- Project Gutenberg's Sämmtliche Werke 5: Dramatische Werke, by Nikolaj Gogol
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- Title: Sämmtliche Werke 5: Dramatische Werke
- Der Revisor / Eine Heiratsgeschichte / Die Spieler / Fragmente
- Author: Nikolaj Gogol
- Editor: Otto Buek
- Translator: Thomas Commichau
- Carl Ritter
- André Villard
- Gregorius Itelson
- Alexandra Ramm
- Release Date: September 5, 2017 [EBook #55487]
- Language: German
- *** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK SÄMMTLICHE WERKE 5: ***
- Produced by Jens Sadowski and the Online Distributed
- Proofreading Team at http://www.pgdp.net
- Nikolaus Gogol
- Dramatische Werke
- Nikolaus Gogol
- Sämmtliche Werke
- In 8 Bänden
- Herausgegeben
- von
- Otto Buek
- Band 5
- München und Leipzig
- bei Georg Müller
- 1911
- Nikolaus Gogol
- Dramatische Werke
- Herausgegeben
- von
- Otto Buek
- München und Leipzig
- bei Georg Müller
- 1911
- Der Revisor
- Komödie in fünf Aufzügen
- »Den Spiegel soll nicht schelten,
- wer eine Fratze hat.«
- Sprichwort.
- Deutsche Übertragung von _Th. Commichau_
- Das Recht der öffentlichen Aufführung ist ausschließlich zu erwerben
- von dem
- Theaterverlag Eduard Bloch,
- Berlin C 2, Brüderstraße 1
- Personen.
- Antón Antónowitsch Skwósnik-Dmuchánowski, Polizeimeister.
- Anna Andréjewna, seine Frau.
- Márja Antónowna, seine Tochter.
- Lúka Lúkitsch Chlópoff, Schulinspektor.
- Frau Chlópoff.
- Ammós Fjódorowitsch Ljápkin-Tjápkin, Kreisrichter.
- Artémij Filíppowitsch Semljaníka, Hospitalverwalter.
- Iwán Kusmítsch Schpékin, Postmeister.
- Pjotr Iwánowitsch Dóbtschinski }
- Pjotr Iwánowitsch Bóbtschinski } Bürger.
- Iwán Alexándrowitsch Chlestakóff, Beamter aus Petersburg.
- Ossip, sein Diener.
- Christian Iwánowitsch Hübner, Kreisarzt.
- Fjódor Andréjewitsch Ljuljukóff }
- Iwán Lasaréwitsch Rastakówski } pensionierte Beamte,
- Stepán Iwánowitsch Koróbkin } Honoratioren der Stadt.
- Stepán Iljitsch Uchowjértoff, Polizeiinspektor.
- Swistúnoff }
- Pugowízyn } Polizeidiener.
- Djerschimórda }
- Awdúlin, Kaufmann.
- Fewrónja Pjetrówna Poschljópkina, Schlossersfrau.
- Die Frau eines Unteroffiziers.
- Míschka, Diener des Polizeimeisters.
- Ein Kellner.
- Ein Gendarm.
- Gäste, Kaufleute, Volk, Bittsteller.
- * * * * *
- Zeit: Um 1835. -- Ort: Eine kleine russische Provinzialstadt.
- Charaktere und Kostüme
- (Bemerkungen für die Herren Schauspieler)
- Der Polizeimeister: Ein im Dienst bereits ergrauter und in seiner Art
- gescheiter Mann. Obgleich bestechlich, gibt er sich als soliden und
- ernsthaften Menschen und ist in gewissem Sinne sogar Räsoneur. Er
- spricht weder laut noch leise, noch viel, noch wenig; jedes seiner Worte
- hat Gewicht. Seine Gesichtszüge sind grob und hart, wie bei allen, die
- in einer mühsamen Karriere von der Pike auf gedient haben. Der Übergang
- von Furcht zu Freude, von Unterwürfigkeit zu Hochmut vollzieht sich bei
- ihm ziemlich unvermittelt, wie bei allen Leuten mit roh entwickelten
- Charakteranlagen. Er trägt die übliche Uniform mit Litzenkragen und
- Stulpstiefel mit Sporen; sein graues Haar ist kurzgeschoren.
- Anna Andréjewna, seine Frau: Eine noch leidlich konservierte
- Provinzialkokette, die zur Hälfte in der Lektüre von Romanen und
- Poesiealbums, zur Hälfte im Kleinkram von Hauswirtschaft und
- Gesindeplackerei aufgeht. Sehr neugierig, kehrt sie gelegentlich auch
- Hoffart hervor; erlangt oftmals dadurch Übergewicht über ihren Mann, daß
- dieser ihr nichts zu antworten weiß; doch erstreckt sich solches
- Übergewicht nur auf Kleinigkeiten und besteht lediglich in Vorwürfen und
- Hohn. Im Verlaufe des Stückes wechselt sie viermal die Toilette.
- Chlestakóff: ein junger Mann von 23 Jahren, schmächtig und unansehnlich,
- etwas einfältig und hat, wie man zu sagen pflegt, das Pulver nicht
- erfunden; einer von den Leuten, die man in den Kanzleien Windbeutel
- nennt. Er ist nicht imstande längere Zeit bei einem Thema zu verweilen,
- spricht unzusammenhängend, und die Worte sprudeln ihm unberechenbar aus
- dem Munde. Je mehr Freimut und Harmlosigkeit der Darsteller dieser Rolle
- zur Schau trägt, desto größeren Erfolg wird er erzielen. Seine Kleidung
- ist modern (1835).
- Ossip, sein Diener: Von dem Wesen, das Diener in vorgerückten Jahren zu
- haben pflegen; er spricht gelassen, hält den Blick etwas gesenkt,
- räsoniert und liebt es, seinem Herrn in dessen Abwesenheit Vorhaltungen
- zu machen. Seine Stimme ist fast immer monoton, nimmt aber im Gespräch
- mit seinem Herrn einen mürrischen, kargen, zuweilen sogar groben
- Ausdruck an. Er ist pfiffiger als sein Herr und weiß sich deshalb
- rascher zurechtzufinden, spricht aber nicht gern viel und ist ein
- stilles Wasser. Seine Kleidung ist ein grauer oder blauer verschlissener
- Kittel.
- Bóbtschinski und Dóbtschinski: Beide von kleinem, niedrigem Wuchs, sehr
- neugierig; einander sehr ähnlich; beide mit leichtem Embonpoint. Sie
- sprechen hastig und unterstützen ihre Rede durch reichliches
- Gestikulieren mit den Händen. Dóbtschinski ist ein wenig größer und
- ernsthafter als Bóbtschinski, dieser aber ist dafür beweglicher und
- lebhafter als jener.
- Ljápkin-Tjápkin, der Kreisrichter: ein Mensch, der fünf bis sechs Bücher
- gelesen hat und daraufhin den Freigeist herauskehrt. Ist stark in
- Hypothesen und spricht deshalb jedes Wort mit wichtigem Ton. Der
- Darsteller dieser Rolle sollte stets eine vielsagende Miene aufsetzen.
- Er spricht in tiefem Baß, sehr gedehnt, heiser und mit Räuspern, wie
- eine alte Wanduhr, die erst schnarrt, ehe sie schlägt.
- Semljaníka, der Hospitalverwalter: Ein sehr korpulenter, schwerfälliger
- und plumper Mann; bei alledem Intrigant und Gauner; sehr zuvorkommend
- und gefällig.
- Der Postmeister: Ein bis zur Naivität einfältiger Mensch.
- Die übrigen Rollen bedürfen keiner besonderen Anweisungen; ihren
- Originalen begegnet man auf Schritt und Tritt.
- Die Herren Schauspieler sollten der letzten Szene besondere Sorgfalt
- angedeihen lassen. Das zuletzt ausgesprochene Wort muß auf alle wie ein
- elektrischer Schlag wirken; gleichzeitig und plötzlich. Die ganze Gruppe
- muß ihre Stellung in einem Augenblick wechseln; den Ausruf der
- Überraschung müssen alle Damen einstimmig ausstoßen, wie aus einem
- Munde. Die Nichtbeachtung dieser Hinweise könnte die gesamte Wirkung in
- Frage stellen.
- Erster Aufzug
- Zimmer im Hause des Polizeimeisters
- 1. Szene
- Polizeimeister. Hospitalverwalter. Schulinspektor. Kreisrichter.
- Revierinspektor. Arzt. Zwei Polizeidiener.
- Polizeimeister. Ich habe Sie herberufen, meine Herren, um Ihnen eine
- sehr unerfreuliche Nachricht mitzuteilen: ein Revisor kommt zu uns.
- Kreisrichter. Ein Revisor?!
- Hospitalverwalter. Ein Revisor?!
- Polizeimeister. Ein Revisor aus Petersburg, inkognito. Und noch dazu mit
- geheimen Instruktionen.
- Kreisrichter. Donnerwetter!
- Hospitalverwalter. Das hat uns auch gerade noch gefehlt!
- Schulinspektor. Herr des Himmels! Und obendrein mit geheimen
- Instruktionen!
- Polizeimeister. Als wenn ich das vorausgeahnt hätte: die ganze Nacht
- träumte mir von zwei ungeheuren Ratten -- nie habe ich dergleichen
- vorher gesehen: schwarz und riesengroß! Kamen heran, beschnupperten mich
- und liefen wieder davon. Ich will Ihnen hier den Brief vorlesen, den ich
- von Andréj Iwánowitsch Tschmychóff erhalten habe -- Sie, Artémij
- Filíppowitsch, kennen ihn ja. Er schreibt also folgendermaßen: »Teurer
- Freund, Gevatter und Wohltäter« (halblaut murmelnd und die Zeilen
- überfliegend) »... dir zu melden« -- da hier: »Ich beeile mich, dir
- unter anderem zu melden, daß ein Beamter eingetroffen ist mit der
- Instruktion: das ganze Gouvernement und speziell unsern Kreis (hebt
- bedeutungsvoll den Finger in die Höhe) zu inspizieren. Ich erfuhr dies
- von absolut zuverlässiger Seite, obgleich er sich für einen Privatmann
- ausgibt. Da ich nun weiß, daß auch bei dir, wie überall, kleine
- Schnitzer mitunterlaufen, weil du ein kluger Mann bist und ungern fahren
- läßt, was in deinem Netze zappelt ...« (Innehaltend) Nun, hier macht er
- so seine ... »so rate ich dir auf deiner Hut zu sein: er kann jeden
- Augenblick kommen, wenn er nicht gar schon da ist und sich irgendwo
- inkognito aufhält ... Gestern ...« -- hier folgen nur noch
- Familiennachrichten: »ist meine Schwester Anna Kiríllowna mit ihrem
- Manne zum Besuch angekommen; Iwán Kiríllowitsch ist sehr dick geworden
- und fiedelt immerfort auf der Geige«, usw. usw. Also nun wissen Sie, wie
- die Dinge stehen!
- Kreisrichter. Eine seltsame, höchst seltsame Geschichte! Da steckt
- irgendwas dahinter.
- Schulinspektor. Wozu das alles, Antón Antónowitsch, wozu? Warum uns
- einen Revisor?!
- Polizeimeister (seufzend). Warum! Sie sehen ja: Schicksal! (Seufzend)
- Bisher hatte man, Gott sei Dank, nur andre Städte heimgesucht; jetzt
- kommt eben die Reihe an uns.
- Kreisrichter. Ich meine, Antón Antónowitsch, daß dies einen feinen und
- mehr politischen Hintergrund hat. Es bedeutet einfach: Rußland ... ja
- ... Rußland will Krieg führen -- und das Ministerium, sehen Sie wohl,
- schickt heimlich einen Beamten ab, um auszuforschen, ob hier herum wo
- Spione stecken.
- Polizeimeister. Eh, was reden Sie da! Sie sind wohl nicht recht
- gescheit! In einer Kreisstadt Spione! Liegen wir etwa an der Grenze? Die
- erreicht von hier aus keiner, auch wenn er drei Jahre Galopp fährt.
- Kreisrichter. Nein, wie ich Ihnen sage. Sie wollen mich nicht ... wollen
- nicht ... Die Regierung kennt die feinsten Schliche; weit oder nicht,
- sie hört sogar die Flöhe husten.
- Polizeimeister. Floh hin, Floh her; jedenfalls sind Sie gewarnt, meine
- Herren. Sehen Sie sich vor! Ich für meinen Teil habe schon so meine
- Maßregeln getroffen, tun Sie das gleiche. Namentlich rate ich's Ihnen,
- Artémij Filíppowitsch! Der durchreisende Revisor wird zweifelsohne vor
- allem die Ihnen unterstellten Krankenhäuser inspizieren wollen --, drum
- sorgen Sie dafür, daß alles tadellos sei. Daß die Nachtmützen hübsch
- rein sind und die Kranken nicht wie die Kesselschmiede aussehen, wie das
- sonst gewöhnlich der Fall ist.
- Hospitalverwalter. Na, wenn's weiter nichts ist -- reine Nachtmützen
- können sie kriegen.
- Polizeimeister. Gut. Und an jedem Bett muß auf lateinisch oder in einer
- andern fremden Sprache ... das wäre dann eben Ihre Sache, Herr Doktor --
- muß jede einzelne Krankheit angeschrieben stehen, Datum der Erkrankung,
- genau auf Jahr und Tag ... Es ist auch gar nicht schön, daß Ihre Kranken
- einen so starken Tabak rauchen, daß, wer hereinkommt, immerzu niesen
- muß. Noch besser, wenn überhaupt weniger Kranke da wären; sonst wird
- gleich der schlechten Verwaltung oder der Unfähigkeit des Arztes schuld
- gegeben.
- Hospitalverwalter. Oh, was die ärztliche Behandlung anbetrifft, so bin
- ich mit dem Herrn Doktor längst übereingekommen: je naturgemäßer, desto
- besser -- teure Arzeneien brauchen wir nicht. Gewöhnliches Volk:
- stirbt's, dann stirbt's, bleibt's leben, dann bleibt's eben leben. Auch
- könnte sich der Herr Doktor ja doch nicht mit ihnen verständigen: er
- versteht ja kein Wort Russisch.
- Christian Iwánowitsch, der Arzt (gibt Laute von sich, die halb wie i und
- halb wie e klingen).
- Polizeimeister. Auch Ihnen, Ammós Fjódorowitsch, möchte ich raten,
- einmal nach Ihrem Gerichtslokal zu schauen. Im Vorzimmer, wo sich die
- Klienten versammeln sollen, haben Ihre Gerichtsdiener die ganzen
- Hausgänse mit ihren Jungen untergebracht, die einem dort fortwährend
- zwischen die Beine geraten. Sich um die Wirtschaft kümmern, ist gewiß
- lobenswert, und warum sollte das ein Knecht auch nicht tun; aber an
- einem solchen Ort, sehen Sie, paßt sich das doch nicht. Ich wollte das
- schon eher sagen, habe es aber wieder ganz verschwitzt.
- Kreisrichter. Ich lasse sie gleich sämtlich in die Küche schaffen.
- Kommen Sie doch zum Essen herüber.
- Polizeimeister. Schlimm ist's auch, daß der Sitzungssaal so von Schmutz
- starrt und daß mitten auf dem Aktentisch Ihre Hundepeitsche liegt. Ich
- weiß wohl, Sie sind ein großer Jagdfreund, doch besser wär's, sie
- wenigstens jetzt wegzunehmen; ist der Revisor erst wieder fort, dann
- können Sie sie ja meinetwegen wieder hinlegen. Und dann Ihr Beisitzer!
- Der Mann ist ja wahrscheinlich sehr tüchtig, aber er verbreitet einen
- Duft, als ob er geradenwegs aus der Branntweinschänke käme -- das taugt
- auch nicht. Schon längst wollte ich mal davon reden, wurde aber, ich
- weiß nicht wie, davon abgebracht. Es gibt Mittel dagegen, selbst wenn
- wirklich, wie er behauptet, ihm dieser Geruch angeboren wäre: man könnte
- ihm Zwiebeln oder Knoblauch zu essen geben oder irgendwas ähnliches. Für
- diesen Fall kann ja der Herr Doktor mit Medikamenten zu Hilfe kommen.
- Christian Iwánowitsch, der Arzt (gibt die vorerwähnten Laute von sich).
- Kreisrichter. Nein, das läßt sich nicht vertreiben; er sagt, als Kind
- habe ihn seine Amme einmal verprügelt, und seit der Zeit müsse er immer
- etwas Branntwein ausschwitzen.
- Polizeimeister. Nun, ich wollte das nur bemerkt haben. Doch betreffs
- unserer sonstigen Zustände und der sogenannten kleinen Schnitzer, von
- denen Andréj Iwánowitsch in seinem Briefe redet, weiß ich wahrhaftig
- nichts beizubringen. Es bleibt nun eben mal wahr: kein Mensch ist ohne
- Sünde. Das hat Gott selber schon so gewollt, und die Aufklärungsapostel
- werden vergeblich darüber wettern.
- Kreisrichter. Ja, was nennen Sie Sünde, Antón Antónowitsch? Sünde und
- Sünde ist zweierlei. Ich für mein Teil gebe ganz offen zu, daß ich hier
- und da kleine Geschenke annehme, doch was für welche? Jagdhunde! Das ist
- was ganz andres.
- Polizeimeister. Jagdhunde oder sonst was, Geschenke bleiben's doch.
- Kreisrichter. O nein, Antón Antónowitsch. Aber wenn einer zum Beispiel
- einen Pelz für fünfhundert Rubel und seine Frau einen Schal ...
- Polizeimeister. Schon gut, schon gut, Sie nehmen also bloß Jagdhunde --
- dafür glauben Sie aber nicht an Gott und gehen nie in die Kirche; ich
- aber bin ein gläubiger Mensch und bin jeden Sonntag beim Gottesdienst.
- Aber Sie ... oh, ich kenne Sie: wenn Sie anfangen, über die Schöpfung zu
- reden, dann stehen einem die Haare zu Berge.
- Kreisrichter. Wenigstens bin ich von alleine darauf gekommen, aus
- eigenem Verstande.
- Polizeimeister. Na, manchmal ist viel Verstand schlimmer als gar keiner.
- Übrigens habe ich nur so nebenbei ans Kreisgericht gedacht; ehrlich
- gesagt, es wird ja keiner da hineingucken: das ist ein geheiligter Ort,
- den Gott selber in Schutz genommen hat. Aber Sie, Lúka Lúkitsch, müssen
- sich durchaus mal um Ihr Lehrerpersonal kümmern. Es sind ohne Frage
- gelehrte und hochstudierte Leute, haben aber höchst sonderbare
- Angewohnheiten, die sich kaum mit dem Lehrberuf vertragen. Da ist zum
- Beispiel einer, der mit dem aufgedunsenen Gesicht, mir ist sein Name
- nicht gegenwärtig -- der muß absolut immer eine Fratze schneiden, sowie
- er aufs Katheder steigt, ungefähr so (macht eine Grimasse) und dann
- steckt er die Hand unter die Halsbinde und kraut sich den Bart. Daß er
- den Schülern solche Fratzen schneidet, ist ja egal und mag vielleicht
- nötig sein, das geht mich nichts an; aber sagen Sie selbst, wenn er das
- vor dem Herrn Inspizienten tut, das kann doch sehr fatal werden; der
- Herr Revisor oder ein andrer könnte das auf sich beziehen. Da kann der
- Teufel weiß was dabei herauskommen.
- Schulinspektor. Ja, aber was soll ich mit ihm machen; ich habe schon
- mehrfach mit ihm geredet. Noch kürzlich, als gerade der Schulrat die
- Klasse betrat, hat er eine solche Grimasse aufgesetzt, wie ich sie noch
- niemals gesehen hatte. Er denkt sich gar nichts Böses dabei, mich aber
- rüffelt man dann, daß der Jugend revolutionäre Ideen eingeflößt werden.
- Polizeimeister. Auch über Ihren Geschichtslehrer habe ich noch einiges
- zu bemerken. Es ist ein gelehrtes Haupt, das sieht man deutlich, und
- strotzt von Wissen; aber er doziert mit solchem Feuer, daß er sich ganz
- dabei vergißt. Ich hörte ihn einmal: na, solange er von den Babyloniern
- und Assyrern sprach, da ging's noch, aber als er auf Alexander den
- Großen kam -- ich kann's kaum beschreiben, wie er da loslegte. Ich
- glaubte, es brennt, wahrhaftig! Springt vom Katheder und was das Zeug
- hält -- bautz! -- den Stuhl an die Erde. Gewiß, Alexander der Große war
- schon ein Held, aber braucht man da Stühle zu zerkeilen? Der Staat hat
- nur Kosten davon.
- Schulinspektor. Ja, ja, er ist ein Heißsporn. Ich habe ihm das auch
- schon ein paarmal vorgehalten; aber dann erwidert er: »Wie Sie wünschen,
- aber für die Wissenschaft opfere ich mein Leben.«
- Polizeimeister. Ach ja, das muß eben unerforschlicher Schicksalswille
- sein: so ein Gelehrter ist entweder Säufer oder schneidet Fratzen, daß
- man sich vor den Heiligenbildern schämen möchte.
- Schulinspektor. Gott bewahre mich davor, Lehrer sein zu müssen, das ist
- eine Strafe! Da will jeder reinreden, jeder beweisen, daß auch er
- Verstand hat.
- Polizeimeister. Das hätte alles noch gar nichts zu sagen -- das
- Inkognito ist das Infame! Mit einmal schielt er herein: »Ah, da seid ihr
- ja, Freundchen! Na wer ist denn von Euch der Richter?« --
- »Ljápkin-Tjápkin!« -- »Ei dann bitte schön Herr Ljápkin-Tjápkin!« --
- »Und wer ist der Hospitalverwalter!« »Semljaníka!« -- »Dann bitte doch
- schön, Herr Semljaníka!« -- Das ist das gemeine!
- 2. Szene
- Die Vorigen. Postmeister.
- Postmeister. Herrschaft, was geht denn vor? Ein Revisor soll kommen?
- Polizeimeister. Haben Sie's denn noch nicht gehört?
- Postmeister. Eben, von Pjotr Iwánowitsch Bóbtschinski; er war gerade bei
- mir auf dem Postamt.
- Polizeimeister. Na, nun? Was denken Sie drüber?
- Postmeister. Was ich denke? 's gibt Krieg mit den Türken.
- Kreisrichter. Da, also! Genau wie ich's gesagt habe!
- Polizeimeister. Ja, zwei kapitale Schlauköpfe!
- Postmeister. Freilich, mit den Türken. Das haben uns alles die Franzosen
- eingebrockt.
- Polizeimeister. Schöner Krieg mit den Türken. Uns wird's an den Kragen
- gehn, nicht den Türken. Das steht längst fest, ich habe briefliche
- Nachricht.
- Postmeister. Na, wenn's so ist, dann gibt's eben keinen Krieg.
- Polizeimeister. Nun, was sagen Sie dazu, Iwán Kusmítsch?
- Postmeister. Hm, ich? Und Sie, Antón Antónowitsch?
- Polizeimeister. Ich? Von Furcht natürlich keine Spur, aber so ein
- bißchen. Kaufleute und Bürger machen mir etwas Sorge. Sie behaupten, ich
- hätte sie gerupft, aber bei Gott, wenn ich auch mal von einem oder dem
- andern was nahm, dann geschah's nur in aller Unschuld. Ich vermute,
- (führt den Postmeister beim Arm auf die Seite) ich vermute, man hat mich
- angeschwärzt. Warum gerade für uns einen Revisor? Hören Sie mal, Iwán
- Kusmítsch, könnten Sie nicht, zu unserm gemeinschaftlichen Vorteil,
- jeden Brief, der in Ihrem Postamt ein- und ausgeht, wissen Sie, so'n
- bißchen aufmachen und durchlesen, ob nicht vielleicht Denunziationen
- oder dergleichen vertrauliche Mitteilungen drinstehen? Wenn nicht, kann
- man sie ja wieder zusiegeln oder einfach geöffnet abliefern.
- Postmeister. Weiß ich längst! Da brauchen Sie mich nicht erst zu
- belehren, mach' ich sowieso schon, aber weniger aus Vorsicht, als aus
- Neugierde -- ich bin geradezu versessen auf das, was in der Welt
- vorgeht. Ich sage Ihnen, die interessanteste Lektüre. Mancher Brief
- liest sich ganz köstlich -- da werden Dinge beschrieben ... Und eine
- Darstellung -- besser als in den »Moskauer Nachrichten«!
- Polizeimeister. Schön, sagen Sie mal, haben Sie da nichts über einen
- Revisor aus Petersburg gefunden?
- Postmeister. Aus Petersburg, nein, aber von einem in Kostromá und
- Sarátow ist viel die Rede. Wirklich schade, daß Sie keine Briefe lesen;
- manche Stellen sind großartig. Da schrieb kürzlich ein Leutnant seinem
- Kameraden und schilderte einen Ball auf die lustigste Art -- ganz, ganz
- ausgezeichnet: »Ich führe hier«, schreibt er, »ein Götterleben: schöne
- Mädchen in Hülle und Fülle, die Musik rauscht, hoch flattert die Fahne
- ...« mit großem Schwung schrieb er. Ich habe den Brief wahrscheinlich
- noch bei mir; soll ich ihn vorlesen?
- Polizeimeister. Nein, lassen Sie's für jetzt. Also seien Sie so gut,
- Iwán Kusmítsch: falls Sie gelegentlich auf so eine Beschwerde oder eine
- Denunziation stoßen, dann ohne weiteres anhalten.
- Postmeister. Mit dem größten Vergnügen.
- Kreisrichter. Sehen Sie sich aber vor, Sie könnten da mal reinfallen.
- Postmeister. Du lieber Gott!
- Polizeimeister. Ach, das hat gar nichts zu sagen; ja, wenn Sie das an
- die große Glocke hängen wollten, aber so ist's ja reine Privatsache.
- Kreisrichter. Na, schlimme Sache das. Übrigens war ich eigentlich
- gekommen, Antón Antónowitsch, um Ihnen eine junge Hündin zu offerieren;
- sie ist vom selben Wurf wie mein Köter, den Sie kennen. Daß
- Tscheptówitsch und Warchowínski im Prozeß liegen, wissen Sie wohl; und
- ich habe den Spaß davon, jetzt kann ich beim einen wie beim andern meine
- Hasen jagen.
- Polizeimeister. Herr Gott, bleiben Sie mir jetzt mit Ihren Hasen vom
- Leibe; mir sitzt das verdammte Inkognito im Schädel! Immer drauf lauern,
- daß jeden Augenblick die Tür aufgeht und baff ...
- 3. Szene
- Die Vorigen. Bóbtschinski und Dóbtschinski stürzen atemlos
- herein.
- Bóbtschinski. Unerhörte Überraschung!
- Dóbtschinski. Erstaunliche Neuigkeit!
- Alle. Was, was ist denn los?!
- Dóbtschinski. Unerwartetes Ereignis: wir kommen ins Gasthaus ...
- Bóbtschinski (unterbrechend). Ich und Dóbtschinski kommen ins Gasthaus
- ...
- Dóbtschinski (unterbrechend). Eh, lassen Sie mich, Pjotr Iwánowitsch,
- ich will erzählen.
- Bóbtschinski. Nein, nein, lassen Sie mich, lassen Sie mich ... Sie haben
- gar kein Geschick ...
- Dóbtschinski. Und Sie verhaspeln sich und vergessen alles.
- Bóbtschinski. Nein, bei Gott, ich weiß alles; mischen Sie sich nicht
- hinein, lassen Sie mich erzählen. Helfen Sie, meine Herren, daß
- Dóbtschinski sich nicht hereinmischt!
- Polizeimeister. So reden Sie doch um alles in der Welt, was ist los? Ich
- brenne vor Ungeduld. Setzen Sie sich, meine Herren, Stühle her; hier
- haben Sie einen Stuhl, Bóbtschinski. (Alle setzen sich um Bóbtschinski
- und Dóbtschinski herum.) Nur schnell, was gibt's?
- Bóbtschinski. Erlauben Sie, erlauben Sie, alles nach der Reihe. Kaum daß
- ich die Ehre hatte, mich von Ihnen zu verabschieden, nachdem Sie
- geruhten, sich über den empfangenen Brief zu beunruhigen, ja -- da
- rannte ich ... Bitte, unterbrechen Sie mich nicht, Dóbtschinski! Ich
- weiß alles, alles. Also: da rannte ich zu Koróbkin, da aber Koróbkin
- nicht zu Hause war, zu Rastakówski, und da ich Rastakówski nicht antraf,
- von dort zum Herrn Postmeister, um ihm die von Ihnen empfangene
- Neuigkeit mitzuteilen, und wie ich von da weggehe, begegne ich
- Dóbtschinski ...
- Dóbtschinski. Neben dem Pastetenladen ...
- Bóbtschinski. Neben dem Pastetenladen. Ich treffe also Dóbtschinski und
- sage ihm: haben Sie schon von der großen Neuigkeit gehört, die der Herr
- Polizeimeister in einem hochbedeutsamen Brief erhalten hat? Dóbtschinski
- aber hatte sie schon von Ihrer Magd Awdótja gehört, die, ich weiß nicht
- wonach, zu Philipp Antónowitsch Potschetschújeff geschickt worden war
- ...
- Dóbtschinski (unterbrechend). Nach einem Kognakfäßchen.
- Bóbtschinski (mit der Hand abwehrend). Nach einem Kognakfäßchen. Wir
- gingen also zusammen zu Potschetschújeff ... Nein, Dóbtschinski, nein,
- unterbrechen Sie mich nicht, bitte ernstlich, unterbrechen Sie mich
- nicht! ... Wir gehen also zu Potschetschújeff und unterwegs sagt mir
- Dóbtschinski: »Kommen Sie doch mal erst in die Restauration; ich hab'
- so'n gewisses ... seit heut früh hab' ich nichts genossen und der Magen
- knurrt mir so ...« -- jawohl, Dóbtschinski knurrte der Magen. »Und in
- der Restauration,« sagt er, »gibt's heut frischen Lachs, kosten wir doch
- wenigstens.« Kaum sind wir drin, als plötzlich ein junger Mann ...
- Dóbtschinski (unterbrechend). Von hübschem Äußeren, apart gekleidet ...
- Bóbtschinski. Von hübschem Äußeren, apart gekleidet, so -- ft -- ins
- Zimmer tritt, entschlossener Ausdruck, Physiognomie, Benehmen und hier
- (fährt mit der Hand um die Stirne) viel, sehr viel. Ich hatte es
- sozusagen vorausgeahnt und sage zu Dóbtschinski: »Hier geht was vor.«
- Jawohl. Und Dóbtschinski hatte schon mit dem Finger gewinkt und den
- Wirt, den Wirt Wlas gerufen -- seine Frau kam vor drei Wochen mit einem
- strammen Jungen nieder, der mal des Vaters Wirtschaft erben wird. Wie
- Wlas kommt, fragt ihn Dóbtschinski ganz heimlich: »Wer ist dieser junge
- Mensch?« und Wlas antwortet: »Der« sagt er ... Ach, so unterbrechen Sie
- mich doch nicht in einem fort, Dóbtschinski, Sie können's ja doch nicht
- erzählen, Sie lispeln ja, ich weiß genau, bei Ihnen pfeift ein Zahn ...
- »Der junge Mensch da«, sagt Wlas, »das ist ein Beamter«, jawohl, »kommt
- von Petersburg und heißt«, sagt er, »Iwán Alexándrowitsch Chlestakóff,
- und reist«, sagt er, »nach Sarátoff und führt sich,« sagt er, »ganz
- seltsam auf: sitzt schon die zweite Woche hier, geht nie aus, nimmt
- alles auf Rechnung und zahlt keinen Kopeken.« Wie er das sagt, geht mir
- auf einmal ein Licht auf: »He!« sage ich zu Dóbtschinski ...
- Dóbtschinski. Nein Bóbtschinski, ich habe »He!« gesagt.
- Bóbtschinski. Zuerst sagten Sie's, danach sagte ich's auch. Also: »He!«
- sagten Dóbtschinski und ich. »Warum sitzt er hier, wenn er nach Sarátoff
- soll?« Folglich ist _er_ der Beamte.
- Polizeimeister. Was, welcher Beamte?
- Bóbtschinski. Der Beamte, von dem Sie die Nachricht zu empfangen
- geruhten -- der Revisor.
- Polizeimeister (zusammenfahrend). Was reden Sie da, um Gotteswillen, das
- kann er nicht sein!
- Dóbtschinski. Doch! Geld zahlt er keins und abreisen tut er auch nicht.
- Wer sollte es anders sein? Und dabei lautet sein Paß auf Sarátoff.
- Bóbtschinski. Er ist's, er ist's, ganz gewiß ... Und was für eine
- Spürnase, alles hat er bemerkt, beobachtete, wie Dóbtschinski und ich
- Lachs aßen -- etwas reichlicher als sonst, weil Dóbtschinskis Magen ...
- Ja, _so_ hat er auf unsre Teller geschielt. Der Schreck fuhr mir
- ordentlich in die Glieder.
- Polizeimeister. Herr Gott, erbarme dich über uns arme Sünder! Wo wohnt
- er denn da?
- Dóbtschinski. Auf Nummer fünf, über die Stiege.
- Bóbtschinski. In derselben Stube, wo sich voriges Jahr die
- durchreisenden Offiziere geprügelt hatten.
- Polizeimeister. Ist er schon lange da?
- Dóbtschinski. An die zwei Wochen; seit Sankt Basilius.
- Polizeimeister. Zwei Wochen! (Beiseite.) Gott und alle Heiligen, steht
- mir bei! In diesen zwei Wochen ist die Witwe des Unteroffiziers
- ausgepeitscht worden, haben die Gefangenen keine Rationen erhalten. Die
- Straßen voll Dreck und Kot. Schimpf und Schande! (Greift sich an den
- Kopf).
- Hospitalverwalter. Nun, Antón Antónowitsch, jetzt wird's eben heißen:
- auf und in Gala nach dem Gasthof.
- Kreisrichter. Nein, nein; erst muß der Stadtälteste, die Geistlichkeit
- und die Kaufmannschaft vorangeschickt werden; wie schon zu lesen in den
- »Taten Johanns des Freimaurers« ...
- Polizeimeister. Nein, nein; überlassen Sie das mir. Mich hat schon
- Schwereres im Leben heimgesucht, es ging vorüber und ich habe noch Dank
- dazu gehabt. Wohlan! Gott wird auch diesmal helfen. (Zu Bóbtschinski
- gewandt.) Sagten Sie nicht, es sei noch ein junger Mann?
- Bóbtschinski. Jawohl, so an die dreiundzwanzig oder ein wenig über
- vierundzwanzig.
- Polizeimeister. Desto besser, ein junger läßt sich leichter auf den Zahn
- fühlen; schlimm, wenn's ein alter Satan gewesen wäre; junge Leute sind
- Windbeutel. Halten Sie sich bereit, meine Herren, ich gehe jetzt alleine
- hin -- oder vielleicht höchstens in Dóbtschinskis Begleitung, ganz
- privatim, um wie auf einem Spaziergang bloß mal nachzuschauen, ob die
- durchreisenden Fremden keinen Anlaß zu Beschwerden haben. He,
- Swistúnoff!
- Polizeidiener. Zu Befehl!
- Polizeimeister. Hol mir sofort den Polizeiinspektor, oder nein, ich
- brauche dich hier. Sag draußen irgendwem, er soll mir so schnell wie
- möglich den Polizeiinspektor herbeischaffen und komm gleich zurück.
- (Polizeidiener ab.)
- Hospitalverwalter. Kommen Sie, kommen Sie, meine Herren, es könnte
- wirklich was passieren.
- Kreisrichter. Was haben denn Sie zu fürchten? Reine Nachtmützen für die
- Kranken und damit holla.
- Hospitalverwalter. Wenn's das bloß wäre! Von rechtswegen sollten die
- Kranken Hafersuppe kriegen, und statt dessen ist bei mir auf allen
- Korridoren ein solcher Gestank nach Sauerkohl, daß man sich die Nase
- zuhalten muß.
- Kreisrichter. In der Hinsicht bin ich ohne Sorge. Aufs Gericht zu kommen
- fällt ja doch keinem ein; und wenn er wirklich in so ein Aktenstück
- reinschaut, wird er seines Lebens nicht froh. Ich sitze nun schon
- fünfzehn Jahre auf dem Richterstuhl, und wenn ich solch schriftliches
- Referat ansehn muß -- ah! ich mache bloß so mit der Hand! Selbst Salomo
- würde nicht entscheiden, wo Recht und wo Unrecht ist.
- (Kreisrichter, Hospitalverwalter, Schulinspektor und Postmeister ab
- und kollidieren in der Tür mit dem zurückkehrenden Polizeidiener.)
- 4. Szene
- Polizeimeister. Bóbtschinski. Dóbtschinski und Polizeidiener.
- Polizeimeister. Ist der Wagen bereit?
- Polizeidiener. Zu Befehl.
- Polizeimeister. Geh hinunter ... oder nein, halt! Geh, hol mir ... Aber
- wo sind denn die andern? Bist du denn allein? Ich habe doch befohlen,
- daß auch Prochóroff zur Stelle sei. Wo ist Prochóroff?
- Polizeidiener. Prochóroff ist auf der Wache, ist aber nicht zu brauchen.
- Polizeimeister. Warum nicht?
- Polizeidiener. Nun so: man brachte ihn heut morgen totbesoffen an; wir
- gossen ihm schon zwei Eimer Wasser über den Kopf, aber bis jetzt hat er
- sich noch nicht aufgerappelt.
- Polizeimeister (schlägt sich vor den Kopf). Gott, mein Gott! Lauf
- schnell auf die Straße, oder nein -- zuerst in mein Schlafzimmer, hörst
- du! und bring mir den Degen und die neue Mütze. Kommen Sie,
- Dóbtschinski!
- Bóbtschinski. Ich auch, ich auch, bitte, nehmen Sie mich doch auch mit,
- Antón Antónowitsch.
- Polizeimeister. Nein, nein, Bóbtschinski, das geht nicht! Es wäre
- unbequem, und wir hätten zusammen doch keinen Platz im Wagen.
- Bóbtschinski. Tut nichts, tut nichts: ich springe hupp, hupp, hupp
- hinter dem Wagen her; ich möchte bloß so hineinblinzeln durch ein
- Türritzchen, wie er sich dabei haben wird.
- Polizeimeister (den Degen nehmend, zum Polizeidiener). Lauf rasch, nimm
- dir Polizisten und jeder soll ... Verflucht, wie der Degen zerschrammt
- ist! Dieser hundsföttische Krämer Awdúljin -- sieht beim Polizeimeister
- den alten Degen und schickt keinen neuen! Infames Pack! Wartet ihr
- Halunken, ich will euch mit euren ellenlangen Bittschriften! Jeder soll
- sofort eine Straße packen ... Himmeldonnerwetter Straße -- einen Besen
- soll er packen und gleich die Straße beim Gasthof reinfegen ... hörst
- du! Und du nimm dich in acht! Ich kenne dich, Bürschchen: du biederst
- dich da an und läßt silberne Löffel in deine Stiefelschäfte verschwinden
- -- sieh dich vor, ich habe feine Ohren! ... Was hast du neulich beim
- Kaufmann Tschernájeff ausgefressen? Er schenkt dir zwei Ellen Tuch zur
- Uniform, und du maust ihm das ganze Stück -- paß Obacht! Zu so was bist
- du noch zu gering! Marsch!
- 5. Szene
- Die Vorigen. Polizeiinspektor.
- Polizeimeister. Um alles in der Welt, Stepán Iljitsch, wo treiben Sie
- sich denn herum? Ist das eine Art?
- Polizeiinspektor. Ich war gerade nur einen Augenblick vor der Türe.
- Polizeimeister. Na, nun hören Sie mal, Stepán Iljitsch! Der bewußte
- Beamte aus Petersburg ist eingetroffen. Was haben Sie inzwischen
- angeordnet?
- Polizeiinspektor. Genau was Sie befahlen; ich schickte den Polizeidiener
- Pugowízyn mit Polizisten ab, um das Trottoir zu fegen.
- Polizeimeister. Und wo ist Djerschimórda?
- Polizeiinspektor. Djerschimórda mußte nach der Feuerspritze.
- Polizeimeister. Und Prochóroff ist besoffen!
- Polizeiinspektor. Zu Befehl, besoffen.
- Polizeimeister. Wie konnten Sie das geschehen lassen?
- Polizeiinspektor. Das weiß Gott! Gestern gab's vor der Stadt Prügelei --
- er ritt hinaus, um Ruhe zu schaffen und kam besoffen zurück.
- Polizeimeister. Hören Sie jetzt, was Sie zu tun haben: der Wachtmeister,
- groß und stämmig, wie er ist, soll auf der Brücke Posto fassen und auf
- Ordnung halten. Lassen Sie den alten Zaun neben dem Schuhmacher abfegen
- und ein paar Strohwische draufstecken, damit's so aussieht, als ob dort
- planiert werden soll; je mehr Rudera, desto mehr glaubt man an den Eifer
- der Stadtverwaltung. Mein Gott, ich vergaß ja, daß man grade neben
- diesem Zaun an die vierzig Fuhren Dreck abgeladen hat! O diese
- schweinische Stadt! Kaum stellt man irgendwo ein Denkmal oder auch nur
- einen Zaun auf, gleich schleppen sie einem dort, der Teufel weiß woher,
- sämtlichen Unrat zusammen! Ja -- und wenn der Revisor unsere Leute
- fragen sollte, ob sie zufrieden sind mit ihrem Dienst, daß mir die Kerle
- gehörig antworten: »Vollkommen zufrieden, Exzellenz!« Wer sich anders
- untersteht, dem will ich später schon seine Mißvergnügtheit anstreichen.
- (Seufzt.) Ach, ach, ach! Ich armer geschlagener Sünder! (Ergreift statt
- der Mütze die Hutschachtel.) Gebe nur Gott, daß alles gnädig
- vorübergehe, dann will ich auch eine Wachskerze weihen, so groß, wie sie
- noch nie ein Mensch geopfert hat: jede Bestie von Krämer soll mir dazu
- drei Zentner Wachs herschaffen. O Gott, o Gott! Vorwärts, Dóbtschinski
- (will statt der Mütze die Hutschachtel aufsetzen.)
- Polizeiinspektor. Antón Antónowitsch, das ist ja die Pappschachtel und
- nicht die Mütze.
- Polizeimeister (wirft die Schachtel an die Erde). Zum Teufel mit der
- Pappschachtel! Und wenn gefragt wird: warum ist die Kirche am Hospital
- nicht gebaut, für die schon vor fünf Jahren die Baugelder angewiesen
- wurden, dann hat's ordnungsgemäß zu heißen: sie war schon im Bau, ist
- aber wieder abgebrannt. Ich habe seinerzeit darüber Rapport erstattet.
- Daß mir keiner in seiner Dummheit herausplappert, daß sie überhaupt
- nicht angefangen wurde. Auch muß Djerschimórda eingeschärft werden, daß
- er mit seinen Fäusten nicht allzu derb dreinpfeffert; bei seinem
- Ruheschaffen haut er jedem Schuldigen wie Unschuldigen das Feuer aus den
- Augen. Fahren wir jetzt, Dóbtschinski. (Geht und kommt noch einmal
- zurück.) Daß man mir auch keinen Soldaten halbnackt auf die Straße läßt;
- diese Lottergarnison läuft immer nur in Hemd und Uniform herum, und
- weiter unterwärts ist nichts da. (Alle ab.)
- 6. Szene
- Anna Andréjewna und Márja Antónowna kommen hereingelaufen.
- Anna. Wo, wo sind sie? Ach mein Gott! ... (öffnet die Tür.) Mann! Anton!
- Liebster Anton! (Hastig.) Immer du, immer deinetwegen! Diese ewige
- Trödelei: »Noch eine Stecknadel, noch ein Lätzchen.« (Läuft zum Fenster
- und ruft.) Anton, wohin? Wie? Ist er angekommen? Der Revisor? Mit
- Schnurrbart? Schönem Schnurrbart?
- Stimme des Polizeimeisters. Nachher, nachher meine Liebe!
- Anna. Nachher? Was soll mir nachher! Ich will nicht nachher! ... Nur ein
- Wörtchen: ist's ein Oberst? Wie? (Fassungslos) Fort ist er! Das will ich
- dir gedenken. Ewig dies: »Ach Mamachen, nur noch ein Augenblickchen, nur
- noch das Lätzchen feststecken, gleich bin ich fertig.« Da hast du dein
- gleich! Nichts und nichts erfahren! Alles wegen dieser verwünschten
- Koketterie; bloß hören, daß der Herr Postmeister da ist, und husch vor
- den Spiegel und sich erst gehörig zieren und sich hier herumdrehen und
- da herumdrehen, ob man auch hübsch genug ist. Bildet sich ein, daß er
- ihr die Cour schneidet! Grimassen schneidet er dir, sobald du dich nur
- umdrehst.
- Márja. Aber, was ist denn da nun zu machen, Mamachen? Es ist doch egal,
- binnen zwei Stunden wissen wir ja alles.
- Anna. Zwei Stunden? Bedanke mich schönstens! Auf die Antwort durfte ich
- ja gefaßt sein; sag doch gleich: in vier Wochen, da wissen wir's ja noch
- bestimmter! (Beugt sich zum Fenster hinaus.) He, Awdótja! Wie? --
- Awdótja, hast du's gehört, wer da angekommen ist? ... Nicht gehört?
- Dumme Gans! -- Er winkt mit der Hand? Laß ihn winken, hast du ihn
- wenigstens gefragt? Nicht verstanden? Natürlich, immer verliebten Kram
- im Kopf! -- Wie? Gerade abgefahren! Hätt'st nachrennen sollen! Lauf,
- lauf rasch! Hörst du, geschwind und frag, wohin sie gefahren sind, aber
- genau fragen, wer er ist, wie er aussieht -- hörst du? Guck durch die
- Türritze und schau gut nach, auch was er für Augen hat, schwarze oder
- blaue, und in einer Minute bist du wieder hier, verstanden?! Schnell,
- schnell, schnell! (Ruft so lange, bis der niedergehende Vorhang die
- beiden am Fenster stehenden Frauen den Blicken entzieht.)
- (Ende des ersten Aufzuges).
- Zweiter Aufzug
- Kleines Zimmer im Gasthause, ein Bett, Tisch, Handkoffer, eine
- leere Flasche, Stiefel, Kleiderbürste und dergleichen.
- 1. Szene
- Ossip, liegt auf seines Herrn Bett.
- Ossip. Hol's der Schinder, so'n gemeiner Hunger, und im Magen ein Rumor,
- als ob da 'n ganzes Regiment 'rumtrompetet. Und kein Fortkommen, nich
- mal nach Hause. Was soll nu geschehen! Zwei geschlagene Monat weg von
- Petersburg! Verplempert auf der Reise sein Geld, mein sauberes Herrchen,
- und jetzt sitzt er da, klemmt den Schwanz ein und macht kusch. Und 's
- hätt' doch schön gereicht auf die Reise; aber nee, siehste, da muß
- überall Staat gemacht werden. (Äfft ihn nach.) »He, Ossip, lauf, nimm
- mir das beste Zimmer und bestell mir das feinste Essen, einen
- gewöhnlichen Mansch kann ich nicht genießen, ich brauche das feinste
- Essen.« Ein einfacher tüchtiger Happen hätt' auch gelangt, aber so'n
- Leckermaul muß immer was extra's haben. Sich mit Reisenden einlassen und
- Karten spielen -- na und dann gehörig reingelegt werden! Eh, die Zucht
- hab' ich satt! Da is es doch auf 'm Dorf noch immer besser: freilich,
- so'n Stadtgetue gibt's da nu mal nich, aber auch weniger Schererei: man
- nimmt sich 'n Weib, liegt immerzu auf der Ofenbank, und läßt sich die
- Klöße schmecken. Nu, 's wird ja keiner abstreiten, und wenn man's bei
- Lichte besieht, hat man's wohl in Petersburg doch am besten. Man bloß
- Geld in der Tasche, dann aber auch 'n pikfeines politisches Leben;
- Tehater, tanzende Hunde, alles, was das Herz begehrt. Reden tun sie so
- delikat, als ob alles adlig wär'. Geht man auf den Markt, schrein die
- Kaufleute: »Gnädigster Herr!« Man steigt in 'ne Fähre, gleich sitzt
- neben einem 'n Beamter. Braucht man Unterhaltung, dann nur in den ersten
- besten Laden rein: da erzählt so'n feiner Gardekavalier Schnurren aus 'm
- Lagerleben und erklärt einem alle Sterne am Himmel, daß man's wie auf
- der flachen Hand hat. Eine schrumplige Offiziersfrau fängt an zu
- spektakeln; 'n andermal blinzt einem so'n Kammerzöfchen zu ... pst, pst!
- (Schüttelt lächelnd den Kopf.) Der Teufel hol die verliebte Wirtschaft!
- -- Nie kriegt man Grobheiten zu hören, alles sagt »Sie« zu einem. Hat
- man's Laufen satt, nimmt man sich 'ne Droschke, setzt sich rein wie 'n
- feiner Herr, und wenn man nicht zahlen mag -- keine Sorge; jedes Haus
- hat so'n Hinterpförtchen, da witscht man durch und kein Teufel find't
- einen. Bloß eins is schlecht: einmal ißt man sich plumpsatt, 's andere
- Mal könnt' man vor Hunger zerspringen, wie zum Beispiel jetzt. Aber
- daran is er allein schuld. Was soll man mit ihm machen? Papachen schickt
- Geld und denkt, man wird sparen -- i wohin! ... Rumtreiben tut er sich,
- fährt immerzu Droschke, jeden Tag hol' ihm ein Tehaterbillett, aber nach
- acht Tagen, hast du nicht gesehn, da muß ich ihm schon den neuen Frack
- zum Trödler tragen. Manchmal is er bis aufs letzte Hemd ausgeplündert,
- daß ihm nur 'n schäbiges Röckchen und 'n alter Mantel übrig bleibt, wahr
- und wahrhaftig! Und so'n feines Tuch, londonisches! Ein einziger Frack
- kost't ihm 150 Rubel, und für 20 schlägt er 'n los; von den Hosen erst
- gar nich zu reden, die gibt er umsonst zu! Und warum? Darum, weil er
- nichts tut: statt zu arbeiten, fährt er spazieren auf'm Proschpekt und
- spielt Karten. Hä, wenn das der Alte wüßte? Der möcht' sich nich drum
- kümmern, daß du'n Beamter bist, sondern möcht dir's Hemd hochnehmen und
- 'n paar überziehen, daß du dich vier Tage lang jucken könntest. Hast du
- 'n Dienst, dann dien' auch. Da kommt nu der Wirt und sagt: erst gezahlt,
- und hernach kriegt ihr zu essen; nu, und wenn wir nich zahlen?
- (Seufzend.) Grundgütiger Gott, und wenn's auch bloß 'ne Kohlsuppe wär'!
- Ich möcht' wetten, die ganze Welt hat längst gegessen. -- 's rappelt,
- gewiß is er's. (Rafft sich vom Bett auf.)
- 2. Szene
- Ossip. Chlestakóff.
- Chlestakóff. Da, nimm das. (Reicht ihm Hut und Spazierstock.) Wieder auf
- meinem Bett gewälzt?
- Ossip. Ich und auf'm Bett? Nich mal angesehn hab' ich's.
- Chlestakóff. Du lügst! Doch hast du's getan! Sieh doch hin, wie's
- zerwühlt ist!
- Ossip. Was hab' ich vom Bett? Weiß ich überhaupt, was 'n Bett is? Ich
- hab' ja Beine zum Stehen. Was geht mich Ihr Bett an?
- Chlestakóff (auf- und abgehend). Schau mal nach, ob noch Tabak im Beutel
- ist.
- Ossip. Wo soll er denn herkommen, der Tabak? Sie haben ja schon
- vorgestern den letzten aufgeraucht.
- Chlestakóff (auf- und abgehend und immerfort die Lippen aufeinander
- pressend, endlich sehr laut und energisch). Hör mal, Ossip!
- Ossip. Was befehlen?
- Chlestakóff (laut, aber weniger energisch). Geh mal runter.
- Ossip. Wohin?
- Chlestakóff (viel leiser und zahmer, beinahe bittend). Hinunter ans
- Büfett ... Sag dort ... man möchte mir zu essen schicken.
- Ossip. Ach nee, lieber nich.
- Chlestakóff. Was unterstehst du dich, Schafskopf?
- Ossip. Nu ja, ob ich nu geh' oder nich, 's wird ja doch nichts draus.
- Der Wirt hat gesagt, er gibt kein Essen mehr.
- Chlestakóff. Nichts mehr geben will der Kerl? Die Unverschämtheit!
- Ossip. Obendrein hat er gesagt: Ich geh' zur Polizei! Dein Herr bezahlt
- seit zwei Wochen nich mehr. Und du und dein Herr, sagt er, seid
- Spitzbuben, und dein Herr is 'n Gauner.
- Chlestakóff. Und du Rindvieh freust dich noch gar, mir das
- wiederzuerzählen!
- Ossip. Weiter sagt er noch: »Da kommt solche Bande hergelaufen, nistet
- sich ein, macht Schulden, und hinterher kann man sie nich mal
- rausschmeißen. Ich«, sagt er, »ich werde aber nich spaßen, ich geh' aufs
- Gericht und bring Euch ins Loch!«
- Chlestakóff. Jetzt schweig, Dummkopf! Geh nur, geh, sag's ihm. Dieser
- grobe Klotz!
- Ossip. Am gescheit'sten, ich hol' Ihnen gleich den Wirt selber herauf.
- Chlestakóff. Was brauche ich den Wirt? Sag du es ihm alleine.
- Ossip. Aber wirklich, Herr ...
- Chlestakóff. Na, in des Teufels Namen, so geh und rufe den Wirt!
- Ossip (ab).
- 3. Szene
- Chlestakóff allein.
- Chlestakóff. Greulichen Hunger hab' ich! Ein bißchen spazieren gegangen;
- dachte, der Appetit wird vergehen -- nein; im Gegenteil, hol's der
- Satan! Hätte ich nur in Pénsa nicht so gelumpt; dann könnte es noch zur
- Heimreise langen. -- Dieser Hauptmann hat mich gründlich ausgebeutelt:
- wie die Bestie die Volte schlagen konnte! Kaum ein paar Viertelstündchen
- gespielt -- und ratzekahl geschoren. Trotz alledem hätte ich riesige
- Lust, noch einmal mit ihm loszugehen. Leider kann ich auf den Zufall
- kaum rechnen. -- Was für ein ekelhaftes Nest das! In den Obstläden geben
- sie nichts auf Pump; es ist geradezu gemein! (Pfeift eine Melodie aus
- Robert dem Teufel, dann den roten Sarafan, endlich alles mögliche
- durcheinander.) Es scheint niemand kommen zu wollen.
- 4. Szene
- Chlestakóff, Ossip und der Kellner.
- Kellner. Der Wirt läßt fragen, was Sie wünschen?
- Chlestakóff. Schönen guten Tag! Na, wie geht's, Freundchen?
- Kellner. Danke, ausgezeichnet.
- Chlestakóff. Und wie steht's in der Wirtschaft? Guter Zuspruch?
- Kellner. Danke, alles nach Wunsch.
- Chlestakóff. Viel Reisende?
- Kellner. Danke, ausreichend.
- Chlestakóff. Hör mal, mein Lieber, man hat mir bis jetzt das Essen nicht
- gebracht; sieh doch geschwind zu, daß sie sich beeilen -- ich habe
- gleich nach Mittag ein dringendes Geschäft.
- Kellner. Aber der Wirt hat gesagt, er borgt nicht länger; heute wollte
- er sogar schon zum Polizeimeister, um sich zu beschweren.
- Chlestakóff. Weshalb beschweren? Aber Freundchen, das siehst du doch
- selber ein, essen muß ich doch; ich würde ja sonst verhungern. Ich habe
- wirklich starken Appetit -- ganz im Ernst.
- Kellner. Zu dienen. Er sagte aber: »Zu essen kriegt er nichts, bis er
- nicht seine vorige Zeche bezahlt hat.« Wort für Wort.
- Chlestakóff. Rede ihm doch zu, dir wird er's nicht abschlagen.
- Kellner. Wie soll ich ihm denn zureden?
- Chlestakóff. Setze es ihm nur ganz ernsthaft auseinander, daß ich eben
- essen _muß_. Von Geld ein andermal ... So ein Bauer bildet sich ein,
- wenn ihm ein Tag fasten nichts schadet, könnten's auch andere Leute
- vertragen! Unerhört!
- (Kellner und Ossip ab.)
- 5. Szene
- Chlestakóff allein.
- Chlestakóff. Es wäre doch niederträchtig, wenn er mir nichts zu essen
- schickte. Einen Hunger hab' ich, wie noch nie. -- Ob man wohl die
- Garderobe versetzt? Vielleicht die Beinkleider? Nein, eher noch hungern,
- aber wenigstens im Petersburger Kostüm nach Haus kommen. Schade, daß mir
- der Jochim nicht die Karosse herleihen wollte; alle Wetter, das wäre
- doch ein Spaß gewesen, in so einer Staatskutsche heimzureisen und dann
- der lieben Nachbarschaft mit dem Ungetüm vor die Fenster zu rasseln,
- vorn Laternen, hinten Ossip in Livree. Ich kann mir's ordentlich
- vorstellen, wie sie da alle aufgesprungen wären! »Was ist los? Wer kommt
- da?« Und mein Lakai tritt herein: (Richtet sich stramm auf und ahmt den
- Lakeien nach.) »Iwán Alexándrowitsch Chlestakóff aus Petersburg, geruht
- die Herrschaft zu empfangen?« Diese Tölpel, sie ahnen nicht mal, was da
- drin liegt: »empfangen!« Kommt ihnen freilich so ein Hanswurst von
- Gutsbesitzer, der tappt natürlich wie ein ungeschlachter Bär direkt ins
- Zimmer. -- Man nähert sich einer hübschen jungen Dame: »Ah, Gnädigste,
- wie bin ich ...« (Reibt sich die Hände und scharrt mit den Füßen.) Tfu!
- (Spuckt aus.) Rein übel wird einem vor lauter Hunger!
- 6. Szene
- Chlestakóff, Ossip, nachher der Kellner.
- Chlestakóff. Nun?
- Ossip. Das Essen kommt.
- Chlestakóff (klatscht in die Hände und ist mit einem Satz auf dem
- Stuhl). Das Essen! Das Essen!
- Kellner (mit Tellern und Serviette). Der Wirt will es noch ein letztes
- Mal geben.
- Chlestakóff. Wirt hin, Wirt her, ich pfeife auf deinen Wirt! Was bringst
- du da?
- Kellner. Suppe und Braten.
- Chlestakóff. Was, bloß zwei Gerichte?
- Kellner. Bloß zwei.
- Chlestakóff. Schufterei! Ich nehme das nicht an. Sag ihm gefälligst, daß
- das eine Gemeinheit ist! ... Die paar Brocken!
- Kellner. Im Gegenteil, der Wirt sagt, das wäre überreichlich.
- Chlestakóff. Und warum keine Sauce?
- Kellner. Sauce gibt's nicht.
- Chlestakóff. Wieso gibt's nicht? Ich habe doch selber gesehen, wie ich
- bei der Küche vorbeiging, daß eine Masse davon bereitet wurde. Und im
- Gastzimmer heute morgen aßen zwei alberne Knirpse Lachs und andere
- schöne Sachen.
- Kellner. O ja, da ist es schon, aber es gibt es nicht.
- Chlestakóff. Wieso nicht?
- Kellner. Gibt's eben nicht.
- Chlestakóff. Und Lachs und Fisch und Kotelettes?
- Kellner. Ja, das gibt's eben für die besseren Leute.
- Chlestakóff. Ach, du Tropf!
- Kellner. Zu dienen.
- Chlestakóff. Ferkel, garstiges ... Warum essen die, und ich nicht? Soll
- ich das nicht können, zum Kuckuck? Sind das nicht ebenso gut Reisende
- wie ich?
- Kellner. Oh, das weiß man schon, daß die anders sind.
- Chlestakóff. Wieso anders?
- Kellner. O ganz einfach: die bezahlen eben auch.
- Chlestakóff. Mit dir Schafskopf mag ich nichts weiter zu schaffen haben.
- (Gießt sich Suppe ein und ißt.) Was ist denn das für Suppe? Reines
- Wasser hast du in die Terrine gegossen! Schmeckt nach gar nichts, riecht
- bloß. Ich mag diese Suppe nicht, bring mir eine andere.
- Kellner. Dann nehmen wir sie zurück. Der Wirt sagte, wenn Sie sie nicht
- wünschten, brauchten sie auch keine.
- Chlestakóff (hält abwehrend die Hand darüber). Nu, nu, nu ... weg,
- Dummkopf! Solche Manieren kannst du bei deinen Leuten anbringen: ich bin
- von anderem Schlage! Mit mir rate ich's dir nicht ... (Ißt.) Gott, o
- Gott, was für eine Suppe! (Ißt weiter.) Ich glaube, kein Mensch auf der
- ganzen Welt hat jemals solche Suppe gegessen; statt Fettaugen schwimmen
- Federn darauf rum. (Schneidet ein Huhn an.) Gräßlich, so was nennt sich
- Huhn! Gib den Braten! Hier ist etwas Suppe übrig geblieben, nimm dir's,
- Ossip. (Zerschneidet den Braten.) Das soll Braten sein? Das ist kein
- Braten.
- Kellner. Was denn sonst?
- Chlestakóff. Der Teufel mag wissen was, aber Braten ist's nicht. Eine
- geschmorte Axt vielleicht, aber kein Rindfleisch. (Ißt.) Gauner,
- Kanaillen, damit wollen Sie einen füttern? Die Kinnladen zerschindet man
- sich, wenn man nur einen Bissen kaut. (Stochert mit den Fingern in den
- Zähnen.) Schufte! Die reine Baumrinde -- man kriegt's gar nicht wieder
- heraus; nur die Zähne werden einem schwarz davon; Halunken! (Wischt sich
- mit der Serviette den Mund.) Und weiter gibt's nichts?
- Kellner. Nein.
- Chlestakóff. Kanaillen! Spitzbuben! Nicht mal einen Löffel Sauce oder
- Pasteten. Gauner! Ziehen den Reisenden nur das Fell über die Ohren.
- Kellner (räumt zusammen und trägt mit Ossip die Teller hinaus).
- 7. Szene
- Chlestakóff. Dann Ossip.
- Chlestakóff. Absolut, als wenn ich nichts gegessen hätte; der Appetit
- ist nur noch stärker. Hätt' ich wenigstens einen lumpigen Dreier, um mir
- vom Markt eine Semmel holen lassen zu können.
- Ossip (tritt herein). Draußen ist da so was wie 'n Polizeimeister
- angekommen, der sich nach Ihnen erkundigt.
- Chlestakóff (erschrocken). Da haben wir die Bescherung! Hat mich diese
- Bestie von Wirt doch schon verpetzt! Was nun, wenn er mich wirklich ins
- Loch steckt! In ein standesgemäßes Gewahrsam vielleicht ... Nein, nein,
- ich will nicht! Auf der Straße treiben sich viele Offiziere und Volks
- umher, und gerade vorhin erst habe ich ihnen den feinen Ton vorgemacht
- und mit einem Kaufmannstöchterchen angebandelt ... nein, ich will nicht
- ... Aber wie kommt er überhaupt dazu, was untersteht er sich denn
- eigentlich? Wofür hält er mich? Wohl gar für einen Krämer oder
- Handwerker? (Mut fassend und sich aufrichtend). Ich sag's ihm aber
- direkt ins Gesicht: »Wie können Sie sich ...« (Die Türklinke bewegt
- sich, Chlestakóff erbleicht und knickt zusammen).
- 8. Szene
- Chlestakóff. Polizeimeister und Dóbtschinski.
- (Polizeimeister tritt herein und bleibt stehen; beide betrachten
- einander mehrere Minuten mit weit aufgerissenen Augen).
- Polizeimeister (rafft sich etwas zusammen und grüßt militärisch).
- Gehorsamster Diener!
- Chlestakóff (sich verbeugend). Ganz ergebenster!
- Polizeimeister. Verzeihen Sie!
- Chlestakóff. Keine Ursache ...
- Polizeimeister. Es ist meine Schuldigkeit als oberster Beamter dieser
- Stadt dafür Sorge zu tragen, daß die Herren Reisenden und
- Standespersonen keine Plackereien ...
- Chlestakóff (anfangs stotternd, allmählich in sicherem Tone). Was soll
- man aber machen ...? Ich habe keine Schuld ... ich zahle bestimmt ...
- ich erwarte Geld von zu Hause. (Bóbtschinski schielt durch die Tür.) Er
- treibt's ja noch schlimmer: schickt mir Rindfleisch, so zäh, wie'n
- Knüppel; und die Suppe -- der Teufel weiß, was er da rein gemanscht
- hatte, ich mußte sie zum Fenster hinausgießen. Er hungert mich förmlich
- aus ... Und ein unglaublicher Tee, riecht nach Hering, aber nicht nach
- Tee. Und da sollte ich ... das fehlte gerade noch!
- Polizeimeister (furchtsam). Verzeihen Sie, ich habe wahrhaftig keine
- Schuld. Wir haben sonst immer gutes Rindfleisch auf dem Markte --
- Kaufleute aus Cholmogór bringen es, nüchterne und brave Leute. Ich
- begreife nicht, wo er dergleichen her hat. Aber wenn man es hier woran
- fehlen lassen sollte ... Gestatten Sie mir, Ihnen den Vorschlag zu
- machen, in meiner Begleitung ein anderes Quartier zu beziehen.
- Chlestakóff. Nein, das will ich nicht! Ich weiß wohl, was Sie mit dem
- andern Quartier meinen: das Gefängnis. Wie können Sie es wagen? ... Ich,
- ich ... ein Petersburger Beamter ... (stolz) Ich ... ich ... ich ...
- Polizeimeister (beiseite). Barmherziger Gott, wie er aufgebracht ist; er
- hat alles erfahren, die verfluchten Kaufleute haben ihm alles
- hinterbracht!
- Chlestakóff (noch kühner). Und wenn Sie mit Ihrer ganzen Truppe
- anrücken, ich gehe nicht! Ich wende mich direkt an den Minister!
- (Schlägt mit der Faust auf den Tisch.) Wer sind Sie denn? Wer sind Sie
- denn?
- Polizeimeister (sich windend und am ganzen Leib zitternd). Erbarmen Sie
- sich. Verderben Sie mich nicht! Mein Weib, meine unmündigen Kinder ...
- machen Sie mich nicht unglücklich!
- Chlestakóff. Nein, ich tu's dennoch nicht! Das wäre ja noch schöner! Was
- geht das mich an? Weil Sie Weib und unmündige Kinder haben, soll ich ins
- Gefängnis? Vorzüglich! (Bóbtschinski steckt den Kopf durch die Tür und
- zieht ihn erschrocken zurück.) Nein, danke verbindlichst, ich will
- nicht!
- Polizeimeister (zitternd). Nur Unerfahrenheit, nichts wie
- Unerfahrenheit! Unzureichende Pflichterfüllung. Urteilen Sie selbst, das
- Diensteinkommen langt kaum für Tee und Zucker. Gelegentliche kleine
- Douceurs sind doch nur eine Bagatelle: Kleinigkeiten für den Hausstand,
- oder ein paar Anzüge. Was die Unteroffizierswitwe betrifft, die sich mit
- Hausierhandel befaßte, und die ich soll haben durchpeitschen lassen, so
- ist das nichts wie Verleumdung, bei Gott, Verleumdung; das haben meine
- Feinde ersonnen, niederträchtiges Volk, das mir nach dem Leben trachten
- möchte.
- Chlestakóff. Ja aber, ich habe doch nichts mit denen zu schaffen ...
- (Überlegend.) Ich verstehe überhaupt nicht, was Sie da von
- Bösewichtern und einer Unteroffizierswitwe reden ... Das mit dieser
- Unteroffizierswitwe ist eine Sache für sich -- mich aber werden Sie
- nicht auspeitschen dürfen, so hoch stehen Sie nicht ... Seh doch einer
- den Herrn! ... Zahlen werde ich, aber augenblicklich habe ich kein Geld.
- Darum sitze ich ja hier fest, weil ich keinen Kopeken habe.
- Polizeimeister (beiseite). Wie schlau eingefädelt! Welch feines
- Versteckspiel! Wie er sich verstellt! Errate das, wer kann! Ich sehe
- nicht mehr, wie ihm beizukommen ist. Immerhin versuchen, geht's nicht,
- dann komme was will, probiert aber muß es werden. (Laut.) Sollten Sie
- aber Geld oder sonst etwas nötig haben, dann stehe ich augenblicklich zu
- Diensten. Es ist meine Pflicht, den Herren Reisenden beizuspringen.
- Chlestakóff. Ach ja, leihen Sie mir welches. Ich befriedige dann sofort
- den Wirt. Zweihundert Rubel genügen mir, auch weniger.
- Polizeimeister (die Brieftasche ziehend). Genau zweihundert Rubel, bitte
- bemühen Sie sich nicht erst nachzuzählen.
- Chlestakóff (nimmt das Geld). Danke verbindlichst! Ich schicke es Ihnen
- postwendend von Hause zurück ... mir war ganz zufällig ... Ich sehe, Sie
- sind ein anständiger Mensch. Jetzt sieht die Sache wesentlich anders
- aus.
- Polizeimeister (beiseite). Gott sei Dank, er nimmt! Nun wird's wohl
- glatter gehen. Statt 200 habe ich ihm 400 angedreht!
- Chlestakóff. He, Ossip! (Ossip tritt ein.) Ruf den Kellner her! (Zum
- Polizeimeister und Dóbtschinski.) Aber warum stehen Sie denn, bitte,
- setzen Sie sich! (Zu Dóbtschinski.) Aber so nehmen Sie doch Platz, ich
- bitte recht sehr!
- Polizeimeister. Keine Ursache, wir können ebenso gut stehen.
- Chlestakóff. So machen Sie mir doch das Vergnügen und setzen Sie sich!
- Jetzt erkenne ich erst vollkommen die Lauterkeit und Güte Ihres
- Charakters; aber wahrhaftig, ich hatte anfänglich gemeint, Sie kämen um
- mich ... (Zu Dóbtschinski.) So setzen Sie sich doch! (Polizeimeister und
- Dóbtschinski setzen sich; Bóbtschinski schielt durch die Tür und
- horcht.)
- Polizeimeister (beiseite). Man muß dreister vorgehen. Er wünscht, daß
- man sein Inkognito respektiert. Schön, spielen wir die Komödie mit, tun
- wir, als ob wir nicht wüßten, wen wir vor uns haben. (Laut.) In Ausübung
- meiner Pflichten hatte ich hier mit Herrn Pjotr Iwánowitsch
- Dóbtschinski, Hausbesitzer hiesiger Stadt, den Gasthof betreten, um mich
- zu überzeugen, ob die Herren Reisenden gut verpflegt werden; denn ich
- bin total anders als sonstige Amtskollegen, die sich um dergleichen gar
- nicht kümmern; ich dagegen wünsche, ganz abgesehen von meiner Pflicht,
- schon aus christlicher Nächstenliebe, daß ein jeder hier eine gute
- Aufnahme findet -- und so verdanke ich der Gunst des Zufalls diese
- willkommene Bekanntschaft.
- Chlestakóff. Auch ich bin sehr erfreut. Ohne Sie hätte ich wahrhaftig
- lange hier sitzen können; ich wußte nicht mehr, womit ich bezahlen
- sollte.
- Polizeimeister (beiseite). I rede du nur zu! Wußte nicht, womit
- bezahlen! (Laut.) Ist es erlaubt, zu fragen, wohin Sie zu reisen
- gedenken?
- Chlestakóff. Ich reise ins Gouvernement Sarátow, auf mein Familiengut.
- Polizeimeister (beiseite mit ironischem Lächeln). Ah? und errötet nicht
- einmal! Oh, bei dem muß man die Ohren steif halten! (Laut.) Ein höchst
- anerkennenswertes Vorhaben! Abgesehen vom Zustand der Fahrwege bereitet
- das Reisen zwar manche Ungelegenheiten durch öfteren Mangel an
- Postpferden, dafür aber auf der anderen Seite auch viel schöne
- Zerstreuung. Sie reisen vermutlich nur zum Vergnügen!
- Chlestakóff. Nein, Papa will mich haben. Der Alte ist verdrießlich, daß
- ich es in Petersburg noch nicht weiter gebracht habe. Er bildet sich
- ein, daß man nur dort hinzukommen braucht, um sofort den Wladímir ins
- Knopfloch zu bekommen. Ich gönnte es ihm, sich selber mal in so einer
- Kanzlei herumzuschlagen.
- Polizeimeister (beiseite). Hat man jemals solche Aufschneiderei erlebt?
- Sogar einen Papa hat er bei der Hand! (Laut.) Gedenken Sie, dort lange
- zu verweilen?
- Chlestakóff. Ich weiß selbst noch nicht. Sehn Sie, mein Vater ist
- eigensinnig, ein alter Querkopf, hart wie ein Stock. Ich werde ihm aber
- kurz und bündig sagen: wie du wünschst, aber ohne Petersburg kann ich
- nicht leben. Warum soll ich denn durchaus mitten unter den Bauern
- verkommen! Danach steht mir jetzt nicht der Gaumen, meine Seele dürstet
- nach Licht.
- Polizeimeister (beiseite). Unglaublich, wie dick der aufträgt! Eine Lüge
- nach der andern, und verhaspelt sich nicht mal! Und dabei ein so
- schmächtiges Bürschchen, daß man ihn mit dem kleinen Finger plattdrücken
- könnte. Na, warte nur! Du sollst mir schon noch Reden führen! (Laut.)
- Sehr richtig bemerkt. Was soll man in so einem Winkel auch anstellen? Da
- lobe ich mir wenigstens ein Städtchen wie das unsre: nachts kein Auge
- zu, man plagt sich für sein Vaterland, gönnt sich keinerlei Schonung,
- ohne die leiseste Hoffnung, künftig einmal Dank dafür zu ernten. (Blickt
- im Zimmer umher.) Dieses Zimmer scheint etwas feucht?
- Chlestakóff. Schauderhaftes Zimmer, und Wanzen, wie ich sie noch nie
- erlebt habe: beißen wie die Hunde.
- Polizeimeister. Nicht möglich! Ein so erlauchter Gast und derartig
- unerhörten Martern ausgesetzt? Seitens fluchwürdiger Wanzen, die es
- überhaupt auf der Welt nicht zu geben brauchte! Und wie dunkel es in
- diesem Zimmer ist!
- Chlestakóff. Ja, vollkommen dunkel. Der Wirt hat die Angewohnheit, keine
- Kerzen herzugeben. Man will mal was arbeiten, lesen oder einen
- poetischen Gedanken zu Papier bringen -- unmöglich: Nacht, schwarze
- Nacht.
- Polizeimeister. Dürfte ich mich erkühnen, Ihnen eine Bitte vorzutragen
- ... doch nein, ich bin dessen nicht würdig.
- Chlestakóff. Was ist's denn?
- Polizeimeister. Nein, nein, ich bin nicht würdig, bin nicht würdig!
- Chlestakóff. Na, heraus damit, was ist's?
- Polizeimeister. Ich wollte mich erkühnen ... Ich habe in meinem Hause
- ein für Sie vorzüglich geeignetes Zimmer, hell, ruhig .... doch nein,
- ich fühle es selbst, es wäre der Ehre zu viel für mich, zürnen Sie mir
- nicht, ich schlug das lediglich in aller Herzenseinfalt vor.
- Chlestakóff. Ganz im Gegenteil, bitte sehr, ich nehme es mit größtem
- Vergnügen an. In einem Privathaus fühle ich mich bei weitem behaglicher
- als in dieser Schankbude.
- Polizeimeister. Ich bin hoch entzückt! Und wie wird sich erst meine Frau
- freuen! Dahin geht nun einmal der Zug meines Charakters: schlichte, aber
- herzliche Gastfreundschaft, vorzüglich gegen erlauchte Personen. Seien
- Sie überzeugt, daß dahinter keine Art von Schmeichelei verborgen ist;
- nein, von derartigen Lastern bin ich frei, ich spreche aus vollem
- Herzen.
- Chlestakóff. Verbindlichsten Dank! Auch ich hasse die doppelzüngigen
- Menschen. Ihre Aufrichtigkeit und Ihr Freimut berühren mich äußerst
- sympathisch und ich verlange, um es offen zu bekennen, nichts weiter als
- Ergebenheit und Hochachtung, Hochachtung und Ergebenheit.
- 9. Szene
- Die Vorigen und der Kellner, von Ossip geleitet. Bóbtschinski
- guckt zur Tür herein.
- Kellner. Sie geruhten mich rufen zu lassen?
- Chlestakóff. Ja, bring mir die Rechnung.
- Kellner. Ich habe sie Ihnen aber doch erst vor kurzem überreicht.
- Chlestakóff. Was weiß ich von deinen dummen Rechnungen. Wieviel macht's?
- Kellner. Am ersten Tage geruhten Sie ein Diner einzunehmen, am zweiten
- Tage aßen Sie bloß Lachs -- und von da an ließen Sie alles auf Rechnung
- gehen.
- Chlestakóff. Schafskopf! Muß das noch einmal vorrechnen! Was macht's im
- Ganzen?
- Polizeimeister. Bitte machen Sie sich doch keine Umstände: der Kerl kann
- warten. (zum Kellner.) Scheer dich hinaus, man wird's schicken!
- Chlestakóff. In der Tat, das ist das vernünftigste. (Steckt das Geld
- wieder ein; der Kellner ab; Bóbtschinski schielt durch die Tür.)
- 10. Szene
- Polizeimeister. Chlestakóff. Dóbtschinski.
- Polizeimeister. Würden Sie jetzt vielleicht geneigt sein, einige unserer
- städtischen Anstalten zu besichtigen, etwa die Hospitäler und anderes?
- Chlestakóff. Was gibt's denn da zu sehen?
- Polizeimeister. Nun, Sie könnten da zum Beispiel einen Einblick gewinnen
- in die Art unserer Verwaltung ... die Reinlichkeit ...
- Chlestakóff. Mit dem größten Vergnügen, bin gern bereit. (Bóbtschinski
- steckt den Kopf durch die Tür.)
- Polizeimeister. Und von dort könnte man sich, wenn Sie es wünschen
- sollten, zur Kreisschule begeben, um die Ordnung, in der sich der
- Unterricht vollzieht, in Augenschein zu nehmen.
- Chlestakóff. Schön, schön.
- Polizeimeister. Dann, falls Sie das Gefängnis und die städtischen
- Arrestlokale zu besuchen wünschten -- könnten Sie sich überzeugen, wie
- bei uns die Verbrecher gehalten werden.
- Chlestakóff. Gefängnis? -- ach wozu? Sehen wir uns dann doch lieber die
- Hospitäler an.
- Polizeimeister. Ganz wie Sie wünschen. Befehlen Sie Ihre eigene Equipage
- oder nehmen Sie mit meinem bescheidenen Wagen vorlieb?
- Chlestakóff. Na, ich fahre dann schon besser mit Ihnen zusammen.
- Polizeimeister (zu Dóbtschinski). Pjótr Iwánowitsch, nun habe ich für
- Sie keinen Platz.
- Dóbtschinski. O bitte, hat nichts zu sagen!
- Polizeimeister (leise zu Dóbtschinski). Hören Sie, laufen Sie, aber was
- Ihre Beine laufen können, und bestellen Sie mir zwei Billetts, eins an
- Semljaníka ins Hospital, das andere meiner Frau. (Zu Chlestakóff.) Darf
- ich Sie um die Erlaubnis bitten, in Ihrer Gegenwart eine Zeile an meine
- Frau zu richten, damit sie sich zur Aufnahme eines so geschätzten Gastes
- vorbereiten kann?
- Chlestakóff. Aber weshalb denn? ... Übrigens Tinte ist vorhanden, nur
- weiß ich nicht, ob Papier ... Vielleicht auf dieser Rechnung?
- Polizeimeister. Genügt vollkommen! (Schreibt und spricht während dieser
- Zeit vor sich hin.) Nun wollen wir doch einmal sehen, wie die Sache nach
- dem Frühstück und ein paar tüchtigen Flaschen in Gang kommen wird. Wir
- haben da so einen hiesigen Madeira, äußerlich ganz harmlos, aber
- kräftig, um einen Elefanten umzuwerfen. Wenn ich nur herausbekäme, was
- er ist und von welcher Seite man sich vor ihm in acht nehmen muß.
- (Übergibt das Papier Dóbtschinski: dieser wendet sich zur Türe, aber im
- selben Augenblick bricht diese aus den Angeln und fliegt zusammen mit
- dem dahinter horchenden Bóbtschinski auf die Szene. Alle stoßen einen
- Ruf der Überraschung aus. Bóbtschinski erhebt sich.)
- Chlestakóff. Oh, haben Sie sich verletzt?
- Bóbtschinski. Durchaus nicht, durchaus nicht, habe fast nichts
- abbekommen, nur über der Nase eine unbedeutende Schramme. Ich laufe
- gleich zum Doktor Hübner; er hat ein großartiges Pflaster, da heilt's
- geschwind.
- Polizeimeister (macht Bóbtschinski ein Zeichen des Vorwurfs; zu
- Chlestakóff). Das hat gar nichts auf sich. Bitte untertänigst
- voranzugehen. Ich werde Ihren Diener bescheiden, daß er den Koffer
- hinüberbringt. (Zu Ossip.) Mein Freundchen, trage das alles zu mir
- herüber, zum Polizeimeister, jeder kann dich hinweisen. Bitte
- untertänigst! (Läßt Chlestakóff den Vortritt und folgt ihm; im
- Hinausgehen dreht er sich noch einmal um und sagt in vorwurfsvollem Ton
- zu Bóbtschinski.) Sie sind mir auch der Rechte! Konnten sich keinen
- besseren Ort zum Hinpflanzen aussuchen! Und auf allen vieren wie -- weiß
- der Teufel wie! (Ab. Bóbtschinski hinterher. Der Vorhang fällt.)
- (Ende des zweiten Aufzuges.)
- Dritter Aufzug
- Dasselbe Zimmer wie im ersten Aufzug
- 1. Szene
- Anna Andréjewna und Márja Antónowna am Fenster in der gleichen
- Haltung wie am Schluß des ersten Aufzuges.
- Anna Andréjewna. Da lauern wir nun schon eine geschlagene Stunde, und
- alles nur wegen deiner albernen Ziererei: war deine Toilette nicht
- längst fertig -- aber nein, da muß immer noch getrödelt werden ... Noch
- nichts von ihr zu hören. Rein zum Verdrießen! Nirgends eine Seele, wie
- auf Verabredung! Als wenn alles ausgestorben wäre!
- Márja Antónowna. Aber wirklich, Mama, in zwei Minuten erfahren wir
- alles. Awdótja muß gleich wiederkommen. (Blickt aus dem Fenster und ruft
- aus.) Ach Mama, Mama, da kommt jemand, da, am Ende der Straße.
- Anna Andréjewna. Wo, wo? -- Was du auch ewig phantasierst! -- Nun ja
- doch, es kommt jemand. Wer mag das sein? Untersetzt ... im Frack ... Wer
- ist das? Wer? Man könnte umkommen vor Ärger! Wer ist es denn nun?
- Márja Antónowna. Dóbtschinski ist's, Mamachen!
- Anna Andréjewna. Ach was, Dóbtschinski! Immer diese Einbildungen! Nicht
- entfernt Dóbtschinski. (Winkt mit dem Taschentuch.) Heda Sie, hierher,
- rasch!
- Márja Antónowna. Ganz gewiß, Mama, Dóbtschinski!
- Anna Andréjewna. Nur um widersprechen zu können. Du hast gehört, es ist
- nicht Dóbtschinski!
- Márja Antónowna. Na und nun, Mama? Siehst du, es ist doch Dóbtschinski.
- Anna Andréjewna. Nun ja doch, Dóbtschinski, jetzt seh ich's auch; warum
- streitest du denn? (Ruft aus dem Fenster.) Schnell, schnell, sputen Sie
- sich doch! Wie steht's, wo sind sie? Wie? Antworten Sie doch gleich von
- da, ganz egal! Na, wohl sehr streng? Wie? Und mein Mann, mein Mann?
- (Ärgerlich vom Fenster zurücktretend.) Tölpel der, wird nichts reden,
- bis er nicht mitten im Zimmer steht!
- 2. Szene
- Die Vorigen. Dóbtschinski.
- Anna Andréjewna. Nun, so reden Sie doch gefälligst, haben Sie denn kein
- Gewissen? Auf Sie allein habe ich mich verlassen wie auf einen
- ordentlichen Menschen; alle liefen sie davon und Sie hinterher! Bis
- diesen Augenblick kann ich von keiner Seele etwas herausbekommen.
- Schämen Sie sich denn gar nicht? Habe ich nicht Ihren Wánitschka und
- Ihre Lísotschka aus der Taufe gehoben? Und so behandeln Sie mich?
- Dóbtschinski. Mein Gott, Frau Gevatterin, ich bin so gerannt, um Ihnen
- gefällig zu sein, daß mir alle Luft ausgegangen ist. Ergebenster Diener,
- Márja Antónowna!
- Márja Antónowna. Guten Tag, Pjotr Iwánowitsch!
- Anna Andréjewna. Nun rasch, so reden Sie doch, wie und was geht drüben
- vor?
- Dóbtschinski. Antón Antónowitsch schickt Ihnen dieses Billett.
- Anna Andréjewna. Nun und er? Natürlich ein General?
- Dóbtschinski. Nein, General nicht, aber zum mindesten soviel wie
- General. Eine Bildung und ein Auftreten!
- Anna Andréjewna. Ah, also derselbe, von dem meinem Mann geschrieben
- wurde?
- Dóbtschinski. Eben derselbe! Ich und Bóbtschinski haben das zuallererst
- entdeckt.
- Anna Andréjewna. Weiter, weiter, was geschah weiter?
- Dóbtschinski. Gott sei gelobt, alles steht gut. Zuerst geruhte er Antón
- Antónowitsch etwas hart anzulassen, ja, er wurde sehr heftig und sagte:
- im Gasthofe wäre alles miserabel, und er würde sich nicht seinetwegen
- ins Gefängnis sperren lassen; nachher aber, wie er sah, daß Antón
- Antónowitsch unschuldig waren, und beide sich kurzer Hand verständigt
- hatten, da setzte er gleich eine andere Miene auf -- und Gott sei Dank,
- alles lief gut ab. Jetzt sind sie ausgefahren, um das Hospital zu
- besichtigen ... aber wahrhaftig, Antón Antónowitsch schienen bereits
- befürchtet zu haben, daß man ihn denunziert hätte. Ich selber bekam es
- so ein bißchen mit der Angst.
- Anna Andréjewna. Wovor haben Sie sich denn zu fürchten? Sie sind doch
- kein Beamter!
- Dóbtschinski. Na immerhin, wissen Sie, wenn so ein Vorgesetzter spricht,
- fährt's einem doch in die Glieder.
- Anna Andréjewna. Ach gehen Sie ... das ist ja dummes Zeug. Nun, und wie
- sieht er aus? Alt, jung?
- Dóbtschinski. Jung, noch ein ganz junger Mann, so an dreiundzwanzig;
- aber reden tut er wie ein alter. »Sehn Sie«, sagt er, »ich reise da und
- dahin« ... (Gestikulierend.) Alles so überlegen. »Ich schreibe auch«,
- meint er, »und lese auch dann und wann, aber die Dunkelheit im Zimmer
- behindert mich etwas.«
- Anna Andréjewna. Und im Äußeren -- brünett oder blond?
- Dóbtschinski. Nein, mehr aschblond, und Augen so scharf wie ein Luchs,
- um das Zittern zu kriegen.
- Anna Andréjewna. Was schreibt er mir denn da auf dem Zettel (liest):
- »Ich eile, mein Herz, dich wissen zu lassen, daß meine Lage sehr
- kritisch war; doch im Vertrauen auf Gottes Barmherzigkeit für zwei
- gesalzene Gurken apart und eine halbe Portion Kaviar ein Rubel
- fünfundzwanzig Kopeken ...« (Innehaltend.) Das verstehe ich nicht, was
- sollen hier gesalzene Gurken und Kaviar?
- Dóbtschinski. Ach, Antón Antónowitsch benutzten in der Eile ein
- beschriebenes Papier; da stand so eine Rechnung drauf.
- Anna Andréjewna. Ach ja, richtig: (liest weiter) »doch im Vertrauen auf
- Gottes Barmherzigkeit darf ich auf einen glücklichen Ausgang hoffen. Laß
- schnell ein Zimmer für den illustren Gast einrichten, das mit den gelben
- Tapeten; für Mittag brauchst du nicht zu sorgen, wir speisen im Hospital
- bei Artémij Filíppowitsch; nur Wein laß recht viel kommen; sag dem
- Kaufmann Awdúljin, er soll vom besten hergeben, sonst schlage ich ihm
- seine ganze Bude kurz und klein. Mit Handkuß, mein Herz, verbleibe ich
- dein Antón Skwósnik-Dmuchánowski.« Ach mein Gott! Jetzt heißt's aber
- eilen! He, niemand da? Míschka!
- Dóbtschinski (läuft und ruft durch die Tür). Míschka! Míschka! Míschka!
- (Míschka kommt herein.)
- Anna Andréjewna. Hör mal, lauf zum Kaufmann Awdúljin ... warte, ich gebe
- dir einen Zettel (setzt sich an den Tisch, schreibt und spricht
- währenddem). Diesen Zettel gibst du dem Kutscher Sídor, er soll zum
- Kaufmann Awdúljin rennen und Wein holen. Und geh gleich und bring mir
- dies Zimmer hübsch in Ordnung für einen Gast. Stell ein Bett auf, einen
- Waschtisch und so weiter.
- Dóbtschinski. Und ich, Anna Andréjewna, will hinlaufen und zusehn, wie
- er inspiziert.
- Anna Andréjewna. Gehn Sie, gehn Sie, ich halte Sie nicht.
- 3. Szene
- Anna Andréjewna und Márja Antónowna.
- Anna Andréjewna. Nun, Máscha, jetzt müssen wir an unsere Toilette
- denken. Er ist ein Residenzler: Gott bewahre uns davor, von ihm
- irgendwie belächelt zu werden. Du solltest am besten dein blaues Kleid
- mit den schmalen Volants anziehen.
- Márja Antónowna. Fi, Mama, das blaue! Das kann ich nicht leiden: die
- Ljápkin-Tjápkin geht schon in einem blauen und Fräulein Semljaníka geht
- auch in einem blauen. Nein, ich ziehe lieber das geblümte an.
- Anna Andréjewna. Das geblümte! ... wirklich, du sprichst nur um zu
- widersprechen. Das andere stünde dir viel besser, weil ich mein
- strohfarbenes anziehen will; ich schwärme für das strohfarbene.
- Márja Antónowna. Aber Mama, das strohfarbene steht dir ja gar nicht!
- Anna Andréjewna. Mir nicht stehn?
- Márja Antónowna. Nein, es steht dir nicht, ich wette was du willst, es
- steht dir nicht; dafür muß man dunkle Augen haben.
- Anna Andréjewna. Nun wird's reizend! Ich und keine dunklen Augen? Die
- dunkelsten von der Welt! Was schwatzt du für einen Unsinn! Wieso nicht
- dunkel, wenn doch beim Kartenlegen für mich immer Treffdame herauskommt?
- Márja Antónowna. Ach Mamachen, viel öfter doch Coeurdame!
- Anna Andréjewna. Possen! Nichts als Possen! Ich war nie Coeurdame!
- (Verläßt mit Márja Antónowna in Eile das Zimmer und spricht noch hinter
- der Szene.) Was das für Phantasien sind, Coeurdame! Soll der Himmel
- wissen, was das ist! (Nach ihrem Abgang öffnet sich die seitliche Tür
- und Míschka wirft einen Haufen Kehricht heraus. Durch die andere Tür
- tritt, einen Handkoffer auf dem Kopfe, Ossip herein.)
- 4. Szene
- Míschka und Ossip.
- Ossip. Wo damit hin?
- Míschka. Hierher, Kamerad, hierher!
- Ossip. Wart, laß mich erst verschnaufen. Miserables Leben das! Auf'n
- leeren Magen is jeder Packen 'ne Last.
- Míschka. Na, Kamerad, kommt der General bald?
- Ossip. Was für'n General denn?
- Míschka. Na, dein Herr.
- Ossip. Mein Herr? Der 'n General?
- Míschka. Na, is er denn kein General?
- Ossip. General schon, aber vom andern Ende rauf.
- Míschka. Is das nu mehr oder weniger als 'n eigentlicher General?
- Ossip. Mehr.
- Míschka. Siehste wohl! Darum auch das Halloh im Hause.
- Ossip. Hör mal, Kleiner; ich seh, du bist 'n flinker Junge -- schaff
- doch unser einem 'n Happen zu essen!
- Míschka. Nee, Kamerad, für euch is noch nichts fertig; unsre Hauskost
- werd't Ihr ja nich anrühren, aber wenn sich dein Herr erst zu Tisch
- setzt, kriegst du auch dein Teil ab.
- Ossip. Na und Hauskost, was gibt's denn da bei euch so?
- Míschka. Kohlsuppe, Grütze und Fleischkuchen.
- Ossip. Kohlsuppe, Grütze und Fleischkuchen -- her damit! Egal, eß ich
- alles. Na, denn rin mit dem Koffer. Is da noch'n Ausgang?
- Míschka. Freilich. (Beide tragen den Koffer ins Nebenzimmer.)
- 5. Szene
- Polizeidiener öffnen beide Türflügel. Herein tritt Chlestakóff,
- gefolgt vom Polizeimeister; weiter zurück Hospitalverwalter,
- Schulinspektor, Dóbtschinski und Bóbtschinski, mit einem Pflaster
- auf der Nase. Polizeimeister weist die Polizeidiener auf ein am
- Boden liegendes Stück Papier; sie rennen hin, um es aufzuheben
- und stoßen dabei vor Eifer mit den Köpfen zusammen.
- Chlestakóff. Vortreffliche Anstalten! Es gefällt mir besonders gut, daß
- man in Ihrer Stadt die Durchreisenden in alle Sehenswürdigkeiten
- einführt. In andern Städten hat man mir gar nichts gezeigt.
- Polizeimeister. In andern Städten, so wage ich zu behaupten, haben
- Behörden und Beamte mehr ihren eigenen Vorteil im Auge; hier aber, das
- darf ich wohl sagen, waltet nur das eine Streben: durch Ordnung und
- Fürsorge sich das Wohlwollen seiner Obrigkeit zu verdienen.
- Chlestakóff. Das Frühstück war ausgezeichnet; ich habe mich ordentlich
- überessen. Gibt es so was bei Ihnen alle Tage?
- Polizeimeister. Lediglich zu Ehren eines hochwillkommenen Gastes.
- Chlestakóff. Ich esse gern mal gut. Dafür lebt man ja doch schließlich,
- um die Blüte des Daseins zu pflücken. Wie hieß doch noch der Fisch?
- Hospitalverwalter (vortretend). Laberdan, Ew. Gnaden.
- Chlestakóff. Sehr schmackhaft! Wo speisten wir doch? Im Lazarett, nicht
- wahr?
- Hospitalverwalter. Sehr wohl, Ew. Gnaden, im Hospital.
- Chlestakóff. Ach ja, ich erinnere mich, da standen Betten. Die Kranken
- sind wohl geheilt? Viele schienen da nicht zu sein.
- Hospitalverwalter. Höchstens zehn Mann, mehr nicht; die übrigen sind
- alle geheilt. Das ist eben die Wirkung der vorzüglichen Ordnung. Seitdem
- ich die Verwaltung übernahm -- es wird Ihnen freilich kaum glaubhaft
- erscheinen -- seitdem werden sie alle gesund wie die Fliegen. Kaum kommt
- ein Kranker ins Lazarett, und schon ist er geheilt; und das weniger
- durch Medikamente als durch unsere Redlichkeit und Pflichttreue.
- Polizeimeister. Und wie aufreibend -- verzeihen Sie die Kühnheit -- wie
- aufreibend die verantwortungsvolle Tätigkeit eines Stadtoberhauptes!
- Sachen jeder Art häufen sich, um nur der öffentlichen Bauten, der
- Reparaturen und der Straßenreinigung zu gedenken ... mit einem Wort, der
- klügste Mann käme in Verlegenheit -- doch, Gott sei Dank, hier bei uns
- geht alles wie am Schnürchen. Ein andrer Polizeimeister würde da
- zweifellos an seinen eigenen Vorteil denken; aber wollen Sie es mir
- glauben, daß ich jeden Abend vor dem Schlafengehen für mich bete: »Herr,
- mein Gott, lenke meine Taten, damit die Obrigkeit meinen Eifer erkenne
- und zufriedengestellt sei!« ... Selbstverständlich ist es ihr freier
- Wille, ob sie mich belohnen will oder nicht, aber ich für mein Teil habe
- wenigstens ein reines Gewissen. Ist die Stadt überall wohlbestellt, sind
- die Straßen gesäubert, die Gefangenen gut gehalten und wenig Betrunkene
- zu sehen ... was will ich dann mehr? Bei Gott, nach Auszeichnungen
- strebe ich nicht. Gewiß haben sie viel Verlockendes, aber vor der Tugend
- sind sie nichts wie eitel Nichtigkeit und Staub.
- Hospitalverwalter (beiseite). Tagedieb der, wie er auspackt! Gott
- schenke mir solche Gabe!
- Chlestakóff. Sehr richtig. Offen gestanden, auch ich philosophiere
- zuweilen gerne; manchmal nur so in Prosa, aber gelegentlich entschlüpft
- mir auch mal ein Vers.
- Bóbtschinski (zu Dóbtschinski). Wie tiefsinnig, wie tiefsinnig das
- alles, Pjotr Iwánowitsch! Diese Bemerkungen ... man sieht's, der hat die
- Bildung studiert.
- Chlestakóff. Ach, sagen Sie doch bitte, gibt es hier bei Ihnen keine
- sogenannten Gesellschaften oder Klubs, wo man zum Beispiel ein Spielchen
- Karten machen könnte?
- Polizeimeister (beiseite). Seht doch das Füchschen, will einem Steine
- über den Zaun werfen! (Laut.) Gott behüte! Solche Gesellschaften kennt
- man hier kaum vom Hörensagen. Ich habe überhaupt noch nie Karten
- angefaßt, weiß nicht einmal, wie man Karten spielt. Ich kann sie auch
- nicht mit ruhigem Blute betrachten, und wenn ich mal zufällig so einen
- Karo-König oder dergleichen vor Augen kriege, dann überkommt mich solch
- Ekel, daß ich geradezu ausspucken muß. Einmal hatte ich den Kindern zu
- Gefallen ein Kartenhaus aufgebaut, und hinterher mußte ich die ganze
- Nacht von dem Plunder träumen! Hol sie der Kuckuck! Wie kann man nur
- seine kostbare Zeit daran verschwenden ...
- Schulinspektor (beiseite). Gauner, und hast mir erst gestern hundert
- Rubel abgeknöpft!
- Polizeimeister. ... ich verwerte sie lieber zum Wohle des Vaterlandes.
- Chlestakóff. Nun, so ganz sollten Sie das doch nicht ... es hängt eben
- alles davon ab, von welcher Seite man ein Ding betrachtet. Ja, wenn man
- z. B. gerade in dem Augenblick paßt, wo man hätte _va banque_ spielen
- sollen ... na, dann allerdings! ... Nein, sagen Sie das nicht, zuweilen
- hat so ein kleines Spielchen was sehr Verlockendes.
- 6. Szene
- Die Vorigen. Anna Andréjewna und Márja Antónowna.
- Polizeimeister. Ich habe die Ehre, Ihnen meine Familie vorzustellen:
- meine Frau, meine Tochter.
- Chlestakóff (sich verneigend). Wie glücklich bin ich, Gnädigste,
- meinerseits das Vergnügen zu haben, Sie begrüßen zu dürfen.
- Anna Andréjewna. Wir sind noch weit entzückter, eine so hohe Person
- begrüßen zu dürfen.
- Chlestakóff (mit Affektation). Aber bitte sehr, Gnädigste, im Gegenteil,
- mir ist es noch weit willkommener.
- Anna Andréjewna. Nein, wie ist's möglich! Sie sagen das sicherlich nur
- aus Galanterie. Bitte untertänigst Platz zu nehmen.
- Chlestakóff. Neben Ihnen zu stehen, Gnädigste, bedeutet schon Glück;
- wenn Sie es aber durchaus befehlen, setze ich mich auch. Wie entzückt
- bin ich, endlich neben Ihnen sitzen zu dürfen.
- Anna Andréjewna. Ach, ich darf kaum wagen, das auf mich zu beziehen ...
- Ich denke, nach der Residenz müssen Sie die Exkursiong nach hierher sehr
- unangenehm empfunden haben.
- Chlestakóff. Äußerst unangenehm! Daran gewöhnt, _comprenez-vous_, in der
- großen Welt zu leben und sich dann plötzlich auf der Landstraße
- wiederfinden -- schmutzige Schenken, roheste Unbildung ... Ich gestehe,
- ohne einen solchen Zufall, der mich ... (betrachtet Anna Andréjewna und
- spielt den Galanten) ... für alles entschädigt ...
- Anna Andréjewna. In der Tat, Sie müssen das sehr unangenehm empfunden
- haben!
- Chlestakóff. Oh, in diesem Augenblick, Gnädigste, finde ich es sehr
- angenehm!
- Anna Andréjewna. Aber wie ist's nur möglich! Zuviel der Ehre ... ich
- verdiene es durchaus nicht.
- Chlestakóff. Aber weshalb sollten Sie es nicht verdienen? Sie verdienen
- es, Gnädigste, wirklich, Sie verdienen es.
- Anna Andréjewna. Ich lebe auf dem Dorfe ...
- Chlestakóff. Oh, auch das Dorf hat seine hübschen runden Hügel und
- stillen Bäche ... Nun freilich, wer wird das alles auch gleich mit
- Petersburg vergleichen wollen! Ah, Petersburg! Welch ein Leben! Sie
- denken vielleicht, ich wäre bloß so ein kleiner Aktenschreiber -- nicht
- entfernt! Ich stehe mit dem Abteilungschef auf dem vertrautesten Fuße.
- Der schlägt mir dann wohl gelegentlich auf die Schulter und sagt: »Na,
- Kollege, Mahlzeit!« Ins Departement komme ich höchstens für zwei
- Minuten, nur um dort Anweisungen zu geben -- das so, das so, das so. Da
- steht gleich so ein Sekretär, flink wie eine Ratte, setzt bloß die Feder
- an -- kri-kri, kri-kri, kri-kri, das fliegt nur so! Man wollte mich
- sogar zum Kollegien-Assessor machen, na, ich weiß genau warum. Und der
- Portier kommt mir noch auf die Treppe nachgelaufen und ruft: »Erlauben
- Sie, Iwán Alexándrowitsch, daß ich Ihnen erst die Stiefel säubere!« (Zum
- Polizeimeister.) Aber warum stehen Sie denn, meine Herren? Bitte, setzen
- Sie sich doch!
- Polizeimeister. Unser bescheidner Rang gebietet uns zu stehen.
- Hospitalverwalter. Wir können auch stehen.
- Schulinspektor. Bitte bemühen Sie sich doch nicht. (Alle drei
- gleichzeitig.)
- Chlestakóff. Rang bei Seite, bitte setzen Sie sich! (Polizeimeister und
- alle anderen setzen sich.) Im Gegenteil, ich bemühe mich sogar möglichst
- unbemerkt durchzuschlüpfen, aber unmöglich sich zu verbergen, rein
- unmöglich! Kaum trete ich wo heraus, gleich heißt's: »Ei, da ist ja Iwán
- Alexándrowitsch!« Einmal hielten sie mich sogar für den
- Oberkommandierenden; die Soldaten rannten aus der Hauptwache und
- präsentierten das Gewehr. Nachher sagte mir ein Offizier, ein guter
- Bekannter von mir: »Schau doch Freundchen, haben wir dich wahrhaftig für
- den Oberkommandierenden gehalten.«
- Anna Andréjewna. Nun sagen Sie bloß!
- Chlestakóff. Hübsche Schauspielerinnen kenne ich auch. Auch verschiedene
- Vaudevilliers ... Mit Schriftstellern verkehre ich viel. Mit Puschkin
- bin ich ganz intim. Trifft man sich mal, dann sage ich so zu ihm: »Na,
- Puschkinchen, wie geht's?« »Na, wie soll's gehn, Kollege,« meint er
- dann, »danke, es macht sich.« Ein Original, dieser Puschkin.
- Anna Andréjewna. Dann schreiben Sie also auch? Wie wundervoll muß sich
- doch ein Schriftsteller fühlen! Sie veröffentlichen gewiß auch in
- Journalen?
- Chlestakóff. O ja, auch in Journalen. Ich habe übrigens schon eine Menge
- Schriften verfaßt: Figaros Hochzeit, Robert der Teufel, Norma ... kaum
- daß ich die Namen alle noch behalten habe. Und alles wie aus dem Ärmel
- geschüttelt; ich wollte eigentlich gar nicht schreiben, aber die
- Theaterdirektoren setzen einem zu: »Liebster, Bester, schreib uns doch
- was!« Ich überlege bei mir: »Na, wollen mal sehn.« Und dann ist's an
- einem einzigen Abend hingeworfen. Ich besitze eine geradezu spielende
- Phantasie. Alles, was unter dem Namen »Baron Brambeus« ging: »Fregatte
- Hoffnung« und »Moskauer Telegraph« ... das war alles von mir.
- Anna Andréjewna. Ach, also Sie waren Brambeus?
- Chlestakóff. Freilich, ich korrigiere ihnen allen ja auch ihre Verse.
- Smírdin zahlt mir 40000 dafür.
- Anna Andréjewna. Dann ist sicherlich auch der »Júrij Milosláwski« von
- Ihnen?
- Chlestakóff. Ganz gewiß.
- Anna Andréjewna. Das hatte ich mir gleich gedacht!
- Márja Antónowna. Aber Mama, auf dem Titel steht doch: »von Sagóskin«!
- Anna Andréjewna. Wußte ich's doch, daß du selbst hier streiten würdest!
- Chlestakóff. Ah, richtig, es ist ja wahr, der ist von Sagóskin; aber es
- gibt noch einen andern Júrij Milosláwski, und der ist der meinige.
- Anna Andréjewna. Nun also, und gerade den Ihren habe ich gelesen. Wie
- prachtvoll geschrieben!
- Chlestakóff. Offen gestanden, ich lebe für die Literatur. Ich führe das
- erste Haus in Petersburg. Stadtbekannt ist es, das Haus des Iwán
- Alexándrowitsch. (Sich an alle Anwesenden wendend.) Machen Sie mir doch
- das Vergnügen, meine Herrschaften, wenn Sie mal in Petersburg sind,
- bitte, bitte, besuchen Sie mich. Ich gebe auch Bälle.
- Anna Andréjewna. Ich kann mir vorstellen, wie stilvoll und glänzend
- diese Bälle sein müssen!
- Chlestakóff. O durchaus nicht, ganz schlicht. Auf dem Tisch zum Beispiel
- eine Wassermelone -- das heißt, so eine für siebenhundert Rubel. Die
- Suppe in einer Kasserole direkt per Dampfer aus Paris bezogen; man hebt
- den Deckel ab -- ein Duft, wie es nichts Köstlicheres in der Welt gibt!
- Ich gehe jeden Tag auf den Ball. Dort habe ich auch meine Whistpartie:
- der Minister der auswärtigen Angelegenheiten, der französische
- Botschafter, der deutsche Botschafter und ich. Wir verbeißen uns oft
- derart ins Spiel, daß man's kaum beschreiben kann. Rennt man dann nach
- Haus und klettert in seine vierte Etage hinauf -- kann man grade noch
- zur Köchin stammeln: Mawrúscha, den Überzieher ... Was plappere ich denn
- -- ich vergaß ja, ich wohne doch Beletage, nur eine Treppe hoch ... Auch
- sehr interessant, mein Antichambre zu sehen, ehe ich mich morgens
- erhoben habe: da drängen sich Grafen und Fürsten und sumsen wie die
- Hummeln, man hört nur: sum, sum, sum; zuweilen, wenn der Minister ...
- (Polizeimeister und die übrigen Herren erheben sich ehrfurchtsvoll von
- den Sitzen.) Selbst auf meinen Paketadressen steht: an Seine Exzellenz
- ... Einmal habe ich sogar das Departement geleitet. Das war ganz
- komisch; der Chef war verreist, keiner wußte wohin. Nun ging natürlich
- das Gerede los; was macht man, wer soll die Stelle ausfüllen? Viele
- Generale kamen als Bewerber, treten ein, versuchen -- nein, zu schwer!
- Es scheint ganz leicht, aber näher zugesehn -- unmöglich, hol's der
- Teufel! Kaum sehn sie, daß es nicht geht -- zu mir! Und im selben
- Augenblick durch die Straßen: Kuriere, Kuriere, Kuriere ... Stellen Sie
- sich bloß vor: fünfunddreißigtausend Kuriere! Da frage ich Sie doch,
- welche Situation! »Auf, Iwán Alexándrowitsch, aufs Departement!« Ich
- war, offen gestanden, etwas verblüfft, kam im Schlafrock heraus, wollte
- absagen, denke mir aber: wenn das bis vor Majestät kommt, na, und das
- Avancement ... »Schön, meine Herren, ich komme, ich komme,« sage ich,
- »abgemacht, ich komme; aber daß mir keiner, na, na, na! ich habe feine
- Ohren, ich will euch ...« Gesagt, getan: ich quer durchs Departement,
- das reine Erdbeben, alles schwankt und zittert wie Espenlaub.
- (Polizeimeister und die Übrigen beben vor Schreck; Chlestakóff erhitzt
- sich noch stärker.) O ich spaße nicht; ich habe es ihnen allen
- beigebracht! Selbst der Staatsrat fürchtet sich vor mir. Warum auch
- nicht? Das ist so meine Art! Ich nehme auf niemand Rücksicht ... Zu
- jedem sage ich: »Ich weiß alleine Bescheid!« Ich bin überall, überall.
- Jeden Tag fahre ich zu Hofe. Morgen werde ich gleich zum Feldmarsch...
- (schwankt und fällt beinahe zu Boden, wird aber von den Beamten
- ehrfurchtsvoll gestützt.)
- Polizeimeister (tritt näher und versucht, am ganzen Leibe zitternd, zu
- sprechen). Aber E... E... E...
- Chlestakóff (in heftigem, befehlendem Ton). Was wollen Sie?
- Polizeimeister. Aber E... E... E... E...
- Chlestakóff (im gleichen Ton). Verstehe gar nichts, alles Unsinn.
- Polizeimeister. Euer E... Ex...zellenz befehlen vielleicht etwas
- auszuruhen ... Hier ist ein Zimmer, alles ist bereit.
- Chlestakóff. Blödsinn -- ausruhen! Meinetwegen auch ausruhen ... Ihr
- Frühstück, meine Herren, famos ... sehr zufrieden, sehr zufrieden ....
- (mit Emphase.) Laberdan! Laberdan! (Ab ins Nebenzimmer, gefolgt vom
- Polizeimeister.)
- 7. Szene
- Die Vorigen außer Chlestakóff und Polizeimeister.
- Bóbtschinski. Das ist ein Mann, Pjotr Iwánowitsch! Das heißt doch ein
- Mann! Noch nie im Leben habe ich vor einer so bedeutenden Persönlichkeit
- gestanden; vor Furcht bin ich fast gestorben. Was glauben Sie, Pjotr
- Iwánowitsch, welchen Rang mag er wohl bekleiden?
- Dóbtschinski. Ich meine zum mindesten General.
- Bóbtschinski. Ich meine jedoch, ein General reicht dem nicht an die
- Gamaschen! Und wenn selbst General, dann mindestens Generalissimus. Sie
- hörten ja, wie er den Staatsrat angeblasen hat. Kommen Sie, erzählen
- wir's rasch Ammós Fjódorowitsch und Koróbkin. Empfehle mich, Anna
- Andréjewna!
- Dóbtschinski. Empfehle mich, Frau Gevatterin! (Beide ab.)
- Hospitalverwalter (zum Schulinspektor). Seltsam, höchst seltsam,
- weshalb, das weiß ich selbst nicht. Und wir sind nicht einmal in Gala!
- Was dann, wenn er erwacht und sofort darüber nach Petersburg berichtet?
- (Verläßt mit dem Schulinspektor nachdenklich das Zimmer; im
- Hinausgehen:) Empfehlen uns, Gnädigste!
- 8. Szene
- Anna Andréjewna und Márja Antónowna.
- Anna Andréjewna. Ach, was für ein reizender junger Mann!
- Márja Antónowna. Ach und wie lieb!
- Anna Andréjewna. Und diese vornehmen Manieren! Man merkt doch gleich den
- Großstädter! Haltung und alles von einer Feinheit ... Ach, wie
- entzückend! Ich schwärme für dergleichen junge Männer! Wirklich, ich bin
- ganz außer mir. Ich habe übrigens Eindruck auf ihn gemacht; ich bemerkte
- es wohl, er sah immer nach mir hin.
- Márja Antónowna. Aber Mama, _mich_ hat er angesehen!
- Anna Andréjewna. Bleib mir gefälligst fort mit deinem Unsinn! Der ist
- hier überflüssig!
- Márja Antónowna. Nein, wirklich, Mama!
- Anna Andréjewna. Natürlich! Gott bewahre mich, alles muß sie abstreiten!
- Jetzt schweig aber mal still! Er und dich ansehn? Weshalb hätte er dich
- ansehn sollen?
- Márja Antónowna. Ganz gewiß, Mama, immerfort hat er mich angesehen. Als
- er von der Literatur anfing, da sah er mich an, und nachher, wie er
- erzählte, daß er mit den Botschaftern Whist spielt, da sah er mich auch
- an.
- Anna Andréjewna. Nun, kann sein, vielleicht so einmal, aber dann
- höchstens etwa so: »Na, sehen wir uns die auch mal an!«
- 9. Szene
- Die Vorigen und Polizeimeister.
- Polizeimeister (tritt auf den Fußspitzen herein). Pst ... pst ...
- Anna Andréjewna. Wie steht's?
- Polizeimeister. Es ist mir doch fatal, daß er sich übernommen hat.
- Indes, und wenn auch nur die Hälfte von dem, was er gesagt hat, wahr
- ist? (Überlegend.) Warum sollte es denn auch nicht wahr sein? Im Rausch
- offenbart der Mensch alles: wes das Herz voll ist, des geht der Mund
- über. Freilich, ein bißchen geflunkert hat er schon; aber ohne Flunkern
- kommt schließlich keine vernünftige Unterhaltung zustande. Mit den
- Ministern spielt er Karten und fährt zu Hofe ... Wahrhaftig, je mehr man
- darüber nachdenkt ... weiß der Teufel, was in meinem Schädel vorgeht;
- mir ist gerade so, als ob ich hoch oben auf einem Glockenturme stünde --
- oder gehängt werden sollte.
- Anna Andréjewna. Ich für mein Teil habe mich durchaus nicht befangen
- gefühlt: ich sah in ihm lediglich den gebildeten, weltgewandten,
- vornehmen Mann, sein Rang geht mich dabei gar nichts an.
- Polizeimeister. So seid ihr eben alle -- ihr Weiber! Alles ist gleich in
- schönster Ordnung, da genügt ein einziges Wörtchen! Euch ist alles --
- Spielkram! Das plappert bald so, bald so. Und habt ihr euch verheddert,
- seht doch, wie sie da nach dem teuren Gatten schreien! Du, meine
- Verehrteste, hast ihn eben leider so harmlos genommen, wie irgend einen
- beliebigen Dóbtschinski.
- Anna Andréjewna. Sei bitte meinetwegen ganz ohne Sorge. Ich weiß
- vollkommen, was sich schickt! (wirft dabei einen bedeutsamen Blick auf
- die Tochter.)
- Polizeimeister (für sich). Mit euch auch reden! ... Aber wahrhaftig,
- dieser ganze Fall! Ich kann mich noch immer nicht vom Schreck erholen.
- (Öffnet die Tür und ruft hinaus) Míschka! Ruf die Polizeidiener
- Swistúnoff und Djerschimórda: sie müssen hier irgendwo beim Tore sein.
- (Nach längerem Schweigen.) Sonderbar, wie es jetzt in der Welt zugeht;
- wenn es wenigstens ansehnliche Kerle wären, aber so ein unscheinbares,
- schmächtiges Herrchen -- wie soll man da herausbekommen, was er ist? Ein
- Militär ist immer noch was Greifbares; zieht er aber den Frack an --
- dann schaut er aus wie eine Fliege mit ausgerupften Flügeln. Hat sich
- vorhin im Gasthof lange genug verbarrikadiert und mit so viel
- Anspielungen und Zweideutigkeiten geplänkelt, daß man's in Ewigkeit
- nicht hätte zusammenreimen können. Nun hat er endlich die Waffen
- gestreckt. Hat sogar noch mehr geredet, als nötig war. Eins ist
- wenigstens sicher: der ist noch sehr jung!
- 10. Szene
- Die Vorigen und Ossip. Alle laufen ihm winkend entgegen.
- Anna Andréjewna. Komm doch mal her, mein Lieber!
- Polizeimeister. Pst! ... Wie steht's? Schläft er?
- Ossip. Nein, er reckt sich noch 'n bissel.
- Anna Andréjewna. Hör mal, mein Lieber, wie heißt denn du?
- Ossip. Ossip, Gnädigste.
- Polizeimeister (zu Frau und Tochter). Laßt schon, laßt! (Zu Ossip) Nun,
- Freundchen, hat man dich ordentlich versorgt?
- Ossip. Gut versorgt, allerschönsten Dank, tüchtig versorgt.
- Anna Andréjewna. Sag doch mal: dein Herr bekommt wohl oft Besuch von
- Grafen und Fürsten?
- Ossip (zur Seite). Was red't man da nu? Haben sie einen jetzt gut
- gefüttert, füttern sie einen hernach vielleicht noch besser. (Laut). Ja,
- auch Grafen kommen.
- Márja Antónowna. Ach, Ossipchen, wie reizend ist doch dein Herr!
- Anna Andréjewna. Sag doch, Ossip, dein Herr ist wohl ...
- Polizeimeister. So hört doch mal auf! Ihr stört mich nur mit euren
- albernen Fragen. Na Freundchen ...
- Anna Andréjewna. Und welchen Rang hat denn dein Herr?
- Ossip. Na den gewöhnlichen.
- Polizeimeister. Mein Gott, ewig diese Fragereien! Kein Wort kann man zur
- Sache reden. Nun, mein Freund, wie ist denn so dein Herr? ... Streng?
- Schimpft er auch mal gerne oder nicht?
- Ossip. O ja, auf Ordnung hält er sehr. Alles muß bei ihm auf die Minute
- gehn.
- Polizeimeister. Du gefällst mir recht gut, Freundchen! Du mußt ein
- braver Mensch sein. Sag mal ...
- Anna Andréjewna. Ach, Ossip, was trägt denn dein Herr dort, Uniform oder
- ...
- Polizeimeister. Ruhe, zum Donnerwetter, ihr Plappermäuler! Hier ist's
- dringend, hier geht's um ein Menschenleben .... (Zu Ossip.) Also,
- Freundchen, du gefällst mir sehr gut; auf der Reise trinkt man gern mal
- ein Gläschen Tee; kalt ist's außerdem; da hast du ein paar Blanke für
- Tee.
- Ossip (nimmt das Geld). Ah, danke allerschönstens, gnädiger Herr! Gott
- schenke Ihnen alle Gesundheit! Wie gut Sie zu 'n armen Menschen sind.
- Polizeimeister. Schon gut, schon gut, ich bin selbst sehr froh. Sag mal
- -- --
- Anna Andréjewna. Hör doch, Ossip, was für Augen gefallen deinem Herrn am
- besten? ...
- Márja Antónowna. Ach, Ossipchen, was für ein liebes Näschen dein Herr
- hat!
- Polizeimeister. So schweigt doch schon, laßt mich doch endlich! ... (Zu
- Ossip). Jetzt sag mal, Freund: worauf achtet dein Herr am meisten, will
- sagen, was behagt ihm auf der Reise am meisten?
- Ossip. Genau besehn, alles was kommt. Am meisten aber liebt er's, wenn
- man ihn schön aufnimmt und gehörig verpflegt.
- Polizeimeister. So so?
- Ossip. Ja so. Und sehn Sie, ich bin doch nur 'n Leibeigner, aber er paßt
- auch auf, daß ich's gut kriege. Freilich. Wir kommen wohin: »Na, Ossip,
- gut bewirtet worden?« »Schlecht, Hochwohlgeboren!« »Sieh mal, der
- miserable Wirt. Du«, meint er, »erinnere mich dran, wenn wir heim
- kommen«. »Ah«, denk ich bei mir, (mit einer Handbewegung) »laß ihn
- laufen! Ich bin 'n friedlicher Mensch!«
- Polizeimeister. Schön, schön, sehr vernünftig, was du da sagst. Eben gab
- ich dir was für Tee, da nimm noch was für Zwieback.
- Ossip. Zu gnädig, Hochwohlgeboren! (Steckt das Geld ein.) Da trink ich
- mal auf Ihre Gesundheit.
- Anna Andréjewna. Komm her, lieber Ossip, nimm auch von mir das.
- Márja Antónowna. Ach Ossipchen, gib deinem Herrn für mich einen Kuß!
- (Aus dem Nebenzimmer hört man ein leichtes Husten Chlestakóffs.)
- Polizeimeister. Pst! (Erhebt sich auf den Fußspitzen.) Könnt ihr denn
- gar keine Ruhe halten! Geht, geht, es ist genug ...
- Anna Andréjewna. Komm Máscha! Ich muß dir was erzählen, ich habe an
- unserm Gaste was bemerkt, was man nur unter vier Augen wiedersagen kann.
- Polizeimeister. Was die sich auch immer zu erzählen haben! Einmal
- hinhören und sich sofort die Ohren verstopfen! (Wieder zu Ossip
- gewendet.) Na, mein Freund ...
- 11. Szene
- Die Vorigen. Djerschimórda und Swistúnoff.
- Polizeimeister. Pst! Wie diese verdammten vierschrötigen Bären mit den
- Stiefeln stampfen. Das dröhnt, als ob einer vierzig Zentner vom
- Lastwagen herabwirft! Welcher Satan schickt euch her?
- Djerschimórda. Wir kamen auf Befehl ...
- Polizeimeister. Pst! (Hält ihm den Mund zu.) Wie das Rabenvieh krächzt!
- (schüttelt ihn.) »Wir kamen auf Befehl!« Brüllt wie aus einer Tonne! (Zu
- Ossip.) Geh, Freundchen, besorge dort das deinige und verfüge über
- alles, was das Haus bieten kann. (Ossip ab.) Und ihr -- ihr habt mir auf
- der Treppe zu stehen, und nicht von der Stelle gerührt! Und keinen
- Unbefugten hereingelassen, vor allem keine Kaufleute! Laßt ihr auch nur
- einen herein, dann ...! So wie ihr seht, daß jemand mit einer
- Beschwerdeschrift kommt, oder wenn er auch nur so aussieht, als ob er
- eine Beschwerde über mich einreichen will, dann ohne weiteres eins ins
- Genick! So! tüchtig! (Machts ihnen mit dem Fuße vor.) Verstanden? Pst!
- ... Pst! ... (Geht auf den Zehen hinaus, die Polizeidiener vor sich
- herschiebend.)
- (Ende des dritten Aufzuges.)
- Vierter Aufzug
- (Dasselbe Zimmer im Hause des Polizeimeisters.)
- 1. Szene
- Es treten auf -- behutsam auf den Fußspitzen: Kreisrichter,
- Hospitalverwalter, Postmeister, Schulinspektor, Dóbtschinski,
- Bóbtschinski, (sämtlich in voller Gala. Die ganze Szene geht im
- Flüsterton vor sich.)
- Kreisrichter (stellt alle im Halbkreis auf). Um Gotteswillen, meine
- Herren, schnell einen Halbkreis gebildet, und mehr Richtung! Ein
- gefährlicher Herr: fährt zu Hofe und schnauzt den Staatsrat an! Stellen
- Sie sich in Schlachtordnung! Sie Pjotr Iwánowitsch, stellen sich
- hierher.
- (Beide Pjotr Iwánowitsch eilen auf den Zehen herbei.)
- Hospitalverwalter. Gestatten Sie, Ammós Fjódorowitsch, man sollte doch
- zuvor etwas versuchen.
- Kreisrichter. Und was denn?
- Hospitalverwalter. Na, was ganz bekanntes.
- Kreisrichter. Schmieren?
- Hospitalverwalter. Nun ja doch, schmieren.
- Kreisrichter. Das ist gefährlich, das spricht sich 'rum: ein
- Staatsbeamter! Vielleicht in Form einer Widmung seitens des Adels --
- irgendein Andenken.
- Postmeister. Oder einfach so: Schaun Sie, Euer Gnaden, da ist Geld auf
- der Post eingegangen, aber keiner weiß, wem's gehört.
- Hospitalverwalter. Passen Sie dann nur auf, daß er Sie nicht mit der
- Post weiter wohin befördert. Nein, hören Sie, in einem wohlgeordneten
- Staate behandelt man derartige Dinge anders. Wozu braucht's denn hier
- der ganzen Schwadron? Einzeln muß man sich vorstellen, und dann unter
- vier Augen ... wie sich's eben gehört; die Ohren dürfen nichts davon
- merken! So ist das in der guten Gesellschaft hergebracht. Sie, Ammós
- Fjódorowitsch, müßten den Anfang machen.
- Kreisrichter. Nein, besser Sie; in Ihrer Anstalt hat der hohe Besuch
- doch auch gespeist.
- Hospitalverwalter. Dann eher noch Lúka Lúkitsch in seiner Eigenschaft
- als Erleuchter der Jugend.
- Schulinspektor. Nein ich kann nicht, ich kann nicht, meine Herren! Offen
- gestanden, ich bin so ängstlich, daß ich, wenn ein höherer Beamter mit
- mir redet, gleich den Kopf verliere und mir die Zunge im Halse stecken
- bleibt. Nein, meine Herren, lassen Sie mich aus, lassen Sie mich aus!
- Hospitalverwalter. Ja, dann bleiben eben nur Sie, Ammós Fjódorowitsch.
- Sie haben ja auch einen Redefluß, um den Sie Cicero beneiden könnte.
- Kreisrichter. Warum nicht gar! Cicero! Was Sie sich auch ausdenken! Wenn
- ich mich auch manchmal hinreißen lasse beim Gespräch über Jagd- und
- Schweißhunde ...
- Alle (ihn umdrängend). Nein, nein, nicht nur von Hunden, Sie können
- sogar vom babylonischen Turm ... Nein, Ammós Fjódorowitsch, lassen Sie
- uns nicht im Stich, seien Sie unser Vater! Nein, Ammós Fjódorowitsch!
- Kreisrichter. Lassen Sie mich frei, meine Herren!
- (Im selben Augenblick hört man im Nebenzimmer Schritte und Husten
- Chlestakóffs. Alle rennen um die Wette nach der Tür und drängen
- sich, um schnell hinauszukommen, was nicht ohne gegenseitige
- Püffe abgeht; man hört unterdrückte Ausrufe.)
- Stimme Bóbtschinskis. Au! Dóbtschinski, Dóbtschinski! Meine Hühneraugen!
- Stimme des Hospitalverwalters. Herrschaft laßt los, laßt los, Ihr
- quetscht mir ja die Seele aus dem Leibe!
- (Man hört noch weitere Ausrufe ai! au! Endlich haben sich alle
- durchgedrückt, und das Zimmer ist leer.)
- 2. Szene
- Chlestakóff allein; tritt herein mit verschlafenen Augen.
- Chlestakóff. Ich muß ganz tüchtig geschnarcht haben. Wo sie bloß alle
- diese Matratzen und Federbetten herhaben mögen? Geschwitzt habe ich
- sogar. Mir scheint, ich habe mir gestern beim Frühstück einen ziemlichen
- Schwips zugelegt: noch bis jetzt brummt mir der Schädel. Ich sehe, man
- kann hier seine Zeit auf die angenehmste Weise verbringen. Ich liebe die
- Gastlichkeit und schätze sie noch höher, wenn ich mehr aus natürlicher
- Herzensgüte und weniger mit besonderen Hintergedanken bewillkommnet
- werde. Zudem ist dies Töchterchen des Polizeimeisters durchaus nicht so
- übel, und selbst bei der Mama könnte man noch ganz gut ... Alles in
- allem ... wahrhaftig, diese Art Leben behagt mir.
- 3. Szene
- Chlestakóff und Kreisrichter.
- Kreisrichter (tritt ein, bleibt stehen und spricht für sich). Gott, mein
- Gott! Hilf mir aus dieser Klemme; meine Knie brechen mir vor Angst.
- (Laut, Haltung nehmend und die Hand am Degen.) Habe die Ehre mich
- vorzustellen: Ljápkin-Tjápkin, Kollegienassessor und Richter des
- hiesigen Kreises.
- Chlestakóff. Bitte nehmen Sie Platz! So, Sie sind Richter hier?
- Kreisrichter. Vor zwanzig Jahren wurde ich auf Vorschlag des Adels für
- drei Jahre gewählt und verwalte mein Amt bis auf den heutigen Tag.
- Chlestakóff. Das ist wohl ein recht einträglicher Posten?
- Kreisrichter. Nach zweimaliger Wiederwahl erhielt ich den Wladímir
- vierter Klasse nebst einer Belobigung seitens meiner vorgesetzten
- Behörde. (Beiseite.) Wie mir das Geld zwischen den Fingern brennt!
- Chlestakóff. Der Wladímir ist mir sehr sympathisch; der Annenorden
- dritter reicht da nicht heran.
- Kreisrichter (streckt die geschlossene Hand ein wenig weiter vor;
- beiseite). Gott im Himmel, ich weiß nicht mehr, wo ich bin, ich sitze
- wie auf glühenden Kohlen!
- Chlestakóff. Was haben Sie da in der Hand?
- Kreisrichter (verliert den Kopf und läßt die Scheine auf den Boden
- fallen). O nichts.
- Chlestakóff. Wieso nichts? Da fiel doch Geld hin.
- Kreisrichter (am ganzen Leibe zitternd). D -- d -- durchaus nicht!
- (Beiseite.) O Gott! Jetzt bin ich gerichtet, der Henkerwagen wartet
- schon.
- Chlestakóff (das Geld aufhebend). Natürlich ist das Geld.
- Kreisrichter (beiseite). Nun bin ich verloren, total verloren!
- Chlestakóff. Ach wissen Sie, leihen Sie mir das Geld!
- Kreisrichter (eilfertig). Wie ... wie ... mit dem größten Vergnügen!
- (Beiseite.) Mut, Mut, heilige Mutter Gottes, steh mir bei!
- Chlestakóff. Sehen Sie, ich habe mich auf der Reise ganz verausgabt;
- dies und jenes ... ich schicke es Ihnen übrigens von Hause gleich wieder
- zurück.
- Kreisrichter. Absolut unnötig! An sich schon welche Ehre ... Mit meinen
- schwachen Kräften der Obrigkeit in Eifer und Hingabe ... zu dienen
- bereit ... (erhebt sich vom Stuhle, in Haltung und die Hand am Degen.)
- Ich wage nicht, Sie länger durch meine Gegenwart zu belästigen. Hatten
- Sie noch irgendwelche Befehle zu erteilen?
- Chlestakóff. Was für Befehle?
- Kreisrichter. Ich meine -- Befehle an den hiesigen Kreisrichter!
- Chlestakóff. Wozu? Ich habe augenblicklich gar kein Verlangen nach ihm;
- nein, durchaus nicht, danke verbindlichst.
- Kreisrichter (sich verneigend und im Hinausgehen beiseite). Die Festung
- ist erobert!
- Chlestakóff (nach seinem Abgang). Ein freundlicher Mann, dieser
- Kreisrichter!
- 4. Szene
- Chlestakóff. Postmeister (tritt ein, in Gala und aufrechter
- Haltung, die Hand am Degen).
- Postmeister. Habe die Ehre, mich vorzustellen: Postmeister und Hofrat
- Schpékin!
- Chlestakóff. Ah, sehr willkommen! Ich liebe angenehme Gesellschaft.
- Setzen Sie sich. Leben Sie beständig hier?
- Postmeister. Zu dienen.
- Chlestakóff. Mir gefällt Ihr Städtchen. Es ist freilich nicht sehr
- bevölkert -- aber was tut das? Es ist ja doch keine Residenz, nicht
- wahr? Es ist ja doch keine Residenz?
- Postmeister. Vollkommen richtig.
- Chlestakóff. Den _bon ton_ gibt's doch eben nur in der Residenz, die hat
- auch keine Provinzgänse. Was ist Ihre Meinung, wie?
- Postmeister. Durchaus die nämliche! (Beiseite.) Scheint gar nicht stolz
- zu sein; erkundigt sich nach allem.
- Chlestakóff. Sagen Sie mal aufrichtig: auch in einer kleinen Stadt läßt
- es sich wohl ganz hübsch leben?
- Postmeister. O gewiß.
- Chlestakóff. Ich meine so, was braucht man weiter? Man braucht nur
- geachtet und geliebt zu sein -- nicht wahr?
- Postmeister. Sehr richtig bemerkt.
- Chlestakóff. Ich bin wirklich recht erfreut, daß Sie so ganz meiner
- Meinung sind. Ich gelte allerdings für einen Sonderling, aber das ist
- nun mal meine Charakteranlage. (Sieht ihm in die Augen und spricht für
- sich.) Ob ich diesen Postmeister wohl anpumpen kann? (Laut.) Was mir da
- komisches passiert ist! Ich habe mich auf der Reise ganz verausgabt.
- Könnten Sie mir vielleicht dreihundert Rubel leihen?
- Postmeister. Aber sofort! Mit dem größten Vergnügen! Haben Sie die Güte.
- Stehe bereitwilligst zu Diensten.
- Chlestakóff. Sehr verbunden! Offen gestanden, es ist mir in den Tod
- zuwider, mich auf der Reise einschränken zu sollen; wozu auch? Nicht
- wahr?
- Postmeister. Sehr richtig. (Erhebt sich, in aufrechter Haltung und die
- Hand am Degen.) Ich wage nicht, Sie länger mit meiner Gegenwart zu
- belästigen ... Hätten Sie einige Anweisungen hinsichtlich des
- Postdienstes?
- Chlestakóff. Nein, nichts. (Postmeister verneigt sich und geht ab.)
- Chlestakóff (eine Zigarre anzündend). Der Postmeister scheint auch ein
- recht netter Mensch zu sein; zum mindesten sehr gefällig. Solche Leute
- liebe ich.
- 5. Szene
- Chlestakóff und Schulinspektor, der fast zur Tür hereingestoßen
- wird. Hinter ihm hört man eine ziemlich laute Stimme: »Hasenfuß!«
- Schulinspektor (in zitternder Haltung, die Hand am Degen). Habe die
- Ehre, mich vorzustellen: Schulinspektor und Titularrat Chlópoff.
- Chlestakóff. Ah, sehr willkommen! Nehmen Sie Platz, nehmen Sie Platz!
- Zigarre gefällig? (Reicht ihm eine Zigarre.)
- Schulinspektor (unschlüssig, für sich). Hast du nicht gesehn! Darauf war
- ich nicht vorbereitet. Was nun?
- Chlestakóff. Nehmen Sie, nehmen Sie nur; ganz anständiges Kraut.
- Natürlich nicht so wie in Petersburg. Sehn Sie, mein Verehrtester, dort
- rauche ich so gewöhnlich das Kistchen zu fünfundzwanzig Rubel, tadellos,
- man leckt sich ordentlich die Lippen danach. Hier ist Feuer, bitte
- schön. (Reicht ihm das Licht.)
- Schulinspektor (versucht zu rauchen und schlottert am ganzen Leibe).
- Chlestakóff. Aber Sie rauchen ja verkehrt!
- Schulinspektor (läßt vor Schreck die Zigarre fallen, spuckt aus und weht
- sich mit der Hand vor dem Gesicht; für sich). Hol das alles doch der
- Teufel! Diese verfluchte Schüchternheit!
- Chlestakóff. Sie scheinen kein Freund von Zigarren zu sein. Ich freilich
- habe offen gesagt geradezu eine Schwäche dafür. Es geht mir damit so wie
- mit dem schönen Geschlecht, ich kann da absolut nicht gleichgültig sein.
- Und Sie? Was mögen Sie mehr, die Brünetten oder Blondinen?
- Schulinspektor (schwebt in völliger Ratlosigkeit, was er sagen soll).
- Chlestakóff. Nein, frei heraus, Brünette oder Blondinen?
- Schulinspektor. Ich wage keine Ansicht ...
- Chlestakóff. Nein, nein, keine Ausrede! Ich will unbedingt Ihren
- Geschmack kennen lernen!
- Schulinspektor. Dann würde ich mir ergebenst zu bemerken gestatten ...
- (Beiseite.) Ich weiß ja selber nicht was; alles dreht sich mir im Kopfe
- herum.
- Chlestakóff. Aha! Sie wollen es nicht sagen! Gewiß hat's Ihnen so eine
- kleine Brünette angetan! Hab' ich recht?
- Schulinspektor (schweigt).
- Chlestakóff. Ja, ja, Sie erröten, sehen Sie wohl! Warum gestehn Sie's
- denn nicht?
- Schulinspektor. Meine Befangenheit, Ew. Wohl... Hochwohl... Exzell...
- (Beiseite.) Läßt mich doch richtig die verdammte Zunge im Stich!
- Chlestakóff. Befangenheit! In der Tat, ich habe in meinen Augen so ein
- gewisses Etwas, das befangen macht. Wenigstens weiß ich genau, daß kein
- Weib ihm zu widerstehen vermag. Nicht wahr?
- Schulinspektor. Ganz zweifellos!
- Chlestakóff. Da ist mir ein seltsamer Fall passiert -- ich habe mich auf
- der Reise ganz verausgabt. Könnten Sie mir wohl dreihundert Rubel
- leihen?
- Schulinspektor (greift in die Tasche; für sich). Schöne Blamage, wenn
- ich jetzt nichts bei mir hätte! Ist da! Ist da! (Zieht die Scheine
- heraus und überreicht sie zitternd.)
- Chlestakóff. Herzlichen Dank!
- Schulinspektor. Ich wage nicht, Sie länger mit meiner Gegenwart zu
- belästigen.
- Chlestakóff. Leben Sie wohl.
- Schulinspektor (eilt fast laufend hinaus und spricht beiseite). Nun Gott
- sei Dank! der guckt mir nicht in meine Klassen hinein!
- 6. Szene
- Chlestakóff. Hospitalverwalter, in Haltung und die Hand am Degen.
- Hospitalverwalter. Habe die Ehre, mich vorzustellen: Hospitalverwalter
- und Hofrat Semljaníka.
- Chlestakóff. Schönen guten Tag, bitte nehmen Sie gefälligst Platz.
- Hospitalverwalter. Ich hatte gestern die Ehre, Sie persönlich empfangen
- und Ihnen in der meiner Aufsicht anvertrauten Anstalt aufwarten zu
- dürfen.
- Chlestakóff. Ach ja, ich erinnere mich. Sie gaben mir ein vorzügliches
- Frühstück.
- Hospitalverwalter. Ich bin glücklich, dem Vaterlande dienen zu können.
- Chlestakóff. Offen gestanden, es ist das meine schwache Seite -- ich
- liebe eine gute Küche. Sagen Sie doch mal, mir scheint -- waren Sie
- nicht gestern ein Endchen kleiner, wie?
- Hospitalverwalter. Sehr wohl möglich. (Nach kurzer Pause.) Ich darf es
- aussprechen, daß ich mit größter Aufopferung und Hingebung meinen Dienst
- erfülle. (Rückt näher und spricht halblaut.) Sehen Sie, der hiesige
- Postmeister tut gar rein gar nichts; alles ist gänzlich verwahrlost:
- Sendungen werden unterschlagen ... bitte nur selbst einmal nachzusehen.
- Auch der Kreisrichter, der eben vor mir drin war, geht immer nur auf die
- Hasenjagd, hält seine Hunde im Gerichtslokal, und seine Moral, wenn ich
- es vor Ihnen bekennen darf -- indessen zum Wohle des Vaterlandes muß ich
- es tun, obwohl er mein Anverwandter und Freund ist -- seine Moral ist
- die denkbar schlechteste. Hier lebt ein Hausbesitzer Dóbtschinski, Sie
- geruhten ihn bereits bemerkt zu haben, und wenn dieser Dóbtschinski nur
- einen Schritt aus seinem Hause tut, gleich ist der Kreisrichter drin und
- treibt mit seiner Frau ... ich kann es beschwören ... Sie brauchen sich
- da nur mal die Kinder anzusehen: keins von ihnen gleicht dem
- Dóbtschinski, aber alle, sogar das jüngste Töchterchen, sind dem
- Kreisrichter wie aus dem Gesicht geschnitten.
- Chlestakóff. Was Sie sagen! Das hätte ich nie gedacht!
- Hospitalverwalter. Und dann der Schulinspektor. Ich verstehe nicht, wie
- die Obrigkeit ihm solch ein Amt anvertrauen konnte. Er ist schlimmer als
- ein Jakobiner und bringt der Jugend derartig verwerfliche Grundsätze
- bei, daß es schwer zu beschreiben ist. Befehlen Sie, daß ich darüber ein
- schriftliches Memorandum aufsetze?
- Chlestakóff. Schön, jedenfalls schriftlich. Es wird mir sehr willkommen
- sein. Wissen Sie, ich liebe es sehr, für langweilige Stunden etwas
- Erbauliches zum Lesen zu haben ... Wie heißen Sie doch? Ich vergesse
- immer alles.
- Hospitalverwalter. Semljaníka.
- Chlestakóff. Ach ja, Semljaníka. Sagen Sie, haben Sie Kinder?
- Hospitalverwalter. Freilich, ganze fünf, zwei schon erwachsen.
- Chlestakóff. So, so, auch schon erwachsene! Na und die ... welchen
- Geschl...?
- Hospitalverwalter. Sie geruhten wahrscheinlich zu fragen, wie sie
- heißen?
- Chlestakóff. Ja wohl, wie sie heißen.
- Hospitalverwalter. Nikolái, Iwán, Elisabeth, Márja und Perpetua.
- Chlestakóff. Famos.
- Hospitalverwalter. Ich wage nicht, Sie länger durch meine Gegenwart zu
- belästigen und Ihnen kostbare Zeit zu rauben, die den heiligsten
- Pflichten gewidmet ist ... (Verneigt sich und will abtreten.)
- Chlestakóff (Gibt ihm das Geleit). Nein, durch aus nicht. Das ist ja
- alles sehr spaßhaft, was Sie mir da erzählt haben. Machen Sie mir bald
- wieder das Vergnügen ... ich höre so etwas sehr gerne. (Geht schnell
- wieder zur Türe, öffnet sie und ruft hinter ihm her.) He Sie! Wie heißen
- Sie doch noch? Ich vergesse alles, wie heißen Sie mit Vor- und
- Vaternamen?
- Hospitalverwalter. Artémij Filíppowitsch.
- Chlestakóff. Tun Sie mir den Gefallen, Artémij Filíppowitsch, mir ist
- ein komischer Fall begegnet: ich gab mich auf der Reise vollständig aus.
- Könnten Sie mir wohl vierhundert Rubel leihen?
- Hospitalverwalter. Zu dienen.
- Chlestakóff. Wie gut sich das trifft! Danke verbindlichst!
- 7. Szene
- Chlestakóff. Dóbtschinski und Bóbtschinski.
- Bóbtschinski. Habe die Ehre mich vorzustellen: Einwohner hiesiger Stadt,
- Pjotr Iwánowitsch Bóbtschinski junior.
- Dóbtschinski. Hausbesitzer Pjotr Iwánowitsch Dóbtschinski junior.
- Chlestakóff. Sieh da, wir kennen uns ja bereits! Mir scheint, Sie fielen
- damals hin? Nun, was macht Ihre Nase?
- Bóbtschinski. O danke sehr, bitte bemühen Sie sich nicht: schon ganz
- trocken, vollkommen trocken.
- Chlestakóff. Das ist ja sehr schön. Ich bin sehr erfreut ... (Plötzlich
- und überraschend.) Haben Sie Geld bei sich?
- Dóbtschinski. Geld? Wieso Geld?
- Chlestakóff. Um mir tausend Rubel zu leihen.
- Bóbtschinski. Eine solche Summe, bei Gott, nein; Sie vielleicht, Pjotr
- Iwánowitsch?
- Dóbtschinski. Ich auf keinen Fall, weil ich mein Geld, belieben Sie zu
- vermerken, bei der Staatskreditbank angelegt habe.
- Chlestakóff. Na, wenn nicht tausend, dann doch hundert.
- Bóbtschinski (in den Taschen wühlend). Haben Sie nicht hundert Rubel,
- Pjotr Iwánowitsch? Ich habe nur vierzig in Papier.
- Dóbtschinski. Und ich fünfundzwanzig alles in allem.
- Bóbtschinski. Sehen Sie nur genauer nach, Pjotr Iwánowitsch! Ich weiß
- genau, in Ihrer rechten Tasche ist ein Loch, da werden sich gewiß ein
- paar verkrochen haben.
- Dóbtschinski. Nein, auch da ist nichts drin.
- Chlestakóff. Nun egal: was liegt daran; meinetwegen also fünfundsechzig
- Rubel ... Ist mir einerlei. (Nimmt das Geld.)
- Dóbtschinski. Ich möchte mir die Freiheit nehmen, Ihnen noch eine
- besondere Bitte in einer delikaten Angelegenheit vorzutragen.
- Chlestakóff. Und das wäre?
- Dóbtschinski. Die Sache ist sehr delikater Natur: mein ältester Sohn,
- bitte ergebenst zu vermerken, wurde noch kurz vor meiner Hochzeit
- geboren ...
- Chlestakóff. So?
- Dóbtschinski. Ja, das heißt, man nennt das nur so, aber er ist so gewiß
- mein leiblicher Sohn, als wenn er in der Ehe geboren wäre, und überdies
- habe ich hinterher alles, wie sich's gehört, durch den gesetzlichen
- Ehebund geordnet. Nun möchte ich gerne, bitte zu vermerken, daß er von
- jetzt an auch richtig, das heißt gesetzlich mein Sohn sei und sich
- nennen dürfte wie ich, Dóbtschinski.
- Chlestakóff. Gut, mag er sich doch so nennen, warum nicht?
- Dóbtschinski. Ich würde Sie auch damit gar nicht belästigt haben, aber
- es wäre zu schade um seine Talente. So ein Kerlchen ... berechtigt zu
- den schönsten Hoffnungen: die verschiedensten Gedichte sagt er auswendig
- her, und wenn er wo ein Messer in die Finger kriegt, da schnitzt er
- Ihnen gleich kleine Wägelchen, so geschickt wie ein Tausendkünstler.
- Pjotr Iwánowitsch kann's bezeugen.
- Bóbtschinski. Ja, er hat wunderbare Talente!
- Chlestakóff. Gut gut! Ich werde mir Mühe geben, will Rücksprache nehmen
- ... ich hoffe ... es soll geschehen, ja, ja ... (zu Bóbtschinski
- gewandt). Haben Sie nicht auch noch ein Anliegen?
- Bóbtschinski. Freilich, ich hätte eine untertänigste Bitte.
- Chlestakóff. Nun und welcher Art?
- Bóbtschinski. Bitte untertänigst, wenn Sie wieder nach Petersburg
- kommen, sagen Sie bitte all den verschiedenen hochmögenden Senatoren und
- Admirälen: Ew. Exzellenz, oder: Ew. Hochwohlgeboren, dort in der und der
- Stadt lebt Pjotr Iwánowitsch Bóbtschinski -- genau so: lebt Pjotr
- Iwánowitsch Bóbtschinski.
- Chlestakóff. Sehr gerne.
- Bóbtschinski. Auch wenn Sie mal zufällig den Kaiser treffen, dann sagen
- Sie bitte auch dem Kaiser: Halten zu Gnaden, kaiserliche Majestät, aber
- in der und der Stadt lebt Pjotr Iwánowitsch Bóbtschinski.
- Chlestakóff. Aber sehr gerne.
- Dóbtschinski. Verzeihen Sie, daß wir Sie mit unserer Gegenwart so
- belästigt haben.
- Bóbtschinski. Verzeihen Sie, daß wir Sie mit unserer Gegenwart so
- belästigt haben.
- Chlestakóff. Bitte, hat nichts zu sagen! War mir sehr angenehm.
- (Geleitet sie bis an die Tür.)
- 8. Szene
- Chlestakóff allein.
- Chlestakóff. Recht viel Beamte gibt's hier. Sie scheinen mich übrigens
- alle für ein großes Tier zu halten. Freilich, ich habe ihnen gestern
- einigen blauen Dunst vorgemacht. Die Schafsköpfe! Ich müßte das alles
- doch an Trapítschkin nach Petersburg schreiben: er verfaßt so kleine
- Feuilletons -- mag er die doch mal gehörig vornehmen. -- He, Ossip! Gib
- mir Tinte und Papier. (Ossip guckt zur Tür herein und ruft: »Gleich!«)
- Für Trapítschkin wäre das ein gefundenes Fressen -- ein gefährlicher
- Bursche: würde seinen eigenen Vater für einen guten Witz preisgeben, und
- Geld sieht er auch gern. Diese Beamten sind übrigens recht biedere
- Leute; ein netter Zug von ihnen, daß sie mir Geld leihen. Ich muß doch
- mal nachsehen, wie viel es ist. Diese dreihundert vom Kreisrichter --
- diese dreihundert vom Postmeister, sechshundert -- siebenhundert --
- achthundert ... was für ein fettiger Lappen! achthundert -- neunhundert
- ... Oho, bis an die tausend hat sich das aufgeläppert ... Was sagst du
- nun, mein schlauer Hauptmann? Komm mir jetzt mal unter die Finger,
- wollen doch mal sehen, wer den anderen unterkriegt! --
- 9. Szene
- Chlestakóff. Ossip (mit Schreibzeug und Papier).
- Chlestakóff. Na, du Esel, siehst du wohl, wie sie mich hier verwöhnen
- und hofieren! (Beginnt zu schreiben.)
- Ossip. Ja, Gott sei gelobt! Aber wissen Sie was, Iwán Alexándrowitsch?
- Chlestakóff. Na?
- Ossip. Reisen Sie ab! Wahrhaftig, 's is Zeit!
- Chlestakóff (schreibt). Verrücktheit! Weshalb denn?
- Ossip. Na so. Was gehen uns alle die Leute an! Zwei Tage haben wir uns
- hier ausgetobt, na und nu is genug! Was brauch man sich länger mit ihnen
- abgeben. Spucken Sie drauf! Die Luft is auch nich ganz rein: 's kann wer
- anders ankommen -- wahrhaftig, Iwán Alexándrowitsch! Und Pferde gibt's
- hier so tüchtige -- laufen können die ...!
- Chlestakóff (schreibt). Nein, ich möchte noch bleiben. Meinetwegen denn
- morgen.
- Ossip. Eh, morgen! Fahren wir doch heute, Iwán Alexándrowitsch! Und wenn
- man Ihnen hier auch viel Ehre antut, Sie wissen's ja alleine: besser is
- auf und davon ... Man nimmt Sie hier ja doch nur für einen andern, und
- unser alter Herr wird sich ärgern, wenn Sie solange fackeln. Fein
- könnten wir wahrhaftig abkutschieren! Und stramme Pferde würden sie
- geben!
- Chlestakóff (schreibt). Na gut. Aber erst besorge mir diesen Brief, und
- dann kannst du meinetwegen gleich einen Postwagen bestellen. Aber sieh
- zu, daß wir tüchtige Pferde bekommen. Sag dem Postillon: ich lasse ein
- paar silberne springen, wenn er mich flott wie einen Staatskurier fährt
- und hübsch dazu bläst! ... (Schreibt weiter.) Ich sehe schon im voraus,
- wie sich Trapítschkin totlachen wird ...
- Ossip. Herr, ich schick den Brief lieber mit dem Hausknecht fort und
- pack unterdessen geschwind ein, damit keine Zeit verloren geht.
- Chlestakóff. Gut. Bring ein Licht.
- Ossip (geht hinaus und spricht hinter der Szene). He, Kamerad! Sollst 'n
- Brief auf die Post tragen und sag dem Postmeister, er soll ihn franko
- befördern, und er soll dem Herrn gleich die beste Tróika schicken, mit
- Kurierpferden; und sag, der Herr zahlt dafür nich, sag: 'ne Fuhre auf
- Staatskosten. Aber flott muß alles gehn, sonst schimpfen seine Gnaden
- der Herr. Wart, der Brief is noch nich fertig.
- Chlestakóff (schreibt weiter). Möchte nur wissen, wo er jetzt wohnt, ob
- auf der Poststraße oder der Krautstraße; er liebt auch von einem
- Quartier ins andre zu ziehn und die Miete schuldig zu bleiben. Na, ich
- schreibe aufs Geratewohl: Poststraße. (Faltet den Brief und adressiert.)
- Ossip (bringt ein Licht).
- Chlestakóff (siegelt).
- (Währenddessen hört man die Stimme Djerschimórdas: »Fort, du
- Lausbart, hörst doch, daß keiner rein darf!«)
- Chlestakóff (gibt Ossip den Brief). Da, bring ihn fort.
- (Stimmen der Kaufleute: »Laß uns doch rein! Du mußt uns
- reinlassen, wir kommen um Geschäfte!«)
- Stimme Djerschimórdas. Raus! Raus! Er empfängt nich, er schläft!
- (Der Lärm nimmt zu.)
- Chlestakóff. Was ist da los, Ossip? Sieh mal nach, was der Lärm
- bedeutet.
- Ossip (sieht aus dem Fenster). Da sind Kaufleute, die rein wollen, aber
- der Polizist läßt sie nich. Sie winken mit Papieren. Wahrscheinlich
- wollen sie zu Ihnen.
- Chlestakóff (tritt ans Fenster). Was wollt ihr, guten Leute?
- Stimmen der Kaufleute. Wir kommen zu deiner Barmherzigkeit! Hab Mitleid,
- Herr, und nimm unsere Bittschriften an!
- Chlestakóff. Man soll sie hereinlassen! Sie mögen kommen. Ossip, sag
- ihnen, sie mögen kommen.
- Ossip (geht hinaus).
- Chlestakóff (nimmt durchs Fenster Bittschriften entgegen, faltet eine
- auseinander und liest). »Seiner hochwohlgeborenen Erlauchtheit dem Herrn
- Finanziell vom Kaufmann Awdúljin ...« der Teufel soll wissen, was das
- ist; und solchen Titel gibt's erst recht nicht!
- 10. Szene
- Chlestakóff. Kaufleute (mit Weinkörben und Zuckerhüten).
- Chlestakóff. Was wollt ihr, lieben Leute?
- Kaufleute. Klagen kommen wir vor Eure Barmherzigkeit.
- Chlestakóff. Worum handelt es sich?
- Kaufleute. Laß uns nicht verderben, allergnädigster Herr! Unschuldig
- richtet er uns zugrunde!
- Chlestakóff. Wer?
- Einer der Kaufleute. Alles unser Polizeimeister! Herr, so einen
- Polizeimeister hat's noch nie gegeben. Was der uns für Niedertracht
- antut, das is nich auszudenken. Hat uns so ausgeplündert, daß man bloß
- noch 'ne Schlinge um den Hals braucht. Wie geht er auch mit einem um!
- Kriegt einen beim Bart zu packen und sagt: »Ach du Tatarenhund!« Bei
- Gott, das tut er! Wenn wir ihm noch hätten was abgehen lassen; aber wir
- tun ja alles, was wir nur können: was er verlangen kann zu Kleidern für
- seine Frau und seine Tochter -- daran läßt man's ja nicht fehlen. Aber,
- siehste, das is ihm alles noch nich genug! Kommt in den Laden rein, und
- was ihm in die Hände fällt, alles nimmt er mit: sieht er 'n Stück Stoff:
- »He, Freundchen, schöner Stoff; trag ihn mal zu mir rüber!« Nu und man
- muß 'n ihm hintragen, und dabei sind's doch wenigstens fünfzig Ellen!
- Chlestakóff. Nicht möglich? Ist das ein Spitzbube!
- Kaufleute. Wirklich wahr! Auf so'n Polizeimeister kann sich keiner nich
- besinnen. Man versteckt schon alles im Laden, wenn man ihn kaum kommen
- sieht. Nich mal feine Sachen nur nimmt er, nein, er nimmt jeden Dreck:
- Backpflaumen, die schon sieben Jahr in der Tonne liegen und die bei uns
- kein Hausknecht fressen möchte -- aber er steckt sich so 'ne Handvoll
- davon da rein. Auf St. Anton ist sein Namenstag, und man denkt nu, man
- hat alles gegeben, was er nur brauchen kann: nein, noch mehr soll man
- geben; er sagt, auf St. Onuphrius hätt' er auch noch 'n Namenstag. Was
- soll man nu tun? Man muß auch den St. Onuphrius feiern.
- Chlestakóff. Aber das ist ja ein richtiger Räuber!
- Kaufleute. Ach Gott, ja. Aber versuch' einer sich zu sperren, gleich
- schickt er einem 'n ganzes Regiment Einquartierung. Schlägt man Lärm,
- dann läßt er einem die Türen verrammeln und sagt: »Foltern und geißeln
- kann ich dich nicht, das erlaubt mir das Gesetz nicht, aber, Bürschchen,
- du sollst mir Heringe fressen, bis dir ...!«
- Chlestakóff. Dieser Halunke! Der gehört ja direkt nach Sibirien!
- Kaufleute. Ach, wo deine Gnade ihn auch hinschickt, das ist uns alles
- recht, nur weiter weg von uns. Lieber Vater, verachte nich unser Salz
- und Brot: laß uns dir mit diesem Endchen Zucker und 'nem Körbchen Wein
- unsere Ehrfurcht beweisen.
- Chlestakóff. Nein, das laßt bleiben: ich nehme absolut keine Geschenke.
- Aber wenn ihr mir zum Beispiel dreihundert Rubel leihen wolltet, das
- wäre dann was anderes; das kann ich nehmen.
- Kaufleute. Bitte, lieber Vater, bitte! (Sie holen Geld heraus.) Warum
- nur dreihundert? Nimm doch lieber gleich fünfhundert, nur hilf uns!
- Chlestakóff. Wohlverstanden: ein Darlehn -- dabei bleibt's; ich nehme es
- an.
- Kaufleute (reichen ihm auf einer silbernen Schale das Geld). Tu uns die
- Gnade und behalt' auch gleich die Schale.
- Chlestakóff. Nun, meinetwegen auch die Schale.
- Kaufleute (sich verbeugend). Dann nimm doch auch schon auf einen Hieb
- die Zuckerhüte und ...
- Chlestakóff. O nein, Geschenke niemals ...
- Ossip. Euer Hochwohlgeboren! Warum nehmen Sie's nich? Nehmen Sie's doch.
- Auf der Reise kann man alles brauchen. Her mit dem Zucker und mit den
- Körben! Alles her! Alles kann zu was taugen. Was is da? 'n Strick? Her
- mit dem Strick! Auch 'n Strick is gut auf die Reise; bricht mal was am
- Wagen oder sonst was -- man kann's dann doch binden.
- Kaufleute. Tun Sie uns nu auch die Gnade, Euer Herrlichkeit! Wenn Sie
- uns auf unsre Bitten nich helfen, dann wissen wir nich mehr wohin, dann
- schon lieber gleich 'n Strick um den Hals.
- Chlestakóff. Unbedingt! Unbedingt! Ich werde mich bemühen.
- (Die Kaufleute entfernen sich; man hört die)
- Stimme eines Weibes. Nein, du darfst mich nicht abweisen; auch dich
- werde ich verklagen; stoß mich doch nicht so!
- Chlestakóff. Wer ist dort? (Tritt ans Fenster.) Was willst du,
- Mütterchen?
- Stimme zweier Frauen. Um deine Barmherzigkeit flehen wir, Vater! Herr,
- hör uns an!
- Chlestakóff (ruft hinaus). Einlassen!
- 11. Szene
- Chlestakóff. Die Schlosserfrau und die Unteroffizierfrau.
- Schlosserfrau (auf die Knie fallend). Barmherzigkeit!
- Unteroffizierfrau. Barmherzigkeit!
- Chlestakóff. Wer seid ihr denn?
- Unteroffizierfrau. Die Unteroffizierfrau Iwánow.
- Schlosserfrau. Die Schlosserfrau und Bürgerin Fewrónja Pjetrówna
- Poschljópkina, mein Vater ...
- Chlestakóff. Halt, erst soll eine reden. Was willst du?
- Schlosserfrau. Barmherzigkeit. Ich klage gegen den Polizeimeister, soll
- ihn Gott schlagen mit allem Bösen, daß seine Kinder und er, der Halunke,
- und seine Onkels und seine Tanten alle, alle nicht wissen, wo sie hin
- sollen!
- Chlestakóff. Was ist denn vorgefallen?
- Schlosserfrau. Er hat meinem Mann den Kopf scheren lassen und ihn unter
- die Soldaten gesteckt und das Los war doch nicht auf uns gefallen,
- dieser Schuft! Und auch das Gesetz erlaubt's nicht. Er ist ja
- verheiratet.
- Chlestakóff. Wie konnte er denn das tun?
- Schlosserfrau. Er hat's getan, der Halunke! Er hat's getan! Soll ihn
- Gott verdammen in dieser und in jener Welt! Und wenn er eine Tante hat,
- soll ihm auch seine Tante mit allen Pestilenzen geschlagen sein! Und
- sein Vater, wenn er noch lebt, die Kanaille! daß auch der verrecken soll
- oder ersticken soll in alle Ewigkeit! So ein Halunke der! Der
- Schneidersohn sollte genommen werden, der war ja auch 'n Säufer. Aber
- seine Eltern gaben ein schönes Stück Geld, da machte er sich dann an den
- Sohn der Kaufmannsfrau Panteléjeff. Aber die Panteléjeff schickte seiner
- Frau drei Stück Leinwand und da kam er zu mir. »Wozu brauchst du einen
- Mann,« sagte er. »Für dich taugt er ja doch nichts mehr.« Aber ich weiß
- alleine, ob er noch taugt oder nicht. Das ist schon meine Sache. So ein
- Halunke! »Ein Dieb ist er,« sagt er, »wenn er auch jetzt nichts
- gestohlen hat. Ganz egal,« sagt er, »stehlen wird er doch und sie werden
- ihn ja doch sowieso nächstes Jahr unter die Soldaten stecken.« Was soll
- ich dann anfangen ohne Mann? So ein Halunke! Sollen doch alle seine
- Verwandten es so kriegen, daß sie Gottes Licht nicht mehr sehen können
- und wenn er eine Schwiegermutter hat, so soll auch die Schwiegermutter
- ...
- Chlestakóff. Genug, genug! Nun und du? (Schafft dabei die Schlosserfrau
- hinaus.)
- Schlosserfrau (im Fortgehen). Vergiß es nicht, mein Vater, sei
- barmherzig.
- Unteroffizierfrau. Ich kam wegen dem Polizeimeister.
- Chlestakóff. Nun, und warum? Antworte kurz.
- Unteroffizierfrau. Ausgepeitscht, Herr.
- Chlestakóff. Wie?
- Unteroffizierfrau. Aus Irrtum, mein Vater. Die Weiber zankten sich auf
- dem Markte und wie die Polizei kam und sie nicht fangen konnte, da
- griffen sie mich und haben mich so zerschunden, daß ich zwei Tage nicht
- sitzen konnte.
- Chlestakóff. Ja, aber was ist jetzt da zu machen?
- Unteroffizierfrau. Gewiß ist nichts zu machen, aber für den Fehler soll
- er Strafe zahlen. Ich muß ja mein Kreuz nun doch tragen, aber Geld
- könnte ich jetzt grade brauchen.
- Chlestakóff. Gut, gut. Geh, geh. Ich werde es anordnen. (Nach dem
- Fenster strecken sich Hände mit Bittschriften empor.) Wer ist denn da
- noch? (Geht ans Fenster.) Ich will nicht, ich will nicht! Genug, genug!
- (Tritt zurück.) Das habe ich jetzt satt. Hol's der Teufel! Niemand mehr
- einlassen!
- Ossip (schreit aus dem Fenster). Fort, fort! Keine Zeit, kommt morgen
- wieder!
- (Die Tür öffnet sich und es erscheint in ihr eine Gestalt im
- wollenen Mantel mit verwildertem Bart, geschwollenen Lippen und
- verbundener Backe. Hinter ihr erscheinen noch einige andere
- Gestalten.)
- Ossip. Raus! Raus! Was untersteht ihr euch! (Packt den ersten um den
- Leib und zieht ihn mit sich hinaus ins Vorzimmer, die Tür hinter sich
- zuschlagend.)
- 12. Szene
- Chlestakóff. Márja Antónowna.
- Márja. Ach!
- Chlestakóff. Warum erschraken Sie so, mein Fräulein?
- Márja. Oh, ich bin gar nicht erschrocken.
- Chlestakóff (galant.) Aber mein Fräulein, es ist mir ja gerade sehr
- angenehm, daß Sie mich für einen Menschen hielten, welcher ... Darf ich
- so kühn sein, zu fragen, wohin Sie zu gehen beabsichtigten?
- Márja. Wirklich, ich wollte nirgends hin.
- Chlestakóff. Was wollten Sie beispielsweise mit dem nirgendshin sagen?
- Márja. Ich dachte, ob Mama vielleicht hier ...
- Chlestakóff. Nein, ich möchte eben gerne wissen, weshalb Sie nirgend
- wohin gingen?
- Márja. Ich habe Sie gestört. Sie waren mit wichtigen Angelegenheiten
- beschäftigt.
- Chlestakóff (galant). Ihre Augen sind reizvoller als alle wichtigen
- Angelegenheiten. Sie können mich überhaupt nicht stören. Ganz und gar
- nicht. Im Gegenteil, Sie können mir nur Vergnügen bereiten.
- Márja. Sie sprechen im Tone der Großstadt --
- Chlestakóff. Zu einem so entzückenden Geschöpf, wie Sie es sind. Darf
- ich mir das Glück gönnen, Ihnen einen Stuhl anzubieten? Doch nein, Sie
- sollten keinen Stuhl, Sie sollten einen Thron haben.
- Márja. Wirklich, ich weiß nicht ... ich hätte doch wohl gehen müssen.
- (Setzt sich.)
- Chlestakóff. Was haben Sie da für ein reizendes Halstuch?
- Márja. Sie sind ein Spötter, und wollen sich nur über eine Provinzialin
- lustig machen.
- Chlestakóff. Ach, mein Fräulein, wie sehr wünschte ich, Ihr Halstuch zu
- sein, um Ihren Lilienhals umschlingen zu können!
- Márja. Ich verstehe ganz und gar nicht, wovon Sie sprechen. Dieses
- Halstuch ... Was für wunderbares Wetter heute ist!
- Chlestakóff. Ihre Lippen, mein Fräulein, sind schöner als jedes Wetter.
- Márja. Wie Sie auch immer reden ... Ich möchte Sie bitten, mir lieber
- ein paar Verse zur Erinnerung ins Album zu schreiben. Sie wissen
- jedenfalls eine Menge.
- Chlestakóff. Für Sie, mein Fräulein, tue ich alles, was Sie wünschen.
- Was für Verse wollen Sie haben?
- Márja. Irgendwelche, nur recht hübsche, neue.
- Chlestakóff. Was heißt Verse! Ich kenne so viele.
- Márja. Also sagen Sie, welche wollen Sie mir einschreiben?
- Chlestakóff. Weshalb sagen? Ich kenne sie auch so.
- Márja. Ich habe Verse so gern.
- Chlestakóff. Ich weiß eine Menge der verschiedensten Gattung. Was meinen
- Sie zum Beispiel zu diesen:
- »O du, der du in Liebesnot
- Umsonst mit deinem Schöpfer rechtest!«
- Oder anderes dergleichen. Sie wollen mir jetzt gerade nicht einfallen.
- Aber das tut nichts, statt dessen ziehe ich es vor, Ihnen meine Liebe
- anzutragen, die durch Ihren Blick ... (Rückt mit dem Stuhle näher).
- Márja. Liebe? Ich verstehe nichts von Liebe. Ich habe noch nie gewußt,
- was Liebe ist. (Rückt mit dem Stuhl weiter ab).
- Chlestakóff. Warum rücken Sie denn fort? Es wäre doch viel netter, wenn
- wir nahe beieinander säßen.
- Márja (rückt mit ihrem Stuhl weiter ab). Warum denn nahe? Es kann ja
- auch weiter sein.
- Chlestakóff (rückt näher). Warum denn weiter? Es kann ja auch näher
- sein.
- Márja. Aber warum denn?
- Chlestakóff (rückt näher). Sehen Sie, es scheint Ihnen bloß so, daß das
- nahe ist. Bilden Sie sich ein, es sei weiter. Wie glücklich würde ich
- sein, mein Fräulein, Sie in meine Arme schließen zu können!
- Márja (blickt nach dem Fenster). Was war das, was da vorbeiflog, eine
- Elster oder ein anderer Vogel?
- Chlestakóff (küßt sie auf die Schulter und blickt nach dem Fenster).
- Eine Elster!
- Márja (steht unwillig auf). Nein, das geht zu weit! Diese Dreistigkeit!
- Chlestakóff (hält sie zurück). Verzeihen Sie, mein Fräulein, das tat ich
- nur aus Liebe, aus reiner Liebe.
- Márja. Sie halten mich für eine Art von Provinzmädchen ... (Sie bemüht
- sich hinauszukommen.)
- Chlestakóff (hält sie immer noch fest). Nur aus Liebe, wirklich nur aus
- Liebe. Ich scherzte nur ein wenig, Márja Antónowna. Zürnen Sie mir
- nicht. Ich bin bereit, Sie auf den Knien um Verzeihung zu bitten. (Fällt
- auf die Knie.) Verzeihen Sie, verzeihen Sie! Sie sehen mich auf den
- Knien!
- 13. Szene
- Die Vorigen und Anna Andréjewna.
- Anna Andréjewna (erblickt Chlestakóff auf den Knien liegend). Ah, welche
- Situation!
- Chlestakóff (sich erhebend). Verflucht!
- Anna Andréjewna (zur Tochter). Was soll das heißen, mein Fräulein? Was
- ist das für ein Betragen?
- Márja. Ach, Mama, ich ...
- Anna Andréjewna. Marsch hinaus, hörst du, hinaus, und wage es nicht, mir
- unter die Augen zu treten. (Márja in Tränen ab).
- Anna Andréjewna. Verzeihen Sie, aber meine große Bestürzung ...
- Chlestakóff (beiseite). Auch noch ganz appetitlich. Gar nicht übel.
- (Fällt auf die Knie.) Gnädigste, Sie sehen, ich brenne vor Liebe.
- Anna Andréjewna. Wie, auf den Knien? Ach, stehen Sie auf, der Fußboden
- ist hier so staubig.
- Chlestakóff. Nein, auf den Knien, durchaus auf den Knien. Ich muß
- wissen, was meiner harrt, Leben oder Tod!
- Anna Andréjewna. Aber erlauben Sie, ich verstehe den Sinn Ihrer Worte
- noch gar nicht. Irre ich nicht, so wollen Sie sich zugunsten meiner
- Tochter erklären?
- Chlestakóff. Nein, ich liebe Sie, mein Leben hängt an einem Faden. Wenn
- Sie meine unwandelbare Liebe nicht krönen, so bin ich des irdischen
- Daseins nicht wert. Mit flammendem Herzen bitte ich um Ihre Hand!
- Anna Andréjewna. Aber gestatten Sie mir zu bemerken, ich bin
- gewissermaßen -- ich bin verheiratet.
- Chlestakóff. Was liegt daran! Die Liebe kennt keinen Unterschied. Sagte
- doch schon Karámsin, »die Gesetze verdammen«. Wir ziehen uns in den
- Schatten eines Baches zurück. Ihre Hand, ich bitte um Ihre Hand!
- 14. Szene
- Die Vorigen. Márja Antónowna eilt plötzlich herein.
- Márja. Mama, Papa wünscht, du möchtest (erblickt Chlestakóff auf den
- Knien und ruft aus.) Ah, welche Situation!
- Anna Andréjewna. Nun was soll das? Wohin? Warum? Welche Keckheit!
- Hereinzustürzen wie eine verbrannte Katze! Nun, was ist daran so
- Erstaunliches? Was hat dir so aufzufallen? Wirklich gerade wie ein
- dreijähriges Kind. Ich weiß nicht, ob du jemals vernünftiger werden und
- dich benehmen wirst, wie es sich für ein wohlerzogenes Mädchen schickt.
- Ob du jemals begreifen wirst, was es heißt, gute Sitte und anständiges
- Betragen!
- Márja (unter Tränen). Wirklich Mama, ich wußte nicht ...
- Anna Andréjewna. Ewig hast du Flatterkram im Kopf. Du nimmst dir dein
- Beispiel an den Töchtern des Kreisrichters. Was brauchst du nach denen
- hinzusehen, du sollst dich nicht um sie scheren. Du kannst andere
- Vorbilder haben. Sieh deine Mutter an. Nach solchen Vorbildern sollst du
- dich richten!
- Chlestakóff (nimmt die Tochter bei der Hand). Anna Andréjewna,
- widersetzen Sie sich nicht unserm Glück, segnen Sie unsere treue Liebe.
- Anna Andréjewna (in höchstem Erstaunen). Dann wären Sie also in sie ...
- Chlestakóff. Entscheiden Sie, ob Leben oder Tod.
- Anna Andréjewna. Nun sieh, du Närrin, sieh, deinetwegen, um solch
- albernes Ding hat unser Gast die Gnade gehabt, sich auf die Knie
- herabzulassen und du rennst plötzlich fort wie eine Verrückte.
- Wahrhaftig, ich hätte alle Veranlassung, mich zu weigern. Du bist eines
- solchen Glückes nicht wert!
- Márja. Nie wieder tu ich's, Mama, wirklich nie wieder!
- 15. Szene
- Die Vorigen. Polizeimeister in größter Hast hereintretend.
- Polizeimeister. Nie wieder, Euer Exzellenz! Verderben Sie mich nicht,
- verderben Sie mich nicht!
- Chlestakóff. Was haben Sie denn?
- Polizeimeister. Die Kaufleute da haben sich bei Eurer Exzellenz
- beschwert. Auf Ehre versichere ich, nicht die Hälfte von dem ist wahr,
- was sie sagen. Sie selber betrügen und übervorteilen das Volk. Die
- Unteroffiziersfrau hat Ihnen vorgelogen, ich hätte sie durchpeitschen
- lassen. Sie lügt, bei Gott sie lügt. Sie hat sich selber
- durchgepeitscht.
- Chlestakóff. Weg mit der Unteroffiziersfrau! Was geht die mich an!
- Polizeimeister. Glauben Sie ihnen nicht! Glauben Sie ihnen nicht! Das
- sind solche Lügner, kein Wickelkind glaubt denen mehr. Die ganze Stadt
- kennt sie als Lügner, und was die Spitzbüberei betrifft, sie selbst sind
- Spitzbuben, wie es noch keine auf der Welt gab.
- Anna Andréjewna. Weißt du denn auch, welcher Ehre uns Iwán
- Alexándrowitsch würdigt? Er bittet um die Hand unserer Tochter.
- Polizeimeister. Aber, aber, Frauchen, du bist von Sinnen! Bitte zürnen
- Sie nicht, Exzellenz, sie ist ein bißchen wunderlich. Die Mutter war
- auch so.
- Chlestakóff. Nein, ich bitte tatsächlich um ihre Hand. Ich liebe sie.
- Polizeimeister. Das kann ich unmöglich glauben, Exzellenz.
- Anna Andréjewna. Aber wenn man es dir doch sagt!
- Chlestakóff. Ich sage das nicht, um zu scherzen. Ich könnte vor Liebe
- den Verstand verlieren.
- Polizeimeister. Ich wage es nicht zu glauben, ich bin dieser Ehre nicht
- würdig.
- Chlestakóff. Wenn Sie sich weigern, mir die Hand ihrer Tochter zu geben,
- dann bin ich weiß Gott wozu entschlossen.
- Polizeimeister. Ich kann es nicht glauben. Sie belieben zu scherzen,
- Exzellenz.
- Anna Andréjewna. Nein, wahrhaftig, was für ein Tölpel! Wenn man's dir
- doch nun sagt!
- Polizeimeister. Ich kann's nicht glauben.
- Chlestakóff. Geben Sie mir Ihre Hand, geben Sie, ich bin ein tollkühner
- Mensch und zu allem bereit. Wenn ich mich erschieße, kommen Sie vors
- Gericht.
- Polizeimeister. O mein Gott, ich bin wirklich, wirklich nicht schuld,
- weder mit Leib noch Seele. Bitte zürnen Sie nicht, handeln Sie, wie es
- Ihre Gnaden für gut erachten. In meinem Kopfe sieht es augenblicklich
- ... ich weiß selbst nicht, was da vorgeht. Ich bin jetzt ein solcher
- Narr, wie ich es noch niemals gewesen bin.
- Anna Andréjewna. Nun, gib deinen Segen.
- Chlestakóff (tritt mit Márja Antónowna heran).
- Polizeimeister. So segne euch Gott, aber ich bin unschuldig!
- (Chlestakóff tauscht mit Márja Küsse. Polizeimeister blickt auf sie.)
- Was für ein Teufelskerl, es ist nicht zu sagen! (Reibt sich die Augen.)
- Ja, ja, küssen sich, ganz klar, küssen sich. Genau wie ein Bräutigam!
- Hui, da ist mir aber ein Glück einbeschert! Alle Wetter!
- 16. Szene
- Die Vorigen und Ossip.
- Ossip. Der Wagen ist bereit.
- Chlestakóff. Schön, Ossip, gleich.
- Polizeimeister. Sie geruhen abzureisen?
- Chlestakóff. Ja, ich reise.
- Polizeimeister. Und wann -- das heißt -- ... Sie geruhten doch selber
- vorhin auf eine Hochzeit anzuspielen?
- Chlestakóff. Ach, das ist nur momentan. Ich reise bloß für einen Tag zu
- meinem Onkel -- reicher alter Mann -- morgen bin ich wieder zurück.
- Polizeimeister. Wir wagen nicht Sie zurückzuhalten -- in Hoffnung auf
- ein glückbringendes Wiedersehen.
- Chlestakóff. Aber was denn! Ich bin ja gleich wieder da. Leb wohl, meine
- Liebe ... Nein, ich kann es nicht ausdrücken, leb wohl, mein Herzchen!
- (Küßt ihr die Hand.)
- Polizeimeister. Benötigen Sie vielleicht etwas für die Reise? Sie
- schienen etwas knapp an Geldmitteln?
- Chlestakóff. O nein, wie so? (Denkt etwas nach.) Na, übrigens ja, bitte.
- Polizeimeister. Wieviel wünschen Sie?
- Chlestakóff. Sie gaben mir damals zweihundert, das heißt nicht
- zweihundert, sondern vierhundert, ich will aus Ihrem Versehen keinen
- Vorteil ziehen -- dann also bitte jetzt noch einmal vierhundert, damit
- es rund achthundert sind.
- Polizeimeister. Sofort. (Holt die Scheine aus der Brieftasche.) Noch
- dazu, wie bestellt, ganz neue Scheine.
- Chlestakóff. Sieh da! (Nimmt und betrachtet die Scheine.) Das ist schön.
- Heißt es nicht »neues Geld, neues Glück«?
- Polizeimeister. Sehr richtig!
- Chlestakóff. Leben Sie wohl, Antón Antónowitsch, ich bin Ihnen sehr
- dankbar für Ihre Gastfreundschaft. Ich habe noch nirgendwo eine so gute
- Aufnahme gefunden. Leben Sie wohl, Anna Andréjewna, mein süßer Schatz,
- Márja Antónowna!
- (Hinter der Szene):
- Stimme des Chlestakóff. Leb wohl, Engel meiner Seele, Márja Antónowna!
- Stimme des Polizeimeisters. Wie? Sie wollen mit dem einfachen Postwagen
- reisen?
- Stimme des Chlestakóff. Ja, ich bin's schon so gewohnt. In den federnden
- Wagen bekomme ich nur Kopfschmerzen.
- Stimme des Postillons. Prrr! ...
- Stimme des Polizeimeisters. Man sollte ihn wenigstens mit etwas
- überdecken und wenn's auch nur ein Teppich wäre. Soll ich nicht nach
- einem Teppich schicken?
- Stimme des Chlestakóff. Nein, wozu. Das ist unnötig. Aber vielleicht
- doch -- gut, lassen Sie einen holen.
- Stimme des Polizeimeisters. He, Awdótja, lauf in die Kammer und hol den
- besten Teppich, den mit dem blauen Fond, den persischen, schnell!
- Stimme des Postillons. Prrr!
- Stimme des Polizeimeisters. Wann dürfen wir Sie zurück erwarten?
- Stimme des Chlestakóff. Morgen oder übermorgen.
- Stimme des Ossip. Is das der Teppich? Gib ihn hierher. So hinlegen. So,
- und dort noch 'n bissel Heu, so.
- Stimme des Postillons. Prrr!
- Stimme des Ossip. Noch auf der Seite! Hierher! Noch! Genug! So wird's
- fein gehn. (Schlägt mit der Hand auf den Teppich.) So, Euer Wohlgeboren,
- nu setzen Sie sich!
- Stimme des Chlestakóff. Adieu, Antón Antónowitsch!
- Stimme des Polizeimeisters. Leben Sie wohl, Euer Exzellenz!
- Weibliche Stimmen. Adieu, Iwán Alexándrowitsch!
- Stimme des Chlestakóff. Adieu, Mama!
- Stimme des Postillons. Los, ihr Hengste!
- (Die Postglocke ertönt, der Vorhang fällt.)
- (Ende des vierten Aufzuges.)
- Fünfter Aufzug
- (Dasselbe Zimmer.)
- 1. Szene
- Polizeimeister. Anna Andréjewna. Márja Antónowna.
- Polizeimeister. Nun Frau, hättest du an so etwas gedacht? Solch einen
- Fang zu tun? Du Närrin, gesteh' es, hättest du dir das träumen lassen?
- -- Eben noch eine gewöhnliche Frau Polizeimeisterin und plötzlich -- du
- Glückspilz, mit so einem Teufelskerl verschwägert.
- Anna Andréjewna. O, freilich, das wußte ich längst. Nur dich nimmt das
- Wunder, weil du ein gewöhnlicher Mensch bist und noch nie gebildete
- Leute gesehen hast.
- Polizeimeister. Ich bin auch ein gebildeter Mensch, aber um darauf
- zurückzukommen, wahrhaftig, wenn man bedenkt, Frau, was wir beide jetzt
- für stolze Vögel geworden sind! Nein, Frau, und diese erhabene Höhe,
- hol's der Teufel! Halt, jetzt will ich doch mal dieser Bande ihre
- Bittschriften und Denunziationen eintränken. He, niemand da?
- Polizeidiener (kommt herein).
- Polizeimeister. Ah, du, Iwán Karpówitsch, schaff mir mal die Kaufleute
- her, ich will die Kanaillen! Sich über mich beschweren! Seht doch, ihr
- verdammten Schacherseelen! Wartet nur, Bürschchen, habe ich euch bisher
- nur geschoren, so sollt ihr mir jetzt geschunden werden! Notier mir
- jeden, der sich über mich beschwert hat und vornehmlich dieses
- Schmiererpack, das ihnen die Bittschriften aufgesetzt hat, und bringe
- ihnen allen bei, daß sie wissen sollen, was Gott für einen Segen auf den
- Polizeimeister herabgeschickt hat, daß er seine Tochter verheiratet,
- aber nicht an den ersten besten gewöhnlichen Kerl, nein, sondern an
- einen, wie es in der Welt noch keinen zweiten gegeben hat, der alles
- vermag, alles, alles! Schärf's ihnen allen ein, daß sie's auch gut
- wissen, laß es in der ganzen Stadt ausrufen, von sämtlichen Glocken
- ausläuten. Den Teufel auch, wenn schon triumphieren, dann auch
- ordentlich triumphieren!
- Polizeidiener (ab).
- Polizeimeister. Na, nun, Frau, was? Wo werden wir jetzt leben? Hier oder
- in Petersburg?
- Anna Andréjewna. Natürlich in Petersburg, wer soll's denn auch hier
- aushalten.
- Polizeimeister. Nun, Petersburg ist Petersburg, aber auch hier war's gar
- nicht so übel, und das Polizeimeisterspielen, scheint mir, geht dann
- auch zum Teufel, was Frau?
- Anna Andréjewna. Selbstverständlich, was ist denn an dem Polizeimeister
- gelegen?
- Polizeimeister. Jetzt wird man denn auch, was meinst du Frau, hübsch im
- Rang in die Höhe klettern können, da er ja mit allen Ministern auf du
- und du steht und zu Hofe fährt. Er könnte einen dann so nett bugsieren,
- daß man mit der Zeit auch in den Generalsrock hineinschlüpft. Was meinst
- du, Frau, ob man das wohl erwischt?
- Anna Andréjewna. Und ob! Kleinigkeit!
- Polizeimeister. Teufel auch, schön wär's doch General zu sein, die ganze
- Brust voller Orden und Ordensbänder. Welches ist dir denn lieber, Frau,
- das rote oder das blaue?
- Anna Andréjewna. Selbstredend das blaue.
- Polizeimeister. Ei sieh doch, wie hoch sie hinauswill! Auch das rote ist
- ganz nett. Sieh, warum wünscht man sich General zu sein? Deshalb, weil,
- wenn man irgendwo hinreist, immer die Feldjäger und Adjutanten vor einem
- herfliegen: »Pferde«! Und alle andern müssen auf der Station warten,
- weil sie keine kriegen, alle diese Titulierten und Hauptleute und
- Polizeimeister, und nur man selbst ist über alles erhaben. Man speist
- jedesmal beim Gouverneur, und in der Ecke, sieh doch mal, steht dann so
- ein Polizeimeister. Hahaha! Kanaillenmäßiger Spaß das! (Lacht, daß ihm
- die Tränen über die Backen laufen.)
- Anna Andréjewna. Dir gefällt auch immer nur das Brutale! Du solltest
- daran denken, daß sich das Leben bald ganz anders wird gestalten müssen,
- daß deine Bekannten nicht von dem Schlage sein werden, wie so irgendein
- »Hetzpeitschen-Kreisrichter«, mit dem du auf die Hasenjagd fährst, oder
- so ein Semljaníka; im Gegenteil, das werden Leute von feinster Lebensart
- sein, Grafen und Männer der großen Welt ... Aber ich habe wirklich
- deinetwegen Angst, dir entschlüpfen nicht selten Ausdrücke und Worte,
- die man in der guten Gesellschaft nie zu hören bekommt.
- Polizeimeister. Ach was, Worte tun einem keinen Schaden.
- Anna Andréjewna. Allerdings, so lange du Polizeimeister warst, aber dort
- ist das Leben ein ganz anderes.
- Polizeimeister. Ach freilich, dort soll es ja auch zwei Fische geben,
- Plötz und Stint, so köstlich, daß einem schon vor dem Essen das Wasser
- im Munde zusammenläuft.
- Anna Andréjewna. Ach du und deine Fische! Ich aber wünsche, daß unser
- Haus das erste in der Residenz sei und daß in meinem Salon ein solcher
- Ambraduft schwebt, daß man beim Eintreten vor Entzücken die Augen
- schließt: (Schließt die Augen und tut, als wenn sie Duft einatmet.) Ah,
- wie wunderbar!
- 2. Szene
- Die Vorigen und die Kaufleute.
- Polizeimeister. Ah, willkommen, Ihr Diebsgesindel!
- Kaufleute (sich verneigend). Gesundheit und langes Leben, Herr!
- Polizeimeister. Na, Ihr Früchtchen, wie steht's? Wie gehen die
- Geschäfte? Was, ihr Hausierer und Ellenreiter, ihr euch beschweren?
- Erzgauner, Bestien, Piratenbande, euch beschweren! So, habt ihr denn
- viel blechen müssen? »Nu« denkt sich das, »dafür sperrt er ihn wohl auch
- ins Loch!« Halunken, denen sieben Teufel und eine Hexe an die Gurgel
- fahren sollten! Wißt ihr auch, daß ...
- Anna Andréjewna. O Gott, Antón, was du für schauderhafte Ausdrücke hast!
- Polizeimeister (ärgerlich). Ach, was heißt hier Ausdrücke! Wißt ihr, daß
- derselbe Herr Beamte, bei dem ihr euch beschwert habt, jetzt meine
- Tochter heiraten wird? He? So, und was sagt ihr nun? Jetzt sollt ihr
- aber was erleben! Ihr beschwindelt die Leute, ihr übernehmt Lieferungen
- an den Staat und begaunert ihn um Hunderttausende, liefert verfaultes
- Tuch, opfert davon zwanzig Ellen und wollt auch noch dafür bedankt sein!
- Und wenn sie wüßten, wie man ihnen ...! Und dabei bläht sich das auch
- noch auf »ich bin Kaufmann, rühr mich nicht an!« Dünkt sich so viel wie
- ein Edelmann, schöne Edelleute! Knoten seid ihr! Ein Edelmann hat
- Schulbildung, kriegt er auch mal Prügel in der Schule, dann nur darum,
- damit er was tüchtiges lerne, aber ihr, mit Schelmenstreichen fängt das
- an und kriegt vom Nachbar Hiebe, nur weil es sich ertappen läßt. Ehe das
- noch sein Vaterunser kann, betrügt das schon, und wenn ihnen der Bauch
- schwillt und sie sich die Taschen vollgeschlagen haben, dann tut das
- wichtig. Huh, was für ein Wundertier! Wenn das jeden Tag seine sechszehn
- Samoware angeblasen hat, dann dünkt sich das, wer weiß wie! Auf den Kopf
- spucken soll man euch und auf eure ganze Dicktuerei!
- Kaufleute (sich verbeugend). Vergebung, Antón Antónowitsch, Vergebung!
- Polizeimeister. Sich beschweren! Wer hat euch betrügen helfen, als ihr
- die Brücke bautet, und hat zwanzigtausend Rubel für Stämme angerechnet,
- obwohl deren kaum für hundert da waren? Ich hab euch geholfen, ihr
- Bocksbärte! Das habt ihr wohl vergessen, und ich hätte es auf euch
- schieben können und euch nach Sibirien bringen können. Was sagt ihr
- dazu, he?
- Einer der Kaufleute. Vergebung, Antón Antónowitsch! Der Böse hat uns
- verführt. Eid darauf, wir beschweren uns nie wieder. Verlange, was du
- willst, als Sühne, aber zürne nur nicht!
- Polizeimeister. Zürne nicht! So, jetzt winselt ihr auf den Knien vor mir
- und warum? Darum, weil ich jetzt der stärkere bin. Aber wenn ich nur
- einen Augenblick an eurer Stelle wäre, wie würdet ihr mich, Kanaillen,
- in den tiefsten Dreck stoßen und noch einen Klotz nachwerfen!
- Kaufleute (verneigen sich bis zur Erde). Gnade, Antón Antónowitsch,
- Gnade!
- Polizeimeister. Gnade, jetzt heißt's Gnade, und vorher? Ich sollte euch
- ... (wehrt mit der Hand ab.) Nun, Gott möge euch verzeihen, jetzt genug
- davon. Ich bin nicht nachtragend; aber nun gebt acht, sperrt eure Ohren
- auf: ich verheirate meine Tochter an keinen beliebigen hergelaufenen
- Edelmann; daß mir die Aussteuer sich sehen lassen kann ... verstanden!
- Bildet euch nicht ein, mit so einem Stockfisch oder einem Hut Zucker
- euch drumrum drücken zu können ..! Und nun hinaus!
- Kaufleute (entfernen sich).
- 3. Szene
- Die Vorigen. Kreisrichter. Hospitalverwalter. Nachher
- Rastakówski.
- Kreisrichter (noch an der Tür). Darf man seinen Ohren trauen, Antón
- Antónowitsch? Ein außergewöhnliches Glück ist Ihnen zuteil geworden!
- Hospitalverwalter. Habe die Ehre, Ihnen zu diesem außergewöhnlichen
- Glück zu gratulieren! Ich habe mich aufrichtig gefreut, als ich's
- vernahm! (Nähert sich Márja Antónowna zum Handkusse.) Márja Antónowna!
- Rastakówski (hereintretend). Gratuliere, Antón Antónowitsch! Gott
- schenke Ihnen und dem jungen Paare ein langes Leben und reiche
- Nachkommenschaft an Enkeln und Enkelkindern! Anna Andréjewna! (Küßt Anna
- Andréjewna die Hand.) Márja Antónowna! (Küßt Márja die Hand.)
- 4. Szene
- Die Vorigen. Koróbkin und Frau. Ljuljukóff.
- Koróbkin. Habe die Ehre, Ihnen zu gratulieren, Antón Antónowitsch! Anna
- Andréjewna! (Küßt ihr die Hand.) Márja Antónowna (Küßt Márja die Hand.)
- Frau Koróbkin. Gratuliere von Herzen, Anna Andréjewna, zu diesem neuen
- Glück! (Küssen sich.)
- Ljuljukóff. Habe die Ehre zu gratulieren, Anna Andréjewna! (Küßt ihr die
- Hand und wendet sich dann zu den Zuschauern und schnalzt verwegen mit
- der Zunge.) Márja Antónowna, habe die Ehre zu gratulieren! (Küßt ihr die
- Hand mit der gleichen Pantomime zu den Zuschauern.)
- 5. Szene
- Eine Menge Gäste im Frack und Überrock treten herein, küssen erst
- Anna Andréjewna mit dem Ausruf »Anna Andréjewna« die Hand, um das
- gleiche bei Márja Antónowna auszuführen. Bóbtschinski und
- Dóbtschinski drängen sich nach vorn.
- Bóbtschinski. Habe die Ehre zu gratulieren!
- Dóbtschinski. Antón Antónowitsch, habe die Ehre zu gratulieren!
- Bóbtschinski. Zum glückvollen Ereignis!
- Dóbtschinski. Anna Andréjewna!
- Bóbtschinski. Anna Andréjewna! (Beide nähern sich ihr gleichzeitig und
- stoßen mit den Köpfen zusammen.)
- Dóbtschinski. Márja Antónowna! (küßt ihr die Hand.) Habe die Ehre zu
- gratulieren! Ein großes, großes Glück ist Ihnen bereitet, goldene
- Kleider werden Sie tragen, schöne delikate Suppen werden Sie essen und
- werden Ihre Zeit auf die anmutigste Weise verbringen ...
- Bóbtschinski (ihn unterbrechend). Márja Antónowna, habe die Ehre zu
- gratulieren, schenke Ihnen Gott allen Reichtum, viele Dukaten und so
- einen kleinen netten Jungen, so ... so ... (zeigt mit der Hand wie
- groß.) daß man ihn sich auf die flache Hand setzen kann, jawohl, und
- schreien wird er immer: Uah! uah! uah!
- 6. Szene
- Es kommen noch einige Gäste zum Handkusse, darunter der
- Schulinspektor mit Frau.
- Schulinspektor. Ich habe die Ehre ...
- Frau Schulinspektor (eilt nach vorne). Gratuliere Ihnen, Anna
- Andréjewna! (sie küssen sich.) Ach, wie habe ich mich gefreut, eben
- erzählt man mir, »Anna Andréjewna verheiratet ihre Tochter«. Ach, mein
- Gott, denke ich bei mir, und war so erfreut, daß ich zu meinem Mann
- sage, »hör doch, Lúkachen, was für ein Glück Anna Andréjewna
- wiederfahren ist.« Nun, Gott sei Dank, denke ich bei mir, und sage zu
- ihm, »ich bin so entzückt, daß ich vor Ungeduld brenne, es Anna
- Andréjewna persönlich auszudrücken.« Ach, mein Gott, denke ich bei mir,
- Anna Andréjewna hat ja lange schon auf eine schöne Partie für ihre
- Tochter gewartet, und nun erfüllt sich ihr Wunsch und nun ist's so
- gekommen, wie sie es gehofft hat. Und war so entzückt darüber, daß ich
- ganz die Sprache verlor! Und nun kommen mir die Tränen, und ich weine
- und schluchze. Und Lúka Lúkitsch sagt zu mir: »Schluchze doch nicht so,
- Nástja.« »Lúkachen,« sage ich zu ihm, »ich weiß selbst nicht warum, aber
- die Tränen fließen mir so wie ein Bach aus den Augen.«
- Polizeimeister. Bitte höflichst Platz zu nehmen, meine Herrschaften. He,
- Míschka, bring mehr Stühle herein! (Die Gäste beginnen sich
- niederzulassen.)
- 7. Szene
- Die Vorigen. Polizeiinspektor und Polizeidiener.
- Polizeiinspektor. Habe die Ehre zu gratulieren, Euer Hochwohlgeboren!
- Und Ihnen Glück und Heil auf viele Jahre zu wünschen!
- Polizeimeister. Danke, danke! Bitte nehmen Sie Platz, meine
- Herrschaften. (Die Gäste nehmen alle Platz.)
- Kreisrichter. Erzählen Sie uns doch, Antón Antónowitsch, wie sich das
- alles zugetragen hat, und wie eins nach dem andern gekommen ist.
- Polizeimeister. Der Verlauf war höchst merkwürdig: er geruhte plötzlich
- einen Antrag zu machen.
- Anna Andréjewna. In höchst ehrenvoller und zartester Form. Ganz über die
- Maßen taktvoll sagte er: »Anna Andréjewna, einzig und allein aus
- Hochachtung vor Ihrem Wert.« Und ein so hübscher gebildeter junger Mann
- von vornehmsten Manieren! »Glauben Sie mir, Anna Andréjewna, das Leben
- ist mir keine Kopeke wert, nur die Ehrfurcht vor Ihren seltenen Vorzügen
- bewog mich dazu.«
- Márja Antónowna. Aber Mama, das hat er doch zu mir gesagt!
- Anna Andréjewna. Schweig still, gar nichts weißt du, und menge dich
- nicht in anderer Leute Angelegenheiten! »Anna Andréjewna, ich vergehe
- vor Bewunderung,« bewegte sich in so schmeichelhaften Ausdrücken ... und
- als ich sagen wollte, »wir erkühnen uns nicht, auf eine solche Ehre zu
- hoffen,« da fiel er plötzlich auf die Knie und rief in derselben
- vornehmen Art: »Anna Andréjewna, machen Sie mich nicht unglücklich,
- erwidern Sie meine Gefühle und wenn nicht, so macht der Tod meinem Leben
- ein Ende.«
- Márja. Aber Mama, damit meinte er doch mich!
- Anna Andréjewna. Nun ja doch ... er meinte dich auch, das leugne ich ja
- gar nicht!
- Polizeimeister. Und wie er uns in Angst versetzt hat, sagte, er wolle
- sich erschießen: »Ich schieße mich tot, ich schieße mich tot!«
- Viele Stimmen. Nein, sagen Sie bloß!
- Kreisrichter. Aber so etwas!
- Schulinspektor. Das gnädige Schicksal hat es so gefügt.
- Hospitalverwalter. Nicht das Schicksal, Verehrtester, das Schicksal ist
- eine blinde Henne, das Verdienst hat hier seinen Lohn empfangen.
- (Beiseite.) Diesem Schwein fliegen auch immer die gebratenen Tauben ins
- Maul!
- Kreisrichter. Hören Sie, Antón Antónowitsch, ich möchte Ihnen doch gern
- die Hündin verkaufen, um die wir handelten.
- Polizeimeister. Nein, nein, an Hündinnen liegt mir jetzt nichts mehr.
- Kreisrichter. Nun, wenn Sie nicht wollen, dann einen andern Hund.
- Frau Koróbkin. Ach, Anna Andréjewna, wie ich mich über Ihr Glück freue,
- Sie können sich das gar nicht vorstellen!
- Koróbkin. Gestatten Sie mir die Frage: wo befindet sich denn zur Zeit
- der erlauchte Gast? Ich hörte, er sei verreist.
- Polizeimeister. Ja, er fuhr für einen Tag fort, in einer besonders
- wichtigen Angelegenheit.
- Anna Andréjewna. Zu seinem Onkel, um ihn um seinen Segen zu bitten.
- Polizeimeister. Um seinen Segen zu erbitten. Doch morgen schon ...
- (Niest; vielstimmiges gleichzeitiges »Zum Wohlsein«.) Danke vielmals!
- Doch morgen schon (niest; brausendes »Zum Wohlsein«; dazwischen
- gleichzeitig mehrere andere Stimmen.)
- Polizeiinspektor. Gesundheit, Euer Hochwohlgeboren!
- Bóbtschinski. Hundert Jahre und einen Sack Dukaten!
- Dóbtschinski. Gott schenke Ihnen langes Leben!
- Hospitalverwalter. Verrecken sollst du!
- Frau Koróbkin. Hol dich der Satan! (Alle fünf gleichzeitig.)
- Polizeimeister. Danke verbindlichst! Ich wünsche Ihnen allen das
- gleiche.
- Anna Andréjewna. Wir beabsichtigen, nach Petersburg überzusiedeln. Offen
- gesagt, die hiesige Atmosphäre ... doch gar zu kleinstädtisch ...
- wirklich sehr unangenehm ... sehen Sie, und mein Mann ... er soll dort
- General werden ...
- Polizeimeister. Und ich muß gestehen, meine Herrschaften, ich habe große
- Lust, hol's der Teufel, General zu werden.
- Schulinspektor. Gott erfülle Ihren Wunsch!
- Rastakówski. Bei Gott ist kein Ding unmöglich!
- Kreisrichter. Ein großes Schiff braucht ein breites Fahrwasser!
- Hospitalverwalter. Dem Verdienste seine Krone!
- Kreisrichter (beiseite). Was der angeben wird, wenn er wirklich General
- werden sollte! Dem paßt der Generalsrock wie der Kuh der Sattel. Nein,
- bis dahin hat's noch gute Wege. Hast hier gut gelernt, Schäfchen zu
- scheren, aber zum General langt's doch noch nicht.
- Hospitalverwalter (beiseite). Eh, zum Henker, das möchte schon General
- werden! Ein findiger Kerl, darf sich's auch erlauben. Ist ja auch schlau
- genug, daß ihn kein Teufel fassen kann. (Wendet sich zum
- Polizeimeister.) Vergessen Sie uns dann nicht, Antón Antónowitsch!
- Kreisrichter. Und wenn mal irgend was passiert, zum Beispiel eine kleine
- Unregelmäßigkeit im Amt, bleiben Sie dann unser Beschützer!
- Koróbkin. Im nächsten Jahre will ich meinen Sohn nach der Residenz
- bringen, damit er die Staatskarriere einschlägt, dann bitte schenken Sie
- ihm Ihre Protektion! Vertreten Sie Vaterstelle bei der armen Waise!
- Polizeimeister. Ich bin gern bereit, mich für ihn zu verwenden.
- Anna Andréjewna. Antón, du versprichst auch immer gleich alles. Erstens
- wirst du gar keine Zeit haben, daran zu denken, und dann, wer wird sich
- gleich mit solchen Versprechungen belasten!
- Polizeimeister. Weshalb denn, meine Liebe, zuweilen geht das doch!
- Anna Andréjewna. Gewiß geht's, aber deswegen braucht man doch nicht
- gleich jedem Gründling seine Protektion zuzuwenden!
- Frau Koróbkin. Haben Sie gehört, wie sie uns traktiert?
- Eine Dame. Ja, so war sie immer, ich kenne sie genau. Setze sie an den
- Tisch, und sie legt die Beine ...
- 8. Szene
- Die Vorigen. Der Postmeister (in Hast mit einem aufgebrochenen
- Brief in der Hand.)
- Postmeister. Unglaubliche Sache, Herrschaften! Der Beamte, den wir für
- einen Revisor hielten, war gar kein Revisor!
- Alle. Wie, kein Revisor?
- Postmeister. Absolut kein Revisor! Ich erfuhr's durch einen Brief.
- Polizeimeister. Was soll das heißen? Durch was für einen Brief?
- Postmeister. Durch einen eigenhändigen Brief von ihm. Man bringt mir
- einen Brief auf die Post, ich schaue die Adresse an, lese »Poststraße«,
- und war starr vor Schreck. Na, denke ich, bei mir hat er richtig
- Unregelmäßigkeiten in der Postverwaltung entdeckt und berichtet darüber
- der Behörde. Nehm ihn und brech ihn auf.
- Polizeimeister. Wie kommen Sie dazu?!
- Postmeister. Ich weiß selbst nicht wie, eine übernatürliche Gewalt zwang
- mich dazu. Ich hatte schon den Kurier kommen lassen, der ihn per
- Estafette befördern sollte -- aber da überkam mich eine so heftige
- Neugierde, wie ich sie noch nie empfunden habe. Ich darf nicht, ich darf
- nicht, ich weiß, ich darf nicht -- aber es zieht, zieht immer stärker.
- In einem Ohre flüstert es: »mach ihn nicht auf, du fällst rein«, aber
- ins andere Ohr raunt mir ein Satan: »brich auf, brich auf, brich auf«,
- und wie ich das Siegel berühre -- Feuer, und wie ich's erbrochen hatte
- -- Eis -- kaltes Eis. Mir zitterten die Hände und alles drehte sich
- rundherum.
- Polizeimeister. Wie konnten Sie sich erdreisten, den Brief einer so
- hochbevollmächtigten Persönlichkeit zu erbrechen?!
- Postmeister. Das ist ja gerade der Spaß, daß er weder
- hochbevollmächtigt, noch auch eine Persönlichkeit ist!
- Polizeimeister. Was sollte er denn nach Ihrer Meinung sein?
- Postmeister. Nicht dies, nicht das, weiß der Teufel, was.
- Polizeimeister (zornig). Wie, nicht dies, nicht das? Wie können Sie sich
- unterstehen, von ihm zu sagen »nicht dies, nicht das, und weiß der
- Teufel, was?« Ich lasse Sie verhaften!
- Postmeister. Wer, Sie?
- Polizeimeister. Ja, ich!
- Postmeister. Hände weg!
- Polizeimeister. Wissen Sie denn überhaupt, daß er meine Tochter heiraten
- wird, daß ich selbst zu den Großen zählen werde, und daß ich Sie ins
- hinterste Sibirien verschicken kann?!
- Postmeister. I, Antón Antónowitsch, Sibirien! Sibirien ist weit! Ich
- werde Ihnen lieber gleich den Brief vorlesen. Herrschaften, soll ich
- vorlesen?
- Alle. Lesen Sie, lesen Sie!
- Postmeister (liest). »Lieber Trapítschkin! In Eile will ich dir davon
- Mitteilung machen, was für Wunderdinge mir hier passiert sind. Auf der
- Reise hatte mich ein Hauptmann so vollständig ausgebeutelt, daß der
- Gastwirt schon nahe daran war, mich ins Loch stecken zu lassen, als
- plötzlich, dank meiner Petersburger Physiognomie und meinem Petersburger
- Kostüm, mich das ganze Städtchen für einen Generalgouverneur zu halten
- begann. Kurz, jetzt wohne ich beim Polizeimeister, schlemme und schneide
- abwechselnd bald seiner Frau und bald seiner Tochter auf Mord die Cour;
- ich schwanke bloß, an welche von beiden ich mich zuerst heranmachen soll
- -- wahrscheinlich aber an die Mama, da sie aussieht, als ob sie zu jeder
- Gefälligkeit bereit sei. Weißt du noch, wie wir beide in der Klemme
- saßen und uns unser Mittagbrot zusammenmausten, und mich einmal ein
- Konditor am Kragen erwischte _à conto_ einiger Pasteten, die wir zu
- Lasten der Schatulle des Königs von Britannien verspeist hatten? Jetzt
- hat sich das Blättchen vollständig gewendet! Alle pumpen mir so viel,
- wie ich nur haben will. Unglaubliche Exemplare, du würdest bersten vor
- Lachen! Du schreibst ja so kleine Feuilletons; verewige sie denn durch
- deine Feder. Da ist zuerst gleich der Polizeimeister: borniert wie ein
- grauer Wallach ...«
- Polizeimeister. Das ist nicht möglich! Das kann nicht dastehn!
- Postmeister (zeigt ihm die Stelle). Bitte, lesen Sie doch selbst.
- Polizeimeister (liest). ... »wie ein grauer Wallach.« Unmöglich, das
- haben Sie selbst geschrieben!
- Postmeister. Wie käme ich denn dazu?
- Hospitalverwalter. Lesen!
- Schulinspektor. Lesen!
- Postmeister (liest weiter). »... der Polizeimeister: borniert wie ein
- grauer Wallach ...«
- Polizeimeister. Hol ihn der Satan! Muß das noch einmal wiederholen! Als
- ob's nicht so wie so schon dastünde!
- Postmeister (liest weiter). Hm .. hm .. hm ».. grauer Wallach ... Der
- Postmeister ist gleichfalls ein netter Kunde ...« (Hält im Lesen inne).
- Nun, hier drückt er sich auch über mich wenig respektvoll aus.
- Polizeimeister. Nein, lesen Sie weiter!
- Postmeister. Aber wozu denn? ...
- Polizeimeister. Nein, zum Henker, wenn schon lesen, dann auch alles
- lesen! Lesen Sie alles vor!
- Hospitalverwalter. Geben Sie, ich werde lesen. (Setzt die Brille auf
- und liest.) »Der Postmeister gleicht auf ein Haar unserm
- Departements-Hausknecht Michéjeff, auch ein Gauner und säuft Schnaps.«
- Postmeister (zu den Zuschauern). Ein niederträchtiger Lümmel, der nichts
- weiter als eine Tracht Prügel verdient!
- Hospitalverwalter (liest weiter). »Der Hospitalverw... w.. w..«
- (Stotternd).
- Koróbkin. Warum bleiben Sie denn stecken?
- Hospitalverwalter. Unleserliche Schrift .. man sieht auch zur Genüge,
- daß das ein Flegel ist.
- Koróbkin. Lassen Sie mich lesen! Ich glaube, ich habe bessere Augen!
- (will den Brief nehmen).
- Hospitalverwalter (hält den Brief fest). Nein, diese Stelle kann man ja
- überschlagen, weiterhin wird es leserlicher.
- Koróbkin. Geben Sie nur her, ich weiß schon Bescheid.
- Hospitalverwalter. Aber was denn -- lesen kann ich auch -- weiterhin ist
- alles ganz deutlich.
- Postmeister. Nein, alles vorlesen! Vorher ist auch alles vorgelesen
- worden!
- Alle. Abgeben, Artémij Filíppowitsch, Brief abgeben! (Zu Koróbkin.)
- Lesen Sie vor!
- Hospitalverwalter. Gleich, gleich. (Er gibt Koróbkin den Brief.)
- Erlauben Sie ... (deckt die Stelle mit dem Finger zu) ... da ... bitte
- von hier ab. (Alle umdrängen Koróbkin.)
- Postmeister. Vorlesen! vorlesen! zum Kuckuck! alles vorlesen!
- Koróbkin (liest). »Der Hospitalverwalter Semljaníka ist ein komplettes
- Schwein mit einer Nachtmütze.«
- Hospitalverwalter (zu den Zuschauern). Sehr geistreich! Schwein mit
- einer Nachtmütze! Welches Schwein trägt Nachtmützen?
- Koróbkin (liest weiter). »Der Schulinspektor ist durch und durch mit
- Knoblauch verpestet.«
- Schulinspektor (zu den Zuschauern). Bei Gott, ich habe nie Knoblauch in
- den Mund genommen!
- Kreisrichter (beiseite). Gott sei Dank, mich läßt er ungeschoren!
- Koróbkin (liest weiter). »Der Kreisrichter ...«
- Kreisrichter. Hopsa! (Laut.) Meine Herrschaften, ich denke, der Brief
- ist doch wohl zu lang ... Wozu in aller Welt solchen Quatsch vorlesen!
- Schulinspektor. Nein!
- Postmeister. Nein, vorlesen!
- Hospitalverwalter. Nein, lesen Sie nur vor!
- Koróbkin (fährt fort). »Der Kreisrichter Ljápkin-Tjápkin ist im höchsten
- Grade _mauvais ton_ ...« (Hält inne). Das scheint ein französischer
- Ausdruck zu sein.
- Kreisrichter. Mag der Teufel wissen, was das bedeutet! Wenn bloß
- Halunke, dann gut; aber es kann noch was viel Schlimmeres sein.
- Koróbkin (liest weiter). »Im übrigen ist das Völkchen gastfreundlich und
- äußerst harmlos. Lebe wohl, teuerster Trapítschkin. Ich gedenke mich
- nach deinem Vorbild jetzt ebenfalls der Literatur zu widmen, denn,
- lieber Freund, man bekommt diese Art Leben schließlich doch satt und
- sehnt sich nach geistiger Nahrung. Ich sehe es ein, man muß wirklich
- höheren Zielen zustreben. Schreibe mir doch nach Gouvernement Sarátoff,
- Gutsbezirk Podkalítowka. (Dreht den Brief um und liest die Adresse.)
- Seiner Hochwohlgeboren, dem wohledlen Herrn, Herrn Iwán Wassíljewitsch
- Trapítschkin, St. Petersburg. Poststraße 97, Hof geradezu, drei Treppen
- rechts.«
- Eine Dame. Welch unverhoffte Züchtigung!
- Polizeimeister. Sollte es treffen, dann hat's jetzt getroffen!
- Vernichtet, total vernichtet! Ich erkenne nichts mehr; ringsum nichts
- wie Schweineschnauzen, und keine Menschengesichter! .... Haltet ihn
- fest, haltet ihn fest! (Fährt mit den Armen durch die Luft.)
- Postmeister. Was festhalten! Ich ließ ihm wie abgekartet das
- beste Gespann geben, und der Satan riet mir auch noch Relais
- vorauszubestellen!
- Frau Koróbkin. Das nenn' ich doch beispiellose Konfusion!
- Kreisrichter. Zu allem Überfluß -- hol's der Teufel, meine Herren, hat
- er mir sogar dreihundert Rubel abgepumpt!
- Hospitalverwalter. Mir auch dreihundert!
- Postmeister (seufzt.) Ach, und mir auch dreihundert!
- Bóbtschinski. Und von mir und Dóbtschinski nahm er fünfundsechzig Rubel
- in Papier, jawohl!
- Kreisrichter (breitet in höchstem Erstaunen die Arme aus). Aber ich
- bitte Sie um alles, meine Herren, wie konnten wir bloß auf solch einen
- Schwindel hereinfallen?!
- Polizeimeister (schlägt sich vor die Stirne). Und ich -- und ich grauer
- Esel? Verdient hab' ich's, ich hirnverbrannter Schöps! Dreißig Jahre
- stehe ich im Dienst, habe mich von keinem Krämerhund oder Bauunternehmer
- jemals übers Ohr hauen lassen, habe einen Gauner mit dem andern
- betrogen, habe jeden Schelm und jeden Spitzbuben, der alle Welt bestahl,
- doch noch an meiner Angel gefangen, habe drei Gouverneure übertölpelt!
- ... Ach was, Gouverneure, (mit einer Handbewegung) wo bleiben da
- Gouverneure ...
- Anna Andréjewna. Aber das kann nicht sein, Antón, er hat sich doch mit
- Máscha verlobt!
- Polizeimeister (zornig). Verlobt! Der Fuchs mit der Gans! Nette
- Verlobung! ... Kommt mir noch mit Verlobung! (In fassungslosem
- Erstaunen.) Seht her, seht her, Welt und alle Christenheit, seht her,
- was für ein Ochs der Polizeimeister geworden ist! Pfeift ihn aus, den
- alten Halunken! (Droht sich selber mit der Faust.) O ich Rindvieh, halte
- einen Windhund und Waschlappen für einen gewaltigen Herrn! Da fährt er
- nun hin und bimmelt das auf allen Straßen aus! Trägt die infame Historie
- bei aller Welt herum! Ins Gespött kommen ist da noch gar nichts, aber da
- finden sich Federfuchser und Zeilenschmierer, die bringen mich auf die
- Bretter! Da wird Rang und Name nicht geschont und alle werden sie
- grinsen und applaudieren! Was lacht ihr? Ihr lacht über euch selber! ...
- Ihr! ... (Stampft vor Wut auf den Boden.) Ich möchte ihnen mal kommen,
- diesen Zeilenschmierern! Pfui über euch Federfuchser, verdammte
- Liberalen! Teufelsbrut! In ein Bündel sollte man euch allesamt
- zusammenschnüren, zu Staub zermalmen und dann dem Teufel zum Fraß!
- (Ballt die Faust und stampft auf dem Boden. -- Nach einer kurzen Pause.)
- Bis diesen Augenblick kann ich noch nicht zu mir kommen! Wahrlich, wen
- Gott strafen will, den schlägt er zuvor mit Blindheit. Was hatte denn
- dieser Windbeutel mit einem Revisor gemein? Nichts! Nicht so viel wie
- der kleine Finger -- und mit einmal schreit alles: »der Revisor, der
- Revisor!« Antwortet mir!
- Hospitalverwalter. Schlagt mich tot, wenn ich sagen kann, wie das kam.
- Ein Nebel hat uns irre geführt, der Satan hat uns geblendet.
- Kreisrichter. Aber wer hat's denn ausgeheckt -- wer denn? Diese
- Bürschchen da! (Deutet auf Bóbtschinski und Dóbtschinski.)
- Bóbtschinski. Ich nicht, ich nicht, nicht mal gedacht hab' ich ...
- Dóbtschinski. Ich weiß von nichts, von gar nichts ...
- Hospitalverwalter. Freilich ihr!
- Schulinspektor. Selbstredend! Kamen wie die Besessenen aus dem Wirtshaus
- gerannt: »Er ist da! er ist da! und Geld zahlt er auch keins!« ... Einen
- sauberen Vogel habt ihr gegriffen!
- Polizeimeister. Natürlich ihr! Klatschbasen, Lügner verdammte!
- Hospitalverwalter. Hol euch der Teufel mit eurem Revisor und euren
- Aufschneidereien!
- Polizeimeister. Nichts tun Sie, wie in der Stadt 'rumrennen und alles in
- Aufruhr versetzen! Plappermäuler verfluchte! und Klatsch verbreiten,
- gekappte Elstern ihr!
- Kreisrichter. Verdammte Sudelköche!
- Schulinspektor. Hansnarren!
- Hospitalverwalter. Kurzbäuchige Mistpilze!
- (Alle umringen die beiden.)
- Bóbtschinski. Bei Gott, ich war's nicht, Dóbtschinski war's!
- Dóbtschinski. Nein, Bóbtschinski, ich nicht, Sie waren zuerst derjenige
- ...
- Bóbtschinski. Oho nein, zuerst waren Sie's!
- Letzte Szene
- Die Vorigen. Ein Gendarm.
- Gendarm. Soeben mit Spezialmission von Petersburg eintreffend, fordert
- der Herr Revisor Sie unverzüglich zu sich. Er ist im Gasthof
- abgestiegen!
- (Diese Worte treffen alle wie ein Donnerschlag. Ein einziger
- Schrei der Überraschung entringt sich dem Munde sämtlicher Damen.
- Die ganze Gruppe wechselt plötzlich die Stellung und bleibt in
- dieser wie versteinert stehen.)
- [Illustration: Márja Antónowna und Anna Andréjewna. Eigene Handzeichnung
- Gogols zur letzten Szene des »Revisor«.]
- [Illustration: Eigene Handzeichnung Gogols zur letzten Szene (pag. 132)
- des »Revisor«.]
- [Illustration: Eigene Handzeichnung Gogols zur letzten Szene des
- »Revisor«.]
- Stumme Szene
- Als Schlußbild des letzten Aufzuges.
- (In der Mitte der Polizeimeister wie eine Bildsäule, mit
- ausgestreckten Armen und hintenüber geworfenem Kopf. Zu seiner
- Rechten seine Frau und seine Tochter in einer mit ängstlicher
- Spannung auf ihn gerichteten Körperhaltung; neben ihnen der
- Postmeister, in ein Fragezeichen verwandelt, den Zuschauern
- zugekehrt; neben diesem der Schulinspektor, in blödeste
- Bestürzung versetzt; neben ihm, unmittelbar am Seitenrande der
- Bühne, drei weibliche Gäste, eng gruppiert, deren höhnischer
- Gesichtsausdruck dem Polizeimeister und seinen Angehörigen gilt.
- Zur Linken des Polizeimeisters der Hospitalverwalter, den Kopf
- ein wenig zur Seite geneigt, als wenn er auf etwas lausche; neben
- ihm der Kreisrichter, mit gespreizten Händen fast am Boden
- kauernd und die Lippen bewegend, als wenn er pfeifen oder
- sagen wolle: »Holla, Alte, jetzt hat's eingeschlagen!« Neben
- ihm Koróbkin, den Zuschauern zugewandt, ein Auge blinzelnd
- zugekniffen und schadenfroh auf den Polizeimeister weisend; neben
- ihm, unmittelbar am Seitenrande der Bühne, Dóbtschinski und
- Bóbtschinski, einander die Hände entgegenstreckend und sich mit
- aufgesperrtem Munde und weit aufgerissenen Augen anstarrend. Alle
- übrigen Gäste stehen wie Bildsäulen da. Fast anderthalb Minuten
- verharrt die ganze versteinerte Gruppe in dieser Stellung, bis
- der Vorhang fällt.)
- (Ende des letzten Aufzuges.)
- Anhang zur Komödie
- »Der Revisor«
- I.
- Abriß aus einem Brief
- (1841)
- den der Autor bald nach der ersten Aufführung an einen
- Schriftsteller richtete
- ».... Der Revisor ist aufgeführt worden -- und mir ist so seltsam, so
- traurig zumute ... Ich ahnte, ich wußte im voraus, wie es kommen würde,
- und doch hat sich ein Gefühl tiefer Niedergeschlagenheit und herber
- Enttäuschung meiner bemächtigt. Mein eigenes Werk kam mir unausstehlich,
- fremd und gar nicht wie mein eigenes vor. Die Hauptrolle mißriet
- vollständig; das hatte ich schon vorausgesetzt. Dürr begriff absolut
- nicht, was Chlestakoff bedeutet. Er machte aus ihm eine Art Alnaskaroff,
- von der Sorte landläufiger Vaudeville-Schelme, die sich im Gefolge der
- Pariser Theaterstücke bei uns breit zu machen beliebten. Er machte einen
- ganz gewöhnlichen Schwindler aus ihm, eine armselige Figur, wie sie seit
- zweihundert Jahren in ein und derselben Maske auftritt. Ist denn
- wirklich aus der Rolle selber nicht zu erkennen, was Chlestakoff
- bedeutet? Oder war ich selber bis heute von einem blinden Dünkel
- besessen, reichte mein Können nicht aus, um diesen Charakter zu
- meistern, so daß sich für den Schauspieler keine Spur, kein Fingerzeig
- bot? Und mir erschien er so klar. Chlestakoff ist ganz und gar kein
- Betrüger, kein Lügner von Profession; er vergißt selber, daß er lügt,
- und glaubt beinahe selber an das, was er faselt. Er läßt sich gehen, ist
- gut aufgelegt; sieht, daß alles nach Wunsch geht, daß er umdienert wird;
- und gerade deshalb redet er flotter, ungezwungener, frisch von der Leber
- weg, plaudert sorglos ins Blaue hinein, und zeigt sich namentlich beim
- Lügen in seiner wahren Gestalt. Unsere Schauspieler verstehen überhaupt
- nicht zu lügen. Sie bilden sich ein, lügen hieße weiter nichts, als
- dummes Geschwätz machen. Lügen heißt vielmehr: eine Lüge in einem so die
- Wahrheit vortäuschenden, so natürlichen und naiven Tone aussprechen, wie
- man eben nur die Wahrheit selber sagen kann; und gerade darauf beruht
- die ganze Komik der Lüge. Ich bin fast überzeugt, daß Chlestakoff einen
- besseren Erfolg gehabt haben würde, wenn ich diese Rolle einem der
- wenigst talentierten Schauspieler anvertraut und ihm bloß gesagt hätte:
- Chlestakoff ist ein gewandter Mensch, durchaus _comme il faut_, gescheit
- und, wenn man so will, wohlanständig, und es sei nur nötig, ihn genau so
- darzustellen. Denn Chlestakoff ist gar kein abgefeimter oder
- theatralisch-prahlerischer Lügner: er lügt mit Gefühl; aus seinen Augen
- spricht das Behagen, das er dabei empfindet. Es ist dies überhaupt der
- schönste und poetischste Augenblick seines Lebens, beinahe eine Art
- Begeisterung. Wenn wenigstens ein Hauch davon zu spüren gewesen wäre!
- Aber nicht eine Spur eines solchen Charakters, weder der Person, noch
- des äußeren Gebarens oder der Physiognomie war dem armen Chlestakoff
- gegeben worden. Freilich, die alten Beamten in ihren verschlissenen
- Alltagsuniformen nebst abgescheuerten Kragen waren ungleich leichter zu
- karikieren; das Erfassen solcher Züge dagegen, welche als ziemlich
- wohlanständig nicht durch scharfe Ecken über das gesellschaftlich
- allgemein Gültige hinausragen, ist Sache eines erprobten Meisters. Bei
- Chlestakoff darf nichts stark betont werden. Er gehört dem Kreise an,
- der sich augenscheinlich in keiner Weise von der Art sonstiger junger
- Leute unterscheidet. Er hat auch zuweilen eine gute Haltung, spricht hin
- und wieder vernünftig, und nur in Fällen, die entweder Geistesgegenwart
- oder Charakter erfordern, offenbart sich seine halb niederträchtige,
- halb unbedeutende Natur. Die Züge der Rolle so eines Polizeimeisters
- sind deutlicher und schärfer umrissen. Ihn bezeichnet allein schon sein
- stark persönliches, unveränderliches, rücksichtsloses Äußere und läßt
- durch sich zum Teil auf seinen Charakter schließen. Chlestakoffs Züge
- sind viel unschärfer, viel schwächer angedeutet, und darum schwerer zu
- erfassen. Was ist denn, wenn wir genauer prüfen wollen, dieser
- Chlestakoff so recht eigentlich? Ein junger Mensch, ein Beamter und
- Einfaltspinsel, wie man zu sagen pflegt, der aber viele Eigenschaften in
- sich vereinigt, die Leuten anhaften, welche die Welt keineswegs
- einfältig nennt. Derartige Eigenschaften an Leuten zur Schau zu stellen,
- welche daneben auch tüchtige Verdienste aufzuweisen haben, wäre ein
- Verbrechen von seiten des Schriftstellers, denn er würde sie dadurch dem
- allgemeinen Gelächter preisgeben. Mag doch also lieber jeder sich zu
- seinem Teil in dieser Rolle wiedererkennen und sich dabei ruhig
- umschauen dürfen, ohne befürchten zu müssen, daß jemand mit Fingern auf
- ihn weist und ihn bei Namen nennt. Mit einem Wort, diese Figur soll ein
- Typus vieles dessen sein, was in den verschiedensten russischen
- Charakteren zerstreut vorhanden ist, sich aber hier zufällig in einer
- Person vereinigte, wie das in der Natur ja sehr häufig vorkommt.
- Wenigstens eine Minute lang, wenn nicht gar mehrere, war oder ist jeder
- einmal ein Chlestakoff, wenn er sich das natürlich auch nicht wird
- eingestehen wollen; er macht sich sogar über die Tatsache gern selber
- lustig, allerdings nur bei anderen, nicht bei der eigenen Person. Auch
- der gewandte Gardeoffizier, auch der Staatsmann, selbst unser lieber
- Bruder, der sündige Literat, alle zeigen sich zuweilen als Chlestakoff.
- Es gibt überhaupt kaum einen Menschen, der es im Leben nicht wenigstens
- einmal gewesen wäre; die Sache ist nur die, daß er sich hinterher sehr
- geschickt so zu drehen weiß, als sei er's gar nicht gewesen.
- Sollte nun also in meinem Chlestakoff nichts davon zu erkennen sein?
- Sollte er wirklich eine nichtssagende Figur sein, während ich mich von
- einer momentanen hoffärtigen Stimmung hinreißen ließ zu glauben, daß ein
- Schauspieler von hervorragendem Talent sich einst noch bei mir bedanken
- würde für die Vereinigung so vieler verschiedenartiger Wesenszüge in
- einer einzigen Person, die ihn in den Stand setzt, sein Können nach
- allen Richtungen zugleich glänzen zu lassen? Und statt dessen wäre aus
- Chlestakoff eine kindische, inhaltlose Rolle geworden! Das ist
- niederdrückend und tief verstimmend.
- Schon von Beginn der Vorstellung an saß ich gelangweilt im Theater. Um
- Beifall und Aufnahme seitens des Publikums kümmerte ich mich nicht. Nur
- vor einem Kritiker unter all denen, die anwesend waren, hatte ich Bange,
- -- und dieser Kritiker war ich selbst. In meinem Innern vernahm ich
- Murren und Vorwürfe gegen mein eigenes Stück, die alle übrigen
- übertönten. Aber das Publikum war im allgemeinen zufrieden. Die eine
- Hälfte der Zuschauer nahm das Stück sogar mit Wohlwollen auf, die andere
- tadelte bei einzelnen Anlässen, die sich jedoch nicht auf das Kunstwerk
- selbst bezogen. Auf welche Weise man tadelte, darüber wollen wir uns bei
- unserem nächsten Wiedersehen unterhalten: es ist manches Lehrreiche und
- viel Spaßhaftes darunter. Ich habe sogar einiges davon aufgeschrieben,
- doch das nebenbei.
- Hauptsächlich scheint der Polizeimeister die günstige Aufnahme des
- Revisors beim Publikum verursacht zu haben. Auf ihn hatte ich auch schon
- vorher volles Vertrauen gesetzt, denn für ein Talent wie Ssossnizki
- konnte diese Rolle nichts Unklares an sich haben. Ich bin wenigstens
- froh, ihm die Möglichkeit geboten zu haben, ein Talent in seinem ganzen
- Umfange zeigen zu können, von dem man sich bereits kühl abzuwenden
- begann, und dabei ihn selbst auf eine Stufe mit vielen Schauspielern
- stellte, die durch freigebigen Applaus bei alltäglichen Vaudevilles und
- ähnlichen Unterhaltungsstücken belohnt werden. Auch auf den Diener hatte
- ich Hoffnungen gesetzt, weil ich bei dem betreffenden Schauspieler viel
- Beobachtungsgabe und Verständnis für den Text wahrgenommen hatte. Im
- Gegensatz dazu gerieten unsere beiden Freunde Bóbtschinski und
- Dóbtschinski über alles Erwarten schlecht. Obschon ich selber erwartet
- hatte, daß sie schlecht sein würden, weil ich die Rollen der beiden
- kleinen Beamten Schtschepkin und Rjásanski auf den Leib geschrieben
- hatte, hegte ich doch die Hoffnung, daß deren Äußeres und Position sie
- einigermaßen heben und weniger karikieren würden. Es kam aber gerade
- umgekehrt: eine vollkommene Karikatur wurde daraus. Schon vor Beginn der
- Vorstellung, als ich sie in ihren Kostümen erblickte, war ich entsetzt.
- Diese beiden sonst so adretten, etwas korpulenten Menschen mit ihrem
- sauber geglätteten Haar erschienen plötzlich in plumpen, ungeheuerlichen
- grauen Perücken, ganz verfilzt, schmierig, struppig, mit übergroßen
- hervorquellenden Chemisettes; und auf der Bühne schnitten sie derartige
- Grimassen, daß es einfach unerträglich war. Überhaupt war die
- Kostümierung der meisten handelnden Personen sehr schlecht und
- karikiert. Ich hatte das gewissermaßen vorausgeahnt, als ich darum bat,
- eine Kostümprobe stattfinden zu lassen. Man versicherte mir aber, das
- sei gar nicht nötig und auch nicht herkömmlich, und die Schauspieler
- würden schon wissen, was sie zu tun hätten. Wie ich merkte, daß meine
- Worte in den Wind gesprochen waren, ließ ich die Leute gewähren. Ich
- wiederhole noch einmal: scheußlich! Ich weiß selber nicht, weshalb mich
- der Ekel so überkommt.
- Während der Vorstellung bemerkte ich, daß der Anfang des vierten Aktes
- flau wirkte; es machte den Eindruck, als ob der bisher lebhafte Fluß der
- Handlung hier stocke oder sich träge dahinschleppe. Tatsächlich hatte
- mich ein einsichtiger und erfahrener Schauspieler schon bei Gelegenheit
- der Lesung des Stückes darauf aufmerksam gemacht, daß es nicht geschickt
- sei, Chlestakoff mit dem Geldborgen den Anfang machen zu lassen, und daß
- es besser sein würde, wenn die Beamten es ihm von sich aus anböten.
- Obwohl ich die recht feine Bemerkung anerkennen mußte, da sie in
- gewisser Hinsicht wohlberechtigt war, sah ich dennoch nicht ein, weshalb
- Chlestakoff als ein sich entwickelnder Chlestakoff nicht zuerst um Geld
- bitten sollte. Allein die Bemerkung war einmal gemacht, und ich sagte
- mir: du wirst diese Szene vermutlich schlecht ausgeführt haben. Und
- wirklich, jetzt während der Vorstellung erkannte ich deutlich, daß der
- Anfang des vierten Aktes matt ist und das Kennzeichen einer gewissen
- Schwäche an sich trägt. Zu Haus angekommen, machte ich mich sofort an
- die Umarbeitung. Jetzt scheint er etwas wirkungsvoller, wenigstens
- natürlicher geworden zu sein und geht besser aufs Ziel los. Aber ich
- habe die Kraft nicht mehr, mich um die Aufnahme dieses Zusatzes in das
- Stück abzuplacken. Ich bin es müde geworden; und da ich überdies weiß,
- wie man zu solchem Zweck herumkutschieren, bitten und Bücklinge machen
- muß, so mag der Himmel ihm gnädig sein; er könnte schließlich ja noch in
- einer zweiten Auflage oder Überarbeitung des »Revisor« seinen Platz
- finden.
- Noch ein Wort über die letzte Szene. Sie kam absolut nicht zur Geltung.
- Der Vorhang fällt in einem sozusagen verworrenen Augenblick, und das
- Stück scheint noch gar nicht zu Ende zu sein. Daran bin ich aber nicht
- schuld. Man wollte eben nicht auf mich hören. Auch jetzt behaupte ich
- noch, daß die letzte Szene so lange keinen Erfolg haben wird, bis man
- nicht begriffen hat, daß sie einfach ein stummes Tableau ist, daß dies
- Ganze eine versteinerte Gruppe darstellen soll, daß hier das Drama zu
- Ende ist und von wortloser Mimik abgelöst wird, daß der Vorhang erst
- nach zwei bis drei Minuten fallen darf, und daß all dies unter denselben
- Bedingungen erfolgen muß, welche die sogenannten »lebenden Bilder«
- erheischen. Man entgegnete mir aber, daß dies den Schauspielern Zwang
- auferlege, daß man dann die Gruppierung einem Ballettmeister übertragen
- müßte, was für die Schauspieler einigermaßen demütigend sein würde usw.
- usw. Und noch manches Weitere konnte ich von den Mienen ablesen, was
- noch viel ärgerlicher als das Geäußerte war. Aber all dieses »Weiteren«
- ungeachtet halte ich meine Meinung aufrecht und behaupte hundertmal:
- »Nein, das legt durchaus keinen Zwang auf, das ist nicht demütigend.«
- Mag immerhin ein Ballettmeister die Gruppe gestalten und anordnen, wenn
- er nur die Fähigkeit besitzt, sich in die augenblickliche Situation
- jeder einzelnen Person zu versetzen. Gezogene Grenzen behindern ein
- Talent nicht, so wenig wie granitene Ufer einen Strom; im Gegenteil,
- einmal in sie geleitet, wird er mit stärkeren und volleren Wogen
- dahinrauschen. Ein temperamentvoller Schauspieler kann auch in einer ihm
- angewiesenen Pose alles ausdrücken. Sein Gesicht bleibt hier von allen
- Fesseln befreit, einzig die Stellung ist bedingt; sein Gesicht darf
- zwanglos jede innere Bewegung widerspiegeln. Und in diesem Verstummtsein
- liegt für ihn eine Fülle mannigfaltigster Möglichkeiten. In diesem
- Erschrecken gleicht keine der handelnden Personen der anderen, so wenig
- wie deren Charaktere und der Grad ihrer Furcht und Angst sich gleichen,
- entsprechend der Verschiedenheit der von jedem einzelnen begangenen
- Sünden. Anders verdonnert steht der Polizeimeister da, anders seine Frau
- und seine Tochter. Auf seine besondere Weise erschrickt der
- Kreisrichter, auf besondere der Hospitalverwalter, der Postmeister usw.
- usw. Wieder anders fährt es Bóbtschinski und Dóbtschinski in die
- Glieder, die sich auch hier gleichbleiben und sich gegenseitig mit einer
- stummen Frage auf den Lippen anstarren. Einzig die Gäste dürfen auf
- gleichartige Weise betroffen erscheinen, sie stellen aber auch bloß den
- Hintergrund des Tableaus dar, der mit einem Pinselstrich entworfen und
- in ein und dasselbe Kolorit getaucht ist. Mit einem Wort: jeder einzelne
- spielt seine Rolle mimisch weiter und kann, wenn er sich auch vom
- Ballettmeister begutachten lassen mußte, deshalb doch ein großer
- Schauspieler bleiben. Aber meine Kräfte reichen nicht aus, um mich noch
- länger abzuplacken und herumzustreiten. Ich bin seelisch und körperlich
- ermattet. Es weiß und hört ja auch wahrhaftig niemand meinen Kummer.
- Mögen sie doch alle in Gottes Namen tun was sie wollen! Mein Stück ist
- mir zuwider geworden. Ich möchte jetzt weit weg von hier, und nur meine
- bevorstehende Reise, Dampferfahrt, Meer und andere ferne Himmelsstriche
- können mich allein noch wiederbeleben. Ich sehne mich unbeschreiblich
- danach. Kommen Sie um Himmelswillen bald; bevor ich von Ihnen nicht
- Abschied genommen, reise ich nicht ab. Noch vieles habe ich Ihnen zu
- sagen, wozu ich in einem langweiligen, kalten Briefe außerstande bin
- ....«
- St. Petersburg, 25. Mai 1836.
- II.
- Vorbemerkung
- für diejenigen, die den »Revisor« sachgemäß aufzuführen
- beabsichtigen.
- 1.
- (Die ersten Seiten von Gogols eigenhändiger Reinschrift.)
- Vor allem muß man sich davor hüten, in eine Karikatur zu verfallen. Auch
- in der kleinsten Rolle darf nichts übertrieben oder trivialisiert
- werden. Im Gegenteil, der Schauspieler muß sich besondere Mühe geben,
- noch einfacher, schlichter und gewissermaßen vornehmer zu wirken, als
- die darzustellende Person in Wirklichkeit ist. Je weniger er es darauf
- anlegen wird, zum Lachen zu reizen oder komisch zu sein, desto stärker
- wird die Komik seiner Rolle zum Vorschein kommen. Sie äußert sich gerade
- in dem Ernst, mit dem jede in der Komödie auftretende Person ihren
- Geschäften nachgeht. Alle diese Leute sind eifrig, lebhaft, beinahe
- hitzig dahinter her, als wenn es sich um die wichtigste Aufgabe ihres
- Lebens handele. Dem Zuschauer wird die Albernheit ihres Tuns bloß
- nebenbei sichtbar. Sie selber aber spaßen durchaus nicht und ahnen nicht
- einmal, daß sich jemand über sie lustig macht. Ein vernünftiger
- Schauspieler soll, ehe er sich die kleinen Eigenheiten und äußerlichen
- Absonderlichkeiten der ihm übertragenen Person aneignet, erst einmal den
- allgemein menschlichen Gehalt der Rolle zu erfassen suchen .... Er soll
- zu begreifen suchen, wozu diese bestimmt ist, worin die hauptsächlichste
- und wesentlichste Beschäftigung jeder Person besteht, von der ihr Dasein
- erfüllt und die das beständige Ziel ihrer Gedanken ist, -- der ewig im
- Kopf steckende Nagel. Hat er diesen wesentlichsten Daseinszweck der
- darzustellenden Person erfaßt, dann muß sich der Schauspieler so in sie
- einleben, daß deren Gedanken und Bestrebungen ihm ganz zu eigen werden
- und während der Dauer der Vorstellung seinen Geist beherrschen. Um
- szenische Einzelheiten und Nebendinge soll er sich nicht weiter kümmern;
- sie werden ohne weiteres leicht und sicher gelingen, sofern er nur
- keinen Augenblick jenen Nagel aus dem Kopf verliert, welcher in dem
- seines Helden steckt. Alle diese Einzelheiten und verschiedenen kleinen
- Züge, deren sich oft schon solche Schauspieler mit Glück zu bedienen
- wissen, welche zwar zu gefallen und Gang und Gebaren abzulauschen, nicht
- aber eine Rolle auszuschöpfen vermögen, -- alle diese Züge also sind
- höchstens Lichter, die man dann erst aufsetzen darf, wenn das Bild
- fertig und wohlgelungen ist. Sie sind das Kleid und der Körper der
- Rolle, nicht aber deren Seele. Und somit muß man sich zuerst diese
- Seele, dann erst das Kleid der Rolle aneignen.
- Eine der wichtigsten Rollen ist der Polizeimeister. Dieser Mensch ist
- vor allem darauf bedacht, seine Taschen zu füllen. Diese Beschäftigung
- ließ ihm keine Zeit, ernster ins Leben zu schauen oder sich selbst
- genauer zu betrachten. Durch sie wurde er zum Blutsauger und, ohne es
- selber zu merken, erbarmungslos, weil er unfähig ist, böse Gelüste zu
- unterdrücken; ihn beherrscht nur das Verlangen, sich alles anzueignen,
- was sein Auge erblickt. Er weiß überhaupt nicht mehr, daß das seinem
- Nächsten Schaden bringt und manchen zugrunde richtet. Den Kaufleuten,
- die ihn hatten verderben wollen, verzeiht er im selben Augenblick, wo
- diese ihm eine verlockende Anerbietung machen, weil der Anreiz irdischer
- Schätze jede Rücksicht auf Lage und Leiden seines Nächsten in ihm
- erstickt und abgestumpft hat. Er fühlt zwar, daß er ein Sünder ist; er
- geht in die Kirche; glaubt sogar fromm zu sein. Aber das Gelüst, sich
- die Taschen zu füllen, ist übermächtig, übermächtig auch die
- eingewurzelte Gewohnheit, sich alles anzueignen und nichts sich entgehen
- zu lassen.
- Er ist ein echter Russe, zwar nicht gerade ein Unmensch, aber doch
- einer, bei dem sich die Rechtsbegriffe verwirrt haben, der ganz Lüge
- geworden ist, ohne es selbst zu merken. Darum räsoniert er auch, beißt
- den Ehrbaren und Würdigen heraus und redet manchmal mit Wärme. Er gehört
- vielleicht sogar zu den Leuten, die, wenn sie erkannt haben, daß alle um
- sie her ehrlich geworden sind, daß Ehrlichkeit erford.....
- 2.
- (Der vollständige Entwurf.)
- Vor allem muß man sich davor hüten, in eine Karikatur zu verfallen.
- Nichts darf karikiert erscheinen. Je mehr Einfachheit im Spiel, desto
- ..... Je weniger es der Schauspieler darauf anlegen wird zum Lachen zu
- reizen oder komisch zu sein, desto komischer wird die Figur selber
- wirken. Auf dem Ernst, mit dem jede Person bei ihrer Sache ist, beruht
- ..... Der Schauspieler soll, ehe er sich die Wunderlichkeiten und
- kleinen äußeren Besonderheiten jeder Person aneignet, erst einmal den
- allgemein menschlichen Gehalt der Rolle erfassen. Vor dem eigentlichen
- Charakter der Person muß man den Zweck ergründen, wofür sie da ist,
- worin ihre Tätigkeit und Beschäftigung besteht, wovon ihr Leben erfüllt
- ist und worum es sich hauptsächlich dreht, worauf und wohin sich
- beständig ihre Gedanken und Bestrebungen richten. Hat er diesen
- wesentlichsten Daseinszweck der darzustellenden Person erfaßt, dann muß
- sich der Schauspieler so in diese Tätigkeit einleben, sich alle Gedanken
- und Bestrebungen so zu eigen machen, daß sie während der ganzen
- Vorstellung seinen Kopf beherrschen; an szenische Einzelheiten soll er
- gar nicht denken. Sie werden ohne weiteres gut gelingen, sofern er nur
- so ernsthaft und eifrig bei seiner Sache ist, wie es die darzustellende
- Person, ohne zu spaßen, selber tut.
- Eine der wichtigsten Rollen ist der Polizeimeister. Ein Mensch, der vor
- allem darauf bedacht ist, seine Taschen zu füllen. Diese Beschäftigung
- ließ ihm keine Zeit, ernster ins Leben zu schauen oder sich selbst zu
- betrachten. Durch sie wurde er, vielleicht ohne es selbst zu merken, zum
- Blutsauger, weil er unfähig ist, böse Gelüste zu unterdrücken. Ihn
- beherrscht nur das Verlangen, sich alles anzueignen, was sein Auge
- erblickt. Er hat vergessen, daß dadurch sein Nächster zugrunde gerichtet
- wird. Er fühlt zwar gelegentlich, daß er ein Sünder ist, betet, geht zur
- Kirche, glaubt sogar fromm zu sein und denkt auch daran, künftig einmal
- bereuen zu wollen. Aber das Gelüst, sich die Taschen zu füllen, ist
- übermächtig, und übermächtig die eingewurzelte Gewohnheit. Das
- umlaufende Gerücht vom Revisor hat ihn in Aufregung versetzt, mehr noch
- der Umstand, daß dieser inkognito kommen soll und niemand weiß, wann und
- von woher er erscheinen wird. Er befindet sich vom Beginn bis zum Schluß
- des Stückes in Situationen, die weit über alles hinausgehen, was ihm
- sonst derart im Leben beschieden war. Seine Nerven sind gespannt. Beim
- Übergang von Furcht zu Freude und Hoffnung bekommt sein Ausdruck etwas
- Überhitztes, dann ist er der Täuschung stärker ausgesetzt, und er, der
- zu anderer Zeit nicht so bald ...., ist nun leicht zu übertölpeln. Wie
- er sieht, daß der Revisor in seiner Hand ist, gar nicht gefährlich ist
- und sich sogar mit ihm verschwägert hat, überläßt er sich ungestümer
- Freude in Voraussicht dessen, daß sein Leben von nun an in Gastereien
- und Trinkgelagen aufgehen wird, daß er selbst Stellungen vergeben, auf
- den Stationen Pferde verlangen, die Polizeimeister im Vorzimmer warten
- lassen, groß tun und den Ton angeben wird. Darum bedeutet die plötzliche
- Meldung von der Ankunft des echten Revisors für ihn einen stärkeren
- Donnerschlag als für alle anderen und seine Lage wird zu einer wirklich
- tragischen.
- Der Kreisrichter ist, was Bestechlichkeit anbetrifft, weniger sündig.
- Ihm fehlt sogar die Neigung zum Unrechttun; dafür ist seine
- Jagdleidenschaft groß ..... Aber das ist nun einmal so, jeder Mensch hat
- schließlich irgendeine Leidenschaft .... Ihr zuliebe läßt er sich eine
- ganze Reihe von Ungerechtigkeiten zuschulden kommen, ohne sich dessen
- bewußt zu sein. Er beschäftigt sich ausschließlich mit sich und seinem
- Verstande und ist nur darum gottlos, weil sich ihm auf dieser Bahn
- Gelegenheit bietet, sich selbst ins gehörige Licht zu stellen. Für ihn
- ist jedes Ereignis, auch ein solches, was andere in Schrecken versetzt,
- ein willkommener Fund, weil es ihm Stoff zu seinen Mutmaßungen und
- Kombinationen gibt, die ihn ebenso befriedigen, wie den Künstler seine
- Schöpfung. Diese Selbstzufriedenheit muß sich auf dem Gesicht des
- Schauspielers ausprägen. Während er spricht, beobachtet er gleichzeitig,
- welchen Eindruck seine Worte auf andere machen. Er forscht .....
- Semljaníka ist ein korpulenter Mann, aber ein schlauer Spitzbube. Trotz
- seiner mächtigen Leibesfülle besitzt er viel Gewandtheit und
- Schmeichlerisches in Sprache und Auftreten. Auf die Frage Chlestakóffs,
- wie der verspeiste Fisch hieß, springt er mit der Gelenkigkeit eines
- 22jährigen Stutzers herzu, um ihm die Worte: »Laberdan, Ew. Gnaden!«
- direkt unter die Nase zu blasen. Er ist einer von denen, die, um sich
- selber zu decken, kein anderes Mittel finden, als andere in die Patsche
- zu bringen, und deshalb mit Ränkespinnen und Angeberei flink bei der
- Hand sind, ohne dabei Verwandtschaft und Freundschaft zu ...., einzig
- darauf bedacht, nur selber durchzuschlüpfen. Trotz seiner Beleibtheit
- und Schwerfälligkeit ist er immer beweglich. Ein kundiger Schauspieler
- wird sich natürlich keine solcher Gelegenheiten entgehen lassen, wo die
- Zuvorkommenheit eines korpulenten Mannes auf die Zuschauer besonders
- komisch wirken kann, ohne es bis zur Karikatur zu treiben.
- Der Schulvorsteher ist nichts weiter als ein durch häufige, aber
- zwecklose Revisionen und Rüffel eingeschüchterter Mensch; darum fürchtet
- er alle Besichtigungen wie das Feuer und zittert bei der Kunde vom
- Revisor wie Espenlaub, obwohl er selber nicht weiß, was er verbrochen
- hat. Der ihn darstellende Schauspieler hat lediglich die beständige
- Angst zum Ausdruck zu bringen.
- Der Postmeister ist ein bis zu Naivität einfältiger Kerl, der das Leben
- wie eine zum Zeitvertreib dienende Sammlung amüsanter Histörchen
- ansieht, die er sich aus erbrochenen Briefen zusammenliest. Für
- Bestechungen ist er ohne w..... zugänglich. Der Schauspieler hat nichts
- weiter zu tun, als so einfältig wie möglich zu sein.
- Die beiden Stadtklatschbasen Bóbtschinski und Dóbtschinski aber müssen
- besonders gut gegeben werden. Der Schauspieler muß sie sehr scharf
- aufzufassen suchen. Es sind das Leutchen, deren ganzes Dasein darin
- aufgeht in der Stadt umherzurennen, um überall ihre Aufwartung zu machen
- und Neuigkeiten in Umlauf zu bringen. Ihr ganzes Wesen ist .... Die
- Leidenschaft zu klatschen hat jede andere Betätigung unterdrückt und
- wurde zur treibenden Kraft und zum Zweck ihres Lebens. Es ist unbedingt
- notwendig, ihr Behagen sichtbar werden zu lassen, wenn es ihnen endlich
- geglückt ist, die Erlaubnis zum Erzählen zu erhalten. Ihre Eilfertigkeit
- und Hast ist lediglich von der Angst verursacht, es könne sie jemand
- stören oder am Erzählen hindern. Sie sind neugierig, aus dem Bedürfnis
- Stoff zum Klatschen zu bekommen. Darum auch, nämlich weil er möglichst
- rasch erzählen will, stottert Bóbtschinski ein wenig. Beide sind klein,
- untersetzt und einander ungemein ähnlich, haben auch beide ein kleines
- Embonpoint. Beide haben ein rundliches Gesicht, saubere Kleidung und
- glattgescheiteltes Haar. Dóbtschinski hat auch einen Anflug von Glatze:
- man sieht, daß er kein Hagestolz wie Bóbtschinski, sondern verheiratet
- ist. Trotzdem hat Bóbtschinski das Übergewicht durch seine größere
- Lebhaftigkeit und regiert ihn sogar einigermaßen durch Verstand. Der
- Schauspieler muß alle nebensächlichen Züge außer acht lassen, wenn er
- diese Rolle gut darstellen will, und hat sich nur bewußt zu bleiben, daß
- er mit einem starken Sprachfehler behaftet sein soll. Mit einem Wort, es
- sind Leutchen, die vom Schicksal nicht für eigene, sondern für fremde
- Interessen in die Welt gesetzt wurden.
- Alle übrigen Personen: Kaufleute, Gäste, Polizeibeamte und Bittsteller
- jeder Art sind Gestalten, wie sie uns täglich vor Augen kommen, und
- werden darum von jedem leicht aufgefaßt werden können, der Rede und
- Gebaren von Leuten jederlei Schlages zu beobachten versteht. Das gleiche
- kann auch vom Diener gesagt werden, obschon diese Rolle wichtiger als
- die erwähnten ist. Er ist ein russischer Diener in vorgerücktem Alter,
- der etwas mürrisch ist, seinem Herrn grob kommt, weil er merkt, daß
- dieser ein Federfuchser und Tropf ist, und ihm hinter dem Rücken
- Strafpredigten zu halten liebt; ein stilles Wasser, daneben aber sehr
- findig im Aufspüren von Gelegenheiten, wo etwas für ihn abfallen kann,
- -- also eine allgemein bekannte Figur, weshalb auch diese Rolle stets
- gut gespielt wurde. Dementsprechend wird man leicht ermessen können,
- welchen Eindruck die Ankunft des Revisors auf jede einzelne dieser
- Personen auszuüben imstande ist.
- Man darf nur nicht vergessen, daß in all diesen Köpfen der Revisor
- spukt. Jeder beschäftigt sich mit ihm, um ihn drehen sich Furcht und
- Hoffnung aller handelnden Personen. Die einen wiegen sich in Hoffnung
- auf ein strenges Gericht und Erlösung von schlimmen Polizeimeistern und
- sonstigen Schnapphähnen, die andern erfaßt panischer Schrecken bei der
- Wahrnehmung, daß den obersten Beamten und Spitzen der Behörden angst und
- bange wird. Bei den übrigen, also denen, die auf die Dinge dieser Welt
- gleichmütig, mit dem Finger in der Nase zu schauen pflegen, herrscht
- Neugierde nebst einer gewissen geheimen Scheu, die Persönlichkeit von
- Angesicht sehen zu sollen, die so viel Furcht verbreitet und die darum
- unstreitig eine außergewöhnliche und bedeutende sein muß.
- Am schwierigsten ist die Rolle dessen, der von der erschreckten Stadt
- für den Revisor gehalten wird. Chlestakóff ist an und für sich ein
- unbedeutender Mensch. Sogar einfältige Leute würden ihn ihrerseits sehr
- einfältig nennen. Nie in seinem Leben ist er zu etwas berufen gewesen,
- was Nachdenken erforderte. Aber die Wirkung der allgemeinen Furcht macht
- ihn zu einer bemerkenswert komischen Figur. Indem sie aller Augen
- benebelt, schafft sie ihm Gelegenheit, eine komische Rolle zu spielen.
- Eben noch von allem entblößt und sogar des Vergnügens beraubt, stolz auf
- dem Newski-Prospekt umherzuflanieren, fühlt er mit einmal freie Bahn und
- sieht sich unverhofft allen Verlegenheiten enthoben. Er ist vollständig
- überrascht und glaubt zu träumen, kann auch lange Zeit gar nicht
- begreifen, weshalb man ihm soviel Aufmerksamkeit und Achtung bezeugt. Er
- empfindet bloß ein angenehmes Behagen bei der Wahrnehmung, wie man ihn
- hofiert, bedient, alle seine Wünsche erfüllt und begierig jede seiner
- Äußerungen auffängt. Da redet er denn ziellos ins Blaue hinein. Die
- Themata für seine Aufschneidereien liefern ihm die Ausfrager, die ihm
- die Worte gewissermaßen selbst in den Mund legen und somit seine
- Expektorationen veranlassen. Er fühlt bloß wie leicht sich überall
- prahlen läßt, wo nichts einen behindert. Er phantasiert, daß er in der
- Literatur einen Namen hat, auf Bällen die erste Rolle spielt, selber
- Bälle gibt und, damit nicht genug, auch ein großer Staatsmann ist. Vor
- nichts scheut er zurück, wonach man ihn etwa .... Das Diner mit all' den
- Laberdanen und Weinen hat seine Zunge gelöst und ihn redselig gemacht.
- Je weiter er fabelt, desto stärker wird seine Einbildungskraft und er
- gerät wiederholt in ordentliche Hitze. Weil er gar nicht die Absicht
- hat, aufzuschneiden, vergißt er selber, daß er lügt. Er meint sogar all
- das wirklich geleistet zu haben, wovon er faselt. Darum versetzt auch
- die Szene, wo er sich für einen Staatsmann ausgibt, alle Beamten so in
- Schrecken. Darum zeigt auch, namentlich bei der Erzählung, wie er in
- Petersburg allen miteinander den Kopf gewaschen hat, sein Antlitz alle
- Merkmale von Würde und was nur irgend sonst dazu gehört. Weil er gesehen
- hat, wie man hierorts Rüffel austeilt, auch aus eigner, vielfacher
- Erfahrung weiß, was es mit dem Gerüffeltwerden auf sich hat, bereitet es
- ihm (das muß meisterhaft in den Reden zum Ausdruck gebracht werden) in
- diesem Augenblick besonderes Behagen, endlich auch einmal andere Leute
- herunterzuputzen -- wenn auch nur erzählenderweise. Er würde sich auch
- noch weiter in seinen Aufschneidereien versteigen, wenn ihm nicht die
- Zunge bereits den Dienst versagte, infolgedessen sich die Beamten
- genötigt sehen, ihn ehrerbietig und furchtsam aufs vorbereitete Bett zu
- bringen.
- Beim Erwachen ist er wieder derselbe Chlestakóff wie vorher; er weiß
- überhaupt nicht mehr, wodurch er sie alle ins Bockshorn gejagt hat. Alle
- Phantasie ist ihm wieder abhanden gekommen und sein Betragen ist so
- albern wie zuvor.
- Fast gleichzeitig bandelt er mit der Mutter und mit der Tochter an. Er
- bittet um Geld, weil ihm das wie unwillkürlich über die Lippen kommt und
- auch schon der erste, an den er sich wandte, es ihm bereitwilligst zur
- Verfügung stellte. Erst gegen Schluß des Aktes wird es ihm klar, daß man
- ihn für irgendein großes Tier hält. Ohne Ossips Warnung aber, dem es mit
- Mühe gelingt, ihm begreiflich zu machen, daß diese Täuschung nicht lange
- vorhalten könne, würde er mit größter Seelenruhe solange dageblieben
- sein, bis man ihn mit Schimpf und Schande hinausgeworfen hätte. Kurz,
- diese Gestalt ist ein Wahngebilde, das sich wie ein personifiziertes,
- lügenhaftes Blendwerk mitsamt der Troika verflüchtigt. Dessenungeachtet
- muß diese Rolle durchaus dem besten verfügbaren Schauspieler anvertraut
- werden, weil sie die allerschwierigste ist. Denn dieser alberne Mensch
- und oberflächliche Charakter vereinigt in sich eine Menge von
- Eigenschaften, welche auch nicht oberflächliche Leute besitzen.
- Namentlich darf der Schauspieler diese Sucht zu prahlen nicht außer acht
- lassen, mit der mehr oder weniger alle Menschen behaftet sind und die
- bei Chlestakóff am stärksten ausgebildet ist, -- eine kindische Neigung
- zwar, die sich nichtsdestoweniger aber bei vielen klugen alten Leuten
- findet, so daß wohl selten jemand ihr nicht bei irgendeiner Gelegenheit
- im Leben .... Mit einem Wort, der Schauspieler muß für diese Rolle ein
- sehr vielseitiges Talent mitbringen, fähig, die mannigfaltigsten
- Eigenschaften eines Menschen darzustellen und nicht nur ewig ein und
- dieselben. Er muß zugleich ein gewandter Weltmann sein, weil er sonst
- außerstande sein würde, naiv und harmlos diesen hohlen, weltlichen
- Leichtsinn zur Anschauung zu bringen, der einen Menschen über alles und
- jedes hinwegtändeln läßt und in so beträchtlichem Umfange Chlestakóff zu
- eigen ist.
- Die letzte Szene des »Revisors« muß ganz besonders umsichtig gespielt
- werden. Hier ist der Spaß zu Ende, und die Situation vieler Personen
- ist eine fast tragische. Die des Polizeimeisters ist die
- allerverzweifeltste; denn, wie dem auch sei, sich plötzlich betrogen zu
- sehen, noch dazu von dem dümmsten und albernsten Bürschchen, das weder
- Ansehen noch Gestalt hatte und kaum einem Zündhölzchen glich
- (Chlestakóff ist, wie erinnerlich, schmächtig, alle andern dick), -- von
- dem sich betrogen zu sehen, ist wahrhaftig kein Spaß mehr. Und so plump
- betrogen zu werden, während man selber doch schlaue Köpfe und sogar die
- abgefeimtesten Gauner hinters Licht zu führen verstanden hatte! Die
- schließlich erfolgende Meldung von der Ankunft des echten Revisors wirkt
- auf ihn wie ein Donnerschlag. Versteinert steht er da. Mit
- ausgebreiteten Armen und hintenübergeworfenem Haupt verharrt er
- regungslos, und alle handelnden Personen um ihn her bilden eine momentan
- versteinerte Gruppe in den verschiedensten Stellungen.
- Die ganze Szene ist ein stummes Bild und muß darum ebenso gestellt
- werden wie die lebenden Bilder. Jede Person muß eine Stellung angewiesen
- erhalten, die ihrem Charakter entspricht, nach dem Grade ihrer Furcht
- und der Stärke des Schreckens, den die Meldung von der Ankunft des
- echten Revisors ihr verursacht. Diese Stellungen dürfen nichts
- miteinander gemein haben, müssen vielmehr mannigfaltig und verschieden
- sein; auch muß darum jeder die seine genau im Kopfe haben, um sie sofort
- annehmen zu können, wenn die verhängnisvolle Kunde sein Ohr trifft.
- Anfangs wird das freilich gezwungen herauskommen und an Automaten
- erinnern; allmählich aber, nach einigen Wiederholungen, im Maße wie
- jeder Schauspieler seine Situation tiefer erfaßt haben wird, wird ihm
- die angewiesene Pose geläufiger werden und ein natürlicheres, seinem
- Wesen entsprechenderes Ansehen bekommen. Das Hölzerne und Ungelenke des
- Automaten wird verschwinden und es wird den Anschein haben, als sei
- dieses stumme Bild ganz von selbst entstanden.
- Als Signal zur Veränderung der Stellung kann jener unterdrückte Schrei
- dienen, den Frauen bei einer unerwarteten Erscheinung auszustoßen
- pflegen. Die einen nehmen die ihnen im stummen Bilde angewiesene Pose
- allmählich an und beginnen damit bereits beim Eintritt des Boten mit der
- verhängnisvollen Meldung; das sind diejenigen, die minder betroffen
- sind. Die anderen nehmen sie momentan an, nämlich die, welche einen
- stärkeren Schlag erhalten. Der führende Schauspieler täte gut daran,
- seine eigene Pose vorübergehend aufzugeben und dies Bild einige Male
- selber wie ein Zuschauer zu betrachten, um zu prüfen, wo etwas
- abzuschwächen, stärker zu betonen oder zu mildern wäre, damit das Bild
- natürlicher wirkt.
- Das Bild muß etwa folgendermaßen gestellt werden: in der Mitte der
- Polizeimeister, stumm und versteinert. Zu seiner Rechten seine Frau und
- Tochter, beide ihm schreckensbleich zugewandt. Hinter ihnen der
- Postmeister, in ein Fragezeichen verwandelt und den Zuschauern
- zugekehrt. Hinter diesem Luka Lukitsch, kreidebleich. Links vom
- Polizeimeister Semljanika mit hochgezogenen Augenbrauen und die Finger
- im Munde, wie einer, der sich böse verbrannt hat. Hinter ihm der
- Kreisrichter, fast auf die Erde gekauert und eine Grimasse schneidend,
- als wenn er sagen wollte: »Holla, Alte, jetzt hat's eingeschlagen!«
- Hinter diesen starren Bobtschinski und Dobtschinski einander mit offenem
- Munde an. Die Gäste verteilen sich in zwei Gruppen auf beiden Seiten;
- jede für sich nimmt eine eigne allgemeine Stellung an und heftet ihre
- Blicke auf den Polizeimeister. Fast eine Minute lang währt diese stumme
- Szene, bis endlich der Vorhang fällt. Damit sich die Gruppe geschickter
- und ungezwungener entwickele, überträgt man sie am besten einem
- tüchtigen Künstler, der Gruppen zu komponieren versteht, Skizzen
- entwerfen kann und .....
- Wenn sämtliche Schauspieler auch nur einigermaßen im Laufe der
- Vorstellung allen Anforderungen ihrer Rollen genügt haben, dann werden
- sie auch in dieser stummen Szene die entscheidende Situation ihrer
- Rollen zum Ausdruck bringen und dadurch ihrem vollendeten Spiel die
- Krone aufsetzen. Erwiesen sie sich aber während der Vorstellung
- teilnahmslos und unbeholfen, dann werden sie auch hier so wirken, mit
- dem Unterschied, daß sich in dieser stummen Szene ihr Nichtkönnen noch
- deutlicher offenbaren wird.
- III.
- Zwei Szenen, die schon bei der ersten Ausgabe als den Gang der
- Handlung störend ausgeschieden wurden.
- Anna Andréjewna und Márja Antónowna.
- Márja Antónowna. Wirklich, Mama, ich begreife nicht, wie du glauben
- kannst, deine Augen seien das Schönste ...
- Anna Andréjewna. Papperlapapp, rede kein dummes Zeug! Als noch die Frau
- Oberst hier wohnte, die die größte Modedame war, die ich je gesehen, und
- sich alle Kostüme aus Moskau verschrieb -- sagte sie mir bei jeder
- Gelegenheit: »Liebste Anna Andréjewna, verraten Sie mir doch bloß das
- Geheimnis, weshalb Ihre Augen einen so sprechenden Ausdruck haben!«
- Überhaupt herrschte nur eine Stimme: »Mit Ihnen, Anna Andréjewna,
- braucht man nur eine Minute beisammen zu sein, um infolge Ihrer
- Liebenswürdigkeit alles um sich her zu vergessen.« Und der
- Stabsrittmeister Starokopytoff, der sich damals, was weiß ich, wegen
- Remonte hier aufhielt? Der schöne Mann mit dem frischen, prächtig roten
- Gesicht, den pechschwarzen Augen, dem weißen Hemdkragen aus dem feinsten
- Batist, wie ihn unsre Kaufleute uns noch nie geliefert haben? Der sagte
- mir zu wiederholten Malen: »Ich schwöre Ihnen, Anna Andréjewna, noch nie
- habe ich solche Augen gesehen, nicht einmal in Romanen davon gelesen;
- ich weiß nicht wie mir geschieht, wenn ich Sie anschaue! ..« Ich trug
- damals noch eine Tüllpelerine, mit Weinblättern und Ähren bestickt und
- mit zarten Spitzen eingefaßt, kaum einen Finger breit, einfach
- bezaubernd! Und dann sagte er jedesmal: »Ihr Anblick, Anna Andréjewna,
- bereitet mir solches Entzücken, daß mein Herz vollständig ...« ach, ich
- weiß schon gar nicht mehr, was er alles geredet hat. Nachher hat er
- sogar noch Geschichtchen gemacht: er wollte sich partout erschießen,
- aber die Pistolen waren irgendwie abhanden gekommen; sonst wäre er
- längst nicht mehr am Leben.
- Márja Antónowna. Ich weiß nicht, Mama, aber ich meine doch, deine untere
- Gesichtspartie sei weit hübscher als deine Augen.
- Anna Andréjewna. Unsinn, davon kann gar keine Rede sein! Das ist alles
- dummes Zeug!
- Márja Antónowna. Nein, wirklich, Mama, wenn man dich so sprechen oder im
- Profil sitzen sieht, dann ist besonders dein Mund ...
- Anna Andréjewna. Hör auf mit dem dummen Geschwätz! Du bist wirklich
- unausstehlich! Immerfort muß sie herumstreiten ... Gott bewahr' mich!
- Will gleich vor Neid vergehen, nur weil ihre Mama schöne Augen hat! --
- Und bei all dem Gezänk und dem Unsinn haben wir uns richtig ganz
- verplappert. Paß auf, er kommt und überrascht uns noch in dem
- unmöglichsten Aufzuge! (Eiligst ab, gefolgt von Márja Antónowna.)
- Chlestakóff und Rastakówski (in Uniform der Zeit Katharinas II.
- mit Achselschnüren).
- Rastakówski. Habe die Ehre mich vorzustellen: Einwohner und Hausbesitzer
- hiesiger Stadt, Sekond-Major a. D. Rastakówski.
- Chlestakóff. Sehr erfreut; bitte nehmen Sie gefälligst Platz. Ich bin
- mit Ihrem Chef sehr gut bekannt.
- Rastakówski (hat sich gesetzt). Ah, Sie kannten also Sadunaiski?
- Chlestakóff. Welchen Sadunaiski?
- Rastakówski. Nun, den Grafen Rumjanzoff-Sadunaiski, Pjotr
- Alexándrowitsch; der war ja mein früherer Chef.
- Chlestakóff. Ach so, ja ... Sie haben also wohl lange gedient?
- Rastakówski. Ich nahm bereits 1773 an der Belagerung von Silistria teil.
- Da ging es heiß zu. So dicht stand der Türke vor uns, gerade wie dieser
- Tisch. Ich war damals Sergeant, und Sekond-Major in unserem Regimente
- war -- Sie kannten ihn gewiß -- Pjotr Wassiljewitsch Gwosdjew.
- Chlestakóff. Gwosdjew? was für ein Gwosdjew?
- Rastakówski. Pjotr Wassiljewitsch. Er wurde später auf Allerhöchsten
- Befehl der verewigten Kaiserin zu den Dragonern versetzt.
- Chlestakóff. Nein, mir unbekannt.
- Rastakówski. Ich dachte mir gleich, daß Sie ihn nicht kennen, weil er
- schon vor mehr als dreißig Jahren gestorben ist. Hier ganz in der Nähe,
- zwanzig Werst von der Stadt, lebt seine Enkelin, verheiratet mit Iwán
- Wassiljewitsch Rogatka.
- Chlestakóff. Mit Rogatka? Sehen Sie doch mal an! Das ist mir ganz neu.
- Rastakówski. Freilich, mit Iwán Wassiljewitsch Rogatka. Der Türke also
- stand so dicht vor uns, wie dieser Tisch. Frost und Schneegestöber waren
- so stark, wie in dem Jahr, da die Franzosen auf Moskau losrückten. In
- unserem Regimente stand noch ein Sekond-Major namens Ficktel-Knabe, ein
- Deutscher. Er hieß Siegfried Iwánowitsch, aber der damalige General _en
- chef_ taufte ihn einfach um: »Du bist kein Siegfried,« sagte er,
- »sondern Suppe; darum sollst du Suppe Iwánowitsch heißen.« Und seitdem
- wurde er nur noch Suppe Iwánowitsch genannt. Dieser Suppe Iwánowitsch
- also, nebst dem eben erwähnten Sekond-Major Gwosdjew sollten einmal eine
- Fouragierung vornehmen. Ihnen beigegeben waren ich und der
- Quartiermeister Trepakin, vielleicht haben Sie ihn gekannt, Awtonom
- Pawlowitsch; ich glaube, er ist auch schon bald fünfundzwanzig Jahre
- tot.
- Chlestakóff. Trepakin? Nein, kenne ich nicht. Übrigens hätte ich eine
- Bitte an Sie ...
- Rastakówski (ohne darauf zu hören). Eine schöne männliche Gestalt,
- blondes Haar, dazu goldne Achselschnüre. Wie der Mazurka tanzen konnte!
- Brauchte nur in die Hände zu klatschen, um selbst dem Oberst seine
- Tänzerin abspenstig zu machen. Na, und überhaupt die kleinen Mädchen,
- ha, ha, ha! ... Wir biwakierten damals unter Zelten; und wenn man bloß
- mal so in sein Zelt hineinguckte, ha, ha, ha, da saß auch richtig so
- eine Kleine drin; und wurde dann morgens vom Burschen hinausgeführt, als
- Dragoner vermummt, im Dreimaster, ha, ha, ha, ein Portepée an der Seite,
- ha, ha, ha ...
- Chlestakóff. Eine ähnliche Geschichte passierte einem meiner Bekannten,
- einem Beamten in recht einträglicher Stellung. Wie der eines Tages im
- Schlafrock dasitzt und seine Pfeife raucht, kommt mit einemmal ein
- Offizier von der Chevaliergarde, auch ein Freund von mir, herein und
- sagt ... (unterbricht sich und schaut Rastakówski scharf ins Auge.)
- Hören Sie mal, könnten Sie mir nicht etwas Geld borgen? Ich habe mich
- unterwegs ganz verausgabt.
- Rastakówski. Wer bat denn um Geld: der Beamte den Offizier oder der
- Offizier den Beamten?
- Chlestakóff. Nicht doch, ich bitte Sie darum. Sehen Sie, ich tue es
- lieber gleich, ehe ich's nachher noch vergesse.
- Rastakówski. Also Sie brauchen Geld? Seltsam, und ich glaubte, der
- Offizier in der Anekdote bäte darum. Wie man sich doch im Gespräch oft
- täuschen kann! Sie also brauchen Geld? Und ich kam offen gestanden
- gerade mit der Absicht, Sie meinerseits mit einer äußerst dringlichen
- Bitte zu belästigen.
- Chlestakóff. Und die wäre?
- Rastakówski. Ich habe nämlich Anspruch auf eine Pensionszulage und hatte
- Sie höflichst darum bitten wollen, dort bei den Senatoren oder bei
- sonstigen Persönlichkeiten ein gutes Wort für mich einzulegen.
- Chlestakóff. Aber gewiß, mit Vergnügen.
- Rastakówski. Ich selber habe schon mal eine Bittschrift eingereicht,
- möglicherweise aber nicht an die zuständige Stelle.
- Chlestakóff. Wie lange ist denn das her?
- Rastakówski. Um die Wahrheit zu sagen, noch nicht gar so lange, im Jahre
- 1801; ich warte aber seit diesen dreißig Jahren noch immer auf Bescheid.
- Ich beförderte sie durch Iwán Pjetrówitsch Ssossulkin, der damals gerade
- nach Petersburg reiste; leider ist er kein sonderlich zuverlässiger
- Mensch. So kann es gekommen sein, daß sie nicht gehörigen Orts
- eingereicht wurde. Jetzt wird es aber gewiß nicht mehr lange dauern:
- dreißig Jahre sind um, und da wird die Entscheidung wohl bald erfolgen
- müssen.
- Chlestakóff. Selbstverständlich, jetzt wird sie bald erfolgen müssen;
- übrigens bin ich gern bereit, mich auch meinerseits ... Keine Ursache,
- schon gut, schon gut.
- IV.
- Eine vom Autor in die Buchausgabe nicht mitaufgenommene Szene des
- »Revisor«.[1]
- 8. Szene (des vierten Aufzuges)
- Chlestakóff und Hübner.
- Hübner. _Ich habe die Ehre, mich zu rekommandieren: Doktor der
- Armenanstalten Hübner._
- Chlestakóff. Bitte nehmen Sie gefälligst Platz.
- Hübner. _Es freut mich sehr, die Ehre zu haben, einen so würdigen Mann
- zu sehen, den die hohe Obrigkeit bevollmächtigt hat ..._
- Chlestakóff. Bitte kein Deutsch, da bin ich recht wenig ... Sprechen wir
- doch lieber russisch. Was ich sagen wollte: die Herren Beamten beziehen
- jetzt allgemein ein recht gutes Gehalt. Haben Sie sich mit Geld
- versehen?
- [Fußnote 1: Der Humor dieser Szene geht in der Übersetzung größtenteils
- verloren: Hübner nämlich spricht deutsch und radebrecht russisch,
- Chlestakóff dagegen russisch und radebrecht deutsch. Die deutschen Worte
- des Originals seien wenigstens im Druck gekennzeichnet. -- Anmerk. d.
- Übers.]
- Hübner. Geld? Wieso Geld?
- Chlestakóff. Nun, ich würde Sie in dem Falle gebeten haben, es mir zu
- borgen ... zu borgen ... Soll natürlich heißen: Sie _gibt_ es mir jetzt,
- und ich gebe[2] es Ihnen später wieder.
- Hübner. Geld ... Geld habe ich keins ... (zieht eine Brieftasche heraus
- und schüttelt sie aus). _Sehen Sie!_ Nichts da ... nur eine Zigarre ...
- weiter nichts ...
- Chlestakóff. Na, dann ist nichts zu machen. Wo nichts ist, hat auch der
- Kaiser sein Recht verloren.
- Hübner (steckt die Brieftasche ein und greift in die Rocktasche).
- _Wollen Sie eine Zigarre rauchen?_ (Zieht sie heraus und überreicht sie
- ihm).
- Chlestakóff. Recht gern, _gut_! Geben Sie her, _gibt_ (nimmt sie und
- steckt sie an). Ganz leidliche Zigarre; gewiß aus Petersburg. (Bläst den
- Rauch vor sich hin).
- Hübner. Nein ... aus ... Riga ...
- Chlestakóff. Aus Riga? So, das dachte ich mir gleich.
- Hübner (steht auf und verbeugt sich). _Ich darf Sie nicht mehr
- beunruhigen (sic!) und Ihnen die teure Zeit rauben, die Sie den
- Staatsgeschäften widmen._ (Verabschiedet sich).
- [Fußnote 2: Ein in der Übersetzung nicht zu veranschaulichender Wortwitz
- des Originals.]
- Chlestakóff. Adieu. War mir sehr angenehm.
- 9. Szene
- Chlestakóff (allein). Auch eine Zigarre ist mal ganz nett. Wieviel
- Beamte es doch hier gibt usw.
- V.
- Vorwort
- zu einer zum Besten der Armen geplanten Ausgabe des »Revisor«.
- 1846.
- Fast alle russischen Schriftsteller haben aus Teilen ihrer Werke Spenden
- zum Besten der Armen gemacht: manche gaben zu diesem Zweck ganze Bücher
- heraus, andere steuerten bereitwillig zu Sammelwerken bei; noch andere
- endlich veranstalteten eigens dafür öffentliche Vorlesungen. Ich allein
- hatte mich abseits gehalten. Vom Wunsche beseelt, diese meine
- Unterlassung, wenn auch spät, zu sühnen, bestimme ich die vierte und
- fünfte gleichzeitig in Moskau und Petersburg erscheinende Ausgabe des
- »Revisor« zum Besten der Notleidenden. Sie ist um eine dem Publikum noch
- unbekannte Skizze: »Die Deutung des Revisors« vermehrt, die aus
- verschiedenen Gründen und Umständen bisher nicht veröffentlicht werden
- konnte und hier zum erstenmal ihren Platz findet.
- Der Erlös dieser beiden Ausgaben soll ausschließlich solchen Bedürftigen
- zugute kommen, welche sich in unscheinbaren, niedrigen Stellungen
- befinden und bei einem Einkommen, das kaum für den eigenen Unterhalt
- notdürftig hinreicht, noch ärmere Anverwandte zu unterstützen, oft sogar
- zu erhalten gezwungen sind; mit einem Wort: er ist für diejenigen
- bestimmt, denen das bittere Los fiel, die doppelte Last des Lebens zu
- tragen. Und deshalb bitte ich alle meine Leser, welche bereits durch den
- Kauf dieses Buches das wohltätige Werk begonnen haben, es auch in
- gleicher Weise fortzusetzen, namentlich aber, soweit es ihre Zeit
- erlaubt, über alle in erster Linie Bedürftigen in Moskau sowohl wie in
- Petersburg nach Möglichkeit Kunde einzuziehen, sich die Mühe nicht
- verdrießen zu lassen, um in deren drückende Verhältnisse selbst
- hineinzuschauen, und alle derartigen Nachrichten denen zu übermitteln,
- die mit der Verteilung der Unterstützungen betraut sind.
- Es herrscht viel Elend um uns her, von dem wir nichts wissen; oft siecht
- in derselben Stadt, derselben Straße, ja in demselben Hause, in dem wir
- wohnen, ein Mensch unter der schweren Last der Not und dem durch sie
- erzeugten Herzenskummer dahin, dessen ganzes Schicksal vielleicht
- abgewendet werden konnte, wenn wir nur einmal den Blick auf ihn
- gerichtet hätten; wir aber schauten uns nicht nach ihm um; wir leben
- sorglos und unbekümmert weiter, hören fast teilnahmslos die Nachricht,
- daß ein jemand, der neben uns lebte, zugrunde gegangen ist, und ahnen
- nicht einmal, daß die Ursache seines Unterganges lediglich die war, daß
- wir uns nicht die Mühe gaben, nach ihm hinzusehen. Um Christi willen
- bitte ich inständigst einer mündlichen Rücksprache mit solchen nicht aus
- dem Wege zu gehen, welche verschlossen und zurückhaltend sind, stumm
- sich grämen, stumm leiden und stumm dahinsterben, so daß man nur selten
- und oft erst nach ihrem Tode erfährt, sie seien unter der unerträglichen
- Last ihres Kummers zusammengebrochen. Alle diejenigen meiner Leser,
- welche durch wichtige Geschäfte und Pflichten gebunden nicht die Muße
- haben, sich direkt der Lage der Bedürftigen anzunehmen, bitte ich, sich
- einer möglichst weitgehenden pekuniären Beihilfe nicht zu versagen und
- diese einer von den mit der Verteilung der Unterstützungen betrauten
- Personen zu überweisen, deren Namen und Adressen am Schluß dieses
- Vorwortes verzeichnet sind.
- Ich erachte es für meine Pflicht hierbei mitzuteilen, daß ich für diese
- Mühewaltung lediglich solche von den mir bekannten Persönlichkeiten
- ausgewählt habe, welche, ohne durch eigene Sorgen und Geschäfte an der
- für dergleichen Angelegenheiten notwendigen Muße gekürzt zu sein, sich
- überdies aus Herzensbedürfnis gedrungen fühlen, dem Nächsten zu helfen
- und diese mühselige Arbeit freudig auf sich genommen haben, ungeachtet
- dessen, daß sie sie vieler angenehmer gesellschaftlicher Vergnügungen
- beraubt, auf die man sonst ungern verzichtet. Deshalb darf sich jeder
- Gebende überzeugt halten, daß die von ihm gewährte Unterstützung auch
- mit Überlegung verteilt und keine Kopeke nutzlos vergeudet werden wird.
- Die Betreffenden werden keinem Menschen eher beispringen, bevor sie ihn
- nicht aus der Nähe kennen gelernt, alle obwaltenden Umstände erwogen und
- so die volle Einsicht gewonnen haben, auf welche Art und Weise die jenem
- zugedachte Unterstützung zur Anwendung kommen soll. In solchen Fällen
- jedoch, wo der Unglückliche sein schweres Los selbst verschuldet hat und
- sein Elend mit Gewissensfragen in Verbindung steht, werden sie die
- Beihilfe nur durch erfahrene Geistliche und namentlich solche Beichtiger
- zur Ausführung bringen lassen, die nicht zum erstenmal mit Seele und
- Gewissen des Menschen zu tun hatten. Es wäre wünschenswert, wenn jeder,
- der Nachforschungen nach Bedürftigen anzustellen gedenkt, sich der
- Mühe unterziehen wollte, die Ergebnisse den Verteilern der
- Unterstützungsgelder persönlich und nicht schriftlich darzulegen; denn
- bei mündlicher Rücksprache lassen sich all' jene Mißverständnisse leicht
- beseitigen, die bei brieflicher Mitteilung nie zu vermeiden sind. Auf
- diese Weise wird jeder sich nach Beschaffenheit seines Falles selber
- darüber ein Urteil bilden können, an welche der bezeichneten Personen er
- sich lieber, bequemer und zweckentsprechender wenden mag, auch erwägen
- können, wann die mitfühlende Beteiligung einer Frau, wann das kräftige,
- brüderlich ermutigende Wort eines Mannes im besonderen vonnöten sei.
- Noch nützlicher wäre, wenn zu solchen Besprechungen ein für allemal eine
- bestimmte Stunde festgesetzt würde, beispielsweise von 11-12, eine
- Stunde, die überhaupt für alle, wenigstens für die Mehrzahl, die
- geeignetste ist; und sollte sie trotzdem dem einen oder anderen nicht
- genehm sein, so wird der zu dieser Stunde Vorsprechende auf jeden Fall
- die Ansage einer anderen, geeigneteren erhalten können.
- Zur Verteilung der Unterstützungsgelder haben sich bereit erklärt:
- In _Moskau_:
- Awdotja Pietrowna Jelagina.
- Katerina Alexandrowna Swjerbejewa.
- Wjera Sergejewna Aksakowa.
- Alexej Stjepanowitsch Chomjakoff.
- Nikolai Filippowitsch Pawloff.
- Pjotr Wassiljewitsch Kirejewski.
- In _Petersburg_:
- Olga Stjepanowna Odojewskaja.
- Gräfin Anna Michailowna Wjeljegorskaja.
- Gräfin Daschkowa.
- Arkadij Ossipowitsch Rosseti.
- Jurij Fjodorowitsch Ssamarin.
- Wladimir Alexejewitsch Muchanoff.
- VI.
- Die Deutung des Revisors
- Personen:
- Erster Schauspieler, Komiker: Michailo Sjemjonowitsch Schtschepkin.
- Eine hübsche Schauspielerin.
- Zweiter Schauspieler.
- Fjodor Fjodorowitsch, Theaterenthusiast.
- Pjotr Pjetrowitsch, ein vornehmer Herr.
- Sjemjon Sjemjonowitsch, ein Herr aus ebenfalls ziemlich gutem Stande.
- Nikolai Nikolajewitsch, ein Literat.
- Schauspieler und Schauspielerinnen.
- * * * * *
- Erster Schauspieler (tritt auf die Bühne). Nun, jetzt wäre
- Bescheidenheit unangebracht. Diesmal, darf ich sagen, habe ich
- ausgezeichnet gespielt und der Applaus des Publikums war nicht
- unverdient. Fühlt man das selber, ohne sich vor sich selbst zu schämen,
- dann war eben die Leistung vollkommen.
- (Eine Menge Schauspieler und Schauspielerinnen betreten die Bühne)
- Zweiter Schauspieler (einen Kranz in der Hand). Michailo Sjemjonowitsch,
- jetzt kommen wir, nicht das Publikum, um Ihnen diesen Kranz zu bringen.
- Das Publikum verteilt seine Kränze nicht immer nach strenger Wahl; es
- schenkt sie auch geringeren Leistungen. Wenn aber Kollegen, die doch
- oftmals neidisch und unbillig sind -- wenn eben diese Kollegen jemandem
- einmütigen Sinnes einen Kranz bringen, dann besagt das, daß dieser Mann
- des Kranzes vollkommen würdig ist.
- Erster Schauspieler (den Kranz entgegennehmend). Liebe Kollegen, ich
- weiß diesen Kranz zu schätzen.
- Zweiter Schauspieler. Nein, nicht in der Hand, aufs Haupt sollen Sie ihn
- setzen!
- Alle Schauspieler und Schauspielerinnen. Aufs Haupt den Kranz!
- Die hübsche Schauspielerin (vortretend, mit befehlender Gebärde).
- Michailo Sjemjonowitsch, den Kranz aufs Haupt!
- Erster Schauspieler. Nein liebe Kollegen, den Kranz nehme ich zwar von
- Euch an, aber aufsetzen darf ich ihn nicht. Etwas anderes ist's, vom
- Publikum einen Kranz zu empfangen, als den gewohnten Ausdruck des
- Dankes, womit es jeden beschenkt, der seinen Beifall zu erringen wußte;
- einen solchen Kranz nicht aufsetzen, würde Geringschätzung gegenüber
- seiner Gunst bedeuten. Um aber einen Kranz im Kreise gleichwürdiger
- Kollegen aufzusetzen, dazu bedürfte es weit größerer Selbstüberhebung,
- als ich sie besitze.
- Alle. Den Kranz aufs Haupt!
- Die hübsche Schauspielerin. Den Kranz aufs Haupt, Michailo
- Sjemjonowitsch!
- Zweiter Schauspieler. Das ist unsere Sache, hier richten wir, nicht Sie.
- Setzen Sie ihn bitte nur erst mal auf, dann wollen wir Ihnen schon
- sagen, weshalb wir Sie bekränzt haben. So ist's recht! Und nun hören
- Sie! Der Kranz gebührt Ihnen darum, weil Sie uns schon reichlich zwanzig
- Jahre angehören, ohne daß auch nur ein einziger unter uns sich jemals
- von Ihnen gekränkt gefühlt hätte; darum, weil Sie hingebender als wir
- alle ihre Pflicht getan und eben dadurch auch unseren Ehrgeiz geweckt
- haben, auf unserer Bahn nicht zu ermatten, wozu wir sonst schwerlich die
- Kraft gehabt hätten. Gibt es denn eine Macht, die stärker fortreißen
- könnte, als das anfeuernde Beispiel eines Kollegen? Und darum auch, weil
- Sie stets nicht nur an sich selbst gedacht, sich nicht nur Mühe gegeben
- haben, Ihre eigne Rolle gut zu spielen, sondern auch Sorge trugen, daß
- jeder andere die seine nicht verderbe, keinem Ihren Rat versagt und
- keinen gering geachtet haben. Und endlich darum, weil Sie die Kunst so
- geliebt haben, wie niemals einer von uns übrigen. Nun wissen Sie, warum
- wir einmütig Ihnen jetzt diesen Kranz widmen.
- Erster Schauspieler (mit Rührung). Nein, liebe Kollegen, so war es
- nicht, wiewohl ich wünschte, es wäre so gewesen.
- (Es erscheinen Fjodor Fjodorowitsch, Sjemjon Sjemjonowitsch,
- Pjotr Pjetrowitsch und Nikolai Nikolajewitsch.)
- Fjodor Fjodorowitsch (den ersten Schauspieler lebhaft umarmend).
- Michailo Sjemjonowitsch, ich bin außer mir, weiß gar nicht, was ich zu
- Ihrem Spiel sagen soll: so schön haben Sie noch nie gespielt!
- Pjotr Pjetrowitsch. Ohne alle Schmeichelei, Michailo Sjemjonowitsch,
- aber ich muß aufrichtig bekennen: ich habe niemals -- trotzdem ich, wie
- ich ohne mich zu brüsten sagen darf, alle erstrangigen Theater Europas
- besucht und die vorzüglichsten Schauspieler gesehen habe -- niemals habe
- ich ein ähnlich vollkommenes Spiel gesehen, nein niemals, ohne alle
- Schmeichelei!
- Sjemjon Sjemjonowitsch. Michailo Sjemjonowitsch! ... (außerstande, sich
- in Worten auszudrücken, mit einer Handbewegung). Sie sind der reine
- Dämon!
- Nikolai Nikolajewitsch. So vorzüglich, so restlos vollkommen, so
- verständnisvoll und mit so tiefer Auffassung seine Rolle spielen --
- nein, das geht über eine einfache Darstellung hinaus, das ist eine
- zweite Gestaltung, ist eine Neuschöpfung!
- Fjodor Fjodorowitsch. Die vollendete Kunst hat ihren Kranz erhalten!
- Hier endlich begreift man die Hoheit der Kunst. Was hat denn z. B. die
- Persönlichkeit, die Sie eben darstellten, sonst reizvolles an sich?
- Ist's möglich, dem Zuschauer durch Verkörperung irgendeines beliebigen
- Schurken Genuß zu bereiten? Ihnen ist das gelungen. Ich habe geweint,
- nicht aus Teilnahme für das Schicksal dieses Menschen, sondern weil ich
- hingerissen war. Mir wurde hell und leicht ums Herz, und zwar deshalb,
- weil Sie alle Züge dieses verderbten Charakters ans Licht brachten, weil
- Sie klar erkennen ließen, was so ein Schurke bedeutet.
- Pjotr Pjetrowitsch. Gestatten Sie mir immerhin, um ganz abzusehen von
- der meisterhaften Darstellung des Stückes, dergleichen ich aufrichtig
- gestanden noch nie gesehen habe -- und ich bin doch, ohne Rühmens
- gesagt, in den besten Theatern gewesen -- ich weiß auch nicht einmal,
- wem der Autor mehr zu Dank verpflichtet ist: Ihnen, meine Herrschaften,
- oder unserer Theaterleitung; wahrscheinlich aber beiden zugleich, denn
- eine derartige Aufführung hebt jedes Stück (ich bitte meine Worte nicht
- als leere Schmeichelei aufzufassen!). Immerhin also gestatten Sie mir,
- wenn wir von alldem absehen, eine Bemerkung über das Stück selbst zu
- machen, dieselbe Bemerkung, die sich mir schon vor zehn Jahren, bei
- Gelegenheit der ersten Aufführung aufdrängte: ich vermag nämlich im
- »Revisor«, auch wenn er so vortrefflich wie jetzt gespielt wird, nicht
- den geringsten Nutzen für die Allgemeinheit zu erkennen, so daß man
- sagen dürfte, das Stück sei für sie unentbehrlich.
- Sjemjon Sjemjonowitsch. Ich meinesteils halte es sogar für schädlich; es
- wird darin unsere Entwürdigung geschildert. Ich kann nicht glauben, daß
- derjenige, der es schrieb, sein Vaterland liebt. Überdies: welche
- Nichtachtung, welche Rücksichtslosigkeit offenbaren sich darin! Ich
- fasse es überhaupt nicht, wie man wagen kann, allen ins Gesicht zu
- sagen: »was lacht ihr? Ihr lacht über euch selber!«
- Fjodor Fjodorowitsch. Aber Sjemjon Sjemjonowitsch, lieber Freund, du
- vergißt ja ganz, daß das nicht der Autor, sondern der Polizeimeister
- sagt, der aufgebrachte, zornige Schurke, der natürlich wütend ist, weil
- man über ihn lacht.
- Pjotr Pjetrowitsch. Fjodor Fjodorowitsch, dagegen wäre doch einzuwenden,
- daß gerade diese Worte eine befremdende Wirkung taten, und daß
- sicherlich sehr viele Zuschauer den Eindruck gehabt haben, als richte
- der Autor jene Worte: »Was lacht ihr? Ihr lacht über euch selber!«
- ausdrücklich an sie. Ich sage das -- meine Herrschaften, Sie werden
- meine Worte nicht so auffassen, als ob ich dem Autor persönlich
- übelwollte, oder voreingenommen gegen ihn wäre, oder ... kurz, als ob
- ich irgend etwas gegen ihn hätte, verstehen Sie mich recht; nein, ich
- gebe lediglich meinem eigenen Empfinden Ausdruck; mir kam es aber
- wirklich so vor, als ob in diesem Augenblick ein Mensch vor mir stünde,
- der sich über alles an uns lustig macht, über unsre Eigenschaften, unsre
- Sitten und Gewohnheiten; und, indem er uns zwingt, selber über all dies
- zu lachen, uns ins Gesicht sagt: »ihr lacht über euch selber!«
- Erster Schauspieler. Erlauben Sie mir hier ein Wort einzuschalten. Das
- hat sich ganz unwillkürlich so ergeben: in einem an sich selbst
- gerichteten Monologe pflegt sich der Schauspieler gewöhnlich dem
- Publikum zuzuwenden. Obwohl nun der Polizeimeister halb bewußtlos und
- dem Wahnsinn nahe ist, muß er doch erkennen, wie überaus lächerlich er
- sich durch seine ohnmächtigen Drohungen gegen Chlestakóff macht, der zur
- selben Zeit im Postwagen über Stock und Stein auf Nimmerwiedersehen
- davonjagt. Mag man dem immerhin die Deutung geben, von der Sie reden:
- dem Autor jedenfalls hat jede derartige Absicht ferngelegen; ich sage
- Ihnen das deshalb, weil ich ein kleines Geheimnis dieses Stückes kenne.
- Gestatten Sie mir übrigens eine Gegenfrage: was wäre denn, wenn der
- Autor wirklich die Absicht gehabt hätte, dem Zuschauer begreiflich zu
- machen, daß er über sich selber lacht?
- Sjemjon Sjemjonowitsch. Danke für das Kompliment! Ich für mein Teil
- vermag nichts an mir zu entdecken, was ich mit den im »Revisor«
- geschilderten Personen gemein hätte. Verzeihen Sie! Ich will mich gewiß
- nicht rühmen, ohne Fehler zu sein, wie das ja auch sonst kein Mensch
- kann, aber jenen Leuten gleiche ich doch nicht. Das fehlte noch gerade!
- Im Motto heißt es: »Den Spiegel soll nicht schelten, wer eine Fratze
- hat.« Pjotr Pjetrowitsch, ich frage dich: habe ich eine Fratze? Und
- dich, Nikolai Nikolajewitsch, frage ich: habe ich eine Fratze? (Sich an
- die übrigen wendend.) Meine Herrschaften, ich frage Sie alle: habe ich
- etwa eine Fratze?
- Fjodor Fjodorowitsch. Aber, Sjemjon Sjemjonowitsch, lieber Freund, du
- stellst wunderliche Fragen. Ein Ausbund von Schönheit bist du freilich
- nicht, wie ja auch wir allesamt Sünder sind. Man kann wirklich nicht so
- ohne weiteres behaupten, daß dein Gesicht die Vollkommenheit selber
- wäre; wie man es sich auch betrachtet, ein wenig schief ist es doch;
- nun, und was schief ist, ist schließlich auch eine Fratze.
- Pjotr Pjetrowitsch. Aber meine Herren, Sie kommen ja ganz vom Thema ab!
- Das ist doch jedermanns eigene Gewissenssache; und wir amüsieren uns
- darüber zu streiten, wer eine Fratze hat, und wer nicht. Die eigentliche
- Frage war aber doch, um wieder darauf zurückzukommen: ich sehe in dieser
- Komödie nichts von Vernunft, ich sehe nichts von einem Zweck darin,
- wenigstens geht aus dem Werke selbst nichts dergleichen hervor.
- Nikolai Nikolajewitsch. Ja, was wollen Sie denn noch für einen Zweck,
- Pjotr Pjetrowitsch? Die Kunst trägt doch ihren Zweck in sich selbst; das
- Streben nach dem Schönen und Erhabenen, das ist Kunst; das ist das
- unverbrüchliche Gesetz der Kunst, und ohne dies ist Kunst nicht Kunst.
- Und darum kann sie in keinem Falle unmoralisch sein. Sie strebt durchaus
- zum Guten, positiv oder negativ, ob sie uns nun das Edelste darstellt,
- was der Mensch besitzt, oder sich über die Häßlichkeit seiner Laster
- lustig macht. Wenn man alles Schlechte zur Schau stellt, was im Menschen
- steckt, und so kraß darstellt, daß jeder Zuschauer tiefen Abscheu davor
- empfindet, dann frage ich: Ist das nicht eine Verherrlichung alles
- Edlen? Nicht eine Verherrlichung der Tugend?
- Pjotr Pjetrowitsch. Unstreitig, Nikolai Nikolajewitsch, doch möchte ich
- trotzdem ....
- Nikolai Nikolajewitsch (fortfahrend). Nicht das ist schlimm, daß man uns
- im Sünder die Sünde zeigt, so daß wir erkennen, wie schlecht sie ist,
- sondern schlimm ist, wenn sie so dargestellt wird, daß man nicht weiß,
- auf welche Seite man sich stellen soll; schlimm endlich, daß uns die
- Tugend in einer Weise gezeigt wird, daß man in ihr nichts mehr von
- Tugend erkennt.
- Erster Schauspieler. Wahr und schön gesprochen, Nikolai Nikolajewitsch!
- Sie haben ausgesprochen, was von jeher meine Überzeugung war, nur daß
- ich selbst es nie so treffend formulieren konnte. Ja, das ist das
- Schlimme, daß man in der Tugend die Tugend nicht mehr erkennt. Dies Übel
- kommt aber von all den modernen Dramen her, mit denen wir das Publikum
- unterhalten müssen. Der Zuschauer verläßt das Theater, ohne sich
- Rechenschaft geben zu können, was er denn eigentlich gesehen hat, ob ein
- böser oder ein guter Mensch vor ihm stand; er leitete ihn nicht zur
- Tugend, er hielt ihn nicht vor dem Laster zurück, und so bleibt er wie
- in einem Traum befangen, ohne aus dem, was er gesehen, eine brauchbare
- Richtschnur fürs Leben gewinnen zu können, ja sogar irre gemacht auf dem
- Wege, den er bisher gegangen, und bereit, dem ersten besten zu folgen,
- der ihn abseits führt, ohne zu fragen wohin und warum.
- Fjodor Fjodorowitsch. Fügen Sie noch hinzu, Michailo Sjemjonowitsch,
- welche Überwindung es einen Schauspieler kosten muß, eine derartige
- Rolle zu spielen, sofern er ein echter, wahrer Künstler ist.
- Erster Schauspieler. Sprechen Sie nicht davon, Ihre Worte treffen mich
- mitten ins Herz. Sie können gar nicht ermessen, wie bitter das manchmal
- ist. Man lernt, man studiert seine Rolle, und weiß doch selber nicht,
- wie man sie verkörpern soll. Dann vergißt man sich mitunter, versetzt
- sich in die Lage der darzustellenden Person, erhitzt sich, erschüttert
- die Zuschauer -- und wenn man sich schließlich besinnt, wodurch man das
- erreicht hat, wird man uneins mit sich selbst: man möchte in die Erde
- versinken, und glüht beim Applaus wie vor eigener Scham. Ja, ich vermag
- nicht zu entscheiden, was verwerflicher ist: die Niedertracht so
- darzustellen, daß es den Zuschauer mit ihr zu sympathisieren gelüstet,
- oder das Walten der Tugend so wenig zur Erscheinung kommen zu lassen,
- daß jener gar nicht den Wunsch fühlt, ihr zu folgen. Eines wie das
- andere ist meiner Meinung nach -- Fäulnis, aber keine Kunst. Nikolai
- Nikolajewitsch hat weise gesprochen: schlimm ist's, wenn man in der
- Tugend die Tugend nicht erkennt.
- Zweiter Schauspieler. Wahr, sehr wahr; schlimm, wenn man in der Tugend
- die Tugend nicht erkennt.
- Pjotr Pjetrowitsch. Dagegen habe ich ganz und gar nichts einzuwenden.
- Nikolai Nikolajewitsch hat weise gesprochen, und Michailo Sjemjonowitsch
- hat es noch weiter ausgeführt. Jedoch ist all dies keine Antwort auf
- meine Frage. Das, was Sie eben ausgesprochen haben, nämlich: daß die
- Tugend mit einer magischen Kraft dargestellt werden solle, fähig, nicht
- nur den guten, sondern auch den schlechten Menschen an sich zu ziehen,
- und andererseits das Laster in so durchsichtiger Weise, daß der
- Zuschauer nicht nur keine Neigung spürt, mit den dargestellten Personen
- zu sympathisieren, sondern umgekehrt den lebhaften Wunsch fühlt, sie
- weit von sich zu stoßen, -- all dies, Nikolai Nikolajewitsch, muß
- selbstverständlich die absolute Vorbedingung jedes Dichterwerkes sein;
- um von Zweck schon gar nicht zu reden. Jedes Dichterwerk aber muß
- darüber hinaus noch Sinn und Bedeutung selbständiger Art besitzen,
- Nikolai Nikolajewitsch, sonst geht seine Originalität verloren, sehen
- Sie das wohl ein? Deshalb kann ich im »Revisor« nicht die große
- Bedeutung erkennen, die andere ihm beimessen. Es ist notwendig, daß
- volle Klarheit darüber herrsche, warum solch ein Werk unternommen wurde,
- speziell was es bezweckt, worauf es zielt und was es neues durch sich
- sagen will. Darum handelt es sich, Nikolai Nikolajewitsch, und nicht um
- das, was Sie im allgemeinen über Kunst sagen.
- Nikolai Nikolajewitsch. Aber wozu denn erst fragen, was es bezweckt? Das
- liegt doch auf der Hand.
- Pjotr Pjetrowitsch. Nein, Nikolai Nikolajewitsch, das liegt keineswegs
- auf der Hand. Ich kann in dieser Komödie keinen besonderen Zweck
- erkennen, es sei denn, der Autor hätte ihn absichtlich verhüllt. Dann
- aber bedeutet das eine Verletzung des Kunstprinzips, was Sie auch
- dagegen einwenden mögen. Betrachten wir diese Komödie doch mal genauer:
- der »Revisor« bringt doch gewiß nicht die Wirkung hervor, daß die
- Zuschauer sich hinterher erhoben fühlen; im Gegenteil, ich denke, Sie
- wissen es selber, daß die einen zwecklos beunruhigt, andere sogar
- erbittert wurden, und alle samt und sonders ein drückendes Unbehagen mit
- nach Haus nahmen. Wenn wir absehen vom Vergnügen, das die geschickt
- erfundenen Szenen bereiten, von der komischen Situation vieler Personen,
- von der gewiß meisterhaften Zeichnung einzelner Charaktere absehen, so
- bleibt doch in Summa so etwas -- ich kann das gar nicht einmal klar
- bezeichnen -- so etwas unnatürlich Düsteres, so etwas wie Schrecken über
- unsere Sittenlosigkeit zurück. Gerade das Erscheinen des Gendarmen, der
- wie eine Art Henker in die Tür tritt, dies Versteinern, welches sich in
- allen Gesichtern ausprägt, während er das Eintreffen des wahren Revisors
- ankündigt, der sie alle zerschmettern, vernichten, vom Erdboden
- vertilgen soll, -- all dies ist unerhört schreckhaft! Ich bekenne Ihnen
- ganz aufrichtig, _à la lettre_, daß mir keine einzige Tragödie jemals
- eine so trübe, drückende, trostlose Stimmung verursacht hat; weshalb ich
- sogar argwöhne, der Autor habe durch die letzte Szene seiner Komödie
- absichtlich diese Wirkung hervorbringen wollen. Es ist ausgeschlossen,
- daß das durch bloßen Zufall zustande gekommen sein sollte.
- Erster Schauspieler. Da sind Sie also doch endlich bei dieser Frage
- angelangt. Der »Revisor« wird nun schon an die zehn Jahr auf den Bühnen
- dargestellt; mehr oder minder haben alle an der niederdrückenden
- Wirkung, die er auf sie ausübte, Anstoß genommen; und dennoch hat sich
- niemand die Frage vorgelegt: weshalb mußte diese Wirkung erzielt werden?
- Als wenn der Autor seine Komödie nur so aufs Geratewohl geschrieben
- haben sollte, ohne überhaupt daran zu denken, wozu sie nützen und welche
- Folgen sie haben könnte. Gestehen Sie ihm doch wenigstens dieses
- Quentchen Verstand zu, das Sie sonst keinem Menschen absprechen; jede
- Tat hat doch schließlich einen Beweggrund, selbst bei unvernünftigen
- Leuten.
- (Alle sehen ihn erstaunt an.)
- Pjotr Pjetrowitsch. Erklären Sie sich genauer, Michailo Sjemjonowitsch,
- das ist nicht ganz verständlich.
- Sjemjon Sjemjonowitsch. Sie scheinen uns Rätsel aufgeben zu wollen.
- Erster Schauspieler. Ja, ist Ihnen denn wirklich gar nicht aufgefallen,
- daß der »Revisor« keinen Schluß hat?
- Nikolai Nikolajewitsch. Wieso keinen Schluß?
- Sjemjon Sjemjonowitsch. Was denn noch für einen Schluß? Fünf Akte sind
- doch da, auf sechs bringt es keine Komödie. Soll etwa noch ein weiterer
- Skandal nachfolgen?
- Pjotr Pjetrowitsch. In der Tat, Michailo Sjemjonowitsch, was wäre denn
- das für eine Art Stück, wenn es keinen Schluß hätte? Ist das etwa auch
- eine Kunstregel, Nikolai Nikolajewitsch? Das kommt mir wirklich so vor,
- als wenn man vor uns alle ein verschlossenes Kästchen hinstellen und
- fragen wollte, was darin sei.
- Erster Schauspieler. Und wenn es nun tatsächlich zu dem Zweck
- hingestellt wäre, damit Sie sich selber bemühen, es zu öffnen?
- Pjotr Pjetrowitsch. Dann muß einem das wenigstens gesagt, oder gleich
- der Schlüssel in die Hand gegeben werden.
- Erster Schauspieler. Aber wenn der Schlüssel nun doch daliegt, neben dem
- Kästchen liegt?
- Nikolai Nikolajewitsch. Sprechen Sie doch nicht weiter in Rätseln! Sie
- haben von irgend etwas Kenntnis. Sicherlich hat Ihnen der Autor den
- Schlüssel an die Hand gegeben, und Sie halten ihn fest und spielen den
- Geheimnisvollen.
- Fjodor Fjodorowitsch. Erklären Sie sich, Michailo Sjemjonowitsch; es
- interessiert mich allen Ernstes zu erfahren, was dahinter stecken mag!
- Mit meinen Augen sehe ich nichts.
- Sjemjon Sjemjonowitsch. So öffnen Sie uns doch das rätselhafte Kästchen!
- Was ist's mit diesem seltsamen Ding, das uns geheimnisvoll gebracht,
- geheimnisvoll vor uns aufgestellt und geheimnisvoll vor uns verschlossen
- gehalten wird?
- Erster Schauspieler. Und was dann, wenn es sich so öffnet, daß Sie sich
- wundern müßten, es nicht selber haben öffnen zu können? Wenn dann etwas
- darin liegt, was manchem als wertloser Groschen, anderen aber als
- blanker Dukaten gilt, von dauerndem Wert, wie auch seine Prägung sich
- verändern möge?
- Nikolai Nikolajewitsch. Jetzt genug mit Ihren Rätseln! Geben Sie uns
- ohne Umschweife den Schlüssel!
- Sjemjon Sjemjonowitsch. Den Schlüssel, Michailo Sjemjonowitsch!
- Fjodor Fjodorowitsch. Den Schlüssel!
- Pjotr Pjetrowitsch. Den Schlüssel!
- Alle Schauspieler und Schauspielerinnen. Michailo Sjemjonowitsch, den
- Schlüssel!
- Erster Schauspieler. Den Schlüssel? Werden Sie ihn auch annehmen, meine
- Herrschaften? Ihn nicht vielleicht mitsamt dem Kästchen fortschleudern?
- Nikolai Nikolajewitsch. Den Schlüssel! Weiter wollen wir nichts hören.
- Den Schlüssel!
- Alle. Den Schlüssel!
- Erster Schauspieler. Gut also, ich will Ihnen den Schlüssel geben.
- Möglicherweise sind Sie nicht gewohnt, aus dem Munde eines Komikers
- derartige Worte zu vernehmen; doch einerlei, heut glüht meine Seele, ich
- fühle mich leicht und frei, und will darum alles aussprechen, was ich
- auf dem Herzen habe, wie Sie auch immer meine Worte aufnehmen mögen.
- Nein, meine Herrschaften, der Autor hat mir den Schlüssel nicht
- anvertraut, aber es gibt Momente der Seelenstimmung, wo man plötzlich
- erkennt, was vordem unbegreiflich war. Ich fand diesen Schlüssel und
- mein Herz sagt mir, daß es der rechte sei; das Kästchen tat sich vor mir
- auf, und meine Seele sagt mir, daß der Autor selber nichts anderes
- gemeint haben könne.
- Schauen Sie einmal genau in jene Stadt hinein, die im Stück geschildert
- wird! Alle ohne Ausnahme sind überzeugt, daß es eine solche Stadt in
- ganz Rußland nicht gibt; man hat nirgendwo bei uns von einem Orte
- gehört, in dem sämtliche Beamten solche Schurken wären; immer sind doch
- wenigstens zwei bis drei ehrenhafte darunter. Hier aber kein einziger.
- Mit einem Wort, solch eine Stadt existiert nicht, nicht wahr? Wie aber
- nun, wenn dies vielmehr unsere eigene Seelenstadt wäre, die sich in
- einem jeden von uns befindet? Nein, lassen Sie uns nicht mit irdischen
- Augen auf uns schauen -- denn kein irdisches Wesen wird dereinst über
- uns zu Gericht sitzen, -- versuchen wir doch einmal mit den Augen dessen
- auf uns zu schauen, der von allen Menschen Rechenschaft fordern wird,
- vor dem auch die besten unter uns, beherzigen sie das, vor Scham die
- Blicke zu Boden senken werden, und dann wollen wir einmal sehen, ob noch
- ein einziger den Mut haben wird zu fragen: »habe ich denn eine Fratze?«
- Ob er nicht vielmehr über seine eigene Verworfenheit dann ebenso
- erschrecken wird, wie er über die Verworfenheit aller jener Beamten
- erschrak, die er vorhin im Stück sah. Nein, Pjotr Pjetrowitsch, nein,
- Sjemjon Sjemjonowitsch, sagen Sie mir nicht: »das ist alter Kram« oder
- »das wissen wir längst!« Lassen Sie auch mich einmal reden. Bin ich denn
- etwa bloß zum Spaßmachen da? Dinge, die uns zu dem Zweck gegeben sind,
- damit wir ewig an sie denken sollen, darf man nicht alt heißen: wie
- etwas Neues sollen wir sie aufnehmen, gleich als hörten wir sie zum
- erstenmal, ohne Ansehung dessen, der sie ausspricht, sei er wer er sei.
- Nein, Sjemjon Sjemjonowitsch, nicht um unsere Vortrefflichkeit darf es
- sich handeln, sondern um die Sorge, daß unser Leben, welches wir für
- eine Komödie anzusehen uns gewöhnt hatten, nicht auch so tragisch ende,
- wie die Komödie, die wir vorhin gespielt haben. Man sage was man will,
- furchtbar aber ist jener Revisor, der uns an den Pforten des Grabes
- erwartet. Und Sie wüßten nicht, wer dieser Revisor ist? Wozu die
- Verstellung? Dieser Revisor ist unser erwachendes Gewissen, das uns
- jählings zwingt, uns mit scharfem Auge selbst zu betrachten. Vor diesem
- Revisor wird nichts verborgen bleiben, weil er in Sendung des
- Allerhöchsten kommt und gerade in dem Augenblicke gemeldet wird, wo es
- keinen Schritt zurück mehr gibt. Dann wird sich vor uns, wird sich in
- unserm eignen Innern ein solches Gräuel enthüllen, daß sich vor
- Schrecken unser Haar sträuben wird. Darum ist es besser eine Revision
- von alle dem, was in uns ist, im Anfang des Lebens vorzunehmen, und
- nicht erst am Schlusse; besser, statt schalen Selbstlobs und schaler
- Selbstbeschönigungen schon jetzt in diese unsaubere Seelenstadt
- einzutreten, die oftmals verwahrloster als jede andere Stadt ist, und in
- der unsere Leidenschaften wie verworfene Beamte hausen, die den Schatz
- unsrer eigenen Seele bestehlen. Am Anfang des Lebens soll man einen
- Revisor nehmen und Hand in Hand mit ihm alles durchprüfen, was in uns
- ist, -- einen wirklichen Revisor, keinen falschen, keinen Chlestakóff!
- Chlestakóff ist ein Windbeutel, Chlestakóff ist das leichtfertige
- irdische Gewissen, das feile, betrügerische Gewissen; ein Chlestakóff
- wird von den in unsrer Seele hausenden Leidenschaften sofort bestochen;
- an seiner Hand werden wir in unserer Seele nichts entdecken. Sehen Sie
- doch, wie sich jeder Beamte im Gespräch mit ihm geschickt herauswindet,
- rechtfertigt und fast wie ein Heiliger davongeht. Bedenken Sie, ist
- nicht jede unserer Leidenschaften noch viel schlauer als diese
- schurkischen Beamten? Die Leidenschaften nicht nur, nein sogar jede
- beliebige gleichgültige, platte Gewohnheit? Sie weiß sich uns so
- geschickt zu entwinden und zu rechtfertigen, daß man sie geradezu für
- eine Tugend hält, sich vor seinem Nächsten noch brüstet und spricht:
- »sieh, wie herrlich meine Stadt ist, wie alles darin so ordentlich und
- sauber ist!« Heuchler sind unsere Leidenschaften, Heuchler, sage ich
- Ihnen, denn ich habe für mich selbst mit ihnen zu schaffen gehabt. Nein,
- mit dem leichtfertigen irdischen Gewissen entdeckt man in sich nichts
- davon: dies wird von jenen, und jene werden von diesem geprellt, wie die
- Beamten von Chlestakóff, und schließlich verflüchtigt es sich auf
- Nimmerwiedersehen. Und man steht dann da wie der Dummkopf
- Polizeimeister, der schon wer weiß wie hoch hinauswollte, sich schon
- General träumte, ganz zuversichtlich verkündete, er werde in der
- Residenz der Erste sein, den anderen bereits Ämter und Würden versprach,
- und dann doch plötzlich wahrnehmen muß, daß er komplett betrogen und
- übertölpelt worden ist von einem Bürschchen, einem Schlingel, einem
- Windbeutel, der nicht die geringste Ähnlichkeit mit einem wirklichen
- Revisor besessen hatte. Nein, Pjotr Pjetrowitsch, nein, Sjemjon
- Sjemjonowitsch, nein, meine Herrschaften, alle, alle, die ihr solcher
- Anschauung sein mögt, entschlagt auch dieses weltlichen Gewissens! Laßt
- uns nicht mit Chlestakóff, sondern mit dem wirklichen Revisor auf uns
- schauen. Ich versichere euch, unsere Seelenstadt ist es wert, daß für
- sie so von uns gesorgt werde, wie ein gewissenhafter Herrscher für sein
- Reich sorgt. Mit Ernst und Strenge, wie er aus seinen Landen die
- Bestechlichen entfernt, so laßt uns die bestechlichen Elemente aus
- unsrer eigenen Seele vertreiben! Ein Mittel, eine Geißel gibt es, womit
- man sie austreiben kann: mit dem Lachen, meine werten Landsleute! Mit
- dem Lachen, das all' unsre niederen Leidenschaften so fürchten, dem
- Lachen, das uns geschenkt ist, um über alles, was die echte Schönheit
- des Menschen entstellt, lachen zu können. Geben wir doch dem Lachen
- seine wahre Bedeutung wieder! Entreißen wir es denen, die es erniedrigt
- haben zu einem leichtfertigen, weltlichen Gespött über alles, ohne
- Unterschied zwischen Gut und Böse. In derselben Weise, wie wir über die
- Verderbtheit anderer gelacht haben, laßt uns hochherzig lachen über die
- eigenen Schwächen, welcher Art sie auch sein mögen! Laßt uns nicht nur
- diese eine Komödie, sondern alles, was aus der Feder jedes beliebigen
- Schriftstellers kommt, der Laster und Niedrigkeit lachend an den Pranger
- stellt, so auf uns selbst beziehen, als wenn es lediglich für uns
- geschrieben wäre: alles werden wir in uns aufspüren, sofern wir unsere
- Seele nur nicht mit einem Chlestakóff, sondern mit dem wirklichen und
- unbestechlichen Revisor betreten. Und nicht wollen wir uns irre machen
- lassen, wenn so ein aufgebrachter Polizeimeister oder richtiger: der
- böse Geist selber uns zuraunt: »Warum lacht ihr? Ihr lacht über euch
- selbst!« Stolz wollen wir ihm dann entgegnen: »Jawohl, wir lachen über
- uns selbst, weil wir die Stimme unseres edlen russischen Wesens
- vernehmen, weil wir den Befehl des Höchsten vernehmen, der uns gebietet,
- besser zu werden als die übrigen!« Meine lieben Landsleute, seht, in
- meinen Adern fließt dasselbe russische Blut wie in den euren. Schaut
- her: ich weine! Ich, der Komiker, der euch noch eben belustigt hat, ich
- weine jetzt. Gönnt mir das Bewußtsein, daß auch mein Lebensweg so
- ehrenhaft ist, wie der eines jeden von euch, daß auch ich meinem
- Vaterlande so ehrlich diene, wie ihr andern alle, daß ich kein
- beliebiger Possenreißer bin, geschaffen zur Kurzweil der gedankenlosen
- Menge, sondern ein treuer Beamter des großen Gottesreiches; und daß ich
- ein Lachen in euch erweckt habe -- nicht das sündhafte, mit dem ein
- Mensch den andern verspottet, und das die nichtige Leere des Müßiggangs
- gebiert, -- sondern jenes Lachen, welches aus der Nächstenliebe quillt.
- Einträchtig wollen wir aller Welt beweisen, daß in russischen Landen
- alles, was da lebt, klein und groß, bemüht ist, dem zu dienen, dem man
- auf Erden dienen soll, und (nach oben blickend) nach dorthin aufwärts
- strebt zur höchsten, ewigen Schönheit.
- VII.
- Nachtrag
- zur »Deutung des Revisors«.
- Sjemjon Sjemjonowitsch. Was bedeutet das, Michailo Michailowitsch, von
- was für einer Seelenstadt reden Sie?
- Michailo Michailowitsch. Es war eine Eingebung. Mir schien, es sei dies
- meine eigene Seelenstadt, und die letzte Szene stelle die letzte Szene
- des Lebens vor, wo das Gewissen einen plötzlich zwingt, sich selbst
- scharf zu betrachten und vor sich selber zu erschrecken. Mir schien, als
- sei dieser wirkliche Revisor, dessen bloße Ankündigung am Schluß der
- Komödie solchen Schrecken hervorruft, unser wahres Gewissen, welches uns
- an der Pforte des Grabes entgegentritt; und dieser Windbeutel
- Chlestakóff, dieser Schelm, oder wie Sie ihn sonst nennen wollen, sei
- unser falsches weltliches Gewissen, das, indem es sich unsern Schrecken
- zunutze macht, unversehens die Maske des wahren annimmt und sich von
- unseren Leidenschaften bestechen läßt, wie Chlestakóff von den Beamten,
- um dann wie dieser spurlos zu verschwinden. Mir schien, als träte jener
- trostlos niederdrückende Schluß, der die Zuschauer so betrübt und
- erschüttert hat, mit der Mahnung vor mich hin, daß auch das Leben, das
- wir gewöhnlich als eine Komödie betrachten, einen solch
- düster-tragischen Abschluß haben könne. Mir schien, als lehre der
- gesamte Inhalt der Komödie, daß man die Pflicht habe, zu Anfang jenen
- Revisor zu nehmen, der uns am Schluß entgegentritt, um an seiner Hand
- die eigene Seele genau so durchzuprüfen, wie ein gerechter Herrscher
- sein Reich revidiert, und daß man sich ebenso gegen die eigenen
- Leidenschaften wappnen müsse, wie sich ein solcher gegen bestechliche
- Beamte wappnet; und zwar darum, weil jene ebenso rücksichtslos die
- Schätze unserer Seele bestehlen, wie diese die Kassen und das Vermögen
- des Staates. Mit dem echten Revisor soll man es tun, weil unsere
- heuchlerischen Leidenschaften, und nicht nur sie allein, sondern jede
- geringste alberne Gewohnheit so schlau uns beizukommen, sich so
- geschickt vor uns zu beschönigen versteht, wie nur irgend die
- schurkischen Beamten vor Chlestakóff, so daß man drauf und dran ist, sie
- für Tugenden zu halten und sich der Ordnung in der eigenen Seelenstadt
- zu rühmen, ohne auch nur im entferntesten zu argwöhnen, daß man
- hinterher der Betrogene sein könne, gleichwie der Polizeimeister. So kam
- es mir vor.
- Pjotr Pjetrowitsch. Michailo Michailowitsch, all das ist schön
- gesprochen; wo aber fanden Sie hier die Ähnlichkeit? Was für eine
- Beziehung besteht denn zwischen Chlestakóff und dem leichtfertigen
- weltlichen Gewissen, oder zwischen dem echten Revisor und dem echten
- Gewissen? Nikolai Nikolajewitsch, sagen Sie mir offen: finden Sie hier
- irgendwelche Analogie?
- Nikolai Nikolajewitsch. Nicht die geringste.
- Sjemjon Sjemjonowitsch. Auch ich nicht; wie weit ich auch die Augen
- aufsperre, ich sehe nichts davon.
- Fjodor Fjodorowitsch. Ich muß Ihnen aufrichtig gestehen, Michailo
- Michailowitsch, obgleich der Gedanke nicht übel ist und einer
- künstlerischen Arbeit sehr wohl als Thema dienen könnte, daß ich dennoch
- nicht glauben kann, der Autor habe ihn im Sinn gehabt.
- Nikolai Nikolajewitsch (bestimmt). Unsinn! er ist ihm nicht einmal
- eingefallen!
- Michailo Michailowitsch. Ja, habe ich denn etwa behauptet, daß der Autor
- ihn im Sinne gehabt hat? Ich erklärte Ihnen doch vorhin schon: »Der
- Autor gab mir den Schlüssel nicht, ich biete Ihnen dafür den meinen.«
- Selbst wenn er diesen Gedanken gehabt hätte, würde er doch in einem
- solchen Falle unklug gehandelt haben, wenn er ihn deutlich erkennen
- ließe. Dann wäre die Komödie auf eine Allegorie hinausgelaufen, hätte
- sich in eine dürre, moralisierende Predigt verwandelt. Nein, seine Sache
- war es vielmehr, lediglich den Abscheu vor tatsächlichen Mißständen,
- nicht solchen in einer ideellen Stadt, sondern in einer realen,
- irdischen, zur Darstellung zu bringen, und alles Schlechte unserer
- Heimat so zusammenzufassen, daß man es sofort als solches erkennt und
- nicht etwa für das unvermeidliche Übel hält, welches ebenso
- unausweichlich zwischen das Gute gemengt ist, wie die Schatten auf einem
- Gemälde. Seine Pflicht war es, diese Schatten so schwarz zu malen, daß
- ein jeder fühlen soll, es müsse dagegen angekämpft werden; daß den
- Zuschauer Schrecken erfaßt und ihm der Schauder durch Mark und Bein
- geht. Das war seine Pflicht. Unsere Pflicht aber ist es, die Moral
- daraus zu ziehen. Wir sind Gott sei Dank keine Kinder mehr. Ich habe
- darüber nachgesonnen, was für eine Moral ich für mich selbst daraus
- ziehen könnte, und bin auf jene verfallen, die ich Ihnen soeben
- mitgeteilt habe.
- Pjotr Pjetrowitsch. Michailo Michailowitsch! Eine Komödie wird für alle
- geschrieben; es soll jedermann die Moral daraus ziehen können, eine
- Moral, die naheliegt und allen erreichbar ist, nicht aber so fern liegen
- darf, daß höchstens ein ungewöhnlich begabter Mensch sie für sich allein
- finden kann. Warum, frage ich, hat niemand außer Ihnen diese Moral
- gefunden?
- Nikolai Nikolajewitsch. Sehr richtig, das ist der springende Punkt!
- Erklären Sie erst einmal, weshalb nur Sie, und nicht auch alle anderen
- sie gefunden haben?
- Sjemjon Sjemjonowitsch. Ja, Michailo Michailowitsch, weshalb haben Sie
- und nur Sie allein sie gefunden?
- Michailo Michailowitsch. Zunächst einmal: woher wissen Sie, daß nur ich
- allein diese Moral gefunden habe? Und ferner: aus welchem Grunde halten
- Sie sie für fernliegend? Ich meine doch, daß uns unsere Seele näher
- liegt, als alles andere. Ich hatte damals meine eigene Seele im Sinne,
- ich dachte an mich selbst, und darum eben zog ich diese Moral daraus.
- Hätten auch andere vor allem an sich selbst gedacht, dann hätten auch
- sie gewiß die gleiche Moral wie ich finden können. Dringt denn aber
- jeder von uns so tief in das Dichterwerk ein, wie die Biene in die
- Blüte? Um herauszusaugen, was man braucht? Nein: wir suchen in allem
- eine Moral für andere, nicht für uns; wir sind immer dabei, die
- Allgemeinheit zu behüten und zu bewahren, indem wir eifrigst für die
- Moralität anderer Leute Sorge tragen -- und unsere eigene vergessen.
- Machen wir uns doch gern über andere lustig, nicht aber über uns selbst;
- freuen uns, die Fehler der anderen zu bemerken, nicht aber die eigenen.
- Wie dem nun auch sein mag, schauen Sie doch aber mal hin: dreitausend
- Menschen kommen ins Theater; alle wissen, daß sie gekommen sind, um sich
- zu amüsieren und jeder von diesen dreitausend setzt voraus, er werde
- Gelegenheit finden, sich über andere lustig machen zu können, nicht aber
- über sich selbst. Die leiseste Andeutung, daß er selber vielleicht gar
- dem ähnele, über den er lachte, kann ihn erzürnen und er würde sofort
- wütend wiederholen: »habe ich denn eine Fratze?«
- Sjemjon Sjemjonowitsch. Michailo Michailowitsch, in diesem Sinne meine
- ich das nicht ...
- Michailo Michailowitsch (ihn unterbrechend). Gestatten Sie, Sjemjon
- Sjemjonowitsch! Sie, ein ehrenwerter Mann, mit echt russischem Herzen,
- ein Mensch, der mit wahrhaft christlichem Auge das Leben betrachtet, --
- warum sprechen Sie aus, was Ihrer eigenen Denkungsart widerstreitet? Vor
- allem, warum vergessen Sie jedesmal, daß das Thema der Komödie und
- überhaupt der Satire nicht das Tüchtige, sondern das Verächtliche im
- Menschen ist? Daß, je schwärzer sie das Laster schildert und je stärker
- sie den Zuschauer erbeben und vor ihm schaudern macht, sie desto
- vollkommener ihren Zweck erreicht? Warum vergessen Sie das jedesmal und
- weisen der Satire Motive zu, die vielmehr dem Bereiche der Tragödie
- gehören? Warum betrachten Sie nicht auch das Werk des Schriftstellers
- mit dem Auge des Christen? Nein, wer eine Moral haben will, wird sie für
- sich selbst auch finden; wer in seine eigene Seele schaut, wird von
- überallher nehmen, was er braucht: wird auch in dieser realen Stadt
- seine eigene Seelenstadt erkennen, wird erkennen, daß man sich mit aller
- Kraft gegen die Heuchelei wappnen muß. Nein, lassen Sie die Satire
- unbehelligt, sie tut ihre Schuldigkeit. Das Laster darf nirgendwo
- geschont werden, mag es zu Tage treten, wo es wolle. Wenn Sie aber schon
- christlich handeln wollen, dann beziehen Sie die Satire auf sich selbst,
- wenden Sie die Komödie auf sich selbst an, ehe Sie eine Beziehung auf
- die Allgemeinheit darin suchen. Will man wahrhaft christlich handeln,
- dann ist es Pflicht, jede Dichtung, in der das Laster gegeißelt wird,
- auf sich selbst zu beziehen, gleich als wäre Sie bloß unsertwegen
- verfaßt. Sie wissen es ja doch, daß wir keinen Fehler an anderen
- entdecken können, den wir nicht wenigstens als Reflex auch selber
- besäßen, -- in geringerem Maßstabe, anders geartet, in anderer
- Verkleidung, anständiger, liebenswürdiger und verbrämter als
- Chlestakoff. Einerlei was man sucht, wenn man in seine Seele nur mit
- jenem unbestechlichen Revisor hineinschaut, der unser an der Pforte des
- Grabes harrt! Wir wissen das sehr wohl, wollen es aber nicht wissen!
- Tagtäglich gestehen wir uns ein, daß unser Inneres von Leidenschaften
- wimmelt, aber austreiben wollen wir sie nicht. Und haben doch eine
- Peitsche in der Hand, um sie austreiben zu können.
- Sjemjon Sjemjonowitsch. Eine Peitsche? Welche Peitsche denn?
- Michailo Michailowitsch. Ist das Lachen etwa keine Peitsche? Oder meinen
- Sie, es wäre uns umsonst geschenkt, während doch selbst der verworfenste
- Mensch sich davor fürchtet? Fürchtet sich doch sogar derjenige davor,
- der sich sonst vor nichts fürchtet! Also ist es uns zu einem wichtigen
- Zwecke geschenkt. Und wozu? Meinen Sie etwa, um uns in oberflächlicher
- Weise zu amüsieren? Haben wir es aber zu dem Zwecke erhalten, um damit
- alles zu geißeln, was die edleren Eigenschaften des Menschen befleckt,
- warum geißeln wir dann nicht zuerst einmal das, was unsere eigene Seele
- verunziert? Warum verwenden wir es nicht gegen das eigene Innere,
- treiben nicht aus dem eigenen Lande die eigenen Schurken hinaus? Warum
- soll die leise Andeutung, daß wir über uns selbst lachen, uns Ärger
- verursachen? Sei dem wie ihm wolle, aber jede unserer Leidenschaften,
- jede unserer schlechten Gewohnheiten will immer eine möglichst vornehme
- Rolle spielen und äußerlich vornehm scheinen, und schleicht sich
- lediglich unter dieser Maske in unsere Seele ein, die, weil von edlerer
- Natur, jene in ihrer schmutzigen Nacktheit sonst zurückweisen würde.
- Aber glauben Sie mir, würden wir sie vor uns selbst dem Lachen
- preisgeben und so schonungslos geißeln, daß man selber vor Scham erglüht
- und nicht weiß, wo man sein Antlitz verbergen soll, -- sie würde nicht
- wagen, sich in unserer Seele einzunisten, und würde spurlos
- verschwinden.
- Sjemjon Sjemjonowitsch. In der Tat, Ihre Worte geben zu denken. Sie
- glauben also, die Anwendung des Lachens auf sich selbst, gegen die
- eigene Person, sei möglich?
- Pjotr Pjetrowitsch. Ich bin der Meinung, daß das bloß derjenige vermag,
- der den Adel der menschlichen Natur fühlt und Schauder vor seinen
- eigenen Fehlern empfindet.
- Michailo Michailowitsch. Und ich meinerseits bin überzeugt, daß, wer nur
- ein echt russisches Herz besitzt, es ganz leicht kann. Ein jeder von uns
- besitzt ja doch dies Lachen; ein gewisser schonungsloser Sarkasmus ist
- selbst unter unseren niederen Volksschichten verbreitet. Auch besitzen
- wir den Mut, aus uns herauszugehen und uns selbst nicht zu schonen. Und
- gerade deshalb ist es vielleicht uns allein möglich, dem Lachen seine
- ihm gebührende Richtung zu geben. Widerlegen Sie mich, beweisen Sie mir,
- daß ich lüge; vernichten Sie, zerstören Sie meine Überzeugung, und
- vernichten Sie zugleich mich selber, den armseligen Possenreißer, der
- für diese Überzeugung lebt, die er an seinem eigenen Leibe erprobt hat.
- Sjemjon Sjemjonowitsch, fließt nicht in meinen Adern das gleiche
- russische Blut wie in den Ihren? Fühle ich in meinen erhabensten
- Momenten etwas anderes, als Sie in solchen zu fühlen fähig sind? Stehe
- ich nicht gerade jetzt in meinem erhabensten Momente vor Ihnen? Meine
- Laufbahn ist beendet; ich verlasse das Theater, dem ich zwanzig Jahre
- lang gedient habe. Sie selber haben mich mit dem Kranz geschmückt, haben
- mich in Wallung gebracht. Sie selber haben mich fast gezwungen zu sagen,
- was ich eben gesagt habe. Sehen Sie her: ich weine. Ich, der Komiker,
- der Sie noch eben belustigte, ich weine nun. Gönnen Sie mir das
- Bewußtsein, daß auch mein Lebensweg so ehrenhaft war, wie der eines
- jeden von Ihnen; daß auch ich meinem Vaterlande treu gedient habe, daß
- ich kein alberner Possenreißer, sondern ein ehrlicher Beamter des großen
- Gottesreiches war, und in Ihnen nicht etwa das törichte Lachen erweckt
- habe, womit ein Mensch den anderen verspottet, sondern jenes Lachen,
- welches aus der Nächstenliebe quillt. Nikolai Nikolajewitsch, Fjodor
- Fjodorowitsch, Sjemjon Sjemjonowitsch, und ihr andern Kameraden alle,
- mit denen ich Stunden der Arbeit und Stunden lehrreicher Aussprache
- geteilt, von denen ich vieles gelernt habe und von denen ich jetzt mich
- trenne, -- Freunde! Das Publikum liebte mein Talent, ihr aber liebtet
- mich selber! Entreißt, wenn ich nicht mehr da bin, entreißt dieses
- Lachen denjenigen, die es herabgewürdigt haben zu einem Gespött über
- alles, ohne Unterschied zwischen Gut und Böse! Ich sage euch: glaubt
- diesen meinen Worten ... Es ist edel, es ist ehrenhaft, dieses Lachen.
- Es ist uns ausdrücklich darum geschenkt, damit wir über uns selbst,
- nicht über unsern Nächsten lachen sollen. Und wer nicht den Mut hat,
- über seine eigenen Fehler zu lachen, der sollte besser überhaupt nicht
- lachen! ... Er wird einst dafür Rechenschaft geben müssen! ...
- Eine Heiratsgeschichte
- Eine ganz unwahrscheinliche Begebenheit in zwei Aufzügen
- 1833
- Deutsch von Carl Ritter und André Villard
- Den Bühnen gegenüber als Manuskript gedruckt
- Personen.
- Agathe Tichonowna, eine heiratslustige Kaufmannstochter.
- Arina Panteleimonowna, ihre Tante.
- Thekla Iwanowna, eine Heiratsvermittlerin.
- Podkoliessin, Beamter -- Hofrat.
- Kotschkarjow, sein Freund.
- Iwan Pawlowitsch Eierkuchen, Exekutor.
- Anutschkin, Infanterie-Leutnant a. D.
- Schewakin, Leutnant zur See.
- Dunjaschka, das Dienstmädchen.
- Starikow, ein Kaufmann.
- Stepan, Podkoliessins Diener.
- Erster Aufzug
- (Zimmer eines Junggesellen.)
- 1. Auftritt
- Podkoliessin.
- Podkoliessin (liegt allein auf dem Sofa und raucht eine Pfeife). Ja,
- wenn man so allein auf dem Sofa liegt und nachdenkt, dann merkt man erst
- recht, daß es so nicht weiter geht ..... Man muß heiraten! ... Wirklich,
- da lebt man so dahin, bis einem schließlich die ganze Geschichte zum
- Halse raushängt. Nun habe ich auch wieder die Fastenzeit
- vorüberstreichen lassen, und doch ist alles fix und fertig! Es sind ja
- bald drei Monate, daß mir die Heiratsvermittlerin das Haus einläuft.
- Wahrhaftig, man muß sich bald vor sich selber schämen ... He, Stepan!
- 2. Auftritt
- Podkoliessin und Stepan.
- Podkoliessin. War die Heiratsvermittlerin nicht da?
- Stepan. Nein.
- Podkoliessin. Und bist du beim Schneider gewesen?
- Stepan. Jawohl.
- Podkoliessin. Wie ist's, arbeitet er an meinem Frack?
- Stepan. Jawohl.
- Podkoliessin. Ist er bald fertig?
- Stepan. Ja, nun wird's wohl nicht mehr lange dauern. Er ist schon bei
- den Knopflöchern.
- Podkoliessin. Was? ... Was hast du gesagt? ...
- Stepan. Ich sage, er ist schon bei den Knopflöchern!
- Podkoliessin. Sag mal, hat er denn gar nicht gefragt, wozu dein Herr den
- Frack braucht? ...
- Stepan. Nein, danach hat er nicht gefragt.
- Podkoliessin. Oder hat er vielleicht nur gesagt: »Dein Herr will wohl
- heiraten?« ...
- Stepan. Nein, darüber hat er auch nichts gesagt.
- Podkoliessin. Aber du hast doch bei ihm auch andere Fräcke hängen sehen?
- Er arbeitet doch auch für andre Leute.
- Stepan. Ja, es liegen viele Fräcke bei ihm herum.
- Podkoliessin. Nun sag mal, mein Stoff ist wohl etwas besser als bei den
- übrigen, was? ...
- Stepan. Ja, etwas feiner wird er schon sein.
- Podkoliessin. Was sagst du? ...
- Stepan. Ich sage, etwas feiner wird er schon sein.
- Podkoliessin. Gut, ... schön! ... Aber hat er denn nicht gefragt, warum
- dein Herr so feinen Stoff zu seinem Frack nimmt?
- Stepan. Nein!
- Podkoliessin. Also vom Heiraten hat er nicht gesprochen?
- Stepan. Nein, davon hat er nichts gesagt.
- Podkoliessin. Aber hast du ihm auch meinen Rang und Titel genannt und
- gesagt, wo ich diene? ...
- Stepan. Gewiß, gnädiger Herr!
- Podkoliessin. Nun, und er? ...
- Stepan. ... hat gesagt: »Schön, ich werde mir Mühe geben!«
- Podkoliessin. Gut, du kannst gehen.
- (Stepan geht ab.)
- 3. Auftritt
- Podkoliessin (allein).
- Podkoliessin. Ja, ich bin nun mal der Ansicht, ein schwarzer Frack ist
- doch solider. Die bunten, ... die passen mehr für Sekretäre, Titularräte
- und solch ein Volk. Das ist was für Grünschnäbel. Ein Mann von höherem
- Rang, muß eben das ... das ... ja, wie soll man gleich sagen ... eh,
- jetzt habe ich dies Wort vergessen ... es war ein so schönes Wort, und
- ich hab's vergessen ... Ja, mein Bester, dreh und wende dich, wie du
- willst: ... ein Hofrat steht im Grunde genommen nicht hinter einem
- Oberst zurück; es sei grade, daß er keine Epauletten trägt ... He,
- Stepan!
- 4. Auftritt
- Podkoliessin und Stepan.
- Podkoliessin. Hast du die Stiefelwichse gekauft?
- Stepan. Jawohl.
- Podkoliessin. Wo? ... In dem Laden, von dem ich dir gesprochen habe? Auf
- dem Wosnissenski Prospekt?
- Stepan. Ja, in dem Laden.
- Podkoliessin. Und ist die Wichse gut?
- Stepan. Ja, sehr gut.
- Podkoliessin. Hast du schon probiert, die Stiefel damit zu putzen?
- Stepan. Jawohl.
- Podkoliessin. Nun, und glänzen sie schön?
- Stepan. Ja, glänzen tun sie mächtig!
- Podkoliessin. Und sag: wie du die Wichse bei ihm kauftest, hat er da
- nicht gefragt, wozu dein Herr so feine Stiefelwichse braucht?
- Stepan. Nein.
- Podkoliessin. Hat er nicht gefragt: dein Herr will am Ende gar heiraten?
- Stepan. Nein, er hat nichts gesagt.
- Podkoliessin. So? ... Na, es ist gut ... geh nur! (Stepan geht ab.)
- 5. Auftritt
- Podkoliessin (allein).
- Podkoliessin. Wenn man so denkt: was sind ein Paar Stiefel? Eine höchst
- gleichgültige Sache! Und doch, wenn sie schlecht genäht sind und die
- Wichse stumpf bleibt, so begegnet man dir in der vornehmen Welt schon
- nicht mehr mit der gleichen Achtung. Es fehlt was, es ist nicht mehr das
- Richtige. Und was noch sehr unangenehm ist, das sind Hühneraugen. Alles
- kann ich ertragen, bei Gott, nur keine Hühneraugen .... He, Stepan!
- 6. Auftritt
- Podkoliessin und Stepan.
- Stepan. Der Herr wünschen?
- Podkoliessin. Hast du dem Schuster auch gesagt, er solle die Stiefel so
- machen, daß ich keine Hühneraugen bekomme?
- Stepan. Jawohl.
- Podkoliessin. Und was sagt er?
- Stepan. Er hat gesagt: Gut! (Stepan geht ab.)
- 7. Auftritt
- Podkoliessin allein, später Stepan.
- Podkoliessin. 's ist doch 'ne verdammte Plackerei, das Heiraten! Hol's
- der Teufel! Erst dies und dann das und dann wieder jenes. Alles will
- überdacht und geordnet sein, Teufel nochmal! Das ist nicht so leicht,
- wie man zu sagen pflegt ... He, Stepan! (Stepan kommt herein.) Ich
- wollte dir noch sagen ...
- Stepan. Die Alte ist da.
- Podkoliessin. So, ist sie da? Sag ihr, sie soll mal reinkommen. (Stepan
- geht.)
- Podkoliessin. Ja, das ist so 'ne Sache. Die ist gar nicht so ohne. Eine
- höchst komplizierte Geschichte das!
- 8. Auftritt
- Podkoliessin und Thekla.
- Podkoliessin. Ah, guten Tag! ... Guten Tag, Thekla Iwanowna! Nun was
- gibts, wie sieht's aus ... Nehmen Sie einen Stuhl! Setzen Sie sich nur
- und erzählen Sie. Nun, also, wie steht's? Wie heißt sie doch gleich?
- Melanie? ...
- Thekla. Nicht doch, Agathe Tichonowna.
- Podkoliessin. Richtig, Agathe Tichonowna. Wohl so 'ne vierzigjährige
- Jungfrau, was?
- Thekla. Aber nicht doch, davon ist keine Rede. Das heißt, -- heiraten
- Sie bloß. Jeden Tag werden Sie mich loben und mir danken.
- Podkoliessin. Ach was, du schwindelst ja, Thekla Iwanowna!
- Thekla. Ich bin schon zu alt, um noch zu lügen, Väterchen. Das überlaß
- ich den Hundesöhnen.
- Podkoliessin. Und wie steht's mit der Mitgift? ... Erzähl mir's doch
- noch einmal.
- Thekla. Gott, sie bekommt ein steinernes Haus mit, ein zweistöckiges, im
- Moskauer Viertel. Das rentiert sich, sage ich Ihnen, na, Sie werden Ihre
- reinste Freude daran haben. Für den Laden allein zahlt ein Kaufmann
- siebenhundert Rubel ... Eine Schenke ist darin, die ist überhaupt immer
- voll. Dazu hat's zwei hölzerne Seitenflügel; der eine, der ist ganz aus
- Holz, und der andere hat ein steinernes Fundament. Jeder für sich bringt
- jährlich vierhundert Rubel. Und dann gehört ihr noch ein Gemüsegarten
- auf der Wiborger Seite. Vorvoriges Jahr, da hat ihn ein Kaufmann
- gepachtet, um Kohl darin zu pflanzen, ich sage Ihnen, ein braver,
- nüchterner Mann, der nie einen Tropfen Schnaps in den Mund nimmt. Er ist
- Vater von drei Söhnen. Zwei davon hat er schon verheiratet. »Mein
- dritter aber«, sagte er, »ist noch zu jung. Der kann ruhig ein bißchen
- im Laden sitzen und für das Geschäft sorgen. Ich bin schon zu alt,« sagt
- er, »jetzt mag mein Sohn für mich im Laden sitzen, damit das Geschäft
- besser geht.«
- Podkoliessin. Schön, schön; aber wie sieht sie denn aus? Ist sie denn
- hübsch? ...
- Thekla. Ach, der reinste Milchzucker! Weiße Haut, rote Backen,
- überhaupt: Milch und Blut. Oh, sie ist so reizend, ich kann's gar nicht
- sagen, wie reizend. Also, Sie werden zufrieden sein. Bis dahinauf (zeigt
- auf den Hals). Das heißt, zu Freund und Feind werden Sie sagen: ...
- »Diese Thekla Iwanowna, bei der muß ich mich aber bedanken!«
- Podkoliessin. Aber sie ist doch nicht einmal Hauptmannstochter.
- Thekla. Ihr Vater war Kaufmann dritter Gilde. Ich sage Ihnen, ein
- General brauchte sich ihrer nicht zu schämen. Von einem Kaufmann will
- die gar nichts hören. »Mein Mann mag aussehen wie er will,« sagt sie,
- »und wenn er äußerlich auch noch so unansehnlich ist; wenn er nur den
- Adel hat.« Einfach ein Bonbon, sage ich Ihnen. Und wenn sie des Sonntags
- ihr seidenes Kleid anzieht, Jesus, wie sie dann einherrauscht ....
- gradezu 'ne Gräfin.
- Podkoliessin. Aber Sie begreifen doch, warum ich danach frage. Ich bin
- doch Hofrat. Und da muß ich doch ein ... ein ... na, Sie verstehen mich
- schon.
- Thekla. Natürlich, das ist doch klar. Was sollte dabei nicht zu
- verstehen sein? Es war auch schon 'n Hofrat da. Wir haben ihn aber
- abgewiesen, weil er uns nicht gefallen hat. Er hatte aber auch gar zu
- merkwürdige Manieren. Jedes Wort, das er sprach, war gelogen. Und dabei
- war es doch ein ganz stattlicher Mann. Ja, was ist da zu machen? ...
- Gott hat ihn nun mal so geschaffen! Er ärgerte sich selbst darüber. Aber
- es war ihm einfach unmöglich, das Lügen zu lassen. Es war halt Gottes
- Wille.
- Podkoliessin. Nun, und außer dieser? Können Sie mir keine anderen
- Vorschläge machen? ...
- Thekla. Was wollen Sie denn noch für welche? ... Eine Schönere können
- Sie sich ja gar nicht wünschen.
- Podkoliessin. Als wenn's überhaupt keine Schönere gäbe!
- Thekla. Suchen Sie auf der ganzen Welt, Sie finden keine.
- Podkoliessin. Na schön, ich will's mir überlegen, Mütterchen! Also
- kommen Sie übermorgen wieder. Dann wollen wir die Sache noch einmal
- durchsprechen. Wissen Sie, so wie heute. Ich liege auf dem Sofa, und Sie
- erzählen mir.
- Thekla. Ach, mein Gott, jetzt komme ich doch schon den dritten Monat Tag
- für Tag zu Ihnen hergelaufen und doch kommt nichts dabei heraus: immer
- sitzen Sie im Schlafrock da und rauchen.
- Podkoliessin. Sie denken sich wohl, heiraten das ist so, als ob ich zu
- meinem Diener sage: »He Stepan, bring mir mal die Stiefel her! Zieh sie
- mir an und los!« Das will doch überlegt, durchdacht sein.
- Thekla. Na, wie Sie wollen! Wollen Sie sich die Sache erst ansehen, ....
- meinetwegen! Dies Recht steht Ihnen bei jeder Ware zu. Lassen Sie sich
- doch den Mantel bringen, ... es ist ja noch früh, ... und fahren Sie
- hin!
- Podkoliessin. Wie jetzt? ... Sehen Sie doch, wie trübe es draußen ist.
- Wenn es nun anfängt, zu regnen, und ich bin gerade unterwegs ...
- Thekla. Es ist ja nur Ihr eigener Schaden! Sie fangen ja schon an, graue
- Haare zu bekommen. Bald taugen Sie überhaupt nicht mehr zum Ehemann.
- Auch was Besonderes ... Hofrat! Wir haben noch ganz andere Freier wie
- Sie!
- Podkoliessin. Was für dummes Zeug schwatzen Sie da! Was fällt Ihnen nur
- plötzlich ein, zu behaupten, ich hätt' graue Haare? Wo sollen die denn
- sein? ... (Zupft an seinen Haaren.)
- Thekla. Und warum sollen Sie keine grauen Haare haben? ... So ist es nun
- einmal im Leben. Sie sind mir auch einer! Die gefällt ihm nicht, und
- jene paßt ihm nicht. Ich habe einen Kapitän an der Hand, dem reichen Sie
- nicht an die Schulter. Der hat 'ne Stimme! ... Wie 'ne Trompete. Er
- dient in der Admiralität.
- Podkoliessin. Nein, das lügst du! Ich will doch mal in den Spiegel
- sehen. Wo hast du nur ein graues Haar gefunden? ... He, Stepan, bring
- mir mal den Spiegel her! Oder nein, warte, ich werde ihn mir schon
- selber holen. Graue Haare! das fehlte mir gerade noch. Gott behüte! Das
- ist ja schlimmer als die Pocken. (Er geht in das nächste Zimmer.)
- 9. Auftritt
- (Kotschkarjow kommt hereingelaufen.) Thekla und Kotschkarjow.
- Kotschkarjow. Nun, Podkoliessin, wo steckst du denn? (Erblickt Thekla.)
- Nanu, wie kommst du hierher? ... Na, warte nur! Sag, bei allen Teufeln,
- wozu hast du mich bloß verheiratet? ..
- Thekla. Nun, ist das denn so schlimm? Du hast eben deine Pflicht getan.
- Kotschkarjow. Pflicht getan! Eine Frau genommen; auch was Besonderes.
- Als wenn ich nicht ohne Frau ausgekommen wäre.
- Thekla. Du warst ja gar nicht loszuwerden. »Schaff mir 'ne Frau,
- Mütterchen, schaff mir 'ne Frau!«
- Kotschkarjow. Ach, du alte Ratte du! Was aber suchst du bloß hier? Oder
- sollte gar der Podkoliessin?
- Thekla. Warum denn nicht ... Mit Gottes Hilfe! ..
- Kotschkarjow. Wirklich? Nein, solch ein Lump! Und erzählt mir kein
- Sterbenswörtchen davon. So ein Kerl! Macht's ganz im geheimen. Wie? ..
- Was? ..
- 10. Auftritt
- Die Vorigen und Podkoliessin mit einem Spiegel in der Hand, in
- dem er sich aufmerksam betrachtet.
- Kotschkarjow (kommt herangeschlichen und erschreckt ihn). Puff!
- Podkoliessin (schreit auf und läßt den Spiegel fallen, der zerbricht).
- Du? Du bist wohl verrückt geworden? .. Was für einen Sinn hat das nur?
- .. Wozu diese Dummheiten? .. Wahrhaftig, ich bin so erschrocken, daß ich
- gar nicht weiß, wo ich bin.
- Kotschkarjow. Ach, reg dich nicht auf ... es war doch nur ein Spaß!
- Podkoliessin. Ein schöner Spaß! Ich kann mich bis jetzt nicht vom
- Schreck erholen. Und der Spiegel ist zerbrochen. Das war doch kein
- billiges Stück. Den hab' ich in einem englischen Laden gekauft.
- Kotschkarjow. Nun, nun, sei friedlich! Ich werde dir einen andern
- Spiegel kaufen.
- Podkoliessin. Ja, ja, ich weiß schon. Ich kenne diese andern Spiegel
- schon. In denen sieht man um zehn Jahre älter aus. Die ganze Fratze wird
- einem schief darin.
- Kotschkarjow. Ich hätte viel mehr Grund, mich über _dich_ zu ärgern. Ich
- bin doch dein Freund, und du verheimlichst mir alles. Du willst dich
- verheiraten!
- Podkoliessin. Ach, Unsinn. Wer denkt denn daran.
- Kotschkarjow. Bitte, hier steht der Beweis. (Zeigt auf Thekla.) Man weiß
- schon, was das für ein Vogel ist. Nun, nun, das schadet ja nichts. Das
- ist doch kein Verbrechen! Ein ganz christliches Werk, sogar ein
- patriotisches Werk! Doch, laß mich nur machen! Ich nehme alles auf mich.
- (Zu Thekla.) Also, nun los, erzähle. Wie, wo, was. Ist es 'ne Adlige,
- eine aus dem Beamten- oder Kaufmannsstande und, vor allem, -- wie heißt
- sie?
- Thekla. Agathe Tichonowna heißt sie.
- Kotschkarjow. Aha, Agathe Tichonowna Brandachlistowa!
- Thekla. Nein, Kuperdjagina.
- Kotschkarjow. Na ja, und wohnt in der Schestilawotschnaja.
- Thekla. Nicht doch, in der Nähe von Peßki wohnt sie. In der
- Müllnijgasse.
- Kotschkarjow. Natürlich, in der Müllnijgasse, gleich hinter dem
- Kramladen. In dem hölzernen Haus.
- Thekla. Nein, nicht hinter dem Kramladen; hinter der Schenke.
- Kotschkarjow. Wieso hinter der Schenke? ... Das versteh ich nicht.
- Thekla. Wenn du in die Gasse einbiegst, so kommst du gleich an einem
- Häuschen vorbei. Gleich hinter dem Häuschen mußt du nach links
- einbiegen. Dann siehst du das hölzerne Haus vor dir, in dem die Näherin
- wohnt, ... die, die früher mit dem Obersekretär des Senats
- zusammengelebt hat. An der Näherin also mußt du vorübergehen: du läßt
- sie hinter dir. Aber sofort danach, das steinerne Haus, das gehört
- _ihr_. Das heißt, da wohnt sie: Agathe Tichonowna, die Braut.
- Kotschkarjow. Gut, gut. Ich werde schon Alles besorgen. Jetzt kannst du
- abziehen. Wir brauchen dich nicht mehr.
- Thekla. Was, du willst doch nicht, .... du kriegst doch keine Heirat
- zustande!
- Kotschkarjow. Selbstverständlich! Ich besorge das ganz allein. Du
- brauchst dich um nichts mehr zu kümmern.
- Thekla. Pfui, schäme dich. Das ist doch kein Beruf für Männer. Lassen
- Sie die Hand davon, Väterchen! Ich bitte Sie!
- Kotschkarjow. Geh, geh nur. Was verstehst denn du davon? Schuster, bleib
- bei deinen Leisten. Los, Abfahrt!
- Thekla. Was? Du willst den Leuten das Brot wegnehmen? Wart, du alter
- Sünder. Mischt sich in diese Angelegenheit. Wenn ich das gewußt hätte!
- Kein Wort wäre über meine Lippen gekommen! (Läuft wütend hinaus.)
- 11. Auftritt
- Kotschkarjow und Podkoliessin.
- Kotschkarjow. Hör mal, lieber Freund, eine solche Sache läßt durchaus
- keinen Aufschub zu. Also komm, fahren wir.
- Podkoliessin. Was fällt dir ein? Ich bin ja noch garnicht ... Ich
- überlege es mir doch erst!
- Kotschkarjow. Ach was, Torheiten. Sei doch nicht so schüchtern. Ich
- werde dich schon verheiraten ... Du sollst es selbst nicht merken. Also
- komm, wir fahren gleich zur Braut, und du siehst sofort, wie die Sache
- steht.
- Podkoliessin. Was redest du da? ... Wir können doch nicht gleich
- hinfahren.
- Kotschkarjow. Warum denn nicht? ... Ich bitte dich, woran fehlt's denn
- noch? ... Sieh selbst an, jetzt bist du unverheiratet. Und wie lebst du?
- Guck dich doch nur mal im Zimmer um, ... wie sieht es denn hier aus? ...
- Dort liegt ein ungeputzter Stiefel, da steht das Waschbecken. Hier, auf
- dem Tisch treibt sich ein Haufen Tabak herum; und du selbst liegst
- beständig auf der Bärenhaut und faulenzt.
- Podkoliessin. Das ist wahr. Wie unordentlich es bei mir zugeht, das weiß
- _ich_ am allerbesten.
- Kotschkarjow. Na, und nun denk mal, wenn du erst eine Frau haben wirst.
- Du wirst dich selbst nicht wiedererkennen. Dort wird ein Sofa stehen,
- dazu ein kleines Hündchen ... ein Zeisig oder sonst was im Käfig ...
- hier Häkeleien ... Und nun stell dir vor, du sitzt auf dem Sofa und
- plötzlich setzt sich dein Weibchen an deine Seite ... so ein reizendes
- Frauchen, und streichelt dich mit ihren Händchen.
- Podkoliessin. Teufel, ja, wenn ich denke, was für reizende Händchen es
- in der Welt gibt. Weißt du, Freund, so weiß wie Milch ...
- Kotschkarjow. Ach was, als ob sie bloß Händchen hätten. Die haben noch
- ganz was anderes! ... Doch wozu noch viele Worte machen; ... weiß der
- Teufel, was die nicht alles haben.
- Podkoliessin. Ich muß sagen, wenn ich ehrlich sein soll, ich habe es
- ganz gern, wenn solch hübsches Mädel neben mir sitzt.
- Kotschkarjow. Aha, siehst du, du bist also selbst auf den Geschmack
- gekommen! Jetzt laß mich nur machen. Du brauchst dich um nichts mehr zu
- kümmern. Das Verlobungs-Essen und alles, was drum und dran hängt das
- besorge ich ganz allein. Was den Champagner betrifft -- unter einem
- Dutzend läßt sich gar nicht erst anfangen. Da magst du nun reden, was du
- willst. Dazu kommt dann noch ein halbes Dutzend Madeira, -- unbedingt.
- Die Braut hat sicherlich einen ganzen Haufen von Tanten und Basen, die
- lieben nämlich nicht zu scherzen. Na, und den Rheinwein, ach was, hol'
- ihn der Teufel, auf den verzichten wir, nicht? Und dann das Essen, --
- weißt du, -- da habe ich einen Hoftraiteur, der Kerl liefert dir ein
- Diner, nach dem stehst du überhaupt nicht mehr auf.
- Podkoliessin. Hör mal, du legst dich aber gleich ganz gehörig ins Zeug.
- Das ist ja beinahe, als ob schon heute abend die Hochzeit wäre.
- Kotschkarjow. Gewiß! Warum denn nicht? ... Wozu sollen wir es denn
- aufschieben? Du bist doch mit allem einverstanden.
- Podkoliessin. Ich? Nein, mein Bester, ich bin noch durchaus nicht
- einverstanden.
- Kotschkarjow. Da haben wir's. Soeben hast du doch erklärt, du wolltest
- gerne heiraten!
- Podkoliessin. Ich meinte doch nur, es wäre nicht schlecht ...
- Kotschkarjow. Wie, aber wir haben doch ... die ... ganze Sache schon
- vollständig ... Ja, wie? Gefällt dir denn das Eheleben nicht, was?
- Podkoliessin. Gewiß gefällt es mir! ...
- Kotschkarjow. Na also, woran fehlt's denn noch?
- Podkoliessin. An nichts; es ist alles nur so sonderbar.
- Kotschkarjow. Was ist sonderbar?
- Podkoliessin. Du wirst doch zugeben, daß es merkwürdig ist: da war man
- so lange unverheiratet, und dann soll man plötzlich Ehemann sein.
- Kotschkarjow. Nein, hör mal, schämst du dich denn nicht? Nein, ich sehe
- wirklich, mit dir muß man ernst reden! Also, ich will ganz aufrichtig
- gegen dich sein, wie ein Vater zu seinem Sohne. Betrachte dich doch nur
- einmal genau, so wie du jetzt mich ansiehst; ... was stellst du
- eigentlich vor? Ein Klotz bist du, ohne alle tiefere Bedeutung. Na, und
- wozu lebst du eigentlich? Guck doch bloß mal in den Spiegel! Na, was
- siehst du da? ... Ein dummes Gesicht, und weiter nichts. Statt dessen,
- überlege dir doch nur, wie dann die kleinen Kinderchen um dich
- herumhüpfen werden. Nicht etwa zwei oder drei, nein, gleich ein halbes
- Dutzend. Und alle gleichen dem Vater, wie ein Tropfen Wasser dem andern.
- Jetzt bist du allein, bist Hofrat, Expeditor, oder irgendein Direktor
- irgendeines Departements und weiß Gott, was sonst noch. Und nun stell
- dir erst mal vor, was dann sein wird. Alle die kleinen Expeditorchen um
- dich herum, diese kleinen Spitzbuben, und wenn dann solch ein kleiner
- Wildfang die Hände ausstreckt und dir im Bart zu krauen beginnt, und du
- dazwischen wie ein Hund bellen mußt: Wau, wau, wau ... na, nun sag
- selbst, kann es etwas Hübscheres geben? ...
- Podkoliessin. Aber, wenn sie nur nicht solche Schelme wären. Sie werden
- mir nur alles zerreißen und meine Papiere durcheinanderbringen.
- Kotschkarjow. Laß sie doch. Dafür werden sie dir alle ähnlich sehen; das
- ist eben der Witz.
- Podkoliessin. Ja, es hat wirklich etwas Komisches, weiß der Teufel. So'n
- kleiner Windbeutel, so ein junger, täppischer Hund, und ist dir schon
- wie aus dem Gesicht geschnitten.
- Kotschkarjow. Natürlich, gewiß ist es komisch. Na also, dann fahren wir.
- Podkoliessin. Also ... gut, meinetwegen!
- Kotschkarjow. He, Stepan, hilf deinem Herrn beim Anziehen.
- Podkoliessin (kleidet sich vor dem Spiegel an). Ich denke, vielleicht
- sollte ich lieber eine weiße Weste nehmen?
- Kotschkarjow. Ach was, Unsinn, es kommt ja nicht so genau drauf an.
- Podkoliessin (legt sich den Kragen um). Die verdammte Wäscherin. Hat
- schon wieder den Kragen so schlecht gestärkt; er will absolut nicht
- stehen. Stepan, sag ihr, wenn sie die Wäsche noch einmal so schlecht
- plättet, dann schicke ich nach einer andern. So ein dummes Weib!
- Wahrscheinlich sitzt sie den ganzen Tag mit ihren Liebsten zusammen,
- anstatt zu plätten.
- Kotschkarjow. Beeil dich ein bißchen, lieber Freund, was trödelst du
- denn so lange herum.
- Podkoliessin. Gleich, gleich! (Zieht den Frack an und setzt sich.) Hör
- mal, Ilja Fomitsch, weißt du was: Fahr du doch lieber alleine!
- Kotschkarjow. Was fällt dir ein! Hast du plötzlich den Verstand
- verloren? Ich soll fahren? .. Wer von uns will sich denn eigentlich
- verheiraten? .. Du oder ich? ...
- Podkoliessin. Wirklich, ich habe keine rechte Lust. Fahren wir lieber
- morgen.
- Kotschkarjow. Na, hast du bloß einen Funken Verstand? .. Bist du nicht
- ein Trottel? .. Ist schon ganz fertig und plötzlich will er nicht mehr.
- Nein, sag selbst, bist du nicht ein Schwein? .. Bist du nicht ein Lump,
- nach alledem? ...
- Podkoliessin. Wozu schimpfst du? ... Was soll das? ... Habe ich dir denn
- was zuleide getan?
- Kotschkarjow. Ein Esel bist du, ein altes Schaf, das wird dir jeder
- sagen. Dumm bist du, einfach dumm. Trotzdem du Expeditor bist! Für wen
- sorge ich mich denn eigentlich? Doch nur für dich. Zu deinem Vorteil!
- Sie werden dir noch den Bissen vor dem Munde wegschnappen. Liegt da auf
- seinem Faulbett, der verdammte Junggeselle. Nein, sag mal bitte, wonach
- siehst du eigentlich aus? Du Waschlappen du! Du alte Schlafmütze! Na,
- ich hätte beinahe etwas gesagt. Wenn's nur nicht zu unanständig wäre.
- ... Ein altes Weib bist du; schlimmer als ein altes Weib!
- Podkoliessin. Du benimmst dich sehr fein. Tatsächlich! (Halblaut.) Du
- bist wohl nicht ganz bei Troste? Da steht der Knecht, und du schimpfst
- drauf los und gebrauchst in seiner Gegenwart solche Worte. Du konntest
- dir dazu wohl keinen andern Ort auswählen? ...
- Kotschkarjow. Ja, wie soll man dich denn nicht schimpfen. Kann denn ein
- Mensch dabei ruhig bleiben und nicht schimpfen? ... Wer hat denn soviel
- Selbstbeherrschung? .. Du hast dich als anständiger Mensch entschlossen,
- zu heiraten; ... bist der Stimme der Vernunft gefolgt, und nun, mit
- einemmal, aus einer bloßen Laune ... Du hast wohl Tollkirschen
- gefressen? .. Du Tölpel, du Holzklotz du!
- Podkoliessin. Nun, nun, genug ... ich fahre! Was schreist du so?
- Kotschkarjow. Du fährst? Selbstverständlich fährst du! Du kannst ja gar
- nichts anderes tun, als fahren. (Zu Stepan.) Bring Hut und Mantel!
- Schnell ...
- Podkoliessin (in der Türe). Du bist ein seltsamer Mensch, Kotschkarjow!
- Wahrhaftig! Mit dir ist es doch wirklich nicht zum Aushalten. Schimpfst
- mit einem Mal los, ohne alle Ursache und ohne jeden Grund! Das ist doch
- kein Benehmen.
- Kotschkarjow. Ach, das ist ja längst vorbei! Ich schimpfe ja gar nicht
- mehr ...
- (Beide ab.)
- 12. Auftritt
- Agathe Tichonowna legt Karten, Arina Panteleimonowna, ihre Tante,
- blickt ihr über die Achseln in die Karten.
- Agathe Tichonowna. Tantchen, sieh, schon wieder ein Weg! Ein Karo-König
- interessiert sich für mich. ... Tränen! ... Ein Liebesbrief ... links
- der Treff-König zeigt große Teilnahme, aber hier liegt ein böses Weib
- dazwischen.
- Arina Panteleimonowna. Und was denkst du, der Treff-König: wer mag das
- sein?
- Agathe Tichonowna. Das kann ich doch nicht wissen.
- Arina Panteleimonowna. Aber ich weiß es.
- Agathe Tichonowna. Ja? ... Wer? ...
- Arina Panteleimonowna. Nun, der nette Kaufmann vom Tuchmarkt, Alexei
- Dmitriewitsch Starikow.
- Agathe Tichonowna. Ach, der doch auf keinen Fall. Ich gehe jede Wette
- ein, daß der es nicht ist.
- Arina Panteleimonowna. Streite doch nicht, Agathe Tichonowna, sieh doch
- die blonden Haare hier; einen andern Treff-König gibt es ja gar nicht.
- Agathe Tichonowna. Aber nicht doch, Tantchen, Treff-König ist immer ein
- Edelmann. Ein Kaufmann reicht noch lange nicht an den Treff-König heran.
- Arina Panteleimonowna. Ach, Agathe Tichonowna, du würdest auch anders
- reden, wenn dein seliger Vater, Tichon Panteleimonowitsch, noch am Leben
- wäre. Der schlug manches liebe Mal mit der Faust auf den Tisch und
- schrie: »Ich spucke auf jeden, der sich schämt, ein Kaufmann zu sein.
- Ich gebe meine Tochter keinem Obersten,« sagte er. »Mögen das doch andre
- Leute machen. Und mein Sohn, der soll mir auch nicht Beamter werden«,
- sagte er. »Dient nicht der Kaufmann seinem Zaren genau so gut wie jeder
- andere?« sagte er. Und dabei schlug er so mit der Faust auf den Tisch,
- daß es krachte. Und das war 'ne Hand, sag' ich dir, so groß wie ein
- Eimer. Ja, solch ein leidenschaftlicher Mensch war er. Wenn ich offen
- sein soll, deiner seligen Mutter hat er das Leben auch gehörig
- versalzen. Sonst hätt' sie wohl noch länger gelebt.
- Agathe Tichonowna. Nun, soll ich etwa eben solch einen bösen Mann
- kriegen? Nein, unter keinen Umständen nehme ich einen Kaufmann.
- Arina Panteleimonowna. Aber Alexei Dmitriewitsch ist doch gar nicht
- solch einer.
- Agathe Tichonowna. Nein, ich will ihn nicht. Ich mag ihn nicht. Und dann
- trägt er einen Vollbart. Beim Essen wird es ihm immer in den Bart
- heruntertropfen. Nein, nein, ich will ihn nicht!
- Arina Panteleimonowna. Aber wo soll man nur einen anständigen Adligen
- hernehmen? Sie liegen doch nicht auf der Straße herum!
- Agathe Tichonowna. Thekla Iwanowna wird schon einen auftreiben. Sie
- versprach mir's, den Allerschönsten zu finden.
- Arina Panteleimonowna. Ach, die schwindelt ja nur, Herzchen.
- 13. Auftritt
- Die Vorigen und Thekla Iwanowna.
- Thekla. Aber nein, Arina Panteleimonowna, schämen Sie sich doch, mir
- hinterm Rücken so was nachzureden.
- Agathe Tichonowna. Ach, da sind Sie ja, Thekla Iwanowna! Nun, wie
- steht's? Sprechen Sie doch! Erzählen Sie! Haben Sie einen?
- Thekla. Ja doch, ja, lassen Sie mich nur erst verschnaufen. Wie bin ich
- in Ihrem Auftrag herumgelaufen! ... Ich bin in allen Häusern gewesen, in
- allen Kanzleien und Ministerien; hab' sogar in die Kasernen geguckt! ...
- Wissen Sie, Mütterchen, beinah geschlagen hat man mich ... bei Gott! Die
- Alte, die ihre Hand in der Heirat der Affeirows im Spiel gehabt hat, die
- stürzte sich auf mich los und schrie: »Du bist mir auch so eine und so
- 'ne, nimmst bloß andern Leuten das Brot weg, bleib du doch gefälligst in
- deinem Revier!« ... »Was soll ich tun,« sagte ich ihr geradezu ins
- Gesicht, »verzeih, aber für mein Fräulein, da bin ich jederzeit zu allem
- bereit.« Ja mein Herzchen, was ich Ihnen aber auch für Freier besorgt
- habe! Na, das heißt: solange die Welt steht, -- und sie wird noch lange
- stehen -- aber solche hat es denn doch noch nie gegeben. Ein paar werden
- noch heute ihre Aufwartung machen. Ich komme absichtlich hergelaufen, um
- Sie vorzubereiten.
- Agathe Tichonowna. Wie? Heute noch? ... Liebste Thekla Iwanowna, ich
- bitte Sie ... ich fürchte mich ...
- Thekla. Sie brauchen keine Angst zu haben, Mütterchen. 's ist ja eine
- ganz gewöhnliche Sache! Sie werden eben kommen, sich umsehen, und --
- weiter nichts! Sie werden sie sich auch ansehen, und wenn sie Ihnen
- nicht gefallen, nun, dann fahren sie eben wieder fort.
- Arina Panteleimonowna. Na, du wirst mir schon nette Kerle rausgesucht
- haben.
- Agathe Tichonowna. Wie viele sind es denn? Sind's viele?
- Thekla. Nun, an die sechs Mann werden es wohl sein.
- Agathe Tichonowna (aufschreiend). Ach Herrjeh! ...
- Thekla. Nun, nun, springen Sie doch nicht gleich in die Höhe,
- Mütterchen! ... Um so leichter ist doch die Wahl. Gefällt dir der eine
- nicht, so tut's vielleicht der andere.
- Agathe Tichonowna. Und sind es Adlige? ..
- Thekla. Aber natürlich! Alle! Wie ausgesucht! Solche Adlige wie die,
- finden Sie nirgends mehr.
- Agathe Tichonowna. Und was sind es für Menschen? ...
- Thekla. Ach, prächtige Menschen! Alles prachtvolle, propre, junge Leute.
- Da haben Sie erstens den Baltasar Baltasarowitsch Schewakin. Ein ganz
- vorzüglicher Mensch; er hat in der Flotte gedient. Der paßt
- ausgezeichnet zu Ihnen! »Denn«, sagt er, »was meine Braut betrifft, die
- muß voll sein.« Die mageren, die mag er gar nicht leiden. Und dann ist
- da Iwan Pawlowitsch, der Ixikutor! Ein sehr würdiger, ein geradezu
- unnahbarer Mann. Wenn der einen anschreit: »Erzähl' mir nur keine langen
- Geschichten von der Braut. Sag lieber, was hat sie an Mabilien und
- Immabilien, und damit basta!« So und so viel, Väterchen, bei Gott! »Das
- lügst du, Luder!« ... Und dann hat er mir noch ein Wort an den Kopf
- geworfen, ja, Mütterchen, das ist schon zu unanständig, um es hier zu
- wiederholen. Da hatt' ich's gleich raus: das muß aber ein vornehmer Mann
- gewesen sein.
- Agathe Tichonowna. Nun, und wer noch? ..
- Thekla. Dann ist da noch ein Herr, Nikolai Iwanowitsch Anutschkin. Eine
- majestätische Gestalt! Und was für Lippen er hat ... die reinsten
- Himbeeren. So ein feiner Herr! »Ich will,« sagte er, »daß meine Frau
- hübsch und gut erzogen ist, und Französisch muß sie sprechen können.«
- Ja, ein Herr von äußerst feinem Benehmen! Alles deutsche Finessen! Und
- dabei ist er so zart und hat so schmale, dünne Beinchen.
- Agathe Tichonowna. Nein, grade diese Zarten, die wollen mir nicht so
- recht, ... ich weiß nicht, aber ich finde keinen Geschmack an ihnen.
- Thekla. Ja, wenn Sie auf etwas Massiveres reflektieren, dann nehmen Sie
- doch Iwan Pawlowitsch! Einen passenderen können Sie ja gar nicht finden.
- Da ist nichts zu sagen. Das ist ein Herr! Der geht Ihnen hier nicht
- durch die Tür. So ein prächtiger Mensch!
- Agathe Tichonowna. Und wie alt ist er?
- Thekla. Ach, noch ein junger Mann! Vielleicht an die fünfzig. Oder noch
- nicht einmal fünfzig.
- Agathe Tichonowna. Und wie ist sein Name?
- Thekla. Er heißt Iwan Pawlowitsch Eierkuchen.
- Agathe Tichonowna. Wie ... Eierkuchen ... das ist sein Familienname?
- Thekla. Ja, das ist sein Name.
- Agathe Tichonowna. Gott, welch ein Name! Denk doch nur, Theklachen, wie
- soll denn das werden, wenn ich den heirate? Dann heiße ich ja plötzlich
- Agathe Tichonowna Eierkuchen. Weiß Gott, das ist ja fürchterlich!
- Thekla. I was, liebes Mütterchen, bei uns in Rußland gibt es nun mal
- solche Namen, da möchte man am liebsten gleich ausspucken und das Kreuz
- darüber schlagen, wenn man sie hört. Aber wenn er Ihnen nicht gefällt,
- so nehmen Sie doch Baltasar Baltasarowitsch Schewakin. Ein herrlicher
- Freier!
- Agathe Tichonowna. Und was für ein Haar hat er?
- Thekla. Sehr schönes Haar, mein Herzchen.
- Agathe Tichonowna. Und die Nase?
- Thekla. Eh, die Nase ist auch schön. Überhaupt, alles steht an seinem
- richtigen Fleck. Und er selbst ist ein prächtiger Mensch. Nur über eins
- dürfen Sie sich nicht ärgern: -- in seiner ganzen Wohnung werden Sie
- nichts finden, als seine lange Pfeife. Nicht ein Möbelstück weiter!
- Agathe Tichonowna. Und wen gibt's noch?
- Thekla. Akinthus Stepanowitsch Pantjelejew. -- Ein Beamter und
- Titular-Rat. Er stottert zwar ein wenig, aber dafür ist er sehr
- zurückhaltend.
- Arina Panteleimonowna. Du sagst immer ein Beamter, ein Beamter! Sag mir
- lieber, ob er nicht gerne einen über den Durst trinkt.
- Thekla. Aha, das tut er! Dem kann ich nicht widersprechen. Das ist wahr.
- Was soll man machen? ... Dafür ist er auch Titular-Rat. Aber im übrigen
- ist er so ruhig und sanft wie Seide.
- Agathe Tichonowna. Nein, ich danke schön. Einen Trinker will ich nicht
- zum Manne haben.
- Thekla. Gut, Mütterchen, mach was du willst. Wollt Ihr nicht den einen,
- so nehmt einen andern. Aber, ... schließlich, was ist auch dabei, wenn
- er wirklich einen zuviel trinkt? Er braucht doch nicht gleich die ganze
- Woche betrunken zu sein. Er wird auch schon seinen nüchternen Tag haben.
- Agathe Tichonowna. Nun, und wer weiter?
- Thekla. Ja, es ist noch einer da. Aber das ist nur so einer, Gott mit
- ihm! Die andern sind schon besser!
- Agathe Tichonowna. Nein, sag, wer ist er.
- Thekla. Am liebsten hätte ich gar nicht von ihm gesprochen. Freilich ist
- er ja Hofrat, mit 'nem Band im Knopfloch. Aber so furchtbar
- schwerfällig; kaum aus dem Haus ist er herauszukriegen.
- Agathe Tichonowna. Nun und wer noch? Das sind doch erst fünf! Und zuerst
- sprachst du doch von sechsen.
- Thekla. Haben Sie denn wirklich noch nicht genug? Sehen Sie mal an, wie
- Sie plötzlich hinterher sind, und zuerst waren Sie doch ganz
- erschrocken.
- Arina Panteleimonowna. I, geh du mir mit all deinen Adligen. Und wenn es
- auch ein halbes Dutzend sind; ein Kaufmann wiegt sie alle miteinander
- auf.
- Thekla. Ach nein, Arina Panteleimonowna, ein Adliger, der ist doch was
- Vornehmeres.
- Arina Panteleimonowna. Was mache ich mir aus der Vornehmheit. Sieh dir
- mal den Alexei Dmitriewitsch an, wenn der mit seiner Zobelmütze im
- Schlitten vorüberfährt ...
- Thekla. Dafür kommt ihm ein Adliger mit seinen Epauletten entgegen und
- sagt: »Was fällt dir ein, du Koofmich du; mach mir mal Platz«. Oder »he,
- Herr Kaufmann, ein paar Meter Samt; aber vom allerbesten«. Worauf der
- Kaufmann erwidert: »Bitte sehr, Euer Gnaden!« -- »Nimm mal deine Mütze
- ab, du Flegel!« So spricht ein Adliger.
- Arina Panteleimonowna. Aber, wenn der Kaufmann keine Lust hat, braucht
- er ihm kein Tuch zu verkaufen. Dann kann dein Adliger nackt dasitzen und
- hat nichts anzuziehen.
- Thekla. Dann wird ihm der Adlige eins über den Schädel schlagen.
- Arina Panteleimonowna. Dann wird der Kaufmann zur Polizei laufen und ihn
- verklagen.
- Thekla. Dann wird der Adlige den Kaufmann bei dem Senator verklagen.
- Arina Panteleimonowna. Dann wird der Kaufmann zum Gouverneur gehen.
- Thekla. Dann wird der Adlige ...
- Arina Panteleimonowna. Ach was, nichts wie Schwindel mit deinen Adligen.
- Der Gouverneur ist mehr als dein Senator. Tut sich da mit ihren Adligen
- dicke. Auch so'n Adliger muß manches liebe Mal seine Bücklinge machen.
- (Es läutet an der Türe.) Ich glaube, es hat geläutet!
- Thekla. Ach Gott, da sind sie schon.
- Agathe Tichonowna. Wer ... sie?
- Thekla. Nun ja, sie -- einer von den Freiern.
- Agathe Tichonowna (schreit auf). Ach herrjeh, ach herrjeh!
- Arina Panteleimonowna. Heilige Mutter Gottes, vergib mir meine Sünden!
- Hier im Zimmer ist ja noch gar nicht aufgeräumt. (Sie nimmt alles, was
- auf dem Tische liegt, zusammen und läuft damit durch das Zimmer.)
- Herrgott, das Tischtuch ist ja ganz schwarz ... Dunjaschka ...
- Dunjaschka! (Dunjaschka kommt hereingelaufen.) Schnell ein reines
- Tischtuch! (Arina reißt das Tischtuch vom Tisch und läuft durchs
- Zimmer.)
- Agathe Tichonowna. Ach, Tantchen, was soll ich nur machen? Ich hab' ja
- fast nur ein Hemd an.
- Arina Panteleimonowna. Ach Gott, Kind, lauf nur schnell und zieh dich
- um. (Sie rennt erregt durch das Zimmer. Dunjaschka bringt ein reines
- Tischtuch. Es läutet wieder.) Lauf doch nur hin und öffne. Sage, wir
- kommen gleich. (Dunjaschka geht. Man hört sie von draußen »gleich«
- rufen.)
- Agathe Tichonowna. Aber Tante, mein Kleid ist nicht geplättet.
- Arina Panteleimonowna. Ach, du lieber Gott, erbarme dich unser; -- zieh
- doch das andre an.
- Thekla (kommt hereingelaufen). Warum kommen Sie denn nicht heraus? --
- Kommen Sie, Agathe Tichonowna -- machen Sie doch schneller, Mütterchen!
- (Man hört es wieder läuten.) Ach, jetzt wartet er schon eine Ewigkeit.
- Arina Panteleimonowna. Dunjaschka, laß ihn eintreten und bitte ihn, zu
- warten.
- (Dunjaschka läuft in den Flur und öffnet die Tür; dann hört man
- Stimmen: »Zu Hause?« ... »Ja, bitte, treten Sie ein.« Die Frauen
- blicken angestrengt durch das Schlüsselloch.)
- Agathe Tichonowna (aufschreiend). Herr Gott, wie dick er ist!
- Thekla. Er kommt, er kommt! (Alle laufen eilig weg.)
- 14. Auftritt
- Iwan Pawlowitsch Eierkuchen und Dunjaschka.
- Dunjaschka. Bitte, warten Sie hier gefälligst! (Geht ab.)
- Eierkuchen. Meinetwegen ... Warten ... na dann warte ich eben ... Wenn's
- mich nur nicht zu lange aufhält. Ich bin ja nur auf einen Sprung aus dem
- Bureau fortgegangen. Wie, wenn es nun dem General plötzlich einfiele, zu
- fragen: »Und wo ist der Exekutor?« ... »Er ist auf die Brautschau
- gegangen.« Wenn er mich nur nicht mitsamt der Braut abfahren läßt.
- Übrigens, ich will mir doch noch mal das Verzeichnis ansehen: (Er
- liest.) Also, ein zweistöckiges, steinernes Haus ... (Sieht empor und
- betrachtet das Zimmer) Stimmt, ist vorhanden! (Liest weiter.) Zwei
- Seitenflügel; einer auf einem Fundament von Stein und ein hölzerner
- Flügel. Na der hölzerne ist ziemlich schlecht. Weiter: eine Kutsche, ein
- doppelsitziger Schlitten mit Schnitzwerk und dazu eine große und eine
- kleine Decke. Na, den Schlitten wird man wohl in die Rumpelkammer
- stecken können. Die Alte behauptet zwar, er sei prima. Schön,
- meinetwegen auch prima. Zwei Dutzend silberne Löffel. Hm, ja, in der
- Wirtschaft werden freilich silberne Löffel gebraucht. Zwei Fuchspelze.
- Hm. Vier große Oberbetten und zwei kleine. (Er preßt die Lippen
- bedeutungsvoll zusammen.) Sechs Paar seidene und sechs Paar
- Kattunkleider. Zwei Nachtjacken ... Na, das sind Torheiten! Wäsche,
- Tischtücher; ach, das mag sie halten wie sie will. Übrigens, man muß das
- doch alles gut in Augenschein nehmen. Jetzt verspricht man dir Häuser
- und Equipagen, und wenn es zur Heirat kommt, findet man nichts als
- Oberbetten und Daunenkissen.
- (Man hört es läuten. Dunjaschka läuft atemlos durchs Zimmer und
- öffnet die Tür. Man hört Stimmen: »Zu Hause?« »Jawohl!« ...)
- 15. Auftritt
- Iwan Pawlowitsch Eierkuchen und Anutschkin.
- Dunjaschka. Bitte, warten Sie hier, sie werden sogleich kommen. (Geht
- ab.)
- (Anutschkin und Eierkuchen begrüßen sich.)
- Eierkuchen. Ich habe die Ehre!
- Anutschkin. Habe ich vielleicht das Vergnügen, den Vater der reizenden
- Tochter zu begrüßen?
- Eierkuchen. Nein, keineswegs den Vater! Ich habe überhaupt noch keine
- Kinder.
- Anutschkin. So, dann bitte ich Sie vielmals um Entschuldigung.
- Eierkuchen (beiseite). Die Physiognomie dieses Menschen kommt mir
- verdächtig vor. Sollte er etwa wegen derselben Sache hier sein wie ich?
- (Laut.) Sie kommen wohl des Fräuleins wegen?
- Anutschkin. Ach nein ... Durchaus nicht ... Ich bin nur beim
- Spazierengehen so mit herangekommen.
- Eierkuchen (beiseite). Der Kerl lügt! Sicher lügt er! Dies
- Spazierengehen kenn' ich. Heiraten will er, der Lump!
- (Man hört es läuten. Dunjaschka läuft durchs Zimmer und öffnet
- die Tür. Man hört Stimmen: »Zu Hause?« »Jawohl!«)
- 16. Auftritt
- Dieselben und Schewakin begleitet von Dunjaschka.
- Schewakin (zu Dunjaschka). Bitte schön, Kindchen, putz mich mal ab!
- Weißt du, auf der Straße ist mir so viel Staub angeflogen. Und nimm mir
- doch hier den Flocken ab. (Wendet den Kopf.) So, danke schön, mein Kind.
- Sieh doch mal nach: Kriecht mir da nicht 'ne Spinne über den Rock? Sind
- auch die Rockschöße hübsch rein? Danke, meine Liebste! Sieh mal, hier
- scheint noch was zu sitzen. (Streicht mit der Hand über den Ärmel und
- beobachtet Anutschkin und Iwan Pawlowitsch.) Es ist nämlich englischer
- Stoff. Und wie er sich trägt! Im Jahre 95, als unsere Flotte in Sizilien
- lag, -- ich war damals allerdings noch Kadett -- hab' ich mir die
- Uniform daraus machen lassen. 1801 unter Zar Pawel Petrowitsch wurde ich
- Leutnant, und der Stoff war noch ganz wie neu. 1814 machte ich die
- Weltumseglung mit, da merkte ich zum erstenmal, daß er anfängt, sich an
- den Nähten abzuscheuern, und 1815 nahm ich meinen Abschied; da brauchte
- ich ihn blos wenden zu lassen. Nun trage ich ihn schon zehn Jahre, und
- er ist noch immer fast wie neu ... So ist's gut, Herzchen, danke schön,
- meine Holde ... (Er wirft ihr eine Kußhand zu, geht an den Spiegel und
- fährt sich mit der Hand durch die Haare.)
- Anutschkin. Gestatten Sie mir, Sizilien ... Sie geruhten vorhin ...
- Sizilien zu erwähnen. Ist das eigentlich ein schönes Land ... dieses
- Sizilien?
- Schewakin. Äh, ich sage Ihnen, ein herrliches Land. Vierunddreißig Tage
- lagen wir dort vor Anker. Eine Gegend, sage ich Ihnen, einfach
- entzückend. Solche Berge, -- zwischendurch mal ein Granatenbaum, und
- überall diese kleinen Italienerinnen, wie zarte Röschen, einfach zum
- Küssen!
- Anutschkin. Und wie steht es mit der Bildung?
- Schewakin. Oh, ganz ausgezeichnet! Sie sind so gebildet, wie bei uns
- etwa nur die Gräfinnen. Sehen Sie, zum Beispiel ... mitunter bummelt man
- durch die Straßen. Sie wissen ja, was ein russischer Leutnant ist.
- Natürlich Epauletts (er zeigt auf die Schulter), goldene Schnüre; -- und
- herum alle die schwarzäugigen Schönen, ... dort hat ja jedes Haus einen
- Balkon und platte Dächer, platt wie dieser Fußboden ... Da sieht man
- denn mal so rauf, und oben sitzt dann solch ein Röschen. Natürlich will
- man sich doch auch nichts vergeben .... (Macht eine liebenswürdige
- Verbeugung und winkt mit der Hand.) Und auch sie macht bloß so ....
- (Macht eine entsprechende Geste.) Selbstverständlich alle brillant
- gekleidet. Hier, so ein Mieder, dann das Korsett, allerhand
- Damen-Ohrringe, mit einem Wort ... ein Leckerbissen.
- Anutschkin. Und wenn ich Sie noch um eine Auskunft bitten dürfte ...
- Sagen Sie ... welche Sprache spricht man in Sizilien?
- Schewakin. Natürlich spricht alles Französisch.
- Anutschkin. Dann sprechen also auch alle jungen Damen Französisch?
- Schewakin. Alle, ohne Ausnahme ... Sie werden mir vielleicht nicht
- glauben, was ich Ihnen jetzt sage: Wir haben vierunddreißig Tage vor
- Sizilien gelegen, und während dieser ganzen Zeit habe ich nicht ein
- einziges Wort Russisch von ihnen gehört.
- Anutschkin. Nicht ein Wort?
- Schewakin. Kein Wort. Dabei rede ich noch nicht einmal von den Adligen
- und den übrigen Signoren, d. h. von ihren Offizieren, -- nein, nehmen
- Sie den gewöhnlichen Bauern oder Arbeiter, der jeden Dreck auf seinen
- Schultern schleppt, probieren Sie mal, ihm zu sagen: Bruder, gib mir ein
- Stück Brot! -- Er wird Sie nicht verstehen, bei Gott; er versteht Sie
- nicht. Aber sagen Sie ihm dasselbe auf französisch: _Dateci del pane_
- oder _Portate vino_ -- dann versteht er Sie sofort. Im Augenblick läuft
- er hin und bringt, was Sie wünschen.
- Iwan Pawlowitsch. Ein merkwürdiges Land muß doch dieses Sizilien sein,
- wie ich sehe. Sie sagten da: ein Bauer! Wie ist es denn mit diesem
- Bauern? Ist er ganz ebenso wie ein russischer Bauer? So ein
- breitschultriger Kerl, der den Acker pflügt, oder nicht?
- Schewakin. Darüber kann ich Ihnen leider keine Auskunft geben. Ob sie
- auch pflügen oder nicht, das hab' ich gar nicht beobachtet. Aber was das
- Tabakschnupfen anbelangt, so kann ich Ihnen allerdings versichern, daß
- sie ihn nicht nur alle schnupfen, sondern daß sie ihn auch in die Backen
- stecken. Auch das Fahren ist dort sehr bequem. Nichts wie Wasser
- ringsherum, und dabei überall Gondeln. Und darinnen selbstverständlich
- solch eine kleine Italienerin, so ein Röschen, und angezogen, ...
- pikfein! So ein Lätzchen und Tüchlein, und so ... Sehen Sie, wir hatten
- auch zwei englische Offiziere mit uns. Ich sage Ihnen, das war eine
- Gesellschaft, ganz wie unsere Seeleute. Anfangs war es ja ein bißchen
- merkwürdig, wir verstanden uns nämlich nicht; aber als wir uns erst
- ordentlich kennen gelernt hatten, da verstanden wir uns vortrefflich. So
- zeigen Sie zum Beispiel auf die Flasche oder auf das Glas, und jeder
- weiß sofort -- das bedeutet: einen nehmen. Oder man legt die Finger an
- den Mund und macht mit den Lippen nur: Paff! Paff! Das bedeutet dann
- einfach: Ich will eine Pfeife rauchen. Überhaupt kann ich Ihnen sagen:
- eine ganz leichte Sprache. Unsere Matrosen, die verstanden sich bereits
- nach zwei oder drei Tagen.
- Iwan Pawlowitsch. Wie ich sehe ein höchst interessantes Leben in fremden
- Ländern. Es freut mich außerordentlich, die Bekanntschaft eines Mannes
- zu machen, der so weit herumgekommen ist. Darf ich fragen, mit wem ich
- die Ehre habe?
- Schewakin. Schewakin, Leutnant zur See a. D. Erlauben Sie, mich auch
- meinerseits zu erkundigen, mit wem ich das schätzbare Vergnügen habe ...
- Eierkuchen. Exekutor, noch im Dienst, Iwan Pawlowitsch ... Eierkuchen!
- Schewakin (ihn nicht verstehend). Ja, ich habe auch schon etwas
- gegessen. Sehen Sie, ich weiß, ich habe noch einen großen Weg vor mir,
- und es ist heute sehr kalt; da habe ich ein Stückchen Brot mit Hering zu
- mir genommen.
- Eierkuchen. Nein, Sie scheinen mich nicht richtig verstanden zu haben;
- Eierkuchen -- das ist mein Familienname.
- Schewakin (sich verbeugend). Ah, das freut mich sehr! ... Verzeihen Sie,
- ich höre etwas schlecht. Ich verstand, Sie wollten sagen: Sie hätten
- Eierkuchen gegessen.
- Eierkuchen. Ja, was soll man machen! -- Ich wollte schon den General um
- die Erlaubnis bitten, mich Eier_kuchler_ nennen zu dürfen. Aber meine
- Verwandten waren dagegen, sie meinten, das hätte wieder zu viel
- Ähnlichkeit mit »Ei Verfluchter« ...
- Schewakin. Ja, es passieren schon solche Geschichten. Sehen Sie z. B.
- unser ganzes drittes Geschwader: sämtliche Offiziere und Matrosen hatten
- so merkwürdige Familiennamen .... Herr von Spülicht, Herr von Süffel,
- Leutnant von Schweißlappen, und ein Kadett, übrigens sonst ein famoser
- Kerl, hieß ganz einfach: Loch, so daß man den Kapitän manchmal rufen
- hörte: Komm doch mal her, Löchlein. Auch die anderen machten sich oft
- über ihn lustig und riefen ihm zu: Ach du Loch, du Löchlein du! (Es
- schellt. Thekla läuft durch das Zimmer und öffnet.)
- Eierkuchen. Eh, guten Tag, Mütterchen!
- Schewakin. Guten Tag, wie geht's, meine Seele?
- Anutschkin. Guten Tag, Mütterchen Thekla Iwanowna.
- Thekla (kommt atemlos gelaufen). Danke schön, danke schön, meine lieben
- Herren. Gut, gut.
- (Sie öffnet die Tür, im Vorzimmer hört man Stimmen: »Zu Hause?«
- »Jawohl!« Dann hört man ein paar unverständliche Worte, worauf
- Thekla ärgerlich ausruft: »Du bist mir aber auch einer!« ...)
- 17. Auftritt
- Die Vorigen. Kotschkarjow, Podkoliessin und Thekla.
- Kotschkarjow (zu Podkoliessin). Denk immer nur an eins: Courage und
- weiter nichts! (Er sieht sich um, macht erstaunt einige Verbeugungen,
- beiseite.) Teufel, was für ein Haufen Menschen! Was hat das zu bedeuten?
- Das sind doch nicht etwa lauter Freier? (Er gibt Thekla einen Rippenstoß
- und sagt leise zu ihr.) Woher nahmst du bloß all die Geier?
- Thekla (leise). Was, Geier? ... Das sind lauter anständige Menschen.
- Kotschkarjow (zu ihr). Nun, nun, viel Geschrei und wenig Wolle!
- Thekla. Kehr du nur vor deiner Tür. Du hast auch nichts, womit du
- prahlen könntest ... 'ne Zobelmütze auf'm Kopf und 'ne Wassersuppe in
- dem Topf!
- Kotschkarjow. Das sind wohl alles deine Kunden, was? Alle mit 'nem Loch
- im Beutel. (Laut.) Aber wo bleibt sie denn nur? Diese Tür geht wohl in
- ihr Schlafzimmer? (Geht zur Türe.)
- Thekla. Schäme dich was, ich sagte dir doch, sie zieht sich noch um.
- Kotschkarjow. Welch ein Malheur! Was ist denn dabei? ... Ich will ja nur
- mal reingucken ... und weiter nichts. (Sieht durch das Schlüsselloch.)
- Schewakin. Ah, ich bitte sehr, erlauben Sie mir doch auch einmal,
- hineinzusehen.
- Eierkuchen. Ach, lassen Sie mich nur ein Augenblickchen durchsehen.
- Kotschkarjow (sieht noch immer durchs Schlüsselloch). Es ist nichts zu
- sehen, meine Herrschaften! Man kann absolut nichts erkennen. Man sieht
- nur was Weißes; aber es ist nicht herauszukriegen: ist's eine Frau oder
- ein Kopfkissen.
- (Alle drängen sich jedoch um die Tür und suchen sich gegenseitig
- fortzustoßen, um durchs Schlüsselloch zu sehen.)
- Kotschkarjow. Sst. Es kommt jemand ... (Alle springen zurück.)
- 18. Auftritt
- Die Vorigen, Arina Panteleimonowna und Agathe Tichonowna. Alle
- verbeugen sich.
- Arina Panteleimonowna. Was verschafft uns die Ehre Ihres Besuches?
- Eierkuchen. Wie ich aus den Zeitungen erfahre, wollen Sie Holz schlagen
- lassen. Ich bin staatlicher Exekutor, und so komme ich, zu hören, um was
- für einen Baumschlag es sich hier handelt, wieviel und bis wann Sie
- liefern können.
- Arina Panteleimonowna. Holz -- haben wir zwar nicht abzugeben, aber wir
- freuen uns über Ihren Besuch. Darf ich nach Ihrem Namen fragen?
- Eierkuchen. Iwan Pawlowitsch Eierkuchen -- Kollegienassessor.
- Arina Panteleimonowna. Nehmen Sie gefälligst Platz. (Wendet sich an
- Schewakin und blickt ihn scharf an.) Und darf ich Sie fragen, was Sie
- ...
- Schewakin. Oh, ich habe auch so eine Annonce gelesen und da hab' ich mir
- gedacht: da mußt du doch mal hingehen. Sehen Sie, das Wetter war sehr
- schön, überall am Wege grünt und blüht es ...
- Arina Panteleimonowna. Und wie ist Ihr Name?
- Schewakin. Oh, Leutnant zur See a. D. ... Baltasar Baltasarowitsch
- Schewakin der Zweite. Wir hatten nämlich noch einen andern Schewakin,
- aber der nahm noch vor mir seinen Abschied. Er wurde nämlich am Bein
- verwundet, Mütterchen. Und dabei traf ihn die Kugel so eigentümlich; sie
- verletzte nur eine Sehne, ohne den Knochen in Mitleidenschaft zu ziehen.
- Das hing alles nur grade noch zusammen, und wenn man neben ihm stand,
- sah es genau so aus, als ob er einem von hinten eins mit dem Fuße
- auswischen wollte.
- Arina Panteleimonowna. Bitte, nehmen Sie doch Platz. (Zu Anutschkin.)
- Und Sie, mein Herr, was führt Sie her?
- Anutschkin. Ich habe die Ehre, Ihr Nachbar zu sein. Ich wohne ganz in
- Ihrer Nähe.
- Arina Panteleimonowna. Etwa im Hause der Frau Kaufmann Tulubow? Hier
- gegenüber?
- Anutschkin. Nein, das nicht. Einstweilen wohne ich noch in Peßki; aber
- ich habe die feste Absicht, mit der Zeit hierher in Ihren Bezirk zu
- ziehen.
- Arina Panteleimonowna. Setzen Sie sich, bitte! (Zu Kotschkarjow.) Und
- darf ich wissen, was Sie veranlaßte ...
- Kotschkarjow. Ja! Wie? Erkennen Sie mich denn nicht? (Wendet sich an
- Agathe Tichonowna.) Und auch Sie nicht, mein Fräulein?
- Agathe Tichonowna. Mir scheint, ich habe Sie noch nie gesehen.
- Kotschkarjow. Aber erinnern Sie sich doch. Sie haben mich sicher schon
- irgendwo gesehen.
- Agathe Tichonowna. Ich weiß wirklich nicht. Doch nicht etwa bei
- Birjuschkins?
- Kotschkarjow. Wo denn sonst? ... Natürlich bei Birjuschkins.
- Agathe Tichonowna. Ach, dann wissen Sie wohl noch gar nicht, was für
- eine Geschichte da passiert ist?
- Kotschkarjow. Gewiß; sie hat sich verheiratet.
- Agathe Tichonowna. Nun, das wäre noch nicht so schlimm; nein, sie hat
- sich ein Bein gebrochen.
- Arina Panteleimonowna. Ja, ein schwerer Bruch. Sie fuhr spät abends im
- Wagen nach Hause, der Kutscher war betrunken und warf den Wagen um.
- Kotschkarjow. Richtig, jetzt erinnere ich mich! Irgend etwas mußte mit
- ihr passiert sein ... entweder sie hatte sich verheiratet oder sie hatte
- sich ein Bein gebrochen.
- Arina Panteleimonowna. Und wie heißen Sie?
- Kotschkarjow. Bitte sehr -- Ilja Fomitsch Kotschkarjow. Wir sind doch
- Verwandte. Meine Frau spricht fortgesetzt davon. Erlauben Sie, erlauben
- Sie: (Er faßt Podkoliessin bei der Hand und zieht ihn herbei.) Mein
- Freund Iwan Kusmitsch Podkoliessin, Hofrat. Ist Expeditor, macht aber
- alles allein. Er hat sein Ressort famos in die Höhe gebracht.
- Arina Panteleimonowna. Und wie ist Ihr Name?
- Kotschkarjow. Podkoliessin. Iwan Kusmitsch Podkoliessin. Der Direktor,
- der ist überhaupt nur noch _pro forma_ da. Er hat das ganze Departement
- in den Händen. Iwan Kusmitsch Podkoliessin.
- Arina Panteleimonowna. Bitte, nehmen Sie Platz.
- 19. Auftritt
- Die Vorigen und Starikow.
- Starikow (verbeugt sich lebhaft und schnell wie ein Kaufmann und stemmt
- die Hände ein wenig in die Seite). Guten Tag, Mütterchen Arina
- Panteleimonowna. Bei uns in der Passage war davon die Rede, Sie hätten
- Wolle zu verkaufen, Mütterchen.
- Agathe Tichonowna (wendet sich verächtlich ab, halblaut murmelnd, aber
- so, daß er es verstehen kann). Hier ist doch kein Kramladen.
- Starikow. Ei, also komm' ich wohl nicht zupaß? Oder ist der Brei schon
- ohne mich ausgelöffelt?
- Arina Panteleimonowna. Bitte, bitte, Alexei Dmitriewitsch, wenn wir auch
- nicht mit Wolle handeln, aber wir freuen uns doch sehr, daß Sie uns das
- Vergnügen machen. Bitte, nehmen Sie Platz.
- (Alle sitzen schweigend da. Pause.)
- Eierkuchen. Ein äußerst seltsames Wetter heute. Morgens, da sah es ganz
- so aus, als ob es regnen wollte. Jetzt jedoch scheint es wieder vorüber
- zu sein.
- Agathe Tichonowna. Ja, dieses Wetter ist wirklich furchtbar ... Bald ist
- es hell, und bald regnet es unaufhörlich. Ein höchst peinliches Wetter.
- Schewakin. Ganz recht! Zum Beispiel -- sehen Sie in Sizilien,
- Mütterchen! Wir waren einmal im Frühjahr mit unserer Flotte dort. Die
- jetzige Jahreszeit entspricht ungefähr unserem Februar. Wenn man da
- seine Schritte ins Freie lenkt, dann leuchtet die Sonne. Und dann fängt
- es plötzlich an zu regnen, und wenn man genauer zusieht, dann regnet es
- wirklich.
- Eierkuchen. Das Unangenehmste bei solch einem Wetter ist, alleine zu
- Hause zu sitzen. Bei einem verheirateten Manne, da ist's doch eine ganz
- andere Sache. Der langweilt sich nicht; aber, wenn man alleine sitzt,
- das ist einfach nicht zum ...
- Schewakin. Oh, eine tödtliche Langeweile!
- Anutschkin. Ja, das dürfte man wohl behaupten.
- Kotschkarjow. Ach was, die reinste Folter ist es. Man wird seines Lebens
- nicht mehr froh. Gott bewahre mich vor einem solchen Zustand.
- Eierkuchen. Wie wäre es nun, mein Fräulein, wenn Sie in die Lage kämen,
- sich ein ... einen ... Gegenstand zu wählen? Kann ich Ihren Geschmack
- erfahren? Entschuldigen Sie, daß ich so frei von der Leber rede ... Was
- paßte Ihnen wohl am besten? Ich meine, welches Amt müßte Ihr Mann
- bekleiden?
- Schewakin. Wollten Sie nicht einen Mann Ihr eigen nennen, der sich mit
- allen Stürmen des Meeres herumgeschlagen hat? ...
- Kotschkarjow. Nein, nein, der beste Mann ist meiner Meinung nach nur
- einer, der ein ganzes Departement leiten kann.
- Anutschkin. O bitte, warum denn ein solches Vorurteil. Warum wollten Sie
- einen Mann geringschätzen, der vielleicht nur bei der Infanterie gedient
- hat, der es aber doch versteht, die Formen der feinen Welt zu schätzen.
- Eierkuchen. Entscheiden Sie, Fräulein!
- Agathe Tichonowna (schweigt).
- Thekla. So sprechen Sie doch, Mütterchen! Reden Sie doch einen Ton.
- Eierkuchen. Nun Fräulein, bitte, wie steht's? ...
- Kotschkarjow. Wie denken Sie darüber, Agathe Tichonowna?
- Thekla (leise zu ihr). Sagen Sie doch irgendwas, ... sagen Sie nur: »Ich
- danke bestens,« oder »mit Vergnügen!« Man sitzt doch nicht so stumm da.
- Agathe Tichonowna (leise). Ich schäme mich ja! Ich schäme mich wirklich.
- Ich will lieber gehen ... wirklich, ich will gehen. Tantchen, bleiben
- Sie statt meiner hier.
- Thekla. Ach, tu mir doch diese Schande nicht an. Lauf nur nicht fort, du
- blamierst uns ja nur. Weiß Gott, was sie von uns denken werden? ...
- Agathe Tichonowna (wie vorher). Nein, ich geh ... ich geh ... ich geh
- wirklich ... (Sie läuft hinaus; Thekla und Arina Panteleimonowna folgen
- ihr.)
- 20. Auftritt
- Die Vorigen ohne die Frauen.
- Eierkuchen. Da haben wir's! Jetzt laufen sie alle fort. Was soll das nun
- wieder bedeuten? ...
- Kotschkarjow. Wahrscheinlich ist irgend etwas passiert? ...
- Schewakin. Vielleicht ist die Toilette in Unordnung geraten. Man muß
- etwas nachhelfen ... Vielleicht das Mieder feststecken ... (Thekla kommt
- zurück; alle stürzen mit Fragen auf sie zu.) Nun, nun, was ist los?
- Kotschkarjow. Ist was passiert? ...
- Thekla. Wie soll denn was passiert sein! Bei Gott! Nichts ist passiert.
- Kotschkarjow. Warum ist sie denn dann fortgelaufen?
- Thekla. Ihr habt sie in Verlegenheit gebracht. Darum ist sie
- rausgelaufen. Sie war ja ganz verwirrt und wußte nicht mehr ein noch
- aus. Sie bittet mich, daß Ihr sie entschuldigen sollt. Ihr möchtet doch
- heute abend zu einem Glas Tee kommen. (Geht ab).
- Eierkuchen. Eh, dieses Glas Tee! Deswegen kann mir die ganze Heiraterei
- gestohlen werden. Nun geht wieder die Plackerei von vorne los ... »Heute
- haben wir keine Zeit ... bitte kommen Sie morgen ... oder übermorgen ...
- auf ein Glas Tee! Wir müssen es uns noch überlegen« ... Und dabei ist
- die Heirat doch 'ne ganz lumpige Sache. Erfordert durchaus kein
- Kopfzerbrechen. Hol's der Teufel! Ich steh im Dienst, ich hab' keine
- Zeit.
- Kotschkarjow (zu Podkoliessin). Hör mal du, das Mädel ist nicht übel,
- was? ...
- Podkoliessin. Durchaus nicht übel!
- Schewakin. Nettes Mädchen das!
- Kotschkarjow (beiseite). Teufel, dieser Esel ist wohl verliebt! Er
- verpfuscht uns womöglich noch die ganze Geschichte. (Laut.) Die ist doch
- nicht nett! Auch nicht im mindesten.
- Eierkuchen. Die Nase ist zu groß.
- Schewakin. O nein. Davon habe ich nichts bemerkt. Sie ist ein richtiges
- Röschen!
- Anutschkin. Auch ich möchte mich dieser Ansicht anschließen. Es ist doch
- nichts Rechtes. Ich möchte sogar zweifeln, daß sie etwas von den Formen
- der feinen Welt versteht. Es ist noch die Frage, ob sie das Französische
- beherrscht.
- Schewakin. Aha, dann gestatten Sie mir wohl die Frage, warum haben Sie
- es nicht versucht, mit ihr Französisch zu sprechen. Vielleicht kann sie
- es doch?
- Anutschkin. Sie glauben, daß ich des Französischen mächtig bin. Ach
- nein, ich hatte leider niemals das Glück, eine dahingehende Erziehung zu
- genießen. Mein Vater war ein Schweinehund, sozusagen ... ein Lump. Er
- hat gar nicht daran gedacht, mich Französisch lernen zu lassen. Damals
- war ich ja noch ein Kind; es wäre also ganz leicht gewesen, es mir
- beizubringen. Ich hätte nur tüchtig Prügel zu bekommen brauchen, dann
- könnte ich heute Französisch.
- Schewakin. Da Sie es nun aber nicht verstehen, was könnte es Ihnen
- nützen, wenn diese ...
- Anutschkin. O nein! Bei einer Frau ist das etwas ganz anderes. Sie muß
- es unbedingt können; sonst ist eben ... dieses und das und ... (er macht
- ein paar Gesten) alles eben nicht in Ordnung.
- Eierkuchen (beiseite). Mag sich ein anderer darüber den Kopf zerbrechen.
- Ich will unterdessen mal hinlaufen und mir das Haus und seine beiden
- Seitenflügel von unten ansehen. Wenn da nur alles in Ordnung ist, dann
- setze ich es heute abend noch durch. Diese Herren Freier sind mir gewiß
- nicht gefährlich, das ist ja man 'ne recht schwächliche Sorte. Solche
- Gesellen! Nein, die Frauenzimmer haben einen andern Geschmack.
- Schewakin. Man sollte sich eine Pfeife anzünden! Haben wir vielleicht
- denselben Weg? Darf ich fragen, wo wohnen Sie doch gleich?
- Anutschkin. Bitte sehr, in Peßki, in der Petrowski-Gasse.
- Schewakin. Hm, das wäre allerdings ein Umweg. Ich wohne auf
- Wassiliewski-Ostrow, in der achtzehnten Linie. Übrigens kann ich Sie
- doch begleiten.
- Starikow. Nein, die Herrschaften sind mir doch etwas zu hochnäsig. Na,
- Agathe Tichonowna, Sie werden noch einmal an mich denken. Ich empfehle
- mich Ihnen, meine Herren. (Er verbeugt sich und geht ab.)
- 21. Auftritt
- Podkoliessin und Kotschkarjow.
- Podkoliessin. Und worauf warten wir?
- Kotschkarjow. Nein, sag mal, sie ist doch ganz reizend, was?
- Podkoliessin. Ach, geh, aufrichtig gesagt, sie gefällt mir nicht!
- Kotschkarjow. Da haben wir's! Was soll das nun wieder heißen? Vorhin
- hast du doch selbst zugegeben, daß sie hübsch ist.
- Podkoliessin. Ich weiß nicht, aber es ist wohl doch nicht das Richtige.
- Die Nase ist zu lang und dann: sie spricht ja nicht Französisch.
- Kotschkarjow. Was soll denn das? ... Wozu hast du es denn nötig, daß sie
- Französisch spricht?
- Podkoliessin. Nein, bitte, ein Mädchen, das heiraten will, muß
- Französisch können.
- Kotschkarjow. Wozu?
- Podkoliessin. So ... weil ... nun ich weiß nicht mehr warum; sonst ist
- die Sache eben nicht in Ordnung.
- Kotschkarjow. Da haben wir's! Irgendein Esel hat hier so was behauptet,
- und du läßt gleich die Ohren hängen. Sie ist entzückend, sag' ich dir,
- einfach entzückend! Ein solches Mädchen findest du überhaupt nicht
- wieder.
- Podkoliessin. Ich muß ja gestehen, im Anfang gefiel sie mir ebenfalls.
- Aber als nachher die andern kamen und sagten, die Nase sei zu lang, da
- sah ich genauer hin und fand wirklich, daß die Nase zu lang ist.
- Kotschkarjow.
- Ach, dieser Esel läuft umher,
- Find't seine eigne Tür nicht mehr!
- Du Dummkopf, das wird doch absichtlich so geredet, um dich wegzugraulen.
- Ich hab's doch genau so gemacht. So wird's eben gemacht! Bester, ich
- sag' dir, das ist ein Mädchen! Sieh dir nur mal die Augen an. Augen sind
- das! Die reden und glühen ja förmlich. Weiß der Teufel! Und die Nase ...
- Himmel, ist das 'ne Nase! Wie Alabaster so weiß. Ach was, Alabaster
- reicht da gar nicht heran. Sieh du sie dir nur erst mal ordentlich an.
- Podkoliessin (lächelnd). Ja, jetzt sehe ich es selbst: sie ist wirklich
- schön.
- Kotschkarjow. Natürlich ist sie's! Hör mal: jetzt, nachdem sie alle fort
- sind, können wir gleich reingehen, du erklärst dich, und die Geschichte
- ist erledigt.
- Podkoliessin. Nein, das tue ich denn doch nicht.
- Kotschkarjow. Warum denn nicht?
- Podkoliessin. Das wäre doch zu unverschämt. Wir sind doch so viele, mag
- sie selbst wählen.
- Kotschkarjow. Was gehen denn dich die andern an? Fürchtest du dich vor
- der Konkurrenz. Wie? Oder willst du, daß ich sie alle in einer Minute
- hinausbefördere?
- Podkoliessin. Ja, wie willst du sie denn hinausbefördern?
- Kotschkarjow. Das laß nur meine Sache sein! Versprich mir nur das eine,
- daß du nachher dein Wort nicht zurücknimmst.
- Podkoliessin. Weshalb sollte ich das nicht versprechen? Bitte schön, ich
- leiste ja gar keinen Widerstand. Ich habe die feste Absicht, zu
- heiraten! -- --
- Kotschkarjow. Deine Hand darauf!
- Podkoliessin (reicht ihm die Hand). Hier.
- Kotschkarjow. Nun, mehr brauch' ich nicht. (Beide ab.)
- Zweiter Aufzug
- Zimmer im Hause Agathe Tichonownas.
- 1. Auftritt
- Agathe Tichonowna allein; später Kotschkarjow.
- Agathe Tichonowna. Nein, wie schwer wird einem doch eine solche Wahl!
- Wären es nur einer oder zwei. Aber nun gleich vier. Ja, wer die Wahl
- hat, hat die Qual! Nikanor Iwanowitsch ist ja nicht übel; obwohl er
- etwas zu mager ist. Iwan Kusmitsch ist übrigens auch nicht häßlich und,
- wenn ich die Wahrheit sagen soll, so ist zwar Iwan Pawlowitsch ein wenig
- dick, aber doch ein ganz stattlicher Mann. Schöne Geschichte! Was soll
- ich nur anfangen? Andererseits hat auch Baltasar Baltasarowitsch seine
- Vorzüge. Nein, wie schwer wird einem doch solch ein Entschluß! Es läßt
- sich gar nicht sagen, wie schwer. Wenn man die Lippen Nikanor
- Iwanowitschs nehmen und die Nase Iwan Kusmitschs darüber setzen könnte,
- und wäre dazu etwas von der Keckheit Baltasar Baltasarowitschs und dann
- noch ein wenig von der Fülle Iwan Pawlowitschs dabei -- dann würde ich
- mich auf der Stelle entschließen. So aber, ach, ich mag gar nicht daran
- denken! Der Kopf schmerzt mir schon. Vielleicht wäre es das Beste, darum
- zu losen. Möge Gott entscheiden! Wen ich ziehe, der soll mein Mann
- werden. So, ich werde alle Namen auf Zettelchen schreiben, sie rollen,
- durcheinanderschütteln, und mag dann kommen, was kommen will. (Sie geht
- an das Tischchen, holt Papier und eine Schere herauf, schneidet einige
- Zettel, rollt sie und fährt fort.) Wie schrecklich ist doch die Lage
- eines jungen Mädchens, besonders wenn sie verliebt ist ... Kein Mann
- kann sich da hineinversetzen, ach, keiner wird sie auch nur verstehen
- wollen. So, jetzt sind sie alle fertig. Jetzt brauche ich sie nur ins
- Täschchen zu stecken, die Augen zuzumachen und dann mag kommen, was da
- will. (Sie legt die Zettel in den Pompadour und mischt sie mit der
- Hand.) Wie ängstlich ich bin! Ach, wenn Gott gäbe, daß ich Nikanor
- Iwanowitsch zöge ... Doch nein, warum grade ihn? ... Lieber schon Iwan
- Kusmitsch. Aber warum grade Iwan Kusmitsch? Die andern sind doch auch
- nicht schlechter. Nein, ich will an nichts denken. Wen ich herausziehe,
- der mag es schon sein. Endgültig! (Sie sucht mit der Hand im Pompadour
- herum und zieht statt eines Zettels -- alle auf einmal.) Ach Herr Gott,
- jetzt habe ich alle auf einmal herausgezogen ... Ach, wie mein Herz
- klopft ... Nein, nein, nur einen! (Sie legt die Zettel wieder in den
- Pompadour und mischt sie von neuem. In diesem Augenblick kommt
- Kotschkarjow leise herein und tritt hinter sie.) Ach, wenn ich doch
- Baltasar Baltasarowitsch, nein, ich wollte sagen Nikanor Iwanowitsch ...
- Nein, nein, ich will nicht. Das Schicksal mag entscheiden.
- Kotschkarjow. Nehmen Sie Iwan Kusmitsch! Fertig! Das ist schon das
- allerbeste.
- Agathe Tichonowna. Ach! (Sie schreit auf, bedeckt das Gesicht mit beiden
- Händen und fürchtet sich, sich umzusehen.)
- Kotschkarjow. Warum erschrecken Sie so? Haben Sie keine Angst; ich bin
- es. Wirklich, nehmen Sie schon Iwan Kusmitsch.
- Agathe Tichonowna. Ach, ich schäme mich so. Gewiß haben Sie gehorcht.
- Kotschkarjow. Das schadet doch nichts! Ich gehöre doch zur Familie. Vor
- mir brauchen Sie ja keine Geheimnisse zu haben. Lassen Sie mich doch Ihr
- Gesichtchen sehen.
- Agathe Tichonowna (zieht die Hand zur Hälfte zurück). Nein, wirklich,
- ich schäme mich!
- Kotschkarjow. Also, nehmen Sie Iwan Kusmitsch.
- Agathe Tichonowna. Ach! (Schreit wieder auf und bedeckt das Gesicht von
- neuem mit den Händen.)
- Kotschkarjow. Wirklich, er ist ein prächtiger Mensch; er hat sein
- Ressort famos in die Höhe gebracht. Wahrhaftig, ein seltener Mensch!
- Agathe Tichonowna (zieht ihre Hände wieder langsam zurück). Wie aber ...
- und der andere? Nikanor Iwanowitsch? Das ist doch auch ein
- vortrefflicher Mensch.
- Kotschkarjow. Aber, ich bitte Sie, das ist doch nur Bruch; im Vergleich
- zu Iwan Kusmitsch.
- Agathe Tichonowna. Wieso denn?
- Kotschkarjow. Aber das ist doch ganz klar! Iwan Kusmitsch ist eben ein
- Mensch ... nun also, ein Mensch, so, wie Sie ihn einfach nicht wieder
- finden.
- Agathe Tichonowna. Und Iwan Pawlowitsch?
- Kotschkarjow. Na, Iwan Pawlowitsch ist natürlich auch Bruch; kurz und
- gut, sie sind eben alle Bruch.
- Agathe Tichonowna. Wirklich alle?
- Kotschkarjow. Urteilen Sie doch selbst. Sie brauchen nur zu vergleichen.
- So oder so -- Iwan Kusmitsch, und daneben die andern ... hergelaufenes
- Gesindel! Dieser Iwan Pawlowitsch, dieser Nikanor Iwanowitsch. Pfui
- Teufel noch einmal!
- Agathe Tichonowna. Eigentlich haben Sie recht! Es sind wahrhaftig recht
- unansehnliche Menschen.
- Kotschkarjow. Was? ... Unansehnlich? Pack! Strolche! Eine ganz
- gefährliche Bande! Haben Sie denn Lust, schon am Tage nach der Hochzeit
- geschlagen zu werden?
- Agathe Tichonowna. O mein Gott! Welch ein Unglück ... ich könnte mir
- kein furchtbareres Unglück denken.
- Kotschkarjow. Etwas Furchtbareres läßt sich auch gar nicht vorstellen.
- Agathe Tichonowna. Also Sie meinen, ich soll Iwan Kusmitsch nehmen?
- Kotschkarjow. Gewiß. Iwan Kusmitsch. Natürlich! Iwan Kusmitsch
- (Beiseite.) Ich glaube, die Sache geht glatt. Podkoliessin sitzt im
- Café, ich will gleich mal hinlaufen und ihn holen.
- Agathe Tichonowna. Also, Sie meinen wirklich, daß ich Iwan Kusmitsch
- nehmen soll?
- Kotschkarjow. Unbedingt Iwan Kusmitsch ...
- Agathe Tichonowna. Und ich soll den andern einen Korb geben?
- Kotschkarjow. Selbstverständlich! ...
- Agathe Tichonowna. Wie soll ich das nur machen? Ich schäme mich ein
- wenig.
- Kotschkarjow. Was ist dabei zu schämen? ... Sagen Sie doch einfach, Sie
- fühlen sich noch zu jung zum Heiraten.
- Agathe Tichonowna. Das werden sie mir nicht glauben. Sie werden erst
- fragen: wie, warum, weswegen ...
- Kotschkarjow. Ja, wollen Sie die Gesellschaft auf einmal loswerden, dann
- sagen Sie doch einfach: »Macht daß ihr rauskommt, Ihr Esel!«
- Agathe Tichonowna. Aber nein, so was sagt man doch nicht!
- Kotschkarjow. Versuchen Sie's nur mal, seien Sie sicher, danach laufen
- sie alle davon.
- Agathe Tichonowna. Nein, das wäre ja geradezu grob.
- Kotschkarjow. Aber Sie sehen sie doch nicht mehr wieder. Da kann's Ihnen
- doch gleich bleiben.
- Agathe Tichonowna. Es schickt sich aber doch nicht. Und dann, sie
- könnten in Wut geraten.
- Kotschkarjow. Das ist doch kein Unglück, wenn sie böse werden. Wenn's
- noch irgendwelche Folgen hätte, dann wär's was anderes. Das Schlimmste,
- was Ihnen passieren kann, ist, daß Ihnen der eine oder der andere ins
- Gesicht spuckt. Weiter nichts! ...
- Agathe Tichonowna. Nun, da sehen Sie's!
- Kotschkarjow. Nun? Was schadet denn das? Manch einem ist das schon ein
- paarmal passiert. Bei Gott! Da hab' ich einen Bekannten, einen hübschen
- Kerl, mit roten Backen, der hat seinem Chef so lange auf dem Hals
- gelegen, ihn um Zulage gequält, bis der es schließlich nicht mehr
- aushielt, und ihm gradweg ins Gesicht spuckte. Bei Gott! »Da hast du
- deine Zulage,« hat er ihn angebrüllt, »laß mich in Ruhe, du Satan!« aber
- bekommen hat er die Zulage nachher doch. Was hat's ihm geschadet, daß er
- ihn angespuckt hat? Ja, hätte er kein Taschentuch bei sich gehabt! Aber
- er hatte ja eins in der Tasche, nahm es heraus und wischte sich ab.
- (Draußen schellt es.) Aha, es klopft, da kommt wohl schon einer
- angezogen. Aber jetzt möchte ich keinem von ihnen begegnen. Sagen Sie,
- gibt es hier keinen zweiten Ausgang?
- Agathe Tichonowna. Ja, doch, hier über die Hintertreppe ... Ich zittre
- am ganzen Körper. Wahrhaftig! ...
- Kotschkarjow. Das macht nichts. Nur Mut und Selbstvertrauen! Leben Sie
- wohl. (Beiseite.) Ich muß doch den Podkoliessin schnell herschleppen.
- 2. Auftritt
- Agathe Tichonowna und Eierkuchen.
- Eierkuchen. Ich bin mit Absicht etwas früher gekommen, mein Fräulein, um
- Sie ganz allein zu sprechen und zwar in aller Ruhe. Was meinen Rang
- anbetrifft, Fräulein, so sind Sie, wie ich glaube, zur Genüge
- informiert. Ich bin Kollegien-Assessor; meine Vorgesetzten lieben mich;
- meine Untergebenen gehorchen mir; ich bedarf also nichts als einer
- Lebensgefährtin.
- Agathe Tichonowna. Ja.
- Eierkuchen. Jetzt aber habe ich eine gefunden, nämlich Sie! Bitte,
- antworten Sie mir, aber ohne Umschweife: Ja, oder nein! (Er betrachtet
- ihre Schultern; beiseite.) In der Tat, sie ist nicht so mager, wie die
- deutschen Mädchen; sie hat doch wenigstens was auf sich.
- Agathe Tichonowna. Aber ich bin doch noch zu jung; ich will noch nicht
- heiraten.
- Eierkuchen. Aber ich bitte Sie, mein Fräulein, warum bemüht sich dann
- die Vermittlerin? Nein, vielleicht wollten Sie etwas anderes sagen;
- sprechen Sie sich ruhig aus! (Es klingelt.) Teufel, die lassen einem ja
- nicht mal Zeit, die Sache richtig anzupacken.
- 3. Auftritt
- Die Vorigen und Schewakin.
- Schewakin. Mein gnädiges Fräulein, ich bitte Sie um Verzeihung, wenn ich
- vielleicht ein wenig zu früh erscheine. (Dreht sich um und erblickt
- Eierkuchen.) Aha, es ist schon jemand hier. Iwan Pawlowitsch, ich habe
- die Ehre!
- Eierkuchen (beiseite). Hol' dich der Teufel mit deiner Ehre. (Laut.)
- Also, wie steht's, mein Fräulein? Sagen Sie doch nur ein Wort: Ja oder
- nein? (Es läutet. Eierkuchen spuckt wütend aus.) Schon wieder die
- Glocke!
- 4. Auftritt
- Die Vorigen und Anutschkin.
- Anutschkin. Vielleicht, mein Fräulein, dürfte ich etwas früher gekommen
- sein, als es die Regeln des Anstandes erlauben. (Erblickt die übrigen
- und begrüßt sie mit einem Ausruf des Erstaunens.) Ah, Ihr ergebener
- Diener!
- Eierkuchen (bei sich). Zum Teufel mit deinem Diener! Dich hat der Satan
- hergeführt. Wenn du doch auf deinen dürren Stelzen zusammenklapptest!
- (Laut.) Nun also, mein Fräulein, entscheiden Sie sich jetzt! Sie wissen,
- mich ruft mein Dienst, ich habe nicht viel Zeit zu verlieren. Ja oder
- nein?
- Agathe Tichonowna (verlegen). Es ist nicht nötig ... es ist nicht nötig
- ... nicht doch ... (Zu sich selber.) Ich weiß ja gar nicht, was ich
- spreche.
- Eierkuchen. Wie, nicht nötig? In welcher Hinsicht nicht nötig?
- Agathe Tichonowna. Ach nein, nein, das wollte ich ja gar nicht sagen.
- (Plötzlich Mut fassend.) Raus! (Schlägt die Hände vor dem Gesicht
- zusammen.) Ach, mein Gott, mein Gott, was hab' ich nur gesagt!
- Eierkuchen. Wie raus? Was bedeutet das: Raus? Ich muß Sie fragen, was
- Sie darunter verstanden haben wollen? (Stemmt die Arme drohend in die
- Seite und geht auf sie zu.)
- Agathe Tichonowna (sieht ihn erschrocken an und schreit entsetzt auf).
- Mein Gott, er will mich schlagen! Er will mich schlagen!
- (Sie läuft hinaus; Eierkuchen bleibt mit offenem Munde stehen.
- Auf ihr Schreien kommt)
- Arina Panteleimonowna (hereingelaufen. Sowie sie ihm ins Gesicht sieht,
- schreit sie ebenfalls auf). Mein Gott, er will mich schlagen! (Läuft
- hinaus.)
- Eierkuchen. Was für eine Komödie geht hier vor sich? Eine schöne
- Geschichte das! (Es läutet wieder an der Türe; man hört von draußen
- Stimmen.)
- Stimme Kotschkarjows. So komm doch endlich! Komme doch rein! Was stehst
- du denn da?
- Stimme Podkoliessins. Geh nur voran! Laß mich einen Augenblick. Mein
- Hosenträger ist mir losgegangen. Laß mich ihn erst wieder befestigen.
- Stimme Kotschkarjows. Du läufst mir nur wieder weg.
- Stimme Podkoliessins. Wahrhaftig nicht. Ich laufe nicht weg. Bei Gott
- nicht.
- 5. Auftritt
- Die Vorigen und Kotschkarjow.
- Kotschkarjow. Da haben wir's! Als ob's so nötig wäre, sich die
- Hosenträger in Ordnung zu bringen.
- Eierkuchen (sich zu ihm wendend). Bitte, sagen Sie: das Fräulein hier
- ist wohl etwas dumm? Wie? ...
- Kotschkarjow. Wieso? Was ist denn passiert?
- Eierkuchen. Ihr Benehmen ist wirklich höchst merkwürdig. Sie läuft
- einfach hinaus und schreit in einem fort: »Er schlägt mich ... er
- schlägt mich!« Weiß der Teufel, was das bedeuten soll!
- Kotschkarjow. Aha ... Ja, das kommt bei ihr öfters vor. Sie ist eben ein
- bißchen beschränkt.
- Eierkuchen. Sagen Sie bitte, Sie sind doch verwandt mit ihr ...
- Kotschkarjow. Aber gewiß. Ich bin ihr Verwandter.
- Eierkuchen. So ... und in welchem Grade?
- Kotschkarjow. Das kann ich nicht so genau feststellen. Die Tante meiner
- Mutter hängt irgendwie mit ihrem Vater zusammen. Oder auch ihr Vater
- irgendwie mit meiner Tante. Meine Frau weiß darin besser Bescheid als
- ich. Das ist ihre Angelegenheit.
- Eierkuchen. Und ist sie denn schon lange so albern?
- Kotschkarjow. Ja, das hat sie schon seit der Geburt.
- Eierkuchen. Hm, besser wär's freilich, wenn sie etwas klüger wäre.
- Übrigens, mag sie doch dumm sein, auch gut, wenn nur das übrige in
- Ordnung ist.
- Kotschkarjow. Ja, sie bekommt doch nichts mit!
- Eierkuchen. Was? ... Und das steinerne Haus?
- Kotschkarjow. Aber, das sind doch bloß Redensarten. Das heißt doch nur
- so -- es wäre von Stein ... Wenn Sie wüßten, wie das Haus gebaut ist!
- Die Mauern sind doch nicht massiv! Zwei Reihen Ziegelsteine und
- dazwischen Sägemehl und Hobelspäne und allerhand solch ein Plunder.
- Eierkuchen. Was sagen Sie? ...
- Kotschkarjow. Natürlich, wissen Sie denn nicht, wie heutzutage Häuser
- gebaut werden? Doch nur, damit man sie beleihen kann.
- Eierkuchen. Aber auf diesem Hause liegen ja keine Hypotheken.
- Kotschkarjow. Von wem haben Sie sich denn das erzählen lassen? Das ist's
- ja eben. Wenn's nur die Hypotheken wären ... Die Zinsen für die beiden
- letzten Jahre sind noch nicht einmal bezahlt. Und dann hat sie noch
- einen Bruder im Senat, der streckt auch seine Finger nach dem Hause aus.
- Es gibt keinen größeren Halunken auf der Welt, als den. Seiner eigenen
- Mutter würde er den letzten Rock wegnehmen, der Elende.
- Eierkuchen. Was hat mir denn aber die Vermittlerin gesagt ... Oh, diese
- Bestie, dieser Auswurf der Menschheit! (Beiseite.) Aber vielleicht lügt
- er nur? Ich muß die Alte einem strengen Verhör unterziehen. Und sollte
- etwas Wahres dran sein, na, dann soll sie mir ein ander Liedchen
- anstimmen.
- Anutschkin. Dürfte ich Ihnen auch mit einer Frage lästig fallen? ... Ich
- muß gestehen, ich spreche selbst nicht Französisch, und da ist es
- außerordentlich schwer zu beurteilen, ob eine Dame es kann oder nicht.
- Spricht sie Französisch?
- Kotschkarjow. Ach wo, keine Ahnung hat sie!
- Anutschkin. Was sagen Sie?
- Kotschkarjow. Wie, ich muß das doch wissen! Sie war ja mit meiner Frau
- im selben Pensionat. Ihre Faulheit war geradezu berühmt; kurz, immer war
- sie die Dumme. Vor allem der französische Lehrer, der hat sie beständig
- mit dem Stock geschlagen.
- Anutschkin. Denken Sie sich! Sofort, als ich sie sah, hatte ich's im
- Gefühl: die versteht kein Französisch.
- Eierkuchen. Ach, hol' euch der Teufel mit eurem Französisch. Aber dieses
- verfluchte Weib, die Thekla Iwanowna, diese Bestie, diese alte Hexe!
- Wenn Sie bloß wüßten, wie schön sie mir das alles ausgemalt hat. Die
- reinste Künstlerin! »Bitte, ein Haus,« sagte sie, »und zwei Seitenflügel
- dazu, auf einem vorzüglichen Fundament, silberne Löffel, ein Schlitten
- -- man braucht sich nur reinzusetzen und loszufahren.« Mit einem Wort,
- man findet es selten in einem Roman so schön dargestellt. Ach, du alte
- Schuhsohle, verfluchte, warte, wenn ich dich nur in die Finger kriege
- ...
- 6. Auftritt
- Die Vorigen und Thekla.
- (Sobald sie sie erblicken, stürzen sie alle, durcheinandersprechend,
- auf sie zu.)
- Eierkuchen. Ah, da ist sie ja! Bitte, komm mal her, alte Sünderin!
- Näher, immer näher, noch näher ... komm mal her!
- Anutschkin. Also so konnten Sie mich hintergehen, Thekla Iwanowna?
- Kotschkarjow. Weh dir, Barbara, jetzt warte deines Gerichts!
- Thekla. Von all dem versteh' ich kein Wort! Ihr macht mich ja ganz taub.
- Eierkuchen. Eine Reihe Ziegelsteine, du alte Schuhsohle, und nichts als
- Hobelspäne dazwischen; und was hast du mir vorgelogen, von einem
- Zwischenstock, und weiß der Teufel was sonst noch?
- Thekla. Ich weiß es doch nicht, ich hab's nicht gebaut; vielleicht darf
- es gar nicht anders sein, vielleicht muß es nur eine Reihe Ziegelsteine
- haben, daher ist's auch so gebaut worden.
- Eierkuchen. Und dann die Hypotheken! Hol' dich der Teufel, verfluchte
- Hexe! (Stampft wütend mit dem Fuße auf.)
- Thekla. Du bist mir einer! Hier noch zu schimpfen. Ein andrer würde mir
- dankbar sein, daß ich mich so für ihn abgequält habe.
- Anutschkin. Ja, Thekla Iwanowna, mir haben Sie auch erzählt, daß sie
- Französisch kann.
- Thekla. Kann sie auch, mein Lieber. Deutsch und Französisch, alles kann
- sie; auf all die feinen Manieren versteht sie sich.
- Anutschkin. O nein, mir scheint, sie spricht nur Russisch.
- Thekla. Ist denn das so schlimm? Russisch ist doch verständlicher, daher
- spricht sie eben Russisch. Und spräche sie irgendeine barbarische
- Sprache, so säßest doch nur du in der Patsche. Kein Wort würdest du
- verstehen! Da ist doch über unser Russisch weiter kein Wort zu
- verlieren. Das kennt man wenigstens, auch die lieben Heiligen haben doch
- Russisch gesprochen.
- Eierkuchen. Nun? komm mal näher, immer näher, du Hexe!
- Thekla (weicht zurück und sucht die Tür zu erreichen). Nein, ich danke
- bestens. Ich kenne dich. Du bist ein gefährlicher Mensch. Ehe man sich's
- versieht, haust du zu.
- Eierkuchen. Paß auf, Herzchen, das bleibt dir nicht geschenkt! Ich nehm'
- dich und bring' dich zur Polizei; du sollst schon merken, was es heißt,
- ehrliche Leute zu betrügen. Darauf kannst du dich verlassen. Deiner
- Braut aber bestelle von mir: in meinen Augen ist sie ein Lump! Hörst du,
- vergiß es nicht, zu bestellen! (Geht hinaus.)
- Thekla. Seht doch einer den an. Wie wütend der ist! Er denkt, weil er so
- dick ist, könnt' es keiner mit ihm aufnehmen. Und ich sage dir, du bist
- selbst ein Lump! Hörst du!
- Anutschkin. Ich muß Ihnen ebenfalls gestehen, meine Verehrteste, ich
- hätte nie gedacht, daß Sie mich so betrügen könnten! Wenn ich's gewußt
- hätte, daß die Dame auf solch einem Niveau der Bildung steht, keinen Fuß
- würde ich über die Schwelle dieses Hauses gesetzt haben! Jawohl! (Geht
- hinaus.)
- Thekla. Ihr habt wohl Tollkirschen gefressen, oder einen zu viel
- genippt? Seht mal an, mäkeln die hier herum; dem ist die Bildung wohl
- auch in den Kopf gestiegen!
- 7. Auftritt
- Thekla, Kotschkarjow und Schewakin.
- Kotschkarjow (sieht Thekla an und zeigt mit dem Finger laut lachend auf
- sie). Hahaha!
- Thekla (ärgerlich). Na, was strapazierst du denn deinen Hals so?
- Kotschkarjow (fährt fort zu lachen).
- Thekla. Du wirst gleich platzen!
- Kotschkarjow. 'ne schöne Heiratsvermittlerin bist du mir. Eine
- Künstlerin in deinem Fach! Du hast die Sache aber raus. (Lacht
- unaufhörlich weiter.)
- Thekla. Was der zu lachen hat? ... Deine selige Mutter wird wohl auch
- nicht ganz bei Troste gewesen sein, als sie dich zur Welt brachte. (Sie
- läuft wütend hinaus.)
- 8. Auftritt
- Kotschkarjow und Schewakin.
- Kotschkarjow (fährt fort zu lachen). Herrgott, ich kann einfach nicht
- mehr! Bei Gott, ich kann nicht mehr! Ich halt's nicht mehr aus, ich
- platze vor Lachen. (Lacht weiter.)
- Schewakin (sieht ihn an und fängt gleichfalls an zu lachen).
- Kotschkarjow (ermüdet in einen Stuhl sinkend). Wahrhaftig, mir geht die
- Puste aus! Ich fühle, wenn ich noch lange so weiter lache, so verrecke
- ich.
- Schewakin. Ihr fröhliches Naturell gefällt mir außerordentlich. Wissen
- Sie, bei unserm Geschwader, das unter Kapitän Bolderow stand, war auch
- ein Kadett, namens Petuchow. Anton Iwanowitsch. Der war auch immer so
- fröhlich. Dem brauchte man nur den kleinen Finger zu zeigen, und schon
- lachte er los! Bei Gott! Und dann lachte er den ganzen Tag hindurch, bis
- zum späten Abend ... Wenn ihn einer nur ansah, kriegte er schon das
- Lachen, und eh' man's sich versah, lachte man selber mit.
- Kotschkarjow (atemholend). Ach Gott, erbarme dich meiner. Diese dumme
- Gans, was die sich einbildet. Wie soll sie es fertig kriegen, einen
- Menschen zu verheiraten. Die will einen verheiraten! Ja, wenn ich die
- Sache in die Hand nehme, dann will ich schon eine Heirat zustande
- bringen.
- Schewakin. Wirklich? ... In der Tat, könnten Sie den Heiratsvermittler
- spielen? ...
- Kotschkarjow. Selbstverständlich! Ich übernehme es, jedes beliebige Paar
- zusammenzubringen.
- Schewakin. Hören Sie mal, wenn das stimmt, so .... verschaffen Sie mir
- doch das Fräulein.
- Kotschkarjow. Ihnen? ... Was brauchen Sie denn zu heiraten?
- Schewakin. Warum denn nicht! Erlauben Sie mal, das ist doch eine
- seltsame Frage! Es ist doch klar, wozu.
- Kotschkarjow. Sie haben doch eben gehört, daß sie nichts mitbekommt.
- Schewakin. Wo nichts ist, hat der Kaiser sein Recht verloren! ... Das
- ist ja nicht schön, aber bei diesem entzückenden Fräulein mit den
- reizenden Manieren, da kann man schließlich auch ohne Mitgift auskommen.
- Ein kleines Kämmerchen, (macht eine entsprechende Geste) ein kleiner
- Flur, eine kleine spanische Wand oder so etwas wie ein Vorhang ...
- Kotschkarjow. Ja, aber was gefällt Ihnen denn an ihr so sehr?
- Schewakin. Wenn ich offen sein soll, so ist es grade jene Fülle, die sie
- auszeichnet. Sehen Sie, ich bin ein großer Amateur in bezug auf ... auf
- ... rundliche Frauen.
- Kotschkarjow (sieht ihn von der Seite an und sagt dann zu sich selbst).
- Na, damit kann er gerade nicht allzusehr Staat machen. Sieht selbst aus,
- wie ein ausgeschüttelter Tabaksbeutel. (Laut.) Wissen Sie, Sie sollten
- überhaupt nicht heiraten.
- Schewakin. Wie meinen Sie das? ...
- Kotschkarjow. Ganz einfach. Was haben Sie denn für eine Figur? Unter uns
- gesagt, Sie haben ja die reinsten Hahnenfüße.
- Schewakin. Hahnenfüße? ...
- Kotschkarjow. Natürlich! ... Gewiß! ... Wonach sehen Sie denn aus?
- Schewakin. Nein, erlauben Sie mal, wie können Sie sagen, ich hätte
- Hahnenfüße?
- Kotschkarjow. Sehr einfach! Das sind doch Hahnenfüße! ...
- Schewakin. Gestatten Sie mal, mir scheint, in Ihren Worten liegt etwas:
- mir scheint, Sie werden _persönlich_!
- Kotschkarjow. Ich sage Ihnen das doch nur, weil ich weiß, daß Sie ein
- vernünftiger Mensch sind. Einem andern hätte ich das doch nicht gesagt.
- Also gut, ich verschaffe Ihnen eine Frau; aber eine andere.
- Schewakin. Dann möchte ich Sie doch bitten ... keine andere. Seien Sie
- schon so gut ... bleiben wir bei dieser.
- Kotschkarjow. Schön, wenn Sie denn durchaus wollen ... meinetwegen. Aber
- unter einer Bedingung ... Sie dürfen sich nicht hineinmischen. Sie
- dürfen sich dem Fräulein überhaupt nicht zeigen. Ich werde alles allein
- machen.
- Schewakin. Erlauben Sie mal, ohne mich geht es denn doch nicht. Immerhin
- werde ich mich doch wohl dabei sehen lassen müssen.
- Kotschkarjow. Nein, durchaus nicht. Gehen Sie nach Hause und warten Sie
- auf mich. Heute abend ist alles in schönster Ordnung.
- Schewakin (reibt sich die Hände). Famos! Das wäre ja famos. Sagen Sie,
- brauchen Sie denn kein Attest, kein Dienstzeugnis? Vielleicht dürfte
- sich das Fräulein doch dafür interessieren. Ich werde sofort laufen und
- es holen.
- Kotschkarjow. Nein, nein, ich brauche nichts! Gehen Sie nur ruhig nach
- Hause. Verlassen Sie sich drauf, Sie bekommen noch heute Nachricht. (Er
- begleitet ihn hinaus.) Teufel auch, das würde dir wohl passen! ... Doch
- was ist das nur? Warum kommt denn der Podkoliessin nicht wieder? Das ist
- doch sehr merkwürdig! Er kann doch seine Hosenträger nicht ewig in
- Ordnung bringen ... Am Ende muß ich noch selbst hinlaufen und ihn holen.
- 9. Auftritt
- Kotschkarjow, Agathe Tichonowna.
- Agathe Tichonowna (sieht sich nach allen Seiten um). Sind sie fort? ...
- Ist niemand mehr hier? ...
- Kotschkarjow. Niemand! ... Sie sind alle fort! ...
- Agathe Tichonowna. Ach, wenn Sie wüßten, wie ich gezittert habe. Nein,
- so etwas habe ich wirklich noch nicht erlebt. Ach, wie furchtbar war
- dieser Eierkuchen! ... Wie ein Tyrann wird der einmal seine Frau
- behandeln. Ich fürchte immer noch, er könnte jeden Augenblick
- zurückkommen.
- Kotschkarjow. Nein, der kommt nicht wieder. Ich setze meinen Kopf ein,
- daß keiner von beiden seine Nase mehr zur Türe hineinsteckt.
- Agathe Tichonowna. Und der Dritte?
- Kotschkarjow. Welcher Dritte?
- Schewakin (steckt leise den Kopf zur Tür hinein). Ich hörte für mein
- Leben gern, was ihr kleines Mündchen von mir sagen wird ... Oh, dieses
- zarte Röschen!
- Agathe Tichonowna. Ich meine ... Baltasar Baltasarowitsch ...
- Schewakin. Jetzt kommt's, jetzt kommt's! (Reibt sich die Hände.)
- Kotschkarjow. Verflucht noch mal, ich denke mir, von wem reden Sie bloß?
- Der Kerl ist ja ein ausgemachter Tölpel! -- Pfui Teufel nochmal!
- Schewakin. Was ist das? ... Wahrhaftig, davon versteh' ich kein Wort.
- Agathe Tichonowna. Aber auf den ersten Blick machte er auf mich den
- Eindruck eines sehr guten Menschen.
- Kotschkarjow. Er ist aber doch immer betrunken!
- Schewakin. Bei Gott, ich verstehe nichts davon!
- Agathe Tichonowna. Wahrhaftig ... er trinkt?
- Kotschkarjow. Ich bitte Sie ... ein ausgekochter Lump!
- Schewakin (laut). Nein, gestatten Sie! Ich habe Sie denn doch nicht
- gebeten, derartige Behauptungen aufzustellen. Hätten Sie einige Worte zu
- meinen Gunsten geredet, oder irgend etwas Lobendes gesagt, das wäre
- etwas anderes gewesen ... Mit diesen Worten jedoch, nein bitte, suchen
- Sie sich dafür einen andern aus. Nein, ich danke bestens. Ergebener
- Diener.
- Kotschkarjow (beiseite). Warum mußte der Kerl nur zurückkommen! (Zu
- Agathe Tichonowna.) Sehen Sie, sehen Sie nur ... er kann sich ja kaum
- noch auf den Füßen halten. Und so benimmt er sich jeden Tag. Jagen Sie
- ihn doch zum Teufel, fertig! (Beiseite.) Daß dieser verfluchte
- Podkoliessin noch nicht da ist ... Dieser Lump! ... Na warte ... das
- will ich dir anstreichen! (Geht ab.)
- 10. Auftritt
- Agathe Tichonowna und Schewakin.
- Schewakin (beiseite). Verspricht, mich zu loben und ... statt dessen ...
- beschimpft er mich. Ein seltsamer Mensch! (Laut.) Mein gnädiges
- Fräulein, schenken Sie seinen Worten keinen Glauben.
- Agathe Tichonowna. Nein, entschuldigen Sie mich, ich fühle mich nicht
- ganz wohl. Der Kopf schmerzt mir so. (Will gehen.)
- Schewakin. Aber vielleicht gefällt Ihnen etwas nicht an mir? (Er zeigt
- auf seinen Kopf.) Bitte, achten Sie nicht darauf, daß ich einen gewissen
- Anflug von Glatze habe. Das macht nichts. Es ist mir vom Fieber
- zurückgeblieben. Mit der Zeit kommen die Haare schon wieder.
- Agathe Tichonowna. Es interessiert mich nicht, was Ihnen fehlt.
- Schewakin. Und dann, mein gnädiges Fräulein, wenn ich einen schwarzen
- Frack anziehe, wird mein Teint um vieles heller.
- Agathe Tichonowna. Um so besser für Sie. Leben Sie wohl! (Sie geht
- hinaus.)
- 11. Auftritt
- Schewakin allein.
- Schewakin (ihr nachrufend). Mein Fräulein, bitte, gestatten Sie, sagen
- Sie mir bitte, was ist geschehen. Warum, weshalb? ... Haftet mir denn
- irgendein wesentlicher Makel an? ... Fort! Wie seltsam! Das passiert mir
- nun schon das siebzehnte Mal, und immer läuft es fast ebenso aus. Im
- Anfang geht alles glatt, und wenn die Geschichte zum Klappen kommt,
- dann, eh' ich mich's versehe, hab' ich meinen Korb weg. (Geht
- nachdenklich auf und ab) Ja, ja ... das ist nun bereits die Siebzehnte
- .... Und was hat sie bloß? ... Warum sollte sie nicht zum Beispiel ...
- (Nachdenklich.) Eine dunkle, höchst dunkle Geschichte ... Wenn ich noch
- wirklich so häßlich wäre ... (Betrachtet sich.) Aber das kann doch kein
- Mensch behaupten! Gott sei Dank! Die Natur hat einen doch wirklich nicht
- stiefmütterlich behandelt. Unbegreiflich! Ob ich nicht schnell mal nach
- Hause laufe und in meinem Kästchen nachsehe? Ich muß doch da noch ein
- paar Verse liegen haben. Denen kann keine widerstehen ... Bei Gott! Und
- ich begreife das alles gar nicht! Zuerst schien's mir so gut zu glücken.
- ... Ja, ich werde wohl kehrtmachen müssen. Schade, sehr schade! (Geht
- ab.)
- 12. Auftritt
- (Podkoliessin und Kotschkarjow treten ein und blicken zurück.)
- Kotschkarjow. Er hat uns nicht bemerkt! Hast du gesehen, mit was für
- einer langen Nase er abgezogen ist?
- Podkoliessin. Tatsächlich? ... Also er hat eben so einen Korb bekommen,
- wie die andern?
- Kotschkarjow. ... Einen mächtigen!
- Podkoliessin (mit selbstgefälliger Miene). Das muß eigentlich recht
- peinlich sein, sich einen Korb zu holen.
- Kotschkarjow. Das will ich meinen.
- Podkoliessin. Ich kann es noch immer nicht glauben, daß sie es ihm so
- grade ins Gesicht gesagt hat, sie ziehe mich vor.
- Kotschkarjow. -- Zieht dich vor? ... Ich sage dir ... sie ist einfach
- hingerissen! Verliebt bis über die Ohren! Was sie dir nur für Kosenamen
- gegeben hat! Eine solche Leidenschaft! ... Sie glüht ja förmlich! ...
- Podkoliessin (lächelt selbstzufrieden). Ja, das ist wahr ... Wenn eine
- Frau will, kann sie einem Worte sagen ... unsereiner würde niemals auf
- so etwas kommen: »Mein Frätzchen, mein Mistkäferchen, mein
- Fliegenpilzchen« ...
- Kotschkarjow. Ach, das ist noch nichts! Heirate mal erst! Die Worte, die
- du da in den ersten zwei Monaten zu hören bekommst, -- na, du zergehst
- förmlich vor Wonne!
- Podkoliessin (lächelnd). Wahrhaftig? ...
- Kotschkarjow. Was für eine ehrliche Haut! Doch jetzt schnell zur Sache!
- Geh hin, erkläre dich sofort, eröffne ihr dein Herz und bitte Sie um
- ihre Hand.
- Podkoliessin. Wie denn? Doch nicht etwa jetzt gleich? ... Was fällt dir
- ein!
- Kotschkarjow. Natürlich gleich! Ah, da ist sie ja selbst!
- 13. Auftritt
- Die Vorigen und Agathe Tichonowna.
- Kotschkarjow. Mein Fräulein, ich bringe Ihnen hier einen Sterblichen,
- den Herrn, den Sie hier vor sich sehen. Es hat überhaupt noch keinen
- Menschen gegeben, der so verliebt war wie er. Gott behüte, das möcht'
- ich ja meinem ärgsten Feinde nicht wünschen.
- Podkoliessin (stößt ihn mit der Hand in die Seite, leise). Nein, hör
- mal, du treibst es aber zu toll!
- Kotschkarjow (zu ihm). Das schadet nichts. (Leise zu ihr.) Seien Sie nur
- recht keck zu ihm; er ist noch etwas schüchtern. Sie müssen ziemlich
- herausfordernd sein. Klappern Sie nur tüchtig mit den Augen und dann
- werfen Sie ihm plötzlich einen Blick zu, daß er platt ist, der
- Bösewicht! Oder zeigen Sie ihm ein Stückchen von Ihrer Schulter, damit
- er mal hingucken kann, der Schuft, der! Übrigens hätten Sie auch ein
- Kleid mit kurzen Ärmeln anziehen können! Na, schließlich ist dies auch
- gut! (Laut.) Also, ich lasse Sie in der angenehmsten Gesellschaft
- zurück. Ich will nur noch einen Blick in das Speisezimmer und in die
- Küche werfen. Ich werde dort Bescheid sagen. Gleich muß der Diener
- kommen, der das Souper bringt ... vielleicht ist der Wein auch schon da.
- Na, auf Wiedersehen! ... (Zu Podkoliessin.) Mehr Mut, Mut! (Er geht.)
- 14. Auftritt
- Podkoliessin und Agathe Tichonowna.
- Agathe Tichonowna. Aber bitte schön, so nehmen Sie doch Platz!
- (Beide setzen sich und schweigen.)
- Podkoliessin. -- Fahren Sie gerne spazieren?
- Agathe Tichonowna. Wie meinen Sie das? ...
- Podkoliessin. Im Sommer ist es doch schön, Kahn zu fahren.
- Agathe Tichonowna. Ja, zuweilen mache ich einen Ausflug mit Bekannten.
- Podkoliessin. Es läßt sich noch nicht voraussagen, was für einen Sommer
- wir in diesem Jahre haben werden.
- Agathe Tichonowna. Aber hoffentlich wird er gut!
- (Beide schweigen.)
- Podkoliessin. Welches ist Ihre Lieblingsblume, gnädiges Fräulein?
- Agathe Tichonowna. Am meisten liebe ich die Blumen, die stark duften.
- Zum Beispiel Nelken!
- Podkoliessin. Den Damen stehen Blumen sehr gut.
- Agathe Tichonowna. Ja, man muß sagen, sie machen recht viel Vergnügen!
- (Beide schweigen.)
- In welcher Kirche waren Sie am vorigen Sonntag?
- Podkoliessin. In der Himmelfahrts-Kirche. Und eine Woche vorher, da war
- ich in der Kasanschen Kirche. Übrigens ist es doch ganz gleich, in
- welche Kirche man beten geht ... Nur ... die letztere ... die ist viel
- prächtiger.
- (Beide schweigen.)
- (Podkoliessin beginnt mit den Fingern auf den Tisch zu trommeln.)
- Bald findet in Katharinenhof ein Gartenfest statt.
- Agathe Tichonowna. Ja, ich glaube, in einem Monat.
- Podkoliessin. Oh, in kaum einem Monat!
- Agathe Tichonowna. Es wird wohl sehr lustig werden.
- Podkoliessin. Heute haben wir den Achten. (An den Fingern abzählend.)
- Den Neunten, den Zehnten, den Elften ... In zweiundzwanzig Tagen.
- Agathe Tichonowna. Denken Sie nur, schon so bald!
- Podkoliessin. Und den heutigen Tag habe ich dabei noch gar nicht mal
- mitgezählt.
- (Pause.)
- Was für mutige Leute doch unsere Russen sind!
- Agathe Tichonowna. Wie? ...
- Podkoliessin. Ich meine die Arbeiter! Stehen da ganz ruhig hoch oben auf
- dem Gerüst. Ich kam nämlich heute an einem Neubau vorüber. Sitzt so ein
- Stukkateur ganz gemütlich hoch oben und denkt sich gar nichts dabei. Er
- fürchtet sich nicht im mindesten.
- Agathe Tichonowna. Ja! Und wo war denn das? ...
- Podkoliessin. Auf dem Wege nach dem Departement, da, wo ich täglich
- vorüberkomme. Ich gehe doch jeden Morgen in den Dienst.
- (Beide schweigen. Podkoliessin fängt wieder an, mit den Fingern
- auf den Tisch zu klopfen. Dann steht er auf, nimmt seinen Hut und
- macht eine Verbeugung.)
- Agathe Tichonowna. Wie, Sie wollen schon gehen?
- Podkoliessin. Ja, gewiß habe ich Sie gelangweilt. Entschuldigen Sie.
- Agathe Tichonowna. Aber wie können Sie nur so etwas glauben? Im
- Gegenteil. Ich danke Ihnen von Herzen für die angenehme Unterhaltung.
- Podkoliessin (lächelnd). Nein, wirklich, mir schien, daß ich Sie
- langweilte.
- Agathe Tichonowna. Wahrhaftig nicht!
- Podkoliessin. Oh, wenn ich mich geirrt haben sollte, so erlauben Sie mir
- doch, daß ich zu einer anderen Zeit ... vielleicht einmal abends ...
- Agathe Tichonowna. Ich würde mich außerordentlich freuen ... (Sie
- verabschieden sich voneinander, und Podkoliessin geht.)
- 15. Auftritt
- Agathe Tichonowna (allein).
- Welch ein würdiger Mensch! Jetzt habe ich ihn erst recht kennen gelernt!
- Wahrhaftig, man muß ihn liebhaben! Und dabei so klug und bescheiden
- zugleich! Ja, sein Freund hatte vollständig recht. Schade nur, daß er so
- schnell wieder fortgegangen ist. Ich hätte ihm so gern noch ein wenig
- zugehört. Wie angenehm ist es, mit ihm zu plaudern. Und was vor allem so
- angenehm ist, er macht gar keine Redensarten. Ich hätte ihm auch noch
- einiges sagen mögen ... aber ich muß gestehen, mir fehlte der Mut dazu.
- Mein Herz klopfte so stark. ... Welch ein herrlicher Mensch! Ich will
- doch hingehen und es der Tante erzählen. (Sie geht hinaus.)
- 16. Auftritt
- Podkoliessin und Kotschkarjow (treten herein).
- Kotschkarjow. Warum nach Hause? Was für ein Unsinn ist das wieder? Warum
- nach Hause?
- Podkoliessin. Ja, wozu soll ich denn hierbleiben? ... Ich habe doch
- alles gesagt, was nötig war.
- Kotschkarjow. So? Hast du dich ihr ganz erklärt? ...
- Podkoliessin. Ja, das wäre vielleicht noch das einzige; erklärt habe ich
- mich allerdings noch nicht!
- Kotschkarjow. Eine schöne Geschichte! ... Warum denn nicht? ...
- Podkoliessin. Ich bitte dich, ich kann doch nicht so plötzlich, so ohne
- alle einleitenden Worte mit der Tür ins Haus fallen: Mein Fräulein,
- wollen wir uns doch heiraten!
- Kotschkarjow. Worüber habt ihr denn die ganze Zeit gesprochen? Mehr als
- eine halbe Stunde lang?
- Podkoliessin. Nun. Über alles mögliche! Und ich muß sagen, ich bin sehr
- befriedigt. Ich habe die Zeit sehr angenehm verbracht.
- Kotschkarjow. Nein, höre mal, sage doch selbst, mein Bester, wie sollen
- wir denn noch heute mit der ganzen Geschichte fertig werden? In einer
- Stunde spätestens müssen wir in die Kirche fahren ... zur Trauung ...
- Podkoliessin. Du bist wohl verrückt? ... Heut sollen wir schon Hochzeit
- machen?
- Kotschkarjow. Weshalb denn nicht? ...
- Podkoliessin. Noch heute zur Trauung fahren! ... Welch ein Wahnsinn!
- Kotschkarjow. Aber du hast mir doch selbst dein Wort gegeben und hast
- gesagt, sobald die Freier heraus sind, bist du bereit, dich zu
- verheiraten!
- Podkoliessin. Nun ja, ich nehme auch jetzt mein Wort nicht zurück. Aber
- doch nicht gleich. Laß mir doch wenigstens einen Monat Zeit dazu.
- Kotschkarjow. Was? ... Einen Monat!
- Podkoliessin. Nun ja, freilich!
- Kotschkarjow. Du hast wohl den Verstand verloren, was?
- Podkoliessin. Ja, einen Monat brauche ich mindestens.
- Kotschkarjow. Aber ich habe doch schon das Souper beim Traiteur
- bestellt. Du Klotz du! ... Nein, hör mal, Iwan Kusmitsch, sei jetzt
- nicht eigensinnig, Bruder. Laßt euch doch gleich trauen!
- Podkoliessin. Ich bitte dich, Freund, was redest du da? ... Wie ist denn
- das gleich möglich?
- Kotschkarjow. Iwan Kusmitsch, sieh mal, ich bitte dich recht herzlich
- ... wenn nicht für dich selbst, so tue es doch meinetwegen! Mir zuliebe!
- Podkoliessin. Nein, tatsächlich -- es geht nicht!
- Kotschkarjow. Doch, doch, es geht schon, Liebster! Es geht alles,
- Liebling; laß die Launen.
- Podkoliessin. Nein, wirklich nicht. Es geht nicht. Es ist wirklich nicht
- möglich.
- Kotschkarjow. Warum nicht möglich? ... Wer hat dir das bloß eingeredet?
- Überlege doch selbst. Du bist doch ein gescheiter Kerl! Ich spreche
- nicht so, um dir zu schmeicheln oder weil du Expeditor bist, nein,
- einfach, weil ich dich liebe! -- Genug, Herzchen, entschließe dich. Sieh
- doch die Sache mit vernünftigen Augen an!
- Podkoliessin. Ja, wenn ich nur eine Möglichkeit sehen würde -- ich wäre
- gerne bereit ...
- Kotschkarjow. Iwan Kusmitsch, alter Kerl, lieber Freund ... willst du,
- daß ich vor dir auf die Knie falle? ...
- Podkoliessin. Ja, wozu nur das alles?
- Kotschkarjow (fällt auf die Knie). Nun gut, hier knie ich. Jetzt siehst
- du es, wie sehr ich dich bitte. Ich will dir's mein Leben lang nicht
- vergessen. Herzchen, sei nicht eigensinnig!
- Podkoliessin. Nein, Freund, es geht nicht! Wirklich nicht!
- Kotschkarjow (steht auf, wütend). Schweinehund!
- Podkoliessin. Gut, schimpf nur!
- Kotschkarjow. Rindvieh! ... Einen größeren Esel, wie dich, hat es
- tatsächlich noch nie gegeben!
- Podkoliessin. Schimpfe doch meinetwegen. Schimpfe nur!
- Kotschkarjow. Für wen habe ich mich nun geplagt und abgerackert? Doch
- nur für dich; in deinem Interesse, du Schaf! Was geht mich die ganze
- Geschichte im Grunde an? ... Gut, ich gehe sofort meiner Wege und laß
- dich laufen. Was hab' _ich_ denn davon?
- Podkoliessin. Ja ... hab' ich dich denn um deine Bemühungen gebeten? Geh
- doch nur, bitte!
- Kotschkarjow. Und ich sage dir, daß du zugrunde gehen wirst. Ohne mich
- wirst du zu nichts kommen. Wenn dich nicht ein anderer verheiratet,
- bleibst du dein Leben lang ein ... Dummkopf.
- Podkoliessin. Und was kümmert's dich? ...
- Kotschkarjow. Ich bin doch nur um dich besorgt, du Dummkopf.
- Podkoliessin. Und ich verzichte auf deine Besorgnis.
- Kotschkarjow. Nun, so geh zum Teufel!
- Podkoliessin. Gut. Ich gehe.
- Kotschkarjow. Da gehörst du auch hin.
- Podkoliessin. Nun schön, ich gehe schon.
- Kotschkarjow. Geh nur, geh! Wenn du dir nur gleich ein Bein brächst!
- Wahrhaftig, es ist mein innigster Wunsch, daß dir irgendein besoffener
- Droschkenkutscher mit der Deichsel in die Gurgel fährt. Du Lappen du!
- Und das will ein Beamter sein, ... Das schwöre ich dir, von nun an ist
- alles zwischen uns aus. Komm mir nicht mehr unter die Augen!
- Podkoliessin. Nun gut, du sollst mich nicht mehr sehen! (Geht.)
- Kotschkarjow. Geh doch zu deinem alten Freunde, dem Teufel. (Öffnet die
- Tür und ruft ihm nach.) Esel!
- 17. Auftritt
- Kotschkarjow (allein, geht aufgeregt im Zimmer auf und ab). Hat die Welt
- jemals einen solchen Menschen gesehen? .. Solch ein Esel! Übrigens,
- wahrhaftig, ich bin auch gut! .. Nein, sagt nur, ich möchte euch alle zu
- Zeugen anrufen: Bin ich nicht genau solch ein alter Esel? Bin ich nicht
- ganz dumm? ..... Was rege ich mich auf und schreie mir die Kehle wund?
- .. Sagt, was ist er mir? Er ist doch nicht mein Verwandter. Und ich bin
- weder seine Amme, noch seine Tante, noch seine Schwiegermutter, oder gar
- seine Patin! Was zum Teufel rackere ich mich seinetwegen ab? Gönne mir
- keinen Augenblick Ruhe ... mag er doch zum Satan gehen! Weiß der Teufel,
- wozu das alles! Wozu nur der Mensch mitunter etwas tut? ..... Solch ein
- Halunke! Diese niederträchtige, widerwärtige Visage! Nehmen möchte ich
- dich, du dummes Rindvieh; Nase, Ohren, Mund und Zähne ... einschlagen
- möcht' ich dir ... (Macht mit der Hand wütend die entsprechenden
- Bewegungen.) Und was das Empörendste dabei ist: er geht einfach nach
- Hause ... er macht sich weiter keine Kopfschmerzen ... er schüttelt's
- sich ab, wie ein nasser Hund ... Nicht zum Ertragen ist dieser Gedanke!
- Jetzt geht er heim, legt sich aufs Sofa und raucht sich eine Pfeife an.
- Dieser gemeine Patron! Wahrhaftig, es gibt ekelhafte Fratzen auf der
- Welt; aber so eine läßt man sich denn doch nicht träumen ... Bei Gott,
- eine widerwärtigere Visage läßt sich gar nicht ausdenken. Tatsächlich
- nicht! Aber nein, jetzt gerade nicht! Ich hol' ihn zurück, den
- nichtsnutzigen Kerl. Er soll mir nicht entwischen, ich bring' ihn wieder
- zurück, den Lump! (Er läuft fort.)
- 18. Auftritt
- Agathe Tichonowna (tritt ein). Wie mir das Herz klopft ... ich kann es
- gar nicht sagen. Wohin ich schaue, wohin ich mich wende ... überall sehe
- ich Iwan Kusmitsch vor mir sitzen. Es muß wohl wahr sein, daß niemand
- seinem Schicksal entgehen kann. Vorhin versuchte ich an ganz etwas
- anderes zu denken! Aber, was ich mir auch vornehme ... ich probierte
- Garn abzuwickeln, fing an, den Pompadour zu sticken, aber ach, immerzu,
- in einem fort drängt sich mir das Bild Iwan Kusmitschs auf. (Pause.)
- Ach, also wirklich, nun soll die große Veränderung in meinem Leben
- kommen ... Erst wird man mich in die Kirche führen ... dann mich mit ihm
- allein lassen; ... mit dem Manne ... oh, mir wird schon jetzt ganz
- schaurig! -- ja, leb wohl, meine schöne Mädchenzeit! (Sie weint.) Wie
- viele Jahre hab' ich so ruhig dahingelebt; -- lebte und lebte vor mich
- hin! Und nun mit einem Male soll ich heiraten, die Frau eines Mannes
- werden. Und all die Sorgen, die einen da erwarten. Die Kinder ... ach
- ... und die Knaben, dieses wilde Volk ... Und dann kommen auch die
- Mädchen, die werden schnell groß und wollen dann ebenfalls versorgt
- sein. Noch gut, wenn sie brave Männer bekommen; aber vielleicht kriegen
- sie einen Säufer ... oder einen solchen Kerl, der alles auf eine Karte
- zu setzen bereit ist ... (Sie fängt wieder an zu weinen.) Eigentlich
- habe ich doch meine Mädchenzeit gar nicht so recht genossen ... Nur
- siebenundzwanzig Jahre hat sie gedauert ... (Mit veränderter Stimme.)
- Aber warum zögert nur Iwan Kusmitsch so lange?
- Agathe Tichonowna und Podkoliessin, den Kotschkarjows Hände in
- die Tür hineinschieben.
- Podkoliessin (stockend). Ich komme, mein Fräulein, um Ihnen eine
- Erklärung abzugeben ... aber ... ich wüßte nämlich gerne zuvor, ob Ihnen
- diese Erklärung nicht zu seltsam vorkommen wird.
- Agathe Tichonowna (die Augen senkend). Um was handelt es sich denn?
- Podkoliessin. Nein, Fräulein, sagen Sie mir erst, daß Sie sich nicht
- darüber wundern werden.
- Agathe Tichonowna (wie vorher). Ich weiß doch gar nicht, was es ist.
- Podkoliessin. Gestehen Sie nur, es wird Ihnen sicherlich sehr merkwürdig
- vorkommen, was ich Ihnen zu sagen habe.
- Agathe Tichonowna. Aber ich bitte Sie, warum denn merkwürdig? ... Alles
- was Sie mir sagen, ist mir angenehm.
- Podkoliessin. Aber so etwas haben Sie gewiß noch niemals gehört ...
- (Agathe Tichonowna läßt die Augen noch tiefer sinken; inzwischen ist
- Kotschkarjow leise hereingetreten. Er stellt sich hinter Podkoliessin.)
- Es handelt sich nämlich ... um das folgende ... Aber nein, sprechen wir
- lieber ein andermal davon.
- Agathe Tichonowna. Aber was ist es denn nur?
- Podkoliessin. Es ist ... nämlich ... ich möchte Ihnen nämlich erklären,
- aber ich habe noch immer Zweifel ...
- Kotschkarjow (beiseite, die Hände zusammenschlagend). Herrgott, ist das
- ein Mensch! Das reinste alte Weib, und kein Mensch! Ein Hohn, eine
- Parodie auf die Menschheit! ...
- Agathe Tichonowna. Aber warum zweifeln Sie denn noch?
- Podkoliessin. Ach, ich weiß nicht, mir kommen immer wieder Bedenken.
- Kotschkarjow (laut). Herrgott, wie dumm ist das alles! Wie dumm!
- Fräulein, Sie sehen doch, er hält eben um Ihre Hand an. Er will Ihnen
- erklären, daß er ohne Sie nicht länger leben, nicht existieren kann. Er
- möchte Sie nur fragen, ob Sie bereit wären, ihn glücklich zu machen.
- Podkoliessin (beinahe erschrocken, gibt ihm einen Rippenstoß und spricht
- lebhaft). Ich bitte dich, was sagst du da? ...
- Kotschkarjow. Also, entschließen Sie sich, mein Fräulein. Wollen Sie
- diesen Sterblichen glücklich machen?
- Agathe Tichonowna. Ach, wie könnte ich glauben, daß es in meiner Macht
- liegen sollte, das Glück eines Mannes ... das Glück eines Mannes ... Nun
- gut, ich bin einverstanden ...
- Kotschkarjow. Natürlich! Selbstverständlich! Warum denn nicht gleich so?
- So reicht euch doch die Hände, Kinder!
- Podkoliessin. Gleich! (Er will Kotschkarjow etwas ins Ohr flüstern.
- Dieser zeigt ihm die Faust, runzelt die Stirn, und Podkoliessin reicht
- Agathe Tichonowna die Hand.)
- Kotschkarjow (legt ihre Hände ineinander). So, Gott segne euch! Auch ich
- gebe euch meinen Segen zu eurem Bunde. Die Ehe, wißt ihr, ist immer so
- 'ne Sache. Ja, das ist nicht, als ob man sich 'ne Droschke nimmt, sich
- reinsetzt und irgendwohin losfährt. Das ist eine ganz andere Sache; ja,
- das ist eine Pflicht! Leider habe ich jetzt keine Zeit mehr; darum will
- ich euch nachher sagen, was das für eine Pflicht ist. So, Iwan
- Kusmitsch, und jetzt küsse deine Braut! Nunmehr darfst du es tun; ja,
- mein Freund, nun mußt du es sogar tun! ... (Agathe Tichonowna senkt die
- Augen.) Nicht doch, nicht doch, mein Fräulein. Das muß so sein. Sie
- müssen sich küssen lassen.
- Podkoliessin. Nein, Fräulein, gestatten Sie ... Jetzt müssen Sie schon
- gestatten. (Er küßt sie und nimmt sie bei der Hand.) Welch ein
- herrliches Händchen! Woher haben Sie nur ein so herrliches Händchen,
- mein Fräulein? ... Und noch eins ... Lassen Sie unsere Hochzeit sofort
- stattfinden! Sofort!
- Agathe Tichonowna. Wie, gleich? ... Aber das ist am Ende doch zu
- schnell!
- Podkoliessin. Nein, nein, davon will ich nichts hören! Die Trauung soll
- gleich stattfinden. So schnell als möglich!
- Kotschkarjow. Vorzüglich! Bravo! ... Sehr gut! Du bist ja ein
- Prachtkerl! Ich muß sagen, ich habe immer nur das Beste von dir
- erwartet. Und Sie, Fräulein, beeilen Sie sich jetzt. Ziehen Sie sich
- recht schnell um. Jetzt darf ich's ja verraten. Ich habe schon vorhin
- einen Wagen besorgt und auch ein paar Gäste für heute abend geladen. Sie
- sind wahrscheinlich schon auf dem Wege nach der Kirche. Ihr
- Hochzeitskleid liegt doch schon bereit, nicht wahr?
- Agathe Tichonowna. O gewiß, schon lange. Ich kleide mich schnell um und
- bin sofort fertig.
- 19. Auftritt
- Kotschkarjow und Podkoliessin.
- Podkoliessin. Nun, lieber Freund, ich bin dir wirklich dankbar. Jetzt
- begreife ich erst, was du mir für einen Dienst erwiesen hast. Mein
- eigener Vater konnte nicht das für mich tun, was du mir getan hast. Ja,
- jetzt sehe ich es, du hast dich nur von deiner Freundschaft leiten
- lassen. Ich danke dir, Bruder! Ja, das werde ich dir nie vergessen.
- (Gerührt.) Nächstes Frühjahr werde ich dem Grabe deines Vaters einen
- Besuch abstatten.
- Kotschkarjow. Ach, nicht doch, lieber Freund! Ich freue mich ja selber.
- Komm, laß dich küssen. (Küßt ihn erst auf eine und dann auf die andre
- Backe.) Gebe Gott, daß du glücklich wirst. (Sie küssen sich.)
- Hoffentlich schickt er dir nun auch Reichtum und Überfluß und einen
- ganzen Haufen Kinder.
- Podkoliessin. Dank dir, Bruder! Wahrhaftig; jetzt erst fange ich an, zu
- begreifen, was es heißt, leben! Eine völlig neue Welt tut sich plötzlich
- vor mir auf ... Nun erkenne ich, daß sich das alles bewegt, sich regt,
- fühlt, empfindet, sich gewissermaßen verflüchtigt, weißt du, man weiß
- sozusagen selbst nicht recht, wie und was eigentlich vorgeht. Früher
- aber habe ich nichts davon gesehen, nichts von alle dem begriffen. Das
- heißt, ich war einfach ein unwissender, ahnungsloser Mensch, der über
- nichts weiter nachdachte, in nichts tiefer hineinblickte, und so
- dahinlebte ... wie jeder andre Mensch.
- Kotschkarjow. Das freut mich, freut mich von Herzen. Doch, ich muß jetzt
- gehen und mal nachschauen, ob der Tisch auch gut gedeckt ist. Ich bin
- gleich wieder da. (Beiseite.) Aber seinen Hut will ich doch lieber
- verstecken, für alle Fälle. (Er nimmt den Hut und trägt ihn mit sich
- fort.)
- 20. Auftritt
- Podkoliessin (allein).
- Podkoliessin. Es ist wahr! Was war ich denn bis auf den heutigen Tag?
- ... Hatte ich auch nur einen Begriff vom Leben? ... Ach, gar
- keine Ahnung hatt' ich! Was war denn schließlich dies mein
- Junggesellen-Dasein? ... Was galt ich? ... Was tat ich? Ich lebte ...
- vegetierte so hin ... versah meinen Dienst ... ging ins Departement ...
- aß und schlief ... mit einem Wort, ich war der hohlste, gewöhnlichste
- Mensch von der Welt. Jetzt erst sehe ich ein, wie dumm doch die Menschen
- sind, die nicht heiraten. Und wenn man so zusieht, wie viele so blind
- dahintrotten. Wenn ich ein König wäre, wahrhaftig, ich erließe ein
- Gesetz ... alle Menschen in meinem Reiche müßten sich verheiraten. Unter
- meiner Herrschaft sollte es auch nicht einen Hagestolzen geben! Ja, wenn
- ich so daran denke, noch ein paar Augenblicke, und ich werde verheiratet
- sein. Wie lange noch, ... und ich werde alle Wonnen auskosten, wie sie
- eigentlich doch nur im Märchen vorkommen. Eine Seligkeit, die sich nicht
- ausdrücken läßt, und für die sich keine Worte finden lassen. (Pause.)
- Übrigens mag man sagen, was man will, aber es wird einem beinahe
- unheimlich zumute, wenn man sich das alles so genau vorstellt! ... Sich
- für immer ... für das ganze Leben, sei dem, wie ihm wolle ... sich für
- das ganze Leben zu binden. Denn: dann gibt's keine Reue mehr ... keine
- Ausrede ... nichts, nichts mehr ... dann ist's vorbei ... dann ist alles
- zu Ende! Ja, eigentlich könnte ich ja schon jetzt nicht mehr zurück.
- Noch ein paar Augenblicke, ... und man steckt im Joch! Nicht mal
- durchgehen könnte man mehr ... dort unten steht schon der Wagen, ... und
- ... alles ist schon vorbereitet! ...
- Wie? Sollte es denn wahrhaftig kein Zurück mehr geben? Natürlich, jetzt
- geht's nicht mehr! Dort in der Tür und überall stehen Menschen. Wie? ...
- sie würden fragen: ... He, was ist los? ... Nein, nein, es geht nicht
- mehr! Doch halt, da ist ja ein offenes Fenster! Wie, wenn ... wenn, wenn
- ich da hinausspränge? ... Nein, unmöglich ... Das würde sich nicht
- schicken ... Und dann ... ist es ja wohl auch zu hoch ... (Er geht ans
- Fenster.) Na, gar so hoch ist's eigentlich nicht! Es sind ja nur die
- Grundmauern, und die sind ja gar nicht so hoch. Aber nein, ich habe ja
- nicht einmal meinen Hut bei mir! ... So, ohne Hut ... das würde sich
- wirklich nicht passen! Hm, wie ... Sollte es wirklich nicht ohne Hut
- gehen? ... Hm, wie, wenn man es vielleicht doch versuchte! ... Soll ich
- es wagen? ... Wie? ... (Er steigt auf die Fensterbank und springt
- hinunter mit den Worten:) Gott steh mir bei! (Man hört ihn draußen
- ächzen und stöhnen.) Mein Gott, das ist aber verdammt hoch! ... He,
- Kutscher! ...
- Stimme eines Droschken-Kutschers. Soll ich vorfahren?
- Podkoliessins Stimme. Nach dem Kanal, an der Semjonowschen Brücke.
- Die Stimme des Kutschers. Einen Groschen, gnädiger Herr, das ist nicht
- zu viel.
- Podkoliessins Stimme. Na, schön ... Nur los!
- (Man hört die Droschke fortrollen.)
- 21. Auftritt
- Agathe Tichonowna (im Brautkleide, tritt mit verschämt gesenktem Blick
- herein). Ich weiß selbst nicht, was in mir vorgeht. Ich schäme mich
- schon wieder und zittre am ganzen Körper; ach, wenn er doch nur einen
- Augenblick, nur gerade jetzt nicht im Zimmer wäre! Möcht' er doch nur
- fortgegangen sein! (Sich ängstlich umblickend.) Ja, wo ist er denn nur?
- Niemand hier? Wo ist er denn nur hinausgegangen? (Sie öffnet die Tür ins
- Vorzimmer und ruft) Thekla, wo ist Iwan Kusmitsch hingegangen? ...
- Theklas Stimme. Er ist doch drinnen!
- Agathe Tichonowna. Wo drinnen?
- Thekla (eintretend). Na, er saß doch noch eben hier im Zimmer.
- Agathe Tichonowna. Aber er ist doch nicht da, das siehst du doch selbst.
- Thekla. Aus dem Zimmer ist er aber auch nicht herausgekommen! Ich hab'
- doch die ganze Zeit im Flur gesessen.
- Agathe Tichonowna. Ja, wo kann er bloß sein?
- Thekla. Wahrhaftigen Gott, ich weiß nicht wo. Er ist doch nicht etwa
- durch die andere Tür, die Hintertreppe hinuntergelaufen? ... Oder nein
- ... gewiß sitzt er in Arina Panteleimonownas Zimmer.
- Agathe Tichonowna. Tantchen! Tantchen!
- 22. Auftritt
- Die Vorigen. Arina Panteleimonowna.
- Arina Panteleimonowna (festlich gekleidet). Was ist los?
- Agathe Tichonowna. Ist Iwan Kusmitsch bei Ihnen?
- Arina Panteleimonowna. Nein, er muß doch hier sein. Er war gar nicht bei
- mir.
- Thekla. Und im Vorzimmer war er auch nicht. Die ganze Zeit über saß ich
- draußen ...
- Agathe Tichonowna. Nun und hier ist er auch nicht, das seht ihr selbst.
- 23. Auftritt
- Die Vorigen und Kotschkarjow.
- Kotschkarjow. Nun? Was ist passiert? ...
- Agathe Tichonowna. Iwan Kusmitsch ist fort.
- Kotschkarjow. Wie? Fort? Ist er denn fortgegangen?
- Agathe Tichonowna. Nein, er ist nicht da, und fortgegangen ist er auch
- nicht.
- Kotschkarjow. Wie ist das möglich? Fort? Und doch nicht weggegangen?
- Thekla. Wo kann er nur hin sein? Das will mir nicht in den Kopf! Die
- ganze Zeit über saß ich im Vorzimmer. Nicht vom Fleck habe ich mich
- gerührt.
- Arina Panteleimonowna. Aber über die Hintertreppe kann er auch nicht
- gegangen sein.
- Kotschkarjow. Was bedeutet das zum Teufel? ... Er kann doch nicht
- einfach verschwunden sein ... wenn er das Zimmer nicht verlassen hat.
- Vielleicht versteckt er sich irgendwo. Iwan Kusmitsch, wo bist du? Mach
- doch keine faulen Witze! Komm schnell her! Was sollen denn die dummen
- Späße? Es ist höchste Zeit, zur Kirche zu fahren. (Er guckt in den
- Schrank und wirft sogar flüchtige Blicke unter die Stühle.)
- Unbegreiflich! Doch nein, fort kann er ja nicht sein! Das ist
- vollständig ausgeschlossen! Er ist hier! Dort im Zimmer liegt ja sein
- Hut. Ich hatte ihn ja absichtlich dorthin gelegt.
- Arina Panteleimonowna. Ich will doch mal das Mädchen fragen. Sie hat die
- ganze Zeit über auf der Straße gestanden. Dunjaschka! ... Dunjaschka!
- ...
- 24. Auftritt
- Die Vorigen und Dunjaschka.
- Arina Panteleimonowna. Wo ist Iwan Kusmitsch? Hast du ihn nicht gesehen?
- Dunjaschka. Gewiß! Der Herr sind ja aus dem Fenster gesprungen.
- Agathe Tichonowna (schreit auf und schlägt die Hände zusammen).
- Alle. Aus dem Fenster? ...
- Dunjaschka. Jawohl, aus dem Fenster! Dann haben sie sich eine Droschke
- genommen und sind losgefahren.
- Arina Panteleimonowna. Ist es denn auch wahr, was du da schwatzt?
- Kotschkarjow. Du lügst! Das kann nicht sein!
- Dunjaschka. Gott helfe mir, sie sind rausgesprungen! Auch der Kaufmann
- nebenan im Kramladen hat's gesehen. Eine Droschke für einen Groschen
- haben sie genommen und sind fortgefahren.
- Arina Panteleimonowna (auf Kotschkarjow zugehend). Wie, mein Herr,
- wollen Sie uns verhöhnen? Wollen Sie Ihren Spott mit uns treiben? ...
- Uns an den Pranger stellen? ... Bald sechzig bin ich jetzt, aber solche
- Schande hab' ich noch nicht erlebt. Wahrhaftig Herr, ich spucke Ihnen
- ins Gesicht, wenn Sie ein ehrlicher Mensch sind! Ein Schuft sind Sie,
- wenn Sie ein ehrlicher Mensch sind! Ein armes Mädchen so vor der ganzen
- Welt zu beschimpfen. Ich bin ja nur eine einfache Frau, aber so was
- hätte ich niemals fertig gebracht! Und das will noch ein Adliger sein!
- Aber man sieht, euer Adel reicht auch nur für allerhand Gaunereien und
- Schweinereien. (Sie geht wütend ab, die Braut hinter sich herziehend.)
- Kotschkarjow (steht wie niedergeschmettert da).
- Thekla. He, so, so sieht also der Herr aus, der seine Sache so gut
- versteht? He, wollte eine Heirat zustande bringen ... ohne die
- Heiratsvermittlerin! Mögen meine Freier sein, wie sie wollen, gerupft
- und gezupft und weiß Gott wie, aber solche, die zum Fenster
- hinausspringen, solche findst du bei mir nicht! Haltet zu Gnaden, mein
- gnädiger Herr.
- Kotschkarjow. Aber das ist ja alles Unsinn! Das stimmt ja alles nicht!
- Ich laufe hin zu ihm und hol' ihn zurück! (Ab.)
- Thekla. Ja, hol ihn nur wieder! ... Du kennst wohl das Heiratsgeschäft
- nicht ... Wäre er noch zur Türe hinausgelaufen, dann ging's allenfalls
- noch an; ... aber wenn der Bräutigam durchs Fenster hoppst ... da ...
- gesegnete Mahlzeit! ... Alle Achtung, gnädiger Herr! ...
- Dramatische Fragmente
- und
- Einzelne Szenen
- (1832-1837)
- Die Spieler
- Deutsch von
- _Gregorius Itelson_
- Den Bühnen gegenüber als Manuskript gedruckt
- Alle Rechte vorbehalten
- »Geschichten aus alten Zeiten ...«
- 1. Auftritt
- (Ein Zimmer in einem städtischen Gasthaus.)
- Icharew kommt in Begleitung des Hoteldieners Alexej und seines
- eigenen Dieners Gawrjuschka.
- Alexej. Bitte, bitte sehr, hier haben Sie ein Zimmerchen, das
- allerruhigste; gar kein Lärm.
- Icharew. Lärm gibt's wohl keinen, aber Kavallerie, Springer wohl genug,
- was?
- Alexej. Das heißt, Sie meinen wohl von wegen der Flöhe? Seien Sie nur
- ruhig. Wenn ein Floh oder eine Wanze Sie beißen sollte, so haben wir's
- zu verantworten, das ist unsere Sache.
- Icharew (zu Gawrjuschka). Geh, bringe die Sachen aus dem Wagen her!
- (Gawrjuschka ab; zu Alexej) Wie heißt du?
- Alexej. Alexéj.
- Icharew. Nun höre, (mit Bedeutung) erzähl mal, wer wohnt bei euch?
- Alexej. Hier wohnen jetzt viele, fast alle Zimmer sind besetzt.
- Icharew. Wer denn alles?
- Alexej. Schwóchnew -- Peter Petrowitsch, Krugel -- Oberst, Stepán
- Iwánowitsch Uteschítelny.
- Icharew. Spielen die?
- Alexej. Schon die sechste Nacht hintereinander spielen sie.
- Icharew. Da hast du ein paar Rubelstücke. (Steckt ihm in die Hand.)
- Alexej (sich verbeugend). Danke gehorsamst!
- Icharew. Nachher gibt's noch mehr.
- Alexej. Gehorsamsten Dank!
- Icharew. Spielen die untereinander?
- Alexej. Nein, neulich haben sie den Leutnant Artunówsky bearbeitet; und
- dem Fürsten Schenkin haben sie sechsunddreißig Tausend abgewonnen.
- Icharew. Hier hast du noch einen roten Lappen. Wenn du mir ehrlich
- dienst, kriegst du noch. Gestehe doch, die Karten hast du gekauft?
- Alexej. Nein, die haben sie selbst gekauft.
- Icharew. Bei wem?
- Alexej. Bei dem hiesigen Kaufmann Wachraméjkin.
- Icharew. Du lügst, Schwindler!
- Alexej. Bei Gott!
- Icharew. Gut, wir werden später mit dir verhandeln. (Gawrjuschka bringt
- eine Schatulle.) Stelle sie hierher. Jetzt geht und bringt mir etwas zum
- Waschen und zum Rasieren. (Die Diener ab.)
- 2. Auftritt.
- Icharew allein.
- Öffnet die Schatulle, die ganz mit Kartenspielen gefüllt ist.
- Icharew. Ist das ein Anblick, was? Jedes Dutzend von Gold! Mit Schweiß,
- mit Mühe ist jedes hergestellt. Eine Kleinigkeit, bis jetzt flimmert's
- mir noch vor den Augen von diesen verdammten Sprenkeln. Aber dafür ist's
- ein wahres Kapital! Man kann's den Kindern als Erbteil hinterlassen. Da
- ist es, das schicksalschwere Päckchen. Einfach eine Perle! Dafür hat es
- auch einen Namen, jawohl: Adelaida Iwanowna. Diene mir nur, mein
- Liebchen, so wie dein Schwesterchen mir gedient hat; gewinne mir
- ebenfalls achtzig Tausend, so werde ich dir ein Marmordenkmal setzen,
- wenn ich auf das Gut komme; in Moskau werde ich es bestellen. (Hört ein
- Geräusch und schließt schnell die Schatulle zu.)
- 3. Auftritt
- Alexej und Gawrjuschka bringen eine Waschschüssel, einen
- Wasserkrug und ein Handtuch.
- Icharew. Sind die Herren jetzt zu Hause?
- Alexej. Ja wohl, sie sind jetzt im Salon.
- Icharew. Ich werde mal hingehen und nachsehen, was für Leute das sind.
- (Ab.)
- 4. Auftritt
- Alexej und Gawrjuschka.
- Alexej. Kommt ihr von weitem her?
- Gawrjuschka. Aus Rjasán.
- Alexej. Seid ihr selbst auch aus jenem Gouvernement?
- Gawrjuschka. Nein, wir selber sind aus dem Smolénskischen.
- Alexej. So, so! Also, das heißt, das Gut ist im Smolenskischen?
- Gawrjuschka. Nein, nicht im Smolenskischen. Im Smolenskischen haben wir
- hundert Seelen und im Kalúgischen achtzig.
- Alexej. Ich verstehe schon, also in zwei Gouvernements.
- Gawrjuschka. Jawohl, in zwei Gouvernements. Da ist bei uns an
- Dienerschaft: Ignát der Buffetier, Pawlúscha, der früher mit dem Herrn
- reiste, Gerássim, der Lakai, Iwán, ebenfalls Lakai, Iwán, der
- Hundeknecht, noch einmal Iwán, der Musikant, dann der Koch Grigórij, der
- Koch Semjón, Baruch, der Gärtner, Deméntij, der Kutscher -- so ist es
- bei uns!
- 5. Auftritt
- Dieselben; Krugel, Schwochnew, vorsichtig eintretend.
- Krugel. Wahrhaftig, ich fürchte, daß er uns hier antreffe.
- Schwochnew. Tut nichts, Stepan Iwanowitsch wird ihn aufhalten. (Zu
- Alexej.) Geh, Lieber, man ruft dich. (Alexej ab. Schwochnew vorsichtig
- an Gawrjuschka herantretend.) Woher ist dein Herr?
- Gawrjuschka. Jetzt kommt er aus Rjasán.
- Schwochnew. Gutsbesitzer?
- Gawrjuschka. Gutsbesitzer.
- Schwochnew. Spielt?
- Gawrjuschka. Spielt.
- Schwochnew. Hier hast du einen Roten (gibt ihm das Papiergeld), erzähl
- mir alles.
- Gawrjuschka. Werden Sie aber dem Herrn auch nichts sagen?
- Beide. I wo, hab keine Angst.
- Schwochnew. Wie, ist er jetzt bei Gewinn, was?
- Gawrjuschka. Kennen Sie den Oberst Tschebotaróff?
- Schwochnew. Nein! Warum?
- Gawrjuschka. Vor drei Wochen haben wir ihm achtzig Tausend in Geld
- abgewonnen, einen Warschauer Wagen, eine Schatulle, einen Teppich und
- mehrere Paar goldene Epaulettes, an reinem Gold sechshundert Rubel.
- Schwochnew (sieht Krugel bedeutungsvoll an). He! Achtzigtausend? (Krugel
- schüttelt den Kopf.) Glaubst du, es ist eine reine Sache? Das wollen wir
- gleich erfahren. Hör mal, Gawrjuschka, wenn dein Herr allein zu Hause
- bleibt, was macht er dann?
- Gawrjuschka. Was heißt das: was macht er? Was soll er denn machen? Er
- ist ein Herr, er hält sich gut, er tut gar nichts.
- Schwochnew. Du lügst; er läßt wohl die Karten nicht aus der Hand?
- Gawrjuschka. Das kann ich nicht wissen. Ich reise erst zwei Wochen mit
- dem Herrn; früher reiste immer Pawluscha mit ihm. Wir haben auch
- Gerassim, den Lakai, noch mal Iwan, den Lakai, Iwan, den Hundeknecht,
- Iwan, den Musikanten, Dementij, den Kutscher, und neulich haben wir uns
- aus dem Dorfe noch einen geholt.
- Schwochnew (zu Krugel). Was glaubst du? Ein Falschspieler?
- Krugel. Sehr möglich.
- Schwochnew. Na, probieren müssen wir's doch.
- (Beide schnell ab.)
- 6. Auftritt
- Gawrjuschka (allein). Geschickte Herren, aber fürs Papiergeld besten
- Dank. Dafür kriegt Matrjóna eine Haube und die Bengels Pfefferkuchen.
- Ach, wie liebe ich das Leben auf Reisen! Da fällt ja immer etwas ab. Der
- Herr schickt mal, was einzukaufen, da kann man schon ein
- Zehnkopekenstück vom Rubel in die Tasche legen. Wenn man bedenkt, was
- für ein schönes Leben die Herren haben: wohin du willst, da reist du
- hin. Hast du's in Smolénsk satt, gehst du nach Rjasán, willst du nicht
- nach Rjasán, so nach Kasán, willst du nicht nach Kasán, dann direkt nach
- Jarosláw. Aber das eine weiß ich bis jetzt nicht, welche von diesen
- Städten ist ziviler: Rjasán oder Kasán? Kasán wird wohl ziviler sein,
- denn in Kasán ...
- 7. Auftritt
- Icharew, Gawrjuschka, nachher Alexej.
- Icharew. Sie haben nichts Besonderes an sich, wie mir scheint. Übrigens
- ... Ach, wie möchte ich sie gern rupfen! Lieber Gott, wie möcht' ich's
- so gern! Wenn ich daran denke, wahrhaftig, so kriege ich Herzklopfen!
- (Nimmt eine Bürste und Seife, setzt sich vor den Spiegel und fängt an,
- sich zu rasieren.) Die Hand zittert mir, ich kann mich nicht rasieren.
- (Alexej tritt ein.)
- Alexej. Befehlen Sie -- etwas zu essen?
- Icharew. Gewiß, gewiß, bring etwas Imbiß für vier Personen: Kaviar,
- Lachs und vier Flaschen Wein, und gib _ihm_ auch zu essen. (Zeigt auf
- Gawrjuschka.)
- Alexej (zu Gawrjuschka). Bitte nach der Küche, da steht für Sie was
- bereit. (Gawrjuschka ab.)
- Icharew (sich rasierend). Hör mal, haben sie dir viel gegeben?
- Alexej. Wer denn?
- Icharew. Nun, mach keine Faxen, sprich!
- Alexej. Jawohl, sie haben mir was für Bedienung geschenkt.
- Icharew. Wieviel? Fünfzig Rubel?
- Alexej. Jawohl, fünfzig haben sie mir gegeben.
- Icharew. Von mir kriegst du nicht fünfzig, sondern -- siehst du, dort
- auf dem Tisch, da liegt ein Hundertrubelschein, nimm ihn dir. Hab keine
- Angst, er beißt nicht. Von dir wird nichts mehr verlangt, als
- Ehrlichkeit, verstehst du? Die Karten mögen beim Wachramejkin oder bei
- einem anderen Kaufmann gekauft werden, das geht mich nichts weiter an.
- Aber hier hast du als Zugabe noch ein Dutzend Kartenspiele von mir.
- (Gibt ihm ein versiegeltes Paket.) Hast du verstanden?
- Alexej. Was ist denn da nicht zu verstehen? Sie können sich darauf
- verlassen, das ist schon meine Sache.
- Icharew. Und die Karten verstecke ordentlich, daß man sie nicht gewahr
- wird. (Legt Bürste und Seife weg und trocknet sich das Gesicht mit dem
- Handtuch ab. Alexej ab.) Das wäre sehr, sehr schön. Ach, ich gestehe,
- ich möchte sie recht gern hineinlegen.
- 8. Auftritt
- Schwochnew, Krugel und Stepan Iwanowitsch Uteschitelny treten mit
- Verbeugungen ein.
- Icharew (mit einer Verbeugung ihnen entgegenkommend). Bitte um
- Entschuldigung: das Zimmer ist, wie Sie sehen, nicht besonders schön: im
- ganzen vier Stühle.
- Uteschitelny. Die Freundlichkeiten des Hausherrn sind wertvoller, als
- alle Bequemlichkeiten.
- Schwochnew. Man lebt ja nicht mit dem Zimmer, sondern mit guten
- Menschen.
- Uteschitelny. Die reine Wahrheit. Ich könnte gar nicht ohne Gesellschaft
- auskommen. (Zu Krugel.) Erinnerst du dich, mein Bester, wie ich
- hierherkam, mutterseelenallein? Denken Sie sich, nicht einen einzigen
- Bekannten hatte ich hier. Die Wirtin -- eine alte Greisin. Auf der
- Treppe irgendeine furchtbar häßliche Scheuerfrau. Da sehe ich: um sie
- herum scharwenzelt ein Infanterist, scheint ganz ausgehungert ... Mit
- einem Wort -- eine tödliche Langeweile! Da plötzlich sendet mir das
- Schicksal _ihn_, und nachher führt mich der Zufall mit diesem da
- zusammen. Nun war ich aber froh! Ich kann keine Stunde ohne Gesellschaft
- von Freunden auskommen. Alles, was ich auf der Seele habe, bin ich
- bereit, jedem zu erzählen.
- Krugel. Ja, Freundchen, das ist aber auch dein Fehler, und keineswegs
- eine Tugend. Jedes Zuviel schadet, du bist vermutlich schon mehr als
- einmal betrogen worden.
- Uteschitelny. Jawohl, ich bin betrogen worden und werde noch immer
- betrogen werden, und doch kann ich ohne Aufrichtigkeit nicht leben.
- Krugel. Nun weißt du, ich muß gestehen, das ist mir unbegreiflich! Mit
- jedem aufrichtig sein! Freundschaft, das ist ganz was anderes.
- Uteschitelny. Das schon, aber der Mensch gehört der Gesellschaft an.
- Krugel. Er gehört wohl, aber nicht ganz.
- Uteschitelny. Nein, ganz.
- Krugel. Nein, nicht ganz.
- Uteschitelny. Nein, ganz!
- Schwochnew (zu Uteschitelny). Streite nicht, lieber Freund, du hast
- unrecht.
- Uteschitelny (hitzig). Nein, ich werde dirs beweisen, das ist eine
- Pflicht, das ist -- das ist -- das ist -- eine Schuldigkeit, das ist --
- das ist ...
- Schwochnew. Nun ist er losgegangen! Er ist nämlich furchtbar hitzig; die
- ersten paar Worte von dem, was er spricht, kann man noch verstehen, aber
- weiter versteht man nichts.
- Uteschitelny. Ich kann nicht, ich kann nicht! Wenn es die Pflicht
- betrifft, so komme ich ganz außer Fassung! Ich erkläre gewöhnlich schon
- von vornherein: meine Herren, wenn die Rede von so etwas Ähnlichem sein
- wird, so müssen Sie schon verzeihen, ich lasse mich hinreißen, ja, ich
- lasse mich hinreißen. Wie im Rausch gleichsam, und meine Galle kocht und
- kocht über!
- Icharew (für sich). Nun, lieber Freund, ich kenn' schon die Leute, die
- sich hinreißen lassen und hitzig werden bei dem Worte Pflicht. Deine
- Galle wird schon überkochen, aber nicht bei solcher Gelegenheit. (Laut.)
- Nun, meine Herren, während hier über heilige Pflichten gestritten wird,
- wollen wir da nicht auch ein Spielchen machen? (Während des Gespräches
- wird das Frühstück serviert.)
- Uteschitelny. Bitte, wenn's nur ein kleines Spiel ist, warum nicht?
- Krugel. Unschuldigen Vergnügungen bin ich nie abgeneigt.
- Icharew. Wie ist es, in diesem Hotel wird's wohl Karten geben?
- Schwochnew. Oh, Sie brauchen nur zu befehlen!
- Icharew. Karten! (Alexej macht sich am Kartentisch zu schaffen.) Und
- inzwischen, bitte, meine Herren, (zeigt mit der Hand auf den
- Frühstückstisch und tritt heran) der Lachs ist, wie es scheint, nicht
- sonderlich, aber der Kaviar geht an.
- Schwochnew (indem er ein Stück in den Mund steckt). Nein, der Lachs ist
- auch nicht übel.
- Krugel (ebenfalls). Der Käse ist auch gut; auch der Kaviar ist nicht
- übel.
- Schwochnew (zu Krugel). Erinnerst du dich, was für vortrefflichen Käse
- wir vor zwei Wochen gegessen haben?
- Krugel. Nein, nie in meinem Leben werde ich den Käse vergessen, den ich
- bei Peter Alexándrowitsch Alexándrow gegessen habe.
- Uteschitelny. Sieh mal, mein Lieber: wann ist denn der Käse eigentlich
- gut? Er ist dann gut, wenn du dir nach einem Mittagessen noch ein
- zweites vornimmst -- das ist seine eigentliche Bestimmung. Er ist
- gleichsam wie ein guter Quartiermeister; er sagt: bitte, meine
- Herrschaften, hier ist noch Platz.
- Icharew. Bitte, meine Herrschaften, die Karten sind auf dem Tisch.
- Uteschitelny (an den Kartentisch herantretend). Ah, das ist nun wieder
- einmal eine Sache aus alten Zeiten! Sieh mal, Schwochnew, Karten! Ha,
- wieviele Jahre sind's wohl her?
- Icharew (zur Seite). Na, na! Tu doch nicht so!
- Uteschitelny. Wollen Sie die Bank halten?
- Icharew. Eine kleine, gewiß! Fünfhundert Rubel! Wollen Sie abheben?
- (Gibt Karten. Das Spiel fängt an. Man hört Ausrufe.)
- Schwochnew. Vier, Aß, beide zu zehn.
- Uteschitelny. Gib mir mal dein Kartenspiel, Liebster, ich will mir eine
- Karte wählen: auf das Glück unserer Frau Adelsmarschall.
- Krugel. Gestatten Sie mir eine Neun hinzuzufügen.
- Uteschitelny. Schwochnew, gib mal die Kreide! Ich schreibe an und
- schreibe ab.
- Schwochnew. Hol's der Teufel, Paroli!
- Uteschitelny. Und fünf Rubel Einsatz!
- Krugel. _Attendez!_ Gestatten Sie mir, nachzusehen, ich glaube, es
- müssen noch zwei Dreien im Spiel sein.
- Uteschitelny (springt auf, für sich). Hol's der Teufel, die Sache ist
- nicht sauber, hier sind andere Karten, das ist augenscheinlich (Das
- Spiel geht weiter.)
- Icharew (zu Krugel). Gestatten Sie die Frage: Gelten beide?
- Krugel. Beide!
- Icharew. Erhöhen Sie nicht?
- Krugel. Nein.
- Icharew (zu Schwochnew). Und Sie, setzen Sie nichts?
- Schwochnew. Gestatten Sie, daß ich dieses Spiel abwarte. (Steht auf,
- geht eilig auf Uteschitelny zu und sagt schnell:) Hol's der Teufel,
- Liebster, er macht alle möglichen Kunststücke. Ein Falschspieler ersten
- Ranges.
- Uteschitelny (erregt). Wollen wir denn auf die Achtzigtausend
- verzichten?
- Schwochnew. Natürlich verzichten wir, wenn's nicht geht.
- Uteschitelny. Nun, das ist noch die Frage, aber vorläufig müssen wir uns
- mit ihm verständigen.
- Schwochnew. Wieso?
- Uteschitelny. Ihm einfach alles eingestehen.
- Schwochnew. Wozu denn?
- Uteschitelny. Das sage ich dir nachher, komm. (Gehen beide auf Icharew
- zu und klopfen ihm von beiden Seiten auf die Schulter.)
- Uteschitelny. Verschießen Sie nicht umsonst Ihr Pulver.
- Icharew (zusammenfahrend). Wieso?
- Uteschitelny. Was ist da lange zu reden? Erkennt denn einer nicht
- seinesgleichen?
- Icharew (höflich). Gestatten Sie die Frage, wie soll ich das verstehen?
- Uteschitelny. Ganz einfach, ohne überflüssige Worte und Zeremonien. Wir
- haben Ihre Kunst gesehen, und seien Sie versichert, wir wissen Ihren
- Wert zu schätzen. Und deshalb schlage ich Ihnen im Namen unserer
- Kameraden ein Freundschaftsbündnis vor. Wenn wir unsere Kenntnisse und
- Kapitalien zusammentun, können wir viel erfolgreicher arbeiten als
- einzeln.
- Icharew. In welchem Maße darf ich von der Richtigkeit Ihrer Worte
- überzeugt sein?
- Uteschitelny. In diesem Maße: Für Aufrichtigkeit zahlen wir mit
- Aufrichtigkeit. Wir gestehen Ihnen hier ganz offen, daß wir uns
- verabredet haben, Sie zu beschwindeln, weil wir Sie für einen
- gewöhnlichen Menschen gehalten haben. Aber jetzt sehen wir, daß Ihnen
- die höchsten Geheimnisse bekannt sind. Und nun, wollen Sie unsere
- Freundschaft annehmen?
- Icharew. Zu einem so freundlichen Anerbieten kann ich nicht nein sagen.
- Uteschitelny. Also reichen wir einander die Hände. (Alle drücken
- nacheinander Icharew die Hand.) Von nun ab sei alles gemeinschaftlich,
- fort mit Verstellung und Zeremonien! Gestatten Sie die Frage, seit wann
- haben Sie angefangen, die Tiefe der Wissenschaft zu erforschen?
- Icharew. Ich muß gestehen, schon seit meiner frühen Jugendzeit war es
- stets mein Bestreben. Schon in der Schule während der Vorlesungen des
- Professors habe ich meinen Kommilitonen unter dem Tisch die Bank
- gehalten.
- Uteschitelny. Das dachte ich mir. Eine solche Kunst kann man nicht
- erwerben ohne eine Praxis in den Jahren der zartesten Jugend. Erinnerst
- du dich des ungewöhnlichen Knaben, Schwochnew?
- Icharew. Welches Knaben?
- Uteschitelny. Erzähle mal.
- Schwochnew. Eine solche Begebenheit werde ich nie vergessen. Sagt mir da
- einmal sein Schwager (zeigt auf Uteschitelny) Andréj Iwánowitsch
- Pjátkin: »Schwochnew, willst du ein Wunder sehen? Ein Junge von elf
- Jahren, der Sohn von Iwán Micháilowitsch Kubischew, macht solche
- Kartenkunststücke, wie kein einziger Spieler. Reise mal nach dem
- Tjetjúschischen Kreis und sieh dir's an!« Ich muß gestehen, ich habe
- mich sofort nach dem Tjetjúschischen Kreis begeben, ich frage nach dem
- Dorf des Iwan Michailowitsch Kubischew und komme direkt zu ihm. Ich
- lasse mich anmelden. Es kommt ein Herr gesetzten Alters, ich stelle mich
- vor und sage: »Entschuldigen Sie bitte, ich habe gehört, daß Gott Ihnen
- einen ganz ungewöhnlichen Sohn geschenkt hat.« -- »Jawohl, das muß ich
- zugeben«, sagt er, und was mir gefallen hat, verstehen Sie wohl, ohne
- irgendwelche Umschweife und Prätentionen -- Ja, sagt er, das ist
- richtig, wenn's auch einem Vater nicht zukommt, seinen eigenen Sohn zu
- loben, aber der ist wirklich gewissermaßen ein Wunder. Mischa, sagt er,
- komm mal her, zeig mal dem Gast deine Kunst. Nun wissen Sie, wie so'n
- Junge ist, der Junge ist noch ganz Kind, reicht mir kaum bis an die
- Schulter, und in den Augen ist auch nichts Besonderes zu bemerken. Er
- fängt an, Karten zu geben, und ich bin ganz baff! Es übersteigt alle
- Beschreibung!
- Icharew. Ist es möglich, daß gar nichts zu bemerken war?
- Schwochnew. Nichts, gar nichts, nicht die Spur. Ich schaute zu mit
- beiden Augen.
- Icharew. Das ist unbegreiflich!
- Uteschitelny. Ein Phänomen, ein wahres Phänomen!
- Icharew. Wenn ich noch bedenke, daß dazu doch Kenntnisse notwendig sind,
- die auf der Schärfe der Augen und einem aufmerksamen Studium des Musters
- beruhen.
- Uteschitelny. Aber jetzt ist das ja sehr viel leichter geworden. Jetzt
- ist das Besprenkeln und Bezeichnen ganz aus dem Gebrauch gekommen. Man
- sucht jetzt den Schlüssel zu erlernen.
- Icharew. Das heißt, den Schlüssel der Zeichnung?
- Uteschitelny. Jawohl. Den Schlüssel der Zeichnung auf der Rückseite. Da
- lebt in einer Stadt, -- in welcher, das will ich nicht sagen, -- ein
- ehrbarer Mann, der nichts anderes tut, als nur dies: Jedes Jahr bekommt
- er aus Moskau einige hundert Kartenspiele, von wem, -- das bleibt ein
- Geheimnis. Seine ganze Aufgabe und Pflicht besteht darin, das Muster auf
- der Rückseite jeder Karte zu untersuchen, und einen Schlüssel dazu
- einzuschicken, d. h. sieh nur hin: bei der Zwei, da ist die Zeichnung so
- angeordnet, bei einer anderen Karte ist die Sache so, und dann wieder
- so, und für das allein bekommt er jährlich fünftausend in barem Gelde.
- Icharew. Das ist allerdings eine sehr wichtige Sache!
- Uteschitelny. Ja, das _muß_ übrigens auch so sein. Das ist, was man in
- der National-Ökonomie die Arbeitsteilungen nennt. Zum Beispiel, ein
- Wagenbauer, der macht ja nicht selbst den ganzen Wagen, er gibt doch
- auch dem Schmied und dem Tapezierer was ab. Sonst würde ja das ganze
- Menschenleben nicht ausreichen.
- Icharew. Gestatten Sie eine Frage: Wie machten Sie's bis jetzt, um Ihre
- Kartenspiele in Kurs zu setzen. Die Bedienung bestechen, das ist ja
- nicht immer möglich.
- Uteschitelny. Gott behüte! ist auch gefährlich. Das hieße ja manchmal,
- sich selbst verraten. Wir machen es anders. Einmal machten wir's auf
- folgende Weise: Unser Agent kommt zum Jahrmarkt und nimmt als Kaufmann
- Logis im Stadthotel; er habe noch nicht Zeit gefunden, sich einen Laden
- zu mieten. Da stehen nun die Kisten und Ballen noch so im Zimmer herum.
- Er lebt im Hotel, macht Ausgaben, ißt, trinkt und verschwindet
- plötzlich, man weiß nicht, wohin, ohne seine Rechnung bezahlt zu haben.
- Der Hotelwirt sucht im Zimmer herum und sieht, es ist nur ein Ballen
- zurückgeblieben. Er macht den Ballen auf, sieh da: hundert Dutzend
- Kartenspiele. Die Karten werden natürlich gleich verauktioniert. Das
- Dutzend einen Rubel billiger, da kaufen die Kaufleute in einem
- Augenblick alles für ihren Laden auf, und in vier Tagen hat die ganze
- Stadt ihr Geld im Spiel verloren.
- Icharew. Das ist sehr geschickt.
- Schwochnew. Nun, und bei jenem, beim Gutsbesitzer?
- Icharew. Was denn, beim Gutsbesitzer?
- Uteschitelny. Ja so, die Geschichte war auch nicht schlecht gemacht. Ich
- weiß nicht, ob's Ihnen bekannt ist, es gibt einen Gutsbesitzer Arkádij
- Antónowitsch Dergunów, ein furchtbar reicher Mann, spielt vorzüglich,
- ist von beispielloser Redlichkeit, und, verstehen Sie, ihn
- herumzukriegen, ist gar keine Möglichkeit. Alles beaufsichtigt er
- selbst, seine Dienerschaft ist gut erzogen, -- die reinen Kammerherren,
- das Haus -- ein Palast, sein Garten -- alles nach englischem Muster,
- kurz, ein russischer Edelmann im vollen Sinne des Wortes. Wir sind schon
- drei Tage bei ihm. Wie fängt man's an? Einfach keine Möglichkeit!
- Endlich kamen wir auf einen Gedanken. Eines Morgens rast am Hofe ein
- Dreigespann vorbei, im Wagen sitzen ein paar junge Burschen, alle im
- höchsten Grade besoffen, alles singt Lieder und treibt's, wie die wilde
- Jagd. Zu so einem Schauspiel kommt natürlich die ganze Dienerschaft
- herbeigelaufen. Sie gaffen, lachen und bemerken, daß aus dem Wagen etwas
- herausgefallen ist. Sie kommen hinzu und sehen einen Reisekoffer. Sie
- winken mit den Händen und rufen: Halt! Aber i wo, niemand hört, sie sind
- fortgerast, und nur der Staub auf dem ganzen Wege ist aufgewirbelt. Sie
- machen den Reisekoffer auf, finden Wäsche, einige Kleidungsstücke,
- zweihundert Rubel bares Geld und gegen vierzig Dutzend Kartenspiele. Nun
- natürlich, auf das Geld wollten die Dienstboten nicht verzichten, die
- Kartenspiele kamen auf den herrschaftlichen Tisch und schon am nächsten
- Tage waren gegen Abend alle, der Hausherr wie die Gäste, ohne eine
- Kopeke in der Tasche, und das Spiel war zu Ende.
- Icharew. Sehr geistreich! Das bezeichnen die Leute mit Schwindel oder
- ähnlichen Namen, aber das ist ja nur Scharfsinn und feiner Verstand.
- Uteschitelny. Die Leute verstehen ja nichts vom Spiel. Im Spiel gibt es
- kein Ansehen der Person, das Spiel sieht auf nichts. Mag mein eigener
- Vater mit mir Karten spielen; ich würde meinen Vater beschwindeln. Setze
- dich nicht mit mir hin! Hier sind alle gleich.
- Icharew. Richtig, das versteht man nicht, daß ein Spieler der
- tugendhafteste Mensch sein kann. Ich kenne einen, der zu allen möglichen
- Mogeleien geneigt ist, aber einem Armen gibt er seine letzte Kopeke. Und
- er wird es keineswegs verschmähen, sich mit Dreien gegen Einen zu
- verbinden und ihm das Geld abzunehmen. Aber meine Herren, da wir schon
- so aufrichtig miteinander sind, so will ich Ihnen eine ganz wunderbare
- Sache zeigen. Wissen Sie, was das heißt, ein kombiniertes oder
- zusammengesuchtes Kartenspiel, in dem jede Karte von mir auf eine
- bedeutende Distanz erraten werden kann?
- Uteschitelny. Ich weiß es wohl, aber vielleicht in etwas anderer Art.
- Icharew. Ich kann mich wohl rühmen, daß Sie ein ähnliches nirgends
- finden werden. Es hat fast ein halbes Jahr Arbeit gekostet. Ich habe
- zwei Wochen nachher das Sonnenlicht nicht sehen können. Der Arzt
- befürchtete eine Augenentzündung. (Nimmt es aus der Schatulle.) Da ist
- es, aber nehmen Sie mir's nicht übel, es hat auch einen Namen wie ein
- Mensch.
- Uteschitelny. Wieso einen Namen?
- Icharew. Jawohl, einen Namen: Adelaida Iwánowna.
- Uteschitelny. Hör mal, Schwochnew, das ist ja eine ganz neue Idee, ein
- Kartenspiel Adelaida Iwanowna zu nennen. Ich finde es sogar sehr
- geistreich.
- Schwochnew. Sehr schön: Adelaida Iwanowna! Wunderschön.
- Uteschitelny. Adelaida Iwanowna! Sogar eine Deutsche! Hörst du, Krugel,
- da hast du eine Frau.
- Krugel. Was bin ich für ein Deutscher? Mein Großvater war ein Deutscher,
- und auch der verstand kein Deutsch.
- Uteschitelny (das Kartenspiel betrachtend). Das ist wahrhaftig ein
- Schatz. Wirklich, es ist gar nichts zu merken. Können Sie tatsächlich
- jede Karte erraten, auf jede beliebige Distanz?
- Icharew. Bitte, ich stelle mich fünf Schritt weit von Ihnen auf und
- werde von da aus jede Karte benennen. Ich bin bereit, zweitausend Rubel
- zu zahlen, wenn ich mich irre.
- Uteschitelny. Nun, was ist das für eine Karte?
- Icharew. Eine Sieben.
- Uteschitelny. Richtig, und diese?
- Icharew. Ein Bube.
- Uteschitelny. Hol's der Teufel, ganz richtig! Nun, und diese?
- Icharew. Eine Drei.
- Uteschitelny. Unbegreiflich!
- Krugel (die Achseln zuckend). Unbegreiflich!
- Schwochnew. Unbegreiflich!
- Uteschitelny. Gestatten Sie mir, noch mal nachzusehen. (Besieht das
- Kartenspiel.) Ein ganz wundervolles Ding, es ist wirklich wert, daß man
- ihm einen Namen gab. Aber gestatten Sie die Bemerkung, das Spiel in
- Gebrauch zu nehmen, ist doch eine schwierige Sache; vielleicht geht's
- etwa mit einem ganz unerfahrenen Spieler, man muß es ja selbst
- vertauschen.
- Icharew. Aber das tut man ja nur während der Hitze des Spiels, wenn das
- Spiel so hoch geht, daß der erfahrenste Spieler unruhig wird, und wenn
- ein Mensch nur ein bißchen verwirrt ist, so kann man ja mit ihm machen,
- was man will. Wissen Sie denn nicht, daß das mit den besten Spielern
- passiert, was man so nennt »sich heiß spielen«. Wenn er zwei, drei
- Nächte hintereinander spielt, ohne zu schlafen -- nun, dann spielt er
- sich eben heiß. Im Hasardspiel kann ich immer den Talon vertauschen.
- Glauben Sie mir, die ganze Kunst besteht nur darin, daß man kaltblütig
- bleibt, wenn der andere hitzig ist; und die Aufmerksamkeit anderer
- abzulenken, dazu gibt es tausend Mittel. Fangen Sie nur mit einem der
- Spieler irgendeinen Krakehl an, sagen Sie z. B., er hätte nicht richtig
- aufgeschrieben, dann wenden sich die Augen Aller auf ihn, und in diesem
- Augenblick ist das Kartenspiel bereits vertauscht.
- Uteschitelny. Nun, ich sehe, daß Sie außer der Kunst auch noch die
- Tugend der Kaltblütigkeit besitzen. Das ist eine wichtige Sache. Ihre
- Bekanntschaft ist nun für uns desto wertvoller geworden. Wollen wir alle
- Zeremonien, alle überflüssigen Formalitäten fallen lassen und wollen wir
- einander einfach du sagen.
- Icharew. Das hätten wir schon längst tun sollen.
- Uteschitelny. Kellner! Champagner, zur Bekräftigung des
- freundschaftlichen Bundes!
- Icharew. Jawohl, es gehört sich, daß man das begieße!
- Schwochnew. Nun, meine Herren, wir haben uns ja zu Heldentaten
- versammelt. Das Geschütz ist in unseren Händen, die nötigen Kräfte haben
- wir, es fehlt nur eins.
- Icharew. Richtig, richtig! Die Festung fehlt ja, die zu nehmen wäre, das
- ist das Pech!
- Uteschitelny. Was ist da zu machen? Vorläufig gibt's noch keinen Feind.
- (Sieht Schwochnew fest an.) Wie? Du machst ja ein Gesicht, das zu sagen
- scheint: ein Feind wäre wohl da.
- Schwochnew. Ja, da ist ... (Bleibt stecken.)
- Uteschitelny. Ich weiß schon, wen du meinst.
- Icharew (lebhaft). Wen denn, wen denn? Wer ist es?
- Uteschitelny. Ach, Unsinn! Das hat er sich ausgedacht. Der reinste
- Unsinn! Sehen Sie mal, hier ist ein zugereister Gutsbesitzer, Micháilo
- Alexándrowitsch Glow. Aber was ist da zu reden, er spielt ja gar nicht.
- Wir haben uns schon mit ihm zu schaffen gemacht. Ich habe ihm einen
- ganzen Monat den Hof gemacht, habe mit ihm Freundschaft geschlossen,
- habe sein Vertrauen erworben und habe doch nichts ausgerichtet.
- Icharew. Aber hör mal, kann man ihn denn nicht zu sehen bekommen? Wer
- weiß, vielleicht doch?
- Uteschitelny. Nun, ich sage dir im voraus, das wird ganz vergebliche
- Mühe sein.
- Icharew. Aber wir wollen's doch mal versuchen.
- Schwochnew. Nun, bring ihn doch wenigstens hierher. Wenn's uns nicht
- gelingt, so unterhalten wir uns doch ein wenig. Warum wollen wir's denn
- nicht versuchen?
- Uteschitelny. Meinetwegen, mir macht's ja nichts, ich bringe ihn schon
- her.
- Icharew. Bring ihn doch, bitte, gleich hierher!
- Uteschitelny. Schon gut, schon gut! (Ab.)
- 9. Auftritt
- Dieselben ohne Uteschitelny.
- Icharew. Wahrhaftig, wie kann man wissen, manchmal scheint eine Sache
- ganz unmöglich.
- Schwochnew. Ich bin auch derselben Meinung. Wir haben's doch nicht mit
- Göttern zu tun, sondern mit einem Menschen, und ein Mensch bleibt immer
- ein Mensch. Heute sagt er nein, morgen nein, übermorgen nein, und am
- vierten Tage, wenn man ihm nur ordentlich zusetzt, sagt er ja. Mancher
- tut ja bloß so, als ob er so unzugänglich sei, aber wenn man genauer
- zusieht, so merkt man, daß nur viel Lärm um nichts gemacht worden ist.
- Krugel. Nun, dieser ist nicht derart.
- Icharew. Ach, wenn's doch wäre! Es ist nicht zu glauben, wie jetzt der
- Trieb zur Tätigkeit in mir erwacht ist. Sie müssen wissen, daß mein
- letzter Gewinn von achtzigtausend beim Oberst Tschebotarjów bereits vom
- vergangenen Monat herrührt. Seitdem habe ich einen ganzen Monat keine
- Praxis mehr gehabt. Sie können sich kaum denken, was für eine Langeweile
- ich in dieser ganzen Zeit ausgestanden habe, eine tödliche Langeweile!
- Schwochnew. Ich begreife diese Lage ganz wohl. Es ist gerade wie bei
- einem Feldherrn: was muß der empfinden, wenn es keinen Krieg gibt. Das,
- mein Liebster, ist einfach eine fatale Zwischenpause. Ich weiß es aus
- eigener Erfahrung, das ist kein Spaß.
- Icharew. Du glaubst es nicht, es kommt manchmal so weit, daß, wenn
- jemand bloß fünf Rubel in der Bank halten würde, ich bereit wäre, mich
- hinzusetzen und zu spielen.
- Schwochnew. Eine ganz natürliche Sache. So hat auch schon manchmal der
- geschickteste Spieler verloren: aus Melancholie, wenn keine Arbeit da
- ist, gerät er in der Hitze manchmal an einen von jenen, die man
- Habenichtse und Stromer nennt, -- nun, und verliert alles um nichts und
- wieder nichts.
- Icharew. Ist der Glow reich?
- Krugel. Oh, Geld hat er schon! Ich glaube, so gegen tausend Leibeigene.
- Icharew. Ei, der Teufel! Vielleicht könnte man ihm was zu trinken geben,
- Champagner, was?
- Schwochnew. Er nimmt keinen Tropfen in den Mund.
- Icharew. Was ist nun mit ihm zu machen? Wie kommt man an ihn heran? Aber
- nein, ich denke doch, das Spiel ist eine verführerische Sache. Ich
- glaube, wenn er sich nur hinsetzen wollte und zusehen, wie die andern
- spielen, so würde er's doch nicht aushalten.
- Schwochnew. Nun, wir wollen's jetzt versuchen. Wir wollen hier etwas
- abseits mit Krugel ein ganz kleines Spielchen machen. Aber man muß ihm
- nicht zu viel Aufmerksamkeit schenken, alte Leute sind mißtrauisch.
- (Setzen sich abseits an den Spieltisch.)
- 10. Auftritt
- Dieselben. Uteschitelny und Michailo Alexandrowitsch Glow, ein
- Herr in gesetzten Jahren.
- Uteschitelny. Hier, Icharew, gestatte, daß ich dir Michailo
- Alexandrowitsch Glow vorstelle.
- Icharew. Ich muß gestehen, ich habe mir schon lange die Ehre gewünscht.
- Da wir doch in einem Hotel wohnen ...
- Glow. Ich freue mich auch, Ihre Bekanntschaft zu machen. Nur schade, daß
- es fast vor der Abreise geschieht.
- Icharew (reicht ihm einen Stuhl). Bitte ergebenst! Leben Sie schon lange
- in dieser Stadt? (Uteschitelny, Schwochnew und Krugel flüstern
- miteinander.)
- Glow. Ach, lieber Herr, ich habe sie schon so satt, diese Stadt, ich
- würde mich schon herzlich freuen, von hier fortzukommen.
- Icharew. Nun, halten Sie hier Geschäfte davon ab?
- Glow. Jawohl, Geschäfte. Ist das eine Sache, diese Geschäfte!
- Icharew. Wohl ein Prozeß?
- Glow. Nein, Gott sei Dank, kein Prozeß, aber doch eine ziemlich
- schwierige Angelegenheit. Sehen Sie mal, ich verheirate jetzt meine
- Tochter, ein achtzehnjähriges Mädchen. Verstehen Sie meine Lage als
- Vater? Ich bin hierher gekommen, verschiedene Einkäufe zu machen,
- hauptsächlich aber eine Hypothek auf ein Gut aufzunehmen. Die Sache wäre
- schon ganz zu Ende, aber das Amt gibt noch immer das Geld nicht heraus,
- und so bleibe ich ganz unnützer Weise hier.
- Icharew. Gestatten Sie mir die Frage, für welche Summe verpfänden Sie
- Ihr Gut?
- Glow. Für zweihunderttausend. Schon in diesen Tagen sollte das Geld
- ausgezahlt werden, aber nun zieht sich's hin, und ich hab's schon satt,
- hier zu sitzen. Zu Hause, wissen Sie, habe ich alles nur auf ganz kurze
- Zeit zurückgelassen. Meine Tochter ist Braut. Alles wartet ... Ich habe
- sogar schon beschlossen, nicht weiter zu warten und hier alles liegen zu
- lassen.
- Icharew. Wieso? Wollen Sie denn nicht abwarten, bis Sie das Geld
- bekommen?
- Glow. Was ist zu machen, mein Liebster? Bedenken Sie nur meine Lage.
- Seit einem Monat habe ich meine Frau und die Kinder nicht gesehen und
- habe auch keinen Brief erhalten. Weiß Gott, wie's dort zugeht. Ich
- überlasse alles meinem Sohn, der hierbleibt. Ich hab's satt. (Sich an
- Schwochnew und Krugel wendend.) Was machen Sie, meine Herren? Ich
- glaube, ich störe wohl. Sie waren mit etwas beschäftigt?
- Krugel. Unsinn! Das ist nur so; vor Langeweile spielen wir ein bißchen.
- Glow. Ich glaube, das ist so etwas wie Bankspiel?
- Schwochnew. Ach was, nur zum Zeitvertreib: ein Pfennigspiel.
- Glow. Ach, meine Herren, hören Sie, was Ihnen ein alter Mann sagt. Sie
- sind junge Leute, natürlich, da ist nichts Schlimmes dabei: so'n bißchen
- Zerstreuung; und in einem Pfennigspiel kann man ja nicht viel verlieren.
- Das ist ja ganz richtig. Aber immerhin ... Ach, meine Herren, ich habe
- selbst gespielt und kenne das aus Erfahrung. Da heißt alles auf der Welt
- eine Pfennigsache, aber sieht man näher zu, so endet ein kleines
- Spielchen manchmal als sehr großes Spiel.
- Schwochnew (zu Icharew). Na, da fängt der Alte schon mit seinem Gerede
- an. (Zu Glow.) Nun sehen Sie mal, da machen Sie gleich aus einer
- Kleinigkeit eine wichtige Sache. Das ist so die gewohnte Manier der
- alten Herren.
- Glow. Wieso? Ich bin ja noch gar nicht so alt, aber ich urteile aus
- Erfahrung.
- Schwochnew. Ich meine ja nicht gerade Sie, aber die alten Herren haben
- es überhaupt an sich: wenn sie sich an etwas verbrannt haben, so sind
- sie überzeugt, daß auch der andere sich an derselben Sache verbrennen
- müsse. Wenn sie auf einem Wege dahingingen und aus Zerstreutheit auf dem
- Glatteis ausgeglitten und hingefallen sind, dann schreien sie gleich und
- geben es für eine allgemeine Regel aus, daß auf diesem Wege niemand
- gehen soll, denn da sei an einer Stelle Glatteis und jeder müsse auf die
- Nase fallen. Das bedenken sie nicht, daß ein anderer vielleicht nicht so
- zerstreut sein wird und seine Stiefel auch nicht so glatte Sohlen haben.
- Nein, das alles verstehen sie nicht. Hat mal ein Hund einen Menschen auf
- der Straße gebissen, dann heißt es, alle Hunde beißen, und niemand darf
- auf die Straße gehen.
- Glow. Nun ja, mein Teuerster, das ist schon richtig, so ne schlechte
- Gewohnheit gibt's ja. Aber auch die jungen Leute sind gut, die haben
- schon gar zu viel Feuer, die laufen jeden Augenblick Gefahr, sich das
- Genick zu brechen!
- Schwochnew. Das ist es eben, daß wir keinen Mittelweg kennen. Die Jugend
- tobt, daß es nicht mehr auszuhalten ist, und das Alter wird so
- heuchlerisch, daß wieder die anderen es nicht aushalten können.
- Glow. Also so eine beleidigende Meinung haben Sie von den Alten?
- Schwochnew. Aber nein, was ist denn das für eine beleidigende Meinung?
- Das ist die reine Wahrheit, nichts mehr.
- Icharew. Gestatte mir doch die Bemerkung: dein Urteil ist zu scharf.
- Uteschitelny. Von wegen des Kartenspiels bin ich ganz derselben Meinung
- wie Michailo Alexandrowitsch. Ich habe selber gespielt und habe stark
- gespielt, aber Gott sei Dank, ich habe das für immer aufgegeben. Nicht
- etwa, daß ich all mein Geld verloren hätte oder daß ich mich gegen das
- Schicksal auflehnte. Glauben Sie mir, das ist noch gar nichts: der
- Geldverlust ist nicht so wichtig, wie die Seelenruhe. Schon die
- Aufregung, die man während des Spiels empfindet, verkürzt, was man auch
- sagen mag, merklich unser Leben.
- Glow. Jawohl, richtig, mein Teuerster, bei Gott, das haben Sie sehr
- weise bemerkt. Gestatten Sie mir eine unbescheidene Frage: Ich habe
- schon so lange das Vergnügen, Ihre Bekanntschaft zu genießen und bis
- jetzt ...
- Uteschitelny. Welche Frage denn?
- Glow. Gestatten Sie mir die Frage, wenn es auch eine kitzlige Sache ist:
- wie alt sind Sie?
- Uteschitelny. Neununddreißig.
- Glow. Denken Sie mal, was ist das denn, neununddreißig Jahre? Noch ein
- ganz junger Mensch. Wenn doch bei uns in Rußland recht viele solche
- wären wie Sie, die so weise urteilen. Du lieber Himmel, das wäre ja ein
- goldenes Zeitalter, sozusagen eine Asträa. Wie bin ich dem Schicksal
- dankbar, daß ich Sie kennen gelernt habe!
- Icharew. Glauben Sie mir, ich teile auch ganz dieselbe Ansicht. Ich
- würde jungen Burschen auch nicht gestatten, Karten in die Hand zu
- nehmen, aber weshalb sollen denn vernünftige, gesetzte Leute sich nicht
- etwas amüsieren, z. B. ein älterer Herr, der nicht mehr tanzt, warum
- nicht?
- Glow. Das ist schon richtig, gewiß, aber glauben Sie mir, es gibt im
- Leben so viele Freuden, sozusagen heilige Pflichten. Ach meine Herren,
- hören Sie doch auf einen alten Mann. Es gibt für den Menschen keine
- bessere Bestimmung als das Familienleben, im häuslichen Kreis. Alles was
- Sie jetzt umgibt, sind ja nichts als Aufregungen, bei Gott, nur
- Aufregungen, aber das eigentliche Glück haben Sie ja noch nicht
- genossen. Nehmen Sie mal mich, glauben Sie mir, ich kann die Minuten
- kaum zählen, bis ich die Meinigen wiedersehe, bei Gott! Wenn ich mir
- vorstelle, wie mein Töchterlein mir um den Hals fällt: Papachen,
- liebstes Papachen! Auch mein Sohn ist aus dem Gymnasium gekommen, ich
- habe ihn ein halbes Jahr lang nicht gesehen. Wahrhaftig, ich kann's gar
- nicht aussprechen; bei Gott, so ist es! Nach alledem will man keine
- Karte mehr ansehen!
- Icharew. Aber weshalb soll man denn die väterlichen Gefühle mit den
- Karten zusammenwerfen? Die väterlichen Gefühle sind etwas für sich, und
- die Karten sind wieder etwas für sich.
- Alexej (tritt ein, zu Glow). Ihr Diener fragt wegen der Koffer: befehlen
- Sie, sie hinauszutragen? Die Pferde warten schon.
- Glow. Ah, sofort. Entschuldigen Sie, meine Herren, daß ich Sie für einen
- Augenblick verlasse. (Ab.)
- 11. Auftritt
- Schwochnew. Icharew. Krugel. Uteschitelny.
- Icharew. Nein, da ist keine Hoffnung!
- Uteschitelny. Ich habe dir's ja vorher gesagt. Ich begreife nicht, wie
- Sie es dem Menschen nicht sofort ansehen! Man braucht ja nur hinzusehen,
- um zu wissen, wenn einer nicht spielen will.
- Icharew. Aber ich glaube, man müßte ihm doch ordentlich zusetzen.
- Weshalb hast du ihn denn noch selber unterstützt?
- Uteschitelny. Aber mein Liebster, anders geht's doch nicht. Mit diesen
- Leuten muß man sehr vorsichtig umgehen, sonst merkt er's ja gleich, daß
- man ihm etwas abgewinnen will.
- Icharew. Nun, und was ist daraus geworden? Er reist ja bald ab, es ist
- ja doch ganz egal.
- Uteschitelny. Na, warten wir ab, die Sache ist noch nicht ganz zu Ende.
- 12. Auftritt
- Dieselben und Glow.
- Glow. Besten Dank für die angenehme Bekanntschaft, meine Herren. Ich
- bedaure wahrhaftig nur, daß sie erst so spät zustande gekommen ist. Gott
- wird uns übrigens vielleicht noch einmal zusammenführen.
- Schwochnew. O gewiß, die Wege sind glatt, und die Menschen treiben sich
- weit herum, warum sollte man da nicht noch mal zusammentreffen? Wenn nur
- das Schicksal es so will!
- Glow. Bei Gott, ganz richtig, wenn das Schicksal will, so sehen wir uns
- vielleicht schon morgen wieder, das ist die reinste Wahrheit! Adieu,
- meine Herren! Aufrichtigsten Dank! Und Ihnen, Stepan Iwanowitsch, bin
- ich besonders verpflichtet. Wahrhaftig, Sie haben mir meine Einsamkeit
- versüßt!
- Uteschitelny. Aber bitte, hat nichts zu sagen. Ich habe getan, was ich
- konnte.
- Glow. Nun, wenn Sie schon so gut sind, so erweisen Sie mir noch eine
- Gunst, wenn ich Sie bitten darf.
- Uteschitelny. Welche? Sagen Sie mir bloß alles; alles, ich bin zu allem
- bereit!
- Glow. Beruhigen Sie einen alten Vater.
- Uteschitelny. Wieso denn?
- Glow. Ich lasse meinen Sascha hier. Ein netter Junge, eine gute Seele,
- aber immerhin nicht ganz zuverlässig, zweiundzwanzig Jahre alt, ich
- bitte Sie, was sind das für Jahre? Fast noch ein Kind. Er hat die Schule
- durchgemacht und denkt nun an nichts anderes als an die Husaren. Ich
- sage zu ihm: »Es ist ja noch zu früh, Sascha, warte doch, sieh dich doch
- ein bißchen um, warum willst du denn Husar werden? Wer weiß, vielleicht
- hast du ganz zivile Anlagen. Du kennst ja noch die Welt gar nicht, die
- Zeit gehört ja dir!« Nun, Sie begreifen wohl, ein so junges Wesen, da
- kommt ihm bei den Husaren alles so glänzend vor; die reiche gestickte
- Uniform ... Was ist da zu machen? Die Bestrebungen kann man ja nicht
- aufhalten .... Also seien Sie doch so gut, Väterchen Stepan Iwanowitsch!
- Er bleibt nun ganz allein. Ich habe ihm einige geschäftliche Aufträge
- gegeben. Er ist ja ein junger Mann, es kann ja alles passieren; daß ihn
- da nur die Beamten nicht irgendwie beschwindeln. Wer weiß! Also nehmen
- Sie ihn doch unter Ihren Schutz! Beaufsichtigen Sie seine Schritte,
- halten Sie ihn von allem Bösen ab! Seien Sie doch so gut, Väterchen!
- (Faßt seine beiden Hände.)
- Uteschitelny. Bitte, bitte sehr. Alles, was ein Vater für seinen Sohn
- tun kann, werde ich für ihn tun.
- Glow. Ach, Väterchen! (Sie umarmen und küssen sich.) Da sieht man doch
- gleich, wenn einer ein gutes Herz hat, bei Gott! Gott wird Sie dafür
- belohnen! Adieu, meine Herren! Ich wünsche Ihnen von Herzen alles Beste!
- Icharew. Adieu, glückliche Reise!
- Schwochnew. Ich wünsche, daß Sie die Ihrigen gesund vorfinden!
- Glow. Ich danke Ihnen, meine Herren!
- Uteschitelny. Und ich werde Sie bis zum Wagen begleiten und Ihnen
- hineinhelfen.
- Glow. Ach, Väterchen, wie gut sind Sie!
- 13. Auftritt
- Schwochnew, Krugel und Icharew.
- Icharew. Fort ist der Vogel!
- Schwochnew. Ja, man hätte doch was ergattern können!
- Icharew. Ich muß gestehen, wie er da sagte: zweihunderttausend, da bekam
- ich sogar Herzklopfen.
- Krugel. An eine solche Summe ist es sogar süß zu denken.
- Icharew. Wenn man bedenkt, wieviel Geld umsonst, ohne irgendeinen Nutzen
- herumliegt! Was hat man nun davon, daß er zweihunderttausend bekommen
- wird? Das alles wird ja bei Einkäufen von irgendwelchen Lappen und altem
- Zeug draufgehen.
- Schwochnew. Alles das ist Plunder und Tand.
- Icharew. Und wieviel Geld geht so in der Welt ohne Umsatz verloren!
- Wieviel tote Kapitalien gibt es, die wie die Toten in den Banken
- herumliegen. Es ist wahrhaftig ein Jammer! Ich möchte nicht mehr haben,
- als was im Vormundschaftsrat liegt.
- Schwochnew. Ich wäre schon mit der Hälfte zufrieden.
- Krugel. Und ich mit einem Viertel.
- Schwochnew. Na, na, flunkere nicht, Deutscher, du wirst schon noch mehr
- verlangen.
- Krugel. Auf Ehrenwort!
- Schwochnew. Schwindel!
- 14. Auftritt
- Dieselben und Uteschitelny (kommt eilig, mit vor Freude strahlendem
- Gesicht).
- Uteschitelny. Schadet nichts, schadet nichts, meine Herren, er ist fort,
- hol ihn der Teufel! Desto besser! Der Sohn ist dageblieben. Der Vater
- hat ihm die Vollmacht übergeben und alle Rechte auf den Empfang der
- Gelder vom Fiskus; und er hat mir die Aufsicht über alles anvertraut.
- Der Sohn ist ein feiner Kerl, es zieht ihn zu den Husaren. Da gibt's
- eine Ernte. Ich gehe und bringe ihn gleich zu euch. (Schnell ab.)
- 15. Auftritt
- Schwochnew, Krugel und Icharew.
- Icharew. Der Uteschitelny! Ist das einer!
- Schwochnew. Bravo! Die Sache nimmt eine vortreffliche Wendung! (Alle
- reiben sich vor Freude die Hände.)
- Icharew. Ein braver Kerl, der Uteschitelny! Jetzt begreife ich, warum er
- sich an den Alten herangemacht hat und ihm in allem zustimmte. Und das
- alles so fein, so glatt!
- Schwochnew. Oh, dazu hat er ein ungewöhnliches Talent!
- Krugel. Ganz ungeheuere Fähigkeiten!
- Icharew. Ich muß gestehen, als der Vater sagte, daß er den Sohn hier
- läßt, da ging mir selber ein Gedanke durch den Kopf, aber nur einen
- Augenblick, und dieser hat's gleich ... was für ein Scharfblick!
- Schwochnew. Oh, du kennst ihn noch nicht genügend!
- 16. Auftritt
- Dieselben, Uteschitelny und Alexander Michailowitsch Glow, ein
- junger Mann.
- Uteschitelny. Meine Herren, gestatten Sie, daß ich Ihnen vorstelle:
- Alexander Micháilowitsch Glow, ein vorzüglicher Kamerad. Ich bitte Sie,
- ihn zu lieben, wie mich selbst!
- Schwochnew. Sehr erfreut! (Drückt ihm die Hand.)
- Icharew. Ihre Bekanntschaft ist uns ...
- Krugel. Gestatten Sie, daß wir Sie gleich umarmen!
- Glow. Meine Herren, ich ...
- Uteschitelny. Bitte ohne Zeremonien, ganz ohne Zeremonien. Gleichheit
- ist hier die erste Sache, meine Herren. Glow, du siehst, hier sind alle
- Kameraden, daher zum Teufel mit aller Etikette. Wollen wir uns gleich
- »du« sagen?
- Schwochnew. Jawohl, »du«.
- Glow. Ja »du«. (Reicht ihnen allen die Hand.)
- Uteschitelny. So, bravo! Kellner, Champagner! Bemerken Sie, meine
- Herren, wie er schon heute etwas vom Husaren an sich hat. Nein, dein
- Vater, gestatte bitte das harte Wort, ist ein großes Viech. Du mußt
- schon verzeihen, wir sind ja auf »du«. Wie konnte er nur so einen
- famosen Kerl in den Tintendienst stecken wollen! Nun, Bruder, findet die
- Hochzeit deiner Schwester bald statt?
- Glow. Hol's der Teufel mit der Hochzeit! Ich bin furchtbar ärgerlich,
- daß der Vater mich deswegen drei Monate auf dem Dorfe festgehalten hat!
- Uteschitelny. Hör mal, ist deine Schwester hübsch?
- Glow. So hübsch ... Wenn sie nicht meine Schwester wäre, dann würde
- ich's ihr schon zeigen.
- Uteschitelny. Bravo, bravo, Husar, da sieht man gleich den Husaren! Nun
- hör mal, würdest du mir helfen, wenn ich sie entführen wollte?
- Glow. Warum denn nicht? Gewiß würde ich dir helfen.
- Uteschitelny. Bravo, Husar! Das ist ein richtiger Husar, zum Teufel!
- Kellner, Champagner! Das ist mein wahrer Geschmack, solche offenherzigen
- Menschen habe ich gern! Warte mal, meine Seele, laß dich umarmen!
- Schwochnew. Laß mich ihn auch umarmen. (Umarmt ihn.)
- Icharew. Auch ich! (Umarmt ihn.)
- Krugel. Nun, wenn's so ist, dann werde auch ich ihn umarmen. (Umarmt
- ihn. Alexej bringt eine Flasche, den Korken mit den Fingern festhaltend,
- der knallend an die Decke fliegt. Er füllt die Gläser.)
- Uteschitelny. Meine Herren, auf das Wohl des künftigen Husaren! Möge er
- der erste Haudegen, der erste Kurschneider, der erste Säufer, kurz, möge
- er alles mögliche werden!
- Alle. Möge er alles mögliche werden! (Trinken.)
- Glow. Auf das Wohl des gesamten Husarentums! (Erhebt das Glas.)
- Alle. Auf das Wohl des gesamten Husarentums! (Trinken.)
- Uteschitelny. Meine Herren, man muß ihn jetzt schon in alle
- Husarenbräuche einweihen. Wie Sie sehen, trinkt er schon leidlich gut,
- aber das ist ja 'ne Kleinigkeit. Man muß dazu auch noch ein rechter
- Kartenspieler werden. Spielst du Bank?
- Glow. Ich möchte schon recht gerne spielen, ich möchte furchtbar gern,
- aber ich habe kein Geld.
- Uteschitelny. Das ist Unsinn, kein Geld! Man braucht nur etwas zu haben,
- um sich an den Spieltisch zu setzen, dann kommen die Gelder schon, du
- wirst ja gewinnen.
- Glow. Man muß doch aber was haben, um anzufangen.
- Uteschitelny. Ah, wir werden dir's kreditieren. Du hast ja eine
- Vollmacht auf die Gelder vom Fiskus. Wir können ja warten. Wenn du sie
- bekommst, so wirst du uns sofort bezahlen, bis dahin kannst du uns ja
- einen Wechsel geben. Übrigens, was sage ich da: als ob du unbedingt
- verlieren müßtest! Du kannst ja sofort einige Tausend in bar gewinnen.
- Glow. Wenn ich aber verliere?
- Uteschitelny. Schäme dich, was bist du denn für ein Husar! Natürlich,
- eins von beiden: entweder gewinnst du, oder du verlierst. Aber darin
- besteht ja die ganze Sache, in dem Risiko liegt ja die Haupttugend.
- Nicht riskieren kann ja jeder. Aufs Gewisse hin würde auch eine
- Beamtenseele es wagen und ein Jude eine Festung bestürmen.
- Glow. Hol's der Teufel! Wenn's so ist, dann spiele ich, was soll ich mir
- da noch aus dem Vater machen!
- Uteschitelny. Bravo, Junker! Kellner! Karten! (Schenkt ihm ein.) Was
- braucht man denn hauptsächlich? Man braucht Kühnheit, Kraft. Nun gut,
- meine Herren, ich werde eine kleine Bank von fünfundzwanzig Tausend
- halten. (Gibt Karten nach rechts und links.) Nun, Husar? Und du,
- Schwochnew, was setzt du? (Gibt.) Wie sonderbar die Karten fallen!
- Höchst interessant das zu berechnen! Der Bube ist geschlagen, die Zehn
- hat gestochen. Was hast du da, sieh mal nach. Auch die Vier hat
- geschlagen, was? Ah, Husar, Husar! Ist das ein Husar! Bemerkst du,
- Icharew, wie er schon die Einsätze großartig erhöht? Und das As kommt
- noch immer nicht heraus. Schwochnew, warum schenkst du ihm nicht ein?
- Da, da, da ist das As! Da hat Krugel auch schon was geholt, der Deutsche
- hat immer Schwein! Die Vier hat gewonnen. Ah, bravo, bravo, Husar! Hörst
- du's, Schwochnew? Der Husar hat schon beinahe fünftausend gewonnen.
- Glow (biegt die Karte um). Hol's der Teufel! Paroli! Da ist schon wieder
- die Zehn auf dem Tisch. Die gilt auch, und noch fünfhundert Rubel
- Einsatz!
- Uteschitelny (weitergebend). Ah, bravo, Husar! Die Sieben ist geschla--
- -- ach nein, zum Teufel! Wieder _pliez_! Wieder _pliez_! Ah, nun hat der
- Husar verloren. Na, Liebster, was ist da zu machen? Nicht jeder hat eine
- Marie zur Frau, das kommt so, wie's Gott gibt! Krugel, hör doch auf, zu
- rechnen, setze doch die, welche du gezogen hast. Bravo, da hat der Husar
- wieder gewonnen. Warum gratuliert ihr ihm nicht? (Alle trinken und
- gratulieren ihm, indem sie mit den Gläsern anstoßen.) Man sagt,
- Pique-Dame verrät einen immer, aber ich kann's nicht behaupten.
- Erinnerst du dich, Schwochnew? Deine Brünette, die du Pique-Dame genannt
- hast? Was macht die jetzt, die Liebste? Die ist wohl ganz außer Rand und
- Band? Krugel, deine ist geschlagen! (Zu Icharew.) Und auch deine ist
- geschlagen! Schwochnew, deine ist auch geschlagen, der Husar ist auch
- kaputt.
- Glow. Hol's der Teufel! _Va banque!_
- Uteschitelny. Bravo, Husar! Das ist die richtige Husarenschneidigkeit!
- Weißt du, Schwochnew, daß das eigentliche Gefühl doch stets herauskommt?
- Bis jetzt sah man immer schon, daß er einmal ein Husar sein wird, nun
- aber sieht man, daß er auch schon jetzt ein Husar ist. Das ist so die
- Natur! Der Husar ist wieder geschlagen!
- Glow. _Va banque!_
- Uteschitelny. Bravo, Husar! Auf alle fünfzigtausend! Das nennt man
- Seelengröße! Na, such doch mal, wo findest du so einen Zug. Das ist ja
- eine wahre Heldentat! Der Husar ist wieder geschlagen!
- Glow. _Va banque!_ Hol's der Teufel! _Va banque!_
- Uteschitelny. Oho, Husar, auf hunderttausend! Was? Und die Äuglein, die
- Äuglein! Merkst du's Schwochnew, wie seine Äuglein brennen? Er hat etwas
- von einem Barklai de Tolly. Das ist etwas Heroisches! Der König ist noch
- immer nicht da! Hier hast du die Karo-Dame, Schwochnew. Da, hier,
- Deutscher, friß die Sieben! _Routé_, unbedingt _routé_! Der König
- scheint gar nicht im Spiel zu sein. Wahrhaftig, das ist sogar sonderbar.
- Ah, da ist er, da ist er. Wieder ist der Husar geschlagen!
- Glow (hitzig). _Va banque!_ Hol's der Teufel! _Va banque!_
- Uteschitelny. Nein, Bruder, halt! Du hast jetzt schon zweihunderttausend
- verloren. Erst zahlen, ohne das kann man kein weiteres Spiel anfangen.
- Soviel können wir dir nicht kreditieren!
- Glow. Aber wo soll ich's denn hernehmen? Ich hab' ja jetzt kein Geld!
- Uteschitelny. So gib uns einen Wechsel! Unterschreibe!
- Glow. Bitte, ich bin bereit! (Nimmt die Feder.)
- Uteschitelny. Und gib uns auch die Vollmacht auf die Gelder heraus.
- Glow. Hier habt ihr auch die Vollmacht!
- Uteschitelny. Jetzt unterschreibe dies, und dann auch dies! (Gibt ihm
- etwas zu unterschreiben.)
- Glow. Bitte, ich bin bereit, alles zu tun. Hier habe ich unterschrieben.
- Jetzt wollen wir weiterspielen.
- Uteschitelny. Nein, Liebster, warte, erst mußt du das Geld vorzeigen!
- Glow. Ich werd's euch doch bezahlen, seid nur ganz ruhig!
- Uteschitelny. Nein, Bruder, erst das Geld auf den Tisch!
- Glow. Was ist denn das? Das ist ja die reinste Niedertracht!
- Krugel. Nein, das ist keine Niedertracht.
- Icharew. Nein, das ist eine ganz andere Sache, die Chancen sind ja nicht
- gleich.
- Schwochnew. Auf die Weise wirst du dich hinsetzen, um uns das Geld
- abzugewinnen. Das kennt man: wer sich ohne Geld zum Spiel hinsetzt, der
- setzt sich hin, um sicher zu gewinnen.
- Glow. Was wollt ihr denn? Fordert doch beliebige Zinsen, ich bin zu
- allem bereit. Ich werde euch doppelt bezahlen!
- Uteschitelny. Was machen wir uns aus deinen Zinsen, Liebster? Wir sind
- selber bereit, beliebige Zinsen zu zahlen, aber borg uns erst Geld.
- Glow (verzweifelt und entschlossen). So sagt doch euer letztes Wort:
- wollt ihr spielen?
- Schwochnew. Bring Geld, und wir wollen gleich spielen.
- Glow (eine Pistole aus der Tasche herausholend). Nun, dann lebt wohl,
- meine Herren! Ihr werdet mich auf dieser Welt nicht mehr wiedersehen!
- (Schnell ab mit der Pistole.)
- Uteschitelny. Du, du, bist du verrückt? Man muß ihm nach! In der Tat, er
- könnte sich ja noch erschießen! (Schnell ab.)
- 17. Auftritt
- Schwochnew, Krugel und Icharew.
- Icharew. Das gibt noch eine Geschichte, wenn dieser Teufel sich
- erschießt.
- Schwochnew. Hol ihn der Teufel, mag er sich erschießen, nur nicht jetzt,
- denn noch sind die Gelder nicht in unseren Händen; das ist das Schlimme.
- Krugel. Ich befürchte alles. Es ist ja auch möglich ...
- 18. Auftritt
- Dieselben, Uteschitelny und Glow.
- Uteschitelny (faßt Glow bei der Hand, in der er die Pistole hält). Was
- ist mit dir, was ist mit dir, Bruder? Bist du verrückt? Hören Sie, hören
- Sie doch, meine Herren? Er hatte schon die Pistole in den Mund gesteckt.
- He, schäm dich!
- Alle (an ihn herantretend). Du, du ... Um Gottes willen, was ist mit
- dir?
- Schwochnew. Und dabei ist er so'n gescheiter Mensch; und wegen so einer
- Lappalie will er sich erschießen!
- Icharew. Auf diese Weise müßte sich ja ganz Rußland erschießen: Jeder
- hat verspielt oder hat doch die Absicht, zu verspielen. Wenn das nicht
- wäre, so könnte man ja auch nicht gewinnen, das mußt du doch selber
- bedenken!
- Uteschitelny. Du bist einfach ein Dummkopf, laß dir's sagen. Du kennst
- dein eigenes Glück nicht. Fühlst du denn nicht, daß du gewonnen hast,
- indem du verloren hast?
- Glow (ärgerlich). Ihr haltet mich wirklich für einen Dummkopf. Was ist
- denn da für ein Gewinn, zweihunderttausend zu verlieren! Der Teufel
- auch!
- Uteschitelny. Ei, du Einfaltspinsel, weißt du denn nicht, was für einen
- Ruhm du dir im Regiment erwirbst? Hörst du, eine Kleinigkeit: noch nicht
- Junker sein und zweihunderttausend verlieren! Die Husaren werden dich ja
- auf den Händen tragen!
- Glow (ermuntert sich). Was denkt ihr denn? Werde ich denn nicht den Mut
- haben, auf das alles zu pfeifen, wenn es so weit ist? Hol's der Teufel!
- Es lebe das Husarentum!
- Uteschitelny. Bravo, es leben die Husaren! Teremtete! Champagner! (Man
- bringt ein paar Flaschen.)
- Glow (das Glas in der Hand). Es leben die Husaren!
- Icharew. Es leben die Husaren! Hol's der Teufel!
- Schwochnew. Teremtete! Es leben die Husaren!
- Glow. Ich pfeife auf alles, wenn es so ist. (Stellt das Glas auf den
- Tisch.) Aber das eine ist schlimm, wie komme ich nach Hause? Mein Vater!
- Mein Vater! (Faßt sich beim Haar.)
- Uteschitelny. Wozu willst du denn zum Vater? Ist ja gar nicht nötig!
- Glow (ihn verwundert anglotzend). Wieso?
- Uteschitelny. Du kannst ja von hier direkt ins Regiment fahren! Wir
- geben dir was zur Equipierung. Liebster Schwochnew, wir müssen ihm jetzt
- zweihundert Rubel geben, mag der Junker sich etwas amüsieren. Ich hab's
- schon bemerkt, er hat so 'ne Brünette, was?
- Glow. Hol's der Teufel! Ich laufe gleich zu ihr, und werde sie im Sturme
- nehmen!
- Uteschitelny. Ist das ein Husar, was? Schwochnew, hast du nicht
- zweihundert Rubel bei dir?
- Icharew. Ich werde ihm schon was geben, mag er sich ordentlich
- amüsieren! (Glow nimmt das Papiergeld und fuchtelt damit in der Luft
- herum.)
- Alle. Champagner! (Man bringt die Flaschen.)
- Glow. Es leben die Husaren!
- Uteschitelny. Sie leben hoch! Weißt du, Schwochnew, was mir jetzt
- eingefallen ist? Wir wollen ihn auf die Hände nehmen und in die Höhe
- werfen, wie man es bei uns im Regiment tat. Nun, antreten! faßt ihn an!
- (Alle treten an ihn heran, fassen ihn an den Händen und Füßen, wiegen
- ihn auf und ab und singen dabei nach der bekannten Melodie das bekannte
- Lied:)
- Herzlich lieben wir dich allesamt,
- Bleibe unser Haupt du immerdar,
- Unsre Herzen sind für dich entflammt,
- Wir sind deine treue Kinderschar!
- Glow (mit erhobenem Glas). Hurrah!
- Alle. Hurrah! (lassen ihn auf die Erde hinab).
- Glow (wirft das Glas zu Boden, alle zerschlagen ebenfalls ihre Gläser,
- die einen mit dem Stiefelabsatz, die anderen direkt am Boden). Ich gehe
- gleich zu ihr.
- Uteschitelny. Können wir nicht auch mit, wie?
- Glow. Nein, niemand soll ..., und wenn jemand ... so geht's auf Säbel.
- Uteschitelny. Ach, ist das ein Haudegen, was? Eifersüchtig und
- streitsüchtig wie ein Teufel. Ich glaube, meine Herren, daß aus ihm noch
- ein richtiger Kampfhahn wird. Nun adieu, leb wohl, Husar, wir halten
- dich nicht weiter auf.
- Glow. Adieu!
- Schwochnew. Komm und erzähl uns nachher! (Glow ab).
- 19. Auftritt.
- Dieselben ohne Glow.
- Uteschitelny. Man muß ihn sanft behandeln, so lange das Geld noch nicht
- in unsern Händen ist. Aber dann hol ihn der Teufel!
- Schwochnew. Ich fürchte nur eins, daß sich die Sache mit der Herausgabe
- der Gelder vom Fiskus lange hinziehen könnte.
- Uteschitelny. Ja, das wäre sehr schlimm. Übrigens meine Herren, wie ihr
- wißt, gibt's ja zu diesem Zweck Antreiber. Wie dem auch sein mag, wir
- werden schon diesem oder jenem etwas Geld in die Hände stecken müssen;
- der Ordnung halber.
- 20. Auftritt.
- Dieselben und der Beamte Samuchrischkin; er ist mit einem etwas
- schäbigen Frack bekleidet und steckt den Kopf durch die Tür.
- Samuchrischkin. Gestatten Sie die Frage, ist hier Glow, Alexander
- Michailowitsch Glow?
- Schwochnew. Nein, er ist eben fortgegangen. Was wünschen Sie denn?
- Samuchrischkin. Ich komme in Geschäften wegen der Herausgabe der Gelder.
- Uteschitelny. Wer sind Sie denn?
- Samuchrischkin. Ich bin ein Beamter aus dem Fiskus.
- Uteschitelny. Ah, bitte sehr, bitte gehorsamst, Platz zu nehmen. Für
- diese Sache haben wir alle das lebhafteste Interesse, um so mehr, als
- wir freundschaftliche Abmachungen mit Alexander Michailowitsch
- abgeschlossen haben. Deshalb werden Sie begreifen, daß Sie von ihm und
- von ihm und von ihm (zeigt mit den Fingern auf alle) den aufrichtigsten
- Dank zu gewärtigen haben. Es handelt sich nur darum, daß man die Gelder
- aus dem Fiskus möglichst schnell erhalte.
- Samuchrischkin. Wie Sie wollen, vor zwei Wochen geht's nicht.
- Uteschitelny. Nein, das ist aber furchtbar lang. Sie vergessen ja, daß
- wir uns unsererseits bedanken ...
- Samuchrischkin. Das versteht sich ja von selbst, es wird alles
- angenommen: wie könnte ich das vergessen? Wir sprechen auch deshalb von
- zwei Wochen, sonst würden wir Ihnen vielleicht drei Monate lang zu
- schaffen machen. Das Geld wird bei uns nicht vor anderthalb Wochen
- eintreffen, und augenblicklich haben wir im ganzen Amt auch nicht eine
- Kopeke. In der vorigen Woche haben wir hundertundfünfzigtausend
- erhalten, die haben wir aber alle ausgegeben. Jetzt warten noch drei
- Gutsbesitzer auf Geld, die bereits im Februar ihre Güter verpfändet
- haben.
- Uteschitelny. Nun, das gilt für andere. Für uns aber machen Sie es aus
- Freundschaft. Wir müssen uns etwas näher kennen lernen. Nun ja, wir
- stehen einander doch nahe. Ja, wie heißen Sie gleich? Fentafléj
- Perpéntitsch, nicht?
- Samuchrischkin. Psoj Stáchitsch.
- Uteschitelny. Nun, das ist ja fast dasselbe. Also hören Sie, Psoj
- Stachitsch. Seien wir wie alte Freunde. Nun wie steht's, wie gehen die
- Geschäfte? Wie ist Ihr Dienst?
- Samuchrischkin. Ja, wie soll denn der Dienst sein? Wie gewöhnlich: Man
- dient eben.
- Uteschitelny. Nun, und wie ist es mit den verschiedenen Einkünften,
- verstehen Sie? Sagen wir einfach, nehmen Sie viel Geschenke?
- Samuchrischkin. Aber ich bitte Sie: natürlich, wovon soll man denn
- leben?
- Uteschitelny. Nun sagen Sie mal ganz aufrichtig, wie ist es bei Ihnen im
- Amt: Greifen alle zu?
- Samuchrischkin. Ach Gott, nun lachen Sie auch, wie ich sehe. Ach, meine
- Herren! ... Sehen Sie mal: auch die Herren Schriftsteller, die lachen
- alle über die, die sich bestechen lassen; aber wenn man genauer zusieht,
- so lassen sich auch andere Leute bestechen, die besser als wir zu sein
- scheinen. Z. B. Sie meine Herren, Sie haben nur einen vornehmeren Namen
- dafür erfunden. Eine Spende für wohltätige Zwecke oder so was. Weiß der
- Himmel, wie das heißt. Aber sieht man genauer zu, so ist's in
- Wirklichkeit dieselbe Bestechung: wie sagt man doch, dieselbe Couleur in
- grün.
- Uteschitelny. Wie ich sehe, fühlt sich unser Psoj Stachitsch gekränkt.
- So ist es, wenn man dem Ehrgefühl zu nahe tritt.
- Samuchrischkin. Ja, das Ehrgefühl ist eine kitzlige Sache, das wissen
- Sie wohl selber. Aber ich bin gar nicht böse. Ich habe schon ein langes
- Leben hinter mir, Väterchen.
- Schwochnew. Schon gut, wir wollen ganz freundschaftlich miteinander
- sprechen, Psoj Stachitsch. Wie steht's mit Ihnen, was machen Sie, wie
- geht's bei Ihnen? Wie schlagen Sie sich in der Welt durch? Haben Sie ein
- Frauchen und Kinderchen?
- Samuchrischkin. Gott sei Dank, Gott hat mich gesegnet. Zwei Jungens
- besuchen schon die Kreisschule, die zwei anderen sind noch etwas jünger.
- Einer läuft noch im Hemdchen rum und der andere kriecht noch auf allen
- Vieren.
- Uteschitelny. Nun, und sie können wohl alle mit den Händchen schon so
- machen, glaub ich. (Zeigt mit der Hand, wie man Geld nimmt.)
- Samuchrischkin. Ach bitte, meine Herren, sind Sie aber! Sie fangen schon
- wieder an.
- Uteschitelny. Nun, nun, schon gut, Psoj Stachitsch. Das geschieht ja
- alles aus Freundschaft. Was ist denn nun dabei, wir sind ja unter uns.
- Heda, ein Champagnerglas für Psoj Stachitsch. Wir müssen ja jetzt gute
- Freunde sein. Wir wollen Sie auch bald mal besuchen.
- Samuchrischkin (nimmt das Glas). Ah, bitte schön, meine Herren, Sie
- sollen herzlich willkommen sein! Ich kann Ihnen aufrichtig sagen, einen
- solchen Tee wie Sie ihn bei mir trinken werden, finden Sie nicht einmal
- beim Gouverneur.
- Uteschitelny. Natürlich ein Geschenk vom Kaufmann?
- Samuchrischkin. Jawohl, vom Kaufmann, direkt aus Kjachta bezogen.
- Uteschitelny. Aber wie ist denn das, Psoj Stachitsch, Sie haben ja gar
- keine amtlichen Beziehungen zu den Kaufleuten.
- Samuchrischkin (trinkt das Glas aus und stützt sich mit den Händen auf
- die Knie). Die Sache ist nämlich so. Der Kaufmann hat eigentlich nur aus
- Dummheit blechen müssen. Der Gutsbesitzer Frakassow, wenn Sie den
- vielleicht kennen, nimmt eine Hypothek auf sein Gut auf, alles ist
- abgemacht, wie sich's gehört, und am nächsten Tag soll er das Geld
- bekommen. Er plant die Errichtung irgendeiner Fabrik halbpart mit dem
- Kaufmann. Nun, Sie begreifen wohl, uns geht es ja gar nichts an, ob das
- Geld für eine Fabrik verwendet wird oder für etwas anderes, und wessen
- Kompagnon er ist, das ist gar nicht unsere Sache. Aber der Kaufmann
- plappert aus Dummheit in der Stadt herum, daß er mit dem Gutsbesitzer
- halbpart ein Kompagnie-Geschäft abgeschlossen hat und von ihm von Stunde
- zu Stunde Geld erwartet. Da ließen wir dem Kaufmann sagen: wenn er uns
- zweitausend schickt, so wird das Geld gleich ausgezahlt, wenn nicht, so
- kann er lange warten. Indessen aber, verstehen Sie wohl, sind ihm schon
- die Kessel und die andern Gerätschaften für die Fabrik gebracht worden,
- und man wartet bloß noch auf das Handgeld. Der Kaufmann sieht -- die
- Sache ist schlimm, er bezahlt seine zweitausend und jedem von uns noch
- drei Pfund Tee. Man wird vielleicht sagen, das ist Bestechung, aber es
- geschieht ihm doch recht. Warum ist er so dumm, wer hat ihn denn zum
- Reden gezwungen; er hätte doch seiner Zunge Halt gebieten können.
- Uteschitelny. Hören Sie mal, Psoj Stachitsch, bitte erledigen Sie doch
- unser Geschäftchen, wir werden Ihnen schon was geben, und Sie machen es
- mit Ihrem Vorgesetzten ab, wie sich's gehört. Nur um Gottes Willen
- möglichst schnell, Psoj Stachitsch, wie?
- Samuchrischkin. Wir werden uns schon Mühe geben. (Steht auf.) Aber ich
- will Ihnen ganz offen sagen, so schnell, wie Sie wollen, geht es nicht.
- Bei Gott, bei uns im Amt ist keine Kopeke vorhanden, aber ich will mir
- schon Mühe geben.
- Uteschitelny. Nun, und wie soll ich nach Ihnen fragen?
- Samuchrischkin. Fragen Sie ganz einfach nach Psoj Stachitsch
- Samuchrischkin. Auf Wiedersehen, meine Herren! (Geht zur Tür).
- Schwochnew. Psoj Stachitsch, bitte Psoj Stachitsch, (sieht sich um)
- sehen Sie doch zu.
- Uteschitelny. Psoj Stachitsch, bitte Psoj Stachitsch, helfen Sie recht
- schnell.
- Samuchrischkin. Ich habe ja schon gesagt, ich werde mir Mühe geben.
- Uteschitelny. Zum Henker, das dauert aber lange, (schlägt sich mit der
- Hand vor die Stirn) nein, ich will ihm nachgehen, vielleicht erreiche
- ich etwas, ich werde kein Geld sparen, hol ihn der Teufel, ich werde ihm
- dreitausend von meinem Geld geben. (Schnell ab).
- 21. Auftritt
- Schwochnew, Krugel, Icharew.
- Icharew. Natürlich wäre es besser, das Geld möglichst bald zu bekommen.
- Schwochnew. Und wie dringend nötig wir es haben, wie dringend nötig!
- Krugel. Ach, wenn er ihn nur herumkriegen könnte.
- Icharew. Wie, sind denn etwa Ihre Angelegenheiten ...
- 22. Auftritt
- Dieselben und Uteschitelny.
- Uteschitelny (tritt ein, verzweifelt). Zum Teufel, früher als in vier
- Tagen kann er es keinesfalls machen, ich möchte mir den Kopf an der Wand
- zerschellen.
- Icharew. Warum hast du denn nur solche Eile, kannst du denn nicht noch
- vier Tage warten?
- Schwochnew. Das ist es ja, Liebster, das ist für uns viel zu wichtig.
- Uteschitelny. Warten? Weißt du denn, daß man uns stündlich in
- Nischni-Nowgorod erwartet? Wir haben es dir noch nicht erzählt. Schon
- vor vier Tagen haben wir die Meldung bekommen, wir müßten eiligst dahin
- und sollten unter allen Umständen etwas Geld mitbringen. Ein Kaufmann
- hat da für sechshunderttausend Rubel Eisen mitgebracht. Dienstag ist die
- endgültige Abmachung, und das Geld wird ihm bar ausgezahlt; und gestern
- ist ein anderer mit Flachs für eine halbe Million angekommen.
- Icharew. Nun, was ist denn dabei?
- Uteschitelny. Wieso, was ist denn dabei? Die Alten sind doch zu Hause
- geblieben, und haben an ihrer Stelle ihre Söhne hingeschickt.
- Icharew. Ob aber die Söhne auch ganz bestimmt spielen werden?
- Uteschitelny. Aber wo lebst du bloß? Etwa in China? Weißt du denn nicht,
- wie diese Kaufmannssöhnchen sind? Der Kaufmann erzieht ja seinen Sohn
- derart, daß er entweder gar nichts weiß, oder nur das weiß, was ein
- Adliger und nicht was ein Kaufmann zu wissen braucht. Natürlich ist auch
- das Söhnchen danach: spaziert am Arm mit Offizieren, und bummelt herum.
- Das ist für uns die einträglichste Kundschaft, mein Liebster. Diese
- Schafsköpfe wissen nicht, daß sie für jeden Rubel, den sie uns
- abschwindeln, tausend bezahlen. Jawohl, das ist unser Glück, daß der
- Kaufmann nur daran denkt, seine Töchter mit einem General zu verheiraten
- und dem Sohne Rang und Titel zu verschaffen.
- Icharew. Und sind das auch sichere Sachen?
- Uteschitelny. Ob es sichere Sachen sind! Man würde uns doch nicht
- benachrichtigt haben. Es ist fast alles in unsern Händen, jede Minute
- ist jetzt teuer.
- Icharew. Ach, zum Teufel, was sitzen wir denn hier. Meine Herren, wir
- haben ja abgemacht, gemeinschaftlich zu arbeiten.
- Uteschitelny. Gewiß, das ist auch unser Vorteil. Hör mal, was mir
- eingefallen ist. Du brauchst ja vorläufig nicht zu eilen. Du hast jetzt
- achtzigtausend in barem Geld. Gib uns das Geld und nimm Glows Wechsel
- von uns, du bekommst sicher hundertfünfzigtausend, also das Doppelte,
- und uns würdest du noch gar einen Dienst erweisen. Denn wir brauchen
- jetzt das Geld so sehr, das wir mit Freuden das Dreifache für jede
- Kopeke zu zahlen bereit sind.
- Icharew. Sehr gern, warum nicht: um Ihnen zu beweisen, daß die
- Freundschaft ... (Geht an die Kassette und nimmt einen Haufen
- Geldscheine hervor.) Hier habt ihr achtzigtausend.
- Uteschitelny. Und hier hast du die Wechsel. Jetzt eile ich gleich zu
- Glow, ich will ihn herbeiholen und alle Formalitäten erledigen. Krugel,
- bring das Geld auf mein Zimmer. Hier hast du den Schlüssel zu meiner
- Kassette. (Krugel ab.) Ach, wenn wir es einrichten könnten, daß wir
- heute abend abreisen können! (Ab.)
- Icharew. Natürlich, natürlich, hier ist keine Minute zu verlieren.
- Schwochnew. Und dir rate ich auch, hier nicht noch lange sitzen zu
- bleiben. Sowie du das Geld bekommen hast, komme sofort zu uns. Mit den
- zweihunderttausend -- weißt du, was man damit machen kann? Man kann
- einfach den ganzen Jahrmarkt in die Luft sprengen ... Ach, ich habe ganz
- vergessen, dem Krugel etwas Wichtiges zu sagen. Warte nur, ich komme
- gleich zurück. (Schnell ab.)
- 23. Auftritt
- Icharew (allein). Was für eine Wendung doch die Umstände genommen haben,
- was? Noch heute morgen bloß achtzigtausend, und gegen abend schon
- zweihunderttausend, wie? Für manchen bedeutet das ja ein ganzes Leben
- voll Dienst und Arbeit, den Preis für ein ständiges Sitzen,
- Entbehrungen, Verlust der Gesundheit, und hier bist du in einigen
- Stunden, ja in einigen Minuten ein regierender Prinz. Eine Kleinigkeit
- das: Zweihunderttausend! Ich kann mir denken, was aus mir geworden wäre,
- wenn ich auf dem Lande gesessen wäre und mich mit den Starosten und
- Bauern herumgeschlagen hätte, um jährlich dreitausend einzuheimsen. Ist
- denn Bildung eine Kleinigkeit? Die Unbildung, die sich auf dem Lande an
- dir festsetzt, die kannst du nachher nicht mit dem Messer abkratzen.
- Womit hätte man da seine Zeit verloren? Mit Gesprächen mit den Starosten
- und den Bauern ... Ich aber will mich mit gebildeten Menschen
- unterhalten! Jetzt bin ich sichergestellt, jetzt habe ich freie Zeit.
- Jetzt kann ich mich damit beschäftigen, was zu unserer Bildung beiträgt.
- Wenn ich nach Petersburg will, kann ich auch nach Petersburg reisen, da
- gehe ich ins Theater, sehe die Münze, da spaziere ich am Palais, am
- Englischen Quai vorbei, gehe in den Sommergarten. Oder ich gehe nach
- Moskau und diniere bei Jar, ich kann mich nach der Mode der Residenz
- kleiden, kann mich mit den andern gleichstellen und die Pflichten eines
- aufgeklärten Menschen erfüllen. Und was ist die Ursache davon? Was gibt
- mir die Möglichkeit dazu? Das, was man Betrügerei nennt. Ach, Unsinn,
- das ist eben gar keine Betrügerei, ein Betrüger kann man in einer Minute
- werden, hierzu aber ist Praxis, Studium nötig. Aber zugegeben, es sei
- Betrügerei. Es ist doch eben eine notwendige Sache; was kann man denn
- ohne sie machen? Sie ist gewissermaßen eine Warnung. Wenn ich z. B.
- nicht alle Feinheiten kennte, wenn ich das alles nicht begriffen hätte,
- wie hätte man mich da nicht beschwindeln können! Sie haben mich ja auch
- wirklich beschwindeln wollen. Dann sahen sie aber, daß sie es nicht mit
- einem gewöhnlichen Menschen zu tun haben, und gingen mich selbst um
- meine Hilfe an. O nein, Verstand -- das ist eine große Sache; und in der
- Welt ist Feinheit notwendig. Ich sehe das Leben von einem ganz anderen
- Standpunkt an. So leben, wie ein dummer Kerl, so kann jeder leben, das
- ist kein Kunststück, aber mit Witz und mit Kunst leben, alle betrügen
- und doch selbst nicht betrogen werden, das ist die eigentliche Aufgabe,
- das wahre Ziel.
- 24. Auftritt
- Icharew und Glow, der eilig eintritt.
- Glow. Wo sind sie denn? Ich bin eben im Zimmer gewesen, das ist leer.
- Icharew. Sie sind soeben hier gewesen, sie sind nur auf einen Augenblick
- fortgegangen.
- Glow. Wie, schon fort? Haben sie Geld bei dir genommen?
- Icharew. Jawohl, wir haben's schon abgemacht. Jetzt handelt sich's noch
- um dich.
- 25. Auftritt
- Dieselben und Alexej.
- Alexej (zu Glow). Sie wünschen zu wissen, wo die Herren sind?
- Glow. Jawohl.
- Alexej. Die sind ja schon abgereist.
- Glow. Wieso abgereist?
- Alexej. So, sie hielten schon seit einer halben Stunde Wagen und Pferde
- bereit.
- Glow (schlägt die Hände zusammen). Nun sind wir beide hineingelegt!
- Icharew. Was für ein Unsinn? Ich verstehe kein Wort. Uteschitelny muß
- jeden Augenblick zurückkommen. Du weißt ja, daß du die ganze Schuld
- jetzt _mir_ bezahlen mußt. Sie haben sie mir zediert.
- Glow. Ach was, Schuld? Zum Teufel! Du willst bezahlt haben? Siehst du
- denn nicht, daß du zum Narren gehalten und angeführt bist wie ein
- Gimpel?
- Icharew. Was sprichst du da für einen Unsinn? Du scheinst deinen Rausch
- noch immer im Kopf zu haben.
- Glow. Nun, wie es scheint, haben wir beide einen Rausch. Erwache doch!
- Glaubst du etwa, ich bin Glow? Ich bin ebensowenig Glow, wie du der
- Kaiser von China.
- Icharew (unruhig). Aber ich bitte dich, was sprichst du da für einen
- Unsinn? Und dein Vater? ... und ...
- Glow. Der Alte? Erstens ist er gar nicht mein Vater, und wird den Teufel
- Kinder haben; und zweitens heißt er auch nicht Glow, sondern Krinizin
- und nicht Michailo Alexandrowitsch, sondern Iwán Klímitsch; der ist von
- derselben Bande.
- Icharew. Hör mal, sprich du im Ernst; damit treibt man keinen Spaß.
- Glow. Was für einen Spaß? Ich habe mich ja selber daran beteiligt und
- bin ebenfalls betrogen. Sie haben mir dreitausend für meine Mühe
- versprochen.
- Icharew (geht auf ihn zu, hitzig). He, treib keinen Spaß, sage ich dir!
- Du glaubst, ich bin so dumm? Und die Vollmacht, und der Fiskus? Da war
- doch noch soeben der Beamte aus dem Fiskus, Psoj Stachitsch
- Samuchrischkin. Du glaubst, ich kann ihn wohl nicht gleich herbeiholen
- lassen?
- Glow. Erstens ist er gar kein Beamter aus dem Fiskus, sondern ein
- Stabskapitän a. D. von derselben Bande; und dann heißt er gar nicht
- Samuchrischkin, sondern Mursaféjkin und nicht Psoj Stachitsch, sondern
- Frol Semjónowitsch.
- Icharew (verzweifelt). Und wer bist du, Teufel? sprich, wer bist du?
- Glow. Wer ich bin? Ich war ein anständiger Mensch und bin durch die Not
- zu einem Schwindler geworden. Sie haben mir alles im Spiel abgewonnen,
- alles bis aufs Hemd. Was soll ich nun machen? ich will doch nicht vor
- Hunger sterben. Für dreitausend habe ich mich dazu hergegeben,
- mitzuarbeiten und dich zu beschwindeln. Ich sag' es dir gerade heraus,
- du siehst, ich handle vornehm.
- Icharew (faßt ihn wütend am Kragen). Du Schwindler.
- Alexej (für sich). Na, da kommt's, wie es scheint, gleich zu einer
- Rauferei, da will ich lieber verschwinden. (Ab.)
- Icharew (Glow fortziehend). Komm, komm.
- Glow. Wohin, wohin?
- Icharew (in Wut). Wohin? zum Gericht! zum Gericht!
- Glow. Aber ich bitte dich, du hast ja gar kein Recht dazu!
- Icharew. Wieso, ich habe kein Recht? Stehlen, am hellichten Tage Geld
- wegnehmen ... in so gaunerischer Weise! Ich hätte kein Recht? Aber warte
- nur, im Gefängnis, in Sibirien wirst du wohl auch sagen, daß ich kein
- Recht habe? Warte nur, man wird eure ganze Gaunerbande noch abfassen!
- Ihr werdet schon sehen, was es heißt, das Vertrauen und die Ehrlichkeit
- gutmütiger Menschen zu hintergehen. Das Gesetz, das Gesetz, das Gesetz
- werde ich anrufen. (Zieht ihn fort.)
- Glow. Du könntest das Gesetz ja dann anrufen, wenn du selbst nicht
- gesetzwidrig gehandelt hättest. Aber bedenke doch, du hast dich ja mit
- ihnen verbunden, um mich zu beschwindeln und mir das Geld abzugewinnen,
- und die Karten waren ja dein eigenes Fabrikat. Nein, Brüderchen, das ist
- ja eben die Sache, daß du gar kein Recht hast, zu klagen.
- Icharew (schlägt sich in seiner Verzweiflung mit der Hand vor die
- Stirn). Zum Teufel, das ist wahr. (Fällt entkräftet auf den Stuhl,
- indessen eilt Glow fort). Aber solch ein teuflischer Betrug!
- Glow (steckt den Kopf durch die Tür). Tröste dich, du hast es ja noch
- nicht so schlimm, dir bleibt ja noch die Adelaida Iwanowna!
- (Verschwindet).
- Icharew (wütend). Hol der Teufel die Adelaida Iwanowna! (Ergreift das
- Kartenspiel und schleudert es gegen die Tür, einzelne Karten fliegen auf
- den Boden.) Da muß es nun solche Schwindler geben zum Schimpf und zur
- Schande der Menschheit! Aber es ist ja einfach zum Wahnsinnigwerden: Wie
- teuflisch war das alles durchgeführt, wie fein! Dieser Vater, dieser
- Sohn und dieser Beamte Samuchrischkin -- und das alles ist abgekartet,
- und ich kann nicht einmal klagen. (Springt vom Stuhl auf und geht erregt
- im Zimmer auf und ab.) Und da soll man noch den Schlauen spielen, da
- soll man seinen Geist, seinen Witz anstrengen, Mittel erdenken ....
- Nein, hol's der Teufel, es lohnt sich gar nicht, es ist des edlen
- Eifers, es ist der Mühe nicht wert! Da findet sich gleich in deiner Nähe
- ein Gauner, der dich noch übergaunert, ein Schwindler, der mit einem
- Male das ganze Gebäude in die Luft sprengt, an dem du jahrelang
- gearbeitet hast. (Mit einer ärgerlichen Handbewegung.) Zum Teufel, ist
- das eine schwindelhafte Welt! Nur der hat Glück, der so dumm ist wie ein
- Klotz, und der nichts versteht, an nichts denkt, nichts tut und mit
- abgenutzten Karten um einen Groschen Boston spielt!
- Szenen aus einer unvollendeten Komödie
- Deutsch von Alexandra Ramm
- Der Morgen eines vielbeschäftigten Herrn
- 1. Auftritt
- Ein Kabinett. Einige Schränke mit Büchern. Auf dem Tisch liegen
- zerstreute Papiere. Iwan Petrowitsch, ein Beamter, tritt im
- Schlafrock herein, reckt sich und klingelt. Im Flur hört man eine
- Stimme: »Sofort!« Iwan Petrowitsch klingelt zum zweiten Male;
- wieder dieselbe Stimme: »Sofort!« Iwan Petrowitsch klingelt
- ungeduldig zum dritten Male; der Diener tritt ein.
- Iwan Petrowitsch. Bist du taub geworden?
- Der Lakai. O nein.
- Iwan Petrowitsch. Und warum hat es dir beliebt, nicht eher zu
- erscheinen, als bis ich zum dritten Male geklingelt habe?
- Der Lakai. Wie hätte ich es anders machen können! Ich konnte doch meine
- Arbeit nicht wegwerfen: ich habe die Stiefel geputzt!
- Iwan Petrowitsch. Und was hat Iwan getan?
- Der Lakai. Iwan hat das Zimmer gefegt. Und dann ist er in den
- Pferdestall gegangen.
- Iwan Petrowitsch. Hol mir das Hündchen her! (Der Lakai bringt das
- Hündchen.) Sususchka, Sususchka, ah Sususchka. Wir wollen dir jetzt ein
- Stückchen Papier anbinden. (Befestigt ihm ein Stückchen Papier am
- Schwanz.)
- Ein anderer Lakai (kommt hereingelaufen). Alexander Iwanowitsch!
- Iwan Petrowitsch. Bitte! (Läßt eilig das Hündchen fallen und schlägt ein
- Gesetzbuch auf.)
- 2. Auftritt
- Iwan Petrowitsch und Alexander Iwanowitsch, (auch ein
- vielbeschäftigter Herr).
- Alexander Iwanowitsch. Guten Morgen, Iwan Petrowitsch.
- Iwan Petrowitsch. Nun, wie befinden Sie sich, Alexander Iwanowitsch?
- Alexander Iwanowitsch. Danke sehr. Störe ich auch nicht?
- Iwan Petrowitsch. Ach, ich bitte Sie. Ich bin ja immer beschäftigt. Nun
- -- um wieviel Uhr sind Sie nach Haus gekommen?
- Alexander Iwanowitsch. So um sechs. Als ich aus der Offizierskaja
- herauskam, fragte ich einen Posten, an dem ich vorüberkam: »Brüderchen,
- hast du nicht gehört, wie spät es ist?« »Jawohl, es hat schon sechs
- geschlagen!« sagte er. So habe ich erfahren, daß es schon sechs Uhr war.
- Iwan Petrowitsch. Denken Sie sich: ich bin auch fast um die gleiche Zeit
- zurückgekommen! -- Nun, denken Sie noch an das Whistchen? Hä hä hä!
- Alexander Iwanowitsch. Hä hä hä! ... Ich habe sogar davon geträumt.
- Iwan Petrowitsch. Hä hä hä! Ich habe immer gedacht: was soll es nur
- bedeuten, daß er den König ausspielt! Ich hatte die Dame und zwei
- kleinere Karten in Kreuz in der Hand und hatte schon längst gesehen, daß
- Lukian Fedossejewitsch renoncierte.
- Alexander Iwanowitsch. Am längsten zog sich die achte Runde hin.
- Iwan Petrowitsch. Jawohl. (Nach einer Pause.) Ich hatte Lukian
- Fedossejewitsch schon zugewinkt, daß er Trumpf ausspielen soll; aber
- nein! Und dabei hätte er nur einmal Trumpf zu bringen brauchen, und mein
- Pique-Junge hätte gestochen!
- Alexander Iwanowitsch. Erlauben Sie, Iwan Petrowitsch, der Junge hätte
- nicht gestochen!
- Iwan Petrowitsch. Oho! Er hätte doch gestochen!
- Alexander Iwanowitsch. Er hätte nicht gestochen, weil Sie ja nie zum
- Anspielen gekommen wären.
- Iwan Petrowitsch. Aber Sie haben ja Lukian Fedossejewitschs Pique-Sieben
- vergessen!
- Alexander Iwanowitsch. Hatte er denn noch ein Pique? Ich kann mich gar
- nicht daran erinnern ...
- Iwan Petrowitsch. Aber gewiß. Er hatte zwei Pique: die Vier, die er auf
- die Dame gegeben hatte, und eine Sieben.
- Alexander Iwanowitsch. Aber nein, Iwan Petrowitsch, erlauben Sie: er
- konnte nicht mehr als ein Pique haben!
- Iwan Petrowitsch. Aber mein Gott, Alexander Iwanowitsch, wem erzählen
- Sie das! Zwei Pique! Ich sehe sie noch wie jetzt vor mir: eine Vier und
- eine Sieben!
- Alexander Iwanowitsch. Eine Vier hatte er, das stimmt -- aber keine
- Sieben. Dann hätte er doch Trumpf gespielt, das müssen Sie doch zugeben,
- er hätte dann eben Trumpf gespielt!
- Iwan Petrowitsch. Bei Gott, Alexander Iwanowitsch, bei Gott!
- Alexander Iwanowitsch. Nein, Iwan Petrowitsch. Es ist durchaus
- unmöglich.
- Iwan Petrowitsch. Erlauben Sie, Alexander Iwanowitsch: wissen Sie, was
- das Beste ist? Wir fahren morgen zu Lukian Fedossejewitsch. Sind Sie
- einverstanden?
- Alexander Iwanowitsch. Gut.
- Iwan Petrowitsch. Fragen wir ihn selbst, ob er eine Pique Sieben in der
- Hand gehabt hat.
- Alexander Iwanowitsch. Bitte sehr -- ich bin durchaus nicht abgeneigt.
- Übrigens, wenn man sich die Sache überlegt, warum spielt eigentlich
- Lukian Fedossejewitsch so schlecht? Man kann doch nicht sagen, daß er
- keinen Verstand hat. Er ist ein feiner Mann, und sein Benehmen ...
- Iwan Petrowitsch. Und fügen Sie hinzu: von großen Kenntnissen! Ein Mann
- -- das dürfen wir unter uns wohl sagen -- wie wir nur wenige in Rußland
- haben. -- Waren Sie bei Sr. Exzellenz?
- Alexander Iwanowitsch. Jawohl. Ich komme soeben von ihm. -- Es war etwas
- kalt heut morgen. Wie Ihnen wohl bekannt sein wird, habe ich die
- Gewohnheit, ein Wams aus Elenleder zu tragen: es ist viel angenehmer als
- eins von Flanell und wärmt dabei nicht so. Darum ließ ich mir den Pelz
- geben. Ich komme zu Sr. Exzellenz. -- Se. Exzellenz schläft noch. Nun,
- da habe ich gewartet. Und dann sprachen wir von diesem und jenem.
- Iwan Petrowitsch. Und von mir wurde nicht gesprochen?
- Alexander Iwanowitsch. Gewiß, auch von Ihnen. Und dann wurde die
- Unterhaltung noch sehr amüsant.
- Iwan Petrowitsch (angeregt). Was, was, was?
- Alexander Iwanowitsch. Erlauben Sie ... erlauben Sie, immer eins nach
- dem andern! Das ist eine höchst unterhaltsame Geschichte. Se. Exzellenz
- fragte mich unter andern, wo ich meine Zeit verbringe, da er mich so
- lange nicht gesehen hätte, und sprach den Wunsch aus, etwas über den
- gestrigen Abend und über die Anwesenden zu erfahren. Ich antwortete:
- »Ew. Exzellenz, es waren anwesend: Pawel Grigorjewitsch Borschtschow,
- Ilja Wladimirowitsch Bubunizin.« Se. Exzellenz sagt nach jedem Wort:
- »Hem!« Ich sagte: »Außerdem war noch ein Bekannter Ew. Exzellenz ...«
- Iwan Petrowitsch. Nun, nun?
- Alexander Iwanowitsch. Erlauben Sie! Und was meinen Sie wohl, sagte Se.
- Exzellenz darauf?
- Iwan Petrowitsch. Ich weiß nicht ...
- Alexander Iwanowitsch. Er sagte: »Wer könnte das sein? --« »Iwan
- Petrowitsch Barsukow,« antwortete ich. »Hem,« sagte Se. Exzellenz. »Das
- ist ein Beamter, und noch dazu ...« (Hebt die Augen empor.) Die Decken
- sind bei Ihnen recht nett bemalt: ist das auf Ihre Kosten geschehen,
- oder auf die Ihres Wirts?
- Iwan Petrowitsch. Aber nein, das ist doch eine Amtswohnung!
- Alexander Iwanowitsch. Sehr, sehr hübsch. Körbchen, eine Lyra, rings
- herum Zwiebacke, Trommeln und eine Trompete. Wirklich, sehr, sehr
- natürlich!
- Iwan Petrowitsch (ungeduldig). Und was sagte Se. Exzellenz?
- Alexander Iwanowitsch. Ach, das hätte ich richtig vergessen. Was sagte
- er doch noch ...?
- Iwan Petrowitsch. Er sagte: »Hem! ... Das ist ein Beamter ...«
- Alexander Iwanowitsch. Richtig! »Das ist ein Beamter ...« ... nun, und
- ... »und steht in meinem Dienst!« Nachher war die Unterhaltung nicht
- mehr so interessant und wandte sich gewöhnlichen Dingen zu.
- Iwan Petrowitsch. Und weiter hat er nichts von mir gesagt?
- Alexander Iwanowitsch. Nein.
- Iwan Petrowitsch (für sich). Nun, das ist vorläufig noch nicht viel.
- Gott, Gott, wie wäre es, wenn er gesagt hätte: In Berücksichtigung
- dieser und jener Verdienste schlage ich diesen Barsukow vor ...
- 3. Auftritt
- Die Vorigen und Schreider, der zur Tür hereinschaut.
- Iwan Petrowitsch. Kommen Sie herein, kommen Sie herein, es macht nichts,
- bitte kommen Sie nur her: Was ist das? Ein Rapport?
- Schreider. Wollen Sie freundlichst unterschreiben. Hier ist eine Meldung
- an den Cameralhof, und das ist ein Rapport an den Verwalter.
- Iwan Petrowitsch (liest inzwischen). ... dem Herrn Verwalter ... Was ist
- das! Sie haben ja nicht überall gleichen Rand gelassen? Was soll das?
- Wissen Sie, daß man Sie dafür mit Arrest bestrafen kann? (Wirft ihm
- einen bedeutungsvollen Blick zu).
- Schreider. Ich habe es Iwan Iwanowitsch gesagt: aber er hat geantwortet,
- der Minister werde auf solche Lappalien nicht achten.
- Iwan Petrowitsch. Lappalien! Iwan Iwanowitsch hat gut reden! Ich selber
- denke ja auch so: der Minister wird das wirklich nicht beachten! Aber
- wenn es ihm nun plötzlich doch einfällt?
- Schreider. Man kann es ja abschreiben; nur wird es dann zu spät werden.
- Aber da Sie selbst zu sagen belieben, daß der Minister es nicht beachten
- wird ...
- Iwan Petrowitsch. Natürlich. Das ist ja alles sehr richtig. Ich bin
- durchaus mit Ihnen einverstanden, er wird sich mit solchen Kleinigkeiten
- nicht abgeben. Aber setzen Sie den Fall, daß es ihm doch einfällt. Ich
- will doch mal sehen, wie groß der Raum ist, den man für den Rand
- gelassen hat ...?
- Schreider. Wenn es so ist, werde ich es sofort abschreiben.
- Iwan Petrowitsch. Ja eben »wenn es so ist«. Ich spreche ja nur mit
- Ihnen, weil Sie Universitätsbildung haben. Bei einem andern würde ich
- kein Wort verlieren.
- Schreider. Ich habe es mir nur erlaubt, weil der Herr Minister ...
- Iwan Petrowitsch. Gestatten Sie! Gestatten Sie: Das ist vollkommen
- richtig: ich bin ja auf ein Haar mit Ihnen einig. Gewiß, der Minister
- wird es nie beachten! er wird sich gar nicht darum kümmern. Aber wenn es
- ihm plötzlich doch ... was dann?
- Schreider. Ich werde es abschreiben. (Entfernt sich.)
- 4. Auftritt
- Iwan Petrowitsch (zuckt die Achseln und wendet sich an Alexander
- Iwanowitsch). Das hat immer noch Wind im Kopfe! Sonst ein anständiger
- junger Mann, erst vor kurzem von der Universität gekommen, aber hier
- (zeigt auf die Stirn) rein gar nichts. Sie können sich keine Vorstellung
- machen, verehrtester Alexander Iwanowitsch, wieviel Mühe es mir gekostet
- hat, das alles in Ordnung zu bringen. Sie hätten nur sehen sollen, in
- welchem Zustand ich meinen Posten übernommen habe! Denken Sie sich --
- kein Kanzleibeamter konnte einen ordentlichen Buchstaben schreiben! Man
- mußte es mit ansehen, wie der eine das »An« auf die falsche Zeile
- brachte und wie der andere auf der ersten Zeile »Dur« und auf der andern
- »chlaucht« schrieb. Mit einem Wort: es war entsetzlich! Eine
- babylonische Verwirrung! Und schauen Sie sich jetzt einmal die Akten an:
- alles ist schön und gut! Das Herz freut sich, die Seele triumphiert! Und
- eine Ordnung -- alles ist an seinem Platz!
- Alexander Iwanowitsch. Man kann also sagen, daß Sie sich Ihren Rang mit
- Schweiß und Blut erworben haben!
- Iwan Petrowitsch (seufzend). Jawohl! Mit Schweiß und Blut! Aber was soll
- ich machen, ich habe nun einmal so einen Charakter! Was wäre ich nicht
- alles geworden, wenn ich mich nur darum bemüht hätte! Auf meiner Brust
- wäre kein Platz mehr für die Orden! Aber was soll ich machen? Ich kann
- nun einmal nicht anders handeln. So nebenbei werde ich ja schon ein paar
- Andeutungen und Anspielungen fallen lassen, aber geradeheraus etwas
- fordern, unmittelbar etwas für mich erbitten -- nein, das ist meine
- Sache nicht! Andere steigen fortwährend im Rang -- ich dagegen habe nun
- einmal so einen Charakter: zu allem kann ich mich herbeilassen, aber
- niemals zu einer Ungerechtigkeit! (Seufzt.) Nur eins möchte ich jetzt:
- wenn ich doch einen kleinen Orden ins Knopfloch kriegen könnte! Nicht,
- weil ich ein besonderes Interesse daran hätte, sondern nur darum, damit
- man merkt, daß meine Vorgesetzten mir einige Aufmerksamkeit schenken.
- Ich möchte Sie bitten, Alexander Iwanowitsch, seien Sie so hochherzig,
- machen Sie doch bei Gelegenheit, natürlich so ganz nebenbei, Sr.
- Exzellenz gegenüber eine Anspielung, daß bei Barsukow in der Kanzlei
- eine Ordnung herrscht, wie Sie sie selten gefunden haben, oder doch
- irgend etwas ähnliches.
- Alexander Iwanowitsch. Mit dem größten Vergnügen, sowie sich eine
- Gelegenheit bietet ...
- 5. Auftritt
- Die Vorigen und Katerina Alexandrowna. Iwan Petrowitschs Frau.
- Katerina Alexandrowna (erblickt Alexander Iwanowitsch). Ah! Alexander
- Iwanowitsch! Mein Gott, wie lange wir uns nicht gesehen haben! Sie haben
- mich ganz vergessen! Wie geht es Natalia Fominischna!
- Alexander Iwanowitsch. Gottseidank! Übrigens kränkelt sie seit einer
- Woche.
- Katerina Alexandrowna. Aeh!
- Alexander Iwanowitsch. Sie leidet an Stichen und Beklemmungen in der
- Magengrube. Der Arzt hat ihr ein Abführungsmittel und heiße Kompressen
- von Kamillentee und Salmiakgeist verschrieben.
- Katerina Alexandrowna. Versuchen Sie es doch mit einem homöopathischen
- Mittel.
- Iwan Petrowitsch. Da du gerade von Homöopathie sprichst -- es ist
- wirklich merkwürdig, wenn man bedenkt, wie weit man es jetzt mit der
- Aufklärung gebracht hat, Katerina Alexandrowna. Ich war vor kurzem in
- einer Vorstellung. Und was glauben Sie? Ein Bengel, wie soll ich euch
- sagen, so groß (zeigt mit der Hand) und etwa drei Jahr alt, nicht mehr
- -- ihr hättet sehen müssen, wie der auf einem ganz dünnen Seil tanzte!
- Ich versichere Ihnen, im Ernst, der Atem stockte einem vor Angst!
- Alexander Iwanowitsch. Die Melas singt wirklich sehr schön.
- Iwan Petrowitsch (bedeutungsvoll). Die Melas? O ja. Mit vielem Gefühl!
- Alexander Iwanowitsch. Ausgezeichnet.
- Iwan Petrowitsch. Haben Sie bemerkt, wie geschickt sie das ... nimmt ...
- (beschreibt mit der Hand Kreise vor den Augen).
- Alexander Iwanowitsch. Jawohl, besonders das macht sie ganz wundervoll.
- -- Doch es ist gleich zwei Uhr.
- Iwan Petrowitsch. Wie! Wollen Sie schon gehen, Alexander Iwanowitsch?
- Alexander Iwanowitsch. Es ist Zeit. Ich muß heut vormittag noch an
- ungefähr drei Stellen sein.
- Iwan Petrowitsch. Nun, dann auf Wiedersehn. Wann sehen wir uns? Richtig,
- ich hab fast vergessen: morgen sind wir doch bei Lukian Fedossejewitsch?
- Alexander Iwanowitsch. Ganz bestimmt. (Sie verabschieden sich.)
- Katerina Alexandrowna. Leben Sie wohl, Alexander Iwanowitsch.
- Alexander Iwanowitsch (in der Garderobe, während er sich den Pelz
- umlegt). Ich kann diese Art Menschen nicht ausstehen! Das tut nichts,
- wird nur immer fetter und stellt sich, als wäre er dies und jenes, als
- hätte es dies getan und jenes verbessert -- die leibhaftige Tugend! Und
- welche Ansprüche das macht! Einen Orden! Und er wird ihn auch bekommen!
- Ja, er wird ihn bekommen -- dieser Gauner! Er wird ihn bekommen! Solche
- Menschen haben ja immer Erfolg! Und ich? Hä? Fünf Jahre bin ich länger
- im Dienst und bis jetzt noch nicht einmal für einen Orden vorgeschlagen?
- Pfui, was für eine ekelhafte Physiognomie? Und dazu entwickelt er noch
- zarte Gefühle: er will ja gar nichts so besonderes, nur damit man merkt,
- daß seine Vorgesetzten ihm einige Aufmerksamkeit erweisen. Und er bittet
- mich noch, daß ich ein Wort für ihn einlegen soll! Da sind Sie an den
- Richtigen gekommen, Verehrtester! Ich werde ihm schon einen Dienst
- erweisen! Nein, mein Bester, du sollst keinen Orden bekommen! Keinen!
- Keinen!! (Klopft einige Male wie zur Bestätigung mit der Faust auf die
- Handfläche und entfernt sich.)
- Der Prozeß.
- 1. Auftritt
- Ein Kabinett.
- Proletew (ein Sekretär, sitzt allein im Sessel und hat fortwährend den
- Schlucken). Was ist denn mit mir los? Grad als wenn's mir aufstößt. Das
- Mittagessen von gestern steckt mir noch in der Kehle. Da ißt man und ißt
- -- weiß der Teufel, was man alles ißt! (Es stößt ihm auf.) Da ist's! (Es
- stößt ihm auf.) Schon wieder. (Es stößt ihm auf.) Noch einmal! (Es stößt
- ihm auf.) Jetzt schon zum viertenmal! (Es stößt ihm auf.) Der Teufel
- soll auch das viertemal holen! Jetzt will ich mal die »Nördliche Biene«
- lesen und sehen, was da drin steht. Ah, wie ich diese »Nördliche Biene«
- über habe! Grad wie ein Frauenzimmer, das als alte Jungfer
- sitzengeblieben ist. (Liest und schreit auf.) Krachmanow eine
- Auszeichnung! Ah? Petruschka Krachmanow! Solch ein kleiner Bengel war
- er. (Zeigt mit der Hand.) Ich habe ihn doch selbst im Kadettenkorps
- untergebracht. Ah? (Fährt fort zu lesen, plötzlich schreit er auf, indem
- er die Augen weit aufreißt.) Was ist das? Was ist das? Heißt das
- wirklich Burdjukow? Wirklich! Pawel Petrowitsch Burdjukow ist befördert
- worden! Ah? Nun? Ein bestechlicher Kerl, der zweimal von Gerichtswegen
- verfolgt wurde, der Vater ein Dieb, der den Fiskus bestohlen hat -- der
- ekelhafteste Mensch, den man sich nur vorstellen kann -- Hä? Und die
- ganze Welt hält ihn für einen aufrichtigen Menschen. Solch ein Schurke!
- Hat er nicht behauptet: »Der Prozeß Buchtjelew ist nicht sachlich
- entschieden worden, der Senat ist der Sache nicht auf den Grund
- gegangen!« -- Und warum? Der Schurke hat einfach erfahren, daß auf
- meinen Teil zwanzigtausend Rubel fallen würden -- da denkt er sich,
- warum hat er die nicht bekommen? Der ist wie ein Hund, der auf dem Heu
- liegt: Was er selbst nicht kriegt, gönnt er auch einem andern nicht.
- Aber ich kenne dich, geh doch und schwindle andern etwas vor, verstell
- dich nur vor ihnen. Ich weiß genug von dir. Wahrhaftig, ich ärgere mich,
- daß ich in die Zeitung hineingesehen habe. Wenn man die liest, hat man
- nichts als Ärger und Ekel. He, Andrei!
- 2. Auftritt
- Der Lakai (hereintretend). Was befehlen Sie?
- Proletew. Trag diese Zeitung hinaus! Warum hast du sie überhaupt
- gebracht, du Narr! (Andrei trägt die Zeitung hinaus.) Was sagt man nur
- zu diesem Burdjukow. Ah, den würde ich, ohne viel Worte zu machen,
- einfach nach Kamtschatka schicken. Ich würde ihm mit dem größten
- Vergnügen einen Schabernack spielen, das muß ich gestehen -- sofort in
- diesem selben Augenblick. Aber es hat sich bis jetzt noch keine, aber
- auch keine Gelegenheit gefunden ... Was soll ich machen? Gott zürnt mir
- wohl! Ah, ich würde dich schon streicheln, ich würde dir schon was um
- die Lippen schmieren ... Und was er für Lippen hat! Wie ein Stier -- so
- 'ne Kanaille!
- Der Lakai. Burdjukow ist da.
- Proletew. Wer?
- Der Lakai. Burdjukow ist da.
- Proletew. Was für einen Unsinn redest du?
- Der Lakai. Zu Befehl.
- Proletew. Du lügst, Esel. Burdjukow? Pawel Petrowitsch Burdjukow?
- Der Lakai. Nein, Pawel Petrowitsch nicht -- irgendein anderer!
- Proletew. Was für ein anderer?
- Der Lakai. Belieben Sie selbst nachzusehen: er wartet draußen.
- Proletew. Ich lasse bitten.
- 3. Auftritt
- Proletew und Christophor Petrowitsch Burdjukow.
- Burdjukow. Bitte entschuldigen Sie die Störung, die ich Ihnen
- verursache. Allerlei Umstände und Geschäfte haben mich aus unserm
- Städtchen vertrieben. Ich bin hergekommen, Sie um Ihre persönliche Hilfe
- und um Ihren Schutz zu bitten.
- Proletew (beiseite). Das ist wirklich ein anderer. Aber er hat eine
- gewisse Ähnlichkeit mit ihm. (Laut.) Was wünschen Sie? Womit kann ich
- Ihnen dienen?
- Burdjukow (zuckt die Achseln). Gott, ein Prozeß. Eine Gerichtssache.
- Proletew. Eine Gerichtssache? Gegen wen?
- Burdjukow. Gegen meinen eigenen Bruder.
- Proletew. Erlauben Sie mir, Sie zuerst um Ihren Namen zu bitten. Und
- dann setzen Sie mir Ihre Angelegenheit näher auseinander. Wollen Sie
- bitte Platz nehmen.
- Burdjukow. Mein Name ist Burdjukow, Christophor Petrowitsch, und der
- Prozeß geht gegen meinen leiblichen Bruder, Pawel Petrowitsch Burdjukow.
- Proletew. Was sagen Sie? Was? ... Nein!
- Burdjukow. Ja, was starren Sie mich so an? Glauben Sie vielleicht, ich
- bin zu meinem Vergnügen mit der Post aus Tambow hierhergekommen?
- Proletew. Gott segne Sie für diese gute Tat! Erlauben Sie mir, Ihre
- nähere Bekanntschaft zu machen. Etwas Gescheiteres hätten Sie sich nie
- ausdenken können. Nun soll man noch sagen, daß es keine Großmut und
- keine Gerechtigkeit gibt! Und was wäre das? Hier steht der leibliche
- Bruder! Durch Blutsbande verbunden -- und er hat den Bruder nicht
- geschont! Ein Prozeß gegen den leiblichen Bruder! Erlauben Sie, daß ich
- Sie umarme.
- Burdjukow. Mit Vergnügen. Ich hätte Sie selbst gern für Ihr
- Entgegenkommen umarmt. (Sie umarmen sich.) Das muß ich gestehen: vorhin,
- als ich Ihr Gesicht sah, hätte ich niemals geglaubt, daß Sie ein so
- vernünftiger Mensch sind!
- Proletew. Da haben wir's! -- Wieso denn?
- Burdjukow. Wirklich -- im Ernst! Gestatten Sie mir eine Frage: Ihre
- selige Mutter hat wohl einen großen Schreck gehabt, als sie mit Ihnen
- schwanger ging?
- Proletew. Was der für einen Unsinn zusammenschwatzt!
- Burdjukow. Wirklich, seien Sie nicht beleidigt, ich werde Ihnen sagen,
- das kommt sehr oft vor. Bei unserm Vorsitzenden ist die ganze untere
- Gesichtspartie, ähnlich wie bei einem Schaf, gleichsam abgeplattet und
- mit Fell bewachsen -- ganz wie bei einem Schaf. Und das infolge eines
- ganz unbedeutenden Umstandes: als die Selige beim Gebären war, da war
- ein Schaf am Fenster erschienen, und der Böse muß es reiten, daß es zu
- blöken anfängt!
- Proletew. Bitte, lassen wir den Vorsitzenden und das Schaf in Ruh ...
- Nein, wie ich mich freue!
- Burdjukow. Und wie ich mich erst freue, daß ich solch einen Gönner
- gefunden habe! Erst jetzt, wo ich Sie näher ansehe, finde ich, daß Ihr
- Gesicht mir bekannt ist: wir hatten in unserm Karabinierregiment einen
- Leutnant, der Ihnen ähnelte wie ein Tropfen Wasser dem andern. Ein
- schrecklicher Trunkenbold! Wissen Sie, ich kann Ihnen sagen: kein Tag
- verging, ohne daß seine Visage ganz zerschlagen war.
- Proletew (beiseite). Wie es scheint, hat dieser Dorfbär nicht die
- Gewohnheit, seine Zunge im Zaum zu halten; aller Unrat, der in seiner
- Seele sitzt, muß auf die Zunge. (Laut.) Ich habe nicht viel Zeit, bitte,
- kommen Sie zur Sache.
- Burdjukow. Erlauben Sie, aber das läßt sich im Sitzen nicht erzählen.
- Das ist ein schwieriger Kasus. Haben Sie die Gutsbesitzerin Jewdokia
- Malafejewna Merinow aus dem Ustjuger Kreise gekannt? Nein? Sie haben Sie
- nicht gekannt? Schön. Es war meine leibhaftige Tante und auch die dieser
- Bestie, meines Bruders. Ich und mein Bruder sind ihre nächsten Erben. --
- Belieben Sie das zu beachten: darum handelt es sich nämlich! Außerdem
- ist noch eine Schwester da, die den General Polawischtschew geheiratet
- hat: nun, über die wollen wir kein Wort weiter sagen, die hat ohnedies
- schon ihr Teil abbekommen. Nun erlauben Sie: da hat sich also dieser
- Gauner, mein Bruder, -- in dieser Beziehung kann der Teufel noch von ihm
- lernen -- an meine Tante herangemacht: »Tantchen, Sie haben Gottseidank
- schon siebzig Jahre lang gelebt, wozu wollen Sie sich bei einem so hohen
- Alter noch mit der Wirtschaft abgeben: lassen Sie lieber mich für Sie
- wirtschaften und für den Unterhalt sorgen.« Und so geschah es! Merken
- Sie etwas? Merken Sie etwas? Er siedelte in ihr Haus über, und nun lebt
- er dort und herrscht dort wie der wirkliche Herr des Hauses. Hören Sie
- auch zu?
- Proletew. Jawohl.
- Burdjukow. Also schön. Ja also ... nun wird die Tante krank. Warum? --
- Gott mag es wissen. Vielleicht hat er selbst ihr etwas eingegeben. Man
- gibt mir von anderer Seite einen Wink. Merken Sie etwas? Ich komme hin:
- im Flur begegnet mir diese Bestie, das heißt mein Bruder, ganz in Tränen
- aufgelöst und wie abwesend, und sagt zu mir: »Nun, Brüderchen,« sagt er,
- »nun sind wir für ewig unglücklich: unsere Wohltäterin ...« »Wie, hat
- sie ihre Seele Gott überantwortet?« -- »Nein, sie liegt im Sterben.« Ich
- trete ein und wirklich: die Tante liegt in den letzten Zügen und rollte
- nur noch die Augen. Nun, was soll man tun? Weinen? Das hilft ja auch
- nichts. Das hätte doch nichts geholfen, he?
- Proletew. Nein, gar nichts.
- Burdjukow. Was ist also zu machen? Nichts ist zu machen! Es war eben
- Gottes Wille! Ich trete näher heran. »Tantchen,« sage ich, »wir sind
- alle sterblich. Unser Leben steht heut wie morgen in Gottes Hand, wie
- man zu sagen pflegt. Wollen Sie nicht rechtzeitig irgendeine Anordnung
- treffen?« Und was tut das Tantchen? Ich sehe, sie kann kaum noch die
- Zunge bewegen und lallt nur: »Eh, eh, eh!« Dieser Schuft aber steht
- neben ihrem Bett und sagt: »Tantchen erklärt hiermit, daß sie ihre
- Anordnungen schon getroffen hat!« Hören Sie? Hören Sie?
- Proletew. So ein ..! Hatte sie denn wirklich etwas derartiges gesagt?
- Burdjukow. I wo, zum Teufel! Sie lallte nur: »Eh, eh, eh!« Ich dränge
- also immer mehr. »Gestatten Sie, Tantchen, daß ich erfahre, was das für
- Anordnungen sind?« Und was tut das Tantchen? Das Tantchen antwortet
- wieder nur: »Eh, eh, eh ...« Jener Schurke aber erklärt wieder:
- »Tantchen sagt, das sich die betreffenden Anordnungen in ihrem Testament
- befinden!« Hören Sie? Hören Sie? Was sollte ich da machen? Ich schwieg
- und sagte kein Wort!
- Proletew. Aber erlauben Sie: warum haben Sie ihn nicht gleich Lügen
- gestraft?
- Burdjukow. Was sollte ich machen? (Gestikuliert mit den Händen.) Er fing
- an zu schwören, sie hätte das wirklich alles gesagt! Nun -- ich mußte
- ihm glauben!
- Proletew. Und hat man das Testament geöffnet?
- Burdjukow. Jawohl.
- Proletew. Nun, und ..?
- Burdjukow. Passen Sie auf: Sobald man nach Christenpflicht alles besorgt
- hatte, sagte ich, es sei doch jetzt Zeit, sich die letzte
- Willenserklärung der Seligen anzusehen. Der Bruder konnte kaum
- antworten: er war so voller Schmerz und Verzweiflung, daß er nur
- fortwährend weinte. »Nehmen Sie es«, sagte er, »und lesen Sie selbst.«
- Die Zeugen versammelten sich, und man las das Testament vor. Nun, und
- was glauben Sie, steht in dem Testament? Folgendes: »Meinem Neffen Pawel
- Petrows Sohn Burdjukow« -- passen Sie auf -- »hinterlasse ich zur
- Belohnung für seine kindliche Sorge um mich und für sein stetes
- Verweilen in meiner Nähe bis zu meinem Tode« -- merken Sie etwas? --
- »mein ererbtes und wohlerworbenes Gut im Kreise Ustjug,« -- aha, soweit
- ist es also gekommen! -- »fünfhundert Seelen, Mobilien und alles
- Übrige!« Nun, haben Sie gehört? »Meiner Nichte Maria Petrowna
- Powalischtschew, geborene Burdjukow, hinterlasse ich das ihr zukommende
- Gut von hundert Seelen ... Meinem Neffen«, aha, merken Sie etwas? Da ist
- die Eiterbeule! »Chrisanphy Petrows Sohn Burdjukow«, passen Sie auf,
- passen Sie auf, »vermache ich als Erinnerung an mich«, oho! oho! »drei
- Samtröcke und das ganze Gerümpel, das sich im Speicher befindet, als da
- sind: zwei Federbetten, das Fayencegeschirr, die Laken und Häubchen ...«
- und der Teufel mag wissen, was für Lumpereien noch! Nun? wie gefällt
- Ihnen das? Ich frage Sie: wozu zum Teufel brauche ich drei Samtröcke?
- Proletew. So ein Lump! Ich bitte Sie!
- Burdjukow. Eine Schurkerei -- das stimmt vollkommen. Ich bin durchaus
- einer Meinung mit Ihnen, aber ich frage Sie nochmals: wozu brauche ich
- drei Samtröcke? Was soll ich damit anfangen? Soll ich sie mir über den
- Kopf ziehen?
- Proletew. Und haben die Zeugen unterschrieben?
- Burdjukow. Natürlich, er hatte sich schon das rechte Lumpenpack
- zusammengetrommelt!
- Proletew. Und die Selige hatte eigenhändig unterzeichnet?
- Burdjukow. Darum handelt es sich ja -- sie hat unterzeichnet, aber der
- Teufel mag wissen wie!
- Proletew. Wie?
- Burdjukow. Passen Sie auf: die Selige hieß Jewdokia, und sie hat so ein
- Zeug hingekritzelt, das keiner entziffern kann.
- Proletew. Warum nicht?
- Burdjukow. Ja das mag der Teufel wissen! Sie hätte doch Jewdokia
- schreiben müssen -- in Wahrheit aber hat sie geschrieben: »Tauche ein!«
- Proletew. Was Sie sagen!
- Burdjukow. Oh, ich werde Ihnen sagen: der ist zu allem fähig! »Und
- meinem Neffen Chrisanphy Petrow: drei Samtröcke!«
- Proletew (beiseite). Dieser Pawel Petrowitsch Burdjukow ist ein
- Hauptkerl, nie hätte ich geglaubt, daß er so ein Schlaukopf ist!
- Burdjukow (gestikulierend). »Tauche ein!« Was soll das bedeuten? Das ist
- doch kein Name: »Tauche ein!«
- Proletew. Und was beabsichtigen Sie nun zu tun?
- Burdjukow. Ich habe schon eine Eingabe behufs Kassierung des Testaments
- eingereicht, weil die Unterschrift falsch ist. Sie sollen mir doch
- nichts vorlügen: die Selige hieß Jewdokia und nicht »Tauche ein!«
- Proletew. Sie haben ganz Recht! Doch erlauben Sie mir jetzt, die Sache
- in die Hand zu nehmen. Ich werde sofort einen mir bekannten Sekretär
- benachrichtigen, und Sie stellen mir inzwischen eine Abschrift von Ihrem
- Testament zu.
- Burdjukow. Ich bin Ihnen unendlich verpflichtet. (Nimmt seinen Hut.)
- Durch welche Tür geht man hinaus, durch diese oder jene?
- Proletew. Bitte durch diese.
- Burdjukow. Aha. Ich habe bloß darum gefragt, weil ich noch wegen eines
- Bedürfnisses wohin muß. Also auf Wiedersehen, Verehrtester! ... Wie
- heißen Sie doch? ... Ich vergesse es immer.
- Proletew. Alexander Iwanowitsch.
- Burdjukow. Alexander Iwanowitsch. Alexander Iwanowitsch heißt einer von
- den Proldiukowskis; kennen Sie ihn?
- Proletew. Nein.
- Burdjukow. Er wohnt fünf Werst von unserm Gute. Leben Sie wohl!
- Proletew. Leben Sie wohl, Verehrtester, leben Sie wohl!
- 4. Auftritt
- Proletew. Später der Diener.
- Proletew. Das ist ja ein unerwartetes Glück! Das ist geradezu ein
- Geschenk; einfach eine Schickung Gottes. Seltsam, aber man fühlt so ein
- unsagbares Vergnügen in der Seele, als ob einem die eigene Frau zum
- erstenmal einen Sohn geboren, oder der Minister einem in Anwesenheit
- aller Beamten einen Kuß gegeben hat. Bei Gott -- etwas beinahe
- Magnetisches. He! Andrei! (Andrei tritt ein.) Geh sofort zu meinem
- Sekretär und rufe ihn her. Hörst du? Ja -- und wart mal: hier hast du
- ein Trinkgeld, betrink dich ordentlich, heut erlaub' ich's dir; und da
- hast du noch etwas für deinen Jungen, für Kuchen. Sag dem Sekretär, er
- soll sofort ... es handle sich um eine höchst eilige Angelegenheit! Ach,
- endlich doch ... aber mit wie vieler Mühe! Auch in unsere Straße also
- zog das Glück ein! Warte, jetzt setze ich mich hin und pfeife, und wir
- wollen sehen, wie du tanzen wirst! Wenn ich erst aus meinen Kollegen ein
- Orchester zusammenbringe, dann sollst du mir tanzen, daß dir dein Leben
- lang die Hüften schmerzen sollen!
- Das Vorzimmer
- 1. Auftritt
- Das Theater stellt ein Flurzimmer dar. Rechts führt eine Tür zur
- Treppe, links eine zum Saal. Im Hintergrund, etwas zur Seite, die
- Tür zum Kabinett. Auf einer Bank, die durch die Länge des Raums
- bis zu dieser Tür reicht, schlafen Pjotr, Iwan und Grigori, einer
- den Kopf auf die Schultern des andern stützend. An der Tür, die
- zur Treppe führt, ertönt lautes Klingeln. Die Lakaien erwachen.
- Grigori. Geh, mach die Tür auf! Man klingelt.
- Pjotr. Und warum bleibst du sitzen? Du hast wohl Beulen an den Füßen,
- was? Du kannst wohl nicht aufstehen?
- Iwan (beruhigend). Nun gut, ich werde gehen. Ich werde schon aufmachen.
- (Öffnet die Tür und ruft.) Das ist ja Andruschka!
- (Ein fremder Diener in Mütze und Mantel tritt ein, er trägt ein
- Bündel in der Hand.)
- Grigori. Nun, du Moskauer Nachteule, was hat dich hierher getrieben!
- Der fremde Diener. Du Schuchoner Kauz, wenn du so viel herumgelaufen
- wärst wie ich! Sie befiehlt mir das da (hebt das Bündel empor) der
- Blumenhändlerin auf der Petersburgskaja zu bringen. Aber kein Gedanke,
- daß sie mir etwa eine Kopeke für eine Droschke gibt. Und auch zu eurem
- Herrn soll ich .. nun, schläft er noch?
- Grigori. Wer? Der Bär? Nein, der liegt noch in seiner Höhle und hat noch
- nicht gebrummt.
- Pjotr. Ist es wahr, daß eure Gnädige euch Strümpfe stopfen läßt? (Alle
- lachen.)
- Grigori. Brüderchen, von jetzt ab sollst du die Stopferin heißen -- wir
- werden dich alle so nennen!
- Der fremde Lakai. Bist du ein Lügner! Nie habe ich einen Strumpf
- gestopft!
- Pjotr. Aber es ist ja bekannt von euch: bis zum Mittag ist ein Diener
- bei euch Koch, und nach dem Mittag Kutscher, Lakai oder Stiefelflicker.
- Der fremde Lakai. Nun und was ist schon dabei? Ein Handwerk steht doch
- dem andern nicht im Wege. Man kann doch nicht ohne Arbeit herumsitzen!
- Gewiß, ich bin Lakai und Damenschneider zugleich. Ich nähe für meine
- Gnädige und auch für Fremde -- so bring ich doch noch ein paar Kopeken
- zusammen. Und ihr, was tut ihr? Ihr tut nichts!
- Grigori. Nein Bruder, ein anständiger Herr wird seine Lakaien nicht mit
- solchen Arbeiten beschäftigen: dafür gibt es Handwerker genug. Der Graf
- Bulkin hat allein dreißig Diener, und dort, Bruder, dort gibt es nicht
- so was. »Petruschka, geh mal da und dahin.« »Nein,« würde er antworten,
- »nein, das ist nicht meine Sache. Belieben Sie doch Iwan zu
- beauftragen!« Ja, so ist es! So sieht es aus, wenn ein Herr wie ein Herr
- lebt! Eure Alte, die aus Moskau angekommen ist, hat überhaupt eine
- Kalesche wie eine geknackte Nuß. Die Schwänze der Pferde sind mit
- Strippen zusammengebunden. (Alle lachen).
- Der fremde Lakai. Nein, was du für ein Spaßvogel bist! -- Und was hast
- du davon, wenn du den ganzen Tag herumliegst? Dabei kommt keine Kopeke
- heraus!
- Grigori. Was brauche ich deine Kopeken? Wozu ist denn der Herr da? Den
- Lohn zahlt er mir doch aus, ob ich nun arbeite oder nicht. Für das Alter
- sparen brauche ich nicht. Das wäre ja ein netter Herr, der seinem Diener
- keine Pension für seine Arbeit aussetzt.
- Der fremde Lakai. Übrigens ... die Kollegen wollen einen Ball geben?
- Pjotr. Ja. Kommst du?
- Der fremde Lakai. Ach, das wird schon ein Ball werden. Bloß dem Namen
- nach, sonst ...
- Grigori. O nein Bruder, das wird ein richtiger Ball werden! Alle geben
- einen Rubel, und manche noch mehr. Der Koch des Fürsten hat fünf Rubel
- gegeben und übernimmt es persönlich, das Essen zu bereiten. Eine
- Bewirtung wird es geben -- nicht etwa bloß Nüsse! Ein halbes Pud
- Konfitüren sind schon gekauft, dazu Eis ... (man hört ein dünnes
- Klingeln im herrschaftlichen Kabinet.)
- Der fremde Lakai. Geh hin, der Herr klingelt.
- Grigori. Der kann warten. -- Man will 'ne Lumination machen. Mit der
- Musik ist auch schon verhandelt worden, man ist sich aber noch nicht
- einig geworden: es ist kein Baß da, sonst wäre man schon ... (Man hört
- ein etwas stärkeres Läuten aus dem Kabinett.)
- Der fremde Lakai. Geh! Geh doch! Er klingelt.
- Grigori. Der kann warten. -- Wieviel gibst du?
- Der fremde Lakai. Ach, was ist an diesem Ball dran. Das ist alles doch
- nur so.
- Grigori. Nun binde mal deinen Beutel auf, du -- Stopferin. Da, sieh ihn
- dir an, Petruschka, was für einer das ist ... (Pufft ihn mit dem Finger.
- Während dieser Zeit öffnet sich die Tür, der Herr im Schlafrock streckt
- die Hand aus und packt Grigori beim Ohr; alle erheben sich von ihren
- Plätzen.)
- 2. Auftritt
- Der Herr. Was tut ihr eigentlich hier, ihr Müßiggänger? Drei Mann, und
- kein einziger erhebt sich von seinem Platz! Und ich klingle aus allen
- Kräften, ich habe beinahe die Schnur zerrissen!
- Grigori. Es war nichts zu hören, gnädiger Herr.
- Der Herr. Du lügst.
- Grigori. Bei Gott! Warum soll ich lügen? Petruschka hat ja auch
- dabeigesessen. Das ist schon so eine Klingel, gnädiger Herr, die taugt
- gar nichts, niemals hört man etwas. Man muß den Schlosser rufen.
- Der Herr. Nun, dann muß man eben den Schlosser rufen.
- Grigori. Ich habe es dem Hausmeister auch schon gesagt. Aber was hilft
- das? Man sagt ihm etwas, und er schimpft einen nur aus.
- Der Herr (erblickt den fremden Lakaien). Was ist denn das da für ein
- Mensch?
- Grigori. Ein Diener von Anna Petrowna, der einen Auftrag an Sie hat.
- Der Herr. Nun, Bruder, was hast du mir zu sagen.
- Der fremde Lakai. Die gnädige Frau läßt sich empfehlen und läßt Ihnen
- mitteilen, daß die gnädige Frau heute bei Ihnen sein wird.
- Der Herr. Weißt du nicht warum?
- Der fremde Lakai. Das weiß ich nicht. Die gnädige Frau sagte nur: Sage
- Fjodor Fjodorowitsch, ich hätte befohlen, ihn zu grüßen, und ich werde
- heute zu ihm kommen.
- Der Herr. Und wann? Um wieviel Uhr?
- Der fremde Lakai. Um wieviel Uhr? Das weiß ich nicht. Die gnädige Frau
- sagten nur: »Melde Fjodor Fjodorowitsch« sagte sie, »daß ich zu ihm
- kommen werde, und daß ich ihn persönlich aufsuchen werde«.
- Der Herr. Gut. Petruschka, hilf mir schnell, mich ankleiden. Und ihr da
- -- keiner wird empfangen, hört ihr? Allen wird gesagt, ich bin nicht zu
- Hause! (Geht, Petruschka folgt ihm.)
- 3. Auftritt
- Der fremde Lakai (zu Grigori). Nun siehst du, da hast du's bekommen.
- Grigori (macht eine abwehrende Bewegung). Ach, das ist schon ein Dienst!
- Man mag sich so viel Mühe geben, als man will: man wird doch
- ausgescholten! (Die Klingel an der Flurtür erschallt.)
- Grigori. Da kommt schon wieder ein Störenfried. (Zu Iwan.) Geh, mach
- auf! Was, hältst du Maulaffen feil! (Iwan öffnet die Tür, ein Herr im
- Pelz tritt herein.)
- 4. Auftritt
- Der Herr im Pelz. Ist Fjodor Fjodorowitsch zu Hause?
- Grigori. Nein.
- Der Herr. Wie ärgerlich. Weißt du nicht, wohin er gegangen ist?
- Grigori. Ich weiß nicht. Wahrscheinlich ins Departement. Wen darf ich
- melden?
- Der Herr. Sag, daß Neweleschtschagin hier war. Und es hätte ihm sehr
- leid getan, daß er niemand zu Haus getroffen habe. Hörst du? Wirst du es
- auch nicht vergessen? Neweleschtschagin.
- Grigori. Lentjagin?
- Der Herr (eindringlich). Neweleschtschagin.
- Grigori. Sie sind ein Deutscher?
- Der Herr. Was -- ein Deutscher! Ein Russe natürlich!
- Ne-we-lesch-tscha-gin.
- Grigori. Hörst du, Iwan, vergiß nich. Erdaschtschagin. (Der Herr
- entfernt sich.)
- 5. Auftritt
- Der fremde Lakai. Lebt wohl, Brüder. Es ist jetzt Zeit für mich.
- Grigori. Nun, wie steht's? Wirst du zum Ball kommen?
- Der fremde Lakai. Das will ich mir noch überlegen. Leb wohl, Iwan. (Ab.)
- Iwan. Leb wohl. (Er geht, um die Tür zu öffnen.)
- 6. Auftritt
- Das Stubenmädchen eilt durch das Vorzimmer.
- Grigori. Wohin? Wohin? So schenken Sie mir doch nur einen Blick. (Hascht
- sie beim Rock.)
- Das Mädchen. Es geht nicht, es geht nicht, Grigori Pawlowitsch. Halten
- Sie mich nicht auf, ich habe gar keine Zeit. (Reißt sich los und eilt zu
- der Tür, die zur Treppe führt.)
- Grigori (sieht ihr nach). Schau nur, wie die trippelt! (Lacht.) He he
- he!
- Iwan (lacht). Hi hi hi. (Der Herr tritt herein; Grigori und Iwan machen
- plötzlich besorgte Gesichter und werden ernst. Grigori nimmt den Pelz
- von dem Ständer und legt ihn dem Herrn um die Schultern; der Herr
- entfernt sich. Grigori bleibt in der Mitte des Zimmers stehen und putzt
- sich die Nase mit dem Finger.)
- Grigori. Jetzt haben wir freie Zeit: der Herr ist weg. Nun wäre ja alles
- gut, aber gleich kommt dieser Teufel, dieser Wanst von einem
- Hausmeister. (Hinter der Bühne hört man den Hausmeister lärmen: »Es ist
- 'ne wahrhaftige Strafe Gottes, zehn Mann im Hause und kein einziger
- räumt auf!«) Da schreit er schon, dieser Dickwanst.
- 7. Auftritt
- Der Hausmeister (tritt sehr beleidigt und erregt herein und gestikuliert
- heftig mit den Händen). Wenn ihr euch nicht vor Gott fürchtet, so
- solltet ihr euch doch wenigstens vor eurem Gewissen fürchten. Die
- Teppiche sind bis jetzt noch nicht ausgeklopft! Sie, Grigori
- Pawlowitsch, sollten den andern ein Beispiel geben: und gerade Sie
- schlafen vom Morgen bis Abend. Die Augen sind Ihnen ja ganz verschwollen
- vom Schlaf, bei Gott! Sie sind ein wirklicher Schurke, Grigori
- Pawlowitsch!
- Grigori. Bin ich denn kein Mensch, daß ich nicht auch mal einschlummern
- kann?
- Der Hausmeister. Wer sagt denn auch ein Wort dagegen? Warum soll man
- nicht einmal einschlummern können? Aber doch nicht für den ganzen Tag!
- Und auch du, beispielsweise, Pjotr Iwanowitsch, ohne etwas gegen dich
- sagen zu wollen, du gleichst doch ganz einem Schwein -- bei Gott! Was
- hast du zu arbeiten? Ein, zwei Leuchter putzen. Und warum sitzt du hier
- herum? (Pjotr entfernt sich langsam.) Und dir, Iwan, müßte man einfach
- einen Stoß ins Genick geben.
- Grigori (indem er sich entfernt). Ach, dieses Leben -- dieses Leben! Der
- Kerl steht auf und gleich beginnt er zu schreien!
- Der Hausmeister (bleibt allein). Darin besteht eben die Ordnung, daß
- jeder Mensch seine Pflicht kennt. Wenn du ein Diener bist -- so mußt du
- auch ein Diener sein, bist du ein Edelmann -- so sei ein Edelmann, bist
- du ein Bischof -- so mußt du ein Bischof sein. Sonst könnte ja jeder
- anfangen ... ich würde z. B. gleich sagen: »Nein, ich bin kein
- Hausmeister, sondern ein Gouverneur oder irgendeiner von der
- Infanterie.« Aber darauf würde mir doch jeder antworten: »Nein, du
- lügst, du bist ein Hausmeister und kein General.« -- Ja! »Deine Pflicht
- ist es, über das Haus zu wachen und über das Benehmen der Diener!« Ja!
- »Für dich heißt es nicht: >_Bon jour comment vous français_<, sondern:
- halt Ordnung, gib deine Anweisungen!« So ist's! Jawohl!
- 8. Auftritt
- Anuschka, das Stubenmädchen aus dem andern Hause, tritt ein.
- Der Hausmeister. Ah, Anna Gawrilowna! Meine Hochachtung! Ich begrüße Sie
- mit außerordentlichem Vergnügen!
- Anuschka. Machen Sie sich keine Mühe, Lawrenti Pawlowitsch. Ich komme
- absichtlich nur auf eine Minute zu Ihnen; ich habe den Wagen Ihres Herrn
- gesehen und erfahren, daß er nicht zu Hause ist.
- Der Hausmeister. Daran haben Sie sehr wohl getan. Ich und meine Frau
- werden uns sehr freuen. Bitte, setzen Sie sich doch.
- Anuschka (setzt sich). Sagen Sie, Sie wissen doch etwas von dem Ball,
- der in den nächsten Tagen stattfinden soll?
- Der Hausmeister. Natürlich. Sehen Sie wohl, es war beispielsweise eine
- Kollekte veranstaltet: ein Mensch gibt etwas, und ein anderer gibt
- etwas, und wie gesagt, ein dritter ... Natürlich wird das sozusagen eine
- größere Summe ausmachen. Ich und meine Frau haben zusammen fünf Rubel
- gegeben. Natürlich: es ist doch ein Ball! Oder wie man zu sagen pflegt:
- eine Soiree! Es wird auch was vorgesetzt werden, wie gesagt,
- Erfrischungen und für die jungen Leute Tänze und Vergnügungen ähnlicher
- Art.
- Anuschka. Ich werde unbedingt kommen, unbedingt. Ich bin nur
- hergekommen, um zu erfahren, ob Sie und Agafja Iwanowna da sein werden.
- Der Hausmeister. Agafja Iwanowna spricht von nichts anderem als von
- Ihnen.
- Anuschka. Ich fürchte mich nur wegen der Gesellschaft.
- Der Hausmeister. Nein, Anna Gawrilowna, die Gesellschaft wird sehr gut
- sein. Ich kann es nicht mit Sicherheit sagen, aber ich habe gehört, daß
- der Kammerdiener des Fürsten Tolstogub, der Büfettier und der Kutscher
- des Fürsten Brjuchowezki und das Stubenmädchen irgendeiner Fürstin da
- sein werden. Ich hoffe, daß auch einige Beamte kommen werden.
- Anuschka. Nur eins gefällt mir gar nicht, daß auch die Kutscher da sein
- werden. Sie riechen immer nach schlechtem Tabak oder Wodka; und dabei
- sind sie alle so ungebildet und haben schlechte Manieren.
- Der Hausmeister. Erlauben Sie mir Ihnen zu sagen, Anna Gawrilowna, daß
- es Kutscher und Kutscher gibt. Das ist natürlich richtig: die Kutscher
- haben ununterbrochen mit den Pferden zu tun und manchmal müssen sie, mit
- Verlaub zu sagen, sogar den Dung auskehren; gewiß, so ein einfacher
- Mensch -- der trinkt ab und zu ein Glas Wodka und manchmal auch mehr,
- raucht gewöhnlich Bakun, wie es das einfache Volk meistenteils zu tun
- pflegt, und so ist es ja natürlich, daß er manchmal beispielsweise nach
- Dung oder Wodka stinkt -- gewiß, das stimmt. Aber das müssen Sie doch
- selbst sagen, Anna Gawrilowna, daß es auch Kutscher gibt, die zwar
- Kutscher sind -- die man aber nach ihren Gewohnheiten eher Stallbeamte
- als Kutscher nennen möchte. Ihr Amt oder ihre Obliegenheit sozusagen
- besteht darin, daß sie Hafer herausgeben oder einem Vorreiter oder
- Kutscher eine Zurechtweisung erteilen, wenn sie sich was zuschulden
- kommen lassen.
- Anuschka. Wie Sie schön reden können, Lawrenti Pawlowitsch, ich bin
- immer ganz hingerissen.
- Der Hausmeister (mit einem zufriedenen Lächeln). Oh, keine Ursache zu
- danken, Gnädigste! Gewiß, nicht jeder Mensch kann reden, nicht jeder hat
- sozusagen die Gabe des Wortes. Natürlich kommt es vor ... daß einer, wie
- man zu sagen pflegt, nur stammelt ... oder andere Fälle ähnlicher Art
- ... was ja allerdings eine natürliche Anlage ist ... Aber belieben Sie
- nicht, in mein Zimmer zu kommen? (Anuschka geht ab, Lawrenti Pawlowitsch
- folgt ihr.)
- Fragment
- Ein Zimmer im Hause Maria Alexandrownas.
- 1. Auftritt
- Maria Alexandrowna, eine Dame mittleren Alters, und Michailo
- Andrejewitsch, ihr Sohn.
- Maria Alexandrowna. Hör, Mischa, ich wollte schon längst mit dir
- sprechen: du mußt deinen Dienst wechseln.
- Mischa. Meinetwegen morgen.
- Maria Alexandrowna. Du mußt zum Militär.
- Mischa (reißt die Augen auf). Zum Militär?
- Maria Alexandrowna. Ja.
- Mischa. Was sagen Sie, Mamachen, zum Militär?
- Maria Alexandrowna. Warum bist du so erstaunt?
- Mischa. Aber ich bitte Sie -- wissen Sie denn nicht: man muß doch mit
- dem Junker anfangen!
- Maria Alexandrowna. Nun ja, du wirst ein Jahr als Junker dienen, und
- dann wirst du Offizier werden -- laß das nur meine Sorge sein.
- Mischa. Aber was finden Sie Militärisches an mir? Auch meine Figur ist
- doch gar nicht militärisch. Ich bitte Sie, Mütterchen, wahrhaftig, Sie
- haben mich mit diesen Worten so überrascht, daß ich ... ich ... ich weiß
- einfach nicht, was ich davon denken soll. Ich bin Gott sei Dank ein
- wenig dick, und wenn ich noch die Junkeruniform mit den kurzen Schößen
- anziehen soll, werde ich mich schämen, mich anzusehen.
- Maria Alexandrowna. Tut nichts. Man wird dich zum Offizier ernennen, und
- du wirst eine Uniform mit langen Rockschößen tragen, die deinen
- Embonpoint gänzlich verdecken wird, so daß man nichts davon merkt. Es
- ist sogar besser, daß du ein wenig beleibt bist -- um so eher wird die
- Beförderung kommen: sie werden sich ja schämen, daß es in ihrem Regiment
- so einen dicken Fähnrich gibt.
- Mischa. Aber Mutterchen, ich habe ja nur noch ein Jahr bis zum
- Kollegienassessor. Ich bin schon zwei Jahr lang Titularrat.
- Maria Alexandrowna. Hör auf, hör auf! Dieses Wort »Titular« peinigt
- meine Ohren; mir kommt immer gleich Gott weiß was dabei in den Sinn. Ich
- will, daß mein Sohn in der Garde dient, ich kann diese Garnitur jetzt
- einfach nicht mehr ansehen.
- Mischa. Aber Mutterchen, bedenken Sie: sehen Sie mich einmal gut an,
- auch mein Äußeres. Schon in der Schule nannte man mich eine Schlafmütze.
- Beim Militär ist es doch immer notwendig, daß man mutig auf seinem Gaul
- sitzt, eine klangvolle Stimme, einen heldenhaften Wuchs und eine
- schlanke Taille hat.
- Maria Alexandrowna. Das wirst du schon haben, das wirst du schon alles
- haben. Ich wünsche unbedingt, daß du dienst. Und es gibt einen wichtigen
- Grund dafür.
- Mischa. Was für einen Grund?
- Maria Alexandrowna. Nun -- einen wichtigen Grund.
- Mischa. Immerhin können Sie mir doch sagen, was für ein Grund das ist.
- Maria Alexandrowna. Ach, ich habe meinen Grund -- ich weiß auch gar
- nicht, ob du das richtig verstehen wirst. Die Gubomasowa, diese Närrin,
- sagte vorgestern bei den Rogoschinskis -- und zwar absichtlich, damit
- ich's hören sollte -- ich saß als dritte in der Reihe: vor mir saß Sofia
- Wotruschkow, die Fürstin Alexandrin und nach der Fürstin Alexandrin
- gleich ich -- und was glaubst du wagte diese abscheuliche Person zu
- sagen? ... Wahrhaftig, ich wollte mich schon von meinem Platze erheben
- und wenn nicht die Fürstin Alexandrin dagewesen wäre, weiß ich nicht,
- was ich getan hätte. Denk dir, sie sagte: »Ich bin sehr froh, daß man
- keine Zivilisten zu den Hofbällen zuläßt, die sind alle« sagte sie,
- »_mauvais genre_, sie riechen nach etwas Unvornehmen. Ich bin froh,«
- sagte sie weiter, »daß mein Alexis keinen solchen ekelhaften Frack
- trägt«. Und das alles sagte sie so geziert, in so einem Ton, so ...
- wahrhaftig, ich weiß nicht, was ich getan hätte. Und dabei ist ihr Sohn
- doch einfach ein Trottel, der nichts kann, als die Beine in die Höhe
- heben. So ein abscheuliches Frauenzimmer!
- Mischa. Was, Mütterchen, das ist der ganze Grund?
- Maria Alexandrowna. Ja, jetzt will ich es erst recht haben, ihr zum
- Trotz -- daß mein Sohn bei der Garde dient und alle Hofbälle besucht.
- Mischa. Aber Mütterchen, ich bitte Sie: -- einzig weil sie eine Närrin
- ist ...?
- Maria Alexandrowna. Nein, ich bin fest entschlossen: sie soll vor Ärger
- platzen, sie soll wütend sein.
- Mischa. Aber ...
- Maria Alexandrowna. Oho, ich werde es ihr schon zeigen! Sie mag tun was
- sie will: ich werde alle meine Kräfte anstrengen, und mein Sohn wird
- auch in der Garde dienen. Wenn er auch etwas dadurch verliert -- er wird
- unbedingt dort dienen. Soll ich jedem ekelhaften Frauenzimmer gestatten,
- sich vor mir aufzublasen und ihre Stumpfnase noch höher zu tragen? Nein,
- nie wird das geschehen! Sie können machen, was Sie wollen, Natalia
- Andrejewna!
- Mischa. Aber werden Sie sie damit auch ärgern?
- Maria Alexandrowna. Nein, ich werde das nie zugeben!
- Mischa. Gut, wenn Sie es verlangen, werde ich mich zum Militär versetzen
- lassen; aber wahrhaftig, es wird mir selbst lächerlich vorkommen, wenn
- ich mich in der Uniform sehen werde.
- Maria Alexandrowna. Mindestens ist sie noch vornehmer als dieses
- Fräckchen. Und nun etwas anderes: ich will dich verheiraten.
- Mischa. Wie, alles auf einmal? Ich soll den Dienst wechseln und mich
- außerdem noch verheiraten?
- Maria Alexandrowna. Nun und was ist dabei? Als ob es nicht möglich ist,
- daß man den Dienst wechselt und zugleich heiratet.
- Mischa. Aber ich hatte ja gar nicht die Absicht. Ich will noch nicht
- heiraten.
- Maria Alexandrowna. Du wirst schon wollen, wenn du erst erfährst, wen.
- Mit dieser Heirat wirst du dein Glück machen: sowohl im Dienst wie in
- der Familie. Mit einem Wort: ich will dich mit der Fürstin
- Schlepochwostow verheiraten.
- Mischa. Aber Mütterchen, das ist ja eine Gans allerersten Ranges.
- Maria Alexandrowna. Gar nicht ersten Ranges. -- Sie ist genau so eine
- wie alle andern. Ein ausgezeichnetes Mädchen, sie hat nur kein
- Gedächtnis: manchmal vergißt sie sich und sagt etwas Unpassendes; doch
- das ist nur Zerstreutheit, dafür klatscht sie nicht und sie wird sich
- nie etwas Schlimmes ausdenken.
- Mischa. Aber ich bitte Sie, wie sollte sie auch klatschen! Sie kann ja
- kaum ein Wort hervorbringen und wenn sie es tut, dann nur so, daß man
- die Hände ringen möchte. Sie wissen ja selbst, Mütterchen, das Heiraten
- ist eine Herzensangelegenheit, man muß die Seele ...
- Maria Alexandrowna. Nun ja! Als ob ich's geahnt habe! Höre, laß diesen
- liberalen Tonfall! Er paßt nicht zu dir, ich habe dir das schon
- zwanzigmal gesagt. Anderen mag er vielleicht liegen, aber dich kleidet
- er schon gar nicht.
- Mischa. Mütterchen, war ich Ihnen je ungehorsam? Ich bin schon bald
- dreißig Jahre alt, und ich gehorche Ihnen in allem wie ein Kind. Sie
- befehlen mir irgendwohin zu fahren, wohin ich in den Tod nicht fahren
- möchte -- und ich tue es, ohne Ihnen auch nur zu zeigen, wie schwer es
- mir fällt. Sie befehlen mir, mich im Vorzimmer des Herrn Soundso
- herumzudrücken, und ich drücke mich im Vorzimmer des Herrn Soundso
- herum, auch wenn es ganz gegen meine Wünsche ist. Sie befehlen mir, auf
- den Bällen herumzutanzen -- und ich tanze, trotzdem alle über mich und
- meine Figur lachen. Schließlich befehlen Sie mir den Dienst zu wechseln:
- und ich wechsle den Dienst, mit dreißig Jahren werde ich Junker, werde
- mit dreißig Jahren gleichsam von neuem geboren wie ein Kind -- alles
- Ihnen zuliebe, und dabei reiben Sie mir jeden Tag den Liberalismus unter
- die Nase. Es vergeht kein Moment, wo Sie mich nicht einen Liberalen
- nennen. Hören Sie, Mütterchen, das schmerzt -- ich schwöre Ihnen, das
- schmerzt. Ich habe doch wohl für meine aufrichtige Liebe und
- Anhänglichkeit an Sie mehr verdient, als ...
- Maria Alexandrowna. Bitte, sprich nicht so. Als ob ich nicht weiß, daß
- du ein Liberaler bist! Ich weiß sogar, wer dir dies alles eingeredet
- hat: das kommt alles von diesem widerlichen Sobatschkin.
- Mischa. Nein, Mütterchen, das ist zu viel, nun soll ich auch noch
- Sobatschkin folgen. Sobatschkin ist ein Lump, ein Spieler und alles, was
- Sie wollen. Aber daran ist er unschuldig. Ich werde ihm niemals
- erlauben, auch nur einen Schatten von Einfluß auf mich zu haben.
- Maria Alexandrowna. Ach mein Gott, was ist das für ein furchtbarer
- Mensch! Ich erschrak förmlich, als ich ihn durchschaute. Ohne alle
- Grundsätze, ohne Tugenden -- was für ein abscheulicher Mensch! Wenn du
- wüßtest, was er für Gerüchte über mich verbreitet hat! ... Drei Monate
- konnte ich mein Gesicht nirgends sehen lassen. Talgstümpfe soll man bei
- mir brennen! Wochenlang sollen die Teppiche in den Zimmern nicht mit der
- Bürste berührt werden! Die Pferde seien bei mir mit einfachen Stricken
- angeschirrt, und ich soll so spazieren gefahren sein: mit einem Kummet,
- wie bei einem gewöhnlichen Droschkengaul ... Ich wurde ganz rot vor
- Scham; über eine Woche bin ich nicht ausgegangen, ich weiß gar nicht,
- wie ich das alles überstehen konnte. Wahrhaftig, nur der Glaube an die
- Vorsehung hat mich noch aufrecht erhalten!
- Mischa. Und Sie glauben, daß so ein Mensch Macht über mich gewinnen
- könnte? Sie glauben, ich würde erlauben, daß er ...
- Maria Alexandrowna. Ich habe ihm gesagt, daß er es nicht wagen soll,
- sich vor meinen Augen zu zeigen, und es gibt nur ein Mittel, mit dem du
- dich rechtfertigen kannst: daß du jetzt deinen Trotz aufgibst und noch
- heute der Fürstin eine Deklaration machst.
- Mischa. Aber Mütterchen, wenn das nicht möglich ist?
- Maria Alexandrowna. Wieso ist das nicht möglich, wieso nicht?
- Mischa (beiseite). Ein entscheidender Augenblick. (Laut.) Gestatten Sie
- mir, mindestens hier meine eigene Meinung zu haben, mindestens in einer
- Angelegenheit, von der das Glück meines zukünftigen Lebens abhängt. Sie
- haben mich bis jetzt nicht gefragt -- aber wenn ich nun in eine andere
- verliebt wäre?
- Maria Alexandrowna. Das ist ja etwas ganz neues für mich, ich muß
- gestehen, davon habe ich noch nichts gehört. Nun, und wer ist diese
- andere?
- Mischa. Ach Mütterchen, ich schwöre dir, nie hat es ein ähnliches Wesen
- gegeben. Sie ist ein Engel: ein Engel an Leib und Seele.
- Maria Alexandrowna. Und wo ist sie her? Wer ist ihr Vater?
- Mischa. Ihr Vater ist Alexander Alexandrowitsch Odossimow.
- Maria Alexandrowna. Odossimow? Der Name ist mir unbekannt. Ich weiß von
- keinem Odossimow ... Ist er ein reicher Mann?
- Mischa. Ein seltener Mensch! Ein merkwürdiger Mensch!
- Maria Alexandrowna. Und ist er reich?
- Mischa. Was soll ich Ihnen sagen! Sie müssen ihn selbst sehen! Solche
- seelischen Vorzüge, wie er sie hat, gibt es auf der ganzen Welt nicht
- wieder.
- Maria Alexandrowna. Aber was ist er? Wer ist es? Was ist sein Rang? Wie
- groß ist sein Vermögen?
- Mischa. Ich verstehe, was Sie meinen, Mütterchen. Gestatten Sie mir,
- Ihnen meine Gedanken offen darzulegen. Wie auch die Verhältnisse sein
- mögen -- es gibt jetzt in Rußland keinen Bräutigam, der nicht eine
- reiche Braut sucht. Jeder will seine Lage mit Hilfe der Mitgift seiner
- Frau verbessern. Das mag ja unter gewissen Verhältnissen verzeihlich
- sein: ich begreife, daß ein Mann, der im Dienste oder anderswo einen
- Mißerfolg gehabt hat, den vielleicht übermäßige Ehrlichkeit daran
- gehindert hat, sich ein Vermögen zu erwerben -- kurz, was der Grund auch
- sein mag, -- daß der ein Recht hat, sich eine reiche Braut zu suchen.
- Und vielleicht wären die Eltern ungerecht, die seine guten Eigenschaften
- nicht anerkennen und ihm ihre Tochter nicht zur Frau geben würden. Aber
- sagen Sie selbst: würde ein begüterter Mann gerecht handeln, der sich
- eine reiche Braut suchen wollte? Was sollte dann aus der Welt werden?
- Das ist doch ebenso, als wollte einer einen Mantel über seinen Pelz
- anziehen, wenn ihm schon ohnedies warm genug ist ... während dieser
- Mantel vielleicht jemand anderem die Schultern wärmen könnte. Nein,
- Mütterchen, das ist unrecht! Der Vater hat sein ganzes Vermögen der
- Erziehung seiner Tochter geopfert.
- Maria Alexandrowna. Genug! Genug! Ich bin nicht imstande, mehr zu hören!
- Ich weiß schon alles -- alles! Da hat er sich in eine Vagabundin
- verliebt, in die Tochter irgendeines Fourieurs, der vielleicht Gott weiß
- was treibt.
- Mischa. Mütterchen ...
- Maria Alexandrowna. Der Vater ist ein Säufer, die Mutter eine Köchin,
- und die Verwandtschaft besteht aus kleinen Polizeibeamten und
- Branntweinverkäufern! ... Und das alles muß ich mit anhören, muß das
- alles ertragen ... ertragen von dem eigenen Sohn, für den ich mein Leben
- nicht geschont habe! ... Nein, das werde ich nicht überleben!
- Mischa. Aber Mütterchen, erlauben Sie ...
- Maria Alexandrowna. Mein Gott, was für eine Moral haben denn die jungen
- Leute jetzt nur! Nein, das werde ich nie überleben, ich schwöre es dir,
- das werde ich nicht überleben ... Ah, wie wird mir, mir wird ganz
- schwindlig im Kopf. (Schreit auf.) Ach, ich habe Stiche in der Seite!
- ... Maschka! Maschka! Das Fläschchen! ... Ich weiß nicht, ob ich den
- Abend noch erleben werde! Grausamer Sohn!
- Mischa (eilt auf sie zu). Mütterchen, beruhigen Sie sich. Sie schaden
- sich nur ...
- Maria Alexandrowna. Und das alles hat dieser widerliche Sobatschkin
- angerichtet. Ah, ich weiß nicht, warum ich diese Pest bis jetzt noch
- nicht davongejagt habe.
- Der Lakai (in der Tür). Sobatschkin ist gekommen.
- Maria Alexandrowna. Was! Sobatschkin? Schickt ihn fort! Fortschicken,
- daß keine Spur mehr von ihm übrig bleibt!
- 2. Auftritt
- Dieselben und Sobatschkin.
- Sobatschkin. Maria Alexandrowna, seien Sie großmütig und verzeihen Sie
- mir, daß ich so lange nicht bei Ihnen gewesen bin. Aber bei Gott, es war
- mir unmöglich. Sie können sich gar nicht denken, wieviel Geschäfte ich
- zu erledigen habe ... ich wußte ja, daß Sie böse sein werden,
- wahrhaftig, ich wußte es ... (Er erblickt Mischa.) Guten Tag, Bruder,
- wie geht's dir?
- Maria Alexandrowna (beiseite). Ich finde einfach keine Worte. So ein
- Mensch! Und er entschuldigt sich noch, daß er so lange nicht hiergewesen
- ist!
- Sobatschkin. Ich freue mich, daß Sie so wohl und gesund sind, soweit man
- nach dem Aussehen urteilen kann. Und wie steht's mit der Gesundheit
- Ihres Herrn Bruders? Ich muß gestehen, daß ich ihn auch hier zu treffen
- hoffte.
- Maria Alexandrowna. Da hätten Sie doch ihn aufsuchen sollen und nicht
- mich.
- Sobatschkin (lächelt). Ich bin gerade zu Ihnen gekommen, um Ihnen eine
- höchst interessante Anekdote zu erzählen.
- Maria Alexandrowna. Ich liebe die Anekdoten nicht.
- Sobatschkin. -- Von Natalia Andrejewna Gubomasowa.
- Maria Alexandrowna. Was? Von der Gubomasowa? ... (Bemüht sich ihre
- Neugier zu verbergen.) Dann ist es wohl erst vor kurzem passiert?
- Sobatschkin. In diesen Tagen.
- Maria Alexandrowna. Um was handelt es sich denn?
- Sobatschkin. Wissen Sie, daß sie ihre Mädchen eigenhändig prügelt?
- Maria Alexandrowna. Nein! Was Sie sagen! Oh, was für eine Schande! Ist
- es nur möglich?
- Sobatschkin. Ich schwöre es Ihnen, erlauben Sie mir, Ihnen den Hergang
- zu erzählen. Eines Tages befiehlt sie einem Mädchen, das sich irgend
- etwas hatte zuschulden kommen lassen, sich so, wie es sich gehört, aufs
- Bett zu legen. Sie selbst geht in ein anderes Zimmer -- ich kann mich
- nicht mehr erinnern warum, aber ich glaube, um eine Rute zu holen.
- Inzwischen verläßt das Mädchen aus irgendeinem Grunde das Zimmer. Statt
- ihrer kommt Natalia Andrejewnas Mann hinein, legt sich aufs Bett und
- schläft ein. Natalia Andrejewna erscheint also mit der Rute, befiehlt
- einem Mädchen, sich dem auf dem Bett Liegenden auf die Füße zu setzen,
- deckt einen Lappen über ihn -- und prügelt ihren eigenen Mann durch.
- Maria Alexandrowna (schlägt die Hände zusammen). Mein Gott, welche
- Schande! Wie habe ich bis jetzt nur nichts davon erfahren? Aber ich muß
- Ihnen gestehen, ich war immer davon überzeugt, daß sie zu so etwas fähig
- sei.
- Sobatschkin. Selbstverständlich. Ich habe es schon in aller Welt
- erzählt. Und da sagt man nun: dies Musterweib! Sie sitzt in ihrem Haus,
- beschäftigt sich mit der Erziehung ihrer Kinder und bringt ihnen selbst
- englisch bei! ... Eine schöne Erziehung! Jeden Tag prügelt sie ihren
- Mann durch wie eine Katze! ... Wahrhaftig, es tut mir leid, aber ich
- kann nicht länger bei Ihnen bleiben. (Verbeugt sich.)
- Maria Alexandrowna. Warum haben Sie es so eilig, Andrej Kondratjewitsch?
- Schämen Sie sich nicht, nachdem Sie so lange nicht bei mir gewesen sind?
- ... Ich war immer gewöhnt, Sie als Freund des Hauses zu betrachten --
- bleiben Sie doch! Ich wollte noch mit Ihnen über etwas sprechen. Hör mal
- Mischa, der Wagenbauer wartet in meinem Zimmer auf mich: bitte sprich du
- mit ihm. Frage ihn, ob er es übernehmen will, die Kutsche bis zum ersten
- wieder in Stand zu setzen. Er soll sie blau anstreichen, mit hellen
- Ornamenten -- in der Art wie die Kutsche der Gubomasowa. (Mischa
- entfernt sich.)
- Maria Alexandrowna. Ich habe meinen Sohn absichtlich weggeschickt, weil
- ich mit Ihnen allein reden will. Sagen Sie, wissen Sie etwas darüber, ob
- es hier irgendwo einen Alexander Alexandrowitsch Odossimow gibt?
- Sobatschkin. Odossimow? ... Odossimow ... Odossimow ... Ich weiß, daß es
- irgendwo einen Odossimow gibt ... aber ich kann mich ja genauer
- erkundigen.
- Maria Alexandrowna. Bitte.
- Sobatschkin. Ich erinnere mich ... Ja, ich erinnere mich, es gibt einen
- Odossimow, einen Tischvorsteher oder einen Abteilungschef ... ja, ja, es
- gibt so einen ...
- Maria Alexandrowna. Denken Sie nur, es ist da eine komische Geschichte
- passiert ... Sie könnten mir einen großen Dienst erweisen.
- Sobatschkin. Sie haben nur zu befehlen. Für Sie bin ich zu allem bereit:
- aber das wissen Sie ja selbst!
- Maria Alexandrowna. Es handelt sich um folgendes: Mein Sohn hat sich
- verliebt ... oder richtiger gesagt, es ist ihm eine wahnsinnige Idee in
- den Kopf gekommen ... nun, er ist ein junger Mensch ... mit einem Wort:
- er ist in die Tochter dieses Odossimow verliebt.
- Sobatschkin. Verliebt? Aber er hat mir doch nichts davon erzählt?
- Allerdings, wenn _Sie_ es sagen, wird er wohl verliebt sein.
- Maria Alexandrowna. Ich bitte Sie um einen großen Dienst, Andrej
- Kondratjewitsch ... Ich weiß, Sie gefallen den Frauen.
- Sobatschkin. He he he! Woher wissen Sie das? Aber wirklich, denken Sie
- sich nur: in der Fastnachtswoche haben sich sechs Kaufmannsfrauen ...
- vielleicht glauben Sie, daß ich ihnen meinerseits irgendwie ... etwa den
- Hof gemacht habe oder sonst was ... Ich schwöre Ihnen, nicht einmal
- angesehen habe ich sie! Ja noch mehr! Kennen Sie diesen -- wie heißt er
- nur gleich -- Jermolay? Jermolay ...? Mein Gott, Jermolay, der in der
- Litejnaja wohnte, unweit der Kirotschnaja?
- Maria Alexandrowna. Ich kenne dort niemanden.
- Sobatschkin. Mein Gott, Jermolay Iwanowitsch, glaub ich -- schlagen Sie
- mich tot, aber ich habe den Familiennamen vergessen. Seine Frau ist vor
- fünf Jahren in eine peinliche Geschichte verwickelt gewesen ... Sie
- kennen sie doch? .. Silphida Petrowna?
- Maria Alexandrowna. Durchaus nicht. Ich kenne weder einen Jermolay
- Iwanowitsch noch eine Silphida Petrowna.
- Sobatschkin. Mein Gott, der in der Nähe von Kuropatkin wohnte!
- Maria Alexandrowna. Ich kenne aber auch Ihren Kuropatkin nicht.
- Sobatschkin. Nun, Sie werden sich später daran erinnern. Also die
- Tochter ist fürchterlich reich. Bis zu zweimalhunderttausend Rubel
- Mitgift -- ohne jeden Schwindel! Noch vor der Hochzeit soll man den
- Lombardschein in den Händen haben ...
- Maria Alexandrowna. Nun, und Sie? Und da haben Sie sie nicht geheiratet?
- Sobatschkin. Nein! Drei Tage lang lag der Vater vor mir auf den Knien
- und flehte mich an. Die Tochter hat es nicht verwinden können und sitzt
- jetzt im Kloster.
- Maria Alexandrowna. Und warum haben Sie sie nicht geheiratet?
- Sobatschkin. Mein Gott ... Ich sagte mir: der Vater ist
- Branntweinpächter, und die Verwandtschaft -- lauter hergelaufene Leute
- ... Glauben Sie mir, später hat es mir wahrhaftig selbst leid getan. Bei
- Gott, hol's der Teufel! Wie diese Welt eingerichtet ist! Überall nichts
- wie Konventionen und Rücksichten! Wie viele hat das schon zugrunde
- gerichtet!
- Maria Alexandrowna. Und warum müssen Sie sich nach der Welt richten?
- (Beiseite.) Wahrhaftig, jetzt glaubt jedes emporgekommene Insekt, daß es
- ein Aristokrat ist. Der Mensch ist erst Titularrat, -- und man höre nur,
- wie er spricht!
- Sobatschkin. Nun ja, aber es ging nun einmal nicht, Maria Alexandrowna,
- wirklich, es ging nicht ... Sie verstehen, da hätte man gesagt: »Aha,
- weiß der Teufel, wen er geheiratet hat ...« Allerdings passieren mir
- fortwährend solche Geschichten. Manchmal habe ich wirklich keine Schuld,
- von meiner Seite ist durchaus nichts geschehen, aber was soll man
- machen? (Spricht leise vor sich hin.) Dann findet man, wenn die Newa
- aufgeht, immer zwei bis drei ertrunkene Frauen -- ich schweige lieber
- davon, weil man sonst noch in allerlei Geschichten verwickelt wird ...
- Ja, man liebt mich -- und warum, frage ich? Man kann doch nicht sagen,
- daß mein Gesicht so sehr ...
- Maria Alexandrowna. Hören Sie auf! Als ob Sie nicht selbst wüßten, daß
- Sie ein schöner Mann sind.
- Sobatschkin (lächelt). Stellen Sie sich nur vor: schon als ich noch ein
- Knabe war, ging keine an mir vorüber, ohne mich mit dem Finger am Kinn
- zu fassen und zu sagen: »Oh, wie schön dieser Schelm ist!«
- Maria Alexandrowna (beiseite). Ich bitte! ... Von wegen der Schönheit --
- das ist doch ein richtiger Mops! Und das bildet sich ein, daß es schön
- sei! (Laut.) Nun, dann hören Sie, Andrej Kondratjewitsch, bei Ihrem
- Äußeren wird das leicht zu machen sein. Mein Sohn ist bis zur Narrheit
- in das Mädchen verliebt und redet sich ein, daß sie die wahrhafte Güte
- und Unschuld ist. Wissen Sie, wäre es nun nicht möglich, ihm das Mädchen
- auf irgendeine Art in einem anderen Lichte erscheinen zu lassen? Sie
- sozusagen ein bißchen herabzusetzen? ... Wenn auch Sie keinen Eindruck
- auf sie machen, so daß sie sich in Sie vergafft ...
- Sobatschkin. Seien Sie überzeugt, Maria Alexandrowna, streiten Sie
- nicht! Sie wird es: ich lasse mir den Kopf abschlagen, wenn sie sich
- nicht in mich verliebt. Oh, Maria Alexandrowna, lassen Sie mich Ihnen
- erzählen, mir passierten schon andere Geschichten ... erst in diesen
- Tagen ...
- Maria Alexandrowna. Wie es auch enden mag -- ob sie sich nun vernarrt
- oder nicht: es ist nur notwendig, daß sich in der Stadt das Gerücht
- verbreitet, Sie hätten ein Verhältnis mit ihr ... und daß mein Sohn es
- erfährt.
- Sobatschkin. Ihr Sohn?
- Maria Alexandrowna. Jawohl, mein Sohn.
- Sobatschkin. Hm.
- Maria Alexandrowna. Was -- hm?
- Sobatschkin. Oh, nichts. Ich machte nur so: hm.
- Maria Alexandrowna. Sie finden vielleicht, daß es zu schwierig für Sie
- ist?
- Sobatschkin. Oh, nein, gar nicht. Aber diese Verliebten ... Sie glauben
- gar nicht, zu welch sinnlosen Dingen und unpassenden Kindereien sie sich
- hinreißen lassen: bald sind es Pistolen, bald ... weiß der Teufel, was.
- Nicht etwa, daß mich das irgendwie ... aber wissen Sie, es schickt sich
- nicht in der guten Gesellschaft.
- Maria Alexandrowna. Oh! Was das betrifft, da seien Sie ganz ruhig.
- Verlassen Sie sich nur auf mich -- das werde ich schon nicht zulassen.
- Sobatschkin. Übrigens war das nur eine Nebenbemerkung. Glauben Sie mir,
- Maria Alexandrowna, wenn es sich darum handelte, mein Leben für Sie aufs
- Spiel zu setzen: bei Gott, ich würde es mit Vergnügen tun! Ich liebe Sie
- so sehr, daß es mir, um die Wahrheit zu sagen, fast etwas peinlich ist:
- sie mögen Gott weiß was glauben, und doch ist es nur tiefe Verehrung. --
- Ach ja, ausgezeichnet, daß ich mich daran erinnere! Ich wollte Sie
- bitten, Maria Alexandrowna, mir auf kurze Zeit zweitausend Rubel zu
- leihen. Weiß der Teufel, was ich für ein idiotisches Gedächtnis habe!
- Als ich mich anzog, habe ich immerfort daran gedacht: nur die
- Brieftasche nicht vergessen! Ich lege sie absichtlich auf den Tisch,
- gerade vor meine Augen. Und nun hab' ich alles mitgenommen, hab' die
- Tabaksdose mitgenommen und ein zweites Taschentuch -- nur die
- Brieftasche ist auf dem Tisch liegen geblieben.
- Maria Alexandrowna (beiseite). Was soll ich mit ihm machen? Gebe ich ihm
- das Geld, so wird er mich vollends auspressen, gebe ich's ihm nicht, so
- wird er in der ganzen Stadt solch einen Unsinn über mich verbreiten, daß
- ich mein Gesicht nirgends sehen lassen kann. Das beste ist, daß er noch
- behauptet, die Brieftasche vergessen zu haben! Die Brieftasche hast du
- bei dir, das weiß ich genau, aber sie ist leer. Doch was soll ich machen
- -- man muß ihm das Geld geben. (Laut.) Bitte, Andrej Kondratjewitsch,
- warten Sie hier, ich werde es Ihnen gleich bringen.
- Sobatschkin. Sehr schön, ich werde mich ein Weilchen hersetzen.
- Maria Alexandrowna (während sie weggeht, beiseite). Ohne Geld wird der
- Lump ja doch nichts machen.
- Sobatschkin (allein). Diese Zweitausend kann ich gerade ausgezeichnet
- gebrauchen. Meine Schulden werde ich davon allerdings nicht bezahlen:
- der Schuster kann warten, der Schneider kann warten, und Anna Iwanowna
- kann auch warten: sie wird natürlich wieder Lärm schlagen, aber was soll
- ich machen? Ich kann doch nicht überall mit dem Gelde um mich werfen!
- Sie hat an meiner Liebe genug, und was das Kleid betrifft -- da lügt
- sie, das _hat_ sie! ... Ich werde es so machen: nächstens wird ein Fest
- stattfinden, und wenn mein Wägelchen auch noch neu ist, so kennt es doch
- jeder und hat es schon gesehen. Aber ich höre, daß Jochim soeben mit
- einem Wagen fertig geworden ist, der ganz nach der letzten Mode gebaut
- ist und den er noch niemandem gezeigt hat. Wenn ich diese Zweitausend
- noch zu meinem Wagen hinzulege, so werde ich ihn sehr gut dafür
- eintauschen können. Ah, wissen Sie, das wird Effekt machen! ... Auf dem
- ganzen Fest werden höchstens ein oder zwei solche Wagen zu sehen sein.
- Überall wird man dann von mir sprechen ... Inzwischen muß ich allerdings
- über Maria Alexandrownas Auftrag nachdenken. Mir scheint, daß es das
- Vernünftigste ist, wenn ich mit Liebesbriefen beginne. Wie, wenn ich
- etwa einen Brief in ihrem Namen schriebe und ihn zufällig in seiner
- Gegenwart fallen ließe oder ihn auf dem Tisch in seinem Zimmer vergesse?
- Gewiß, es kann allerlei Böses dabei herauskommen. Nun und das wäre?
- Schlimmstenfalls kann es Schläge geben ... Schläge tun natürlich weh,
- aber doch nicht so, daß man ... Außerdem kann ich ja auch davonlaufen;
- und wenn es irgendwie gefährlich wird -- laufe ich geradezu in das
- Schlafzimmer Maria Alexandrownas und zwar direkt unter ihr Bett. Mag er
- mich doch dort hervorholen! Die Hauptsache ist, wie der Brief
- geschrieben werden muß! Ich kann in den Tod keine Briefe schreiben: das
- ist mein Ende! Der Teufel weiß warum! Im Gespräch könnte ich alles,
- scheint mir, sehr schön auseinandersetzen; aber sowie ich die Feder
- anfasse, so ist es mir, als ob mir jemand eine Ohrfeige gegeben hätte.
- Konfusion und nichts als Konfusion -- ich kann die Hand nicht bewegen,
- und alles ist aus ... Vielleicht geht's so: Ich habe noch einige Briefe,
- die vor kurzem an mich geschrieben worden sind; wenn ich einen von den
- besseren aussuchte, den Namen wegradierte und einen andern an seine
- Stelle setzte? Hm -- das ist wirklich nicht übel? Bei Gott, ich werde
- mal in meinen Taschen nachsehen, ob ich nicht einen finde, den ich
- brauchen kann. (Nimmt ein paar Briefe aus der Tasche.) Zum Beispiel
- dieser! (Liest.) »Ich bin Gottseidank gesund, aber ich werde krank vor
- Schmerz. Oder haben Sie mich ganz vergessen, mein Herzchen? Iwan
- Danilowitsch hat Sie im Teater gesehen, mein Herzchen -- ach, wären Sie
- doch zu mir gekommen und hätten Sie mich durch Ihre heiteren Gespreche
- beruhigt.« Hol's der Teufel, ich glaube die Orthographie stimmt nicht.
- Nein, mit dem läßt sich keine Falle legen, glaube ich. (Liest weiter.)
- »Ich habe ein Strumpfband für Sie gestickt, mein Herzchen.« Und jetzt
- wird sie zärtlich. Etwas reichlich bukolisch und schmeckt nach
- Chateaubriand. Ah, hier ist noch etwas, vielleicht findet sich etwas
- Besseres darunter! (Faltet einen Brief auseinander, kneift ein Auge zu
- und bemüht sich, ihn zu entziffern.) »Lie-bens-wür-di-ger Freund!« Nein,
- das heißt nicht liebenswürdiger Freund: aber wie heißt es denn nur?
- »Zärtlichster, Teuerster?« Nein, auch nicht Teuerster, nein, nein.
- (Liest.) »Lu-lu-lu-mp.« Hm. (Beißt die Lippen zusammen.) »Wenn du
- verräterischer Räuber meiner Unschuld, wenn du dem Krämer das Geld, das
- ich in der Unerfahrenheit meiner Seele für dich geborgt habe, nicht
- bezahlst, werde ich dich, du ekelhafte Fratze (das letzte Wort preßt er
- beinahe zwischen den Zähnen hervor) ... der Polizei anzeigen!« Der
- Teufel soll sie holen, wahrhaftig, der Teufel soll sie holen! Es steht
- doch wirklich garnichts in diesem Brief. Gewiß: man kann alles sagen,
- aber man muß es doch anständig ausdrücken; in Worten, die einen Menschen
- nicht verletzen. Nein, nein, ich sehe, alle diese Briefe sind nicht
- geeignet. Man muß etwas Kräftiges suchen, etwas, worin etwas wie
- Siedehitze, wie man zu sagen pflegt -- zu spüren ist. Ah, hier, hier --
- sehen wir uns mal das an! (Liest.) »Grausamer Tyrann meiner Seele!« Aha,
- das ist gut. »Laß dich durch mein Herzensschicksal rühren!« Sehr edel!
- Bei Gott, sehr edel! Da spürt man doch die Erziehung! Man sieht gleich,
- wie sich jemand benimmt. So muß man schreiben: empfindsam und doch wird
- der Mensch nicht beleidigt. Diesen Brief werde ich ihm zustecken. Weiter
- brauche ich ja gar nicht erst zu lesen: ich weiß nur nicht, wie man den
- Namen so ausradieren kann, daß nichts zu sehen ist. (Er blickt auf die
- Unterschrift.) Aha, das ist schön! Es steht gar kein Name darunter!
- Ausgezeichnet! Das kann ich unterschreiben! Nein, wie sich die Sache von
- selbst macht! -- Und dabei sagt man noch: das Äußere kommt nicht in
- Betracht! Wenn du nicht hübsch wärst, so würde man sich nicht in dich
- verlieben, so würde man dir keine Briefe schreiben, und hätte ich keine
- Briefe, so würde ich nicht wissen, wie ich die Geschichte anfangen soll.
- (Tritt vor den Spiegel.) Heut hab' ich mich noch ein bißchen gehen
- lassen: manchmal ist mir's sogar, als ob ich ein bedeutendes Gesicht
- habe ... Schade, daß meine Zähne schlecht sind, sonst hätte ich die
- größte Ähnlichkeit mit Fürst Bagration. Ich weiß nur nicht, wie ich mir
- den Backenbart stehen lassen soll: so, daß er ringsherum eine
- ausgesprochene Freese bildet -- wie mit Tuch benäht, wie man zu sagen
- pflegt -- oder ob ich alles kahl abrasieren und mir nur unter der Lippe
- etwas zulegen soll? Ah?
- Nach dem Theater
- (Epilog zu einer neuen Komödie.)
- Deutsch von Alexandra Ramm
- Der Vestibül des Theaters. Auf der einen Seite sieht man die
- Treppen, die zu den Logen und Gallerien emporführen; in der Mitte
- das Entree zu den Fauteuils und den Balkons, auf der anderen
- Seite den Ausgang. Man hört entferntes Applaudieren.
- Der Autor des Stücks[3] (tritt hinaus). Ich habe mich herausgewunden wie
- aus einem Sumpf. Nun ist er endlich da, der Lärm und der Beifall! Das
- ganze Theater dröhnt! Das ist der Ruhm. Gott, wie hätte mein Herz vor
- sieben, acht Jahren geklopft! Wie hätte es mich emporgehoben! Aber das
- liegt weit hinter mir. Damals war ich jung, kühn -- wie ein Jüngling.
- Gepriesen sei das Schicksal, das mich vor frühem Ruhm und Bewunderung
- bewahrt hat. Aber jetzt ... Die besonnene Kühle des Alters macht jeden
- weise. Endlich wird einem klar, daß der Beifall noch nicht viel bedeutet
- und daß er alle zu belohnen bereit ist: ob es ein Schauspieler ist, der
- die Geheimnisse der Seele und des menschlichen Herzens kennt, ein
- Tänzer, dem es gelungen ist, mit den Füßen künstliche Verschlingungen zu
- bilden, ein Gaukler -- alle umtost der Beifall. Ob es der grübelnde
- Verstand, das empfindende Herz, die tönende Tiefe der Seele, die
- kunstvoll bewegten Füße oder die gewandt mit Gläsern spielenden Hände
- sind -- auf sie alle plätschert der Beifall herab. Nein, nicht Beifall
- wünsche ich mir jetzt: ich wünschte in allen Logen zu sein, auf den
- Balkons, im Parkett, auf den Gallerien -- überall möchte ich sein und
- aller Meinungen und Eindrücke hören, solange sie noch keusch und frisch
- sind und sich noch nicht der Kritik der Kenner und Journalisten
- untergeordnet haben, solange jeder noch unter der Wirkung seines eigenen
- Urteils steht. Ich muß es wissen: denn ich bin ein Komödienschreiber.
- Alle anderen Werke und Kunstformen stehen unter dem Urteil Weniger, und
- nur der Komödienschreiber unterliegt dem Gericht Aller; jeder Zuschauer
- hat ein Anrecht auf ihn, und jeder Stand ist über ihn Richter. Oh! Wie
- ich wünschte, daß mir jeder Einzelne alle Unzulänglichkeiten und Fehler
- sagte! Mag er über mich lachen, mag Mißgunst seine Worte leiten,
- Parteilichkeit, Empörung, Haß, alles -- wenn nur die wahre Meinung
- gesagt wird. Es ist nicht möglich, daß ein Wort ohne Grund gesprochen
- wird, und aus allem kann ein Funke der Wahrheit aufblitzen. Wer es wagt,
- andern die lächerlichen Seiten der Welt zu zeigen, muß verständnisvoll
- die Hinweise auf seine eigenen Schwächen und Lächerlichkeiten hinnehmen.
- Ich will es versuchen, ich bleibe hier im Vorraum, während das Publikum
- das Theater verläßt. Es ist unmöglich, daß man nicht über das neue Stück
- spricht: die Menschen sind lebhafter unter der Wirkung des ersten
- Eindrucks und wollen ihre Meinungen austauschen. (Tritt zur Seite.)
- [Fußnote 3: Es versteht sich von selbst, daß der Autor des Stückes eine
- ideale Persönlichkeit ist: er verkörpert die Situation des
- Komödiendichters in der Gesellschaft, -- des Komikers, der sich die
- Verspottung der Mißbräuche in den verschiedenen Ämtern und Ständen zur
- Aufgabe gemacht hat.]
- Es erscheinen einige gutgekleidete Herrn (der eine spricht zum andern).
- Gehen wir lieber gleich, es wird nur noch ein unbedeutendes Vaudeville
- gespielt. (Beide entfernen sich.)
- (Zwei Elegants von stattlichem Äußeren kommen die Treppe herab.)
- Der erste Elegant. Es wäre gut, wenn die Polizei meinen Wagen nicht zu
- weit zurückgetrieben hätte. -- Weißt du nicht, wie diese junge
- Schauspielerin heißt?
- Der andere Elegant. Nein. Aber sie ist nicht übel.
- Der erste Elegant. Sicher, nicht übel. Aber es fehlt ihr etwas ... Ich
- empfehle dir übrigens ein neues Restaurant, gestern hat man uns frische
- grüne Erbsen serviert. (Küßt sich die Fingerspitzen.) Entzückend! (Beide
- entfernen sich.)
- Ein Offizier (läuft herein, ein anderer hält ihn am Arm fest).
- Der andere Offizier. Bleiben wir doch.
- Der erste Offizier. Nein, Brüderchen, zum Vaudeville wird mich nichts
- verlocken. Ah, wir kennen diese Stücke, die als Nachspeise serviert
- werden. Lakaien statt Schauspieler, und die Weiber -- ein Ungetüm über
- das andere! (Sie entfernen sich.)
- Ein Weltmann (stutzerhaft gekleidet, kommt die Treppe herunter). Ein
- Spitzbube, dieser Schneider. Er hat mir die Beinkleider so eng gemacht,
- daß ich die ganze Zeit vor Unbequemlichkeit kaum sitzen konnte. Dafür
- gedenke ich ihn noch etwas hinzuziehen und ihm die nächsten zwei
- Jährchen nichts zu bezahlen. (Er entfernt sich.)
- Ein anderer Weltmann (etwas beleibter, er spricht lebhaft zum andern).
- Niemals, niemals, glaube es mir, wird er sich mit dir zum Spielen
- hinsetzen. Weniger als hundertfünfzig Rubel den Robber spielt er nicht.
- Ich weiß es genau, weil mein Schwager Pafnutiew jeden Tag mit ihm
- spielt.
- Der Autor des Stückes (für sich). Und noch immer kein Wort über die
- Komödie!
- Ein Beamter (in mittleren Jahren, kommt mit ausgestreckten Händen
- heraus). Das ist ja einfach -- weiß der Teufel, was! ... So ein! ... So
- ein! ... Das ist doch unerhört! (Er entfernt sich.)
- Ein Herr (der sich um die Literatur nur wenig kümmert, wendet sich zu
- einem andern). Das ist doch eine Übersetzung, nicht wahr?
- Der andere. Aber ich bitte Sie, eine Übersetzung! Das Stück spielt doch
- in Rußland, es sind unsere Sitten, sogar unsere Titel.
- Der Herr (den die Literatur wenig kümmert). Ich erinnere mich an etwas
- Französisches ... wenn es auch nicht ganz in dieser Art war. (Beide
- entfernen sich.)
- Der eine von zwei Zuschauern (die sich auch hinausbegeben). Jetzt kann
- man noch nichts wissen. Warte ab, was die Zeitungen sagen, dann wirst du
- es erfahren.
- Zwei Pekeschen (die eine zu der andern). Nun, und Sie? Ich möchte Ihre
- Meinung über die Komödie hören.
- Die andere Pekesche (macht mit den Lippen eine bedeutsame Bewegung).
- Gewiß, natürlich, man kann nicht sagen, daß es daran ... fehlte ... sie
- ist in ihrer Art ... Natürlich, wer behauptet denn, daß es wiederum
- nicht ... und wo ist denn sozusagen ... übrigens aber ... (Drückt wie
- zur Bekräftigung die Lippen zusammen.) Ja, ja. (Gehen ab.)
- Der Autor (für sich). Nun, diese haben bisher noch nicht viel gesagt.
- Übrigens, es wird noch viel herumgestritten werden: Vorne sehe ich
- heftig gestikulierende Leute.
- Zwei Offiziere.
- Der eine. Ich habe noch nie so gelacht.
- Der andere. Ich meine: eine ausgezeichnete Komödie.
- Der eine. Nun, nun, wir wollen doch abwarten, was die Zeitungen sagen
- werden: erst muß sie dem Urteil der Kritik unterzogen werden ... Schau,
- schau! (Stößt ihn am Arm.)
- Der andere. Was?
- Der eine (zeigt mit dem Finger auf einen von zwei die Treppe
- herunterkommenden Herren). Ein Literat!
- Der andere (eilig). Wer?
- Der eine. Dieser da! St! Wir wollen hören, was sie sagen werden.
- Der andere. Und wer ist der andere neben ihm?
- Der eine. Ich weiß nicht, ein unbekannter Herr. (Beide Offiziere treten
- zur Seite, um den Herunterkommenden Platz zu machen.)
- Der unbekannte Herr. Ich kann über die literarischen Qualitäten nicht
- urteilen: aber mir scheint, sie enthält geistreiche Bemerkungen. Witzig,
- witzig!
- Der Literat. Aber ich bitte Sie, was ist hier Geistreiches? Was für ein
- gewöhnliches Volk hier vorgeführt wird! Und was für ein Ton! Die Späße
- sind flach; einfach schmierig!
- Der unbekannte Herr. Aha, das ist eine andere Sache. Ich sage eben: in
- bezug auf die literarischen Qualitäten habe ich kein Urteil; ich habe
- nur bemerkt, daß das Stück komisch ist und unterhält.
- Der Literat. Aber es ist auch nicht komisch. Ich bitte Sie, was ist hier
- komisch, und worin liegt der Genuß? Das Sujet: unmöglich! Alles Unsinn;
- kein Auftakt, keine Handlung, keine Struktur.
- Der unbekannte Herr. Nun ja, dagegen sage ich ja gar nichts. In
- literarischer Beziehung ist es schon so; in literarischer Beziehung ist
- sie nicht komisch, aber vom Standpunkt eines sozusagen Außenstehenden
- hat sie ...
- Der Literat. Ja, was hat sie? Ich bitte Sie, sie hat auch das nicht! Was
- für eine Konversation! Wer spricht so in der besseren Gesellschaft? Nun
- sagen Sie doch selbst, sprechen wir so miteinander?
- Der unbekannte Herr. Das ist allerdings wahr. Das haben Sie sehr fein
- bemerkt. Darüber habe ich eben auch selbst nachgedacht: in der
- Konversation ist keine Vornehmheit. Es scheint, daß alle Personen ihre
- niedrige Natur nicht verbergen können -- das ist wahr.
- Der Literat. Nun -- und Sie loben noch!
- Der unbekannte Herr. Wer lobt? Ich lobe doch nicht! Ich sehe es jetzt
- selbst ein, daß das ganze Stück Unsinn ist. Aber mit einemmal kann man
- das doch nicht einsehen, in literarischer Beziehung habe ich kein
- Urteil. (Beide entfernen sich.)
- Ein anderer Literat (kommt mit zwei Zuschauern, mit denen er unter
- heftigen Gestikulationen spricht). Glauben Sie mir, ich kenne die Sache
- schon. Ein abscheuliches Stück! Ein schmutziges, ein schmutziges Stück!
- Kein einziger wirklicher Mensch, lauter Karikaturen! In der Natur gibt
- es so etwas nicht, glauben Sie mir, ich weiß das besser: ich bin selbst
- Schriftsteller. Man behauptet, es enthält Frische, Beobachtung ... aber
- das ist ja alles Unsinn! Das sind alles Freunde, Freunde, die es loben
- -- alles Freunde! Ich habe schon gehört, man hat ihn neben die Von
- Wisins gestellt, und das Stück ist einfach nicht wert, eine Komödie zu
- heißen. Eine Farce, nichts als eine Farce, und keine gelungene Farce.
- Der schlechteste, leerste Schwank von Kotzebue ist im Vergleich mit ihr
- -- ein Montblanc gegen einen Pulkowoberg. Ich werde Ihnen das alles
- beweisen, mathematisch beweisen -- wie, daß zweimalzwei gleich vier ist.
- Die Freunde und Kameraden haben ihn so über alle Maßen gelobt, daß er
- wohl nun selbst glaubt, daß ihm nicht mehr viel zum Shakespeare fehlt.
- Bei uns übertreiben ja die Freunde immer. Zum Beispiel auch Puschkin!
- Warum spricht jetzt ganz Rußland von ihm? -- Alles nur die Freunde: sie
- haben geschrien und geschrien, und nach ihnen hat auch ganz Rußland zu
- schreien begonnen. (Entfernt sich mit den Zuschauern.)
- Die beiden Offiziere (treten hervor und nehmen ihre vorigen Plätze ein).
- Der erste. Das ist richtig, vollständig richtig: nichts als eine Farce;
- ich habe es schon früher gesagt, eine dumme Farce, die nur durch die
- Freunde gehalten wird. Ich muß gestehen, manches war geradezu ekelhaft
- anzuschauen.
- Der andere. Aber du sagtest doch, daß du nie so gelacht hättest!
- Der erste. Ah, das ist wieder eine andere Sache. Du verstehst mich
- nicht, man muß dir das auseinandersetzen. Was ist denn das für ein
- Stück? Erstens keine Exposition, auch keine Handlung, absolut keine
- Kombinationen; lauter Unmöglichkeiten -- und dazu lauter Karikaturen ...
- Zwei andere im Hintergrunde.
- Der eine (zum andern). Wer kritisiert da? Scheinbar einer von den
- Unseren.
- Der andere (schaut dem Sprechenden von der Seite ins Gesicht und macht
- eine Handbewegung).
- Der erste. Was? Ist er dumm?
- Der andere. Nein, das nicht. Verstand hat er schon -- doch erst nach dem
- Erscheinen der Zeitschrift, allein verspätet sie sich -- ist so nichts
- in seinem Kopfe. Aber gehen wir doch. (Sie entfernen sich.)
- (Zwei Kunstliebhaber.)
- Der erste. Ich gehöre durchaus nicht zu denen, die immer nur zu Worten
- greifen, wie schmutzig, ekelhaft, schlechter Ton und ähnliches. Das ist
- doch eine fast bewiesene Sache, daß solche Worte meist aus dem Munde
- solcher kommen, deren Ton selbst zweifelhaft ist; sie sprechen vom Salon
- und werden nur im Vorzimmer empfangen. Aber von denen ist ja nicht die
- Rede. Ich spreche davon, daß das Stück keine Exposition hat.
- Der andere. Ja, wenn man die Exposition in dem Sinne nimmt, wie sie
- gewöhnlich genommen wird, d. h. im Sinne einer Liebesintrige, so ist sie
- wirklich nicht vorhanden. Aber es scheint mir, daß es Zeit ist, mit der
- ewigen Berufung auf diese Exposition aufzuhören. Man muß nur scharf um
- sich blicken. Alles hat sich in der Welt längst geändert. Jetzt wird ein
- Drama durch das Bestreben der Helden exponiert, sich eine vorteilhafte
- Stellung zu erobern, zu glänzen, einen andern um jeden Preis in den
- Schatten zu stellen, Rache für eine Mißachtung, für eine Verhöhnung zu
- nehmen. Elektrisiert ein Amt, ein Kapital, eine vorteilhafte Heirat
- nicht mehr als die Liebe?
- Der erste. Das ist ja alles sehr gut; aber auch unter diesem
- Gesichtspunkt finde ich keine Exposition in dem Stücke.
- Der andere. Ich will jetzt nicht untersuchen, ob es in diesem Stück eine
- Exposition gibt oder nicht. Ich will nur sagen, daß man jetzt nur auf
- Einzelheiten achtet und die allgemeine Exposition überhaupt nicht sieht.
- Die Menschen sind einfach an diese unvermeidlichen Liebespaare gewöhnt,
- ohne deren Heirat kein Stück schließen kann. Gewiß ist auch das eine
- Exposition: aber was für eine! Ein Knoten im Zipfel eines Taschentuchs.
- Nein, eine Komödie muß sich selbst knüpfen -- und zwar mit ihrer ganzen
- Masse, zu einem großen allgemeinen Knoten. Diese Exposition muß alle
- Personen umfassen, nicht nur eine oder zwei; muß berühren, was alle
- handelnden Personen mehr oder weniger tief ergreift. Hier ist jeder der
- Held: der Fluß, der Gang des Stückes bewirkt eine Erschütterung der
- ganzen Maschinerie. Kein einziges Rad darf stehen bleiben, als wäre es
- verrostet oder gehörte nicht zur Sache.
- Der erste. Aber es kann doch nicht jeder der Held sein. Einer oder zwei
- müssen doch die andern leiten.
- Der andere. Doch nicht leiten, sondern hervorragen. Auch in der Maschine
- bewegen sich bestimmte Räder bemerkbarer und stärker. Und man kann sie
- höchstens die Haupträder nennen; aber gelenkt wird das Stück durch eine
- Idee, durch einen Gedanken: ohne sie gibt es keine Einheit. Und
- exponieren kann alles: selbst das Entsetzen, die Angst der Erwartung,
- das ferne Gewitter des herannahenden Gesetzes ...
- Der erste. Aber das heißt schon, der Komödie eine allgemeine Bedeutung
- zu geben.
- Der andere. Ja ist denn das nicht ihre wahre und wirkliche Bedeutung?
- Schon von Beginn an war die Komödie eine öffentliche Angelegenheit des
- Volkes. Zumindest stellte sie sich so bei ihrem Vater Aristophanes dar.
- Später wurde sie in den Engpaß privater Beziehungen gedrängt, das Auf
- und Ab der Liebe wurde hineingetragen, immer dieselbe unvermeidliche
- Exposition. Und wie schwach ist sie deshalb selbst bei den besten
- Komödiendichtern! Wie nichtig sind diese Theaterliebhaber mit ihrer
- papierenen Liebe!
- Ein dritter (tritt heran und klopft ihm leicht auf die Schulter). Du
- hast unrecht. Die Liebe kann ebenso wie jedes andere Gefühl Ingredienz
- einer Komödie sein.
- Der andere. Ich sage ja auch gar nicht, daß sie es nicht sein kann. Aber
- die Liebe kann, wie andere erhabenere Gefühle, nur dann einen erhebenden
- Eindruck machen, wenn sie in ihrer ganzen Tiefe entwickelt wird. Hat man
- einmal begonnen, sie darzustellen, muß man alles andere aufopfern;
- alles, was eben den Charakter der Komödie ausmacht, verblaßt dann, und
- die Bedeutung der Komödie als Angelegenheit der Gesellschaft
- verschwindet.
- Der dritte. Also muß der Gegenstand der Komödie unbedingt etwas
- Niedriges sein? Die Komödie ist also immer ein untergeordnetes Genre?
- Der andere. Für den, der nur auf die Worte achtet und nicht den Sinn zu
- begreifen sucht, wird es so sein. Kann das Positive wie das Negative
- nicht der gleichen Absicht dienen? Können die Komödie und die Tragödie
- nicht den gleichen hohen Gedanken ausdrücken? Die seelischen
- Schwingungen eines schurkischen und ehrlosen Menschen, die gröbsten wie
- die feinsten, -- zeichnen sie nicht schon das Bild eines ehrenhaften
- Mannes? Verraten denn nicht die Anhäufung von Niedrigkeiten, von
- Verletzungen der Gesetze und der Gerechtigkeit deutlich, was Gesetz,
- Pflicht und Gerechtigkeit von uns fordert? In den Händen eines
- geschickten Arztes heilen das heiße wie das kalte Wasser mit gleichem
- Erfolge dieselben Krankheiten. In der Hand des Talents kann alles ein
- Mittel des Schönen werden, wenn es nur durch die hohe Absicht, dem
- Schönen zu dienen, geleitet wird.
- Ein vierter (tritt hinzu). Was kann dem Schönen dienen und worüber
- streitet ihr?
- Der erste. Der Streit entstand bei uns über die Komödie. Wir sprechen
- allgemein von der Komödie, über die neue Komödie hat noch keiner ein
- Wort gesagt. Und was haben Sie zu bemerken?
- Der vierte. Ich möchte folgendes bemerken: man spürt das Talent,
- Beobachtung des Lebens, viel Lächerliches, Richtiges, der Natur
- Abgelauschtes, aber ganz allgemein: dem Stück fehlt etwas. Man sieht
- weder eine Intrige noch eine Auflösung. Es ist doch merkwürdig, daß alle
- unsere Komödiendichter nicht ohne die Regierung auskommen können. Ohne
- sie schließt bei ihnen keine Komödie.
- Der dritte. Das ist wahr. Aber übrigens, es ist andererseits sehr
- natürlich. Wir haben doch alle mit der Regierung zu tun, wir stehen ja
- fast alle in ihrem Dienst; unser aller Interessen sind mehr oder weniger
- mit der Regierung verknüpft. Es ist also nicht verwunderlich, wenn sich
- das in den Schöpfungen unserer Dichter spiegelt.
- Der vierte. Richtig. Mag diese Beziehung auch spürbar sein, so ist es
- doch lächerlich, daß ein Stück keinesfalls ohne die Regierung auskommen
- kann. Sie muß unbedingt erscheinen: wie das unentrinnbare Schicksal in
- den Tragödien der Alten.
- Der andere. Nun sehen Sie: es ist also beinahe etwas Unwillkürliches bei
- unseren Komödiendichtern. Und das bildet also ein charakteristisches
- Merkmal unserer Komödie. Unsere Seele enthält irgendeinen geheimen
- Glauben an die Regierung. Nun? Dabei ist doch nichts Schlimmes: Gott
- gebe, daß die Regierung immer und überall von ihrer Bestimmung, die
- Vertreterin der Vorsehung auf Erden zu sein, zu hören bekommt. Und daß
- wir daran glauben, so wie die Alten geglaubt haben, daß das Verbrechen
- vom Schicksal ereilt wird.
- Der fünfte. Guten Abend, meine Herren. Ich höre nur immer das eine Wort
- »Regierung«. Die Komödie hat Lärm und Streit entfesselt ...
- Der zweite. Wollen wir diesen Zank und Lärm nicht lieber bei mir
- austragen, als in diesem Theatervorraum. (Sie entfernen sich.)
- (Einige würdige und anständig gekleidete Herren erscheinen einer
- nach dem andern.)
- Erster Herr. So, so, ich sehe: es ist wahr, es gibt so etwas bei uns,
- aber es kommt auch anderswo vor, und noch Schlimmeres; aber zu welchem
- Zwecke, wozu so etwas darstellen? -- Das ist die Frage. Warum diese
- Vorstellungen? Was für einen Nutzen bringen sie? -- Erklären Sie mir
- das! Was nützt es mir, zu wissen, daß es da und dort Schelme gibt? Ich
- ... ich verstehe einfach die Notwendigkeit solcher Vorführungen nicht.
- (Er entfernt sich.)
- Zweiter Herr. Nein, das ist doch keine Verhöhnung der Laster, das ist
- doch eine widerwärtige Verhöhnung Rußlands. -- Das ist die Sache. Das
- heißt, die Regierung selbst in ein schlechtes Licht stellen, denn
- schlechte Beamte und Übergriffe, die in allen Ständen vorkommen,
- bloßstellen, bedeutet die Regierung selbst kompromittieren. Man sollte
- solche Vorstellungen nicht erlauben. (Er entfernt sich.)
- (Herr A. und Herr B. treten ein, Männer von nicht geringem Rang.)
- Herr A. Ich spreche nicht davon; im Gegenteil, Mißbräuche muß man uns
- zeigen; das ist notwendig, daß wir unsere Vergehen sehen; und ich teile
- nicht im geringsten die Meinung vieler allzu stark erregter Patrioten;
- aber mich dünkt, daß hier zu viel Trauriges vorkommt ...
- Herr B. Ich wünschte sehr, daß Sie die Meinung eines sehr bescheiden
- angezogenen Herrn gehört hätten, der neben mir im Sessel saß ... Ach, da
- ist er ja selbst.
- Herr A. Wer?
- Herr B. Eben dieser sehr bescheiden angezogene Herr. (Wendet sich zu
- ihm.) Wir haben unser Gespräch nicht beendet, dessen Anfang mir sehr
- interessant war.
- Der sehr bescheiden angezogene Herr. Auch ich muß gestehen, daß ich sehr
- froh bin, die Unterhaltung fortsetzen zu können. Ich habe soeben
- allerlei Diskussionen gehört, zum Beispiel: daß das alles nicht wahr
- sei, daß es eine Verhöhnung unserer Regierung, unserer Sitten sei und
- daß das alles gar nicht vorgeführt werden dürfe. Das zwang mich, das
- ganze Stück noch einmal durchzudenken und in Gedanken zu überschauen.
- Und ich muß gestehen, daß mir der Gehalt der Komödie noch bedeutender
- erschien. Mir scheint, das Lachen trifft hier am stärksten und tiefsten
- die Heuchelei, die wohlanständige Maske, unter der Niedrigkeit und
- Schurkerei erscheinen, den Schelm, der sich hinter dem Äußeren eines
- ehrbaren Mannes verbirgt. Ich muß gestehen, ich empfand Freude, als ich
- sah, wie lächerlich die ehrbaren Worte im Munde eines Schurken klingen,
- und wie ungeheuer lächerlich wurde allen vom Parkett bis zum Olymp diese
- von ihm angenommene Maske. Und danach gibt es noch Menschen, die
- behaupten, daß man so etwas nicht auf der Bühne vorführen sollte! Ich
- vernahm eine Bemerkung, die ein, wie mir schien, sehr achtbarer Herr
- gemacht hatte: »Und was wird das Volk sagen, wenn es sieht, daß bei uns
- solche Übergriffe vorkommen?«
- Herr A. Ich muß gestehen, entschuldigen Sie, daß mir selbst auch diese
- Frage aufgetaucht ist: und was wird unser Volk sagen, wenn es dies alles
- sieht?
- Der sehr bescheiden angezogene Herr. Was das Volk sagen wird? (Geht zur
- Seite, zwei Männer in Armjaks gehen vorüber.)
- Der blaue Armjak (zum grauen). Frech waren die Woiwoden, aber sie
- erblaßten doch, als das Zarengericht begann! (Beide gehen hinaus.)
- Der sehr bescheiden angezogene Herr. Das wird das Volk sagen! Haben Sie
- gehört?
- Herr A. Was?
- Der sehr bescheiden angezogene Herr. Es wird sagen: »Frech waren die
- Woiwoden, aber sie erblaßten doch, als das Zarengericht begann!« Haben
- Sie gehört, wie sicher der Instinkt und das Gefühl des Menschen sind?
- Wie treu das einfache Auge sieht, wenn es nicht von Theorien und
- Gedanken verschleiert ist, die aus Büchern herausgezupft sind; sondern
- alles aus der menschlichen Natur schöpft? Ist es denn nicht ganz
- offensichtlich, daß nach so einer Vorstellung das Volk mehr Glauben an
- die Regierung bekommt? Ja, es braucht solche Aufführungen! Es soll die
- Regierung von ihren schlechten Vertretern trennen lernen. Es soll sehen,
- daß die Übergriffe nicht von der Regierung aus geschehen, sondern von
- denen, die ihre Forderungen nicht verstehen. Die der Regierung gegenüber
- keine Verantwortung auf sich nehmen wollen. Es soll sehen, daß sie edel
- denkt, daß sie mit wachem Auge alle gleich behütet, daß sie früher oder
- später die Verräter des Gesetzes, der Ehre und der heiligen Pflicht der
- Menschheit herausfinden wird, daß die, die kein reines Gewissen haben,
- vor ihr erblassen werden. Ja, es muß diese Vorstellungen sehen; glauben
- Sie mir, wenn es einmal am eigenen Leibe die Schikanen und
- Ungerechtigkeiten erfahren sollte, wird es getröstet, mit einem festen
- Glauben an das stets wache höhere Gesetz aus dieser Vorstellung
- hinausgehen. Auch noch eine andere Bemerkung gefiel mir: »Das Volk wird
- eine schlechte Meinung von seinen Beamten bekommen.« Das heißt, man
- glaubt, daß das Volk hier im Theater zum ersten Male seine Vorgesetzten
- kennen lernt: wenn ihm zu Hause irgendein schurkischer Amtmann den Fuß
- auf den Nacken setzt, so wird es dies nicht bemerken, aber wenn es ins
- Theater geht, dann erst gehen ihm die Augen auf. Man hält unser Volk
- wirklich für dümmer als einen Klotz -- für so dumm, daß es nicht
- imstande ist, zu unterscheiden, ob ein Kuchen mit Fleisch oder mit Brei
- gefüllt ist. Nein, jetzt scheint es mir sogar gut, daß auf der Bühne
- kein einziger ehrlicher Mensch vorgeführt wurde. Der Mensch ist so
- eitel: zeige ihm unter vielen schlechten Eigenschaften nur eine gute,
- und er wird stolz aus dem Theater gehen. Nein, es ist gut, daß nur
- Ausnahmefälle und lasterhafte Menschen dargestellt sind, die so in die
- Augen fallen, daß man nicht ihr Mitbürger zu sein wünscht, daß man sich
- zu gestehen schämt, daß es so etwas überhaupt gibt.
- Herr A. Aber gibt es denn bei uns wirklich solche Menschen, genau
- solche?
- Der sehr bescheiden angezogene Herr. Gestatten Sie mir, Ihnen darauf
- folgendes zu antworten: ich weiß nicht, warum ich jedesmal traurig
- werde, wenn ich eine solche Frage höre. Ich kann offen mit Ihnen
- sprechen, in Ihren Zügen sehe ich etwas, das mich zur Aufrichtigkeit
- auffordert. Der Mensch stellt zu allererst diese Frage: »Gibt es denn
- wirklich solche Menschen?« Aber hat man je gehört, daß einer diese Frage
- gestellt hätte: »Bin ich denn selbst ganz frei von diesen Lastern?«
- Niemals, niemals! Noch eins -- ich will ja offen mit Ihnen reden. -- Ich
- habe ein gutes Herz und viel Liebe in meiner Brust, aber wenn Sie
- wüßten, wieviel seelische Anstrengungen und Erschütterungen es mich
- gekostet hat, um nicht in viele Laster zu verfallen, in die man
- unwillkürlich gerät, wenn man mit den Menschen zusammenlebt! Und wie
- kann ich jetzt sagen, daß in mir selbst, in diesem Augenblick, sich
- nicht die gleichen Neigungen regen, über die alle vor zehn Minuten
- gelacht haben, über die ich selbst gelacht habe?
- Herr A. (nach kurzem Schweigen). Ich muß gestehen, Ihre Worte zwingen
- mich zum Nachdenken. Und wenn ich mich erinnere, wenn ich mir vorstelle,
- wie stolz uns unsere europäische Erziehung gemacht hat, wie sie uns
- überhaupt vor uns selbst verborgen hat, wie hochmütig und mit welcher
- Verachtung wir auf jene sehen, die diesen äußeren Schliff nicht
- empfangen haben, wie jeder von uns sich fast als Heiligen hinstellt, und
- von dem Schlechten immer in dritter Person spricht -- ich muß gestehen,
- dann wird mir traurig zumute ... Aber verzeihen Sie meine
- Unbescheidenheit -- Sie sind übrigens selbst schuld daran -- darf ich
- wissen, mit wem ich das Vergnügen zu sprechen habe?
- Der sehr bescheiden angezogene Herr. Ich bin nicht mehr und nicht
- weniger als einer jener Beamten und nehme eine Stellung ein, deren
- Träger in der Komödie vorgeführt werden; und ich bin erst vorgestern aus
- meinem Städtchen hier angekommen.
- Herr B. Das hätte ich kaum geglaubt. Und scheint es Ihnen nach alledem
- nicht peinlich, mit solchen Menschen zu dienen und zusammen zu leben?
- Der sehr bescheiden angezogene Herr. Peinlich? Darauf möchte ich Ihnen
- folgendes antworten: ich gestehe, daß ich oft die Geduld verloren habe.
- In unserem Städtchen gehören nicht alle Beamten zu dem ehrlichen
- Dutzend, oft muß man die Wände hinaufklettern, um eine gute Tat
- durchzusetzen, schon mehrere Male wollte ich den Dienst quittieren; aber
- jetzt, eben nach dieser Vorstellung, fühle ich eine Frische und zugleich
- neue Kraft, um meine Tätigkeit fortzusetzen. Mich tröstet schon der
- Gedanke, daß die Gemeinheit bei uns nicht verborgen bleibt oder gar
- gefördert wird. Daß sie dort, im Angesicht aller ehrlichen Menschen vom
- Lachen getroffen wird; daß es eine Feder gibt, die es nicht unterläßt,
- unsere niedrigen Taten bloßzustellen, wenn dies auch unserem nationalen
- Stolze nicht schmeichelt, und daß es bei uns eine gute Regierung gibt,
- die es gestattet, dies all denen vor Augen zu führen, für die es
- bestimmt ist; und schon das allein gibt mir den Mut, meinen
- nutzbringenden Dienst fortzusetzen.
- Herr A. Erlauben Sie mir, Ihnen einen Vorschlag zu machen. Ich bekleide
- ein Amt, ein ziemlich hohes Amt. Ich brauche wahrhaft edeldenkende und
- ehrliche Mitarbeiter. Ich biete Ihnen eine Stellung an, in der Sie ein
- weites Feld für Ihre Tätigkeit finden werden, die Ihnen unvergleichlich
- mehr Vorteile bieten wird und wo Sie an einer achtbaren Stelle stehen
- werden.
- Der sehr bescheiden angezogene Herr. Gestatten Sie mir, Ihnen von ganzem
- Herzen und ganzer Seele für Ihr Anerbieten zu danken. Und erlauben Sie
- mir zugleich, es abzulehnen. Wenn ich fühle, daß ich in meiner Stellung
- nützlich sein kann, wäre es dann anständig von mir, sie zu verlassen?
- Und wie kann ich sie verlassen, wo ich nicht fest überzeugt bin, daß
- nach mir nicht irgend ein Kerl kommen wird, der ein Schreckensregiment
- beginnt. Wenn Sie aber das Anerbieten als Belohnung gedacht haben, so
- gestatten Sie mir Ihnen folgendes zu sagen: Ich habe wie alle andern dem
- Dichter des Stückes applaudiert, aber ich habe ihn nicht hervorgerufen.
- Was für eine Belohnung käme ihm zu? Wem das Stück gefällt, der mag es
- loben, aber er -- er hat nur seine Pflicht erfüllt. Wir sind wahrhaftig
- so weit gekommen, daß einer sich nicht nur um einer Heldentat willen,
- sondern schon wenn er einem andern im Leben oder im Dienst nicht
- schadet, für einen Gott weiß wie edlen Menschen hält, und ernsthaft
- beleidigt ist, wenn man dies nicht bemerkt und ihn nicht dafür belohnt.
- »Aber ich bitte,« schreit er, »ich war Zeit meines Lebens ein ehrlicher
- Mensch, ich habe kaum eine Niederträchtigkeit begangen, -- warum gibt
- man mir kein Amt, keine Orden?« Ich dagegen denke so: wer nicht ohne
- Aufmunterung anständig sein kann -- an dessen Anstand glaube ich nicht;
- sein Krämeranstand ist keinen Heller wert!
- Herr A. Zumindest werden Sie mir doch Ihre nähere Bekanntschaft nicht
- versagen: verzeihen Sie meine Zudringlichkeit. Sie sehen ja selbst, daß
- sie die Folge meiner aufrichtigen Hochachtung ist. Geben Sie mir Ihre
- Adresse.
- Der sehr bescheiden angezogene Herr. Hier ist meine Adresse. Aber seien
- Sie überzeugt, ich werde nicht zulassen, daß Sie von ihr Gebrauch
- machen, und schon morgen früh werde ich selbst bei Ihnen vorsprechen.
- Verzeihen Sie mir, ich bin nicht in der großen Welt erzogen und kann
- nicht reden ... Aber bei einem Staatsbeamten diese großmütige
- Aufmerksamkeit, dieses Streben nach dem Guten zu finden ... Gott gebe,
- daß jeder Herrscher von solchen Leuten umgeben sei! (Entfernt sich
- eilig.)
- Herr A. (dreht die Visitkarte in den Händen herum). Ich blicke auf diese
- Karte und den mir unbekannten Namen, und mir wird das Herz so voll. Wie
- sich dieser anfangs so traurige Eindruck von selbst verflüchtigt hat!
- Gott behüte dich, mein Rußland, das wir noch so wenig kennen! In der
- fernsten Provinz, in einem deiner verlorenen Winkel ist so eine Perle
- verborgen und sicher ist sie nicht die einzige. Sie sind wie die Körner
- einer Goldader, versprengt in den finstern Tiefen deines Granits. Es
- liegt ein Gefühl tiefen Trostes in einer solchen Erscheinung, und es
- wurde hell in meiner Seele nach der Begegnung mit diesem Beamten, wie es
- in seiner eignen Seele hell wurde nach der Aufführung dieser Komödie.
- Leben Sie wohl! Ich danke Ihnen, daß Sie mir diese Begegnung verschafft
- haben. (Entfernt sich.)
- Herr W. (tritt zu Herrn B. heran). Wer war das, mit dem Sie sprachen?
- Ich glaube, er ist Minister, nicht wahr?
- Herr P. (kommt von der anderen Seite). Hör doch Bruder, was ist das
- eigentlich für eine Geschichte? ...
- Herr B. Was?
- Herr P. Wie kann man so etwas aufführen?!
- Herr B. Warum denn nicht?
- Herr P. Aber ich bitte, urteile doch selbst. Was ist denn das
- eigentlich? Nichts als Laster und Laster; was für ein Beispiel sollen
- sich die Zuschauer daran nehmen?
- Herr B. Ja, wird denn das Laster verherrlicht? Es wird doch dem Spott
- preisgegeben.
- Herr P. Na Bruder, was du auch sagen magst: die Achtung ... aber dadurch
- geht doch die Achtung vor Amt und Beamten verloren.
- Herr B. Nicht vor Amt und Beamten geht die Achtung verloren, sondern vor
- denen, die ihre Pflichten schlecht erfüllen.
- Herr W. Gestatten Sie mir jedoch, zu bemerken: das alles ist immerhin
- eine Beleidigung, die mehr oder weniger alle trifft.
- Herr P. Sehr richtig. Das wollte ich ihm schon selbst sagen. Das ist
- eine Beleidigung, die alle trifft. Jetzt führt man uns zum Beispiel
- einen Titularrat vor, und nächstens ... äh ... wird man uns noch am Ende
- ... äh ... einen wirklichen Staatsrat vorführen.
- Herr B. Nun und was wäre dabei? Die Persönlichkeit darf nicht angetastet
- werden; aber wenn ich mir eine Figur erdenke und sie mit den Lastern
- versehe, die unter uns Menschen vorkommen, und wenn ich ihr einen Rang
- gebe, der mir geeignet erscheint, wenn es auch der eines wirklichen
- Staatsrats ist, und wenn ich sage, daß dieser wirkliche Staatsrat nicht
- so ist, wie er sein sollte: was ist dabei? Kommen denn solche Patrone
- unter wirklichen Staatsräten nicht vor?
- Herr P. Aber nein, mein Lieber, das ist schon zu viel. Wie kann denn ein
- solcher Patron wirklicher Staatsrat sein? Vielleicht Titularrat ...
- Nein, du gehst schon zu weit.
- Herr W. Aber warum soll man uns nur das Schlechte zeigen und nicht auch
- das Gute, das, was der Nacheiferung würdig ist?
- Herr B. Warum? Eine merkwürdige Frage: Warum? So kann man oftmals
- »Warum« fragen. Warum führte ein Vater seinen Sohn, um ihn dem
- liederlichen Leben zu entreißen, ohne viele Worte und Moralpredigten in
- ein Krankenhaus, wo ihm die furchtbaren Folgen eines lasterhaften Lebens
- in all ihren Schrecknissen offenbar wurden? Warum tat er das?
- Herr W. Gestatten Sie mir, Ihnen zu bemerken: das heißt doch
- gewissermaßen Krankheiten der Gesellschaft entblößen, die man verhüllen,
- und nicht noch aufzeigen sollte!
- Herr P. Das ist wahr. Ich bin damit vollkommen einverstanden. Bei uns
- muß man das Schlimme verbergen, und nicht noch aufdecken.
- Herr B. Wenn ein anderer als Sie diese Worte gesprochen hätte, würde ich
- sagen, daß nicht wahre Liebe zum Vaterland, sondern Heuchelei sie
- diktiert habe. Nach Ihrer Meinung muß man die gesellschaftlichen
- Krankheiten, wie Sie sie nennen, nur verhüllen, nur äußerlich heilen,
- sie sollen nur vorläufig nicht zu sehen sein, aber im Innern mag die
- Krankheit fortwüten -- das macht nichts. Es macht nichts, daß sie
- ausbricht und sich in solchen Symptomen offenbart, die keiner Heilung
- mehr fähig sind. Das macht nichts. Sie wollen nicht wissen, daß wir ohne
- ein tiefes herzliches Bekenntnis, ohne christliches Eingestehen unserer
- Sünden, ohne sie in unsern eigenen Augen zu übertreiben, nicht die Kraft
- haben, uns über sie zu erheben, wir nicht die Kraft haben, uns mit
- unserer Seele über die Gemeinheit des Lebens emporzuschwingen. Sie
- wollen es nicht wissen! Soll der Mensch taub bleiben, soll er schlafend
- durch das Leben wandeln, soll er nie erschüttert werden, nie aus
- tiefster Seele weinen, soll er seine Seele so einschläfern, daß nichts
- mehr ihn aufrütteln kann! Nein ... verzeihen Sie mir! Wer so spricht,
- dessen Lippen werden von kaltem Egoismus bewegt und nicht von heiliger,
- reiner Liebe zur Menschheit. (Er entfernt sich.)
- Herr P. (nach einigem Schweigen). Warum schweigst du? -- Nun wie gefällt
- er dir? Was er nicht alles erzählt hat! Wie?
- Herr W. (schweigt).
- Herr P. (fortfahrend). Er mag reden was er will -- aber das sind doch
- immerhin unsere Wunden.
- Herr W. (beiseite). Nein, was sich der mit seinen »Wunden« hat! Jetzt
- wird er sie jedem vorsetzen, der ihm über den Weg läuft!
- Herr P. Ich könnte vielleicht auch eine ganze Menge darüber sagen: aber
- was würde das beweisen? ... Ah da ist ja Fürst N. Höre Fürst, lauf nicht
- davon.
- Fürst N. Was gibts?
- Herr P. Nun, wir wollen uns ein wenig unterhalten. Na, wie ist das
- Stück?
- Fürst N. Recht komisch.
- Herr P. Sag doch bitte: wie kann man das nur aufführen! Wie ist das blos
- möglich?
- Fürst N. Warum soll man es nicht aufführen?
- Herr P. Urteile doch selbst, das geht doch nicht: Plötzlich steht ein
- Schurke auf der Bühne -- das sind doch unsere Wunden!
- Fürst N. Was für Wunden?
- Herr P. Das sind doch unsere Wunden! Sozusagen unsere gesellschaftlichen
- Wunden.
- Fürst N. (ärgerlich). Ich schenke sie dir! Mögen es meinetwegen deine
- Wunden sein, aber nicht meine! Warum schiebst du sie mir zu? Ich muß
- nach Hause. (Entfernt sich.)
- Herr P. (fortfahrend). Und weiter: was für Unsinn hat er hier
- zusammengeredet? Er sagte, ein wirklicher Staatsrat kann ein Schelm
- sein. Wenn es noch ein Titularrat wäre ... das wäre noch möglich ...
- Herr W. Aber wollen wir doch gehen. Genug von dem Gerede; ich denke,
- alle Vorübergehenden haben schon erfahren, daß Sie ein wirklicher
- Staatsrat sind. (Beiseite.) Es gibt Menschen, die die Kunst besitzen,
- alles in den Schmutz zu ziehen. Wenn sie deinen eigenen Gedanken
- wiederholen, wissen sie ihn so banal zu machen, daß man rot wird. Wenn
- du eine Dummheit gesagt hast, die vielleicht noch durchschlüpfen könnte,
- so findet sich immer noch ein Freund oder Verehrer, der sie in Umlauf
- bringt und sie noch dümmer macht, als sie ist. Es ist wirklich ärgerlich
- -- wie wenn man in den Dreck gestoßen wird! (Sie entfernen sich.)
- (Ein Militär und ein Zivilist treten zusammen auf.)
- Der Zivilist. So seid ihr Herren vom Militär! Ihr sagt: »Das muß man auf
- die Bühne bringen«, ihr seid bereit, euch über einen Zivilbeamten lustig
- zu machen; aber greift man irgendwie das Militär an, sagt man nur, daß
- in dem und dem Regiment einige Offiziere -- von lasterhaften Neigungen
- ganz zu schweigen -- sich zum Beispiel schlecht benehmen, schlechte
- Manieren haben -- so seid ihr gleich bereit, mit einer Klage zum
- Reichsrat zu laufen.
- Der Militär. Nein hören Sie: für wen halten Sie mich? Gewiß, es gibt
- auch unter uns solche Don Quijotes, aber glauben Sie mir, es gibt auch
- viele wahrhaft vernünftige Männer, die froh sein würden, wenn man die,
- die ihren Beruf schänden, dem allgemeinen Spott ausliefern würde. Ja, wo
- ist denn hier eine Beleidigung? Geben Sie uns nur mehr davon! Wir sind
- bereit, jeden Tag zuzuschauen.
- Der Zivilist. So sind die Menschen, immer schreien sie: »Gib uns, gib
- uns«. Aber wenn du es tust, sind sie empört. (Sie entfernen sich.)
- (Zwei Pekeschen.)
- Die erste Pekesche. Man nehme zum Beispiel die Franzosen; aber bei ihnen
- ist das alles sehr nett. Erinnerst du dich unter anderem des gestrigen
- Vaudeville: sie entkleidet sich, legt sich ins Bett, nimmt die
- Salatschüssel vom Tisch und stellt sie unter das Bett. Das ist natürlich
- indezent, aber allerliebst. Das alles kann man sich ansehen, das
- verletzt nicht ... Meine Frau und meine Kinder gehen jeden Tag ins
- Theater. Aber hier -- was ist das nun? Irgend ein Lump, ein Bauer, den
- ich nicht in mein Vorzimmer hineingelassen hätte, macht sichs mit seinen
- Stiefeln bequem, gähnt und stochert sich in den Zähnen -- wirklich, was
- soll das bedeuten? Wie sieht das aus?
- Die zweite Pekesche. Bei den Franzosen ist das eine andere Sache! Dort
- machts die _societé, mon cher_! Bei uns ist so etwas unmöglich. Bei uns
- sind die Autoren ohne jede Bildung: zum größten Teil sind es alles
- Zöglinge eines Seminars. Sie neigen zum Wein, zur Ausschweifung. Auch zu
- meinem Lakei kam immer so ein Autor: wo soll der also eine Vorstellung
- von der guten Gesellschaft hernehmen? (Sie entfernen sich.)
- Eine Weltdame (in Begleitung zweier Herren, der eine trägt einen Frack
- und der andere eine Uniform): Was für Menschen, was für Personen hier
- vorgeführt werden! Nicht einer, der einigermaßen anziehend ist ... Warum
- schreibt man bei uns nicht so, wie die Franzosen schreiben, zum Beispiel
- Dumas und ähnliche. Ich verlange keine Muster von Tugend; zeigt mir eine
- Frau, die irrt, die ihren Mann betrügt, die sich zum Beispiel einer
- lasterhaften und verbotenen Liebe hingibt -- aber stellt es mir so
- hinreißend dar, daß ich mit ihr mitfühle, daß ich sie lieb gewinne ...
- Hier dagegen ist eine Person immer ekelhafter als die andere.
- Der Herr in Uniform. Ja, so trivial, so trivial.
- Die Weltdame. Sagen Sie: warum ist bei uns in Rußland alles noch so
- trivial?
- Der Herr im Frack. Mein Herz, du wirst mir nachher erzählen, warum alles
- so trivial ist. Man ruft unsern Wagen auf. (Sie entfernen sich.)
- (Drei Herren treten auf.)
- Der erste. Warum soll man denn nicht ein wenig lachen? Man darf doch
- noch lachen: aber ist das ein Gegenstand für den Spott -- Mißbräuche und
- Laster! Was gibt es da zu spotten?
- Der zweite. Über was soll man denn sonst lachen? Etwa über die Tugenden,
- über die Vorzüge eines Menschen?
- Der erste. Nein; das ist doch kein Gegenstand für eine Komödie, mein
- Lieber! Das soll sozusagen auch die Regierung treffen. Gibt es denn
- keine anderen Gegenstände, worüber man schreiben kann?
- Der zweite. Was wären das für andere Gegenstände?
- Der erste. Nun, gibt es denn so wenig komische gesellschaftliche
- Ereignisse? Nehmen wir zum Beispiel an: ich will zu einem Gartenfest auf
- die Apothekerinsel fahren, und der Kutscher würde mich plötzlich auf der
- Wyborgskaja oder bei dem Smolnikloster absetzen. Gibt es denn nicht
- genug solcher komischer Situationen?
- Der zweite. Das heißt: Sie wollen der Komödie jede ernste Bedeutung
- nehmen. Aber warum solche absolute Gesetze aufstellen? Komödien in der
- Art, wie Sie es wünschen, gibt es ja in Unzahl. Warum soll es nicht zwei
- oder drei wie die eben gespielte geben dürfen? Wenn Ihnen solche
- Komödien gefallen, wie die, von denen Sie soeben sprachen, so brauchen
- Sie nur ins Theater zu gehen: dort können Sie täglich ein Stück sehen,
- wo einer sich unter dem Stuhl versteckt und der andere ihn am Bein
- hervorzieht.
- Der dritte. Nein, nein, bitte, so ist es denn doch nicht. Alles hat
- seine Grenzen, es gibt Dinge, über die man sozusagen nicht spotten darf,
- die schon gewissermaßen etwas Heiliges sind.
- Der zweite (für sich mit einem bitteren Lächeln): So ists immer auf der
- Welt. Lacht man über das wahrhaft Edele, über das, was das große
- Heiligtum unserer Seele ausmacht, so wird keiner dafür eintreten; lacht
- man aber über das Laster, über das Gemeine und Niedrige -- dann schreien
- alle: »Er verspottet unsere Heiligtümer!«
- Der erste. Na, nun sehen Sie's; wie ich merke, sind Sie jetzt überzeugt:
- Sie sagen kein Wort. Glauben Sie mir, man muß überzeugt sein: das ist
- das Wahre. Ich selbst bin ein unparteiischer Mensch und ich will nicht
- sagen, daß ... aber das ist einfach keine Angelegenheit für einen Autor,
- kein Gegenstand für eine Komödie. (Sie entfernen sich.)
- Der zweite (für sich). Ich gestehe, ich möchte um keinen Preis an Stelle
- des Autors sein. Allen soll man's recht machen! Wählt man ein
- unbedeutendes gesellschaftliches Ereignis, so schreien alle: »Er
- schreibt Unsinn! Das hat doch keinen tiefen moralischen Zweck;« wählt
- man aber einen Gegenstand, der irgendeinen sittlichen Kern enthält, so
- sagen sie: »Das ist nicht seine Sache, er soll spaßige Sachen
- schreiben!« (Er entfernt sich.)
- (Eine junge Weltdame in Begleitung ihres Mannes.)
- Der Mann. Unser Wagen kann nicht weit sein, wir können gleich fahren.
- Herr N. (tritt zu der Dame heran). Was sehe ich! Sie sind hergekommen,
- um sich ein russisches Stück anzusehen!
- Die junge Dame. Was ist dabei? Habe ich denn gar keinen Patriotismus?
- Herr N. Nun, wenn es so wäre: so werden Sie mit Ihrem Patriotismus doch
- nicht allzusehr auf ihre Kosten gekommen sein. Sie schimpfen doch wohl
- auf das Stück?
- Die junge Dame. Gar nicht. Ich finde, daß vieles darin ungemein richtig
- ist: ich habe von Herzen gelacht.
- Herr N. Warum haben Sie denn gelacht? Vielleicht weil Sie gern über
- alles Russische lachen?
- Die junge Dame. Nein, nur darum, weil es einfach komisch war. Weil hier
- jene Niedertracht, jene Gemeinheit öffentlich entlarvt wurde, die immer
- die gleiche Gemeinheit und Niedertracht bleibt, welches Gewand sie auch
- anlegen mag, und ob sie sich in einer Kreisstadt oder hier, mitten unter
- uns abspielt: deshalb habe ich gelacht.
- Herr N. Mir sagte eben eine sehr gescheite Dame, daß sie auch gelacht
- hat, aber bei alledem hat das Stück auf sie einen sehr traurigen
- Eindruck gemacht.
- Die junge Dame. Ich mag nicht wissen, was Ihre gescheite Dame empfunden
- hat, aber ich habe keine so empfindlichen Nerven, und ich lache immer
- gern über das, was in seinem Kern komisch ist. Ich weiß, daß es unter
- uns auch Leute gibt, die im Herzen über die schiefe Nase eines Menschen
- lachen können, aber den Mut nicht aufbringen, über die häßliche Seele
- eines Menschen zu lachen.
- (In der Entfernung erscheint noch eine junge Dame mit ihrem
- Mann.)
- Herr N. Ah da kommt Ihre Freundin. Ich möchte ihre Meinung über die
- Komödie hören. (Die Damen reichen sich die Hände.)
- Die erste Dame. Ich sah von weitem, wie du lachtest.
- Die zweite Dame. Ja, wer hat denn nicht gelacht? Alle haben doch
- gelacht.
- Herr N. Und hatten Sie denn gar kein trauriges Gefühl dabei?
- Die zweite Dame. Ich gestehe, mir war wirklich traurig zu Mut. Ich weiß,
- daß das alles sehr wahr ist; ich habe viel Ähnliches gesehen, und es hat
- mich immer traurig gestimmt.
- Herr N. Also hat Ihnen die Komödie nicht gefallen?
- Die zweite Dame. Aber erlauben Sie, wer sagt denn das? Ich habe Ihnen
- doch schon gesagt, daß ich von ganzem Herzen gelacht habe und sogar mehr
- als alle andern; ich glaube sogar, daß man mich für eine Wahnsinnige
- gehalten hat ... Aber ich wurde deshalb traurig, weil ich den Wunsch
- hatte, wenigstens auf einem guten Gesicht ausruhen zu können. Diese
- Masse, diese Überfülle des Gemeinen ...
- Herr N. Sprechen Sie! Sprechen Sie!
- Die zweite Dame. Hören Sie: empfehlen Sie dem Autor, daß er wenigstens
- _einen_ anständigen Menschen hineinbringt. Sagen Sie ihm, daß man ihn
- darum bittet, daß es wirklich gut wäre.
- Der Mann der ersten Dame. Gerade dies sollten Sie ihm nicht empfehlen!
- Die Damen wollen unbedingt einen Ritter sehen, der bei jeder Gelegenheit
- von Edelmut spricht, und sei es auch in den banalsten Phrasen.
- Die zweite Dame. Durchaus nicht. Wie wenig Sie uns kennen! Gerade Ihnen
- ist dies eigentümlich! Gerade Ihr liebt nur Phrasen und Reden von
- Hochherzigkeit und Edelmut. Ich habe einmal das Urteil eines von den
- Euren gehört: ein Dickwanst schrie so, daß er, wie ich glaube, die
- allgemeine Aufmerksamkeit auf sich lenkte -- das alles sei Verleumdung,
- solche Gemeinheiten und Schurkereien kämen bei uns nie vor. Und wer
- sagte das? -- Der allerniedrigste und gemeinste Mensch, der stets bereit
- war, seine Seele, sein Gewissen und alles, was Sie wollen, zu verkaufen.
- Ich will ihn nur nicht beim Namen nennen.
- Herr N. Aber sagen Sie es doch: Wer war es?
- Die zweite Dame. Warum wollen Sie es wissen? Er war es ja nicht allein;
- ich hörte, wie man um uns herum unaufhörlich schrie: »Das ist eine
- widerwärtige Verhöhnung Rußlands, eine Verhöhnung der Regierung! Wie
- kann man nur so etwas zulassen? Was wird das Volk dazu sagen?« Und
- _warum_ haben sie so geschrieen? Etwa, weil sie wirklich so dachten und
- fühlten? -- Oh nein, verzeihen Sie. Nur darum, um Lärm zu machen, damit
- man das Stück verbietet, oder vielleicht, weil sie etwas in ihm gefunden
- hatten, das sie an sich selbst erinnerte. So sind Ihre wahren Ritter,
- und -- nicht die Theaterhelden!
- Der Mann der ersten Dame. O bei Ihnen regt sich schon etwas wie eine
- kleine Empörung!
- Die zweite Dame. Empörung -- jawohl Empörung. Ja, ich bin empört, sehr
- empört. Man kann doch nicht ruhig bleiben, wenn man sieht, wie die
- Gemeinheit unter allen möglichen Masken auftritt.
- Der Mann der ersten Dame. Nun ja: Sie möchten, daß sofort irgendein
- Ritter hervortritt, über einen Abgrund springt und sich das Genick
- bricht ...
- Die zweite Dame. O nein, verzeihen Sie.
- Der Mann der ersten Dame. Natürlich: was verlangt denn eine Frau? -- Sie
- verlangt unbedingt, daß sich im Leben irgendein Roman abspielt.
- Die zweite Dame. Nein, nein, nein! Ich könnte es zweihundertmal
- wiederholen: nein! Das ist eine ganz alte, banale Vorstellung, die Sie
- uns immer wieder aufdrängen wollen. Die Frau hat mehr wahrhaften
- Edelmut, als der Mann, die Frau ist nicht imstande, sie ist unfähig,
- alle jene Niedrigkeiten und Schurkereien zu begehen, die ihr Männer euch
- leistet. Die Frau kann nicht heucheln, wo ihr heuchelt, sie kann nicht
- durch die Finger sehen, wo ihr es tut, wo es sich um solche Gemeinheiten
- handelt! Sie ist anständig genug, um dies alles auszusprechen, ohne sich
- erst überall umzuschauen, ob es den Leuten auch gefällt -- denn das muß
- ausgesprochen werden. Was gemein ist -- ist gemein, da hilft kein
- Vertuschen und kein Beschönigen. Es bleibt eine Gemeinheit, eine
- Gemeinheit, eine Gemeinheit!
- Der Mann der ersten Dame. Ich glaube, jetzt sind Sie wahrhaftig allen
- Ernstes böse.
- Die zweite Dame. Weil ich offen bin und es nicht ertragen kann, wenn man
- die Unwahrheit spricht.
- Der Mann der ersten Dame. Nun, nun, seien Sie nicht böse und geben Sie
- mir Ihr Händchen. Ich scherzte ja nur.
- Die zweite Dame. Hier haben Sie meine Hand -- ich bin ja gar nicht böse.
- (Sie wendet sich an Herrn N.) Hören Sie: bitte raten Sie doch dem Autor,
- daß er einen edlen und ehrlichen Menschen in die Komödie hineinbringt.
- Herr N. Ja aber wie soll man das machen? Wie, wenn er nun einen
- ehrlichen Menschen hineinbrächte und dieser ehrliche Mensch ein
- Theaterheld würde?
- Die zweite Dame. O nein, wenn er wirklich stark und tief empfindet, so
- wird sein Held kein Theaterritter werden.
- Herr N. Aber ich glaube, das ist nicht so leicht zu machen.
- Die zweite Dame. Sagen Sie doch einfach, daß Ihr Autor keine starken und
- tiefen Seelenregungen hat.
- Herr N. Aber warum nur?
- Die zweite Dame. Nun, wer unaufhörlich und immerfort lacht, der kann
- doch keine allzu hohen Gefühle haben: unmöglich kann ihm bekannt sein,
- was nur ein zartes Herz empfindet.
- Herr N. Das ist ausgezeichnet! Also nach Ihnen kann der Verfasser kein
- edler Mensch sein?
- Die zweite Dame. Sehen Sie! Sie legen es gleich ganz anders aus. Ich
- habe doch kein Wort davon gesagt, daß ein Komödiendichter nicht edel
- sein und keinen strengen Begriff von der Ehre im vollen Sinn dieses
- Wortes haben kann. Ich sage nur, daß er nicht imstande ist ... eine von
- Herzen kommende Träne zu vergießen und etwas aus ganzer Kraft, aus
- tiefster Seele zu lieben.
- Der Mann der zweiten Dame. Aber wie kannst du das nur so positiv
- behaupten?
- Die zweite Dame. Ich kann es, weil ich es weiß. Alle Menschen, die immer
- nur lachten, oder Spötter waren, besaßen eine große Eigenliebe und waren
- fast alle Egoisten; vornehme und edle Egoisten natürlich -- aber immer
- doch Egoisten.
- Herr N. Also Sie geben unbedingt jener Art von Werken den Vorzug, in
- denen nur die hohen Regungen der Menschen vorkommen.
- Die zweite Dame. Aber natürlich! Ich werde sie immer höher stellen, und
- ich muß gestehen, ich habe mehr inneres Vertrauen zu einem solchen
- Autor.
- Der Mann der ersten Dame (wendet sich an Herrn N.). Nun, du siehst doch,
- es kommt auf das gleiche hinaus -- so ist der Geschmack der Frauen. In
- ihren Augen steht die banalste Tragödie höher als die allerbeste
- Komödie. Schon allein, weil es eine Tragödie ist ...
- Die zweite Dame. Schweigen Sie, sonst werde ich wieder böse. (Wendet
- sich an Herrn N.) Nun sagen Sie, habe ich denn nicht die Wahrheit
- gesagt: ein Komödienschreiber muß doch unbedingt eine kalte Seele haben?
- Der Mann der zweiten Dame. Oder eine glühende, denn ein reizbares
- Temperament fordert doch auch zum Spott und zur Satire heraus.
- Die zweite Dame. Oder eine leicht erregbare Seele. Aber was bedeutet
- das? -- Das bedeutet, daß der Anlaß zu diesen Werken immer nur Galle,
- Verbitterung, Empörung ist, wenn auch eine in jeder Hinsicht gerechte
- Empörung. Aber es fehlt das, was erkennen läßt, daß das Werk aus einer
- hohen Liebe zur Menschheit ... kurz aus Liebe geboren ward. Nicht wahr?
- Herr N. Sehr richtig.
- Die zweite Dame. Und nun sagen Sie: hat der Autor der Komödie
- Ähnlichkeit mit diesem Porträt?
- Herr N. Wie soll ich Ihnen sagen? Ich kenne ihn nicht so gut, um über
- seine Seele urteilen zu können. Aber wenn ich überlege, was ich alles
- von ihm gehört habe, so muß er entweder ein Egoist oder ein sehr
- reizbarer Mensch sein.
- Die zweite Dame. Nun sehen Sie, ich wußte es doch ganz genau.
- Die erste Dame. Ich weiß nicht warum -- aber ich möchte nicht, daß er
- ein Egoist wäre.
- Der Mann der ersten Dame. Ah, da kommt unser Lakai, unser Wagen ist also
- vorgefahren. Leben Sie wohl. (Drückt der zweiten Dame die Hand.) Sie
- kommen doch zu uns, nicht wahr? Wir wollen doch bei uns zu Hause Tee
- trinken?
- Die erste Dame (im Weggehen). Gern.
- Die zweite Dame. Unbedingt.
- Der Mann der zweiten Dame. Ich glaube, unser Wagen ist auch vorgefahren.
- (Folgen ihnen.)
- (Zwei Zuschauer treten herein.)
- Der erste. Erklären Sie mir nur das eine: wenn man jeden Akt, jede
- Person, jeden Charakter einzeln betrachtet, warum sieht man dann, daß
- alles wahr, alles lebendig und der Natur entnommen ist, und doch
- erscheint es im ganzen als etwas Ungeheuerliches, Übertriebenes, als
- eine Karikatur, so daß man sich nach Verlassen des Theaters
- unwillkürlich fragt: existieren denn wirklich solche Menschen? Und dabei
- sind es doch nicht eigentlich Verbrecher!
- Der zweite. Nicht im geringsten -- es sind durchaus keine Verbrecher!
- Sie sind einfach das, was das Sprichwort so ausdrückt: Kein böser Sinn,
- ein Schelm schlechthin.
- Der erste. Und dann noch eins: diese ungeheure Anhäufung, dieses Übermaß
- -- ist das nicht schon ein Fehler einer Komödie? Sagen Sie mir, wo gibt
- es eine Gesellschaft, die aus lauter solchen Menschen besteht, wo --
- wenn nicht die Hälfte -- so doch mindestens nicht ein kleiner Bruchteil
- anständige Menschen sind. Wenn eine Komödie ein Bild, ein Spiegel
- unseres sozialen Lebens sein soll, so muß dieses sich in voller
- Deutlichkeit spiegeln.
- Der zweite. Erstens ist meiner Meinung nach diese Komödie kein Bild,
- sondern eher noch eine Frontispice. Sie sehen, Szene und Schauplatz sind
- imaginär. Sonst hätte der Autor wohl keine Fehler und keine
- offensichtlichen Anachronismen begangen und nicht manche Personen solche
- Worte sagen lassen, die weder ihrem Charakter noch der Stellung, die sie
- einnehmen, entsprechen. Nur die erste Gereiztheit hat das für eine
- persönliche Anspielung nehmen können, worin auch nicht einmal ein
- Schatten von Persönlichem liegt und was mehr oder weniger allen Menschen
- eigen ist. Das ist vielmehr ein großer Sammelpunkt: von überall her, aus
- allen Winkeln Rußlands sind hier alle Abnormitäten, alle Mißbräuche und
- Verirrungen zusammengeströmt, um einer Idee zu dienen und dem Zuschauer
- eine lebhafte edle Abscheu vor vielem Häßlichen und Niedrigen
- einzuflößen. Der Eindruck wird aber immer größer, weil keine der
- dargestellten Personen alles Menschliche verloren hat: überall klingt
- dies Menschliche hindurch. Dadurch wird die seelische Erschütterung noch
- tiefer, und wenn der Zuschauer lacht, wendet er sich unwillkürlich um,
- wie wenn er fühlte, daß ihm das ganz nahe ist, worüber er lachte, und
- daß er jeden Augenblick darüber wachen muß, daß es nicht in seine eigene
- Seele hinüberfließe. Am amüsantesten mußte wohl folgender Vorwurf für
- den Autor sein, wie ich glaube. »Warum sind seine Personen und Helden
- nicht sympathisch?« während er doch alles getan hat, um sie recht
- abstoßend zu machen. Und wenn auch nur _ein_ anständiger Mensch in die
- Komödie hineingebracht worden wäre, mit der ganzen Anziehungskraft, die
- von einem solchen ausgeht, so hätten sich alle, bis auf den Letzten, auf
- die Seite des anständigen Menschen gestellt und die ganz und gar
- vergessen, vor denen sie jetzt so erschrocken sind. Diese Gestalten
- würden uns vielleicht nach der Vorstellung nicht so verfolgen, wie wenn
- sie lebendig wären; der Zuschauer nähme kein schmerzliches Gefühl aus
- dem Stück mit und würde sich nicht fragen: »Existieren denn wirklich
- solche Menschen?«
- Der erste. Gewiß. Aber das wird man doch nicht gleich begreifen.
- Der zweite. Sehr natürlich. Der innere Sinn der Sache wird immer erst
- nachher verstanden. Und je lebhafter, je deutlicher die Gestalten sind,
- in denen er sich verkörpert und auf die er sich verteilt, um so mehr
- bleibt die allgemeine Aufmerksamkeit an diesen Gestalten haften. Nur
- wenn man sie zusammenaddiert, erhält man die Summe und den Sinn einer
- solchen Schöpfung. Aber solche Zeichen schnell zergliedern und addieren,
- sie sogleich auf den ersten Blick lesen -- das kann nicht jeder; und bis
- dahin wird man immer nur Zeichen sehen. Und ich sage es Ihnen im Voraus,
- Sie werden es noch erleben: vor allem wird jedes Kreisstädtchen in
- Rußland in Empörung geraten und behaupten, daß das eine böse Satire,
- eine platte und gemeine Erdichtung ist, die sich offen gegen dies
- Städtchen richtet. (Sie entfernen sich.)
- Ein Beamter. Das ist nichts wie eine platte gemeine Erdichtung! Das ist
- eine Satire! Ein Pasquill!
- Ein anderer Beamter. Jetzt ist also gar nichts mehr übriggeblieben. Man
- braucht keine Gesetze, man braucht auch dem Staate nicht zu dienen.
- Diese Uniform, die ich trage, -- muß ich also fortwerfen: sie ist jetzt
- nicht mehr als ein Lappen.
- (Zwei junge Menschen laufen herein.)
- Der eine. Jetzt sind alle zornig. Ich habe schon so viel reden hören,
- daß ich schon, wenn ich einen bloß ansehe, erraten kann, was er über das
- Stück denkt.
- Der andere. Nun, und was denkt dieser da?
- Der erste. Der grade in die Ärmel seines Mantels fährt?
- Der andere. Ja.
- Der erste. Der denkt folgendes: »Für so eine Komödie solltest du mir
- nach Nertschinsk! ...« Aber ich glaube, die Galerie kommt schon
- herunter. Das Vaudeville scheint schon aus zu sein. Gleich wird der
- Strom der kleinen Leute hereinbrechen. Wir wollen gehen. (Beide
- entfernen sich.)
- (Der Lärm wird stärker; man hört und sieht die Menschen alle
- Treppen herunterlaufen. Es kommen: Bauernröcke, Pelzjacken,
- Hauben, lange deutsche Kaufmanns-Kaftans, Dreimaster und
- Federbüsche, Mäntel aller Arten: Friesmäntel, Militäruniformen,
- abgetragene und stutzerhafte mit Biberkragen. Die Menge stößt den
- Herrn, der in die Ärmel des Mantels fährt, weg; der Herr tritt
- zur Seite und fährt dort fort, den Mantel anzuziehen. In der
- Menge werden Herren und Beamte aller Art sichtbar. Lakaien in
- Livree bahnen den gnädigen Frauen den Weg.)
- Man hört eine kreischende Frauenstimme: Herrgott, man erdrückt mich ja
- ganz von allen Seiten.
- Ein geschmeidiger junger Beamter (läuft an den Herrn heran, der den
- Mantel anzieht). Erlauben Exzellenz, daß ich Ihnen den Mantel halte.
- Der Herr im Mantel. Ah, guten Tag! Du hier? Du bist wohl hergekommen, um
- das Stück zu sehen?
- Der junge Beamte. Jawohl, Exzellenz, es ist sehr gut und mit viel Witz
- beobachtet!
- Der Herr im Mantel. Ach Unsinn! Da gibts gar nichts Witziges!
- Der junge Beamte. Sehr richtig, Exzellenz! Absolut nichts!
- Der Herr im Mantel. Für solche Sachen verdient man, ausgepeitscht und
- nicht noch gelobt zu werden.
- Der junge Beamte. Jawohl, Exzellenz.
- Der Herr im Mantel. Daß man die jungen Leute nur ins Theater läßt! Die
- werden dort viel Nützliches lernen! Auch du: jetzt wirst du wohl in die
- Kanzlei kommen und gleich mit Grobheiten beginnen?
- Der junge Beamte. Wie könnte ich nur, Exzellenz! ... Gestatten Sie, daß
- ich Ihnen den Weg freimache. (Zu der Menge, während er ein paar Leute
- fortstößt.) He, ihr da, macht Platz! Ein General kommt! (Tritt mit
- übertriebener Höflichkeit an zwei stutzerhaft gekleidete Herren heran.)
- Meine Herren, tuen Sie mir den Gefallen, lassen Sie den General durch!
- (Die gutgekleideten Herren treten zur Seite und geben den Weg frei.)
- Der erste. Weißt du, was das für ein General ist? Es muß wohl eine
- bekannte Größe sein?
- Der zweite. Ich weiß nicht. Ich habe ihn noch nie gesehen.
- Ein redseliger Beamter (mischt sich von hinten in das Gespräch). Ein
- ganz einfacher Staatsrat vierter Klasse. So ein Glück! Nach
- fünfzehnjährigem Dienst hat er schon den Wladimir-, den Anna- und
- Stanislaworden, dreitausend Rubel Gehalt, und außerdem zweitausend
- Zuschuß und dazu noch Zulagen vom Rat, von der Kommission und vom
- Departement.
- Die gutgekleideten Herren (einer zum andern). Gehen wir. (Sie entfernen
- sich.)
- Der redselige Herr. Das sind wohl verwöhnte Muttersöhnchen. Dienen
- wahrscheinlich im auswärtigen Amt. Ich habe die Komödien nicht gern;
- meinem Geschmack entspricht mehr die Tragödie. (Geht ab.)
- Eine Stimme aus der Menge. Wieviel Volk hier zusammengeströmt ist!
- Ein Offizier (drängt sich mit einer Dame am Arm durch die Menge). He,
- ihr Langbärte da, drängt doch nicht so. Siehst du denn nicht -- das ist
- eine Dame!
- Ein Kaufmann (mit einer Dame am Arm). Wir haben doch auch eine Dame bei
- uns, Väterchen.
- Eine Stimme aus der Menge. Jetzt hat sie sich umgesehen, siehst du,
- siehst du? Sie ist jetzt häßlicher geworden -- aber vor drei Jahren ...
- Verschiedene Stimmen. Hörst du, dreißig Kopeken habe ich von ihm
- zurückbekommen. -- Ein schurkisches, schlechtes Stück! -- Ein amüsantes
- Stück. -- Was drängst du dich mir bis an die Gurgel ran?
- Eine Stimme vom äußersten Ende. Das ist alles Unsinn! Wo hätte sich so
- ein Ereignis abspielen können? So etwas könnte höchstens noch auf der
- Tschukotzki-Insel geschehen.
- Eine Stimme vom anderen Ende. Nun, ganz so eine Sache ist unserer Stadt
- passiert. Ich glaubte schon, der Autor habe -- wenn er nicht selbst dort
- gewesen ist -- doch zum mindesten davon gehört.
- Die Stimme des Kaufmanns. Es ist -- sehen Sie wohl -- sozusagen mehr von
- der moralischen Seite gesehen. Gewiß, es gibt sozusagen sehr
- verschiedene Menschen. Aber wollen Sie bitte in Betracht ziehen, daß
- auch ein ehrlicher Mensch, wenn die Gelegenheit sich bietet ... Und von
- wegen der Moral -- so kommt das auch bei den Adligen vor.
- Die Stimme eines Mäzens. Wahrscheinlich ist er eine Kanaille, ein Schuft
- -- dieser Dichter: alles hat er ausgekundschaftet, er weiß alles!
- Die Stimme eines brummigen, aber offenbar erfahrenen Beamten. Was weiß
- er denn? Den Teufel weiß er! Und schwindeln tut er, schwindeln: alles,
- was er da geschrieben hat -- alles ist gelogen! Man nimmt auch die
- Schmiergelder nicht auf diese Weise, wenn es darauf ankommt ...
- Die Stimme eines andern Beamten aus der Menge. Ach was sagen Sie:
- »Lächerlich, ganz lächerlich!« Wissen Sie auch warum das lächerlich ist?
- Das sind doch alles bestimmte Personen. Er hat nämlich alle seine
- Großmütter und Tanten dargestellt. Das ist das Lächerliche daran!
- Eine unbekannte Stimme. Halt, man hat ein Tuch gestohlen!
- (Zwei Offiziere, die sich erkennen, begrüßen einander über die
- Menschen hinweg.)
- Der erste. Michèl, gehst du hin?
- Der zweite. Jawohl.
- Der erste. Nun, ich bin auch dort.
- Ein Beamter von bedeutendem Äußern. Ich würde alles verbieten. Nichts
- braucht man zu drucken. Genieße die Errungenschaften der Bildung, lies
- -- aber schreib nicht! Es gibt schon genug Bücher -- wir brauchen keine
- mehr!
- Eine Stimme aus dem Volke. Nun wenn er ein Schurke ist -- so ist er eben
- ein Schurke! Sei kein Schurke, und man wird nicht über dich lachen.
- Ein hübscher und wohlbeleibter Herr (spricht hitzig zu einem
- unansehnlichen kleinen Herrn). Die Sittlichkeit leidet darunter, die
- Sittlichkeit leidet darunter -- das ist das Wesentliche.
- Ein kleiner, unansehnlicher Herr von boshaftem Charakter. Aber die
- Sittlichkeit ist doch etwas Relatives.
- Der schöne und beleibte Herr. Was verstehen Sie unter dem Wort
- »relativ«?
- Der unansehnliche kleine Herr von boshaftem Charakter. Das, daß jeder
- die Sittlichkeit mit seinem eigenen Maßstabe mißt. Der eine nennt es
- sittlich, wenn man den Hut vor ihm auf der Straße lüftet. Der andere
- nennt das Sittlichkeit, daß man durch die Finger sieht, wenn er stiehlt;
- der dritte nennt die Dienste sittlich, die man seiner Geliebten erweist.
- Wie sagt doch jeder von uns gewöhnlich zu seinen Untergebenen? -- Er
- erklärt von oben herab: »Mein Herr, geben Sie sich Mühe, Ihre Pflicht
- gegen Gott, Kaiser und Vaterland zu erfüllen,« worauf das aber zu
- beziehen ist -- das kannst du dir selbst zurechtlegen. Allerdings ist
- das nur noch in der Provinz üblich, in der Residenz passiert so etwas
- nicht mehr, nicht wahr? Wenn sich hier jemand in drei Jahren zwei Häuser
- anschafft -- wie hängt das zusammen? Doch nur mit der Ehrlichkeit; nicht
- wahr?
- Der hübsche beleibte Herr (beiseite). Der ist bös wie der Teufel und hat
- eine Zunge wie eine Schlange!
- Der unansehnliche Herr von boshaftem Charakter (stößt einen ihm gänzlich
- unbekannten Herrn am Arm und spricht zu ihm, indem er auf den hübschen
- Herrn hinweist). Vier Häuser in einer Straße; alle nebeneinander, die
- sind in sechs Jahren aus der Erde gewachsen! Wie wirkt die Ehrlichkeit
- auf die Vegetation, was?
- Der Unbekannte (entfernt sich eilig). Verzeihen Sie, ich habe nicht ganz
- verstanden ...
- Der unansehnliche Herr von boshaftem Charakter (stößt einen unbekannten
- Nachbar am Arm). Wie sich heutzutage die Taubheit in der Stadt
- verbreitet hat, was? Das macht alles das ungesunde und feuchte Klima!
- Der unbekannte Nachbar. Ja, und die Grippe. Bei mir waren sämtliche
- Kinder krank.
- Der unansehnliche Herr von boshaftem Charakter. Ja, die Grippe, die
- Taubheit und der Ziegenpeter im Halse. (Verliert sich in der Menge.)
- (Eine Unterhaltung in einer abseits stehenden Gruppe.)
- Der erste. Man behauptet, daß mit dem Autor selbst eine ähnliche
- Geschichte passiert ist; er soll schuldenhalber in einem Städtchen im
- Gefängnis gesessen haben.
- Ein Herr auf der anderen Seite der Gruppe (fällt ihm ins Wort). Nein,
- nicht im Gefängnis, sondern auf einem Turm. Vorüberfahrende haben es
- gesehen. Man sagt, es sei etwas Außerordentliches gewesen. Denken Sie
- sich, ein Dichter auf einem fabelhaft hohen Turm, ringsherum Berge, in
- einer entzückenden Lage und von dort herab rezitiert er seine Gedichte.
- Nicht wahr, darin offenbart sich doch ein ganz besonderer Zug des
- Dichters?
- Ein positiv gesinnter Herr. Der Autor muß ein gescheiter Mensch sein.
- Ein negativ gesinnter Herr. Aber nicht im geringsten. Ich weiß, er hat
- gedient, und man hat ihn fortgejagt: er war nicht einmal imstande, ein
- Gesuch abzufassen.
- Ein ganz gewöhnlicher Lügner. Ein kecker, ein schlauer Kopf! Man wollte
- ihm lange keine Anstellung geben -- und was glauben Sie? Er schrieb ganz
- einfach einen Brief an den Minister. Und wie der geschrieben war! -- In
- Quintilianischem Stil. Schon allein der Anfang: »Sehr geehrter Herr!«
- Und so ging es weiter, weiter und weiter ... so an die acht Seiten
- heruntergehauen! Als der Minister das las, sagte er: »nun, ich danke,
- ich danke! Ich sehe, du hast viel Feinde. Du sollst Chef der Abteilung
- werden.« Und so hat er sich gleich von einem gewöhnlichen Schreiber zum
- Abteilungschef aufgeschwungen.
- Ein Herr mit gutmütigem Charakter (wendet sich zu einem anderen
- kaltblütigen Herrn). Der Teufel weiß, wem man da glauben soll! Im
- Gefängnis hat er gesessen und auf den Turm ist er geklettert! Aus dem
- Dienst hat man ihn gejagt und eine Anstellung hat er bekommen.
- Ein kaltblütiger Herr. Das sind ja alles Improvisationen.
- Der gutmütige Herr. Wieso -- Improvisationen?
- Der kaltblütige Herr. Ganz einfach ... Zwei Minuten vorher wissen sie ja
- selbst nicht, was sie von sich hören werden. Ein Zungenschlag -- und
- plötzlich platzen sie, ohne daß sie selbst etwas davon wissen, mit einer
- Neuigkeit heraus, sind zufrieden, -- und kehren nach Haus zurück, als ob
- sie sich satt gegessen hätten. Am andern Tag aber ist alles vergessen,
- was sie selbst sich ausgedacht hatten. Es scheint ihnen, als ob sie es
- von andern Leuten gehört hätten, und dann gehen sie los und erzählen es
- in der ganzen Stadt herum.
- Der gutmütige Herr. Aber das ist gewissenlos: lügen und es selbst nicht
- fühlen.
- Der kaltblütige Herr. Oh, es gibt auch empfindliche Leute. Es gibt
- solche, die fühlen, daß sie lügen, aber sie halten es in der
- Unterhaltung für etwas Notwendiges: Wie das Korn auf dem Felde das Auge
- entzückt, so eine Lüge die Rede erst schmückt.
- Eine gutsituierte Dame. Aber was für ein boshafter Spötter dieser Autor
- sein muß! Ich gestehe, daß ich ihm um keinen Preis unter die Augen
- kommen möchte: er würde sofort etwas Komisches an mir entdecken.
- Ein Mann von Gewicht. Ich weiß nicht, was für ein Mann das ist. Das ist
- ... das ist ... das ist ... Für diesen Menschen gibt es nichts Heiliges:
- heut sagt er: der Rat Soundso ist kein guter Beamter, und morgen wird er
- erklären, daß es keinen Gott gibt. Bis dahin ist nur ein Schritt.
- Ein zweiter Herr. Verspotten! Aber mit dem Lachen darf man nicht spaßen!
- Das heißt doch jede Achtung zerstören -- ja das heißt es!! Danach kann
- ja jeder kommen und mir auf der Straße einen Schlag versetzen und sagen:
- »Man lacht doch über euch; du bekleidest doch dasselbe Amt, da hast du
- eine Ohrfeige!« Jawohl, das bedeutet es.
- Ein dritter Herr. Natürlich! Das ist eine ernste Sache. Man sagt: »so
- eine Kleinigkeit, so eine Bagatelle: eine Theatervorstellung!« Nein, das
- ist gar keine solche Kleinigkeit. Darauf muß man ernstlich achtgeben!
- Für solche Sachen kommt man nach Sibirien. Wenn ich die Macht hätte --
- würde der Autor nicht zu mucksen wagen! Ich würde ihn an einen solchen
- Ort bringen lassen, wo kein Lichtstrahl hineinfällt.
- (Es erscheint eine Gruppe von Menschen, von Gott weiß welcher
- Art, übrigens aber von vornehmem Äußeren und gutgekleidet.)
- Der erste. Bleiben wir lieber hier stehen, bis die Menge sich verlaufen
- hat. Nein, was soll das wirklich! Lärm machen, in die Hände klatschen,
- als ob das Gott weiß was wäre! So eine Kleinigkeit, irgendein
- bedeutungsloses Theaterstück -- und so einen Alarm zu schlagen!
- Schreien, den Autor hervorrufen -- was soll das wirklich!
- Der zweite. Immerhin war das Stück amüsant und unterhaltend.
- Der erste. Nun ja, amüsant, so wie uns gewöhnlich jede Bagatelle
- amüsiert. Aber warum dieser Lärm, diese Diskussionen? Man streitet
- darüber wie über eine wichtige Sache, man applaudiert ... was soll das
- bedeuten! Schön, ich verstehe, wenn es sich noch um eine Sängerin oder
- Tänzerin handelte -- das verstände ich noch: da bewundert man doch
- wenigstens die Kunst, die Geschmeidigkeit, die Geschicklichkeit, das
- natürliche Talent. Aber hier? Man schreit: »ein Literat, ein Literat,
- ein Schriftsteller«! Ja, was ist denn ein Schriftsteller? Weil ihm
- manchmal ein witziges Wort einfällt, oder weil er die Natur abschreibt
- ... Ist denn das so schwer? Was ist denn das für eine Kunst? Das sind
- doch alles Fabeln und weiter nichts!
- Der zweite. Aber natürlich -- eine höchst mittelmäßige Sache.
- Der erste. Denken Sie selbst: Ein Tänzer zum Beispiel: Das ist doch
- immerhin Kunst, was er leistet, das kann ihm doch keiner nachmachen.
- Wenn ich es zum Beispiel wollte: ja bei mir würden sich einfach die Füße
- nicht von der Stelle bewegen. Ich sollte mal versuchen, einen Entrechat
- zu machen: ich würde keinen einzigen fertig bringen. Aber schreiben kann
- man, auch ohne es gelernt zu haben. Ich weiß nicht, wer der Autor ist,
- aber man hat mir erzählt, daß er ein absolut ungebildeter Mensch ist,
- der nichts weiß -- den man irgendwo hinausgeworfen hat.
- Der zweite. Aber erlauben Sie mal, etwas muß er doch wissen: ohne dies
- kann man doch nicht schreiben.
- Der erste. Aber ich bitte Sie, was kann er denn wissen? Sie wissen ja
- selbst, was ein Literat ist. Der leerste Mensch! Das ist doch
- weltbekannt -- zu nichts zu gebrauchen. Man hat schon versucht, sie
- irgendwie zu verwenden -- aber man hat es aufgegeben. Nun sagen Sie
- selbst: was schreiben sie denn? Das sind doch alles Torheiten und
- Fabeln. Wenn ich wollte, könnte ich sofort so etwas schreiben, und
- ebenso Sie und er, jeder kann so etwas schreiben.
- Der zweite. Nun ja ... gewiß -- warum sollte man so etwas nicht
- schreiben können. Wenn man nur ein Funken Verstand im Kopf hat, so kann
- man es schon.
- Der erste. Man braucht auch keinen Verstand dazu. Wozu denn Verstand?
- Das sind doch alles Fabeln. Ja, wenn es noch zum Beispiel eine
- schwierige Wissenschaft wäre, irgendeine Sache die man nicht kennt --
- aber was ist denn das? Das weiß doch jeder Bauer. Das kann man jeden Tag
- auf der Straße sehen. Man braucht sich nur ans Fenster zu setzen und
- sich alles zu notieren, was passiert -- das ist das ganze Kunststück.
- Der dritte. Das ist wahr. Wahrhaftig, wenn man nur bedenkt, mit was für
- Unsinn man seine Zeit vergeudet!
- Der erste. Sehr richtig, das ist Zeitverschwendung und sonst nichts.
- Lauter Fabeln und Torheiten! Man müßte es einfach verbieten, ihnen Tinte
- und Feder in die Hand zu geben. Aber das Volk strömt heraus -- wollen
- wir gehen! Lärm machen, schreien, Beifall klatschen! Und die Sache ist
- doch ganz wertlos! Fabeln! (Sie entfernen sich. Die Menge lichtet sich,
- einige Zurückgebliebene laufen vorüber.)
- Der gutmütige Beamte. Nun immerhin, er hätte doch wirklich wenigstens
- einen anständigen Menschen auftreten lassen können. Aber nichts als
- Schurken und Gauner!
- Ein Mann aus dem Volke. Hörst du, erwarte mich an der Straßenkreuzung!
- Ich laufe nur hinein und hole meine Handschuhe.
- Ein vornehmer Herr (sieht auf die Uhr). Es ist bald ein Uhr. Noch nie
- bin ich so spät aus dem Theater gekommen. (Er entfernt sich.)
- Ein Beamter der sich verspätet hat. Nichts als unnütz verlorene Zeit!
- Nein, ich gehe nie mehr ins Theater! (Er entfernt sich, das Vestibül
- leert sich.)
- Der Autor des Stücks (tritt hervor). Ich habe mehr gehört, als ich
- vermutete. Was für eine bunte Menge von Ansichten. Wie glücklich ist
- doch der Komödiendichter, der einer Nation entstammt, wo die
- Gesellschaft noch keine kompakte unbewegliche Masse bildet, wo sie noch
- nicht von einer Rinde alter Vorurteile umgeben ist, die die Gedanken
- aller mit derselben Form und demselben Maß umschließt; wo jeder Mensch
- seine eigene Meinung hat, wo jeder selbst der Schöpfer seines Charakters
- ist. Welche Mannigfaltigkeit liegt in allen diesen Meinungen, und wie
- leuchtete doch aus allen der starke, klare, russische Geist hervor!: in
- dem edlen Streben des Staatsmanns, in der hohen Selbstverleugnung des in
- die Provinz verschlagenen Beamten, in der zarten Schönheit einer
- großmütigen Frauenseele, dem ästhetischen Gefühl der Kenner und in dem
- schlichten sicheren Instinkt des Volkes. Wie war selbst in den
- unfreundlichen Urteilen noch so vieles enthalten, was der
- Komödiendichter wissen muß! Ja, ich bin befriedigt. Aber warum wird mir
- so traurig ums Herz ...? Seltsam: es schmerzt mich, daß keiner die
- redliche Person bemerkt hat, die in meinem Stück auftritt. Und doch gibt
- es eine ehrliche, edle Persönlichkeit, die während des ganzen Stückes
- mitwirkt. Diese edle ehrliche Person war -- das _Lachen_. Es war
- hochherzig, weil es sich hervorzutreten entschloß, trotz der gemeinen
- Bedeutung, die die Welt ihm beilegt. Es war hochherzig, weil es sich
- hervorzutreten entschloß, obschon es dem Komödiendichter einen
- schlechten Ruf einbrachte -- den Ruf eines kalten Egoisten, und sogar
- die Leute zwang, an das Vorhandensein zarter Seelenregungen bei ihm zu
- zweifeln. Für dieses Lachen ist keiner eingetreten. Ich aber, der
- Komödiendichter, ich diente ihm treu und ehrlich, und darum muß ich sein
- Fürsprecher sein. Nein, das Lachen hat eine größere Bedeutung und ist
- tiefer, als alle glauben -- nicht das Lachen, das ein flüchtiger Reiz,
- das die Galle oder ein krankhafter Charakter erzeugt; auch nicht das
- leichte Lachen, das der müßigen Zerstreuung und Unterhaltung dient --
- sondern jenes Lachen, das ganz aus der lichten Natur des Menschen strömt
- -- das aus ihr hervorströmt, weil sich auf ihrem Grunde sein ewig
- sprudelnder Quell befindet; ein Lachen das den Gegenstand vertieft, und
- hell hervortreten läßt, was sonst flüchtig vorübergeglitten wäre, und
- ohne dessen durchdringende Kraft diese Kleinheit und die Hohlheit des
- Lebens den Menschen nicht so mit Schrecken erfüllen würde. Das
- Verächtliche und Nichtige, an dem er täglich gleichgültig vorbeigeht,
- würde nicht mit dieser furchtbaren, beinahe bizarren Gewalt vor ihm
- emporwachsen und er würde nicht in den Ruf ausbrechen: »Gibt es denn
- wirklich solche Menschen?« während es, wie er selbst weiß, noch viel
- schlimmere Menschen gibt. Nein, die haben unrecht, die da behaupten, daß
- das Lachen uns empört. Nur das Finstere empört uns, das Lachen aber ist
- leuchtend und hell. Vieles würde den Menschen empören, wenn es ihm in
- seiner ganzen Nacktheit gezeigt würde, aber von der Macht des Lachens
- erleuchtet, bringt es unserer Seele Frieden und Versöhnung. Und wer an
- einem boshaften Menschen Rache nehmen will, söhnt sich schon beinahe mit
- ihm aus, wenn er gewahr wird, wie die gemeinen Regungen seiner Seele
- verlacht werden. Die sind ungerecht, die da behaupten, das Lachen wirke
- nicht auf die, gegen die es gerichtet ist, und daß der Spitzbube der
- erste ist, der über einen andern Spitzbuben lacht. Der Enkel des
- Schurken wird darüber lachen, aber über seinen schurkischen Zeitgenossen
- wird kein Spitzbube lachen können. Er merkt, daß sich der Eindruck
- seines Wesens schon allen unwiderstehlich eingeprägt hat, daß eine
- einzige gemeine Bewegung von ihm genügt, um ihm diesen Eindruck als
- ewiges Kennzeichen anzuheften; und vor dem Spott fürchtet sich sogar
- der, der sich vor nichts auf der Welt mehr fürchtet. Nein, nur dem ist
- jenes gütige Lachen gegeben, der ein von Grund aus gutes Herz hat. Aber
- man hört sie nicht, die gewaltsame Macht dieses Lachens; »was lächerlich
- ist, ist gemein«, sagt die Welt; nur das, was im erhobenem Tone gesagt
- wird, nur das wird als das Hohe bezeichnet. Aber mein Gott, wie viel
- Menschen gehen täglich an uns vorüber, für die es überhaupt nichts Hohes
- in der Welt gibt! Alles, was die Begeisterung erschuf, ist für sie
- Torheit und Fabelei. Die Werke Shakespeares sind Fabeln für sie, die
- heiligsten Regungen der Seele sind auch nichts als Fabeln. Nein, nicht
- verletzte kleinliche Dichtereitelkeit zwingt mich, das zu sagen, nicht
- weil meine unreifen schwachen Schöpfungen soeben als Fabeln bezeichnet
- wurden -- nein, ich sehe meine Fehler ein, ich sehe ein, daß ich
- Vorwürfe verdient habe; aber meine Seele konnte es nicht gleichgültig
- ertragen, daß die vollendetsten Schöpfungen als Torheiten und Fabeln
- bezeichnet wurden, daß alle Leuchten und Sterne dieser Welt nur für
- Verfasser von Torheiten und Fabeln gehalten wurden. Das Herz tat mir
- weh, als ich sah, wieviel stumpfe, tote Menschen es hier, mitten im
- treibenden Leben gibt, die uns durch die starre Kälte ihrer Seelen
- erschrecken, durch die unfruchtbare Wüstenei ihrer Herzen; das Herz tat
- mir weh, als ich sah, wie auf ihren unempfindlichen Gesichtern auch
- nicht die Spur eines Eindrucks dessen aufblitzte, was einer von tiefer
- Liebe erfüllten Seele himmlische Tränen entlockt hätte. Und ihre Zunge
- zögerte keinen Augenblick, ihr ewiges »Fabeln«, »Fabeln« auszusprechen.
- Doch sieh, Jahrhunderte sind verflossen, Städte und Völker sind vom
- Angesicht der Erde getilgt und verschwunden, wie Rauch ist alles
- verflogen, was einstmals war -- aber die Fabeln leben noch und
- wiederholen sich bis heute, und andächtig lauschen ihnen weise
- Herrscher, tiefsinnige Fürsten, der herrliche Greis und der von edlem
- Streben erfüllte Jüngling. Fabeln ...! Es ächzen die Balkone und die
- Brüstungen des Theaters: von oben bis unten erschauert alles, ist ganz
- in ein einziges Gefühl, in einen Augenblick verwandelt, alles
- verschmilzt zu einem einzigen Menschen, alle Menschen treffen wie Brüder
- in einer seelischen Regung zusammen, und der einstimmige Beifallssturm
- wird zu einer hehren Dankhymne für den, der schon seit fünfhundert
- Jahren nicht mehr auf der Welt ist. Vernehmen es seine verwesten Knochen
- im Grabe? Gibt seine Seele Antwort, die im Leben so herbes Leid erduldet
- hat? Fabeln ...! Dort, in die Reihen der erschütterten Menge tritt ein
- vom Unglück und der schier unerträglichen Last des Lebens Gebeugter;
- schon will er in seiner Verzweiflung Hand an sich legen -- da plötzlich
- entströmen erfrischende Tränen seinen Augen, er geht hinaus, versöhnt
- mit dem Leben, und bittet den Himmel um neue Leiden und Schmerzen, nur
- damit er leben und wieder Tränen vergießen kann über solche Fabeln.
- Fabeln ...! Die Welt würde einschlummern ohne solche Fabeln, das Leben
- verflachen, Schlamm und Schimmel würden die Seele überziehen. Fabeln
- ...! Oh! heilig seien die Namen derer, die solchen Fabeln andächtig
- gelauscht haben, heilig noch ihren Enkeln bis in alle Ewigkeit: der
- wunderbare Finger der Vorsehung schwebte ewig über dem Haupt ihrer
- Schöpfer. Selbst in den Zeiten des Unglücks und der Verfolgungen traten
- die Vornehmsten und Besten im Staate, als die ersten, schützend auf ihre
- Seite, und ein gekrönter Monarch beschattete sie mit seinem königlichen
- Schild von der Höhe seines unerreichbaren Thrones.
- Wohlan denn, frisch auf den Weg. Nicht möge die Seele der Tadel
- verwirren, sondern hochherzig nehme sie die Hinweise auf ihre Mängel
- hin. Selbst das darf sie nicht betrüben, daß man ihr große Regungen und
- die heilige Liebe zur Menschheit abspricht. Die Welt gleicht einem
- Strudel: ewig kreisen in ihr Meinungen und Ansichten, aber sie alle
- zermahlt die Zeit: wie eine Schale fallen die falschen ab, aber gleich
- harten Körnern bleiben unerschütterlich die ewigen Wahrheiten bestehen.
- Was einst als hohl und leer angesehen wurde, kann später mit ernster
- Bedeutung ausgerüstet erscheinen. In der Tiefe eines kalten Gelächters
- entdeckt man vielleicht plötzlich glühende Funken einer ewigen,
- machtvollen Liebe. Und wer will es wissen -- vielleicht kommt einmal die
- Zeit, wo alle Menschen anerkennen, daß kraft der gleichen Gesetze, nach
- denen der Stolze und Starke im Unglück klein und schwach erscheint,
- während das Elend den Schwachen zu einem Riesen emporwachsen läßt -- daß
- kraft der gleichen Gesetze der, der häufig weint und bittre, von Herzen
- kommende Tränen vergießt, vielleicht mehr lacht als alle andern auf der
- Welt ...!
- Anhang
- Der Revisor
- Diese Komödie ist im Jahre 1834 begonnen. Das Bühnenmanuskript wurde am
- 4. Dezember 1835 vollendet und am 2. März für die Aufführung
- freigegeben, trotzdem fuhr der Autor fort, auch nach der Freigabe durch
- die Zensur an diesem Texte weiterzuarbeiten. Am 19. April 1836 fand die
- erste Aufführung am Alexandertheater zu St. Petersburg, und zwar an
- einem Sonntage statt -- das kleine Theater in Moskau folgte am 25. Mai
- desselben Jahres. Zugleich mit der Aufführung erfolgte die Drucklegung
- der Buchausgabe des Revisor, die sich in vieler Hinsicht von der
- Bühnenausgabe unterschied. Das Buch erschien im April 1836 (die
- Unterschrift des Zensors trägt das Datum: den 13. März 1836). Von diesem
- Zeitpunkt ab ist der Revisor mehrmals und zu verschiedenen Zeiten immer
- wieder umgearbeitet worden, bis er die Fassung erhielt, die im dritten
- Bande der ersten Ausgabe der »Werke Gogols« abgedruckt ist. Die
- endgültige Umarbeitung des Textes fällt in den Zeitabschnitt zwischen
- dem März 1841 und dem 15. Juli 1842. Eine der letzten Fassungen, die im
- Druck vorliegen, weist folgende Abweichungen gegenüber den
- vorhergehenden Ausgaben auf:
- 1) Ist die stumme Schlußszene, die in den früheren Ausgaben
- folgendermaßen lautete, weit ausführlicher behandelt: »Alle stoßen einen
- Schrei der Überraschung aus und bleiben mit offenem Munde und langen
- Gesichtern stehen. Stumme Szene. Der Vorhang fällt.«
- 2) In der zweiten Ausgabe von »Gogols Werken« fehlen folgende
- Ausführungen über die Gäste, die offenbar vom Verfasser herstammen: »Die
- Gäste müssen einen möglichst verschiedenartigen Charakter haben. Es
- müssen große und kleine, dicke und dünne, ungekämmte und gekämmte
- darunter sein. Auch müssen sie verschieden angezogen sein, die einen
- müssen Fräcke, die andern ungarische Röcke und andre Röcke von
- verschiedener Farbe und verschiedenem Schnitt tragen. Auch die Kostüme
- der Damen müssen dieselbe Mannigfaltigkeit aufweisen, die einen müssen
- ziemlich anständig angezogen sein, sogar mit einem gewissen Anspruch auf
- Modernität, doch aber muß es immer an etwas fehlen: entweder sitzt die
- Haube schief, oder sie haben einen ganz seltsamen Pompadour usw., wieder
- andre haben Kleider an, die überhaupt keiner Mode entsprechen -- sie
- tragen große Tücher und Hauben in Form eines Zuckerhutes -- überhaupt
- muß man auf das Ganze des Stückes achten. Angst, Entsetzen,
- Überraschung, Unruhe -- das alles muß plötzlich und überall in der
- ganzen Gruppe der handelnden Personen zum Ausdruck kommen und sich
- zugleich in jedem Einzelnen in seiner Weise und gemäß seinem besonderen
- Charakter spiegeln« (Vergl. Seite 8).
- 3) Die Stelle im Monolog Chlestakoffs (Seite 35 »Dieser Hauptmann« usw.)
- hatte in den beiden ersten Ausgaben folgende Fassung: »Dieser Hauptmann
- hat mich am meisten ausgebeutelt, übrigens: man kann sagen, was man
- will, die Bestie konnte glänzend die Volte schlagen. Kaum ein
- Viertelstündchen gespielt und ratzekahl geschoren! Er spielt wirklich
- fein! Wenn ich doch noch einmal irgendwo mit ihm zusammentreffen könnte!
- Übrigens, wie sollten wir noch einmal zusammentreffen? Zu alledem
- bedarf's eines glücklichen Zufalls. Wenn ich doch nur schnell nach Hause
- fahren könnte. Wirklich, ich habe das Reisen satt. Und dazu muß es noch
- so ein ekelhaftes Nest sein! In andern Städten, da findet man doch noch
- wenigstens etwas: hier dagegen gibt es auch gar nichts. Im Obstladen, da
- gibt es zwar noch einen passablen Stör, aber die verdammten Verkäufer
- geben einem so schrecklich wenig zum Probieren«.
- 4) Ferner ist folgende Stelle aus den ersten beiden gedruckten Ausgaben
- des Revisor umgearbeitet: »Chlestakoff (erschrocken). Da haben wir die
- Bescherung! Daran hätte ich weiß Gott niemals gedacht. Diese Bestie von
- Wirt! Was nun, wenn er mich wirklich ins Loch steckt! Hm! In ein
- standesgemäßes Gewahrsam ... das wäre noch nicht so schlimm, da ginge
- ich vielleicht noch mit. Nein, was sage ich, ich ginge noch mit? Gestern
- haben mir zwei Kaufmannstöchter nachgesehen, und dann treiben sich da
- auch immerfort Offiziere herum ... Nein damit bin ich nicht
- einverstanden. Das kann er nicht machen, oder wenn er es täte, wäre er
- ein solches Schwein ... Das kann man sich wohl mit irgendeinem Krämer
- oder mit einem Handwerker erlauben ... Nein, nur nicht nachgeben (Mut
- fassend). Was kann er mir antun? Ich sags ihm geradezu. Wie können Sie!
- ... Ich will nichts davon wissen. (Die Türklinke bewegt sich,
- Chlestakoff erbleicht).«
- 5) Auch folgende Stelle aus der ersten und zweiten Ausgabe hat leichte
- Änderungen erfahren: Seite 120. »Schweig still, gar nichts weißt du, und
- menge dich nicht in anderer Leute Angelegenheiten. Anna Andrejewna,
- glauben Sie mir, ich bitte nur _darum_ um Ihre Hand oder um die Ihrer
- Tochter, weil ich mich von herzlicher Liebe ergriffen fühle, und von
- Bewunderung für Ihre Vorzüge erfüllt bin. In so schmeichelhaften
- Ausdrücken bewegte er sich, ... und als ich sagen wollte, wir erkühnen
- uns nie, auf eine solche Ehre zu hoffen, da sagte er kein Wort, fiel
- plötzlich auf die Knie und rief in derselben vornehmen Art: Anna
- Andrejewna, machen Sie mich nicht unglücklich! Wenn Sie meine Gefühle
- nicht erwidern, so macht der Tod meinem Leben ein Ende. Und weiter --
- Kreisrichter. In der Tat! Ein außerordentliches Ereignis!
- Schulinspektor. Das gnädige Schicksal hat es so gefügt. --
- Hospitalverwalter (beiseite). Diesem Schwein fliegen auch immer die
- gebratenen Tauben ins Maul.«
- Alle Korrekturen und Verbesserungen, die in der endgültigen Fassung des
- Revisors Aufnahme fanden, sind von Gogol in die erste in Druck
- erschienene Ausgabe eingetragen (1836).
- _Abriß aus einem Brief, den der Autor bald nach der ersten Aufführung an
- einen Schriftsteller richtete._ Der erste Entwurf stammt aus dem April
- des Jahres 1836. Die endgültige Ausarbeitung für den Druck fand Anfang
- März 1841 statt.
- _Vorbemerkung für diejenigen, die den Revisor sachgemäß aufzuführen
- beabsichtigen._ Ist wahrscheinlich gegen Ende des Jahres 1842
- niedergeschrieben.
- _Zwei Szenen, die schon bei der ersten Ausgabe, als den Gang der
- Handlung störend, ausgeschieden wurden._ Der erste Entwurf stammt aus
- den Jahren 1834 und 1835. Ende 1835 wurden sie noch einmal umgearbeitet.
- Die zweite von diesen Szenen erschien zum erstenmal im »Moskwitjanin«
- (Der Moskauer) Band 3, 1841, und dann um einige Stellen vermehrt in der
- zweiten Ausgabe des »Revisor«, 1841 wurden beide Szenen für den Druck
- umgearbeitet.
- _Eine vom Autor in die Buchausgabe nicht mit aufgenommene Szene des
- »Revisor«._ Stammt aus dem Jahr 1835.
- _Vorwort zu einer zum Besten der Armen geplanten Ausgabe des »Revisor«._
- Ist im Oktober des Jahres 1846 niedergeschrieben.
- _Die Deutung des »Revisors«._ Stammt aus dem Jahre 1846.
- _Nachtrag zur »Deutung des Revisor«_ stammt aus der zweiten Hälfte des
- Jahres 1847.
- Eine Heiratsgeschichte
- Der erste Entwurf dieser Komödie stammt aus dem Jahre 1833. 1834 wurde
- das Werk von Grund aus umgearbeitet, aber erst 1841 oder zu Anfang des
- Jahres 1842, erhielt das Stück nach wiederholten Umarbeitungen seine
- endgültige Gestalt. Es erschien zum erstenmal in der ersten Ausgabe von
- Gogols Werken im Druck.
- Die Spieler
- Diese Komödie wurde im Anfang Juni 1836 noch vor Gogols Reise ins
- Ausland begonnen und erschien 1842 zum erstenmal in Druck. Als Gogol das
- Werk für den Druck fertiggestellt hatte, schrieb er an Prokopowitsch.
- »Ich habe die Ihnen zugehenden _Spieler_ nur mit Mühe rekonstruiert, das
- Brouillon ist vor so langer Zeit und so unleserlich geschrieben, daß es
- mich eine schier unendliche Arbeit kostete, es zu entziffern.«
- Der Morgen eines vielbeschäftigten Herrn. Der Prozeß. Das
- Bedientenzimmer und das Fragment
- bilden Teile, oder nach Gogols eigenen Worten, »die Fetzen einer vom
- Autor vernichteten Komödie: Der Wladimirorden dritter Klasse«, deren
- erster Entwurf aus dem Jahre 1832 stammt.
- _Der Morgen eines vielbeschäftigten Herrn._ Diese Szenen wurden im
- Herbst des Jahres 1835 für den Druck bearbeitet, und zwar aus jenen
- Fetzen der vernichteten Komödie. Diese Szenen gehörten zu den frühesten
- der Komödie. Später bearbeitete Gogol diese Szenen noch einmal für
- Puschkins »Ssowremennik« (der Zeitgenosse). Dies war die letzte Fassung
- vom März des Jahres 1836. Sie trugen den Titel _Der Morgen eines
- Beamten_ und erschienen im Ssowremennik unter dem Titel _Der Morgen
- eines vielbeschäftigten Herrn. Petersburger Szenen._ Als Gogol diese
- Szenen für die gesammelten Werke vom Jahre 1842 fertigstellte, änderte
- er nur folgende Stelle: »Alexander Iwanowitsch: Er stach nicht, weil ich
- meine Dame noch nicht abgeworfen hatte. Iwan Petrowitsch: Gut, Sie
- spielen Dame, aber Lukian Fedossejewitsch hat ja noch die Trumpf Sieben.
- Alexander Iwanowitsch: Ja hatte er denn noch einen Trumpf? Ich kann mich
- gar nicht erinnern. Iwan Petrowitsch: Aber gewiß. Er hatte noch _zwei_
- Trümpfe! die Zehn, mit der er die Trümpfe herauslocken mußte, und die
- Sieben. Alexander Iwanowitsch: Aber nein, Iwan Petrowitsch, erlauben
- Sie, er konnte nicht mehr als einen Trumpf haben, denn ... Iwan
- Petrowitsch: Aber mein Gott, Alexander Iwanowitsch, wem erzählen Sie
- das? Zwei Trümpfe. Zwei Trümpfe! Ich sehe sie noch jetzt vor mir! die
- Zehn und die Sieben. Alexander Iwanowitsch: Eine Zehn hatte er, das
- stimmt, aber keine Sieben. Dann hätte er doch Trumpf gespielt, das
- müssen Sie doch zugeben, dann hätte er eben Trumpf gespielt. Iwan
- Petrowitsch: Bei Gott, Alexander Iwanowitsch. Bei Gott.«
- _Der Prozeß._ Wurde im Jahre 1839 oder Anfang 1840 vollendet.
- _Die Bedientenstube._ Wurde gegen Ende des Jahres 1839 neu bearbeitet
- und in einigen Teilen ergänzt.
- _Das Fragment_ -- die erste Niederschrift -- stammt wahrscheinlich aus
- dem Jahre 1837. Es wurde 1840 umgearbeitet. Anfang 1841 wurde diese
- Bearbeitung ins reine geschrieben. Die letzten Korrekturen stammen vom
- August des Jahres 1842 aus der Zeit der Drucklegung der »Werke« Gogols.
- Im gedruckten Text fehlen folgende Seiten aus dem Manuskript »Mischa.
- Ach Mutter, Mamachen, wie oft habe ich Sie gebeten, dieses Wort nicht zu
- wiederholen. Sie glauben nicht, wie widerwärtig es mir ist, wie gemein
- es klingt und was für eine dumme und falsche Bedeutung es bei uns
- angenommen hat. Seien Sie doch nicht so, wie jene alten Herren, die
- dieses Wort allen Menschen unter die Nase reiben, ohne sich den Menschen
- und das Wort erst ordentlich angesehen zu haben, das sie einem ins
- Gesicht schleudern. Was ist von den fünfzig Hohlköpfen (_sic!_)
- übriggeblieben, denen man eine französische Erziehung angedeihen ließ?
- Sie haben sich an dies sagenhafte Wort geklammert, legen es nun
- jedermann bei, und beehren jeden damit, der ihnen in den Weg läuft. Wenn
- sie einen Menschen sehen, dessen Anzug ein wenig anders ist, als der
- anderer Leute, der eine andre Frisur hat oder bei dem kurz gesagt etwas
- nicht _ganz_ so ist, wie bei andern Menschen, so schreien sie gleich:
- Ein Liberaler! Ein Liberaler! Ein Revolutionär! Seht doch seine
- Frackschöße an, die sind ganz anders wie bei andern Leuten, sein
- Halstuch ist ganz anders gebunden, er trägt seine Haare anders! Sie
- glauben nicht, wie sich jedesmal mein Herz empört, wenn ich etwas
- Derartiges höre. Wie wenig kennen sie das Herz eines Russen und die
- starken festen Züge seines Charakters! Sie wissen nicht, daß, wenn er
- sich auch von etwas hinreißen läßt, er dies nur auf Grund von schönen,
- geistigen Motiven tut und nicht infolge einer zusammenhanglosen Idee,
- die in dem leichtsinnigen Kopfe eines Franzosen entsprungen ist, (der in
- der Tiefe seines Herzens soviel tiefe innerliche Überzeugungen birgt,
- die ihn auf ewig wider alle kleinlichen Verirrungen des Verstandes
- behüten. Schon diese Liebe für seinen Zaren, dieses ganze ursprüngliche
- Gefühl, das in seiner Seele lebt, und von dem er sich nicht befreien
- kann, selbst wenn es ihm einfiele! Für _ihn_ ist er bereit, sein ganzes
- Hab und Gut hinzugeben, sein Leben zu opfern, alles stumm zu ertragen,
- und das ohne vorher ein Wort davon zu reden oder sich gar damit zu
- brüsten. Ist es da nicht bitter, zu sehen, daß man einem solchen
- russischen Mann in trivialer Weise Gedanken beilegt, die er nie gehabt
- hat und nicht haben kann, und daß man ihn mit dem abgeschmackten,
- abgedroschenen Wort zu treffen glaubt, er spiele den Liberalen.
- Mütterchen! um Gottes willen brauchen Sie dieses widerwärtige Wort
- nicht. Und vermeiden Sie es, wahllos all das, was Ihnen nicht gefällt,
- damit zu bezeichnen. Bitte sehen Sie doch zu: Wann und worin war ich
- Ihnen je ungehorsam?)« Die zweite eingeklammerte Hälfte des Textes hat
- Gogol durchgestrichen und auf der dritten Seite folgenden Passus dafür
- gesetzt: »Und dieser russische Mann, in dessen Busen eine ursprüngliche,
- mit seiner eigensten Natur erwachsene, unergründliche Liebe für seinen
- Zaren lebt -- ein Gefühl, für das er alles hingeben, sein ganzes Hab und
- Gut zum Opfer bringen, ja sein Leben aufopfern würde, ohne vorher ein
- Wort darüber zu reden oder sich später damit zu rühmen und zu brüsten --
- dieser russische Mann soll durch dieses häßliche Wort getroffen werden,
- das man ebensogut jedem hergelaufenen Frechling oder Vagabunden beilegt.
- Nein Mütterchen, brauchen Sie alle Worte, die Sie wollen, nur nicht dies
- banale und abgedroschene Wort. Denken Sie doch, _wann und worin war ich
- Ihnen je ungehorsam_?« Von diesem ganzen Absatz ist nur die letzte
- gesperrt gedruckte Zeile in den Text der gedruckten Ausgabe aufgenommen
- worden.
- Nach dem Theater
- _Epilog zu einer neuen Komödie._ Die ersten Entwürfe sind im April des
- Jahres 1836 in Petersburg niedergeschrieben. Im Oktober 1842 wurde diese
- Szene vollendet.
- Die Nachträge und Varianten zu diesem Bande sind der Ausgabe von
- Tischonorawow, St. Petersburg 1901, entnommen.
- _Der Herausgeber._
- Druck von Mänicke und Jahn, Rudolstadt.
- MODERNE RUSSEN
- MICH. P. ARTZIBASCHEW:
- Ssanin, Roman
- GEHEFTET M. 5.--, GEBUNDEN M. 6.50
- Aufruhr, Novellen
- GEHEFTET M. 3.--, GEBUNDEN M. 4.50
- Millionen
- GEHEFTET M. 5.--, GEBUNDEN M. 6.50
- Revolutionsgeschichten
- GEHEFTET M. 4.--, GEBUNDEN M. 5.50
- FJODOR SSOLOGUB:
- Der kleine Dämon
- GEHEFTET M. 5.--, GEBUNDEN M. 6.50
- ALEXANDER KUPRIN:
- Die Gruft
- GEHEFTET M. 3.--, GEBUNDEN M. 4.50
- GEORG MÜLLER VERLAG MÜNCHEN
- M. ARTZIBASCHEW, Ssanin. Roman. 20. Auflage.
- Finster, groß und ernst, von religiösem und sozial-ethischem
- Pathos erfüllt, mit weltreformatorischen Absichten und
- Gesinnungen, steht die russische Kunst, wie in Dostojewski und
- Tolstoi, so auch in Artzibaschew vor uns. Mit düsteren und
- starren Savonarola-Mienen blickt der Dichter auf das Leben seiner
- Zeit und seines Volkes, und er trägt Geißeln in seiner Hand;
- überall lodern die Flammen der Revolution, verspürt man den Atem
- umstürzlerischen Fühlens und Denkens.
- Julius Hart im Tag
- Das Dichterische hebt das ganze Buch Artzibaschews über das
- Niveau der Tendenz- und Absichtenbücher empor. Artzibaschew müßte
- zwar kein Russe sein, wenn sein Buch nicht im Grundton aller
- russischen Literatur, in philosophierender Grübelei erklingen
- sollte, aber er phantasiert nicht ins Blaue hinein, er hat vor
- allem wirklich etwas zu sagen. Und er sagt es mit künstlerischem
- Stil und poetischer Kraft.
- Münchener Post
- Der Verfasser verfügt über einen eigentümlichen Zauber in der
- knappen Charakteristik der Frauengestalten. Er gibt reizende,
- poetische Naturbilder von Gärten und Landschaften, in denen die
- jungen Leute sich umhertreiben; einzelne Szenen haben einen
- großartigen Zug echt russischen Charakters, wie man derartiges
- nur bei den ganz großen russischen Dichtern findet.
- Kölnische Zeitung
- M. ARTZIBASCHEW, Aufruhr u. andere Novellen. 3. Aufl.
- Artzibaschew ist unstreitig der beste unter den jungrussischen
- Erzählern, der schon eine unendliche Reihe von Nachtretern
- gefunden hat. Er ist im Grunde seines Schaffens Impressionist ...
- seine Bilder stehen vor uns in einem packenden Rahmen, in klarer
- Deutlichkeit, mit richtiger Licht- und Schattenverteilung und in
- der menschlichen Unmittelbarkeit, die uns am tiefsten ergreift.
- Sein vorliegender Novellenband ist wieder einmal die Bestätigung
- dieser seiner großen poetischen Kunst.
- Berliner Morgenpost
- Es ist etwas Gewaltiges um den Realismus und die nackte Offenheit
- von dem Autor des »Ssanin«! Er ist ein Arzt der Seele, der die
- Wunden am Organismus des russischen Volkskörpers rücksichtslos
- bloßlegt. Keinem denkenden Leser wird es je einfallen, eine
- zynische Note in diesen aus künstlerischem und sozialethischem
- Geiste entstandenen Bildern zu suchen.
- Hamburgisches Fremdenblatt
- M. ARTZIBASCHEW, Millionen u. andere Novellen. 3. Aufl.
- Die Psychologie der Erzählung ist so ausgezeichnet, wie man das
- von den Russen gewohnt ist. Sie geht in den Spuren des großen
- Dostojewski. Ein besonderes formales Moment sind die
- Naturstimmungen zu Anfang fast jeden Kapitels. Auch in der
- zweiten Erzählung finden sie sich. Sie sind eine Art von
- intimerem Symbolismus. Artzibaschews Sprache ... zeigt aber
- bemerkenswerte und besondere individuelle Vorzüge.
- Unvergleichlich und von höchst unmittelbarer, reizvoller Wirkung
- ist z. B. die schlichte und knappe und doch sehr plastische und
- suggestive Wirkung, wie Artzibaschew den Reiz des weiblichen
- Körpers und seine Macht auf den Mann mitzuteilen weiß. Ich könnte
- mir vorstellen, daß Artzibaschew nach solcher Richtung ein
- Dichter des Weibes werden könnte, wie ihn Rußland noch nicht
- gehabt hat.
- Johannes Schlaf in »Nord und Süd«
- Ein bis ins Unterbewußtsein kühn hineingreifendes, scharfes und
- unfehlbares psychologisches Vermögen, eine meisterhafte,
- wohlklingende Bildersprache, eine bis hart an die Grenze des
- Überfeinerten gesteigerte Ästhetik ... In allem eine minutiöse
- Detailmalerei, und eine Milieuschilderung, wie sie zum Besten in
- ihrer Art gerechnet werden müssen.
- B. Z. am Mittag
- M. ARTZIBASCHEW, Revolutionsgeschichten. 3. Aufl.
- Der berühmte Dichter des »Ssanin« zeigt sein hervorragendes
- dichterisches Können auch in diesem neuen Werk. Die
- »Revolutionsgeschichten« sind furchtbare Illustrationen zu den
- nun schon historisch gewordenen Greueltaten jener Zeit, da
- Revolution und Reaktion in Rußland einen grauenvollen Kampf
- begannen. In diesen Geschichten steckt die sittliche Kraft der
- russischen Jugend und Intelligenz, die es gewagt hat, an den
- Grundlagen des tönernen Kolosses zu rühren und die Reformation
- des Landes unter Aufopferung ihrer eignen Personen zu erzwingen.
- Und doch lesen sich diese Geschichten nicht etwa bloß wie
- historische Berichte. Sie sind dichterische Schöpfungen.
- Dr. Messer i. d. Neuen Freien Presse, Wien
- FJODOR SSOLOGUB, Der kleine Dämon. Roman. 3. Aufl.
- Ssologubs »Kleiner Dämon« ist ein Buch, das man gerne liest und
- über das man gerne schreibt, seinem furchtbaren Stoffe, der
- Tatsache zum Trotz, daß es Seite für Seite vom Schmutz eines für
- westeuropäische Begriffe schier unglaublich niedrigen Alltags
- geradezu pappt. Dies grausame Buch ... bedarf einer energischen
- Abwehr der Insinuation des Naturalismus und seiner Lust zu
- stinken. Ssologub steht hoch über dem Verdachte, mit den
- Widrigkeiten seines Werkes Sensation beabsichtigt zu haben ... Er
- ist Dichter durch und durch und blickt mit den ernsten, echt
- menschlichen Augen eines vornehmen Ethikers. Ssologub macht
- keinerlei literarischen Getues mit dem Satanismus der Welt, die
- er schildert. Er spricht ruhig und gelassen wie von einer Sache,
- über die wir uns längst einig sind. Sein Pessimismus posiert
- nicht und ist keine trockene These, sondern bitterlich ernste
- Lebenserfahrung, Lebensstimmung.
- Hermann Eßwein im Literarischen Echo
- ALEXANDER KUPRIN, Die Gruft. Ein Roman aus der russischen Tiefe.
- Dritte Auflage.
- Ein mächtiges Gefühl der Wirklichkeit lodert in seinem Schaffen,
- ein Streben, das ganze russische Leben zu umfassen und die
- Vielheit seiner Formen sinnreich zu beleuchten ... Kuprins
- Naturalismus hat hier in der Sprache, in der Darstellung von
- Tatsachen und in den Farben den Höhepunkt erreicht. Er erscheint
- hier als Naturforscher, als Psychologe und als Chirurg, der mit
- verblüffender Kaltblütigkeit das Seziermesser handhabt, um alle
- Atome zu zerlegen ... Die ethische Kraft, mit der Kuprin sein
- Werk geschrieben, ist gewaltig genug, um jede ernstdenkende und
- mitfühlende Persönlichkeit hinzureißen.
- Neue Freie Presse, Wien
- Was Kuprins Buch, das er den Müttern und der Jugend widmet, von
- der Bordell- und Dirnenliteratur unterscheidet, in der mit einem
- ethisch-sentimentalen Rittertum die Notwendigkeit der Institution
- und die Zusammenhänge unterschlagen wurden, ist die Objektivität,
- mit der er den Dingen aus nächster Nähe klar ins Auge sieht, ohne
- das ungeheuer Geschäftsmäßige der Prostitution dabei mit Gemüt zu
- überfälschen ... Es ist ein Erkenntnis- und ein Mahnbuch, ein
- Buch der Nächstenliebe, voll großen sozialen Empfindens.
- Vorwärts, Berlin
- RUDOLF HUCH
- Mehr Goethe
- 7. Aufl. Geh. M. 2.--, geb. M. 3,--
- Winterwanderung
- 2. Aufl. Geh. M. 2.50, geb. M. 3.50
- Die beiden Ritterhelm
- Roman. 2. Aufl. Geh. M. 4.--, geb. M. 5.--
- Die Familie Hellmann
- Roman. 2. Aufl. Geh. M. 6.--, geb. M. 7.50
- Die Rübenstedter
- Eine Kleinstadtsommergeschichte
- 2. Aufl. Geh. M. 3.--, geb. M. 4.--
- Wilhelm Brinkmeyers Abenteuer
- von ihm selbst erzählt
- 2. Aufl. Geh. M. 5.--, geb. M. 6.50
- GEORG MÜLLER VERLAG MÜNCHEN
- Mehr Goethe
- Und nun komme ich zu einem der eigenartigsten und selbständigsten
- Bücher, die den Namen Goethe auf ihren Schild geschrieben haben.
- Das Buch von Rudolf Huch »Mehr Goethe!« hat ja inzwischen seinen
- breiten Weg in die deutsche Leserwelt gefunden, es bedarf also
- der Empfehlung kaum noch ... _Es ist ein frisches, mutiges und
- gesundes Buch_, das aus seinem Herzen keine Mördergrube macht,
- keck und dreist, ohne viel gelehrten Ballast im Schulsack, mitten
- in die Dinge hineinspringt und alle graue Theorie zum Teufel
- jagt.
- (>Westermanns Monatshefte<)
- Winterwanderung
- Anmutig und durch einen Beigeschmack feiner Ironie ätzend und oft
- fast pikant in gutem Sinne liest sich ein gleichwohl
- gedankenreiches, zu aphoristischer Form neigendes Werk von Rudolf
- Huch: Winterwanderung ... _Ein vornehmer Grundton, ein
- aristokratischer Pessimismus, der sich an Schopenhauer vertieft
- hat, zieht durch Huchs Weltanschauung_; aber ein oft
- feinsatirischer, oft grimmiger Humor bildet das angenehme
- Gegengewicht und läßt steife Feierlichkeit nicht aufkommen. Das
- geistvolle Buch, wiederum ausgezeichnet durch eine fesselnde
- Stilistik, ist insofern eine empfehlenswerte Ergänzung zu des
- Verfassers bekanntem Buch: Mehr Goethe.
- (>Der Türmer<)
- Die beiden Ritterhelm
- Den hohen Reiz des Buches macht die gleichmäßige, epische
- Gelassenheit aus und, mit ihr zusammenhängend, die dem Stoff
- gemäße patrizische Natur des Erzählers. Das gibt dem Ganzen _eine
- ungewöhnliche, lückenlose Einheitlichkeit_. Wir spüren ein
- bildungsgesättigtes Wesen, das der Bildungsprotzerei
- entgegengesetzt ist, wir spüren einen tiefen Ernst der
- Lebensanschauung und zugleich eine humorisch mildernde
- Überstrahlung; weite Ausblicke werden in verhaltener Darstellung
- angedeutet, und überall erfreut die unsüßliche Anmut der
- sparsamsten Linie.
- (>Der Kunstwart<)
- Huchs Buch ist von einer kräftigen Strenge, herb und
- unerbittlich, männlich durch und durch. Und es ist fest in seinem
- Gefüge, seine Gewölbe sind tragkräftig, und der Mörtel des Baues
- ist hart wie Stein ... Die Gefühle der Menschen in diesem Buche
- liegen nicht an der Oberfläche und können nicht leichthin berührt
- werden. Sie sind in Knospen eingeschlossen ... _Huchs Buch gehört
- zu jenen, die man nicht vergißt._
- (Karl Hans Strahl in >Die Zeit<, Wien)
- Die Familie Hellmann
- _Kein Buch führt wohl so in gerader Linie auf den Stammbaum
- Goethes zurück wie dieser Familienroman Rudolf Huchs. Er ist ein
- Erlebnis für den Leser_, davon er manchen Tag zehren kann und das
- ihm schwerlich mehr aus dem Gedächtnis schwindet; auf den
- fünfhundert Seiten wird keine Zeile langweilig sein. _Da ist edle
- Ausgeglichenheit der Sprache, Wohlklang, Feinnervigkeit,
- männliche Kraft und frauliche Süßigkeit: das Buch hat etwas im
- tiefsten Grunde Musikalisches_ ... »Die Familie Hellmann« bildet
- einen Höhepunkt in Rudolf Huchs künstlerischem Schaffen und
- verdient es, den bisher noch viel zu wenig gekannten Dichter
- endlich ans Licht zu führen.
- (Dr. Ludwig Finckh in den >Propyläen<)
- Rudolf Huch hat sich schon früher durch einige Werke die Achtung
- des deutschen Publikums errungen. _Mit diesem Roman steht er als
- ein ganz reifer, eigenartiger und als literarischer Charakter
- durchgebildeter Künstler vor uns_, der auf äußeren und inneren
- Stil etwas hält, nicht gewisser Szenen wegen sich technisch
- überhastet, sondern ruhig und sachlich, das heißt episch langsam
- von Nuance zu Nuance, von Stufe zu Stufe fortschreitend erzählt.
- Und trotz dieser scheinbar ruhigen und sachlichen Art formt sich
- seine Geschichte immer mehr, runden sich seine Gestalten und
- erleben mit objektiver Unerbittlichkeit ihr Schicksal. Neben den
- tatsächlichen Hauptpersonen gewinnt eine Anzahl Nebenfiguren
- durch die liebevolle Behandlung von seiten des Autors wirkliches
- Leben und wirkliche, menschenähnliche Plastik.
- (>Pester Lloyd<)
- Rudolf Huch hat eine streitbare Schrift »Mehr Goethe!« verfaßt,
- in der er den Deutschen als unverlierbare Richtschnur den Weg zu
- Goethe anpreist. Diesen Weg ist er mit seinem schönen Roman
- selbst geschritten. Er beleuchtete den Grundsatz des großen
- Meisters: Bilde, Künstler, rede nicht. _Seine Figuren haben
- plastisches Leben. Sie bleiben in unserer Erinnerung, als ob wir
- sie selbst gesehen hätten._ Lyrische Stimmungen, an denen auch
- dieser Roman nicht arm ist, verdrängen doch nicht die
- hartgefügten Menschengestalten, die der Dichter geschaffen hat.
- (Dr. Max Messer)
- Rudolf Huch ist ein Dichter mit starker Eigenart. Er prägt scharf
- und hart und baut seine Sachen ohne alle umhüllende Weichheit und
- Zartheit aus. _Eine wirkliche Kompositionskunst und eine
- wundervolle Teleologie ist da, die jedes einmal aufgenommene
- Moment des Stoffes entwickelt und zur Geltung bringt. Huch
- schmückt die Form; doch sein Schmuck ist karg und spröd, voll
- Einfalt und Ungebrochenheit_ ... Wenige sind so frisch, kernhaft
- und anspruchslos wie er. Schönheit, tiefe und innere Größe ist
- auch den Menschen nahe, die durch diese letzte Arbeit Huchs
- gehen.
- (>Mannheimer General-Anzeiger<)
- Die Rübenstedter
- _Gottlob, endlich einmal Humor, wirklicher deutscher
- Erzählerhumor!_ Der Verfasser zitiert nicht umsonst in seiner
- Vorrede solch gute Geister wie Wilhelm Raabe und Fritz Reuter. Er
- hätte meinethalben auch noch Dickens nennen können, ja vielleicht
- den mit dem besten Recht. Denn Rudolf Huch streift ... durchaus
- die behagliche, künstlerische Sphäre des englischen Erzählers ...
- Huch steht alle »Moral« so fern, daß er für die moralisch
- außerordentlich streng geregelte Lebensweise von Rübenstedt ein
- wirklich befreiendes Lachen des Mitgefühls übrig hat, das
- durchhält bis zum Schluß.
- (Eugen Kalkschmidt in der >B. Z. am Mittag<)
- Die Rübenstedter sind _ein ganz selbständiges Buch, durchsonnt
- von einem breiten, behäbigen Humor_, köstlich in der feinen
- Verspottung der Kleinstädter, der Philister und all der Leute,
- deren freie geistige Regungen in der Kleinstadt verkümmert und
- die in ihr lederne Pedanten und Banausen geworden sind ... Die
- Gestalten der Geschichte sind mit wenig Strichen prächtig
- charakterisiert, die Darstellung ist von reifer Lebensweisheit
- getragen.
- (>Rhein- und Ruhr-Zeitung<)
- Rudolf Huchs Kleinstadtsommergeschichte »Die Rübenstedter« ist
- _ein prächtiges Buch .... Es ist ein Buch, das ganz köstliche
- Einzelheiten enthält, und über viele Stellen kann man bis zu
- Tränen lachen._ Die Sprache in ihrer Ruhe und Sachlichkeit, die
- reiche Reihe glänzend gezeichneter, lebensvoller Gestalten ...
- sichern dem Buche einen guten Platz in unserer humoristischen
- Erzählungsliteratur.
- (>Literar. Zentralblatt<)
- Anmerkungen zur Transkription
- Die Schreibweise der Buchvorlage wurde weitgehend beibehalten. Auch
- Variationen in der Transliteration der russischen Namen wurden nicht
- verändert. Die Übersetzer haben teilweise, zumeist im »Revisor«, die
- russischen Namen unter Verwendung von Akzenten transliteriert. Dies
- wurde unverändert übernommen und auch nicht vereinheitlicht.
- Offensichtliche Fehler wurden, teilweise unter Zuhilfenahme des
- russischen Originaltextes, korrigiert wie hier aufgeführt
- (vorher/nachher):
- [S. 10]:
- ... ich mich, dir unter anderem zu melden, daß ein ...
- ... mich, dir unter anderem zu melden, daß ein ...
- [S. 32]:
- ... Sie so delikat, als ob alles adlig wär'. Geht man auf ...
- ... sie so delikat, als ob alles adlig wär'. Geht man auf ...
- [S. 46]:
- ... bündig sagen: wie du wünscht, aber ohne Petersburg ...
- ... bündig sagen: wie du wünschst, aber ohne Petersburg ...
- [S. 51]:
- ... Polizeimeister (macht Bóbtschinski ein Zeichen der ...
- ... Polizeimeister (macht Bóbtschinski ein Zeichen des ...
- [S. 64]:
- ... Aexándrowitsch, daß ich Ihnen erst die Stiefel säubere!« ...
- ... Alexándrowitsch, daß ich Ihnen erst die Stiefel säubere!« ...
- [S. 68]:
- ... wird aber von den Beamten erfurchtsvoll gestützt.) ...
- ... wird aber von den Beamten ehrfurchtsvoll gestützt.) ...
- [S. 96]:
- ... is da? 'n Strick? Her mit dem Strick? Auch 'n ...
- ... is da? 'n Strick? Her mit dem Strick! Auch 'n ...
- [S. 100]:
- ... Chestakóff (galant.) Aber mein Fräulein, es ist ...
- ... Chlestakóff (galant.) Aber mein Fräulein, es ist ...
- [S. 124]:
- ... Polzeimeister. Wie konnten Sie sich erdreisten, ...
- ... Polizeimeister. Wie konnten Sie sich erdreisten, ...
- [S. 125]:
- ... Polizeimeister. Was sollte er denn nach ihrer ...
- ... Polizeimeister. Was sollte er denn nach Ihrer ...
- [S. 130]:
- ... Antón, er hat sich doch mit Mascha verlobt! ...
- ... Antón, er hat sich doch mit Máscha verlobt! ...
- [S. 142]:
- ... kleinen Beamten Schtschepkin und Rjäsanski auf den ...
- ... kleinen Beamten Schtschepkin und Rjásanski auf den ...
- [S. 142]:
- ... chlecht und karikiert. Ich hatte das gewissermaßen ...
- ... schlecht und karikiert. Ich hatte das gewissermaßen ...
- [S. 148]:
- ... suchen, wozu diese bestimmt ist, worin die haupsächlichste ...
- ... suchen, wozu diese bestimmt ist, worin die hauptsächlichste ...
- [S. 177]:
- ... befehlender Geberde). Michailo Sjemjonowitsch, den Kranz ...
- ... befehlender Gebärde). Michailo Sjemjonowitsch, den Kranz ...
- [S. 178]:
- ... keinem ihren Rat versagt und keinen gering geachtet ...
- ... keinem Ihren Rat versagt und keinen gering geachtet ...
- [S. 179]:
- ... umarmend). Michailo Sjemonowitsch, ich bin außer ...
- ... umarmend). Michailo Sjemjonowitsch, ich bin außer ...
- [S. 185]:
- ... Zweiter Schauspieler. Wahr, sehr war; ...
- ... Zweiter Schauspieler. Wahr, sehr wahr; ...
- [S. 196]:
- ... gegen bestechliche Beamten wappnet; und zwar darum, ...
- ... gegen bestechliche Beamte wappnet; und zwar darum, ...
- [S. 223]:
- ... eigentlich? Guck dich doch bloß mal in den Spiegel! ...
- ... eigentlich? Guck doch bloß mal in den Spiegel! ...
- [S. 289]:
- ... fühlt, empfindet, sich gewissermaßen verflüchtigt, weist ...
- ... fühlt, empfindet, sich gewissermaßen verflüchtigt, weißt ...
- [S. 290]:
- ... 22. Auftritt ...
- ... 20. Auftritt ...
- [S. 328]:
- ... häußlichen Kreis. Alles was Sie jetzt umgibt, sind ja ...
- ... häuslichen Kreis. Alles was Sie jetzt umgibt, sind ja ...
- [S. 329]:
- ... Ich begreife nicht, wie sie es dem Menschen nicht sofort ...
- ... Ich begreife nicht, wie Sie es dem Menschen nicht sofort ...
- [S. 334]:
- ... Das ist mein wahrer Geschmack, solche offenherzige ...
- ... Das ist mein wahrer Geschmack, solche offenherzigen ...
- [S. 365]:
- ... es waren anwesend: Pawel Grigojewitsch Borschtschow, ...
- ... es waren anwesend: Pawel Grigorjewitsch Borschtschow, ...
- [S. 374]:
- ... einfach nach Kamschatka schicken. Ich würde ihm mit ...
- ... einfach nach Kamtschatka schicken. Ich würde ihm mit ...
- [S. 377]:
- ... ging. ...
- ... ging? ...
- [S. 389]:
- ... (Zu Iwan.) Geh, mach auf! Was, hälst du Maulaffen ...
- ... (Zu Iwan.) Geh, mach auf! Was, hältst du Maulaffen ...
- [S. 405]:
- ... Sobatschkin. Wissen Sie, daß Sie ihre Mädchen ...
- ... Sobatschkin. Wissen Sie, daß sie ihre Mädchen ...
- [S. 426]:
- ... eine Mißachtung, für eine Verlöhnung zu nehmen. Elektrisiert ...
- ... eine Mißachtung, für eine Verhöhnung zu nehmen. Elektrisiert ...
- [S. 431]:
- ... der Laster, das ist doch eine widerwärtige Verhöhnung
- Rußland. ...
- ... der Laster, das ist doch eine widerwärtige Verhöhnung
- Rußlands. ...
- [S. 440]:
- ... im innern mag die Krankheit fortwüten -- das macht nichts. ...
- ... im Innern mag die Krankheit fortwüten -- das macht nichts. ...
- [S. 442]:
- ... sich immer noch ein Freund oder Verehrer, der sie im ...
- ... sich immer noch ein Freund oder Verehrer, der sie in ...
- [S. 445]:
- ... sehen, wo einer sich unter den Stuhl versteckt und der ...
- ... sehen, wo einer sich unter dem Stuhl versteckt und der ...
- [S. 446]:
- ... so empfindliche Nerven, und ich lache immer gern über ...
- ... so empfindlichen Nerven, und ich lache immer gern über ...
- [S. 448]:
- ... Gerade ihr liebt nur Phrasen und Reden von Hochherzigkeit ...
- ... Gerade Ihr liebt nur Phrasen und Reden von Hochherzigkeit ...
- [S. 461]:
- ... Der unansehnliche Herr von boshaften ...
- ... Der unansehnliche Herr von boshaftem ...
- [S. 464]:
- ... ich die Macht hätte -- würde der Autor nicht zu muksen ...
- ... ich die Macht hätte -- würde der Autor nicht zu mucksen ...
- [S. 464]:
- ... wirklich! Lärm machen, in die Hände klaschen, als ob ...
- ... wirklich! Lärm machen, in die Hände klatschen, als ob ...
- [S. 479]:
- ... Ein Heiratsgeschichte ...
- ... Eine Heiratsgeschichte ...
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