gem Gram,
  • Weil ich, seitdem er jenen Trug geraten,
  • Ihn bei dem Haar als meine Beute nahm.
  • Wer Ablaß will, bereu’ erst seine Taten.
  • Doch wer bereut und Böses will, der muß
  • Wohl mit sich selbst in Widerspruch geraten.
  • Ach! wie ich zuckt’ in Schrecken und Verdruß,
  • Als er mich faßt’ und, mich von dannen reißend,
  • Sprach: Meintest du, ich sei kein Logikus?
  • Zu Minos trug er mich, der, sich umkreisend
  • Den harten Rücken, bei dem achten Mal
  • Ausrief, sich in den Schweif vor Ingrimm beißend:
  • Der wird der Flamme Raub im achten Tal!
  • Und also ward ich von dem Schlund verschlungen
  • Und geh’ im Feuerkleid zu ew’ger Qual."
  • Hier endet’ er, und als das Wort verklungen,
  • Da ging sogleich die Flamme jammernd fort,
  • Das Horn gedreht und hin und her geschwungen.
  • Und weiter ging ich nun mit meinem Hort
  • Zur nächsten Brück’ auf rauhen Felsenpfaden
  • Und sah im Grund, den Lohn empfangend, dort
  • Die, Zwiespalt stiftend, sich mit Schuld beladen.
  • Achtundzwanzigster Gesang
  • Wer könnte je, auch mit dem freisten Wort,
  • Das Blut, das ich hier sah, die Wunden sagen,
  • Erzählt’ er auch die Kunde fort und fort.
  • Jedwede Zunge muß den Dienst versagen,
  • Da Sprach’ und Geist zu eng und schwach erscheint,
  • So Schreckliches zu fassen und zu tragen.
  • Und wäre das gesamte Volk vereint,
  • Das Puglien, das verhängnisvolle, hegte,
  • Dies Land, das einst die blut’ge Schar beweint,
  • Die Rom und jener lange Krieg erlegte,
  • Wo man so große Beut’ an Ringen fand,
  • Wie Livius schrieb, der nicht zu irren pflegte,
  • Vereint mit dem, das harte Schläg’ empfand,
  • Weil’s gegen Robert Guiscard ausgezogen;
  • Mit dem, des Knochen modern, dort im Land
  • Bei Ceperan, wo Pugliens Schar gelogen;
  • Mit dem von Tagliacozzo, wo Alard,
  • Der Greis, durch List die Waffen aufgewogen;
  • Und zeigte, wie es dort verstümmelt ward,
  • Sich jedes Glied, nicht war’ es zu vergleichen
  • Mit dieses neunten Schlundes Weis’ und Art.
  • Ein Faß, von welchem Reif und Dauben weichen,
  • Ist nicht durchlöchert, wie hier einer ging,
  • Zerfetzt vom Kinn bis zu Gefäß und Weichen,
  • Dem aus dem Bauch in manchem ekeln Ring
  • Gedärm und Eingeweid’, wo sich die Speise
  • In Kot verwandelt, samt dem Magen hing.
  • Ich schaut’ ihn an und er mich gleicherweise,
  • Dann riß er mit der Hand die Brust sich auf
  • Und sprach zu mir: "Sieh, wie ich mich zerreiße!
  • Sieh hier das Ziel von Mahoms Lebenslauf!
  • Vor mir geht Ali, das Gesicht gespalten
  • Vom Kinn bis zu dem Scheitelhaar hinauf.
  • Sieh alle, die, da sie auf Erden wallten,
  • Dort Ärgernis und Trennung ausgesät,
  • Zerfetzt hier unten ihren Lohn erhalten.
  • Ein wilder Teufel, der dort hinten steht,
  • Er ist’s, der jeglichen zerfetzt und schändet,
  • Mit scharfem Schwert, der dort vorübergeht,
  • Wenn wir den schmerzensvollen Kreis vollendet;
  • Weil jede Wunde heilt, wie weit sie klafft,
  • Eh’ unser Lauf zu ihm zurück sich wendet.
  • Doch wer bist du, der dort herniedergafft?
  • Weilst du noch zögernd über diesen Schlünden,
  • In welche Klag’ und Urteilsspruch dich schafft?"
  • "Er ist nicht tot, noch hergeführt von Sünden,"
  • So sprach mein Meister drauf, zu Mahoms Pein,
  • "Doch soll er, was die Höll’ umfaßt, ergründen,
  • Und ich, der tot bin, soll sein Führer sein.
  • Drum führ’ ich ihn hinab von Rund’ zu Runde,
  • Und Glauben könnt ihr meinem Wort verleih’n."
  • Jetzt blieben hundert wohl im tiefen Grunde,
  • Nach mir hinblickend, still verwundert stehn,
  • Vergessend ihre Qual bei dieser Kunde.
  • "Du wirst vielleicht die Sonn’ in kurzem sehn,
  • Dann sage dem Dolcin, er soll mit Speisen,
  • Eh’ ihn der Schnee belagert, sich versehn,
  • Wenn er nicht Lust hat, bald mir nachzureisen.
  • Allein vollbringt er, was ich riet, so muß
  • Novaras Heer ihn lang’ umsonst umkreisen."
  • Zum Weitergehn erhoben einen Fuß,
  • Rief dieses Wort mir zu des Mahom Seele,
  • Und setzt’ ihn hin und ging dann voll Verdruß.
  • Dann sah ich einen mit durchbohrter "Kehle,
  • Die Nase bis zum Auge hin zerhau’n,
  • Und wohl bemerkt’ ich, daß ein Ohr ihm fehle.
  • Und staunend sah auf mich dies Bild voll Grau’n
  • Und öffnete zuerst des Schlundes Röhre,
  • Von außen rot und blutig anzuschau’n.
  • "Du, nicht verdammt für Sünden, wie ich höre,
  • Den ich bereits im Latierlande sah,
  • Wenn ich durch Ähnlichkeit mich nicht betöre,
  • "Kommst du den schönen Ebnen wieder nah,
  • Die von Vercell nach Marcabo sich neigen,
  • So denk’ an Pier von Medicina da.
  • Du magst den Besten Panos nicht verschweigen,
  • Dem Guid und Angiolell, daß, wenn nicht irrt
  • Mein Geist, dem sich der Zukunft Bilder zeigen,
  • Nah bei Cattolica, schlau angekirrt,
  • Vom schändlichsten der Wüteriche verraten,
  • Das edle Paar ersäuft im Meere wird.
  • Noch nimmer hat Neptun so schnöde Taten
  • Von Zypern bis Majorka hin geschaut,
  • Von Griechenscharen nicht, noch von Piraten.
  • Der Bub’, auf einem Aug’ von Nacht umgraut,
  • Jetzt Herr des Lands, von welchem mein Geselle
  • Hier neben wünscht, er hätt’ es nie erschaut,
  • Ruft sie als Freund und tut an jener Stelle
  • So, daß sie nicht Gelübd’ tun, noch sich scheu’n,
  • Wie wild der Wind auch von Focara schwelle."
  • Drauf ich: "Soll dein Gedächtnis sich erneu’n,
  • So magst du dich zu sagen nicht entbrechen,
  • Wer muß den Anblick jenes Lands bereu’n?"
  • Da griff er, um den Mund ihm aufzubrechen,
  • Nach eines andern Kiefer hin und schrie:
  • "Sieh her, der ist’s, allein er kann nicht sprechen,
  • Er, der verbannt, einst Cäsarn Mut verlieh,
  • Und alle seine Zweifel scheucht’, ihm sagend:
  • "Dem ’Kampfbereiten fromme Zögern nie."
  • O wie jetzt Curio ganz verblüfft und zagend,
  • Die Zunge tief am Schlund verschnitten, stand,
  • Die Zung’, einst kühn und eilig alles wagend--
  • Und abgeschnitten die und jene Hand,
  • Stand einer, in die Nacht die Stümpf erhoben,
  • Das Antlitz blutbespritzt mir zugewandt,
  • Und rief: "Denkt man des Mosca noch dort oben?
  • Ich bin’s, der meine Hand zum Morde bot,
  • Ob des jetzt Tuscien die Partei’n durchtoben."
  • "Der Grund auch war zu deines Stammes Tod!"
  • Setzt’ ich hinzu--und, häufend Grau’n auf Grauen,
  • Zog er davon in höchster Angst und Not.
  • Ich aber blieb, die andern anzuschauen,
  • Und was ich sah, so furchtbar und so neu,
  • Nicht wagt’ ich’s unverbürgt euch zu vertrauen,
  • Fühlt’ ich nicht mein Gewissen rein und treu,
  • Dies gute feste Schild, den sichern Leiter,
  • Und so mein Herz befreit von Furcht und Scheu.
  • Ich sah--noch ist dies Schreckbild mein Begleiter--
  • Ein Rumpf ging ohne Haupt mit jener Schar
  • Von Unglücksel’gen in der Tiefe weiter.
  • Er hielt das abgedchnittne Haupt beim Haar
  • Und ließ es von der Hand als Leuchte hangen
  • Und seufzte tief, wie er uns nahe war.
  • So kam er eins in zwei’n dahergegangen
  • Und leuchtet’ als Laterne sich mit sich--
  • Wie’s möglich, weiß nur der, der’s so verhangen.
  • Nachdem er bis zum Fuß der Brücke schlich,
  • Hob er, um näher mir ein Wort zu sagen,
  • Den Arm zusamt dem Haupte gegen mich,
  • Und sprach: "Hier sieh die schrecklichste der Plagen!
  • Du, der du atmend in der Höll’ erscheinst,
  • Sprich: Ist wohl eine schwerer zu ertragen?
  • Jetzt horch, wenn du von mir zu künden meinst;
  • Beltram von Bornio bin ich, und Johannen,
  • Dem König, gab ich bösen Ratschlag einst,
  • Darob dann Sohn und Vater Krieg begannen,
  • Wie zwischen David einst und Absalon,
  • Durch Ahitophel Fehden sich entspannen.
  • Mein Hirn nun muß ich zum gerechten Lohn
  • Getrennt von seinem Quell im Rumpfe sehen,
  • Weil ich getrennt den Vater und den Sohn,
  • Und so, wie ich getan, ist mir geschehen."
  • Neunundzwanzigster Gesang
  • Das viele Volk und die verschiednen Wunden,
  • Sie hatten so die Augen mir berauscht,
  • Daß sie vom Schau’n mir ganz voll Zähren stunden.
  • Da sprach Virgil: "Was willst du noch? Was lauscht
  • Und starrt dein Auge so nach diesen Gründen,
  • Wo’s Greuelbild um Greuelbild vertauscht?
  • Nicht also tatst du in den andern Schlünden.
  • An zweiundzwanzig Miglien kreist dies Tal,
  • Drum kannst du hier nicht jegliches ergründen.
  • Schon unter unserm Fuß glänzt Lunens Strahl,
  • Und wenig dürfen wir uns nur verweilen,
  • Denn noch zu sehn ist viel und große Qual."
  • Ich sprach: "Erlaubtest du, dir mitzuteilen,
  • Welch einen Grund ich hatt’, hinabzuspäh’n,
  • So würdest du wohl minder mich beeilen."
  • Er ging und ich ihm nach und gab im Gehn
  • Dem Meister von dem Grund des Forschens Kunde
  • Und sprach: "Wohl hab’ ich scharf hinabgesehn,
  • Denn eine Seele wohnt in diesem Schlunde
  • Von meinem Stamm, und sicher ist an ihr
  • Bestraft die Schuld durch manche schwere Wunde."
  • Mein Meister sprach darauf: "Nicht mache dir
  • Noch länger Sorg’ um diesen Anverwandten;
  • An andres denk’, er aber bleibe hier.
  • Ich sah ihn bei der Brücke den Bekannten
  • Dich zeigen und dir mit dem Finger droh’n
  • Und hörte, wie sie ihn del Bello nannten.
  • Doch du bemerktest eben nichts davon,
  • Weil auf dem Beltram deine Blicke weilten.
  • Als dieser ging, war jener schon entfloh’n."
  • "Weil Rach’ und Schwert des Feindes ihn ereilten",
  • Sprach ich, "und keiner seinen Tod gerächt,
  • Von allen denen, so die Kränkung teilten,
  • Zürnt’ er auf mich und zürnt’ auf sein Geschlecht
  • Und ging drum, ohne mich zu sprechen, weiter,
  • Und darin, glaub’ ich, hat der Arme recht."
  • Nun folgt’ ich hin zum Felsen meinem Leiter,
  • Von wo man überblickt den nächsten Schlund,
  • Wär’ irgend nur von Licht die Tiefe heiter.
  • Von seiner Höh’ ward unserm Auge kund
  • Der letzte Klosterbann von Übelsäcken,
  • Und viel Bekehrte waren tief im Grund.
  • Und gleich den Pfeilen drangen, mir zum Schrecken,
  • Gespitzt durch Mitleid, Jammertön’ heraus
  • Und zwangen mich, die Ohren zu bedecken.
  • Wär’ aller Schmerz aus jedem Krankenhaus
  • Zur Zeit, da wild die Sommergluten flammen,
  • Und Valdichianas und Sardiniens Graus
  • Und Seuch’ und Pest in einem Schlund beisammen,
  • Nicht ärger wär’s als hier, wo fauler Duft
  • Und Stank vom Eiter in den Lüften schwammen.
  • Wir stiegen auf den Rand der letzten Kluft
  • Vom langen Felsen niederwärts zur Linken,
  • Und deutlicher erschien der Schoß der Gruft.
  • In diesem Grund läßt nach des Höchsten Winken
  • Die nimmer irrende Gerechtigkeit
  • Zur wohlverdienten Quäl die Fälscher sinken.
  • Nicht in Ägina ist vor alter Zeit
  • Des Volkes Anblick trauriger gewesen,
  • Das krank darniedersank, dem Tod geweiht,
  • Ja bis zum kleinsten Wurm jedwedes Wesen,
  • Durch tückisch böse Luft, worauf im Land,
  • Wie wir für sicher in den Dichtern lesen,
  • Ein neues Volk aus Ämsenbrut entstand;
  • Als hier zu sehn war, wie sich schwach und siechend
  • Das Geistervolk in manchem Haufen wand.
  • Die einen auf der andern Rücken liegend,
  • Die auf dem Bauch, und die von einem Ort
  • Zum andern hin auf allen vieren kriechend.
  • Wir gingen Schritt um Schritt und schweigend fort,
  • Sahn Kranke dort, unfähig aufzustehen
  • Und horchten auf ihr kläglich Jammerwort.
  • Sich gegenseitig stützend, saßen zween,
  • Wie in der Küche Pfann’ an Pfanne lehnt,
  • Mit Grind gefleckt vom Kopf bis zu den Zehen.
  • Gleich wie ein Stallknecht, der nach Schlaf sich sehnt
  • Und bald sein Tagwerk hofft vollbracht zu haben,
  • Die Striegel eiligst führt und öfters gähnt;
  • So sah ich sie sich mit den Nägeln schaben
  • Und hier und dort sich kratzen und geschwind,
  • So gut es ging, ihr wütend Jucken laben.
  • Und schnell war unter ihren Klau’n der Grind
  • Wie Schuppen von den Barschen abgegangen,
  • Die unterm Messer schneller Köche sind.
  • "Du, vor des Fingern Schien’ und Masche sprangen,"
  • Begann Virgil zu einem von den zwei’n,
  • "Und der du sie auch oft gebrauchst wie Zangen,
  • Sprich: Fanden sich auch hier Lateiner ein
  • Und mögen dich zu kratzen und zu krauen,
  • Dafür dir ewig scharf die Nägel sein."
  • "Lateiner kannst du in uns beiden schauen,"
  • Erwidert einer drauf, von Qual durchbebt,
  • "Doch wer du bist, magst du mir erst vertrauen."
  • Mein Führer sprach: "Von Fels zu Felsen strebt
  • Mein Fuß hinab in diesen Finsternissen;
  • Die Höll’ zeig’ ich diesem, der da lebt."
  • Da schien das Band, das beide hielt, zerrissen,
  • Und jeder, dem’s der Rückhall kundgetan,
  • War zitternd nur mich anzuschau’n beflissen.
  • Dicht drängte sich an mich mein Meister an
  • Und sprach: "Du magst sie nach Belieben fragen!"
  • Und ich, da er es so gewollt, begann:
  • "Soll dein Gedächtnis noch in späten Tagen
  • Auf unsrer Welt und in der Menschen Geist
  • Erhalten sein, so magst du jetzo sagen,
  • Wie du dich nennst und deine Heimat heißt?
  • Und, trotz der ekeln Qual, nimm dich zusammen,
  • Daß du in deinen Reden offen seist."
  • "Mich zeugt’ Arezzo, und den Tod in Flammen
  • Verschafft’ einst Albero von Siena mir,
  • Doch andrer Grund hieß Minos mich verdammen.
  • Wahr ist’s, ich sagt’ im Scherz: ins Luftrevier
  • Verstünd’ ich mich im Fluge hinzuschwingen.
  • Er, klein an Witz und groß an Neubegier,
  • Bat mich, ihm diese Kenntnis beizubringen,
  • Und nur weil er durch mich kein Dädal ward,
  • Befahl sein Vater dann, mich umzubringen.
  • Doch Minos, dem sich alles offenbart,
  • Hat, weil ich mich der Alchimie ergeben,
  • Im letzten Schlund der zehen mich verwahrt."
  • Zum Dichter sagt’ ich: "Sprich, ob man im Leben
  • So eitles Volk wie die Sanesen fand?
  • Selbst die Franzosen sind ja nichts daneben."
  • Der andre Grind’ge, welcher mich verstand,
  • Rief: "Mag nur Stricca ausgenommen bleiben,
  • Der all sein Gut so klüglich angewandt;
  • Und Nikel, dem die Ehre zuzuschreiben,
  • Daß er zuerst die Braten wohl gewürzt,
  • Dort, wo dergleichen Saaten wohl bekleiben;
  • Und jener Klub, der wohl die Zeit gekürzt,
  • In dem Caccia d’Ascian samt seinem Witze,
  • Auch Wald und Weinberg durch den Schlund gestürzt.
  • Doch willst du wissen, wer dir half, so spitze
  • Den Blick auf mich und stelle dich dahin,
  • Gerade gegenüber meinem Sitze;
  • Dann wirst du sehn, daß ich Capocchio bin.
  • Metall verfälscht’ ich, daß ich Gold erschaffe,
  • Und, sah ich recht, so ist dir’s noch im Sinn,
  • Ich war von der Natur ein guter Affe".
  • Dreißigster Gesang
  • Zur Zeit, da Junos Herz in Zorn geraten
  • Ob Semeles, in Zorn auf Thebens Blut,
  • Wie sie so manches Mal gezeigt durch Taten,
  • Ergriff den Athamas so tolle Wut,
  • Daß er, als auf sein Weib der Blick gefallen,
  • Das jeden Arm mit einem Sohn belud,
  • Den wilden Ruf des Wahnsinns ließ erschallen:
  • "Die Löwin samt den Jungen sei gefaßt!"
  • Dann streckt er aus die mitleidlosen Krallen;
  • Und wie er einen, den Learch, mit Hast
  • Gepackt, geschwenkt und am Gestein zerschlagen,
  • Ertränkte sie sich mit der zweiten Last.
  • Und als das Glück, das alles kühn zu wagen,
  • Die stolzen Troer trieb, sein Rad gewandt,
  • So daß zusammen Reich und Fürst erlagen,
  • Und Hekuba, gefangen und verbannt,
  • Geopfert die Polyxena erblickte,
  • Und sie ihr Mißgeschick an Thraziens Strand
  • Zum Leichnam ihres Polydorus schickte,
  • Da bellte sie, wahnsinnig, wie ein Hund,
  • Weil Schmerz den Geist verkehrt’ und ganz bestrickte.
  • Doch nichts in Theben ward noch Troja kund
  • Von einer Wut, die Vieh und Menschen packte,
  • Wie ich hier sah in diesem zehnten Schlund.
  • Ein Paar von Geistern, totenfahle, nackte,
  • Brach vor, so wie aus seinem Stall das Schwein,
  • Indem’s auf alles mit den Hauern hackte.
  • Der schlug sie in den Hals Capocchios ein
  • Und schleppt’ ihn fort, und nicht gar sanft gerieben
  • Ward ihm dabei der Bauch am harten Stein.
  • Der Aretiner, der voll Angst geblieben,
  • Sprach: "Schicchi ist’s, der tolle Poltergeist,
  • Der solch ein wütend Spiel schon oft getrieben."
  • "Wie du geschützt vor jenes Hauern seist,"
  • Entgegnet’ ich, "so sprich, eh’ er entronnen,
  • Wer dieser Schatten ist und wie er heißt."
  • "Die Myrrha ist’s, die schnöden Trug ersonnen,"
  • Erwidert’ er, "die mehr als sich gebührt
  • Vor alter Zeit den Vater liebgewonnen,
  • Und die mit ihm das Werk der Lust vollführt,
  • Weil sie die fremde Form sich angedichtet;
  • Wie jener, der Capocchio dort entführt,
  • Weil Simon ihn durchs beste Roß verpflichtet,
  • Als falscher Buoso sich ins Bett gelegt
  • Und so für ihn ein Testament errichtet."
  • Als nun die Tollen sich vorbeibewegt,
  • Ließ ich mein Auge durch die Tiefe streichen
  • Und sah, was sonst der Schlund an Sündern hegt.
  • Der eine war der Laute zu vergleichen,
  • Hätt’ ihm ein Schnitt die Gabel weggeschafft,
  • Die jeder Mensch hat abwärts von den Weichen.
  • Die Wassersucht, durch schlechtverkochten Saft
  • Ein Glied abmagernd und das andre blähend,
  • Die hart den Bauch macht, das Gesicht erschlafft,
  • Hielt ihm die beiden Lippen offen stehend,
  • Die nach dem Kinn, und die emporgekehrt,
  • Und dem Schwindsücht’gen gleich, vor Durst vergehend.
  • "Ihr, die ihr schmerzlos geht und unversehrt,
  • Wie? weiß ich nicht, in diesen Schmerzenstalen,"
  • Er sprach’s, "o schaut und merkt und seid belehrt
  • Von Meister Adams schreckenvollen Qualen.
  • Kein Tröpflein, ach, stillt hier des Durstes Glüh’n;
  • Dort konnt’ ich, was ich nur gewünscht, bezahlen.
  • Die muntern Bächlein, die vom Hügelgrün
  • Des Casentin zum Arno niederrollen
  • Und frisch und lind des Bettes Rand besprüh’n,
  • Ach, daß sie mir sich ewig zeigen sollen,
  • Und nicht umsonst--mehr, als die Wassersucht,
  • Entflammt dies Bild den Durst des Jammervollen.
  • Denn die Gerechtigkeit, die mich verflucht,
  • Treibt durch den Ort, wo ich in Schuld verfallen,
  • Zu größrer Eile meiner Seufzer Flucht.
  • Dort liegt Romena, wo ich mit Metallen
  • Geringern Werts verfälscht das gute Geld,
  • Weshalb ich dort der Flamm’ anheimgefallen.
  • Doch wäre Guido nur mir beigesellt,
  • Und jeder, der zum Laster mich verführte,
  • Ich gäbe drum den schönsten Quell der Welt.
  • Zwar, wenn der Tolle Wahrheit sagt, so spürte
  • Er jüngst den einen auf in dieser Nacht.
  • Doch da dies übel meine Glieder schnürte,
  • Was hilft es mir? Hätt’ ich nur so viel Macht,
  • Um zollweis’ im Jahrhundert vorzuschreiten,
  • Ich hätte schon mich auf den Weg gemacht,
  • Ihn suchend durch dies Tal nach allen Seiten,
  • Mag’s in der Rund’ auch sich elf Miglien zieh’n,
  • Und minder nicht als eine halbe breiten.
  • Bei diesen Krüppeln hier bin ich durch ihn,
  • Denn er hat mich verführt, daß ich den Gulden
  • An schlechterm Zusatz drei Karat verlieh’n."
  • Und ich: "Was mochten jene zwei verschulden,
  • Die, dampfend, wie im Frost die nasse Hand,
  • Fest an dir liegend, ihre Straf erdulden?"
  • Er sprach: "Sie liegen fest, wie ich sie fand,
  • Als ich hierhergeschneit nach Minos’ Winken,
  • Und werden ewiglich nicht umgewandt.
  • Die ist das Weib des Potiphar; zur Linken
  • Liegt Sinon mir, berühmt durch Trojas Roß.
  • Im faulen Fieber liegen sie und stinken."
  • Und dieser Letzte, den’s vielleicht verdroß,
  • Daß Meister Adams Wort ihn so verhöhnte,
  • Gab auf den harten Wanst ihm einen Stoß,
  • Daß dieser gleich der besten Trommel tönte.
  • Doch in das Angesicht des andern warf
  • Herr Adam die gleich harte Faust und stöhnte:
  • "Ob ich mich gleich nicht fortbewegen darf,
  • Doch ist mein Arm noch, wie du eben spürtest,
  • Noch frei und flink zu solcherlei Bedarf."
  • "Als du zum Feuer gingst," rief Sinon, "rührtest
  • Du nicht den Arm schnell, wie er eben war,
  • Doch schneller, da du einst den Stempel führtest."
  • Der Wassersücht’ge: "Darin sprichst du wahr,
  • Doch stelltest du in Troja kein Exempel
  • Von einem so wahrhaft’gen Zeugnis dar."
  • "Fälscht’ ich das Wort, so fälschtest du den Stempel.
  • Hier bin ich doch für einen Fehler nur,
  • Du aber dientest stets in Satans Tempel."
  • So Sinon. "Denk’ ans Roß, du Schelm!" so fuhr
  • Ihn jener an mit dem geschwollnen Bauche,
  • "Qual sei dir, daß es alle Welt erfuhr."
  • "Qual sei dir", rief der Grieche drauf, "die Jauche,
  • Und blähe stets zum Bollwerk deinen Wanst,
  • Der Durst, der deine Zung’ in Flammen tauche."
  • Der Münzer: "Der du stets auf Lügen sannst,
  • Dein Maul zerreiße dir für solch Erfrechen!
  • Wenn du mich dürstend. schwellend sehen kannst,
  • So möge Durst dich quälen, Kopfweh stechen.
  • Sprach’ einer kurz: Sauf aus den ganzen Bach!
  • Du würdest dessen wohl dich nicht entbrechen."
  • Ich horchte stumm, was der und jener sprach,
  • Da rief Virgil: "Nun, wirst du endlich kommen?
  • Zu lange sah ich schon der Neugier nach."
  • Als ich des Meisters Wort voll Zorn vernommen,
  • Wandt’ ich voll Scham zu ihm das Angesicht
  • Und fühle jetzt noch mich von Scham entglommen.
  • Wie man im schreckenvollen Traumgesicht
  • Zu wünschen pflegt, daß man nur träumen möge,
  • Und das, was ist, ersehnt, als wär’ es nicht;
  • So bangt’ ich, daß mir Scham das Wort entzöge;
  • Entschuld’gen wollt’ ich mich--Entschuld’gung kam,
  • Indem ich glaubte, daß ich’s nicht vermöge.
  • Da sprach mein guter Meister: "Mindre Scham
  • Wäscht größern Fehler ab, als du begangen,
  • Darum entlaste dich von jedem Gram;
  • Doch wenn wir je zu solchem Streit gelangen,
  • So denke stets, daß ich dir nahe bin,
  • Und bleibe nicht daran voll Neugier hangen;
  • Denn drauf zu horchen, zeigt gemeinen Sinn."
  • Einunddreißigster Gesang
  • Dieselbe Zunge, die mich erst verletzte
  • Und beide Wangen überzog mit Rot,
  • War’s, die mich dann mit Arzeneien letzte.
  • So, hör’ ich, hat der Speer Achills gedroht,
  • Und seines Vaters, der mit einem Zücken
  • Verletzt’ und mit dem andern Hilfe bot.
  • Wir kehrten nun dem Jammertal den Rücken,
  • Den Damm durchschneidend, der es rings umlag,
  • Um, schweigend, mehr nach innen vorzurücken.
  • Dort war’s nicht völlig Nacht, nicht völlig Tag,
  • Daher die Blicke wenig vorwärts gingen;
  • Doch tönt’ ein Horn--der stärkste Donner mag
  • Bei solchem Ton kaum hörbar noch erklingen--
  • Drum sucht’ ich nur, entgegen dem Gebraus,
  • Mit meinem Blick zu seinem Quell zu dringen.
  • Nicht tönte nach dem unglücksel’gen Strauß,
  • Der Karls des Großen heil’gen Plan vernichtet,
  • Des Grafen Roland Horn mit solchem Graus.
  • Wie ich mein Auge nun dorthin gerichtet,
  • Glaubt’ ich, viel hohe Türme zu ersehn,
  • Und sprach: "Ist eine Feste dort errichtet?"
  • Mein Meister drauf: "Weil du zu weit zu späh’n
  • Versuchst in diesen nachterfüllten Räumen,
  • Mußt du dich selber öfters hintergehn.
  • Dort siehst du, daß, wie oft, zu eitlen Träumen
  • Aus der Entfernung das Geschaute schwoll,
  • Drum schreite vorwärts, ohne lang zu säumen."
  • Dann faßt’ er bei der Hand mich liebevoll
  • Und sprach: "Ich will dir die Bewandtnis sagen,
  • Weil’s nah dann minder seltsam scheinen soll.
  • Ob’s Türme wären, wolltest du mich fragen?
  • Nein, Riesen sind’s, die rings am Brunnenrand
  • Vom Nabel aufwärts in die Lüfte ragen."
  • Wie wenn der Nebel fortzieht, der das Land
  • In Dunst gehüllt, allmählich unsre Blicke
  • Das klar erkennen, was er erst umwand;
  • So, bohrend durch die Luft, die trübe, dicke,
  • Und mehr und mehr genaht dem tiefen Schlund,
  • Scheucht’ ich den Wahn, doch kam die Furcht zurücke
  • Wie um Montereggiones Zinnenrund
  • Rings eine Krone hohe Türme machen,
  • So türmten sich, mit halbem Leib im Grund,
  • Mit halbem Leib rings um des Brunnens Rachen
  • Giganten, Kämpfer jenes großen Streits,
  • Sie, welchen nach die Donner Jovis krachen.
  • Von einem sah ich das Gesicht bereits
  • Und Schultern, Brust und großen Teil vom Bauche,
  • Herabgestreckt die Arme beiderseits.
  • Wenn die Natur nicht mehr nach altem Brauche
  • Dergleichen Wesen schafft, so tut sie recht,
  • Damit nicht Mars sie mehr als Schergen brauche.
  • Schafft sie den Walfisch auch und das Geschlecht
  • Der Elefanten noch, doch sicher findet,
  • Wer reiflich urteilt, sie hierin gerecht,
  • Weil, wenn die Überlegung sich verbindet
  • Mit bösem Willen und mit großer Macht,
  • Jedwede Schutzwehr dann dem Volke schwindet.
  • Das Antlitz schien mir lang und ungeschlacht,
  • Dem Turmknopf von Sankt Peter zu vergleichen,
  • Und jedes Glied nach solchem Maß gemacht.
  • Es mochten wohl vom Strand, der von den Weichen
  • Ihn abwärts barg, der oberen Gestalt
  • Drei Friesen ausgestreckt nicht dahin reichen,
  • Wo seine Stirn das borst’ge Haar umwallt,
  • Denn aufwärts maß er dreißig große Palmen,
  • Bis zu dem Ort, wo man den Mantel schnallt.
  • Raphegi mai amech itzabi Almen!
  • So tönt’ es aus den dicken Lippen vor,
  • Für die sich nicht geziemten sanftre Psalmen.
  • Mein Führer rief: "Nimm doch dein Horn, du Tor,
  • Und magst du Zorn und andern Trieb empfinden,
  • So sprudl’ ihn flugs durch seinen Bauch hervor.
  • Du kannst an deinem Hals den Riemen finden,
  • Verwirrter Geist, der’s angebunden hält.
  • Sieh doch ihn dort die dicke Brust umwinden!"
  • Darauf zu mir: "Sich selbst verklagt der Held;
  • Der Nimrod ist’s, durch dessen toll Vergehen
  • Man nicht mehr eine Sprach’ übt in der Welt.
  • Mit ihm ist nicht zu sprechen. Mag er stehen!
  • Kein Mensch versteht von seiner Sprach’ ein Wort,
  • Und er kann keines andern Wort verstehen."
  • Wir gingen nun zur Linken weiter fort,
  • Und fanden schon in Bogenschusses Weite
  • Den zweiten größern, wilden Riesen dort.
  • Nicht weiß ich, wem’s gelang, daß er im Streite
  • Ihn fing und band, doch vorn geschnürt erschien
  • Sein linker Arm und hinter ihm der zweite;
  • Denn eine Kett’ umwand vom Nacken ihn,
  • Um, was von seinem Leib nach oben ragte,
  • Nach unten hin fünf Male zu umzieh’n.
  • Da sprach mein Meister: "Mit dem Donnrer wagte
  • Sein kühner Stolz des großen Kampfes Los.
  • Hier aber sieh den Preis, den er erjagte.
  • Ephialtes ist’s. Sein Tun war kühn und groß
  • Im Riesenkampfe, zu der Götter Schrecken;
  • Nun ist sein droh’nder Arm bewegungslos."
  • Und ich zu ihm: "Den ungeheuern Recken,
  • Den Briareus, wenn dies geschehen kann,
  • Möcht’ ich wohl gern in diesem Tal entdecken."
  • Mein Führer drauf: "Du siehst hier nebenan
  • Antäus stehn. Er spricht, ist ungebunden
  • Und setzt uns nieder in den tiefsten Bann.
  • Der, den du suchst, wird weiterhin gefunden,
  • Gleich diesem hier, nur schrecklicher zu schau’n,
  • Allein wie er mit Ketten fest umwunden."
  • Hier schüttelt’ Ephialtes sich, und traun!
  • Kein Erdenstoß, von dem die Türme schwanken,
  • War heftiger, erregte tiefres Grau’n.
  • Ich glaubte schon dem Tode zuzuwanken,
  • Und sah ich nicht, wie ihn die Kett’ umschloß,
  • So genügten, mich zu töten, die Gedanken.
  • Wir gingen weiter, ich und mein Genoß,
  • Und sahn Antäus, der dem tiefen Bronnen,
  • Zehn Ellen bis zum Haupte hoch, entsproß.
  • "Der du im Tal, das ew’gen Ruhm gewonnen,
  • Weil Hannibal in ihm, der kühne Feind,
  • Mit seiner Schar vor Scipios Mut entronnen,
  • Einst tausend Löwen fingst, wenn du, vereint
  • Mit deinen Brüdern kühn den Arm geschwungen
  • Im hohen Krieg, so hätten, wie man meint,
  • Die Erdensöhne doch den Sieg errungen.
  • Jetzt setz’ uns dort hinab, wo, fern dem Licht,
  • Die starre Kälte den Kozyt bezwungen.
  • Zu Tiphöus oder Tityus schick’ uns nicht.
  • Das, was man hier ersehnt, kann dieser geben,
  • Drum wende nicht so mürrisch dein Gesicht.
  • Er kann auf Erden deinen Ruf erheben.
  • Er lebt und hofft, wenn ihn nicht vor der Zeit
  • Die Gnade zu sich ruft, noch lang zu leben."
  • Er sprach’s, und jener, schnell zum Griff bereit,
  • Streckt’ aus die Hand, um auf ihn loszufahren,
  • Die Hand, die Herkul fühlt’ im großen Streit.
  • Virgil, kaum konnt’ er sich gepackt gewahren,
  • Rief: "Komm hierher, wo dich mein Arm umstrickt!"
  • Drauf macht’ er’s, daß wir zwei ein Bündel waren.
  • Wie Carisenda, unterm Hang erblickt,
  • Sich vorzubeugen scheint und selbst zu regen,
  • Wenn Wolken ihr den Wind entgegenschickt,
  • So schien Antäus jetzt sich zu bewegen,
  • Als er sich niederbog, und großen Hang
  • Empfand ich, fortzugehn auf andern Wegen.
  • Doch leicht zum Grund, der Luzifern verschlang
  • Und Judas, setzt’ er nieder unsre Last,
  • Und, so geneigt, verweilt’ er dort nicht lang
  • Und schnellt’ empor, als wie im Schiff der Mast.
  • Zweiunddreißigster Gesang
  • O hätt’ ich Reime von so heiserm Schalle,
  • So rauh, wie sie erheischt dies Loch voll Graus,
  • Auf welchem ruh’n die andern Felsen alle,
  • Dann drückt’ ich, was ich will, vollkommner aus,
  • Doch, sie nicht habend, geh’ ich nur mit Bangen
  • Jetzt an die Rede, wie zum harten Strauß.
  • Denn nicht ein Spiel ist ja mein Unterfangen,
  • Den Grund des Alls dem Liede zu vertrau’n,
  • Und nicht mit Kinderlallen auszulangen.
  • Doch fördern meine Reim’ itzt jene Frau’n,
  • Amphions Hilf an Thebens Mau’r und Toren,
  • Dann wohl entspricht mein Lied der Tat an Grau’n.
  • O schlechtster Pöbel, an dem Ort verloren,
  • Der hart zu schildern ist, oh wärst du doch
  • In unsrer Welt als Zieg’ und Schaf geboren.
  • Wir waren nun im dunkeln Brunnenloch
  • Tief unterm Riesen, näher schon der Mitte,
  • Und nach der hohen Mauer sah ich noch.
  • Da hört’ ich sagen: "Schau’ auf deine Schritte,
  • Daß du den Armen nicht im Weiterzieh’n
  • Die Häupter stampfen magst mit deinem Tritte."
  • Drum wandt’ ich mich, und vor mir hin erschien
  • Und unter meinen Füßen auch ein Weiher,
  • Der durch den Frost Glas, und nicht Wasser, schien.
  • Die Donau bleibt im Frost vom Eise freier,
  • Und nah dem Pol, selbst in der längsten Nacht,
  • Deckt nicht den Sanais ein so dichter Schleier.
  • Und wäre Tabernik herabgekracht
  • Und Pietrapan, nicht hätte nur am Saume
  • Bei ihrem Sturz das Eis krick krick gemacht.
  • Wie abends, wenn die Bäuerin im Traume
  • Noch Ähren liest--die Schnauze vorgestreckt,
  • Der Frösche Volk quäkt aus dem nassen Raume;
  • So bis dahin, wo sich die Scham entdeckt,
  • Fahl, mit dem Ton des Storchs die Zähne schlagend,
  • War elend Geistervolk im Eis versteckt,
  • Zur Tiefe hingewandt das Antlitz tragend,
  • Vom Froste mit dem Mund und von den Weh’n
  • Des Herzens mit den Augen Zeugnis sagend.
  • Als ich ein Weilchen erst mich umgesehn,
  • Schaut’ ich zum Boden hin und sah von oben
  • Zwei, eng umfaßt, vermischt das Haupthaar, stehn.
  • "Ihr, die ihr drängend Brust an Brust geschoben,
  • Wer seid ihr?" sprach ich--dann, als sie auf mich,
  • Die Hälse rückend, ihre Blick’ erhoben,
  • Sah ich die Augen, feucht erst innerlich,
  • Von Tränen träufeln, die, noch kaum ergossen,
  • Zu Eis erstarrten; und sie schlossen sich,
  • Fest, wie nie Klammern Holz an Holz geschlossen,
  • Drum stießen sich im Grimme wilden Streits,
  • Gleich zweien Böcken, diese Qualgenossen.
  • Und einer, der sein Ohrenpaar bereits
  • Durch Frost verlor, brach, stets gebückt, das Schweigen:
  • Was hängst du so am Schauspiel unsres Leids?
  • Soll ich, wer diese beiden sind, dir zeigen?
  • Das Tal, das des Bisenzio Flut benetzt,
  • War ihnen einst und ihrem Vater eigen.
  • Ein Leib gebar sie, und durchsuche jetzt
  • Kaina ganz, du findest sicher keinen
  • Mit besserm Grund in dieses Eis versetzt;
  • Nicht ihn, des Brust und Schatten einst durch einen
  • Stoß seines Speers durchbohrt des Artus Hand;
  • Focaccia nicht, noch ihn, des Kopf den meinen
  • So deckt, daß mir die Aussicht gänzlich schwand.
  • Den, hörst du Sassol Mascheroni nennen,
  • Du, ein Toskaner, sicher leicht erkannt.
  • Jetzt hör’, um mir nur schleunig Ruh’ zu gönnen,
  • Ich, Camicion, erwarte den Carlin
  • Und werde neben ihm mich brüsten können:"
  • Noch sah ich viele Hundesfratzen zieh’n
  • Vor großem Frost in diesem tiefen Kreise,
  • Und schaudre noch vor dem, was mir erschien.
  • Und weiter ging zum Mittelpunkt die Reise,
  • Auf welchem ruht des ganzen Alls Gewicht,
  • Und selber zittert’ ich beim ew’gen Eise.
  • War’s Vorsatz, war’s Geschick--ich weiß es nicht,
  • Genug, es stieß mein Fuß beim Weitergehen
  • Durch viele Häupter, eins ins Angesicht.
  • "Was trittst du mich?"--so hört’ ich’s heulend schmähen,
  • "Rächst du noch schärfer Montapert an mir?
  • Wenn aber nicht, weswegen ist’s geschehen?--"
  • "Mein Meister," sprach ich, "harr’ ein wenig hier,
  • Denn gern belehrt’ ich mich von diesem näher,
  • Dann folg’ ich, wie dir’s gut dünkt, eilig dir."
  • Still stand, wie ich gewünscht, der hohe Seher,
  • Und jener fluchte noch so wild wie erst,
  • Da sprach ich: "Wer bist du, du arger Schmäher?"
  • "Und du, der du durch Antenora fährst,"
  • Sprach er, "wer du, der so stößt andrer Wangen,
  • Daß es zu arg war’, wenn du lebend wärst?"--
  • "Ich lebe", sagt’ ich. "Hättest du Verlangen
  • Nach Ruf, so wird er dir durch mich zuteil,
  • Drum wirst du wohl mit Freuden mich empfangen."
  • Drauf er: "Ich wünsche nur das Gegenteil,
  • Drum packe dich--in diesen Eisesmassen
  • Verspricht solch Schmeichelwort ein schlechtes Heil."
  • Da griff ich nieder, ihn beim Schopf zu fassen,
  • Und sagt’ ihm: "Nötig wird’s, daß du dich nennst,
  • Soll ich ein Haar auf deinem Kopfe lassen."
  • Und er: "Ob du mich zausen magst, du kennst
  • Mich dennoch nicht--nichts sollst du hier erkunden,
  • Wenn du mir tausendmal ins Antlitz rennst."
  • Ich hielt sein Haar um meine Hand gewunden,
  • Und ob schon ausgerauft manch Büschel war,
  • Schaut’ er hinab und bellte gleich den Hunden.
  • Da rief ein andrer: "Bocca, nun fürwahr,
  • Du ließest schon genug die Kiefern klingen,
  • Jetzt bellst du noch? Plagt dich der Teufel gar?"
  • "Dich", rief ich, "mag ich nicht zum Reden zwingen,
  • Verräter du, allein zu deiner Schmach
  • Will ich zur Erde wahre Nachricht bringen."
  • "Erzähle, was du willst, doch hintennach",
  • Rief Bocca, "magst du diesen nur nicht schönen,
  • Der eben jetzo so geläufig sprach.
  • Sieh ihn für’s Gold der Franken hier belohnen
  • Und sage, daß Duera da nicht fehlt,
  • Wo ziemlich kühl und frisch die Sünder wohnen.
  • Und fragt man noch, wen sonst dies Eis verhehlt,
  • Dort siehst du Becherias Augen triefen,
  • Den jüngst die Florentiner abgekehlt.
  • Auch wohnt Soldanier jetzt in diesen Tiefen,
  • Gan, Sribaldello, der Faenzas Tor
  • Den Feinden aufschloß, da noch alle schliefen."
  • Wir gingen fort, und, etwas weiter vor,
  • War, Haupt auf Haupt gedrückt, ein Paar zu finden,
  • Das fest in einem Loch zusammenfror.
  • Wie man aus Hunger nagt an harten Rinden,
  • So fraß der Obre hier den Untern an
  • Da, wo sich Nacken und Gehirn verbinden.
  • Wie in die Schläfe Menalipps den Zahn
  • Einst Sydeus voll von wilder Wut geschlagen,
  • So ward von ihm dem Schädel hier getan.
  • "O du, der du mit viehischem Behagen
  • Den Haß an diesem stillst, an dem du nagst,
  • Weshalb", begann ich, "magst du dich beklagen?
  • Und hör’ ich, daß du dich mit Recht beklagst,
  • Und wer er sei, und was dein Nagen räche,
  • So sollst du dort erstehn, wo du erlagst,
  • Wenn diese nicht verdorrt, mit der ich spreche."
  • Dreiunddreißigster Gesang
  • Den Mund erhob vom schaudervollen Schmaus
  • Der Sünder jetzt und wischt’ ihn mit den Locken
  • Des angefress’nen Hinterkopfes aus.
  • Er sprach: "Du willst zum Reden mich verlocken?
  • Verzweiflungsvollen Schmerz soll ich erneu’n,
  • Bei des Erinnrung schon die Pulse stocken?
  • Doch dient mein Wort, um Saaten auszustreu’n,
  • Die Frucht der Schande dem Verräter bringen,
  • Nicht Reden werd’ ich dann noch Tränen scheu’n.
  • Zwar, wer du bist, wie dir hierherzudringen
  • Gelungen, weiß ich nicht, doch schien vorhin
  • Wie Florentiner Laut dein Wort zu klingen.
  • Du höre jetzt: Ich war Graf Ugolin,
  • Erzbischof Roger er, den ich zerbissen.
  • Nun horch, warum ich solch ein Nachbar bin.
  • Daß er die Freiheit tückisch mir entrissen,
  • Als er durch Arglist mein Vertrau’n betört,
  • Und mich getötet hat, das wirst du wissen.
  • Vernimm darum, was du noch nicht gehört,
  • Noch haben kannst--den Tod voll Graus und Schauer,
  • Und fass es, wie sich noch mein Herz empört.
  • Ein enges Loch in des Verlieses Mauer,
  • Durch mich benannt vom Hunger, wo gewiß
  • Man manchen noch verschließt zu bittrer Trauer,
  • Es zeigte kaum nach nächt’ger Finsternis
  • Das erste Zwielicht, als ein Traum voll Grauen
  • Der dunkeln Zukunft Schleier mir zerriß.
  • Er jagt’, als Herr und Meister, durch die Auen
  • Den Wolf und seine Brut zum Berg hinaus,
  • Der Pisa hindert, Lucca zu erschauen.
  • Mit Hunden, mager, gierig und zum Strauß
  • Wohleingeübt, entsendet er Sismunden,
  • Lanfranken samt Gualanden sich voraus.
  • Bald schien im Lauf des Wolfes Kraft geschwunden
  • Und seiner Jungen Kraft, und bis zum Tod
  • Sah ich von scharfen Zähnen sie verwunden.
  • Als ich erwacht’ im ersten Morgenrot,
  • Da jammerten, halb schlafend noch, die Meinen,
  • Die bei mir waren, und verlangten Brot.
  • Teilst du nicht meinen Schmerz, so teilst du keinen,
  • Und denkst du, was mein Herz mir kundgetan,
  • Und weinest nicht, wann pflegst du denn zu weinen?
  • Schon wachten sie, die Stunde naht’ heran,
  • Wo man uns sonst die Speise bracht’, und jeden
  • Weht’ ob des Traumes Unglücksahndung an.
  • Verriegeln hört’ ich unter mir den öden,
  • Grau’nvollen Turm--und ins Gesicht sah ich
  • Den Kindern allen, ohn’ ein Wort zu reden.
  • Ich weinte nicht. So starrt’ ich innerlich,
  • Sie weinten, und mein Anselmuccio fragte:
  • Du blickst so,--Vater! Ach, was hast du? Sprich!
  • Doch weint’ ich nicht, und diesen Tag lang sagte
  • Ich nichts und nichts die Nacht, bis abermal
  • Des Morgens Licht der Welt im Osten tagte.
  • Als in mein jammervoll Verlies sein Strahl
  • Ein wenig fiel, da schien es mir, ich fände
  • Auf vier Gesichtern mein’s und meine Qual.
  • Ich biß vor Jammer mich in beide Hände,
  • Und jene, wähnend, daß ich es aus Gier
  • Nach Speise tat’, erhoben sich behende
  • Und schrien: Iß uns, und minder leiden wir!
  • Wie wir von dir die arme Hüll’ erhalten,
  • Oh, so entkleid’ uns, Vater, auch von ihr.
  • Da sucht’ ich ihrethalb mich still zu halten;
  • Stumm blieben wir den Tag, den andern noch.
  • Und du, o Erde, konntest dich nicht spalten?
  • Als wir den vierten Tag erreicht, da kroch
  • Mein Gaddo zu mir hin mit leisem Flehen:
  • Was hilfst du nicht? Mein Vater, hilf mir doch!
  • Dort starb er--und so hab’ ich sie gesehen,
  • Wie du mich siehst, am fünften, sechsten Tag,
  • Jetzt den, jetzt den hinsinken und vergehen.
  • Schon blind, tappt’ ich dahin, wo jeder lag,
  • Rief sie drei Tage, seit ihr Blick gebrochen,
  • Bis Hunger tat, was Kummer nicht vermag."
  • Und scheelen Blickes fiel er, dies gesprochen,
  • Den Schädel an, den er zerriß, zerbrach,
  • Mit Zähnen, wie des Hundes, stark für Knochen.
  • Pisa, du, des schönen Landes Schmach,
  • In dem das Si erklingt mit süßem Tone,
  • Sieht träg dein Nachbar deinen Freveln nach,
  • So schwimme her, Capraja und Gorgone,
  • Des Arno Mund zu stopfen, daß die Flut
  • Dich ganz ersäuf und keiner Seele schone.
  • Denn, wenn auch Ugolinos Frevelmut,
  • Wie man gesagt, die Schlösser dir verraten,
  • Was schlachtete die Kinder deine Wut?
  • Oh neues Theben, war an solchen Taten
  • Nicht ohne Schuld das zarte Knabenpaar,
  • Das ich genannt? nicht Hugo samt Brigaten?--
  • Wir gingen nun zu einer andern Schar,
  • Die, statt wie jene, sich hinabzukehren,
  • Das Antlitz aufwärts, eingefroren war.
  • Die Zähren selber hemmen hier die Zähren,
  • Drum wälzt der Schmerz, der nicht nach außen kann,
  • Sich ganz nach innen, um die Angst zu mehren.
  • Denn, was zuerst dem trüben Aug’ entrann,
  • Das war zum Klumpen von Kristall verdichtet
  • Und füllte ganz die Augenhöhlen an.
  • Und ob vom Frost, der solches Eis geschichtet,
  • Mein Antlitz wie bedeckt mit Schwielen schien,
  • Und deshalb jegliches Gefühl vernichtet,
  • Doch fühlt’ ich, schien’s mir Luft entgegenzieh’n,
  • Drum sprach ich: "Herr, wie mag hier Luft sich regen,
  • Wo nie die Sonne, dunstentwickelnd, schien?"
  • Und er: "Du gehst der Antwort schnell entgegen
  • Und siehst, wenn wir noch weiter fortgereist,
  • Aus welchem Grund die Lüfte sich bewegen."
  • Da rief ein eisumstarrter armer Geist:
  • "Grausame Seelen, ihr, die jetzt vom Lichte
  • Zu dieser letzten Stelle Minos weist,
  • Hebt mir den harten Schleier vom Gesichte,
  • Damit ich lüfte meines Herzens Weh’n,
  • Eh’ neu die Träne sich zu Eis verdichte."
  • Ich sprach: "Soll dir’s nach deinem Wunsch geschehn,
  • So nenne dich, und wenn ich’s nicht erzeige,
  • So will ich selbst zum Grund des Eises gehn."
  • Drauf er: "Ich bin’s, der Frucht vom bösen Zweige
  • Als Bruder Alberich dort angeschafft,
  • Und speise hier die Dattel für die Feige."
  • "Oh," rief ich, "hat der Tod dich hingerafft?"
  • Und er zu mir: "Ob noch mein Leib am Leben,
  • Davon bekam ich keine Wissenschaft.
  • Denn Ptolommäa hat den Vorzug eben,
  • Daß oft die Seele stürzt in dies Gebiet,
  • Eh’ ihr den Anstoß Atropos gegeben.
  • Und daß du lieber mir vom Augenlid
  • Verglaste Tränen nehmest sollst du wissen:
  • Sobald die Seele den Verrat vollzieht,
  • Wie ich getan, wird ihr der Leib entrissen
  • Von einem Teufel, der dann drin regiert
  • Bis an den Tod, indes in Finsternissen
  • Des kalten Brunnens sie sich selbst verliert.
  • Vielleicht ist oben noch der Körper dessen,
  • Der hinter mir in diesem Eise friert.
  • Kommst du von dort, so magst du’s selbst ermessen.
  • Herr Branca d’Oria ist’s, der jämmerlich
  • Schon manches Jahr im Eise fest gesessen."
  • "Ich glaube," Sprach ich, "du betrügest mich,
  • Denn Branca d’Oria ist noch nicht begraben
  • Und ißt und trinkt und schläft und kleidet sich."
  • Und er darauf: "Es konnte jenen Graben,
  • An dem beim Pech die Schar von Teufeln wacht,
  • Noch nicht erreicht Herr Michel Zanche haben,
  • Da war sein Leib schon in des Dämons Macht.
  • So ging’s auch dem von d’Orias Geschlechte,
  • Der den Verrat zugleich mit ihm vollbracht.
  • Jetzt aber strecke zu mir her die Rechte
  • Und nimm das Eis hinweg!--doch tat ich’s nicht,
  • Denn gegen ihn war Schlechtsein nur das Rechte.
  • Genua, Feindin jeder Sitt’ und Pflicht,
  • Ihr Genueser, jeder Schuld Genossen,
  • Was tilgt euch nicht des Himmels Strafgericht?
  • Ich fand mit der Romagna schlimmsten Sprossen
  • Der euren einen, für sein Tun belohnt,
  • Die Seel’ in des Kozytus Eis verschlossen,
  • Des Leib bei euch noch scheinbar lebend wohnt.
  • Vierunddreißigster Gesang
  • "Uns naht des Höllenköniges Panier!
  • Schau’ hin, ob du vermagst ihn zu erspähen."
  • So sprach mein edler Meister jetzt zu mir.
  • Und wie, wenn dichte Nebel uns umwehen,
  • Wie in der Dämmerung, vom fernen Ort
  • Windmühlenflügel aussehn, die sich drehen;
  • So sah ich jetzo ein Gebäude dort--
  • Nichts fand ich sonst, mich vor dem Wind zu decken,
  • Drum drängt’ ich fest mich hinter meinen Hort.
  • Dort war ich, wo--ich sing’ es noch mit Schrecken--
  • Die Geister, in durchsicht’ges Eis gebannt,
  • Ganz drin, wie Splitterchen im Glase, stecken.
  • Der lag darin gestreckt, und mancher stand,
  • Der aufrecht, jener auf dem Kopf; der bückte
  • Sich sprenkelkrumm, das Haupt zum Fuß gewandt.
  • Als hinter ihm ich so weit vorwärts rückte,
  • Daß es dem Meister nun gefällig schien,
  • Mir den zu zeigen, den einst Schönheit schmückte.
  • Da trat er weg von mir, hieß mich verzieh’n,
  • Und sprach zu mir: "Bleib, um den Dis zu schauen,
  • Und hier laß nicht dir Mut und Kraft entfliehn."
  • Wie ich da starr und heiser ward vor Grauen,
  • Darüber schweigt, o Leser, mein Bericht,
  • Denn keiner Sprache läßt sich dies vertrauen.
  • Nicht starb ich hier, auch lebend blieb ich nicht.
  • Nun denke, was dem Zustand dessen gleiche,
  • Dem Tod und Leben allzugleich gebricht.
  • Der Kaiser von dem tränenvollen Reiche
  • Entragte mit der halben Brust dem Glas,
  • Und wie ich eines Riesen Maß erreiche,
  • Erreicht’ ein Riese seines Armes Maß.
  • Nun siehst du selbst das ungeheure Wesen,
  • Dem solch ein Glied verhältnismäßig saß.
  • Ist er, wie häßlich jetzt, einst schön gewesen,
  • Und hat den güt’gen Schöpfer doch bedroht,
  • So muß er wohl der Quell sein alles Bösen.
  • O Wunder, das sein Kopf dem Auge bot!
  • Mit drei Gesichtern sah ich ihn erscheinen,
  • Von diesen aber war das vordre rot.
  • Anfügten sich die andern zwei dem einen,
  • Gerad’ ob beiden Schultern hingestellt,
  • Um oben sich beim Kamme zu vereinen;
  • Das Antlitz links weißgelblich--ihm gesellt
  • Das links, gleich dem der Leute, die aus Landen
  • Von jenseits kommen, wo der Nilus fällt.
  • Groß, angemessen solchem Vogel, standen
  • Zwei Flügel unter jedem weit heraus,
  • Die wir den Segeln gleich, nur größer, fanden,
  • Und federlos, wie die der Fledermaus.
  • Sie flatterten ohn’ Unterlaß und gossen
  • Drei Winde nach verschiedner Richtung aus.
  • Dadurch ward der Kozyt mit Eis verschlossen.
  • Sechs Augen waren nie von Tränen frei,
  • Die auf drei Kinn’ in blut’gem Geifer flossen.
  • Und einen armen Sünder malmt’ entzwei
  • Und kaute jeder Mund, daher zerbissen,
  • Flachsbrechen gleich, die scharfen Zähne drei.
  • Der vordre Mund schien sanft in seinen Bissen,
  • Verglichen mit den scharfen Klau’n, zu sein,
  • Die oft die Haut vom Fleisch des Sünders rissen.
  • Da sprach Virgil: "Sieh hier die größte Pein!
  • Ischariots Kopf steckt zwischen scharfen Fängen,
  • Und außen zappelt er mit Arm und Bein.
  • Zwei andre sieh, den Kopf nach unten hängen;
  • Hier Brutus an der schwarzen Schnauze Schlund
  • Sich ohne Laute winden, dreh’n und drängen;
  • Dort Cassius, kräftig, wohlbeleibt und rund--
  • Doch naht die Nacht, drum sei jetzt fortgegangen,
  • Denn ganz erforscht ist nun der Hölle Grund."
  • Jetzt winkte mir, den Hals ihm zu umfangen,
  • Und Zeit und Ort ersah sich mein Gesell,
  • Und, als sich weit gespreizt die Flügel schwangen,
  • Hing er sich an die zott’ge Seite schnell,
  • Griff Zott’ auf Zott’, um sich herabzusenken
  • Inmitten eis’ger Rind’ und rauhem Fell.
  • Dort angelangt, wo in den Hüftgelenken
  • Des Riesen sich der Lenden Kugeln dreh’n,
  • Eilt’ er, mit Müh’ und Angst, sich umzuschwenken.
  • Wo erst der Fuß war, kam das Haupt zu stehn;
  • Die Zotten fassend, klomm er aufwärts weiter,
  • Als sollten wir zurück zur Hölle gehn.
  • "Hier halte fest dich; denn auf solcher Leiter
  • Entkommt man nur so großem Leid," so sprach
  • Tiefkeuchend, wie ein Müder, mein Begleiter.
  • Worauf er Bahn sich durch ein Felsloch brach,
  • Dann setzt’ er mich auf einen Rand daneben
  • Und streckte mir den Fuß behutsam nach.
  • Ich blickt’ empor und glaubte, wie ich eben
  • Den Dis gesehn, so stell’ er noch sich dar.
  • Doch seine Füße sah ich sich erheben.
  • Wie ich erschrak, bedenk’, o dumme Schar,
  • Der’s nottut, daß sie erst erkennen lerne,
  • Durch welchen Punkt ich jetzt gedrungen war.
  • Da sprach Virgil: "Jetzt auf, das Ziel ist ferne,
  • Der Weg auch schwierig, den du vor dir hast;
  • Und Sol, aufsteigend. scheucht bereits die Sternen
  • Nicht war’s ein Gang durch einen Prachtpalast,
  • Der vor mir lag; er lief auf rauhem Grunde
  • Durch eine Felsschlucht, völlig dunkel fast.
  • Ich, aufrecht stehend, sprach: "Eh’ aus dem Schlunde
  • Der Weg, den du mich leitest, mich entläßt,
  • Reiß aus dem Irrtum mich und gib mir Kunde:
  • Wo ist das Eis? Wie steckt Dis köpflings fest?
  • Und wie hat Sol so schnell aus solchen Weiten
  • Die Überfahrt gemacht zum Ost vom West?
  • "Du glaubst dich auf des Zentrums andern Seiten,
  • Wo du am Wurme, der die Erde kränkt
  • Und sie durchbohrt, mich sahst herniedergleiten.
  • Du warst’s, solang’ ich mich hinabgesenkt;
  • Allein den Punkt, der anzieht alle Schwere,
  • Durchdrängest du, da ich mich umgeschwenkt.
  • Jetzt kamst du zu der andern Hemisphäre,
  • Entgegen der, die großes trocknes Land
  • Bedeckt, und unter deren Zelt der Hehre
  • So fehllos lebt’ und starb, wie er entstand.
  • Du stehest jetzo auf dem kleinen Kreise,
  • Der hier Judokas andre Seit’ umspannt.
  • Und hier beginnt der Sonne Tagesreise,
  • Wenn sie dort endet, und im Brunnen steckt
  • Noch immer Luzifer nach alter Weise.
  • Vom Himmel ward er hier herabgestreckt.
  • Das Land, das erst hier ragte, hat sich droben
  • Aus Furcht vor ihm im Meeresgrund versteckt
  • Und sich auf jenem Halbkreis dort erhoben.
  • Um ihn zu flieh’n, drang auch die Erde vor
  • Aus dieser Höhl’ und drängte sich nach oben."
  • So sprach Virgil--und sieh, vom Dis empor
  • Ging eine Schlucht, tief wie die ganze Hölle,
  • Zwar nicht erkannt vom Auge, doch vom Ohr;
  • Denn rauschend lief ein Bach, des rasche Welle
  • Sich Bahn durch Felsen brach, mit sanftem Hang
  • Und vielgewunden, bis zu jener Stelle.
  • Nun trat mein Führer auf verborgnem Gang
  • Den Rückweg an entlang des Baches Windung;
  • Und wie ich, rastlos folgend, aufwärts drang,
  • Da blickte durch der Felsschlucht obre Rundung
  • Der schöne Himmel mir aus heitrer Ferne,
  • Und eilig stiegen wir aus enger Mundung
  • Und traten vor zum Wiedersehn der Sterne.
  • Das Fegefeuer
  • Erster Gesang
  • Zur Fahrt in bess’re Fluten aufgezogen
  • Hat seine Segel meines Geistes Kahn,
  • Und läßt nun hinter sich so grimme Wogen.
  • Zum zweiten Reiche hin geht seine Bahn,
  • Wohin zur Reinigung die Geister schweben,
  • Um würdig dann dem Himmelreich zu nah’n.
  • Doch hier mag sich die tote Dichtung heben,
  • O heil’ge Musen, da ich euer bin!
  • Hier mög’ empor Kalliopeia streben!
  • Sie folge mir mit jenem Ton dahin,
  • Des Streich, die armen Elstern einst erschreckend,
  • Verzweiflung bracht’ in ihren stolzen Sinn.
  • Des Saphirs holde Farbe, ganz bedeckend
  • Des reinen Äthers heiteres Gebäu
  • Und bis zum ersten Kreise sich erstreckend,
  • Erschuf vor mir der Augen Wonne neu,
  • Sobald ich jetzt der toten Luft entklommen,
  • Die Aug’ und Brust getrübt in Nacht und Scheu.
  • Der schöne Stern, der Lieb’ erregt, entglommen
  • Im Osten, hatt’ in Lächeln ihn verklärt,
  • Die Fisch’ umschleiernd, die mit ihm gekommen.
  • Dann rechts, dem andern Pole zugekehrt,
  • Erblickt’ ich eines Viergestirnes Schimmer,
  • Des Anschau’n nur dem ersten Paar gewährt.
  • Der Himmel schien entzückt durch sein Geflimmer.
  • O du verwaistes Land, du öder Nord,
  • Du siehst den Glanz der schönen Lichter nimmer.
  • Als ich darauf vom Viergestirne fort
  • Ein wenig hin zum andern Pole sah,
  • Da war verschwunden schon der Wagen dort.
  • Und einen Greis, allein, sah ich mir nahe,
  • Der Ehrfurcht also wert an Mien’ und Art,
  • Daß mir, als ob’s mein Vater sei, geschähe.
  • Lang war, mit weißem Haar vermischt, sein Bart
  • Und gleich dem Haar des Haupts, das, niedersinkend
  • Als Doppelstreif, der Brust zur Hülle ward.
  • Sein Angesicht, die heil’gen Strahlen trinkend
  • Des Viergestirnes, war so schön und klar,
  • Als sah’ ich es, vom Schein der Sonne blinkend.
  • "Wer seid ihr, die ihr fortflieht, wunderbar,
  • Aus ew’ger Haft, dem blinden Strom entgegen"
  • Er sprach’s, bewegt des Bartes greises Haar,
  • "Wer leitet’ euch? Wer leuchtet’ euren Wegen,
  • Daß ihr entstiegt den Schatten tiefer Nacht,
  • Die, ewig achwarz, der Hölle Täler hegend
  • Verlor des Abgrunds Satzung ihre Macht?
  • Hat neuer Ratschluß durch der Hölle Pforte
  • Verdammt’ in meine Grotten hergebracht?"--
  • Hier fühlt’ ich mich erfaßt von meinem Horte,
  • Und ehrerbietig macht er Brau’n und Knie
  • Mir alsogleich mit Hand und Wink und Worte
  • Und sprach: "Nicht durch mich selber bin ich hie;
  • Ein Weib kam bittend aus den höchsten Sphären,
  • Darob ich diesem mein Geleit verlieh.
  • Doch da’s dein Will’ ist, daß ich dich belehren
  • Von unserm wahren Zustand soll, wie mag
  • Mein Will’ ein andrer sein, als zu gewähren!
  • Nicht sahe dieser noch den letzten Tag,
  • Doch war er nah ihm, so vom Wahn verblendet,
  • Daß er gewiß in kurzer Frist erlag.
  • Um ihn zu retten, ward ich abgesendet,
  • Und hierzu fand ich diesen Weg nur gut,
  • Auf welchem ich mich jetzt hierher gewendet.
  • Ich zeigt’ ihm schon der Sünder ganze Brut,
  • Nun aber ist er die zu sehn bereitet,
  • Die hier sich läutern unter deiner Hut.
  • Lang wär’s zu sagen, wie ich ihn begleitet.
  • Kraft kam von oben, helfend, daß ich ihn,
  • Um dich zu hören und zu sehn, geleitet.
  • Laß dir’s gefallen, daß er hier erschien.
  • Er sucht die Freiheit--wie sie wert zu halten,
  • Weiß, wer um sie des Lebens sich verzieh’n.
  • Du weißt’s, du ließest gern sie zu erhalten,
  • In Utica die Hülle blutbenetzt,
  • Die hell am großen Tag sich wird entfalten.
  • Nicht ward der ew’ge Schluß von uns verletzt.
  • Er lebt und mich hält Minos nicht gefangen.
  • Ich bin vom Kreis, wo deine Martia jetzt,
  • Noch keuschen Aug’s, dir ausspricht das Verlangen,
  • O heil’ge Brust, als dein sie anzusehn,
  • Drum woll’ uns, ihr zuliebe, wohl empfangen.
  • Laß uns durch deine sieben Reiche gehn,
  • Dann grüߒ ich sie von dir in jenen Hallen,
  • Willst, dort erwähnt zu sein, du nicht verschmäh’n."
  • "Gefiel auch", sprach er, "Martia mir vor allen,
  • Da ich gelebt, so daß ich ihr erwies,
  • Wodurch ich irgend wußt’, ihr zu gefallen,
  • Doch jetzt nicht mehr bewegen darf mich dies,
  • Da sie dort wohnt jenseits der nächt’gen Wogen,
  • Wie festgesetzt ward, als ich sie verließ.
  • Doch hat ein Himmelsweib dich hergezogen,
  • Wie du gesagt, was braucht’s da Schmeichelei’n?
  • Sie will, dies g’nügt, und treulich wird’s vollzogen
  • Drum geh, zum weitern Weg ihn einzuweih’n.
  • Ihn muß ein Gurt von glatter Bins’ umschnüren,
  • Dann wasch ihm das Gesicht vom Schmutze rein.
  • Das Aug’ umnebelt, will sich’s nicht gebühren,
  • Zum ersten Diener, der vom sel’gen Land
  • Herabgekommen ist, ihn hinzuführen.
  • Rings trägt der kleinen Insel tiefster Strand,
  • Wo Wog’ und Woge sich im Wechsel jagen,
  • Viel Binsen am morastig weichen Rand.
  • Die andern Pflanzen, welche Blätter tragen
  • Und sich verhärten, kommen da nicht auf,
  • Wo’s gilt, sich schmiegen, wenn die Wellen schlagen.
  • Doch kehrt von dort nicht rückwärts euren Lauf;
  • Die Sonne zeigt--seht, dort ersteht sie eben!--
  • Euch dann den leichtern Weg den Berg hinauf."
  • Hier sah ich ihn vor meinem Blick verschweben;
  • Stumm stand ich auf und sah auf meinen Hort,
  • In seinen Schutz und Willen ganz ergeben.
  • Er sprach: "Sohn, folge mir jetzt rückwärts. Dort
  • Neigt mehr und mehr die Ebene sich immer
  • Nach ihren letzten tiefsten Grenzen fort."
  • Schon trieb das Morgenrot mit lichtem Schimmer
  • Die Frühe vor sich her, und vom Gestad
  • Erkannt’ ich weit hinaus des Meers Geflimmer.
  • Nun gingen wir dahin auf ödem Pfad,
  • Wie wer, verirrt, zum rechten Wege schreitend,
  • Sein Gehn umsonst glaubt, bis er ihn betrat.
  • Wir sahn den Tau bald, mit der Sonne streitend,
  • Doch, weil er dort an schatt’ger Stelle war,
  • Sich minder schnell in leichtem Dunst verbreitend.
  • Worauf mein Hort mit seiner Hände Paar
  • Sanft die zerstreuten, weichen Gräser deckte,
  • Drob ich, denn seinen Vorsatz nahm ich wahr,
  • Ihm die betränte Wang’ entgegenstreckte.
  • Rein wusch er mir die Farbe der Natur,
  • Die erst der Schmutz der Hölle ganz versteckte.
  • Nun gingen wir dahin auf öder Flur
  • Am Strande fort, der nie ein Schiff erblickte,
  • Das wieder heim zum Vaterlande fuhr.
  • Dort, so wie der geboten, der uns schickte,
  • Umgürtet er mit schwachen Binsen mich,
  • Und wo er nur die niedre Pflanze knickte,
  • Erhob sie neu aus ihrer Wurzel sich.
  • Zweiter Gesang
  • Sol war zum Horizont herabgestiegen,
  • Des Mittagskreis, wo er am höchsten steht,
  • Sieht unter sich die Feste Zions liegen.
  • Nacht, welche sich ihm gegenüber dreht,
  • War mit der Wag’ am Ganges vorgegangen,
  • Die, wenn sie zunimmt, ihrer Hand entgeht.
  • Drum hatten Eos weiߒ und rote Wangen
  • Dort, wo ich war, weil ihre Jugend schwand,
  • In hohem Gelb zu schimmern angefangen.
  • Wir waren noch am niedern Meeresstrand,
  • Und gingen, ob des fernen Wegs in Sorgen,
  • Im Herzen fort, indes der Körper stand.
  • Und wie in trüber Röte, wenn der Morgen
  • Sich nähert, Mars, im Westen, nah dem Meer
  • Sich zeigt, von dichten Dünsten fast verborgen,
  • So sah ich jetzt ein Licht--o säh’ ich’s mehr!
  • Und eilig, wie kein Vogel je geflogen,
  • Glitt’s auf des Meeres glattem Spiegel her.
  • Als ich von ihm die Augen abgezogen
  • Ein wenig hatt’ und zu dem Führer sprach,
  • Schien’s heller dann und größer ob den Wogen.
  • Dann auf des Lichtes beiden Seiten brach
  • Ein weißer Glanz hervor, und er entbrannte,
  • Wie’s näher kam, von unten nach und nach.
  • Mein Meister, der nach ihm sich schweigend wandte,
  • Solang der Flügel erstes Weiß erschien,
  • Rief, wie er nun den hehren Schiffer kannte:
  • "O eile jetzt, o eile, hinzuknien!
  • Sieh Gottes Engel! Falte deine Händel
  • Nun siehst du solche Gottes Wink vollziehen.
  • Sieh, er verschmäht, was Menschenwitz erfände.
  • Nicht Segel, Ruder nicht--sein Flügelpaar
  • Braucht er zur Fahrt ans ferneste Gelände.
  • Sieh, wie’s gen Himmel strebt so schön und klar!
  • Die Luft bewegt das ewige Gefieder,
  • Das nicht sich ändert wie der Menschen Haar."
  • Und wieder naht’ er sich indes und wieder
  • In hellerm Glanz, daß näher solchen Schein
  • Mein Auge nicht ertrug, drum schlug ich’s nieder.
  • Und leicht und schnell sah ich durch ihn allein
  • Das Schiff des Eilands niedern Strand gewinnen,
  • Auch drückt’ es kaum die Spur den Fluten ein.
  • Und als ein Sel’ger stand vor meinen Sinnen
  • Am Hinterteil des Schiffes Steuermann,
  • Und mehr als hundert Geister saßen drinnen.
  • "Als aus Ägypten Israel entrann";
  • Die Schar, gewiß, das Ufer zu erreichen,
  • Fing diesen Psalm einstimm’gen Sanges an.
  • Er macht’ auf sie des heil’gen Kreuzes Zeichen,
  • Drum warf sich jeder hin am Meeresbord,
  • Dann sah man ihn schnell, wie er kam, entweichen.
  • Fremd schienen alle, welche blieben, dort,
  • Und um sich blickend sah ich sie verweilen,
  • Wie den, der Neues sieht am fremden Ort.
  • Von allen Seiten schoß mit Feuerpfeilen
  • Den Tag die Sonne, die vom Meridian
  • Den Steinbock schon gezwungen, zu enteilen
  • Da hoben, die wir eben kommen sahn,
  • Nach uns die Stirn empor mit diesem Worte:
  • "Zeigt uns, dafern ihr könnt, zum Berg die Bahn."
  • Erwidert ward darauf von meinem Horte:
  • "Wißt, wenn ihr wähnt, wir wüßten hier Bescheid;
  • Wir sind so fremd wie ihr an diesem Orte.
  • Denn kurz vorher, eh’ ihr gekommen seid,
  • Sind auf so rauhem Weg wir angekommen,
  • Daß hier zu klimmen Spiel, nicht Müh’ und Leid."
  • Wie jene nun am Atmen wahrgenommen,
  • Daß ich noch lebe, schienen sie bewegt,
  • Ja, vor Erstaunen ängstlich und beklommen.
  • Und wie dem Boten, der den Ölzweig trägt,
  • Die Menge folgt, voll Neubegier sich pressend,
  • Und Tritt’ und Stöße sonder Scheu erträgt,
  • So drängten jetzt, mich mit den Augen messend,
  • Zu mir die hochbeglückten Seelen sich,
  • Beinah den Gang zur Reinigung vergessend.
  • Hervor trat eine jetzt, so inniglich
  • Mich zu umarmen, mit so holden Mienen,
  • Daß mein Verlangen ganz dem ihren glich.
  • Leere Schatten, die Gestalt nur schienen!
  • Dreimal halt’ ich die Hände hinter ihr,
  • Und dreimal kehrt’ ich zu der Brust mit ihnen.
  • Das Antlitz, glaub’ ich, malt’ Erstaunen mir,
  • Und jenen sah ich lächelnd rückwärts schweben,
  • Doch folgt’ ich ihm mit liebender Begier.
  • Und lieblich hört’ ich ihn die Stimm’ erheben:
  • "Sei ruhig!" Da erkannt’ ich ihn und bat,
  • Er möge weilen und mir Antwort geben.
  • "Dich lieb’ ich," sprach er, als ich ihn genaht,
  • "Wie einst im Leib, so jetzt der Haft entbunden,
  • Drum weil’ ich--doch was gehst du diesen Pfad?"
  • "O mein Casella, hier nur eingefunden
  • Hab’ ich mich, um zur Welt zurückzugehn.
  • Doch wie bist du beraubt so vieler Stunden?"
  • Und er: "Drob ist kein Unrecht mir gescheh’n.
  • Mußt’ er auch öfters mich zurückeweisen,
  • Der mit sich fortnimmt, wann er will und wen.
  • Denn sein Will’ ist nur der des Ewig-Weisen.
  • Und seit drei Monden hat er gern gewährt,
  • Wenn irgendwer verlangt hat, mitzureisen.
  • Auch mich, der ich mich zu dem Strand gekehrt,
  • Wo salzig wird der Tiber süße Welle,
  • Empfing er liebevoll, da ich’s begehrt.
  • Jetzt schwebt er wieder hin zu jener Stelle,
  • Wo er vereint mit freudigem Empfang
  • Die, so nicht Sünde stürzt zur Nacht der Hölle."
  • Und ich: "Hat dir nicht jenen Liebessang,
  • Den du geübt, ein neu Gesetz entrissen,
  • Der öfters mir gestillt des Herzens Drang,
  • So laß mich jetzt nicht seinen Trost vermissen;
  • Denn meine Seele, die der Leib umflicht,
  • Schwebt, da sie hier erscheint, in Kümmernissen."
  • "Die Liebe, die zu mir im Herzen spricht
  • Begann er jetzt, und ach, die süße Weise
  • Verklingt noch jetzt in meinem Innern nicht.
  • Mein Herr und ich, wir standen still im Kreise
  • Der andern dort und alle so beglückt,
  • Als kennten wir kein andres Ziel der Reise,
  • Nur seinen Tönen horchend, hochentzückt.
  • Da sieh bei uns den ehrenhaften Alten:
  • "Was, träge Geister, ist’s, das euch berückt?
  • Nachlässige, so lang’ euch aufzuhalten!
  • Zum Berg hin, wo man frei der Hüllen wird,
  • Die Gottes Anblick noch euch vorenthalten!
  • Wie wenn, von Weizen oder Lolch gekirrt,
  • Die Tauben still im Stoppelfelde schmausen
  • Und keine mehr umherstolziert und girrt,
  • Dann aber, wenn erscheint, wovor sie grausen,
  • Sie alle jäh, mit größrer Sorg’ im Sinn,
  • Von ihrer Weid’ empor im Fluge brausen;
  • So lief die Schar der Seelen jetzt dahin,
  • Vom Sange fort, zum Berge sonder Weile,
  • Wie wer da läuft, allein nicht weiß wohin;
  • Wir aber folgten mit nicht mindrer Eile.
  • Dritter Gesang
  • Trieb jähe Flucht auch alles, was vereinigt
  • Beim Sänger war, zerstreut jetzt durch den Plan
  • Dem Berge zu, wo die Vernunft uns peinigt,
  • Doch drängt’ ich mich dem treuen Führer an.
  • Wie könnt’ ich ihn auch bei der Reife missen?
  • Wie kam ich wohl ohn’ ihn den Berg hinauf?
  • Er schien gepeinigt von Gewissensbissen.
  • würdig reine Seele, wie empört,
  • Wie quält der kleinste Fehler dein Gewissen!
  • Als seines Laufes Eil’ nun aufgehört,
  • Bei welcher Würd’ im Anstand nimmer waltet,
  • Da ward mein Geist, verengt erst und verstört,
  • Zum Streben neu erweitert und entfaltet,
  • Und, das Gesicht dem Berge zugewandt,
  • Sah ich, dem Himmel zu, ihm hochgestaltet.
  • Die Sonne, hinter mir in rotem Brand,
  • War vor mir, nach Gestaltung und Gebärde,
  • Gebrochen, da mein Leib ihr widerstand.
  • Und bang, daß ich allein gelassen werde,
  • Kehrt’ ich mich schleunig seitwärts, da ich sah,
  • Beschattet sei vor mir allein die Erde.
  • "Was argwöhnst du" begann mein Tröster da,
  • Zu mir gewandt, erratend, was ich dachte,
  • "Glaubst du, ich sei dir nicht, wie immer, nah?
  • Dort liegt der Leib, in dem ich Schatten machte,
  • An Napels Strand, den jetzt schon Nacht umflicht,
  • Wohin man einst von Brindisi ihn brachte.
  • Beschatt’ ich jetzt vor mir die Erde nicht,
  • So staune nicht darum--deckt doch der Schimmer
  • Des einen Himmels nie des andern Licht.
  • Dergleichen Körper schafft der Herr noch immer,
  • Damit sie dulden Hitz’ und Frost und Pein,
  • Doch wie er’s macht, entschleiert er uns nimmer.
  • Tor, wer da hofft, er dring’ in alles ein
  • Mit der Vernunft, selbst in endlose Sphären,
  • Wo er, der Ew’ge, einer ist in drei’n.
  • Strebt, Menschen, doch das Wie nicht aufzuklären;
  • Denn wär’s gestattet, alles zu erschau’n,
  • Nicht brauchte dann Maria zu gebären.
  • Wohl mancher dürft’ auf seinen Geist vertrauen,
  • Dem noch die Sehnsucht, alles zu erkunden,
  • Geblieben ist zu ewiglichem Grau’n.
  • Du weißt, wo wir den Plato aufgefunden
  • Und manchen sonst." Er schwieg, die Stirn geneigt,
  • Und alle Heiterkeit schien ihm geschwunden.
  • Wir kamen hin, von wo man aufwärts steigt.
  • Dort oben ist der Fels so steil gelegen,
  • Daß sich kein Raum zu einem Dritte zeigt.
  • Der rauhste von den öden Felsenwegen
  • Inmitten Lerci und Turbia schmiegt
  • Sich sanft und leicht, stellt man ihn dem entgegen.
  • "Wer weiß, zu welcher Hand der Hang sich biegt."
  • Der Meister sprach’s und hielt jetzt ein im Schreiten,
  • "So daß auch der hinauf kann, der nicht fliegt?"
  • Er ließ indes den Blick zum Boden gleiten
  • Und nahm im Geist des Pfades Prüfung wahr.
  • Doch ich sah aufwärts nach des Berges Seiten,
  • Und da erschien mir linksher eine Schar,
  • Die schien so langsam zu uns her zu schweben,
  • Daß kaum Bewegung zu bemerken war.
  • "Laß," sprach ich, "Meister, deinen Blick sich heben,
  • Die Rat erteilen können, nahen schon,
  • Dafern du nicht vermagst, ihn selbst zu geben."
  • Frei schaut’ er auf, und alle Sorgen floh’n.
  • "Nur langsam". sprach er, "geht ihr Gang vonstatten,
  • Drum gehn wir hin. Getrost jetzt, süßer Sohn!"
  • Wir waren noch entfernt von jenen Schatten
  • Und ihnen etwa steinwurfweit genaht,
  • Als wir getan an tausend Schritte hatten.
  • Da drängten alle sich ans Felsgestad
  • Und standen still und dicht, uns zugewendet,
  • Wie wen Bedenken hemmt auf seinem Pfad.
  • "O Auserwählte, die ihr wohl geendet,"
  • Begann Virgil, "wie einst euch Friede jetzt,
  • Den, wie ich glaube, Gott euch allen spendet,
  • So zeigt uns des Gebirges Abhang jetzt
  • Und laßt uns einen Weg nach oben sehen,
  • Denn Zeitverlieren schmerzt den, der sie schätzt."
  • Gleichwie die Schäflein aus dem Stalle gehen,
  • Eins, zwei und drei, indessen noch verzagt
  • Die andern mit gebeugten Köpfen stehen,
  • Bis was das erste tat, nun jedes wagt,
  • Wenn jenes harrt, geduldig die Beschwerde
  • Des Drangs erträgt und nach dem Grund nicht fragt;
  • So sah ich jetzt von der beglückten Herde
  • Die vordem sich bewegen und uns nah’n,
  • Das Antlitz züchtig, ehrbar die Gebärde.
  • Wie sie das Licht zur Rechten meiner Bahn
  • Geteilt und, als des Erdenleibes Zeichen,
  • Die Felsenwand von mir beschattet sahn,
  • Sah ich sie stehn und etwas rückwärts weichen.
  • Die andern wußten zwar nicht, was gescheh’n,
  • Doch alle taten sie sofort desgleichen.
  • "Ohn’ eure Frage will ich euch gestehn,
  • Noch einem Menschen ist der Körper eigen,
  • Von welchem ihr das Licht geteilt gesehn.
  • Doch laßt Verwunderung und Staunen schweigen;
  • Nicht ohne Kraft, die Gott nur geben kann,
  • Sucht er die schroffe Wand zu übersteigen."
  • Mein Hort sprach’s, und die würd’ge Schar begann,
  • Uns mit der Hände Rücken Zeichen gebend:
  • "Kehrt wieder um und schreitet uns voran!"
  • Und einer drauf, zu mir die Stimm’ erhebend:
  • "Wer du auch seist, blick’ um, mich anzuschau’n,
  • Besinne dich: Sahst du mich jemals lebend`?"
  • Ich wandt’ auf ihn die Augen voll Vertrau’n.
  • Blond war er, schön, von würdigen Gebärden,
  • Doch war gespalten eine seiner Brau’n.
  • Demütig sagt’ ich, daß ich ihn auf Erden
  • Niemals gesehn; da aber hieß er mich
  • Aufmerksam auf die Wund’ am Busen werden,
  • Und lächelnd sprach er dann: "Manfred bin ich!
  • Wenn dich zur Welt zurück die Schritte tragen,
  • Zu meiner Tochter geh, ich bitte dich,
  • Die unterm Herzen jenes Paar getragen,
  • Das Aragonien und Sizilien ehrt,
  • Ihr Wahres, wenn man andres sagt, zu sagen.
  • Als zweimal mich durchbohrt des Feindes Schwert,
  • Da übergab ich weinend meine Seele
  • Dem Richter, der Verzeihung gern gewährt.
  • Oh groß und schrecklich waren meine Fehle,
  • Doch groß ist Gottes Gnadenarm und faßt,
  • Was sich ihm zukehrt, so daß keiner fehle.
  • Und wenn Cosenzas Hirt, der sonder Rast,
  • Wie Clemens wollte, mich gejagt, dies eine
  • Erhabne Wort der Schrift wohl aufgefaßt,
  • So lägen dort noch meines Leibs Gebeine
  • Am Brückenkopf bei Benevent, vom Mal
  • Geschützt der schweren aufgehäuften Steine.
  • Nun netzt’s der Regen, dorrt’s der Sonnenstrahl,
  • Dort, wo er’s hinwarf mit verlöschten Lichten,
  • Dem Reich entführt, entlang dem Verdetal.
  • Doch kann ihr Fluch die Seele nicht vernichten,
  • Aus welcher nicht die frohe Hoffnung weicht,
  • An ew’ger Liebe neu sich aufzurichten.
  • Wahr ist’s, daß, wer im Kirchenbann erbleicht,
  • War’ auch zuletzt in ihm die Reu’ entglommen,
  • Doch dieser Felswand Höhe nicht erreicht,
  • Bis dreißigmal die Zeit, seit ihm genommen
  • Der Kirche Segen ward, verflossen ist,
  • Kürzt diese Zeit nicht ab das Fleh’n der Frommen.
  • Sieh, ob du mir zum Heil gekommen bist,
  • Wenn du Konstanzen, wie du mich gesehen,
  • Entdeckst und ihr verkündest jene Frist,
  • Denn viel gewinnt man hier durch euer Flehen."
  • Vierter Gesang
  • Wenn etwas, was uns wohltut oder kränkt,
  • Uns eine Seelenkraft in Aufruhr brachte,
  • Und sich die Seel’ in diese ganz versenkt,
  • Dann scheint’s, als ob sie keiner andern achte;
  • Und dies beweist genugsam gegen den,
  • Der uns belebt von mehrern Seelen dachte.
  • Indem wir etwas hören oder sehn,
  • Was stark uns anzieht, ist die Zeit verschwunden,
  • Bevor wir’s glauben und es uns versehn.
  • Denn anders wird die Kraft, die hört, empfunden,
  • Und anders unsrer Seele ganze Kraft;
  • Frei ist die erste, diese scheint gebunden.
  • Davon erhielt ich jetzo Wissenschaft--
  • Indessen ich gehorcht und stillgeschwiegen,
  • Weil Staunen mir die Seele hingerafft,
  • War fünfzig Grad’ die Sonn’ emporgestiegen,
  • Eh’ ich’s bemerkt--da ward ein Ruf mir kund
  • Von den gesamten Seelen: "Seht die Stiegen!"
  • Die Öffnung, die mit einem Dorngebund,
  • Wenn sich die Traube bräunt, die Winzer schließen,
  • Ist weiter oft als hier der Felsenschlund,
  • Durch welchen uns die Seelen klimmen hießen.
  • Er vor, ich folgend, stiegen wir allein
  • Den Felsweg, da die ändern uns verließen.
  • Empor zu Bismantova und bergein
  • Bei Noli kann man auf den Füßen dringen,
  • Doch wer hier aufstrebt, muß beflügelt sein;
  • Ich meine, mit der großen Sehnsucht Schwingen,
  • Die mich dem Führer nachzog mit Gewalt,
  • Der Licht mir gab und Hoffnung zum Gelingen.
  • Wir stiegen innerhalb dem Felsenspalt,
  • Von ihm bedrängt, und fanden kaum mit Händen
  • Und Füßen unter uns am Boden Halt.
  • Nachdem wir aus den rauhen. schroffen Wänden
  • Emporgelangt zum offenen Gestad,
  • Da fragt’ ich: "Meister, sprich, wohin uns wendend"
  • Und er: "Mir nach, zur Höhe geht dein Pfad!
  • Rückwärts darf keiner deiner Schritte weichen,
  • Bis irgendwo ein kund’ger Führer naht!"
  • Den Gipfel konnte kaum der Blick erreichen;
  • Die Seite ging, stolz, senkrecht fast, hinan,
  • Dem Hang der Pyramide zu vergleichen.
  • Ich war bereits ermattet und begann:
  • "O süßer Vater, peinlich wird die Reife!
  • Schau’ her und sieh, daß ich nicht folgen kann!"
  • "Bis dorthin schleppe dich!" So sprach der Weise
  • Und zeigt’ auf einen Vorsprung nahe dort,
  • Von dem es schien, daß er den Berg umkreise.
  • Mir war ein Sporn des edlen Meisters Wort,
  • Mit aller Kraft die Reise fortzusetzen;
  • So kroch ich bis zum Bergesgürtel fort.
  • Und dort verweilten wir, um uns zu setzen,
  • Ostwärts, nach dem erklommnen Pfad gewandt,
  • An dem sich gern der Wandrer Blicke letzen.
  • Die Augen kehrt’ ich erst zum tiefen Strand,
  • Dann als ich sie zur Sonn’ emporgeschlagen,
  • Die uns zur Linken, Gluten sprühend, stand,
  • Da sah Virgil, daß ich des Lichtes Wagen
  • Anstaunte, weil er zwischen Mitternacht
  • Und unserm Standort schien dahinzujagen,
  • Und sprach: "Wenn jenem Spiegel ew’ger Macht
  • Castor und Pollux jetzt Begleiter wären,
  • Ihm, welcher auf- und abführt Licht und Pracht,
  • So würd’ er, kreisend näher bei den Bären,
  • Wenn er vom alten Weg nicht abgeirrt,
  • Mit seiner Glut den Zodiak verklären.
  • Bedenke nur, wenn dich dies Wort verwirrt,
  • Daß dieser Berg mit Zions heil’gen Höhen
  • Begrenzt von einem Horizonte wird,
  • Doch beid’ auf andern Hemisphären stehen;
  • Die Bahn, die Phaethon, der Tor, durchreist,
  • Ist drum von hier zur linken Hand zu sehen,
  • Indes sie dorten sich zur rechten weist--
  • So hoff ich denn, daß du zur klaren Kenntnis,
  • Wenn du wohl aufgemerkt, gefördert seist."
  • "Gewiß, mir ward so klar noch kein Verständnis
  • Als hier," begann ich, "wo mir dein Beweis
  • Ersetzt den Mangel eigener Erkenntnis.
  • Der ewigen Bewegung mittler Kreis,
  • Den man Äquator in der Kunst benannte,
  • Der fest bleibt zwischen Sonn’ und Wintereis,
  • Zeigt, wie ich wohl aus deiner Red’ erkannte,
  • Sich nordwärts hier, wie ihn die Juden sahn,
  • Wenn sich ihr Antlitz gegen Süden wandte.
  • Doch sprich, wie weit hinauf geht unsre Bahn?
  • Denn sieh, so hoch, wie kaum die Augen kommen,
  • Steigt ja des Berges Gipfel himmelan."
  • Und er: "Wer ihn zu steigen unternommen,
  • trifft große Schwierigkeit an seinem Fuß,
  • Die kleiner wird, je mehr man aufgeklommen.
  • Drum, wird dir erst die Mühe zum Genuß,
  • Erscheint dir’s dann so leicht, emporzusteigen,
  • Als ging’s im Kahn hinab den muntern Fluß,
  • Dann wird sich bald das Ziel des Weges zeigen,
  • Dann wirst du sanft von deinen Mühen ruh’n.
  • Dies ist gewiß, vom andern will ich schweigen."
  • Er sprach’s, und eine Stimm’ ertönte nun
  • Ganz nah bei uns: "Eh’ ihr so weit gegangen,
  • Wird euch vielleicht zu sitzen nötig tun."
  • Wir sahn dorthin, woher die Wort’ erklangen,
  • Und linkshin lag ein Felsenblock uns nah,
  • Der bis dahin mir und auch ihm entgangen.
  • Hin schritten wir und fanden Leute da
  • Verdeckt vom Felsen und in seinem Schatten,
  • In welchen ich ein Bild der Trägheit sah.
  • Und einer, wie im gänzlichen Ermatten,
  • Saß dorten und umarmte seine Knie,
  • Die das gesunkne Haupt inmitten hatten.
  • "Der ist gewiß der Faulheit Bruder! sieh,"
  • Begann ich, "sieh nur hin, mein süßer Leiter,
  • Denn sicher sahst du einen Trägern nie."
  • Da kehrt’ er sich zu mir und dem Begleiter,
  • Hob, doch nur bis zum Schenkel, das Gesicht
  • Und sprach: "Bist du so stark, so geh nur weiter."
  • Und da erkannt’ ich ihn und säumte nicht,
  • Noch atemlos vom Klettern, vorzustreben
  • Bis hin zu ihm, und sah ihn, als ich dicht
  • Schon bei ihm stand, das Haupt kaum merkbar heben.
  • "Zur Linken fährt der Sonnenwagen fort,"
  • Begann er nun, "hast du wohl acht gegeben?"
  • Ich mußte lächeln bei dem kurzen Wort
  • Und bei den faulen, langsamen Gebärden;
  • Worauf ich sprach: "Belaqua, dieser Ort
  • Bezeugt mir deutlich, du wirst selig werden.
  • Doch sprich: harrst du des Führers sitzend hier?
  • Wie? oder treibst du’s hier noch wie auf Erden?"
  • "Bruder," sprach er, "was hilft das Steigen mir?
  • Ich würde doch zur Qual nicht kommen sollen,
  • Denn Gottes Pförtner weist mich weg von ihr.
  • Hier außen muß um mich der Himmel rollen,
  • So oft als er im Leben tat, da spät
  • Und erst im Tod mein Herz bereuen wollen,
  • Wenn mir nicht früher beispringt das Gebet,
  • Das sich aus gläub’ger Brust emporgerungen.
  • Was hülf ein andres, da es Gott verschmäht?"
  • Schon war vor mir Virgil hinaufgedrungen,
  • Und rief: "Jetzt komm, schon hat in lichter Pracht
  • Die Sonne sich zum Mittagskreis geschwungen,
  • Und Mauritanien deckt der Fuß der Nacht."
  • Fünfter Gesang
  • Schon hatt’ ich, auf der Spur des Führers steigend,
  • Mich ganz von jenen Seelen abgewandt,
  • Als ein’, auf mich mit ihrem Finger zeigend,
  • Mir nachrief: "Seht den untern linker Hand
  • Die Sonne teilen und den Grund beschatten
  • Und tun, als lebt’ er noch in jenem Land."
  • Sobald mein Ohr erreicht die Töne hatten,
  • Kehrt’ ich mich ihnen zu, und jene sahn
  • Erstaunt nur mich, nur mich und meinen Schatten.
  • Da sprach Virgil: "Was zieht dich also an,
  • Daß du den Gang zum Gipfel aufgeschoben"
  • Und jenes Flüstern, was hat dir’s getan?
  • Was man auch spreche, folge mir nach oben!
  • Steh wie ein fester Turm, des stolzes Haupt
  • Nie wankend ragt, wenn auch die Winde toben.
  • Das Ziel entweicht, dem man sich nah geglaubt,
  • Wenn sich Gedanken und Gedanken jagen
  • Und einer stets die Kraft dem andern raubt."
  • "Ich komme schon!" Was könnt’ ich anders sagen,
  • Da mich mein Fehler zum Erröten zwang,
  • Das oft mir schon Verzeihung eingetragen?
  • Indessen sahn wir quer am Bergeshang
  • Nah vor uns eine Schar von Seelen kommen,
  • Die Vers für Vers ihr Miserere sang.
  • Wie sie an meinem Leibe wahrgenommen,
  • Daß er den Strahlen undurchdringlich sei,
  • Da ward ihr Sang zum Oh! lang und beklommen.
  • Und, gleich Gesandten, kamen ihrer zwei,
  • Uns beide zu befragen, wer wir wären,
  • In vollem Laufe bis zu uns herbei.
  • Da rief Virgil: "Ihr könnt zurückekehren.
  • Sein Leib ist wirklich ganz von Fleisch und Bein,
  • Und solches mögt ihr jenen dort erklären.
  • Und wenn sie, wie ich glaube, dort allein,
  • Um seinen Schatten anzusehn, verweilen,
  • So wissen sie genug, um froh zu sein."
  • Und schnell hingleitend, wie, gleich Feuerpfeilen,
  • Entflammte Dünste, wenn die Nacht beginnt,
  • Durchs heitere Gewölb des Himmels eilen;
  • So kehrten sie empor, um dann geschwind
  • Sich mit den andern nach uns umzudrehen,
  • Gleich einer Schar, die ohne Zaum entrinnt.
  • "Sieh, viele kommen jetzt, dich anzuflehen,
  • In dichtem Drang," so sprach mein Meister drauf,
  • "Doch geh nur immer fort und horch im Gehen."
  • "O du, der du zum Heil den Berg herauf
  • Die Glieder trägst, die immer dich umfingen,"
  • So riefen sie, "hemm’ etwas deinen Lauf.
  • Sieh, um zur Welt von uns Bericht zu bringen,
  • Uns an--erkennst du Antlitz und Gestalt?
  • Was weilst du nicht? Was eilst du, vorzudringen?
  • Getötet sind wir alle durch Gewalt.
  • Der Sünd’ uns bis zur letzten Stunde weihend,
  • Allein im Tod von Himmelsglanz umwallt,
  • Verstarben wir, bereuend und verzeihend,
  • Und fühlten Gottes Frieden und das Licht,
  • Nach seinem Anschau’n Sehnsucht uns verleihend."
  • Und ich: "Zwar kenn’ ich keinen von Gesicht,
  • Doch fordert nur, ihr, die ihr wohl geboren,
  • Und das, was ich vermag, verweigr’ ich nicht.
  • Bei jenem Frieden sei es euch beschworen,
  • Den ich, fortklimmend auf des Führers Spur,
  • Von Welt zu Welt, zum Ziele mir erkoren."
  • Darauf begann der eine: "Hindert nur
  • Nicht Ohnmacht deinen Willen, so vertrauen
  • Wir dem, was du versprachst, auch ohne Schwur.
  • Und solltest du, ein Lebender, die Auen
  • Der Mark Ankona jemals wiedersehn
  • So will ich fest auf deine Güte bauen.
  • Laß die von Fano gläubig für mich fleh’n,
  • Daß mir gestatten himmlische Gewalten,
  • Zur Reinigung von schwerer Schuld zu gehn.
  • Von dort war ich--allein die tiefen Spalten,
  • Woraus das Blut, in dem ich lebte, floß,
  • Hab’ ich in Paduas Bezirk erhalten,
  • Des Schoß mich, den Vertrauenden, umschloß.
  • Zum Mord hatt’ Este den Befehl gegeben,
  • Der mehr der Gall’, als Recht, auf mich ergoß.
  • Den Mordstahl sah ich bei Oriac sich heben,
  • Doch wenn ich Mira mir zur Flucht erkor,
  • So würd’ ich dort noch, wo man atmet, leben.
  • Ich lief zum Sumpf, und dort, in Schlamm und Rohr,
  • Verstrickt’ ich mich und fiel und sah die Erde
  • Rings um mich her gemacht zum blut’gen Moor."
  • Ein andrer: "Wie dein Wunsch befriedigt werde,
  • Des Fittich hin zum Bergesgipfel fleugt,
  • So kürz’ auch mir mitleidig die Beschwerde.
  • In Montefeltro hat mich Guid’ erzeugt;
  • Ach wenn Johannen noch mein Schicksal rührte,
  • Nicht ging’ ich mehr mit diesem hier gebeugt."
  • "Welche Gewalttat, welch Verhängnis führte,"
  • So sprach ich, "dich so weit vom Campaldin,
  • Daß niemand noch bis jetzt dein Grab erspürte."
  • "Oh," sprach er drauf, "am Fuß des Casentin
  • Strömt vor der Archian, ein Fluß, entsprungen
  • Beim Kloster oberhalb im Apennin.
  • Bis dorthin, wo sein Namenslaut verklungen,
  • Floh ich, durchbohrt den Hals, zu Fuße fort;
  • Und blutleer schon, von Todesfrost durchdrungen,
  • Verlor ich dorten Augenlicht und Wort,
  • Um in Marias Namen wohl zu enden,
  • Und fiel und ließ die leere Hülle dort.
  • Da fühlt’ ich mich in eines Engels Händen,
  • Doch schreiend fuhr ein Teufel auch herzu:
  • "Wie, du vom Himmel, willst mir den entwenden?
  • Wahr ist’s, was ewig ist, erbeutest du
  • Nur durch ein Tränlein, das ihn mir entzogen,
  • Doch gönn’ ich nun dem andern keine Ruh’."
  • Du weißt, wenn feuchten Dunst emporgezogen
  • Die Sonne hat, so stürzt er, wenn ihn dann
  • Die Kälte faßt, zurück in Regenwogen.
  • Zum Willen nun, der stets nur Böses sann,
  • Fügt’ er Verstand, und Rauch und Sturm erregte
  • Die Kraft in ihm, die sie erregen kann.
  • Als drauf der Tag erloschen war, belegte
  • Er Pratomagnos Tal mit schwarzem Duft,
  • Der vom Gebirg sich drohend herbewegte.
  • Zu Fluten wurde nun die schwangre Luft,
  • Zum Strombett rann, was von den Regengüssen
  • Der Grund nicht trank, hervor aus Tal und Kluft.
  • Der Archian, gleich andern großen Flüssen,
  • Ergoß zum Königsstrom den Sturmeslauf,
  • Dem Fels und Baum zertrümmert weichen müssen.
  • Wie nun den starren Leib, nicht weit herauf
  • Von seiner Mündung, jene Flut gefunden,
  • Da löste sie das Kreuz am Busen auf,
  • Das ich gemacht, da Schmerz mich überwunden,
  • Und wirbelte zum Strom die träge Last.
  • Dort liegt sie nun im Grund, von Schlamm umwunden."
  • Als drauf der dritte Geist das Wort gefaßt,
  • Sprach er: "Wenn du, zur Welt zurückgekommen,
  • Erst ausgeruht vom langen Wege hast,
  • So laß dein Hiersein auch der Pia frommen.
  • Siena gebar, Maremma tilgte mich,
  • Und er, von dem ich einst den Ring bekommen,
  • Der Treue Pfand, er weiß, wie ich erblich."
  • Sechster Gesang
  • Wenn Spieler sich vom Würfelspiel entfernen,
  • Bleibt, der verlor, betrübt und ärgerlich
  • Und wirft und wirft, um’s besser zu erlernen
  • Doch alles drängt um den Gewinner sich.
  • Der folgt und sucht, wie er sein Kleid erlange,
  • Ein andrer, seitwärts, spricht: Gedenk’ an mich.
  • Doch er verweilt nicht, hört auf keinen lange,
  • Und wem er etwas gibt, der macht sich fort;
  • So kommt er los vom lästigen Gedrange.
  • So war ich in dem dichten Haufen dort,
  • Und mußte hier den Kopf und dorthin wenden
  • Und löste mich durch manch Verheißungswort;
  • Sah Benincasa, der den Wütrichshänden
  • Des Ghin erlag, und sah darauf auch ihn,
  • Des Los war, jagend in der Flut zu enden.
  • Novelle bat mich flehend, zu verzieh’n;
  • Auch der von Pisa dann, durch den der gute,
  • Der wackere Marzucco stark erschien.
  • Graf Orfo auch, und der im Frevelmute
  • Vertilgt ward, wie er sagt’, aus Neid und Groll,
  • Nicht weil auf ihm ein schwer Verbrechen ruhte,
  • Den Broccia mein’ ich--mag sich demutsvoll
  • Zur Reue die Brabanterin bequemen,
  • Wenn sie zu schlechterm Troß nicht kommen soll.
  • Kaum war ich frei von allen jenen Schemen,
  • Die dort mich angefleht, zu fleh’n, daß sie
  • Zur Heiligung mit größrer Eile kämen;
  • Da sprach ich: "Du, der stets mir Licht verlieh,
  • Hast irgendwo in deinem Werk geschrieben,
  • Den Schluß des Himmels beuge Flehen nie.
  • Doch hörtest du, wozu mich diese trieben.
  • Täuscht nun vielleicht die Hoffnung diese Schar?
  • Ist unklar mir vielleicht dein Sinn geblieben?"
  • "Nicht täuscht sie Hoffnung, und mein Wort ist klar,"
  • So sprach er drauf, "du magst es nur betrachten
  • Mit hellem Geist, so wird dir’s offenbar.
  • Ist für gebeugt das strenge Recht zu achten,
  • Wenn das erfüllt der Liebe heißer Trieb,
  • Was jenen oblag und sie nicht vollbrachten?
  • Da, wo ich jenen Grundsatz niederschrieb,
  • Da sühnte man durch Bitten keine Sünden,
  • Weil ungehört von Gott die Bitte blieb.
  • Doch kannst du jetzt so tiefes nicht ergründen,
  • So harr’ auf sie, die zwischen deinem Geist
  • Und ew’ger Wahrheit wird ein Licht entzünden.
  • Beatrix ist’s, wenn du’s vielleicht nicht weißt,
  • Die Lächelnde, Beglückte, die zu sehen
  • Des hohen Berges Gipfel dir verheißt."
  • Und ich: "Mein Meister, laß uns schneller gehen!
  • Mir kehrt die Kraft, die kaum noch unterlag,
  • Und sieh, schon werfen Schatten jene Höhen."
  • "Wir gehn soweit als möglich diesen Tag,"
  • Entgegnet’ er, "doch andres wirst du finden,
  • Als eben jetzt dein Geist sich denken mag.
  • Die Sonne, deren Strahlen jetzt verschwinden,
  • So, daß zugleich dein Schatten flieht, sie kehrt,
  • Bevor wir uns empor zum Gipfel winden.
  • Doch eine Seele sieh, uns zugekehrt,
  • Allein, betrachtend, wie du dich bewegtest.
  • Gewiß, daß sie den nächsten Weg uns lehrt."
  • O Geist von Mantua, wie du lebend pflegtest,
  • So bliebst du stolzen, strengen Angesichts,
  • Indem du langsam ernst die Augen regtest.
  • Er ließ uns beide gehn und sagte nichts,
  • Gleich einem Leu’n, der ruht, uns still betrachtend
  • Mit scharfem Strahle seines Augenlichts.
  • Allein Virgil, nur nach der Höhe trachtend,
  • Befragt’ ihn: "Wo erklimmt man diese Wand?"
  • Doch jener, nicht auf seine Fragen achtend,
  • Fragt’ uns nach unserm Leben, unserm Land.
  • Und: "Mantua"--begann nun mein Begleiter;
  • Da hob der Schatten, erst in sich gewandt,
  • Sich schnell vom Sitz und ward teilnehmend heiter.
  • "Sordell bin ich, dein Landsmann!" rief er aus,
  • Und, selbst umarmt, umarmt’ er meinen Leiter--
  • Italien, Sklavin, Schlund voll Schmerz und Graus,
  • Schiff ohne Steurer auf durchstürmten Meeren,
  • Nicht Herrscherin der Welt, nein, Hurenhaus;
  • Wie sah ich jenen Schatten dort, den hehren,
  • Beim süßen Klange seiner Vaterstadt
  • Hereilen, um den Landsmann froh zu ehren.
  • Doch deine Lebenden sind nimmer satt,
  • Im tollen Kampf sich wechselweis zu morden,
  • Selbst die umschlossen eine Mauer hat.
  • Elende, such’ an deinen Meeresborden,
  • Im Innern such’ und keinen Winkel letzt
  • Des Friedens Glück im Süden und im Norden.
  • Was hilft dir’s, da dein Sattel unbesetzt,
  • Daß Justinian die Zügel dir erneute?
  • Ohn’ ihn wär’ minder deine Schande jetzt.
  • Ihr hattet längst mit frommem Sinn, ihr Leute,
  • Zu Cäsars Sitz den Sattel eingeräumt,
  • Verstündet ihr, was Gottes Wort bedeute.
  • Seht, wie das wilde Tier sich tückisch bäumt,
  • Seit niemand es die Sporen fühlen lassen,
  • Und ihr es, die ihr’s zähmen wollt, entzäumt.
  • O deutscher Albrecht, der dies Tier verlassen,
  • Das drum nun tobt in ungezähmter Wut,
  • Statt mit den Schenkeln kräftig es zu fassen,
  • Gerechtes Strafgericht fall’ auf dein Blut
  • Vom Sternenzelt, auch sei es neu und offen,
  • Dann ist dein Folger wohl auf seiner Hut.
  • Was hat dich und den Vater schon betroffen,
  • Weil ihr, verödend diese Gartenau’n,
  • Nach jenseits nur gestellt das gier’ge Hoffen.
  • Komm her, der Philipeschi Stamm zu schau’n
  • Leichtsinniger, komm, sieh die Cappelletten,
  • Die schon gebeugt, und die voll Angst und Grau’n!
  • Komm, Grausamer, die Treuen zu erretten!
  • Sieh, ungestraft drängt sie der schnöde Feind!
  • Sieh Santafior in wilder Räuber Ketten!
  • Komm her und sieh, wie deine Roma weint,
  • Und höre Tag und Nacht die Witwe stöhnen:
  • Mein Cäsar, ach, warum nicht mir vereint?
  • Komm her und sieh, wie alle sich versöhnen,
  • Komm her, und fühlst du dann auch Mitleid nicht,
  • So schäme dich, daß alle dich verhöhnen.
  • Verzeih, o höchster Zeus im ew’gen Licht,
  • Der du für uns gekreuzigt wardst auf Erden,
  • Ist anderwärts gewandt dein Angesicht?
  • Wie? oder soll aus schrecklichen Beschwerden,
  • Ein neues Heil, von keinem Aug’ entdeckt,
  • Nach deinem tiefen Rat bereitet werden?
  • Wie voll Italien von Tyrannen steckt!
  • Will sich ein Bauer der Partei verschwören,
  • Gleich heißt’s von ihm, Marcell sei auferweckt.
  • Du, mein Florenz, du kannst dies ruhig hören,
  • Da dieser Abschweif nimmer dich berührt.
  • Nie ließ sich ja dein wackres Volk betören.
  • Gerechtigkeit hegt vieler Herz, nur spürt
  • Man etwas spät, wie sehr es ihr gewogen,
  • Indes dein Volk sie stets im Munde führt.
  • Wenn Bürgerämtern viele sich entzogen,
  • Nimmt sie dein Volk freiwillig an und schreit:
  • Seht her, mich hat die Bürde krumm gebogen!
  • Nun freue dich, wenn du verdienest Neid,
  • Du Reiche, du Friedselige, du Weise--
  • Ich red’ im Ernst, die Wahrheit liegt nicht weit.
  • Man spreche von Athen und Sparta leise!
  • Sollt’ ihr Gesetz wohl wert der Rede sein,
  • Wie sehr man’s anpreist, neben deinem Preise?
  • Das, was du vorkehrst, ist gar dünn und fein;
  • Denn wenn du’s im Oktober angesponnen,
  • Zerreißt es im November kurz und klein.
  • Wie oft hast du geendet und begonnen,
  • Hast über Münz’ und Art, Gesetz und Pflicht,
  • Und Haupt und Glieder anders dich besonnen;
  • Bist du nicht völlig blind für jedes Licht,
  • So mußt du dich gleich einer Kranken sehen.
  • Ruh’ findet sie auf ihren Kissen nicht
  • Und wendet sich, den Schmerzen zu entgehen.
  • Siebenter Gesang
  • Nachdem sie würdig und voll Freudigkeit
  • Drei-, viermal mit den Armen sich umgaben,
  • Da trat Sordell zurück: "Sprecht, wer ihr seid?"
  • "Eh’ sich zu diesem Berg gewendet haben
  • Die Seelen, welche Gott zu schauen wert,
  • Hat Octavianus mein Gebein begraben.
  • Ich bin Virgil.--Des Himmels Eingang wehrt
  • Mir Glaubensmangel nur, nicht andre Sünde,"
  • So sprach Virgil, als jener es begehrt.
  • Als ob ein Wunder plötzlich hier entstünde,
  • Bei dem man sagt: Es ist! dann: Es ist nicht!
  • Und staunend glaubt, und nicht, daß man’s ergründe;
  • So schien Sordell--dann neigt’ er das Gesicht,
  • Worauf er zu den Knien Virgils sich beugte
  • Und ihn umflocht, wo man den Herrn umflicht.
  • "O Latiums Ruhm, du, dessen Werk bezeugte,
  • Wie reich die Sprache sei an Kraft und Zier,
  • O ew’ger Preis der Stadt, die mich erzeugte,
  • Bringt mein Verdienst, mein Glück dich her zu mir?
  • Und wenn ich wert mich solcher Huld erweise,
  • So sprich, auf welchem Wege bist du hier?"
  • Virgil darauf: "Ich kam durch alle Kreise
  • Des wehevollen Reichs in dieses Land,
  • Und Himmelskraft bewegte mich zur Reise.
  • Nicht Tun, nein. Nichttun nur, hat mich verbannt,
  • Hinab verbannt von hoher Sonne Strahlen,
  • Die du ersehnst, die ich zu spät erkannt,
  • Zu jenen tiefen nachterfüllten Talen,
  • Zum Ort, wo leises Seufzen nur ertönt,
  • Nicht Weheruf, noch Angstgeschrei von Qualen;
  • Wo um mich her die Schar der Kindlein stöhnt,
  • Die ungetauft aus jener Welt geschieden,
  • Mit Gott für Adams Schuld noch unversöhnt.
  • Wo die sind, die mit ird’schem Wert zufrieden,
  • Die Tugenden, bis auf die heil’gen Drei,
  • Sämtlich geübt und jede Schuld gemieden.
  • Doch, wenn du kannst, so bring’ uns Kunde bei,
  • Um schneller uns zu unserm Ziel zu leiten,
  • Wo wohl der Läut’rung wahrer Anfang sei."
  • Und er: "Ich darf umher und aufwärts schreiten,
  • Denn kein gewisser Ort ist uns bestimmt.
  • Soweit ich gehn darf, will ich dich begleiten.
  • Doch sieh, wie schon des Tages Licht verglimmt,
  • Drum ist auf guten Aufenthalt zu sinnen,
  • Weil man bei Nacht nicht in die Höhe klimmt.
  • Dort rechts sind Seelen, nicht gar weit von hinnen;
  • Zu diesen, wenn du einstimmst, führ’ ich dich,
  • Und denke wohl, du wirst dabei gewinnen."--
  • Virgil: "Wenn’s Nacht wird, steigt man nicht? So sprich,
  • Erliegt vielleicht die Kraft dann der Beschwerde?
  • Wie, oder widersetzt dann jemand sich?"
  • Mit seinem Finger streifte nun die Erde
  • Sordell und sprach: "Nicht hoffe, daß bei Nacht
  • Dein Fuß den Strich nur überschreiten werde.
  • An Steigen hindert sonst dich keine Macht
  • Als Dunkelheit, die, wie sie uns ermattet,
  • Verwirrt durch Ohnmacht unsern Willen macht.
  • Hinabzugehn und rückwärts ist gestattet,
  • Und irrend ringsumher zu gehn am Bord,
  • Wenn auch ihr Schleier noch die Welt umschattet."
  • Mein Meister stand erst wie bewundernd dort;
  • "Wie du versprachst," So hört ich drauf ihn bitten,
  • "Geleit’ uns an den angenehmen Ort."
  • Wir waren eben noch nicht weit geschritten,
  • Da war ein hohler Raum am Berg zu sehn,
  • Ein Tal, das dort den Felsenrand durchschnitten.
  • "Dorthin", So sprach der Schatten, "laß uns gehn,
  • Seht dort den Berg von einer Höhlung teilen,
  • Dort sehen wir den Morgen auferstehn."
  • Ein krummer Fußpfad führte zwischen steilen
  • Felshöh’n und Ebene zum Rand der Schlucht,
  • Da hieß Sordell am Abhang uns verweilen.
  • Gold, feines Silber und des Coccums Frucht,
  • Bleiweiß und Indiens Blau in hellster Reine,
  • Smaragd, zerbrochen kaum--in dieser Bucht,
  • Bei dieses Grases, dieser Blumen Scheine
  • Schwänd’ ihrer Farben ganzer Glanz dahin,
  • Wie seinem Größern unterliegt das Kleine;
  • Nicht war Natur allein hier Malerin,
  • Mit laufend wunderbar gemischten Düften
  • Ergötzte sie auch des Geruches Sinn.
  • Salve, Regina, tönt’ es in den Lüften
  • Von Seelen auf dem blumenreichen Beet,
  • Versteckt hierinnen zwischen Felsenklüften.
  • "Bevor die Sonne ganz zu Rüste geht,
  • Gehn", sprach Sordell, "wir nicht hinab zu ihnen,
  • Denn, wenn ihr hier auf diesem Felsen steht,
  • Erkennt ihr besser aller Art und Mienen,
  • Als sie im Tale selber, im Gedrang
  • So vieler großer Schatten euch erschienen.
  • Der höher sitzt und scheint, als hätt’ er lang
  • Versäumt, wozu ihn seine Pflicht verbunden,
  • Und nicht den Mund regt bei der andern Sang,
  • Jst Kaiser Rudolf, der Italiens Wunden
  • Zu heilen zwar vermocht, doch nicht geheilt,
  • So daß es spät durch andre wird gefunden.
  • Der, dessen Anblick jetzt ihm Trost erteilt,
  • Einst Herr des Landes, das der Fluß durchschneidet,
  • Der in die Elb’, in ihr zur Meerflut eilt,
  • Hieß Ottokar--mit Windeln noch umkleidet,
  • Weit besser doch, als Wenzeslaus, sein Sohn,
  • Der Bärt’ge, der an Üppigkeit sich weidet.
  • Der Kleingenaste dort--von Reich und Thron
  • Scheint’s, daß er mit dem andern, Güt’gen spreche--
  • Starb fliehend, zu der Lilien Schmach und Hohn.
  • Er schlägt die Brust, als ob das Herz ihm breche.
  • Den andern fehl--es ruhet sein Gesicht
  • In seiner aufgestützten Linken Fläche.
  • An Frankreichs Aussatz, an den Bösewicht,
  • Den Sohn und Eidam, denken sie, des Leben
  • Voll Schmutz und Schmach sie feindlich quält und sticht
  • Den Gliederstarken sieh! Mit dem daneben,
  • Dem Adlernas’gen, singt er im Akkord
  • Und ragt’ einst hoch in jedem wackern Streben.
  • Und könnt’, als er verstarb, der Jüngling dort,
  • Der hinten sitzt, den Königsthron ererben,
  • So ging von Stamm zu Stamm die Tugend fort.
  • Jakob und Friederich, die andern Erben,
  • Sie sollten zwar des Thrones Herrlichkeit,
  • Doch nicht des Vaters bessres Gut erwerben.
  • Denn selten nur soll Menschenredlichkeit,
  • Nach Gottes Schluß, neu aus der Wurzel Schlagen,
  • Weil er sie nur auf frommes Fleh’n verleiht.
  • Dem Adlernas’gen ist dies auch zu sagen,
  • So gut als feiern, welcher mit ihm singt,
  • Weshalb Provence und Puglien sich beklagen,
  • Weil so viel schlechtem Keim sein Same bringt,
  • Als höher sich Konstanzas Gatt’ im Preise
  • Vor Beatrixens und Margretens schwingt.
  • Den König seht von schlichter Lebensweise,
  • Der einsam sitzt, Heinrich von Engelland,
  • Vergnügt, daß sich ihm gleich sein Sproß erweise.
  • Der tiefer sitzt, den Blick emporgewandt,
  • Ist Markgraf Wilhelm, welchen noch die Seinen
  • In Montferrat, in Canaveser Land
  • Und Alessandrias Tück’ und Krieg beweinen.
  • Achter Gesang
  • Die Stunde war es, die zu stillem Weinen
  • Vor Heimweh den gerührten Schiffer zwingt,
  • Am Tag, da er verließ die teuren Seinen,
  • Die Liebesleid dem neuen Pilgram bringt,
  • Wenn fernher, klagend ob des Tags Erbleichen,
  • Der Abendglocken Trauerlied erklingt.
  • Jedweder Laut schien mit dem Licht zu weichen,
  • Und eine von den Seelen trat hervor
  • Und heischt’ Aufmerksamkeit mit einem Zeichen
  • Und naht’ und hob die beiden Händ’ empor,
  • Als sagte sie: Du, Gott, nur bist mein Trachten!
  • Indem ihr Blick im Osten sich verlor.
  • Te Lucis Ante--diese Worte brachten
  • Dann ihre Lippen vor. So fromm, so schön,
  • Daß sie mich meiner Selbst vergessen machten.
  • Mit andachtsvollem lieblichem Getön
  • Stimmt’ ein der Chor zu reicher Wohllauts Fülle,
  • Den Blick emporgewandt zu Himmelshöh’n.
  • Die Wahrheit liegt hier unter leichter Hülle;
  • Ist, Leser, jetzt dein Blick nur scharf und klar,
  • So wirst du leicht erspäh’n, was sie verhülle.
  • Demütig, bleich, sah ich die edle Schar
  • Nach oben schau’n, erwartungsvoll und schweigend,
  • Und sah aus himmlischem Gewölb’ ein Paar
  • Von Engeln durch die Luft herniedersteigend,
  • Zwei Flammenschwerter zwar in ihrer Hand,
  • Allein mit abgebrochnen Spitzen zeigend;
  • Grün wie das Laub, das eben erst entstand,
  • Und, von der grünen Flügel Weh’n getrieben,
  • Nach hinten zu leicht flatternd das Gewand.
  • Der eine blieb nah über uns, und drüben,
  • Jenseit des Tales, blieb der andre stehn,
  • So, daß die Schatten in der Mitte blieben.
  • Ich konnte wohl die blonden Häupter sehn,
  • Doch am Gesicht verging mein Blick, geblendet,
  • Wie oft die Sinn’ am Übermaß vergehn.
  • "Dies Paar ist aus Marias Schoß gesendet,
  • Zur Hut des Tales, weil die Schlange naht."
  • So sprach Sordell, uns beiden zugewendet.
  • Und ich, der ich nicht wußt’, auf welchem Pfad,
  • Ich schaut’ umher, indem ich starr vor Grauen
  • Fest an des treuen Führers Rücken trat.
  • Sordell begann aufs neu: "Geht mit Vertrauen
  • Jetzt zu den Großen hin und sprecht sie an,
  • Denn lieb wird’s ihnen sein, euch hier zu schauen.
  • Ich war im Grund, wie ich drei Schritt’ getan,
  • Und nach mir forschend späh’n sah ich den einen,
  • Als sah’ er ein bekanntes Antlitz nah’n.
  • Schon schwärzte sich die Luft, doch zwischen seinen
  • Und meinen Blicken ließ sie, nah, was sich
  • Vorher durch sie verschlossen, klar erscheinen.
  • Nun ging ich auf ihn zu und er auf mich.
  • "Mein edler Richter Nin, o welch Vergnügen!
  • Hier--nicht bei den Verdammten--find’ ich dich!"
  • Kein schöner Gruß ward zwischen uns verschwiegen.
  • Und er: "Wann bist du aus dem weiten Meer
  • Am Fuße dieses Berges ausgestiegen?"
  • "Heut morgen kam ich aus der Hölle her",
  • Entgegnet’ ich, "und bin im ersten Leben,
  • Doch suche hier des künftigen Gewähr."
  • Und wie ich ihnen den Bescheid gegeben,
  • Da fuhr Sordell und er zurück, verstört,
  • Als halt’ ein Wunder plötzlich sich begeben,
  • Der dem Virgil, der einem zugekehrt,
  • Der dorten saß, am grünen Talgestade:
  • "Auf, Konrad, sieh, was uns der Herr beschert."
  • Und drauf zu mir: "Erwies besondre Gnade
  • Dir der, des erster Grund verborgen ruht,
  • Wohin kein Geist je findet Furt und Pfade,
  • So sag’ einst jenseits dieser weiten Flut
  • Meiner Johanna, daß sie für mich flehe,
  • Zu ihm, der nach dem Fleh’n der Unschuld tut.
  • Nicht liebt die Mutter wohl mich noch wie ehe,
  • Da sie den Witwenschleier abgelegt,
  • Nach dem sie bald sich sehnt in ihrem Wehe.
  • An ihr sieh, wie ein Weib zu lieben pflegt,
  • Wenn ihre Liebesglut nicht um die Wette
  • Jetzt Anschau’n, jetzt Betastung, neu erregt.
  • Gewiß wird einstens ihre Grabesstätte
  • Von Mailands Schlange nicht so schön geschmückt,
  • Als sie geschmückt der Hahn Galluras hätte."
  • Er sprach’s, und ihm im Antlitz ausgedrückt
  • War ein gerechter Eifer, der dem Weisen
  • Wohl durch das Herz, doch nur gemäßigt, zückt.
  • Ich blickte sehnlich nach des Himmels Kreisen
  • Dorthin, wo träger ist der Sterne Lauf,
  • So wie, der Achse nah, des Rades Kreisen.
  • Mein Führer sprach: "Was blickst du dort hinauf?"
  • Und ich: "Nach den drei Lichtern, denn mit ihnen
  • Geht ja am ganzen Pol ein Feuer auf."
  • Und er: "Die vier, die dir heut morgen schienen,
  • Sind tief jetzt unterm Horizont versteckt,
  • Und diese sind an ihrer Stell’ erschienen."
  • Hier ward ich durch den Ruf Sordells erschreckt:
  • "Den Widersacher seht!" Er sprach’s und zeigte
  • Zur Gegend hin, den Finger ausgestreckt,
  • Wo sich das kleine Tal geöffnet neigte;
  • Dort war die Schlange, die wohl jener glich,
  • Die Even einst die bittre Speise reichte.
  • Wie sie daher durch Gras und Blumen strich,
  • Hob sie von Zeit zu Zeit den Kopf zum Rücken
  • Verdreht empor und leckt’ und putzte sich.
  • Nicht sah ich und vermag’s nicht auszudrücken,
  • Wie die zwei Engel sich bewegt zum Flug,
  • Doch deutlich sah ich sie herniederzücken.
  • Und wie ihr Flügelpaar die Lüfte schlug,
  • Entfloh die Schlang’, und jene beiden flogen
  • Zu ihrem Platz zurück in gleichem Zug.
  • Der Schatten, der von Ninos Ruf bewogen
  • Sich uns genähert, hatte bei dem Strauß
  • Die Blicke nimmer von mir abgezogen.
  • "Die Leuchte, die dich führt zu Gottes Haus,
  • Sie find’ in deinem Willen und Verstande
  • Ihr Öl und gehe bis zum Ziel nicht aus."
  • So sprach er, "doch wenn von der Magra Strande
  • Du wahre Kunde hast, so gib sie mir,
  • Denn wiss’, ich war einst groß in seinem Lande.
  • Corrado Malaspina spricht mit dir,
  • Der Alte bin ich nicht, doch ihm entsprungen;
  • Die Meinen liebt’ ich stets, doch reiner hier."
  • "Oh," sprach ich, "nimmer noch ist mir’s gelungen,
  • Dies Land zu sehn, allein sein Nam’ und Wert
  • Ist, wo man in Europa sei, erklungen.
  • Der Ruf, der euer Haus erhebt und ehrt,
  • Schallt zu der Herrn, schallt zu des Landes Preise,
  • So daß, wer dort nicht war, davon erfährt.
  • Ich schwör’ es dir beim Ziele meiner Reise,
  • Daß dein Geschlecht in voller Blüte steht,
  • Des Muts, der Gastlichkeit, der edlen Weise.
  • Und wenn die Tollheit alle Welt verdreht,
  • Sitt’ und Natur wird ihm den Vorzug schenken,
  • Daß es allein den schlechten Weg verschmäht."
  • Und er: "Jetzt geh, nicht siebenmal versenken
  • Wird sich die Sonn’ im Bett an jenem Ort,
  • Den ringsumher des Widders Füߒ umschränken,
  • So wird dir diese gute Meinung dort
  • In deinem Kopfe festgenagelt werden,
  • Mit bessern Nägeln als mit andrer Wort,
  • Wird nicht des Schicksals Lauf gehemmt auf Erden."
  • Neunter Gesang
  • Schon Thithons Buhlerin, entgleitend
  • Dem Arm des süßen Freunds und einen Kranz
  • Von weißem Licht im Orient verbreitend,
  • Geschmückt die Stirn mit der Demanten Glanz,
  • Die jenes kalten Tiers Gestaltung zeigen,
  • Das tödlich sticht mit seinem gift’gen Schwanz.
  • Zwei Schritte hatte, wo ich war, im Steigen
  • Die Nacht getan, um sich beim dritten jetzt
  • Mit ihren Fittichen herabzuneigen,
  • Als meine Sinne, da ich herversetzt
  • Mit Adams Erbschaft war, dem Schlaf erlagen
  • Und ich ins Gras sank, wo wir uns gesetzt.
  • Zur Stunde war es, wo mit bangen Klagen,
  • Wenn sich der Morgen naht, die Schwalbe girrt,
  • Vielleicht gedenkend ihrer ersten Plagen,
  • Und wo der Geist, vom Leibe nicht verwirrt,
  • Frei und entledigt von den Sorgen allen,
  • Im Traumgesicht beinahe göttlich wird.
  • Da sah ich, träumend, an des Himmels Hallen
  • Mit goldenem Gefieder einen Aar,
  • Gespreizt die Flügel, um herabzufallen.
  • Mir schien’s der Ort, wo Ganymedes war,
  • Als er, indem die Seinen ihn umfingen,
  • Entrückt ward zu der ew’gen Götter Schar.
  • "Er pflegt vielleicht sich hier herabzuschwingen",
  • So dacht’ ich, "und verschmäht, von anderm Ort
  • In seinen Klauen uns emporzubringen."
  • Ein wenig kreist’ er erst im Bogen dort,
  • Dann schoß er, schrecklich, wie ein Blitz, hernieder
  • Und riß mich bis zum Feuer aufwärts fort.
  • Mir schien, ich brenn’, auch brenne sein Gefieder,
  • Und ganz erglüht von dem erträumten Brand,
  • Erwacht’ ich jäh aus meinem Schlummer wieder.
  • So fuhr Achill empor im fremden Land
  • Und drehte dann die wachen Blick’ im Kreise,
  • Weil er nicht wußte, wo er sich befand,
  • Als Thetis ihn im Schlaf dem Chiron leise
  • Entführt und ihn nach Skyros hingebracht,
  • Von wo Ulyß ihn rief zur großen Reise;
  • Wie ich emporfuhr, da ich aufgewacht;
  • Doch fühlt’ ich Frost sich über mich verbreiten,
  • Gleich einem, den der Schreck erstarren macht.
  • Mein treuer Hort allein war mir zur Seiten--
  • Zwei Stunden aufwärts stieg die Sonne schon
  • Und vor mir lagen frei des Meeres Weiten.
  • Da sprach mein Herr: "Nicht fürchte dich, mein Sohn.
  • Mut, denn uns ist das Schwerste nun gelungen,
  • Drum halte fest die Kraft, die fast entfloh’n.
  • Zum Fegefeuer bist du nun gedrungen.
  • Den Felsen sieh, der’s einschließt--sieh das Tor
  • Dort, wo, wie’s scheint, der Stein entzweigesprungen,
  • Noch glänzt’ Aurora nicht dem Tage vor,
  • Du aber lagst, den Geist vom Schlaf befangen,
  • Im Tale dort auf jenem Blumenflor,
  • Da kam ein Himmelsweib dahergegangen.
  • ’Lucien seh--den Schläfer nehm’ ich fort,
  • Und leichter soll er so zum Ziel gelangen.’
  • Sordell blieb mit den andern Seelen dort;
  • Sie faßte dich, und als der Tag begonnen,
  • Stieg sie empor mit dir an diesen Ort.
  • Ich folgt’ ihr; und als mir ihr Blick voll Wonnen
  • Das Tor gewiesen, legte sie dich hin
  • Und ging, und mit ihr war dein Schlaf entronnen."
  • Gleichwie wir, wenn uns offenen Gewinn
  • Die Wahrheit zeigte. Sorg’ und Furcht verjagen,
  • Von Mut und Lust erfüllt den freien Sinn,
  • So ich--und da mich frei von Angst und Zagen
  • Mein Meister sah, so schritt er zu den Höh’n,
  • Und ich auch stand nicht an, den Gang zu wagen.
  • Sieh, Leser, hier sich meinen Stoff erhöh’n,
  • Drum staune nicht, wenn größre Kunst die Worte,
  • Dem Stoff gemäß, sich aussucht, hoch und schön.
  • Wir gingen fort und nahten einem Orte,
  • Der erst als Felsenspalt’ erschien; doch nah
  • Erkannt’ ich in der Öffnung eine Pforte.
  • Drei Stufen von verschiednen Farben sah
  • Ich unter ihr, um zu ihr aufzusteigen;
  • Dann auch erkannt’ ich einen Pförtner da,
  • Der auf der höchsten saß in tiefem Schweigen,
  • Doch wie ich auf sein Antlitz hingewandt
  • Mein Auge hatte, mußt’ ich’s wieder neigen.
  • Er hatt’ ein nacktes Schwert in seiner Hand,
  • Und wollt’ ich auf dies Schwert die Blicke kehren,
  • So blitzt’ es her der Sonne Glanz und Brand.
  • "Von dorten sprecht: Was mögt ihr hier begehren?"
  • Sprach er. "Wer bracht’ euch bis zu mir empor?
  • Habt acht, sonst wird das Kommen euch beschweren."
  • Mein Meister drauf: "Uns sagte kurz zuvor
  • Ein Weib, vom Himmel selbst dazu berufen:
  • ’Kehrt dorthin euren Schritt, dort ist das Tor!’
  • Da hört’ ich gleich den edlen Pförtner rufen:
  • "So mögt ihr denn durch sie zum Heile ziehen;
  • Kommt, schreitet weiter vor zu unsern Stufen!"
  • Wir kamen hin--die erste Stufe schien
  • Von Marmor, weiß, von höchster Glätt’ und Reine,
  • Drin spiegelt’ ich mich ab, wie ich erschien.
  • Die zweite schien mir von verbranntem Steine,
  • Rauh, lang und quer geborsten und zerschlitzt,
  • Und ihre Farbe schwärzlichdunkle Bräune.
  • Die dritte höchste Stuf erschien mir itzt
  • Wie Porphyr, flammend, gleich des Blutes Quelle,
  • Die frisch und warm aus einer Ader spritzt.
  • Dem Pförtner diente sie zur Ruhestelle
  • Für seine Fuߒ, und höher saß er dann
  • Auf der durchsicht’gen diamantnen Schwelle.
  • Gern folgt’ ich meinem Führer dorthinan,
  • Der sprach: "Jetzt geh, ihn flehend zu begrüßen,
  • Denn er ist’s, der das Schloß dir öffnen kann."
  • Demütig sank ich zu des Engels Füßen,
  • Schlug dreimal erst auf meinen Busen mich
  • Und bat ihn, aus Erbarmen aufzuschließen.
  • Mit seines Schwertes scharfer Spitze strich
  • Er sieben P auf meine Stirn und machte
  • Sie wund und sprach: "Dort drinnen wasche dich."
  • Noch, wenn ich Asch’ und Erdenstaub betrachte,
  • Seh’ ich des Kleides Farb’, aus welchem er
  • Mit seiner Hand hervor zwei Schlüssel brachte.
  • Von Gold war dieser und von Silber der.
  • Den weißen sah ich ihn, den gelben drehen,
  • Und sieh, verschlossen war das Tor nicht mehr.
  • Er sprach darauf: "Trifft einer von den zween
  • Im Schloß beim Umdreh’n irgend Widerstand,
  • So bleibt die Türe fest verschlossen stehen.
  • Mehr Wert hat der von Gold, doch mehr Verstand
  • Und Kunst wird jener, eh’ er schließt, bedürfen,
  • Denn er nur löst das vielverschlungne Band.
  • Beim Öffnen sollt’ ich eher irren dürfen,
  • Sprach Petrus, der sie gab, als beim Verschluß,
  • Wenn nur, die kämen, erst sich niederwürfen."
  • Er stieß ans heil’ge Tor und sprach zum Schluß:
  • "So geht denn ein, doch daß euch’s nie entfalle,
  • Daß, wer rückblickt, nach außen kehren muß."
  • Beim Öffnen drehte mit so lautem Schalle
  • Die heil’ge Pfort’ in ihren Angeln sich,
  • Gemacht von starkem, klingendem Metalle,
  • Daß es dem Knarren jenes Tores glich,
  • Vom Schloß Tarpeja, dessen Riegel sprangen,
  • Als der Gewalt Metell, sein Wächter, wich.
  • Ich horcht’ aufmerksam hin, denn Stimmen sangen,
  • Und ein Tedeum schien mir, was man sang,
  • Zu welchem volle süße Tön’ erklangen.
  • Denn das, was jetzt zu meinen Ohren drang,
  • War, wie wenn zu Gesängen Orgeln gehen,
  • Und wir vor ihrem vollen hellen Klang
  • Die Worte halb verstehn, bald nicht verstehen.
  • Zehnter Gesang
  • Kaum war ich innerhalb der Tür der Gnade,
  • Die selten aufgeht durch den schlechten Hang,
  • Der g’rad’ erscheinen läßt die krummen Pfade,
  • Da hört’ ich, wie sie beim Verschließen klang.
  • Wie ward’s auch wohl entschuldigt, wie verziehen,
  • Wenn nach ihr umzuschau’n mich Neugier zwang?
  • Wir mußten durch gespaltnen Felsen ziehen,
  • Der vor- und rückwärts sprang vor unsrer Bahn,
  • Wie Wogen sich anwälzen erst, dann fliehen.
  • "Jetzt gilt es", also fing mein Führer an,
  • "Wohl etwas Kunst, um hier und dort den Seiten,
  • Da, wo sie rückwärts weichen, uns zu nah’n."
  • Wir durften drum nur Iangsam vorwärts schreiten,
  • Und schon war Lunas Rand dem Meer genaht,
  • Schon sah ich sie hinab ins Bette gleiten,
  • Eh’ wir zurückgelegt den engen Pfad;
  • Doch blieben wir an seinem offnen Rande,
  • Da, wo der Berg etwas zurücke trat,
  • Ich matt, und fremd wir beid’ in diesem Lande,
  • In Zweifeln stehn auf einem ebnen Ort,
  • Der öd war wie ein Berg in Lybiens Sande.
  • Von wo sein Rand ans Leere grenzt, bis dort
  • Zum Fuß der Felsen, die sich jenseits heben,
  • Ging ebner Raum drei Menschenlängen fort.
  • Soweit g’rad’aus der Blicke Flügel schweben,
  • schien solch ein Raum zur recht’ und linken Hand
  • Den Berg, gleich einem Kranze, zu umgeben.
  • Wie ich dort still mit meinem Führer stand,
  • Erkannt’ ich, daß der Felsrand, uns entgegen,
  • Der steil sich hob, gleich einer schroffen Wand,
  • Von weißem Marmor war und allerwegen
  • Voll Bildnerei, um Polyklet zur Scham,
  • Ja die Natur zum Neide zu erregen.
  • Der mit dem Friedensfchluß, den längst in Gram
  • Die Welt ersehnt, aufs irdische Gefilde,
  • Den lang verschloßnen Himmel öffnend, kam,
  • Der Engel war dort eingehau’n, und Milde
  • Und Liebe tat so wahr sein Wesen kund,
  • Daß niemand glaubt’, es sei ein stumm Gebilde.
  • Man schwor, ein Ave schweb’ auf seinem Mund,
  • Denn sie war dort, durch die des Himmels Riegel
  • Der Höchste löst’ im neuen Liebesbund.
  • Es zeigte der Gebärde reiner Spiegel
  • Das Wort: Sieh Gottes Magd, so ausgeprägt,
  • Wie sich im Wachs ausprägt das schöne Siegel.
  • "Was schaust du", sprach Virgil, "so unbewegt,
  • Als ob nur diesem Bild dein Blick gebührte?"--
  • Ich ging zur Seit’ ihm, wo das Herz uns schlägt,
  • Daher sich jetzt dorthin mein Auge rührte;
  • Und hinter der Maria war der Stein,
  • Zur andern Seite dessen, der mich führte,
  • Geschmückt mit andern schönen Schilderei’n.
  • Drum trat ich, vor Virgil vorbeigeschritten,
  • Ihm näher, um zum Schau’n bequem zu sein.
  • Der Wagen war, in Marmor eingeshnitten,
  • Die stierbespannte Bundeslade da,
  • Drob ungeheischtes Dienen Straf erlitten.
  • Das Volk voraus, in sieben Chören, sah
  • Ich jubelnd zieh’n und sagt’ ich: Ob sie singen?
  • So sagt’ ein Sinn mir nein, der andre ja!
  • Sah Weihrauchduft sich in die Lüfte schwingen,
  • Und auch bei diesem Bilde ließen schwer
  • Geruch sich und Gesicht zum Einklang bringen.
  • Im Tanze vor der heil’gen Lade her,
  • Sah ich erhöht in Demut den Psalmisten,
  • Der minder hier, als König, war, und mehr,
  • Und, wie erfüllt von Ränken und von Listen,
  • Am Fenster des Palasts mit schnödem Wort
  • spöttisch bewundernd sich die Michal brüsten.
  • Darauf bewegt’ ich mich von meinem Ort,
  • Um weiterhin ein andres Bild zu schauen,
  • Und sah den edlen Römerherrscher dort
  • Zu hohem Ruhm in Marmor eingehauen,
  • Ihn, der zum großen Siege den Gregor
  • Beseelt mit Kraft und gläubigem Vertrauen.
  • Trajan, den Imperator, stellt’ es vor,
  • Und eine Witw’, ihm in die Zügel fallend,
  • Die, schmerzerfüllt, mit Flehen ihn beschwor.
  • Rings Reiterei gedrängt. Trompeten schallend,
  • --so schien’s dem Aug’--im goldenen Panier
  • Die Adler drüberhin im Winde wallend.
  • Die Arme schrie mit Macht, so schien es mir:
  • "Verweile, Herr, mir ward der Sohn erschlagen,
  • Du räche mich, die Rache ziemet dir."--
  • So warte, bis ich kehre!" Dies zu sagen
  • schien er, und sie darauf: "Und wenn du nun"
  • (Und ihre Worte schien der Schmerz zu jagen)
  • "Nicht wiederkehrst?"--So wird’s mein Folger tun!"
  • "Vertraust du, was dir obliegt, fremden Armen,
  • Mag auch indes die Pflicht vergessen ruh’n?"--
  • "So tröste dich," entgegnet’ er der Armen,
  • "Bevor ich ziehe, lös’ ich meine Pflicht,
  • Gerechtigkeit gebeut’s, mich hält Erbarmen!"--
  • Sichtbar macht’ er die Red’, er, des Gesicht
  • Von Ewigkeit nichts Neues noch gesehen,
  • Doch uns ist’s neu, weil uns die Kunst gebricht.
  • Indes ich mich ergötzte, hinzuspähen
  • Nach solcher Demut Bildern, deren Wert
  • Noch er erhöht, durch welchen sie entstehen,
  • Da lispelte Virgil, mir zugekehrt:
  • Sieh jene dort, die langsam, langsam schreiten,
  • Von diesen wird uns wohl der Weg gelehrt."
  • Ich ließ, da immer hier nach Neuigkeiten
  • Mein ganzes Streben war, voll Ungeduld
  • Nach dieser Seite hin die Blicke gleiten,
  • Vernimmst du, Leser, wie sich Gott die Schuld
  • Bezahlen läßt, nicht denke drum zu weichen
  • Vom guten Pfad und trau’ auf seine Huld.
  • Mag diese Qual auch der der Hölle gleichen,
  • Denk’ an die Folg’--im schlimmsten Falle wird
  • Nur bis zum großen Spruch die Marter reichen.
  • Ich sprach: "Nur unklar seh’ ich und verwirrt,
  • Was dort sich naht. Sind’s menschliche Gestalten,
  • Was unstet itzt vor meinem Auge flirrt?"--
  • "Kaum seh’ ich selbst ihr Bild sich klar entfalten,"
  • Entgegnet’ er, "weil erdwärts tiefgebückt
  • Vor schwerer Last sie Haupt und Schultern halten.
  • Sieh, was dort unter Steinen näher rückt,
  • Sieh scharf, und du entwirrst gequälte Schatten
  • Und siehst genau, was jeden niederdrückt."--
  • Stolze Christen, o ihr Armen, Matten!
  • Der Fuß schlüpft rückwärts, doch, an Geiste blind,
  • Glaubt ihr, vortrefflich geh eu’r Lauf vonstatten.
  • Bemerkt ihr nicht, daß wir nur Würmer sind,
  • Bestimmt zu jenes Schmetterlings Entfaltung,
  • Des Flug nie der Gerechtigkeit entrinnt.
  • Was tragt ihr hoch das Haupt in stolzer Haltung?
  • Gewürm, das öfters, wenn’s der Pupp’ entflieht,
  • Verkrüppelt ist zu schnöder Mißgestaltung;
  • Wie man zuweilen wohl Gestalten sieht,
  • Anstatt des Simses tragend Dach und Decken,
  • Gekrümmt, daß sich das Knie zum Busen zieht,
  • Die im Beschauer wahres Leid erwecken
  • Durch falschen Schmerz--so könnt’ ich jetzo klar
  • Bei schärferm Hinschau’n jene dort entdecken,
  • Den mehr, den minder tiefgebogen zwar,
  • Als ob die Last hier mehr, dort minder wiege,
  • Doch der auch, der am meisten duldsam war,
  • Schien tränenvoll zu sagen: Ich erliege!
  • Elfter Gesang
  • "Oh Vater unser, in den Himmeln wohnend,
  • Du, nimmer zwar von ihrer Schrank’ umkreist,
  • Doch lieber bei den ersten Werken thronend,
  • Es preis deinen Namen, deinen Geist,
  • Was lebt, weil deinem süßen Hauch hienieden
  • Der Mensch nur würdig dankt, wenn er ihn preist.
  • Zu uns, Herr, komme deines Reiches Frieden,
  • Den keiner je durch eigne Kraft errang,
  • Und der zu uns nur kommt, von dir beschieden.
  • Gleichwie die Engel beim Hosiannasang
  • Ihr Wollen auf das Deine nur beschränken,
  • So opfre dir der Mensch des Herzens Hang.
  • Wollt unser täglich Manna heut uns schenken;
  • Zurückgeh’n ohne dies auf rauher Bahn
  • Die, so am meisten vorzuschreiten denken.
  • Wie wir, was andre Böses uns getan,
  • Verzeih’n, oh so verzeih uns du in Hulden
  • Und sieh nicht das, was wir verdienen, an.
  • Nicht laß die schwanke Kraft Versuchung dulden
  • Vom alten Feinde, sondern mache los
  • Von ihm, des Arglist reizt zu Sünd’ und Schulden.
  • Für uns nicht, teurer Herr, für jene bloß
  • Geschieht, tut not die letzte dieser Bitten,
  • Die dort noch sind in unentschiednem Los."
  • So für sich selbst, für uns auch betend, schritten
  • Die Schatten langsam unter schwerer Last,
  • Wie man im Traum oft ihren Druck erlitten,
  • Im ersten Kreise, der den Berg umfaßt;
  • Sie läutern sich vom Erdenqualm und tragen
  • Ungleiche Bürden, matt, doch ohne Rast.
  • Wenn stets für uns dort jene Gutes sagen,
  • Was kann für sie von solchen hier gescheh’n,
  • Die Wurzeln schon im bessern Sein geschlagen?
  • Sie unterstütze treulich unser Fleh’n,
  • Daß sie der Erdenschuld sich bald entringen
  • Und leicht und rein die Sternenkreise sehn.
  • "Euch möge Recht und Huld Erleicht’rung bringen,
  • Um zu dem Ziel, daß euch die Sehnsucht zeigt,
  • Mit freien Flügeln bald euch aufzuschwingen.
  • Ihr aber zeigt uns, wo man aufwärts steigt,
  • Weist uns den Weg, und gibt es mehr als einen,
  • So lehrt uns den, der minder steil sich neigt.
  • Denn dieser hier, mit Fleisch und mit Gebeinen
  • Von Adam her bekleidet und beschwert,
  • Muß wider Willen träg im Steigen scheinen."
  • So sprach mein Führer, jenen zugekehrt,
  • Und diese Rede ward darauf vernommen,
  • Doch wußt’ ich nicht, von wem ich sie gehört.
  • "Ihr könnt mit uns zur rechten Seite kommen,
  • Dort ist ein Paß, nicht steiler, als der Fuß
  • Des Lebenden schon anderwärts erklommen.
  • Und drückte nicht der Stein nach Gottes Schluß
  • Den stolzen Nacken jetzt der Erd’ entgegen,
  • So daß ich stets zu Boden blicken muß,
  • So würd’ ich nach ihm hin den Blick bewegen,
  • Zu sehn, ob ich ihn, der sich nicht genannt,
  • Erkenn’, und um sein Mitleid zu erregen.
  • Wilhelm Aldobrandeschi, der dem Land,
  • Das ihn geboren, Ruhm und Ehre brachte,
  • Erzeugte mich, und ist euch wohl bekannt.
  • Das alte Blut, der Ruhm der Ahnen machte
  • So übermütig mich und stolz und roh,
  • Daß ich nicht mehr der Mutter aller dachte.
  • Und ich verachtete die Menschen so,
  • Daß ich drum starb, wie die Sanesen wissen
  • Und jedes Kind in Campagnatico.
  • Omberto bin ich; nicht nur mein Gewissen
  • Befleckt der Stolz, er hat auch alle schier
  • Von meinem Stamm ins Elend fortgerissen.
  • Bis ich dem Herrn genugtat, ruht auf mir
  • Die schwere Last, und was ich dort im Leben
  • Nicht tat, daß tu’ ich bei den Toten hier."
  • Ich horcht’ und ging gesenkten Blicks daneben,
  • Ein andrer aber, unterm Steine, fing
  • sich an zu winden, um den Blick zu heben.
  • Er sah, erkannt’ und nannte mich und hing,
  • Kaum fähig, doch den Blick vom Grund zu trennen,
  • An mir, der ganz gebückt mit ihnen ging,
  • "Du Odrisl" rief ich, froh, ihn zu erkennen,
  • Scheinst Gubbios Ruhm, der Ruhm der Kunst zu sein,
  • Die Miniaturkunst die Pariser nennen."
  • "Ach, Bruder, heitrer sind die Schilderei’n,"
  • Versetzte jener, "Franks, des Bolognesen,
  • Sein ist der Ruhm nun ganz, zum Teil nur mein.
  • So edel war’ ich, lebend, nicht gewesen,
  • Dies zu gestehn, denn ach! vor Ruhmgier schwoll
  • Damals mein stolzes Herz, mein ganzes Wesen.
  • Fürs solchen Stolz bezahlt man hier den Zoll.
  • Wo ich, weil ich bereute, durch Beschwerden
  • Von seinem finstern Dampf mich läutern soll.
  • O eitler Ruhm des Könnens auf der Erden!
  • Wie wenig dauert deines Gipfels Grün,
  • Wenn roher nicht darauf die Zeiten werden.
  • Als Maler sah man Cimabue blüh’n,
  • Jetzt sieht man über ihn den Giotto ragen,
  • Und jenes Glanz in trüber Nacht erglüh’n.
  • Den Ruhm der Sprache nahm in diesen Tagen
  • Ein Guid’ dem andern, und ein andrer lauscht
  • Vielleicht versteckt, auch ihn vom Nest zu jagen.
  • Ein Windstoß nur ist Erdenruhm. Er rauscht
  • Von hier, von dort, um schleunig zu verhallen,
  • Indem er Seit’ und Namen nur vertauscht.
  • Wird lauter wohl dereinst dein Ruhm erschallen,
  • Wenn du als Greis vom Leib geschieden bist,
  • Als wenn du stirbst beim ersten Kinderlallen,
  • Eh’ tausend Jahr’ entflieh’n?--wohl kürzre Frist
  • Zur Ewigkeit, als zu dem trägsten Kreise
  • Des Himmels deines Auges Blinken ist.
  • Ganz Tuscien scholl einst laut von dessen Preise,
  • Der dort vor mir so träg und langsam schleicht,
  • Jetzt flüstert’s kaum von ihm in Siena leise.
  • Dort herrscht’ er, als, von dem Geschick erreicht,
  • Fiorenzas Wut erlag, der stolzen, kühnen,
  • Der Stadt, die jetzt der feilen Hure gleicht.
  • Dem Grase gleicht der Menschenruhm, dem Grünen,
  • Das kommt und geht, und durch die Glut verdorrt,
  • Die erst es mild hervorrief, zu ergrünen."
  • Und ich: "Mir dämpft den Stolz dein wahres Wort
  • Und weiß mir trefflich Demut einzuprägen;
  • Doch sprich: Wer geht so schwer belastet dort?"
  • Silvani," sprach er, "ist es, hier deswegen,
  • Weil sich so weit sein toller Stolz vergaß,
  • Dem freien Siena Ketten anzulegen.
  • Drum ging er so und geht ohn’ Unterlaß,
  • Seitdem er starb--der Zoll wird hier erhoben
  • Von jedem, der sich dort zu hoch vermaß."
  • Und ich: "Weilt jeder, welcher aufgeschoben
  • Bis zu dem Rand des Lebens Reu’ und Leid.
  • Dort unten erst und dringet nicht nach oben,
  • Wenn ihm nicht Hilfe gläubig Fleh’n verleiht,
  • Bis so viel Jahr’, als er gelebt, vergangen,
  • Wie kam denn er herauf in kürzrer Zeit?"--
  • Und er: "Er ist auf Sienas Markt gegangen
  • Zur Zeit, da er den höchsten Ruhm erstrebt,
  • Hat dort gestanden, nicht von Scham befangen,
  • Und, weil sein Freund in Carlos Haft gelebt,
  • Um Hilf ihm und Befreiung zu gewähren,
  • Als Bettler dort an jedem Puls gebebt.
  • Ich red’ unklar, doch wird’s nicht lange währen,
  • So handelt also deine Nachbarschaft,
  • Daß du vermagst, dir alles zu erklären--
  • Die Tat hat jene Schrank’ ihm weggeschafft."
  • Zwölfter Gesang
  • Gleichmäßig, wie zwei Stier’ im Joche zieh’n,
  • Ging ich dem schwerbeladnen Geist zur Seiten,
  • Solang es gut dem süßen Lehrer schien.
  • Doch als er sprach: "Laß ihn, um vorzuschreiten,
  • Hier gilt’s. soviel man immer kann, den Kahn
  • Mit Segeln und mit Rudern fortzuleiten!"
  • Da richtet’ ich mich auf zur weitern Bahn
  • Mit meinem Leib, obwohl gebeugt und bange
  • Des Geistes Blicke noch zu Boden sahn,
  • Und folgte meinem Hort im regen Drange
  • Der Wißbegier, und beide zeigten wir,
  • Wie leicht wir waren, schon im raschen Gange;
  • Bis daß er sprach: "Zu Boden blicke hier,
  • Um, was dein Fuß beschreitet, zu gewahren,
  • Denn zu des Weges Kürzung frommt es dir."
  • Wie, um der Freund’ Erinnrung zu bewahren,
  • Auf ird’schen Gräbern dargestellt erscheint,
  • Was, die drin ruhen, einst im Leben waren,
  • So daß bei diesem Anblick jeder weint,
  • Gereizt vom Schmerz der aufgerißnen Wunde,
  • Der’s gut und fromm mit ihnen einst gemeint;
  • So wies der Vorsprung mir, der in der Runde,
  • Den Pfad dort bildend, jenen Berg umschloß,
  • Manch Bild, doch trefflicher, auf seinem Grunde
  • Ihn, edler, als was je der Erd’ entsproß,
  • Erschaffen, sah ich, welcher mit der Eile
  • Des Blitzes hier vom Himmel niederschoß.
  • Dort aber auf des Weges anderm Teile,
  • In starrem Todesfrost und träg und schwer,
  • Lag Briareus, durchbohrt vom Himmelspfeile.
  • Mars, Phöbus, Pallas standen hoch und hehr,
  • Auf die zerstreuten Riesenglieder sehend,
  • Bewaffnet noch, um ihren Vater her.
  • Am Fuß des großen Werks den Nimrod stehend,
  • Erblickt’ ich dann, und wie verwirrt und toll
  • Nach den Genossen seiner Arbeit spähend.
  • Dich Niobe, dich sah ich jammervoll,
  • Hier sieben Kinder tot, dort andre sieben;
  • Wie jedem Aug’ ein Tränenstrom entquoll.
  • Saul, du schienst, ins eigne Schwert getrieben,
  • Tot, wie auf Gilboa, das seit der Zeit
  • Von Tau und Regen unbenetzt geblieben.
  • Arachne, Törin, einst voll Eitelkeit,
  • Halb Spinn’ itzt, auf den Fetzen vom Gewebe,
  • Das du, o Arme, wobst zu deinem Leid.
  • Rehabeam--es schien, als ob er bebe,
  • Als ob er, statt wie immer sonst, zu droh’n,
  • Im Wagen flüchtig, unverjagt, entschwebe.
  • Man sah Eriphylen und ihren Lohn,
  • Wie teuer das unselige Geschmeide
  • Ihr hier bezahlt ward von dem eignen Sohn:
  • Den Sanherib, den seine Söhne beide
  • Im Tempel töteten voll Frevelmut
  • Und liegen ließen in dem letzten Leide.
  • Des Cyrus Tod und der Tomyris Wut--
  • Sie schien zum abgeschnittnen Haupt zu sagen:
  • Dein Durst war Blut, nun füll’ ich dich mit Blut.
  • Dann der Assyrer Heer--es floh, geschlagen,
  • Nach Holofernes’ Tod, und hinterdrein
  • Sah man mit grimmer Wut die Feinde jagen.
  • O Ilion, wie niedrig und wie klein!
  • Wohl standest du auf Trojas Fluren dreister
  • Als hier, in Asch’ und Schutt, auf dem Gestein!
  • Wer war des Griffels und des Pinsels Meister,
  • Der Formen und Gebärden ausgedrückt
  • Selbst zur Bewunderung der feinsten Geister?
  • Mir schien, wie ich dahinging, tiefgebückt,
  • Was tot war, tot, was lebend war, zu leben,
  • Nicht besser hat’s, wer’s wirklich sah, erblickt.
  • Stolziert nur hin, fahrt fort, das Haupt zu heben,
  • Senkt nicht den Blick, ihr, Evens Söhn’, er weist
  • Euch sonst den schlechten Weg, das eitle Streben!--
  • Schon hatten wir vom Berge mehr umkreist,
  • Schon war die Sonne weiter fortgegangen,
  • Als ich bemerkt mit dem befangnen Geist;
  • Als er, des Fuß und Seele vorwärts drangen,
  • Begann: "Blick’ auf, erhebe Haupt und Sinn!
  • Nicht ist’s mehr Zeit, den Bildern anzuhangen.
  • Ein Engel naht--drum blick’ empor, dorthin!
  • Schon kehrt, von schnellen Fittichen getragen,
  • Zurück des Tages sechste Dienerin.
  • Schmück’ itzt mit Ehrfurcht Antlitz und Betragen,
  • Dann führt er wohl mit Freuden uns empor.
  • Denk’, nie wird dieser Tag dir wieder tagen."
  • Und da er mich ermahnt schon oft zuvor,
  • Die Zeit zu nutzen, kam es, daß ich nimmer
  • Den Sinn, den solch ein Wort verschloß, verlor.
  • Das schöne Wesen naht’--ein weißer Schimmer
  • War sein Gewand; dem Stern des Morgens war
  • Sein Antlitz gleich an zitterndem Geflimmer.
  • Die Arm’ erschloß er, dann das Flügelpaar,
  • Und sprach: "Kommt jetzt, denn nahe sind die Stufen
  • Und leicht erklimmt ihr sie und ohne Fahr.
  • Nur wen’ge nah’n von vielen, die berufen.
  • O Mensch, du fällst bei jedes Windes Weh’n,
  • Du, den zum Aufflug Gottes Händ’ erschufen."
  • Bald ließ er uns des Felsen Öffnung sehn.
  • Dort schlug er meine Stirn mit seinem Flügel
  • Und hieß mich dann gesichert weitergehn.
  • Wie ob der Stadt, die ihrer Herrschaft Zügel
  • So wohl zu führen weiß wie Recht und Pflicht,
  • Am Weg zur Kirche, rechts am steilen Hügel,
  • Den kühnen Schwung des Bergs die Treppe bricht,
  • Die man gebaut in jenen guten Zeiten,
  • Wo sicher war das Maß und das Gewicht;
  • So war der Fels, durch Stufen zu beschreiten,
  • Obwohl er jäh sich senkt als steile Wand,
  • Doch streift man das Gestein von beiden Seiten.
  • Laut klang’s, indem ich dort mich aufwärts wand,
  • "Den geistlich Armen Heil!"--mit einem Sange,
  • Wie ich so süß noch keinen je empfand.
  • Wie anders war es hier, als bei dem Gange
  • Ins Höllenreich! Bei Liedern klomm ich auf,
  • Und dort hinab bei wildem Jammerklange.
  • Die heil’gen Stiegen klommen wir hinauf,
  • Und leichter schien mir’s hier, emporzukommen,
  • Als erst auf ebner Bahn der leichtste Lauf.
  • Sprich, Meister, welche Last ist mir entnommen,"
  • So rief ich, da ich dies bemerkt, zuletzt,
  • "Daß ich fast mühelos emporgeklommen?"
  • Und er: sind diese P, die zwar noch jetzt
  • Dein Antlitz trägt, doch die schon halb verschwunden,
  • Erst, wie das eine, völlig ausgewetzt,
  • Dann wird den Fuß dein Streben überwinden,
  • So daß ihm Klimmen keine Mühe macht,
  • Ja, Wonne wird er dann im Steigen finden."
  • Da tat ich jenen gleich, die, sonder Acht,
  • Etwas mit sich am Haupte tragend, gehen,
  • Bis sie bemerkt, daß man sich winkt und lacht;
  • Drum sie die Hand gebrauchen, um zu spähen,
  • Mit dieser suchen, finden und damit
  • Zuletzt erschau’n, was nicht die Augen sehen.
  • Denn mit den ausgespreizten Fingern glitt
  • Ich an der Stirne hin, und sieh, vergangen
  • War eins der Zeichen, das der Engel schnitt.
  • Da schwebt’ ein Lächeln um des Meisters Wangen.
  • Dreizehnter Gesang
  • Wir waren auf dem Gipfel jener Stiegen,
  • Wo sich des Berges zweiter Abschnitt zeigt,
  • Des Bergs, der läutert, die hinaufgestiegen.
  • Hier, wo man auf den zweiten Vorsprung steigt,
  • Der, gleich dem ersten, rings die Höh’ umwindet,
  • Nur daß ein Bogen noch sich schneller beugt,
  • Hier ist kein Bild, und jedes Zeichen schwindet,
  • Daher man glatt den Weg und das Gestad
  • Von des Gesteins schwarzgelber Farbe findet.
  • "Dafern wir harrten, bis der Führer naht,"
  • So sprach Virgil darauf, "hier säumig stehend,
  • So wählten wir zu spät wohl unsern Pfad."
  • Dann macht’ er, festen Blicks zur Sonne sehend,
  • Für die Bewegung seinen rechten Fuß
  • Zum Mittelpunkt, sich mit dem linken drehend.
  • "O süßes Licht, du flößest den Entschluß
  • Zum neuen Weg mir ein, du führ’ uns weiter,"
  • Begann er, "wie ein treuer Führer muß.
  • Du wärmst die Welt, du machst sie hell und heiter;
  • Nie wandle man, wenn sich dein Glanz verhehlt,
  • Drängt nicht die Not, und er sei unser Leiter."
  • Soviel man hier auf eine Miglie zählt,
  • So weit schon gingen wir auf jenen Pfaden
  • In wenig Zeit, vom regen Trieb beseelt.
  • Ein Geisterzug flog längs den Felsgestaden,
  • Gehört, doch nicht gesehn, herbei und schien
  • Zum Tisch der Lieb’ uns freundlich einzuladen.
  • Der erste Geist rief im Vorüberflieh’n:
  • Sie haben keinen Wein! Die Worte klangen
  • Dann nochmals hinter uns im Weiterzieh’n.
  • Und eh’ sie, sich entfernend, ganz verklangen,
  • Da rief: Ich bin Orest!--ein zweiter Geist,
  • Und war im schnellen Flug vorbeigegangen.
  • "O", sprach ich, "Vater, sage, was dies heißt?"
  • Da klang die dritte Stimm’ in meine Frage
  • Und rief: Liebt den, der Böses euch erweist.
  • Und er: "Du findest hier des Neides Plage!
  • Gegeißelt wird er hier, doch Liebe schwingt
  • Der strengen Geißel Schnur zu jedem Schlage.
  • Doch wisse, daß der Zügel anders klingt.
  • Du wirst ihn hören, eh’ im Weitergehen
  • Dein Fuß zum Passe der Verzeihung dringt.
  • Versuch’ es jetzo, scharf dorthin zu spähen,
  • Und vor uns wirst du Leute, langgereiht,
  • An dieser Wand des Felsens sitzen sehen.
  • Da öffnet’ ich sogleich die Augen weit
  • Und sah die Schatten an der Felsenhalle,
  • An Farbe dem Gesteine gleich ihr Kleid.
  • Und näher hört’ ich sie mit lautem Schalle
  • "Bitte für uns, Maria!" brünstig schrei’n,
  • "Michael und Petrus und ihr Heil’gen alle!"
  • Möcht’ einer noch so hart und grausam sein,
  • Vor Mitleid wäre doch sein Herz entglommen,
  • Hält’ er, wie ich, gesehn der Armen Pein.
  • Denn als ich nun so nahe hingekommen,
  • Daß ich Gebärd’ und Angesicht erkannt,
  • Da ward mein Herz durchs Auge schwer beklommen.
  • Ihr Anzug war ein schlechtes Bußgewand;
  • Sie lehnten sich an sich und ihren Rücken
  • Sie allesamt an jene Felsenwand;
  • Den Blinden gleich, die Not und Hunger drücken,
  • Und die an Ablaßtagen bettelnd stehn,
  • Und, Kopf an Kopf gedrängt, sich kläglich bücken,
  • Indem sie, um das Mitleid zu erhöh’n,
  • Nicht minder mit den jämmerlichen Mienen,
  • Als mit den lauten Jammerworten fleh’n.
  • Und, gleich den armen Blinden, war auch ihnen
  • Den bangen Schatten, welchen ich genaht,
  • Der Glanz des Himmelslichts umsonst erschienen.
  • Gebohrt war durch die Augenlider Draht,
  • Ihr Auge, wie des Sperbers, ganz vernähen;
  • Der, wild, nicht nach des Jägers Willen tat.
  • Mir aber schien es unrecht, daß ich sehend,
  • Doch ungesehn dort ging, drum wandt’ ich mich
  • Zum weisen Rat, nach seiner Meinung spähend.
  • Er, der sogleich erriet, weswegen ich
  • Noch stumm, auf ihn die Blicke fragend lenkte,
  • Sprach: "Rede jetzt, doch kurz und sinnig sprich."
  • An jener Seite, wo der Fels sich senkte,
  • Ging mir Virgil, wo leicht zu fallen war,
  • Weil kein Geländer dort den Rand verschränkte;
  • Zur andern Seite saß die fromme Schar,
  • Und durch die grause Naht gepreßte Zähren,
  • Die ihre Wangen netzten, nahm ich wahr.
  • "Ihr, sicher, euch im Lichte zu verklären,"
  • Begann ich nun, "das einzig euer Traum,
  • Das einzig euer Wunsch ist und Begehren,
  • Die Gnade lös’ euch des Gewissens Schaum
  • Und mache drin auf reinem lauterm Grunde
  • Der Seele klaren Fluß zum Strömen Raum.
  • Doch bitt’ ich euch, gebt mir gefällig Kunde:
  • Ist eine Seel’ aus Latium hier?--Ich bin
  • Für sie vielleicht dann hier zur guten Stunde."
  • "O Bruder, jede Seel’ ist Bürgerin
  • Von einer wahren Stadt--doch willst du fragen,
  • Ob ein’ in Welschland lebt als Pilgerin."
  • So schien’s, von mir noch etwas fern, zu sagen,
  • Daher ich, weil ich fast das Wort verlor,
  • Sogleich beschloß, mich weiter vor zu wagen.
  • Und eine wartete, so kam mir’s vor,
  • Auf Antwort, und, um’s deutlicher zu zeigen,
  • Hob sie, dem Blinden gleich, das Kinn empor.
  • "Du," sprach ich, "die sich beugt, um aufzusteigen,
  • Warst du’s, die Antwort gab, so magst du mir
  • Jetzt deinen Ort und Namen nicht verschweigen."
  • "Ich war von Siena, und mit diesen hier",
  • So sprach sie, "läutr’ ich mich vom Lasterleben,
  • Und weinend fleh’n um Gottes Gnade wir.
  • Sapia hieß ich, ob ich gleich ergeben
  • Der Torheit war, denn mir schien andrer Leid
  • Weit größre Lust, als eignes Glück zu geben.
  • Doch zweifelst du an meinem tollen Neid,
  • So höre nur!--Die Jugend war verflossen,
  • Und abwärts ging der Bogen meiner Zeit,
  • Als nah bei Colle meine Landsgenossen
  • Den kampfbereiten starken Feind erreicht;
  • Da bat ich Gott um das, was er beschlossen.
  • Drauf wird ihr Heer geschlagen und entweicht,
  • Und ich, erblickend, wie der Feind es jage,
  • Fühl’ eine Lust, der keine weiter gleicht,
  • So daß ich kühn den Blick gen Himmel schlage
  • Und rufe: Gott, nicht fürcht’ ich mehr dich jetzt!
  • Der Amsel gleich am ersten warmen Tage.
  • Nach Gottes Frieden sehnt’ ich mich zuletzt
  • Am Rand des Lebens, aber meine Schulden,
  • Durch Reue wären sie nicht ausgewetzt,
  • Wenn Pettinagno meiner nicht in Hulden
  • Gedacht in seinem heiligen Gebet;
  • Noch müßt’ ich vor dem Tore harrend dulden.
  • Doch wer bist du, der offnen Auges geht,
  • So scheint’s, um unsern Zustand zu erkunden,
  • Und dessen Atem noch beim Sprechen weht?"--
  • "Mit Draht wird einst mein Auge hier durchwunden,"
  • So sprach ich, "doch ich hoffe kurze Frist,
  • Weil man’s nur selten scheel vor Neid gefunden.
  • Mehr als das Leid, ob des du traurig bist,
  • Hat Sorge mir die untre Qual bereitet.
  • Schon fühl’ ich, wie die Bürde drückend ist."
  • Und sie: "Wer also hat dich hergeleitet,
  • Daß du, um rückzukehren, hier erscheinst?"
  • "Er, der dort schweigend steht, hat mich begleitet.
  • Ich leb’, erwählter Geist, und wenn ich einst
  • Jenseits als Sterblicher für dich bewegen
  • Die Füße soll, so fordre, was du meinst."
  • "So Neues sagtest du," sprach sie dagegen,
  • "Daß es dir sicher Gottes Huld bewährt.
  • Verwende drum dein Fleh’n zu meinem Segen.
  • Ich bitte dich, bei allem, was dir wert,
  • Wirst du dich je im Tuscierland befinden,
  • So sei zum Bessern dort mein Ruf gekehrt.
  • Beim eiteln Volk wirst du die Meinen finden,
  • Das Talamon verlockt zum Hoffnungswahn;
  • Und wie bei Dianas Quelle wird er schwinden,
  • Doch setzen mehr die Admirale dran."
  • Vierzehnter Gesang
  • "Wer ist der, welcher unsern Berg umgeht,
  • Eh’ ihn der Tod beschwingt--dem, nach Behagen,
  • Das Auge bald sich schließt, bald offen steht?"
  • "Daß er allein nicht ist, das kann ich sagen,
  • Nicht wer er ist. Da ich ihm ferner bin,
  • Magst du, damit er red’, ihn höflich fragen."
  • So redeten, von mir zur Rechten hin,
  • Zwei Geister dort, sich zueinander neigend,
  • Dann, um zu sprechen, hoben sie das Kinn.
  • "O Seele, die, empor zum Himmel steigend,"
  • Sprach dann der eine, "noch im Körper steckt,
  • O sprich, dich hold und trostreich uns erzeigend,
  • Woher? Wer bist du? Denn solch Staunen weckt
  • Die Gnade, die wir an dir schauen sollen,
  • Wie wenn, was nie gescheh’n, sich uns entdeckt."
  • Und ich: "Ein Fluß, der Falteron’ entquollen,
  • Lustwandelt mitten durch das Tuscierland,
  • Dem hundert Miglien Laufs nicht g’nügen wollen.
  • Ich bringe diesen Leib von seinem Strand.
  • Doch sagt’ ich, wer ich sei--nicht würd’ euch’s frommen,
  • Da wenig Ruhm bis jetzt mein Name fand."
  • "Bin ich auf deiner Meinung Grund gekommen,
  • Meinst du den Arno und sein Talgebiet?"
  • So sprach jetzt, der zuerst das Wort genommen.
  • Der zweite sprach darauf: "Warum vermied
  • Er, jenes Flusses Namen zu verkünden,
  • Wie’s sonst nur mit Abscheulichem geschieht?"
  • Und jener sprach: "Nicht kann ich dies ergründen,
  • Doch wert des Untergangs ist jenes Wort,
  • Das nur Erinnrung weckt an Schmach und Sünden.
  • Denn von dem Ursprung im Gebirge dort,
  • Von dem sich einst Pelorum trennen müssen,
  • Dort wasserreich, wie sonst an keinem Ort,
  • Bis dahin, wo der Fluß mit ew’gen Güssen
  • Das, was dem Meer die Sonn’ entsaugt, ersetzt,
  • Was Nahrung gibt den Bächen und den Flüssen,
  • Wird, sei’s durch schlechte Sitt’ und Neigung jetzt,
  • Sei’s, daß der Ort an einem Fluche leide,
  • Die Tugend, gleich den Schlangen, fortgehetzt.
  • Denn was im Tal, gedrückt von schwerem Leide,
  • Nur irgend wohnt, hat die Natur verkehrt,
  • Als hätt’ es mitgeschmaust auf Circes Weide.
  • Zu garst’gen Schweinen, mehr der Eicheln wert
  • Als dessen, was Natur den Menschen spendet,
  • Ist erst sein wasserarmer Lauf gekehrt.
  • Dann, wie er weiter seine Wogen sendet,
  • Trifft er ohnmächt’ge kleine Kläffer an,
  • Von welchen er die Stirn unwillig wendet
  • Je mehr er schwillt in seiner tiefern Bahn,
  • Sieht der unsel’ge maledeite Graben
  • Die Hund’ an Art sich mehr den Wölfen nah’n.
  • In tiefen Tümpeln scheint er drauf vergraben
  • Und trifft dann Füchs, in List so eingeweiht,
  • Daß sie nicht scheu mehr vor dem Schlau’sten haben.
  • Frei red’ ich. Sei der Horcher auch nicht weit,
  • Und gut wird’s diesem sein, das zu behalten,
  • Was der wahrhafte Geist mir prophezeit.
  • Ich sehe deinen Neffen furchtbar schalten,
  • Der jene Wölfe so zu jagen weiß,
  • Daß sie vor grauser Todesangst erkalten.
  • Denn er verkauft sie lebend scharenweis,
  • Dann sticht er sie, gleich einem alten Schlachtvieh, nieder.
  • Das Leben raubt er vielen, sich den Preis.
  • Zuletzt verläßt er, blutbespritzt die Glieder,
  • Den Wald gefällt, und ringsum öd und tot,
  • Und tausend Jahr’ erneu’n sein Laub nicht wieder."
  • Wie bei Verkündigung zukünft’ger Not
  • Des bangen Hörers Züge sich umschatten,
  • Der sich gefährdet glaubt und rings bedroht,
  • So sah ich jetzo jenen andern Schatten,
  • Der zugehorcht, verstört und bange stehn,
  • Wie seinen Geist erfüllt die Worte hatten.
  • Was ich von dem gehört, von dem gesehn,
  • Mich reizt’ es, ihren Namen nachzufragen,
  • Und bittend ließ ich meine Frag’ ergehn.
  • Und den, der erst gesprochen, hört’ ich sagen:
  • "Du also willst, für dich tun soll ich dies,
  • Was du für mich zu tun mir abgeschlagen?
  • Doch kargen will ich nicht, denn herrlich ließ
  • Gott in dir strahlen seine Huld und Güte.
  • Drum wisse, daß ich Guid del Duca hieß.
  • Von Neid verbrannt war also mein Gemüte,
  • Daß, wenn ich sah, ein andrer sei erfreut,
  • Ich schwarz vor Gall’ in bitterm Ingrimm glühte.
  • Hier mäh’ ich Saat, die ich dort ausgestreut.
  • O Sterbliche, was müßt ihr das begehren,
  • Was Ausschluß der Genossenschaft gebeut!
  • Der hier ist Rainer, der zu Preis und Ehren
  • Das Haus von Calboli gebracht, des Mut
  • Und Kraft und Wert die Erben ganz entbehren.
  • Denn alle sieht man jetzt aus seinem Blut
  • Das Schlechte tun, das Rechte träg versäumen,
  • Und zwischen Po, Berg, Ren und Meeresflut
  • Sieht man’s nur sprossen noch in gift’gen Bäumen,
  • Und keinem Gärtner glückt’s, der schlechten Art
  • Wildwucherndes Gewürzel wegzuräumen.
  • Wo mag der wackre Licio, wo Manard,
  • Wo Traversar, wo Guid Carpigna bleiben?
  • Ist jeder Romagnol heut ein Bastard?
  • Ein Schmied muß in Bologna Äste treiben,
  • Und in Faenza jetzt ein Bernardin,
  • Der edle Sproß aus niederm Keim, bekleiden!
  • Nicht staune, Tuscier, daß ich traurig bin,
  • Wenn ich des Guid von Prata noch gedenke,
  • Und des, der mit uns war, des Ugolin.
  • Dann auf Tignoso die Erinnrung lenke,
  • Auf Traversars und Anastasens Haus,
  • Und über den enterbten Stamm mich kränke;
  • Auf Ritter, Frau’n, auf Ruhe, Müh’ und Strauß,
  • Was wir aus Lieb’ und Edelsinn begannen,
  • Wo jetzt die Herzen sind voll Tück’ und Graus.
  • Brettinoro, fliehst du nicht von dannen,
  • Da, um zu flieh’n Verderben, Schand und Hohn,
  • Die Guten allesamt aus dir entrannen!
  • Wohl dir, Bagnacaval, dir fehlt der Sohn!
  • Weh, Castrocaro, dir, da mit Verderben
  • Dich solche Grafen, wie du zeugst, bedrohen!
  • Gut handeln einst, wird erst ihr Dämon sterben,
  • Faenzas Herr’n, doch nimmer werden sie
  • Des Ruhmes reines Zeugnis sich erwerben.
  • Dir, Ugolin von Fantoli, wird nie
  • Des edlen Namens reiner Glanz gebrechen,
  • Da dir das Schicksal keinen Sohn verlieh.
  • Doch jetzt, Toskaner, geh; denn nicht zum Sprechen,
  • Mich reizt zum Weinen nur mein armes Land,
  • Und preßt mein Herz durch Untat und Verbrechen."
  • Durchs Ohr ward jenen unser Gehn bekannt,
  • Drum wußten wir, da sie es schweigend litten,
  • Daß wir uns auf den rechten Weg gewandt.
  • Indem wir einsam nun von dannen schritten,
  • Scholl eine Stimm’ uns zu, eh wir’s gedacht,
  • Gleich einem Blitze, der die Luft durchschnitten:
  • Mich tötet, .wer mich trifft! Sie rief’s mit Macht
  • Und floh im schnellen Flug dann und verhallte,
  • Dem Donner gleich, der aus den Wolken kracht.
  • Und wie sie kaum an uns vorüberwallte,
  • Braust’ eine zweite schon an unser Ohr,
  • Die schrecklich, wie ein zweiter Donner schallte:
  • Ich bin Aglauros, die zum Stein erfror!
  • Und als ich an Virgil mich drängen wollte,
  • Schritt ich vor großer Angst zurück, nicht vor.
  • Schon schwieg die Luft, kein dritter Donner rollte,
  • Da sprach Virgil: "Dies ist der harte Zaum,
  • Der auf der rechten Bahn euch halten sollte.
  • Doch winkt des alten Feindes Köder kaum,
  • So laßt ihr euch in seinem Hamen fangen,
  • Gebt nicht dem Rufe, nicht dem Zügel Raum.
  • Euch rufend, hält der Himmel euch umfangen,
  • Der, ewig schön, rings seine Kreise zieht,
  • Doch euer Blick bleibt an der Erde hangen,
  • Und deshalb schlägt euch der, der alles sieht."
  • Fünfzehnter Gesang
  • So viel, als bis zum Schluß der dritten Stunde,
  • Vom Tagsbeginn des Wegs die Sphäre macht,
  • Die wie ein Kindlein tanzt im ew’gen Runde,
  • So viel des Weges halt’, eh’ noch vollbracht
  • Ihr Tageslauf, die Sonne zu vollbringen;
  • Dort war es Vesperzeit, hier Mitternacht.
  • Auf jenen Pfaden, die den Berg umringen,
  • Schien uns die Sonne mitten ins Gesicht,
  • Weil wir jetzt g’rade gegen Westen gingen.
  • Da fiel ein Glanz mit lastendem Gewicht
  • Mir auf die Stirn, mich mehr als erst zu blenden.
  • Ich staunt’, und was es war, begriff ich nicht.
  • Schnell deckt’ ich mir die Augen mit den Händen
  • Als wie mit einem Schirm, daß vor der Glut
  • Die schwachen Blicke Schutz und Ruhe fänden.
  • Gleich wie der Strahl vom Spiegel, von der Flut
  • Nach jenseits hüpft, und dann beim Aufwärtssteigen,
  • So wie vorher beim Niedersteigen tut,
  • Weil er von Linien, die sich senkrecht neigen,
  • So hier wie dort abweicht in gleichem Zug,
  • Wie uns die Kunst und die Erfahrung zeigen;
  • So ward mein Auge jetzt in jähem Flug
  • Getroffen vom zurückgeworfnen Lichte,
  • Drob ich’s in Eile schloß und niederschlug.
  • "Was, süßer Vater, ist dies? Dem Gesichte
  • Will, was ich tue, nicht zum Schutz gedeih’n.
  • Es scheint, als ob der Glanz hierher sich richte!"
  • Drauf er: "Nicht staune, wenn in solchem Schein
  • Noch blendend dir des Himmels Diener nahen.
  • Ein Bote kommt und lädt zum Steigen ein.
  • Bald wird, was erst die Augen tränend sahen,
  • Dir so zur Lust, als du nur Fähigkeit,
  • Sie zu empfinden, von Natur empfahen."
  • Der Engel sprach zu uns voll Freudigkeit:
  • "Geht dorten ein auf minder schroffen Stiegen,
  • Als jene sind, die ihr gestiegen seid."
  • Indem wir nun zusammen aufwärts stiegen,
  • Sang’s hinter uns: "Heil den Barmherz’gen, Heil!"
  • Und wieder klang’s: "Sei froh in deinen Siegen!"
  • Und da wir beid’ allein, und minder steil
  • Die Treppen waren, dacht’ ich: Noch im Gehen
  • Wird Lehre wohl vom Meister dir zuteil.
  • "Was mochte Guido bei dem Gut verstehen,
  • Das Ausschluß der Genossenschaft gebeut?"
  • Ich sprach’s, gewandt, ihm ins Gesicht zu sehen.
  • "Weil stets sein Hauptfehl ihm den Schmerz erneut"
  • Sprach drauf Virgil, "will er dich weiser machen
  • Und tadelt drum, was er nun schwer bereut.
  • Denn euer Sehnen geht nach solchen Sachen,
  • Die Mitbesitz verringert, die durch Neid
  • In eurer Brust der Seufzer Glut entfachen.
  • Doch möchten in des Himmels Herrlichkeit
  • Des Menschen Wünsch’ ihr rechtes Ziel erkennen,
  • War’ eure Brust von solcher Angst befreit.
  • Je mehrere dies Gut ihr eigen nennen,
  • Je mehr besitzt des Guts ein jeder dort,
  • Je stärker fühlt er sich in Lieb’ entbrennen."
  • "Noch fass ich nichts," versetzt’ ich meinem Hort,
  • "Und mindre Zweifel hat vorher das Schweigen
  • In meiner Seel’ erweckt, als jetzt dein Wort.
  • Kann höher je der Reichtum vieler steigen,
  • Wenn man ein Gut verteilt, als wenn es nicht
  • Gemeinsam wäre. Sondern einem eigen?"
  • Und er: "Weil, nur auf Erdengut erpicht,
  • Dein Geist noch nicht den höhern Flug gewonnen,
  • Drum schöpfst du Finsternis aus wahrem Licht.
  • Des Himmels unaussprechlich große Wonnen,
  • Sie eilen so ins liebende Gemüt,
  • Wie nach dem Spiegel hin der Strahl der Sonnen
  • Sie geben sich je mehr, je mehr es glüht,
  • Und reicher strömt die ew’ge Kraft hernieder,
  • Je freudiger des Herzens Lieb’ erblüht.
  • Erhebt die Seel’ erst aufwärts ihr Gefieder,
  • Dann liebt sie mehr, je mehr zu lieben ist,
  • Denn eine strahlt den Glanz der andern wieder--
  • Und g’nügt mein Wort dir nicht, in kurzer Frist
  • Wird dort von dir Beatrix aufgefunden,
  • Durch welche du dann ganz befriedigt bist.
  • Jetzt sorge nur, daß bald von deinen Wunden
  • Die fünf sich schließen wie das erste Paar,
  • Das von der Stirn durch Reu’ und Leid geschwunden."
  • Schon wollt’ ich sagen: Deine Red’ ist klar!
  • Da war ich an des andern Kreises Saume,
  • Wo schnell mein Wort gehemmt durch Schaulust war.
  • In einen Tempel schien, von wachem Traume
  • Dahingerissen, meine Seel’ entfloh’n,
  • Und Leute sah ich viel in seinem Raume.
  • Am Eingang schien mit süßem Mutterton
  • Und zärtlicher Gebärd’ ein Weib zu sagen:
  • "Was hast du dies an uns getan, mein Sohn?
  • Wir suchten dich voll Angst seit dreien Tagen,
  • Ich und der Vater"--sprach’s, und wundersam
  • Schien sie vom Weh’n der Luft davongetragen.
  • Drauf vors Gesicht mir eine zweite kam,
  • Von Zähren naß, die--wohl war’s zu erkennen--
  • Dem Aug’ entpreßte zornerzeugter Gram.
  • Sie rief: "Willst du den Herr’n der Stadt dich nennen,
  • Ob deren Namen Götter sich gegrollt,
  • Wo Strahlen jeder Wissenschaft entbrennen,
  • Dann, Pisistrat, zahl’ ihm der Frechheit Sold,
  • Der’s wagte, deine Tochter zu umfassen!"
  • Allein der Herr, der liebreich schien und hold,
  • Entgegnet’ ihr, die also rief, gelassen:
  • "Wird jener, der uns liebt, von uns verdammt,
  • Was tun wir dann an solchen, die uns hoffen?"--
  • Dann sah ich eine Schar, von Zorn entflammt,
  • Und einen Jüngling dort, von ihr gesteinigt,
  • Tod! Tod! so schrien sie wütend allesamt.
  • Er beugte sich, schon bis zum Tod gepeinigt,
  • Des Last ihn zu der Erde niederrang,
  • Doch seinen Blick dem Himmel stets vereinigt,
  • Und fleht’ empor zu Gott in solchem Drang:
  • "Vergib der Wut, die gegen mich entbrannte!"
  • Mit einem Blicke, der zum Mitleid zwang.
  • Als meine Seele sich von außen wandte
  • Zurück zu dem, was wahr ist außer ihr,
  • Und ich nun den nicht falschen Wahn erkannte,
  • Da sprach mein Führer, der, nicht weit von mir,
  • Mich gleich dem Schläfer, der erwacht, erblickte:
  • "Nicht halten kannst du dich! Was ist mit dir?
  • Bereits seit einer halben Stunde knickte
  • Dein Knie, du taumeltest, dein Auge brach,
  • Als ob dich Schlummer oder Wein bestrickte."
  • "O süßer Vater, hörst du’s an"--dies sprach
  • Ich drauf zu ihm--"so will ich dir verkünden,
  • Was mir erschien, als mir die Kraft gebrach."
  • "Ob mir entgegen hundert Masken stünden,"
  • Entgegnet’ er, "und deckten dein Gesicht,
  • Doch würd’ ich, was du denkst, genau ergründen.
  • Das, was du sahst, du sahst’s, damit du nicht
  • Dich ungemahnt verschlössest jenem Frieden,
  • Des Strom hervor aus ew’ger Quelle bricht.
  • Was ist dir? fragt’ ich nicht, wie der danieden
  • Zu fragen pflegt, des Auge nicht mehr schaut,
  • Sobald die Seel’ aus seinem Leib geschieden.
  • Die Füße dir zu kräft’gen, fragt’ ich laut,
  • Denn treiben muß man so den wachen Trägen,
  • Den Tag zu nützen, eh’ der Abend graut."
  • Wir gingen beid’ in sinnigem Erwägen
  • Dem Abend zu und sah’n, soweit man kann,
  • Der Sonne tiefem Strahlenglanz entgegen.
  • Und sieh, ein Rauch kam nach und nach heran,
  • Der, schwarz wie Nacht, sich bis zu uns erstreckte,
  • Und nirgends traf man Raum zum Weichen an,
  • Daher er bald uns Aug’ und Himmel deckte.
  • Sechzehnter Gesang
  • Das Schwarz der Höll’ und einer Nacht, durchfunkelt
  • Nicht von des ärmsten Himmels bleichstem Schein,
  • Vom dichtesten der Nebel rings umdunkelt,
  • Nie schloß es mich in grobem Schleier ein,
  • Als jener Rauch, der dorten uns umflossen;
  • Nie schien es mir so schmerzlich rauh zu sein.
  • Nicht könnt’ ich steh’n, die Augen unverschlossen,
  • Drum nahte sich, und seine Schulter bot
  • Mein Führer mir treu, weis’ und unverdrossen.
  • So wie der Blinde gern in seiner Not
  • Dem Führer nachfolgt, um nicht anzurennen
  • An was Gefahr bring’ und vielleicht den Tod,
  • So folgt’ ich ihm, ohn’ etwas zu erkennen,
  • Durch widrig bittern Qualm und horcht’ auf ihn,
  • Der sprach: "Gib Achtung, daß wir uns nicht trennen."
  • Ich hörte Stimmen dort, und jede schien
  • Um Gnad’ und Frieden zu dem Lamm zu stöhnen,
  • Ob des der Herr die Sünden uns verzieh’n.
  • Agnus Dei hört’ ich den Anfang tönen,
  • Wobei sich aller Wort und Weise glich,
  • Und voller Einklang herrscht’ in ihren Tönen.
  • "Dies sind wohl Geister, Herr!" so wandt’ ich mich
  • An ihn, und er: "Es ist, wie du entscheidest;
  • Sie lösen von der Zornwut Schlingen sich."
  • "Wer bist du, der du unsern Rauch durchschneidest,
  • Von dem man, wie du von uns sprichst, vernimmt,
  • Daß du die Zeit dir noch nach Monden scheidest?"
  • Die Rede ward von einem angestimmt,
  • Drum sprach mein Meister: "Stille sein Begehren
  • Und frag’ ihn, ob man hier nach oben klimmt."
  • "Geschöpf, das, um zum Schöpfer heimzukehren,
  • Sich reiniget und schön wird wie zuvor,
  • Begleite mich, dann sollst du Wunder hören!"
  • So ich, und er: "Ich schreite mit dir vor,
  • So weit ich darf, und, um uns nicht zu scheiden,
  • Führ’ uns im Rauch an Auges Statt das Ohr."
  • Drauf ich: "Obschon die Hüllen mich umkleiden,
  • Die nur der Tod löst, schreit’ ich doch hinauf
  • Und drang bis hierher durch der Hölle Leiden.
  • Und nahm der Herr mich so zu Gnaden auf,
  • Daß ich vermag zu ihm emporzustreben,
  • Ganz gegen dieser Zeit gewohnten Lauf,
  • So sage mir, wer warst du einst im Leben,
  • Und ob ich hier die rechte Straße hielt,
  • Denn unsre Richtung wird dein Wort uns geben."--
  • "Mark hieß ich einst, und was die Welt enthielt,
  • Ich konnt’ es wohl und strebte nach dem Preise,
  • Nach welchem jetzt auf Erden keiner zielt.
  • G’rad’ vor dir ist der Weg zum höhern Kreise."
  • Er sprach’s: "Noch bitt’ ich dich," So fügt’ er bei,
  • "Fürbittend denke mein am Ziel der Reise."
  • Und ich zu ihm: "Bei meiner Treu, es sei!
  • Doch wisse, daß ich einen Zweifel finde,
  • An dem ich berste, sag’ ich ihn nicht frei.
  • Er war einst einfach; doppelt jetzt empfinde
  • Ich ihn in mir, nach dem, was du gesagt,
  • Sobald ich mit dem Dort das Hier verbinde.
  • Wahr ist’s, die Welt, so wie du mir geklagt,
  • Ist öd an jeder Tugend, jeder Ehre,
  • Und ganz mit Bosheit schwanger und geplagt.
  • Doch daß ich sie erkenn’ und ändern lehre,
  • So bitt’ ich, deute jetzt die Ursach’ mir.
  • Der sucht sie dort, der in des Himmels Sphäre."
  • Ein bang gepreßtes Ach! entwand sich hier
  • Laut seiner Brust, und dann begann er: "Wisse,
  • Die Welt ist blind, und du, Freund, kommst von ihr.
  • Ihr, die ihr lebt, sprecht immer nur, es müsse
  • Der Himmel selber Schuld an allem sein,
  • Als ob er euch gewaltsam mit sich risse.
  • Wär’s also, sprich, wo wäre nur ein Schein
  • Von freiem Willen? Wie entspräch’s dem Rechte,
  • Daß Lust der Tugend folgt, dem Laster Pein?
  • Die Triebe pflanzen ein des Himmels Mächte,
  • Nicht sag’ ich all; allein auch dies gesetzt,
  • Ward euch Erkenntnis auch fürs Gut’ und Schlechte,
  • Und freier Will’--und, wenn er, auch verletzt
  • Und müde, standhaft mit dem Himmel streitet,
  • So siegt er, wohlgenährt, doch stets zuletzt.
  • Die Urkraft, welche sich durchs All verbreitet,
  • Beherrscht die Freien und erschafft den Geist,
  • Den nicht der Himmel mehr als Vormund leitet.
  • Drum, wenn die Gegenwart euch mit sich reißt,
  • In euch nur liegt der Grund, liegt in euch allen,
  • Wie, was ich sage, deutlich dir beweist.
  • Es kommt aus dessen Hand, des Wohlgefallen
  • Ihr lächelt, eh’ sie ist, gleich einem Kind,
  • Das lacht und weint in unschuldsvollem Lallen,
  • Die junge Seele, die nichts weiß und sinnt,
  • Als daß, vom heitern Schöpfer ausgegangen,
  • Sie gern dahin kehrt, wo die Freuden sind.
  • Sie schmeckt ein kleines Gut erst, fühlt Verlangen
  • Und rennt ihm nach, wenn sie kein Führer hält,
  • Kein Zaum sie hemmt, der Neigung nachzuhangen.
  • Gesetz, als Zaum, ist nötig drum der Welt,
  • Ein Herrscher auch, der von der Stadt, der wahren,
  • Im Auge mindestens den Turm behält.
  • Gesetze sind, doch wer mag sie bewahren?
  • Kein Mensch! Denn seht, ein Hirt, der wiederkaut,
  • Doch nicht gespaltne Klau’n hat, führt die Scharen;
  • Daher die Herde, die dem Führer traut,
  • Der das verschlingt, wonach sie selber lüstert,
  • Nur dies verzehrt und nicht nach Höherm schaut.
  • Drum, was man auch von anderm Grunde flüstert,
  • Nicht die Natur ist ruchlos und verkehrt,
  • Nur schlechte Führung hat die Welt verdüstert.
  • Rom hatte, da’s zum Glück die Welt bekehrt,
  • Zwei Sonnen, und den Weg der Welt hatt’ eine,
  • Die andere den Weg zu Gott verklärt.
  • Verlöscht ward eine von der andern Scheine,
  • Und Schwert und Hirtenstab von einer Hand
  • Gefaßt im übel passenden Vereine.
  • Denn nicht mehr fürchten, wenn man sie verband,
  • Sich Hirtenstab und Schwert--du kannst’s begreifen,
  • Denn an den Früchten wird der Baum erkannt.
  • Man sah im Land, das Etsch und Po durchstreifen
  • Eh’ man dem Kaiser Widerstand getan,
  • Stets edle Sitt’ und Kraft und Tugend reifen.
  • Jetzt finden, die den Guten sich zu nah’n
  • Und sie zu sprechen, sich errötend scheuen,
  • In jenem Land vollkommen sichre Bahn.
  • Die alten Zeiten schelten dort die neuen
  • Noch durch drei Greise von der echten Art,
  • Die sich des nahen Todes harrend freuen.
  • Konrad Pallazzo ist es, und Gherard
  • Und Guid Castel, der besser heißen würde
  • Nach fränk’scher Art: der ehrliche Lombard.
  • Roms Kirche fällt, weil sie die Doppelwürde,
  • Die Doppelherrschaft jetzt in sich vermengt,
  • In Kot, besudelnd sich und ihre Bürde"--
  • "Mein Marco," sprach ich, "klares Licht empfängt
  • Durch deine Rede jetzt mein Geist--ich sehe,
  • Was aus der Erbschaft Levis Stamm verdrängt.
  • Doch sage, welcher Gherard, meinst du, stehe
  • Als Trümmer noch versunkner guter Zeit,
  • So, daß er dieser Zeit Verderbnis schmähe?--
  • "Betrügst, versuchst du mich in meinem Leid?"
  • So er: "Du, Tuscisch sprechend, tust dergleichen,
  • Als kenntest du nicht Gherards Trefflichkeit?
  • Den Namen kenn’ ich, sonst kein andres Zeichen,
  • Wenn man’s von seiner Gaja nicht entnimmt,
  • Gott sei mit dir, hier muß ich von euch weichen.
  • Sieh, wie in weißem Glanz der Rauch entglimmt.
  • Fort muß ich, denn schon ist der Engel dorten;
  • Ich scheid’, eh’ er mich wahr hier sprechend nimmt."
  • Er sprach’s und horchte nicht mehr meinen Worten.
  • Siebzehnter Gesang
  • Denk’, Leser, wenn dich Nebel je umstrickte,
  • Auf Alpenhöh’n, durch den, wie durch die Haut
  • Des Maulwurfs Auge blickt, das deine blickte,
  • Wie, wenn der feuchte Qualm, der dich umgraut,
  • Nun dünn wird und beginnt, sich zu erhellen,
  • Dann matt hinein das Rund der Sonne schaut;
  • Und doch vermagst du kaum, dir vorzustellen,
  • Wie ich die Sonn’ itzt wiedersah, die sich
  • Soeben senken wollt’ ins Bett der Wellen.
  • So, gleichen Schritts mit meinem Hort, entwich
  • Ich aus der Wolk’, als wie aus dunkler Klause,
  • Zum Strahl, der sterbend schon am Strand erblich.
  • Phantasie, die du aus ihrem Hause
  • Weithin die Seel’ entrückst, daß man’s nicht spürt,
  • Ob ringsumher Trompetenschall erbrause,
  • Was regt dich auf, wenn nichts den Sinn berührt?
  • Das Himmelslicht erregt dich, das hernieder
  • Von selber strömt, das auch ein Wille führt.
  • Die Arge sah ich, die sich im Gefieder
  • Des Vogels barg, der ewig Reu’ und Gram
  • Verhaucht im Klang der süßen Klagelieder.
  • Und ganz zurückgedrängt ward wundersam
  • Hier meine Seel’ in sich, zu nichts sich neigend
  • Und nichts aufnehmend, was von außen kam.
  • Darauf erschien, der Phantasie entsteigend,
  • Ein Mann am Kreuz, so trotzig-stolz wie er
  • Von Ansehn war, sich auch im Tode zeigend.
  • Ich sah dabei den großen Ahasver,
  • Esther, sein Weib, und Mardochai, den Frommen,
  • In Wort und Tat so ganz, rund um ihn her.
  • Und dieses Bild zersprang, kaum wahrgenommen,
  • Gleich einer Blase, die mit kurzem Schein
  • Im Wasser glänzt, wenn sie emporgeschwommen.
  • Dann zeigte mein Gesicht ein Mägdelein.
  • "O Fürstin, Mutter!" rief die Tränenvolle,
  • "Was wolltest du aus Zorn vernichtet sein!
  • Du starbst, daß dein Lavinia bleiben solle.
  • Bin ich nun dein? Nicht andrer Tod, es zwingt
  • Der deine mich zu bittrem Tränenzolle."
  • Gleich wie der Schlaf in jähem Schreck zerspringt,
  • Wenn Strahlen an des Schläfers Antlitz prallen,
  • Doch eh’ er ganz erstirbt, sich sträubt und ringt,
  • So sah ich jetzt mein Traumbild niederfallen,
  • Als mir ein Licht ins Antlitz schlug, so klar,
  • Wie’s nie zur Erde strömt aus Himmelshallen.
  • Ich wandte mich, zu sehen, wo ich war,
  • Als eine Stimm’ erklang: "Hier müßt ihr steigen!"
  • Und ich vergaß des andern ganz und gar.
  • Sie zwang den Willen, sich dorthin zu neigen,
  • Zu sehn, wer sprach, und ließ, bis ich belehrt,
  • Die Unruh’ nicht in meinem Innern Schweigen.
  • Wie von der Sonne, die den Blick beschwert,
  • Durch zuviel Licht ihr eignes Bild bedeckend,
  • Ward von dem Glanze meine Kraft verzehrt.
  • "Ein Himmelsgeist ist’s, uns den Weg entdeckend,
  • Der aufwärts führt, auch ohne daß wir fleh’n,
  • Und selber sich in seinem Licht versteckend.
  • Wie wir uns selber tun, ist uns gescheh’n,
  • Denn wer die Not erblickt und harrt der Bitte,
  • Ist böslich schon geneigt, sie zu verschmäh’n.
  • Auf! Solchem Rufe nach mit raschem Tritte!
  • Wir müssen aufwärts, eh’ das Dunkel naht,
  • Sonst löst der Tag erst die gehemmten Schritte."
  • Mein Führer sprach’s, worauf zum Felsgestad’
  • Wir, hingewandt nach einer Stiege, gingen,
  • Und wie ich auf die erste Stufe trat,
  • Fühlt’ ich ein Weh’n, wie von bewegten Schwingen
  • Im Angesicht, und laut erklang’s, mir nah:
  • "Heil den Friedfert’gen, die den Zorn bezwingen."
  • Der Sonne letzte bleiche Strahlen sah
  • Ich über uns, gefolgt von nächt’gen Schatten.
  • Und schon erschienen Sternlein hier und da.
  • "O meine Kraft, was mußt du so ermatten!"
  • So dacht’ ich still bei mir, denn ich empfand,
  • Daß sich entstrickt der Füße Nerven hatten.
  • Wir waren auf der höchsten Stufe Rand
  • Und standen fest, wie angeheftet, dorten,
  • Gleich einem Kahn in des Gestades Sand.
  • Aufmerksam lauscht’ ich erst nach allen Orten,
  • Ob nichts zu hören sei, und wandte nun
  • Zu meinem Meister mich mit diesen Worten:
  • "Mein süßer Vater, sprich, welch übles Tun
  • Führt uns zur Läuterung in diesem Kreise.
  • Laß nicht die Rede, gleich den Füßen, ruh’n."
  • "Trägheit zum Guten", Sprach darauf der Weise,
  • "Zahlt hier die dort gemachten Schulden erst;
  • Hier wird der träge Rudrer schnell zur Reife.
  • Merk’ auf, damit du’s deutlicher erfährst,
  • Weil ungenutzt sonst unser Stillstand bliebe--
  • Frucht bringt dein Weilen, wenn du dich belehrst.
  • Nicht Schöpfer, noch Geschöpf ist ohne Liebe,
  • Noch war es je. Du weißt, in der Natur
  • Und in der Seel’ entkeimen ihre Triebe.
  • Nie irrt die erste von der rechten Spur.
  • Die zweite kann im Gegenstande fehlen
  • Und bald zu stark sein, bald zu lässig nur.
  • Weiß sie zum Ziel das erste Gut zu wählen,
  • Ist sie beim zweiten nicht zu heiß, zu kalt,
  • Dann reizt sie nicht zu schlechter Lust die Seelen
  • Doch schweift sie ab zum Bösen, ist sie bald
  • Zum Guten lau, zu eifrig bald im Rennen,
  • So tut dem Schöpfer das Geschöpf Gewalt.
  • So muß die Liebe, wie du wirst erkennen,
  • In euch die Saat zu jeder Tugend streu’n,
  • Doch auch zu allem, was wir Laster nennen.
  • Nun, weil ob ihres Gegenstands sich freu’n
  • Die Liebe muß, an dessen Heil sich weiden,
  • Drum hat kein Ding den eignen Haß zu scheuen.
  • Und weil kein Sein sich kann vom Ursein scheiden
  • Und ohne dieses für sich selbst bestehn,
  • Muß dies zu hoffen jeder Trieb vermeiden.
  • Drum kannst du, folgr’ ich richtig, deutlich sehn:
  • Dem Nächsten gilt die Liebe nur zum Schlimmen
  • Und kann aus dreifach schmutz’gem Quell entstehn.
  • Der hofft zur Herrlichkeit emporzuklimmen
  • Durch andrer Fall, und dieses muß zur Lust,
  • Die Größe zu erniedrigen, ihn stimmen.
  • Der Gunst, des Ruhmes und der Macht Verlust
  • Scheut der, wenn sich ein andrer aufgeschwungen,
  • Und liebt das Gegenteil mit banger Brust.
  • Der ist entrüstet von Beleidigungen,
  • Drob Durst nach Rach’ in ihm sich offenbart,
  • Bis ihm dem andern weh zu tun gelungen.
  • Ob dieser Liebe von dreifacher Art
  • Weint man dort unten--jetzt vernimm von Liebe,
  • Die nicht durch rechtes Maß geregelt ward.
  • Nach einem Gute strebt mit dunkelm Triebe
  • Der Mensch und fühlt, daß seiner Wünsche Glut,
  • Erreicht’ er’s nicht, ihm unbefriedigt bliebe.
  • Die träge Lieb’ ist’s zu dem wahren Gut,
  • Die säumt, es zu erschau’n, es zu erringen,
  • Die hier nach echter Reue Buße tut.
  • Gut scheinen andre Güter, doch sie bringen
  • Nicht wahres Glück, sind Stoff und Wurzel nicht,
  • Aus welchen Früchte wahren Heils entspringen.
  • Die Lieb’, auf solches Gut zu sehr erpicht,
  • Büßt in drei Kreisen oberhalb mit Zähren;
  • Doch wie sie dreifach irrt von Recht und Pflicht,
  • Das sollst du selbst dir suchen und erklären."
  • Achtzehnter Gesang
  • Mein hoher Lehrer hatte seiner Lehre
  • Ein Ziel gesetzt und blickt’ aufmerksam mir
  • Ins Angesicht, ob ich zufrieden wäre.
  • Ich, noch gereizt von frischem Durst nach ihr,
  • Schwieg äußerlich, doch sprach bei mir im stillen:
  • "Beschwert ihn wohl zu viele Wißbegier?"
  • Doch der wahrhafte Vater, der den Willen,
  • Den schüchternen, bemerkt, gab sprechend jetzt
  • Mir neuen Mut, des Sprechens Lust zu stillen.
  • Drum ich: "Dein Licht, mein teurer Meister, letzt
  • Mein Auge so, daß es an allen Dingen,
  • Die du beschreibst, klar schauend sich ergötzt.
  • Doch, süßer Vater, laß es tiefer dringen.
  • Was ist doch jene Lieb’--ich bitte, sprich!--
  • Aus welcher gut’ und schlechte Werk’ entspringen?"
  • "Scharf richte deines Geistes Aug’ auf mich,"
  • Versetzt’ er, "und den Irrtum jener Blinden,
  • Die sich zu Führern machen, lehr’ ich dich.
  • Der Geist, geschaffen, Liebe zu empfinden,
  • Bewegt sich schnell zu allem, was gefällt,
  • Wenn Reize sich, ihn zu erwecken, finden.
  • Was Wirklichkeit euch vor die Augen stellt,
  • paßt der Begriff, um es dem Geist zu zeigen,
  • Der dann dorthin nur sich gerichtet hält.
  • Und diese Richtung, dies Entgegenneigen,
  • Lieb’ ist es, ist Natur, die dem, was schön
  • Und reizend ist, sich hingibt als ihm eigen.
  • Dann, wie die Flamm’ emporglüht zu den Höh’n
  • Durch ihre Form bestimmt, dorthin zu streben,
  • Wo ihre Stoffe minder schnell vergeh’n,
  • So scheint der Geist der Sehnsucht nur zu leben,
  • Der geistigen Bewegung, die nicht ruht,
  • Bis, was er liebt, sich zum Genuß ergeben.
  • Drum sieh, wie not die Wahrheit jenen tut,
  • Die, lehren wollend, noch den Irrwahn hegen,
  • Jedwede Lieb’ an sich sei recht und gut.
  • Gut ist vielleicht ihr Grundstoff allerwegen;
  • Doch sei das Wachs auch echt und gut, man preist
  • Das Bild, drin abgedrückt, noch nicht deswegen."
  • Drauf ich: "Dein Wort und mein folgsamer Geist,
  • Sie lassen mich der Liebe Wesen sehen,
  • Obgleich der Geist noch zweifelschwanger kreist.
  • Denn, muß durch äußern Reiz die Lieb’ entstehen,
  • Lenkt die Natur die Seele, wie ist’s dann
  • Verdienstlich, ob wir krumm, ob g’rade gehen?"--
  • "Hör’ itzt, wie weit Vernunft hier schauen kann,"
  • So er, "dort stellt Beatrix dich zufrieden,
  • Denn jenseits fängt das Werk des Glaubens an.
  • Die wesentliche Form--sie ist geschieden
  • Vom Stoff und ihm vereint, und eine Kraft,
  • Die ihr nur eigen ist, ist ihr beschieden.
  • Sie kann, nicht fühlbar, bis sie wirkt und schafft,
  • Durch Wirkung nur sich zeigen und bewähren,
  • Wie durch das Laub des Baumes Lebenssaft.
  • Daher vermag der Mensch nicht, zu erklären,
  • Woher zuerst in ihm Begriff entstehn,
  • Woher das erste Sehnen und Begehren.
  • Denn wie den Trieb, dem Honig nachzugehn,
  • Die Bien’ erhielt, so habt ihr sie erhalten,
  • Die nicht zu loben ist und nicht zu schmäh’n.
  • Doch fühlt ihr auch die Kraft, die Rat gibt, walten,
  • Und sie, der andern Haupt und Herrscherin,
  • Soll Wach’ an eures Beifalls Schwelle halten.
  • Sie, des Verdienstes und der Schuld Beginn,
  • Nimmt, wie euch gut’ und schlechte Lieb’ entzündet,
  • Sie auf und lenkt zu eurer Wahl euch hin.
  • Drum haben jene, so die Sach’ ergründet,
  • Die angeborne Freiheit wohl bedacht,
  • Und euch die Lehren der Moral verkündet.
  • Mag wirklich nun im Innern, angefacht
  • Von der Notwendigkeit, die Lieb’ entbrennen,
  • So habt ihr doch auch sie zu zügeln Macht.
  • Die edle Kraft wird Beatrice nennen,
  • Wenn sie dir kund vom freien Willen tut,
  • Drum merk’ es, um des Wortes Sinn zu kennen."
  • Der Mond, der fast bis Mitternacht geruht,
  • Kam itzt hervor, der Sterne Zahl beschränkend,
  • Gleich einem Kessel anzusehn von Glut,
  • Den Pfad dem Himmelslauf entgegenlenkend,
  • Den Pfad, den Sol, von Rom gesehn, durchglühe
  • Inmitten Sard’ und Cors’ ins Meer sich senkend.
  • Der edle Geist, ob des im Ruhme blüht
  • Pietola vor Mantuas andern Orten,
  • War jetzt nicht mehr durch meine Last bemüht.
  • Ich, der die Zweifel all in seinen Worten
  • Gelöset sah und alles hell und klar,
  • Stand wie ein Schläfriger hinbrütend dorten.
  • Doch plötzlich naht’ im Kreislauf eine Schar
  • Und scheuchte diese Schläfrigkeit des Matten,
  • Da sie bereits in unserm Rücken war.
  • Und wie Böotiens Flüss’ in nächt’gen Schatten
  • Ein wild Gedräng’ an ihrem Strande sah’n,
  • Wenn die Thebaner Bacchus nötig hatten,
  • So sah ich jen’ im Kreise trabend nah’n,
  • Und alle trieb--so wollte mir’s erscheinen--
  • Gerechte Lieb’ und wackrer Eifer an.
  • Und schon bei uns, denn zögern sah ich keinen,
  • War angelangt der ganze große Hauf,
  • Da riefen die zwei Vordersten mit Weinen:
  • "Rasch zum Gebirge ging Marions Lauf;
  • Und Cäsar, um Ilerda zu gewinnen,
  • Umschloß Marseill und brach nach Spanien auf."
  • "Rasch, laßt aus Trägheit nicht die Zeit entrinnen,"
  • Schrien alle nun, "es macht der rege Fleiß
  • Zum Guten neu der Gnade Lenz beginnen."--
  • "O ihr, in denen Eifer scharf und heiß
  • Das, was ihr dort aus Lauheit nicht vollbrachtet,
  • Was ihr versäumt, wohl zu ersetzen weiß,
  • Der, welcher lebt--nicht sag’ ich Lügen--trachtet
  • Emporzusteigen, eh’ der Morgen wach,
  • Drum sagt den Weg, den ihr den nächsten achtet."
  • Mein Führer sagte dies, und einer sprach:
  • "Wollt ihr zum Orte, wo der Fels, gespalten
  • Zur Schlucht, euch durchzieh’n läßt. So folgt uns nach.
  • Uns ist es nicht erlaubt, uns aufzuhalten,
  • Denn Eile treibt uns fort, drum mögt ihr nicht,
  • Was uns das Recht gebeut, für Grobheit halten.
  • Ich übt’ in Zenos Haus des Abtes Pflicht,
  • Unter des guten Rotbart Herrscherstabe,
  • Von welchem Mailand noch mit Schmerzen spricht.
  • Und einer, schon mit einem Fuß im Grabe,
  • Er weint, gedenkend jenes Klosters, bald,
  • Daß er gehabt dort Macht und Ansehn habe,
  • Weil er den Sohn, verpfuscht an der Gestalt,
  • Noch mehr verpfuscht an Geiste, schlechtgeboren,
  • Anstatt des wahren Hirten dort bestallt."
  • Ob er noch sprach? Ob schwieg?--vor meinen Ohren
  • Verklang, sich schnell entfernend, jener Ton.
  • Doch merkt’ ich dies und hab’ es nicht verloren.
  • Und er, in jeder Not mein Helfer schon,
  • Sprach: "Sieh dorthin, woher die beiden kommen,
  • Die Trägheit scheuchend und ihr selbst entfloh’n."
  • Sie riefen jenen nach: "Erst umgekommen
  • War jenes Volk, dem sich das Meer erschloß,
  • Bevor der Jordan seine Herr’n bekommen.
  • Und jenes, das die edle Müh’ verdroß,
  • Bis an sein Ziel Äneen zu begleiten,
  • Es ward seitdem ein ruhmlos schlechter Troß."
  • Die Schatten schwanden kaum in fernen Weiten,
  • Als ein Gedank’ aufs neu’ in mir entstand,
  • Und dieser erste zeigte bald den zweiten,
  • Dem sich verwirrt der dritte, viert’ entwand,
  • Bis mir zuletzt die Augenlider sanken;
  • Und wie verschmelzend Bild um Bild verschwand,
  • Da ward zum Traum das Wogen der Gedanken.
  • Neunzehnter Gesang
  • Zur Stunde, da, vom Erdqualm überwunden,
  • Oft vom Saturn, den Nachtfrost zu durchlau’n,
  • Der Tagesglut die Kraft dahingeschwunden,
  • Wenn in dem Osten vor des Frühlichts Grauen
  • Ihr größtes Glück die Geomanten sehen,
  • Wo’s kurze Zeit sich hält in nächt’gem Braun,
  • Sah ich ein Weib im Traume vor mir stehen,
  • Kalkweiß, verstümmelt, stotternd, krummgebückt,
  • Und schielend sah ich sie die Augen drehen.
  • Ich schaut’ auf sie--wie der, den Nachtfrost drückt,
  • Gestärkt wird und belebt vom Blick der Sonnen,
  • So wurde sie von meinem Blick durchzückt.
  • Schnell sprang das Band, das ihre Zung’ umsponnen;
  • Sie richtete sich auf; ein roter Schein
  • Färbt’ ihr Gesicht, wie Hauch der Liebeswonnen.
  • Kaum fühlte sie die Zunge sich befrei’n,
  • Als sie ein Lied begann, so holden Sanges,
  • Daß ich auf nichts horcht’, als auf sie allein.
  • "Ich, der Sirenen Süßeste," so klang es,
  • "Ich bin’s, durch die vom Weg der Schiffer schweift;
  • Denn wer mich hört, ist voll des Wonnedranges.
  • Mir folgt’ Ulyß, der lang’ umhergestreift,
  • Und wie Entzücken ihn und Wollust kirren,
  • Verläßt mich keiner, der mich ganz begreift."
  • Noch hört’ ich in der Luft die Töne schwirren,
  • Sieh, da erschien ein heil’ges Weib, mir nah,
  • Die Sängerin beschämend zu verwirren.
  • "Virgil! Virgil! sprich, wer ist diese da?"
  • Sie rief’s mit Zorn, als sie dies Weib entdeckte
  • Indes er fest nur ihr ins Auge fah.
  • Sie aber riß das Kleid, das jene deckte,
  • Ihr vorn entzwei, daß mir der Bauch erschien,
  • Aus dem Gestank quoll, welcher mich erweckte.
  • Ich schlug die Augen auf und sah auf ihn.
  • "Schon dreimal rief ich dich," begann der Weise.
  • "Auf, laß uns jetzt zur Felsenöffnung zieh’n."
  • Ich richtete mich auf, und alle Kreise
  • Des heil’gen Bergs erfüllte Morgenpracht
  • Und leuchtet’ hinter uns zu unsrer Reise.
  • Ich folgt’ ihm nach und neigte, längst erwacht,
  • Die Stirn, wie einer, der in schweren Sinnen
  • Sich selbst zum halben Brückenbogen macht.
  • "Kommt, hier steigt auf!" So hört’ ich’s nun beginnen,
  • Mit Tönen, wie sie nie im ird’schen Land,
  • So huldvoll und so süß, das Herz gewinnen.
  • Die Flügel, wie des Schwanes, ausgespannt,
  • Winkt’ uns der Engel vor, und beide gingen
  • Wir durch des Felsens enge Doppelwand.
  • Er weht’ uns an mit den bewegten Schwingen
  • Und sprach: "Heil dem, der stark das Leid erträgt,
  • Denn reichen Trost wird seine Seel’ erringen."
  • "Was hast du, das dich immer noch erregt?
  • Was sinkt verworren noch dein Blick zur Erden?"
  • So sprach Virgil, als wir uns fortbewegt.
  • "Ein neu Gesicht--noch seh’ ich die Gebärden"--
  • Versetzt’ ich, "macht mich so in Zweifeln gehn!
  • Noch kann ich dieses Bilds nicht ledig werden."--
  • "Die alte Hexe--hast du sie gesehn,
  • Ob der man dorten klagt, wohin wir reisen,"
  • Sprach er, "und wie man’s macht, ihr zu entgehn?
  • Doch weiter jetzt. Schau auf! In mächt’gen Kreisen
  • Wird dort im klaren himmlischen Gebiet
  • Lockbilder dir der ew’ge König weisen!"
  • Wie erst der Falk auf seine Füße sieht,
  • Doch dann nicht säumt, sich nach dem Ruf zu wenden,
  • Sich streckt und fliegt, wohin die Beut’ ihn zieht.
  • So ich--so klomm ich zwischen Felsenwänden,
  • Soweit der Weg sich hebt im engen Schlund,
  • Bis wo die Stiegen auf dem Vorsprung enden.
  • Und als ich frei im fünften Kreise stund,
  • Da lagen Leute, die sich weinend plagten,
  • Das Auge ganz hinabgewandt, am Grund.
  • "Ach, meine Seele klebt am Staube!" klagten
  • Sie all, und ihrer Seufzer laut Getön,
  • Es ließ mich kaum vernehmen, was sie sagten.
  • "Ihr Gotterwählte, deren Angstgestöhn
  • Gerechtigkeit und Hoffnung mild versüßen,
  • O sprecht, wo ist die Stiege zu den Höh’n?"
  • "Kommt ihr, gewiß, nicht liegend hier zu büßen,
  • So nehmt nur links den Felsen euren Lauf,
  • Dann liegt der Eingang bald vor euren Füßen."
  • So bat Virgil, und so versetzt’ es drauf
  • Nicht weit von uns, und, schnell erratend, klärte
  • Ich, was drin sonst verborgen war, mir auf.
  • Als ich den Blick nach dem des Führers kehrte, .
  • Stimmt’ er mit frohem Winke gern mir bei,
  • Ich möge tun, was mein Gesicht begehrte.
  • Kaum stand mir nun nach Wunsch zu handeln frei,
  • So sucht’ ich ihn, des Wort den Sinn verborgen:
  • Er wisse nicht, daß ich noch lebend sei.
  • Und sprach: "O Geist, für den des Heiles Morgen
  • Durch Tränen früher tagt, o laß für mich
  • Ein wenig ab von deinen größern Sorgen.
  • Wer warst du? Und was kehrt dein Rücken sich
  • Empor? Und dort, woher ich, noch im Leben,
  • Gekommen bin, dort bitt’ ich dann für dich."
  • "Wie wir hier liegen für verkehrtes Streben,
  • Bald hörst du’s," sprach er, "doch vernimm zuvor:
  • Mir waren Petri Schlüssel übergeben.
  • Bei Siestri rollt aus einem Tal hervor
  • Ein schöner Fluß, den das Geschlecht der Meinen
  • Zu seinem ersten Titel sich erkor.
  • Ich fühlt’ als Papst fünf Wochen lang, daß einen,
  • Der rein die Stola hält, sie so beschwert,
  • Daß leicht, wie Flaum, all andre Bürden scheinen.
  • Und leider, ward ich nur zu spät bekehrt;
  • Doch als ich zu dem Heil’gen Stuhl gelangte,
  • Da ward ich von des Lebens Trug belehrt.
  • Ich sah, daß dort das Herz nie Ruh’ erlangte,
  • Daß jenes Leben mir nichts Höh’res bot,
  • Daher ich heiß nach diesem nur verlangte.
  • Bis dahin war ich arm, getrennt von Gott,
  • Und völlig machte mich der Geiz zum Sklaven,
  • Dafür sie mich bestraft mit dieser Not.
  • Die Läutrungsqualen, die mich hier betrafen,
  • Tun dir des Geizes Art und Wesen kund,
  • Und auf dem Berg gibt’s keine härtern Strafen.
  • Wie einst das Auge nicht nach oben stund,
  • Und nur gefesselt war von ird’schen Dingen,
  • So drückt’s Gerechtigkeit hier an den Grund.
  • Und wie den Trieb, das Gute zu vollbringen,
  • Der Geiz erstickt und nimmer handeln läßt,
  • So hält Gerechtigkeit in festen Schlingen
  • Hier Hand und Fuß gebunden und gepreßt;
  • So liegen wir, bis uns der Herr die Glieder
  • Einst wieder löst, hier unbeweglich fest."
  • Antworten wollt’ ich ihm und kniete nieder,
  • Doch, da ich sprach und er durchs Ohr erkannt,
  • Daß Ehrfurcht mich gebeugt, begann er wieder:
  • "Was kniest du hier?" Und ich drauf: "Ich empfand
  • Ob deiner Würde Vorwürf im Gewissen,
  • Daß ich vor dir noch g’rad’ und aufrecht stand."
  • "Bruder, steh auf!"--so er--"du mußt ja wissen,
  • Dein Mitknecht bin ich nur von einer Macht,
  • Der du und ich und all uns beugen müssen.
  • Und hattest du des heil’gen Spruches acht:
  • Sie freien nicht, so wirst du dir erklären,
  • Was ich bei meiner Rede mir gedacht.
  • Jetzt geh. Dein Weilen hemmt den Lauf der Zähren,
  • Die früher mir--denk’ an dein eignes Wort--
  • Das Morgenlicht des ew’gen Heils gewähren.
  • Alagia, eine Nichte, hab’ ich dort,
  • Gut von Natur, reißt nicht zu schlechten Trieben
  • Sie der Verwandten übles Beispiel fort,
  • Und sie allein ist jenseits mir geblieben."
  • Zwanzigster Gesang
  • Schwer kämpft der Wille gegen bessern Willen,
  • Drum zog ich ungern jetzt vom Quell den Mund,
  • Weil er es wünscht’, ohn’ erst den Durst zu stillen.
  • Wir gingen einen Weg, wo frei der Grund
  • Zum Gehen war, entlang dem Felsgestade,
  • Gleich engem Steg am Mauerzinnenrund.
  • Denn jene Schar, die sich im Tränenbade
  • Vom Übel, das die Welt erfüllt, befreit,
  • Versperrt’ uns mehr nach außen hin die Pfade.
  • Du alte Wölfin, sei vermaledeit!
  • Kein Tier erjagt sich Beute gleich der deinen,
  • Doch bleibt dein Bauch noch endlos hohl und weit.
  • O Himmel, dessen Kreislauf, wie wir meinen,
  • Der Erde Sein und Zustand wandeln soll,
  • Wann wird der Held, der sie vertreibt, erscheinen?
  • Wir gingen langsam fort und mühevoll
  • Ich, horchend, als aus jener Schatten Mitte
  • Ein jammervoller Klageton erscholl.
  • "Maria, Süße!" klang’s vor meinem Schritte,
  • Und wie ein kreißend Weib zu jammern pflegt,
  • So kläglich schien der Ruf der frommen Bitte.
  • "Du warst so arm!" so sagt’ es dann bewegt,
  • "Der Armut sehn wir jene Kripp’ entsprechen,
  • In welche du die heil’ge Frucht gelegt."
  • "Fabricius, Wackrer!" hört’ ich’s weiter sprechen,
  • "Tugend mit Armut schien dir mehr Gewinn
  • Als der Besitz des Reichtums mit Verbrechen."
  • Gar wohl gefiel mir dieser Rede Sinn,
  • Und um zu sehn, wer von den Felsenbänken
  • Sie ausgesprochen, wandt’ ich mich dahin.
  • Und weiter sprach er noch von den Geschenken,
  • Die Nikolaus gemacht den Mägdelein,
  • Um sie zum Weg der Ehre hinzulenken.
  • "O Geist, der du so wohl sprichst," fiel ich ein,
  • "Sprich jetzt, wer warst du und aus welchem Grunde
  • Erneust du hier so würd’ges Lob allein?
  • Nicht unbelohnt soll bleiben solche Kunde,
  • Kehr’ ich zurück zum Rest der kurzen Bahn
  • Des Lebens, das da eilt zur letzten Stunde."
  • Und er: "Nicht will von dort ich Hilf empfah’n,
  • Doch red’ ich, denn mir strahlt im hellen Lichte
  • Die Huld, die Gott dir vor dem Tod getan.
  • Des Baumes Wurzel bin ich, der in dichte
  • Umschattung hüllt die ganze Christenheit,
  • Von dem man selten nur pflückt gute Früchte.
  • Doch wäre schon die Rache nicht mehr weit,
  • Wenn Macht Gent, Brügge, Lille und Douai hätten,
  • Auch bitt’ ich drum des Herrn Gerechtigkeit.
  • Hugo bin ich, der Stammherr der Capetten,
  • Philipp’ und Ludwige, die auf den Thron
  • Des schönen Frankreichs jetzt sich üppig betten.
  • Als ich lebt’ in Paris, ein Metzgersohn,
  • Erstarb der Königsstamm in allen Zweigen,
  • Und nur noch einer lebt’ in Schmach und Hohn;
  • Da macht’ ich mir des Reiches Zaum zu eigen,
  • Und so vermehrt’ ich meine Macht alsdann,
  • So sah ich sie durch Land und Freunde steigen,
  • Daß den verwaisten Thron mein Sohn gewann,
  • Von welchem nach dem Walten ew’ger Mächte
  • Die Reihe der Gesalbten dort begann.
  • Bis der Provence Mitgift dem Geschlechte
  • Der Meinen nicht die heil’ge Scham entriß,
  • Galt’s wenig zwar, allein vermied das Schlechte.
  • Seitdem verübt’ es Tat der Finsternis,
  • Log, raubt’ und stahl, worauf’s, aus Reu’ und Buße,
  • Die Normandie und Ponthieu an sich riß.
  • Karl kam nach Welschland, und, aus Reu’ und Buße,
  • Köpft’ er den Konradin und sandte drauf
  • Den Thomas heim zu Gott, aus Reu’ und Buße.
  • Bald bricht ein andrer Karl im vollen Lauf,
  • Denn besser sollt ihr seine Sitt’ erkennen
  • Und seines Stammes Art, aus Frankreich auf.
  • Zur Rüstung wird er nicht sich Zeit vergönnen,
  • Und nur mit Judas Lanze, so, daß dir,
  • Florenz, der Wanst platzt, in die Schranken rennen.
  • Nicht Land, nur Sünd’ und Schmach gewinnt er hier.
  • Und trägt er sie gar leicht und unbefangen,
  • So wird er einst noch mehr gedrückt von ihr.
  • Ein andrer Karl, im Seegefecht gefangen,
  • Verschachert, wie die Sklavin der Korsar,
  • Die Tochter, um das Kaufgeld zu empfangen.
  • Ach, was vermagst nicht du, o Geiz! Sogar
  • Sein eignes Fleisch beut, schmählich überwunden
  • Von deiner Macht, mein Blut zum Kaufe dar.
  • Doch ist der Frevel schon in nichts verschwunden;
  • Ich seh’ Alagna, wo die Lilie weht!
  • Seh’ im Statthalter Christum selbst gebunden.
  • Seh’ ihn drauf verspottet und geschmäht!
  • Seh’ ihn aufs neue Gall’ und Essig schmecken!
  • Seh’ ihn, der unter Räubern dann vergeht!
  • Den grimmigen Pilatus seh’ ich schrecken
  • Und, noch nicht satt, ihn, ohne Kirchenschluß,
  • Die gier’ge Hand nach Kirchengütern strecken.
  • Gott, was säumt dein Rächerarm? Was muß
  • So lang’ an mir gerechter Unmut nagen?
  • Die Frevler strafend, stille den Verdruß!--
  • Du hörtest mich vorhin von jener sagen,
  • Die einzig ist des Heil’gen Geistes Braut,
  • Und dies beweg dich, nach dem Grund zu fragen.
  • Von ihr erklingt das Flehen leis und laut
  • Beim Tageslicht, doch von den Gegensätzen
  • Tönt unsre Klage, wenn die Nacht ergraut.
  • Dann denken wir Pygmalions mit Entsetzen,
  • Der ein Verwandtenmörder ward, ein Dieb
  • Und ein Verräter aus Begier nach Schätzen;
  • Des Midas, der so lang im Elend blieb,
  • Das jedem, der ihn sah, weil’s ihn nicht freute,
  • Als er die Gier gestillt, zum Lachen trieb;
  • Des tollen Achan auch, des Diebs der Beute,
  • Der, wie es scheint, noch hier nicht tragen kann
  • Des Josua Zorn, der ihm im Leben dräute.
  • Sapphiren tadeln wir und ihren Mann
  • Und loben den, der hinwarf Heliodoren;
  • Den ganzen Berg umkreist mit Schande dann
  • Polynestor, der totschlug Polydoren.
  • Zuletzt erklingt es: Crassus, sprich, wie schmeckt
  • Das Gold, das du zur Lieblingsspeis’ erkoren?
  • Der redet laut, der leis und unentdeckt,
  • Je wie der Drang des Leids, das wir erproben,
  • Uns minder oder mehr erregt und weckt.
  • Ich sprach vom Heil, das wir am Tage loben,
  • Hier nicht allein, nur daß zu lautem Klang,
  • Die mir hier nah sind, nicht die Stimm’ erhoben."
  • Wir richteten nun vorwärts unsern Gang,
  • Nachdem wir diesen Schatten kaum verlassen,
  • So schleunig, als es nur der Kraft gelang.
  • Da aber zitterten des Berges Massen,
  • Als stürz’ er hin, und Furcht erfaßte mich,
  • Wie sie den, der zum Tod geht, pflegt zu fassen.
  • Nicht schüttelte so heftig Delos sich,
  • Eh, beide Himmelsaugen zu gebären,
  • Dorthin zum sichern Nest Laton’ entwich.
  • Rings braust’ ein Ruf, um meine Furcht zu mehren,
  • Doch näher trat zu mir mein Meister da:
  • "Ich führe dichl--was magst du Sorgen nähren?"
  • Und könnt’ ich aus den Stimmen, die mir nah
  • Erklangen, recht das ganze Lied verstehen,
  • Klang’s: Deo in excelsis gloria!
  • Wir blieben staunend, gleich den Hirten, stehen,
  • Die diesen Sang zum erstenmal gehört,
  • Und ließen Erdenstoß und Lied vergehen.
  • Doch dann, zum heil’gen Weg zurückgekehrt,
  • Sahn wir die Schatten, die am Boden lagen,
  • Schon wieder vom gewohnten Leid beschwert.
  • Noch nie bekämpften sich mit solchen Plagen
  • In mir Unwissenheit und Wißbegier,
  • Mag ich auch forschend die Erinnrung fragen:
  • Wonach ich grübelnd je gespäht?--wie hier.
  • Nicht fragen dürft’ ich, denn er ging von hinnen,
  • Und nichts erklären könnt’ ich selber mir;
  • So ging ich schüchtern fort in tiefem Sinnen.
  • Einundzwanzigster Gesang
  • Der Durst, den die Natur gegeben hat,
  • Den nur das Wasser stillt, um dessen Gnade
  • Die Samariterin den Heiland bat,
  • Verzehrte mich, und auf verengtem Pfade
  • Trieb Eile mich, dem Führer nachzuzieh’n,
  • Voll Gram, daß Schuld uns so mit Leid belade.
  • Und sieh, wie Kunde Lukas uns verlieh’n,
  • Daß Christus zween, die unterweges waren,
  • Erstanden aus dem Grabgewölb’, erschien;
  • So uns ein Schatten--hinter uns, die Scharen,
  • Dort ausgestreckt, betrachtend, ging er fort
  • Und ließ sich sprechend erst von uns gewahren.
  • "Gott geb’ euch Frieden, Brüder!" war sein Wort,
  • Das plötzlich hin zu ihm uns beide kehrte;
  • Und ziemend dankt’ ihm mein getreuer Hort
  • Und sprach: "Zu denen, so der Herr verklärte,
  • Versetz’ er dich, zu jenem sel’gen Chor,
  • Des Frieden er auf ewig mir verwehrte."
  • Und jener sprach: "Wenn Gott euch nicht erkor,"
  • (Doch säumte nicht, indessen fortzugehen,)
  • "Wer leitet’ euch die heil’ge Stieg’ empor?"
  • Virgil darauf: "Sieh hier die Zeichen stehen,
  • Die diesem eingeprägt vom Engel sind,
  • Und daß er auserwählt ist, wirst du sehen.
  • Allein weil sie, die unablässig spinnt,--
  • Ihm noch nicht ganz den Rocken abgesponnen,
  • Den Klotho anlegt, wenn ein Sein beginnt,
  • Hätt’ er, allein, die Höhe nie gewonnen,
  • Weil seine Seele, Schwester dir und mir,
  • Noch nicht nach unsrer Art zu sehn begonnen.
  • Drum bin ich aus dem Höllenschlunde hier,
  • Und meine Schule wies und weist ihm alles,
  • Was sie gewähren kann der Wißbegier.
  • Doch sprich, was schwankte so gewalt’gen Pralles
  • Vorhin der Berg? Was tönte bis zum Strand
  • Der allgemeine Ruf so lauten Schalles?"
  • Mein teurer Meister, also fragend, fand
  • So meiner Sehnsucht Ohr, daß mein Begehren,
  • Mein Durst durch Hoffnung Lindrung schon empfand.
  • Und jener sprach: "Den Berg, den heil’gen, hehren,
  • Nichts trifft ihn sonder Ordnung, was es sei,
  • Und ew’ge Regel herrscht in diesen Sphären.
  • Stets ist er hier von jeder Störung frei;
  • Wenn einen Geist von ihm Gott aufgenommen,
  • Verkünden’s Erdenstoß und Jubelschrei.
  • Wer jene kleine Stieg’ emporgeklommen
  • Von dreien Stufen, sieht nicht Reif noch Tau,
  • Nicht Hagel mehr, noch Schnee, noch Regen kommen.
  • Kein Wölkchen trübt hier je des Himmels Blau,
  • Nie blinkt des Blitzes Schnell verschwundne Helle’
  • Nie baut sich Iris’ Brück’ auf dunkelm Grau.
  • Kein trockner Dunst steigt über jene Stelle,
  • Von der ich sprach, auf der die Füße stehn
  • Des Pförtners von der diamantnen Schwelle.
  • Von Stürmen, die im Erdenschoß entstehn,
  • Mag’s sein, daß unten oft der Berg erdröhne,
  • Hier--wie, begreif ich nicht--ist’s nie gescheh’n.
  • Hier bebt er, wenn in neuer Rein’ und Schöne
  • Die Seele fühlt, sie woll’ erhoben sein.
  • Ihr Steigen fördern dann die Jubeltöne.
  • Der Reinheit Prob’ ist dieser Will’ allein;
  • Frei, treibt er sie, zum Zuge sich zu rüsten,
  • Und er verleiht ihr sicheres Gedeih’n.
  • Erst will sie zwar, doch fühlt’ auch, mit Gelüsten
  • Nach längrer Qual, daß nach Gerechtigkeit,
  • Die, so einst sündigten, erst leiden müßten.
  • Ich lag fünfhundert Jahr’ in diesem Leid
  • Und länger noch und fühlte mir soeben .
  • Zum Aufwärtszieh’n den Willen erst befreit.
  • Drum fühltest du den ganzen Berg erbeben,
  • Drum pries den Herrn die ganze fromme Schar,
  • In Hoffnung, bald sich selber zu erheben."
  • Sprach’s, und je heißer die Begierde war,
  • Je mehr fühlt’ ich vom Tranke mich erquicken
  • Und fühlte mich gestärkt und frei und klar.
  • Virgil drauf: "Welche Netz’ euch hier umstricken,
  • Wie ihr entschlüpft, was durch den Berg gezückt,
  • Was Jubeltön’ empor die Seelen schicken,
  • Das hat dein Wort mir deutlich ausgedrückt.
  • Jetzt sage mir: Wer bist du einst gewesen?
  • Und was hat hier so lang dich schwer gedrückt?"
  • Drauf jener: "Damals, als das höchste Wesen,
  • Das Blut zu rächen, das für schnödes Geld
  • Judas verkauft, den Titus auserlesen,
  • Da lebt’ ich mit dem Namen, der bei Welt
  • Und Nachwelt gilt, geschmückt mit höchstem Preise,
  • Doch war noch nicht vom Glaubenslicht erhellt.
  • So süß war des klangreichen Geistes Weise,
  • Daß Rom mich Tolosanen rief und hoch
  • Mich ehrte mit verdientem Myrtenreise.
  • Mich, Statius, nennt man jenseits heute noch.
  • Von Theben hob’ ich, vom Achill gesungen,
  • Bis unterwegs ich sank dem zweiten Joch.
  • Auch meine Glut ist an der Flamm’ entsprungen,
  • Der göttlichen, die Funken ausgesprüht
  • Und Tausende mit ihrem Licht durchdrungen.
  • Sie, die Äneis, ist’s, die mich durchglüht,
  • Sie nur war Mutter, Amme mir im Dichten,
  • Und ohne sie war ich umsonst bemüht.
  • O hätt’ ich mit Virgil gelebt! Mit nichten
  • Schien mir’s zu schwer, ein Jahr lang, noch im Bann,
  • Dafür auf die Befreiung zu verzichten."
  • Bei diesen Worten sah Virgil mich an
  • Mit einem Blick, der schweigend sagte: Schweige!
  • Doch weil die Kraft, die will, nicht alles kann,
  • Nicht hindern kann, daß sich die Seele zeige,
  • Und, wie durch sie die jähe Regung blitzt,
  • Trän’ oder Lächeln uns ins Antlitz steige,
  • So blinkt’ ich lächelnd mit den Augen itzt,
  • Drum sah mir jener, dem dies nicht entgangen,
  • Ins Auge, wo das Bild der Seele sitzt.
  • "So wie du mögst zum großen Ziel gelangen,"
  • Begann er drauf, mir zugewandt, "So sprich:
  • Was schwebt’ ein Lächeln jetzt um deine Wangen?"
  • Nun zeigen hier und dorten Schlingen sich.
  • Der heißt mich schweigen, jener, offenbaren.
  • Ich seufze nur, doch man ergründet mich.
  • "Du magst dir jetzt das längre Schweigen sparen,"
  • Begann Virgil, "sprich nur, denn er beweist
  • .Zu große Sehnsucht, alles zu erfahren."
  • "Vielleicht wohl wundert’s dich, du alter Geist,"
  • Also begann ich jetzo, "daß ich lachte,
  • Doch will ich, daß du mehr verwundert seist.
  • Er, der mich aufwärts führt, wohin ich trachte,
  • Es ist Virgil, der Quell, der deinen Sang
  • Von Helden und von Göttern strömen machte.
  • Glaubst du, das andrer Grund des Lachens Drang
  • In mir erregt, magst du den Glauben lassen;
  • Es war dein Wort, das mich zum Lachen zwang."
  • Da neigt’ er sich, die Knie ihm zu umfassen,
  • Zu meinem Hort, der sprach: "Laß, Bruder, laß!
  • Wir sind ja Schatten beid’ und nicht zu fassen."
  • Und er stand auf und sprach: "Du wirst das Maß
  • Der Liebe, die mich an dich zieht begreifen,
  • Da ich der Körper Mangel ganz vergaß
  • Und Schatten sucht’ als Festes zu ergreifen."
  • Zweiundzwanzigster Gesang
  • Schon hinter uns geblieben war der Engel,
  • Der unsern Schritt zum sechsten Kreis gekehrt
  • Und mir getilgt ein Zeichen meiner Mängel.
  • Sie, deren Wunsch Gerechtigkeit begehrt,
  • Sie riefen: "Heil dem Dürstenden!" und schwiegen,
  • Und ohne weitres war ihr Sinn erklärt.
  • Ich, leichter als auf andern Felsenstiegen,
  • Ging aufwärts, den behenden Geistern nach,
  • Und sonder Mühe ward der Kreis erstiegen.
  • "An Lieb’, entzündet von der Tugend," sprach
  • Mein Meister nun, "ist andre stets entglommen,
  • Wenn sichtbar nur hervor die Flamme brach.
  • Darum, seit Juvenal hinabgekommen
  • Zum Höllenvorhof, und mit uns vereint,
  • Von dem ich, wie du mich geliebt, vernommen,
  • War ich in Liebe dir so wohlgemeint,
  • Wie wir sie selten Niegesehnen weihen,
  • So, daß nun kurz mir diese Stiege scheint.
  • Doch sprich und wolle mir als Freund verzeihen,
  • Löst mir zu große Sicherheit den Zaum,
  • Und wolle Kunde mir als Freund verleihen:
  • Wie fand der Geiz doch--ich begreif es kaum--
  • Bei solcher Weisheit, wie dein eifrig Streben
  • Errungen hat, in deinem Busen Raum?"
  • Hier sah ich Lächeln jenes Mund umschweben,
  • Dann sprach er: "Jedes Wort aus deinem Mund,
  • Zeugt’s nur von Liebe, muß mir Freude geben.
  • Oft werden uns von außen Dinge kund,
  • Die falsche Zweifel in der Seel’ erregen,
  • Weil tief verborgen ist ihr wahrer Grund.
  • Du scheinst--die Frage zeigt’s--den Wahn zu hegen,
  • Daß mich der Geiz auf Erden einst geplagt,
  • Vielleicht weil ich in diesem Kreis gelegen.
  • Jetzt wisse, daß ich ihm zu sehr entsagt,
  • Und dieses Unmaß hab’ ich hier in Schlingen
  • So viele tausend Monden lang beklagt.
  • Dort unten müßt’ ich, Steine wälzend, ringen,
  • Hätt’ ich dein zürnend Warnen nicht gehört:
  • Zu was kannst du die Menschenbrust nicht zwingen.
  • Verfluchter Durst nach Gold, der uns betört!--
  • Die ernste Mahnung hört’ ich dich verkünden
  • Und ward aus eitlen Träumen aufgestört.
  • Daß nur zu offen meine Hände stünden,
  • Dies ward mir nun in meinem Geiste klar,
  • Mit Reu’ ob dieser und der andern Sünden.
  • Wieviel’ erstehn einst mit verschnittnem Haar,
  • Weil bis zum Tod sie nicht erkannt, daß Sühne
  • Durch Reu’ auch diesem Fehler nötig war.
  • Wisse, die Schuld, die auf des Lebens Bühne
  • Sich einer andern g’rad’ entgegensetzt,
  • Verliert zugleich mit ihr hier ihre Grüne.
  • Drum sahst du mich bei jenen Scharen jetzt
  • Der Reuigen, die einst der Geiz bezwungen;
  • Drum hat das Gegenteil mich herversetzt."
  • "Zur Zeit, da du der Waffen Graus gesungen.
  • Die Jokasten Gram zu Gram gefügt,"
  • Sprach jener, dem das Hirtenlied gelungen,
  • "War, wenn, was Klio aus dir singt, nicht trügt,
  • Nicht durch den Glauben noch dein Herz gelichtet,
  • Bei dessen Mangel keine Tugend g’nügt.
  • Nun, welche Sonne hat die Nacht vernichtet,
  • Welch irdisch Licht, daß du an deinem Kahn
  • Die Segel dann, dem Fischer nach, gerichtet?"
  • Und er: "Du zeigtest mir zuerst die Bahn
  • Zu dem Parnaß und seinen süßen Quellen
  • Und warst mein erstes Licht, um Gott zu nah’n.
  • Dem, der bei Nacht geht, warst du gleichzustellen,
  • Dem seine Leuchte selbst kein Licht verleiht,
  • Um hinter ihm die Straße zu erhellen,
  • Indem du sprachst: Erneuert wird die Zeit,
  • Ich seh’ ein neu Geschlecht vom Himmel steigen
  • Und Ordnung herrschen und Gerechtigkeit.
  • Durch dich ward mir der Ruhm des Dichters eigen,
  • Durch dich ward ich den Christen beigesellt;
  • Wie? Soll sich dir in klarem Bilde zeigen.
  • Vom wahren Glauben schwanger war die Welt
  • Schon überall; es streuten diesen Samen
  • Die Boten ew’gen Reichs ins weite Feld.
  • Mit deinem oft berührten Worte kamen
  • Die neuen Pred’ger sämtlich überein,
  • Drum folgt’ ich denen, die ihr Wort vernahmen.
  • Sie schienen mir so heilig und so rein--
  • Und als sie Domitian verfolgte, machten
  • Mich weinen ihre Klag’ und ihre Pein.
  • Und ihnen beizustehn war all mein Trachten,
  • Da mir so redlich ihre Sitt’ erschien;
  • All andre Sekten mußt’ ich drum verachten.
  • Eh’ dichtend, ich an Thebens Flüsse zieh’n
  • Die Griechen ließ, hatt’ ich die Tauf empfangen,
  • Obwohl ich äußerlich als Heid’ erschien,
  • Und ein versteckter Christ verblieb aus Bangen;
  • Und ob der Lauheit hab’ ich mehr als vier
  • Jahrhunderte den vierten Kreis umgangen.
  • Sprich jetzo du, der du den Schleier mit
  • Gehoben hast vom Heile, das ich preise,
  • Denn Zeit genug beim Steigen haben wir:
  • Wo Freund Terenz, wo Varro ist, der Weise,
  • Cäcilius, Plautus?--sprich, ich bitte sehr,
  • Ob sie verdammt sind und in welchem Kreise?"
  • "Sie, ich und mancher sonst," erwidert’ er,
  • "Wir sind beim Griechen, jenem blinden Alten,
  • Den Musenmilch getränkt, wie keinen mehr,
  • Im ersten Kreis der blinden Haft enthalten;
  • Oft sprachen wir von jenem Berge schon,
  • Wo unsre süßen Nährerinnen walten.
  • Dort ist Euripides, Anakreon
  • Mit vielen Griechen, die der Lorbeer krönte,
  • Mit dem Simonides und Agathon.
  • Auch sie, von welchen einst dein Lied ertönte,
  • Antigone, Ismene, so gebeugt,
  • Wie einst, da sie um den Verlobten stöhnte.
  • Auch jene, die das Kind, das sie gesäugt,
  • Rückkehrend von Langia, tot gefunden,
  • Und Daphne, von Tiresias erzeugt."
  • Die Dichter schwiegen beide jetzt und stunden,
  • Vom Steigen frei und von der Felsenwand,
  • Und sah’n umher, das Weitre zu erkunden.
  • Die fünfte Dienerin des Tages stand
  • Am Wagen schon, um seinen Lauf zu leiten,
  • Der Deichsel Flammenspitz’ emporgewandt.
  • "Wir kehren, denk’ ich, unsre rechten Seiten",
  • Begann mein Herr, "zum freien Rande hin,
  • Um, wie wir pflegen, um den Berg zu schreiten."
  • So ward Gewohnheit unsre Führerin;
  • Auch Statius winkte Beifall dem Genossen,
  • Drum gingen wir mit sorgenfreiem Sinn,
  • Sie mir voraus, ich einsam, unverdrossen,
  • Ging hinterdrein, den Reden horchend, fort,
  • Die meinem Geist der Dichtung Tief’ erschlossen.
  • Doch machte bald der Dichter süßes Wort
  • Ein Baum mit würzig duft’gen Äpfeln schweigen.’
  • Inmitten unsers Weges stand er dort;
  • Und wie die Tann’ aufwärts, von Zweig zu Zweigen
  • Sich enger abstuft, so von Sproß zu Sproß
  • Er niederwärts, erschwerend das Ersteigen.
  • Auf jener Seite, wo der Weg sich schloß,
  • Fiel klares Naß vom hohen Felsensaume,
  • Das auf die Blätter sprühend sich ergoß.
  • Da nahte sich das Dichterpaar dem Baume,
  • Aus dessen Zweigen eine Stimm’ erscholl:
  • "Die Speise hier wird teuer eurem Gaume."
  • "Der Hochzeit nur, um ganz und ehrenvoll
  • Sie auszurichten, galt Marias Sinnen,
  • Nicht ihrem Mund, der für euch sprechen soll.
  • Nur Wasser tranken einst die Römerinnen;
  • Nicht Königskost hat Daniel gewollt,
  • Um reichen Schatz der Weisheit zu gewinnen.
  • Die Urzeit war so schön wie lautres Gold,
  • Als Eichen noch dem Hunger leckre Speisen
  • Und Nektar jeder Bach dem Durst gezollt.
  • Heuschrecken hat und Honig einst zu speisen
  • Der Täufer in der Wüste nicht verschmäht,
  • Und hoch und herrlich ist er drob zu preisen,
  • Wie’s offenbart im Evangelium steht."
  • Dreiundzwanzigster Gesang
  • Indes ins Laubwerk meine Blicke drangen,
  • So scharf und spähend, wie sie einer spannt,
  • Der seine Zeit verliert mit Vogelfangen,
  • Rief er, der mehr als Vatersorg’ empfand:
  • "Sohn, komm. Die Zeit, die uns verlieh’n zum Reisen,
  • Sei eingeteilt und nützlicher verwandt."
  • Schnell wandt’ ich Blick und Schritt zu beiden Weisen,
  • Die also sprachen, daß zum leichten Gang
  • Die Mühe ward, den Felsen zu umkreisen.
  • Sieh, da erklangen Klagen und Gesang:
  • "Herr, meine Lippen," klang’s mit einem Stöhnen,
  • Das mich zugleich mit Lust und Leid durchdrang.
  • "Mein süßer Vater, welche Stimmen tönen?"
  • Ich rief’s, und er drauf: "Schatten sind’s, die nun
  • Für einst versäumte Pflicht den Herrn versöhnen."
  • Wie unterweges eil’ge Wandrer tun,
  • Die Leut’ einholen, welche sie nicht kennen,
  • Und sich zwar umsehn, doch nicht stehn und ruh’n;
  • So kam jetzt hinter uns in schnellerm Rennen
  • Ein frommer Haufe, lief vorbei und schaut’
  • Uns staunend an, um schweigend fortzurennen.
  • Die Augen tief und hohl und nachtumgraut,
  • Erschienen sie, die Hagern, die Erblaßten,
  • Die Knochen alle sichtbar durch die Haut.
  • So mager, glaub’ ich, war nach langem Fasten,
  • So ausgetrocknet nicht Erisichthon,
  • Als nun sein eignes Fleisch die Zähn’ erfaßten.
  • Sie gleichen jenen, dacht’ ich, da sie floh’n,
  • Die einst Jerusalem verloren haben,
  • Wo selbst die Mutter fraß den eignen Sohn.
  • Tief war das Aug’ in seinem Rund vergraben,
  • Das einem Ringe sonder Gemme glich,
  • Und Nas’ und rings die Knochen scharf erhaben.
  • Daß eines Apfels Duft so jämmerlich
  • Zurichten könn’ und Duft von einer Quelle,
  • Begier erzeugend, wer wohl dächt’ es sich?
  • Schon staunt’ ich, wie der Hunger sie entstelle,
  • Indem ich noch die Ursach’ nicht verstund,
  • Von ihrem magern Leib und traur’gem Felle.
  • Da sah ich, wie aus seines Hauptes Grund
  • Ein Geist auf mich die Augen forschend richte,
  • Der ausrief: Welche Gnade wird mir kund?
  • Nie hätt’ ich ihn erkannt am Angesichte,
  • Doch durch die Stimme ward mir offenbart,
  • Wie Hunger Ansehn und Gestalt vernichte.
  • Und dieser Funke machte völlig klar
  • Mir die Erinnrung, daß ich sein gedachte,
  • Und sah, daß dies Foreses Antlitz war.
  • Und er begann nun flehend: "Ach, verachte
  • Die dürre Haut nicht, noch mein blaß Gesicht,
  • Ob auch die Schuld um alles Fleisch mich brachte.
  • Gib wahrhaft mir von deinem Los Bericht,
  • Und von den zwei’n, die bei dir sind--ich flehe!--
  • Verweigre mir erwünschte Kunde nicht."
  • "Dein Angesicht, bei dem mit tiefem Wehe,"
  • Begann ich, "als ich’s tot sah, ich geklagt,
  • Betrübt mich mehr, da ich’s so hager sehe.
  • Drum sprich, bei Gott, was so dein Laub zernagt.
  • Nicht wolle, daß ich, weil ich staun’, erzähle,
  • Denn übel spricht, wen selbst die Neugier plagt."--
  • "Vom ew’gen Rat", so sprach Foreses Seele,
  • "Sinkt eine Kraft, die Bach und Baum durchdringt,
  • Durch die ich hier mich abgemagert quäle.
  • Sie ist’s, die jeden, der hier weinend singt,
  • Zur Heiligkeit vom wüsten Schwelgerleben
  • Durch Hunger und durch Durst zurückebringt.
  • Der Duft, den jene Früchte von sich geben,
  • Der Quell auch, der sie netzt, entflammt der Brust
  • Nach Speis und Trank ein nie gestilltes Streben.
  • Sooft im Kreis wir dorthin zieh’n gemußt,
  • Wird immer diese Pein in uns erneuert.
  • Ich sage Pein und sollte sagen: Lust,
  • Weil nach dem Baum uns jener Drang befeuert,
  • Der Christum froh dahin zum Kreuz gebracht,
  • Wo unsrer Schmach sein teures Blut gesteuert."
  • Drauf ich: "Forese, seit du jene Nacht
  • Vertauscht mit diesem bessern Leben, zählte
  • Man nur fünf Jahr’, die kaum den Lauf vollbracht.
  • Wenn dir die Kraft zu sünd’gen eher fehlte,
  • Als du durchdrungen warst von gutem Leid,
  • Das stets die Seele neu mit Gott vermählte,
  • Wie stiegst du in so kurzer Frist so weit?
  • Dort unten dich zu finden mußt’ ich meinen,
  • Wo man verlorne Zeit ersetzt durch Zeit."
  • Und er: "Zum süßen Wermutstrank der Peinen
  • Hat mich befördert meiner Nella Fleiß
  • In frommem Fleh’n und ihr unendlich Weinen.
  • Denn ihr Gebet, ihr Stöhnen fromm und heiß,
  • Hat mich der Küste, wo man harrt, entzogen
  • Und mich befreit aus jedem andern Kreis.
  • Ihr. die ich so geliebt, ist Gott gewogen,
  • Weil sie, der nur der Tugend Reiz gefällt,
  • Sich ganz vom Pfad der andern abgezogen.
  • Der Sarden rohes Bergesland enthält
  • Mehr Scham und Sitte noch in feinen Frauen
  • Als das, wo ich sie ließ in jener Welt.
  • O süßer Bruder, soll ich dir’s vertrauen?
  • Ich glaube schon die Zukunft, der das Heut
  • Nicht alt erscheinen wird, vor mir zu schauen,
  • Wo man den frechen Frau’n, die ungescheut
  • Den Busen mit den Brüsten offenbaren,
  • Dies von der Kanzel in Florenz verbeut.
  • Wann mußten Frau’n von Türken und Barbaren,
  • Um mit bedeckter Brust einherzugehn,
  • Von Staat und Kirche Rügen erst erfahren?
  • Doch könnten nur die Unverschämten sehn,
  • Was ihnen schon der Himmel vorbereitet,
  • Sie wurden heulend, offnen Mundes, stehn.
  • Sie jammern, wenn kein Wahn mich hier verleitet,
  • Eh’ auf des Wange, der jetzt eingelullt
  • Von Eipopeia wird, sich Flaum verbreitet.
  • Jetzt sprich von dir und zahle mir die Schuld.
  • Sieh alle, die dorthin die Augen lenken,
  • Wo du die Sonne deckst, voll Ungeduld."
  • Und ich versetzt’ ihm: "Willst du des gedenken,
  • Was du mit mir einst warst, und ich mit dir,
  • So wird noch jetzt dich die Erinnrung kränken.
  • Vor kurzem hat von dort er, der vor mir
  • Als Führer geht, mich mit sich fortgenommen,
  • Als rund euch schien der Bruder dieser hier."
  • --Die Sonne zeigt’ ich--"Mir zum Heil und Frommen
  • Bin ich durch wahren Todes tiefe Nacht
  • Mit ihm in diesem wahren Fleisch gekommen.
  • Er hat im Kreislauf mich emporgebracht
  • Zu diesem Berg, wo die sich g’rad’ erheben,
  • Die einst das Erdenleben krumm gemacht.
  • Er wird mir sein Geleit so lange geben,
  • Bis ich gelangt zu Beatricen bin;
  • Ohn’ ihn dann muß ich weiter aufwärts streben.
  • Es ist Virgil"--hier zeigt’ ich nach ihm hin--
  • "Sieh auch den andern und erkenne diesen
  • Als den, ob des der Berg gebebt vorhin,
  • Da euer Reich ihn von sich weggewiesen."
  • Vierundzwanzigster Gesang
  • Nicht hemmt’ uns Gehn im Reden, Red’ im Gehn;
  • Der Lauf ging beim Gespräch so rasch vonstatten,
  • Wie eines Schiffs bei guten Windes Weh’n.
  • Und die, wie’s schien, zweimal gestorbnen Schatten,
  • Sie sogen Staunen durch die Augen ein,
  • Da sie bemerkt mein irdisch Leben hatten.
  • "Wohl eil’ger", sprach ich weiter, "würd’ er sein,
  • Zum Platz zu zieh’n, der dort ihm angewiesen,
  • War’ er nicht aufgehalten von uns zwei’n.
  • Doch sprich, wo ist Piccarda? Wer von diesen,
  • Von welchen jeder Blick jetzt auf mir ruht,
  • Ward durch den Ruf im Leben einst gepriesen?"
  • "Sie, meine Schwester, einst so schön als gut,
  • Trägt dort, wo wir das ew’ge Licht erkennen,
  • Die Krone des Triumphs mit heiterm Mut."
  • Sprach’s, und darauf: "Hier darf man alle nennen,
  • Denn, vom heilsamen Fasten abgezehrt,
  • Würd’ einer sonst den andern nimmer kennen.
  • Sieh dort"--er sprach’s, den Finger hingekehrt--
  • "Den Buonagiunta; sieh dort den Erblaßten,
  • Vom Hunger mehr als jeden sonst, verheert,
  • Des Arme dort die heil’ge Kirch’ umfaßten.
  • Er war von Tours und büßt hier manchen Schmaus
  • Von weinersäuften Aal mit schwerem Fasten."
  • Noch wählt’ er manchen von der Schar heraus
  • Und nannt’ ihn mir, was jeden sehr erfreute,
  • Und keiner sah drum trüb und finster aus.
  • Ich Sah den Bonifaz, der viel Leute
  • Mit Pfründenfett geatzt; den Ubaldin,
  • Der an den Zähnen selbst vor Hunger käute;
  • Sah den Marchese, den, trotz allem Zieh’n
  • Aus seinem Krug, der Durst nur ärger brannte,
  • Und dem der Mund beständig trocken schien.
  • Doch wie, wer viel sah, eins nur wählt. So wandte
  • Ich mein Gesicht nun zu dem Buonagiunt,
  • Der, wie es schien, mich dort am besten kannte.
  • Er murmelt’ in sich, und von seinem Mund,
  • An dem sich hier der Schlemmer Sünden rächen,
  • Ward etwas wie das Wort Gentucca kund.
  • Ich sprach: "Der du das Schweigen abzubrechen
  • So lüstern scheinst, sprich so, daß man’s versteht,
  • Und dich und mich befriedige dein Sprechen."
  • Drauf er: "Ein Weib, das noch entschleiert geht,
  • Gibt dir dereinst an meiner Stadt Behagen,
  • So sehr man diese Stadt auch immer schmäht.
  • Du wirst dorthin die Rede mit dir tragen,
  • Und trog mein Murmeln dich, in kurzer Zeit
  • Wird dir die Wirklichkeit er klarer sagen.
  • Doch sprich, erblick’ ich den in meinem Leid,
  • Der jene neuen Weisen fand, beginnend:
  • Ihr Frau’n, die ihr der Liebe kundig seid."
  • Drauf ich: "Dem Hauch der Liebe lausch’ ich sinnend;
  • Was sie mir immer vorspricht, nehm’ ich wahr
  • Und schreib’ es nach, nichts aus mir selbst ersinnend."
  • "Die Schlinge, Bruder," sprach er, "seh’ ich klar,
  • Die von dem neuen süßen Stil gehalten
  • Mich diesseits hat, Guitton’ und den Notar.
  • Ich seh’, ihr lasset nur die Liebe walten,
  • Und eure Feder folgt, wie sie gebeut,
  • Wir aber ließen sie nicht also schalten.
  • Wer, Beifall suchend, keck sie überbeut,
  • Gibt Schwulst, statt des, was euch Natur verliehen."
  • Er schwieg und schien befriedigt und erfreut.
  • Wie Vögel, die zum Nil im Winter ziehen,
  • Sich oft versammeln in gedrängtem Hauf
  • Und schneller dann in Streifen weiterfliehen;
  • So machten alle dort sich wieder auf,
  • Die, abgewandt, sich eilig fort begaben,
  • Durch Magerkeit und Willen leicht zum Lauf.
  • Und gleich wie einer, atemlos vom Traben,
  • Die andern läßt, um ganz gemach zu gehn,
  • Bis ausgeschnauft die heißen Laugen haben,
  • So war es mit Forese jetzt gescheh’n;
  • Er, hinter mir, ließ zieh’n die heil’ge Herde
  • Und sprach: "Wann werd’ ich wohl dich wiedersehn?"
  • "Nicht weiß ich es. Doch glaub’ ich, daß der Erde",
  • Versetzt’ ich, "nicht so schnell mein Geist entfleugt,
  • Als ich nach diesem Strand mich sehnen werde.
  • Denn seh’ ich dort den Ort, der mich erzeugt,
  • Tagtäglich mehr vom Guten sich entblößen
  • Und jämmerlich bereits zum Sturz gebeugt!"
  • Und er: "Jetzt geh, den Stifter alles Bösen
  • Seh’ ich am Schweif des Pferds geschleppt zum Ort,
  • Von welchem Reu’ und Tränen nie erlösen.
  • Stets schneller geht der Lauf des Tieres fort,
  • Und endlich läßt’s den Leib des Jammervollen
  • Zerstampft, entstellt, ein widrig Scheusal, dort.
  • Nicht lange werden diese Kreise rollen"
  • --Zum Himmel blickt er auf--"und klar wird dir,
  • Was dämmernd nur mein Wort dir zeigen sollen.
  • Du bleibe jetzt; die Zeit ist teuer hier,
  • Und daß ich gleichen Schritts mit dir gegangen,
  • Dies kostet mich bereits zuviel von ihr."
  • Wie einer, wenn die Reiter vorwärts drangen,
  • Hervorsprengt aus der Reih’, in der er ritt,
  • Den Ruhm des ersten Angriffs zu erlangen,
  • So trennt’ er sich von uns mit größerm Schritt,
  • Indes ich hinter ihm mit meinem Horte
  • Und mit dem andern Meister weiterschritt.
  • Schon war er vor uns an so fernem Orte,
  • Daß ihm mein Blick dahin durch weiten Raum,
  • Wie die Erinnrung folgte seinem Worte;
  • Als wir voll Obstes einen andern Baum
  • Mit üppigem Gezweig nicht fern entdeckten,
  • Da wir uns bogen um des Kreises Saum.
  • Und Leute, die hinauf die Hände streckten,
  • Schrien auf zum Laub, das in die Lüfte steigt,
  • Den Kindlein gleich, den gierigen, geneckten,
  • Die bitten, während der Gebetne schweigt,
  • Und, um zu schärfen die Begier, ihr Sehnen
  • Hoch hinhält und es frei und offen zeigt.
  • Dann gingen sie, geheilt vom eitlen Wähnen;
  • Wir aber schritten zu dem Baum heran,
  • Der alle Bitten abweist, alle Tränen.
  • "Vorüber schreitet, denn ihr dürft nicht nah’n!
  • Der Baum, der Even reizt’, ist weiter oben.
  • Von ihm hat dieser seinen Keim empfah’n."
  • So sprach, ich weiß nicht wer, vom Baume droben,
  • Weshalb Virgil mit Statius, engverschränkt,
  • Und mir hinging, wo sich die Felsen hoben.
  • "An die verfluchten Wolkensöhne denkt,"
  • Sprach’s, "die dem Theseus mit den Doppelbrüsten
  • Im Kampf getrotzt, von zuviel Wein getränkt.
  • An die Hebräer denkt und ihr Gelüsten,
  • Und denkt, weshalb verschmäht hat Gideon,
  • Mit ihnen gegen Midian sich zu rüsten."
  • So gingen wir, dem Felsen nah, davon,
  • Und hörten aus des Laubs geheimer Regung
  • Des Gaumens Schuld und ihren schlechten Lohn.
  • Dann aber ging’s mit freierer Bewegung
  • Auf breitem Pfad an laufend Schritte fort,
  • Und jeder schwieg in sinniger Erwägung.
  • "Was geht ihr drei so ernst erwägend dort?"
  • Rief’s plötzlich nun, ich aber fuhr zusammen,
  • Gleich einem scheuen Roß, bei diesem Wort.
  • Mein Haupt kehrt’ ich dorthin, woher zu stammen
  • Die Rede schien, und sah in rotem Schein
  • Glas und Metall nie so im Ofen flammen,
  • Wie einen hier, der sprach: "Hier geht ihr ein,
  • Wollt ihr empor zur freien Höhe kommen,
  • Und im Genuß des ew’gen Friedens sein."
  • Mir hatte das Gesicht sein Glanz benommen,
  • Drum wandt’ ich mich zu meinen Führern hin,
  • Wie wer dem folgt, was er durchs Ohr vernommen.
  • Und wie des Morgenrots Verkünderin,
  • Die, Düfte raubend, in den Blüten wühlte,
  • Die Mailuft, weht, die süße Schmeichlerin,
  • So fühlt’ ich an der Stirn ein Weh’n, so fühlte
  • Ich ein Gefieder, sanft bewegt, das mir
  • Das Antlitz mit Ambrosiadüften kühlte.
  • Und dann erklang dies Wort: "O selig ihr,
  • Die ihr die Gnad’ empfingt, daß unverdüstert
  • Des Geistes Licht euch bleibt von der Begier,
  • Indem euch nur, wie’s ziemt, nach Speise lüstert."
  • Fünfundzwanzigster Gesang
  • Die Stund’ erheischte rasches Steigen schon,
  • Nachdem die Sonne hier den Mittagsbogen
  • Dem Stier geräumt, dort Nacht dem Skorpion.
  • Drum, wie ein Mann, der, von nichts angezogen,
  • Was sich auch zeige, seines Weges zieht
  • Vom Drang der Not zu größter Eil’ bewogen,
  • So drangen wir ins höhere Gebiet
  • Durch eine Stiege, die uns so beschränkte,
  • Daß uns die Enge voneinander schied.
  • Und wie ein Störchlein, das die Flügel schwenkte,
  • Aus Luft zum Flug, dann aber, sonder Mut,
  • Vom Neste fortzuzieh’n, sie wieder senkte,
  • So ich, bald lodernd, bald verlöscht die Glut
  • Der Fragelust, das Antlitz also zeigend,
  • Wie der, der sich zum Sprechen anschickt, tut.
  • Da sprach mein Herr, obwohl voll Eifer steigend:
  • "Laß nicht der Rede Pfeil unabgeschnellt,
  • Die Sehne nur bis hin zum Drücker beugend."
  • Worauf ich, sicher durch dies Wort gestellt,
  • Den Mund erschloß: "Wie wird man hier so mager,
  • Hier, wo kein Leib ist, welchen Speis erhält?"
  • Drauf er: "Gedächtest du an Meleager,
  • Der eben, wie verzehrt ein Holzbrand ward,
  • Sich abgezehrt, du wärst kein solcher Frager.
  • Und dächtest du, wie gleich an Mien’ und Art
  • Sich euer Antlitz regt in Spiegelbildern,
  • Dann schiene lind und weich dir, was jetzt hart.
  • Allein um alles dir nach Wunsch zu schildern,
  • Sieh hier den Statius, welcher dir verspricht,
  • Weil ich ihn bitte, deinen Durst zu mildern."
  • "Entwickl’ ich ihm das göttliche Gericht,"
  • Sprach Statius drauf, "hier, wo du gegenwärtig,
  • So sei’s verzieh’n--du willst, drum weigr’ ich nicht."
  • Und dann: "Jetzt sei dein Geist bereit und fertig
  • Für meine Rede, Sohn--dann sei des Wie?
  • Das du erfragst, in vollem Licht gewärtig.
  • Das reinste Blut, das von den Adern nie
  • Getrunken wird, vergleichbar einer Speise,
  • Die über den Bedarf Natur verlieh,
  • Empfängt im Herzen wunderbarerweise
  • Die Bildungskraft für menschliche Gestalt,
  • Geht dann mit dieser durch der Adern Kreise,
  • Noch mehr verkocht, zu einem Aufenthalt,
  • Den man nicht nennt, von wo’s zu anderm Blute
  • In ein natürlich Becken überwallt.
  • Daß beides zum Gebild zusammenflute,
  • Ist leidend dies, und tätig das, vom Ort,
  • In dem die hohe Bildungskraft beruhte.
  • Drin angelangt, beginnt’s sein Wirken dort;
  • Geronnen erst, erzeugt es junges Leben
  • Und schreitet in des Stoffs Verdichtung fort.
  • Die Seel entsteht aus tät’ger Kräfte Streben,
  • Wie die der Pflanze, die schon stillesteht,
  • Wenn jene kaum beginnt, sich zu erheben.
  • Bewegung zeigt sich dann, Gefühl entsteht,
  • Wie in dem Schwamm des Meers, und zu entfalten
  • Beginnt die tät’ge Kraft, was sie gesät.
  • Nun beugt, nun dehnt die Frucht sich aus, beim Walten
  • Der Kraft des Zeugenden, die, nie verwirrt
  • Von fremdem Trieb, nur ist, um zu gestalten.
  • Doch, Sohn, wie nun das Tier zum Menschen wird,
  • Noch siehst du’s nicht, und dies ist eine Lehre,
  • Worin ein Weiserer als du geirrt.
  • Er war der Meinung, von der Seele wäre
  • Gesondert die Vernunft, weil kein Organ
  • Die Äußerung der letztern uns erkläre.
  • Jetzt sei dein Herz der Wahrheit aufgetan,
  • Damit dein Geist, was folgen wird, bemerke!
  • Wenn Bildung das Gehirn der Frucht empfah’n,
  • Kehrt, froh ob der Natur kunstvollem Werke,
  • Zu ihr der Schöpfer sich und haucht den Geist,
  • Den neuen Geist ihr ein, von solcher Stärke,
  • Daß er, was tätig dort ist, an sich reißt,
  • Und mit ihm sich vereint zu einer Seele,
  • Die lebt und fühlt und in sich wogt und kreist.
  • Und, daß dir’s nicht an hellerm Lichte fehle,
  • So denke nur, wie sich zum edlen Wein
  • Die Sonnenglut dem Rebensaft vermalte.
  • Gebricht es dann der Lachesis an Lein,
  • Dann trägt sie mit sich aus des Leibes Hülle
  • Des Menschlichen und Göttlichen Verein;
  • Die andern Kräfte sämtlich stumm und stille,
  • Doch schärfer als vorher in Macht und Tat,
  • Erinnerung, Verstandeskraft und Wille.
  • Und ohne Säumen fällt sie am Gestad,
  • An dem, an jenem, wunderbarlich nieder,
  • Und hier erkennt sie erst den weitern Pfad.
  • Kaum ist sie nun auf sicherm Orte wieder,
  • Da strahlt die Bildungskraft rings um sie her,
  • So hell wie einst beim Leben ihrer Glieder.
  • Und wie die Luft, vom Regen feucht und Schwer.
  • Sich glänzend schmückt mit buntem Farbenbogen
  • Im Widerglanz vom Sonnenfeuermeer;
  • So jetzt die Lüfte, so die Seel’ umwogen,
  • Worein die Bildungskraft ein Bildnis prägt,
  • Sobald die Seel’ an jenen Strand gezogen.
  • Und gleich der Flamme, die sich nachbewegt,
  • Wo irgendhin des Feuers Pfade gehen,
  • So folgt die Form, wohin der Geist sie trägt.
  • Sieh daher die Erscheinung dann entstehen,
  • Die Schatten heißt; so bildet sich in ihr
  • Jedwed Gefühl, das Hören und das Sehen.
  • Und daher sprechen, daher lachen wir,
  • Und daher weinen wir die bittern Zähren
  • Und seufzen laut auf unserm Berge hier.
  • Der Schatten bildet sich, je wie Begehren
  • Und Leidenschaft uns reizt und Lust und Gram.
  • Dies mag dir, was du angestaunt, erklären."
  • Und schon als ich zur letzten Marter kam,
  • Indem wir, rechts gewandt, die Schlucht verließen,
  • Ward ich auf das, was dort war, aufmerksam.
  • Den Felsen sah ich Flammen vorwärts schießen,
  • Der Vorsprung aber haucht’ empor zur Wand
  • Windstöße, die zurück die Flammen stießen.
  • Wir mußten einzeln gehn am freien Rand,
  • Und ängstlich hört’ ich hier die Flamme schwirren,
  • Indes sich dort ein tiefer Abgrund fand.
  • Mein Führer sprach: "Hier laß dich nichts verwirren
  • Und halte straff der schnellen Augen Zaum,
  • Denn leicht ist’s hier, mit einem Tritt zu irren."
  • Gott höchster Gnade! hört’ ich’s aus dem Raum,
  • Den jene große Glut erfüllte, singen
  • Und hielt den Blick an meinem Wege kaum.
  • Ich sah dort Geister, die durchs Feuer gingen,
  • Und sah auf meinen bald, bald ihren Gang
  • Und ließ den Blick von hier nach dorten springen.
  • Ich weiß von keinem Mann--dies Wort erklang
  • Mit lautem Ruf, als jenes Lied verklungen,
  • Und neu begannen sie’s mit leisem Sang,
  • Und riefen wieder, als sie’s ausgesungen:
  • "Diana blieb im Hain und jagt’ ergrimmt
  • Kalisto fort, die Venus’ Gift durchdrungen."
  • Dann ward die Hymne wieder angestimmt,
  • Dann riefen sie von keuschen Frau’n und Gatten,
  • Die lebten, wie’s zu Eh’ und Tugend stimmt.
  • Und dies nur tun sie, ohne zu ermatten,
  • Wie’s scheint, solang die Flamme sie umfließt,
  • Bis solche Pfleg’ und Arzenei den Schatten
  • Zuletzt die Wund’ auf ewig wieder schließt.
  • Sechsundzwanzigster Gesang
  • Indem wir, einer so dem andern nach,
  • Am Rand hingingen, sprach mein treu Geleite:
  • "Gib acht und nütze, was ich warnend sprach."
  • Die Sonne schlug auf meine rechte Seite
  • Und übergoß, ein blendend Strahlenmeer,
  • Mit lichtem Weiß des Westens blaue Weite.
  • In meinem Schatten schien die Glut noch mehr
  • Hochrot zu glüh’n, drum sah’n bei solchem Zeichen
  • Der Schatten viel im Gehen nach mir her.
  • Und dieses schien zum Anlaß zu gereichen,
  • Daß über mich sich ein Gespräch erhob:
  • " Der scheinet einem Scheinleib nicht zu gleichen."
  • Soviel sie konnten, richteten sie drob
  • Sich zu mir hin, doch immer wohl beachtend,
  • Daß nie ihr Fuß der Flamme sich enthob.
  • "Du, der du wohl, sie ehrerbietig achtend,
  • Und nicht aus Trägheit nachgehst diesen zwei’n,
  • Oh, sieh mich hier in Durst und Feuer schmachtend
  • Und sprich, uns allen Labung zu verleih’n;
  • Denn wie wir jetzt nach deinem Wort verlangen,
  • Kann durst’ger nach dem Quell kein Libyer sein.
  • Wie machst du’s doch, die Strahlen aufzufangen,
  • Gleich einer Wand, als wärest du dem Tod
  • Bis jetzt noch nicht, wie wir, ins Netz gegangen."
  • So rief der ein’ in seiner Flammennot,
  • Und eben wollt’ ich alles ihm verkünden,
  • Als meinem Blick sich etwas Neues bot.
  • Denn auf dem Weg, den Flammen rings entzünden,
  • Entgegen jenen, kam ein zweiter Hauf,
  • Drum späht ich hin, das Weitre zu ergründen.
  • Und die und jene machten schnell sich auf
  • Und küßten sich mit kurzer Lust und waren
  • Zufrieden schon und floh’n im vollen Lauf.
  • So sieht man im Gewühl der braunen Scharen
  • Sich Äms und Ämse mit den Rüsseln nah’n,
  • Vielleicht: Wie’s geht? Wes Weges? zu erfahren,
  • Sobald der Gruß der Freundschaft abgetan,
  • Hob, eh’ sie weiterzog, nach kurzer Weile
  • Die Schar wetteifernd laut zu schreien an.
  • "Sodom! Gomorra!" klang’s von diesem Teile;
  • Von dort: "Pasiphae kroch in die Kuh,
  • Und also lockt’ an sich den Stier die Geile."
  • Wie Kranichscharen teils nach kurzer Ruh’
  • Gen Libyen fliegen, scheu vor Frost und Eise,
  • Teils scheu vor Hitze den Riphäen zu,
  • So zieh’n die hier-, die dortenhin im Kreise
  • Und singen dann ihr Lied mit Reu’ und Gram
  • Und schrei’n von ihrer Schuld nach alter Weise.
  • Doch jener, der vorhin mir näher kam
  • Und bat, blieb wieder mit den andern stehen,
  • Dem Ansehn nach herhorchend, aufmerksam.
  • Ich, der ich zweimal ihren Wunsch ersehen,
  • Begann: "O ihr, die Hoffnung aufrechthält,
  • Sei’s, wann es sei, zum Frieden einzugehen,
  • Nicht reif noch unreif ließ ich auf der Welt
  • Den Leib zurück und hob’ auf diesen Wegen
  • Mit Fleisch und Bein und Blut mich eingestellt.
  • Ich stieg empor, die Blindheit abzulegen,
  • Und geh’--ein Himmelsweib erfleht’ es mir--
  • Mit dem, was sterblich ist, dem Licht entgegen.
  • Doch wie sich euch erfüllen mag, was ihr
  • So heiß ersehnt: zum Himmel euch zu Schwingen,
  • Dem lieberfüllten räumigen Revier;
  • So sprecht, ich will’s zu aller Kunde bringen:
  • Wer seid dort ihr, um die die Flamme schwirrt,
  • Und wer sind die, die euch entgegengingen?"
  • So stutzt, erstaunt, verblüfft, der Bergeshirt,
  • Dem beim Umherschau’n selbst die Worte fehlen,
  • Wenn, roh und wild, er sich zur Stadt verirrt,
  • Wie sie--ihr Ansehn könnt’ es nicht verhehlen--
  • Allein sobald ihr trübes Staunen schwand,
  • Das bald sich abklärt in erhabnen Seelen,
  • "Heil dir, des Fuß den Weg in unser Land,"
  • Sprach er, den ich aus früh’rer Frage kannte,
  • "Des Geist zur Besserung Erfahrung fand!
  • Vernimm, daß jene Schar im Trieb entbrannte,
  • Ob des man Cäsarn, so, daß er’s gehört,
  • Einst beim Triumphe Königin benannte,
  • Drum schrien sie: Sodom!--was sie einst betört,
  • Voll Reue tadelnd, wie du jetzt vernommen;
  • So wird der Brand durch Scham noch aufgestört.
  • Im Zwittertriebe waren wir entglommen,
  • Doch weil wir menschliches Gesetz verlacht,
  • Von tierischen Gelüsten eingenommen.
  • Drum rufen wir, auf eigne Schmach bedacht,
  • Des Weibes Namen aus, wenn wir uns trennen,
  • Das sich im Viehgebild zum Vieh gemacht.
  • Nun hortest du mich unsre Schuld bekennen,
  • Doch unsre Namen kundzutun verbeut
  • Die Zeit; auch wüßt’ ich alle nicht zu nennen.
  • Wer ich bin, höre, wenn es dich erfreut.
  • Guid Guinicell, zur Läutrung zugelassen,
  • Weil ich vor meinem Tod die Schuld bereut."--
  • Wie hergestürzt, die Mutter zu umfassen,
  • Die Söhne, da sein Schwert Lykurgus schwang,
  • So wollt’ ich tun, doch mußt’ ich mehr mich fassen,
  • Als meines Vaters Name mir erklang,
  • Des Vaters manches, der vom süßen Minnen
  • Besser als ich in holden Weisen sang.
  • Ich ging und sah ihn an in tiefem Sinnen
  • Und sagte nichts und hörte keinen Laut,
  • Auch ließ die Glut nicht weiter mich nach innen.
  • Doch als ich satt mich dann an ihm geschaut,
  • Erbot ich mich, in allem ihm zu dienen,
  • In solcher Art, der gern der andre traut.
  • Und er: "Wie du so freundlich mir erschienen.
  • Tilgt deine Spur in mir nicht Leibes Flut,
  • Und ewig wirst du meinen Dank verdienen.
  • Doch meinst du’s wirklich denn mit mir so gut,
  • So sprich, warum? Sprich, weshalb eben wieder
  • So liebevoll auf mir dein Auge ruht?"
  • Und ich darauf: "Ob deiner süßen Lieder,
  • Die teuer sind den Herzen fort und fort,
  • Sinkt nicht der neuern Sprache ganz danieder."
  • "Ach, Bruder," sprach er, und bei diesem Wort
  • Zeigt’ er mit seinem Finger hin auf einen,
  • "Der Sprache bessrer Schmied war jener dort,
  • Der in Romanz’ und Liebesliedern keinen
  • Unüberwunden ließ; und Toren sind,
  • Die ihn von Giraut übertroffen meinen.
  • Nicht nach der Wahrheit--nach des Rufes Wind
  • Gerichtet werden Meinung und Gesichter;
  • So läßt Vernunft und Kunst sie taub und blind.
  • So machten’s mit Guitton viel alte Richter,
  • Des Lob so viele schrien, weil andre schrien,
  • Bis Wahrheit ihn besiegt und andre Dichter.
  • Jetzt, wenn so weites Vorrecht dir verlieh’n,
  • Daß dir’s erlaubt ist, zu dem Kloster droben,
  • Wo Christus selber Abt ist, hinzuzieh’n,
  • So bet’ ein Paternoster doch dort oben
  • Bei ihm für mich, soweit’s in dieser Welt
  • Noch not für uns, die wir der Sünd’ enthoben."
  • Drauf schwand er, jenem, der sich nah gestellt,
  • Vielleicht Platz machend, in der Flammen Röte,
  • Wie in der Flut ein Fisch, der niederschnellt.
  • Und dem Gewiesnen naht’ ich mich und flehte
  • Ihn inniglich um seinen Namen an,
  • Dem schon Willkommen! meine Sehnsucht böte.
  • Worauf er gleich mit frohem Mut begann:
  • "Die edle Frage weißt du zu verschönen,
  • Daß ich mich bergen weder will noch kann.
  • Ich bin Arnald und geh’ in Schmerz und Stöhnen,
  • Den Wahn erkennend der Vergangenheit,
  • Und singe, hoffend, dann in Jubeltönen.
  • Jetzt bitt’ ich dich, hast du die Herrlichkeit
  • Auf dieses Berges Gipfel aufgefunden,
  • Dann denke meines Leids zur rechten Zeit."
  • Hier war er in der Läutrungsglut verschwunden.
  • Siebenundzwanzigster Gesang
  • Wie wenn der erste Strahl vom jungen Tage
  • Im Lande glänzt, benetzt von Gottes Blut,
  • Wenn Ebro hinfließt unter hoher Wage.
  • Und Mittagshitz’ erwärmt des Ganges Flut,
  • So stand die Sonn’ itzt, drob der Tag entflohe,
  • Als uns ein Engel glänzt’ in heitrer Glut.
  • Er sang am Felsrand, außerhalb der Lohe:
  • "Beglückt, die reines Herzens sind!"--und mehr
  • Als menschlich war sein Ton, der mächt’ge, frohe.
  • Drauf: "Weiter nicht, ihr Heil’gen, bis vorher
  • Die Glut euch nagte! Tretet in die Flammen,
  • Und seid nicht taub dem Sang von dortenher!"
  • Dies Wort ertönte jetzt, da wir zusammen
  • Uns ihm genaht, so schrecklich in mein Ohr,
  • Als hört’ ich mich zum schwersten Tod verdammen.
  • Ich sank auf die gefaltnen Hände vor,
  • Ins Feuer schauend--wen ich brennen sehen,
  • Des Bild stieg jetzt vor meinem Geist empor.
  • Die Führer nahten sich, mir beizustehen,
  • Und tröstend sprach zu mir Virgil: "Mein Sohn,
  • Du kannst zur Qual hier, nicht zum Tode gehen.
  • Gedenk’, gedenke--konnt’ ich früher schon
  • Dich sicher auf Geryons Rücken führen
  • Wie jetzt, viel näher hier bei Gottes Thron?
  • War’ auch die Glut noch loher anzuschüren,
  • Und stündest du auch tausend Jahre drin,
  • Doch dürfte sie dir nicht ein Haar berühren.
  • Glaubst du, daß ich nicht treu der Wahrheit bin,
  • So nahe dich und halt, um selbst zu schauen,
  • Des Kleides Saum mit deinen Händen hin.
  • Leg’ ab, mein Sohn, leg’ ab hier jedes Grauen,
  • Dorthin sei sicher jetzt dein Fuß gewandt!"
  • Doch säumt’ ich, wider besseres Vertrauen.
  • Er, sehend, daß ich starr und stille stand,
  • Sprach, fast unwillig: "Wie, Sohn, noch verdrossen?
  • Von Beatricen trennt dich diese Wand!"
  • Wie sterbend Ppyramus den Blick erschlossen,
  • Da’s: Thisbe! klang, gekehrt zum teuren Bild,
  • Als blut’ges Rot die Maulbeer’ übergossen;
  • So kehrt’ ich, nicht mehr hart, nein, sanft und mild,
  • Zum Führer mich, sobald der Nam’ erschollen,
  • Der ewig frisch in meinem Herzen quillt.
  • Drob schüttelt er das Haupt und sagte: "Sollen
  • Wir diesseits bleiben?" lächelnd, denn ich tat
  • Wie Knaben, die, besiegt vom Apfel, wollen.
  • Drauf trat er vor mir in die Flamm’ und bat
  • Den Statius, uns folgend, nachzukommen,
  • Der uns vorher getrennt den langen Pfad.
  • Ich folgt’ und hätt’, um Kühlung zu bekommen,
  • Mich in geschmolznes Glas gestürzt. So war
  • Im höchsten Übermaß die Flamm’ entglommen.
  • Doch bot mir Trost mein süßer Vater dar,
  • Sprechend von ihr, und half mir weiter dringen,
  • Und sprach: "Ich seh’ im Geist ihr Augenpaar!"
  • Wir hörten jenseits eine Stimme singen,
  • Und dieser folgten wir, ihr horchend, nach,
  • Indem wir, wo man stieg, der Flamm’ entgingen.
  • "Gesegnete des Vaters, kommt!" so sprach
  • Die Stimm’ aus einem Licht, dort aufgegangen,
  • Bei dessen Anschau’n mir das Auge brach.
  • "Die Sonne geht, der Abend kommt"--so klangen
  • Die Töne fort--"nicht weilt, beeilt den Lauf,
  • Bevor den Westen dunkles Grau umfangen."
  • G’rad’ durch den Felsen ging der Weg hinauf,
  • Und, ostwärts steigend, hielt vor meinen Tritten
  • Ich die schon matten Sonnenstrahlen auf.
  • Und als wir wenig Stufen aufgeschritten,
  • Bemerkten wir am Schatten, der verging,
  • Sol, uns im Rücken, sei ins Meer geglitten.
  • Eh gleiches Grau den Horizont umfing
  • In allen seinen unermeßnen Teilen,
  • Eh Nacht um alles ihren Schleier hing,
  • Da mußt’ auf einer Stufe jeder weilen,
  • Die uns zum Bett ward, denn die Zeit benahm
  • Die Macht mehr, als die Lust, empor zu eilen.
  • Gleichwie die Ziegenherde, satt und zahm,
  • Im Schatten wiederkäut in stillem Brüten,
  • Die, hungrig, jähen Sprungs zur Höhe kam,
  • Wenn nun im Mittagsbrand die Luft’ entglühten,
  • Indes der Hirt den Stab zur Stütze macht,
  • Und dorten steht, gestützt, um sie zu hüten;
  • Und wie ein Hirt im freien Feld bei Nacht,
  • Damit kein wildes Tier der Herde schade,
  • Und sie zerstreu’, entlang der Hürde wacht;
  • So jetzt wir drei auf engem Bergespfade,
  • Der Zieg’ ich gleich, den Hirten jenes Paar,
  • Umschlossen hier und dort vom Felsgestade.
  • Ob wenig gleich zu sehn nach außen war,
  • Doch sah ich durch dies wenige die Sterne
  • Weit mehr, als sonst gewöhnlich, groß und klar.
  • Indes ich staunt’ in unermeßne Ferne,
  • Befiel mich Schlaf, der öfters uns befällt,
  • Damit der Geist die Zukunft kennen lerne.
  • Zur Stunde, glaub’ ich, da vom Sternenzelt
  • Cytherens erster Strahl die Höhe schmückte.
  • Wie immerdar, von Liebesglut erhellt,
  • Sah ich im Traum, der mich mir selbst entrückte,
  • Ein schönes junges Weib, das hold bewegt,
  • Durch Wiesen ging und singend Blumen pflückte.
  • "Lea bin ich, dies wisse, wer mich fragt,
  • Ich liebe, Kränze windend, hier zu wallen,
  • Und emsig wird die schöne Hand geregt.
  • Ich will, geschmückt, im Spiegel mir gefallen.
  • Die Schwester Rahel liebt es, stets zu ruh’n,
  • Und läßt dem Spiegel keinen Blick entfallen.
  • Und freut sie sich der schönen Augen nun,
  • So bin ich froh, mich mit den Händen schmückend,
  • Denn schau’n befriedigt sie, und mich das Tun."
  • Des Tages Vorlicht, um so mehr entzückend,
  • Je mehr des Pilgrims Nachtquartier dem Ort
  • Der Heimat nah ist, scheuchte, höher ruckend,
  • Die Finsternis von allen Seiten fort,
  • Mit ihr den Traum; drum eilt’ ich, aufzusteigen,
  • Und sah schon aufrecht beide Meister dort.
  • "Die süße Frucht, die auf so vielen Zweigen
  • Voll Eifer sucht der Sterblichen Begier,
  • Bringt alle deine Wünsche heut zum Schweigen!"
  • Mit dieser Rede sprach Virgil zu mir,
  • Und nie empfand bei Erdenherrlichkeiten
  • Ein Mensch noch solche Lust, als ich bei ihr.
  • Hinauf! Mich trieb’s und trieb’s, hinauf zu schreiten!
  • So fühlt’ ich nun mit jedem Schritt zum Flug
  • Die Schwingen wachten und sich freier breiten.
  • Und wie er mich empor die Stufen trug,
  • Stand bald ich auf der höchsten dort mit beiden,
  • Wo fest auf mich Virgil die Augen schlug.
  • "Des zeitlichen und ew’gen Feuers Leiden
  • Sahst du, und bist, wo weiterhin nichts mehr
  • Ich durch mich selbst vermag zu unterscheiden.
  • Durch Geist und Kunst geleitet’ ich dich her;
  • Zum Führer nimm fortan dein Gutbedünken;
  • Dein Pfad ist fürderhin nicht steil und schwer.
  • Sieh dort die Sonn’ auf deine Stirne blinken,
  • Sieh, durch des Bodens Kraft und ohne Saat
  • Entkeimt, dir Gras, Gesträuch und Blumen winken.
  • Bis sich dir froh ihr schönes Auge naht
  • Das mich zu dir einst rief mit bittern Zähren,
  • Ruh’ oder wandle hier auf heiterm Pfad.
  • Nicht harre fürder meiner Wink’ und Lehren,
  • Frei, g’rad’, gesund ist, was du wollen wirst,
  • Und Fehler wär’ es, deiner Willkür wehren,
  • Drum sei fortan dein Bischof und dein Fürst.
  • Achtundzwanzigster Gesang
  • Begierig schon, zu spähn umher und innen
  • Im göttlichen, lebend’gen, dichten Wald,
  • Der sanft den Morgen milderte den Sinnen,
  • Verließ ich das Gestad nun alsobald,
  • Um langsam, langsam in das Feld zu treten,
  • Auf einem Grund, dem ringsum Duft entwallt.
  • Von einem Lüftchen, einem sanften, steten,
  • Ward leiser Zug an meiner Stirn erregt,
  • Nicht mehr, als ob mich Frühlingswind’ umwehten.
  • Er zwang das Laub, zum Zittern leicht bewegt,
  • Sich ganz nach jener Seite hin zu neigen,
  • Wohin der Berg den ersten Schatten schlägt.
  • Doch nicht so heftig wühlt’ er in den Zweigen,
  • Daß es die Vöglein hindert’, im Gesang
  • Aus grünen Höh’n all ihre Kunst zu zeigen.
  • Nein, wie der Lüfte Hauch ins Dickicht drang,
  • Frohlockten sie ihr Morgenlied entgegen,
  • Wozu, begleitend. Laubgeflüster klang,
  • So klingt’s, wenn Zweig’ um Zweige sich bewegen
  • Im Fichtenwald an Chiassis Meergestad,
  • Sobald sich des Schirokko Schwingen regen.
  • Schon war ich mit langsamem Schritt genaht,
  • Und bald so dicht vom alten Hain umschlossen,
  • Daß nicht zu sehn war, wo ich ihn betrat.
  • Da sieh die Bahn durch einen Bach verschlossen,
  • Der links hin, mit der kleinen Wellen Schlag
  • Die Gräser bog, die seinem Bord entsprossen.
  • Das reinste Wasser hier am klarsten Tag,
  • Trüb scheint es und vermischt mit fremden Dingen,
  • Vergleicht man’s dem, wo nichts sich bergen mag,
  • Obwohl, da Schatten ewig es umringen,
  • Es dunkel, dunkel strömt und nie hinein
  • Der Sonne noch des Mondes Strahlen dringen.
  • Es stand mein Fuß; doch jenseits in den Hain
  • Ließ übern Fluß ich meine Blicke schreiten,
  • Und sah dort mannigfache grüne Mai’n.
  • Und mir erschien--so stellt dem Blick zuzeiten
  • Sich unversehn Erstaunenswertes dar,
  • Den Geist von allem andern abzuleiten--
  • Ein einsam wandelnd Weib, das wunderbar
  • Im Gehen sang, aufsammelnd Blüt’ um Blüte,
  • Womit vor ihr bemalt der Boden war.
  • "O Schöne, die du, zeigt sich das Gemüte,
  • Wie’s pflegt, im Äußern, mich zu glauben zwingst,
  • Daß an der Liebe Strahl dein Herz entglühte,
  • O käme Lust dir, daß du näher gingst,"
  • Ich sprach’s zu ihr, den Fuß zum Bache lenkend,
  • "Daß ich verstehen könne, was du singst.
  • Dich seh’ ich jetzt, Proserpinens gedenkend,
  • Des Orts auch, wo die Mutter sie verlor,
  • Und sie den Lenz, sich in die Nacht versenkend."
  • Und wie die Tänzerin, die kaum empor
  • Die Sohlen hebt, mit engen Schritten gleitend,
  • Ein zartes Füßlein kaum dem andern vor;
  • So sah ich sie, durch bunte Blumen schreitend,
  • Jungfräulich bodenwärts den Blick gewandt,
  • Und Ehrbarkeit und Würde sie begleitend,
  • 5o daß ich bald den Wunsch befriedigt fand,
  • Indem ich, wie sie näher hergezogen,
  • Den Sinn des süßen Liedes wohl verstand.
  • Sobald sie dort war, wo des Flusses Wogen
  • Den grünen Rasen am Gestad besprüh’n,
  • Erhob sie hold der Wimpern schöne Bogen.
  • Nicht mocht’, als Amor, übermäßig kühn,
  • Die Mutter wund mit seinem Pfeile machte,
  • In solcher Lust Cytherens Auge glüh’n.
  • Am rechten Ufer stand sie dort und lachte,
  • Und pflückte Blumen von der Wiese Saum,
  • Die ohne Saat hervor die Höhe brachte.
  • Das Bächlein trennt’ uns um drei Schritte kaum,
  • Doch Hellespont, den Xexes überschritten,
  • Noch jetzt dem höchsten Menschenstolz ein Zaum,
  • Hat schärfer nicht Leanders Haß erlitten,
  • Indem er Sestos und Abydos schied,
  • Als meinen er, ein Hemmnis meinen Schritten.
  • "Ihr seid hier neu und weil in dem Gebiet,"
  • Begann sie nun, "das an der Menschheit Morgen
  • Zu ihrer Wiege Gott, der Herr, beschied,
  • Ich lächle, staunt ihr noch und seid in Sorgen.
  • Doch zeigt der Psalm: Herr, du erfreutest mich--
  • Euch klar das Licht, das Nebel noch verborgen.
  • Du, der du vorn stehst und mich batest, sprich;
  • Noch scheinst du einem Zweifel nachzuhängen,
  • Drum frage nur, und ich befried’ge dich."
  • "Das Wasser," sprach ich, "samt des Waldes Klängen,
  • Sie müssen das, worauf ich kaum getraut,
  • Da sie ihm widersprechen, hart bedrängen."
  • Drum sie: "Vom Grunde des, was du geschaut,
  • Und was gehört, sei Kunde dir beschieden;
  • Sie scheucht den Nebel, welcher dich umgraut.
  • Das höchste Gut, allein in sich zufrieden,
  • Den Menschen schuf’s zum Guten gut, und wies
  • Dies Land ihm an, als Pfand für ew’gen Frieden,
  • Aus welchem bald ihn seine Schuld verstieß,
  • Die Schuld, die süße Spiele mit Beschwerden,
  • Mit Zähren ehrbar Lachen wechseln ließ.
  • Damit, entqualmt dem Wasser und der Erden
  • Die Dünste, die der Hitze nach, so weit
  • Es möglich ist, emporgezogen werden,
  • Ihn nicht befehdeten mit ihrem Streit,
  • Stieg himmelwärts der Berg in solcher Weise,
  • Und ist vom Tor an ganz von Dunst befreit.
  • Nun, weil noch immerfort im ersten Gleise
  • Der Lüfte ganzer Zirkellauf sich dreht,
  • Wenn nichts ihn unterbricht in seinem Kreise,
  • Trifft diesen Gipfel, der frei ragend steht,
  • Die Lebensluft, die, jedes Blatt bewegend,
  • Den dichten Wald mit diesem Klang durchweht.
  • Die Pflanze, sich in ihrem Hauche regend,
  • Beschwängert dann die Luft mit ihrer Kraft,
  • Und diese streut sie aus in jede Gegend.
  • Die Länder, wie ihr Boden wirkt und schafft,
  • Ihr Himmelsstrich und ihre Lage, treiben
  • Dann Bäume von verschiedner Eigenschaft.
  • Nun wird dies fürder nicht ein Wunder bleiben,
  • Wie manche Pflanzen, wo man nicht bestellt,
  • Ja, ohne sichtbar’n Samen doch bekleiben.
  • Und wissen sollst du, daß im heil’gen Feld,
  • In dem du bist, die Samen alle sprießen,
  • Und Früchte, nie gepflückt in eurer Welt.
  • Den Fluß auch siehst du nicht aus Adern fließen,
  • Genährt vom Dunst, den Kälte niederpreßt,
  • Die bald vertrocknen, bald sich wild ergießen.
  • Ihm ward ein Quell, aus welchem, stät und fest,
  • Die Wässer, die dem Doppelarm entfluten,
  • Die Wille Gottes neu ersetzen läßt.
  • Der Arm hier hat die Kraft, daß in den Fluten
  • Jedweder Schuld Erinnerung versinkt;
  • Der andre dort erneuert die des Guten,
  • Der hier heißt Lethe; aber dorten winkt
  • Dir Eunoe--allein nur jenen letzen
  • Wird seine Kraft, der aus dem erstem trinkt.
  • Kein Wohlgeschmack ist seinem gleich zu schätzen;
  • Und wäre schon genügend, was ich sprach,
  • Vermöcht’ ich auch nichts weiter zuzusetzen,
  • Doch bring’ ich gern noch einen Zusatz nach,
  • Und deinen Dank vermein’ ich zu verdienen,
  • Wenn ich dir mehr erfüll’, als ich versprach.
  • Den alten Dichtern, glaub’ ich, wenn von ihnen
  • Gepriesen ward das Glück der goldnen Zeit,
  • War dieser Ort im Traumgesicht erschienen.
  • Hier sproß die Menschheit ohne Schuld und Leid,
  • Hier jede Frucht in ew’gem Frühlingsleben,
  • Hier schmeckst du noch des Nektars Lieblichkeit."
  • Und als sie noch mir solches kundgegeben,
  • Kehrt’ ich mich um, und sah ein Lächeln hier,
  • Bei diesem Schluß, der Dichter Mund umschweben,
  • Dann aber wandt’ ich wieder mich zu ihr.
  • Neunundzwanzigster Gesang
  • In Sang, nach liebentglühter Frauen Art,
  • ließ sie zuletzt der Rede Schluß verhallen:
  • "Heil, wem bedeckt jedwede Sünde ward."
  • Und gleichwie Nymphen, in der Waldnacht Hallen,
  • Hier vor der Sonne Strahlen fliehend, dort
  • Aufsuchend ihren Schimmer, einsam wallen;
  • Ging sie dem Strom entgegen hin am Bord,
  • Ich, folgend kleinem Schritt mit kleinem Schritte,
  • Ging sie begleitend gegenüber fort.
  • Kaum hundert waren mein’ und ihrer Tritte,
  • Da bog mit beiden Ufern sich der Bach,
  • Und ostwärts ging ich durch des Waldes Mitte.
  • Nicht lange zog ich dieser Richtung nach,
  • Da sah ich sich zu mir die Schöne wenden:
  • "Mein Bruder, halt’ itzt Ohr und Auge wach!"
  • Sie sprach’s, und gleich durchlief von allen Enden
  • Ein schnell entstandner Glanz den großen Hain;
  • Ich glaubt’, es möge mich ein Blitzstrahl blenden,
  • Doch weil, wie kommt, so geht des Blitzes Schein
  • Und dieser Glanz sich dauernd nur vermehrte,
  • So dacht’ ich still bei mir: Was mag das sein?
  • Und durch die Luft, die helle, lichtverklärte,
  • Zog süßer Laut, und eifrig schalt ich jetzt.
  • Daß Evas Frevelmut zu viel begehrte.
  • Wo Erd’ und Himmel nicht sich widersetzt,
  • Da fühlt’ ein Weib sich, kaum der Ripp’ entsprossen,
  • Vom Schleier, der ihr Aug’ umzog, verletzt.
  • O hätte sie sich fromm in ihm verschlossen,
  • Hätt’ ich die überschwänglich große Lust,
  • Wohl früher schon und länger dann genossen.
  • Nachdem ich zweifelnd, meiner kaum bewußt,
  • In diesen Erstlingswonnen fortgegangen,
  • Mit Drang nach größern Freuden in der Brust,
  • Da glüht’, als war’ ein Feuer aufgegangen,
  • Die Luft im Laubgewölb’--es scholl ein Ton,
  • Und deutlich hört’ ich bald, daß Stimmen sangen.
  • Hochheil’ge Jungfrau’n, wenn ich öfter schon
  • Frost, Hunger, Wachen treu für euch ertragen,
  • Jetzt treibt der Anlaß mich, jetzt fordr’ ich Lohn.
  • Laßt auf mich her des Pindus Wellen schlagen,
  • Urania sei meine Helferin,
  • Was schwer zu denken ist, im Lied zu sagen.
  • Ich glaubte sieben Bäume weiterhin
  • Von Gold zu schau’n, allein vom Schein betrogen
  • War durch den weiten Zwischenraum mein Sinn.
  • Denn als ich nun so nahe hingezogen,
  • Daß sich vom Umriß, der den Sinn betört,
  • Gestalt und Art durch Ferne nicht entzogen,
  • Da ließ die Kraft, die den Verstand belehrt,
  • Anstatt der Bäume Leuchter mich erkennen,
  • Und deutlich ward Hosiannasang gehört.
  • Und oben sah ich das Geräte brennen,
  • Und heller ward die Flamm’ als Lunas Licht
  • In Monats Mitt’ um Mitternacht zu nennen.
  • Zum Führer wandt’ ich staunend mein Gesicht,
  • Doch nichts vermocht’ er weiter vorzubringen,
  • Als was ein tief erstauntes Antlitz spricht.
  • Da blickt’ ich wieder nach den hohen Dingen,
  • Die langsamer als eine junge Braut,
  • Sich stillbewegend, mir entgegengingen.
  • "Was bist du doch", so schalt die Schöne laut,
  • "Für die lebend’gen Lichter so entglommen,
  • Daß nicht auf das, was folgt, dein Auge schaut?"
  • Und hinter ihnen sah ich Leute kommen,
  • Wie man dem Führer folgt, weiß ihr Gewand,
  • Weiß, wie man nichts auf Erden wahrgenommen.
  • Das Wasser glänzte mir zur linken Hand,
  • Worin, wenn ich in seinen Spiegel sähe,
  • Ich meine linke Seite wiederfand.
  • Als ich am rechten Platze war, so nahe,
  • Daß nur der Fluß mich schied, hemmt’ ich den Schritt,
  • Um besser zu erschau’n, was dort geschahe.
  • Ich sah, wie jede Flamme vorwärts glitt,
  • Und hinter jeder blieb ein helles Strahlen,
  • Das, Pinselstrichen gleich, die Luft durchschnitt.
  • So sah man sieben Streifen oben strahlen,
  • Sie allesamt in jenen Farben bunt,
  • Die Phöbes Gurt und Phöbus’ Bogen malen.
  • Nicht ward ihr Ende meinem Auge kund,
  • Doch sah ich, daß an beiden äußern Grenzen
  • Zehn Schritt der erste von dem letzten stund.
  • Und wie ich also sah den Himmel glänzen,
  • Da zogen drunten, zwei an zwei gereiht,
  • Zweimal zwölf Greise her in Lilienkränzen.
  • Und alle sangen: "Sei gebenedeit
  • In Adams Töchtern! Herrlich und gepriesen
  • Sei deine Huld und Schön’ in Ewigkeit."
  • Und als nun die beblümten frischen Wiesen,
  • Die jenseits das Gestad des Bachs begrenzt,
  • Die Auserwählten nach und nach verließen,
  • Sah ich, wie Stern um Stern am Himmel glänzt,
  • Vier Tiere dort zunächst sich offenbaren,
  • Und jedes ward mit grünem Laub bekränzt
  • Und war versehn mit dreien Flügelpaaren,
  • Mit Augen ihre Federn ganz besetzt,
  • Wie die des Argus, als er lebte, waren.
  • Nicht viel der Reime, Leser, wend’ ich jetzt
  • Auf ihre Form, denn sparsam muß ich bleiben,
  • Da größrer Stoff mich noch in Kosten setzt.
  • Laß von Ezechiel sie dir beschreiben;
  • Von Norden sah er sie, so wie er spricht,
  • Mit Sturm, mit Wolken und mit Feuer treiben.
  • Wie ich sie fand, beschreibt sie sein Bericht,
  • Nur stimmt Johannes in der Zahl der Schwingen
  • Mir völlig bei und dem Propheten nicht.
  • Es stellt’ im Raum sich, den die Tier’ umfingen,
  • Ein Siegeswagen auf zwei Rädern dar,
  • Des Seil’ an eines Greifen Hälse hingen.
  • Und in die Streifen ging der Flügel Paar,
  • Die hoch, den mittelsten umschließend, standen,
  • So, daß kein Streif davon durchschnitten war.
  • Sie hoben sich so hoch, daß sie verschwanden;
  • Gold schien, soweit er Vogel, jedes Glied,
  • Wie sich im andern Weiß und Rot verbanden.
  • Nicht solchen Wagen zum Triumph beschied
  • Rom dem Augustus, noch den Afrikanen;
  • Ja, arm erschiene dem, der diesen sieht,
  • Sols Wagen, der, entrückt aus seinen Bahnen,
  • Verbrannt ward auf der Erde frommes Fleh’n
  • Durch Zeus’ gerechten Ratschluß, wie wir ahnen,
  • Man sah im Kreis drei Frau’n sich tanzend dreh’n
  • Am Rande rechts, und hochrot war die eine,
  • Gleich lichter Glut der Flammen anzusehn.
  • Die zweite glänzte hell in grünem Scheine,
  • Gleich dem Smaragden, und die dritte schien
  • Wie frisch gefallner Schnee an Weiߒ und Reine.
  • Die Weiße sah man bald den Reigen zieh’n,
  • Die Rote dann, und nach dem Sang der letzten
  • Die andern langsam gehn und eilig flieh’n.
  • Links vier im Purpurkleid, die sich ergötzten,
  • Und, wie die eine, mit drei Augen, sang,
  • Nach ihrer Weis im Tanz die Schritte setzten.
  • Nach allen diesen kam den Pfad entlang,
  • Ungleich in ihrer Tracht, ein paar von Alten,
  • Doch gleich an Ernst und Würd’ in Mien’ und Gang.
  • Der erste war für einen Freund zu halten
  • Des Hippokrat, den die Natur gemacht,
  • Um ihrer Kinder liebste zu erhalten.
  • Der andre schien aufs Gegenteil bedacht,
  • Mit einem Schwert, und durch das scharfe, lichte,
  • Ward ich diesseits des Bachs in Angst gebracht.
  • Dann kamen vier daher, demüt’ge, schlichte,
  • Und hinter ihnen kam ein Greis, allein
  • Und schlafend, mit scharfsinnigem Gesichte.
  • Die sieben schienen gleich an Tracht zu sein
  • Den ersten zweimal zwölf, doch nicht umblühten
  • Die Häupter Lilienkränz’ in weißem Schein,
  • Rosen vielmehr und andre rote Blüten,
  • Und wer vom weiten sie erblickte, schwor,
  • Daß oberhalb der Brau’n sie alle glühten.
  • Mir gegenüber fuhr der Wagen vor,
  • Worauf ein Donnerhall mein Ohr ereilte,
  • Und sich des Zugs Bewegung schnell verlor,
  • Der jetzt zugleich mit seinen Fahnen weilte.
  • Dreißigster Gesang
  • Sobald der Empyre’n Gestirn des Norden,
  • (Das nimmer aufgeht, noch sich wieder senkt,
  • Und das durch Sünden nur umnebelt worden;
  • Bei welchem jeder dort der Pflicht gedenkt,
  • Zu der es leitet, wie den Kahn hienieden,
  • Das, welches tiefer steht, zum Hafen lenkt),
  • Stillstand, da wandten, die’s vom Greifen schieden,
  • Die zweimal zwölf und vier Wahrhaften, sich
  • Zum Wagen hin als wie zu ihrem Frieden.
  • Und einer, der des Himmels Boten glich,
  • Rief dreimal singend zu der andern Sange:
  • "Komm, Braut vom Libanon, und zeige dich!"
  • Wie bei des Weltgerichts Posaunenklange
  • Der Sel’gen Schar, mit leichtem Leib umfahn,
  • Dem Grab erstehen wird mit eil’gem Drange,
  • So hoben von des heil’gen Wagens Bahn
  • Wohl hundert sich bei solcher Stimme Schalle,
  • Des ew’gen Lebens Diener, himmelan.
  • "Heil dir, der kommt!" so klang’s im Widerhalle,
  • "Streut Lilien jetzt mit vollen Händen hin!"
  • Und Blumen warfen rings und oben alle.
  • Schon sah ich bei des Tages Anbeginn
  • Geschmückt den Osten sich mit Rosen zeigen,
  • Sah klar den Himmel und die Königin
  • Des Tages, sanft umschattet, höher steigen,
  • So daß, da ihren Schimmer Dunst umfloß,
  • Mein Blick ihn aushielt, ohne sich zu neigen.
  • Hier, durch die. Blumenflut, die sie umschloß,
  • Und niederstürzend um und in den Wagen,
  • Sich aus der Himmelsboten Hand ergoß,
  • Sah ich ein Weib in weißem Schleier ragen,
  • Olivenzweig’ ihr Kranz, und ums Gewand,
  • Das Feuer schien, des Mantels Grün geschlagen.
  • Mein Geist, dem schon so manches Jahr entschwand,
  • Seit er in ihrer Gegenwart mit Beben
  • Demüt’gen Staunens bange Lust empfand,
  • Fühlt’, eh das Aug’ ihm-Kunde noch gegeben,
  • Durch die geheime Kraft, die ihr entquoll,
  • Die alte Liebe mächtig sich erheben.
  • Kaum war der hohen Kraft die Seele voll,
  • Der Kraft, durch die, bevor ich noch entgangen
  • Der Knabenzeit, mein wundes Herz erschwoll,
  • So wandt’ ich links mich hin, mit dem Verlangen,
  • Mit dem ein Kind zur Mutter läuft und Mut
  • Im Schrecken sucht und Trost im Leid und Bangen,
  • Um zu Virgil zu sagen: "Ach mein Blut!
  • Kein Tröpflein blieb mir, das nicht bebend zücke--
  • Ich kenne schon die Zeichen alter Glut."
  • Doch sein beraubt ließ uns Virgil zurücke,
  • Virgil, der väterliche Freund--Virgil,
  • Dem sie mich übergab zu meinem Glücke.
  • Was Eva einst verloren, da sie fiel,
  • Nicht half es mir, die Tränen zu vermeiden,
  • Wovon ein Strom die Wangen niederfiel.
  • "O Dante, mag Virgil auch von dir scheiden,
  • Nicht weine drum, noch jetzo weine nicht;
  • Zu weinen ziemt dir über andres Leiden!"
  • Und wie mit ernstgebietendem Gesicht
  • Ein Admiral, der, musternd seine Scharen
  • Vom hohen Bord, sie mahnt an ihre Pflicht,
  • So war sie links im Wagen zu gewahren,
  • Als ich nach meines Namens Klang mich bog,
  • Den hier die Not mich zwang, zu offenbaren;
  • Ich sah die Frau, die erst sich mir entzog,
  • Als sie erschien, in jener Engelfeier,
  • Wie nach mir her ihr Blick von jenseits flog.
  • Doch ihr vom Haupte wallend ließ der Schleier,
  • Der von Minervens Laub umkränzet ward,
  • Mir ihren Anblick nur noch wenig freier.
  • Stolz sprach sie nun mit königlicher Art,
  • Gleich einem, der erst mild spricht, anzuschauen,
  • Und sich das härtre Wort fürs Ende spart:
  • "Schau’ her, Beatrix bin ich! Welch Vertrauen
  • Führt dich zu diesen Höh’n? Wie? Weißt du nicht,
  • Beglückte wohnen nur in diesen Auen."
  • Ich sah zum Bach hinab, sah mein Gesicht,
  • Sah auf die Blumen dann, die mich umgaben,
  • Gedrückt die Stirn von schwerer Scham Gewicht.
  • So stolz erscheint die Mutter ihrem Knaben,
  • Wie sie mir schien; denn ihr mitleidig Wort
  • Schien den Geschmack der Bitterkeit zu haben.
  • Sie schwieg, da sang der Engel Chor sofort
  • Den Psalmen: Herr, auf dich nur steht mein Hoffen,
  • Bis: Stellest meine Fuß auf weiten Ort.
  • Wie auf den Rücken Welschlands, welcher offen
  • Den Stürmen ragt, der Schnee, im Frost gehäuft,
  • Zu Eis erstarrt, vom slaw’schen Wind getroffen,
  • Dann, in sich selbst versickernd, niederträuft,
  • Wenn laue Wind’ aus Libyen ihn verzeihen,
  • So wie, dem Feuer nah, das Wachs zerläuft;
  • So war ich ohne Seufzer, ohne Zähren,
  • Bevor die Engel sangen, deren Sang
  • Nur Nachklang ist vom Lied der ew’gen Sphären.
  • Doch als im Lied ihr Mitleid mir erklang,
  • Wohl heller klang, als hätten sie gesungen:
  • "Was, Herrin, machst du ihm das Herz so bang?"
  • Da ward das Eis, das fest mein Herz umschlungen,
  • Zu Hauch und Wasser bald und kam durch Mund
  • Und Auge bang aus meiner Brust gedrungen.
  • Sie, welche, wie zuvor, im Wagen stund,
  • Sie wandte sich dem Engelchor entgegen,
  • Und tat den heil’gen Scharen dieses kund:
  • "Ihr wacht im ew’gen Tag, und nimmer mögen
  • Euch einen Schritt entziehen Schlaf und Nacht,
  • Den das Jahrhundert tut auf seinen Wegen.
  • Drum ist die Antwort wohl für ihn bedacht,
  • Der drüben weint, damit sie klar beweise,
  • Daß große Schuld auch große Schmerzen macht.
  • Nicht durch die Kraft allein der ew’gen Kreise,
  • Die jedes Wesen zu dem Ziele lenkt,
  • Das ihm sein Stern gesteckt für seine Reise,
  • Durch das auch, was die Gnade Gottes schenkt,
  • Sie, deren Regen solche Dünst’ umgeben,
  • Daß sich kein Blick in ihre Tiefen senkt,
  • War dieser einst in seinem neuen Leben
  • Gar hoch begabt, um sich zur Trefflichkeit
  • Durch rechte Sitte mächtig zu erheben.
  • Doch wilder wird in schnöder Üppigkeit
  • Jedweder schlechte Same sich entfalten,
  • Je kräft’ger ist des Bodens Fruchtbarkeit.
  • Wohl wußt’ ich ein’ge Zeit ihn festzuhalten,
  • Indem ich ihm die jungen Augen wies;
  • Da ließ er gern als Führerin mich walten.
  • Doch hatt’ er, als ich kaum die Welt verließ,
  • Zum bessern Sein zu gehn, sich mir entzogen,
  • Indem er andern ganz sich überließ.
  • Als ich vom Fleisch zum Geist emporgeflogen,
  • Und höh’re Tugend, höhern Reiz empfah’n,
  • Da war er minder hold mir und gewogen.
  • Er wandte seinen Schritt zur falschen Bahn,
  • Trugbildern folgend schnöden Wonnelebens,
  • Den falschen Lockungen und leerem Wahn.
  • Im Traum und Wachen rief ich ihn vergebens,
  • Und Mahnung haucht’ ich ihm und Warnung ein,
  • Doch blieb er taub im Leichtsinn eiteln Strebens.
  • Ein Mittel könnt’ ihm nur zum Heil gedeih’n,
  • So tief schon hatt’ er sich im Wahn verloren,
  • Und solches war der Anblick ew’ger Pein.
  • Deswegen drang ich zu der Hölle Toren
  • Und habe den, der ihn herauf geführt,
  • Mit Bitten und mit Tränen dort beschworen.
  • Nicht wär’s, wie sich’s nach ew’gem Rat gebührt,
  • Wenn er durch Lethe ging’ und sie genösse,
  • Und nicht vorher, bußfertig und gerührt,
  • In Reuezähren seine Schuld ergösse.
  • Einunddreißigster Gesang
  • "Du, jenseits dort am heil’gen Strom," so kehrte
  • Sie jetzt der Rede Spitze gegen mich,
  • Nachdem die Schneide schon mich hart versehrte,
  • Fortfahrend ohne Säumen: "Sprich, o sprich,
  • Ist dieses wahr? Erkennst du deine Fehle?
  • Auf solche Klage ziemt die Beichte sich."
  • Die Stimme regte sich, doch in der Kehle
  • Erstarb das Wort; denn, statt gehoffter Huld.
  • Verwirrte finstre Strenge meine Seele.
  • Nur wenig hatte sie mit mir Geduld:
  • "Was sinnst du? Sprich! Noch tilgten nicht die Wogen
  • Der Lethe die Erinnrung deiner Schuld."
  • Furcht und Verwirrung, sich vermischend, zogen
  • Ein Ja! aus meinem Mund, das zwar erblickt
  • Vom Auge ward, allein dem Ohr entzogen.
  • Gleichwie zu scharf gespannt die Armbrust knickt,
  • Und, wenn sich Sehn’ und Bogen überschlagen,
  • Den Pfeil mit mindrer Kraft zum Ziele Schickt,
  • So brach, zu schwach, so schwere Last zu tragen,
  • Ich jetzt in Seufzer aus und Tränenflut
  • Und ließ den Ton sich nicht ins Freie wagen.
  • Drum sie zu mir: "In meiner Wünsche Glut,
  • Die einst dich jenes Gut zu lieben führte,
  • Das unserm Wunsch entrückt all andres Gut.
  • Welch eine Kette war’s, die dich umschnürte,
  • Das auf den Fortschritt, mit verzagtem Sinn,
  • Die Hoffnung abzulegen dir gebührte.
  • Und welche Fördrung, welcherlei Gewinn,
  • Die lockend dir von andrer Stirne lachten?
  • Was führte dich zu ihrem Wege hin?"
  • Nach einem tiefen, bittern Seufzer machten
  • Sich Töne mühsam frei aus meiner Brust,
  • Die kaum als Wort’ hervor die Lippen brachten.
  • "Die Gegenwart, mit ihrer falschen Lust,"
  • So weint’ ich, "hat, als eure Blick’ entschwanden,
  • Rückwärts zu wenden meinen Schritt gewußt."
  • "Verschwiegst, vermeintest du, was du gestanden,"
  • Sprach sie, "nicht minder wär’s dem Richter kund,
  • Vor dessen Blick die Lüge nie bestanden.
  • Doch wenn man sich verklagt mit eignem Mund.
  • So wird hier abgestumpft das Schwert der Rache,
  • Und Gnade macht des Sünders Herz gesund.
  • Drum, daß dein Wahn dich mehr erröten mache,
  • Und daß dein Herz zu jeder andern Zeit
  • Die Lockung der Sirenen kühn verlache,
  • Laß ab vom Weinen jetzt und Traurigkeit;
  • Vernimm vielmehr, welch andern Weg zu wallen
  • Dir ziemend war, als mich der Tod befreit.
  • Nichts ließ Natur und Kunst dir je gefallen,
  • Wie jenen Leib, in dem ich dort erschien,
  • Des schöne Glieder jetzt in Staub zerfallen.
  • Und sahest du die höchste Wonn’ entflieh’n
  • Bei meinem Tod, was konnte dich besiegen?
  • Welch ird’sche Lust dich fürder an sich zieh’n?
  • Beim Reiz der Dinge, die das Herz betrügen,
  • Bei ihrem ersten Pfeil, war’s ziemend, mir,
  • Die ich mein Sein verwandelt, nachzufliegen.
  • Nicht niederzieh’n sollt’ er die Schwingen dir,
  • Nicht harren solltest du der andern Pfeile,
  • Des Mägdleins nicht, nach andrer eitlen Zier.
  • Der junge Vogel harrt in träger Weile
  • Des zweiten Pfeils, doch der beschwingte flieht
  • Und schützt vor Netz und Pfeilen sich durch Eile."
  • Gleichwie ein Knabe schweigend niedersieht,
  • Wenn Vorwurf und Bewußtsein ihn verstören,
  • Und Reue sein Gesicht zur Erde zieht;
  • So stand ich dort: "Betrübt dich schon das Hören,"
  • Sie sprach’s, "So sei emporgewandt dein Bart;
  • Das Schauen wird noch deinen Schmerz vermehren."-
  • In ihrem Widerstande minder hart,
  • Läßt ihrem Grund die Eiche sich entreißen,
  • Wenn sie von Nordsturms Macht durchschüttelt ward,
  • Als ich das Kinn erhob, da sie’s geheißen.
  • Auch fühlt’ ich, da sie Bart für Antlitz sprach,
  • Des Wortes Gift an meinem Herzen reißen.
  • Das Antlitz hob ich zögernd und gemach,
  • Und sieh, die schönen englischen Gestalten,
  • Sie ließen jetzt im Blumenstreuen nach.
  • Mein Blick, kaum fähig noch, ein Bild zu halten,
  • Erschaute sie, dem Greifen zugewandt,
  • In dem, dem einen, zwei Naturen walten.
  • Sie schien, verschleiert, jenseits dort am Strand,
  • Das, was sie einst war, jetzt zu überwinden,
  • Wie sie vordem die andern überwand.
  • Wie mußt’ ich da der Reue Schmerz empfinden!
  • Wie, was mich von ihr abgewandt, die Lust
  • Der eiteln Welt jetzt hassenswürdig finden!
  • So nagte Selbstbewußtsein meine Brust,
  • Daß ich hinsank--mit welchem innrem Beben,
  • Ihr, die es mir erregt, ihr ist’s bewußt.
  • Als äußre Kraft das Herz mir neu gegeben,
  • Sprach über mir sie, die mir erst allein
  • Erschienen war: "Mich fass, um dich zu heben!"
  • Sie zog mich bis zum Hals den Fluß hinein,
  • Glitt, wie ein Webschiff, ohne sich zu senken,
  • Auf seiner Fläch’ und zog mich hinterdrein,
  • Um mich zum sel’gen Ufer hinzulenken.
  • Dort klang’s: "Entsünd’ge mich!" so süß--ich kann
  • Es nicht beschreiben, ja, nicht wieder denken.
  • Die schöne Frau erschloß die Arme dann,
  • Umschlang mein Haupt und taucht’ es in die Wogen,
  • Drob ich vom Wasser trank, das mich umrann.
  • Drauf, als sie mich gebadet vorgezogen,
  • Bot sie zum Tanze mich den schönen vier,
  • Die hold um meinen Hals die Arme bogen.
  • "Wir sind am Himmel Sterne, Nymphen hier.
  • Und als zur Welt Beatrix kam, so gingen
  • Als ihre Dienerinnen wir mit ihr.
  • Wir werden dich ihr vor die Augen bringen;
  • Dir schärfen dann, fürs holde Licht darin
  • Den Blick die drei, die schauend tiefer dringen."
  • Sie sangen diese Worte zum Beginn,
  • Worauf sie mich zur Brust des Greifen brachten.
  • Dort wandte sie nach uns das Antlitz hin.
  • Sie sprachen dann: "Hier darfst du frei betrachten,
  • Wir stellten dich vor der Smaragden Licht,
  • Woraus dich wund der Liebe Pfeile machten."
  • Mir weckt’ ein glühend Sehnen ihr Gesicht
  • Und band an ihrer Augen Glanz die meinen;
  • Die ihren wichen vor dem Greifen nicht.
  • Und drinnen sah ich den zwiefachen Einen,
  • Gleichwie die Sonn’ im Spiegel, schimmernd klar,
  • Als diesen bald, als jenen bald erscheinen.
  • Nun denke, Leser, selbst, wie wunderbar,
  • Das Abbild, sich verwandelnd, zu erblicken,
  • Obwohl das Urbild stets dasselbe war.
  • Indes die Seel’ in Staunen und Entzücken
  • Die Speise kostete, die größern Drang
  • Nach sich erweckt, je mehr wir uns erquicken,
  • Da sah ich jene drei vom höchsten Rang,
  • Dies zeigte die Gebärd’, uns nahe kommen,
  • Den Engeltanz begleitend mit Gesang.
  • "Beatrix, laß den Blick, den heil’gen, frommen,"
  • So sangen sie, "auf deinen Treuen sehn,
  • Der dich zu schau’n so hoch emporgeklommen.
  • Enthüll’ aus Gnad’ ihm deinen Mund, wir fleh’nl
  • Die zweite Schönheit, die du noch verborgen,
  • O laß sie auf vor seinen Augen gehen!"
  • O Glanz lebend’gen Lichts! o ew’ger Morgen!
  • Wer trank so tief aus des Parnassus Flut,
  • Wer ward so bleich in seinen Müh’n und Sorgen,
  • Daß er vermag, mit freiem, kühnem Mut
  • Sich deiner Schilderung zu unterfangen,
  • Wenn du bei Himmelsharmonien in Glut
  • Den unbewölkten Lüften aufgegangen?
  • Zweiunddreißigster Gesang
  • Den zehenjähr’gen Durst zu löschen, hingen
  • An ihrem Reiz die Augen, so voll Gier,
  • Daß mir die andern Sinne ganz vergingen.
  • Seitwärts baut’ eine Mauer dort und hier
  • Nichtachtung auf, denn mit dem Netz, dem alten,
  • Zog mich ihr heil’ges Lächeln hin zu ihr.
  • Da wandten mir die himmlischen Gestalten
  • Mit Macht nach meiner Linken das Gesicht,
  • Mit diesem Ruf: Im Schauen Maß gehalten!
  • Nun stand ich dort wie einer, den das Licht
  • Der Sonne mit dem Flammenpfeil geblendet,
  • Und dem zunächst die Sehkraft ganz gebricht.’
  • Doch als das wen’ge sie mir neu gespendet--
  • Nach jenem vielen wenig und gering,
  • Von dem ich mit Gewalt mich abgewendet--
  • Da sah ich, das ruhmvolle Kriegsheer fing
  • Sich rechts zu kehren an, indem’s den Lichten,
  • Den sieben, nach, der Sonn’ entgegenging.
  • Wie, wenn die Scharen auf den Sieg verzichten,
  • Sie unterm Schild sich mit der Fahne dreh’n,
  • Eh’ sie, geschwenkt, sich ganz zum Rückzug richten,
  • So war die Schar des Himmelreichs zu sehn,
  • Und eh’ sich um des Wagens Deichsel legte,
  • Sah man den Zug vor’ und vorübergehn.
  • Die sieben Frauen rechts und links, bewegte
  • Der Greif die heil’ge Last mit stiller Macht,
  • So daß an ihm sich keine Feder regte.
  • Ich, Statius, sie, die mich zum Furt gebracht,
  • Wir leiteten dem Rade nach die Schritte,
  • Das, umgeschwenkt, den kleinern Bogen macht.
  • So ging es durch des hohen Waldes Mitte,
  • Öd’, weil der Schlang’ einst Eva Glauben gab,
  • Und Engelsang gab Maß für unsre Tritte.
  • Dreimal so weit nur, als ein Pfeil herab
  • Vom Bogen fliegt, war nun der Zug gekommen,
  • Und Beatrice stieg vom Wagen ab.
  • "Adam!" so ward ein Murmeln rings vernommen,
  • Und einen Baum, von Laub und Blüten leer,
  • Umringt’ im Kreise nun die Schar der Frommen.
  • Sein Haar verbreitet sich so mehr, je mehr
  • Er aufwärts steigt, hoch, daß er selbst den Indern
  • Durch seine Höhe zum Erstaunen war’.
  • "Heil dir, o Greif, mit deinem Schnabel plündern
  • Willst du nicht diesen Baum, der Süßes zwar
  • Dem Gaumen gibt, doch Marter dann den Sündern."
  • So rief rings um den starken Baum die Schar.
  • Und er, in dem sich Leu und Aar verbunden:
  • "So nimmt man jedes Rechtes Samen wahr."
  • Die Deichsel, wo ich ziehend ihn gefunden,
  • Schob er zum öden Stamm und ließ am Baum,
  • Aus ihm entnommen, sie an ihn gebunden.
  • Wie unsre Pflanzen, wenn zum Meeressaum
  • Das große Licht sich senkt, von dem umschlossen,
  • Das nach den Fischen glänzt am Himmelsraum,
  • Sich üppig bläh’n zu neuen jungen Sprossen,
  • Jede gefärbt nach der Natur Gebot, .
  • Eh’ Sol den Stier erreicht mit seinen Rossen;
  • So, mehr als Veilchen zwar, doch minder rot
  • Als Rosenglut, erneute sich die Pflanze,
  • Die erst verwaist erschien und kahl und tot.
  • Und wie sie nun erblüht’ im neuen Glanze,
  • Ertönt’ ein nie gehörter Lobgesang,
  • Doch nicht ertrug mein müder Sinn das Ganze.
  • Könnt’ ich euch malen, wie mit süßem Klang
  • Von Pan und Syrinx einst Merkur den Späher,
  • Den unbarmherz’gen, zum Entschlummern zwang,
  • So zeigt’ ich, wie nach einem Urbild, eher,
  • Wie jener Sang in Schlummer mich gebracht,
  • Doch das Entschlummern sing ein bessrer Seher.
  • Ich springe bis zur Zeit, da ich erwacht,
  • Da mir ein Glanz zerriß den dunkeln Schleier,
  • Und eine Stimme rief: Steh auf, hab’ acht!
  • Wie zu der Blut’ des Baums, des Apfel teuer
  • Den Engeln sind, den nichts erschöpfen kann,
  • Der Speise gibt zur ew’gen Hochzeitsfeier,
  • Geführt, Jakobus, Petrus und Johann
  • Aus ihrer Ohnmacht bei dem Wort erstanden,
  • Bei dessen Klang wohl tiefrer Schlaf entrann,
  • Und nun vermindert ihre Schule fanden.
  • Denn Moses und Elias waren fort,
  • Und ihren Herrn in anderen Gewanden;
  • So ich--und über mich gebogen dort
  • Stand jetzt die Schöne, wie um mein zu hüten,
  • Die mich geführt entlang des Flusses Bord.
  • "Wo ist Beatrix?" rief ich, und mir glühten
  • Vor Angst die Wangen. "Auf der Wurzel", sprach
  • Die Schöne, "sitzt sie unter neuen Blüten.
  • Sieh hin, wer sie umgibt. Dem Greifen nach
  • Entfloh’n empor die anderen, mit Sange,
  • Der süßer, tiefer klang, als dort am Bach.
  • Ob sie noch mehr gesprochen und wie lange,
  • Nicht weiß ich es, denn mir im Auge stand
  • Sie, die mein Ohr versperrte jedem Klange.
  • Sie saß allein auf jenem reinen Land,
  • Wie’s schien, zur Hut des Wagens dort gelassen,
  • Den an den Baum der Zweigestalt’ge band.
  • Die sieben Nymphen sah ich sie umfassen,
  • Im Kreis, die Lichter haltend, die vom Zwist
  • Des Nord- und Südwinds nie sich löschen lassen.
  • "Als Fremdling weilst du dort nur kurze Frist
  • Und wirst mit mir als ew’ger Bürger bleiben
  • In jenem Rom, wo Christus Römer ist.
  • Zum Heil der Welt mit ihrem bösen Treiben
  • Schau’ auf den Wagen, um, was du gesehn,
  • Zurückgekehrt, den Menschen zu beschreiben."
  • Beatrix sprach’s--wie könnt’ ich widerstehn?
  • Ganz so, wie’s der Gebieterin gefallen,
  • Ließ ich voll Demut Geist und Auge gehn.
  • Nicht sah man je so schnell aus Himmels Hallen.
  • Aus dichter Wölk’, ein flammendes Geschoß,
  • Den Blitz aus fernster Höhe niederfallen,
  • Als auf den Baum Zeus’ Vogel niederschoß,
  • Nicht wühlend bloß in Blüten und in Blättern,
  • Die Rind’ auch brechend, die sein Mark umschloß.
  • Dann sah man ihn zum Wagen niederschmettern,
  • Der bei dem Stoße rechts und links sich bog,
  • Gleich einem Schiff im Kampf mit wilden Wettern.
  • Dann war ein Fuchs, der jähen Sprunges flog,
  • Ins Innre selbst des Wagens eingebrochen,
  • Wohin ihn Gier nach beßrer Speise zog.
  • Doch mit dem Vorwurf des, was er verbrochen,
  • Trieb meine Herrin ihn so eilig fort,
  • Als laufen konnten seine magern Knochen.
  • Und nochmals stürzte von dem hohen Ort,
  • Wie schon vorhin, der Adler in den Wagen,
  • Und ließ ihm viel von seinen Federn dort.
  • Und wie aus banger Brust der Laut der Klagen,
  • Klang aus dem Himmel eine Stimm’ und sprach:
  • "Mein Schifflein, schlechte Ladung mußt du tragen!"
  • Und unten, zwischen beiden Rädern, brach
  • Der Erde Grund, ausspeiend einen Drachen,
  • Der nach dem Wagen mit dem Schwanze stach.
  • Dann zog er ihn zurück, wie’s Wespen machen,
  • Nahm einen Teil des Bodens mit und schien,
  • Von dannen eilend, des Gewinns zu lachen.
  • Der Rest des Wagens blieb, doch sah man ihn
  • Mit Federn, die wohl reiner Sinn gespendet,
  • Wie üppig Land mit Gras, sich überzieh’n.
  • Und dieses Werk war so geschwind vollendet,
  • Und voll die Deichsel und das Räderpaar,
  • Bevor die Brust ein Oh! und Ach! beendet.
  • Und Häupter trieb, als er verwandelt war,
  • Der Wagen vor, an den vier Ecken viere,
  • Drei aber nahm man auf der Deichsel wahr,
  • Die letzten drei gehörnt wie die der Stiere,
  • Die ersten vier mit einem Horn versehn;
  • So glich er nie geschautem Wundertiere.
  • Und sicher, wie auf Bergen Schlösser stehn,
  • Saß eine zügellose Hure drinnen
  • Und ließ umher die flinken Augen späh’n.
  • Und, gleich, als solle sie ihm nicht entrinnen,
  • Stand ihr zur Seit’ ein Ries’, und diese zwei
  • Sah ich sich küssen und sich zärtlich minnen.
  • Allein, weil sie die Augen gierig frei
  • Auf mich gewandt, schlug sie der wilde Freier
  • Vom Kopf zum Fuß mit wütendem Geschrei.
  • Drauf löst’ er ab vom Baum das Ungeheuer,
  • Von Argwohn voll und wildem Zorn und Arg,
  • Und zog es durch den Wald, des dichter Schleier
  • Die Hure samt dem Wundertier verbarg.
  • Dreiunddreißigster Gesang
  • Herr, eingefallen sind die Heiden! fingen,
  • Abwechselnd drei und vier, mit süßem Klang,
  • Doch tränenvoll, die Frauen an zu singen.
  • Beatrix horchte schweigend dem Gesang,
  • Verwandelt wie Maria, die mit Grauen
  • Des Mutterschmerzes unterm Kreuze rang.
  • Doch als nun ihrem Wort die andern Frauen
  • Erst Raum gegeben, sah ich sie erstehn,
  • G’rad’, aufrecht, gleich dem Feuer anzuschauen.
  • " Über ein kleines sollt ihr nicht mich sehn,
  • Und wiederum, ihr Schwestern, meine Lieben,
  • Über ein kleines werdet ihr mich sehn."
  • Sie sprach’s und stellte vor sich alle sieben,
  • Und hinter sich, durch ihren Wink allein,
  • Die Frau, mich und den Weisen, der geblieben.
  • Sie ging, doch mochten’s kaum zehn Schritte sein,
  • Die sie gegangen und uns gehen lassen,
  • Da blitzt’ ins Auge mir des ihren Schein.
  • "Geh itzt geschwinder," sagte sie gelassen,
  • "Komm näher her, daß, red’ ich nun mit dir,
  • Du wohl vermögend seist, mein Wort zu fassen."
  • Kaum war ich, wie ich sollte, nah bei ihr,
  • Da sprach sie: "Bruder, bist mir nah gekommen,
  • Doch zu erfragen wagst du nichts von mir?"
  • Wie wenn von zuviel Ehrfurcht schwer beklommen
  • Mit seiner Obrigkeit ein niedrer Mann
  • Halblaut und stockend spricht und kaum vernommen,
  • So sprach ich jetzt, da ich zu ihr begann:
  • "O Herrin, Ihr erkennt ja mein Verlangen,
  • Und was ich brauch’, und was mir frommen kann."
  • Und sie: "Mach’ itzt dich los von Scham und Bangen,
  • Ich will’s, und rede sicher nun und klar,
  • Und nicht wie einer, der im Traum befangen.
  • Der Wagen, den die Schlange brach, er war,
  • Doch wer dies zu verschulden sich nicht scheute,
  • Er fürchte Gottes Rach’ auf immerdar!
  • Nicht immer sonder Erben wird, wie heute
  • Der Adler sein, der ihm die Federn ließ,
  • Drob er erst Ungeheuer ward, dann Beute.
  • Schon nahen Sterne sich--wie ich’s gewiß
  • Im Geist erkannt, so sei es ausgesprochen--
  • Da kommt, von Schranke frei und Hindernis,
  • Fünfhundert fünf und zehn hervorgebrochen,
  • Ein Gottgesandter, der die Dirn’ erschlägt
  • Zusamt dem Riesen, der mit ihr verbrochen.
  • Und hab’ ich jetzt dir Worte vorgelegt,
  • Wie Sphinx und Themis, schwierig zu erraten,
  • Daher dein Geist im Dunkel Zweifel hegt,
  • So lösen bald dies Rätsel dir die Taten
  • Statt der Najaden auf, und unbedroht
  • Verbleiben drob die Herden und die Saaten.
  • Merk’, was ich sagt’, und höre mein Gebot:
  • Du sollst es dort den Lebenden erzählen,
  • Im Leben, das ein Rennen ist zum Tod.
  • Nicht sollst du, wenn du dorten schreibst, verhehlen,
  • Wie du den Baum gesehn. Erinnre dich:
  • Du sahst zu zweien Malen ihn bestehlen.
  • Wer diesen Baum bestiehlt und freventlich
  • Verletzt, kränkt Gott mit tät’gen Lästerungen,
  • Denn er schuf heilig nur den Baum für sich.
  • Für solchen Raub hat qualenvoll gerungen
  • Fünftausend Jahr und mehr der erste Geist
  • Nach ihm, des Tod des Bisses Fluch bezwungen.
  • Wohl schlummert dein Verstand, wenn du nicht weißt,
  • So hoch sei jener Baum aus tiefen Gründen,
  • Wenn dir des Gipfels Bau dies nicht beweist.
  • Und hätte nicht, wie Elsas Flut, mit Rinden
  • Von Stein dein Grübeln die Vernunft bedeckt,
  • Und war’ ihr Licht dir nicht getrübt von Sünden,
  • So hättest du, was das Verbot bezweckt,
  • Und wie darin der Herr gerecht erscheine,
  • Am Baum durch solche Zeichen leicht entdeckt.
  • Doch weil dein Geist verhärtet ist zum Steine,
  • Befleckt von Schuld, verworren und berückt
  • Und blöde bei der Wahrheit hellem Scheine,
  • So nimm, zwar nicht als Wort, doch ausgedrückt
  • Als Bild, in dir die Rede mit von hinnen,
  • Wie man den Pilgerstab mit Palmen schmückt."
  • Und ich: "So fest, als nur im Wachse drinnen
  • Das Bild sich hält, das drein das Siegel gräbt,
  • Trag’ ich, was ihr gezeichnet habt, hier innen.
  • Doch was, wenn sich so hoch mein Blick nicht hebt,
  • Fliegt eu’r ersehntes Wort in solche Sphären,
  • Daß er es mehr verliert, je mehr er strebt."
  • "Auf, daß du wissest, welcher Schule Lehren",
  • So sprach sie, "du gefolgt, und sehst, wie weit
  • Sie meinem Wort zu folgen sich bewähren;
  • Und wie ihr fern mit eurem Wege seid
  • Von Gottes Weg, so fern, wie von der Erden
  • Des höchsten Himmels Glanz und Herrlichkeit."
  • Und ich: "Nicht will’s mir klar im Geiste werden,
  • Daß ich mich je entfernt von eurer Spur;
  • Nicht fühl’ ich im Gewissen drob Beschwerden."
  • "Entsinnst du dessen dich nicht mehr?" so fuhr
  • Sie lächelnd fort; "doch von der Lethe Fluten
  • Trankst du noch heute, des gedenke nur.
  • Und, wie man richtig schließt vom Rauch auf Gluten,
  • So siehest du durch dies Vergessen klar,
  • Daß du dich abgewandt vom wahren Guten.
  • Jetzt wahrlich stellt, von jeder Hülle bar,
  • Soviel, im engsten Kreise sich bewegend,
  • Dein Blick es fassen kann, mein Wort sich dar."
  • Und flammender, sich trägem Schrittes regend,
  • Betrat jetzt Sol des Meridians Gebiet,
  • Das stets ein andres ist in andrer Gegend.
  • Da standen still, wie, wer als Führer zieht
  • Vor einer Schar, sich schickt zum Stillestande,
  • Wenn er auf seinem Wege Neues sieht,
  • Die sieben Frau’n an dichten Schattens Rande.
  • Wie grünbelaubt schwarzästig Waldgeheg
  • Auf kalte Flüss’ ihn fließt im Alpenlande.
  • Euphrat und Tigris schien vor ihrem Weg
  • Sich aus derselben Quelle zu ergießen,
  • Sich dann, wie Freunde, trennend, still und träg.
  • "O Licht, der Menschheit Ruhm, welch Wasser sprießen
  • Seh’ ich aus einem Ursprung hier und dann
  • Sich von sich selbst entfernend weiterfließen?"
  • Auf diese Bitte hob Beatrix an:
  • "Mathilden bitt’,"--und diese sprach dagegen,
  • Wie wer vom Vorwurf leicht sich lösen kann:
  • "Dies und noch anderes ihm auszulegen,
  • Versäumt’ ich nicht, was, des bin ich gewiß,
  • Der Lethe Wässer nicht zu tilgen pflegen."
  • Beatrix drauf: "Die größre Sorg’ entriß,
  • Wie’s oft geschieht, dies seinem Angedenken
  • Und ließ sein geistig Aug’ in Finsternis.
  • Doch Eunoe sieh--eil’, ihn dahin zu lenken,
  • Und, wie du immer pflegst, ihm durch die Flut
  • Mit Leben die erstorbne Kraft zu tränken."
  • Wie ohn’ Entschuldigung, wer, mild und gut,
  • Als eignen Willen fremden aufgenommen,
  • Der sich durch Wink und Wort ihm zeigte, tut,
  • So ging, nachdem sie mich am Arm genommen,
  • Die schöne Frau und sagte weiblich mild
  • Zu Statius: "Auch du sollst mit ihm kommen."
  • Hätt’ ich, o Leser, Raum zu größerm Bild,
  • So würd’ ich dir zum Teil die Wonnen singen
  • Des Tranks, der Durst erregt, wenn er ihn stillt.
  • Doch läßt sich nichts mehr auf die Blätter bringen,
  • Die ich zu diesem zweiten Lied erkor,
  • Drum hemmt der Zaum der Kunst mein Weiterdringen.
  • Ich ging aus jener heil’gen Flut hervor,
  • Wie neu erzeugt, von Leid und Schwäche ferne,
  • Gleich neuer Pflanz’ in neuen Lenzes Flor,
  • Rein und bereit zum Flug ins Land der Sterne.
  • Das Paradies
  • Erster Gesang
  • Der Ruhm des, der bewegt das große Ganze,
  • Durchdringt das All, und diesem Teil gewährt
  • Er minder, jenem mehr von seinem Glanze.
  • Im Himmel, den sein hellstes Licht verklärt,--
  • War ich und sah, was wiederzuerzählen
  • Der nicht vermag, der von dort oben kehrt.
  • Denn, nah’n dem Ziel des Sehnens unsre Seelen,
  • Das unsern Geist zur tiefsten Tiefe zieht,
  • Dann muß der Rückweg dem Gedächtnis fehlen.
  • Doch alles, was im heiligen Gebiet
  • Nur einzusammeln war von sel’ger Schöne,
  • Der edle Schatz, sei Stoff jetzt meinem Lied.
  • Apollo, Güt’ger, leih mir deine Töne
  • Zum letzten Werk--mach’ ein Gefäß aus mir,
  • Wert, daß es dein geliebter Lorbeer kröne.
  • Mir g’nügt’ ein Gipfel des Parnaß bis hier,
  • Doch, soll der Rennbahn Ziel der Sieger grüßen,
  • So fleh’ ich jetzt um beid’ empor zu dir.
  • Den Odem hauch’ in mich, den reinen, süßen,
  • Daß du hier stark, wie bei dem Wettkampf, seist,
  • Den Marsyas kämpft’, um frevlen Stolz zu büßen.
  • O Götterkraft, wenn du dich jetzt mir leihst,
  • Den Nachschein von des sel’gen Reiches Glanze
  • Zu malen aus dem Bild in meinem Geist,
  • Dann siehest du mich nah’n der teuren Pflanze
  • Und, durch den Stoff und dich des wert, geschmückt
  • Und reichgekrönt mein Haupt mit ihrem Kranze.
  • Wenn man ihr Laub, o Vater, selten pflückt,
  • Um Cäsars und des Dichters Sieg zu ehren,
  • Weil Schuld und Schmach den Willen niederdrückt,
  • Muß Freud’ es wohl dem freud’gen Gott gewähren,
  • Den Delphos preist, kehrt nun mit kühnem Mut
  • Nach Daphnes Laub ein Herz all sein Begehren.
  • Und weckt ein kleiner Funk’ oft große Glut,
  • So fleht nach mir zu höherer Verkündung
  • Ein andrer wohl um deine Hilf und Hut.--
  • Den Sterblichen entsteigt aus mancher Mündung
  • Das Licht der Welt; allein in einer sind
  • Vier Kreise mit drei Kreuzen in Verbindung,
  • Wo’s bessern Lauf mit besserm Stern beginnt,
  • So daß der Erde Wachs in diesem Zeichen
  • Von ihm ein schöneres Gepräg gewinnt.
  • In ihm hieß Sol den Tag bei uns erbleichen
  • Und dort entglüh’n; und auf dem Halbkreis hier
  • Die schwarze Nacht sich nah’n und dort entweichen.
  • Und links gewandt erschien Beatrix mir,
  • Und wie kein Aar je fest und ungeblendet
  • Zur Sonne sah, so blickte sie zu ihr.
  • Und wie der erste Strahl den zweiten sendet,
  • Der, ihm entflammt, hell auf- und rückwärts blitzt,
  • Dem Pilgrim gleich, der sich zur Heimat wendet,
  • So macht’ ihr Blick, der durch die Augen itzt
  • Mein Innres traf, zur Sonn’ auch meinen steigen,
  • Mit größrer Kraft, als onst der Mensch besitzt.
  • Viel darf man dort, was hier zu übersteigen
  • Die Kraft pflegt, die uns nimmer dort gebricht,
  • Am Ort, den Gott schuf als der Menschheit eigen.
  • Nicht lang’ ertrug ich’s, doch so wenig nicht,
  • Um nicht zu sehn, daß, wie dem Feu’r entnommen,
  • Das Eisen sprüht, sie sprüht’ in Glut und Licht.
  • Und plötzlich schien ein Tag zum Tag zu kommen,
  • Als sei durch den, der’s kann, am Himmelsrand
  • Noch eine zweite neue Sonn’ entglommen.
  • Fest schauend nach den ew’gen Kreisen, stand
  • Beatrix dort, und ihr ins glanzerhellte
  • Gesicht sah ich, von oben abgewandt,
  • Und fühlte, da mir Lust das Innre schwellte,
  • Was Glaukus fühlt’, als er das Kraut geschmeckt,
  • Das ihn im Meer den Göttern zugesellte.
  • Verzückung fühlt’ ich. Was sie sei, entdeckt
  • Die Sprache nicht, mag’s drum dies Beispiel Iehren,
  • Wenn je in euch die Gnade sie erweckt.
  • Ob ich nur Seele war?--Du magst’s erklären,
  • O Liebe, Himmelslenkerin, die mich
  • Mit ihrem Licht erhob zu jenen Sphären.
  • Als nun der Kreis, der durch dich ewiglich
  • In Sehnsucht rollt, mein Aug’ an sich gezogen
  • Mit Harmonien, verteilt, gemischt durch dich,
  • Durchflammte Sonnenglut des Himmels Bogen
  • So weit hin, wie von Strom und Regenflut
  • Kein See noch je erstreckt die breiten Wogen.
  • Des Klanges Neuheit und die lichte Glut,
  • Sie machten, daß ich vor Begierde brannte,
  • Wie nimmer sie erweckt ein andres Gut;
  • Drob sie, die mich, wie ich mich selbst, erkannte,
  • Mir zu befried’gen den erregten Geist,
  • Noch eh’ ich fragte, schon sich zu mir wandte
  • Und sprach: "Ein Wahn ist Schuld, daß du nicht weißt,
  • Was du sogleich erkennen wirst und sehen,
  • Sobald du dich von seinem Trug befreist.
  • Du glaubst noch auf der Erde fest zu stehen,
  • Doch flieht kein Blitz aus seinem Vaterland
  • So schnell, wie du jetzt eilst, hinaufzugehen."
  • Kaum daß der erste Zweifel mir verschwand,
  • Durchs kurze Wort und ihres Lächelns Frieden,
  • Als wieder schon ein neuer mich umwand.
  • Ich sprach: "Vom Staunen ruht’ ich schon zufrieden;
  • Doch steig’ ich jetzt durch leichte Stoff’ empor,
  • Drum ist dazu mir neuer Grund beschieden."
  • Ein Seufzer weht’ aus ihrem Mund hervor,
  • Dann sah sie hin auf mich, wie auf den Knaben
  • Die Mutter blickt, die sagen will: Du Tor!
  • "Die Dinge sämtlich", so begann sie, "haben
  • Unter sich Ordnung, und das All ist nur
  • Durch diese Form gottähnlich und erhaben.
  • Die höhern Wesen sehn in ihr die Spur
  • Der Kraft, der ew’gen, die zum Ziel gegeben
  • Vom Schöpfer ward der Ordnung der Natur.
  • Nach ihr nun sehn wir alle Wesen streben,
  • Ob hoch ihr Los, ob niedrig sei; ob mehr,
  • Ob minder nah sie ihrem Ursprung leben.
  • Sie treiben durch des Seins unendlich Meer,
  • Geleitet vom Instinkt, den Gott als Steuer
  • Jedwedem gab, auf mancher Bahn daher.
  • Er trägt zum Mond empor das rege Feuer,
  • Er ist’s, der rund den Bau der Erde drückt,
  • Er ist der Herzschläg’ Ordner und Erneurer.
  • Nicht nur auf Wesen, die vernunftlos, zückt
  • Er, wie ein Bogen, seine sichern Pfeile,
  • Auf die auch, die Vernunft und Liebe schmückt.
  • Die Vorsicht, die zum Ganzen eint die Teile,
  • Die durch ihr Licht des Himmels Ruh’ erhält,
  • In dem der Kreis sich dreht von größter Eile,
  • Läßt zum bestimmten Platz in jener Welt
  • Uns jetzo durch die Kraft der Sehne bringen,
  • Die, was sie treibt, nach heiterm Ziele schnellt.
  • Wahr ist’s, daß, wie oft Formen nicht gelingen,
  • Wie sie in sich des Künstlers Geist empfah’n,
  • Wenn spröde mit der Kunst die Stoffe ringen,-
  • So das Geschöpf oft weicht von seiner Bahn,
  • Denn ihm ist von Natur die Kraft verliehen,
  • Trotz jener Kraft, sich anderm Ziel zu nah’n,
  • Wenn erdenwärts es falsche Reize ziehen;
  • Wie aus der Wolke, wenn das Wetter grollt,
  • Zum Boden hin des Feuers Strahlen fliehen.
  • Nun staunst du, war ich klar, wie ich gewollt,
  • So wenig drob, daß du emporgestiegen,
  • Als daß der Bach vom Berg zur Tiefe rollt.
  • Bliebst du, von Hemmnis frei, am Boden liegen,
  • Erstaunenswerter wär’s, als sähest du
  • Träg an den Grund sich lebend Feuer schmiegen."
  • Hier wandt’ ihr Antlitz sich dem Himmel zu.
  • Zweiter Gesang
  • O ihr, die ihr, von Hörbegier verleitet,
  • Des Nachens Fahrt nach meinem Schiff gewandt,
  • Das mit Gesange durch die Fluten gleitet,
  • Kehrt wieder heim zu dem verlaßnen Strand,
  • Schifft nicht ins Meer, denn, die mir folgen, wären
  • Vielleicht verirrt, wenn meine Spur verschwand.
  • Ich steure hin zu nie befahrnen Meeren;
  • Minerva haucht, Apoll ist mein Geleit,
  • Neun Musen zeigen mir am Pol die Bären.
  • Ihr andern wen’gen, die zur rechten Zeit
  • Ihr euch geneigt zum Engelsbrot, das Leben
  • Hienieden uns nie Sättigung verleiht,
  • Ihr könnt euch kühn aufs hohe Meer begeben,
  • Wenn ihr daher auf meiner Furche fahrt,
  • Eh’ wieder gleich das Wasser wird und eben.
  • Anstaunen sollt ihr, was ihr bald gewahrt,
  • Mehr als die Helden, die nach Kolchis zogen,
  • Anstaunten, daß zum Pflüger Jason ward.
  • So schnell fast, als des Himmels Kreise, flogen
  • - Wir fort, zum Reich, dem Gott die Form verlieh,
  • Vom angebornen, ew’gen Durst gezogen.
  • Beatrix blickt’ empor und ich auf sie,
  • Doch kaum so lang, als sich ein Pfeil zu schwingen
  • Vom Bogen pflegt und fliegt und ruht--da sieh
  • Mich dort, wo mir der Blick von Wunderdingen
  • Gefesselt ward, schon angelangt mit ihr;
  • Und sie, gewohnt, mein Innres zu durchdringen,
  • Sie wandte sich so froh, wie schön, zu mir:
  • "Auf, bring’ itzt Gott des Dankes Huldigungen!
  • Wir sind durch ihn im ersten Sterne hier."
  • Mir schien’s, als hielt’ uns eine Wolk’ umschlungen,
  • Von Glanz durchstrahlt, dicht, ungetrennt und rein,
  • Wie Diamant, vom Sonnenstrahl durchdrungen.
  • Die ew’ge Perle nahm uns also ein,
  • Gleichwie das Wasser, ohne sich zu trennen,
  • In sich aufnimmt des Strahles goldnen Schein.
  • Wenn ich nun Leib war, und wir nicht erkennen,
  • Wie sich in einem Raum ein zweiter fand,
  • So, daß im Körper Körper tauchen können,
  • Was sind wir drum nicht mehr vom Trieb entbrannt,
  • Das Ursein zu erschau’n, in dem wir schauen,
  • Wie unserer Natur sich Gott verband.
  • Dort wird uns das, worauf wir gläubig bauen,
  • Nicht durch Beweis, nein, durch sich selber klar,
  • Der ersten Wahrheit gleich, auf die wir trauen.
  • "Ihm, Herrin," sprach ich, "der mich wunderbar
  • Der Erd’ entrückt, ihm bring’ ich jetzt, entglommen
  • Von frommer Glut, des Dankes Opfer dar.
  • Doch sprecht, woher die dunkeln Flecken kommen
  • Auf dieses Körpers Scheib’, aus welchen man
  • Zur Kainsfabel dort den Stoff entnommen."
  • Sie lächelt’ erst ein wenig und begann:
  • "Irrt sich des Menschen Geist in solchen Dingen,
  • Die nicht der Sinne Schlüssel öffnen kann,
  • So solltest du dein Staunen jetzt bezwingen,
  • Erkennend, daß, den Sinnen nach, nicht weit
  • Sich die Vernunft erhebt mit ihren Schwingen.
  • Allein was meinst du selbst? Gib mir Bescheid!"
  • Und ich: "Von dünnern oder dichtern Stellen
  • Kommt, wie mir scheint, des Lichts Verschiedenheit."
  • Drauf sie: "Du wirst bald selbst das Urteil fällen,
  • Daß falsch die Meinung sei, drum gib wohl acht,
  • Was ich für Gründ’ ihr werd’ entgegenstellen.
  • Der achte Kreis zeigt vieler Sterne Pracht,
  • An Groߒ und Eigenschaften sehr verschieden,
  • Wie ihr verschiednes Ansehn kenntlich macht.
  • War’ dies durch Dünn’ und Dichtigkeit entschieden,
  • So gäb’s in allen ja nur eine Kraft,
  • Dem mehr, dem minder, jenen gleich beschieden.
  • Doch der verschiedne Bildungsgrund erschafft
  • Verschiedne Kräft’, und alle diese schwanden,
  • Nach deinem Satz, vor einer Eigenschaft.
  • Dann, wenn die Flecken durch die Dünn’ entständen,
  • So denke, daß entweder hier und dort
  • Sich durch und durch stoffarme Stellen fänden;
  • Oder, gleichwie im Leib an manchem Ort
  • Die Fettigkeit das Magre deckt, so gingen
  • Die Schichten durch den Mond abwechselnd fort.
  • Das Erste würd’ ans Licht die Sonne bringen,
  • Wenn sie verfinstert ist--es ward’ ihr Schein
  • Dann wie durch andre dünne Stoffs dringen.
  • Doch dies ist nicht, drum bleibt das Zweit’ allein,
  • Und wenn wir widerlegt auch dieses sehen,
  • Dann wird dein Satz als falsch erwiesen sein.
  • Kann durch und durch der dünne Stoff nicht gehen,
  • So muß wohl eine Grenze sein, und hier
  • Der dichte Stoff den Strahlen widerstehen.
  • Zurücke blitzt sodann der Strahl von ihr--
  • So wirft das Glas, auf seiner hintern Seite
  • Mit Blei belegt, zurück dein Bildnis dir--
  • Nun sagst du wohl, daß, weil aus größrer Weite
  • Der Strahl sodann auf dich zurückeprallt,
  • Er deshalb auch geringres Licht verbreite.
  • Doch diesen Einwurf widerlegt dir bald
  • Erfahrung, der, als seiner ersten Quelle,
  • Jedweder Strom der Wissenschaft entwallt.
  • Drei Spiegel nimm und zwei von diesen stelle
  • Gleich weit von dir--dem dritten gib sodann
  • Entfernter zwischen beiden seine Stelle.
  • Kehrst du dich ihnen zu, so stelle man
  • Drauf hinter dich ein Licht, das sich in allen
  • Zum Widerstrahl des Schimmers spiegeln kann.
  • Ins Auge wird der fernre kleiner fallen,
  • Doch wird auf dich von ihnen allzumal
  • Ein gleich lebendig Licht zurückeprallen.
  • Jetzt aber, wie beim warmen Sonnenstrahl
  • Des Schnees Massen in sich selbst zergehen,
  • Und Farb’ und Frost zerrinnt im lauen Tal,
  • So soll’s dem Wahn in deinem Geist geschehen,
  • Und durch mein Wort sollst du lebend’ge Glut
  • Vor deinem Blick in regem Schimmer sehen.
  • Im Himmel, wo der Frieden Gottes ruht,
  • Dreht sich ein Kreis, in dessen Kraft und Walten
  • Das Sein all des, was er enthält, beruht.
  • Der nächste Himmel, reich an Lichtgestalten,
  • Verteilt dies Sein verschiednen Körpern drauf,
  • Von ihm gesondert, doch in ihm enthalten.
  • Aus ändern Kreisen von verschiednem Lauf
  • Nimmt die verschiedne Kraft, in ihnen lebend,
  • Dann jeder Stern nach seinen Zwecken auf.
  • So siehst du diese Weltorgane schwebend,
  • In sich im Kreis bewegt von Grad zu Grad,
  • Von oben nehmend und nach unten gebend.
  • Betrachte wohl den Weg, den ich betrat,
  • Auf dem ich dir erwünschte Wahrheit weise,
  • Dann findest du wohl künftig selbst den Pfad.
  • Kraft und Bewegung nehmen jene Kreise
  • Von Lenkern an, die ew’ges Heil beglückt,
  • Wie Stein sich formt nach seines Künstlers Weise.
  • Den Himmel, den die Schar der Sterne schmückt,
  • Wird von dem Geist, durch den sie rollend Schweben,
  • Gepräg’ und Bildnis mächtig eingedrückt.
  • Und wie die Seele, noch vom Staub umgeben,
  • Durch Glieder von verschiedner Art beweist,
  • Was in ihr für verschiedne Kräfte leben,
  • So zeiget seine Huld der Weltengeist,
  • Der ewig einer ist, hier, vielgestaltet,
  • Im Sternenheer, das durch die Himmel kreist.
  • Daher verschiedne Kraft verschieden waltet
  • Im edlen Körper, welchen sie durchdrang,
  • In dem sie, wie in euch das Leben, schaltet.
  • Und da sie heiterer Natur entsprang,
  • Glänzt diese Kraft in jedes Sternes Lichte,
  • Gleichwie im Augenstern der Wonne Drang.
  • Durch sie also, und nicht durchs Dünn’ und Dichte,
  • Erhält verschiednen Glanz der Sterne Schar;
  • Daß sie ein Denkmal ihrer Huld errichte,
  • Schafft diese Bildnerin, was trüb und klar."
  • Dritter Gesang
  • Die Sonne, die mich einst mit Glut erfüllt,
  • Beweisend hatte sie und widerlegend
  • Der Wahrheit holdes Antlitz mir enthüllt.
  • Und ich, belehrt, nicht länger Zweifel hegend,
  • Wollt’ eben, daß ich’s sei, gestehn und stand,
  • Das Haupt, soweit sich’s ziemt, emporbewegend.
  • Doch ein Gesicht erschien, und so gespannt
  • Hielt ich den Blick darauf, um’s zu gewahren,
  • Daß mein Geständnis der Erinnrung schwand.
  • Und wie von Gläsern, von durchsicht’gen, klaren,
  • Von Weihern, welche seicht, doch still und rein,
  • Den Boden unverdunkelt offenbaren,
  • Ein Antlitz widerstrahlt, so schwach und fein,
  • Daß man erkennen würd’ in größrer Schnelle
  • Auf weißer Stirn der Perle bleichen Schein;
  • So sah ich manch Gesicht an jener Stelle
  • Und war im Gegensatz des Wahns, durch den
  • Einst Lieb’ entflammt ward zwischen Mann und Quelle.
  • Denn plötzlich glaubt’ ich, wie ich sie ersehn,
  • Es wären Spiegelbilder, und bemühte
  • Mich, ringsumher ihr Urbild zu erspäh’n.
  • Doch sah ich nichts, und, zweifelnd im Gemüte,
  • Schaut’ ich ins Licht der süßen Führerin,
  • Die lächelnd in den heil’gen Augen glühte.
  • Und sie begann: "Nicht staun’ in deinem Sinn.
  • Belacht’ ich deine kindischen Gedanken.
  • Noch gehst du auf der Wahrheit strauchelnd hin,
  • Um, wie du pflegst, dem Wahne zuzuwanken.
  • Wirkliche Wesen zeigt dir dies Gesicht,
  • Die, untreu dem Gelübd’, in Schuld versanken.
  • Sprich, hör’ und glaube; denn das wahre Licht,
  • Das sie beseligt, wird es nie gestatten,
  • Daß ihm zu folgen sich ihr Fuß entbricht.
  • Ich wandte mich und sprach zu einem Schatten,
  • Der sprechenslustig schien, schnell, als ein Mann,
  • Den längst gequält der Neugier Stacheln hatten:
  • "O Seele, die das ew’ge Licht gewann,
  • Die selig hier die Süßigkeiten machten,
  • Die nur, wer sie geschmeckt, begreifen kann,
  • O sei jetzt freundlich mir. Mein ganzes Trachten
  • Ist ja dein Nam’ und euer Los. Drum sprich!"--
  • Und sie, bereit, mit Augen, welche lachten,
  • Sprach: "Unsre Lieb’ erschließt sich williglich
  • Gerechtem Wunsch, gleich der, der Liebe Bronnen,
  • Die ihr Gefolg gebildet will nach sich.
  • Dort auf der Welt gehört’ ich zu den Nonnen,
  • Doch wende nur mir die Erinnrung zu,
  • Und durch die höh’re Schönheit, höhern Wonnen,
  • Daß ich Piccarda bin, erkennest du,
  • Mit diesen allen, die sich selig nennen,
  • Zum trägsten Kreis versetzt in Wonn’ und Ruh’.
  • All unsre Triebe, die allein entbrennen
  • In Lust des Heil’gen Geist’s, sind hoch ergetzt,
  • Weil sie in seiner Weihe sich erkennen.
  • Dies Los, von dir vielleicht geringgeschätzt,
  • Ward uns zuteile, weil wir dort auf Erden
  • Verabsäumt die Gelübd’ und sie verletzt."
  • Drauf ich: "Euch glänzt in Antlitz und Gebärden,
  • Ich weiß nicht was, von Gottheit, wunderbar,
  • Und läßt die ersten Züg’ unkenntlich werden,
  • Drob ich so säumig im Erkennen war,
  • Jetzt hilft mir, was du sprichst, dem Auge trauen
  • Und stellt mir deutlicher dein Bildnis dar.
  • Doch sprich: Ihr, glücklich hier in diesen Auen,
  • Zieht euch nach höherm Ort nicht die Begier,
  • Um mehr euch zu befreunden, mehr zu schauen?"
  • Ein wenig lächelten die Schatten hier,
  • Denn, als ob sie in erster Liebe glühte,
  • Erwiderte sie froh und wonnig mir:
  • "Bruder, hier stillt die Kraft der Lieb’ und Güte
  • Jedweden Wunsch, und völlig g’nügt uns dies,
  • Und nicht nach anderm dürstet das Gemüte.
  • Denn wenn es höherm Wunsch sich überließ,
  • So würd’ es ja dem Willen widerstehen,
  • Der uns in diesen niedern Kreis verwies.
  • Dies kann in diesen Sphären nicht geschehen;
  • Lieb’ ist das Band des ewigen Vereins,
  • Mit der nicht Kampf noch Widerstand bestehen.
  • Vielmehr ist’s Wesen dieses sel’gen Seins,
  • Nur in dem Willen Gottes hinzuwallen,
  • Drum schmilzt hier aller Wunsch und Trieb in eins.
  • Und, wie wir sind von Grad zu Grad, muß allen
  • Wie ihm, des Will’ allein nach seiner Spur
  • Den unsern lenkt, dies ganze Reich gefallen.
  • Und unser Frieden ist sein Wille nur,
  • Dies Meer, wohin sich alles muß bewegen,
  • Was er schafft, was hervorbringt die Natur."--
  • Nun sah ich: Paradies ist allerwegen
  • Wo Himmel ist, strömt auch von oben her
  • Vom höchsten Gut nicht gleich der Gnade Regen.--
  • Wie bei verschiednen Speisen man nicht mehr
  • Von dieser will und sich nach jener wendet,
  • Für diese dankt und noch verlangt von der,
  • So ich mit Wink und Wort, als sie geendet,
  • Um zu erfahren, was sie dort gewebt,
  • Allein verlassen, ehe sie’s vollendet.
  • "Vollkommnes Leben und Verdienst erhebt
  • Ein Weib", so sprach sie, "zu den höhern Kreisen,
  • In deren Tracht und Schleier manche strebt,
  • In Schlaf und Wachen treu sich zu erweisen
  • Dem Bräutigam, dem jeder Schwur gefällt,
  • Den reine Liebestrieb’ ihm schwören heißen.
  • Ihr nachzufolgen floh ich jung die Welt,
  • Weiht’ ihrem Orden mich und war beflissen,
  • Dem g’nugzutun, was sein Gesetz enthält.
  • Doch Menschen, ruchlos mehr, als gut, entrissen
  • Gewaltsam dem Verlies, dem süßen, mich
  • Wie drauf mein Leben war--Gott wird es wissen--
  • Der andre Glanz, der mir zur Rechten dich
  • So freudig hell bestrahlt, denn er entzündet
  • In unsrer Sphäre ganzem Schimmer sich,
  • Versteht von sich, was ich von mir verkündet.
  • Denn man entriß, wie meinem, ihrem Haupt
  • Den Schleier, der der Nonnen Stirn umwindet.
  • Doch, ob man Rückkehr ihr zur Welt erlaubt,
  • Blieb doch ihr Herz bekrönt mit jenem Kranze,
  • Den ihrer Stirn verruchte Tat geraubt.
  • Sie ist das Licht der trefflichen Konstanze,
  • Die mit dem zweiten Sturm aus Schwabenland
  • Den dritten zeugt’, umstrahlt vom letzten Glanze."
  • Piccarda sprach’s, mir heiter zugewandt,
  • Und fing ein Ave an, indem sie singend,
  • Wie Schweres in der tiefen Flut, verschwand.
  • Mein Blick, ihr nach, soweit er konnte, dringend,
  • Erhob sich dann, sobald er sie verlor,
  • Nach einem Ziele größern Sehnens ringend,
  • Zu Beatricens Antlitz ganz empor,
  • Doch als ihr Aug’, ein Blitz, in meins geschlagen,
  • So daß zuerst es niedersank davor,
  • Da macht’ es zögern mich mit weitern Fragen.
  • Vierter Gesang
  • Zwischen zwei Speisen, gleich entfernt und lockend,
  • Ging hungrig wohl ein freier Mann zugrund’,
  • Nicht von der einen noch der andern brockend.
  • So stund’ ein Lämmchen zwischen Schlund und Schlund
  • Von zweien Wölfen fest, in gleichem Zagen,
  • So stund’ auch zwischen zweien Reh’n ein Hund.
  • So lieߒ verschiedner Zweifel mich nicht fragen.
  • Ich schwieg nur, weil ich mußt’, und kann davon
  • Drum weder Gutes jetzt noch Böses sagen.
  • Ich schwieg, doch ward mein Wunsch vom Antlitz schon
  • Klar ausgedrückt und deutlicher vernommen,
  • Als hätt’ ich ihn erklärt mit klarem Ton.
  • Beatrix tat wie Daniel, als entglommen
  • Nebukadnezar war in blinder Wut,
  • Die des Propheten Deutung ihm benommen.
  • "Daß dich zwei Wünsche drängen, seh’ ich gut,"
  • Begann sie, "die dich fesseln. So daß keiner
  • Von beiden sich nun kund nach außen tut.
  • Du fragst: Bleibt unser Will’ ein guter, reiner,
  • Wie macht Gewalttat andrer dann den Wert
  • Und wie den Umfang des Verdienstes kleiner?
  • Hiernächst auch zweifelst du, weil Plato lehrt,
  • Daß, wie’s ihm scheint, zu ihrem Sternenkreise
  • Die Seele von der Erde wiederkehrt.
  • Die beiden Zweifel drängen gleicherweise
  • Auf deinen Willen ein, daher ich Ietzt
  • Der schlimmern Meinung Falschheit erst beweise.
  • Der Seraph, den der reinste Schimmer letzt,
  • Moses und Samuel--die je heilig waren,
  • Ja, selbst Marien nenn’ ich dir zuletzt,
  • Sind nicht in anderm Himmel als die Scharen
  • Der sel’gen Geister, die du jetzt gesehn,
  • Sind reicher nicht und ärmer nicht an Jahren.
  • Die erste Sphäre machen alle schön,
  • Doch ist verschiedner Art ihr süßes Leben,
  • Wie mehr und minder Gottes Hauche weh’n.
  • Sie zeigten hier sich, nicht, weil ihnen eben
  • Der Kreis zuteil ward, nein, weil dies beweist,
  • Daß sie zum Höchsten minder sich erheben.
  • So sprechen muß man ja zu eurem Geist,
  • Den nur die Sinne zu dem allen leiten.
  • Was die Vernunft sodann ihr eigen heißt.
  • Drum läßt sich auch zu euren Fähigkeiten
  • Die Schrift herab, wenn sie von Gott euch spricht,
  • Von Hand und Fuß, um andres anzudeuten.
  • Die Kirche zeigt mit menschlichem Gesicht
  • Gabriel’ und Michael’ und Raphaelen,
  • Der neu geklärt Tobias’ Augenlicht.
  • Doch des Timäus Lehre von den Seelen
  • Ist andrer Art. Er glaubt auch, was er lehrt,
  • Und scheint darin kein Sinnbild zu verhehlen.
  • Daß sich zu ihrem Stern die Seele kehrt,
  • Er spricht’s und glaubt, daß sie von dort gekommen,
  • Als die Natur sie uns zur Form gewährt.
  • Allein wird dies nicht wörtlich angenommen,
  • So kann er doch vielleicht mit dem Beweis
  • Dem Ziel der Wahrheit ziemlich nahekommen,
  • Dafern er meinte, daß aus jedem Kreis
  • Das Gut’ und Böse stamm’, und deshalb lehrte,
  • Dem kehre Schimpf zurück und jenem Preis.
  • Und dieser schlechtverstandne Satz verkehrte
  • Fast alle Welt, so daß in Sternen man
  • Den Mars, Merkur und Jupiter verehrte.--
  • Der andre Zweifel, welcher dich umspann,
  • Hat mindres Gift, indem er nicht entrücken
  • Dich meinem Pfad durch seine Schlingen kann.
  • Denn scheint auch ungerecht den Menschenblicken
  • Unsre Gerechtigkeit, nun, so beweist
  • Dies Glauben nur, nicht ketzerische Tücken.
  • Allein wohl fähig ist des Menschen Geist,
  • In diese Wahrheit tiefer einzudringen,
  • Drum will ich jetzt, daß du befriedigt seist.
  • Ist das Gewalt, wenn jenen, welche zwingen,
  • Der, welcher leidet, nie sich willig zeigt,
  • So kann sie jenen nicht Entschuld’gung bringen.
  • Denn Wille, der nicht will, bleibt ungebeugt,
  • Wie Feuer, mag der Sturmwind tosend Schwellen,
  • Oft hingeweht, neu in die Höhe steigt.
  • Der Wille wird zu der Gewalt Gesellen,
  • Wenn er sich beugt; drum fehlte jenes Paar
  • Rückkehren könnend zu den heil’gen Zellen.
  • Blieb jener Nonnen Will’ unwandelbar,
  • Wie auf dem Rost Laurentius geblieben,
  • Wie Scävola, der streng der Rechten war,
  • So hätt’ er sie, befreit, zurückgetrieben
  • Denselben Pfad, auf dem man sie entführt;
  • Doch selten sind, die solchen Willen lieben.
  • Noch hättest du den Zweifel oft gespürt,
  • Der jetzt gewiß vor meinem Wort geschwunden,
  • Wenn du wohl aufgemerkt, wie sich’s gebührt.
  • Doch hält ein andrer schon dein Aug’ umwunden,
  • Und gänzlich schwände deine Kraft dahin,
  • Eh’ du dich Selbst aus ihm herausgefunden.
  • Ich legt’ es als gewiß in deinen Sinn,
  • Die Seele, die der ersten Wahrheit Pforten
  • Stets nahe bleibt, sei niemals Lügnerin.
  • Doch nun erfuhrst du durch Piccarda dorten,
  • Daß ihren Schlei’r Konstanze nie vergaß,
  • Und dies scheint Widerspruch mit meinen Worten.
  • Oft, Bruder, die Gefahr zu flieh’n, geschah’s,
  • Daß sich ein Mensch, auch wider Willen, dessen,
  • Was nimmer sich zu tun geziemt, vermaß.
  • So hat Alkmäon, welcher sich vermessen
  • Des Muttermords, weil ihn sein Vater bat,
  • Die Sohnespflicht aus Sohnespflicht vergessen.
  • Daraus erkennst du diese Wahrheit: hat
  • Der Wille sich vermischt dem äußern Drange,
  • So liegt in ihm die Schuld der bösen Tat.
  • Der unbedingte Wille trotzt dem Zwange,
  • Doch stimmt insofern bei, als der Gefahr
  • Er zagend weicht, vor größerm Schaden bange.
  • Piccarda sprach, dies siehst du jetzo klar,
  • Vom unbedingten Willen nur zum Guten,
  • Vom zweiten Ich, und beider Wort ist wahr."
  • So war das Wogen jener heil’gen Fluten
  • Dem Quell entströmt, dem Wahrheit nur entquillt,
  • Daß süß befriedigt meine Wünsche ruhten.
  • "Liebste des ersten Liebenden, o Bild
  • Der Gottheit," rief ich, "deren Rede regnet,
  • Erwärmt und mehr und mehr belebt und stillt.
  • Oh, war’ mit Inbrunst doch mein Herz gesegnet
  • Zum Dank, der g’nügte deiner Huld--doch dir
  • Sei nur von ihm, der sieht und kann, entgegnet.
  • Nie sättigt sich der Geist, dies seh’ ich hier,
  • Als in der Wahrheit Glanz, dem Quell des Lebens,
  • Die uns als Wahn zeigt alles außer ihr.
  • Doch fand er sie, dann ruht die Qual des Strebens,
  • Und finden kann er sie, sonst wäre ja
  • Jedweder Wunsch der Menschenbrust vergebens.
  • Dann läßt der Geist, wenn er die Wahrheit sah,
  • An ihrem Fuß den Zweifel Wurzel schlagen
  • Und treibt von Höh’n zu Höh’n dem Höchsten nah.
  • Dies ladet nun mich ein, dies heißt mich wagen,
  • Nach einer andern dunkeln Wahrheit jetzt
  • Voll Ehrfurcht, hohe Herrin, Euch zu fragen.
  • Kann wohl der Mensch, der ein Gelübd’ verletzt,
  • Durch andres gutes Werk dies so vergüten,
  • Daß Ihr’s, nach Eurer Wag’, als g’nügend schätzt?
  • Sie sah mich an, und Liebesfunken sprühten
  • Aus ihrem Aug’ so göttlich klar hervor,
  • Daß ich, besiegt, sobald sie mir erglühten,
  • Gesenkten Blicks mich selber fast verlor.
  • Fünfter Gesang
  • "Wenn ich in Liebesglut dir flammend funkle,
  • Mehr, als es je ein irdisch Auge sieht,
  • So, daß ich deines Auges Licht verdunkle,
  • Nicht staune drum--es macht, daß dies geschieht,
  • Vollkommnes Schauen, welches, wie’s ergründet,
  • In dem Ergründeten uns weiterzieht.
  • Schon glänzt, ich seh’s in deinem Blick verkündet.
  • In deinem Geist ein Schein vom ew’gen Licht,
  • Das, kaum gesehen, Liebe stets entzündet.
  • Und liebt ihr, weil euch andrer Reiz besticht,
  • So ist’s, weil, unerkannt, vom Licht, dem wahren,
  • Ein Strahl herein auf das Geliebte bricht.
  • Ob andrer Dienst, dies willst du jetzt erfahren,
  • Gebrochenes Gelübd’ ersetzen kann,
  • Um vor dem Vorwurf euer Herz zu wahren."
  • So fing ihr heil’ges Wort Beatrix an
  • Und setzte dann, die Rede zu vollenden,
  • Ununterbrochen fort, was sie begann.
  • "Die größte Gab’ aus Gottes Vaterhänden
  • Und seiner reichen Güte klarste Spur,
  • Von ihm geschätzt als höchste seiner Spenden,
  • Ist Willensfreiheit, so die Kreatur,
  • Der er Vernunft verlieh, von ihm bekommen,
  • Von diesen jede, doch auch diese nur.
  • Hieraus ersieh den hohen Wert des frommen
  • Gelübdes, wenn es so beschaffen ist,
  • Daß Gott, was du geboten, angenommen.
  • Denn, wer mit Gott Vertrag schließt, der vermißt
  • Sich, diesen Schatz zum Opfer darzubringen,
  • Mit dessen Werte sich kein andrer mißt.
  • Wie kann drum je hier ein Ersatz gelingen?
  • Brauchst du auch wohl, was du geopfert hast,
  • So ist’s nur Wohltat mit gestohlnen Dingen.
  • Du hast das Wichtigste nun aufgefaßt,
  • Doch weil die Kirche vom Gelübd’ entbindet,
  • So zweifelst du an meiner Wahrheit fast.
  • Drum bleib am Tisch ein wenig noch. Hier findet,
  • Ob du auch Unverdauliches gespeist,
  • Das Mittel sich, vor dem der Schmerz verschwindet.
  • Dem, was ich sag’, erschließe deinen Geist,
  • Denn Hören gibt nicht Weisheit, nein, Behalten;
  • Behalt es drum, damit du weise seist.
  • In diesem Opfer sind zwei Ding’ enthalten;
  • Das erste: des Gelübdes Gegenst and--
  • Das zweite: der Vertrag, es treu zu halten.
  • Der letztere hat ewigen Bestand,
  • Bis er erfüllt ist, und wie er zu achten,
  • Dies macht’ ich oben dir genau bekannt.
  • Drum mußten die Hebräer Opfer schlachten,
  • Obwohl für das Gelobte dann und wann
  • Sie, wie du wissen mußt, ein andres brachten.
  • Der Gegenstand kann also sein, daß man,
  • Auch ohne Reu’ und Vorwurf zu empfinden,
  • Mit einem andern ihn vertauschen kann.
  • Nur mag sich dessen niemand unterwinden
  • Nach eigner Wahl, wenn ihn der ersten Last
  • Der gelb’ und weiße Schlüssel nicht entbinden.
  • Und jeder Tausch der Bürd’ ist Gott verhaßt,
  • Wenn, die wir nehmen, die wir von uns legen,
  • Nicht wie die Sechs die Vier, voll in sich faßt.
  • Drum, ziehet das, was man gelobt, beim Wägen
  • Jedwede Wag’ herab durch sein Gewicht,
  • So gibt’s auch nirgendwo Ersatz dagegen.
  • Scherzt, Sterbliche, mit dem Gelübde nicht.
  • Seid treu, doch seht euch vor; denn schwer beklagen
  • Wird’s jeder, der, wie Jephtha, blind verspricht.
  • Ihm ziemt’ es besser: Ich tat schlimm! zu sagen,
  • Als, haltend, schlimmer tun--und gleiche Scham
  • Sah man davon den Griechenfeldherrn tragen;
  • Drob Iphigenia weint’ in bitterm Gram
  • Und um sich weinen Weis’ und Toren machte,
  • Ja, jeden, der von solchem Dienst vernahm.
  • Sei nicht leichtgläubig, Christenvolk, und trachte,
  • Nicht wie der Flaum im Windeshauch zu sein;
  • Daß dich nicht jedes Wasser wäscht, beachtet
  • Das Alt’ und Neue Testament ist dein,
  • Der Kirche Hirt ist Führer ihren Söhnen,
  • Und dieses g’nügt zu eurem Heil allein.
  • Und reizt euch jemand, schlechtem Trieb zu frönen,
  • Nicht Schafe seid ihr, eurer unbewußt,
  • Drum laßt vom Nachbar Juden euch nicht höhnen.
  • Tut nicht dem Lamm gleich, das der Mutter Brust
  • Aus Einfalt läßt und, dumm und geil, vergebens
  • Nur mit sich selber kämpft nach seiner Lust."
  • Beatrix sprach’s und wandte, regen Strebens,
  • Ganz Sehnen, ihren Blick zum hellem Licht,
  • Empor zur schönen Welt des höhern Lebens.
  • Ihr Schweigen, ihr verwandelt Angesicht
  • Geboten dem begier’gen Geiste Schweigen
  • Und ließen mich zu neuen Fragen nicht.
  • Und schnell, wie sich beschwingte Pfeile zeigen,
  • Ins Ziel einbohrend, eh’ die Sehne ruht,
  • So eilten wir, zum zweiten Reich zu steigen.
  • Die Herrin sah ich so in frohem Mut,
  • Da uns der Flug zum neuen Glänze brachte,
  • Daß heller ward des Sternes Licht und Glut.
  • Wenn der Planet nun, sich verwandelnd, lachte,
  • Wie ward wohl mir, mir, den verwandelbar
  • Schon die Natur auf alle Weisen machte?
  • Gleichwie im Teich, der ruhig ist und klar,
  • Wenn das, wovon die Fischlein sich ernähren,
  • Von außen kommt, her eilt die muntre Schar,
  • So sah ich hier zu uns sich Strahlen kehren
  • Wohl Tausende, von welchen jeder sprach:
  • "Seht, der da kommt, wird unser Lieben mehren!"
  • Und wie sie uns sich nahten nach und nach,
  • Da sah ich süßer Wonne voll die Seelen,
  • Im Glanz, der hell hervor aus jeder brach.
  • Bedenke, Leser, wollt’ ich dir verhehlen,
  • Was ich noch sah, und schweigend von dir gehn,
  • Wie würde dich der Durst nach Wissen quälen?
  • Du wirst daraus wohl durch dich selbst verstehn,
  • Wie ich ihr Los mich sehnte zu erfahren,
  • Sobald mein Aug’ in ihren Glanz geseh’n.
  • "Begnadigter, dem hier sich offenbaren
  • Des ewigen Triumphes Thron’, eh’ dort
  • Du noch verlassen hast der Krieger Scharen,
  • Wir sind entglüht vom Licht, das fort und fort
  • Den Himmel füllt--drum, wünschest du Erklärung,
  • So sättige nach Wunsch dich unser Wort."
  • Ein frommer Geist verhieß mir so Gewährung,
  • Beatrix drauf: "Sprich, sprich und glaub’ ihm fest,
  • So fest, als war’ es göttliche Belehrung."
  • "Ich sehe, würd’ger Geist, du hast dein Nest
  • Im eignen Licht, das, wie du lächelst, immer
  • Mit hellerm Glanz dein Auge strahlen läßt,
  • Doch wer bist du? Was ward der schwache Flimmer
  • Der niedern Sphäre dir zum Sitz gewährt,
  • Die uns umschleiert wird durch fremden Schimmer?"
  • So sprach ich, jenem Lichte zugekehrt,
  • Das erst gesprochen hatt’, und sah’s in Wogen
  • Von Strahlen drum weit mehr als erst verklärt.
  • Denn gleichwie Sol, von dichtem, Dunst umzogen,
  • In zu gewalt’gen Glanz sich selber hüllt,
  • Wenn Glut der Nebel Schleier weggesogen,
  • So barg sich jetzt, von größrer Lust erfüllt,
  • Die heilige Gestalt im Strahlenringe,
  • Und sie entgegnete mir, so verhüllt,
  • Das, was ich bald im nächsten Sange singe.
  • Sechster Gesang
  • "Nachdem der Kaiser Konstantin, entgegen
  • Der Himmelsbahn, gewendet jenen Aar,
  • Der einst ihr folgt’ auf des Äneas Wegen,
  • Da sah man mehr als schon zweihundert Jahr’
  • Zeus’ Vogel an Europens Rand verbringen,
  • Nah dem Gebirg, dem er entflogen war.
  • Beherrschend unterm Schatten heil’ger Schwingen
  • Von dort die Welt, ging er von Hand zu Hand,
  • Bis ihm beim Wechsel meine Hand’ empfingen.
  • Cäsar war ich, Justinian genannt,
  • Der, nach der ersten heil’gen Liebe Walten,
  • Unmaß und Leeres ins Gesetz gebannt.
  • Und eh’ ich’s unternahm, dies zu gestalten,
  • Lebt’ ich zufrieden in dem Wahne fort,
  • Ein Wesen sei in Christo nur enthalten.
  • Doch Agapet, der höchste Hirt und Hort,
  • Er lenkte mich zurück zum Echten, Wahren,
  • Zum rechten Glauben durch sein heilig Wort.
  • Ich glaubt’ ihm und bin jetzt ob des im klaren,
  • Was er mir sagt’--und du auch wirst nun sehn,
  • Daß Wahr und Falsch im Gegensatz sich paaren.
  • Kaum fing ich an, der Kirche nachzugehn,
  • So flößt’ es Gott mir ein, mich aufzuraffen,
  • Und nur dem hohen Werke vorzustehn.
  • Dem Belisar vertraut’ ich meine Waffen,
  • Und ihm verband des Himmels Rechte sich
  • Zum Zeichen mir, ich soll’ in Ruhe schaffen.
  • Befriedigt hab’ ich nun im ersten dich,
  • Was du gefragt; allein die Art der Frage
  • Verbindet noch zu einem Zusatz mich,
  • Damit du sehst, welch Unrecht jeder trage,
  • Der dieses hehren, heil’gen Zeichens Macht
  • An sich zu zieh’n und ihr zu trotzen wage.
  • Du siehst die Kraft, die’s wert der Ehrfurcht macht,
  • Seit seiner Herrschaft Pallas, überwunden,
  • Sein Leben selbst zum Opfer dargebracht;
  • Weißt, daß es drauf den Aufenthalt gefunden,
  • Dreihundert Jahr’ und mehr in Albas Au’n,
  • Bis drei und drei dafür den Kampf bestunden;
  • Weißt, was vom Raube der Sabinerfrau’n
  • Es tat bis zu Lukreziens Schmerz, durch sieben,
  • Die ringsumher besiegt die Nachbargau’n.
  • Weißt, wie es Brennus, Pyrrhus auch vertrieben,
  • Getragen vor der wackern Römer Schar
  • Und siegreich noch in manchem Kampf geblieben;
  • Drob Quinctius, benannt vom wirren Haar,
  • Drob auch Torquatus, Decier, Fabier glänzen
  • In freud’gem Ruhme durch den heil’gen Aar.
  • Er schlug der Libyer Stolz, die, Welschlands Grenzen
  • Einst Hannibal verführt, zu überzieh’n,
  • Wo Alpen deinen Quell, o Po, umkränzen.
  • Ein Jüngling noch, hob Scipio sich durch ihn.
  • Pompejus auch, zu des Triumphes Ehren,
  • Der bitter deinem Vaterlande schien.
  • Dann, nah der Zeit, in der die Welt verklären
  • Der Himmel wollt’ in seinem eignen Schein,
  • Nahm Julius Cäsar ihn auf Roms Begehren.
  • Was er dann tat vom Varus bis zum Rhein,
  • Jser’ und Seine sahn’s, es sahns, bezwungen,
  • Die Tale, die der Rhon’ ihr Wasser Ieih’’n.
  • Wie er den Rubikon dann übersprungen,
  • Was er dann tat, das war von solchem Flug,
  • Daß Zung’ und Feder nie sich nachgeschwungen.
  • Nach Spanien lenkt’ er dann den Siegerzug,
  • Dann nach Durazz’ und traf Pharsaliens Auen
  • So, daß man Leid am heißen Nile trug.
  • Sah wieder dann den Simois, die Gauen,
  • Von wo er kam, wo Hektor ruht und schwang
  • Sich auf dann, zu des Ptolemäus Grauen.
  • Worauf er blitzend hin zum Juba drang;
  • Dann sah man ihn die Flügel westwärts schlagen,
  • Wo ihm Pompejus’ Kriegsdrommet’ erklang.
  • Was er mit dem tat, der ihn dann getragen,
  • Bellt Brutus, Cafsius noch in ew’ger Not,
  • Sagt Modena, Perugia noch mit Klagen.
  • Kleopatra beweint’s noch, die, bedroht
  • Von seinem Zorn, entfloh und an die Brüste
  • Die Schlange nahm zu schnellem, schwarzem Tod.
  • Mit diesem eilt’ er bis zur roten Küste,
  • Mit diesem schloß er fest des Janus Tor,
  • Weil Fried’ und Ruh’ den ganzen Erdball küßte.
  • Doch was der Adler je getan zuvor,
  • Und was noch drauf getan dies hohe Zeichen,
  • Das Gott zur Herrschaft ird’schen Reichs erkor,
  • Muß dem gering erscheinen und erbleichen,
  • Der’s in der Hand des dritten Cäsar schaut
  • Mit klarem Blick, dem Wahn und Irrtum weichen.
  • Denn die Gerechtigkeit, die jeden Laut
  • Mir einhaucht, hat ihn, ihren Zorn zu rächen.
  • Der Hand des, den ich dir benannt, vertraut.
  • Jetzt staun’ ob dessen, was ich werde sprechen:
  • Er nahm, begleitend dann des Titus Bahn,
  • Rach’ an der Rache für ein alt Verbrechen.
  • Und als darauf der Langobarden Zahn
  • Die Kirche biß, sah unter seinen Schwingen
  • Man Karl den Großen ihr mit Hilfe nah’n.
  • Nun siehst du selbst, wie jene sich vergingen,
  • Von denen ich, sie hart anklagend, sprach,
  • Die über euch all euer Übel bringen.
  • Der trachtet selbst dem Reicheszeichen nach,
  • Der will es durch die Lilien überwinden,
  • Und schwer zu sagen ist, wer mehr verbrach.
  • Der Ghibellin mög’ andres Zeichen finden,
  • Denn schlechte Folger sind dem heil’gen Aar,
  • Die standhaft nicht das Recht und ihn verbinden.
  • Der neue Karl mit seiner Guelfenschar,
  • Nicht trotz’ er ihm, der wohl schon stärkerm Leuen
  • Das Vlies abzog mit seinem Klauenpaar.
  • Oft muß der Sohn des Vaters Fehl bereuen.
  • Nicht glaub’ er seine Lilien Gott so lieb,
  • Um ihrethalb sein Zeichen zu erneuen--
  • Der kleine Stern, der fern und dämmernd blieb,
  • Ist Wohnsitz derer, die zum tät’gen Leben
  • Der Durst allein nach Ruf und Ehre trieb.
  • Und wenn so falsch gelenkt die Wünsche streben,
  • So muß sich wohl der wahren Liebe Licht
  • Mit minderm Glanz zum rechten Ziel erheben.
  • Doch wägen wir dann des Verdiensts Gewicht
  • Mit dem des Lohns, so wird uns Wonn’ und Frieden,
  • Weil eins dem andern so genau entspricht.
  • Dann stellt uns die Gerechtigkeit zufrieden
  • Und sichert uns vor jedem sünd’gen Hang,
  • Denn glücklich macht uns das, was uns beschieden.
  • Verschiedne Tön’ erzeugen süßen Klang;
  • So bilden hier die Harmonie der Sphären
  • Die lichten Kreise von verschiednem Rang.
  • Du siehst in dieser Perle sich verklären
  • Romeos Licht, mußt’ auch sein schönes Tun
  • Auf Erden des verdienten Lohns entbehren.
  • Allein die Pprovenzalen lachen nun
  • Nicht ihres Grolls, denn solche nah’n dem Falle,
  • Die sich in andrer Guttat Schaden tun.
  • Vier Töchter hatt’, und Königinnen alle,
  • Graf Raimund, und Romeo tat ihm dies,
  • Der niedre Fremd’ in stolzer Fürstenhalle.
  • Und jener folgt’, als ihm die Scheelsucht hieß,
  • Dem Biedermanne Rechnung anzusinnen,
  • Der acht und vier für zehn ihm überwies.
  • Arm und veraltet ging er dann von hinnen;
  • Und wußte man, mit welchem Herzen er
  • fortzog, sein Brot als Bettler zu gewinnen,
  • Man preist ihn hoch und pries’ ihn dann noch mehr.
  • Siebenter Gesang
  • Hosianna dir, du Gott der Macht und Wahrheit,
  • Dir, der du hier der sel’gen Flammen Glanz
  • Reich überströmst mit Fülle deiner Klarheit!"
  • So schien, zurückgewandt zu ihrem Tanz,
  • Die Seel’ im Lied den höchsten Herrn zu feiern,
  • Umringt ihr Licht von neuem Strahlenkranz.
  • Den Reigen sah ich alle nun erneuern,
  • Und Funken gleich, die durch die Lüfte flieh’n,
  • Von plötzlicher Entfernung sie verschleiern.
  • Ich zweifelte. "Sprich, sprich, zur Herrin," schien
  • Mein Herz zu sprechen bei des Mundes Schweigen,
  • "Die stets dir Lab’ in süßem Tau verlieh’n."
  • Allein die Ehrfurcht, der ich immer eigen
  • Als Sklav’ war, wo nur be nd ice klang,
  • Ließ, gleich dem Schläfrigen, das Haupt mich neigen.
  • Sie aber duldete mich so nicht lang;
  • In Lächeln strahlte mir das hohe Wesen,
  • Das Feuerpein umschüf in Wonnedrang.
  • Sie sprach: "Ich hab’ in deiner Brust gelesen,
  • Wie ist--dies ist’s, was dir im Haupte kreist--
  • Gerechter Rache Zücht’gung Recht gewesen.
  • Doch bald entwirren will ich deinen Geist,
  • Damit du, wenn dein Sinn sich mir erschlossen,
  • Um eine große Wahrheit reicher seist.
  • Der Mensch, der nicht geboren ward, verdrossen,
  • Zu dulden, sich zum Heil, des Willens Zaum,
  • Verdammte sich und mit sich seine Sprossen;
  • Drob das Geschlecht in Wahn und falschem Traum
  • Viel hundert Jahre krank lag, matt und trübe,
  • Bis sich das Wort geneigt zum niedern Raum,
  • Wo’s der Natur, die sich im irren Triebe
  • Vom Schöpfer abgekehrt, sich ganz verband,
  • Bloß durch das Walten seiner ew’gen Liebe.
  • Scharf sei dein Blick jetzt auf mein Wort gespannt.
  • Diese Natur, dem Schöpfer hingegeben
  • Und ihm vereint, war rein, wie sie entstand.
  • Doch durch sie selbst war sie für falsches Streben
  • Vom Paradies verbannt, weil sie die Bahn
  • Verlassen, wo nur Wahrheit ist und Leben.
  • Drum ward die Strafe, durch das Kreuz empfah’n,
  • Mit größerm Recht, als jemals irgendeine,
  • Der angenommenen Natur getan.
  • So war die Straf auch ungerecht wie keine,
  • In Hinsicht des, der sie erlitten hat,
  • Mit der Natur, der ird’schen, im Vereine.
  • Verschieden war die Wirkung einer Tat.
  • Gott und den Juden mußt’ ein Tod gefallen,
  • Drob Erd’ erbebt’ und Himmel auf sich tat.
  • Schwer wird dir’s nicht mehr zu begreifen fallen,
  • Wenn man von dem gerechten Richter spricht,
  • Des Rach’ auf rechte Rache schwer gefallen.
  • Doch deinen Geist, gleich einem Netz, umflicht
  • Gedank’ itzt und Gedank’ in engem Kreise,
  • Aus dem er sehnlich Lösung sich verspricht.
  • Der Rache Recht war klar in dem Beweise,
  • Denkst du; doch weshalb wählt’ in seiner Macht
  • Gott zur Erlösung ebendiese Weise?
  • Der Schluß, mein Bruder, birgt sich dem in Nacht,
  • Dem nicht, wenn hell der Liebe Flammen brennen,
  • Die Glut den Geist zur Mündigkeit gebracht.
  • Vernimm deshalb, weil wenig zu erkennen,
  • Wo viel der Blick umsonst sich spähend müht,
  • Warum die Art die würdigste zu nennen.
  • Die ew’ge Gut’, in sich nie zornentglüht,
  • Zeigt, wenn im All sich ihre Schönheit spiegelt,
  • Wie sie die Funken eigner Glut versprüht.
  • Was ihr unmittelbar entströmt--verriegelt
  • Ist dem des Todes Tür, und fest und treu
  • Ist das Gepräge, wenn sie selber siegelt.
  • Was ihr unmittelbar entströmt, ist frei,
  • Ist völlig frei, und deshalb wohnt dem Neuen
  • Die Kraft nicht, es zu unterjochen, bei.
  • Je mehr’s ihr gleicht, je mehr muß sie’s erfreuen,
  • Drum will die heil’ge Glut, das Licht der Welt,
  • Aufs ähnlichste den hellsten Schimmer streuen.
  • In allem dem ist hoch der Mensch gestellt,
  • Der aber, wenn nur eins ihm fehlt, entweihet,
  • Mit Schmach herab von seinem Adel fällt.
  • Die Sünd’ allein ist das, was ihn entfreiet.
  • Unähnlich macht sie ihn dem höchsten Gut,
  • Das wenig drum von seinem Glanz ihm leihet.
  • Nie kehrt zurück ihm seine Würde, tut
  • Er dem nicht G’nüge durch gerechte Leiden,
  • Was er gefehlt in sünd’ger Lüste Glut.
  • Eure Natur, die in den ersten beiden
  • Ganz sündigte, ward, wie der Würd’ entsetzt,
  • So auch verdammt, das Paradies zu meiden.
  • Und Möglichkeit, dahin zurückversetzt
  • Dereinst zu sein, gab’s nur auf zweien Pfaden,
  • Wenn scharf dein Geist der Dinge Wesen schätzt:
  • Entweder Gott verzieh allein aus Gnaden,
  • Oder es mußte sich, der ihn gekränkt,
  • Der Mensch, g’nugtuend, selbst der Schuld entladen.
  • Dein Blick sei in den Abgrund jetzt versenkt
  • Des ew’gen Rates, und mit ernstem Schweigen
  • Sei ganz dein Geist nach meinem Wort gelenkt.
  • G’nugtuung konnte nie der Mensch erzeigen,
  • Und, eng beschränkt, so tief nicht niedergehn,
  • Gehorchend, nicht sich so in Demut neigen,
  • Als, ungehorsam, er sich wollt’ erhöh’n;
  • Drum könnt’ er nie sich von der Schuld befreien,
  • Genugtuung nicht durch ihn selbst gescheh’n.
  • Drum wählt’, ihn neu zum Leben einzuweihen,
  • Gott, so gerecht wie gnädig, seinen Pfad
  • Und führt’ auf diesem ihn, vielmehr auf zweien.
  • Doch weil so werter ist des Täters Tat,
  • Je heller strahlt die Gut’ in dem Gemüte,
  • In dem die Handlung ihre sQuelle hat,
  • Hat, die die Welt gestaltet, Gottes Güte,
  • Auf jedem Wege, der ihr offen lag,
  • Euch neu erhöht zu eurer ersten Blüte.
  • Und zwischen letzter Nacht und erstem Tag
  • Ist nie so Hohes, Herrliches gediehen
  • Für sie und euch, was er auch schaffen mag.
  • Freigeb’ger war’s, daß Gott sich selbst verliehen,
  • Drob zu erstehn der Mensch genügend ward,
  • Als hätt’ er ihm nur aus sich selbst verziehen,
  • Karg war’ erfüllt in jeder andern Art
  • Das Recht, wenn Gottes Sohn um euretwillen
  • Nicht demutsvoll dem Fleische sich gepaart.
  • Jetzt, um noch besser deinen Wunsch zu stillen,
  • Und daß du seh’st, gleich mir, das volle Licht,
  • Will ich noch eins dir deutlicher enthüllen.
  • Ich sehe Feuer, sehe Luft--so spricht
  • Dein Zweifel--Wasser, Erd’, in mannigfachen
  • Vermischungen, und alle dauern nicht.
  • Geschöpfe sind ja alle diese Sachen;
  • Und sollte dies, wenn ich dich recht verstand,
  • Sie nicht vor der Verderbnis sicher machen?
  • Die Engel, Bruder, und dies reine Land,
  • Sie dürfen wohl sich für erschaffen halten,
  • Weil, wie sie sind, ihr volles Sein entstand.
  • Doch alles, was die Element’ entfalten,
  • Die Elemente selbst, sie läßt allein
  • Der Höchste durch geschaffne Kraft gestalten.
  • Geschaffen ward ihr Stoff, ihr erstes Sein,
  • Geschaffen ward die Bildungskraft dem Tanze
  • Der Sterne, die um eure Welt sich reih’n.
  • Die Seele jedes Tiers und jeder Pflanze
  • Zielet nach verschiedner Bildungsfähigkeit
  • Regung und Licht aus ihrem heil’gen Glanze.
  • Allein der höchsten Güte Hauch verleiht
  • Unmittelbar uns selber unser Leben
  • Und Liebe, die dann ihr sich sehnend weiht.
  • Wie aus der Gruft die Leiber sich erheben,
  • Erkennst du, wenn du denkest, wessen Ruf
  • Dem Menschenleib sein erstes Sein gegeben,
  • Als er die beiden ersten Eltern schuf.
  • Achter Gesang
  • Die Welt glaubt’ einst, unsel’gen Irrtum hegend,
  • Daß Cypris toller Liebe Glut entflammt,
  • Im dritten Epizyklus sich bewegend.
  • Drob nicht zu ihr allein mit Opferamt
  • Und Weiherufen sich anbetend kehrte
  • Das alte Volk, im alten Wahn verdammt;
  • Nein, auch Dionen und Cupiden ehrte,
  • Als ihre Mutter sie, ihn als das Kind,
  • Dem Dido ihren Schoß zum Sitz gewährte.
  • So ward nach ihr, von der mein Sang beginnt,
  • Der Stern benannt, der, bald der Sonn’ im Rücken,
  • Bald ihr im Angesicht liebäugelnd minnt.
  • Nicht fühlt’ ich mich in diesen Stern entrücken,
  • Doch daß ich wirklich drinnen sei, entschied
  • Der Herrin höh’res, schöneres Entzücken.
  • Und wie man Funken in der Flamme sieht,
  • Und wie wir Stimmen in der Stimm’ erkennen,
  • Die aushält, wenn die andre kommt und flieht;
  • So sah ich Lichter hier im Lichte brennen,
  • Und, nach dem Maß des innern Schau’ns erregt,
  • So schien’s, im Kreis mehr oder minder rennen.
  • Kein Wind, unsichtbar oder sichtbar, pflegt
  • So schnell aus kalter Wolk’ herabzugleiten,
  • Daß er nicht langsam schien’ und schwer bewegt
  • Dem, der die Lichter uns entgegenschreiten
  • Im Flug gesehn, aus jenem Kreis hervor,
  • Den hohe Seraphim bewegend leiten.
  • Und hinter diesen ersten klang’s im Chor:
  • Hosianna! Und seit ich den Ton vernommen,
  • Sehnt stets nach ihm sich brünstig Herz und Ohr.
  • Und einen sah ich dann uns näher kommen,
  • Und er begann allein mit frohem Klang:
  • "Willfährig sind wir alle, dir zu frommen.
  • Wir wandeln hin, ein Kreis, ein Schwung, ein Drang,
  • Uns nie vom Pfad der Himmelsfürsten trennend,
  • Zu welchem du gejagt in deinem Sang:
  • Die ihr den dritten Himmel lenkt, erkennend;
  • Für dich wird uns nicht schwer ein Stillestand,
  • Für dich in so inbrünst’ger Liebe brennend."
  • Als ich zu ihr voll Ehrfurcht mich gewandt,
  • Und so der Herrin Blick sich ausgesprochen,
  • Daß ich mich sicher und befriedigt fand,
  • Schaut’ ich zum Licht, das mir in sich versprochen
  • So vieles hatt’, und sprach: "Wer bist du, sprich!"
  • Den Ton vor großer Inbrunst fast gebrochen.
  • O wie vermehrte, wie verschönte sich
  • Der frohe Glanz in Mienen und Gebärden
  • Bei meinem Wort!--Dann sprach er freudiglich:
  • "Nur kurze Zeit verweilt’ ich auf der Erden,
  • Verweilt’ ich mehr, dann wären viele nicht
  • Der Übel, die dich noch betreffen werden.
  • Nur meine Freude birgt dir mein Gesicht,
  • Nur sie verhüllt mich rings im Strahlenrunde,
  • So wie den Seidenwurm die Seid’ umflicht.
  • Du liebtest mich, und wohl aus gutem Grunde;
  • Denn lebt’ ich noch, gewiß dir keimten jetzt
  • Nicht Blätter nur aus unserm Liebesbunde.
  • Der linke Strand, den Rhodanus benetzt,
  • Nachdem er mit der Sargue sich verbündet,
  • Sah einst im Geist durch mich den Thron besetzt;
  • So auch Ausoniens Horn, wo, festbegründet,
  • Bari, Gaëta und Crotona droh’n,
  • Von wo im Meere Verd’ und Tronto mündet.
  • Auch schmückte mich des Landes Krone schon,
  • Das längs durchstreift der Donau Wogenfülle,
  • Nachdem sie aus Germaniens Gau’n entflob’n.
  • Trinacria--bedeckt von schwarzer Hülle
  • Zwischen Pachino und Pelor, am Schlund
  • Des Meers, das schäumt bei Eurus’ Wutgebrülle,
  • Durch Typhöus nicht, nein, durch den Schwefelgrund
  • Der Fürsten harrt’ es noch, der edeln Sprossen
  • Rudolfs und Karls aus meinem Ehebund,
  • Wenn schlechte Herrschaft, welche stets verdrossen
  • Der Unterworfne trägt, zum Mordgeschrei
  • Nicht in Palermo jeden Mund erschlossen.
  • Ging’ Ahnung dessen meinem Bruder bei,
  • So würd’ er Kataloniens Bettler jagen,
  • Damit ihr Geiz kein Sporn zum Aufruhr sei.
  • Nottut’s fürwahr, daß ihm die Freund es sagen,
  • Wenn er’s nicht sieht: daß volle Ladung schon
  • Sein Nachen hat, und nichts kann weiter tragen.
  • Er, des freigeb’gen Vaters karger Sohn,
  • Braucht Diener, die nicht Gold nur zu gewinnen
  • Begierig sind, nicht bloß erpicht auf Lohn."--
  • "Herr, weil ich glaube, daß die Lust hierinnen,
  • Die deine Rede strömt in meine Brust,
  • Du, wo die Güter enden und beginnen,’
  • So deutlich schauest, wie sie mir bewußt,
  • Wird sie mir werter--daß du beim Betrachten
  • Des Herrn sie schauest, gibt mir neue Lust.
  • Mach’ itzt, wie froh mich deine Worte machten,
  • Mich klar und schaffe noch dem Zweifel Ruh’:
  • Wie süße Saaten bittre Früchte brachten?"
  • So ich--und er: "Die Wahrheit fasse du,
  • Und dem. was du gefragt, kehrst du zufrieden,
  • Wie jetzt den Rücken, dann das Antlitz zu.
  • Das Gut, das ihren Lauf und ihren Frieden
  • Den Himmeln gab, hat jedem Stern den Schein
  • Und eine Kraft, als Vorsehung, beschieden.
  • Nicht nur der Wesen vorbestimmtes Sein
  • Hat der durch sich vollkommne Geist erwogen,
  • Er schließt in sich auch ihre Wohlfahrt ein.
  • Drum, was nur immer fliegt von diesem Bogen,
  • Kommt, gleich dem Pfeil, auf vorbestimmtem Gang
  • Gewiß herab zu seinem Ziel geflogen.
  • War’ dieses nicht, dann würd’ im wirren Drang,
  • Was diese Himmel irgend wirkend schaffen,
  • Kein Kunstwerk sein, nein, Graus und Untergang.
  • Dies kann nicht sein, wenn jene nicht erschlaffen,
  • Die Geister, lenkend diese Sternenschar,
  • Der Urgeist auch, der dann sie schlecht erschaffen.
  • Ist diese Wahrheit nun dir völlig klar?"
  • Und ich: "Gewiß, ich seh’s, Natur bleibt immer
  • In dem, was nötig ist, unwandelbar;"
  • Drum er: "Nun sprich, wär’s für den Menschen schlimmer,
  • Wenn er nicht Bürger ward und einsam blieb’?"
  • Ich: "Ja, und weitern Grund begehr’ ich nimmer!"
  • "Und wär’ ein Staat, wenn in verschiednem Trieb
  • Die Menschen nicht verschieden sind erwiesen?
  • Nein, wenn die Wahrheit euer Meister schrieb!"
  • So folgert’ ich bis jetzt, um hier zu schließen:
  • "Drum also muß der Menschen Tun hervor
  • Verschieden aus verschiedner Wurzel Sprießen.
  • Und Solon sproßt’ und Xerres so empor,
  • Also Melchisedek, und der Erfinder,
  • Der bei dem luft’gen Flug den Sohn verlor.
  • Natur, im Kreislauf, so die Menschenkinder
  • Wie Wachs ausprägt, übt ihre Kunst und sieht
  • Auf dies und jenes Haus nicht mehr noch minder.
  • Dies ist’s, was Esaus Keim von Jakobs schied,
  • Drob auch Quirin entsproß so niedrer Lende,
  • Daß man als Vater ihm den Mars beschied.
  • Und stets auf der Erzeuger Wegen fände
  • Man die, so sie erzeugten, nur, wenn nicht
  • Die Vorsehung des Höchsten überwände.
  • Was hinter dir war, sieh jetzt im Gesicht;
  • Doch wie ich dein mich freue, geb’ ich Kunde
  • Und dir durch einen Zusatz beßres Licht.
  • Ist die Natur nicht mit dem Glück im Bunde,
  • Dann kommt sie übel fort, wie jede Saat,
  • Die man gesät auf fremdem, falschem Grunde.
  • Und folgte der Natur des Menschen Pfad,
  • Suchtet auf ihrem Grund ihr nach dem Rechten,
  • Dann gab’ es gute Leut’ und wackre Tat.
  • Doch solche, die geboren sind, zu fechten,
  • Macht ihr zu Priestern wider die Natur
  • Und macht zu Fürsten die, so pred’gen möchten,
  • Und deshalb schweift ihr von der rechten Spur.
  • Neunter Gesang
  • Noch sprach dein Karl, als er mich aufgeklärt,
  • Schöne Clemenza, von den Ränkevollen,
  • Durch welche schnöden Trug sein Sam’ erfährt.
  • Doch sagt’ er: "Schweig und laß die Jahre rollen!"
  • Drum sag’ ich nur, daß eurem Schaden bald
  • Gerechte Straf und Klage folgen sollen.
  • Schon war das Leben jener Lichtgestalt
  • Zur Sonn’, in deren Strahl es ganz genesen,
  • Zum Gut, das allem g’nügt, zurückgewallt.
  • Betrogne Seelen, gottvergeßne Wesen!
  • Was wendet ihr das Herz von solchem Gut
  • Und habt nur Eitelkeit zum Ziel erlesen!
  • Und sieh, ein andres jener Lichter lud
  • Mich, nahend, ein und zeigte seinen Willen,
  • Mich zu befriedigen, in hellrer Glut.
  • Beatrix, die den Blick, den heil’gen, stillen,
  • Auf mich gewandt, wie erst, erlaubte mir,
  • Durch teure Zustimmung, den Wunsch zu stillen.
  • Ich sprach: "O g’nüge meiner Wißbegier,
  • Bewähr’, o Geist, den Fried’ und Lust durchdringen,
  • Daß, was ich denke, widerstrahl’ in dir."
  • Das Licht, das ich aus seinem Innern singen
  • Vorher gehört, sprach, mir noch unbekannt,
  • Wie der, den’s freut, das Gute zu vollbringen:
  • "Doch im verkehrten schnöden welschen Land
  • Zwischen der Brenta und der Piave Quelle
  • Und des Rialto meerumfloßnem Strand,
  • Dort hat ein niedrer Hügel seine Stelle;
  • Von ihm herab stürzt’ eine Fackel sich
  • Und macht’ in grausem Brand die Gegend helle.
  • Aus einer Wurzel sproßten sie und ich.
  • Ich, einst Cunizza, glänz’ in diesem Sterne,
  • Denn seines Schimmers Reiz besiegte mich.
  • Und meines Schicksals Grund verzeih’ ich gerne
  • Mir selber hier, da’s mir nicht bitter dünkt,
  • So schwer eu’r Pöbel dies auch fassen lerne.
  • Sieh diesen Glanz, der mir am nächsten blinkt
  • In unserm Kreis, den leuchtenden, den teuern!
  • Groß blieb sein Ruhm, und, eh’ er ganz versinkt,
  • Wird fünfmal das Jahrhundert sich erneuern.
  • Sieh, wenn das erste Sein ein zweites schenkt,
  • Soll dies zur Trefflichkeit euch nicht befeuern?
  • Doch dies ist’s nicht, woran die Rotte denkt,
  • Die Tagliamento hier, dort Etsch umfließen,
  • Die selbst das Unglück nicht zur Reue lenkt.
  • Doch färbend wird sich Paduas Blut ergießen
  • Zum Sumpfe, der Vicenzas Mauer wahrt,
  • Weil die Verstockten sich der Pflicht verschließen.
  • Und dort, wo sich Tagnan mit Sile paart,
  • Herrscht einer, hoch die stolze Stirne tragend,
  • Zu dessen Fang das Netz schon fertig ward.
  • Schon seh’ ich Feltre, den Verrat beklagend
  • Des Hirten, der dort herrscht, an Schändlichkeit,
  • Was je geführt nach Malta, überragend.
  • Kein Paß auf Erden ist so hohl und weit,
  • Um alles Ferrareser Blut zu fassen,
  • Das zum Geschenk der wackre Pfaff verleiht,
  • Um als Parteiglied recht sich sehn zu lassen;
  • Und solcherlei Geschenk wird wohl zum Geist
  • Und zu des Landes Art und Leben passen.
  • Von hohen Spiegeln, die ihr Throne heißt,
  • Glänzt Gott, der Richtende, zu uns hernieder,
  • Worin als wahr sich, was ich sprach, erweist."
  • Sie sprach’s, von mir gekehrt, und wandte wieder
  • Sich hin zu ihrem Kreis, wo sie verschwand,
  • So wie sie kam, beim Klang der Himmelslieder.
  • Die andre Wonne, mir bereits bekannt,
  • Ward leuchtender in Mienen und Gebärden,
  • Wie in der Sonne Blitz der Diamant.
  • Dort gibt die Wonne Glanz, wie sie auf Erden
  • Das Lächeln zeugt, indes bei innrer Pein
  • Die äußern Schatten unten dunkler werden.
  • "Alles sieht Gott--du siehst in seinen Schein,"
  • Sprach ich, "und kann in ihn dein Auge dringen,
  • So muß dir klar sein ganzer Wille fein.
  • Drum deine Stimme, die im frommen Singen
  • Den Himmel mit dem Sang der Feuer letzt.
  • Die sich bekleiden mit sechsfachen Schwingen,
  • Warum nicht g’nügt sie meinen Wünschen jetzt?
  • Auch ungefragt harrt’ ich so lang nicht säumend,
  • War’ ich in dich, wie du in mich versetzt."--
  • "Das größte Tal, worin das Wasser schäumend
  • Sich ausgedehnt," begann des Sel’gen Wort,
  • "Außer dem Meere, rings die Erd’ umsäumend,
  • Geht zwischen Feindesufern westlich fort,
  • So weit, daß hier, an seinem letzten Strande,
  • Gesichtskreis ist, was Mittagsbogen dort.
  • Ich lebt’ an dieses großen Tales Rande
  • Zwischen Ebro und Magra, die, nicht lang,
  • Trennt Genuas Gebiet vom Tuskerlande.
  • Fast einen Aufgang hat und Niedergang
  • Buggéa und die Stadt, der ich entsprossen,
  • Sie, deren Blut einst warm den Port durchdrang.
  • Mich hießen Folco meine Zeitgenossen
  • Und diesen Stern schmückt meine Freudigkeit,
  • Wie dort sein Licht sich in mein Herz ergossen.
  • Nicht zu Sichäus’ und Creusas Leid
  • Fühlt’ in sich Dido solche Flammen wogen,
  • Wie ich einst fühlt’ in meiner Jugendzeit;
  • Nicht Phyllis, von Demophoon betrogen;
  • Und nicht Alcid, nachdem in seine Brust
  • Eurytos’ Tochter siegend eingezogen.
  • Doch fühlt man hier nicht Reue drob, nein Lust,
  • Ganz die Erinnerung der Schuld verlierend,
  • Und nur des ew’gen Ordners sich bewußt.
  • Und jene Kunst, die Welten herrlich zierend,
  • Sehn wir, und sehn zu gutem Zwecke nun
  • Die obre Welt die untere regierend.
  • Doch um dem Wunsche ganz genugzutun,
  • Der dich durchdrungen hat in dieser Sphäre,
  • Darf ich noch nicht in meiner Rede ruh’n.
  • Du möchtest wissen, wer der Schimmer wäre,
  • Der nahe hier so strahlt, als ob die Glut
  • Der Sonn’ in reinem Wasser sich verkläre.
  • So wisse, daß darinnen Rahab ruht,
  • Die hier, in unsern Orden aufgenommen,
  • Sich kund im höchsten Glanz des Sternes tut.
  • Vor jedem andern Geist der Höll’ entrommen,
  • Ist sie zum Stern, wo sich vom Erdenrund
  • Der Schatten spitzt, durch Christi Sieg gekommen.
  • Der Sieg, den er, an beiden Händen wund,
  • Errungen hat, wird hier von ihr verkündet;
  • Den Himmeln tut sie, als Trophä’, ihn kund,
  • Weil sie des Josua ersten Ruhm begründet
  • Durch ihre Hilf in jenem heil’gen Land,
  • Das jetzt der Papst kaum wert der Sorge findet.
  • Und deine Stadt, die einst durch den entstand,
  • Des Neid euch alles Mißgeschick bereitet,
  • Und der zuerst von Gott sich abgewandt,
  • Sie ist’s, die das verfluchte Geld verbreitet,
  • Das einzig, weil’s zum Wolf den Hirten macht,
  • Vom rechten Wege Schaf und Lämmer leitet.
  • Drum wird nicht an die Bibel mehr gedacht,
  • Doch hat man sehr genau--war’s zu verhehlen,
  • So zeigt’s der Rand--der Dekretalen Acht.
  • Drin wird studiert von Papst und Kardinälen
  • Und Nazareth, wo Gabriel das Wort
  • Verkündigt hat, wird fremd den geiz’gen Seelen.
  • Doch Vatikan, samt jedem heil’gen Ort
  • In Rom, wo Petri Folger einst gepredigt,
  • Der Märtyrer geweihte Gräber dort,
  • Bald werden sie des Ehebruchs entledigt.
  • Zehnter Gesang
  • Urkraft, der Liebe voll den Sohn beschauend,
  • Die ihr und ihm allewiglich entweht,
  • Die Unaussprechliche, das All erbauend,
  • Schuf, was ihr nur mit Geist und Aug’ erseht
  • So ordnungsvoll, daß sie mit Wonneregung
  • Den ganz durchdringt, der ihre Werk’ erspäht.
  • Erheb, o Leser, Blick und Überlegung
  • Miit mir zum Himmel jetzt, gerad’ dahin,
  • Wo sich durchkreuzt die doppelte Bewegung.
  • Von dort an letz’ am Kunstwerk deinen Sinn,
  • Denn selbst der Meister sieht es mit Vergnügen
  • Und spiegelt liebend seinen Blick darin.
  • Von dort verteilt sich zu verschiednen Zügen
  • Der schiefe Kreis, der die Planeten trägt,
  • Um denen, die sie rufen, zu genügen.
  • Und war’ ihr Lauf von dort nicht schief bewegt,
  • So wäre viele Himmelskraft verschwendet,
  • Und nichts beinah auf Erden angeregt.
  • Und war’ er mehr und minder abgewendet
  • Vom g’raden Weg, so blieb’ auf Erden dort,
  • Wie hier, die Weltenordnung unvollendet.
  • Jetzt bleib, o Leser, still auf deinem Ort,
  • Um dem, was du gekostet, nachzudenken,
  • Und eh’ du matt wirst, reißt dich Wonne fort.
  • Ich gab dir Wein--du magst dich selber tränken,
  • Denn alle meine Sorgen muß ich nur
  • Auf jenen Stoff, den ich beschreibe, lenken.
  • Die Dienerin, die größte, der Natur,
  • Die sich die Himmelskraft zum Spiegel machte,
  • Die leuchtend zeigt der Zeiten Maß und Spur.
  • Vereint dem Orte, dessen ich gedachte,
  • Sah man in schraubenförm’gem Kreis sich dreh’n,
  • In dem sie schneller hier die Tage brachte.
  • Ich war in ihr--allein wie dies gescheh’n,
  • Das spürt’ ich nur, wie wir Gedanken spüren,
  • Bevor sie noch in unserm Geist entstehn.
  • Beatrix, die so schnell uns weiß zu führen,
  • Vom Guten uns zum Bessern einzuweih’n,
  • Daß sich indessen nicht die Stunden rühren,
  • Wie leuchtend mußte sie von selber sein!
  • Und was ich drinnen in der Sonne schaute,
  • Durch Farbe nicht, durch hellen Glanz allein,
  • Ob ich auf Geist und Kunst und Übung baute,
  • Nie stellt’ es doch mein Wort euch deutlich vor,
  • Drum sehne sich, zu schau’n, wer mir vertraute.
  • Nicht staunt, wenn Phantasie die Kraft verlor,
  • Daß sie zu solchen Höh’n sich schwach erweise;
  • Kein Blick fliegt über diesen Stern empor.
  • So war ich nun im vierten Kinderkreise
  • Des Vaters, der, ihm zeigend, wie er weht,
  • Und wie er zeugt, ihn nährt mit ew’ger Speise.
  • Beatrix sprach: "Dank, Dank sei dein Gebet.
  • Zur Engelsonne laß ihn sich erheben,
  • Die dich zu dieser sichtbaren erhöht."
  • Kein Menschenherz war je mit allem Streben
  • Zur Andacht noch so freudig hingewandt,
  • Keins noch so ganz und innig Gott ergeben,
  • Als ich bei diesem Worte meins empfand,
  • Das so zu ihm hin all sein Lieben wandte,
  • Daß in Vergessenheit Beatrix schwand.
  • Sie zürnte nicht; ihr lächelnd Aug’ entbrannte
  • Drob so in Glanz, daß nun mein Geist, der nicht
  • An andres dacht’, itzt andres doch erkannte.
  • Und sieh, viel siegendes lebend’ges Licht
  • Macht’ uns zum Mittelpunkt und sich zur Krone
  • Süßer im Sang, als leuchtend im Gesicht.
  • So schmückt ein Kranz die Tochter der Latone,
  • Wenn dunstgeschwängert sie die Luft umzieht,
  • Die widerstrahlt den Streif der lichten Zone.
  • Am Himmelshof, von dem ich wieder schied,
  • Gibt’s viele Schöne, köstliche Juwelen,
  • Nicht auszuführen aus des Reichs Gebiet.
  • Dergleichen eins war der Gesang der Seelen;
  • Doch wer nicht selbst zu jenen Höh’n sich schwang.
  • Der lasse von den Stummen sich’s erzählen.
  • Nachdem dreimal die Sonnen mit Gesang,
  • Gleich Nachbarsternen, die den Pol umkreisen,
  • Uns rings umtanzt in Glut und Wonnedrang,
  • Da schienen sie wie Frau’n sich zu erweisen,
  • Die horchend stehn, noch nicht gelöst vom Tanz,
  • Bis sie gefaßt das Maß der neuen Weisen.
  • "Wenn, wahre Lieb’ entzündend, dir der Glanz
  • Der Gnade lacht, der sich durch Liebe mehret,"
  • So sprach ein Licht aus jenem Strahlenkranz,
  • "Wenn er in dir vervielfacht sich verkläret,
  • So, daß er dich empor die Stiege lenkt,
  • Die niemand absteigt, der nicht aufwärts kehret,
  • So wird der, welcher deinen Durst nicht tränkt
  • Mit seinem Wein, so wenig Freiheit zeigen,
  • Als Wasser, das sich nicht zum Meere senkt.
  • Erfahren möchtest du, von welchen Zweigen
  • Des Kranzes Blumen sind, der feiernd sich
  • Um sie schlingt, die dich stärkt, emporzusteigen.
  • Von Dominiks geweihter Schar war ich,
  • Der solche Wege leitet seine Herden,
  • Wo wohl gedeiht, wer nicht dem Wahne wich.
  • Man hieß mich Thomas von Aquin auf Erden,
  • Und meines Meisters, meines Bruders Schein,
  • Albrechts von Köln, sieh rechts hier heller werden
  • Und willst du aller andern sicher sein,
  • So folge mit den Augen meinen Worten
  • Auf diese Blumen, die zum Kranz sich reih’n.
  • Den Gratian sieh wonneflammend dorten;
  • Dem doppelten Gerichtshof dienend, fand
  • Er frohen Einlaß an des Himmels Pforten.
  • Auch jenen Petrus sieh von Lust entbrannt;
  • Als Scherflein bot er, nach der Witwe Weise,
  • Der Kirche seinen Schatz mit treuer Hand.
  • Der fünfte Glanz, der schönste hier im Kreise,
  • Haucht solche Liebe, daß die ganze Welt
  • Nach Kunde gierig ist von seinem Preise.
  • So tiefes Wasser ist’s, das er enthält,
  • Daß, ist das Wahre wahr, ihm nie ein zweiter
  • Als Weiser sich und Seher gleichgestellt.
  • Sieh neben ihm den leuchtenden Begleiter.
  • Niemand war je auf Erden noch im Amt
  • Und der Natur der Engel eingeweihter.
  • Das kleinre Licht, das dorten lächelnd flammt,
  • Des Glaubens Anwalt ist’s, aus des Lateine
  • In Augustini Schriften manches stammt.
  • Verfolgend nun mein Lob von Schein zu Scheine
  • Mit geist’gem Blick, erspähst du dürstend jetzt,
  • Wer in dem achten Lichte dir erscheine.
  • Jedwedes Gut in sich zu schau’n, ergetzt
  • Die heil’ge Seele, die den Trug danieden
  • Dem offen kund tut, der sie hört und schätzt.
  • Der Leib, von dem sie durch Gewalt geschieden
  • Liegt in Cield’or, und sie kam aus Gefahr
  • Und Bann und Märtyrtum zu diesem Frieden.
  • Bedo und Isidor sieh hell und klar,
  • Sieh Richard dann die Liebesstrahlen spenden,
  • Der mehr als Mensch einst im Betrachten war.
  • Das Licht, von dem zurück zu mir sich wenden
  • Dein Auge wird, rief, bei der Erde Gram
  • Tiefsinnig ernst, den Tod, um ihn zu enden.
  • Sigieri ist’s, der zu der Toren Scham
  • Einst im Strohgäßchen las und, streng und trübe,
  • Durch Folgerung auf bittre Wahrheit kam."--
  • Dann wie, uns rufend, früh der Uhr Getriebe,
  • Wenn Gottes Braut aufsteht, das Morgenlied
  • Singend dem Bräutigam, daß er sie liebe,
  • Hierhin und dorthin kreisend drängt und zieht
  • Tini tin! verklingend in so süßem Tone,
  • Daß frische Lieb’ in frommen Herzen blüht;
  • So regte sich die edle Strahlenkrone,
  • Mit Süßigkeit im himmlischen Gesang,
  • Die nur begreift, wer dort am Sternenthrone
  • Die ewig ungetrübte Lust errang.
  • Elfter Gesang
  • O menschliche Begier voll Wahn und Trug,
  • Wie mangelhaft sind doch die Syllogismen,
  • Die dir herabzieh’n des Gefieders Flug!
  • Der ging dem Jus nach, der den Aphorismen;
  • Der sucht’ als Priester Ehren und Gewinn;
  • Der herrschte durch Gewalt, der durch Sophismen;
  • Der stahl, der hatt’ ein Staatsamt nur im Sinn;
  • Der mühte sich, in Fleischeslust befangen,
  • Und jener gab dem Müßiggang sich hin;
  • Indes ich, allem diesem Tand entgangen,
  • Im Himmel oben mit Beatrix war,
  • So herrlich und so ruhmvoll dort empfangen.
  • Still stand nun jeder von der sel’gen Schar
  • Im Kreis zurückgekehrt zur ersten Stelle,
  • Und stellte sich, wie Licht auf Leuchtern, dar.
  • Da schien es mir, aus jenem Schimmer quelle,
  • Der mich zuerst gesprochen, neuer Laut,
  • Und lächelnd sprach er dann in reinrer Helle:
  • "Wie, wenn ins ew’ge Licht mein Auge schaut,
  • Mich dieses ganz mit seinem Strahl entzündet,
  • So ist mir deines Denkens Grund vertraut.
  • Du zweifelst noch und hörtest gern verkündet
  • In offnen Worten und verständlich breit,
  • So, daß sie deine Fassungskraft ergründet,
  • Was wohl mein ob’ges Wort: Wo wohl gedeiht--
  • Und dann: Kein zweiter kam ihm gleich--bedeutet.
  • Und hier ist nötig scharfer Unterscheid.
  • Die ew’ge Vorsicht, die das Weltall leitet,
  • Mit jener Weisheit, die in Tiefen ruht,
  • Zu welchen kein erschaffnes Auge gleitet,
  • Damit sich dem Geliebten ihre Glut,
  • Die Glut der Braut, die er mit lautem Schreie
  • Sich anvermählt hat durch sein heil’ges Blut,
  • Sichrer in sich und ihm getreuer, weihe,
  • Hat, ihr zur Gunst, zwei Fürsten ihr bestallt.
  • Und hier und dorten führen sie die zweie.
  • Der eine war von Seraphsglut umwallt,
  • Der andre zeigt’ im Glanz der Cherubinen
  • Die Weisheit dort im ird’schen Aufenthalt.
  • Von einem sprech’ ich, weil, wen man von ihnen
  • Auch preisen mag, man nie vom andern schweigt,
  • Da beide wirkten, einem Zweck zu dienen.
  • Beim Bach, der von Ubaldos Hügel steigt,
  • Und dem Tupino, hebt sich, zwischen beiden,
  • Ein Berg, des Abhang fruchtbar grün sich neigt.
  • Von ihm muß Hitz’ und Frost Perugia leiden,
  • Und hinter diesem Berg liegt Gualdo dicht,
  • Und fühlt mit Nocera des Joches Leiden.
  • Dort, wo sich seines Abhangs jähe bricht,
  • Dort sah man einer Sonne Glanz entbrennen,
  • Gleich der am Ganges klar im hellsten Licht.
  • Nicht möge man den Ort Ascesi nennen,
  • Denn wenig sagt, wer also ihn benannt;
  • Nein, was er war, gibt Orient zu erkennen.
  • Schon als der Glanz nicht fern dem Aufgang stand,
  • Begann er solche Kraft zu offenbaren,
  • Daß sich dadurch erquickt die Erde fand.
  • Denn mit dem Vater stritt er, jung an Jahren,
  • Für eine Frau, vor der der Freuden Tor
  • Die Menschen fest, wie vor dem Tod, verwahren,
  • Bis vor dem geistlichen Gericht und vor
  • Dem Vater sie zur Gattin er sich wählte
  • Und täglich lieber hielt, was er beschwor.
  • Sie, des beraubt, der sich ihr erst vermählte,
  • Blieb ganz verschmäht mehr als elfhundert Jahr’,
  • Da, bis zu diesem, ihr der Freier fehlte,
  • Obgleich durch sie Amicias in Gefahr
  • So sicher ruht’, als dessen Stimm’ erklungen,
  • Des Mächt’gen, der der Erd’ ein Schrecken war;
  • Obgleich sie standhaft, kühn und unbezwungen,
  • Als selbst Maria unten blieb, sich dort,
  • An Christi Kreuz, zu ihm emporgeschwungen.
  • Allein nicht mehr in Rätseln red’ ich fort;
  • Franziskus und die Armut sieh in ihnen,
  • Die dir geschildert hat mein breites Wort.
  • Der Gatten Eintracht, ihre frohen Mienen
  • Und Lieb’ und Wunder und der süße Blick
  • Erweckten heil’gen Sinn, wo sie erschienen.
  • Und solchem Frieden eilte, solchem Glück
  • Barfuß erst Bernhard nach, der Ehrenwerte,
  • Und glaubte doch, er bliebe träg zurück.
  • O neuer Reichtum! Gut von echtem Werte!
  • Egid, Silvester folgten bald dem Mann
  • Barfuß, weil hoher Reiz die Frau verklärte.
  • Der Vater und der Meister ging sodann
  • Nach Rom mit deiner Frau und mit den Seinen,
  • Die schon des niedern Strickes Band umspann.
  • Nicht feig sich beugend sah man ihn erscheinen,
  • Als Peter Bernardones niedrer Sohn,
  • Mocht’ er auch ärmlich und verächtlich scheinen,
  • Nein, kund tat er vor Innocenzens Thron
  • Den strengen Plan mit königlicher Würde,
  • Und der besiegelte die Stiftung schon.
  • Dann, als die Schar der Armen in der Hürde
  • Des Hirten wuchs, des Wunderleben hier,
  • Im Himmelsglanz, man besser singen würde,
  • Verlieh der frommen heiligen Begier,
  • Auf Gottes Eingebung, zum Eigentume
  • Honorius der zweiten Krone Zier.
  • Dann predigend, aus Durst nach Märtyrtume,
  • Kühn in des stolzen Sultans Gegenwart,
  • Von Christi und von seiner Folger Ruhme,
  • Fand zur Bekehrung er das Volk zu hart,
  • Drob, da ihm hier sein edles Werk nicht glückte,
  • Von ihm bebaut Italiens Garten ward.
  • Und auf Alvernas Felsenböhen drückte
  • Das letzte Siegel noch ihm Christus ein,
  • Das dann zwei Jahre seine Glieder schmückte.
  • Als der, der ihn berufen, aus der Pein
  • Zur Wonn’ ihn rief, den Lohn hier zu erwerben,
  • Daß er sein Knecht war, niedrig, arm und klein,
  • Empfahl er noch, als seinen rechten Erben,
  • Den Brüdern seine Frau, ihm lieb und wert,
  • Zu treuer Lieb’ im Leben und im Sterben.
  • Eh’ ihrem Schoß die Seele, schon verklärt,
  • Entfloh, heimkehrend zu des Vaters Reiche,
  • Ward nur die Erd’ als Sarg von ihm begehrt.
  • Jetzt denke selbst, wer dem an Würde gleiche,
  • Der, sein Genoß, durchs Meer führt Petri Kahn,
  • Daß er auf g’radem Weg das Ziel erreiche.
  • Dies Amt hatt’ unser Patriarch empfah’n,
  • Und gute Ware trägt auf deiner Reise,
  • Wer treu ihm folgt auf der befohlnen Bahn.
  • Doch deine Herd’ ist jetzt nach neuer Speise
  • So lüstern, daß sie üppig hüpft und springt
  • Und sich zerstreut und irrt vom rechten Gleise.
  • Je weiter hin der Schäflein Herde dringt,
  • Dem Hirten fern sich irrend zu zerstreuen,
  • Je minder Milch zum Stalle jedes bringt.
  • Wohl gibt’s noch welche, die den Schaden scheuen.
  • Die folgen, angedrängt dem Hirten, nach,
  • Doch wenig Tuch gibt Kutten diesen Treuen.
  • Jetzt aber, war mein Wort nicht trüb und schwach,
  • Verblieb dein Ohr, aufmerksam meinen Lehren,
  • Rufst du zurück dem Geiste, was ich sprach,
  • Dann wird’s Befried’gung deinem Wunsch gewähren,
  • Dann zeigt der Baum, von dem ich pflückte, sich,
  • Und meines Tadels Grund wird sich erklären:
  • Wo wohl gedeiht, wer nicht dem Wahne wich."
  • Zwölfter Gesang
  • Sobald mir nur das letzte Wort erschollen,
  • Das aus der sel’gen Himmelsflamme drang,
  • Begann die heil’ge Mühl’ im Kreis zu rollen.
  • Doch eh’ sie rundherum sich völlig schwang,
  • War sie umringt von einem zweiten Kranze,
  • Eingreifend Tanz in Tanz und Sang in Sang;
  • Sang, hold verhaucht bei diesem Strahlentanze,
  • Dem unsrer Musen und Sirenen Lied
  • So weicht, wie Widerschein dem ersten Glanze.
  • Wie auf Gewölk, das leicht das Blau umsieht,
  • Man zwei gleichfarb’ge, gleichgespannte Bogen,
  • Wenn Juno ihrer Magd befiehlt, ersieht,
  • Erzeugt vom innern der, der ihm umzogen--
  • Der Rede jener gleich, die Liebesglut,
  • Wie Sonnenglut die Dünste, weggesogen--
  • Die Bogen, die nach allgemeiner Flut
  • Der Herr dem Noah zeigte, zum Beweise
  • Des Bunds, durch den die Erde sicher ruht;--
  • So drehte jetzt um uns sich gleicherweise
  • Der ew’gen Rosen schöner Doppelkranz,
  • So glich der äußere dem innern Kreise.
  • Und als zuletzt der festlich frohe Tanz,
  • Die Lust des Sangs, der lichten Flammen schweben,
  • Das Spiegeln einer in der andern Glanz,
  • Still ward in einem Nu, mit gleichem Streben,
  • Wie sich die Augen, wenn es dem gefällt,
  • Der sie bewegt, verschließen und erheben;
  • Klang aus dem Kreis, von neuem Licht erhellt,
  • Ein Laut, nach dem ich mich so eilig kehrte,
  • Wie der Magnet nach seinem Sterne schnellt.
  • Er sprach: Die Liebe, die mich schön verklärte,
  • Ist’s, die vom zweiten Hort mich sprechen heißt,
  • Durch den man hier so hoch den meinen ehrte.
  • Vom andern spreche, wer den einen preist,
  • Zusammen glänzt’ ihr Ruhm, so wie sie stritten
  • Für einen Zweck und mit gleich tapferm Geist.
  • Des Heilands Heer, für welches schwer gelitten,
  • Der’s neu bewehrt, zog zweifelnd und voll Leid
  • Der Fahne nach, schwach und mit trägen Schritten,
  • Als er, der herrscht in Zeit und Ewigkeit,
  • Den Kriegern half, die hart gefährdet waren,
  • Aus Gnad’ und nicht ob ihrer Würdigkeit;
  • Und, wie gesagt, um seine Braut zu wahren.
  • Zwei Kämpfer rief, durch deren Wort und Tat
  • Gesammelt wurden die zerstreuten Scharen.
  • Woher der Zephir haucht, um am Gestad’
  • In Tal und Au die Knospen froh zu schwellen,
  • Wenn sich der Lenz im Schmuck Europen naht,
  • Dort, nah dem Strand, wo hochgetürmte Wellen
  • Weit hergewälzt, von Sturmeswut bekriegt,
  • Dem Sonnenstrahl sich oft entgegenstellen,
  • Dort ist der Platz, wo Callaroga liegt,
  • Beschützt und wohlgedeckt vom großen Schilde,
  • Auf dem der Leu obsiegt und unterliegt.
  • Dort ward erzeugt im glücklichen Gefilde
  • Der Glaubenstreue Buhle, der Athlet,
  • Dem Feind ein Graus, den Seinigen voll Milde. ’
  • Dem Geist, erschaffen kaum, ward zugeweht
  • Vom höchsten Geiste Kraft und hohe Gabe,
  • Und ungeboren war er schon Propbet.
  • Als mit der Glaubenstreue drauf der Knabe
  • Verlöbnis hielt, vom heil’gen Quell benetzt,
  • Wo gegenseit’ges Heil die Morgengabe,
  • Da ward die Zeugin, die Sein Ja! ersetzt,
  • Schon von der Wunderfrucht, die ihm entsprieße,
  • Und seiner Schul’, im Traumgesicht ergetzt.
  • Und daß sich, was er war, erkennen ließe,
  • Gebot ein Geist, vom Himmel hergesandt,
  • Daß man nach ihm, der ihn besaß, ihn hieße.
  • Dominikus ward er darum benannt,
  • Der Gärtner, welchen als Gehilfen Christus
  • Für seinen Garten wählt’ und sich verband.
  • Wohl schien er Bot’ und treuer Knecht von Christus,
  • Wie das, was er zuerst geliebt, bezeugt,
  • Denn er vollzog den ersten Rat von Christus.
  • Wohl fand ihn öfters die, so ihn gesäugt,
  • Am Boden liegend, wach, in tiefem Schweigen,
  • Als spräch’ er aus: Hierzu bin ich gezeugt.
  • O du, sein Vater, Felix wahr und eigen!
  • O Mutter, wahrhaft als Johann’ erblüht,
  • Wenn wir bis zu des Namens Wurzel steigen!
  • Nicht für die Welt, für die man jetzt sich müht,
  • Nach des von Ostia, des Thaddäus Lehren,
  • Nein, fürs wahrhafte Manna nur entglüht,
  • Sollt’ er als Lehrer bald sich groß bewähren,
  • Den Weinberg pflegend, der bald Unkraut trägt,
  • Wenn nicht des Winzers Hand’ ihm emsig wehren.
  • Vom Stuhl, der einst die Armen mild gehegt--
  • Einst, nicht durch Schuld des Stuhls--durch dessen Sünden
  • Der sitzt, und aus der Art der Väter schlägt,
  • Erbat er Zehnten nicht, noch fette Pfründen,
  • Erlaubnis nicht, Ablaß und Heil für Geld,
  • Um drei und vier für zehen, zu verkünden;
  • Nein die, zu kämpfen mit der irren Welt,
  • Durch jenen Samen, dem die Bäum’ entspringen,
  • Die, zweimal zwölf, sich um dich her gestellt,
  • Die Pflichten des Apostels zu vollbringen,
  • Strebt’ auf sein Will’ und seine Wissenschaft,
  • Gleich Strömen, die aus tiefer Ader Springen.
  • Und ihre Wellen stürzten grausenhaft
  • Auf ketzerisch Gestrüpp, es auszubrechen,
  • Und mit dem Widerstand wuchs ihre Kraft.
  • Er gab darauf den Ursprung manchen Bächen,
  • Die hinzieh’n durch der Kirche Gartenland,
  • Drob ihre Bäume schönre Frucht versprechen--
  • Wenn so ein Rad des Kriegeswagens stand,
  • Auf dem den Kampf die heil’ge Kirche wagte,
  • Als sie die innern Meut’rer überwand,
  • So muß dir jetzt, wie hoch das andre ragte
  • An Trefflichkeit, vollkommen deutlich sein,
  • Und was von ihm dir Thomas Gutes sagte.
  • Allein das Gleis hält jetzo niemand ein,
  • Das in den Grund der Schwung des Rades prägte,
  • Und Essig wird, was vormals süßer Wein.
  • Die Schar, die seiner Spur zu folgen pflegte,
  • Hat jetzt der Füße Stellung ganz gewandt
  • Und geht zurück, wo er sich vorbewegte.
  • Wie schlecht die Saat ist, wird euch bald bekannt,
  • Denn bei der Ernte wird das Korn erlesen
  • Und eingescheuert, doch der Lolch verbrannt.
  • Zwar, will man Blatt für Blatt das Buch durchlesen,
  • Das unsre Namen zeigt, so sagt ein Blatt
  • Noch hier und dort: Ich bin, was ich gewesen.
  • Doch nicht Casal, noch Aquasparta hat
  • Dergleichen Glieder unsrer Schar gegeben,
  • Da der zu streng ist, der zu schlaff und matt.
  • Jetzt wiss’, ich bin Buonaventuras Leben,
  • Von Bagnoregio, und gering erschien
  • Beim großen Amt mir jedes andre Streben.
  • Hier sind Jlluminat und Augustin,
  • Zwei von den ersten barfußarmen Scharen,
  • Die durch den Strick in Gottes Huld gedieh’n.
  • Hier sind der von Sankt Viktor zu gewahren,
  • Und Mangiador, der Spanier Peter dann,
  • Des Ruhm der Welt zwölf Bücher offenbaren.
  • Nathan der Seher, Erzbischof Johann,
  • Anselm, Donat, der sich dem Werke weihte,
  • Des sich die erste Kunst berühren kann.
  • Ruban ist hier; und solchen Brüdern reihte
  • Sich dieser an, begabt mit Sehergeist
  • Abt Joachim, helleuchtend mir zur Seite.
  • Wenn solchen Kämpfer meine Rede preist,
  • So ist’s des Thomas liebentflammte Weise,
  • Die mit sich fort auch meine Rede reißt,
  • Und mit mir fortzieht all in diesem Kreise.
  • Dreizehnter Gesang
  • Wer wohl verstehn will, was ich nun gesehen,
  • Bild’ itzt sich ein und lass im Geist das Bild,
  • Indes ich spreche, fest, wie Felsen, stehen,
  • Fünfzehen Sterne, die man am Gefild
  • Des Himmels in verschiedner Gegend findet,
  • So glanzvoll, daß ihr Licht durch Nebel quillt;
  • Den Wagen, der um unsern Pol sich windet,
  • Und sein Gewölb’ bei Tag und Nacht durchreist,
  • Drob er beim Deichselwenden nicht verschwindet;
  • Bild’ ein sich, was der Mund des Hornes weist,
  • Das anfängt an der Himmelsachse Grenzen,
  • Um die das erste Rad nie rastend kreist;
  • Die Sterne denk’ er sich in zweien Kränzen,
  • Die, dem gleich, der sich zur Erinnrung flicht
  • An Ariadnens Tod, am Himmel glänzen,
  • Umringt den einen von des andern Licht,
  • Und beid’ im Kreis gedreht in solcher Weise,
  • Daß dem, der vorgeht, der, so folgt, entspricht;
  • Dann glaub’ er, daß sich ihm ein Schatten weise
  • Des wahren Sternbilds, welches, zweigereiht,
  • Den Punkt, auf dem ich stand, umtanzt’ im Kreise.
  • Denn was wir kennen, steht ihm nach, so weit,
  • Als nur der Chiana träger Lauf dem Rollen
  • Des fernsten Himmels weicht an Schnelligkeit.
  • Dort sang man nicht von Bacchus, von Apollen,
  • Nein, drei in einem--Gott und Mensch nur eins,
  • Die Lieder waren’s, welche dort erschollen.
  • Als Sang und Tanz des heiligen Vereins
  • Vollbracht war, wandt’ er sich zu uns, von Streben
  • Zu Streben, ewig froh des sel’gen Seins.
  • Und jenes Licht hört’ ich die Stimm’ erheben
  • Im eintrachtsvollen Kreis, das mir vorher
  • Erzählt des heil’gen Armen Wunderleben.
  • Es sprach zu mir: Das eine Stroh ist leer
  • Und wohlverwahrt die Saat, allein entglommen
  • Von süßer Liebe, dresch’ ich dir noch mehr.
  • Du glaubst: Der Brust, aus der die Ripp’ entnommen
  • Zum Stoff des Weibes, deren Gaum hernach
  • Der ganzen Welt so hoch zu stehn gekommen,
  • Und jener, die, als sie der Speer durchstach,
  • So nach wie vor so große G’nüge brachte,
  • Daß sie die Macht jedweder Sünde brach,
  • Sei alles Licht, das je dem Menschen lachte,
  • Und des er fähig ist, voll eingehaucht
  • Von jener Kraft, die jen’ und diese machte;
  • Und staunst, daß ich vorhin das Wort gebraucht:
  • Der fünfte Glanz sei bis zum tiefsten Grunde
  • Der Weisheit, wie kein zweiter mehr, getaucht.
  • Erschließ itzt wohl die Augen meiner Kunde;
  • Mein Wort und deinen Glauben siehst du dann
  • Im Wahren, wie den Mittelpunkt im Runde.
  • Das, was nicht stirbt, und das, was sterben kann,
  • Ist nur als Glanz von der Idee erschienen,
  • Die, liebreich zeugend, unser Heer ersann.
  • Denn jenes Licht des Lebens, das entschienen
  • Dem ew’gen Lichtquell, ewig mit ihm eins,
  • Und mit der Lieb’, als dritter, eins in ihnen,
  • Eint gnädiglich die Strahlen seines Scheins
  • Sie, wie in Spiegeln, in neun Himmeln zeigend,
  • Im ewigen Verein des einen Seins.
  • Von dort sich zu den letzten Kräften neigend,
  • Wird schwächer dann der Glanz von Grad zu Grad,
  • Zuletzt nur Dinge kurzer Dauer zeugend.
  • Die Dinge, die mein Wort bezeichnet hat,
  • Sind die Erschaffnen, welche die Bewegung
  • Des Himmels zeugt, so mit wie ohne Saat.
  • Ihr Wachs ist ungleich, und die Kraft der Prägung
  • Und von des Urgedankens Glanz gewahrt
  • Man drum hier schwächere, dort stärkre Regung;
  • Daher denn auch von Bäumen gleicher Art
  • Bald bessere, bald schlechtre Früchte kommen,
  • Und euch verschiedne Kraft des Geistes ward--
  • War’ irgendwo das Wachs rein und vollkommen,
  • Und ausgeprägt mit höchster Himmelskraft,
  • Rein würde das Gepräg’ dann wahrgenommen.
  • Doch die Natur gibt’s immer mangelhaft
  • Und wirkt dem Künstler gleich, der wohl vertrauen
  • Der Übung kann, doch dessen Hand erschlafft.
  • Drum, bildet heiße Lieb’ und klares Schauen
  • Der ersten Kraft, dann wird sie, rein und groß,
  • Vollkommenes erschaffen und erbauen.
  • So ward gewürdiget der Erdenkloß,
  • Die tierische Vollkommenheit zu zeigen,
  • Und so geschwängert ward der Jungfrau Schoß.
  • Darum ist deine Meinung mir auch eigen:
  • Daß menschliche Natur in jenen zwei’n
  • Am höchsten stieg und nie wird höher steigen.
  • Hielt’ ich mit meinen Lehren jetzo ein,
  • So würdest du die Frage nicht verschieben:
  • Wie könnt’ ein dritter ohnegleichen sein?
  • Doch, daß erscheine, was versteckt geblieben,
  • So denke, wer er war, und was zum Fleh’n,
  • Als ihm gesagt ward: "Bitt’!" ihn angetrieben.
  • Aus meiner Rede konntest du ersehn:
  • Als König fleht’ er um Verstand, beflissen,
  • Damit dem Reiche g’nügend vorzustehn,
  • Nicht um der Himmelslenker Zahl zu wissen,
  • Nicht, ob Notwend’ges und Zufälligkeit
  • Notwendiges als Schluß ergeben müssen;
  • Nicht, was zuerst bewegt, Bewegung leiht;
  • Nicht, ob ein Dreieck in dem halben Kreise
  • Noch anderen, als rechten Winkel, beut--
  • Was ich gemeint, erhellt aus dem Beweise.
  • Du siehst: eine Seher sondergleichen war
  • Durch Königsklugheit jener hohe Weise,
  • Auch ist mein Wort: dem nie ein zweiter, klar;
  • Von Kön’gen sprach ich nur an jenem Orte,
  • Die selten gute sind, ob viele zwar.
  • Mit diesem Unterschied nimm meine Worte,
  • Daß nicht im Streit damit dein Glaube sei
  • Vom ersten Vater und von unserm Horte.
  • Und dieses leg’ an deine Füße Blei
  • Und mache schwer dich, gleich dem Müden, gehen
  • Zum Ja! und Nein! wo nicht dein Auge frei,
  • Weil die selbst unter Toren niedrig stehen,
  • Die sich zum Ja und Nein, ohn’ Unterschied,
  • Gar schnell entschließen, eh’ sie deutlich sehen;
  • Drob sich die Meinung, wie es oft geschieht,
  • Zum Irrtum neigt, und dann im Drang des Lebens
  • Die Leidenschaft das Urteil mit sich zieht--
  • Wer nach der Wahrheit fischt und, irren Strebens,
  • Die Kunst nicht kennt, der kehrt nicht, wie er geht,
  • Und schifft vom Strand drum schlimmer als vergebens,
  • Wie ihr dies an Melissus deutlich seht
  • Und an Parmenides und andern vielen,
  • Die gingen, eh’ sie nach dem Ziel gespäht;
  • Drob Arius und Sabell in Torheit fielen.
  • Gleich Schwertern waren sie dem heil’gen Wort
  • Und machten die geraden Blicke schielen.
  • Nicht reiߒ euch Wahn zum schnellen Urteil fort,
  • Gleich denen, die das Korn zu schätzen wagen,
  • Das eh’ es reift, vielleicht im Feld verdorrt.
  • Denn öfters sah ich erst in Wintertagen
  • Den Dornenbusch gar rauh und stachlicht stehn.
  • Und auf dem Gipfel dann die Rose tragen.
  • Und manches Schiff hab’ ich im Meer gesehn,
  • Gerad’ und flink auf allen seinen Wegen,
  • Und doch zuletzt am Hafen untergehn.
  • Nicht glauben möge Hinz und Kunz deswegen,
  • Weil dieser stiehlt und der als frommer Mann
  • Der Kirche schenkt, mit Gott schon Rat zu pflegen.
  • Da der erstehn und jener fallen kann.
  • Vierzehnter Gesang
  • Vom Rand zur Mitte sieht man Wasser rinnen
  • Im runden Napf, vom Mittelpunkt zum Rand,
  • Je wie man’s treibt nach außen oder innen.
  • Dies war’s, was jetzt vor meiner Seele stand,
  • Als stille schwieg des Thomas heil’ges Leben
  • Und süß verhallend seine Stimme schwand,
  • Ob jener Ähnlichkeit, die sich ergeben,
  • Da er erst sprach, dann Beatricens Mund,
  • Der’s jetzt gefiel, die Stimme zu erheben:
  • "Ihm tut es not, obwohl er’s euch nicht kund
  • In Worten gibt, noch läßt im Innern lesen,
  • Zu späh’n nach einer andern Wahrheit Grund.
  • Sagt ihm, ob dieses Licht, das euer Wesen
  • So schön umblüht, euch ewig bleiben wird
  • Im selben Glanze, wie’s bis jetzt gewesen.
  • Und, bleibt’s. So sagt, damit er nimmer irrt,
  • Wie, wenn ihr werdet wieder sichtbar werden,
  • Es euren Blick nicht blendet und verwirrt."
  • Wie mit verstärkter Lust oft hier auf Erden
  • Die Tanzenden im heitern Ringeltanz
  • Die Stimm’ erhöh’n und froher sich gebärden;
  • So zeigte neue Lust der Doppelkranz,
  • Als sie ihn bat, so rasch, doch fromm-bescheiden,
  • In freud’gem Dreh’n und Wundersang und Glanz--
  • Wer klagt, daß wir den Tod auf Erden leiden,
  • Um dort zu leben, oh, der fühlt und denkt
  • Nicht, wie wir dort am ew’gen Tau uns weiden.
  • Daß drei und zwei und eins, das alles lenkt
  • Und ewig lebt in einein, zwei’n und dreien,
  • Und, ewig unumschränkt, das All umschränkt,
  • Gesungen ward’s in solchen Melodeien
  • Dreimal im Chor, um vollen Lohn der Pflicht
  • Und jeglichem Verdienste zu verleihen.
  • Und eine Stimm’ entklang dem hellem Licht
  • Des kleinern Kreises dann und wich an Milde
  • Wohl der des Engels der Verkündung nicht.
  • "Solang die Lust im himmlischen Gefilde,
  • So lange währt auch unsre Lieb’ und tut
  • Sich kund um uns in diesem Glanzgebilde.
  • Und seine Klarheit, sie entspricht der Glut,
  • Die Glut dem Schau’n, und dies wird mehr uns frommen,
  • Je mehr auf uns die freie Gnade ruht.
  • Wenn wir den heil’gen Leib neu angenommen,
  • Wird unser Sein in höhern Gnaden stehn,
  • Je mehr es wieder ganz ist und vollkommen.
  • Drum wird sich das freiwill’ge Licht erhöh’n,
  • Das wir vom höchsten Gut aus Huld empfangen,
  • Licht, welches uns befähigt, ihn zu sehn,
  • Und höher wird zum Schau’n der Blick gelangen,
  • Höher die Glut sein, die dem Schau’n entglüht,
  • Höher der Strahl, der von ihr ausgegangen.
  • Doch, wie die Kohle, der die Flamm’ entsprüht,
  • Sie an lebend’gem Schimmer überwindet
  • Und wohl sich zeigt, wie hell auch jene glüht;
  • So wird der Glanz, der jetzt schon uns umwindet,
  • Dereinst besiegt von unsres Fleisches Schein,
  • Wenn Gott es seiner Grabeshaft entbindet.
  • Nicht wird uns dann so heller Glanz zur Pein;
  • Denn stark, um alle Wonnen zu genießen,
  • Wird jedes Werkzeug unsers Körpers sein."--
  • Und Amen riefen beide Chör’ und ließen
  • Durch Einklang wohl den Wunsch ersehn, den Drang,
  • Sich ihren Leibern wieder anzuschließen.
  • Und wohl für sich nicht nur, nein, zum Empfang
  • Der Väter, Mütter und der andern Teuern,
  • Die sie geliebt, eh’ sie die Flamm’ umschlang.
  • Und sieh, zum Glanz von diesen ew’gen Feuern
  • Kam gleiche Klarheit rings, wie wenn das Licht
  • Des Tags der Sonne goldne Pfeil’ erneuern.
  • Wie, wenn allmählich an der Abend bricht,
  • Am Himmel Punkte, klein und bleich, erglänzen,
  • So daß die Sach’ als wahr erscheint und nicht;
  • So glaubt’ ich jetzt in neuen Ringeltänzen
  • Noch zweifelnd, neue Wesen zu erspäh’n,
  • Weit außerhalb von jenen beiden Kränzen.
  • O wahrer Schimmer, angefacht vom Weh’n
  • Des Heil’gen Geist’s so plötzlich hell!--Geblendet
  • Könnt’ ihm mein Auge jetzt nicht widerstehn.
  • Doch als ich zu Beatrix mich gewendet,
  • War sie so lachend schön, so hochbeglückt,
  • Daß solches Bild kein irdisch Wort vollendet.
  • Da ward von neuer Kraft mein Aug’ entzückt;
  • Ich schlug es auf und sah mich schon nach oben
  • Mit ihr allein zu höherm Heil entrückt.
  • Wohl nahm ich wahr, ich sei emporgehoben.
  • Denn glühend lächelte der neue Stern
  • Und schien von ungewohntem Rot umwoben.
  • Von Herzen, in der Sprache, welche fern
  • Und nah gemeinsam ist den Völker Scharen,
  • Bracht’ ich Dankopfer dar dem höchsten Herrn.
  • Und lustentzündet könnt’ ich schon gewahren,
  • Eh’ ich die ganze Glut ihm dargebracht,
  • Daß angenehm dem Herrn die Opfer waren.
  • Denn Lichter, in des Glanzes höchster Macht,
  • Sah ich aus zweien Schimmerstreifen scheinen,
  • Und rief: O Gott, du Schöpfer solcher Pracht!--
  • So tut, besät mit Sternen, groߒ und kleinen, ’
  • Galassia zwischen Pol und Pol sich kund,
  • Von welcher dies und das die Weisen meinen,
  • Wie diese Streifen, bildend auf dem Grund
  • Des roten Mars das hochgeehrte Zeichen,
  • Gleich vier Quadranten, wohlgefügt im Rund.
  • Wohl muß die Kunst hier dem Gedächtnis weichen,
  • Denn von dem Kreuz hernieder blitzte Christus;
  • Wo gäb’s ein Bild, ihm würdig zu vergleichen?
  • Doch wer sein Kreuz nimmt, folgend seinem Christus,
  • Von ihm wird das, was ich verschwieg, verzieh’n,
  • Denn blitzen sieht auch er im Glanze Christus.
  • Von Arm zu Arm, vom Fuß zur Höh’ erschien
  • Bewegtes Licht, hier hell in Glanz entbrennend,
  • Weil sich’s verband, dort beim Vorüberzieh’n.
  • So sieht man wohl, hier träg bewegt, dort rennend,
  • Atome, hier g’rad’, dort krummgeschweift,
  • Und lang und kurz, sich einend und sich trennend,
  • Wirbelnd im Strahl, der durch den Schatten streift,
  • Nach dem, wenn heiß die Sonnengluten flirren,
  • Der Mensch mit Witz und Kunst begierig greift.--
  • Und wie harmonisch Laut’ und Harfe schwirren,
  • Sind nur die vielen Saiten rein gespannt,
  • Ob auch im Ohr die Töne sich verwirren;
  • So hört’ ich jetzt den Sang vom Kreuz und stand,
  • Als ob in Lust die Sinne sich verlören,
  • Obwohl ich von der Hymne nichts verstand.
  • Doch hohen Preis vernahm ich in den Chören,
  • Denn: Du erstehst und siegst!--erklang’s, und ich
  • Glich denen, welche nicht verstehn, doch hören.
  • Und so durchdrang hier süße Liebe mich,
  • Daß, welche holde Band’ auch mich umfingen,
  • Doch keins bis dahin diesem Bande glich.
  • Vielleicht scheint sich zu kühn mein Wort zu schwingen,
  • Nachsetzend selbst der schönen Augen paar,
  • Die jeden Wunsch in mir zur Ruhe bringen.
  • Doch nimmt man die lebend’gen Stempel wahr,
  • Die, höher, immer schöneres gestalten,
  • Und denkt, daß ich gewandt von jenen war,
  • So wird man drob mich für entschuldigt halten
  • Und sehn, daß ich vom Wahren nicht geirrt;
  • Doch dürft’ auch hier die heil’ge Wonne walten,
  • Die, wie man aufsteigt, immer reiner wird.
  • Fünfzehnter Gesang
  • Gewogner Will’, in welchem immer dir
  • Sich offen wird die echte Liebe zeigen,
  • Wie böser Wille kund wird durch Begier,
  • Gebot der süßen Leier Stilleschweigen
  • Und hielt im Schwung der heil’gen Saiten ein,
  • Die Gottes Rechte sinken macht und steigen.
  • Wie werden taub gerechter Bitte sein
  • Sie, die einhellig den Gesang itzt meiden,
  • Um Mut zur Bitte selbst mir zu verleih’n.
  • Oh, wohl verdienen ewiglich zu leiden
  • Die, weil die Lieb’ in ihrer Brust erwacht
  • Für Irdisches, sich jener Lieb’ entkleiden.
  • Wie durch die Heiterkeit der stillen Nacht
  • Oft Feuer läuft, vom Augenblick geboren,
  • Und des Beschauers Augen zücken macht,
  • Gleich einem Stern, der andern Platz erkoren,
  • Nur, daß an jenem Ort, wo er entbrannt,
  • Sich nichts verliert und er sich schnell verloren;
  • So sah ich aus dem Arm zur rechten Hand
  • Jetzt einen Stern zum Fuß des Kreuzes wallen,
  • Aus jenem Sternbild, das dort glänzend stand.
  • Die Perl’ war nicht aus ihrem Band gefallen;
  • Sie lief am lichten Streif dahin und war
  • Wie Feuer hinter glänzenden Kristallen.
  • So, redet unsre größte Muse wahr,
  • Stellt’ in Elysiums Hainen seinem Sprossen
  • Anchises sich mit frommer Liebe dar.
  • "O du, mein Blut, auf welches sich ergossen
  • Die Gnade hat, wem hat der höchste Hort
  • Zweimal, wie dir, des Himmels Tür erschlossen?"
  • Mir zog den Geist zum Lichte dieses Wort;
  • Drauf, als ich mich zu meiner Herrin wandte,
  • Ward mir Entzückung, Staunen, hier wie dort,
  • Weil ihr im Auge solch ein Lächeln brannte,
  • Daß, wie ich glaubte, meins den Grund darin
  • Von meinem Himmel, meiner Gnad’ erkannte.
  • Der Geist dann fügte Dinge zum Beginn,
  • Er, angenehm zu hören und zu sehen,
  • Die ich nicht faßte vor zu tiefem Sinn.
  • Doch wollt’ er nicht, ich soll’ ihn nicht verstehen;
  • Es mußte sein, weil Reden solcher Art
  • Weit übers Ziel der Menschenfassung gehen.
  • Doch als der Schwung, in dem sich offenbart
  • Der Liebe Glut, insoweit nachgelassen,
  • Daß jenes Ziel nicht überflogen ward,
  • Sprach er, was ich nun fähig war, zu fassen:
  • "Preis dir, Dreieiner, der du auf mein Blut
  • So reich an Gnade dich herabgelassen."
  • Und dann: "Der Sehnsucht lange, süße Glut.
  • Entflammt, da ich im großen Buch gelesen,
  • Das kund unwandelbar die Wahrheit tut,
  • Stillst du, mein Sohn, im Licht, aus dem mein Wesen
  • Jetzt freudig zu dir spricht; Dank ihr, die dich
  • Zum Flug beschwingt und dein Geleit gewesen!
  • Du glaubst, daß alles, was du denkst, in mich
  • Vom Urgedanken strömt; denn es entfalten
  • Die fünf und sechs ja aus der Einheit sich;
  • Drum fragst du nicht nach mir und meinem Walten,
  • Und weshalb höher meine Freude scheint
  • Als die der andern dieser Lichtgestalten.
  • Dein Glaub’ ist wahr, weil groß und klein vereint
  • In diesem Reich, nach jenem Spiegel blicken,
  • Wo, eh’ du denkest, der Gedank’ erscheint,
  • Doch, um die Lieb’, in die mit wachen Blicken
  • Ich ewig schau’, und die die Süßigkeit
  • Der Sehnsucht zeugt, vollkommner zu erquicken,
  • Erklinge sicher, kühn, voll Freudigkeit
  • Die Stimm’ in deinem Willen, deinem Sehnen,
  • Und die Entgegnung drauf ist schon bereit."
  • Ich sah auf sie, die, eh’ die Wort’ ertönen,
  • Mich schon versteht, und lächelnd im Gesicht,
  • Hieß sie mich frei des Willens Flügel dehnen.
  • Ich sprach: "Die Neigung und des Geistes Licht
  • Sind, seit die erste Gleichheit ihr ergründet,
  • Bei jeglichem von euch im Gleichgewicht,
  • Weil euch die Sonne, die euch hellt und zündet
  • Mit Licht und Glut, damit sogleich durchdringt,
  • Daß man, was sonst sich gleicht, hier ungleich findet.
  • Doch Will’ und Witz, wie sie der Mensch erringt,
  • Sie sind aus dem euch offenbaren Grunde
  • Mit sehr verschiedner Kraft zum Flug beschwingt.
  • Dies fühl’ ich Sterblicher in dieser Stunde,
  • Und danke deine Vaterliebe dir
  • Drum mit dem Herzen nur, nicht mit dem Munde.
  • O du lebendiger Topas, du Zier
  • Des edlen Kleinods, hell in Glanz entglommen,
  • Still’ itzt, dich nennend, meine Wißbegier!"
  • "Mein Sproß, längst froh erwartet, jetzt willkommen,
  • In mir sieh deine Wurzel!" So der Geist,
  • Und setzt’ hinzu, nachdem ich dies vernommen:
  • "Und er, nach welchem dein Geschlecht sich heißt,
  • Der hundert Jahr’ und mehr für stolzes Wesen
  • Des Berges ersten Vorsprung schon umkreist,
  • Er ist mein Sohn, dein Urgroßahn, gewesen,
  • Und dir geziemt’s, von solcher langen Pein
  • Durch gute Werk’ ihn schneller zu erlösen.
  • Florenz, im alten Umkreis, eng und klein,
  • Woher man jetzt noch Terzen hört und Nonen,
  • War damals friedlich, nüchtern, keusch und rein.
  • Nicht Kettchen hatt’ es damals noch, nicht Kronen,
  • Nicht reichgeputzte Frau’n--kein Gürtelband,
  • Das sehenswerter war als die Personen.
  • Bei der Geburt des Töchterleins empfand
  • Kein Vater Furcht, weil man zur Mitgift immer,
  • So wie zur Zeit, die rechten Maße fand.
  • Und öde, leere Häuser gab’s da nimmer;
  • Nicht zeigte dort noch ein Sardanapal,
  • Was man vermag in Üppigkeit der Zimmer.
  • Nicht übertroffen ward der Montemal
  • Von dem Uccellatojo noch im Prangen,
  • Und wie im Steigen, also einst im Fall.
  • Ich sah vom schlichten Ledergurt umfangen
  • Bellincion Berti noch und sah sein Weib
  • Vom Spiegel gehn mit ungeschminkten Wangen.
  • Ich sah ein unverbrämtes Wams am Leib
  • Des Nerli und des Vecchio--und den Frauen
  • War Spill’ und Rocken froher Zeitvertreib.
  • Glücksel’ge Fraun! In eurer Heimat Auen
  • War euch ein Grab gewiß--durch Frankreichs Schuld
  • War keiner noch das öde Bett zum Grauen.
  • Die, wach und emsig an der Wiege, lullt’
  • In jener Sprach’ ihr Kindlein ein, die jeden
  • Der Vater ist, entzückt in Süߒ und Huld.
  • Die, ziehend aus dem Rocken glatte Fäden,
  • Letzt’ ihrer Kinder Kreis von Römertat,
  • Von Troja, Fiesole mit klugen Reden.
  • Was ihr an einer Cianghella saht,
  • An Salterell, solch Wunder hätt’s gegeben,
  • Als itzt Cornelia gab’ und Cincinnat.
  • So ruhigem, so schönem Bürgerleben,
  • So treuer Bürgerschaft, so teurem Land,
  • Gab mich Maria, die mit Angst und Beben
  • Die Mutter anrief, als sie Weh’n empfand,
  • Und dort, in unserm Taufgebäu, dem alten,
  • Ward ich ein Christ und Cacciaguid genannt.
  • Zwei Brüder hatt’ ich, und zu treuem Walten
  • Im Haufe kam die Gattin mir vom Po,
  • Von der den zweiten Namen du erhalten.
  • Den Kaiser Konrad folgt’ und dient’ ich, so,
  • Daß er mich weihte zu des Ritters Ehren,
  • Und immer blieb ich seiner Gnade froh.
  • Mit ihm wollt’ ich des Greuels Reich zerstören,
  • Des Volk, durch eurer Hirten Fehler, sich
  • Der Länder anmaßt, die euch angehören.
  • Und dort, von jenem schnöden Volk, ward ich
  • Vom Trug der Welt entkettet und geschieden,
  • Der viele Herzen jeder Zeit beschlich,
  • Und kam vom Märtyrtum zu diesem Frieden.
  • Sechzehnter Gesang
  • O du geringer Adel unsers Bluts,
  • Kannst du hienieden uns zum Stolz verführen,
  • Wo wir noch fern vom Schau’n des wahren Guts.
  • So werd’ ich nimmer drob Verwundrung spüren;
  • Denn dort, wo falsche Lust uns nicht erreicht,
  • Fühlt’ ich darob in mir den Stolz sich rühren.
  • Du bist ein Mantel, der, sich kürzend, weicht,
  • Setzt man nicht Neues zu von Tag zu Tagen,
  • Weil rings die Zeit mit ihrer Schere schleicht--
  • Mit jenem ihr, das Rom zuerst ertragen,
  • Das jetzt die Römer minder brauchen, trat
  • Ich näher hin, beginnend neue prägen.
  • Beatrix drum, zur Seite stehend, tat,
  • Lächelnd, gleich jener, die beim ersten Fehle
  • Ginevrens, wie man schreibt, gehustet hat.
  • "Ihr seid mein Vater; Ihr erhebt die Seele,
  • Daß ich mehr bin als ich; Ihr gebt mir Mut
  • Mit Euch zu sprechen frei und sonder Hehle.
  • Mir strömt zur Brust vielfacher Wonne Flut,
  • Doch sie erträgt es, ohne zu zerspringen,
  • Weil süß das Herz in eigner Freude ruht.
  • Drum sprecht, mein Urahn, welche Vordern gingen
  • Euch noch voraus, und wie bezeichnet man
  • Die Jahre, die Euch hier itzt Früchte bringen?
  • Vom Schafstall sprecht des heiligen Johann;
  • Wie groß war er? Wer ist, den, hochzustehen
  • In jenem Volk, man würdig preisen kann?"
  • Gleichwie, belebt von frischen Windeswehen,
  • Die Kohl’ in Flammen glüht, so war das Licht
  • Bei meinem Liebeswort in Glanz zu sehen.
  • Und so verschont er jetzt sich dem Gesicht,
  • Wie seine Sprache sich dem Ohr verschönte;
  • Doch war’s nicht jene, die man jetzo spricht.
  • Er sprach: "Seitdem des Engels Ave tönte,
  • Bis meine Mutter, heilig itzt, in Qual
  • Sich meiner Last entledigend, erstöhnte,
  • Kam allbereits fünfhundertachtzigmal
  • Dies Feuer zu den Füßen seines Leuen,
  • Dort zu erneuern seinen Flammenstrahl.
  • Des ersten Lichts sollt’ ich am Ort mich freuen,
  • Den Vätern gleich, wo man das Sechsteil fand.
  • In dem sich eure Jahresläuf’ erneuen.
  • Und dies sei von den Ahnen dir bekannt;
  • Wer sie gewesen, und woher entsprossen,
  • Wird schicklicher verschwiegen als benannt.
  • Was da, von Mars und Täufer eingeschlossen,
  • Befähigt war, sich zum Gefecht zu reih’n,
  • Ein Fünfteil war’s der jetzigen Genossen.
  • Allein die Bürgerschaft, jetzt groß zum Schein,
  • Vermischt mit Campis und Certaldos Scharen,
  • War noch im letzten Handwerksmanne rein.
  • Wohl besser wären, die einst Nachbarn waren,
  • Es jetzo noch--wohl besser war’s, Galluzz
  • Und Trespian als Grenzen zu bewahren,
  • Als innerhalb der Bauern Stank und Schmutz
  • Von Aguglion und Signa zu ertragen,
  • Die listig schachern allem Recht zum Trutz.
  • Wenn sich, der gänzlich aus der Art geschlagen,
  • Am Kaiser nicht stiefväterlich verging,
  • Statt ihn am Herzen väterlich zu tragen,
  • War’ mancher Schachrer, den Florenz empfing,
  • Bereits zurückgekehrt nach Simifonte,
  • Wo sein Großvater schmählich betteln ging.
  • Wie Montemurlo Grafschaft bleiben konnte,
  • So wären noch die Cerchi in Acon,
  • Vielleicht in Valdigriev die Buondelmonte.
  • In Volksvermischung fand man immer schon
  • Den ersten Keim zu einer Stadt Verfalle,
  • Wie Speis auf Speisen unsern Leib bedroh’n.
  • Ein blinder Stier stürzt hin in jäherm Falle
  • Als blindes Lamm, und öfters ist ein Schwert
  • Mehr wert als fünf und schneidet mehr als alle.
  • Sieh Luni, Urbifaglia schon verheert,
  • Sieh Chiusi in derselben Not sich winden,
  • Die Sinigaglia, jenen gleich, erfährt;
  • Dann wirst du’s nicht mehr neu und schrecklich finden,
  • Hüllt Nacht des Todes die Geschlechter ein,
  • Da Städte selbst vom festen Grund verschwinden.
  • Was euer ist, das trägt, wie euer Sein,
  • Den Tod in sich; doch, was sich minder wandelt,
  • Verbirgt ihn euch, denn eure Zeit ist klein.
  • Und wie des Mondes Lauf den Strand verwandelt
  • Und ihn in Ebb’ und Flut entblößt und deckt,--
  • So ist’s, wie das Geschick Florenz behandelt.
  • Drum werde dir kein Staunen mehr erweckt,
  • Sprech’ ich von Edeln deiner Stadt, von ihnen,
  • Die in Vergessenheit die Zeit versteckt.
  • Die Ughi hob’ ich und die Catellinen
  • Der Greci und Ormanni Stamm gesehn,
  • Die selbst im Fall erhabne Bürger schienen.
  • Mocht’ alt, wie hoch, der von Sanella stehn,
  • Er mußte mit Soldanier, den von Arke
  • Und den Bostichi kläglich untergehn.
  • Am Tor, das jetzt an Hochverrat so starke
  • Belastung hat, daß in den Wogen bald
  • Versinken wird die überladne Barke,
  • Dort war der Ravignani Aufenthalt,
  • Das Stammhaus derer, so den Namen führen
  • Des Bellincion, der edel ist und alt.
  • Wohl wußte, wie sich’s zieme, zu regieren,
  • Der della Pressa--Galigajo nahm
  • Das Schwert, das goldnes Blatt und Knauf verzieren.
  • Groß war die graue Säul’ und wundersam,
  • Groß waren die Sachetti, die Barucci
  • Und die ein Scheffel jetzt durchglüht mit Scham.
  • Groß war vordem der Urstamm der Calfucci;
  • Zu jeglichem erhabnen Platz im Staat
  • Rief man die Sizii, die Arrigucci.
  • Wie groß war’t ihr! Allein des Stolzes Saat
  • Trug Untergang--wie blüht auf allen Ästen
  • So edler Stämme Mut und große Tat!
  • So waren deren Väter, die in Festen,
  • Wenn man den Sitz des Bischofs ledig sieht,
  • Im Konsistorium sich behaglich mästen.
  • Das prahlende Geschlecht, das dem, der flieht,
  • Zum Drachen wird, doch sanft wird, gleich dem Lamme,
  • Wenn man die Zahne weist, den Beutel zieht
  • Kam schon empor, allein aus niederm Stamme,
  • Drum zürnt’ Ubert dem Bellincion, daß er
  • Zu solcherlei Verwandtschaft ihn verdamme.
  • Von Fiesole kam Caponsacco her
  • Auf euren Markt und trieb in jenen Tagen,
  • Wie Infangato bürgerlich Verkehr.
  • Unglaubliches, doch Wahres werd’ ich sagen:
  • Ein Tor des Städtchens ließ man ungescheut
  • Den Namen des Geschlechts der Pera tragen.
  • Wen nur des schönen Wappens Schmuck erfreut,
  • Des großen Freiherrn, dessen Preis und Ehren
  • Alljährlich noch das Thomasfest erneut.
  • Ließ Ritterwürden sich von ihm gewähren,
  • Mag der auch, der’s mit goldner Zier umwand,
  • Jetzt im Vereine mit dem Volk verkehren.
  • Da hoch der Stamm der Gualterotti stand,
  • So würd’ in Kriegsnot Borgo minder beben,
  • Wenn er sich mit den Nachbarn nicht verband.
  • Das Haus, das euch zum Weinen Grund gegeben,
  • Da’s in gerechtem Grimm euch Tod gebracht
  • Und ganz beendigt euer heitres Leben,
  • Stand mit den Seinen fest in Ehr’ und Macht.
  • Buondelmont, was hattest du Verlangen
  • Nach andrer Braut? Was fremden Antriebs acht?
  • Wohl viele würden froh sein, die jetzt bangen,
  • Wenn Gott der Ema dich vermählt, als du
  • Zum ersten Male nach der Stadt gegangen.
  • Doch wohl stand dieser Stadt das Opfer zu,
  • Das sie der Brückenwacht, dem wüsten Steine,
  • Mit Blut gebracht in ihrer letzten Ruh’.
  • Mit diesen und mit andern im Vereine
  • Sah ich Florenz des süßen Friedens wert,
  • Indem’s nie Ursach’ fand, weshalb es weine.
  • Mit diesem sah ich hoch sein Volk geehrt,
  • Gerecht und treu, in ruhig stiller Haltung,
  • Und nie am Speer die Lilie umgekehrt’
  • Und nimmer rotgefärbt durch innre Spaltung.
  • Siebzehnter Gesang
  • Wie der, der Väter karg gemacht den Söhnen,
  • An Climene um Kunde sich gewandt
  • Von dem, was man gejagt, ihn zu verhöhnen;
  • So war ich jetzt in mir, und so empfand
  • Beatrix mich und er, des Liebesregung
  • Vom Flammenkreuz ihn zu mir hergebannt.
  • Drum sie: "Folg’ itzt der inneren Bewegung
  • Und laß den Wunsch hervor, nur sei er rein
  • Bezeichnet durch des innern Stempels Prägung.
  • Er soll nicht größre Kenntnis uns verleih’n,
  • Doch mutig sollst du deinen Durst bekennen,
  • Als ob ein Mensch ihn stillen sollt’ in Wein."
  • "O teurer Ahn, hochragend im Erkennen,
  • Gleich wie der Mensch sieht, daß im Dreieck nicht
  • Zwei stumpfe Winkel sich gestalten können,
  • So siehst du, was da sein wird, das Gesicht
  • Dem Spiegel zugewandt, der alle Zeiten
  • Als Gegenwart dir zeigt im klaren Licht.
  • Als noch Virgil bestimmt war, mich zu leiten,
  • Um auf den Berg, der unsre Seelen heilt,
  • Und zu der toten Welt hinabzuschreiten,
  • Ward von der Zukunft Kunde mir erteilt,
  • Die hart ist, mag ich auch als Turm mich fühlen,
  • Der trotzend steht, wenn ihn der Sturm umheult.
  • Drum wüßt’ ich gern, um meinen Wunsch zu kühlen,
  • Welch ein Geschick mir naht. Vorausgeschaut,
  • Scheint minder tief ein Pfeil sich einzuwühlen."
  • Ich sprach’s zum Licht, das mir mit süßem Laut
  • Gesprochen hatt’, und hatt’ ihm nun vollkommen,
  • Nach meiner Herrin Wink, den Wunsch vertraut.
  • In Rätseln nicht, wie man sie einst vernommen,
  • Bestimmt, ein Netz für Torenwahn zu sein,
  • Eh’ Gottes Lamm die Sünd’ auf sich genommen,
  • In klarem Wort und bündigem Latein,
  • Antwortete mir jene Vaterliebe
  • Verschlossen in der eignen Wonne Schein:
  • "Der Zufall, Werk allein der Erdentriebe,
  • Malt sich im ew’gen Blick, wie vorbestimmt,
  • Und keiner ist, der ihm verborgen bliebe,
  • Obwohl er euch die Freiheit nicht benimmt
  • So wenig, als das Aug’ ein Schifflein leitet,
  • Das drin sich spiegelt, wenn’s stromunter schwimmt.
  • Wie Orgelharmonie zum Ohre gleitet,
  • So kann mein Aug’ im ew’gen Blicke sehn,
  • Welch ein Geschick die Zukunft dir bereitet.
  • Wie Hippolyt, vertrieben aus Athen
  • Von der Stiefmutter treulos argen Ränken,
  • So mußt du aus dem Vaterlande gehn.
  • Dies wollen sie, dies ist’s, worauf sie denken;
  • Und wo man Christum frech zu Markte trägt,
  • Dort wird zur Tat, was nottut, dich zu kränken.
  • Und dem verletzten Teil folgt, wie er pflegt,
  • Der Ruf der Schuld--allein die Wahrheit künden
  • Wird Gottes Rache, die den Argen schlägt.
  • Du wirst dich allem, was du liebst, entwinden
  • Und wirst, wenn dies dir bittern Schmerz erweckt,
  • Darin den ersten Pfeil des Banns empfinden.
  • Wie fremdes Brot gar scharf versalzen schmeckt,
  • Wie hart es ist, zu steigen fremde Stiegen,
  • Wird dann durch die Erfahrung dir entdeckt.
  • Doch wird so schwer nichts seinen Rücken biegen,
  • Als die Gesellschaft jener schlechten Schar,
  • Mit welcher du dem Bann wirst unterliegen.
  • Ganz toll und ganz verrucht und undankbar
  • Bekämpft sie dich; doch zeiget bald, zerschlagen,
  • Ihr Kopf, nicht deiner, wer im Rechte war.
  • Wie dumm sie ist, das wird ihr Tun besagen;
  • Und daß du für dich selbst Partei gemacht,
  • Wird dir erwünschte, schöne Früchte tragen.
  • Die erste Zuflucht in der harten Acht
  • Wird dir der herrliche Lombard gewähren,
  • Den heil’ger Aar und Leiter kenntlich macht.
  • Zwischen euch wird von Geben und Begehren
  • Das, was sonst später kommt, das erste sein,
  • So sorgsam wird auf dich sein Blick sich kehren.
  • Dort siehst du ihn, dem dieses Sternes Schein
  • Bei der Geburt im hellsten Licht entglommen,
  • Ihm das Gepräg’ zu hoher Tat zu leih’n.
  • Und hat die Welt noch nichts davon vernommen,
  • So ist’s, weil eben erst zum neuntenmal
  • Die Sonn’ um ihm den Zirkellauf genommen.
  • Doch glänzt er, ungerührt durch Gold und Quäl,
  • Bevor sich des Gascogners Tücken zeigen
  • Bei Heinrichs Zug, in heller Tugend Strahl.
  • Hochherrlich wird sein Ruhm zum Himmel steigen;
  • Der Feind selbst kann, obwohl voll Ungeduld
  • Bei seiner Taten Lob, es nicht verschweigen.
  • Gewärtig sei denn sein und seiner Huld;
  • Aus Armen macht er Reich’ und Arm’ aus Reichen,
  • Hebt arme Tugend, stürzt die reiche Schuld.
  • Laß nicht dies Wort aus dem Gedächtnis weichen,
  • Doch sage nichts!" Dann sagt’ er Dinge mir,
  • Die dem selbst, der sie sah, noch Wundern gleichen.
  • "Sohn," also sprach er weiter, "siehe hier,
  • Zu dem, was dir verkündet ward, die Glossen.
  • Schon droht man aus dem Hinterhalte dir.
  • Doch nicht beneide deine Landsgenossen,
  • Denn lang, bevor du sinkst ins dunkle Grab,
  • Ist dem Verrat gerechte Rach’ entsprossen."
  • Hier brach die heil’ge Seel’ ihr Reden ab
  • Und hatte das Gewebe ganz vollendet,
  • Wozu ich fragend ihr den Aufzug gab.
  • Und wie man zweifelnd sich an jemand wendet,
  • Der innig liebt und Rechtes will und sieht,
  • Nach gutem Rat--so ich, als er geendet:
  • "Ich seh’s, wie rasch heran die Stunde zieht,
  • Um gegen mich den scharfen Pfeil zu kehren,
  • Der schwerer trifft, wen die Besinnung flieht.
  • Drum muß ich wohl mit Vorsicht mich bewehren,
  • Um fern dem Ort, der, was ich lieb’, enthält,
  • Nicht durch mein Lied der Zuflucht zu entbehren.
  • Denn reifend durch die endlos bittre Welt,
  • Dann auf die Höh’, wo mich vom Angesichte
  • Der Herrin Licht zum höhern Flug erhellt,
  • Dann durch den Himmel selbst von Licht zu Lichte,
  • Erfuhr ich, was wohl manchen brennt und beißt
  • Durch ätzenden Geschmack, wenn ich’s berichte.
  • Und zagt, der Wahrheit feiger Freund, mein Geist,
  • Dann, fürcht’ ich, bin ich tot bei jenen allen,
  • Bei welchen diese Zeit die alte heißt."
  • Und neuen Glanz sah ich dem Licht entwallen,
  • Das Strahlen, wie ein goldner Spiegel, warf,
  • Auf den der Sonne Feuerblicke fallen.
  • "Wer rein nicht sein Gewissen nennen darf,"
  • Sprach er, "wen eigne Schmach, wen fremde drücket,
  • Dem schmeckt wohl deine Rede streng und scharf.
  • Dennoch verkünde ganz und unzerstücket
  • Was du gesehn, von jeder Lüge frei
  • Und laß nur den sich kratzen, den es jücket.
  • Ob schwer dein Werk beim ersten Kosten sei,
  • Doch Nahrung hinterläßt’s zu kräft’germ Leben,
  • Ist des Gerichts Verdauung erst vorbei.
  • Dein Laut wird sich, dem Sturme gleich, erheben,
  • Der hohe Gipfel stärker schüttelnd faßt,
  • Und dies wird Grund zu größrer Ehre geben.
  • Drum sind berühmte Seelen alle fast,
  • Die du im dunkeln, wehevollen Schlunde
  • Und auf dem Berg und hier gesehen hast.
  • Denn niemand traut beruhigt einer Kunde,
  • Verbirgt das Bild, das sie vor Augen stellt,
  • Die Wurzel tief im unbekannten Grunde,
  • Und nur was schimmert überzeugt die Welt."
  • Achtzehnter Gesang
  • Schon freute sich der sel’ge Geist alleine
  • An seinem Wort. und ich, mit Süßigkeit
  • Das Bittre mäßigend, genoß das meine.
  • Und jene Frau, zum Höchsten mein Geleit,
  • Sprach: "Wechsle die Gedanken--denk’, ich wohne
  • Dem nah, der mildert unverdientes Leid."
  • Ich, hingewandt zum süßen Liebestone,
  • Konnt’ in den heil’gen Augen Liebe schau’n,
  • Die ich nicht sing’ in dieser niedern Zone.
  • Denn nicht der Sprache nur muß ich mißtrau’n;
  • Selbst das Gedächtnis kehrt nicht, ungetragen
  • Vom Flug der Gnade, zu den sel’gen Au’n.
  • Ich kann von jenem Augenblick nur sagen:
  • Ich fühlte jeden Wunsch der Brust entflieh’n,
  • Als ich den Blick zur Herrin aufgeschlagen,
  • Bis, die nun selbst aus ihrem Auge schien,
  • Die ew’ge Luft, vom schönen Angesichte
  • Im zweiten Anblick G’nüge mir verlieh’n,
  • Besiegend mich mit eines Lächelns Lichte.
  • "Nicht mir im Aug’ allein ist Paradies."
  • Sie sprach’s. "Horch auf! Dorthin die Augen richte!"
  • Wie Lieb’ auf Erden wohl sich mir erwies,
  • Die lächelnd glänzt’ auf eines Freundes Zügen,
  • Der seine Seele ganz ihr überließ,
  • So zeigt’ in Glanz und wonnigem Vergnügen
  • Des Urahns Geist die liebende Begier,
  • Mir noch durch ein’ge Reden zu genügen:
  • "In dieses Baumes fünfter Stufe hier,
  • Der von dem Gipfel Nahrung zieht und Leben,
  • Stets reich an Frucht und frischer Blätter Zier,
  • Sind Sel’ge, die, eh’ sie emporzuschweben
  • Der Himmel rief, in eurem Erdental
  • Durch Ruhm der Muse reichen Stoff gegeben.
  • Sieh auf die Arme hin am Kreuzesmal,
  • Und zeigen wird sich jeder, den ich nannte,
  • Wie in der Wolk’ ihr schneller Feuerstrahl.
  • Und sieh, ein Licht, gleich schnellem Blitz, entbrannte,
  • Beim Namen Josua--so daß ich Wort
  • Und Tat in einem Augenblick erkannte.
  • Den Makkabäus nannt’ er dann, und dort
  • War kreisend Feuer glänzend vorgedrungen,
  • Und Freude trieb den heil’gen Kreisel fort.
  • Als Karl der Groߒ und Roland dann erklungen,
  • Folgt’ ich so aufmerksam dem Glanz, als man
  • Dem Falken folgt, der sich emporgeschwungen.
  • Wilhelm zog meinen Blick zum Kreuz hinan,
  • Und Rinoard, bei ihres Namens Klange.
  • Auch Herzog Gottfried, Robert Guiscard dann.
  • Drauf mischte sich dem schimmernden Gedrange
  • Die Seele, die erst sprach, als Meisterin
  • Sich zeigend in dem himmlischen Gesange.
  • Ich kehrte mich zur rechten Seite hin,
  • Um in Beatrix; meine Pflicht zu lesen,
  • In Wink und Wort der heil’gen Führerin,
  • Und sah so rein ihr Aug’, ihr ganzes Wesen
  • So hold, daß, was ich hab an Himmelsluft,
  • Sie übertraf, ja, was sie je gewesen.
  • Und, wie des guten Wirkens sich bewußt,
  • In größrer Wonne man von Tag zu Tagen
  • Der Tugend Wachstum merkt in eigner Brust;
  • So merkt’ ich jetzt, vom Himmel fortgetragen
  • In seinem Schwung, gewachsen sei der Kreis,
  • Sobald ich sah dies schönre Wunder tagen.
  • Und wie das Rot der Scham, die glühend heiß
  • Gefärbet hat der zarten Jungfrau Wangen,
  • Bald wieder schwindet vor dem lautern Weiß;
  • So, nach dem roten Licht, das mich umfangen,
  • Sah ich mich in den Silberglanz entrückt
  • Des sechsten Sterns, der mich in sich empfangen.
  • Und in dem Stern des Zeus, den Freude schmückt,
  • War frohes Liebesfunkeln zu gewahren,
  • Durch unsrer Sprache Zeichen ausgedrückt.
  • Wie Vögel, die empor vom Strande fahren,
  • Gemeinsam neuer Weide froh, sich bald
  • In runden, bald in langen Haufen scharen;
  • So flatterten, von Himmelslicht umwallt,
  • In Sängen Sel’ge hin, im Fluge zeigend
  • Des D und dann des I und L Gestalt,
  • Im Sang, erst bald gesenkt, bald wieder steigend,
  • Und war die Ordnung diesen Zeichen gleich,
  • Einhaltend in des Fluges Schwung und schweigend.
  • Kalliope, die du die Geister reich
  • An Ruhme machst, sie ewig zu erhalten,
  • Die du erhältst mit ihnen Stadt und Reich,
  • Erleuchte mich, damit ich die Gestalten
  • Getreu beschreibe, jetzt mit deinem Strahl;
  • Laß deine Kraft in kurzen Reimen walten!--
  • Vokal’ und Konsonanten--siebenmal
  • Fünf waren’s, die mein Auge dort ergötzten,
  • Auch merkt’ ich wohl die Ordnung dieser Zahl.
  • Diligite iustitiam--So setzten
  • Erst Haupt’ und Zeitwort sich; dann sieh sofort:
  • Qui iudicatis terram--als die letzten.
  • Und alles blieb beim M im fünften Wort
  • Geordnet stehn, hiermit das Werk vollbringend.
  • So stand die Schrift wie Gold in Silber dort.
  • Ich sah viel andres Licht, sich niederschwingend
  • Zum Haupt des M, dort still und unbewegt,
  • Vom Gut, so schien es, das sie anzieht, singend.
  • Dann, wie wenn man mit Feuerbränden schlägt,
  • Draus unzählbare Funken sprühend flammen,
  • Woraus die Torheit wahrzusagen pflegt;
  • So hoben dort sich mehr als tausend Flammen,
  • Und die stieg mehr, und minder die empor,
  • Wie sie die Sonne trieb, aus der sie stammen.
  • Als jed’ an ihrer Stelle war, verlor
  • Sich das Gewühl--da trat in Flammenzügen
  • Der Kopf und Hals von einem Adler vor.
  • Der dorten malt, weiß selbst sich zu genügen;
  • Er, ungeleitet, lenkt des Künstlers Hand,
  • Damit der Form sich die Gebilde fügen.
  • Die sel’ge Schar, die dort zufrieden stand,
  • Das M bekrönend mit dem Lilienkranze,
  • Vollendete das Bild jetzt, leicht gewandt.
  • So sah ich, schöner Stern, der Himmel pflanze
  • In uns die Keime der Gerechtigkeit,
  • Der Himmel, den du schmückst mit deinem Glanze.
  • Zum Geist, der Kraft dir und Bewegung leiht,
  • Fleh’ ich, nach jenem Rauche hinzuschauen,
  • Der deinen Strahl verdunkelt und entweiht.
  • Sein Zorn mach’ einmal noch dem Volke Grauen,
  • Das in dem Tempel schachert und verkehrt,
  • Den er aus Wundern ließ und Martern bauen.
  • Himmelskriegerschar, dort hellverklärt,
  • Bitte für die, so noch der Leib umschlossen,
  • Die schlechtes Beispiel falsche Wege lehrt.
  • Einst kriegte man mit Schwertern und Geschossen,
  • Doch jetzt, das Brot wegnehmend dort und hie,
  • Das unser frommer Vater nie verschlossen.
  • Du, der du schreibst, um auszustreichen, sie:
  • Für jenen Weinberg, welchen du verdorben,
  • Starb Paul und Petrus, doch noch leben sie.
  • Du aber denkst: Hab’ ich nur den erworben,
  • Der in die Einsamkeit der Wüst’ entrann,
  • Und der zum Lohn für einen Tanz gestorben,
  • Was kümmern Paulus mich und Petrus dann?
  • Neunzehnter Gesang
  • Vor mir erschien mit offnem Flügelpaar
  • Das schöne Bild, wo, selig im Vereine,
  • Der Geister lichter Kranz verflochten war.
  • Jedweder war wie ein Rubin, vom Scheine
  • Der Sonne so in Licht und Glut entbrannt,
  • Als ob sie selbst mir in die Augen Scheine.
  • Der Schilderung, zu der ich mich gewandt,
  • Wie kann die Sprache sie, die Feder wagen,
  • Da Phantasie dergleichen nie erkannt?--
  • Ich sah den Aar und hört’ ihn Worte sagen,
  • Und in der Stimm’ erklangen Ich und Mein,
  • Als Wir und Unser ihm im Sinne lagen:
  • Er sprach: "Für frommes und gerechtes Sein
  • Sollt’ ich zu dieser Glorie mich erheben,
  • Die jeden Wunsch uns zeigt als arm und klein.
  • Und solch Gedächtnis ließ ich dort im Leben,
  • Daß es für rühmlich selbst den Bösen gilt,
  • Die nicht auf meiner Spur zu wandeln streben."
  • Wie vielen Kohlen eine Glut entquillt,
  • So tönte jetzt von vielen Liebesgluten
  • Ein einz’ger Ton mir zu aus jenem Bild.
  • "Ihr ew’ge Blüten des endlosen Guten,"
  • Begann ich, "die ihr mir als einen jetzt
  • Laßt eure Wohlgerüch’ entgegenfluten,
  • Ich bitt’ euch nun, mit eurem Hauch ergetzt
  • Mich Hungrigen und reicht mir jene Speise,
  • Mit welcher mich die Erde nie geletzt.
  • Wohl weiß ich, spiegelt sich in anderm Kreise
  • Des Himmels ab des Herrn Gerechtigkeit,
  • Daß sie sich euch nicht unterm Schleier weise.
  • Ihr wißt, zum Hören bin ich schon bereit,
  • Auch wißt ihr, welch ein Zweifel mich befangen,
  • Der unbefriedigt ist seit langer Zeit."
  • Gleichwie ein edler Falk, der Kapp’ entgangen,
  • Das Haupt bewegt, sich schön und freudig macht,
  • Stolz mit den Flügeln schlägt und zeigt Verlangen,
  • So machte sich des hohen Zeichens pracht,
  • Das Gottes Gnade laut dem All verkündet,
  • Mit Sang, wie der nur hört, der dort erwacht.
  • Und es begann: "Er, der die Welt gerundet
  • Und sie begrenzt, hat viel Geheimes drin
  • Und Offenbares viel darin begründet;
  • Doch hat er seine Kraft vom Anbeginn
  • Nicht völlig ausgeprägt im Weltenaue,
  • Denn endlos überragt’s sein hoher Sinn.
  • Der erste Stolze, welcher höh’r als alle
  • Geschöpfe stand, sank drum im frevlen Zwist,
  • Des Lichts nicht harrend, früh in jähem Falle.
  • Denn jegliches der kleinern Wesen ist
  • Zu eng, um jenes Gut darein zu bringen,
  • Das, endlos, sich nur mit sich selber mißt,
  • Drum kann so weit der Menschenblick nicht dringen,
  • Er, nur ein Strahl von jenes Geistes Schein,
  • Der Urstoff ist und Grund von allen Dingen,
  • Kann nie durch eigne Kraft so mächtig sein,
  • Um Seinen Ursprung deutlich zu ersehen,
  • Denn Nebel hüllt für ihn so Tiefes ein;
  • Drob zu der Urgerechtigkeit das Spähen
  • Des Menschenblicks sich nur so weit erstreckt,
  • Als in den Grund des Meers die Augen gelten.
  • Leicht wird der Grund am Strand vom Aug’ entdeckt,
  • Doch nie im Meer, wie sehr sich’s müh’ und übe;
  • Grund ist dort, doch zu tief und drum versteckt.
  • Nur aus der Heiterkeit, die nimmer trübe,
  • Kommt Licht--all andres ist nur Dunkelheit,
  • Ist Schatten oder Gift der Fleischestriebe.
  • Sieh das Versteck, das die Gerechtigkeit
  • Dir lang verhehlt, jetzt offen dem Verstande,
  • Und ruh’n wird nun in dir der Zweifel Streit.
  • Erzeugt wird jemand an des Indus Strande,
  • So sprachst du, doch wer spricht von Jesus Christ,
  • Wer liest und schreibt von ihm in jenem Lande?
  • Wenn er, soweit es die Vernunft ermißt,
  • In Tat und Willen rein und unverdorben
  • Und ohne Sünd’ in Wort und Leben ist
  • Und er ungläubig, ungetauft gestorben,
  • Wo ist dann wohl ein Recht, dem er verfällt?
  • Wo Schuld, daß er den Glauben nicht erworben?--
  • Und wer bist du, der sich so hoch gestellt,
  • Um, richtend, tausend Meilen weit zu springen,
  • Da eine Spanne kaum dein Blick enthält?
  • Gewiß, daß die mir nach im Forschen ringen,
  • War’ über euch nicht Gottes heil’ges Wort,
  • Zum Zweifel und Erstaunen Grund empfingen.
  • O Tier aus Erd’! Ihrr groben Geister dort!
  • Der erste Wille, gut von selber, gehet
  • Nie aus sich selbst, dem höchsten Gute, fort.
  • Gerecht ist, was mit ihm in Einklang stehet.
  • Ihn kann nicht anzieh’n ein erschaffnes Gut,
  • Das nur aus seiner Strahlenfüll’ entstehet."--
  • Wie über ihrem Nest die Störchin tut,
  • Wenn sie die Brut gespeist, im Kreise schwebend,
  • Und wie nach ihr hinschaut die satte Brut;
  • So tat--und so auch ich, das Aug’ erhebend--
  • Das heil’ge Bild, das seine Flügel Schwang,
  • Den Willen kund der freud’gen Scharen gebend,
  • Indem’s, im Kreis sich schwingend, also sang:
  • "So wie du nicht verstehst, was ich verkündet,
  • So kennt ihr nicht des ew’gen Urteils Gang."
  • Dann, noch im Zeichen, das den Ruhm begründet
  • Der Römer hat, stand still die sel’ge Schar,
  • Von lichter Glut des Heil’gen Geists entzündet.
  • "In dieses Reich", begann aufs neu’ der Aar,
  • "Stieg keiner je, der nicht geglaubt an Christus,
  • Vor oder nach, als er gekreuzigt war.
  • Doch siehe, viele rufen: Christus! Christus!
  • Und stehn ihm ferner einst beim Weltgericht
  • Als jene, welche nichts gewußt von Christus.
  • Das Strafurteil für solche Christen Spricht
  • Der Heid’ einst aus, wenn sich die Scharen trennen,
  • Die zu der ew’gen Nacht und die zum Licht.
  • Wie wird ein Perser eure Fürsten nennen,
  • Zeigt ihm sich aufgeschlagen jenes Buch,
  • In dem er ihre Schmach wird lesen können?
  • Die Tat des Albrecht wird mit hartem Spruch
  • Er in dem Buch dann eingetragen sehen,
  • Ob der ihn trifft, des Böhmerreiches Fluch.
  • Auch Frankreichs Schmerz wird aufgezeichnet stehen,
  • In den es durch den Münzverfälscher fällt,
  • Der durch des Ebers Stoß wird untergehen.
  • Dort steht der Stolz, der Durst nach Land und Geld,
  • Drob Schott’ und Engelländer tun gleich Tollen,
  • Und keiner sich in seiner Grenze hält.
  • Dort wird die Üppigkeit sich zeigen sollen
  • Des Spaniers und des Böhmen, welcher nie
  • Die Trefflichkeit gekannt, noch kennen wollen.
  • Dort, Lahmer von Jerusalem, dort sieh
  • Mit einem M bezeichnet deine Sünden,
  • Und deine Tugenden mit einem I.
  • Dort wird sich auch der niedre Geiz verkünden
  • Des, der dort herrschet, wo Anchises ruht
  • Nach langer Fahrt, bei Ätnas Feuerschlünden.
  • Und wie gering er ist an Kraft und Mut,
  • Das wird die abgekürzte Schrift bezeugen,
  • Die vieles kund auf engem Raums tut.
  • Auch wird das schmutz’ge Tun des Ohms sich zeigen,
  • Und das des Bruders kund sein überall,
  • Die mit dem edlen Stamm zwei Kronen beugen.
  • Auch den von Norweg, den von Portugal
  • Und den von Rascia wird man unterscheiden,
  • Der Schuld ist an Venedigs Münzverfall.
  • Mög’ Ungarn fernerhin nicht Unbill leiden!
  • Navarra, es verteidige getrost
  • Die Bergesreih’n, die es von Frankreich scheiden!
  • Und Nicosia ist und Famagost,
  • Vorläufig und als Angeld, sehr mit Fuge,
  • Wie jeder zugibt, auf ihr Vieh erbost,
  • Das mit dem andern geht in gleichem Zuge."
  • Zwanzigster Gesang
  • Wenn sie, die hell die ganze Welt verklärt,
  • Von unsrer Hemisphär’ herabgeschwommen
  • Und rings der Tag ersterbend sich verzeiht,
  • Dann zeigt der Himmel, erst von ihr entglommen,
  • Von ihr allein, viel Sterne rings im Rund,
  • Die all ihr Licht von einem Licht entnommen.
  • Dies war’s, was jetzt vor meiner Seele stund,
  • Als unsrer Welt und ihrer Herrscher Zeichen
  • Stillschweigen ließ den benedeiten Mund.
  • Denn alle Lichter, jene wonnereichen,
  • Erglänzten mehr im Sang, an dessen Macht
  • Nicht irdischer Erinnrung Schwingen reichen.
  • O Lieb’, umkleidet mit des Lächelns Pracht,
  • Wie sah ich Glanz dich in die Funken gießen,
  • Die heil’ger Sinn allein dort angefacht!
  • Dann, als die Edelsteine, die mit süßen
  • Lichtstrahlen hold das sechste Licht erhöh’n,
  • Die Engelsglocken wieder schweigen ließen,
  • Schien mir’s, es zeig’ in murmelndem Getön
  • Ein Fluß, von Fels zu Felsen niederfallend,
  • Wie reich sein Quell entstand auf Bergeshöh’n.
  • Und wie ein Ton, aus reiner Laute schallend,
  • An ihrem Hals sich formt und wie der Wind
  • Durchs Mundloch eindringt, die Schalmei durchhallend;
  • So hatte jener Murmelton geschwind
  • Sich bis zum Hals des Adlers aufgeschwungen
  • Und drang, wie aus der Kehle, süß und lind
  • Und ward zur Stimm’, und, dort hervorgedrungen,
  • Ward er gebildet zum erwünschten Wort,
  • Und wohl behält mein Herz, was mir erklungen.
  • "Den Teil in mir, der bei den Adlern dort
  • Die Sonne sieht und trägt, schau’ an!" so hoben
  • Die Wort’ itzt an und fuhren weiter fort:
  • "Denn von den Feuern, die mein Bild gewoben,
  • Stehn, die hier glänzen an des Auges Statt,
  • In allen Würden vor den andern oben.
  • Der, so den Platz des Augenapfels hat,
  • Des Heil’gen Geistes Sänger war’s und brachte
  • Die Bundeslade fort von Stadt zu Stadt.
  • Wie der, der ihn begeistert, seiner achte
  • Und seines Sangs, das kann er jetzo sehn,
  • Da er dem Wert gleich die Belohnung machte.
  • Von fünf, die um mein Aug’ als Braue stehn,
  • Sieh nächst dem Schnabel den, der eh’mals Weile
  • Dem Heer gebot auf einer Witwe Fleh’n.
  • Wie, wer nicht Christo folgt zu seinem Heile,
  • Dies teuer büßt, das hat er nun erkannt
  • In dieser Wonn’ und in dem Gegenteile.
  • Der Nächst’ im Kreise, der mein Aug’ umspannt,
  • Ist jener, der den Tod auf fünfzehn Jahre
  • Durch wahre Reue von sich abgewandt.
  • Jetzt sieht er ein, der Herr, der ewig Wahre,
  • Bleib’ ewig wahr, obwohl sein Urteil sich
  • Auf würd’ges Fleh’n von heut auf morgen spare.
  • Der nachfolgt, führte das Gesetz und mich,
  • Durch guten Sinn zu schlimmem Tun bewogen,
  • Nach Griechenland, weil er dem Hirten wich.
  • Jetzt sieht er, daß, vom Guten abgezogen,
  • Das Übel, das in Trümmern euch begräbt,
  • Ihm dennoch nichts von seiner Wonn’ entzogen.
  • Sieh Wilhelm, wo der Bogen abwärts strebt,
  • Ob dessen Tod des Landes Bürger weinen,
  • Das weint, weil Karl und Friederich gelebt.
  • Jetzt sieht er, Gott liebt zärtlich, als die Seinen,
  • Gerechte Fürsten, und, in Glanz erhellt,
  • Läßt er dies hier in frohem Blitz erscheinen.
  • Wer glaubt’ es in der wahnbefangnen Welt,
  • Daß Ripheus, den Trojaner, hier im Runde
  • Des fünften Lichtes heil’ger Glanz enthält?
  • Jetzt hat er wohl von Gottes Gnade Kunde
  • Und siehet mehr, als eurer Welt sich zeigt,
  • Dringt auch sein Blick nicht bis zum tiefsten Grunde."
  • Wie in die Luft die kleine Lerche steigt,
  • Erst singend flattert, aber dann, zufrieden,
  • Vom letzten süßen Ton gesättigt, schweigt;
  • So schien mir jenes Bild, durch das hienieden
  • Des Höchsten ew’ger Wille zu uns spricht,
  • Der jedem Ding das, was es ist, beschieden.
  • Und barg ich auch den Zweifel minder dicht,
  • Als Glas die Farbe, litt er doch mein Schweigen,
  • Und längres Harren auf Verkündung nicht.
  • Er zwang dies Wort, dem Munde zu entsteigen:
  • "Was sah ich dort!" durch seines Dranges Macht,
  • Denn Freudenfunkeln sah ich dort sich zeigen.
  • Im Auge hellre Gluten angefacht,
  • Sprach drauf der Adler, um mich aufzuregen,
  • Den Staunen fesselte bei solcher Pracht:
  • "Ich sah, du glaubest dies, doch nur deswegen,
  • Weil ich’s gesagt, und siehest nicht das Wie?
  • Wie wir Verborgenes zu glauben pflegen,
  • Wie man der Sache Namen lernt, doch sie
  • Nicht kann nach ihrem Wesen unterscheiden,
  • Wenn nicht ein anderer uns Licht verlieh.
  • Das Reich der Himmel muß Gewalt erleiden,
  • Wenn Kraft der Lieb’ und Hoffnung es bekriegt,
  • Denn Gottes Wille wird besiegt von beiden;
  • Nicht wie ein Mensch dem Stärkern unterliegt;
  • Nein, er siegt, denn er will sich ja ergeben.
  • Drob er, besiegt durch seine Güte, siegt.
  • Du staunst beim ersten und beim fünften Leben
  • In meiner Brau’ und nennst es wunderbar,
  • Daß beide hier in hellem Glanze schweben.
  • Als Christen, nicht als Heiden, starb dies Paar.
  • Der glaubt’ ans Leiden, das schon eingetroffen,
  • Der zweit’ an das, das noch zu dulden war.
  • Der ist vom Höllenschlund, der nimmer offen
  • Zur Rückkehr war, zum Leib zurückgekehrt,
  • Und dies verdankt er nur lebend’gem Hoffen;
  • Lebend’gem Hoffen, das von Gott begehrt,
  • Ihn zu befreien aus des Todes Banden,
  • Damit er lebe, wie das Wort gelehrt.
  • Und die ruhmwürd’ge Seele kehrt’ erstanden
  • Auf kurze Zeit zum Leib und glaubt’ an ihn,
  • Des Allmacht auf ihr Fleh’n ihr beigestanden.
  • Und fühlte, glaubend, sich so hell erglüh’n
  • In wahrer Liebe, daß sie dieser Wonnen
  • Bei ihrem zweiten Tode wert erschien.
  • Der zweit’, aus Gnade, die so tiefem Bronnen
  • Entquollen ist, daß nie die Kreatur
  • Die Quell’ erspähen kann, wo er begonnen,
  • Weiht’ all sein Lieben einst dem Rechte nur,
  • Drum hob ihn Gott empor zu Gnad’ und Gnaden
  • Und zeigt’ ihm künftiger Erlösung Spur.
  • Er glaubt’ an sie und schalt sodann, entladen
  • Des Heidentums, von seinem Stanke frei,
  • Die, so noch wandelten auf falschen Pfaden.
  • Anstatt der Taufe standen ihm die drei,
  • Die du am rechten Rad im Tanz gesehen,
  • Wohl tausend Jahre vor der Taufe bei.
  • O Gnadenwahl, wie tief verborgen stehen
  • Doch deine Wurzeln jenem Blick, der nicht
  • Vermag den Urgrund völlig zu erspähen!
  • Kurz sei dein Urteil, Mensch, wie dein Gesicht,
  • Da wir nicht all die Auserwählten wissen,
  • Wir, die wir schau’n in Gottes ew’ges Licht.
  • Und süß ist uns auch das, was wir vermissen,
  • Da daraus uns das höchste Heil entquillt,
  • Daß dessen, was Gott will, auch wir beflissen."
  • So reichte jenes gottgeliebte Bild,
  • Der schwachen Sehkraft Stärkung zu bereiten,
  • Mir Arzeneien, wundersüß und mild.
  • Und wie mit lieblichem Geschwirr der Saiten
  • Die guten Lautner guter Sänger Lied
  • Zu größrer Süßigkeit des Sangs begleiten;
  • So regt’, indes der Adler mich beschied,
  • Der benedeiten Lichter Paar, zusammen,
  • Wie man die Augen blicken sieht,
  • Bei seinem Wort die hellen Wonneflammen.
  • Einundzwanzigster Gesang
  • Schon heftet’ ich die Augen aufs Gesicht
  • Der Herrin wieder, Augen und Gemüte,
  • Und dachte drum an alles andre nicht.
  • Sie lächelte mir nicht, doch sprach voll Güte:
  • "Dafern ich lachte, würde dir gescheh’n
  • Wie Semelen, als sie in Staub verglühte.
  • Wenn meine Schönheit, die, wie du gesehn,
  • Beim Steigen in dem ewigen Palaste
  • Sich mehr entflammt, je mehr wir uns erhöh’n,
  • Sich deinem Blick nicht mäßigte, sie faßte
  • Dich wie ein Blitz--du wärst von ihr erdrückt,
  • Zerschmettert, gleich dem blitzgetroffnen Aste.
  • Wir sind zum Glanz, dem siebenten, entrückt,
  • Der vom Gebild des Himmelsleu’n umgeben,
  • Aus seiner Glut den Strahl herniederzückt.
  • Laß itzt den Geist, dem Blicke nach, sich heben;
  • Und deinen Blick--mach’ itzt zum Spiegel ihn
  • Fürs Bild, das kund wird dieser Spiegel geben."
  • Wer wüßte, wie ihr Blick so selig schien,
  • Wie er dem meinen ward zur süßen Weide,
  • Als sie gebot, ihn wieder abzuzielen,
  • Oh, der erkennt auch wohl, mit welcher Freude
  • Ich dem gehorcht, was sie mir auferlegt,
  • Denn Wonne hielt das Gleichgewicht dem Leide.
  • In dem Kristall, das, um die Welt bewegt,
  • Vom teuren Führer, unter dem entweichen
  • Die Bosheit mußte, noch den Namen trägt,
  • Erblickt’ ich einer Leiter schimmernd Zeichen,
  • An Farbe gleich dem Gold, durchglänzt vom Strahl,
  • Hoch, daß zur Höh’ nicht Menschenblicke reichen.
  • Und auf den Sprossen stieg in solcher Zahl
  • Die Schar der sel’gen Himmelslichter nieder,
  • Als ström’ hier alles Licht mit einemmal.
  • Und wie, nach ihrer Art, die Kräh’n, wenn wieder
  • Der Tag beginnt, sich rasch bewegend zieh’n.
  • Um zu erwärmen ihr erstarrt Gefieder,
  • Und die von dannen ohne Rückkehr flieh’n,
  • Die rückwärts fliegen, andre dann, im Bogen
  • Dieselbe Stell’ umkreisend, dort verzieh’n;
  • So sah ich’s jetzt in jenem Glanze wogen,
  • Der sich als Strom ergoß. Sobald die Flut
  • Bis zu gewissen Stufen hergezogen.
  • Und einer glänzte, der, uns nah, geruht,
  • Drum wollte schon dies Wort der Lipp’ entsteigen:
  • "Ich seh’ es wohl, du zeigst mir Liebesglut."
  • Doch sie, die mir zum Sprechen und zum Schweigen
  • Das Wie und Wann bestimmt, sie schwieg, und ich
  • Tat wohl, nicht fragend meinen Wunsch zu zeigen.
  • Doch sie erklärte wohl mein Schweigen sich,
  • In ihm, der alles sieht, mich klar erschauend,
  • Und sprach: "Still’ itzt den heißen Wunsch und sprichl"
  • Und ich begann: "Nicht dem Verdienste trauend,
  • Halt’ ich von dir mich einer Antwort wert;
  • Ich frag’, auf sie, die mir’s gestattet, bauend,
  • O sel’ges Leben, das du schön verklärt
  • Dich in der Freude birgst, aus welchem Grunde
  • Hast du zu mir dich liebevoll gekehrt?
  • Und sage mir, weswegen diesem Runde
  • Die Paradiessymphonie gebricht,
  • Die tiefer dort erklang im frommen Bunde?"
  • Und er:"Dein Ohr ist schwach, wie dein Gesicht,
  • Weshalb Beatrix nicht gelacht, deswegen
  • Ertönt der Sang in diesem Kreise nicht.
  • Ich kam von heil’ger Leiter dir entgegen,
  • Um mit der Red’ und mit dem Licht, das mir
  • Zum Kleide dient, dich freudig aufzuregen.
  • Und nicht aus größrer Liebe bin ich hier;
  • Nein, mehr und gleiche Liebe glüht in ihnen,
  • Die dorten sind, und Schimmer zeigt sie dir.
  • Doch höchste Liebe, die uns treibt, zu dienen
  • Dem ew’gen Rat, braucht, wen sie wählt, dabei,
  • Wie dir in dem, was du gesehn erschienen."
  • "Ich sehe," sprach ich, "daß die Liebe, frei,
  • An diesem Hof den Schlüssen nachzugehen
  • Der ew’gen Vorsehung, genügend sei.
  • Doch bleibt mir eins noch schwierig zu verstehen:
  • Warum bist du von allen jenen dort
  • Schon im voraus zu diesem Amt ersehen?"
  • Noch war ich nicht gelangt zum letzten Wort,
  • Da drehte sich, sich um sich selber schwingend,
  • Das Licht im Kreis gleich einer Mühle fort.
  • "Da jenes Licht, dem Urquell selbst entspringend,"
  • Antwortete die Liebe drin, "mir scheint,
  • Das, welches mich in sich verschließt, durchdringend,
  • Hebt seine Kraft, mit meinem Schau’n vereint,
  • Mich über mich, so daß in seinem Schimmer
  • Das Ursein, das ihn ausströmt, mir erscheint.
  • Und daher kommt mein freudiges Geflimmer,
  • Denn wie des Blickes Klarheit sich vermehrt,
  • Vermehrt sich auch der Flammen Klarheit immer.
  • Doch der, der sich im reinsten Licht verklärt,
  • Der Seraph selbst, der Gott am hellsten siebet,
  • Genügt dir nicht in dem, was du begehrt.
  • Denn in dem Abgrund ew’gen Rats umziehet
  • Das, was du fragtest, Nacht, die, nie erhellt,
  • Es jeglichem geschaffnen Blick entziehet.
  • Verkünde dies, zurückgekehrt, der Welt
  • Und warne sie vor jenem stolzen Streben,
  • Das so Erhabnes sich zum Ziele stellt.
  • Der Geist, von Licht hier, dort von Rauch umgeben,
  • Sucht, wie er kann, zum höchsten Ziel hinauf,
  • Das er nicht sehn kann, dort den Blick zu heben."
  • Dies trug das Wort des Seligen mir auf,
  • Drum ließ ich demutsvoll von diesen Fragen
  • Und fragte nur nach seinem Lebenslauf.
  • "Zwischen Italiens beiden Küsten ragen
  • Gebirge, Tuscien nah, so hoch empor,
  • Daß unter ihren Höh’n die Wolken jagen.
  • In ihnen springt ein Bergeshöcker vor,
  • Catria genannt, und drunter liegt die Öde,
  • Die Gott zu seinem echten Dienst erkor."
  • Also begann er seine dritte Rede
  • Und fuhr dann fort: "Dort stärkt’ ich meine Kraft
  • Im Dienste so, daß ich der Speisen jede
  • Mit nichts mir würzt’ als mit Olivensaft;
  • Dort hat Beschauung mir in vielen Jahren
  • Bei Hitz’ und Frost Zufriedenheit verschafft.
  • Fruchtbare Felder für den Himmel waren
  • Im Klosterbann--jetzt wuchert Unkraut dort,
  • Und wohl geziemt sich’s, dies zu offenbaren.
  • Pier Damian war ich an jenem Ort.
  • (Petrus Peccator lebt’ in Unsrer Lieben
  • Frau’n heil’gem Kloster an Ravennas Bord.)
  • Nur wenig Leben war mir noch geblieben,
  • Da rief, ja zog man mich zu jenem Hut,
  • Der jetzt zu Schlimmen reizt und schlimmem Trieben.
  • Petrus war mager einst und unbeschuht,
  • Paulus ging so einher in jenen Tagen
  • Und fand die Kost in jeder Hütte gut.
  • Die neuen Hirten, feist, voll Wohlbehagen,
  • Sieht man gestützt, geführt und schwerbewegt,
  • Und hinten läßt man gar die Schleppe tragen.
  • Wenn übers Prachtroß sich ihr Mantel schlägt,
  • Sind zwei Stück Vieh in einer Haut beisammen.
  • O göttliche Geduld, die viel erträgt!"--
  • Hier stiegen von der Leiter viele Flammen
  • Und kreisten dort, so daß sie mehr und mehr
  • Bei jedem Kreis in schönem Lichte schwammen.
  • Sie stellten sich um jenen Schimmer her,
  • Mit einem Rufe von so lautem Schalle,
  • Daß nichts auf Erden tönt so laut und schwer.
  • Doch nichts verstand ich in dem Donnerhalle.
  • Zweiundzwanzigster Gesang
  • Ich kehrte mich, vom Staunen überwunden,
  • Zu meiner Führerin, gleich einem Kind,
  • Das Hilfe sucht, wo’s immer sie gefunden.
  • Sie sprach, der Mutter gleich, die sich geschwind
  • Zum Knaben kehrt, der atemlos, beklommen
  • In ihrer Stimme frischen Mut gewinnt:
  • "Bedenk’s, dich hat der Himmel aufgenommen,
  • Wo alles heilig ist, wo heißem Drang
  • Gerechten Eifers, was geschieht. entglommen.
  • Wie dich mein Lächeln, wie dich der Gesang
  • Verwandelt hätten, wirst du jetzt verstehen,
  • Da jener Ruf dich so mit Graus durchdrang.
  • Verstündest du das drin enthaltne Flehen,
  • So wäre dir die Rache schon erklärt,
  • Die du noch wirst vor deinem Tode sehen.
  • Von droben fällt zu frühe nicht das Schwert,
  • Und nicht zu spät, wie’s dem scheint, der mit Grauen
  • Es harrend fürchtet oder es begehrt.
  • Jetzt blicke nur auf andres mit Vertrauen,
  • Sieh dortenhin; du wirst in großer Zahl
  • Dort hochberühmte sel’ge Geister chauen."
  • Ich sah, den Blick gewandt, wie sie befahl,
  • Wohl hundert Kreise, welche Funken Sprühten,
  • Verschönert von dem gegenseit’gen Strahl.
  • Wie auch in mir der Sehnsucht Stacheln glühten,
  • Doch wagt’ ich keine Frag’ und hieß sie ruh’n,
  • Um vor zu großer Kühnheit mich zu hüten.
  • Die größte, hellste Perle nahte nun,
  • Um jenem Wunsch, den sie in mir ergründet,
  • Mit süßem Liebeswort genugzutun.
  • "Wenn du die Liebe säh’st, die uns entzündet,"
  • So sprach die Stimme jetzt aus jenem Licht,
  • "Du hättest, was du denkst, mir frei verkündet.
  • Doch horch, auf daß du, harrend, später nicht
  • Zum hohen Ziel gelangest, und ich deute
  • Dir, was zu fragen dir der Mut gebricht.
  • Des Berges Höh’, an dessen Abhang heute
  • Cassino liegt, war einst Versammlungsort
  • Für viel Betrüger und betrogne Leute.
  • Der erste, nannt’ ich dessen Namen dort,
  • Der jene Wahrheit, die uns hoch erhoben,
  • Der Erde bracht’ in seinem heil’gen Wort.
  • Und solche Gnade glänzt’ auf mich von oben,
  • Daß ich das Land umher vom Dienst befreit,
  • Der mit verruchtem Trug die Welt umwoben.
  • Wer hier glänzt, lebt’ einst in Beschaulichkeit,
  • Und keiner ließ in sich die Flamm’ erkalten,
  • Die Blüten treibt und heil’ge Frucht verleiht.
  • Sieh des Maccar, des Romuald Lichtgestalten,
  • Sieh meine Brüder, die im Klosterbann
  • Den Fuß gehemmt und fest das Herz gehalten."
  • "Dein liebevolles Wort", so hob ich an,
  • "Und diese Freundlichkeit, die es begleitet,
  • Die ich an jedem Glanz bemerken kann,
  • Sie haben also mein Vertrau’n erweitet,
  • Wie Sonnenschein die Rose, welche sich,
  • Soweit sie kann, erschließet und verbreitet.
  • Und, so vertrauend, Vater, bitt’ ich dich,
  • Dich meinen Blicken unverhüllt zu zeigen,
  • Ist solche Gnade nicht zu groß für mich."
  • "Wenn so hoch", sprach er, "deine Wünsche steigen,
  • Beut dir der letzte Kreis Erfüllung dar.
  • Durch sie wird jeder Wunsch, auch meiner, schweigen.
  • Dort wird vollkommen, reif und ganz und wahr,
  • Was nur das Herz ersehnt--und dort nur findet
  • Sich jeder Teil da, wo er ewig war,
  • Weil jener Kreis sich nicht im Raum befindet;
  • Doch unsrer Leiter Höh’ erreichet ihn,
  • Daher sie also deinem Blicke schwindet.
  • Als sie dem Jakob einst im Traum erschien,
  • Sah er die Spitze bis zum Himmel streben
  • Und drauf die Engel auf und nieder zieh’n.
  • Jetzt mag man nicht den Fuß vom Boden heben,
  • Um sie zu steigen, und bei Schreiberei’n
  • Bleibt an der Erde träg mein Orden kleben.
  • Denn Räuberhöhlen sind, was einst Abtei’n,
  • Und ihrer Mönche weiße Kutten pflegen
  • Nur Säcke, voll von dumpf’gem Mehl, zu sein.
  • Kein Wucher ist so sehr dem Herrn entgegen
  • Als jene Frucht, auf die die Mönch’ erpicht,
  • Drob sie im Herzen solche Torheit hegen.
  • Das, was die Kirche wahrt, gehört nach Pflicht
  • Den Armen nur zur Lind’rung der Beschwerden,
  • Nicht Vettern, noch auch schlechterem Gezücht.
  • Schwach ist des Menschen Fleisch, so, daß auf Erden
  • Ein guter Urspung nicht genügen kann,
  • Bis Eichensprossen Eichenbäume werden.
  • Petrus fing ohne Gold und Silber an,
  • Und ich begann mit Fasten und mit Flehen,
  • Franz seinen Orden als ein niedrer Mann.
  • Willst du nach eines jeden Ursprung spähen,
  • Dann sehn, wie ihn verführt der Übermut,
  • So wirst du Schwarzes statt des Weißen sehen.
  • Traun! daß sich aufgetürmt des Jordans Flut
  • Auf Gottes Wink, ist wunderbar zu finden,
  • Mehr als die Hilfe, die euch nötig tut."
  • Sprach’s, um mit seiner Schar sich zu verbinden;
  • Zusammen drängte sich die Schar und fuhr
  • Vereint empor, gleich schnellen Wirbelwinden.
  • Und ihnen nach, mit einem Winke nur,
  • Trieb mich die Herrin aufwärts jene Stiegen;
  • So zwang jetzt ihre Kraft mir die Natur.
  • Hienieden, wo bald sinkt, was erst gestiegen,
  • Gibt die Natur nie solche Schnelligkeit,
  • Daß sie vergleichbar ist mit meinem Fliegen.
  • So wahr ich, Leser, zu der Herrlichkeit
  • Einst kehren will, für die ich oft in Zähren
  • Den Busen Schlag’ in Reu’ und tiefem Leid;
  • Du kannst ins Feu’r den Finger tun und kehren
  • So schnell nicht, als ich war im Sterngebild,
  • Das nach dem Stier durchrollt die Himmelssphären.
  • O edle Sterne, kraftgeschwängert Bild,
  • Dem das, was ich an Geist und Witz empfangen,
  • Sei’s wenig oder sei es viel, entquillt,
  • In euch ist auf-, in euch ist untergangen
  • Die Mutter dessen, was auf Erden lebt,
  • Als mich zuerst Toskanas Luft umfangen.
  • Als ich zum hohen Kreis, in dem ihr schwebt,
  • Geführt von reicher Gnad’, emporgeflogen,
  • Da ward zuteil mir, daß ich euch erstrebt.
  • Fromm seufz’ ich jetzt zu euch, seid mir gewogen!
  • Wollt Kraft zum schweren Pfade mir verleih’n,
  • Der meine Seele ganz an sich gezogen,
  • "Zum letzten Heile führ’ ich bald dich ein,"
  • Sie sprach’s, die mich zu diesen Höhen brachte,
  • "Und scharf und klar muß itzt dein Auge sein.
  • Darum, bevor du tiefer dringst, betrachte
  • Was unten liegt, und sieh, wie viele Welt
  • Ich unter deinem Fuß schon liegen machte.
  • Damit dein Herz, soviel es kann, erhellt,
  • Bereit sei, vor den Siegern zu erscheinen,
  • Die fröhlich sich in diesem Kreis gesellt."
  • Durch alle sieben Sphären warf ich meinen
  • Blick nun zurück und sah dies Erdenrund,
  • So daß ich lächelt’ ob des niedern, kleinen.
  • Und jener Rat beruht’ auf gutem Grund,
  • Denn die dies Rund verschmäh’n in höherm Streben,
  • Nur ihnen wird die echte Weisheit kund.
  • Ich sah in Glut Latonas Tochter schweben,
  • Von jenem Schatten frei, der mir zum Wahn
  • Vom Dünnen und vom Dichten Grund gegeben.
  • Dich, strahlenreicher Sohn Hvperions, sahn
  • Jetzt meine Blicke fest und ungeblendet,
  • Und um dich Majas und Diones Bahn.
  • Dich sah ich, Zeus, der mäߒgen Schimmer spendet,
  • Zwischen Saturn und Mars, auch ward mir klar,
  • Wie seinen Wechsellauf ein jeder wendet.
  • Wie groß die sieben sind, ward offenbar,
  • Wie schnell sie sind, den Weltenraum durchreisend,
  • Auch stellte mir sich ihre Ferne dar.
  • Und mit dem ew’gen Zwillingspaare kreisend,
  • Sah ich die Scheibe, die so stolz uns macht,
  • Mir Land und Meer und Berg’ und Täler weisend.
  • Dann kehrt’ ich mich zu ihrer Augen Pracht.
  • Dreiundzwanzigster Gesang
  • Gleichwie der Vogel, der, vom Laub geborgen,
  • Im Nest bei seinen Jungen süß geruht,
  • Indes die Nacht die Dinge rings verborgen,
  • Um zu erschauen die geliebte Brut
  • Und ihr zu bringen die willkommne Speise,
  • Um die bemüht, er selbst sich gütlich tut,
  • Noch vor der Zeit, sobald am Himmelskreise
  • Aurora nur erschien, in Lieb’ entbrannt,
  • Der Sonn’ entgegenschaut vom offnen Reife;
  • So, aufmerksam, das Haupt erhebend, stand
  • Die Herrin, nach dem Teil der Himmelsauen,
  • Wo minder eilig Sol sich zeigt, gewandt.
  • Ich konnte harrend sie und sehnend schauen,
  • Und war gleich dem, der anderes begehrt,
  • Doch freudig ist in Hoffnung und Vertrauen.
  • Und bald ward Schau’n für Hoffen mir gewährt,
  • Denn fort und fort sah ich den Glanz sich mehren
  • Und sah den Himmel mehr und mehr verklärt.
  • Beatrix sprach: "Sieh in den sel’gen Heeren
  • Christi Triumph und sieh geerntet hier
  • Die ganze Frucht des Rollens dieser Sphären!"
  • Als reine Glut erschien ihr Antlitz mir,
  • Als reine Wonn’ ihr Blick--und nimmer brächten
  • Die Wort’ hervor ein würdig Bild von ihr.
  • Wie in des Vollmonds ungetrübten Nächten
  • Luna inmitten ew’ger Nymphen lacht,
  • Die das Gewölb’ des Himmels rings durchflechten;
  • So über tausend Leuchten stand in Pracht
  • Die Sonne, so die Gluten all erzeugte,
  • Wie unsre mit den Himmelsaugen macht.
  • Und, glänzend durch lebend’gen Schimmer, zeigte
  • Der Lichtstoff sich, in solcher Herrlichkeit
  • Mir im Gesicht, daß es, besiegt, sich neigte.
  • O Herrin! teures, himmlisches Geleit!--
  • Sie sprach zu mir: "Was hier dich überwunden,
  • Ist Kraft, vor der nichts Hilf und Schutz verleiht.
  • Hier ist’s, wo Weisheit sich und Macht verbunden;
  • Sie machten zwischen Erd’ und Himmel Bahn,
  • Nach welcher Sehnsucht längst die Welt empfunden."
  • Wie wenn der Wolken Schoß sich aufgetan,
  • Die Feuer sich, sie sprengend, niedersenken
  • Und gegen ihren Trieb der Erde nah’n;
  • So rang mein Geist, von diesen Himmelstränken
  • Gestärkt, vergrößert, aus sich selber sich,
  • Doch, wie ihm ward, wie könnt’ er des gedenken?
  • "Sieh auf, und wie ich bin, erschaue mich!
  • Durch das Erschaute hast du Kraft empfangen,
  • Und nicht vernichtet mehr mein Lächeln dich."
  • Ich war, wie einer, dem sein Traum entgangen,"
  • Und der, vom dunklen Umriß nur betört,
  • Umsonst sich müht, die Bilder zu erlangen,
  • Als ich dies Wort, so wert des Danks, gehört,
  • Daß in dem Buch, das den vergangnen Dingen
  • Gewidmet ist, es keine Zeit zerstört.
  • Und möchten mit mir alle Zungen singen,
  • Die von der hohen Pierinnen Schar
  • Die reinste Milch zum Labetrunk empfingen,
  • Doch stellt’ ich’s nicht zum Tausendteile dar,
  • Wie hold ihr heil’ges Lächeln, wie entzündet
  • In lauterm Glanz ishr heil’ges Wesen war.
  • Und so, da’s Paradieses Lust verkündet,
  • Muß jetzo springen mein geweiht Gedicht,
  • Gleich dem, der seinen Weg durchschnitten findet.
  • Doch wer bedenkt des Gegenstands Gewicht,
  • Und daß es schwache Menschenschultern tragen,
  • Der schilt mich, wenn ich drunter zittre, nicht.
  • Durch Wogen, die mein kühnes Fahrzeug schlagen,
  • Darf sich kein Schiffer, scheu vor Not und Müh’n,
  • Darf sich kein kleiner schwanker Nachen wagen.
  • "Was macht mein Blick dich so in Lieb entglüh’n,
  • Um nicht zum schönen Garten hinzusehen,
  • Wo unter Christi Strahlen Blumen blüh’n.
  • Die Rose siehe dort, in der’s geschehen,
  • Daß Fleisch das Wort ward--sieh die Lilien dort,
  • Bei deren Duft wir gute Wege gehen."
  • Beatrix sprach’s,--ich aber, ihrem Wort
  • Gehorsam stets, erneute, mit den matten
  • Besiegten Augen doch den Kampf sofort.
  • Wie ich besonnt oft sah beblümte Matten,
  • Besonnt vom Strahl aus einer Wolke Spalt,
  • Indes bedeckt mein Auge war von Schatten;
  • So sah ich Scharen dort, von Glanz umwallt,
  • Der, Blitzen gleich, auf sie von oben sprühte,
  • Doch sah ich nicht den Quell, dem er entwallt.
  • Du, die du ihn verströmst, o Kraft voll Güte,
  • Du bargst dich in den Höh’n, so daß mein Sinn
  • Ertragen konnte, was dort strahlend blühte.
  • Der Name klang der Blumenkönigin,
  • Zu der ich ruf in allen Erdenleiden,
  • Und zog mich ganz zum größten Feuer hin.
  • Kaum malte sich in meinen Augen beiden
  • Die Gröߒ und Glut des Sterns, den Strahl und Glanz
  • Siegreich, wie hier einst, so itzt dort umkleiden,
  • Da kam, gleich einer Kron’, ein Feuerkranz
  • Vom Himmel her, die Blume zu bekrönen,
  • Umwand sie auch mit Strahlenkreisen ganz.
  • Was auch hienieden klingt von süßen Tönen,
  • Von Harmonie, die hold das Herz erweicht,
  • Scheint wie zerrißner Wolke Donnerdröhnen,
  • Wenn man’s mit jener Leier Ton vergleicht,
  • Der Leier, den Saphir als Krön’ umgebend,
  • Der zu des klarsten Himmels Schmuck gereicht.
  • "Ich bin die Engelslieb’, im Kreise schwebend,
  • Und von der Lust, die uns der Leib gebracht,
  • Der unser Sehnen aufnahm, Kunde gebend.
  • Und kreisen werd’ ich, wenn in höh’rer Pracht,
  • Weil, Herrin, du dem Sohn dich nachgeschwungen,
  • Bei deinem Nah’n die höchste Sphäre lacht."
  • Hier war des Kreises Melodie verklungen.
  • Maria! tönt’ es aus dem andern Licht
  • Mit einem Klang, doch wie von tausend Zungen.
  • Der Königsmantel, der die Stern’ umflicht,
  • Entglüht in lebensvollerm Strahlenbrande
  • In Gottes Hauch und Strahlenangesicht,
  • War über uns mit seinem innern Rande
  • So weit entfernt, daß er noch nicht erschien,
  • Noch nicht erkennbar war von meinem Stande.
  • Drum war dem Auge nicht die Kraft verlieh’n,
  • Um, als sie sich erhob zu ihrem Sprossen,
  • Der Flamme, der bekrönten, nachzuzieh’n.
  • Und wie das Kindlein, wenn’s die Milch genossen,
  • Zur Brust, aus der es trank, die Arme reckt,
  • Von Liebesglut auch außen übergossen;
  • So sah ich hier, die Flamm’ emporgestreckt,
  • Jedweden Glanz; so ward sein innig Lieben
  • Zur hohen Jungfrau-Mutter mir entdeckt.
  • Worauf sie noch mir im Gesichte blieben,
  • Als ihr Regina coeli!--mir erscholl
  • Im Sang, des Lust mir keine Zeit vertrieben.
  • O wie sind dorten doch die Scheuern voll
  • Von reicher Frucht, die jeder, der hienieden
  • Gut ausgesät, in Lust genießen soll.
  • Dort lebt bei solchem Schatz in sel’gem Frieden,
  • Der weinend ihn erlangt in Babylon
  • Und sich im Bann vom Erdengut geschieden;
  • Dort triumphieret unterm hohen Sohn
  • Der Jungfrau und des Herrn, und mit dem Alten
  • Und Neuen Bund, so nah dem ew’gen Thron,
  • Er, der die Schlüssel solchen Reichs erhalten.
  • Vierundzwanzigster Gesang
  • "O auserwählte Tischgenossenschaft
  • Beim großen Mahl des Lamms, daß solcherweise
  • Euch speiset, daß euch’s voll G’nüge schafft,
  • Wenn er, durch Gottes Huld’ sich an der Speise,
  • Die eurem Tisch entfällt, vorkostend stillt,
  • Eh’ ihn der Tod beschwingt zur letzten Reise
  • So denkt, wie seine Brust vor Sehnen schwillt;
  • Netzt ihn mit eurem Tau--auch letzt die Quelle,
  • Der alles, was er sinnt und denkt, entquillt."
  • Beatrix sprach’s--wie um des Poles Stelle
  • Sich Sphären dreh’n, so jene Sel’gen nun,
  • Flammend, Kometen gleich, in Glut und Helle.
  • Wie, wohlgefügt, der Uhren Räder tun--
  • In voller Eil’ zu fliegen scheint das letzte,
  • Das erste scheint, wenn man’s beschaut, zu ruh’n
  • Also verschieden in Bewegung setzte
  • Sich jeder Kreis, drob, wie er sich erwies,
  • Schnell oder trag, ich seinen Reichtum schätzte.
  • Und aus dem Kreis, den ich den schönsten pries,
  • Sah ich ein so beseligt Feuer schweben,
  • Daß es nichts Klareres drin hinterließ.
  • Um Beatricen Schwang dies heil’ge Leben
  • Sich erst dreimal, und Sang entquoll dem Licht,
  • Den keine Phantasie kann wiedergeben.
  • Drum springt die Feder hier und schreibt es nicht,
  • Weil, wo der Phantasie die Kraft benommen,
  • Sie noch weit mehr dem armen Wort gebricht.
  • "O heil’ge Schwester, die du in so frommen
  • Gebeten flehst, durch deine Liebesglut
  • Bin ich aus schönerm Kreis herabgekommen!"
  • Nachdem das heil’ge Feu’r im Tanz geruht,
  • Wandt’ es den Hauch zur Herrin mit den Worten,
  • Die mein Gedicht euch kund hier oben tut.
  • "O ew’ges Licht des großen Manns, dem dorten"
  • --Sie sprach’s--"der Herr die Schlüssel ließ, die er
  • Getragen, zu des Wunderreiches Pforten,
  • Prüf ihn mit ein’gen Fragen, leicht und schwer,
  • Wie dir’s gefällt, ob jener Glaub’ ihm eigen,
  • Durch welchen du gegangen auf dem Meer.
  • Ob er gut liebt, gut hofft und glaubt--verschweigen
  • Kann er dir’s nicht, denn dort ist dein Gesicht,
  • Wo abgemalt sich alle Dinge zeigen.
  • Doch weil man hier durch wahren Glaubens Licht
  • Zum Bürger wird, so wird es Früchte tragen,
  • Wenn er mit dir zu seinem Preise spricht."
  • Gleichwie der Bakkalaur, des Meisters Fragen
  • Erwartend, stillschweigt, denn er rüstet sich,
  • Entscheidung nicht, doch den Beweis zu wagen;
  • So rüstet’ ich mit jedem Grunde mich,
  • Indes sie sprach, um schnell und wohlerfahren
  • Zu reden, wenn der Meister spräche: Sprich!
  • "Sprich, guter Christ, um dich zu offenbaren:
  • Was ist der Glaub’?"--Ich hob die Stirne schnell
  • Zum Lichte, dem entweht die Worte waren.
  • Zur Herrin blickt’ ich dann, die, froh und hell,
  • Mir Mut verlieh, die Flut hervorzulassen,
  • Wie sie entströmte meinem innern Quell.
  • "Hat Gnade", fing ich an, "mich zugelassen
  • Zur Beichte bei der Streiter hohem Hort,
  • So lasse sie mich klar die Antwort fassen.
  • Die Wahrheit, Vater," also fuhr ich fort,
  • "Hab’ ich in deines Bruders Buch getroffen,
  • Der Rom bekehrt hat durch sein heilig Wort.
  • Glaub’ ist der Stoff des, was wir fröhlich hoffen,
  • Ist der Beweis von dem, was wir nicht sehn.
  • Und hierin zeigt sich mir sein Wesen offen."
  • "Wohl richtig denkst du," hört’ ich’s jetzo weh’n,
  • "Wenn du den Grund erkennst. Darum verkünde:
  • Was mocht’ er bei Beweis und Stoff verstehn?"
  • Drauf ich: "Die Dinge, die ich hier ergründe,
  • Die ihres Anblicks Wonne mir verleih’n,
  • Sind so versteckt dem Blick im Land der Sünde,
  • Daß dorten nur im Glauben ist ihr Sein,
  • Auf welchen wir die hohe Hoffnung bauen,
  • Und deshalb ist er auch ihr Stoff allein.
  • Auch muß dann, ohn’ auf anderes zu schauen,
  • Vom Glauben aus nur folgern der Verstand;
  • Drum muß man ihm auch als Beweise trauen."
  • Ich hörte drauf: "Würd’ alles so erkannt,
  • Was dort auf Erden die Gelehrten lehren,
  • So wäre der Sophisten Witz verbannt."
  • Den Hauch ließ jene Liebesglut mich hören
  • Und fuhr dann fort: "Fürwahr, ich sehe dich
  • Die Münz’ als echt in Schrot und Korn bewähren.
  • Allein hast du sie auch im Beutel? Sprich!"
  • Und ich drauf: "Ja, so hell und so gerundet,
  • Daß beim Gepräg’ nie Zweifel mich beschlich."
  • Da sprach es aus dem Licht, dort hellentzündet:
  • "Wie ward dies teure Kleinod dein, dies Gut,
  • Auf welches sich jedwede Tugend gründet?"
  • Und ich: "Des Heil’gen Geistes Regenflut,
  • Die sich so reich aufs Pergament ergossen,
  • Das kund den Alten Bund und Neuen tut,
  • Sie ist der Grund, aus dem ich es geschlossen
  • So scharf, daß anderer Beweis und Grund
  • Mir stumpf erscheint wie Tand und leere Possen." .
  • Ich hörte drauf: "Der Alt’ und Neue Bund,
  • Durch den dein Geist, so folgernd, dieses dachte.
  • Wie wurden sie als Gottes Wort dir kund?"
  • Und ich: "Das, was mir klar die Wahrheit machte,
  • Die Werke sind’s, von der Art, daß Natur
  • Sie nie hervor in ihrer Werkstatt brachte."
  • Drauf klang’s: "Wo aber ist die klare Spur,
  • Daß sie gescheh’n? Dies wäre zu bewähren,
  • Da’s niemand dir bezeugt mit sicherm schämt."--
  • "Daß ohne Wunder sich zu Christi Lehren
  • Die Welt bekehrt--dies Wunder schon bezeugt
  • Die Wahrheit sichrer, als wenn’s hundert waren.
  • Denn du betratest arm und tiefgebeugt
  • Das Feld, den guten Samen dreinzubringen,
  • Der einst die Reb’ und jetzt den Dorn erzeugt."
  • Ich sprach’s und hörte durch die Sphären klingen
  • Der Sel’gen Lied: Herr Gott, dich loben wir!
  • In Melodien, wie sie nur jene singen.
  • Und jener Herr, der Zweig um Zweig mit mir
  • Emporklomm und mich prüfend also führte,
  • Daß ich erreicht des Gipfels Höhe schier,
  • Sprach weiter: "Wie dein Herz die Gnade rührte,
  • Erschloß sie dir den Mund auch wundersam,
  • Drum öffnet’ er sich jetzt, wie sich’s gebührte;
  • Drum billigt’ ich, was ich aus ihm vernahm.
  • Doch was du glaubst, das sollst du jetzt bekunden,
  • Und auch woher dir dieser Glaube kam."--
  • "O Heil’ger," sprach ich, "der du hier gefunden,
  • Was du so fest geglaubt, daß du den Fuß
  • Des Jüngern einst am Grabmal überwunden,
  • In meinem Wort soll, dies ist dein Beschluß,
  • Auch meines Glaubens Form dir klar erscheinen,
  • So auch, warum ich also glauben muß.
  • So hör’: Ich glaub an Gott, den Ew’gen, Einen,
  • Der, unbewegt, des Himmels All bewegt,
  • Durch Lieb’ und Trieb zu ihm, dem Ewigreinen.
  • Und nicht Vernunft nur und Natur erregt
  • Den Glauben mir und gibt mir die Beweise;
  • Die Offenbarung auch, so dargelegt
  • Moses, Propheten, Davids Sangesweise,
  • Das Evangelium, und was ihr, vom Schein
  • Des Geists erleuchtet, schriebt zu Gottes Preise.
  • Ich glaub’ an drei Personen, eins in drei’n,
  • Dreifach in einem Wesen, einem Leben,
  • Und Ist und Sind gestattet ihr Verein.
  • Von dieser Gotteseigenschaft, die eben
  • Mein Wort berührt, hat meinem innern Sinn
  • Das Evangelium das Gepräg’ gegeben,
  • Dies ist der Funke, dies der Glut Beginn,
  • Die dann lebendig in mir aufgestiegen,
  • Der Stern, von welchem ich erleuchtet bin."
  • So wie der Herr, erst horchend mit Vergnügen,
  • pur gute Nachricht in der Freude Drang,
  • Zuletzt den Knecht umarmt, wenn er geschwiegen;
  • Also das Licht, das dreimal mich umschlang,
  • Als ich geendet, was es mir befohlen,
  • Mich segnend mit dem himmlischen Gesang--
  • So hatte, was ich sprach, mich ihm empfohlen.
  • Fünfundzwanzigster Gesang
  • Zwäng’ einst dies heil’ge Lied, zu dem die Erde,
  • Zu dem der Himmel mir den Stoff gereicht,
  • Durch das auf lang’ ich blaß und mager werde,
  • Die Grausamkeit, die mich von dort verscheucht,
  • Wo ich, ein Lamm, geruht in schöner Hürde,
  • Jedwedem Wolfe feind, der sie umschleicht,
  • Mit anderm Ton und Haar, als Dichter, würde
  • Ich kehren und am Taufquell dort empfah’n
  • Im Lorbeerkranz des Dichters höchste Würde.
  • Denn dort betrat ich jenes Glaubens Bahn,
  • Durch welchen Gott bekannt die Seelen werden,
  • Für den mit Petri Licht die Stirn umfah’n.
  • Da naht’ ein Licht aus der der sel’gen Herden,
  • Aus der der Erste derer vorgewallt,
  • Die Christ als Stellvertreter ließ auf Erden.
  • Beatrix sprach, umstrahlt die Lichtgestalt
  • Von neuer Lust: "Sieh ihn, sich zu uns neigend,
  • Den Herrn, für den man nach Galizien wallt."
  • Wie wenn die Taub’, aus hohen Lüften steigend,
  • Zur Taube fliegt, wie sich das Paar umkreist,
  • Und fröhlich girrt, die heiße Liebe zeigend;
  • So war’s, wie jetzo der und jener Geist
  • Der hohen Fürsten freudig sich empfingen,
  • Lobend die Kost, die man dort oben speist.
  • Dann standen nach dem Freudentanz und Singen
  • Die beiden Lichter schweigend vor mir dort,
  • So feurig, daß die Augen mir vergingen.
  • Und selig lächelnd fuhr Beatrix fort:
  • "Der du geschrieben hast, erlauchtes Leben,
  • Was gut sei, komm’ allein von diesem Ort,
  • O laß dein Wort die Hoffnung hier erheben;
  • Du stellst ja, wie du weißt, so oft sie vor,
  • Als Jesus sich den dreien kundgegeben."--
  • "Du, fasse Mut--das Antlitz heb empört
  • An unserm Strahl muß reisen der Beglückte,
  • Der von der Erde kommt zum sel’gen Chor."
  • Als so das zweite Feuer mich erquickte,
  • Hob ich die Augen zu den Bergen auf,
  • Vor deren Last ich erst das Antlitz bückte.
  • "Läßt unsers Kaisers Gnade deinen Lauf,
  • Bevor du stirbst, zu seinem Hofe gehen,
  • Führt er zu seinen Grafen dich herauf,
  • Um, wenn du das Geheimste hier gesehen,
  • Die Hoffnung, die euch dort im Herzen blüht
  • In dir und andern heller anzuwehen,
  • So sage, was sie ist? Ob im Gemüt
  • Sie dir entkeimt? Woher du sie entnommen?"
  • Das zweite Feuer sprach’s, in Licht entglüht.
  • Und sie, durch die in mir die Kraft entglommen
  • Zum hohen Flug, war mit der Antwort schon
  • In diesen Worten mir zuvorgekommen:
  • "Die Kirche, die da kämpft, hat keinen Sohn
  • Von stärkrer Hoffnung--also zeigt’s geschrieben
  • Die Sonn’ auf unsres Freudenreiches Thron.
  • Drum aus Ägypten, nach des Herrn Belieben,
  • Kommt er nach Zion, wo das Licht ihm tagt,
  • Eh’ ihn des Kampfes Ende vorgeschrieben.
  • Zwei andre Punkt’, um die du ihn befragt,
  • Nicht um zu wissen, nein, damit er sage,
  • Wie diese Tugend hier noch dir behagt,
  • Lass’ ich ihm selbst; denn nicht, wie jene Frage,
  • Sind sie ihm schwer, nicht Reiz zur Prahlerei;
  • Und helf ihm Gott, daß er sie würdig trage."
  • Dem Schüler gleich, der seinem Meister frei
  • Entgegenkommt und freudig und besonnen,
  • Daß, was er weiß, kund in der Antwort sei,
  • Sprach ich: "Die Hoffnung ist der künft’gen Wonnen
  • Erwartung und gewisse Zuversicht,
  • Durch Gnad’ und früheres Verdienst gewonnen.
  • Von vielen Sternen kam mir dieses Licht;
  • Der höchste Sänger macht’ es mir entbrennen,
  • Der im Gesang vom höchsten Horte spricht.
  • Oh’ alle die, so deinen Namen nennen,
  • Hoffen auf dich--so sang der Gottesmann--
  • Und wer, der glaubt, wie ich, sollt’ ihn nicht kennen.
  • Du träufeltest mir feine Tropfen dann
  • Ins Herz durch deinen Brief, mit solchem Segen,
  • Daß ich die Flut auf andre gießen kann."
  • Indem ich sprach, sah ich’s im Licht sich regen,
  • Und, wie ein Blitz, schnell und von Glanz umsprüht,
  • Mit zitterndem Gefunkel sich bewegen.
  • "Die Liebe," weht’ es, "die mich noch durchglüht
  • Für jene Tugend, welche mir durchs Grauen
  • Des Kampfs gefolgt, bis mir die Palm’ erblüht,
  • Heißt mich durch sie dich letzen und erbauen,
  • Und gern vernehm’ ich dieses noch von dir:
  • Auf was heißt deine Hoffnung dich vertrauen?"--
  • "Die alt’ und neuen Schriften zeigen mir",
  • Sprach ich, "das Ziel, das denen Gott bescheidet,
  • Die er geliebt, und dieses seh’ ich hier.
  • Jesajas zeigt vom Doppelkleid bekleidet,
  • Sie all in ihrem Land--und dieses Land,
  • Das süße Leben ist’s, das hier euch weidet.
  • In denen, so, die Palmen in der Hand,
  • In weißen Kleidern vor dem Lamme stehen,
  • Macht’s klarer noch dein Bruder mir bekannt."--
  • Als ich geendet, tönt’ es aus den Höhen:
  • Ihr Hoffen sei auf dich!--und aus dem Tanz
  • Der Sel’gen hört’ ich die Erwid’rung wehen.
  • Dann zwischen beiden drin entglüht’ ein Glanz,
  • So hell, daß, wär’ dem Krebs ein solcher eigen,
  • Es würd’ ein Wintermond zum Tage ganz.
  • Wie froh aufsteht und geht und in den Reigen
  • Die Jungfrau tritt, aus eitelm Triebe nicht,
  • Nur dem Verlobten Ehre zu erzeigen;
  • So schwebte zu den zwei’n das neue Licht,
  • Die ich so eilig in lebend’gem Kreise
  • Sich schwingen sah, wie’s heißer Lieb’ entspricht.
  • Einstimmt’ es zu dem Lied und zu der Weise;
  • Und, gleich der Braut, sah sie die Herrin an,
  • Stillschweigend, unbewegt bei solchem Preise.
  • "Er ruht’ am Busen unsers Pelikan;
  • Ihn hat der Herr zur großen Pflicht erlesen,
  • Als er den Martertod am Kreuz empfah’n."
  • Sie sprach’s; ihr Blick war, wie er erst gewesen;
  • Nicht mehr Aufmerksamkeit war jetzt darin
  • Als erst, bevor sie dies gesagt, zu lesen.
  • Wie der, der nach dem Sonnenrande hin,
  • Der sich verfinstern soll, die Blicke sendet
  • Und, um zu sehn, verliert des Auges Sinn;
  • So stand ich, zu dem letzten Glanz gewendet.
  • Da klang es: "Was nicht ist an diesem Ort,
  • Was suchst du’s hier und stehst drum hier geblendet?
  • Mein Leib ist jetzt noch Erd’ auf Erden dort,
  • Und bleibt’s mit andern, bis die sel’gen Scharen
  • Die Zahl erreicht, gesetzt vom ew’gen Wort.
  • Zum Himmel sind zwei Lichter nur gefahren,
  • Bekleidet mit dem doppelten Gewand:
  • Und dieses laß einst deine Welt erfahren."
  • Als dieses Wort gesprochen war, da stand
  • Der Kreis der Flammen still, samt dem Gesange,
  • Zu welchem sich dreifaches Weh’n verband,
  • Gleichwie nach Müh’n und schwerem Wogendrange,
  • Die Ruder, so die Flut durchwühlt, zugleich
  • Allsämtlich ruh’n bei einer Pfeife Klange,
  • Ach, wie ward ich vor Angst und Sorge bleich,
  • Als ich mich nun zu Beatricen kehrte,
  • Und, zwar ihr nah und im beglückten Reich,
  • Doch sie nicht sah, die ich zu sehn begehrte.
  • Sechsundzwanzigster Gesang
  • Ob des erloschnen Augenlichts voll Gram,
  • Hört’ ich ein Weh’n aus jener Flamme kommen,
  • Die mir’s verlöscht’, und horcht’ ihm aufmerksam.
  • Es sagte: "Bis das Licht, das dir verglommen
  • In meinem Schimmer ist, dir wiederkehrt,
  • Wird sprechen zum Ersatz des Schauens frommen.
  • Drum sprich: Was ist es, das dein Herz begehrt?
  • Und möge deinen Mut der Trost erheben:
  • Dein Aug’ ist nur verwirrt und nicht zerstört.
  • Denn sie, die dich geführt ins höh’re Leben,
  • Hat jene Kraft im Blicke, die der Hand
  • Des Ananias unser Herr gegeben."--
  • "Sie helfe dann, wann sie’s für gut erkannt,"
  • Sprach ich, "den Augen, die ihr Pforten waren,
  • Als sie, einziehend, ewig mich entbrannt.
  • Das Gut, das froh macht dieses Reiches Scharen,
  • Das A und O der Schriften ist’s, die hier
  • Mir Lieb’ andeuten, dort sie offenbaren."
  • Dieselbe Stimm’ erklang--wie sich an ihr
  • Mein Mut, als ich mich blind fand, aufgerichtet,
  • Gebot sie jetzo weitres Sprechen mir.
  • "Durch engres Sieb sei, was du meinst, gesichtet,
  • Und klarer sei von dir noch dargelegt,
  • Was dein Geschoß auf solches Ziel gerichtet?"--
  • "Durch das, was Weltweisheit zu lehren pflegt,"
  • Versetzt’ ich, "und durch Himmelsoffenbarung
  • Ward solche Liebe mir ins Herz geprägt.
  • Je mehr ein Gut, soweit es die Erfahrung
  • Uns kennen lehrt, der Güt’ in sich enthält,
  • Je stärker gibt’s der Liebesflamme Nahrung.
  • Das Wesen drum. So gut, daß, was der Welt
  • Sich außer ihm noch als ein Gut verkündet,
  • Ein Strahl nur ist, der seinem Licht entfällt,
  • Dies ist es, das die höchste Lieb’ entzündet.
  • Und wohl erkennt es liebend jeder Geist,
  • Der jene Wahrheit kennt, die dies begründet;
  • Und jener ist’s, der’s der Vernunft beweist,
  • Der die für alle Göttlichen entglühte
  • Erhabne Liebesbrunst die erste heißt.
  • Er selbst erweckte sie mir im Gemüte,
  • Der einst zu Moses sprach, der wahre Hort:
  • Dein Angesicht schau’ alle meine Güte.
  • Du prägst sie ein, dein hohes Heroldswort
  • Beginnend vom Geheimnis dieser Sphären.
  • Lauter als andres tönt’s auf Erden fort:"
  • Da sprach’s: "Nach menschlichen Verstandes Lehren
  • Und höherm Wort, das beistimmt dem Verstand,
  • Muß sich zu Gott dein höchstes Lieben kehren.
  • Doch fühlst du nicht noch manches andre Band
  • Zu ihm dich zieh’n? Du sollst mir jedes nennen,
  • Mit welchem diese Liebe dich umwand."
  • Nicht war der heil’ge Wille zu verkennen
  • Des Adlers Christi, ja, ich sah, wohin
  • Er mich gelenkt zum weiteren Bekennen.
  • Und wieder sprach ich: "Was nur Herz und Sinn
  • Hinlenkt zu Gott, erzeugt hat’s im Vereine
  • Die Lieb’, in welcher ich entzündet bin.
  • Denn durch des Weltalls Dasein und das meine
  • Und durch den Tod des, der mich leben macht,
  • Durch das, was hofft die gläubige Gemeine,
  • Und die Erkenntnis, deren ich gedacht,
  • Bin ich dem Meer der falschen Lieb’ entgangen
  • Und an der echten Liebe Strand gebracht.
  • Die Blätter, die im ganzen Garten prangen
  • Des ew’gen Gärtners, lieb’ ich auch, je mehr
  • Des Guten sie aus seiner Hand empfangen."
  • Ich schwieg--und durch die Himmel, süß und hehr,
  • Hört’ ich der Herrin sang und aller klingen,
  • Erschallend: Heilig, heilig, heilig er!--
  • Und, wie wir uns dem schweren Schlaf entringen
  • Beim scharfen Licht, das unsre Sehkraft weckt,
  • Wenn uns von Haut zu Haut die Strahlen dringen,
  • Und, was er sieht, den jäh Erwachten schreckt,
  • Der sich noch nicht besinnt, vom Schlafe trunken,
  • Bis der Verstand die Wahrheit ihm entdeckt;
  • So war die Decke meinem Aug’ entsunken
  • Vor Beatricens Strahlenangesicht,
  • Auf tausend Meilen streuend Glanzesfunken.
  • Drum sah ich klar, wie vorhin nimmer nicht,
  • Und fragte staunend noch und kaum besonnen,
  • Nach einem vierten uns gesellten Licht.
  • "Aus diesen Strahlen schaut in Liebeswonnen",
  • Sprach sie, "zum Schöpfer hin der erste Geist,
  • Des Dasein durch die erste Kraft begonnen."
  • Gleichwie der Baum, an dem der Sturmwind reißt,
  • Den Gipfel beugt, dann, wenn der Sturm vergangen,
  • Sich wieder hebt, wie innre Kraft ihn heißt;
  • So tat jetzt ich, der, als sie sprach, befangen,
  • Erstaunt, gebückt, jetzt in die Höhe fuhr,
  • Denn mich erhob nun Sprechlust und Verlangen.
  • Ich sprach: "O Frucht, die als die einz’ge nur
  • Schon reif entstand, o alter Vater, sage
  • Du dem, was Weib heißt, Tochter ist und Schnur,
  • Sag’ an, was ich dich fromm zu bitten wage.
  • Du siehst ja, welch ein Sehnen mich bewegt,
  • Und schneller hör’ ich, wenn ich dich nicht frage."
  • Wie ein bedecktes Tier sich rückt und regt
  • Und so die Neigung zeigt, dem nachzurennen,
  • Der um dasselbe die Verhüllung legt;
  • So ließ durch ihre Hülle jetzt erkennen
  • Die erste Seele, wie so froh sie war,
  • Mir das, was ich gebeten, tun zu können.
  • "Dein Sehnen", weht’ es, "nehm’ ich besser wahr,
  • Magst du’s auch nicht bekennen und gestehen,
  • Als du, was noch so sicher ist und klar.
  • Im wahren Spiegel kann ich es erspähen,
  • Der jedes Dinges Bildnis in sich faßt,
  • Doch seines läßt in keinem Dinge sehen.
  • Du fragst: Wieviel der Zeitraum wohl umfaßt,
  • Seit Gott mich in den hohen Garten setzte,
  • Aus dem du dich mit ihr erhoben hast?
  • Wie lange mir sein Reiz die Augen letzte?
  • Was eigentlich den großen Zorn erweckt?
  • Und welche Sprach’ ich mir zusammensetzte?
  • Mein Sohn, nicht daß ich jene Frucht geschmeckt,
  • War Grund des Zorns an sich--daß ich entronnen
  • Den Schranken war, die mir der Herr gesteckt.
  • Mich hat viertausend und dreihundert Sonnen
  • Und zwei, im Höllenvorhof sonder Qual
  • Sehnsucht erfüllt nach diesen Himmelswonnen.
  • Auch sah ich, daß neunhundertdreißigmal
  • Zu jedem Sterngebild die Sonne kehrte,
  • Indes ich lebt’ in eurem Erdental.
  • Die Sprache, die ich einst gesprochen, hörte
  • Schon vor dem Bau auf, der, wie schwach die Kraft
  • Des Menschen sei, das Volk des Nimrod lehrte.
  • Denn was nur irgend die Vernunft erschafft,
  • Ist, weil die Neigung nach der Sterne Walten
  • Zu wechseln pflegt, nur wenig dauerhaft.
  • Die Sprache habt ihr von Natur erhalten,
  • Allein so oder so--euch läßt hierin
  • Sodann Natur nach Gutbedünken schalten.
  • Eh’ ich zur Hölle sank, im Anbeginn
  • Hieß El das höchste Gut, an dem entglommen
  • Der Glanz, mit welchem ich umkleidet bin.
  • Den Namen Eli hat man drauf vernommen,
  • Weil Menschenbrauch sich gleich den Blättern zeigt,
  • Von welchen jene gehn, wenn diese kommen.
  • Auf jenem Berge, der am höchsten steigt,
  • Hab’ ich, rein und befleckt, mich sieben Stunden
  • Von früh, bis wieder sich die Sonne neigt,
  • Wenn sie im zweiten Vierteil steht, befunden."
  • Siebenundzwanzigster Gesang
  • Dem Vater, Sohn und Heil’gen Geiste fang
  • Das ganze Paradies; ihm jubelt’ alles,
  • So daß ich trunken ward vom süßen Klang.
  • Ein Lächeln schien zu sein des Weltenalles,
  • Das, was ich sah, drum zog die Trunkenheit
  • Durch Aug’ und Ohr im Reiz des Blicks und Schalles.
  • O Lust! O unnennbare Seligkeit!
  • O friedenreiches, lieberfülltes Leben!
  • O sichrer Reichtum sonder Wunsch und Neid!
  • Ich sah vor mir die Feuer glühend Schweben,
  • Und das der vier, das erst gekommen war,
  • Sah ich in höherm Glanze sich beleben.
  • Und also stellt’ es sich den Blicken dar,
  • Wie Jupiter, nahm’ man an seinen Gluten
  • Das hohe Rot des Marsgestirnes wahr.
  • Und jetzt gebot der Wink des ewig Guten,
  • Des Vorsicht dort verteilet Pflicht und Amt,
  • Daß aller Sel’gen Wonnechöre ruhten.
  • Da hört’ ich: "Siehst du höher mich entflammt,
  • So staune nicht--bei meinen Worten werden
  • Sich diese hier entflammen allesamt.
  • Der meines Stuhls sich anmaßt dort auf Erden,
  • Des Stuhls, des Stuhls, auf dem kein Hirt itzt wacht,
  • Vor Christi Blick, zum Schutze seiner Herden,
  • Hat meine Grabstatt zur Kloak’ gemacht
  • Von Blut und Stank, drob der zu ew’gen Qualen
  • Einst von hier oben fiel, dort unten lacht."
  • Wie früh und abends sich die Wolken malen,
  • Die g’rad’ der Sonne gegenüberstehn,
  • So sah ich jetzt den ganzen Himmel stralhlen.
  • Wie wir ein ehrbar Weib sich wandeln sehn,
  • Das, sicher seiner selbst, nichts zu verschulden,
  • Nur hörend, schüchtern wird durch fremd Vergehn;
  • So meiner Herrin Angesicht voll Hulden;
  • Und so verfinstert, glaub’ ich, wie sie dort,
  • War einst der Himmel bei der Allmacht Dulden.
  • Er aber fuhr in seiner Rede fort,
  • Und wie verwandelt erst der heitre Schimmer,
  • So war verwandelt jetzt das heil’ge Wort.
  • "Die Braut des Herrn hat zu dem Zwecke nimmer
  • Mein Blut, des Lin und Cletus Blut, genährt,
  • Daß man durch sie erwerbe Gold und Flimmer,
  • Nein, dieses frohe Sein, das ewig währt;
  • Dem hat des Sirt und Pius Blut gegolten,
  • Dies hat Calixt, dies hat Urban begehrt.
  • Das war’s nicht, was wir von den Folgern wollten,
  • Daß sie um sich das Christenvolk getrennt
  • Zur Rechten und zur Linken setzen sollten.
  • Nicht sollten jene Schlüssel, mir vergönnt,
  • Als Kriegeszeichen in den Fahnen stehen,
  • Woran man der Getauften Feind’ erkennt.
  • Nicht sollte man mein Bild auf Siegeln sehen,
  • Erkauftem Lügenfreibrief beigedrückt,
  • Drob ich erröt’ und glüh’ in diesen Höhen.
  • Jetzt sieht man, mit dem Hirtenkleid geschmückt,
  • Raubgier’ge Wölfe dort die Herden hüten.
  • O Gott, was ruht dein Schwert noch ungezückt!
  • Und Caorsiner und Gascogner brüten
  • Schon Tücken aus, voll Gier nach meinem Blut.
  • Schnöde, schlechte Frucht von schönen Blüten!
  • Allein die Vorsicht, die durch Scipios Mut
  • Den Ruhm der Welt beschützt in Romas Siegen,
  • Bald hilft sie, wie mir kund mein Spiegel tut.
  • Du, Sohn, wenn du zur Erd’ hinabgestiegen,
  • Erschleuß den Mund und sprich, wie sich’s gebührt,
  • Und nicht verschweige, was ich nicht verschwiegen."
  • Wie, wenn der Wolken feuchter Dunst gefriert,
  • Durch unsre Luft die Flocken niederfallen,
  • Zur Zeit, da Sol des Steinbocks Horn berührt;
  • So, aufwärts, sah ich an des Äthers Hallen
  • Mit jenem Licht, das eben zu mir sprach,
  • Der andern Schar, wie Schimmerflocken, wallen.
  • Mein Auge folgte diesem Anblick nach,
  • Bis sie so weit im Raum emporgeflogen,
  • Daß er den Pfad des Blickes unterbrach.
  • Da sprach die Herrin, die mich abgezogen
  • Von oben sah: "Jetzt schau’ hinab--hab’ acht,
  • Wie weit du fortzogst mit des Himmels Bogen."
  • Vom ersten Rückblick an, des ich gedacht,
  • Hatt’ ich den Weg der Hälft’ im halben Kreise
  • Von seiner Mitte bis zum Rand gemacht.
  • Von Kadix jenseits lag das Furt zur Reise
  • Ulyß, des Toren--diesseits nah der Strand,
  • Dem Zeus entrann, beschwert mit süßem Preise.
  • Noch mehr von unserm Ball hätt’ ich erkannt,
  • Doch unten war die Sonne vorgegangen,
  • Der fern um mehr noch als ein Zeichen stand.
  • Mein liebend Herz, das immer mit Verlangen
  • Der Herrin schlug, war mehr als je entglüht,
  • Ihr wieder mit den Augen anzuhangen.
  • Was jemals der Natur und Kunst entblüht
  • An Leib und Bild, dem Aug’ als Reiz zu dienen
  • Und durch den Blick zu fesseln das Gemüt,
  • Vereint war’ alles dies als nichts erschienen
  • Bei jener Götterlust, die mich beglückt’,
  • Als ich hinschaut’ ins Lächeln ihrer Mienen.
  • Und durch die Kraft, die aus dem Blicke zückt,
  • Hatt’ ich dem Nest der Leda mich entrungen
  • Und war zum schnellsten Himmelskreis entrückt.
  • Ich weiß, da er von Lebensglanz durchdrungen
  • Gleichförmig war, nicht, wo mit mir in ihn,
  • Nach ihrer Wahl, die Herrin eingedrungen.
  • Doch sie, der klar mein Herzenswunsch erschien,
  • Begann jetzt lächelnd in so sel’gen Wonnen,
  • Daß Gott in ihrem Blick zu lächeln schien:
  • "Sieh hier des Zirkellaufs Natur begonnen,
  • Durch die der Mittelpunkt in Ruhe weilt,
  • Und alles rings umher den Flug gewonnen.
  • In diesem Himmel, der am schnellsten eilt,
  • Wohnt Gottes Geist nur, der die Lieb’ entzündet,
  • Die ihn bewegt--die Kraft, die er verteilt.
  • Ein Kreis von Licht und Liebesglut umwindet
  • Ihn, wie die andern er; allein verstehn
  • Kann diesen Kreis nur er, der ihn gerundet.
  • Nichts läßt das Maß von seinem Lauf uns sehn;
  • Nach ihm nur mißt sich der der andern Sphären,
  • Wie man nach Hälft’ und Fünfteil mißt die Zehn.
  • Wie sich in diesem Kreis die Wurzeln nähren
  • Der Zeit, wie ihr Gezweig zu ändern strebt,
  • Das kannst du jetzt dir selber leicht erklären.
  • Gier, die tief die Sterblichen begräbt
  • In ihrem Schlund, so kraftlos fortgerissen,
  • Daß sich kein Blick aus deinem Wirbel hebt!
  • Wohl blüht des Menschen Will’, allein in Güssen
  • Strömt Regen drauf, der unaufhörlich rinnt,
  • Drob echte Pflaumen Butten werden müssen.
  • Unschuld und Treue trifft man nur im Kind,
  • Doch sie entweichen von den Kindern allen,
  • Bevor mit Flaum bedeckt die Wangen sind.
  • Die fasten noch beim ersten Kinderlallen,
  • Die, mit gelösten Zungen, gierig dann
  • In jedem Mond auf jede Speise fallen.
  • Der liebt die Mutter noch und hört sie an,
  • Solang er lallt, der ihren Tod im Herzen
  • Bei voller Sprache kaum erwarten kann.
  • Drum muß, erst weiß, das Angesicht sich schwärzen
  • Der schönen Tochter des, der, kommend, bringt
  • Und, gehend, mit sich nimmt des Tages Kerzen.
  • Du denke, wenn dich dies zum Staunen zwingt,
  • Daß dort kein Herrscher ist, um euch zu leiten,
  • Drob das Geschlecht, verirrt, mit Jammer ringt,
  • Doch eh’ der Jänner fällt in Frühlingszeiten
  • Durch das von euch vergeßne Hundertteil,
  • Wird dieser Kreise Lauf Gebrüll verbreiten,
  • Daß das Geschick, erharrt zu eurem Heil,
  • Damit’s auf g’raden Lauf die Flotte richte,
  • Den Spiegel dreht, wo jetzt das Vorderteil,
  • Und auf die Blüten folgen echte Früchte."
  • Achtundzwanzigster Gesang
  • Nachdem sie tadelnd mir das jetz’ge Leben
  • Der armen Menschen wahrhaft kundgemacht,
  • Sie, welche mir das Paradies gegeben,
  • Da, dem gleich, der im Spiegelglas bei Nacht
  • Der Fackel Schein sieht hinter sich entglommen,
  • Bevor er sie gesehn und dran gedacht,
  • Und rückblickt, ob das, was er wahrgenommen,
  • Auch wirklich sei, und sieht, daß Glas und Tat
  • So überein, wie Ton und Tonmaß, kommen;
  • War ich, und seinem Tun gleich, was ich tat,
  • Als ich ins Auge sah, woraus die Schlingen,
  • Um mich zu sah’n, die Lieb’ entnommen hat.
  • Ich sah itzt das mir in die Augen dringen,
  • Als ich die Blicke suchend rückwärts warf,
  • Was die erspäh’n, die diesen Kreis erringen.
  • Mir strahlt’ ein Punkt, so glanzentglüht und scharf,
  • Daß nie ein Auge, das er mit dem hellen
  • Glutschein bestrahlt, ihm offen trotzen darf.
  • Ließ sich zu ihm das kleinste Sternlein stellen,
  • Ein Mond erschien’ es, könnt’ es seinem Licht
  • So nah wie Stern dem Stern sich beigesellen.
  • So weit, als Sonn’ und Mond ein Hof umflicht,
  • Vom eignen Glanz der beiden Stern’ entsprungen,
  • Wenn sich in dichtem Dunst ihr Schimmer bricht,
  • War um den Punkt ein Kreis, so schnell geschwungen
  • In reger Glut, daß er auch überwand
  • Den schnellsten Kreis, der rings die Welt umschlungen.
  • Und dieser war vom zweiten rings umspannt,
  • Um den der dritte dann, der vierte wallten,
  • Die dann der fünfte, dann der sechst’ umwand.
  • Drauf sah man sich den siebenten gestalten,
  • So weit, daß Iris halber Kreis, auch ganz,
  • Doch viel zu enge war’, ihn zu enthalten.
  • Dann wand der achte sich, der neunte Kranz,
  • Je träger jeder Kreis im Schwung, je weiter
  • Er ferne stand von jenem einen Glanz.
  • Mehr ist des Kreises Flamme rein und heiter,
  • Je minder fern er ist von seiner Spur,
  • Und in der reinen Glut je eingeweihter.
  • Sie, die, mich sehend, meinen Wunsch erfuhr,
  • Sprach ungefragt: "Von diesem Punkte hangen
  • Die Himmel ab, die sämtliche Natur.
  • Sieh jenen Kreis, der ihn zunächst umfangen;
  • Das, was ihn treibt, daß er so eilig fliegt,
  • Es ist der heil’gen Liebe Glutverlangen."
  • Und ich zu ihr: "Wäre die Welt gefügt
  • Nach dem Gesetz, das herrscht in diesen Kreisen,
  • So hätte völlig mir dein Wort genügt.
  • Doch in der Welt, der fühlbaren, beweisen
  • Die Schwingungen je größre Göttlichkeit,
  • Je ferner sie vom Mittelpunkte kreisen.
  • Drum soll in diesem Bau voll Herrlichkeit,
  • Im Tempel, den nur Lieb’ und Licht umschränken,
  • Ich ruhig sein, von jedem Wunsch befreit,
  • So sprich: Wie-kommt’s--ich kann mir’s nicht erdenken
  • Daß Abbild sich und Urbild nicht entspricht.
  • Und andere Gesetze beide lenken?"
  • "Genügt dein Finger solchem Knoten nicht,
  • So ist’s kein Wunder--weil ihn zu entstricken
  • Niemand versuchte, ward er fest und dicht."
  • Sie sprach’s, und dann: "Nimm, um dich zu erquicken,
  • Das, was ich dir verkünden werd’; allein
  • Betracht’ es ganz genau mit scharfen Blicken.
  • Ein Körperkreis muß weiter, enger sein,
  • Je wie die Kraft, die sich durch seine Teile
  • Gleichmäßig ausdehnt, groß ist oder klein.
  • Die größre Güte wirkt in größerm Heile,
  • Und größres Heil füllt größeres Gebiet,
  • Ward jeder Gegend gleiche Kraft zuteile.
  • Der Kreis drum, der das Weltall mit sich zieht
  • In seinem Schwung, entspricht in seiner Weise
  • Dem, der am meisten liebt, am tiefsten sieht.
  • Darum, wenn du dein Maß dem Innern preise,
  • Und nicht dem äußern Umfang angelegt
  • Von dem, was dort erscheint, wie runde Kreise,
  • So wirst du, zur Bewunderung erregt,
  • Das Mehr und Minder sich entsprechen sehen
  • In jedem Kreis und dem, was ihn bewegt."
  • Wie rein das Blau erglänzt aus Äthers Höhen,
  • Wenn Boreas Luft aus jener Backe stößt,
  • Aus der gelinder seine Hauche wehen,
  • So, daß vom Dunst gereinigt und gelöst,
  • Der ihn getrübt, in seinen weiten Auen
  • Der Himmel lächelnd jeden Reiz entblößt;
  • So ward mir jetzt beim Worte meiner Frauen,
  • Denn dieses ließ die Wahrheit mich so klar,
  • Wie einen Stern am reinen Himmel schauen.
  • Und als ihr heil’ges Wort beendet war,
  • Da stellten anders nicht als siedend Eisen
  • Sich jene Kreise, funkensprühend, dar.
  • Die Funken folgten den entflammten Kreisen
  • In größrer Meng’, als durch Verdoppelung
  • Schachfelder sich vertausendfacht erweisen.
  • Dem festen Punkt, der sie ohn’ Änderung
  • Dort, wo er sie erhält, auch wird erhalten,
  • Scholl Lobgesang aus dieser Kreise Schwung.
  • "Zwei Kreise sieh dem Punkt zunächst sich halten,"
  • Sie sprach’s, stets wissend, was mein Geist ersinnt,
  • "Und Seraphim und Cherubim drin walten.
  • Sie folgen ihren Fesseln so geschwind,
  • Um, wie sie können, ihm sich anzuschließen,
  • Und können, wie sie hoch im Schauen sind.
  • Die Gluten drauf, die diese rings umfließen,
  • Die Throne sind’s von Gottes Angesicht,
  • Benannt, weil sie die erste Dreizahl schließen.
  • So groß ist aller Wonn’, als ihr Gesicht
  • Tief in die ew’ge Wahrheit eingedrungen,
  • Die alle Geister stillt mit ihrem Licht.
  • Durch Schau’n wird also Seligkeit errungen,
  • Nicht durch die Liebe; denn sie folgt erst dann,
  • Wenn sie dem Schau’n, wie ihrem Quell, entsprungen.
  • Und das Verdienst, das durch die Gnade man
  • Und Willensgüt’ erwirbt, ist Maß dem Schauen.
  • So steiget man von Grad zu Grad hinan.
  • Die andre Dreizahl, die in diesen Auen
  • Des ew’gen Lenzes blüht, und welcher nie
  • Das Laub entfällt bei nächt’gen Widders Grauen,
  • Singt ewig in dreifacher Melodie
  • Hosiannagesang in dreien sel’gen Scharen,
  • Und also eins aus dreien bilden sie.
  • Herrschaften sind’s, die erst sich offenbaren,
  • Die Tugenden sind dann im zweiten Kranz,
  • Im dritten sind die Mächte zu gewahren.
  • Die Fürstentümer sieh zunächst im Tanz,
  • Dann die Erzengel ihre Lieb’ erproben;
  • Den letzten Kreis füllt Engelsfeier ganz.
  • Die Ordnungen schau’n allesamt nach oben;
  • Nach unten wirken sie, was lebt, mit sich
  • Zu Gott erhebend und zu ihm erhoben.
  • Und Dionysius rang so brünstiglich,
  • Damit sein Blick die Ordnungen betrachte,
  • Daß er sie nannt’ und unterschied wie ich.
  • Wahr ist es, daß Gregorius anders dachte,
  • Doch er belächelte dann seinen Wahn.
  • Sobald er erst in diesem Reich erwachte.
  • Hat solch Geheimnis kund ein Mensch getan,
  • So staune nicht; von ihm, der alles schaute,
  • Hatt’ er davon auf Erden Kund’ empfah’n,
  • Der sonst auch viel vom Himmel ihm vertraute."
  • Neunundzwanzigster Gesang
  • So lang, wenn beide Kinder der Latone
  • Bedeckt von Wag’ und Widder stehn, am Rand
  • Des Horizonts, vereint in einer Zone,
  • Die Wage des Zenit in gleichem Stand
  • Sie beide zeigt, bis dann vom Gleichgewichte,
  • Den Halbkreis tauschend, sie sich abgewandt:
  • So lang, des Lächelns Glut im Angesichte,
  • Sah schweigend fest den Punkt Beatrix an,
  • Der meinen Blick besiegt mit seinem Lichte.
  • "Ich red’ und frage nicht," so sprach sie dann,
  • "Da, was du hören willst, ich dort erkenne
  • Im Punkt, wo anhebt jedes Wo und Wann.
  • Nicht daß er--was nicht sein kann--selbst gewönne,
  • Nein, daß der Glanz von seiner Herrlichkeit
  • Im Widerglanz ich bin verkünden könne,
  • Hat er, der Ew’ge, außerhalb der Zeit
  • Und des Begriffs, wie’s ihm gefiel, die Gluten
  • Erschaffner Lieb’ an ewiger geweiht.
  • Nicht daß, wie starr, erst seine Kräfte ruhten;
  • Denn früher nicht und später nicht ergoß
  • Der Geist des Herrn sich, schwebend ob den Fluten.
  • Auch Form und Stoff, vermischt und rein, entsproß
  • Zugleich, vortretend herrlich und vollkommen,
  • Drei Pfeile von dreisehnigem Geschoß.
  • Und wie im Widerschein des Strahls, vom Kommen
  • Zum vollen sein, kein Zwischenraum zu sehn,
  • Wenn rein Kristall im Sonnenglanz entglommen;
  • So ließ der Herr hervor drei Strahlen gehn,
  • All im vollkommnen Glanz zugleich gesendet,
  • Und sonder Unterscheidung im Entstehn.
  • Der Wesen Ordnung ward zugleich vollendet,
  • Und hoch am Gipfel wurden die gereiht,
  • Welchen er reine Tätigkeit gespendet.
  • Die Tiefe ward reiner Empfänglichkeit,
  • Empfänglichkeit und Tatkraft ist mittinnen,
  • Verknüpft und nie von diesem Band befreit.
  • Zwar Hieronymus läßt vom Beginnen
  • Die Engel bis von dem der andern Welt
  • Den Zeitraum von Jahrhunderten entrinnen;
  • Doch läßt die Wahrheit, die ich dargestellt,
  • Sich vielfach aus der Heil’gen Schrift bewähren,
  • Wie’s dir auch, wenn du wohl bemerkst, erhellt.
  • Auch die Vernunft kann dies beinah erklären;
  • Nicht konnten ja so lang, so folgert sie,
  • Die Lenker des, was lenkbar ist, entbehren.
  • Der Liebesschöpfung Wo und Wann und Wie
  • Erkennst du--nun, so daß in dem Gehörten
  • Dir schon dreifache Labung angedieh.
  • Allein bevor man zwanzig zählt’ empörten
  • Die Engel sich zum Teil, so daß sie nun
  • Im Fall der Elemente trägstes störten.
  • Die Bleibenden begannen drauf das Tun,
  • Das du erkennst, so selig in Entzücken,
  • Daß sie in ihrem Kreislauf nimmer ruh’n.
  • Grund war des Falls, daß jener sich berücken
  • Von frevlem Hochmut ließ, der dir erschien,
  • Dort, wo auf ihn des Weltalls Bürden drücken--
  • Die du bei Gott hier siehest, sah’n auf ihn
  • Bescheiden und mit Dank für seine Gaben,
  • Da er nur Kraft zu solchem Schau’n verlieh’n.
  • Drum wurden sie zum Schauen so erhaben
  • Durch Gnadenlicht und ihr Verdienst gestellt,
  • Daß sie vollkommen festen Willen haben.
  • Und zweifelfrei verkünd’ es einst der Welt:
  • Verdienstlich ist’s, die Gnade zu empfangen,
  • Je wie sich offen ihr die Lieb’ erhält.
  • Jetzt, wenn ins Herz dir meine Lehren drangen,
  • Errennst du ganz den englischen Verein
  • Und brauchst nicht andre Hilfe zu verlangen.
  • Doch weil den Engeln jene, die ihr Sein
  • Auf Erden dort in Schulen euch erklären,
  • Verstand, Erinnerung und Willen leih’n,
  • So zeig’ ich, um dich völlig zu belehren,
  • Dir noch die Wahrheit rein und unbefleckt,
  • Die jene dort verwirren und verkehren.
  • Die Wesen, die des Anschau’ns Lust geschmeckt,
  • Verwenden nie den Blick vom ew’gen Schimmer
  • Des Angesichts, in dem sich nichts versteckt.
  • Drum unterbricht das Neu’ ihr Schauen nimmer,
  • Drum brauchen sie auch die Erinnrung nicht,
  • Denn ungeteilt bleibt ja ihr Denken immer.
  • So träumt ihr unten wach beim Tageslicht;
  • Ihr glaubt und glaubt auch nicht, was ihr verbreitet,
  • Doch ärger kränkt dies Letzte Recht und Pflicht.
  • Der eine Weg ist’s nicht, auf dem ihr schreitet
  • Bei eurem Forschen; drob ihr irregeht,
  • Von Lust am Schein und Eitelkeit verleitet.
  • Doch, wer dies tut, wird minder hier verschmäht,
  • Als wer die Heil’gen Schriften leeren Possen
  • Hintansetzt und sie freventlich verdreht.
  • Nicht denkt man, wieviel teures Blut geflossen,
  • Sie auszusäh’n; nicht, wie Gott dem geneigt,
  • Der demutsvoll an sie sich angeschlossen.
  • Zu glänzen strebt ein jeder itzt und zeigt
  • Sich in Erfindungen, die der verkehrte
  • Pfaff predigt, der vom Evangelium schweigt.
  • Der sagt, daß rückwärts Lunas Lauf sich kehrte
  • Bei Christi Leiden und sich zwischenschob
  • Und drum der Sonn’ herabzuscheinen wehrte.
  • Der, daß von selbst das Licht erlosch und drob
  • Den Spanier, den Juden und den Inder
  • Zu gleicher Zeit die Finsternis umwob.
  • Lapi und Bindi hat Florenz weit minder,
  • Als Fabeln, die man von den Kanzeln schreit
  • Das Jahr hindurch, des Aberwitzes Kinder,
  • So daß die Schäflein, blind zu ihrem Leid,
  • Wind schlucken, wo sie sich zu weiden meinen.
  • Und nicht entschuldigt sie Unwissenheit.
  • Nicht sprach der Herr zur Ersten der Gemeinen:
  • Geht hin und tut der Erde Possen kund!--
  • Nein, wahre Lehre spendet er den Seinen.
  • Von ihr ertönt’ im Kampf des Jüngers Mund,
  • Wenn er, die Welt zum Glauben hinzulenken,
  • Mit Schild und Speer des Evangeliums stund.
  • Jetzt predigt man von Possen und von Schwänken,
  • Und die Kapuze schwillt, wenn alles lacht,
  • Und, der sie trägt, braucht sonst an nichts zu denken.
  • Drin hat solch Vögelein sein Nest gemacht,
  • Daß, säh’ man’s, es den Wert dem Ablaß raubte,
  • Den man beim Volk so hoch in Preis gebracht.
  • Drob wuchs die Dummheit so in manchem Haupte,
  • Daß, möcht’ ein Priesterwort das tollste sein,
  • Man ohne Prüfung und Beweise glaubte.
  • Und damit mästet Sankt Anton das Schwein,
  • Und andre, die noch ärger sind denn Sauen,
  • Falschmünzer, reich an trügerischem Schein.
  • Doch seitwärts führt’ ich dich von diesen Auen;
  • Drum, daß zugleich sich kürze Zeit und Pfad,
  • Mußt du jetzt wieder g’rade vorwärts schauen--
  • So sehr vervielfacht sind von Grad zu Grad
  • Der unzählbaren sel’gen Engel Scharen,
  • Daß ihrer Zahl nicht Sinn noch Sprache naht.
  • Und Daniel will, dies kannst du wohl gewahren,
  • Wenn er zehntausendmal zehntausend spricht,
  • Uns nicht bestimmte Zahlen offenbaren.
  • Das ihnen allen strahlt, das erste Licht,
  • So vielfach wird’s von ihnen aufgenommen,
  • Als Engel schau’n in Gottes Angesicht.
  • Drum, da vom Schau’n der Liebe Gluten kommen,
  • Ist auch verschieden ihre Süßigkeit
  • Hier lauer, dorten glühender entglommen.
  • Sieh jetzt die Hoheit, die Unendlichkeit
  • Der ew’gen Kraft, die, teilend ihren Schimmer,
  • So unzählbaren Spiegeln ihn verleiht,
  • Und ein’ in sich bleibt ewiglich und immer."
  • Dreißigster Gesang
  • Uns fern, etwa sechstausend Meilen, steiget
  • Der Mittag auf, indes schon diese Welt
  • Den Schatten fast zum ebnen Bette neiget,
  • Wenn nach und nach sich uns der Ost erhellt;
  • Dann wird der Glanz erst manchem Stern benommen,
  • Des Strahl nicht mehr bis zu uns niederfällt,
  • Und wie Aurora mehr emporgeklommen,
  • Verschließt der Himmel sich von Glanz zu Glanz,
  • Bis auch des schönsten Sternes Licht verglommen.
  • So der Triumph, der ewiglich im Tanz
  • Den Punkt umkreist, der alles hält umschlungen,
  • Was scheinbar ihn umschlingt als lichter Kranz.
  • Er schwand allmählich, meinem Aug’ entschwungen,
  • Drum kehrt’ ich zu der Herrin das Gesicht,
  • Von Nichtschau’n und von Liebesdrang gezwungen.
  • War’ alles, was bis jetzo mein Gedicht
  • Von ihr gelobt, in ein Lob einzuschließen,
  • Doch g’nügend wär’s für diesen Anblick nicht.
  • Denn Reize, wie sie hier sich sehen ließen,
  • Weit überschreiten sie der Menschen Art;
  • Ihr Schöpfer nur kann ihrer ganz genießen.
  • Ich bin besiegt von dem, was ich gewahrt,
  • Mehr als ein Komiker von seinen Stoffen,
  • Als ein Tragöd’ je überwunden ward.
  • Gleichwie ein Blick, den Sonnenstrahlen offen,
  • Vergeht vor ihren- Blitzen, so geschieht
  • Dem Geist, von dieses Lächelns Reiz getroffen.
  • Vom ersten sag, da mir der Herr beschied,
  • Ihr Angesicht zu schau’n in diesem Leben,
  • Folgt ihr bis hin zu diesem Blick mein Lied.
  • Doch muß ich jetzt des Folgens mich begeben,
  • Ein Künstler, der sein höchstes Ziel errang,
  • Und hoher nicht vermag emporzustreben.
  • Und so, wie ich sie lasse vollerm Klang,
  • Als meiner Tuba, die ich also richte,
  • Wie sie beenden kann den schweren Sang,
  • Sprach sie, mit Ton, Gebärd’ und Angesichte
  • Eifrigen Führers froh zu mir: "Du bist
  • Gelangt zum Himmel nun von reinem Lichte,
  • Von geist’gem Licht, das nur ein Lieben ist,
  • Ein Lieben jenes Gut’s, des ewig wahren,
  • Von Luft, mit der kein Erdenglück sich mißt.
  • Du siehst hier beide Himmelskriegerscharen
  • Und siehst die ein’ in dem Gewande heut,
  • Wie du sie wirst beim Weltgericht gewahren."
  • Wie jäher Blitz des Auges Kraft zerstreut,
  • So daß er jeden Gegenstand umdunkelt,
  • Den stärksten Selbst, der sich dem Blicke beut;
  • So ward ich von lebend’gem Licht umfunkelt,
  • Des Glanz mir tat, wie uns ein Schleier tut,
  • Denn alles außer ihm war mir verdunkelt.
  • "Die Lieb’, in welcher dieser Himmel ruht
  • Pflegt so in sich zum Heile zu empfangen
  • Und macht die Kerz’ empfänglich ihrer Glut."
  • Wie mir die kurzen Wort’ ins Innre drangen,
  • Da fühlt’ ich, daß sich Geist mir und Gemüt
  • Weit über die gewohnten Kräfte schwangen.
  • Und neue Sehkraft war in mir entglüht,
  • So, daß mein Auge, stark und ohne Qualen,
  • Dem Licht sich auftat, das am reinsten blüht.
  • Ich sah das Licht als einen Fluß von Strahlen
  • Glanzwogend zwischen zweien Ufern zieh’n,
  • Und einen Wunderlenz sie beide malen
  • Und aus dem Strom lebend’ge Funken sprüh’n;
  • Und in die Blumen senkten sich die Funken,
  • Gleichwie in goldne Fassung der Rubin.
  • Dann tauchten sie, wie von den Düften trunken,
  • Sich wieder in die Wunderfluten ein,
  • Und der erhob sich neu, wenn der versunken.
  • "Dein heißer Wunsch, in dem dich einzuweih’n,
  • Was deine Blicke hier auf sich gezogen,
  • Muß mir, je mehr er drängt, je lieber sein.
  • Doch trinken mußt du erst aus diesen Wogen,
  • Eh’ solch ein Durst in dir sich stillen kann."
  • So sprach die Sonn’, aus der ich Licht gesogen.
  • "Der Fluß und diese Funken", sprach sie dann,
  • "Und dieser Pflanzen heitre Pracht, sie zeigen
  • Die Wahrheit dir voraus, wie Schatten, an.
  • An sich ist ihnen zwar nichts Schweres eigen,
  • Sie zu erkennen, fehlt nur dir die Macht,
  • Weil noch so stolz nicht deine Blicke steigen."
  • Kein Kind, das durstig langer Schlaf gemacht,
  • Kann sein Gesicht zur Brust so eilig kehren,
  • Wenn’s über die Gewohnheit spät erwacht,
  • Als, um der Augen Spiegel mehr zu klären,
  • Ich mein Gesicht zu jenem Flusse bog,
  • Dort strömend, um der Seele Kraft zu mehren.
  • Und wie der Rand der Augenlider sog
  • Von seiner Flut, da war zum Kreis gewunden,
  • Was sich zuvor in langen Streifen zog.
  • Dann, Leuten gleich, die sich verlarvt befunden,
  • Verändert erst, wenn sie auszieh’n das Kleid,
  • Worin sie unter fremdem Schein verschwunden;
  • Verwandelten zu größrer Herrlichkeit
  • Sich Blumen mir und Funken, und ich schaute
  • Die Himmelsscharen beide dort gereiht.
  • O Gottes Glanz, o du, durch den ich schaute
  • Des ewig wahren Reichs Triumphespracht,
  • Gib jetzt mir Kraft, zu sagen, wie ich schaute.
  • Licht ist dort, das den Schöpfer sichtbar macht,
  • Damit er ganz sich dem Geschöpf verkläre,
  • Dem nur in seinem Schau’n der Friede tacht.
  • Es dehnt sich weithin aus in Form der Sphäre
  • Und schließt so viel in seinem Umkreis ein,
  • Daß es zu weit als Sonnengürtel wäre.
  • Und einem Strahl entquillt sein ganzer Schein,
  • Rückscheinend von des schnellsten Kreises Rande,
  • Um Sein und Wirkung diesem zu verleih’n.
  • Und wie ein Hügel, an der Wogen Strande,
  • Sich spiegelt, wie um sich geschmückt zu sehn
  • Im blütenreichen, grünenden Gewande;
  • Also sich spiegelnd, sah ich in den Höh’n
  • In tausend Stufen die das Licht umringen,
  • Die von der Erd’ in jene Heimat gehn.
  • Und kann der tiefste Grad solch Licht umschlingen,
  • Zu welcher Weite muß der letzte Kranz
  • Der Blätter dieser Himmelsrose dringen?
  • Mein Aug’ ermaß die Weit’ und Höhe ganz
  • Und unverwirrt, und konnte sich erheben
  • Zum Was und Wie von diesem Wonneglanz.
  • Nicht Fern noch Nah kann nehmen dort noch geben,
  • Denn da, wo Gott regiert, unmittelbar,
  • Tritt fürder kein Naturgesetz ins Leben.
  • Ins Gelb der Rose, die sich immerdar
  • Ausdehnt, abstuft und Duft des Preises sendet
  • Zur Sonne, die stets heiter ist und klar,
  • Zog, wie wer schweigt, doch sich zum Sprechen wendet,
  • Beatrix mich und sprach: "Sieh hier verschönt
  • In weißem Kleid, die dorten wohl geendet.
  • Sieh, wie so weithin unsre Stadt sich dehnt,
  • Sieh, so gefüllt die Bänk’ in unserm Saale,
  • Daß man jetzt hier nach wenigen sich sehnt.
  • Auf jenem großen Stuhl, wo du dem Strahle
  • Der Krone, die dort glänzt, dein Auge leihst,
  • Dort, eh’ du kommst zu diesem Hochzeitsmahle,
  • Wird sitzen des erhabnen Heinrichs Geist,
  • Des Cäsars, der Italien zu gestalten
  • Kommt, eh’ es sich dazu geneigt beweist.
  • Die blinde Gier ist’s, die mit Zauberwalten
  • Euch gleich dem Kind macht, das die Brust verschmäht,
  • Die Nahrung hat, sein Leben zu erhalten.
  • Dem göttlichen Gerichtshof aber steht
  • Solch Obrer vor dann, daß er im Geheimen
  • Und offen nie mit ihm zusammengeht.
  • Doch stürzt des Himmels Räch’ ihn ohne Säumen
  • Vom Heil’gen Stuhl zur qualenvollen Welt,
  • Wo Simon Magus stöhnt in dunkeln Räumen,
  • Drob tiefer noch der von Alagna fällt."
  • Einunddreißigster Gesang
  • So sah ich denn, geformt als weiße Rose,
  • Die heil’ge Kriegsschar, die als Christi Braut
  • Durch Christi Blut sich freut in seinem Schoße.
  • Allein die andre, welche, fliegend, schaut’
  • Und singt des Ruhm, der sie in Lieb’ entzündet,
  • Die Huld, die hehre Kraft ihr anvertraut,
  • Sie senkt, ein Bienenschwarm, der jetzt ergründet
  • Der Blüten Kelch, jetzt wieder dorthin eilt,
  • Wo würz’ger Honigseim sein Tun verkündet,
  • Sich in die Blum’, im reichen Kelch verteilt,
  • Und flog dann aufwärts aus dem schönen Zeichen,
  • Dorthin, wo ihre Lieb’ all-ewig weilt;
  • Lebend’ger Flamm’, ihr Antlitz zu vergleichen,
  • Die Flügel Gold, das andre weiß und rein,
  • So daß nicht Reif noch Schnee den Glanz erreichen.
  • Und in die Rose zog von Reih’n zu Reih’n
  • Frieden und Glut, von ihnen eingesogen
  • Im Flug zur Hohe, stets mit ihnen ein.
  • Und, ob sie zwischen Blum’ und Höhe flogen,
  • Doch ward durch die beschwingte Menge nicht
  • Des Höchsten Blick und Glanz der Ros’ entzogen.
  • Denn so durchdringend ist das höchste Licht,
  • Das seinen Schimmer nach Verdienste spendet,
  • Daß nichts im Weltenall es unterbricht.
  • Dies Freudenreich, gesichert und vollendet,
  • Bevölkert von Bewohnern, neu und alt,
  • Hielt Lieb’ und Blick ganz auf ein Ziel gewendet.
  • O dreifach Licht, du, einem Stern entwallt,
  • Dort, wo man dich schaut, sel’gen Frieden hegend,
  • Schau’ her auf uns, die wilder Sturm umbaut.--
  • Wenn die Barbaren, kommend aus der Gegend,
  • Die stets die Bärin deckt, in gleicher Bahn
  • Sich mit dem lieben Sohn im Kreis bewegend,
  • Zu jenen Zeiten, als der Lateran
  • Die Welt beherrscht’, von Staunen überwunden,
  • Rom und der Römer große Werke sah’n;
  • Wie ich, der ich, dem Menschlichen entwunden,
  • Zum Höchsten kam, von Zeit zur Ewigkeit,
  • Von Florenz zu Gerechten und Gesunden,
  • Wie mußt’ ich staunen solcher Herrlichkeit?
  • Lust fühlt’ ich, nicht zu sprechen, nichts zu hören,
  • Geteilt in Staunen und in Freudigkeit.
  • Gleichwie ein Pilgrim, der sein lang Begehren
  • Im Tempel des Gelübdes, schauend, letzt,
  • Und hofft von ihm einst andre zu belehren;
  • So war ich, zum lebend’gen Licht versetzt,
  • Den Blick, lustwandelnd, durch die Stufen führend,
  • Jetzt auf, jetzt nieder und im Kreise jetzt.
  • Gesichter sah ich hier, zur Liebe rührend,
  • In fremdem Licht und eignem Lächeln schön,
  • Gebärden, sich mit jeder Tugend zierend.
  • Im allgemeinen könnt’ ich schon ersehn,
  • Wie sich des Paradieses Form gestalte,
  • Doch blieb mein Blick noch nicht beim einzlen stehn;
  • Und da mir neuer Wunsch im Herzen wallte,
  • So kehrt’ ich, um zu fragen, mich nach ihr,
  • Wie das, was ich nicht einsah, sich verhalte.
  • Sie fragt’ ich, und ein andrer sprach zu mir.
  • Sie suchend, fand ich mich bei einem Greise,
  • Gekleidet in der andern Sel’gen Zier.
  • Auf Aug’ und Wang’ ergoß sich gleicherweise
  • So Gut’ als Freude--fromm war Art und Tun,
  • Wie’s Vätern ziemt, in lieber Kinder Kreise.
  • "Und wo ist sie?" so sprach ich eilig nun.
  • Drum er: "Beatrix hat mich hergesendet
  • Von meinem Platz, um dir genugzutun.
  • Du wirst, den Blick zum dritten Sitz gewendet
  • Des höchsten Grads, sie auf dem Throne schau’n,
  • Der ihren Lohn für ihr Verdienst vollendet."
  • Ohn’ Antwort hob ich rasch die Augenbrau’n--
  • Sah sie--sah ew’ge Strahlen ihr entwallen
  • Im Widerschein und ihr die Krone bau’n.
  • Vom Raum, aus dem die höchsten Donner hauen,
  • War nimmer noch ein Menschenblick so weit,
  • Und war’ er auch ins tiefste Meer gefallen,
  • Als ich von meiner Herrin Herrlichkeit,
  • Doch sah ich klar ihr Bildnis niederschweben
  • Rein, unvermischt, in lichter Deutlichkeit.
  • "O Herrliche, du, meiner Hoffnung Leben,
  • Du, der’s zu meinem Heile nicht gegraut,
  • Dich in den Schlund der Hölle zu begeben,
  • Dir dank’ ich alles, was ich dort geschaut,
  • Wohin du mich durch Macht und Güte brachtest,
  • Und deine Gnad’ und Tugend preis’ ich laut.
  • Die du zum Freien mich, den Sklaven, machtest,
  • Mir halfst auf jedem Weg, in jeder Art,
  • Die du zu diesem Zweck geeignet dachtest,
  • Hilf, daß, was du geschenkt, mein Herz bewahrt,
  • Damit sich dir die Seele dort geselle,
  • Die Seele, die gesund durch dich nur ward."
  • So fleht’ ich heiß--und sie, von ferner Stelle,
  • Sie lächelte, wie’s schien, und sah mich an,
  • Dann schaute sie zurück zur ew’gen Quelle.
  • "Damit du ganz vollendest deine Bahn,"
  • Begann der Greis, "auf der dich fortzuleiten
  • Ich Auftrag von der heil’gen Lieb’ empfah’n,
  • Laß deinen Blick durch diesen Garten gleiten,
  • Denn stärken wird dir dies des Auges Sinn,
  • Und ihn auf Gottes Strahlen vorbereiten.
  • Und sie, die mich entflammt, die Königin
  • Des Himmels, läßt uns ihre Gnade frommen,
  • Weil ich ihr vielgetreuer Bernhard bin."
  • Wie der, der von Kroatien hergekommen,
  • Um unser Schweißtuch zu betrachten, nicht
  • Satt wird, zu sehn, wovon er längst vernommen,
  • Und, wenn man’s zeigt, zu sich im Innern spricht:
  • Herr Jesus Christus, wahrer Gott, hienieden
  • War wirklich so geformt dein Angesicht?
  • So ich, als mir der Anblick ward beschieden
  • Der Liebe dessen, der in dieser Welt,
  • Betrachtend, schon gekostet jenen Frieden.
  • Er sprach: "Was Schönes dieses Reich enthält,
  • Wird, Sohn der Gnade, sich dir nimmer zeigen,
  • Wenn sich dein Blick nur tief am Grunde hält.
  • Doch laß den Blick von Kreis zu Kreise steigen,
  • Bis daß er sich zur Königin erhöht,
  • Vor der sich fromm des Himmels Bürger neigen."
  • Aufschaut’ ich, und, wie, wenn die Früh’ ersteht,
  • Der Ost den Himmelsteil mit goldnen Strahlen
  • Besiegt, in dem die Sonne niedergeht,
  • So, steigend mit dem Blick, wie wir aus Taten
  • Die Berg’ ersteigen, sah ich einen Ort
  • Im höchsten Rand all andres überstrahlen.
  • Und als ob früh der Ost, da, wo sofort
  • Die Sonne steigen soll, sich mehr entflamme,
  • Wenn sich das Licht vermindert hier und dort;
  • So sah ich jene Friedens-Oriflamme
  • Inmitten mehr erglüh’n, und bleicher ward
  • Bei ihrem Glanz der andern Lichter Flamme.
  • Ich sah viel tausend Engel, dort geschart,
  • Sie feiernd, mit verbreitetem Gefieder,
  • Verschieden jeglichen an Glanz und Art.
  • Und Schönheit lachte bei dem Klang der Lieder
  • Und bei dem Spiel und strahlt’ in Seligkeit
  • Aus aller andern Sel’gen Augen wieder.
  • Und reichte meiner Sprache Kraft so weit,
  • Als meine Phantasie, doch nie beschriebe
  • Ich nur den kleinsten Teil der Herrlichkeit.
  • Bernhard, bemerkend, daß mit heil’gem Triebe
  • An seiner glüh’nden Glut mein Auge hing,
  • Erhob auch sein’s zu ihr mit solcher Liebe,
  • Daß mein’s zum Schauen neue Glut empfing.
  • Zweiunddreißigster Gesang
  • Indes sein Blick nach seiner Wonne flammte,
  • Tat er mit heil’gem Wort mir dieses kund,
  • Sich unterziehend freiem Lehreramte:
  • "Sie zu Mariens Fuß, die euch gesund
  • Und heil gemacht, die Erste dort der Frauen,
  • Die Schönste, die euch krank gemacht und wund.
  • Im Range, den die dritten Sitze bauen,
  • Wirst du sodann die Rahel unter ihr,
  • Mit Beatricen, deiner Herrin, schauen.
  • Sara, Rebekka, Judith zeigen dir
  • Sich mit des Ahnfrau, der im Bußgesange
  • Voll Reu’ ausrief: Herr, schenk’ Erbarmen mir!
  • Absteigend stufenweis von Rang zu Range,
  • Gereiht, wie Kunde dir mein Wort verlieh,
  • Von Blatt zu Blatt mit ihrer Namen Klange.
  • Hebräerfrau’n, vom siebten Kreis ab, wie
  • Bis hin zu ihm, ward dieser Sitz zuteile,
  • Und dieser Blume Locken scheiden sie,
  • Weil sie, wie gläubig sich der Blick zum Heile,
  • Das Christus gab, gewandt, als Mauer stehn,
  • Daß sich durch sie die heil’ge Stiege teile.
  • Hier, wo die Blume reich und voll und schön
  • Entfaltet ist, hier sitzen die Verklärten,
  • Die gläubig auf den künft’gen Christ gesehn.
  • Dort, wo noch leerer Raum für viel Gefährten
  • Im Halbkreis ist, dort sitzen die gereiht,
  • Die ihren Blick auf den Gekommnen kehrten.
  • Wie hier der Fürstin Stuhl in Herrlichkeit
  • Und unter ihr die ändern zu gewahren,
  • Und wie sie bilden solchen Unterscheid;
  • So dort der Stuhl des Täufers, der erfahren,
  • Der immer Heil’ge, Wüst’ und Märtyrpein
  • Und dann der Hölle Nacht in zweien Jahren.
  • Franz, Benedikt und Augustin--sie reih’n
  • Sich unter ihm, die Scheidewand zu bauen,
  • Mit andern unterhalb von Reih’n zu Reih’n.
  • Hier magst du Gottes hohe Vorsicht schauen,
  • Denn Glaube, welcher vor- und rückwärts sieht,
  • Erfüllt gleich zahlreich diese Gartenauen.
  • Und von der Stieg’ abwärts, die dies Gebiet
  • In zwei geschieden, sitzen solche Seelen,
  • Die eigenes Verdienst nicht herbeschied,
  • Nein, fremdes--nur darf der Beding nicht fehlen--
  • Denn hier sind alle, die dem Leib entfloh’n,
  • Bevor sie noch vermochten, selbst zu wählen.
  • Dies merkst du an den Angesichtern schon
  • Und an den Stimmen, die noch kindlich klingen,
  • Wenn du wohl spähst und horchst auf ihren Ton.
  • Noch seh’ ich schweigend dich mit Zweifeln ringen,
  • Doch lösen werd’ ich dir das feste Band,
  • Mit welchem dich die Grübelei’n umschlingen.
  • Aus unsers ew’gen Königs weitem Land
  • Ist auch des kleinsten Zufalls blindes Walten,
  • Wie Hunger, Durst und Traurigkeit, verbannt.
  • Nach ewigem Gesetz muß sich gestalten
  • Was du hier siehst, und muß sich, wie der Ring
  • Zum Finger paßt, so unter sich verhalten.
  • Daher auch, wer dem Truge früh entging
  • Und zu der Wahrheit kam, nicht ohne Gründe
  • Mehr oder minder Herrlichkeit empfing.
  • Der Fürst, durch den dies Reich, entrückt der Sünde,
  • In solcher Lieb’ und solcher Wonne ruht,
  • Daß keiner ist, des Wille höher stünde,
  • Verteilt den Seelen, seiner heitern Glut
  • Entstammt, nach eigner Willkür seine Gaben;
  • Und g’nüge hier, was kund die Wirkung tut.
  • Und hiervon legt in jenen Zwillingsknaben
  • Die Heil’ge Schrift ein deutlich Beispiel dar,
  • Die sich bekämpft im Leib der Mutter haben.
  • Und also krönt der Gnade Schein ihr Haar,
  • Und also scheint das höchste Licht in ihnen
  • Nach ihrem Werte mehr und minder klar.
  • Verschieden, nicht nach dem, was sie verdienen,
  • Sind sie von Grad zu Grade hier gestellt,
  • Nur wie auf sie des Schöpfers Huld geschienen.
  • So g’nügt’ es in der Jugendzeit der Welt
  • Unschuld’gen, um zum Heile zu gelangen,
  • Daß Glaubenslicht der Eltern Geist erhellt.
  • Dann mußte, wie die erste Zeit vergangen,
  • Was männlich war, zuvor zur Seligkeit
  • Durch die Beschneidung noch die Kraft empfangen.
  • Doch, als gekommen war der Gnade Zeit,
  • Blieb ohne die vollkommne Taufe Christi
  • Die Unschuld in der ew’gen Dunkelheit.
  • Jetzt schau’ ins Antlitz, das dem Antlitz Christi
  • Am meisten gleicht, und deine Kraft erhoh’n
  • Wird seine Klarheit zu dem Anschau’n Christi."
  • Lust strahlt’ aus dem Gesicht, so klar und schön,
  • Die er zu ihr durch jene Heil’gen schickte,
  • Erschaffen, zu durchfliegen jene Höh’n,
  • Daß nichts, was ich noch je zuvor erblickte,
  • Mich also mit Bewunderung durchdrang,
  • Nichts mich so sehr durch Gottes Bild erquickte.
  • Die Liebe, die zuerst sich niederschwang,
  • Verbreitete vor ihr jetzt das Gefieder,
  • Indem sie--Sei begrüßt, Maria! sang.
  • Und alsogleich antworteten die Lieder
  • Der Sel’gen Geister diesem Himmelslied,--
  • Und heitrer strahlten rings die Wonnen wider.
  • "O Heil’ger, du, den Lieb’ herniederzieht,
  • Der du für mich dem süßen Ort entronnen,
  • Wo ew’ge Vorsicht dir den Sitz beschied;
  • Wer ist der Engel, der mit solchen Wonnen
  • Im Blick Marias mit dem seinen ruht
  • Und scheint an ihr in Liebe sich zu sonnen?"
  • So wandt’ ich mich zu ihm mit heiterm Mut
  • Und sah ihn in Marias Glanz entbrennen,
  • Gleichwie den Morgenstern in Sonnenglut.
  • Und er: "Was Seel’ und Engel haben können
  • Von Zuversicht und Schönheit, er bekam
  • Es ganz von Gott, wie wir’s ihm alle gönnen,
  • Weil er zu ihr einst mit der Palme kam,
  • Als Gottes Sohn die Lasten, die euch drücken,
  • Nach seinem heil’gen Willen übernahm.
  • Doch folge meinem Wort mit deinen Blicken,
  • Und von dem frommen und gerechten Reich
  • Wirst du den hohen Adel jetzt erblicken.
  • Die zwei dort, an der höchsten Wonne reich,
  • Weil sie die Nächsten sind der Benedeiten,
  • Sind zweien Wurzeln dieser Rose gleich.
  • Der Vater sitzt zu, ihrer linken Seiten,
  • Des kühner Gaum der Menschheit fort und fort
  • Zu kosten gibt so herbe Bitterkeiten.
  • Sieh rechts der heil’gen Kirche Vater dort,
  • Dem dieser Blume Schlüssel übergeben
  • Auf Erden hat der Heiland, unser Hort.
  • Und jener, welcher noch im Erdenleben
  • Das Mißgeschick der schönen Braut erblickt,
  • Die Wundenmal’ erwarben, sitzt daneben.
  • Neben dem andern sitzt, in Ruh’ beglückt,
  • Des Volkes Führer, das der Herr mit Manna
  • Trotz Undanks, Tück’ und Wankelmuts erquickt
  • Dort sitzt, dem Petrus gegenüber, Anna
  • Und blickt die Tochter so zufrieden an,
  • Daß sie den Blick nicht abkehrt beim Hosianna.
  • Und gegenüber sitzt dem ersten Ahn
  • Lucia, die die Herrin dir gesendet,
  • Als du den Blick gesenkt zur schlimmen Bahn.
  • Doch bald ist nun dein hoher Traum beendet,
  • Drum tun wir, wie der gute Schneider tut,
  • Der, soviel Zeug er hat, ins Kleid verwendet.
  • Die Augen richten wir aufs höchste Gut
  • Und dringen so, indem wir nach ihm sehen,
  • So tief als möglich in die reine Glut.
  • Gewiß, und nicht vielleicht, muß rückwärts gehen,
  • Wer vorwärts hier die kühnen Flügel schwingt,
  • Denn Gnad’ erlangt man hier allein durch Flehen;
  • Gnade von jener, die dir Hilfe bringt,
  • Und folgen wirst du mir, wenn deine Liebe
  • Zu ihr empor mit meinem Worte dringt."
  • Und also betet’ er mit brünst’gem Triebe:
  • Dreiunddreißigster Gesang
  • "O Jungfrau Mutter, Tochter deines Sohns,
  • Demüt’ger, höher, als was je gewesen,
  • Ziel, ausersehn vom Herrn des ew’gen Throns,
  • Geadelt hast du so des Menschen Wesen,
  • Daß, der’s erschaffen hat, das höchste Gut,
  • Um sein Geschöpf zu sein, dich auserlesen.
  • In deinem Leib entglomm der Liebe Glut,
  • An der die Blume hier äu ew’gen Wonnen
  • Entsprossen ist, in ew’gem Frieden ruht.
  • Die Lieb’ entflammst du, gleich der Mittagssonnen,
  • In diesem Reich; dort, in der Sterblichkeit,
  • Bist du der frommen Hoffnung Lebensbronnen.
  • Du giltst so viel, ragst so in Herrlichkeit,
  • Daß Gnade Suchen und zu dir nicht flehen,
  • Wie Flug dem Unbeflügelten gedeiht.
  • Du pflegst dem Armen huldreich beizustehen,
  • Der zu dir fleht, ja öfters pflegt von dir
  • Die Gabe frei dem Fleh’n vorauszugehen.
  • In dir ist Huld, Erbarmen ist in dir,
  • In dir der Gaben Fülle--ja, verbunden.
  • Was Gutes das Geschöpf hat, ist in dir.
  • Er, der vom tiefsten Schlund sich eingefunden
  • Des Weltalls hat, der Geister Art und Sein,
  • Von Reich zu Reich zu sehn und zu erkunden,
  • Er fleht zu dir, ihm Kräfte zu verleih’n,
  • Daß er die Augen höher heben könne,
  • Und seinen Blick für’s höchste Heil zu weih’n.
  • Und ich, der ich mehr für sein Schauen brenne,
  • Als für mein eignes je, wie dir bewußt,
  • Ich fleh’, und das, was ich gefleht, vergönne!
  • Nimm ihm der Erde Nacht von Aug’ und Brust
  • Und flehe du für ihn, daß sich entfalten
  • Vor seinen Augen mag die höchste Lust.
  • Noch bitt’ ich, Königin, dich, die du walten
  • Kannst, wie du willst, in ihm und solchem Sehn,
  • Gesund des Herzens Neigung zu erhalten.
  • Laß ihn der ird’schen Regung widerstehn;
  • Sieh Beatricen, sieh so viel Verklärte
  • Mit mir zugleich, die Hände faltend, fleh’n!"
  • Die Augen, die Gott liebt und wert halt, kehrte
  • Sie fest dem Redner zu und zeigte drin,
  • Ihr sei das fromme Fleh’n von hohem Werte.
  • Dann blickten sie zum ew’gen Lichte hin;
  • Und einen Blick so klar dorthin zu senden
  • Wie sie, vermag nicht des Geschöpfes Sinn.
  • Dem Ziel, zu dem sich alle Wünsche wenden,
  • Mich nähernd, fühlt’ in meinem Innern ich
  • So, wie ich mußte, jede Sehnsucht enden.
  • Und lächelnd winkte Bernhard mir, daß sich
  • Mein Auge nun empor zum Höchsten richte;
  • Doch, wie er wollte, war ich schon durch mich.
  • Denn stets ward’s klarer mir vorm Angesichte,
  • Und mehr und mehr drang durch den Glanz hinan
  • Mein Blick zum hohen, in sich wahren Lichte.
  • Und tiefer, größer war mein Schau’n fortan,
  • Daß solchen Blick die Sprache nicht bekunden,
  • Nicht die Erinnerung ihn fassen kann.
  • Wie der, dem nach dem Traum, was er empfunden,
  • Tief eingeprägt, das Herz noch lang erfüllt,
  • Wenn das, was er geträumt, ihm schon entschwunden;
  • So bin ich, dem beinah sein Traumgebild
  • Entschwunden ist, und dem die Lust, geboren
  • Aus jenem Traum, noch stets im Herzen quillt.
  • So schmilzt der Schnee, wenn aus des Ostens Toren
  • Die Sonn’ erwärmend steigt; so war beim Wind
  • In leichtem Staub Sibyllas Spruch verloren.--
  • O höchstes Licht, das, was der Mensch ersinnt,
  • So weit zurückläßt, leih itzt meiner Seele
  • Ein wenig nur von dem, was ihr verrinnt.
  • Mach’ itzt, daß Kraft die Zunge mir beseele,
  • Damit ein Funke deiner Glorie nur
  • Der Nachwelt bleib’ in dem, was ich erzähle.
  • Wenn deine Huld von dem, was ich erfuhr,
  • Nur schwachen Nachhall diesem Liede spendet,
  • Dann sieht man klarer deiner Siege Spur.
  • Mich hätte, glaub’ ich, ganz der Blitz geblendet,
  • Den ich von dem lebend’gen Strahl empfand,
  • Hätt’ ich von ihm die Augen abgewendet.
  • Und ich erinnre mich: mein Mut erstand
  • Durch ihn, die Blitze kühner zu ertragen,
  • Bis sich mein Blick der ew’gen Kraft verband.
  • O überreiche Gnad’! Ich dürft’ es wagen,
  • Fest zu durchschau’n des ew’gen Lichtes Schein
  • Und ins Unendliche den Blick zu tragen.
  • Er drang bis zu den tiefsten Tiefen ein;
  • Die Dinge, die im Weltall sich entfalten,
  • Sah ich durch Lieb’ im innigsten Verein.
  • Wesen und Zufall, ihre Weis’, ihr Walten,
  • Dies alles war in eines Lichtes Glanz,
  • In eines unvermischten Lichts, enthalten.
  • Die Form, die allgemeine, dieses Bands,
  • Ich sah sie, glaub’ ich; denn den Schatten gleichen
  • Die Bilder nur, und Wonne füllt mich ganz.
  • Mehr macht mein Bild ein Augenblick erbleichen,
  • Als drittehalb Jahrtausende die Fahrt
  • Der Argo nach Neptunus’ fernsten Reichen.
  • Scharf, unbeweglich schaut’ in solcher Art
  • Die Seele nach dem göttlichen Gesichte,
  • Drob sie stets mehr im Schau’n entzündet ward.
  • Und also wird man dort bei jenem Lichte,
  • Daß es nicht sein kann, daß man, abgewandt
  • Von ihm, je anderwärts die Augen richte,
  • Weil es das Gut, des Wollens Gegenstand,
  • Ganz in sich faßt und ärmlich und voll Schwächen
  • All andres zeigt, was man vollkommen fand.
  • Kurz werd’ ich nun von dem Geschauten sprechen,
  • Und sprechend stell’ ich mich als Kindlein dar,
  • Dem noch Erinnerung und Wort gebrechen.
  • Nicht weil ein andrer jetzt, als einfach klar,
  • Der Schimmer ward, zu dem mein Blick sich kehrte;
  • Denn jener bleibt so, wie er immer war,
  • Nur weil im Schau’n sich meine Sehkraft mehrte,
  • Schien’s, daß verwandelt jener eine Schein,
  • Sich mir, der selbst verwandelt war, verklärte.
  • Zum tiefen, klaren Lichtstoff drang ich ein,
  • Da schienen mir drei Kreise, dort zu sehen,
  • Dreifarbig und an Umfang gleich zu sein.
  • Wie Iris in der Iris glänzt, so zween
  • Im Widerschein--der dritte, Glut und Licht,
  • Schien gleich von hier aus und von dort zu wehen.
  • Wie kurz, wie rauh mein Wort für solch Gesicht!
  • Und dem, was zu erschau’n mir ward beschieden,
  • Genügen wenig schwache Worte nicht.
  • O ew’ges Licht, allein in dir in Frieden,
  • Allein dich kennend und von dir erkannt,
  • Dir selber lächelnd und mit dir zufrieden,
  • Als ich zur Kreisform, die in dir entstand,
  • Wie widerscheinend Licht, die Augen wandte,
  • Und sie verfolgend mit den Blicken stand,
  • Da schien’s, gemalt in seiner Mitt’ erkannte,
  • Mit eigner Farb’, ich unser Ebenbild,
  • Drob ich nach ihm die Blicke gierig spannte.
  • Wie eifrig strebend, aber nie gestillt,
  • Der Geometer forscht, den Kreis zu messen,
  • Und nie den Grundsatz findet, welcher gilt;
  • So ich beim neuen Schau’n--ich wollt’ ermessen,
  • Wie sich das Bild zum Kreis verhielt’, und wie
  • Die Züge mit dem Licht zufammenflössen.
  • Doch dies erflog der eigne Fittich nie,
  • Ward nicht mein Geist von einem Blitz durchdrungen,
  • Der, was die Seel’ ersehnt hatt’, ihr verlieh.
  • Hier war die Macht der Phantasie bezwungen,
  • Doch Wunsch und Will’, in Kraft aus ew’ger Ferne,
  • Ward, wie ein Rad, gleichmäßig umgeschwungen,
  • Durch Liebe, die beweget Sonn’ und Sterne.
  • Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes Die Göttliche Komödie,
  • von Dante Alighieri.
  • End of Project Gutenberg's Die Goettliche Komoedie, by Dante Alighieri
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