Quotations.ch
  Directory : Die Toten Seelen. Erster Teil.
GUIDE SUPPORT US BLOG
  • Project Gutenberg's Sämmtliche Werke 1: Die Toten Seelen I, by Nikolaj Gogol
  • This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most
  • other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
  • whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of
  • the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
  • www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have
  • to check the laws of the country where you are located before using this ebook.
  • Title: Sämmtliche Werke 1: Die Toten Seelen I
  • Author: Nikolaj Gogol
  • Editor: Otto Buek
  • Translator: Otto Buek
  • Release Date: March 1, 2017 [EBook #54262]
  • Language: German
  • *** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK SÄMMTLICHE WERKE 1: DIE ***
  • Produced by Jens Sadowski and the Online Distributed
  • Proofreading Team at http://www.pgdp.net. This book was
  • produced from images made available by the HathiTrust
  • Digital Library.
  • Nikolaus Gogol
  • Tote Seelen
  • Erster Band
  • Nikolaus Gogol
  • Sämmtliche Werke
  • In 8 Bänden
  • Herausgegeben
  • von
  • Otto Buek
  • Band 1
  • München und Leipzig
  • bei Georg Müller
  • 1909
  • E. R. W.
  • Nikolaus Gogol
  • Die Abenteuer Tschitschikows oder Die toten Seelen
  • Übertragen
  • von
  • Otto Buek
  • Band 1
  • München und Leipzig
  • bei Georg Müller
  • 1909
  • E. R. W.
  • Von diesem Buche wurden 100 Exemplare auf
  • van Geldern abgezogen, in der Presse
  • nummeriert und in Ganzleder gebunden. Der
  • Preis eines solchen Exemplares beträgt 16
  • Mark. Den Druck besorgten _Mänicke_ und
  • _Jahn_ in Rudolstadt. Titel und Einband
  • zeichnete _E. R. Weiß_.
  • Vorrede des Herausgebers
  • Eine Gesamtausgabe der Werke Gogols bedarf keiner besonderen
  • Rechtfertigung; sie hat ihre Rechtfertigung in sich selbst. Unter allen
  • großen Meistern des Romans, die die russische Literatur im XIX.
  • Jahrhundert hervorgebracht hat, nimmt Gogol eine besondere und
  • einzigartige Stellung ein; mögen die Vorgänger oder Nachfolger ihn, was
  • Weite des Horizonts, Tiefe der Seelenanalyse, Reinheit und Kultur der
  • Kunstform anbetrifft, erreichen oder gar übertreffen, an _Originalität_
  • und Ursprünglichkeit kommt ihm keiner gleich. Er selbst hat immerdar zu
  • seinem älteren Zeitgenossen Puschkin als dem unerreichten Vorbild einer
  • reinen idealisierenden Dichtung emporgeblickt, und er hat in einer
  • berühmten Apostrophe der »Toten Seelen« dieser Differenz und dem Abstand
  • zwischen seiner Begabung und der Puschkins in beredten Worten Ausdruck
  • gegeben, doch selbst Puschkin bleibt bei seinem großen und einzigen
  • Talent nur ein Zweig und Schößling am Stamm der großen europäischen
  • Literatur. In Gogol aber schuf sich das junge russische Volk zum ersten
  • Mal eine adäquate vollgültige dichterische Form, in ihm realisierte sie
  • einen literarischen Typus, der von da ab das Muster und Ideal für alle
  • kommenden Schriftstellergenerationen Rußlands geworden ist. Das ganze
  • jüngere Dichtergeschlecht von Turgenjew bis Tolstoi, das sich das
  • Interesse der westlichen Völker eroberte und unsere Aufmerksamkeit auf
  • Rußland hinlenkte, geht auf Gogol als seinen Ursprung zurück. In ihm
  • liegen alle Motive und Ideen, die _sie_ entwickeln und entfalten, wie im
  • Keime beschlossen, _er_ gab das Thema an, das sie in mannigfachen
  • Paraphrasen und Modulationen variieren; er schuf die Kunstform, an der
  • sie sich schulten; sie dachten und dichteten in seiner Sprache. Und
  • nicht in unsicheren unausgereiften Ansätzen vollzog er diesen
  • Schöpfungsakt an der russischen Dichtung, sondern mit dem Siegel der
  • Kraft und der Fülle der Vollendung rief er sein Werk -- die russische
  • Literatur -- fast wie aus dem Nichts hervor. Wie nur bei ganz wenigen
  • Ausnahmen, zeigen all seine Werke die gleiche reine Linie des großen
  • Talents, und es gibt unter ihnen schlechterdings nichts Minderwertiges
  • und Unbedeutendes. Und zugleich mit der Dichtung hat Gogol den Typus des
  • russischen _Dichters_ geschaffen, indem er in sich jenen ewigen
  • Gegensatz, der das Leben der größten russischen Künstler beherrscht, zur
  • Ausprägung brachte; den Gegensatz zwischen dem _Dichter_ und dem
  • _Propheten_, die in ihnen ständig im Streite liegen. Bei keinem aber
  • tragen die Werke selbst trotz aller Objektivität so sehr den Stempel des
  • Persönlichen, wie bei Gogol, sind sie so sehr das treue Spiegelbild der
  • eigenen geistigen Lebenskämpfe, der Niederschlag ihrer Schwankungen und
  • Stimmungen, wie bei ihm. Schon aus diesem Grunde wird für das
  • Verständnis dieser so komplizierten und originalen Persönlichkeit der
  • Überblick über das Gesamtschaffen des Dichters zur Notwendigkeit.
  • Einen solchen Überblick soll die vorliegende Ausgabe ermöglichen. Es
  • wurde dabei von einer chronologischen Anordnung der Werke abgesehen und
  • eine solche nach fachlichen Gesichtspunkten zugrunde gelegt. Die
  • inhaltlich und formal zusammengehörigen Schöpfungen sollen hier auch
  • zusammen erscheinen. Daß die Chronologie darüber nicht zu kurz kommt,
  • dafür ist durch ausführliche redaktionelle Noten genügend gesorgt, die
  • sich im Anhange eines jeden Bandes finden. In den folgenden zwei Bänden
  • sind vor allem der Roman »Die toten Seelen« und drei einzelne Novellen
  • vereinigt, die auch durch einen ideellen Zusammenhang miteinander
  • verknüpft sind und sich gegenseitig beleuchten und erklären. Beide Bände
  • führen den Leser sogleich auf den Gipfel des Gogolschen Schaffens und
  • gewähren ihm einen großen Ausblick auf den Ideen- und Formengehalt
  • seiner Dichtung. Die »Toten Seelen« sind das größte Prosawerk des
  • modernen Rußlands und eines der Hauptwerke der humoristischen und
  • satirischen Literatur überhaupt: ein grauenhaftes Bild der Korruption
  • und der allgemeinmenschlichen und spezifisch russischen Verkommenheit.
  • Daneben ein soziologisches Gemälde eines historischen Zeitalters, in dem
  • der Extrakt einer Kulturepoche konzentriert ist. Was aber dem Ganzen --
  • neben diesen wahrlich nicht geringen Vorzügen -- seinen Ewigkeitswert
  • sichert -- das ist das Menschliche und Typische, das es in sich birgt:
  • die Darstellung des Menschenlebens, wie es, von der kulturell-zufälligen
  • Einkleidung abgesehen, sich ausnimmt, wenn das Rangverhältnis der Triebe
  • verkehrt, und das Dasein von aller Geistigkeit und Idealität entblößt
  • wird. Es ist der Gerichtstag über die moderne Kultur, die den
  • _Erwerbstrieb_ sanktionierte und heiligte und das Denken und Trachten
  • des modernen Menschen auf die rein materielle Macht und Beherrschung der
  • Natur hinlenkte. Gogol hat diese Kulturtendenz nur in ihren Anfängen, in
  • ihrer Entstehung beobachten können, aber er hat mit dem
  • bewunderungswürdigen Scharfblick eines Hellsehers die ganzen Folgen
  • dieser Erscheinung für das Geistesleben antizipiert: den seelenmordenden
  • Fluch der Erwerbsjagd und des Besitzes, die nivellierende und alles
  • erstickende Trivialität eines auf das Bloßstoffliche gerichteten Wesens.
  • Es gab keinen stärkeren Schilderer des _Gemein_menschlichen,
  • Alltäglichen und Brutalen, als Gogol, und so ist auch er es gewesen, der
  • in den »Toten Seelen« das grandiose Symbol und in dem irrenden Ritter
  • des Erwerbs Pawel Iwanowitsch Tschitschikow -- den unsterblichen Typus
  • für das Triviale und Mittelmäßige fand, das die große Masse unseres
  • Lebens und den Querschnitt unserer Kultur bildet. -- Ein Gegenstück zu
  • dem großen Gemälde der »Toten Seelen« ist die romantische Novelle »Das
  • Porträt«, in der der Dichter die verheerenden Folgen desselben
  • Grundtriebes für Kunst schildert. Diese Novelle ist zugleich ein
  • erschütterndes Bekenntnis von dem Zwiespalt der »zwei Seelen«, in dem
  • sich Gogols Leben aufzehrte; der einen, die von einem glühenden Drange
  • nach dem Idealen ergriffen, sich in der Welt der Körper nie dauernd wohl
  • fühlte, und der andern, die wie keine zweite mit dem Blick fürs
  • Irdische begabt, das Auge nie von der Erdenwelt und allem
  • Menschlich-Allzumenschlichen abzuziehen vermochte.
  • Eine ausführliche Analyse der in diesem Bande vereinten Dichtungen
  • findet der Leser in der Einführung des bekannten Gogolforschers und
  • Mitgliedes der Petersburger Akademie der Wissenschaften, Nestor
  • Kotljarewski, die wir dem ersten Bande vorausschicken, eine
  • Gepflogenheit, der wir auch bei den folgenden Bänden treu zu bleiben
  • gedenken.
  • Zum Schluß wage ich noch den Wunsch auszusprechen, daß der deutsche
  • Leser dieser Gesamtausgabe Gogols die freie Empfänglichkeit
  • entgegenbringen möge, die das Werk eines Dichters beanspruchen kann, der
  • zwar der Gegenwart nicht mehr angehört, doch aber lebendig in ihr wirkt,
  • und dessen Schätzung in seinem Vaterlande mit dem zeitlichen Abstand nur
  • noch steigt und in fortwährendem Wachstum begriffen ist.
  • _Charlottenburg_, den 24. Dezember 1908.
  • Dr. Otto Buek.
  • Einführung
  • I.
  • Gogols Roman »Die toten Seelen« nimmt in der russischen
  • Literaturgeschichte des XIX. Jahrhunderts eine besondere und
  • einzigartige Stellung ein. Es ist der erste Roman von künstlerischem
  • Werte, in dem der russischen Gesellschaft ein großes und treues Bild
  • ihres eigenen Lebens geschenkt ward, ein Bild, das aus dem Pinsel eines
  • großen Künstlers und Realisten herstammte. In diesem Roman vergißt der
  • russische Dichter zum ersten Mal sich selbst, seine persönlichen
  • Sympathien und Antipathien, jene erbaulichen moralischen Betrachtungen,
  • die er nach alter Sitte in seine Novellen und Erzählungen einzuflechten
  • pflegte, und ist nur noch von einem Wunsche ergriffen: die nackte
  • Wahrheit auszusprechen über die dunkeln Seiten des Zeitalters, in dem er
  • lebt.
  • In diesem Sinne stellen die »Toten Seelen« ein künstlerisches Denkmal
  • dar, das in der Geschichte der russischen Literatur eine neue Ära
  • eröffnet.
  • In den ersten Jahrzehnten des XIX. Jahrhunderts -- dem Zeitalter der
  • sogenannten »Romantik« und des »Sentimentalismus« gab es für den
  • russischen Dichter nur _ein_ Objekt, das ihn stetig beschäftigte, seine
  • eigene Persönlichkeit. Es gab nichts Wichtigeres für ihn als sein
  • eigenes Selbst, mit all seinen Gedanken, Stimmungen und dem freien Spiel
  • seiner Phantasie. Er wußte vor allem davon zu erzählen, wie die gesamte
  • Umwelt sich in ihm, dem Dichter spiegelte; und daher blieb sein
  • Verhältnis zu dieser Umwelt immer rein subjektiv. Mit dem vierten
  • Jahrzehnt des XIX. Jahrhunderts erfährt jedoch dieses subjektive
  • Verhalten des Künstlers zu seiner Umgebung eine Wandlung, die sich sehr
  • rasch vollzieht und schnell in der gleichen Richtung fortschreitet. Von
  • nun ab geht das Streben des Künstlers vor allem darauf, das Leben so
  • treu und vollständig als nur möglich zu ergreifen und wiederzuspiegeln;
  • das Leben selbst in seiner ganzen Mannigfaltigkeit und in seinem
  • Gegensatz zu ihm, dem Dichter wird jetzt der wichtigste Gegenstand
  • seines Interesses. Er beginnt es bis tief ins Einzelne zu analysieren,
  • um es dann im Ganzen oder in seinen Teilen rein und treu zu
  • reproduzieren. Der Künstler sieht sein größtes Verdienst darin, seine
  • eigenen Sympathien und Antipathien zurücktreten zu lassen und womöglich
  • ganz zu verbergen. Er strebt nur darnach, jenen Stoff, den er zu
  • bearbeiten hat, so objektiv und unparteiisch als möglich zu erfassen und
  • restlos in sich aufzunehmen.
  • Erst mit Gogol tritt diese Hinwendung des Künstlers zur objektiven
  • Darstellung in der russischen Literatur ganz unverhüllt ans Licht. Im
  • »Revisor« und in den »Toten Seelen« besitzen wir zwei streng
  • realistische Gemälde russischen Lebens aus der Epoche Nikolaus' I. So
  • wurde Gogol zum Begründer der sogenannten »naturalistischen« Schule, die
  • den Ruhm der russischen Literatur auch nach dem Westen trug. Und darin
  • sind alle russischen Künstler den Spuren Gogols gefolgt, indem sie alle
  • die Umwelt zum Gegenstand eines peinlichen und gründlichen Studiums
  • machten, um sie dann als Ganzes oder doch einen Ausschnitt von ihr
  • objektiv doch zugleich künstlerisch wiederzuspiegeln. Das war die
  • Arbeitsmethode aller großen russischen Künstler; von Turgenjew,
  • Dostojewski und Ostrowski bis zu Gontscharow, Tolstoi und
  • Saltykow-Schtschedrin. Und wenn auch ein jeder von ihnen seine in seinen
  • Werken eigene Weltanschauung zum Ausdruck brachte und mit besonderer
  • Liebe bei _den_ Gestalten verweilte, die ihm selbst am nächsten standen;
  • wenn er mitten hinein in die Gemälde realer Wirklichkeit rein
  • persönliche Betrachtungen einflocht, und sich's erlaubte, eine Art
  • Glaubensbekenntnis vor dem Leser abzulegen, so waren doch ihre Werke vor
  • allem und in erster Linie ein großes und detailliertes Bild der
  • lebendigen Wirklichkeit, ein historisches Dokument einer Epoche; es
  • blieb stets die Hauptsorge des Künstlers: nicht seine persönlichen
  • Ansichten und Gefühle zum Ausdruck zu bringen, sondern die Idee und den
  • Umriß des Lebens zu erfassen, das sich vor seinen Augen entrollte.
  • So wird es verständlich, welch einen gewaltigen Einfluß das Schaffen
  • Gogols auf die Entwickelung der russischen Literatur gewinnen mußte. Der
  • sentimentale Roman mit seiner didaktischen Tendenz, die romantische
  • Novelle, die dem Leben so fremd blieb, und die bekannten zahlreichen
  • lyrischen Herzensergießungen in Prosa traten immer mehr zurück, um den
  • Raum für die Milieuerzählung -- für die realistische wirklichkeitstreue
  • Novelle mit ihrem großen und weiten Horizont frei zu machen: für eine
  • Prosaerzählung, die den Leser zu einem kritischen Verhalten gegen das
  • Leben und die ihn umgebende Wirklichkeit erweckte.
  • II.
  • Aber der Schriftsteller, der so entschlossen damit begonnen hatte, eine
  • Annäherung zwischen Kunst und Leben herbeizuführen -- Nikolaus
  • Wassiljewitsch Gogol (1809-1852) -- war von Natur nichts weniger als ein
  • nüchterner, kaltblütiger Beobachter, oder ein Mann von kritischem
  • Verstande und einer Phantasie, die es versteht, ihre stürmischen Triebe
  • zu bändigen.
  • Gogol war mit einer wahrhaft romantischen Seele zur Welt gekommen, und
  • doch wurde es seine Mission, der Dichtkunst reine Muster einer
  • realistischen, kühlen und nüchternen Naturdarstellung zu schenken. In
  • diesem Widerspruche liegt die ganze Tragödie seines Lebens beschlossen.
  • Gogol gehört unbedingt zu jener Gattung von Menschen, für die die
  • Gegenwart nur ein Hinweis auf ein zukünftiges Ideal ist, und die ein
  • starker Glaube an ihre providentielle Sendung beseelt.
  • Das geistige Wesen eines solchen Menschen zieht ihn immer in eine andre
  • Welt empor -- eine Welt der Vollkommenheit, in die er alles verlegt, was
  • ihm wert und teuer ist: all seine Begriffe von einer unerschütterlichen
  • Ordnung der Gerechtigkeit, seinen Glauben an eine ewige Liebe und eine
  • jedem Wandel entrückte Wahrheit. Diese ideale Welt begleitet ihn durch
  • das ganze Leben, sie leuchtet ihm voran in Tagen und Stunden der
  • Finsternis. Überall und jederzeit findet er in ihr seinen Lohn oder
  • seine Strafe und Verurteilung, _sie_ beschäftigt ununterbrochen seinen
  • Verstand und seine Phantasie, und oft absorbiert sie seine
  • Aufmerksamkeit so vollständig, daß sie ihn die Erde vergessen läßt; noch
  • häufiger aber ist sie dem Menschen die einzige Stütze, die ihn aufrecht
  • erhält bei der schweren Arbeit an der Gestaltung und Formung des
  • irdischen Daseins.
  • Was immer für Überzeugungen solch ein Mensch haben mag, stets wird er
  • entweder hinter dem Leben zurückbleiben oder ihm weit voraneilen. Er
  • vermag sich nicht zu ergeben und zu demütigen vor dem Unabwendlichen und
  • Tatsächlichen. Immer fast wird er das reale Leben entwerten, und es
  • gewöhnlich verachten. Er vergewaltigt seinen Begriff und seine
  • Vorstellung von der Wirklichkeit um seines Traumes willen, und sehnt
  • sich meist nach der Vergangenheit, die er idealisiert; in der Regel
  • aber lebt er vom Vorgeschmack einer schöneren Zukunft: ein
  • nüchtern-kritisches Verhalten zu den Tatsachen bleibt ihm versagt, weil
  • er diese Tatsachen stets im Lichte seines Vorurteils sieht, und sie in
  • die Lebensprinzipien hineinzwängt, an die er glaubt, _entgegen_ allen
  • Tatsachen. Er ist es nicht gewöhnt, sein Streben mit seinem Kräftevorrat
  • in Einklang zu bringen, und er vermag es nicht, ängstlich und peinlich
  • innerhalb der Grenzen seiner Fähigkeit an seinem Lebenswerke tätig zu
  • sein; die schwierigsten Fragen erscheinen ihm leicht lösbar, zugleich
  • aber kann ihm schon der kleinste Mißerfolg, wie er keinem erspart
  • bleibt, das Gleichgewicht rauben und mißmutig machen. Er ist verliebt in
  • jenen idealen Begriff vom Leben, den er sich selbst zurechtgelegt hat,
  • und darum wird es ihm so schwer, sich in die irdische Prosa
  • hineinzufinden, die nun einmal ein unvermeidliches und notwendiges
  • Erbteil unseres Lebens bildet.
  • Solche Menschen pflegen wir mit dem Namen »Romantiker« zu bezeichnen,
  • indem wir uns eines alten und dunkelen Wortes bedienen, welches das
  • Übergewicht des Gefühls über den Verstand, und der Schwärmerei über das
  • Interesse des Augenblicks in der menschlichen Seele kennzeichnen soll.
  • Die ganze Tragödie des Menschen und des Schriftstellers Gogol besteht
  • eben darin, daß der romantische Zug seines Geistes in einen Widerspruch
  • mit seinem eigenen Schaffen geraten mußte. Er war ein _Romantiker_ mit
  • allen charakteristischen Merkzeichen dieses Typus. Er liebte es, sich in
  • einer phantastischen Welt, in einer Welt der Sehnsucht und Erwartung zu
  • bewegen, d. h. entweder beschönigte und schmückte er das Leben aus,
  • indem er es in ein Märchen verwandelte, oder er stellte es sich vor, wie
  • es gemäß seinen religiösen und sittlichen Begriffen sein sollte. Er litt
  • furchtbar unter dem Zwiespalt, der ständig zwischen seinem Traume und
  • dem klaffte, was er um sich her erblickte, und es gelang ihm nie, das
  • Gefühl der Qual und des Sehnens durch eine gesunde Kritik am Bestehenden
  • und Unabwendlichen zu mildern. Wie alle Romantiker war er verliebt in
  • jenes Lebensideal, das er sich selbst geschaffen hatte, und -- was die
  • Hauptsache ist -- er hielt sich für berufen, das Herannahen dieses
  • Ideals zu beschleunigen und seinen endgültigen Triumph auf Erden
  • vorzubereiten. Er war nicht nur ein _träumender_, sondern auch ein
  • _kämpfender_ Romantiker.
  • Doch bei all seiner romantischen Veranlagung besaß Gogol eine wundersame
  • Gabe, die das ganze Glück und die Schönheit, und zugleich das ganze
  • Unglück seines Lebens ausmachte: er besaß die seltene Fähigkeit, die
  • ganze Erbärmlichkeit, Kleinheit und Prosa, die Gemeinheit und den
  • Schmutz des wirklichen Lebens zu entdecken und überall zu erkennen. All
  • jene prosaischen Seiten des Lebens, die der Romantiker gewöhnlich
  • absichtlich nicht beachtet, die er übersieht oder übersehen _will_, sie
  • alle drängten sich auf Gogols Palette und verlangten gebieterisch nach
  • einer künstlerischen Verkörperung. Nur selten hat die Natur einen
  • Menschen hervorgebracht, der von Natur ein solcher Romantiker und
  • zugleich ein solcher Künstler in der Darstellung alles _Un_- und
  • _Wider_romantischen war, wie Gogol. Es ist daher ganz natürlich, daß der
  • Künstler bei einer solchen Spaltung und Zerklüftung seines Gemüts und
  • einer schöpferischen Begabung zu schwerem Leiden verurteilt war, und
  • sich nie von dem harten Zwiespalt zu befreien vermochte, der nur mit dem
  • Siege _einer_ dieser beiden Seelenkräfte endigen konnte: entweder mußte
  • das Talent, das Leben in seiner nackten Prosa darzustellen, im Künstler
  • das romantische Drängen seiner Seelen ertöten, oder die romantische
  • Stimmung mußte umgekehrt in ihm die Kraft wahrheitsgetreuer
  • Widerspiegelung des Lebens durch die Kunst ersticken und zerstören.
  • Tatsächlich fand schließlich das Letztere statt: Gogols großes Talent
  • zur realistischen Lebensschilderung erlosch, und er verwandelte sich
  • immer mehr in den reinsten und aufrichtigsten Verkündiger religiöser und
  • sittlicher Gedanken. Doch vor dem endgültigen Erlöschen leuchtete dieses
  • realistische Talent noch einmal hell auf, um sich in den »Toten Seelen«
  • zum letzten Male in seinem ganzen Glanze zu entfalten.
  • III.
  • Dieser Roman ist eine späte Frucht des Gogolschen Genies. Ein Werk, das
  • erst nach einem langen Kampfe zwischen den romantischen Neigungen seiner
  • Phantasie und seiner starken Begabung für die scharfe und treue
  • Lebensbeobachtung vollendet werden konnte.
  • Schon in seinen ersten Novellen, den »Abenden am Weiler bei Dikanka«
  • (1831-32), machten sich die ersten Spuren dieses Zwiespalts bemerkbar.
  • In diesen Novellen trat Gogol als Schilderer kleinrussischen Lebens und
  • der niederen Volksklasse hervor, zugleich aber als phantasievoller Poet,
  • der die alten Sagen und Legenden schöpferisch neugestaltete und belebte.
  • Dieses früheste Werk läßt ganz deutlich eine Mischung beider Stile
  • erkennen, wobei freilich der träumerisch-phantastische noch die Oberhand
  • behält. Selbst die Naturbeschreibungen und die Charakteristik vieler von
  • den handelnden Personen ist in diesem Stile gehalten -- was Gogol
  • freilich nicht hinderte, andere Personen und Situationen mit
  • unverfälschter Schlichtheit und im Geiste einer wahren und echten
  • Realistik darzustellen. In dieser Vermischung zweier Stile, wie in dem
  • alternierenden Wechsel von Frohsinn und Wehmut, Weinen und Lachen,
  • zeigte es sich deutlich, daß das Schaffen des Dichters noch keine feste
  • Richtung angenommen hatte, daneben aber kam darin der innere Kampf zum
  • Ausdruck, der sich schon damals in des Künstlers Seele abspielte: der
  • Idealismus des Phantasten vermochte sich nicht zu vertragen mit der
  • starken Begabung des Realisten, der mit seinem Blicke die ganze
  • Häßlichkeit und Gemeinheit des Wirklichen durchdrang, welches er doch
  • selbst in einem andern, höheren und idealeren Sinne zu erfassen und zu
  • deuten strebte.
  • Über diese hohe und ideale Bedeutung des künstlerischen Schaffens hat
  • Gogol in den ersten Jahren seiner schriftstellerischen Tätigkeit sehr
  • viel nachgedacht. Ihn beschäftigte damals ganz besonders das bei den
  • Romantikern so beliebte Thema von den Leiden, die der Träumer, der
  • Idealist und der Künstler ganz notwendig auf sich nehmen muß, wenn ihn
  • das Schicksal schonungslos zusammenstoßen läßt mit der häßlichen,
  • unbarmherzigen Wirklichkeit. Am tiefsten hat Gogol dies Problem von
  • Zwiespalt zwischen Traum und Leben durchgeführt in seiner Novelle »Das
  • Porträt« (1834).
  • Diese Novelle erinnert inhaltlich ganz an eine Erzählung von E. Th. A.
  • Hoffmann. Sie behandelt das Seelendrama eines jungen Künstlers, der
  • Verrat übt an der echten, reinen und hohen Kunst, sich aus Habgier in
  • den Dienst der Mode stellt, und zuletzt im Wahnsinn stirbt, als er
  • erkennt, daß er sein Talent zugrunde gerichtet hat. Der böse Genius
  • dieses unglücklichen Künstlers ist ein phantastisches Porträt des
  • Antichristen, das mit einer so realistischen oder vielmehr
  • naturalistischen Kunst dargestellt ist, daß ein Teil der Seele des
  • Antichristen in dieses Bildnis übergegangen ist.
  • Die Kunst soll dem _Ideale dienen_ und nicht der _Reproduktion des
  • Wirklichen_ in seiner ganzen Nacktheit und Häßlichkeit -- dies ist der
  • Grundgedanke dieser Erzählung -- deren Moral ebenso durch den tragischen
  • Tod des Künstlers, der sich der Jagd nach dem Golde und der Mode ergab,
  • wie aus dem verderblichen Einfluß des Porträts, zu uns spricht: dieses
  • Porträts, das das Produkt einer hyperrealistischen Kunst war.
  • Wie die deutschen Romantiker, so war auch Gogol von einem hohen, beinahe
  • religiösen Glauben an die Kunst ergriffen. Aber seine Kunstanschauung
  • vermochte doch nicht jenen Widerspruch vor ihm zu verhüllen, der
  • immerdar zwischen der Welt des Traumes und unserm Leben besteht. Er sah
  • den Abgrund, der zwischen diesen beiden Welten klafft, beständig vor
  • Augen, und dieser Anblick hatte für ihn etwas Furchtbares und
  • Schreckenerregendes. Es gibt nur eine Möglichkeit, ihn zu vergessen: sie
  • liegt in der Erschütterung und in dem Verlust des seelischen und
  • geistigen Gleichgewichts. Dies ist das Thema der beiden Erzählungen »Der
  • Newski-Prospekt« und »Aus dem Tagebuch eines Wahnsinnigen«.
  • Aber ganz allmählich vollzieht sich im Schaffen Gogols eine
  • entscheidende Wendung. Er gibt seinem Talente nach, er unterwirft sich
  • ihm, und geht zur Darstellung der Realität, der Wirklichkeit über; er
  • beschönigt sie nicht und idealisiert nicht mehr; er spiegelt sie ab, wie
  • sie ist, in erster Linie nach ihrer negativen Seite, die ihm von jeher
  • so stark in die Augen stach. Und nun stößt er mit dieser gemeinen
  • trivialen und schmutzigen Wirklichkeit auf dem Felde der Kunst zusammen,
  • und da erhebt sich vor ihm die ernste Frage, auf die er schon im
  • »Porträt« hingewiesen hat: dient die Kunst auch dann noch ihrer hohen
  • Mission, wenn sie den Schmutz und das Laster zur Darstellung bringt, und
  • zwar so natürlich und lebendig zur Darstellung bringt, daß es fast den
  • Anschein hat, als bleibe ein Stück von diesem Schmutz und diesem Laster
  • auf dem Kunstwerk selber haften?
  • Und doch konnte Gogol seinem Talent auf die Dauer nicht Widerstand
  • bieten. So kam es, daß er seine Kunst immer mehr dem Leben annäherte.
  • Diese Annäherung macht sich besonders stark fühlbar in der
  • Novellensammlung, die im Jahre 1834 gleichzeitig mit seinen romantischen
  • Erzählungen erschien, und die den Namen »Mirgorod« trägt.
  • Eine dieser Novellen die »Gutsbesitzer aus der guten alten Zeit« ist ein
  • schlichtes Idyll, die Geschichte zweier zur Neige gehender
  • Menschenleben: ein psychologisches Essay, von einer Tiefe und Poesie,
  • wie sie von keiner romantischen Idylle erreicht wird. Die sentimentalen
  • und romantischen Schriftsteller liebten solche dankbare Sujets, wie die
  • Erzählung von zwei liebenden Herzen, die sich inmitten des Friedens der
  • Natur und fern von allen Lockungen der Kultur zusammenfinden. Die
  • »Gutsbesitzer aus der guten alten Zeit« sind ein glücklicher Versuch,
  • die romantischen Elemente in diesem Stoff durch reale und kulturelle zu
  • ersetzen. An die Stelle der einsamen und wüsten Gegenden tritt hier ein
  • kleinrussisches Dorf -- an die Stelle der blasierten und enttäuschten
  • Helden und der schwermütigen oder leidenschaftlichen Heldinnen -- ein
  • altes Ehepaar; aber trotz dieser Schlichtheit und Durchsichtigkeit ist
  • diese Novelle überall von einer tiefen Wahrheit und Poesie durchdrungen.
  • Sie stellt in dem Schaffen Gogols einen der entscheidenden Siege des
  • Realismus' über die Romantik dar.
  • Ein ganz anderer poetischer Horizont tut sich vor uns in der
  • historischen Erzählung »Taras Bulba« auf. Auch hier bemerkt man eine
  • deutliche Wendung von dem früheren idealisierenden Stil zum Realismus,
  • natürlich in dem Maße, als dies in einem historischen Romane möglich
  • ist. Es gibt eine Ansicht, nach der »Taras Bulba« Gogols größtes Werk
  • darstellt, und dieser Wertung fehlt es nicht an einer gewissen
  • Berechtigung. Der Inhalt dieser Erzählung ist vielleicht nicht weniger
  • umfassend und vielgestaltig wie der der »Toten Seelen«; auch hier findet
  • man denselben Reichtum an den mannigfaltigsten Typen und Episoden, die
  • gleiche Kraft und das gleiche schnelle Tempo der Handlung. Die
  • psychischen Regungen und Bewegungen sind im »Taras Bulba« vielleicht
  • sogar noch tiefer als in irgend einem andern Gogolschen Werke, schon aus
  • dem Grunde, weil die Gefühle und Empfindungen der Helden hier ernster
  • und komplizierter sind, als die der handelnden Personen in den »Toten
  • Seelen«. »Taras Bulba« -- das ist ein heroisches Epos, das einer
  • gewissen Idealität nicht entbehrt. Es lebt etwas darin vom Geist der
  • alten Sage, trotzdem aber bleiben die Seelenregungen der handelnden
  • Menschen stets wahr und frei von jeder romantischen Überspannung. Die
  • alte Zeit des Saporoger Kosakentums mit ihrem Kostüm, ihrem häuslichen
  • Leben, ihren Kriegen und Schlachten, die Beziehungen zwischen Juden und
  • Polen -- das alles ist im »Taras Bulba« mit einer wunderbaren Echtheit
  • und Wahrheit geschildert; dazu kommen die beschreibenden und
  • schildernden Elemente, die mit großer Geschicklichkeit in die Handlung
  • eingeflochten sind; sie beschweren sie nicht, sondern verleihen ihr bloß
  • noch mehr Lebhaftigkeit und Kolorit. »Taras Bulba« ist in seiner Art
  • eine kleinrussische _Ilias_, sowohl was das epische Gleichmaß der
  • Darstellung und den kriegerischen Geist des Werkes, als vor allem die
  • strenge Durchführung der Charaktere und die Plastizität der Episoden
  • anbetrifft. -- Soweit also der Realismus in einer historischen Erzählung
  • als künstlerisches Element neben dem legendären und der Archeologie
  • möglich und zulässig ist, ist er in dieser Epopöe zum Durchbruch
  • gekommen.
  • Aber so recht heimisch in der realistischen Darstellungskunst wurde
  • Gogol erst mit der Vollendung seiner berühmten Komödie: »Der Revisor«
  • (1836).
  • Gogol gehört zu jener wenig zahlreichen Dichtergruppe, die das
  • »russische« Theater schuf und die russische Lebenswirklichkeit
  • ungeschminkt und ohne Beschönigung auf die Bühne brachte. Die Geschichte
  • des russischen nationalen Theaters hat man von den Komödien »Von Wisins«
  • zu datieren. In diesen Stücken ist das Leben der adligen Gutsbesitzer,
  • der Epoche Katharinas I., mit genügender Treue geschildert, doch macht
  • sich hier noch ein Element unliebsam bemerkbar: das sentimentale
  • Räsonnement. Gleichfalls der Adel, diesmal aber der städtische
  • Beamtenadel, ist das Milieu, in dem Gribojedows »Verstand schafft
  • Leiden« spielt, diese geniale Satire, aber keineswegs auch geniale
  • Komödie. Auch hier erscheint die Wahrheit in einer gewissen Verzerrung:
  • ein Zugeständnis an die literarischen Traditionen der französischen
  • Vorbilder.
  • Im »Revisor« endlich betritt die russische Beamtenwelt die Bühne. Auf
  • den Gegenstand dieser Komödie waren die Zuschauer schon in gewissem
  • Sinne vorbereitet durch eine Reihe von freilich recht farblosen Stücken,
  • in denen die Schriftsteller des XVIII. und der ersten Hälfte des XIX.
  • Jahrhunderts die Korruption gegeißelt und moralische Tiraden gegen die
  • Bestechlichkeit zum besten gegeben hatten. Der »Revisor« überragt alle
  • diese Stücke um Haupteslänge, schon deshalb, weil die in ihm
  • gezeichneten Typen wirkliche lebendige Menschen waren, denen der
  • Zuschauer jederzeit -- wenn auch nicht allen zugleich, so doch in
  • einzelnen Repräsentanten -- in seiner nächsten Nachbarschaft begegnen
  • konnte. Nach Gogol war es Ostrowski, der in seinen Dramen den
  • Kaufmannsstand auf die Bühne brachte und so das Gemälde des russischen
  • Lebens um einige bedeutsame Typen bereicherte. Das waren die drei
  • »finsteren Reiche« -- die Welt des _Adels_, des _Beamtentums_ und des
  • _Kaufmannsstandes_, die von nun ab den Russen von der Bühne herab an
  • jene dunklen Seiten der Wirklichkeit mahnten, die er stets zu
  • idealisieren geneigt war. In letzter Zeit ist diese Reihe noch um ein
  • neues Gemälde vermehrt und vervollständigt worden -- um das Bild der
  • dunkelen Welt des niederen Volkes: in dem Drama »Die Macht der
  • Finsternis« von Tolstoi.
  • In seiner Komödie schwang Gogol die Geißel des Spottes über eine ganze
  • Kategorie gesellschaftlicher Mißstände und Laster, die mächtig in das
  • soziale Leben eingriffen: er brachte die Dummheit, die Gemeinheit und
  • Hohlheit der Administration auf die Bühne und strafte die offizielle
  • Welt, indem er sie dem Spott und Hohn eines Windbeutels, des hohlsten
  • aller Schwätzer preisgab, und sie durch ihn brandschatzen ließ. Zu guter
  • Letzt aber stellte er sie vor ihren gesetzlichen Richter und sandte
  • ihnen einen Gendarmen, der sie zur Vernunft bringen sollte. Die Komödie
  • bleibt in ihrem ersten Akt streng objektiv und sachlich, im letzten
  • freilich drängt sich die Moral recht deutlich vor. Der Polizeimeister
  • erscheint in seiner ganzen Dummheit, gibt sich selbst dem Gelächter und
  • der Verachtung preis und geizt nicht mit starken Worten zu seiner
  • eigenen Charakteristik. Der Gendarm erscheint, wie im letzten Akt des
  • Tartüffe, als der Vertreter des Gesetzes zur Beschwichtigung und
  • Beruhigung der Zuschauer; er erinnert sie daran, daß das Auge der
  • Regierung beständig wacht, auch dann noch, wenn man glaubt, daß es
  • schlafe. Aber der außerordentliche künstlerische Takt des Dichters hat
  • es so einzurichten verstanden, daß die Moral die Wahrheit der
  • Situationen und die Lebendigkeit der Typen nicht beeinträchtigte. Bis
  • dahin waren es die Zuschauer gewöhnt, mitten in der Handlung allerhand
  • erhebende und erbauliche Reden von der Bühne zu vernehmen, im »Revisor«
  • aber fehlten diese Reden vollständig. Diese Komödie war eine völlig
  • neue, originale Tat; sie paßte in keine der bekannten Formen der
  • dramatischen Kunst hinein, denn sie war weder eine sentimentale Komödie,
  • noch eine Posse, noch ein moralisches Schauspiel.
  • Dieses Werk trug seinem Schöpfer einen großen Schmerz und
  • viele Enttäuschungen ein, denn es regte die heftigsten und
  • leidenschaftlichsten Anklagen gegen ihn auf. Er suchte Rettung und
  • Heilung von seiner geistigen Schwermut und der Gereiztheit gegen seine
  • Mitbürger in einer Reise. Dies war das ständige Mittel Gogols, das er
  • gegen seine Melancholie und gegen seine geistige Müdigkeit anwandte, und
  • es wirkte in der Tat weit sicherer und unfehlbarer als alle Medikamente.
  • Diese Neigung zum Wandern, zum Wechsel des Aufenthaltes war in seiner
  • romantischen Veranlagung begründet. In dieser Beziehung hatte er viel
  • Ähnlichkeit mit einem jener Schwärmer, die von Sehnsucht, Melancholie
  • oder Grimm getrieben, ihre Heimat verließen, um den Ufern eines neuen
  • fernen Vaterlandes zuzustreben. Auch Gogol besaß solch ein fernes
  • Vaterland, obwohl er Rußland mit einer geradezu abgöttischen Liebe
  • liebte, und sich unter fremden Menschen nie wohl fühlte. Er hatte noch
  • eine andere große Liebe: Italien.
  • Gogol hat oft über seine Leidenschaft für das Wandern und Reisen
  • gegrübelt, und nach Gründen gesucht, um sein Nomadenleben zu
  • rechtfertigen; er begründete sie mit seiner Krankheit, die ihm einen
  • häufigen Wechsel des Klimas zur Notwendigkeit machte, und mit dem rein
  • geistigen Bedürfnis des Künstlers, der eine Distanz zwischen sich, den
  • Menschen und dem Leben suchte, wenn er sie in seinen Werken zur
  • Darstellung bringen wollte. Zuweilen freilich, wenn er in längeren
  • Abständen wieder nach Rußland zurückkehrte, fühlte er etwas wie
  • Gewissensbisse und ein mächtiges Anschwellen der Liebe zu seiner Heimat;
  • aber diese Gefühle blieben ohnmächtig gegenüber dem unklaren Drange, der
  • ihn in die Ferne zog. Seine Seele trug die Spuren jener Krankheit an
  • sich, die einst zu Beginn des Jahrhunderts im Westen herrschte, die
  • Menschen von der Heimat losriß und sie zu fernen Gestaden hintrieb --
  • jene Krankheit an der ein Byron und ein Chateaubriand litten, und für
  • die Schubert in seinem Liede »Der Wanderer«, dem Lieblingslied aller
  • russischen Jünglinge und Jungfrauen der dreißiger Jahre einen so
  • wundervollen musikalischen Ausdruck fand.
  • Allein was Gogol von seiner fünfjährigen Reise im Auslande (von
  • 1836-1841) mitbrachte, war weder ein pessimistisches Tagebuch, noch ein
  • sentimentales Epos. Er brachte den ersten Teil der »Toten Seelen« mit:
  • einen Roman oder eine Dichtung, in der der junge russische Realismus
  • seinen höchsten Triumph feierte. Es war der letzte Sieg, den Gogol im
  • Felde der Dichtung erringen sollte.
  • IV.
  • Während seines Aufenthaltes im Auslande und besonders in Italien war
  • Gogol sehr fleißig und die Arbeit ging glatt vonstatten. Es war die
  • Zeit, wo seine Schöpferkraft in voller Blüte stand. Die romantischen
  • Neigungen, die noch zum letztenmal in der schönen Novelle »Rom« zum
  • Ausbruch gekommen waren, traten allmählich zurück und machten einer
  • nüchternen, ruhigen und humorvollen Lebensanschauung Platz. Das sich
  • immer stärker entfaltende Talent des Schilderers, das zu einer innigen
  • Verschmelzung der künstlerischen Wahrheit mit der Lebenswahrheit
  • hinstrebte -- gewann immer mehr die Oberhand, was nicht nur in der
  • Zurückstellung und Aufgabe aller früheren Pläne, die noch im Geiste des
  • alten romantischen Stils konzipiert waren, zum Ausdruck kam, sondern
  • auch in der Art wie Gogol seine älteren Werke umschuf und neu
  • bearbeitete.
  • In solch einem realistischen Geiste gestaltete Gogol zu dieser Zeit
  • seine Erzählungen »Das Porträt« und »Taras Bulba« um. Am stärksten und
  • freiesten aber entfaltete sich diese Kraft des Humoristen und
  • Lebensschilderers, die in dieser Epoche ihre höchsten Siege über die
  • sentimentalisch-romantischen Neigungen und Stimmungen des Dichters
  • feierte, in der Novelle: »Der Mantel«. Dieses Werk nimmt eine ganz
  • besondere Stellung in der Geschichte der russischen Literatur ein. Es
  • ist das zeitlich erste und vielleicht vollkommenste Beispiel dieser
  • Gattung, die später eine große Verbreitung fand und eine große soziale
  • Bedeutung gewann. Es ist eine Seite aus der Geschichte der »Erniedrigten
  • und Beleidigten«, die unmittelbar nach Gogol Dostojewski unter seinen
  • besonderen Schutz nahm. Im Westen setzte dieses Eintreten für die
  • Schwachen und Benachteiligten durch die Literatur und durch die Tat etwa
  • um dieselbe Zeit mit dem Wachstum und der raschen Verbreitung der
  • sozialistischen Ideen ein. In Rußland aber rührte der erste Versuch, die
  • Gesellschaft für jene große Masse derer zu interessieren, an denen sie
  • achtlos vorübergeht, von Gogol her, der ganz unbeeinflußt von den
  • westeuropäischen Tendenzen in seinem »Mantel« ein Werk schuf, das man
  • mit Recht als den Ausgangspunkt und Ursprung der sogenannten
  • »Anklageliteratur« in Rußland erklärt hat. Man muß dabei nur im Auge
  • behalten, daß in Gogols Erzählung der Protest und die Anklage sehr
  • abgedämpft erscheinen und mehr durch ein weiches Gefühl der Teilnahme
  • und des Mitleids ersetzt sind. Der Dichter läßt uns mit seinem
  • unscheinbaren Helden alle wichtigsten Etappen seines Lebens durchleben;
  • wir besuchen ihn in seiner Dachkammer, wo er langsam von jedem Rubel
  • Groschen auf Groschen in sein kleines Büchschen zurücklegt, alljährlich
  • das kleine Häuflein Kupfergeld nachzählt, um es durch Silbermünzen zu
  • ersetzen, wo er hungert und friert, die Kerze spart, seine Kleider
  • auszieht, damit sie nicht zu schnell fadenscheinig werden, und wo er
  • einsam in seinem Schlafrock dasitzt, die ewige Idee des Mantels in
  • seinem Geiste tragend; wir folgen ihm ins Departement, wo man ihn
  • ebensowenig beachtet, wie eine vorüber schwirrende Fliege, wo man ihn
  • verspottet, ihm Papierschnitzel auf seinen Kopf schüttet, wo er jahraus,
  • jahrein hinter seinem Pulte hockt und die Buchstaben sorgfältig aufs
  • Papier malt, oder die Akten beiseite legt, die er zu seinem eigenen
  • Vergnügen kopieren will. Der phantastische Schluß, den Gogol dieser
  • Erzählung gegeben hat, ist zwar etwas willkürlich, aber überaus
  • glücklich erfunden und trägt einen ganz anderen Charakter als seine
  • früheren phantastischen Erzählungen. Das Phantastische enthält eine
  • solche starke Beimischung von Spott, Humor und Fröhlichkeit, daß es fast
  • völlig gegen das letztere Element zurücktritt und seinen romantischen
  • Charakter gänzlich einbüßt. Der Autor braucht das Wunderbare nur um der
  • paar kleinen Genrebilder willen, mit denen er seine Novelle beschließt.
  • So stark war Gogols Kunst, wenn er sich von seiner alten Manier abwandte
  • und seinem scharfen Beobachtungstalent und seinem Humor freien Lauf
  • ließ.
  • Wer jedoch die Kraft und Macht dieser Gabe kennen lernen will, der muß
  • zu der tragikomischen Dichtung »Die toten Seelen« greifen. Hier legt
  • jede Seite ein beredtes Zeugnis dafür ab.
  • V.
  • Die Arbeit an den Toten Seelen war für den Verfasser eine hohe Freude
  • und ein großer Schmerz. Noch nie hatte er einen so erhabenen Genuß und
  • eine solche innere Befriedigung empfunden, als in jenen Stunden, wenn
  • ganze Seiten seiner Dichtung wie von selbst aus der Feder flossen, und
  • nie hat er so gelitten, als in jenen langen Jahren, wo er monatelang auf
  • die ersehnte Inspiration warten mußte. Diese Arbeit hat Gogol 16 Jahre
  • lang beschäftigt: von 1835, als er die ersten Seiten des Werkes
  • niederschrieb, bis zum Beginn des Jahres 1852, als ihm der Tod die Feder
  • aus der Hand nahm. Von diesen 16 Jahren brauchte er 6: von 1835-1841 --
  • während der er natürlich noch an andern Dichtungen arbeitete -- um den
  • ersten Teil zu vollenden. Die ihm noch übrig bleibenden 10 Jahre waren
  • ganz mit Versuchen ausgefüllt, eine Fortsetzung für sein Werk zu finden.
  • Nach der Idee des Autors sollten die »Toten Seelen« eine »Dichtung«
  • werden, in welcher Rußland in der ganzen Mannigfaltigkeit seines
  • staatlichen und sozialen Lebens, mit all seinen lichten und dunkelen
  • Seiten erscheinen sollte. Gogol wollte hier in neuer Form das alte Epos
  • wieder aufleben lassen; daher nannte er wohl mit bewußter Anspielung auf
  • die Homerischen Gesänge seinen Roman -- ein Poem d. h. eine Dichtung.
  • Der Gesamtplan des Werkes stand natürlich im Geiste des Verfassers nicht
  • gleich völlig fertig da, und nahm mit den Jahren eine recht seltsame
  • Richtung an. Die ruhige, uninteressierte epische Erzählung verwandelte
  • sich immer mehr in eine Predigt sittlicher Wahrheiten, und der Wunsch,
  • Rußland möglichst vollständig nach all seinen Seiten darzustellen, trat
  • immer mehr hinter dem Ideal zurück, der ganzen Menschheit eine neue
  • Lehre zu künden, die die Seele erheben und ihr Leben erhöhen sollte.
  • Gogol behielt den Entwurf zu seiner Dichtung für sich und sprach nur
  • selten und ganz im Allgemeinen zu seinen nächsten Freunden davon, wie
  • groß und tief sein Plan war. Die übertrieben stolzen Reden Gogols über
  • sein Werk erregten die heftigste Opposition unter seinen Freunden und
  • Bekannten, sie ärgerten und verstimmten sie. Hätten sie gewußt, wie
  • großartig dieser Plan des Künstlers tatsächlich war, sie hätten ihm
  • vielleicht seine Überhebung verziehen, die um so verzeihlicher war, als
  • Gogol nicht so sehr auf sein Künstlertum stolz war, als vielmehr darauf,
  • daß er im Besitze der sittlichen Wahrheit zu sein glaubte, und er fühlte
  • sich verpflichtet, seinen Nächsten diese Wahrheit zu verkünden, sobald
  • er dieser hohen Aufgabe würdig geworden war.
  • Aber obgleich Gogol den Plan zu seinem Werk geheim hielt, ist es dennoch
  • möglich, nach gelegentlichen Äußerungen und Anspielungen, nach seinen
  • Unterhaltungen mit nahestehenden Personen, sowie nach seinen Briefen und
  • den Fragmenten des zweiten Teiles, das Geheimnis des Schriftstellers mit
  • genügender Genauigkeit zu enthüllen; es ist zugleich das Geheimnis des
  • Künstlers und Moralisten.
  • »Gott hat mich erschaffen,« sagt Gogol einmal, »und er hat mir nichts
  • von meiner Mission verheimlicht. Ich bin gar nicht dazu geboren, um eine
  • _Epoche in der Literaturgeschichte_ zu begründen. Mein Beruf ist weit
  • einfacher und naheliegender: er besteht darin, woran überhaupt jeder
  • Mensch und nicht ich allein vor allem denken sollte. Mein Gebiet ist die
  • Seele, die starke, solide Sache des Lebens. Und daher muß auch mein
  • Handeln und mein Schaffen stark und solide sein.« »Die toten Seelen«
  • sollten in ihrem Gesamtaufbau ein solch »solides, starkes« Werk werden,
  • auf das der Mensch sich zu stützen vermochte, wenn Gewitterstürme über
  • seine Seele dahinbrausten, sie sollten der Katechismus seiner Rettung
  • sein. Diese Dichtung sollte dem Menschen ein Führer zu seiner sittlichen
  • Wiedergeburt werden, wie es für den Verfasser ein reinigendes Gebet war,
  • nach seiner geistigen und seelischen Erleuchtung, und nachdem er Buße
  • getan hatte für seine eigenen Sünden.
  • Wie aber hatte dem Dichter eine solche Idee kommen können?
  • Gogol war von Natur sentimental veranlagt, er liebte es, zu belehren und
  • zu predigen. Dieser moralisierende Ton findet sich schon in seinen
  • frühesten Briefen und zeugt nicht nur von den Zweifeln, die den Knaben
  • bewegten, sondern auch von dem lyrischen Schwung seiner Seele. Diese
  • Lyrik in seinem Fühlen und Denken suchte auch einen Ausdruck in seinen
  • Novellen, und so finden wir in diesen ersten Erzählungen neben einem
  • unschuldigen Frohsinn und Humor eine starke melancholische Note; den
  • Schmerz über die vielen traurigen Seiten des Lebens. Aber in demselben
  • Maße, als Gogols Humor ernster wurde, wurde auch der Dichter immer
  • stärker von dem Gedanken ergriffen, er sei berufen, etwas ganz Großes zu
  • erschaffen, und so kam es, daß ihn die sittlichen Tendenzen immer
  • mächtiger erfüllten und mit sich fortrissen. Nach der ersten Aufführung
  • des »Revisor« überzeugte er sich, daß er wirklich die Kraft zu einer
  • sittlichen Einwirkung auf die Masse besaß, und von da ab war er
  • entschlossen, diese Kraft in den Dienst einer großen Sache zu stellen
  • und die Macht, die ihm verliehen war, nicht in kleinen Taten zu
  • verzetteln. Schon in seiner Jugend, als er sich dieser Macht noch nicht
  • bewußt war, träumte er davon, etwas Großes zu leisten, der Wohltäter und
  • Lehrer seiner Nächsten und ein Held und Kämpfer für das Vaterland zu
  • werden. Um diese hohe Mission durchzuführen, setzte er seine ganze
  • Hoffnung auf sein Talent und begann nach einer seiner würdigen Aufgabe
  • d. h. nach einem großen und bedeutenden Stoff zu suchen, der seinem
  • Glauben an sich selbst Recht gab, und dessen Gestaltung zu einer
  • wirklichen Wohltat für die Nächsten werden sollte.
  • So konnte die Anekdote von dem Kauf der »toten Seelen« schnell ihren
  • komischen Charakter verlieren und sich in einen Gegenstand verwandeln,
  • für den der Dichter nicht gleich eine feste Begrenzung und einen
  • passenden Rahmen fand. Auf dieses Sujet konzentrierte Gogol von nun ab
  • die ganze Kraft seines Lyrismus, in ihm wollte er der Macht seiner
  • eigenen sittlichen Überzeugungen Ausdruck verleihen; er begann diesen
  • Stoff ständig zu erweitern und zu vertiefen, um ihn bis zu der Höhe
  • jenes »großen Gegenstandes« emporzuheben, nach dessen Gestaltung er sich
  • sagen konnte: das hohe und teure Werk, von dem er seit seiner frühesten
  • Jugend träumte, sei vollendet. Es ist begreiflich, daß eine solche
  • Umformung einer schlichten Anekdote zu einer grandiosen Idee nur langsam
  • und allmählich vor sich gehen konnte, und daß der Autor selbst bei
  • Beginn seiner Arbeit nicht zu sagen vermochte, welche Gestalt sie bei
  • ihrer Vollendung annehmen werde.
  • Neben dieser _ethischen_ Tendenz gewann auch die _patriotische_ Absicht
  • des Dichters einen mächtigen Einfluß auf die Dichtung. Gogols
  • Patriotismus hatte mit den Jahren bedeutend zugenommen, und als der
  • Dichter an die Ausführung seines Planes ging, hatte sich seine Liebe zum
  • Vaterland bereits zu einer stark _konservativen_ Weltanschauung mit
  • einer ausgesprochenen religiösen Färbung zusammengeschlossen. Und dieser
  • Patriotismus wie das Streben, seinen Mitmenschen den Weg zur Wahrheit zu
  • weisen, blieb nicht in seiner Entwickelung stecken, sondern erstarkte
  • noch mehr in dem Maße, als der Dichter an der ständigen Erweiterung und
  • Vertiefung seines Werkes tätig war. Gogol mußte in seinem Roman über
  • Rußland sprechen, und er hat seinem Vaterlande, besonders im ersten
  • Teil, manch bitteres Wort gesagt. Als er noch nicht an eine Fortsetzung
  • seiner Dichtung dachte, ließ er uns seine Heimat nur von »einer Seite«
  • sehen, und noch dazu von ihrer allerunansehnlichsten. Der Held des
  • Romans und alle Personen, mit denen er zusammentraf, waren Menschen von
  • einer geradezu erbärmlichen Hohlheit. Sie so zu lassen -- das bedeutete
  • grausam und herzlos gegen das eigene Vaterland verfahren, das hieß über
  • seine guten Seiten, hieß über alle Russen schweigen, die einen Anspruch
  • auf unsere Liebe und Achtung hatten. Gogols immer wachsende Liebe zum
  • Vaterlande verpflichtete ihn, seinen Mitbürgern in seiner Dichtung auch
  • ein Wort der Ermutigung, der Teilnahme und der Liebe zu sagen. Je mehr
  • sich der Rahmen der Erzählung erweiterte, um so drängender empfand er
  • diese Verpflichtung. Und Gogol schritt vom Humor und von der Satire zur
  • Verherrlichung Rußlands und zur Bewunderung der russischen Tugenden
  • fort. Er wollte ihnen einen gebührenden Platz in seiner Dichtung
  • einräumen und spielte schon im ersten Teil des Romans darauf an. Er
  • wußte, daß der Leser ein Recht hatte, auch eine Darstellung der _besten_
  • Seiten des russischen Lebens von ihm zu fordern; indem er diesem Wunsche
  • entgegenkam und seinem eigenen patriotischen Gefühl Folge leistete, fing
  • er an, nach neuen positiven Typen für sein Werk zu suchen und seine
  • Seele wieder bis zur schwungvollen Begeisterung seiner früheren Werke
  • emporzustimmen.
  • Dies ist der Anteil der patriotischen Idee am Gesamtplan der Dichtung.
  • Einen kaum geringeren, wenn nicht noch stärkeren Einfluß auf des
  • Dichters Schaffen gewann die religiöse Stimmung, die Gogol mit jedem
  • Jahre immer machtvoller in ihren Bann schlug. Im Auslande entstand ihm
  • die Überzeugung von der besonderen Mission, die er zu erfüllen habe. Ihn
  • beseelte ein starker Glaube an Gott und Gottes besondere Anteilnahme an
  • ihm und seiner Arbeit. Sein literarisches Schaffen steigerte sich in
  • seinen Augen bis zu einer Art Gottesdienst, und so ist es nur natürlich,
  • daß er sein Leben wie eine ernste und schwere Pflicht zu betrachten
  • begann, eine Pflicht, für die sich der Mensch lange kräftigen und
  • stählen muß, wenn er die große Aufgabe erfüllen will, die Gott in seine
  • Hände gelegt hat. Gogol begann sich auf seine schriftstellerische
  • Aufgabe durch Fasten und Gebet vorzubereiten; er »arbeitete ständig an
  • sich selbst«, schonungslos suchte er alles in sich auszurotten, was er
  • für unheilig und sündhaft hielt, und er richtete all seine Gedanken auf
  • seine sittliche Wiedergeburt; nur mit reinem Herzen und einem verklärten
  • Gemüt glaubte er seine hohe Sendung erfüllen zu können, und diese
  • Stimmung fand natürlich auch ihren Ausdruck in seiner Dichtung. Diese
  • sollte zu einer sittlichen Predigt werden, die sich an die Mitbürger und
  • Mitbrüder wendete, und zu einem Akt der Reinigung von den eigenen
  • Sünden.
  • So verschmolz für Gogol die schriftstellerische Aufgabe mit der
  • eigensten Sache seines Herzens. Seine Dichtung wurde für ihn zu einem
  • reinigenden Opfer. Die Sünden, von denen er in ihr sprach, forderten
  • Sühne und Ahndung -- die Sünden seiner _Helden_, wie seine _eigenen_.
  • Sein Werk verwandelte sich in die Geschichte der Verklärung und
  • Erleuchtung einer sündhaften und irrenden Seele, es nahm eine tiefe
  • mystische Bedeutung an -- einen ähnlichen Sinn wie das große Epos
  • Dantes, das Gogol stets mit ehrfürchtiger Bewunderung las.
  • Gogol wollte selbst ein zweiter Dante werden, der aus der Finsternis zum
  • Licht, aus der Hölle zum Himmel emporsteigt, der Gedanke, seine Helden
  • mit sich emporzuziehen, sie durch Reue und Buße aus sündigen zu,
  • wenngleich nicht _heiligen_, so doch _edlen_ und _sittlichen_ Menschen
  • zu machen, ergriff und erschütterte die Seele des Dichters aufs tiefste.
  • Dieser Gedanke sollte im zweiten und dritten Teile der Dichtung zur
  • Ausführung kommen, aber Gogol kam nie über das Nachdenken und Entwerfen
  • hinaus, und überantwortete schließlich das, was er davon
  • niedergeschrieben hatte, den Flammen. So ist denn alles, was uns in
  • vollendeter und dichterisch abgerundeter Form erhalten blieb, nur der
  • erste Teil der Dichtung: die Geschichte vom Sündenfall des Russen, die
  • Erzählung von seinen Lastern, seiner Hohlheit, seiner Nichtigkeit und
  • Gemeinheit.
  • VI.
  • Wenn wir jene Stellen in den »Toten Seelen«, wo der Verfasser auf den
  • geheimnisvollen Sinn seiner Dichtung und auf die folgenden Teile
  • hindeutet, d. h. alle lyrischen Exkurse ausnehmen, in denen der Dichter
  • selbst das Wort ergreift, dann bildet dieser Roman gewissermaßen die
  • direkte, wenngleich viel reichere und vielseitigere Fortsetzung des
  • »Revisors«. Beide Werke stellen ein ungeschminktes, in seiner Wahrheit
  • erschütterndes Bild russischen Lebens dar. Die handelnden Personen im
  • »Revisor« waren Beamte, zu denen sich in den »Toten Seelen« noch
  • Gutsbesitzer und Leibeigene gesellen. Aber das Gemälde erscheint hier
  • unendlich erweitert und vertieft. Die psychischen Regungen und
  • Bewegungen der Helden des »Revisors« waren noch wenig differenziert und
  • nicht sehr vielgestaltig -- ganz anders verhält es sich in den »Toten
  • Seelen«, wo ein viel reicheres und nuancierteres Leben, voll starker
  • Kontraste pulsiert. Eine ganze Galerie charakteristischer Typen rollt
  • sich vor uns auf, und jede dieser Typen zeigt eine scharfe
  • ausgesprochene Physiognomie, die von der ersten bis zur letzten Seite
  • der Dichtung unbeirrt festgehalten wird. Inmitten dieser Personen, die
  • wie lebendige, blutvolle Menschen vor uns stehen, lebt und bewegt sich
  • der Held: Pawel Iwanowitsch _Tschitschikow_; ihn verbindet kein engeres
  • Band mit der Gesellschaft, die ihn umgibt, sondern er kommt von außen
  • hereingeschneit wie _Chlestakow_ im »Revisor«. Dieser Held ist vom Autor
  • mit besonderer Liebe und Sorgfalt gezeichnet. Er ist das Zentrum, um das
  • sich alle Personen der Dichtung gruppieren, und unser Führer in diesem
  • Panoptikum von Leibeigenen, Gutsbesitzern und Beamten, von denen jeder
  • einzeln und für sich genommen so unendlich komisch und lächerlich wirkt,
  • und die alle zusammengenommen einen so tieftraurigen Eindruck
  • hervorrufen.
  • Und doch ist Gogol mit seinen Helden noch sehr gnädig verfahren. Es ist
  • keine Frage, daß Tschitschikow ein Mann von recht zweifelhaften
  • moralischen Qualitäten, einer dunklen Vergangenheit und einer recht
  • unerfreulichen Aktualität ist. Als Mensch und Bürger ist er ein Gauner
  • und Spitzbube im vollen Sinne des Wortes, als Persönlichkeit der
  • typische Repräsentant einer sehr weit verbreiteten Durchschnittsmoral,
  • die in ihrem tiefsten Grunde die Unsittlichkeit selbst ist, die aber
  • selber lebt und leben läßt. Indessen hat sich der Dichter nicht mit
  • dieser kühlen und unbefangenen Charakteristik dieses so liebenswürdigen
  • und höflichen Räubers begnügt; er erzählt uns die ganze Geschichte
  • seiner Jugend, er erklärt uns, wie in Tschitschikow diese räuberischen
  • Instinkte entstehen konnten, und läßt uns darüber nachsinnen, ob die
  • ganze Verantwortung für die Spitzbübereien und Gaunereien seines Helden
  • wirklich auf Tschitschikow allein fällt, oder ob nicht die größere
  • Hälfte seiner Schuld auf das Konto des Milieus, in dem er aufwuchs,
  • abgewälzt werden muß. Ja, Gogol geht zuletzt sogar so weit, daß er dem
  • Leser geradezu die Frage vorlegt: »Ist Tschitschikow denn tatsächlich
  • ein solcher Lump?« Und er fährt fort: »Warum gleich ein Lump? Warum
  • sollen wir so streng gegen unsere Nächsten sein? -- Er ist einfach das,
  • was man einen guten _Wirt_ und ein _Erwerbsgenie_ nennt.«
  • Der _Erwerbstrieb_ trägt die Schuld an allem: er ist die Ursache, daß
  • Dinge geschehen, die die Welt als nicht ganz sauber bezeichnet.
  • Tschitschikow ist das Opfer seiner Leidenschaft »und es gibt
  • Leidenschaften, deren Wahl nicht in der Macht des Menschen liegt«.
  • Wenn es aber möglich war, schon für Tschitschikow soviel mildernde
  • Umstände geltend zu machen, so war dies noch leichter bei seinen
  • Freunden und Bekannten, die ja wirklich nicht einmal so schuldig waren.
  • Und in der Tat verfuhr der Dichter gegen sie alle mit großer Milde; vor
  • allem gegen die Adligen, die er mit noch größerer Nachsicht behandelt,
  • als die Beamten. Freilich sind auch sie lauter hohle, armselige, elende
  • Menschen, aber eine besondere Entrüstung und eine allzu große Empörung
  • regen sie nicht in uns auf. Wir lachen wohl über sie, wir bemitleiden
  • sie, aber schließlich würden auch wir mit ihnen leben können, ohne daß
  • uns allzu große Opfer und Kompromisse zugemutet zu werden brauchten. Was
  • ließe sich schließlich gegen den so vertrauensseligen und gutmütigen
  • Manilow einwenden, der stets bei jedem nur die besten Absichten
  • voraussetzt? Ja, selbst ein Sabakewitsch läßt sich fast ertragen: dieser
  • grobe und ungeschlachte Halsabschneider, der uns nur hin und wieder
  • durch seine tierischen Instinkte in Erstaunen setzt, die übrigens für
  • seine Nächsten völlig unschädlich sind. Auch Pljuschkin und Korobotschka
  • verdienen eher unser Mitleid als unsere Verurteilung. Der Autor selbst,
  • der die ganze Kleinheit und Hohlheit ihrer Seelen und die Armseligkeit
  • ihres Lebens offen zur Schau stellt, beeilt sich, den Leser vor einer
  • voreiligen Verurteilung dieser beiden zu warnen. Er zeigt uns Pljuschkin
  • in der glücklichsten, schon weit zurückliegenden Zeit seines Lebens, und
  • wir verstehen, daß ein Unglücklicher vor uns steht, der ein Opfer der
  • Leidenschaft ist, gegen die er nicht zu kämpfen vermag. Der Dichter
  • spricht mit tiefem Schmerz von der Erbärmlichkeit, Kleinheit und
  • Häßlichkeit, bis zu der ein Mensch herabsinken kann; er weist hin auf
  • diese Entartung des Menschenbildes und gibt uns den weisen Rat, wenn wir
  • aus dem weichen, zarten Jugendalter hinaustreten in das strenge
  • verhärtende Mannesalter, uns mit einem möglichst großen Vorrat von
  • Begeisterung und Idealismus zu versehen und ihn unterwegs nicht
  • leichtsinnig zu verschwenden. Gogol droht uns mit diesen lebendigen
  • Leichen, und doch spricht er stets in einer Weise von ihnen, daß sie
  • nicht Abscheu hervorrufen, sondern uns eine Träne des Mitleids
  • entlocken. Selbst Nosdrjow, diese Synthese von Unrast, Unverfrorenheit,
  • Spitzbüberei und Zynismus, hat Gogol etwas so Gutmütiges und von jeder
  • Böswilligkeit Freies verliehen, daß er uns beinahe völlig entwaffnet und
  • die Fähigkeit nimmt, ihm ernsthaft zu zürnen.
  • So freundlich und milde verfuhr Gogol mit all jenen Personen, die er mit
  • seinem Helden zusammenführte, d. h. mit jener Klasse von Freien, die
  • keine eigentlichen Beamten darstellen. Dagegen war er weit strenger
  • gegen dieselben Menschen, wenn sie irgend ein Amt im Staate bekleideten,
  • mit andern Worten, wenn sie Beamte waren.
  • Wie der »Revisor«, so enthalten auch die »Toten Seelen« keine Spur von
  • einer politischen Anspielung. Die Satire berührte auch nicht mit einem
  • Wort die höhere Obrigkeit und setzte sich bloß mit den niederen Klassen
  • des Beamtenstandes auseinander.
  • Die ganze Dichtung bietet das Muster einer guten Gesinnung dar und daher
  • konnte sie auch den Leser zu keinerlei Betrachtungen veranlassen, die
  • sich _gegen_ die Regierung und Administration richteten, mit Ausnahme
  • etwa der schicksalsreichen »Geschichte vom Hauptmann Kopeikin«, die der
  • Zensor durchaus nicht freigeben wollte, und die erst nach bedeutenden
  • Änderungen und Zugeständnissen seitens des Autors die Zensur passierte.
  • Diese Geschichte war die einzige gegen die souveräne Gewalt gerichtete
  • Anspielung, die sich Gogol erlaubt hatte. In allen andern Fällen wählte
  • er sich bloß die ausführenden Organe dieser Gewalt zur Zielscheibe,
  • wobei er die Wucht seiner Angriffe genau nach Rang und Stellung seiner
  • Helden abstufte. Je höher ein Beamter stand, um so milder beurteilte ihn
  • der Verfasser, welcher freilich nicht die Absicht hatte, der Regierung
  • durchaus nur Schmeichelhaftes zu sagen, sondern sich allein von der
  • Erwägung leiten ließ, daß ein hohes Maß von Intelligenz den Menschen
  • auch zu einer höheren Sittlichkeit verpflichte.
  • So sind denn in den »Toten Seelen« alle höheren Beamten, selbst
  • abgesehen vom Generalgouverneur und vom Gouverneur, lauter ehrenwerte
  • und liebenswürdige Männer, die höchstens ein paar Seltsamkeiten oder
  • Eigenheiten an sich haben. Diese ganze so nette Beamtengesellschaft gibt
  • dem Moralisten nur wenig Anlaß zur Betrübnis, ja, er könnte sich nach
  • Gogols Ausdruck unter ihnen ganz wie zu Hause fühlen.
  • Aber das Bild wechselt jäh und mächtig, wenn wir aus dem Kreise dieser
  • relativ hochgestellten Provinzbeamten in die niederen Sphären
  • hinabsteigen und zusammen mit Tschitschikow die mit kleinen Beamten
  • bevölkerten Amtszimmer und Bureaus betreten. Hier befinden wir uns im
  • Reiche der Akten, der schmutzigen und der sauberen, innerhalb dessen
  • Unrecht und Bosheit einen viel freieren Spielraum haben. Wir sind
  • zugegen bei der Herbeischaffung falscher Zeugen, die ohne viel Umstände
  • unter den gerade anwesenden, größtenteils ungebildeten Gerichtsbeamten
  • ausgewählt werden; wir sehen wie Tschitschikows Spitzbubenstück die
  • Sanktion des Gesetzes erhält, wobei dem letzteren aus reiner
  • Liebenswürdigkeit gegen ihn nicht einmal die gesetzlichen Gebühren
  • abgenommen, sondern unbegreiflicher Weise einem andern Bittsteller aufs
  • Konto gesetzt werden ... mit einem Wort, wir befinden uns mitten in
  • einer Gesellschaft von wirklichen Gaunern und Betrügern, denen jede Spur
  • von Sentimentalität, welche ihre Vorgesetzten auszeichnete, fremd ist,
  • und die einem nüchternen illusionslosen Utilitarismus huldigen.
  • Wenn wir noch tiefer hinabsteigen, und uns aus der Stadt auf das Land
  • begeben, so treffen wir hier schon auf ausgemachte Lumpen und Schurken,
  • wie z. B. auf den Gendarmerieobersten Drobjaschkin, den Mann mit dem
  • weichen und zärtlichen Herzen, der alle Dörfer heimsucht und sie wie
  • eine verheerende Epidemie durchstreift, wofür er dann schließlich auch
  • von den Bauern ins Jenseits befördert wird. Diese Seite, die uns von den
  • Heldentaten der Dorfpolizei berichtet, ist sicher die kühnste in der
  • gesamten Dichtung.
  • Der erste Teil der »Toten Seelen« ist somit tatsächlich eine Epopöe der
  • menschlichen Erbärmlichkeit und Nichtigkeit. Erbärmlich ist dieser
  • _Erwerbsritter_ mit dem Instinkte des Raubtieres, erbärmlich und
  • armselig -- diese ganze Stadtgesellschaft, Männer wie Frauen --
  • erbärmlich dieses Reich der kleinsten, nichtigsten Interessen, dieses
  • prinzipienlose Vegetieren, diese geistige Beschränktheit, dieser Klatsch
  • und diese Verleumdung. Am charakteristischsten aber ist es wohl, daß
  • auch der _Bauern_stand, von dem der Autor nur ganz kurz und bei
  • Gelegenheit handelte, in den »Toten Seelen« vorzüglich nach seiner
  • unansehnlichen und erbärmlichen Seite dargestellt ist. Der Bauer ist
  • weder schlecht noch tugendhaft, weder gut noch böse, sondern nur
  • armselig, beschränkt und stumpfsinnig. Der Dichter wollte weder seinen
  • Verstand, noch sein Herz idealisieren und erheben, wie das viele
  • sentimentale und romantische Schriftsteller unter Gogols Zeitgenossen
  • taten; aber er wollte ihn auch nicht schlecht machen, wie das wohl der
  • Satiriker getan hätte, der die Aufmerksamkeit des Lesers auf die Sünden
  • und Laster unserer ärmeren und schwächeren Mitbrüder lenken will, um
  • sein Nachdenken und sein Interesse für sie zu wecken.
  • Daß der Dichter ein herzliches Mitgefühl für diese seine Mitbrüder
  • hatte, daran ist gar kein Zweifel. Ein kurzer Einblick in die
  • Betrachtungen, die Tschitschikow über das Schicksal der von ihm
  • gekauften Bauern anstellt, genügt, um sich zu überzeugen, daß sich der
  • Dichter in seiner Phantasie das Los dieser Armen, denen ihre Herrn nach
  • ihrem Tode ein so schmeichelhaftes Zeugnis ausgestellt hatten, in
  • lebhaften Farben ausmalte. Aber jedesmal, wenn Tschitschikow auf seinem
  • Wege einem Bauern begegnet, bekommt er nichts zu hören außer dem
  • törichten Gerede eines Onkel Mitjaj und Onkel Minaj. In der ganzen
  • Dichtung findet sich auch nicht eine Seite, wo der russische Bauer etwas
  • von dem ihm angeborenen Mutterwitz und der Pfiffigkeit spüren läßt, wo
  • er uns durch jene geistigen und seelischen Fähigkeiten erfreut, von
  • denen alle Freunde des Vaterlandes uns so oft und sicherlich nicht ohne
  • Grund zu erzählen wußten.
  • VII.
  • Dies ist in seinen wesentlichen Zügen der Inhalt des _ersten_ noch
  • erhaltenen Teils dieser großen Vaterlandsdichtung. Wie wir sahen, hatte
  • dieses Werk für seinen Verfasser einen tiefen sittlichen Sinn gewonnen;
  • es war seine Absicht, uns erst eine Reihe von hohlen, lasterhaften und
  • erbärmlichen Menschen vorzuführen, um uns dann ein schönes Bild ihrer
  • Erhebung zu geben; diese Dichtung war in den Augen des Autors eine an
  • sein Vaterland gerichtete Verheißung, daß es sich einst von allem
  • Häßlichen und Schmutzigen reinigen und der göttlichen Liebe würdig
  • erweisen werde. Dieser ethische Sinn seines Werkes wurde Gogol durch
  • seine religiösen Anschauungen, seinen Patriotismus und sein weiches,
  • mitleidiges Herz diktiert. Es steht fest, daß Gogol als Ankläger des
  • Lasters, der Schwäche, der Gemeinheit, der Trägheit und Indolenz, mit
  • einem Wort, aller nur möglichen persönlichen und sozialen Schäden, einer
  • der fortgeschrittensten russischen Männer gewesen ist, und dieses hohe
  • Verdienst um das Vaterland vermag ihm niemand zu entreißen oder zu
  • schmälern.
  • Aber bei einer näheren Bekanntschaft mit seinen Werken überzeugt man
  • sich leicht, daß seine Kraft und sein Talent nicht allein in der Anklage
  • und Geißelung bestand. Dieser Satiriker war in Wahrheit ein weicher,
  • milder, zum Mitleid geneigter Mensch, und wußte gegen dieselben Menschen
  • gerechte Nachsicht zu üben, die er in seinen Werken an den Pranger
  • stellte. Er fand Worte der Vergebung und Rechtfertigung noch für den
  • Lasterhaftesten, ja er liebte es eigentlich gar nicht, von Lastern zu
  • sprechen und zog es vor, sie Schwächen zu nennen, wobei er den Leser
  • stets zur Milde gegen die Angeklagten und Verworfenen zu stimmen suchte.
  • Er brachte die Menschen zur Erkenntnis ihrer Sündhaftigkeit. Nicht
  • sowohl durch die Aufdeckung ihrer Schlechtigkeiten und ihrer Sünden, als
  • vielmehr dadurch, daß er in ihnen das Mitleid für ihre Nächsten weckte,
  • die durch eigene oder fremde Schuld ins Unglück geraten waren.
  • Doch es sind nicht diese sittlichen Ideen und Anschauungen, die die
  • große Bedeutung der »Toten Seelen« für die Literatur und das Leben
  • Rußlands ausmachen. Das Werk blieb unvollendet, und der russische Leser
  • erlebte nichts von den kühnen Verheißungen des Dichters. Der Leser
  • behielt nichts in seiner Hand zurück, als eine große Anklageschrift
  • gegen die Gesellschaft, in der er lebte, eine Anklageschrift freilich,
  • die von der Hand eines Meisters der Wirklichkeitsdichtung und eines
  • großen realistischen Künstlers stammte.
  • Die »Toten Seelen« sind das erste Muster eines großen realistischen
  • Romans in der Literatur Rußlands, und das Schicksal, das oft sein
  • ironisches Spiel mit den Menschen treibt, wollte es, daß dieses große
  • Vorbild eines realistischen Romans von einem Romantiker und von einem
  • Dichter geschrieben werden sollte, der seine Schriftstellerlaufbahn mit
  • einem romantischen Traum begann und sie mit einer religiösen Predigt
  • beschloß.
  • Aber die Natur hatte diesem Prediger ein wunderbares Talent in die Wiege
  • gelegt, er besaß wie kein anderer die Fähigkeit einer reinen,
  • ungeschminkten, von jeder Idealisierung freien Wirklichkeitsdarstellung
  • -- und in der kurzen Periode, wo dieses Talent seinen Kulminationspunkt
  • erreichte, um schnell und für immer zu erlöschen, erschuf der Dichter
  • dieses großartige Gemälde von tiefster Wahrheit, in dem der Russe zum
  • erstenmal sich selbst und sein eigenes Leben in einem Spiegelbilde von
  • verblüffender Treue erblickte.
  • Nestor Kotljarewski.
  • Die Abenteuer des Grafen Tschitschikows
  • oder
  • Die Toten Seelen.
  • Erster Teil
  • Erstes Kapitel
  • Durch das Tor eines Gasthofes der Provinzstadt N. N. rollte ein
  • schmucker, leicht federnder, kleiner Wagen, wie ihn gewöhnlich
  • Junggesellen zu benutzen pflegen, als da sind: Oberstleutnants a. D.,
  • Majore, Edelleute, die etwa hundert Bauern besitzen, u. s. w. -- mit
  • einem Worte jene Klasse von Menschen, die man wohlgeborene Herren
  • mittleren Ranges nennt. Im Wagen saß ein Herr von nicht gerade
  • überwältigender Schönheit, aber doch von angenehmem Äußeren; er war
  • weder allzu dick noch allzu dünn, man konnte nicht sagen, daß er alt
  • war, doch war er andererseits auch nicht übermäßig jung. Seine Ankunft
  • erregte in dem Gasthofe nicht das geringste Aufsehen und war von
  • keinerlei besonderen Ereignissen begleitet; nur zwei Bauern, die vor der
  • Türe der dem Gasthof gegenüberliegenden Schenke standen, machten ein
  • paar Bemerkungen, die sich noch dazu mehr auf das Gefährt, als auf den
  • Insassen bezogen. »Sieh dir mal das Rad an,« sagte der eine zum andern.
  • »Was meinst du? Würde es wohl zum Beispiel bis Moskau halten, oder
  • nicht?« -- »Gewiß,« antwortete der andere. »Aber bis Kasan wird es wohl
  • nicht halten, denk ich.« -- »Bis Kasan wohl kaum,« versetzte der andere.
  • Damit war die Unterhaltung zu Ende. Als dann der Wagen vor dem Gasthofe
  • hielt, ging noch ein junger Mann vorüber. Er trug kurze, sehr enge weiße
  • Nankinghosen und einen Frack, der modern sein sollte und unter dem ein
  • Vorhemd hervorguckte, das eine Tulasche-Nadel mit einem Kopf in Form
  • einer bronzenen Pistole schmückte. Der junge Mann drehte sich um, sah
  • sich den Wagen an, während er seine Mütze, die der Wind fortzublasen
  • drohte, mit der Hand festhielt, und ging seiner Wege.
  • Als der Wagen in den Hof fuhr, wurde der Herr von dem Kellner oder
  • Aufwärter, wie man sie in den russischen Schenken zu nennen pflegt,
  • empfangen, einem so lebhaften und beweglichen Wesen, daß es ein Ding der
  • Unmöglichkeit war, ein Bild von seinen Gesichtszügen zu gewinnen.
  • Gewandt und sicher kam er mit der Serviette in der Hand herausgelaufen,
  • ein hoch aufgeschossener Bursche in einem langen baumwollenen Rock,
  • dessen Taille beinahe in der Höhe des Nackens saß, schüttelte seine
  • Mähne und führte den Herrn flink durch den langen hölzernen Flurgang, um
  • dem Reisenden das ihm von Gott bestimmte Gemach zu zeigen. -- Das Zimmer
  • war eins von der bekannten Art; denn auch der Gasthof war einer von der
  • bekannten Art, wie nämlich alle Gasthöfe in den Provinzstädten sind, wo
  • die Reisenden für zwei Rubel täglich ein ruhiges Zimmer erhalten: mit
  • Schwabenkäfern, die wie Pflaumen aus allen Ecken hervorgucken, und mit
  • einer Kommode vor der Tür, die ins anstoßende Gemach führt, in dem der
  • Nachbar wohnt, ein stiller, schweigsamer, aber äußerst neugieriger Mann,
  • der sich aufs lebhafteste für den Reisenden und alle Einzelheiten seiner
  • Person interessiert. Die äußere Fassade des Gasthofes entsprach durchaus
  • dem Innern: sie war sehr lang und hatte zwei Stockwerke; das untere war
  • nicht geweißt und ließ noch die dunkelroten Ziegelsteine erkennen,
  • die, an sich schon nicht ganz sauber, infolge der heftigen
  • Witterungsumschläge noch mehr nachgedunkelt waren. Die obere Etage war
  • gelb angestrichen, wie überall. Unten waren Läden, wo Pferdegeschirr,
  • Bindfaden und Bretzel verkauft wurden. In dem Eckladen, oder richtiger
  • im Fenster des Ladens saß ein Sbitenverkäufer[1] mit einem Samowar aus
  • Kupfer und einem Gesicht, das ebenso kupferrot war wie sein Samowar,
  • sodaß man aus der Ferne fast glauben konnte, auf dem Fenster ständen
  • zwei Samoware, wenn nicht der eine von ihnen einen pechschwarzen Bart
  • gehabt hätte.
  • Während der Reisende sich noch sein Zimmer näher ansah, wurde sein
  • Gepäck hereingetragen. Zunächst ein etwas abgenutzter Koffer aus weißem
  • Leder, dem man es ansah, daß er nicht zum erstenmal eine Reise machte.
  • Der Koffer wurde vom Kutscher Seliphan, einem kleinen Mann in einem
  • kurzen Pelz, und vom Lakaien Petruscha hereingebracht. Letzterer war ein
  • Bursche von etwa dreißig Jahren und trug einen weiten abgetragenen Rock,
  • der offenbar von seinem Herrn stammte; er machte einen etwas strengen
  • und mürrischen Eindruck und hatte große dicke Lippen und eine ebensolche
  • Nase. Nach dem Koffer wurden ein kleines Kästchen aus Mahagoni mit
  • eingelegten Verzierungen aus Korelischem Birkenholz, ein Paar
  • Schuhleisten und ein gebratenes Huhn hereingebracht, das in blaues
  • Papier eingewickelt war. Als alles besorgt war, begab sich der Kutscher
  • Seliphan in den Stall, wo er sich mit den Pferden zu schaffen machte,
  • während sich der Lakai Petruscha in dem kleinen Vorzimmer einrichtete,
  • einem finstern Loche, wohin er aber schon seinen Mantel und zugleich mit
  • diesem einen merkwürdigen Geruch mitgebracht hatte, der nur ihm
  • eigentümlich war. Dieser Geruch teilte sich auch einem Sack mit
  • allerhand Utensilien der Bediententoilette mit, den er gleich darauf
  • hereinschleppte. In dieser Kammer stellte er an der Wand ein enges
  • dreibeiniges Bett auf und legte einen Gegenstand darauf, der einer
  • Matratze ähnlich sah, flach und zusammengedrückt wie ein Pfannkuchen und
  • vielleicht ebenso fettig wie dieser; er hatte sich das Ding von dem
  • Gastwirte geben lassen.
  • [Fußnote 1: Sbiten: ein Getränk aus Wasser, Honig und Lorbeerblättern
  • oder Salbei, das von den niederen Klassen statt Tee getrunken wird.]
  • Während die Diener mit der Einrichtung beschäftigt waren, begab sich der
  • Herr in den Salon des Gasthofes. Jeder Reisende weiß aus Erfahrung, wie
  • so ein Salon beschaffen zu sein pflegt: immer dieselben mit Oelfarbe
  • gestrichenen Wände, die oben vom Rauche geschwärzt und tiefer unten wie
  • poliert sind durch die Rücken der Reisenden und mehr noch durch die der
  • einheimischen Kaufleute, die an Markttagen sechs oder sieben Mann hoch
  • hierher kommen, um ihre bestimmte Anzahl Tassen Tee zu trinken; dieselbe
  • rauchige Decke, derselbe geschwärzte Kronleuchter mit einer Unzahl
  • herabhängender Glaskristalle, die jedesmal herumhüpften und klirrten,
  • wenn der Kellner über den abgeriebenen Läufer von Wachstuch sprang und
  • dabei gewandt das Tablett schwenkte, auf dem eine Unmenge von Teetassen
  • ruhte, wie Vögel am Meeresstrande; dieselben Ölgemälde, die eine ganze
  • Wand einnahmen, mit einem Wort: es war alles wie überall, höchstens mit
  • dem Unterschied, daß auf einem der Bilder eine Nymphe mit so gewaltigen
  • Brüsten dargestellt war, wie sie der Leser noch nicht gesehen hat.
  • Übrigens begegnet man ähnlichen Naturspielen auf vielen historischen
  • Gemälden, von denen man nicht weiß, woher sie, wann sie und von wem sie
  • zu uns nach Rußland gebracht wurden; mitunter freilich waren es unsere
  • vornehmen Würdenträger und Kunstliebhaber selbst, die sie in Italien auf
  • Anraten der sie begleitenden Kuriere kauften. Der Herr warf seine Mütze
  • hin und legte sein wollenes, regenbogenfarbenes Halstuch ab, wie es
  • unsere Ehefrauen ihren Gatten eigenhändig zu häkeln pflegen, wobei sie
  • stets noch allerhand nützliche Lehren hinzufügen, wie das Tuch umgelegt
  • werden muß; wer sie dagegen den Hagestolzen anfertigt, das kann ich
  • nicht mit Bestimmtheit sagen, Gott weiß es, ich habe nie ein solches
  • Halstuch getragen. Nachdem also der Herr sein Halstuch abgelegt hatte,
  • bestellte er sich ein Mittagessen. Während die verschiedenen Speisen,
  • die einem gewöhnlich in den Gasthöfen vorgesetzt werden, aufgetragen
  • wurden, als da sind: Krautsuppe mit Pasteten aus Blätterteig, die
  • wochenlang für die Reisenden aufgehoben und bereit gehalten werden,
  • ferner Hirn mit Schoten, Würstchen mit Kraut, eine gebratene Pularde,
  • eine saure Gurke und das unvermeidliche jederzeit vorrätige
  • Splittertörtchen; während also dies alles aufgetragen wurde, aufgewärmt
  • oder kalt, ließ er sich von dem Diener oder Kellner allerhand törichte
  • Geschichten erzählen: wer den Gasthof früher besessen habe, wer sein
  • jetziger Besitzer sei, wie groß die Einnahmen seien, ob der Herr ein
  • großer Hallunke sei usw., worauf der Kellner die gewohnte Antwort gab:
  • »Oh! ein großer Spitzbube! gnädiger Herr!« Wie in dem aufgeklärten
  • Europa, so gibt es jetzt auch in dem aufgeklärten Rußland eine Menge
  • höchst ehrenwerter Leute, die es nicht über sich bringen, in einem
  • Gasthaus zu speisen, ohne mit dem Kellner zu schwatzen oder gar mit ihm
  • ihre Scherze zu treiben. Übrigens stellte der Ankömmling nicht nur
  • sinnlose Fragen: er erkundigte sich auch ganz genau nach dem Gouverneur,
  • nach dem Gerichtspräsidenten und Staatsanwalt der Stadt -- mit einem
  • Wort: er überging auch nicht einen von den hohen Beamten; und mit fast
  • noch größerer Ausführlichkeit erkundigte er sich nach allen bedeutenden
  • Großgrundbesitzern der Umgegend: wieviel Bauern ein jeder von ihnen
  • habe, wie weit von der Stadt er wohne, ja sogar was er für einen
  • Charakter habe und wie oft er in die Stadt komme; er fragte genau nach
  • den Zuständen, die im Kreise herrschten, ob es in der Provinz vielleicht
  • Krankheiten oder Epidemieen, wie tödlich verlaufende Fieber, Blattern u.
  • s. f. gegeben habe, und dies alles tat er mit einer Peinlichkeit und
  • Ausführlichkeit, die weit mehr als bloße Neugierde erkennen ließ. Im
  • Betragen des Herrn lag etwas Gesetztes und Solides; auch schneuzte er
  • sich ungewöhnlich laut. Es läßt sich kaum sagen, wie er das machte,
  • jedenfalls tönte seine Nase dabei gleich einer Trompete. Aber dieser
  • scheinbar so harmlose und unbedeutende Vorzug eroberte ihm die
  • Hochachtung des Kellners, welcher jedesmal, wenn er diesen Laut vernahm,
  • seine Mähne schüttelte, sich ehrerbietig aufrichtete, seinen Kopf etwas
  • von seiner Höhe herabsinken ließ und fragte: »Wünschen der Herr
  • vielleicht etwas?« Nach dem Essen trank der Herr eine Tasse Kaffee und
  • ließ sich auf dem Sofa nieder. Er schob sich ein Kissen in den Rücken,
  • das in den russischen Gasthäusern statt mit weicher Wolle mit einem
  • Etwas gestopft wird, das die größte Ähnlichkeit mit Kieseln oder
  • Ziegelsteinen hat. Er begann zu gähnen und ließ sich in sein Zimmer
  • führen, wo er sich niederlegte, um zwei Stunden lang zu schlummern.
  • Nachdem er geruht hatte, schrieb er auf den Wunsch des Kellners seinen
  • Stand, Vor- und Familiennamen auf einen Papierfetzen, damit diese, wie
  • sich's gehört, der Polizei mitgeteilt werden könnten. Als der Kellner
  • die Treppe hinabstieg, buchstabierte er den Inhalt des Geschriebenen:
  • »Kollegienrat Pawel Iwanowitsch Tschitschikow, Gutsbesitzer, reist in
  • eigenen Angelegenheiten.« Während der Kellner den Zettel noch immer zu
  • entziffern suchte, verließ Pawel Iwanowitsch Tschitschikow den Gasthof,
  • um sich die Stadt anzusehen, die offenbar einen befriedigenden Eindruck
  • auf ihn machte; denn er fand, daß sie sich durchaus mit jeder andern
  • Provinzhauptstadt messen konnte: die gelbe Farbe der steinernen und das
  • bescheidene Dunkelgrau der hölzernen Häuser fielen besonders ins Auge.
  • Die Häuser hatten ein, zwei oder anderthalb Stockwerke, mit den
  • stereotypen Mansarden, die wohl nach der Ansicht der dortigen
  • Architekten besonders schön waren. Stellenweise schienen diese Häuser
  • wie verloren inmitten der Straße, die breit wie ein Feld war, und
  • zwischen den Bretterzäunen, die gar kein Ende nehmen wollten; an andern
  • Punkten dagegen stießen sie eng aneinander, und hier machte sich auch
  • mehr Leben und Bewegung bemerkbar. Hie und da sah man vom Regen
  • verwaschene Schilder, auf denen ein Bretzel oder ein Stiefel, oder ein
  • Paar blaue Hosen abgebildet waren, und die die Unterschrift zierte:
  • Arschawski, Schneidermeister. Oder ein Hutgeschäft, mit Mützen und Hüten
  • und einem Schild mit der Inschrift: »Der Ausländer Wassili Fjodorow.«
  • Auf einem dieser Schilder sah man ein Billard mit zwei Spielern in
  • Fräcken abgebildet, wie sie in unseren Theatern die Gäste zu tragen
  • pflegen, die im letzten Akte auf der Bühne erscheinen. Die Spieler waren
  • in der Stellung dargestellt, wo sie mit den Queues gerade zum Stoße
  • ausholen, mit ein wenig zurückgezogenen Armen und gekrümmten Beinen, als
  • ob sie soeben einen Luftsprung gemacht hätten. Unter diesem Bilde befand
  • sich die Inschrift: »Hier ist eine Schenke!« Hie und da standen unter
  • freiem Himmel auf der Straße Tische mit Nüssen, Seife, und Honigkuchen,
  • die gleichfalls wie Seife aussahen. Etwas weiter befand sich eine
  • Garküche, auf deren Aushängeschild ein mächtiger Fisch abgebildet war,
  • in dem eine Gabel steckte. Am häufigsten aber begegnete man den
  • zweiköpfigen schwarzen Staatsadlern, welche heute bereits durch die
  • lakonische Inschrift: »Ausschank« ersetzt sind. Das Pflaster war überall
  • ziemlich schlecht. Der Herr warf auch einen Blick in den städtischen
  • Garten, der aus ein paar dünnen Bäumchen bestand, welche offenbar sehr
  • schlecht fortkamen und unten von Pfählen gestützt wurden, die ein
  • Dreieck bildeten und mit grüner Ölfarbe angestrichen waren. Übrigens
  • hieß es von ihnen in den Zeitungen, obwohl sie kaum Schilfhöhe
  • erreichten, bei Beschreibung einer Illumination: »Dank der Fürsorge
  • unseres Zivilgouverneurs ward unsere Stadt durch einen Garten voller
  • breitkroniger, schattenreicher Bäume verschönt, die an heißen
  • Sommertagen angenehme Kühle spenden.« Weiterhin hieß es: »Es sei rührend
  • anzusehen, wie die Herzen der Bürger in überquellender Dankbarkeit
  • erzitterten und Tränenströme in warmer Anerkennung der Verdienste
  • unseres verehrten Stadtoberhauptes vergössen.« Der Herr erkundigte sich
  • bei einem Polizisten ausführlich nach dem kürzesten Wege zur Domkirche,
  • zu den Amtsgebäuden, zum Gouverneur und begab sich schließlich zum Fluß
  • hinab, der mitten durch die Stadt floß. -- Unterwegs riß er einen
  • Reklamezettel ab, der an einer Plakatsäule klebte, um ihn zu Hause in
  • Ruhe durchzulesen. Dann betrachtete er aufmerksam eine Dame von recht
  • angenehmem Äußeren, die auf den Holzbrettern des Bürgersteiges an ihm
  • vorüberging, begleitet von einem Knaben in militärischem Aufputz, der
  • ein Bündel in der Hand trug. Und nachdem er noch manchmal einen Blick
  • auf das Ganze geworfen hatte, wie um sich die Örtlichkeit gründlich
  • einzuprägen, ging er nach Hause und stieg geradewegs die Treppe zu
  • seinem Zimmer empor, gefolgt vom Kellner, der ihn hierbei leicht
  • unterstützte. Nachdem er seinen Tee getrunken hatte, setzte er sich an
  • seinen Tisch, ließ sich eine Kerze bringen, nahm das Plakat aus der
  • Tasche und begann zu lesen, wobei er sein rechtes Auge ein wenig
  • zukniff. Übrigens stand nicht viel Bemerkenswertes auf dem Zettel. Man
  • gab ein Drama von Kotzebue, in dem ein Herr Popljowin den Rolla und ein
  • Fräulein Sjablowa die Kora spielten. Die übrigen Personen waren noch
  • unbedeutender. Trotzdem las er sämtliche Namen durch, bis auf die Preise
  • der Parterreplätze und erfuhr, daß der Zettel in der städtischen
  • Buchdruckerei hergestellt worden war; dann drehte er ihn um, um sich zu
  • überzeugen, ob nicht noch etwas auf der Rückseite stehe. Aber da er
  • nichts fand, rieb er sich die Augen, faltete ihn sorgsam zusammen und
  • legte ihn in das Kästchen, in dem er alles aufzubewahren pflegte, was
  • ihm unter die Finger kam. Ich glaube der Tag wurde mit einer Portion
  • kalten Kalbsbratens, einer Flasche Kislischtschi (Kaltschale) und einem
  • festen Schlaf beschlossen, den ein Schnarchen begleitete, ähnlich dem
  • Geknarr eines Pumpenkrahns, wie man sich in einigen Gegenden unseres
  • geräumigen russischen Vaterlandes auszudrücken pflegt. --
  • Der ganze folgende Tag war Besuchen gewidmet. Der Reisende stellte sich
  • allen Honoratioren der Stadt vor. Er machte dem Gouverneur einen
  • Achtungsbesuch, der, wie sich's herausstellte, ebenso wie Tschitschikow
  • weder dick noch dünn war, den Annenorden im Knopfloch trug und, wie man
  • sich erzählte, selbst Prätendent des Sternes war; im übrigen war er ein
  • gutmütiger alter Herr, der sich sogar bisweilen in Tüllstickereien
  • versuchte. Sodann begab er sich zum Vizegouverneur, zum Staatsanwalt,
  • zum Gerichtspräsidenten, zum Polizeimeister, zum Branntweinpächter und
  • Direktor der staatlichen Fabriken ... leider ist es nicht ganz leicht,
  • all die Gewaltigen dieser Welt aufzuzählen; genug, unser Reisender
  • entwickelte eine lebhafte Geschäftigkeit im Besuchemachen: er ging sogar
  • zum Inspektor der Sanitätsverwaltung und zum Stadtbaumeister, um ihnen
  • seine Aufwartung zu machen. Und lange noch saß er in seinem Wagen, bei
  • sich erwägend, wem er wohl noch einen Besuch machen könne, aber leider
  • fand sich in der Stadt kein Beamter mehr, den er nicht schon beglückt
  • hätte. Im Gespräch mit den Machthabern verstand er es vorzüglich, einem
  • jeden von ihnen eine Schmeichelei zu sagen. Zum Gouverneur sagte er wie
  • beiläufig, wenn man in seine Provinz komme, glaube man sich im
  • Paradiese, die Wege seien herrlich, es sei einem, als führe man über
  • Samt; und er fügte hinzu, die Regierung, welche es verstände, weise
  • Männer auf verantwortungsvolle Stellen zu setzen, verdiente das höchste
  • Lob und die größte Anerkennung. Dem Polizeimeister sagte er etwas höchst
  • Schmeichelhaftes über die städtischen Polizisten und den Vizegouverneur
  • und den Gerichtspräsidenten, die erst Staatsräte waren, nannte er im
  • Gespräche zweimal wie im Versehen »Exzellenz«, was ihnen sichtlich
  • Freude bereitete. Der Erfolg von alledem war, daß der Gouverneur ihn
  • noch am selben Tage zu einer kleinen Abendgesellschaft in seinem Hause
  • einlud; auch von den übrigen Beamten erhielt er Einladungen, vom einen
  • zum Diner, vom andern zu einer Partie Boston oder einer Tasse Tee.
  • Über sich selbst viel zu reden, vermied der Reisende offenbar. Und wenn
  • er etwas sagte, so waren es meist Gemeinplätze. Er drückte sich mit
  • einer auffallenden Bescheidenheit aus, und sein Gespräch bewegte sich in
  • diesen Fällen in Redewendungen aus der Büchersprache, wie etwa folgende:
  • er sei ja nur ein unbedeutender Wurm auf dieser Welt, nicht wert, daß
  • man sich viel um ihn kümmere. Er habe in seinem Leben schon viel
  • erfahren und durchgemacht, für die Wahrheit gelitten und sich viele
  • Feinde erworben, die ihm sogar nach dem Leben trachteten. Jetzt sehne er
  • sich nach Ruhe, und daher suche er sich endlich ein Plätzchen, wo er
  • ungestört leben könne. Er habe es bei seiner Ankunft in dieser Stadt für
  • seine erste Pflicht gehalten, die hervorragenden Repräsentanten des
  • Beamtenstandes aufzusuchen und ihnen seine Hochachtung auszusprechen.
  • Das war alles, was man in der Stadt über den Fremden in Erfahrung
  • bringen konnte, der nicht zögerte, bei der Soiree des Gouverneurs zu
  • erscheinen. Die Vorbereitungen zu dieser Abendgesellschaft nahmen gute
  • zwei Stunden in Anspruch, und hierbei legte der Reisende eine solche
  • peinliche Aufmerksamkeit für seine Toilette an den Tag, wie man ihr nur
  • selten begegnet. Nach einem kurzen Nachmittagsschläfchen ließ er sich
  • ein Waschbecken reichen und rieb sich hierauf lange Zeit beide Wangen
  • mit Seife, wobei er die Zunge von innen gegen die Backe drückte. Dann
  • nahm er dem Hausdiener das Handtuch von der Schulter, trocknete sein
  • rundliches Gesicht überall sorgfältig ab, indem er bei den Ohren anfing
  • und dem Diener zuvor zweimal gerade ins Gesicht prustete. Dann trat er
  • vor den Spiegel, um sich das Vorhemd anzulegen, riß sich zwei aus der
  • Nase hervorragende Härchen aus und stand gleich darauf in einem
  • preißelbeerfarbenen roten gesprenkelten Fracke da. Nachdem er so seine
  • Toilette vollendet hatte, bestieg er seine eigene Equipage und fuhr
  • durch die ungemein breiten Straßen, welche von dem spärlichen Lichte
  • beleuchtet wurden, das aus einigen Fenstern fiel. Das Haus des
  • Gouverneurs war indessen so glänzend erleuchtet wie bei einem Ball; vor
  • dem Hause standen Wagen mit hellen Laternen, sowie zwei Gendarmen. Aus
  • der Ferne klangen die Rufe der Vorreiter herüber; mit einem Wort, es war
  • alles so, wie es sich gehörte. Als Tschitschikow den Saal betrat, mußte
  • er die Augen für einen Moment schließen, weil der blendende Glanz der
  • Lichter, der Lampen und Damentoiletten geradezu überwältigend war. Alles
  • war wie mit Licht übergossen. Schwarze Fräcke schwirrten einzeln und in
  • Gruppen durch den Saal, wie Fliegen um den Zuckerhut an einem heißen
  • Julitag, während ihn die Wirtschafterin zerteilt und vor dem offenen
  • Fenster in weiße leuchtende Stücke zerschlägt: alle Kinder umstehen sie
  • und verfolgen mit Neugierde die Bewegungen ihrer arbeitsharten Hände,
  • welche den Hammer schwingen, während geflügelte Schwadronen von Fliegen
  • von einem leichten Winde emporgetragen, kühn herbeifliegen, als wären
  • sie die Herren des Hauses, und sich die Kurzsichtigkeit der Frau und das
  • Sonnenlicht, das ihr Auge blendet, zu nutze machend, die süßen
  • Leckerbissen hier vereinzelt, dort in dichten Haufen umschwirren.
  • Gesättigt vom reichen Sommer, der ohnehin auf Schritt und Tritt leckere
  • Gaben austeilt, kamen sie herbeigeflogen, nicht etwa um zu naschen,
  • sondern bloß um sich zu zeigen, auf dem Zuckerhaufen herumzuspazieren,
  • eine an der anderen ihre Vorder- oder Hinterfüßchen zu wetzen und sie an
  • den Flügelchen zu reiben oder endlich, die beiden Vorderpfötchen
  • vorstreckend, sich das Köpfchen zu krauen und mit einer kühnen Wendung
  • davonzufliegen, um bald in neuen, zudringlichen Schwärmen
  • wiederzukehren. Tschitschikow fand kaum Zeit, sich umzusehen, als der
  • Gouverneur ihn schon am Arme faßte und der Gouverneurin vorstellte. Auch
  • bei dieser Gelegenheit vergab sich der Reisende nichts: er sagte der
  • Dame ein Kompliment, wie es sich für einen Mann in mittleren Jahren
  • schickt, dessen Rang und Titel weder sehr hoch noch sehr niedrig sind.
  • Als die tanzenden Paare Aufstellung nahmen und alle Zuschauer an die
  • Wand drückten, stand er, die Hände auf dem Rücken gekreuzt, da, und
  • betrachtete die Tänzer einige Minuten lang sehr aufmerksam. Viele von
  • den Damen waren sehr gut gekleidet und trugen moderne Toiletten, andre
  • dagegen hatten an, was Gottes Vorsehung in eine Provinzstadt gelangen
  • läßt. Die Herren zerfielen hier wie überall in zwei Kategorien: die
  • einen waren sehr dünn und hager und drehten sich beständig um die Damen
  • herum; unter diesen gab es einige, die man nicht leicht von Petersburger
  • Herren hätte unterscheiden können; sie hatten ebenso sorgfältig
  • gepflegte Backenbärte, und ihre Barttracht war ebenso wohl überlegt und
  • geschmackvoll, oder sie hatten einfach hübsche, glattrasierte Ovale,
  • nahmen ebenso ungezwungen neben den Damen Platz, sprachen ebensogut
  • französisch und brachten die Damen genau so zum Lachen wie in
  • Petersburg. Die andere Kategorie von Herren bildeten die dicken, oder
  • die, welche Tschitschikow glichen, also weder sehr dick waren, ohne doch
  • wiederum zu dünn zu sein. Diese waren ganz anders in ihrem Auftreten,
  • sie sahen weg, gingen den Damen aus dem Wege und schauten immer aus, ob
  • nicht der Kammerdiener des Gouverneurs irgendwo einen grünen Tisch für
  • das Whistspiel aufgestellt habe. Ihre Gesichter waren rund und
  • wohlgenährt, einzelne hatten sogar eine Warze oder Pockennarben; sie
  • trugen ihr Kopfhaar weder in Form von Büscheln, noch Locken, noch >_a la
  • Diable m'emporte_< (Hol mich der Teufel), wie die Franzosen es nennen.
  • Das Haar war entweder kurz geschoren oder glatt ins Gesicht gekämmt, wie
  • geleckt, und ihre Gesichtszüge waren rund und kräftig. Das waren die
  • geachteten Würdenträger der Stadt. Ach ja! Die Dicken verstehen es
  • besser, auf dieser Welt Geschäfte zu machen als die Dünnen. Die Dünnen
  • sind meist Beamte für besondere Aufträge oder werden bloß in den Listen
  • geführt und treiben sich müßig herum; ihre Existenz hat etwas gar zu
  • Leichtes, Luftiges und ist ganz unsicher. Die Dicken besetzen dagegen
  • nie einen Platz, der abseits vom geraden Wege liegt, sie nehmen immer
  • die bedeutenden Stellungen ein, und wenn sie sich einmal hinsetzen, so
  • sitzen sie fest und sicher, sodaß eher der Sitz unter ihnen kracht oder
  • sich biegt, als daß sie herunterfallen. Jeder äußere Glanz ist ihnen
  • verhaßt, der Frack sitzt ihnen freilich nicht so gut, wie den Dünnen,
  • dafür sind ihre Schatullen voll, und es ruht der Segen Gottes auf ihnen.
  • Der Dünne hat schon nach drei Jahren keine Seele mehr, die nicht
  • verpfändet ist, der Dicke aber lebt ganz ruhig, und siehe da --
  • plötzlich steht irgendwo am Ende der Stadt ein Haus da, das er sich auf
  • den Namen der Frau erworben hat, dann am andern Ende ein zweites, ferner
  • ein kleines Gut in der Nähe des Städtchens und ein Stück Land mit allem
  • Zubehör. Und schließlich quittiert der Dicke, nachdem er Gott und dem
  • Kaiser genug gedient und sich die allgemeine Achtung erworben hat,
  • seinen Dienst, verläßt die Stadt und wird Landwirt, ein prächtiger
  • russischer Landjunker, macht ein offenes Haus und lebt ruhig und
  • herrlich und in Freuden. Seine dünnen Erben aber bringen wiederum nach
  • guter russischer Sitte den ganzen väterlichen Besitz im Eilposttempo
  • durch. Es läßt sich nicht verheimlichen, daß unseren Tschitschikow
  • ähnliche Betrachtungen beschäftigten, während er sich die Gesellschaft
  • näher ansah, und die Folge hiervon war, daß er sich schließlich zu den
  • Dicken gesellte, wo er beinahe lauter bekannte Gesichter vorfand: da war
  • der Staatsanwalt, ein Herr mit buschigen, schwarzen Augenbrauen, der ein
  • wenig mit dem linken Augenlid zuckte, wie wenn er sagen wollte: »kommen
  • Sie doch ins Nebenzimmer, ich möchte Ihnen etwas erzählen« -- übrigens
  • ein ernster und schweigsamer Mann. Da war der Postmeister, ein kleines
  • Männchen, aber ein Witzbold und Philosoph; ferner der Gerichtspräsident,
  • ein sehr verständiger und liebenswürdiger Herr -- sie alle begrüßten ihn
  • wie einen alten Bekannten, worauf Tschitschikow sich ein wenig linkisch,
  • aber doch nicht ohne Grazie verbeugte. Hier machte er auch die
  • Bekanntschaft eines sehr höflichen und freundlichen Herrn, eines
  • Gutsbesitzers, namens Manilow, und eines etwas plump aussehenden Herrn
  • Sabakewitsch, der ihm sofort auf den Fuß trat und »Bitte um
  • Entschuldigung« dazu sagte. Zugleich reichte man ihm eine Spielkarte,
  • als Aufforderung zu einer Partie Whist, die er mit der gleichen
  • höflichen Verbeugung annahm. Man setzte sich an den grünen Tisch, und
  • blieb bis zum Abendessen sitzen, ohne sich zu erheben. Die Unterhaltung
  • hörte sogleich auf, wie das immer zu sein pflegt, wenn man nun endlich
  • an eine ernste Beschäftigung geht. Und obwohl der Postmeister sehr
  • redselig war, so erhielt doch auch _sein_ Gesicht einen nachdenklichen
  • Ausdruck, er bedeckte seine Oberlippe mit der unteren und verharrte
  • während des ganzen Spiels in dieser Stellung. Wenn er eine Figur
  • ausspielte, dann schlug er mit der Hand kräftig auf den Tisch. War es
  • eine Dame, dann fügte er hinzu: »Raus, alte Popin!« War es dagegen ein
  • König, so rief er: »Raus mit dem Tambower Bauern!« Der Präsident aber
  • antwortete: »Dem geb ich's auf den Schnauzbart! Dem geb ich's auf den
  • Schnauzbart!« Zuweilen entschlüpften ihnen Ausdrücke, wie die folgenden,
  • während sie mit den Karten auf den Tisch schlugen: »Ach was: Was nicht
  • is, is nicht, in solchen Fällen spielt man Schellen!« oder einfache
  • Ausrufe wie: »Herzen! Herzchen! Pikentia!« oder »Piekchen, Piekchen,
  • Pickelchen!« oder einfach »Pikkolo«. Lauter Namen, mit denen sie in
  • ihrer Gesellschaft die Farben zu bezeichnen pflegten. Nach Beendigung
  • eines jeden Spieles wurde, wie das so zu geschehen pflegt, laut
  • gestritten. Unser neu angekommener Gast beteiligte sich auch am Streit,
  • aber er wußte das so geschickt zu machen, daß alle zwar sahen, daß er
  • auch mitstritt, doch aber immer liebenswürdig blieb. Er sagte niemals:
  • »Sie spielten ...« sondern stets: »Sie hatten die Güte ... zu spielen«
  • oder: »ich habe mir erlaubt, Ihre Zwei zu stechen« u. s. w. Um seine
  • Gegner noch mehr zu gewinnen, reichte er ihnen jedesmal seine
  • emaillierte Tabaksdose, auf deren Grunde zwei Veilchen zu sehen waren,
  • die er des Wohlgeruchs wegen hineingetan hatte. Am meisten
  • interessierten unseren Reisenden die beiden Gutsbesitzer Manilow und
  • Sabakewitsch, von denen schon oben die Rede war. Er erkundigte sich
  • sogleich nach ihnen beim Präsidenten und beim Postmeister, die er
  • hierbei ein wenig beiseite nahm. Die wenigen Fragen, die er ihnen
  • vorlegte, ließen erkennen, daß der neue Gast nicht nur sehr wißbegierig,
  • sondern auch sehr gründlich war, denn er suchte vor allem in Erfahrung
  • zu bringen, wieviel Bauern ein jeder von ihnen besäße, und in welcher
  • Verfassung sich ihre Güter befänden; erst hierauf fragte er auch nach
  • ihren Vor- und Zunamen. In ganz kurzer Zeit wußte er sie alle zu
  • bezaubern. Der Gutsbesitzer Manilow, ein Mann in den besten Jahren, mit
  • Augen süß, wie Zucker, die er beim Lachen stets zusammenkniff, war ganz
  • begeistert von ihm. Er drückte ihm lange die Hand und bat ihn inständig,
  • ihm doch die Ehre eines Besuchs bei ihm auf dem Lande zu machen, und er
  • fügte hinzu, sein Gut wäre nur fünfzehn Werst vom Stadttor entfernt,
  • worauf Tschitschikow mit höflichem Kopfnicken und warmem aufrichtigem
  • Händedruck erwiderte, er werde dieser freundlichen Aufforderung nicht
  • nur mit dem größten Vergnügen nachkommen, sondern halte es sogar für
  • seine heiligste Pflicht. Sabakewitsch aber sagte lakonisch: »Ich bitte
  • gleichfalls darum,« dabei machte er eine kleine Verbeugung und zog den
  • Fuß ein wenig an, der in einem Stiefel von so gewaltigen Dimensionen
  • steckte, daß man wohl vergeblich nach einem zweiten Fuß suchen würde,
  • der zu diesem Stiefel gepaßt hätte, besonders zu unserer Zeit, wo die
  • Recken und Ritter in Rußland im Aussterben begriffen sind.
  • Am folgenden Tag war Tschitschikow zum Mittagessen und zu einer
  • Abendgesellschaft beim Polizeimeister geladen. Um drei Uhr, nach dem
  • Mittagessen setzte man sich an den Tisch zum Whistspielen und spielte
  • bis zwei Uhr nachts durch. Dort machte Tschitschikow unter anderm auch
  • die Bekanntschaft eines Gutsbesitzers namens Nosdrjow, eines sehr
  • gewandten Herrn von dreißig Jahren, der ihn nach drei bis vier Worten zu
  • duzen begann. Den Polizeimeister und den Staatsanwalt duzte Nosdrjow
  • gleichfalls und behandelte sie höchst familiär; aber als man sich
  • hinsetzte und um einen hohen Einsatz zu spielen anfing, gaben der
  • Polizeimeister und der Staatsanwalt sehr genau auf die Stiche acht, die
  • er machte, und ließen keine Karte aus den Augen, die er ausspielte. Den
  • nächsten Abend war Tschitschikow beim Gerichtspräsidenten, der seine
  • Gäste, darunter zwei Damen, in einem etwas fettigen Schlafrock empfing.
  • Dann besuchte er eine Soirée beim Vizegouverneur, ein großes Diner beim
  • Branntweinpächter und ein _kleines_ Diner beim Staatsanwalt, das sich
  • übrigens neben dem großen wohl sehen lassen konnte; und endlich noch ein
  • Dejeuner nach der Messe, welches vom Stadthaupt veranstaltet wurde und
  • gleichfalls ein Mittagessen aufwog. Mit einem Wort, er war kaum eine
  • Stunde zu Hause und kam nur in den Gasthof, um zu schlafen. Der Reisende
  • verstand es dabei, sich in jede Situation zu finden und zeigte sich
  • überall als erfahrener Weltmann. Worauf auch die Rede kam, er wußte
  • immer ein passendes Wort einzuflechten; sprach man von Pferdezucht, so
  • wußte auch er etwas über die Pferdezucht zu sagen; sprach man von den
  • Vorzügen der Hunde, so machte er auch hierbei ein paar feine
  • Bemerkungen; unterhielt man sich über eine Untersuchung, die vom
  • Gerichtshof angestellt wurde, -- so ließ er merken, daß ihm auch die
  • gerichtlichen Kniffe nicht ganz unbekannt seien; war die Rede vom
  • Billardspiel -- so gab er sich auch beim Billardspiel keine Blöße; kam
  • das Gespräch auf die Tugend -- so konnte er auch sehr schön, und sogar
  • mit Tränen im Auge von der Tugend reden; oder kam man auf die
  • Branntweindestillation zu sprechen, auch über Branntweindestillation
  • wußte er Bescheid -- oder auf die Zollwächter und Zollbeamten -- er
  • sprach auch über diese, als ob er selbst Zollbeamter oder Zollwächter
  • gewesen wäre. Das Merkwürdigste dabei war, daß er bei alledem eine
  • gewisse Würde und Gesetztheit bewahrte, und immer ein feines und
  • vornehmes Betragen zeigte. Er sprach weder zu laut noch zu leise,
  • sondern ganz so, wie es sich schickt. Mit einem Wort: von welcher Seite
  • man ihn auch betrachten mochte, er war durchaus ein Ehrenmann vom
  • Scheitel bis zur Sohle. Alle Beamten waren hoch erfreut über die Ankunft
  • dieser neuen Erscheinung. Der Gouverneur erklärte ihn für einen
  • wohlgesinnten Mann -- der Staatsanwalt für einen tüchtigen Mann -- der
  • Gendarmerieoberst für einen gelehrten -- der Gerichtspräsident für einen
  • hochgebildeten und ehrenwerten -- der Polizeimeister für einen
  • ehrenwerten und liebenswürdigen Mann und die Frau des Polizeimeisters
  • für einen _sehr_ liebenswürdigen und galanten Mann. Ja selbst
  • Sabakewitsch, der selten gut über seine Mitmenschen redete, sprach, als
  • er spät abends aus der Stadt zurückkehrte, während er sich entkleidete
  • und zu seiner mageren Frau ins Bett stieg: »Schatz, ich war heute abend
  • beim Gouverneur und beim Polizeimeister zu Mittag, wo ich die
  • Bekanntschaft des Kollegienrates Pawel Iwanowitsch Tschitschikow gemacht
  • habe: ein äußerst angenehmer Herr!« Worauf seine Gemahlin »Hm« machte
  • und ihm einen leichten Fußtritt gab.
  • Diese für unseren Gast so schmeichelhafte Meinung bildete und erhielt
  • sich so lange in der Stadt, bis eine seltsame Eigentümlichkeit des
  • Reisenden sowie eine Unternehmung oder eine Passage, wie man sich in der
  • Provinz auszudrücken pflegt, von der der Leser in Kürze Näheres erfahren
  • soll, nahezu die ganze Stadt aufs höchste in Staunen und Zweifel
  • versetzten.
  • Zweites Kapitel
  • Schon mehr als eine Woche lebte der Fremde in der Stadt, indem er
  • beständig die Diners und Abendgesellschaften besuchte und so, wie man zu
  • sagen pflegt, seine Zeit auf recht angenehme Weise verbrachte. Endlich
  • entschloß er sich, seine Besuche auch über die Stadtgrenze auszudehnen
  • und den beiden Gutsbesitzern, Manilow und Sabakewitsch, seinem
  • Versprechen gemäß seine Aufwartung zu machen. Mag sein, daß ihn hierzu
  • noch ein anderer triftigerer Grund veranlaßte, eine ernstere
  • Angelegenheit, die ihm noch mehr am Herzen lag ... Doch von alledem wird
  • der Leser schon nach und nach und an der richtigen Stelle etwas
  • erfahren, vorausgesetzt, daß er die Geduld hat, diese lange Erzählung
  • durchzulesen, die sich in ihrem weiteren Verlauf noch mehr ausdehnen und
  • freier entfalten wird, je mehr sie sich dem Ende nähert, welches unser
  • Werk krönen soll. Der Kutscher Seliphan empfing die Weisung, die Pferde
  • in aller Frühe vor den uns schon bekannten Wagen zu spannen; Petruschka
  • aber erhielt den Befehl, zu Hause zu bleiben und das Zimmer nebst dem
  • Koffer zu bewachen. Es wird für den Leser nicht überflüssig sein, die
  • Bekanntschaft dieser beiden Leibeigenen unseres Helden zu machen. Obwohl
  • beide zwar nicht gerade bemerkenswerte und auffallende Persönlichkeiten,
  • sondern wie man zu sagen pflegt, Leute zweiten oder sogar dritten Ranges
  • sind, und obgleich die bedeutendsten Vorgänge und die Federn dieser
  • Dichtung eben nicht auf ihnen ruhen, und sie höchstens einmal berühren
  • oder leichthin streifen; -- der Verfasser liebt es nun einmal so sehr,
  • in allen Dingen möglichst gründlich und ausführlich zu sein, und so
  • möchte er auch hier, trotzdem er selbst ein sehr guter Russe ist, genau
  • und peinlich verfahren, wie ein Deutscher. Auch wird es gar nicht viel
  • Zeit und Raum in Anspruch nehmen, weil nicht mehr viel zu dem
  • hinzuzufügen bleibt, was der Leser schon weiß, wie z. B. dies, daß
  • Petruschka einen etwas weiten braunen Rock trug, der einmal seinem Herrn
  • gehört hatte, und daß er wie alle Leute seines Schlages eine große Nase
  • und dicke Lippen hatte. Er neigte eher zur Schweigsamkeit als zur
  • Geschwätzigkeit und war sogar von einem hohen Trieb zur Bildung d. h.
  • zur Lektüre beseelt, worin er sich nicht irre machen ließ, auch wenn er
  • den Inhalt der Bücher nicht verstehen konnte: es war ihm vollkommen
  • gleichgültig, was er las, ob es nun »Die Abenteuer eines verliebten
  • Ritters,« eine einfache Fibel oder ein Gebetbuch war, -- er las alles
  • mit der gleichen Aufmerksamkeit; hätte man ihm ein chemisches Lehrbuch
  • in die Hand gegeben, -- er hätte auch dieses nicht verschmäht. Ihn
  • freute nicht das, _was_ er las, sondern das Lesen selbst, oder richtiger
  • der Prozeß des Lesens, daß sich nämlich aus den Buchstaben stets irgend
  • ein Wort bildete, dessen Bedeutung freilich mitunter nur der Teufel
  • selbst enträtseln mochte. Diese Lektüre wurde gewöhnlich im Vorzimmer in
  • liegender Stellung, auf dem Bett oder auf der Matratze vorgenommen, die
  • infolge dieses Umstandes ganz zusammengedrückt und dünn wie ein
  • Pfannkuchen war. Außer der Lesewut hatte er noch zwei Gewohnheiten, die
  • zwei weitere Charakterzüge seiner Person bildeten: er liebte es zu
  • schlafen, ohne sich auszukleiden, so wie er ging und stand, in dem
  • bekannten Rock, und ferner schleppte er immer eine eigene Atmosphäre,
  • jenen ihm eigentümlichen Geruch mit sich, der ein wenig an den Duft
  • eines Wohnzimmers erinnerte, so daß er nur irgendwo sein Bett
  • aufzustellen und seinen Mantel und seine Habseligkeiten mitzubringen
  • brauchte, um sofort den Eindruck zu erwecken, daß dieses Zimmer seit
  • zehn Jahren von Menschen bewohnt werde, selbst wenn bislang noch niemand
  • darin gewohnt hatte. Tschitschikow, ein sehr empfindlicher Herr, der
  • leicht Ekel empfand, rümpfte gewöhnlich die Nase, wenn er morgens
  • gleichsam auf nüchternen Magen mit dem ersten Atemzuge diese Luft
  • einzog, schüttelte den Kopf und murmelte: »Hol' dich der Teufel, Kerl!
  • Du schwitzt wohl? Geh doch einmal ins Bad!« Worauf Petruschka gar nichts
  • erwiderte und sich nur mit etwas zu schaffen machte; er nahm wohl die
  • Bürste, um den an der Wand hängenden Frack seines Herrn auszubürsten,
  • oder er begann einfach die Stube aufzuräumen. Woran dachte er wohl,
  • während er still schwieg? Vielleicht sagte er zu sich selbst: »Du bist
  • mir auch der Rechte! Bist du's noch immer nicht satt, vierzigmal ein und
  • dasselbe zu wiederholen ...« Gott mag es wissen, es ist schwer zu
  • erraten, was ein leibeigener Bedienter sich denkt, wenn sein Herr ihm
  • gute Lehren gibt. Das ist etwa alles, was sich zunächst über Petruschka
  • sagen läßt. Der Kutscher Seliphan war ein ganz anderer Mensch ... Aber
  • der Autor hat schwere Bedenken, seine Leser so lange mit Leuten der
  • unteren Klasse zu unterhalten, da er aus Erfahrung weiß, wie ungern sie
  • die Bekanntschaft der niederen Stände machen. So ist nun einmal der
  • Russe: nach nichts verlangt ihn mehr, als die Bekanntschaft von Leuten
  • zu machen, ja mit ihnen familiär zu werden, die auch nur um _einen_ Rang
  • höher stehen als er, und der Gruß eines Grafen oder Fürsten gilt ihm
  • mehr als die herzlichste Freundschaft. Der Autor macht sich sogar einige
  • Sorgen, weil sein Held nur Kollegienrat ist. Ein Hofrat wird sich noch
  • allenfalls dazu herablassen, ihn kennen zu lernen, aber die, welche
  • bereits den Rang eines Generals erreicht haben -- werden am Ende gar,
  • was Gott verhüte, einen jener verächtlichen Blicke auf ihn werfen, wie
  • sie der Mensch stolz auf alles wirft, was ihm zu Füßen einherkreucht,
  • oder werden was noch schlimmer wäre, mit einer Nichtachtung an ihm
  • vorbeigehen, die für den Autor tödlich wäre. Doch so betrübend beides
  • auch sein mag, wir müssen dennoch zu unserem Helden zurückkehren.
  • Nachdem er also noch am Abend sämtliche notwendigen Anordnungen
  • getroffen hatte, erwachte er in aller Frühe, wusch sich, rieb sich vom
  • Kopf bis zu den Füßen mit einem nassen Schwamm ab, was er nur des
  • Sonntags zu tun pflegte -- doch traf es sich gerade so, daß der Tag ein
  • Sonntag war --, dann rasierte er sich, bis seine Wangen an Glanz und
  • Glätte dem Atlas gleichkamen, zog den bekannten gesprenkelten
  • preißelbeerfarbenen Frack und darüber einen mit Bärenfell gefütterten
  • Pelzmantel an und ging die Treppe hinunter, wobei ihn der Kellner unter
  • dem Arm faßte und bald auf der einen, bald auf der anderen Seite
  • unterstützte. Er bestieg den Wagen, welcher rasselnd durch das Tor des
  • Gasthofes auf die Straße hinaus rollte. Ein vorübergehender Pope lüftete
  • seinen Hut und grüßte; ein paar Straßenjungen in schmutzigen Hemden
  • streckten ihre Hand aus und murmelten: »Lieber Herr, eine Gabe für uns
  • arme Waisen!« Als der Kutscher bemerkte, daß der eine nicht übel Lust
  • hatte, auf den Wagentritt zu springen, langte er ihm eins mit der
  • Peitsche und der Wagen polterte weiter über die Steine. Man war nicht
  • wenig erfreut, als man in der Ferne einen gestreiften Schlagbaum
  • erblickte, der anzeigte, daß die Qualen des holperigen Pflasters und
  • noch manche andere bald überstanden seien. Und nachdem Tschitschikow
  • noch ein paarmal gegen den Kutschbock geflogen war, rollte der Wagen
  • jetzt auf ziemlich weichem Boden fort. Kaum lag die Stadt hinter ihnen,
  • da bot sich ihnen die bekannte Aussicht mit ihren Geschmacklosigkeiten
  • und Langweiligkeiten zu beiden Seiten der Landstraße: kleine mit Moos
  • bewachsene Erdhügel, junger Tannenwald, junge, niedrige und dünne
  • Fichtenstämme, angekohlte Baumstämme, wildes Heidekraut und ähnliches
  • Zeug. Hie und da begegnete man schnurgerade angelegten Dörfern, deren
  • Häuser in ihrer Bauart an alte Holzklaftern erinnerten. Die Hütten waren
  • mit grauen Dächern gedeckt und mit hölzernem Schnitzwerk verziert, das
  • die Form eines gestärkten Handtuches hatte und vom Dache herabhing. Ein
  • paar Bauern saßen wie gewöhnlich in Schafpelzen auf den Bänken vor der
  • Tür. Die Bäuerinnen mit dicken Gesichtern und eingeschnürten Brüsten
  • sahen aus den oberen Fenstern heraus. Durch das untere Fenster guckte
  • ein Kalb oder steckte ein Schwein seine blinde Schnauze hervor. Mit
  • einem Wort: das bekannte Bild. Nachdem sie fünfzehn Werst zurückgelegt
  • hatten, erinnerte sich Tschitschikow, daß nach Manilows Beschreibung
  • sein Gut nicht mehr fern sein könne; aber auch der sechzehnte
  • Streckenpfosten flog vorüber, ohne daß etwas von dem Gute zu entdecken
  • gewesen wäre. Und wenn sie nicht zufällig zwei Bauern begegnet wären,
  • wäre es ihnen sicher nicht geglückt, das Gut zu erreichen. Auf die
  • Frage, ob das Dorf Samanilowka noch weit sei, nahmen die Bauern die
  • Mützen ab, und der eine von ihnen, der etwas klüger zu sein schien und
  • einen Spitzbart trug, antwortete: »Vielleicht meinen Sie Manilowka und
  • nicht Samanilowka?« --
  • »Nun ja, Manilowka« --
  • »Manilowka! Wenn du noch eine Werst fährst, dann bist du da, d. h. dann
  • liegt es gerade rechts.« --
  • »Rechts?« sagte der Kutscher.
  • »Rechts,« sagte der Bauer. »Das ist der Weg nach Manilowka. Ein
  • Samanilowka gibt es überhaupt nicht. Es heißt so, d. h. sein Name ist
  • Manilowka. Ein Samanilowka aber existiert hier nicht. Da gerad auf dem
  • Berge wirst du ein steinernes, zweistöckiges Haus erblicken. Das ist das
  • Herrenhaus. Da wohnt nämlich der Herr selbst. Und das ist Manilowka. Ein
  • Samanilowka gibt es hier garnicht und hat es hier nicht gegeben.«
  • Man machte sich also auf, Manilowka zu suchen. Nachdem sie noch zwei
  • Werst gefahren waren, kamen sie an einem Feldweg vorüber. Dann fuhren
  • sie noch zwei, drei oder sogar vier Werst; aber das zweistöckige,
  • steinerne Haus war noch immer nicht zu sehen. Hier erinnerte sich
  • Tschitschikow, daß, wenn uns ein Freund auf ein Landgut einlädt, das
  • fünfzehn Werst entfernt ist, die Entfernung dann sicherlich dreißig
  • Werst beträgt. Die Lage des Dorfes Manilowka hatte gewiß wenig
  • Verlockendes. Das Herrenhaus stand einsam auf einer Anhöhe und war jedem
  • Winde ausgesetzt, dem es einfiel, zu blasen. Der Abhang des Berges, auf
  • dem es stand, war mit schön geschorenem Rasen bedeckt. Hie und da
  • standen Bosquets nach englischer Manier aus Flieder und gelben Akazien.
  • Fünf bis sechs Birken streckten stellenweise in kleinen Gruppen ihre
  • dünnbelaubten, schmächtigen Wipfel empor. Unter zweien von ihnen befand
  • sich eine Laube mit einer flachen grünen Kuppel auf blauen, hölzernen
  • Säulen, welche die Inschrift trug: »Tempel einsamer Betrachtungen«;
  • etwas weiter unten lag ein Teich ganz im Grünen, was übrigens in den
  • englischen Gärten der russischen Gutsbesitzer keine Seltenheit ist. Am
  • Fuße dieser Anhöhe und teilweise auch längs des Abhanges schimmerten
  • überall kleine Blockhäuser, welche unser Held aus irgend einem Grunde
  • sofort zu zählen begann und deren er mehr als zweihundert zählte. Sie
  • standen ganz nackt da, nirgends erblickte man ein Bäumchen oder etwas
  • frisches Grün. Nichts wie die kahlen Balken starrten einen an. Die
  • Landschaft wurde durch zwei Bauersfrauen belebt, welche mit malerisch
  • aufgesteckten und aufgepolsterten Kleidern bis an die Knie im Teich
  • wateten und an zwei Stöcken ein zerrissenes Netz hinter sich her
  • schleiften, in dem sich zwei Krebse und eine silbern schimmernde Forelle
  • gefangen hatten. Die Weiber schienen sich veruneinigt zu haben und
  • traktierten einander mit Schimpfworten. Etwas abseits in der Ferne
  • schimmerte ein Fichtenwald in melancholischem Blau. Auch das Wetter
  • entsprach ganz der Stimmung, der Tag war weder klar noch trübe, sondern
  • zeigte eine Art hellgraue Färbung, wie man sie nur an den alten
  • Uniformen unserer Garnisonssoldaten bemerken kann, dieses zwar recht
  • friedlichen, aber besonders an Sonntagen recht unmäßigen Truppenteils.
  • Zur Vervollständigung des Bildes fehlte es nicht an einem Hahn, der die
  • Rolle eines Wetterpropheten spielte und jeden Witterungsumschlag
  • vorausverkündigte. Und obwohl sein Kopf von den Schnäbeln anderer Hähne
  • wegen gewisser Liebeshändel vollkommen bis auf die Hirnschale zerhackt
  • war, krähte er noch immer aus vollem Halse und schlug sogar noch mit den
  • Flügeln, die zerfetzt und zerzupft waren, wie ein Paar alte zertretene
  • Matten. Als Tschitschikow sich dem Tore näherte, bemerkte er den
  • Hausherrn, der in einem grünen Rock von Wolle auf der Freitreppe stand
  • und die Hände wie einen Schirm über die Augen hielt, um den
  • heranrollenden Wagen besser betrachten zu können. In dem Maße, als der
  • Wagen sich dem Hause näherte, wurden seine Augen munterer und
  • verbreitete sich ein Lächeln über sein Gesicht.
  • »Pawel Iwanowitsch!« rief er schließlich aus, während Tschitschikow aus
  • dem Wagen stieg. »Endlich haben Sie sich doch an uns erinnert!«
  • Die beiden Freunde küßten sich sehr herzlich, und Manilow führte seinen
  • Freund ins Zimmer. Obwohl die Zeit, während der sie den Flur, das
  • Vorzimmer und den Speisesaal durchschreiten, nur sehr kurz ist, wollen
  • wir doch zusehen, ob es uns nicht gelingt, sie uns zunutze zu machen, um
  • ein paar Worte über den Hausherrn zu sagen. Hier aber muß der Autor
  • leider gestehen, daß ein solches Unternehmen seine großen
  • Schwierigkeiten hat. Es ist weit leichter einen Charakter von einer
  • gewissen Größe zu schildern. Da braucht man die Farben nur so mit der
  • Hand auf die Leinewand zu werfen -- schwarze flammende Augen, dicke
  • buschige Augenbrauen, die große Stirnfalte, der schwarze oder feuerrote
  • Mantel kühn über die Schulter geworfen -- und das Porträt ist fertig;
  • aber all diese Herrschaften, deren es so viele auf der Welt gibt, die
  • sich äußerlich so sehr ähnlich sehen, und doch bei näherem Studium
  • und Anblick eine ganze Reihe äußerst feiner, kaum faßbarer
  • Eigentümlichkeiten aufweisen -- diese Leute sind äußerst schwer zu
  • porträtieren. Da muß man seine Aufmerksamkeit bis aufs Äußerste
  • anspannen, ehe es einem gelingt, all die feinen, fast verschwindenden
  • Züge hervortreten zu lassen, und es wird überhaupt nötig, den durch die
  • Menschenkenntnis geschärften Blick bis tief auf den Grund der
  • Menschenseele hinabzusenken.
  • Nur Gott allein hätte vielleicht sagen können, was Manilow für einen
  • Charakter hatte. Es gibt eine Gattung von Menschen, die man
  • folgendermaßen zu bezeichnen pflegt: nicht Fisch, nicht Fleisch, nicht
  • dies noch das, in der Stadt nicht Bogdan, noch auf dem Land Seliphan,
  • wie das russische Sprichwort lautet. Vielleicht könnte man Manilow zu
  • _ihnen_ zählen. Äußerlich machte er einen recht stattlichen Eindruck;
  • seine Züge waren nicht unliebenswürdig, aber diese Liebenswürdigkeit war
  • zu stark mit einer gewissen Süßigkeit versetzt; in seinem Betragen und
  • Verhalten machte sich das Bestreben bemerkbar, Vertrauen und Zuneigung
  • zu erwerben. Er lächelte einnehmend, war blond und hatte himmelblaue
  • Augen. Wenn man sich mit ihm unterhielt, hätte ein jeder im ersten
  • Augenblick ausgerufen: »Welch ein angenehmer und freundlicher Mensch!«
  • Im darauffolgenden Augenblick sagt man nichts mehr, und noch einen
  • Augenblick später denkt man sich: >Pfui Teufel!< und macht, daß man
  • fortkommt; oder wenn man ihm nicht entfliehen kann, fühlt man eine
  • geradezu tödliche Langeweile. Nie hörte man ein lebhaftes oder
  • anmaßendes Wort von ihm, wie man es von jedem hören kann, wenn man einen
  • Gegenstand berührt, der ihm am Herzen liegt. Jeder hat sein
  • Steckenpferd: bei dem einen sind es die Windhunde; dem anderen kommt es
  • so vor, als ob er ein großer Musikliebhaber sei, und die ganzen Tiefen
  • dieser Kunst empfinde; ein dritter versteht sich auf ein feudales
  • Mittagessen; ein vierter bemüht sich eine Rolle zu spielen, die um
  • wenigstens einen Zoll höher, als die ihm vorgeschriebene ist; ein
  • fünfter, dessen Ziele weniger hoch gesteckt sind, schläft und träumt
  • davon, wie er bei einem Gartenfeste Seite an Seite mit einem
  • Flügeladjutanten stolz vor allen Menschen, vor seinen Freunden und
  • Bekannten, ja sogar vor denen die er nicht kennt, vorbeispaziert; ein
  • sechster hat eine so kräftige Hand, daß ihm der unnatürliche Wunsch
  • kommt, einem vornehmen Herrn oder auch irgend einer Null einen kleinen
  • Hieb zu versetzen, während die Hand des Siebenten sich durchaus nicht
  • enthalten kann, überall Ordnung zu stiften und sich an die Herrn
  • Stationschefs oder die Postillons heranzumachen -- mit einem Wort, ein
  • jeder hat etwas, was er sein Eigen nennt, nur Manilow hatte nichts
  • derartiges. Zu Hause sprach er sehr wenig und dachte nur nach und
  • philosophierte, worüber er aber nachdachte, das weiß wohl auch nur Gott
  • allein. Man konnte auch nicht sagen, daß er sich mit der Landwirtschaft
  • beschäftigte, denn er fuhr niemals aufs Feld; das ging alles wie von
  • selbst, auch ohne ihn. Wenn der Verwalter zu ihm sagte: »Gnädiger Herr,
  • es wäre doch gut, wenn wir es so und so machten,« dann antwortete er
  • gewöhnlich »Ja, ja, gar nicht übel!« während er ruhig seine Pfeife
  • weiter rauchte, eine Gewohnheit, die er noch zur Zeit seines Dienstes in
  • der Armee angenommen hatte, wo er für einen der bescheidensten und
  • höflichsten Offiziere gehalten wurde. »Ja, ja, durchaus nicht übel!«
  • wiederholte er. Wenn ein Bauer zu ihm kam, sich hinterm Ohr kratzte und
  • sprach: »Gnädiger Herr, darf ich auf einen Tag fortgehen, um mir das
  • Geld für die Steuern zu verdienen,« dann sagte er: »Geh nur!« und fuhr
  • fort, seine Pfeife zu rauchen, wobei es ihm gar nicht in den Kopf kam,
  • daß der Bauer nur fortwollte, um sich zu betrinken. Zuweilen betrachtete
  • er von der Flurtreppe aus seinen Hof und seinen Teich, dann verbreitete
  • er sich wohl darüber, wie schön es doch wäre, wenn man vom Hause aus
  • einen unterirdischen Gang anlegen oder eine steinerne Brücke über den
  • Teich bauen könnte, zu dessen beiden Seiten Buden lägen, wo Kaufleute
  • allerhand Waren, die die Bauern brauchten, feilböten. Hierbei hatten
  • seine Augen etwas ungemein Süßes und sein Gesicht nahm einen äußerst
  • zufriedenen Ausdruck an. Übrigens blieb es trotz aller Projekte stets
  • nur bei den Worten. In seinem Arbeitszimmer lag immer ein Buch mit einem
  • Lesezeichen auf Seite 14 aufgeschlagen, in diesem Buche las er
  • beständig, schon seit zwei Jahren. Im Hause fehlte es immer an etwas; im
  • Salon standen prachtvolle Möbel, die mit eleganten Seidenstoffen bezogen
  • und sicherlich nichts weniger als billig waren; aber der Stoff hatte
  • wohl für die letzten zwei Lehnstühle nicht gereicht, denn sie standen
  • noch immer so da, bloß mit Sackleinwand überspannt; übrigens warnte der
  • Hausherr seine Gäste schon seit vielen Jahren jedesmal davor, sich auf
  • einen der Stühle niederzulassen und sagte: »Setzen Sie sich nicht auf
  • diese Stühle, sie sind noch nicht fertig.« In einzelnen Zimmern standen
  • überhaupt keine Möbel, obwohl Manilow zwei Tage nach der Hochzeit zu
  • seiner Frau gesagt hatte: »Herz, wir müssen morgen dafür sorgen, daß wir
  • uns wenigstens für die erste Zeit Möbel kommen lassen.« Abends wurde ein
  • höchst eleganter Armleuchter aus dunkler Bronze, mit drei antiken
  • Grazien und einem reizenden Perlmutterschirm auf den Tisch gestellt,
  • neben ihm aber stand irgend ein gewöhnlicher kupferner, hinkender,
  • verbogener, und ganz mit Talg bedeckter Invalide, und weder der Hausherr
  • noch die Hausfrau, noch die Diener schienen etwas davon zu bemerken.
  • Seine Frau ..., doch sie waren ja vollkommen mit einander zufrieden.
  • Trotzdem sie schon mehr als acht Jahre miteinander verheiratet waren,
  • schenkten sie sich noch immer Apfelscheibchen, Bonbons oder Nüsse und
  • sprachen mit einer rührend zärtlichen Stimme, welche von inniger Liebe
  • zeugte: »Mach doch dein Mündchen auf, Herzchen, ich will dir dies
  • Stückchen hineinstecken.« Es versteht sich von selbst, daß sich das
  • Mündchen in solchen Fällen äußerst graziös öffnete. Zum Geburtstag
  • bereitete man sich allerhand Überraschungen -- man schenkte sich z. B.
  • ein Perlenfutteral für die Zahnbürste usw. Und es geschah gar nicht
  • selten, daß, während sie beide auf dem Sofa saßen, ohne besonderen Grund
  • _er_ seine Pfeife und sie ihre Arbeit sinken ließ, die sie bis dahin in
  • der Hand hatten, um sich einen langen schmachtenden Kuß auf die Lippen
  • zu drücken, währenddessen man eine kleine Strohhalmzigarre hätte
  • ausrauchen können. Mit einem Worte, sie waren das, was man glücklich
  • nennt. Man könnte freilich einwenden, es gäbe im Hause noch manches
  • andre zu tun, als sich lange Küsse zu geben und Überraschungen zu
  • bereiten, man könnte überhaupt noch vieles andre einwenden. Warum wurden
  • z. B. die Speisen so schlecht und so töricht zubereitet? Warum waren die
  • Vorratskammern so leer? Warum stahl die Haushälterin? Warum waren die
  • Diener immer so unsauber und betrunken? Warum schliefen die Knechte
  • beständig oder lungerten müßig herum? Aber dies alles sind gemeine
  • Dinge, und Frau Manilow war eine Dame von guter Erziehung. Wie bekannt
  • wird die gute Erziehung in Pensionaten erworben, und in diesen
  • Pensionaten gibt es, wie jedermann weiß, drei Gegenstände, die die
  • Grundlage aller menschlichen Tugend ausmachen: die französische Sprache,
  • deren man für das häusliche Glück der Familie bedarf: das Klavierspiel,
  • das dazu dient, dem Gatten ein Paar angenehme Stunden zu bereiten, und
  • schließlich der eigentlich wirtschaftliche Teil: das Häkeln von
  • Geldbeuteln und ähnlichen Überraschungen. Übrigens gibt es mancherlei
  • Verbesserungen und Vervollkommnungen in den Methoden, besonders in
  • neuerer Zeit: es hängt eben alles von der Verständigkeit und der
  • Fähigkeit der Pensionsvorsteherin ab. In gewissen Pensionaten ist es so,
  • daß zuerst das Klavier, dann die französische Sprache und erst zuletzt
  • der wirtschaftliche Teil kommt. Mitunter aber ist es auch gerade
  • umgekehrt: erst kommt der wirtschaftliche Teil: das Häkeln von kleinen
  • Geschenken usw., dann erst die französische Sprache und endlich das
  • Klavierspiel. Die Methoden sind eben verschieden. Doch hier wäre es am
  • Platze, noch die Bemerkung zu machen, daß Frau Manilow .... allein, ich
  • muß gestehen, daß ich mich ein wenig fürchte, über die Damen zu reden,
  • und außerdem ist es längst Zeit, daß ich zu unseren Helden zurückkehre,
  • die schon seit einigen Minuten vor der Türe des Salons stehen und sich
  • gegenseitig bitten, doch voranzugehen.
  • »Bitte machen Sie sich doch meinetwegen keine Umstände, bitte nach
  • Ihnen,« sagte Tschitschikow.
  • »Nein, bitte, Pawel Iwanowitsch, Sie sind mein Gast,« antwortete Manilow
  • und zeigte mit der Hand auf die Tür.
  • »Aber ich bitte, bemühen Sie sich doch nicht, nein, bitte bemühen Sie
  • sich nicht; bitte gehen Sie doch voran,« sagte Tschitschikow.
  • »Nein, ich bitte um Entschuldigung, ich kann es nicht zugeben, daß mein
  • Gast, ein so liebenswürdiger und feingebildeter Herr, nach mir
  • eintrete.«
  • »Warum denn feingebildet? Bitte gehen Sie voran!«
  • »Nein, seien Sie doch so freundlich und treten Sie ein.«
  • »Warum denn nur?«
  • »Nun, so!« sagte Manilow mit einem freundlichen Lächeln. Endlich
  • zwängten sich beide Freunde seitwärts durch die Tür, wobei einer den
  • andern leicht zusammendrückte.
  • »Erlauben Sie, daß ich Ihnen meine Frau vorstelle,« sagte Manilow.
  • »Herzchen! Dies ist Pawel Iwanowitsch.«
  • Tschitschikow erblickte jetzt eine Dame, die er gar nicht bemerkt hatte,
  • während er und Manilow sich in das Zimmer hineinkomplimentierten. Sie
  • war ziemlich hübsch und trug ein Kleid, das ihr gut zu Gesichte stand.
  • Sie hatte einen hellen Kapott von Seidenstoff an, der ihr sehr gut saß;
  • die kleine schmale Hand ließ schnell etwas auf den Tisch fallen und
  • preßte ein Battisttaschentuch mit gestickten Ecken zusammen. Dabei erhob
  • sie sich vom Sofa, auf dem sie gesessen hatte. Tschitschikow küßte ihr
  • nicht ohne ein gewisses Vergnügen die Hand. Frau Manilow sagte mit ihrer
  • etwas gaumigen Aussprache zu ihm, er habe ihnen eine große Freude mit
  • seinem Besuch bereitet, und es verginge kein Tag, daß ihr Mann sich
  • seiner nicht erinnere.
  • »Ja!« murmelte Manilow, »meine Frau hat mich oft gefragt: >Warum kommt
  • denn dein Freund nicht?< Ich aber antwortete: >Warte nur, er wird schon
  • kommen!< Und nun haben Sie uns endlich doch noch mit Ihrem Besuche
  • beehrt. Sie haben uns wirklich einen großen Genuß bereitet -- es ist wie
  • ein Maitag, wie ein Fest des Herzens.« ...
  • Als Tschitschikow vernahm, daß schon von Festen des Herzens die Rede
  • war, wurde er ein wenig verlegen und versetzte, er sei weder ein Mann
  • von berühmtem Namen, noch besitze er einen hohen Rang und Titel.
  • »Sie besitzen alles,« unterbrach ihn Manilow mit demselben einnehmenden
  • Lächeln, »Sie besitzen alles und sogar noch mehr!«
  • »Wie haben Sie unsere Stadt gefunden?« fragte jetzt Frau Manilow. »Haben
  • Sie Ihre Zeit angenehm verbracht?«
  • »Eine vortreffliche Stadt, eine herrliche Stadt!« versetzte
  • Tschitschikow, »ich habe dort wunderschöne Stunden verlebt; die
  • Gesellschaft ist äußerst liebenswürdig und zuvorkommend!«
  • »Und wie hat Ihnen unser Gouverneur gefallen?« fragte Frau Manilow
  • weiter.
  • »Nicht wahr? ein äußerst ehrenwerter und liebenswürdiger Mann?« fügte
  • Manilow hinzu.
  • »Sehr richtig,« sagte Tschitschikow, »ein höchst ehrenwerter Mann! Und
  • wie vortrefflich er seine Stellung ausfüllt, welches Verständnis er für
  • sie hat! Es wäre zu wünschen, wir hätten mehr solche Menschen!«
  • »Wie er es versteht, einen jeden zu behandeln, und in all seinen
  • Handlungen den richtigen Takt zu wahren,« fuhr Manilow lächelnd fort,
  • und dabei kniff er vor Vergnügen die Augen zusammen wie ein Kater, den
  • man sanft hinter den Ohren krabbelt.
  • »Ein ungemein liebenswürdiger und höflicher Mann!« sagte Tschitschikow,
  • »und welch ein Künstler! Ich hätte mir gar nicht vorstellen können, daß
  • er so reizende Stickereien und Handarbeiten machen kann. Er hat mir eine
  • Börse gezeigt, die er selbst verfertigt hat; man findet selten Damen,
  • die so schön sticken.«
  • »Und der Vizegouverneur? Ein reizender Mensch! nicht wahr?« bemerkte
  • Manilow und kniff die Augen wieder zusammen.
  • »Eine äußerst würdige und hochachtbare Persönlichkeit!« versetzte
  • Tschitschikow.
  • »Erlauben Sie mir noch eine Frage: Wie hat Ihnen der Polizeimeister
  • gefallen? Auch ein sehr liebenswürdiger Herr? Nicht wahr?«
  • »Oh, ein äußerst liebenswürdiger Herr! Und wie klug und belesen er ist!
  • Ich habe zusammen mit dem Staatsanwalt und dem Gerichtspräsidenten bis
  • zum frühen Morgen Whist bei ihm gespielt. Ein ganz ungemein würdiger
  • Herr!«
  • »Und wie denken Sie von der Gattin des Polizeimeisters?« fragte hier
  • Frau Manilow. »Finden Sie nicht auch, daß es eine äußerst liebenswürdige
  • Dame ist?«
  • »Oh, das ist eine der würdigsten und achtbarsten Damen, die ich kennen
  • gelernt habe!« erwiderte Tschitschikow.
  • Auch der Gerichtspräsident und der Postmeister wurden nicht vergessen;
  • so nahm man allmählich wohl sämtliche Beamten der Stadt durch, und es
  • zeigte sich, daß es lauter höchst ehrenwerte Männer waren.
  • »Leben Sie immer auf dem Lande?« fragte endlich Tschitschikow.
  • »Den größten Teil des Jahres!« antwortete Manilow. »Wir fahren auch wohl
  • hin und wieder in die Stadt, um mit gebildeten Menschen zusammen zu
  • sein. Man verwildert ja ganz, wissen Sie, wenn man sich gänzlich vor der
  • Welt verschließt.«
  • »Sehr wahr, sehr richtig!« versetzte Tschitschikow.
  • »Es wäre ja natürlich etwas andres,« fuhr Manilow fort, »wenn man
  • angenehme Nachbarn, wenn man z. B. einen Menschen hätte, mit dem man
  • sich sozusagen aussprechen, über die guten Manieren und feinen
  • Umgangsformen unterhalten, irgend eine Wissenschaft treiben könnte, --
  • wissen Sie, so was fürs Herz, was einen über sich selbst hinaushebt ...«
  • Er wollte noch etwas hinzufügen, da er aber merkte, daß er sich ein
  • wenig vergaloppiert hatte, fuhr er nur mit der Hand durch die Luft und
  • sagte: »Dann hätten natürlich das Land und die Einsamkeit viele
  • Annehmlichkeiten. Aber ich habe tatsächlich niemanden. Höchstens liest
  • man einmal den »Sohn des Vaterlandes«.
  • Tschitschikow war vollkommen damit einverstanden und fügte hinzu, es
  • könne in der Tat gar nichts Schöneres geben, als ganz für sich allein zu
  • leben, den herrlichen Anblick der Natur zu genießen und nur hin und
  • wieder ein Buch zu lesen ...
  • »Aber wissen Sie,« versetzte Manilow, »wenn man keinen Freund hat, dem
  • man sich mitteilen kann ...«
  • »Oh ja, das ist richtig, das ist ganz richtig!« unterbrach ihn
  • Tschitschikow, »was könnten uns denn alle Schätze der Welt helfen?
  • >_Gute Freunde sind besser als alle Reichtümer der Erde_< hat einmal ein
  • weiser Mann gesagt.«
  • »Und wissen Sie, Pawel Iwanowitsch,« sagte Manilow und machte dabei ein
  • freundliches oder vielmehr unangenehm süßliches Gesicht, gleich einer
  • Mixtur, die der allzu gewandte Arzt in der Absicht, dem Patienten einen
  • besonderen Gefallen zu erweisen, mit garzuviel Syrup versetzt hat, »dann
  • spürt man einen ganz besonderen, sozusagen -- geistigen Genuß ... Wie
  • zum Beispiel gleich heute, wo mir der Zufall das Glück, ich möchte
  • sagen, das seltene, ungetrübte Glück verschaffte, mich mit Ihnen
  • unterhalten und Ihre angenehme Gesellschaft genießen zu können ...«
  • »Nein, ich muß doch bitten, was für eine angenehme Gesellschaft? ... Ich
  • bin nur ein unbedeutender Mensch und sonst nichts,« erwiderte
  • Tschitschikow.
  • »Ach, Pawel Iwanowitsch! Lassen Sie mich ganz aufrichtig sein! Ich würde
  • mit Freuden die Hälfte meines Vermögens hingeben, um nur einen Teil
  • Ihrer großen Vorzüge zu besitzen!«
  • »Im Gegenteil, ich hätte vielmehr allen Anlaß, mich zu freuen ...«
  • Es läßt sich kaum sagen, wie dieser gegenseitige Gefühlserguß der beiden
  • Freunde geendigt hätte, wenn nicht der Diener eingetreten wäre, um zu
  • melden, das Essen sei aufgetragen.
  • »Darf ich bitten,« sagte Manilow.
  • »Sie werden entschuldigen, wenn wir Ihnen nicht mit einem Mittagessen
  • aufwarten können, wie Sie es wohl in den Hauptstädten und in vornehmen
  • Häusern gewohnt sind: bei uns ist's nur einfach, nach russischer Sitte,
  • nichts wie Kohlsuppe, aber es kommt von Herzen. Bitte seien Sie so
  • freundlich.«
  • Hierauf stritten sie sich noch eine Weile herum, wer zuerst eintreten
  • solle, bis sich Tschitschikow endlich dazu entschloß und sich seitwärts
  • durch die Tür drückte.
  • Im Speisezimmer warteten zwei Knaben, Manilows Söhne; sie befanden sich
  • in dem Alter, wo man die Kinder schon am Tische mitessen, aber sie noch
  • auf hohen Stühlen sitzen läßt. Neben ihnen stand der Hauslehrer, der
  • sich höflich lächelnd verbeugte. Die Hausfrau setzte sich vor die
  • Suppenterrine; der Gast mußte zwischen dem Hausherrn und der Hausfrau
  • Platz nehmen, der Diener band den Kindern die Servietten vor.
  • »Was für reizende Knaben!« sagte Tschitschikow mit einem Blick auf die
  • Kinder. »Wie alt sind sie?«
  • »Der ältere ist sieben Jahre, der jüngere ist gestern sechs Jahre alt
  • geworden,« erklärte Frau Manilow.
  • »Themistokljus!« sagte Manilow und wandte sich an den älteren, der sein
  • Kinn unter der Serviette hervorzuziehen suchte, die ihm der Diener
  • vorgebunden hatte. Tschitschikow zog die Augenbrauen leicht in die Höhe,
  • als er diesen halbgriechischen Namen hörte, dem Manilow aus einem
  • unbekannten Grunde die Endung _jus_ gegeben hatte; aber er beeilte sich,
  • seinem Gesicht sofort wieder den gewohnten Ausdruck zu verleihen.
  • »Themistokljus, sage mir doch, welches ist die schönste Stadt in
  • Frankreich?«
  • Jetzt richtete der Lehrer seine ganze Aufmerksamkeit auf Themistokljus,
  • als wolle er ihm in die Augen springen, aber schließlich beruhigte er
  • sich wieder und nickte nur mit dem Kopf, als Themistokljus antwortete:
  • »Paris.«
  • »Und welches ist bei uns die schönste Stadt?« fragte Manilow wieder.
  • Wieder heftete der Lehrer den Blick auf den Knaben.
  • »Petersburg!« antwortete Themistokljus.
  • »Und weiter?«
  • »Moskau,« sagte Themistokljus.
  • »Ein kluger Knabe! Brav, mein Junge!« sagte Tschitschikow. »Sagen sie
  • bloß ...,« fuhr er fort, indem er sich mit dem Ausdruck höchsten
  • Erstaunens an Manilow wandte. »So jung und schon ein solches Wissen. Ich
  • muß Ihnen gestehen, dieses Kind hat außerordentliche Fähigkeiten!«
  • »Oh, Sie kennen ihn noch nicht!« erwiderte Manilow, »er ist ungemein
  • scharfsinnig. Bei dem Jüngeren, Alcid, geht es nicht so schnell, dieser
  • dagegen ... wenn der irgend etwas bemerkt, einen Käfer oder ein
  • Würmchen, da blitzen seine Augen nur so, gleich läuft er hin und merkt
  • sich's. Ich will ihn die diplomatische Karriere ergreifen lassen.
  • Themistokljus!« fuhr er fort, indem er sich wieder an den Knaben wandte,
  • »willst du Gesandter werden?«
  • »Ja« antwortete Themistokljus, während er an seinem Brot kaute und mit
  • dem Kopfe hin und her wackelte.
  • Jetzt aber wischte der hinter dem Stuhl stehende Diener dem Gesandten
  • die Nase ab, und das war nötig, sonst wäre ihm ein großer, recht
  • überflüssiger Tropfen in die Suppe gefallen. Das Gespräch wandte sich
  • jetzt den Genüssen des stillen und zurückgezogenen Landlebens zu und
  • wurde nur durch einige Bemerkungen der Hausfrau über das Stadttheater
  • und die Schauspieler unterbrochen. Der Lehrer beobachtete die
  • Sprechenden mit gespannter Aufmerksamkeit, und sowie er bemerkte, daß
  • sie ihre Gesichter zu einem Lächeln verzogen, machte er seinen Mund weit
  • auf und lachte krampfhaft. Wahrscheinlich hatte er ein dankbares Gemüt
  • und wollte sich dem Hausherrn auf diese Weise für die gute Behandlung
  • erkenntlich zeigen. Nur einmal machte er eine ernste Miene und klopfte
  • streng auf den Tisch, wobei er seinen Blick auf die ihm
  • gegenübersitzenden Kinder richtete. Und das hatte seinen guten Grund,
  • denn Themistokljus hatte den Alcid ins Ohr gebissen, welcher die Augen
  • zusammenkniff, den Mund weit öffnete und in ein klägliches Geschrei
  • ausbrechen wollte; da er aber wohl ahnte, daß er dadurch um die süße
  • Speise kommen würde, brachte er den Mund wieder in seine frühere
  • Stellung und begann an seiner Hammelkeule zu nagen, während ihm die
  • Tränen über die Wangen liefen, die nur so vom Fette glänzten.
  • Die Hausfrau wandte sich mehrmals mit folgenden Worten an Tschitschikow:
  • »Sie essen ja gar nichts, Sie haben sich aber so wenig genommen,« worauf
  • Tschitschikow regelmäßig versetzte: »Ich danke bestens, ich bin satt.
  • Eine angenehme Unterhaltung schmeckt besser als der schönste
  • Leckerbissen.« Dann stand man vom Tische auf. Manilow war äußerst
  • zufrieden und wollte seinen Gast eben in den Salon geleiten, indem er
  • ihm die Hand auf den Rücken legte und ihn sanft unterstützte, als
  • Tschitschikow plötzlich mit höchst bedeutungsvoller Miene erklärte, er
  • müsse ihn in einer sehr wichtigen Angelegenheit sprechen.
  • »Dann möchte ich Sie bitten, mir in mein Zimmer zu folgen,« versetzte
  • Manilow und führte den Gast in ein kleines Gemach, dessen Fenster auf
  • den bläulich schimmernden Wald hinausging. »Dies ist mein kleiner
  • Winkel,« sagte Manilow.
  • »Ein freundliches Stübchen,« sprach Tschitschikow und ließ seinen Blick
  • durch das Zimmer schweifen. Dieses hatte in der Tat mancherlei
  • Annehmlichkeiten: die Wände waren mit einer undefinierbaren Farbe, halb
  • blau, halb grau angestrichen; das Ameublement bestand aus vier Stühlen,
  • einem Lehnstuhl und dem Tisch, auf dem man das Buch mit dem eingelegten
  • Lesezeichen, das wir schon bei Gelegenheit erwähnt haben, ein paar
  • vollgeschriebene Bogen Papier und vor allem sehr viel Tabak erblickte.
  • Der Tabak war in mancherlei Gestalt vertreten: in Form von Paketen, als
  • Inhalt der Tabaksdose, oder er lag einfach in Häufchen auf dem Tische
  • herum. Auf beiden Fensterbänken sah man auch ein paar Häuflein
  • Pfeifenasche, die sorgfältig in hübschen und regelmäßigen Abständen
  • angeordnet waren. Man hatte den Eindruck, daß diese Beschäftigung dem
  • Hausherrn mitunter zum Zeitvertreib diente.
  • »Darf ich Sie bitten, in diesem Lehnstuhl Platz zu nehmen,« sagte
  • Manilow. »Hier sitzen Sie bequemer.«
  • »Erlauben Sie mir, auf dem Stuhl Platz zu nehmen!«
  • »Erlauben Sie mir, Ihnen das nicht zu erlauben!« sagte Manilow lächelnd.
  • »Dieser Lehnstuhl ist nun einmal für den Gast bestimmt. Ob Sie nun
  • wollen oder nicht -- Sie müssen drin Platz nehmen!«
  • Tschitschikow setzte sich.
  • »Gestatten Sie, daß ich Ihnen eine Pfeife anbiete!«
  • »Nein danke, ich rauche nicht!« sagte Tschitschikow freundlich und wie
  • bedauernd.
  • »Warum nicht?« fragte Manilow ebenfalls freundlich und mit dem Tone des
  • Bedauerns.
  • »Ich bin es nicht gewöhnt und fürchte mich, es mir anzugewöhnen; man
  • sagt, das Rauchen sei schlecht für die Gesundheit!«
  • »Erlauben Sie mir, zu bemerken, daß dies ein Vorurteil ist. Ich bin
  • sogar der Ansicht, daß das Pfeifenrauchen weit gesünder ist als das
  • Tabakschnupfen. Wir hatten einen Leutnant in unserem Regiment, einen
  • herrlichen, außerordentlich gebildeten Menschen, der legte die Pfeife
  • nie aus dem Munde, und nicht nur bei Tisch, sondern mit Respekt zu
  • sagen, auch nicht an anderen Orten. Und heute ist er bereits vierzig
  • Jahre alt und Gott sei dank so gesund, wie nur möglich.«
  • Tschitschikow wandte ein, daß dies in der Tat vorkomme; überhaupt gäbe
  • es viele Dinge in der Natur, die auch ein großer Geist nicht begreifen
  • könne.
  • »Aber erlauben Sie mir, Ihnen zuvor eine Bitte vorzutragen ...« fuhr er
  • mit einer Stimme fort, in der ein seltsamer, oder doch beinahe seltsamer
  • Ausdruck lag, und dabei sah er sich aus irgend einem Grunde um. Auch
  • Manilow sah sich um, ohne daß man hätte sagen können weshalb. »Wie lange
  • ist es her, daß Sie die Revisionsliste zum letztenmal einreichten?«
  • »Ja, das ist schon sehr lange her, oder um die Wahrheit zu sagen, ich
  • erinnere mich nicht mehr.«
  • »Sind Ihnen seitdem viele Bauern gestorben?«
  • »Das weiß ich leider nicht; darnach muß man den Verwalter fragen.
  • Hollah! Bursch! Ruf doch den Verwalter, er muß heute hier sein.«
  • Bald darauf erschien der Verwalter. Das war ein Mann von etwa vierzig
  • Jahren; er hatte ein glattrasiertes Kinn und einen Gehrock an, offenbar
  • führte er ein sehr ruhiges Leben, denn sein Gesicht war rundlich und
  • wohlgenährt, die gelbe Hautfarbe und die kleinen Äuglein waren ein
  • Beweis dafür, daß er mit weichen Daunendecken und Plumeaus aufs beste
  • vertraut war. Man sah sofort, daß er seine Laufbahn vollendet hatte,
  • gleich allen Leibeigenen, die die Güter ihrer Herrn verwalten; erst war
  • er ein gewöhnlicher Junge gewesen, der im Hause seines Herrn
  • aufgewachsen und Lesen und Schreiben gelernt hatte; dann hatte er irgend
  • eine Agaschka, die Wirtschafterin war und bei der Hausfrau in besonderer
  • Gunst stand, geheiratet, und war dann selbst Hausmeister und endlich
  • Verwalter geworden. In seinem neuen Amt als Verwalter benahm er sich
  • natürlich genau so wie alle Verwalter: er verkehrte und befreundete sich
  • mit den reicheren Leuten im Dorf, legte den Ärmeren noch neue Lasten
  • auf, stand morgens früh gegen neun Uhr auf, wartete auf seine
  • Teemaschine und trank Tee.
  • »Hör mal, mein Lieber! Wieviel Bauern sind bei uns gestorben, seit wir
  • die Revisionsliste zum letztenmal eingereicht haben?«
  • »Wie meinen Sie das. Wie viele? Seitdem sind viele gestorben,« sagte der
  • Verwalter, rülpste und hielt sich die Hand wie ein Schild vor den Mund.
  • »Ja, ja, das habe ich mir auch gedacht,« nahm jetzt Manilow das Wort,
  • »es sind sehr viele gestorben!« Hierbei wandte er sich an Tschitschikow,
  • indem er noch hinzufügte: »Wirklich sehr viele!«
  • »Und wieviel werden es ungefähr sein?« fragte Tschitschikow.
  • »Ja, wie viele ungefähr?« fiel Manilow ein.
  • »Ja, wie soll ich sagen -- wie viele ungefähr. Das weiß man ja nicht,
  • wie viele gestorben sind. Niemand hat sie gezählt.«
  • »Natürlich,« sagte Manilow, indem er sich an Tschitschikow wandte, »das
  • dachte ich mir gleich, die Sterblichkeit war sehr groß; wir wissen gar
  • nicht, wie viele gestorben sind.«
  • »Bitte, zähle sie doch einmal,« sagte Tschitschikow, »und stelle mir ein
  • ausführliches Verzeichnis aller Namen auf.«
  • »Jawohl, aller Namen!« sagte Manilow.
  • Der Verwalter sagte: »Zu Befehl!« und entfernte sich.
  • »Und aus welchem Grunde interessieren Sie sich dafür?« fragte Manilow,
  • nachdem der Verwalter fortgegangen war.
  • Diese Frage schien dem Gast einige Verlegenheit zu bereiten: in dem
  • Ausdruck seines Gesichtes machte sich eine gewisse Anstrengung
  • bemerkbar, die ihn sogar ein wenig erröten ließ -- die Anstrengung, die
  • man macht, wenn man etwas aussprechen will, und die Worte wollen sich
  • nicht fügen. Und in der Tat, was Manilow endlich zu hören bekam, waren
  • so seltsame und unerhörte Dinge, wie sie noch nie ein menschliches Ohr
  • vernommen hat.
  • »Sie fragen mich: aus welchem Grunde? Der Grund ist folgender: ich hätte
  • Lust, die Bauern zu kaufen,« sagte Tschitschikow, fing an zu stottern,
  • und schloß seine Rede.
  • »Und darf ich mir die Frage erlauben,« sagte Manilow, »wie wollen Sie
  • die Bauern kaufen, mit dem Lande, oder um sie mitzunehmen, d. h. also
  • ohne Land?«
  • »Nein, ich will eigentlich keine Bauern,« sagte Tschitschikow, »ich
  • möchte tote ... haben.«
  • »Wie? Verzeihen Sie ..., ich höre ein wenig schlecht, mir schien, ich
  • hätte ein ganz seltsames Wort gehört ...«
  • »Ich möchte die toten Bauern kaufen, die aber nach der letzten Revision
  • noch als lebendig eingetragen sind,« erklärte Tschitschikow.
  • Manilow ließ die Pfeife auf den Boden fallen, machte den Mund weit auf
  • und saß ein paar Minuten lang mit offenem Munde da. Die beiden Freunde,
  • die noch soeben von den Annehmlichkeiten der Freundschaft gesprochen
  • hatten, blieben unbeweglich sitzen und starrten sich gegenseitig an wie
  • zwei Porträts, die man in der guten alten Zeit zu beiden Seiten des
  • Spiegels aufzuhängen pflegte. Endlich hob Manilow die Pfeife auf und sah
  • seinem Gast von unten ins Gesicht, wie um zu erforschen, ob nicht ein
  • Lächeln um seine Lippen spiele, und ob er sich nicht bloß einen Spaß
  • erlaubt hätte: aber er konnte nichts derartiges entdecken, im Gegenteil,
  • das Gesicht erschien ihm noch ernster und würdevoller als gewöhnlich.
  • Dann überlegte er ein wenig, ob der Gast nicht plötzlich verrückt
  • geworden sei, und sah ihn aufmerksam und mit einigem Grauen an, aber
  • seine Augen waren ganz klar, er konnte nichts von jenem wilden,
  • unruhigen Feuer in ihnen entdecken, wie es im Auge des Wahnsinnigen
  • flackert: alles war in Ordnung, ganz wie es sich gehört. Und so sehr
  • Manilow auch darüber nachsann, was nun geschehen sollte und was hier zu
  • tun sei, es wollte ihm nichts andres einfallen, als den Tabakrauch in
  • feinen Strahlen auszublasen.
  • »Ich möchte also wissen, ob Sie mir diese zwar tatsächlich toten, aber
  • vom Standpunkt der gesetzlichen Form noch lebenden Seelen, überweisen
  • oder abtreten wollen, wie es Ihnen am besten erscheint.«
  • Aber Manilow war so verwirrt und verlegen, daß er ihn nur ansah, ohne
  • ein Wort finden zu können.
  • »Mir scheint, Sie können sich nicht dazu entschließen?« bemerkte
  • Tschitschikow.
  • »Ich ... oh nein, das ist es nicht,« sagte Manilow, »aber ich kann nicht
  • verstehen ... entschuldigen Sie ... ich war natürlich nicht in der Lage,
  • mir eine so glänzende Bildung anzueignen, von der gewissermaßen jede
  • Ihrer Bewegungen Zeugnis ablegt; auch besitze ich nicht die hohe Gabe,
  • mich so kunstvoll auszudrücken .... Vielleicht ... verbirgt sich hier
  • ... hinter Ihrer Erklärung, die Sie soeben abgaben ... etwas andres ...
  • Vielleicht war es nur eine stilistische Schönheit, um deretwillen Sie
  • sich so auszudrücken beliebten?«
  • »Oh nein!« fiel hier Tschitschikow lebhaft ein, »nein, ich nehme den
  • Gegenstand ganz buchstäblich, ganz so wie er ist, d. h. ich meine die
  • Seelen, die tatsächlich schon gestorben sind.«
  • Manilow kam ganz aus der Fassung. Er fühlte, daß hier etwas geschehen,
  • daß er ihm irgend eine Frage stellen müsse, und doch konnte nur der
  • Teufel wissen, was das für eine Frage war. Der einzige Ausweg, den er
  • schließlich fand, bestand wiederum darin, daß er eine Wolke Tabakrauch
  • ausblies, diesmal aber nicht durch den Mund, sondern durch die
  • Nasenlöcher.
  • »Wenn die Sache also keine Schwierigkeiten hat, so können wir mit Gottes
  • Hilfe gleich an die Aufstellung des Kaufvertrages gehen,« sagte
  • Tschitschikow.
  • »Wie? Ein Kaufvertrag über tote Seelen?«
  • »Nein! Das nicht!« antwortete Tschitschikow. »Wir sagen natürlich, sie
  • seien lebendig, wie es ja in der Tat in den Revisionslisten steht. Ich
  • pflege nie von den bürgerlichen Gesetzen abzuweichen; und obwohl ich
  • schon oft im Dienste darunter zu leiden hatte, ich kann nun mal nicht
  • anders; die Pflicht ist mir heilig, und das Gesetz ... vor dem Gesetz
  • muß ich verstummen.«
  • Die letzten Worte erregten Manilows Beifall, obgleich er den
  • eigentlichen Sinn der Sache noch immer nicht erfassen konnte; statt zu
  • antworten, nahm er ein paar so heftige Züge aus seiner Pfeife, daß diese
  • zu tönen begann wie ein Fagott. Es war fast so, als ob er sich aus der
  • Pfeife eine Ansicht über diesen geradezu unerhörten Fall herausholen
  • wollte; die Pfeife aber gab nur heisere Töne von sich und sonst nichts.
  • »Vielleicht haben Sie noch irgend einen Zweifel?«
  • »Nicht doch! Nicht im geringsten! Sie dürfen nicht etwa glauben, ich
  • hätte ein ... gewissermaßen kritisches Vorurteil in bezug auf Ihre
  • Persönlichkeit. Aber darf ich mir die Frage gestatten: wird dieses
  • Unternehmen ... oder um mich sozusagen deutlicher auszudrücken ... dies
  • Geschäft ... wird dieses Geschäft nicht am Ende im Widerspruch mit den
  • bürgerlichen Satzungen und den weiteren Perspektiven Rußlands stehen?«
  • Bei diesen Worten machte Manilow eine lebhafte Kopfbewegung und sah
  • Tschitschikow mit bedeutungsvoller Miene gerade ins Gesicht; hierbei lag
  • in all seinen Zügen und besonders in den zusammengepreßten Lippen ein so
  • ernster Ausdruck, wie man ihn wohl noch nie an einem Menschenantlitz
  • beobachtet hat, es sei denn bei einem ganz ungewöhnlich klugen Minister,
  • und auch bei dem nur, während er über ein ganz besonders schwieriges
  • Problem nachsann.
  • Aber Tschitschikow erklärte einfach, ein solches Unternehmen oder
  • Geschäft könne den bürgerlichen Satzungen und den weiteren Perspektiven
  • Rußlands durchaus nicht zuwiderlaufen, und fügte nach einem Augenblick
  • noch hinzu, es würde dabei sogar noch etwas für den Fiskus abfallen, da
  • der Staat ja seine gesetzlichen Gebühren erhalte.
  • »So meinen Sie also ...?«
  • »Ich glaube, es geht sehr gut!«
  • »Nun, wenn es gut geht, ist es freilich eine andre Sache. Dann habe ich
  • nichts dagegen,« sagte Manilow völlig beruhigt.
  • »Jetzt müssen wir uns noch über den Preis einigen ...«
  • »Wie? über den Preis?« sagte Manilow wieder ein wenig verblüfft. »Sie
  • glauben doch nicht, daß ich Geld für Seelen nehmen werde, die doch
  • gewissermaßen ... ihr Dasein vollendet haben? Aber selbst wenn Sie eine,
  • ich möchte sagen, so phantastische Laune anwandelte, dann würde ich für
  • meinen Teil sie Ihnen ohne jede Vergütung überlassen und auch den
  • Kaufvertrag auf mich nehmen.«
  • Der Geschichtsschreiber, der über die hier mitgeteilten Begebenheiten
  • berichtet, verdiente sicherlich den schärfsten Tadel, wenn er an dieser
  • Stelle zu erwähnen unterließe, daß unser Gast von einer hohen Freude
  • erfüllt wurde, als er Manilow solche Worte aussprechen hörte. So gesetzt
  • und besonnen er auch war, er hätte am liebsten einen Luftsprung gemacht,
  • wie ein Ziegenbock, was, wie bekannt, nur im Ausbruche höchster Freude
  • geschieht. Er drehte sich so heftig im Lehnstuhl um, daß der wollene
  • Stoff, mit dem der Sitz überzogen war, platzte; auch Manilow wurde
  • aufmerksam und betrachtete ihn mit einigem Erstaunen. In seiner
  • überquellenden Dankbarkeit _überschüttete_ ihn der Gast förmlich mit
  • Worten der Anerkennung, bis jener ganz verlegen wurde, errötete, eine
  • abwehrende Bewegung mit dem Kopfe machte und endlich erklärte, das sei
  • ja ein reines Nichts, er habe ihm eigentlich nur einen Beweis für seine
  • herzliche Zuneigung und den magnetischen Zug seiner Seele geben wollen,
  • und tote Seelen -- das sei doch sozusagen eine Bagatelle -- die reinste
  • Lumperei.
  • »Durchaus keine Lumperei,« sagte Tschitschikow und drückte ihm die Hand.
  • Hierbei stieß er einen sehr tiefen Seufzer aus. Wie es scheint, hatte er
  • große Lust, sein Herz auszuschütten; und nicht ohne Ausdruck und Gefühl
  • sprach er zuletzt folgende Worte: »Oh! wenn Sie wüßten, was Sie einem
  • Menschen ohne Namen und Titel mit diesem Geschenk, das anscheinend nur
  • eine Kleinigkeit ist, für einen Dienst erwiesen haben. Wahrlich! Was
  • habe ich nicht alles gelitten! Wie ein einsamer Kahn inmitten wütender
  • Wogen ... Was für Verfolgungen hatte ich nicht zu erdulden! Welcher
  • Schmerz blieb mir erspart! Und weswegen? Weil ich der Wahrheit treu
  • blieb, mein Gewissen rein bewahrte, weil ich meine Hand den hilflosen
  • Witwen und armen Waisen entgegenstreckte!« Und hierbei wischte er sich
  • sogar eine Träne aus dem Auge.
  • Manilow war ganz gerührt. Beide Freunde drückten sich fortwährend die
  • Hand und sahen sich lange stumm in die Augen, in denen schöne Tränen
  • blinkten. Manilow wollte die Hand unseres Helden durchaus nicht aus der
  • seinen lassen und fuhr fort, sie so herzlich zu drücken, daß jener kaum
  • noch wußte, wie er sie befreien solle. Nachdem er sie endlich sanft
  • zurückgezogen hatte, sagte er, es wäre gut, wenn man den Kaufkontrakt
  • gleich aufsetzen könnte und wenn Manilow selbst in der Stadt die nötigen
  • Erkundigungen einziehen wollte; dann nahm er seinen Hut und
  • verabschiedete sich.
  • »Wie? Sie wollen schon fahren?« fragte Manilow, der wie aus einem Traum
  • erwachte und beinahe erschrocken war.
  • In diesem Augenblick trat Frau Manilow ins Zimmer.
  • »Lisanka!« sagte Manilow mit etwas kläglicher Miene, »Pawel Iwanowitsch
  • will uns verlassen!«
  • »Pawel Iwanowitsch ist unser wohl überdrüssig,« versetzte Frau Manilow.
  • »Gnädige Frau!« sagte Tschitschikow, »hier, sehen Sie hier« -- und dabei
  • legte er seine Hand aufs Herz -- »Ja hier werde ich mir die Erinnerung
  • an die schönen Stunden bewahren, die ich mit Ihnen verlebt habe! Und
  • glauben Sie mir, ich kann mir keine größere Seligkeit vorstellen, als
  • mit Ihnen, wenn auch nicht in einem Hause, so doch wenigstens in
  • nächster Nachbarschaft zu leben!«
  • »Wissen Sie was, Pawel Iwanowitsch!« sagte Manilow, dem dieser Gedanke
  • offenbar sehr gefiel, »es wäre doch wirklich herrlich, wenn wir so
  • zusammen unter einem Dach leben, im Schatten einer Ulme miteinander
  • philosophieren und uns gemeinsam in die Dinge vertiefen könnten ...«
  • »Oh, das wäre himmlisch!« sagte Tschitschikow mit einem Seufzer. »Leben
  • Sie wohl, gnädige Frau!« fuhr er fort, indem er Frau Manilow die Hand
  • küßte. »Leben Sie wohl, verehrter Freund! und vergessen Sie meine Bitte
  • nicht!«
  • »Oh, seien Sie ganz ruhig!« erwiderte Manilow, »wir trennen uns doch
  • nicht auf länger als zwei Tage!«
  • Sie betraten das Speisezimmer.
  • »Adieu, meine lieben Kleinen!« sagte Tschitschikow, als er Alcid und
  • Themistokljus erblickte, die mit einem hölzernen Husaren spielten, der
  • übrigens weder Hände noch Nase mehr hatte. »Lebt wohl, liebe Kinder.
  • Verzeiht, daß ich euch nichts zum Naschen mitgebracht habe, aber ich muß
  • gestehen, ich wußte ja gar nicht, daß ihr auf der Welt seid. Aber wenn
  • ich das nächstemal wiederkomme, bringe ich euch sicher etwas mit. Dir
  • bringe ich einen Säbel. Willst du einen Säbel haben? Wie?«
  • »Ja!« antwortete Themistokljus.
  • »Und dir bringe ich eine Trommel mit. Nicht wahr, du möchtest doch eine
  • Trommel haben?« fuhr Tschitschikow fort, indem er sich über Alcid
  • beugte.
  • »Ja, eine Prommel,« sagte Alcid leise, indem er den Kopf senkte.
  • »Schön also, ich will dir eine Trommel kaufen. -- Weißt du eine feine
  • Trommel. Die wird immer Trrr .... ru ... tra, ta, ta, tra, ta, ta
  • machen. Leb wohl, Herzchen! Adieu!« Er küßte ihn auf den Kopf und wandte
  • sich mit jenem Lächeln an Manilow und seine Frau, mit dem man sich an
  • alle Eltern zu wenden pflegt, wenn man ihnen zu verstehen geben will,
  • wie unschuldig doch die Wünsche ihrer Kinder sind.
  • »Ach bleiben Sie doch noch ein wenig, Pawel Iwanowitsch!« sagte Manilow,
  • als schon alle auf die Freitreppe hinausgetreten waren. »Sehen Sie doch,
  • was dort für Wolken heraufziehen!«
  • »Das sind nur kleine Wölkchen,« meinte Tschitschikow.
  • »Kennen Sie aber auch den Weg zu Sabakewitsch?«
  • »Danach wollte ich Sie gerade fragen.«
  • »Erlauben Sie, ich will ihn Ihrem Kutscher erklären!« Und Manilow machte
  • dem Kutscher die Sache in der liebenswürdigsten Weise klar, und sagte
  • sogar einmal _Sie_ zu ihm.
  • Als der Kutscher hörte, daß er zwei Wegkreuzungen abseits liegen lassen
  • und erst bei der dritten einbiegen müsse, sagte er: »Wir werden's schon
  • finden,« und Tschitschikow fuhr davon, begleitet von den Abschiedsgrüßen
  • der Gatten, die noch lange auf den Fußspitzen standen und ihre
  • Taschentücher schwenkten.
  • Manilow blieb noch lange auf der Treppe stehen und folgte dem
  • davonrollenden Wagen mit den Augen, und als dieser schon längst nicht
  • mehr zu sehen war, stand er noch immer mit der Pfeife im Munde da.
  • Endlich ging er wieder ins Haus zurück, ließ sich auf einem Stuhl nieder
  • und versank in Sinnen, von Herzen froh, daß er seinem Gast eine kleine
  • Freude bereitet hatte. Dann schweiften seine Gedanken, ohne daß er es
  • merkte, zu anderen Gegenständen hinüber, um endlich, Gott weiß wo, zu
  • landen. Er dachte an die Seligkeiten der Freundschaft, wie schön es doch
  • wäre, mit dem Freunde am Ufer eines Flusses zu leben, dann baute er in
  • Gedanken eine Brücke über den Fluß und darauf ein Haus mit einem
  • gewaltigen Pavillon, von dem aus man sogar Moskau sehen konnte, und er
  • stellte sich vor, wie herrlich es sein müßte, dort abends im Freien
  • seinen Tee zu trinken und sich über angenehme Gegenstände zu
  • unterhalten; oder er malte es sich aus, wie er und Tschitschikow, in
  • eleganten Equipagen zu einer Abendgesellschaft fahren und alle
  • Anwesenden durch ihr feines Benehmen in Entzückung versetzen, und wie
  • dann der Kaiser, der von der Freundschaft der beiden gehört hatte, sie
  • zu Generälen ernennt, und so träumte er immer weiter; was nun noch alles
  • folgte, weiß Gott allein, wußte er es doch selbst nicht mehr genau. Aber
  • plötzlich drängte sich Tschitschikows seltsame Bitte jäh in seine
  • Träumereien, und dieser Gedanke wollte ihm nicht recht in den Kopf: er
  • mochte ihn drehen und wenden soviel er wollte, er konnte sich nicht klar
  • über ihn werden. So saß er noch lange mit der Pfeife im Munde da, bis
  • das Abendessen auf dem Tische stand.
  • Drittes Kapitel
  • Unterdessen saß Tschitschikow vergnügt in seinem Wagen, der schon seit
  • einiger Zeit auf der Landstraße dahinrollte. Aus dem vorigen Kapitel
  • konnten wir schon erfahren, was der eigentliche Gegenstand seiner
  • Neigung und seines Geschmacks war, und es war daher auch kein Wunder,
  • wenn er sich bald mit Leib und Seele in ihn versenkte. Die Vermutungen,
  • Überschläge und Berechnungen, die er anstellte und die sich auf seinem
  • Gesichte spiegelten, mußten höchst angenehmer Art sein, denn sie
  • hinterließen in einem fort die Spuren eines vergnügten Lächelns auf
  • seinen Zügen. Ganz mit seinen Gedanken beschäftigt, achtete er gar nicht
  • darauf, was für treffende Worte sein Kutscher, der offenbar von dem
  • Empfang durch die Bedienten und Knechte Manilows äußerst befriedigt war,
  • an den Schecken, das rechte Beipferd richtete. Dieser Schecke war sehr
  • schlau, und _tat_ bloß so, als ob er den Wagen auch vorwärts ziehe,
  • während sich das mittlere braune und der Fuchs, das linke Beipferd, das
  • den Namen Assessor trug, weil man es irgend einem Assessor abgekauft
  • hatte, aus allen Kräften abquälten, das Gefährt weiter zu bringen, so
  • daß man ihnen das Vergnügen, welches ihnen das bereitete, von den Augen
  • ablesen konnte: »Brauch soviel Listen als du willst! Es hilft dir doch
  • nichts! Ich will dich doch überlisten!« sagte Seliphan, indem er sich
  • etwas erhob und dem Trägen einen Peitschenhieb versetzte. »Tu deine
  • Pflicht, du deutscher .......! Der Braune ... das ist ein braves Pferd,
  • der tut seine Schuldigkeit; darum gebe ich ihm auch gern ein Maß Hafer
  • mehr, weil er ein braves Pferd ist. Und der Assessor -- der ist auch ein
  • gutes Pferd ... Nun, was schüttelst du die Ohren? Dummkopf, paß auf,
  • wenn man mir dir spricht! Ich werde dich schon nichts Schlechtes lehren,
  • du Esel! Seh einer, wo der hin will!« Hierbei gab er ihm wieder eins mit
  • der Peitsche und murmelte: »Uf! Barbar! Bonaparte, Verfluchter!« Dann
  • rief er allen miteinander ein: »He! Ihr Lieben!« zu, und gab allen
  • dreien eins mit der Peitsche, nicht etwa, um sie zu strafen, sondern zum
  • Beweise, daß er mit ihnen zufrieden war. Nachdem er ihnen diese kleine
  • Freude bereitet hatte, wandte er sich wieder an den Schecken: »Du
  • glaubst, es wird dir gelingen, dein schlechtes Betragen zu verbergen.
  • Nein, mein Lieber, tue recht, wenn du willst, daß man Achtung vor dir
  • haben soll. Siehst du! Die Leute des Herrn, bei dem wir waren -- das
  • sind gute Menschen! Mit einem guten Menschen plaudere ich immer gern,
  • ein guter Mensch -- das ist mein Freund und lieber Kamerad; mit ihm
  • setze ich mich gerne zu Tisch oder trinke mein Glas Tee mit ihm. Ein
  • guter Mensch wird von jedermann geachtet! Unseren Herrn zum Beispiel --
  • den achten alle Leute, hörst du wohl, weil er unserem Kaiser gut gedient
  • hat und Skollegenrat ist ....«
  • In dieser Weise ging es weiter, bis Seliphan bei den entferntesten und
  • abstraktesten Materien angelangt war. Hätte Tschitschikow aufmerksam
  • zugehört, er hätte noch manche Einzelheit erfahren, die auf seine Person
  • Bezug hatte; aber seine Gedanken waren so sehr mit seinen eigenen
  • Angelegenheiten beschäftigt, daß erst ein heftiger Donnerschlag ihn aus
  • seinen Träumen weckte und ihn veranlaßte, sich ein wenig umzusehen; der
  • ganze Himmel war mit Wolken bedeckt, und große Regentropfen trafen die
  • staubige Chaussee. Ein zweiter noch stärkerer Donnerschlag folgte dem
  • ersten aus noch größerer Nähe, und plötzlich prasselte der Regen in
  • Strömen wie aus Gießkannen nieder. Zuerst fiel er in schräger Richtung
  • herab und peitschte bald die eine Seite, bald die andere Seite des
  • Kutschbocks, dann änderte er seine Angriffsmethode und rieselte
  • senkrecht auf den Kutschbock nieder, bis die Tropfen Tschitschikow ins
  • Gesicht spritzten. Er ließ also das lederne Wagendeck mit den zwei
  • kleinen runden Fensterchen aufspannen, die eine freie Aussicht auf die
  • Landschaft gestatteten und befahl Seliphan, schneller zu fahren.
  • Seliphan, mitten in der Rede unterbrochen, sah wohl auch ein, daß jetzt
  • nicht Zeit zum Säumen war, holte etwas wie einen Mantel aus grauem Stoff
  • unter dem Bock hervor, steckte die Hände in die Ärmel, ergriff die Zügel
  • und spornte die drei Gäule durch einen Zuruf an, welche unter dem
  • Eindruck seiner erbaulichen Reden eine angenehme Schwäche in den Beinen
  • spürten und sie kaum vom Flecke brachten. Aber Seliphan konnte sich
  • absolut nicht erinnern, wieviel Wegekreuzungen sie bereits hinter sich
  • hatten, ob es zwei oder drei waren. Nachdem er sich die Sache überlegt
  • und über den Weg nachgedacht hatte, kam er zur Überzeugung, daß sie
  • schon manchen Weg gekreuzt und links liegen gelassen hatten. Da aber ein
  • Russe im entscheidenden Augenblick die Fassung nie verliert und, ohne
  • lange nachzudenken, immer irgend einen Ausweg findet, so machte er bei
  • dem nächsten Kreuzweg eine Wendung nach rechts, indem er den Pferden
  • zurief: »Hüh! liebe Freunde!« und dann jagte er im Galopp dahin, ohne
  • sich viel Gedanken darüber zu machen, wohin sie der eingeschlagene Weg
  • führen werde.
  • Der Regen schien indessen nicht bald aufhören zu wollen. Der Staub, der
  • die Landstraße bedeckte, verwandelte sich schnell in weichen Dreck, es
  • wurde den Pferden mit jedem Augenblick schwerer, den Wagen
  • fortzubewegen. Tschitschikow geriet bereits in eine lebhafte Unruhe, da
  • noch immer nichts von dem Gute Sabakewitschs zu sehen war. Seiner
  • Berechnung nach hätten sie schon längst da sein müssen. Er blickte nach
  • beiden Seiten zum Fenster hinaus, aber es war stockfinster, und er
  • konnte nichts sehen.
  • »Seliphan!« rief er endlich, indem er den Kopf aus dem Fenster steckte.
  • »Ja, Gnädiger Herr?« antwortete Seliphan.
  • »Schau dich mal um; ist das Dorf noch nicht zu sehen!«
  • »Nein, gnädiger Herr, es ist nichts zu sehen!« und Seliphan schwang
  • seine Peitsche und stimmte etwas wie einen Gesang an. Ein Lied konnte
  • man es nicht nennen, denn es dehnte und zog sich so in die Länge, daß es
  • gar kein Ende nehmen wollte. Seliphan brachte alles darin unter, alle
  • aufmunternden und anspornenden Rufe, mit denen man im weiten Rußland,
  • von einem Ende bis zum andern, die Pferde zu beglücken pflegt, und alle
  • nur möglichen Adjektiva, ohne jede Auswahl, wie sie ihm gerade auf die
  • Zunge kamen. Schließlich ging er sogar so weit, daß er seine Pferde
  • Sekretäre nannte.
  • Jetzt aber machte Tschitschikow die Entdeckung, daß sein Wagen von einer
  • Seite auf die andre schwankte, wobei der Insasse jedesmal einen
  • kräftigen Stoß erhielt; das brachte ihn auf den Gedanken, daß sie von
  • der Straße abgekommen seien und wahrscheinlich über ein gepflügtes
  • Ackerfeld führen. Auch Seliphan mußte es wohl bemerkt haben, aber er
  • sagte kein Wort.
  • »Auf was für einem Wege fährst du eigentlich? du Spitzbube!« schrie
  • Tschitschikow.
  • »Was ist zu machen, gnädiger Herr, es ist halt schon spät am Abend. Ich
  • sehe nicht einmal meine Peitsche, so finster ist es!« Bei diesen Worten
  • neigte sich der Wagen so sehr auf die Seite, daß Tschitschikow sich mit
  • beiden Händen festhalten mußte. Erst jetzt bemerkte er, daß Seliphan
  • einen tüchtigen Rausch hatte.
  • »Halt! Halt! Du wirfst mich um!« rief er ihm zu.
  • »Nicht doch, gnädiger Herr, wie können Sie denken, daß ich Sie umwerfe,«
  • sagte Seliphan. »Das wäre schlecht von mir, wenn ich das täte, das weiß
  • ich selbst; o nein, das tue ich nicht, unter keinen Umständen werfe ich
  • Sie um!« Hierauf versuchte er den Wagen umzuwenden, aber er drehte und
  • wendete ihn so lange, bis er ihn ganz umwarf. Tschitschikow fiel mit
  • Füßen und Händen in den Dreck. Übrigens gelang es Seliphan wenigstens
  • die Pferde zum Stehen zu bringen; wahrscheinlich aber wären sie auch
  • schon von selber stehen geblieben, weil sie sehr müde waren. Dieses
  • unerwartete Ereignis brachte Seliphan ganz aus der Fassung. Er kroch von
  • seinem Bock herunter, stellte sich vor den Wagen hin, stemmte beide
  • Hände in die Seite und sagte, während sein Herr sich im Schmutze
  • herumwälzte und sich vergeblich zu erheben versuchte: »Ist das Ding also
  • doch umgefallen!«
  • »Du bist betrunken wie ein Schwein!« sagte Tschitschikow.
  • »Nicht doch, gnädiger Herr! Wie könnte ich auch betrunken sein! Ich weiß
  • doch, daß es schlecht ist, betrunken zu sein. Ich hab' nur ein wenig mit
  • einem guten Freunde geplaudert; mit einem guten Menschen darf man doch
  • sprechen -- das ist doch nichts Schlimmes -- und nachher haben wir
  • zusammen gegessen. Das ist doch auch nichts Unrechtes -- ein wenig mit
  • einem guten Menschen zu schmausen.«
  • »Was habe ich dir gesagt, als du das letztemal betrunken warst, wie?
  • Hast du's schon wieder vergessen?« sagte Tschitschikow.
  • »Gewiß nicht, Euer Gnaden, wie könnte ich so etwas vergessen? Ich kenne
  • doch meine Pflicht! Ich weiß doch, wie unrecht es ist, betrunken zu
  • sein. Ich habe doch nur mit dem braven Menschen da gesprochen, es ist
  • doch nicht ...«
  • »Ich lasse dir eine Tracht Prügel geben, dann wirst du schon wissen, was
  • es heißt, mit einem braven Menschen zu sprechen ...«
  • »Wie es Euer Gnaden belieben wird,« antwortete Seliphan, der mit allem
  • zufrieden war. »Wenn's denn Prügel geben soll, nun gut, ich widersetze
  • mich nicht. Warum sollte es keine Prügel geben, wenn man's verdient hat;
  • das steht ganz bei Ihnen, dafür sind Sie der Herr! Der Bauer _muß_
  • mitunter Prügel haben, sonst sticht ihn der Haber. Ordnung muß sein.
  • Wenn ich's verdient habe, dann laß mich nur durchprügeln, warum sollte
  • es auch keine Prügel geben?«
  • Auf eine solche Überlegung fand Tschitschikow keine Antwort. In diesem
  • Augenblick aber schien sich das Schicksal selbst seiner erbarmen zu
  • wollen. Plötzlich erklang Hundegebell aus der Ferne. Hocherfreut gab
  • Tschitschikow Seliphan den Befehl zum Aufbruch und schärfte ihm ein,
  • recht schnell zu fahren. Ein russischer Kutscher hat einen feinen
  • Instinkt, wo ihn seine Augen verlassen; so kann es geschehen, daß er die
  • Augen zumacht, im Galopp dahinjagt und dennoch irgend ein Ziel erreicht.
  • Obgleich Seliphan nichts mehr sah, steuerte er mit seinen Pferden gerade
  • auf das Dorf los und machte erst Halt, als der Wagen mit der Deichsel
  • auf einen Zaun stieß, und durchaus nicht mehr weiter kommen wollte.
  • Tschitschikow konnte durch die dichte Nebelhülle nichts außer einem
  • Fleck entdecken, der wie ein Dach aussah. Er gab Seliphan den Auftrag,
  • nach dem Tor zu suchen, was ohne Zweifel recht lange gedauert hätte,
  • wenn es in Rußland nicht statt des Portiers flinke Hunde gäbe, die in so
  • lauter Weise Meldung von seiner Ankunft erstatteten, daß er sich die
  • Ohren mit den Fingern zustopfte. In einem Fenster leuchtete ein Licht
  • auf, dessen trübe Strahlen auch auf den Zaun fielen, und unseren
  • Reisenden den Weg zum Tore wiesen. Seliphan klopfte an, worauf sich bald
  • eine Pforte auftat und eine in einen Schlafrock gehüllte Gestalt sehen
  • ließ. Herr und Diener hörten eine heitere Frauenstimme, die ihnen
  • zurief: »Wer klopft da? Wer lärmt hier so?«
  • »Wir sind Reisende, Mütterchen, wir suchen ein Nachtquartier,« sagte
  • Tschitschikow.
  • »So? Seh einer den Leichtfuß!« murmelte die Alte. »Kommt zu so später
  • Abendstunde angefahren. Hier ist keine Herberge. Hier wohnt eine
  • Gutsbesitzerin.«
  • »Was soll ich machen, Mütterchen? Wir haben uns verirrt. Wir können doch
  • bei dem Wetter nicht im Freien übernachten.«
  • »Ja das Wetter ist trübe und schlecht,« bemerkte Seliphan.
  • »Schweig! Esel,« sagte Tschitschikow.
  • »Wer sind Sie?« fragte die Alte.
  • »Ein Edelmann, Mütterchen.«
  • Das Wort _Edelmann_ schien einigen Eindruck auf die Alte gemacht zu
  • haben. »Wart' ich will's der gnädigen Frau melden,« murmelte sie,
  • entfernte sich und kam nach zwei Minuten mit einer Laterne in der Hand
  • wieder zurück. Das Tor öffnete sich. Jetzt wurde auch das andere Fenster
  • hell. Der Wagen fuhr durch das Tor und machte vor einem kleinen Häuschen
  • halt, das in der Dunkelheit nur mit Mühe zu erkennen war. Nur die eine
  • Seite war von dem Lichte erleuchtet, das aus den Fenstern fiel; vor dem
  • Hause sah man noch eine Pfütze im Lichte daliegen. Der Regen trommelte
  • laut auf das Holzdach und rieselte wie ein rauschender Bach in eine
  • daruntergestellte Tonne. Die Hunde heulten in allen Tonarten; der eine
  • hatte den Kopf hoch empor geworfen und stieß fortgesetzt lange klägliche
  • Töne hervor; dabei war er mit einem solchen Eifer bei der Sache, als ob
  • er Gott weiß wieviel dafür bezahlt bekäme; ein anderer produzierte sich
  • mit der Fertigkeit eines Küsters; zwischendurch erklang ununterbrochen
  • wie ein Postglöckchen der Diskant eines wahrscheinlich noch jungen
  • Köters, und dies ganze Konzert wurde getragen von dem gewaltigen Baß
  • eines alten, der wohl mit einer robusten Hundenatur ausgestattet war,
  • denn er schnarrte wie der Konterbaß eines Gesangchors, wenn das Konzert
  • in vollem Gange ist; die Tenöre stellen sich auf die Fußspitzen, um die
  • hohen Töne besser herauszubringen, alles strebt in die Höhe, und wirft
  • die Köpfe in den Nacken; nur _er_ allein, der Konterbaßspieler, steckt
  • das unrasierte Kinn in den Halskragen, hockt mit gebeugten Knieen fast
  • am Fußboden, und schmettert nun plötzlich von dort aus seine Note in die
  • Luft, daß alle Fensterscheiben erklirren und erzittern. Schon allein das
  • Hundegebell, das von diesen Musikanten herrührte, brachte einen auf die
  • Vermutung, daß dies ein recht ansehnliches Dorf sei; aber unser halb
  • erfrorener und durchnäßter Held dachte an gar nichts mehr, außer an ein
  • warmes Bett. Noch ehe der Wagen halten konnte, sprang er hinaus,
  • stolperte und wäre beinahe auf der Treppe hingefallen. Aus dem Flur trat
  • jetzt eine andere Frau, die etwas jünger war als die erste, aber ihr
  • dennoch recht ähnlich sah. Sie geleitete Tschitschikow ins Zimmer. Hier
  • angelangt, warf er einen flüchtigen Blick auf das Innere; das Zimmer war
  • mit alten gestreiften Tapeten bekleidet; an den Wänden hingen ein paar
  • Bilder, auf denen allerhand Vögel abgebildet waren, und zwischen den
  • Fenstern waren kleine altertümliche Spiegel mit dunklen Rahmen
  • aufgehängt, die die Form zusammengerollter Blätter hatten. Hinter jedem
  • Spiegel steckte ein Brief, ein altes Spiel Karten, ein Strumpf oder
  • dergleichen; dazu kam noch eine Wanduhr mit einem geblümten Zifferblatt
  • ... Tschitschikow konnte nicht alles übersehen. Er fühlte, daß seine
  • Augen zufielen und seine Augenlider zusammenklebten, wie wenn sie jemand
  • mit Honig bestrichen hätte. Nach ein paar Minuten erschien die Hausfrau,
  • eine ältere Dame mit einer Nachthaube, die sie offenbar in der Eile
  • aufgesetzt hatte, und mit einem Flanelltuch um den Hals, eine von jenen
  • Matronen und kleinen Gutsbesitzerinnen, die immer über Mißernte und
  • Verluste jammern und den Kopf hängen lassen, während sie ganz im
  • Stillen, wenn auch langsam ein Geldstück nach dem andern in ihren bunten
  • Leinwandbeutel tun, den sie in der Schublade ihrer Kommode verschließen.
  • In den einen Geldsack legen sie die Rubel, in den nächsten die
  • Fünfzigkopeken-, in den dritten die Fünfundzwanzigkopekenstücke, und
  • doch sieht es so aus, als wenn in der Kommode nichts sei, als Wäsche,
  • Nachtjacken, Garnrollen und ein aufgetrennter Rock, der sich in ein
  • neues Kleid verwandelt, wenn das alte vor dem Fest beim Backen von
  • Stollen und Pfefferkuchen anbrennt oder von selbst verschleißt. Wenn das
  • Kleid jedoch nicht anbrennt und noch weiter vorhält, dann läßt unsere
  • sparsame Alte den Rock noch lange aufgetrennt in der Schublade liegen,
  • um ihn in ihrem Testament, zugleich mit manchem anderen Gerümpel, irgend
  • einer Nichte oder Cousine zweiten Grades zu vermachen.
  • Tschitschikow bat um Entschuldigung wegen der Beunruhigung, die er ihr
  • mit seiner Ankunft verursacht habe. »Macht nichts, macht nichts!« sagte
  • die Hausfrau, »zu wie später Stunde Sie auch der Herrgott hierher
  • geführt hat! Bei dem Sturm und Schneewetter! Nach dem langen Weg sollte
  • ich Ihnen eigentlich was zu essen anbieten, aber es ist schon so spät in
  • der Nacht; ich kann nichts mehr herrichten!«
  • Die Worte der Hausfrau wurden durch ein merkwürdiges Zischen
  • unterbrochen, sodaß Tschitschikow nicht wenig erschrak. Es war ein
  • Geräusch, als wenn sich das Zimmer plötzlich mit Schlangen angefüllt
  • hätte; aber ein Blick nach oben genügte, um ihn völlig zu beruhigen; er
  • überzeugte sich, daß der Ton von der Wanduhr herrührte, die offenbar
  • schlagen wollte. Auf das Zischen folgte denn auch gleich ein Schnarren,
  • und endlich schlug sie, nachdem sie alle Kräfte zusammengenommen hatte,
  • zwei Uhr und zwar in einem Ton, als ob jemand mit einem Stock auf einen
  • zerbrochenen Topf klopfte, worauf das Pendel aufs neue fortfuhr, sich im
  • ruhigen Takte hin- und herzubewegen.
  • Tschitschikow dankte der Hausfrau, indem er versicherte, er brauche gar
  • nichts, sie möge sich nur nicht beunruhigen, außer dem Verlangen nach
  • einem Bett habe er keine anderen Wünsche. Zugleich erkundigte er sich,
  • wohin er sich eigentlich verirrt habe, und ob es noch weit von hier bis
  • zum Gut des Herrn Sabakewitsch sei, worauf die Alte erklärte, sie hätte
  • diesen Namen noch nie gehört, einen Gutsbesitzer dieses Namens gäbe es
  • überhaupt nicht.
  • »Kennen sie wenigstens Manilow?« fragte Tschitschikow.
  • »Wer ist das, Manilow?«
  • »Ein Gutsbesitzer, Mütterchen.«
  • »Nein, ich habe seinen Namen noch nie gehört, einen solchen Gutsbesitzer
  • gibt es nicht.«
  • »Was gibt es denn hier für Gutsbesitzer?«
  • »Bobrow, Swinjin, Kanapatjew, Charankin, Trepakin, Pljeschako.«
  • »Sind es reiche Leute oder nicht?«
  • »Nein, Väterchen, allzu reiche gibt's hier nicht. Der eine hat zwanzig,
  • der andere hat dreißig Seelen; solche mit hundert gibt's hier zu Lande
  • nicht.«
  • Jetzt erst merkte Tschitschikow in was für eine abgelegene Gegend er
  • sich verirrt hatte.
  • »Können Sie mir zum mindesten sagen, wie weit es von hier bis zur Stadt
  • ist?«
  • »Es werden wohl gegen 60 Werst sein. Es tut mir wirklich leid, daß ich
  • Ihnen gar nichts vorsetzen kann! Haben Sie nicht Lust zu einem Glas Tee,
  • Väterchen?«
  • »Danke schön, Mütterchen. Ich brauche nichts als ein Bett.«
  • »Ja, wahrhaftig, nach einem so weiten Weg will man sich ordentlich
  • ausruhen. Sie können sich hier auf diesem Sofa ausstrecken, Väterchen.
  • He! Fetinja, bring doch eine Decke, ein Kissen und ein Handtuch. Gott,
  • was für ein Wetter! Wie das stürmt! Die ganze Nacht hindurch brennt bei
  • mir die Kerze vor dem Heiligenbild. Ach, Herr Gott, dein Rücken und die
  • eine Seite sind ja voller Dreck, wie bei einem Eber. Wo hast du dich
  • denn so schmutzig gemacht?«
  • »Gott sei dank, daß ich bloß schmutzig bin; ich kann froh sein, daß ich
  • mir nicht das ganze Rückgrat zerbrochen habe!«
  • »Heiliger Jesus, was sprichst du? Willst du nicht etwas, um dir den
  • Rücken einzureiben?«
  • »Nein, danke bestens! Bitte beunruhigen Sie sich nicht! Bitte sagen Sie
  • nur Ihrem Mädchen, sie möchte mir meine Kleider ein wenig trocknen und
  • rein machen!«
  • »Hör mal, Fetinja!« sagte die Hausfrau, indem sie sich an das Weib
  • wandte, das mit dem Licht auf die Treppe hinausgetreten war und schon
  • ein Unterbett hereinbrachte, welches sie mit beiden Händen
  • aufschüttelte, sodaß eine ganze Wolke von Daunen durch das Zimmer flog.
  • »Nimm doch den Rock und den Mantel und trockne ihn am Feuer, wie du es
  • dem seligen Herrn zu tun pflegtest, und klopfe und bürste ihn nachher
  • gründlich aus.«
  • »Jawohl, gnädige Frau!« sagte Fetinja, indem sie ein Laken über das
  • Unterbett breitete und ein paar Kopfkissen darauflegte.
  • »So, nun ist das Bett fertig!« sagte die Hausfrau. »Gute Nacht,
  • Väterchen, schlaf gut. Brauchst du nicht noch irgend etwas? Vielleicht
  • bist du es gewöhnt, daß dir jemand die Fersen streicht. Mein seliger
  • Mann konnte ohne das gar nicht einschlafen.«
  • Aber der Gast verzichtete auch auf dies Vergnügen. Die Hausfrau ging
  • hinaus, worauf er sich schleunigst entkleidete. Er gab Fetinja seine
  • ganze Rüstung, die obere wie die untere, und sie zog mit den nassen
  • Trophäen ab, nachdem sie ihm gleichfalls eine gute Nacht gewünscht
  • hatte. Als er allein war, vertiefte er sich nicht ohne Vergnügen in die
  • Betrachtung seines Bettes, das beinahe bis an die Decke reichte. Er
  • stellte einen Stuhl daran, stieg mit seiner Hilfe ins Bett, das unter
  • ihm beinahe bis zum Fußboden herabsank, und die aus ihren Schranken
  • verdrängten Daunen flogen nach allen Richtungen im Zimmer auseinander.
  • Nachdem er das Licht ausgelöscht hatte, zog er sich die Kattundecke über
  • den Kopf, rollte sich unter ihr wie eine Brezel zusammen und schlief
  • ohne Verzug ein. Am andern Tage wachte er ziemlich spät auf. Die Sonne
  • schien ihm durch das Fenster gerade ins Gesicht, und die Fliegen, die
  • gestern abend ruhig an den Wänden und an der Decke geschlafen hatten,
  • wendeten ihm jetzt ihre ganze Aufmerksamkeit zu: eine setzte sich ihm
  • auf die Unterlippe, eine andre aufs Ohr, eine dritte traf Anstalten,
  • sich ihm aufs Auge zu setzen; eine dagegen, welche so unvorsichtig war,
  • gerade unterm Nasenloch Platz zu nehmen, zog er beim Erwachen mit einem
  • Atemzuge in die Nase hinein, was ihn natürlich veranlaßte, kräftig zu
  • niesen -- ein Umstand, der den Grund für sein Erwachen abgab. Er warf
  • einen Blick auf das Zimmer und bemerkte jetzt, daß nicht nur Vogelbilder
  • an der Wand hingen, es fand sich auch ein Porträt von Kutusow und ein
  • Ölgemälde, das einen alten Mann in einer Uniform mit roten Aufschlägen,
  • wie man sie unter Pawel Petrowitsch trug, darstellte. Die Wanduhr
  • schnarrte und schlug neun; der Kopf einer Frau guckte zur Türe hinein
  • und verschwand sofort wieder, denn Tschitschikow hatte seine sämtlichen
  • Kleidungsstücke abgelegt, um besser einschlafen zu können. Das Gesicht
  • kam ihm übrigens bekannt vor. Er suchte sich zu erinnern, wer das wohl
  • gewesen sein könnte, und besann sich schließlich darauf, daß es die
  • Wirtin selbst war. Er zog schnell sein Hemd an, seine Kleider lagen
  • trocken und reingebürstet neben ihm. Nachdem er sich angekleidet hatte,
  • trat er vor den Spiegel und nieste noch einmal so laut, daß ein
  • Truthahn, der sich gerade dem Fenster genähert hatte -- es lag nicht
  • sehr hoch über dem Erdboden -- plötzlich laut zu gackern anfing und ihm
  • in seiner seltsamen Sprache ganz schnell etwas zurief, wahrscheinlich
  • sollte es soviel bedeuten als »Prosit«, worauf ihn Tschitschikow einen
  • Trottel nannte. Dann trat er ans Fenster, um sich die Gegend anzusehen;
  • das Fenster ging, wie es schien, auf den Hühnerhof hinaus; wenigstens
  • war der kleine enge Hof, der vor ihm lag, voller Vögel und anderer
  • Haustiere. Eine unendliche Anzahl von Hühnern und Puten tummelte sich
  • dort umher; zwischen ihnen hindurch stolzierte gemessenen Schrittes ein
  • Hahn, schüttelte seinen Kamm und legte seinen Kopf auf die Seite, als
  • lausche er auf etwas. Auch eine Schweinefamilie war hier vertreten; das
  • alte Mutterschwein wühlte in einem Schutthaufen herum, wie im
  • Vorbeigehen verschlang es ein Küchel und fuhr gleich darauf wieder ruhig
  • fort, die Schalen alter Wassermelonen, die hier herumlagen, weiter zu
  • fressen. Dieser kleine Hof oder Hühnerhof wurde von einem Bretterzaun
  • umgrenzt, hinter dem sich große Gemüsegärten mit Kohl, Zwiebeln,
  • Kartoffeln, roten Rüben und anderen Gemüsearten ausdehnten. In den
  • Gemüsegärten bemerkte man hie und da Apfelbäume und andere Obstbäume,
  • die zum Schutz gegen die Elstern und Sperlinge mit Netzen bedeckt waren.
  • Und in der Tat schwirrten die Spatzen immerfort wie eine schräge Wolke
  • von einer Stelle zur andern. Aus demselben Grunde waren mehrfach
  • Vogelscheuchen auf langen Stangen und mit ausgebreiteten Armen
  • aufgestellt; eine von ihnen hatte sogar die Haube der Hausfrau auf. Auf
  • den Gemüsegarten folgten Bauernhütten, die zwar recht zerstreut dalagen
  • und keine regelmäßige Häuserflucht mit Plätzen und Straßen bildeten,
  • aber doch nach Tschitschikows Ansicht vom Wohlstand der Bewohner
  • zeugten, denn sie waren alle gut instand gehalten: das Bretterdach war
  • überall renoviert, wo es alt und schlecht zu werden begann, nirgends sah
  • man ein schiefes verfallenes Tor, und in den gedeckten Scheunen und
  • Ställen, in die man vom Fenster aus hineinsehen konnte, erblickte er
  • meist _einen_, häufig aber auch zwei beinah neue Reservewagen. »Hm! Das
  • Dörflein ist gar nicht so klein!« sagte er zu sich selbst und beschloß
  • sogleich, mit der Hausfrau zu sprechen, um sie näher kennen zu lernen.
  • Er guckte durch die Türspalte, durch die sie ihren Kopf hineingesteckt
  • hatte, und als er sie am Teetisch sitzen sah, trat er ins Zimmer und
  • ging ihr heiter und freundlich entgegen.
  • »Guten Tag, Väterchen! Wie haben Sie geruht?« sagte die Hausfrau, indem
  • sie sich von ihrem Platze erhob. Sie war heute eleganter gekleidet als
  • gestern und hatte statt der Nachthaube ein schwarzes Häubchen auf dem
  • Kopfe. Der Hals war jedoch noch immer mit allerhand Tüchern umwickelt.
  • »Vortrefflich, ausgezeichnet,« sprach Tschitschikow und ließ sich im
  • Lehnsessel nieder. »Und Sie, Mütterchen?«
  • »Schlecht! Väterchen!«
  • »Wieso?«
  • »Ich kann nicht schlafen. Das Kreuz tut mir weh, und mein Bein schmerzt
  • mich, hier über'm Knöchel.«
  • »Das geht vorüber, Mütterchen, achten Sie nur nicht darauf.«
  • »Gott gebe, daß es schnell vorübergeht. Ich habe es schon mit
  • Schweinefett und Terpentin eingerieben. Was nehmen Sie zum Tee? Dort im
  • Glas ist Fruchtsaft.«
  • Der Leser wird wohl schon bemerkt haben, daß Tschitschikow trotz seiner
  • Freundlichkeit sich viel ungezwungener ausdrückte und überhaupt nicht
  • viel Umstände machte. Man kann zugeben, daß Rußland vielleicht noch in
  • mancher Hinsicht hinter dem Ausland zurücksteht: was aber das feine
  • Benehmen anbelangt, so haben wir die Ausländer weit hinter uns gelassen.
  • Die vielen Schattierungen und Finessen in unseren Verkehrsformen sind
  • gar nicht aufzuzählen. Ein Franzose oder ein Deutscher kommen ihr Lebtag
  • nicht dahinter, nie werden sie die Eigenart und die feinen Unterschiede
  • in unserem Verhalten verstehen; sie sprechen fast in dem nämlichen Ton
  • und mit derselben Stimme mit einem Millionär und mit einem kleinen
  • Tabakkrämer, wenn sie sich auch in ihrer Seele vor dem ersteren noch so
  • sehr beugen und erniedrigen. Bei uns ist das ganz anders: wir haben
  • solche Künstler, die mit einem Gutsherrn, der zweihundert Seelen hat,
  • ganz anders sprechen, wie mit einem solchen, der dreihundert besitzt;
  • und mit diesem sprechen sie wieder ganz anders, wie mit einem, dem
  • fünfhundert gehören; und den letzteren behandeln sie wiederum anders,
  • wie einen reichen Gutsbesitzer, der über achthundert Seelen gebietet; so
  • kann man meinetwegen bis zu einer Million weiter fortgehen, immer findet
  • sich eine bestimmte Nüance. Nehmen wir einmal an, es gäbe, nicht bei
  • uns, sondern irgendwo in einem fernen Königreiche, eine Kanzlei, und
  • nehmen wir ferner an, diese Kanzlei habe einen Vorsteher oder Chef. Ich
  • bitte den Leser, sich diesen Mann einmal anzusehen, wenn er mitten unter
  • seinen Untergebenen dasitzt -- ich wette, das Wort würde ihm vor
  • Schrecken im Munde stecken bleiben. Stolz und Edelmut -- und was nicht
  • alles _noch_ liegt in seinem Blick? Man möchte zum Pinsel greifen und
  • ihn malen, um ihn in dieser Stellung festzuhalten: der reinste
  • Prometheus! wahrhaftig: ein Prometheus! Er blickt wie ein Adler, und
  • sein Gang ist biegsam, gesetzt und fest. Aber seht euch einmal diesen
  • Adler an, wenn er den Saal verläßt und sich dem Zimmer seines Chefs
  • nähert, er ist kaum wiederzuerkennen; wie ein flüchtiges Schneehuhn eilt
  • er mit seinem Aktenbündel unterm Arme dahin, daß ihm fast der Atem
  • ausgeht. In einer Gesellschaft oder auf einer Soiree, wo nicht allzu
  • hochstehende Persönlichkeiten zugegen sind, bleibt unser Prometheus ein
  • echter Prometheus, aber es braucht nur einer da zu sein, der etwas höher
  • steht als er, und mit unserem Prometheus geht eine solche Verwandlung
  • vor, wie sie sich selbst ein Ovid nicht träumen ließe: eine Fliege kann
  • nicht kleiner sein, er ist ganz wie vernichtet, wie ein Sandkorn! »Aber
  • das ist doch nicht Iwan Petrowitsch!« sagt man sich, wenn man ihn
  • erblickt, »Iwan Petrowitsch ist größer, der da ist ja ganz klein und
  • mager; jener spricht laut, hat eine Baßstimme und lacht niemals, aber
  • dieser hier, Teufel auch, der piepst ja wie ein Vogel und lacht
  • immerzu.« Kommt man aber näher und sieht genauer zu -- dann ist es
  • _doch_ Iwan Petrowitsch. »Aha, soso!« sagt man zu sich selbst .... Aber
  • wenden wir uns wieder zu den handelnden Personen. Wie wir sahen, war
  • Tschitschikow entschlossen, keine Umstände zu machen; so nahm er denn
  • eine Tasse Tee und etwas Fruchtsaft und sagte:
  • »Sie haben aber ein schönes Gut, Mütterchen. Wieviel Seelen hat es
  • wohl?«
  • »Etwas weniger als achtzig,« sagte die Hausfrau, »leider haben wir bloß
  • so schlechte Zeiten; voriges Jahr gab's wieder eine Mißernte, daß Gott
  • erbarm!«
  • »Aber die Bauern sehen doch recht kräftig aus, und die Hütten sind ganz
  • stattlich. Gestatten Sie mir übrigens eine Frage: Wie ist Ihr
  • Familienname? Ich war so zerstreut, als ich gestern so spät ankam ....«
  • »Karobotschka,[2] Kollegiensekretärswitwe.«
  • »Danke bestens. Und Ihr Vor- und Vatername?«
  • »Nasstassja Petrowna.«
  • »Nasstassja Petrowna? Ein schöner Name! -- Nasstassja Petrowna. Ich habe
  • eine leibliche Tante, die Schwester meiner Mutter, die heißt auch
  • Nasstassja Petrowna.«
  • »Und wie ist Ihr Name?« fragte die Gutsbesitzerin. »Sie sind doch
  • Assessor? Nicht?«
  • »Nein, Mütterchen,« antwortete Tschitschikow lächelnd. »Ich bin nicht
  • Assessor; ich reise in eigenen Geschäften.«
  • »So sind Sie Lieferant? Wie schade! ich habe meinen Honig so billig
  • verkauft; du hättest ihn mir sicher abgenommen, Väterchen, wie?«
  • »Nein, Honig hätte ich wohl kaum gekauft.«
  • »Nun, dann was anderes. Vielleicht Hanf? Davon habe ich jetzt zwar auch
  • nicht mehr viel -- ein halbes Pud höchstens.«
  • »Ach nein, Mütterchen, ich brauch' eine andere Ware; sagen Sie mal, sind
  • bei Ihnen viele Bauern gestorben?«
  • [Fußnote 2: Kästchen.]
  • »Oh je! Väterchen, achtzehn Mann!« sagte die Alte seufzend. »Und lauter
  • so prächtige Leute, alles tüchtige Arbeiter. Es ist ja freilich auch
  • Nachwuchs da, aber was hat man davon, lauter schmächtiges Volk, und der
  • Steuereinnehmer kommt und will seine Steuer für jede Seele haben. Sie
  • sind doch schon tot, und doch muß man für sie zahlen, wie wenn sie noch
  • am Leben wären. Vorige Woche ist mir ein Schmied verbrannt, ein so
  • geschickter Schmied! Der hat auch das Schlosserhandwerk verstanden.«
  • »War denn im Dorfe eine Feuersbrunst, Mütterchen?«
  • »Gott verhüte ein solches Unglück! Eine Feuersbrunst, das wäre ja noch
  • viel schrecklicher. Nein, er ist ganz von selbst verbrannt. Das Feuer
  • ist da irgendwo im Innern bei ihm entstanden; er hat auch gar zu viel
  • getrunken, man sah nichts wie ein blaues Flämmchen, und so ist er
  • allmählich verkohlt, bis er auch ganz schwarz wurde wie eine Kohle; ach
  • war das ein geschickter Schmied. Jetzt kann ich gar nicht mehr
  • ausfahren. Es ist niemand da, der die Pferde beschlagen kann.«
  • »Das war wohl Gottes Wille, Mütterchen,« sagte Tschitschikow seufzend,
  • »gegen Gottes Weisheit darf man nicht murren. Wissen Sie was? Überlassen
  • Sie sie mir, Nasstassja Petrowna?«
  • »Wie Väterchen?«
  • »Nun, all diese Leute, die gestorben sind.«
  • »Wie kann ich sie Ihnen denn überlassen?«
  • »Nun sehr einfach. Oder meinetwegen, ich kann sie Ihnen auch abkaufen.
  • Ich will Ihnen Geld für sie geben.«
  • »Ja wie denn nur? Wirklich, ich verstehe Sie noch nicht. Willst du sie
  • aus der Erde ausgraben?«
  • Tschitschikow merkte, daß die Alte übers Ziel hinausgeschossen hatte,
  • und hielt es daher für notwendig ihr klar zu machen, worum es sich
  • handele. Er erklärte ihr mit wenigen Worten, daß die Abtretung oder der
  • Verkauf nur auf dem Papiere statthaben und die Seelen als lebende gelten
  • sollten.
  • »Ja, wozu brauchst du sie nur,« sagte die Alte, indem sie ihn verwundert
  • anstarrte.
  • »Das ist schon meine Sache!«
  • »Aber sie sind doch tot!«
  • »Ja wer sagt denn, daß sie lebendig sind? Es ist doch Ihr eigener
  • Schade, daß sie tot sind. Sie zahlen doch Steuern für sie, und ich will
  • Sie von dieser Last und Sorge befreien. Verstehen Sie jetzt? Und nicht
  • nur befreien; ich will Ihnen noch fünfzehn Rubel dazu schenken. Nun,
  • ist's Ihnen jetzt klar?«
  • »Ich weiß wirklich nicht,« sagte die Alte zögernd, »Tote habe ich noch
  • niemals verkauft.«
  • »Das ist doch kein Wunder! Es wäre eher eins, _wenn_ Sie schon welche
  • verkauft hätten. Oder glauben Sie tatsächlich, daß sie überhaupt irgend
  • einen Wert haben?«
  • »Nein, das glaube ich freilich nicht. Was könnten sie auch für einen
  • Wert haben? Sie sind ja zu nichts nütze! Mich beunruhigt bloß dies eine:
  • daß sie schon tot sind.«
  • »Hat das Weib aber ein Brett vorm Kopf,« dachte Tschitschikow. »Hören
  • Sie, Mütterchen; denken Sie doch ein wenig nach! Das ist doch eine
  • bedeutende Einbuße für Sie. Sie müssen doch für jeden die Steuern
  • bezahlen, als ob er noch am Leben wäre.«
  • »Ach, Väterchen, erinnere mich bloß nicht daran,« unterbrach ihn die
  • Gutsbesitzerin. »Vor drei Wochen habe ich erst wieder hundertfünfzig
  • Rubel einzahlen müssen, und dabei mußte ich noch den Steuerbeamten
  • gründlich spicken.«
  • »Sehen Sie, Mütterchen, und nun denken Sie mal, von heute ab brauchen
  • Sie den Beamten nicht mehr zu spicken, denn jetzt zahle ich die Steuern
  • und nicht Sie. Ich nehme alle Lasten auf mich, auch die Kosten des
  • Kaufvertrags. Verstehen Sie!«
  • Die Alte wurde nachdenklich; sie fing an einzusehen, daß das Geschäft
  • nicht so übel wäre; nur war es schon gar zu neu und unerhört, und sie
  • fürchtete, der Käufer könne sie wohl gar übers Ohr hauen. War er doch
  • Gott weiß woher und noch zu so später Stunde herein geschneit.
  • »Also schlagen Sie ein, Mütterchen,« sprach Tschitschikow.
  • »Wahrhaftig, Väterchen, Verstorbene habe ich noch nie verkauft.
  • Lebendige schon öfters, so noch vor drei Jahren: da habe ich dem
  • Protopopoff zwei Mädchen überlassen, jede für hundert Rubel; und er war
  • sehr zufrieden. Es sind vorzügliche Arbeiterinnen geworden. Sie können
  • sogar Servietten weben.«
  • »Hier handelt es sich aber nicht um Lebende. Gott mit ihnen! Ich brauche
  • Tote!«
  • »Wirklich, ich fürchte vor allem, ein schlechtes Geschäft zu machen. Du
  • willst mich am Ende betrügen, Väterchen. Vielleicht sind sie ..., kosten
  • sie gar viel mehr.«
  • »Hören Sie, Mütterchen ... Wie Sie sich bloß anstellen! Was können sie
  • denn wert sein; überlegen Sie sich es doch nur! Das ist doch nichts!
  • Begreifen Sie doch, ein reines Nichts! Nehmen Sie das letzte, unnützeste
  • Ding, sagen wir sogar irgend einen alten Lappen: selbst der hat noch
  • einen Wert; den kauft Ihnen noch der Lumpenhändler ab. Aber die da, die
  • braucht doch überhaupt Keiner! Nein, sagen sie selbst, zu was sind sie
  • nütze!?«
  • »Das ist schon ganz richtig! Freilich sind sie nichts nütze. Mich hält
  • auch nur ab, daß sie schon tot sind.«
  • »Herr Gott, ist das eine klotzige Dickköpfigkeit,« sagte Tschitschikow
  • zu sich selber, und fing bereits an, die Geduld zu verlieren. »Mit der
  • soll einer auskommen. Wahrhaftig, ich schwitze! Verdammte Alte!« Und er
  • nahm sein Schnupftuch aus der Tasche und wischte sich den Schweiß von
  • der Stirne. Übrigens hatte Tschitschikow eigentlich keinen Grund zu
  • seinem Ärger. Es gibt höchst achtbare Leute, sogar unter den
  • Staatsmännern, die, wenn man näher zusieht, auch nicht besser wie
  • Karobotschka sind. Hat sich so einer mal was in den Kopf gesetzt, so
  • bringst du es mit zehn Pferden nicht wieder heraus. Mach ihm Einwände
  • soviel du willst. Sie mögen so klar sein wie der lichte Tag, sie prallen
  • doch immer wieder zurück wie ein Gummiball von einer Steinmauer. Nachdem
  • sich Tschitschikow den Schweiß abgetrocknet hatte, kam er auf den
  • Gedanken, noch einen Versuch zu machen, ob es ihm etwa gelänge, sie von
  • einer anderen Seite her auf den rechten Weg zu bringen.
  • »Mütterchen,« sagte er, »entweder Sie wollen mich nicht verstehen, oder
  • Sie reden das alles nur, um nur überhaupt etwas zu reden ... Ich gebe
  • Ihnen Geld, fünfzehn Rubel in Banknoten; verstehen Sie? Das ist doch
  • Geld und liegt nicht auf der Straße. Wie teuer haben Sie zum Beispiel
  • Ihren Honig verkauft? Gestehen Sie mal!«
  • »Für zwölf Rubel das Pud.«
  • »Versündigen Sie sich nicht, Mütterchen! Zwölf haben Sie gewiß nicht
  • dafür bekommen.«
  • »Bei Gott, Väterchen!«
  • »Nun also sehen Sie, dafür war das auch Honig. Sie haben vielleicht ein
  • Jahr gebraucht, voller Sorgen und Mühe und Arbeit, bis Sie ihn
  • einsammeln konnten. Sind hin und her gefahren; haben die armen Bienen
  • geplagt. Sie einen ganzen Winter über im Keller gefüttert. Sehen Sie
  • wohl! Dagegen die toten Seelen, die sind doch nicht von dieser Welt. An
  • die haben Sie keinerlei Mühe und Arbeit gewendet. Es war halt Gottes
  • Wille, daß sie diese Welt verlassen und ihrem Hause Abbruch tun mußten.
  • Dort haben Sie für alle Ihre Sorge und Mühe zwölf Rubel bekommen, und
  • hier sollen Sie für ein reines Nichts, ganz umsonst, nicht zwölf,
  • sondern sogar fünfzehn Rubel und nicht in Silber, sondern in lauter
  • schönen blauen Scheinen ausbezahlt erhalten.« Nachdem Tschitschikow so
  • starke und überzeugende Gründe ins Feld geführt hatte, zweifelte er kaum
  • noch, daß die Alte endlich nachgeben werde.
  • »Nein wirklich,« versetzte die Gutsbesitzerin, »ich bin eine arme und
  • unerfahrene Witwe, lieber will ich noch ein wenig warten, bis noch
  • andere Käufer kommen. Damit ich mich über den Preis vergewissern kann.«
  • »Schämen Sie sich, Mütterchen! Denken Sie bloß selbst, was Sie da reden.
  • Wer wird denn so etwas kaufen wollen. Was soll er denn bloß damit
  • anfangen.«
  • »Vielleicht kann man sie doch bei Gelegenheit in der Wirtschaft
  • verwenden ...« erwiderte die Alte. -- Aber sie vollendete ihre Rede
  • nicht, machte den Mund auf und starrte ihn beinahe mit Entsetzen an,
  • gespannt auf seine Antwort harrend.
  • »Die Toten in der Wirtschaft! -- Herr Gott, wozu Sie sich wieder
  • verstiegen haben! Etwa um nachts die Spatzen in Ihrem Garten zu
  • scheuchen?! Wie?«
  • »Heiliger Jesus hilf uns! Welch schreckliche Dinge du da sprichst,«
  • sagte die Alte, indem sie das Kreuz schlug.
  • »Wozu wollen Sie sie denn sonst verwenden? Übrigens das Grab und die
  • Knochen können sie ja behalten. Der Kauf findet ja nur auf dem Papiere
  • statt. Nun also wie steht es? Geben Sie mir doch zum wenigsten eine
  • Antwort.«
  • Die Alte versank wieder in Nachdenken.
  • »Woran denken Sie bloß, Nastassja Petrowna?«
  • »Wirklich, ich weiß nicht recht, was ich da machen soll? Kaufen Sie mir
  • lieber etwas Hanf ab!«
  • »Ach was Hanf! Ich bitte Sie! Ich will was ganz anderes von Ihnen, und
  • Sie schwatzen mir Ihren Hanf auf. Lassen Sie den Hanf ruhig Hanf
  • bleiben! Wenn ich ein anderes Mal vorspreche, kaufe ich Ihnen vielleicht
  • auch Hanf ab. Nun, wie ist es, Nastassja Petrowna?«
  • »Bei Gott es ist eine so seltene Ware, mit der ich noch nie was zu tun
  • gehabt habe.«
  • Hier war Tschitschikows Geduld zu Ende. In seiner Wut packte er einen
  • Stuhl, stieß ihn auf die Erde und wünschte ihr den Teufel an den Hals.
  • Vor dem Teufel war die Gutsbesitzerin aufs höchste entsetzt.
  • »Ach, sprich mir nicht von ihm! Gott mit ihm!« rief sie aus und
  • erbleichte. »Noch die ganze vorige Nacht hab ich ihn fortwährend im
  • Traume gesehen, den Verfluchten. Ich wollte mir nach dem Gebet noch
  • einmal die Karten legen. Da hat ihn mir Gott offenbar zur Strafe
  • hergesandt. So greulich sah er aus. Seine Hörner waren länger als die
  • eines Ochsen.«
  • »Ich wundere mich, daß sie Ihnen nicht zu Dutzenden erscheinen! Mich
  • leitet nichts wie die reinste Christenliebe; ich sehe eine arme Witwe,
  • die sich plagt und Not leidet ... Daß du doch krepiertest zusamt deinem
  • Gute.«
  • »Ach, was für schreckliche Flüche du da ausstößt,« sagte die Alte und
  • sah ihn entsetzt an.
  • »Wahrhaftig, es fehlen einem ja die Worte, rein wie ein -- entschuldigen
  • Sie den harten Ausdruck -- wie ein Kettenhund, der auf seinem Stroh
  • liegt; frißt das Stroh selbst nicht und läßt doch keinen andern ran. Ich
  • wollte Ihnen allerhand von Ihren landwirtschaftlichen Erzeugnissen
  • abkaufen, weil ich ja auch Lieferungen für den Staat übernehme ...« Hier
  • log er etwas hinzu, so ganz nebenher, und ohne es sich recht überlegt zu
  • haben, aber sehr geschickt.
  • Diese Lieferungen für den Staat machten einen tiefen Eindruck auf
  • Nastassja Petrowna; wenigstens sagte sie mit beinahe flehender Stimme:
  • »Warum wirst du denn gleich so zornig? Hätte ich früher gewußt, daß du
  • so wild werden kannst, dann hätte ich lieber garnicht widersprochen.«
  • »Ach was, ich bin garnicht zornig! Die ganze Sache ist keine ausgepreßte
  • Zitrone wert. Und ich sollte mich ärgern?«
  • »Schön, schön, ich will sie dir ja für 15 Rubelscheine lassen. Nur eins,
  • Väterchen, vergiß mich nicht bei den Lieferungen, wenn du etwa Roggen
  • oder Gerstenmehl oder Buchweizen oder Fleisch brauchen solltest.«
  • »Nein, nein, Mütterchen, ich werde dich schon nicht vergessen,« sagte
  • er, während er sich den Schweiß mit der Hand abtrocknete, der in drei
  • Sturzbächen über sein Gesicht floß. Er erkundigte sich bei ihr, ob sie
  • nicht in der Stadt einen Vertrauensmann beim Gericht, einen Vertreter
  • oder einen Bekannten habe, den sie zum Abschluß des Kaufkontraktes und
  • aller übrigen notwendigen Maßnahmen bevollmächtigen könnte. »Gewiß, den
  • Probst, Vater Kirill; sein Sohn ist am Gericht,« sagte Karobotschka.
  • Hierauf bat Tschitschikow sie, ihm eine Vollmacht zu schicken, ja er
  • übernahm es sogar, diese selbst aufzusetzen, um der Alten jegliche
  • unnütze Arbeit zu ersparen.
  • »Es wäre doch gut,« dachte unterdes Karobotschka, »wenn er mir etwas
  • Mehl und Vieh für den Staat abnähme. Ich muß ihn für mich gewinnen. Es
  • ist noch etwas Teig von gestern abend da. Ich will mal hingehen und der
  • Fetinja sagen, sie soll Pfannkuchen backen. Auch eine Eierpastete von
  • Butterteig wäre nicht übel. Die macht sich sehr gut, und es nimmt nicht
  • viel Zeit weg.« Damit ging die Hausfrau hinaus, um ihren Plan mit der
  • Pastete auszuführen und ihn noch durch andere Produkte der häuslichen
  • Koch- und Backkunst zu ergänzen. Tschitschikow aber ging in den Salon,
  • in dem er die Nacht zugebracht hatte, um die notwendigen Papiere aus
  • seiner Schatulle zu holen. Das Zimmer war schon längst aufgeräumt, die
  • üppigen Plumeaus und Unterbetten waren hinausgeschafft. Vor dem Sofa
  • stand ein Tisch mit einer Decke darauf. Er setzte seine Schatulle auf
  • ihn und ließ sich auf das Sofa nieder, um ein wenig auszuruhen; denn er
  • fühlte, daß er ganz in Schweiß gebadet sei: alles, was er am Leibe trug,
  • vom Hemd bis zu den Strümpfen, war vollständig naß. »Hat die mir
  • zugesetzt, die verfluchte Alte,« sagte er, nachdem er ein wenig
  • ausgeruht hatte, und öffnete die Schatulle. Der Autor ist überzeugt, daß
  • mancher Leser neugierig sein wird, den Plan und die innere
  • Fächereinteilung der Schatulle kennen zu lernen. Meinetwegen, warum
  • sollte ich diese Neugierde nicht befriedigen. Also, da habt ihr sie, die
  • Einteilung; in der Mitte befindet sich der Seifennapf; auf den
  • Seifennapf folgen sechs bis sieben schmale Fächer für die Rasiermesser.
  • Dann kommen zwei viereckige Behältnisse für die Streusandbüchse und das
  • Tintenfaß. Zwischen beiden ist eine Rille für Federn, Siegellack und
  • Gegenstände von längerer Statur. Weiter folgten allerhand Fächer _mit_
  • Deckel und _ohne_ Deckel, für die kürzeren Gegenstände, welche mit
  • Visitenkarten, Beerdigungsanzeigen, Theaterbilleten und anderen Zetteln
  • angefüllt waren, die hier als Reminiszenzen ruhten. Das ganze obere
  • Kästchen mit all seinen Fächern ließ sich herausheben. Unter ihm öffnete
  • sich ein weiter Raum, in dem Stöße von Papier in Bogengröße
  • aufgeschichtet lagen. Darunter befand sich ein kleines verborgenes
  • Kästchen, das sich unauffällig seitlich auftat, in dem er sein Geld zu
  • bewahren pflegte. Dieses Kästchen wurde von seinem Besitzer stets mit
  • einer solchen Geschwindigkeit auf- und im selben Augenblick wieder
  • zugemacht, daß man nicht mit Sicherheit angeben konnte, wieviel Geld es
  • enthielt. Tschitschikow ging sogleich an die Arbeit, schnitt die Feder
  • zurecht und begann zu schreiben. In diesem Moment trat die Hausfrau ins
  • Zimmer.
  • »Hast du aber einen schönen Kasten, Väterchen!« sagte sie, indem sie
  • sich neben ihn setzte, »den hast du wohl in Moskau gekauft?«
  • »Ja, in Moskau,« antwortete Tschitschikow und fuhr fort zu schreiben.
  • »Ich weiß, dort kriegt man's nur gut. Vor zwei Jahren hat meine
  • Schwester gefütterte Stiefel für die Kinder von dort mitgebracht.
  • Vortreffliche Ware! So dauerhaft! Sie tragen sie noch heute. Ach, hast
  • du viel Stempelpapier,« fuhr sie fort, während sie einen Blick in die
  • Schatulle warf. Und in der Tat, es war sehr viel Papier darin. »Du
  • könntest mir ein paar Bogen schenken. Bei mir herrscht solch ein Mangel
  • daran. Es kommt doch vor, daß man ein Schreiben ans Gericht zu senden
  • hat. Dann ist immer kein Papier da.«
  • Tschitschikow erklärte ihr, das sei kein Papier, wie sie es wünschte. Es
  • sei nur für Kaufkontrakte, und nicht für Gesuche geeignet. Übrigens gab
  • er ihr, um sie zu beruhigen, einen Bogen im Werte von einem Rubel.
  • Nachdem er seinen Brief vollendet hatte, ließ er sie unterschreiben und
  • bat sie um ein kurzes Verzeichnis der Bauern. Es stellte sich heraus,
  • daß die Gutsbesitzerin gar keine Listen über ihre Bauern führte, sondern
  • ihre Namen nur auswendig wußte. Er forderte sie auf, ihm diese zu
  • diktieren. Mehrfach geriet er in höchstes Erstaunen über ihre
  • Familiennamen und mehr noch über ihre Spitznamen, sodaß er jedesmal beim
  • Hören ein wenig innehielt, ehe er sie niederschrieb. Einen besondern
  • Eindruck machte auf ihn ein gewisser Peter Saweljew genannt der
  • Waschtrogverächter, sodaß er sich nicht enthalten konnte, auszurufen:
  • »Ist das aber ein langer Kerl!« Ein anderer trug den Beinamen Kuhfladen.
  • Ein dritter wurde einfach Johann das Rad genannt. Nachdem er mit dem
  • Schreiben fertig war, sog er die Luft tief durch die Nase ein und roch
  • den Duft einer in Butter schmorenden Speise.
  • »Bitte bedienen Sie sich,« sagte die Wirtin. Tschitschikow sah sich um
  • und bemerkte, daß der Tisch mit leckeren Gerichten reich besetzt war; da
  • gab es Pilze, Gebäck, Spiegeleier, Pfannkuchen, Käsekeulchen,
  • Splittertörtchen und Fladen mit allerhand Pastetchen: Pastetchen mit
  • Zwiebeln, Pastetchen mit Mohn, Pastetchen mit Quark, Pastetchen mit
  • Stinten und weiß Gott, was sonst noch alles.
  • »Bitte, vielleicht eine Eierpastete aus Butterteig gefällig?« sagte die
  • Wirtin.
  • Tschitschikow rückte näher an die Eierpastete aus Butterteig heran, und
  • sprach sich sehr lobend über sie aus, nachdem er eine gute Hälfte von
  • ihr verspeist hatte. Und in der Tat, die Pastete war schon an und für
  • sich nicht übel; nach all den Plackereien und dem Geplänkel mit der
  • Alten aber schmeckte sie noch weit vorzüglicher.
  • »Nehmen Sie Pfannkuchen?« sagte die Wirtin. Als Antwort auf diese Frage,
  • spießte Tschitschikow gleich drei Pfannkuchen auf, rollte sie zusammen,
  • tauchte sie in die geschmolzene Butter und beförderte sie in den Mund,
  • worauf er sich Lippen und Hände mit der Serviette abwischte. Nachdem er
  • dieses etwa dreimal wiederholt hatte, bat er die Hausfrau die Pferde
  • anspannen zu lassen. Nasstassja Petrowna schickte Fetinja sofort in den
  • Hof hinunter, und trug ihr zugleich auf, noch ein paar heiße Pfannkuchen
  • mitzubringen.
  • »Ihre Pfannkuchen sind ausgezeichnet, Mütterchen,« sagte Tschitschikow,
  • indem er sich über die frischen Pfannkuchen hermachte.
  • »Ja, das versteht meine Köchin sehr gut,« versetzte die Hausfrau,
  • »leider war nur die Ernte so schlecht, und das Mehl ist nicht so gut
  • geraten. Aber warum eilen Sie so? Väterchen?« fuhr sie fort, als sie
  • sah, daß Tschitschikow schon seinen Hut in der Hand hielt, »der Wagen
  • ist ja noch gar nicht fertig.«
  • »Oh der ist schnell fertig, Mütterchen. Bei mir geht das sehr schnell.«
  • »Nicht wahr, Sie vergessen mich also nicht bei den Lieferungen?«
  • »Nein, nein,« sagte Tschitschikow, während er in den Flur hinaustrat.
  • »Sie wollen mir also keinen Speck abkaufen?« sagte die Hausfrau, indem
  • sie ihn hinausbegleitete.
  • »Warum nicht? Gewiß kaufe ich Ihnen welchen ab. Nur nicht gleich jetzt.«
  • »Zu Ostern werde ich schönen Speck haben.«
  • »Seien Sie ruhig, ich kaufe Ihnen welchen ab; ich kaufe ihnen alles ab,
  • was Sie wollen, auch Schweinespeck.«
  • »Vielleicht brauchen Sie auch Daunen? Während der Weihnachtsfasten werde
  • ich auch Daunen haben.«
  • »Schön, schön,« sagte Tschitschikow.
  • »Siehst du wohl, Väterchen, dein Wagen ist noch nicht fertig,« sprach
  • die Hausfrau, als sie auf die Treppe hinaustraten.
  • »Er ist gleich fertig. Sagen Sie mir bloß, wie ich auf die große
  • Landstraße gelange.«
  • »Wie mache ich das nur?« sagte die Hausfrau. »Es ist nicht leicht, dir
  • das klar zu machen, man muß so oft wenden; vielleicht ist es das Beste,
  • ich gebe dir ein Mädchen mit, die dir den Weg zeigt. Du wirst doch auf
  • dem Bock noch einen Platz haben, wo sie sich hinsetzen kann.«
  • »Natürlich.«
  • »Nun gut, dann gebe ich dir das Mädel mit, sie kennt den Weg, entführt
  • sie mir nur nicht gar, hörst du, neulich haben mir schon ein paar
  • Kaufleute einmal eine weggeholt.«
  • Tschitschikow gab ihr das Versprechen, das Mädchen nicht zu entführen
  • und Karobotschka kehrte wieder beruhigt zur Durchmusterung ihres Hofes
  • zurück. Erst glotzte sie die Haushälterin an, welche eine hölzerne Kanne
  • mit Honig aus der Speisekammer holte. Dann warf sie einen Blick auf
  • einen Bauern, -- der im Torweg erschien, um allmählich immer mehr in
  • ihrem Haushalt unterzutauchen. Wozu aber beschäftigen wir uns eigentlich
  • so lange mit Karobotschka? Was ist uns Karobotschka, Manilow,
  • wirtschaftliches oder unwirtschaftliches Leben? Lassen wir sie! Ist es
  • nicht wunderbar eingerichtet in dieser Welt! Jede Freude geht, ehe man
  • sich's versieht, in Trauer über, wenn man sich gar zu lange bei ihr
  • aufhält, und Gott weiß, was sich einem dann für Gedanken aufdrängen! Man
  • könnte gar auf die Idee kommen: Wie!? Steht denn Karobotschka wirklich
  • so tief auf der unendlich langen Stufenleiter menschlicher
  • Vollkommenheit? Sollte er wirklich so tief sein, der Abgrund, der sie
  • von ihrer Schwester trennt. Von ihr, welche unnahbare Mauern eines
  • aristokratischen Hauses mit seinen lieblich duftenden gußeisernen
  • Treppen beschützen, die mit Kupferglanz, Mahagoniholz und kostbaren
  • Teppichen prunken. Von ihr, welche gähnend neben ihrem halbgelesenen
  • Buche sitzt, in unruhiger Erwartung des weltmännisch-geistreichen
  • Besuchers, in dessen Gegenwart sich ihrem Geiste ein Feld eröffnet, wo
  • sie ihren Verstand leuchten und eingelernte Gedanken spielen lassen
  • kann. -- Gedanken, welche nach der heiligen Satzung der Mode eine ganze
  • Stadt wochenlang beschäftigen, Gedanken, die sich nicht darum drehen,
  • was in ihrem Hause und auf ihren Gütern vorgeht, die in Unordnung
  • geraten darniederliegen, sondern allein darauf gerichtet sind, welche
  • Umwälzung in der französischen Politik bevorsteht, oder welche Wendung
  • der moderne Katholizismus nehmen wird. Doch weiter, weiter! Wozu über
  • diese Dinge reden? Aber warum fällt bisweilen in Augenblicken froher,
  • sorgenfreier Gedankenlosigkeit wie von selbst ein wundersamer Strahl in
  • uns hinein? Noch fand das Lächeln kaum Zeit, dem Gesichte zu
  • entschwinden, und schon verwandelte es sich bei demselben Menschen in
  • ein anderes, und ein neues Licht erleuchtet jetzt sein Antlitz?
  • »Da ist er, da ist ja mein Wagen,« rief Tschitschikow, als er seine
  • Kutsche heranrollen sah, »was hast du nur solange getrödelt, du Esel!
  • Dein Rausch von gestern ist wohl noch nicht ganz verflogen.«
  • Hierauf erwiderte Seliphan kein Wort.
  • »Leben Sie wohl, Mütterchen! Nun wo ist Ihr Mädchen?«
  • »Heh! Pelagia!« rief die Alte einem Mädchen von etwa elf Jahren zu, das
  • in der Nähe der Treppe stand. Die Kleine hatte ein selbstgewebtes,
  • farbiges Leinenkleid an. Sie war barfüßig, und schien doch Stiefeln
  • anzuhaben, denn ihre Füße waren bis oben hinauf mit frischem
  • Straßenschmutz bedeckt. »Zeig dem Herrn den Weg!«
  • Seliphan half dem Mädchen auf den Bock, welches zuerst mit einem Fuß auf
  • das Trittbrett stieg, das sie bei dieser Gelegenheit ein wenig
  • beschmutzte. Hierauf schwang sie sich auf den Kutschersitz, wo sie sich
  • neben Seliphan niederließ. Nach ihr setzte Tschitschikow seinen Fuß auf
  • das Trittbrett und nahm endlich im Wagen Platz, der sich unter seinem
  • Gewichte nach rechts beugte. »So, jetzt ist alles in Ordnung. Leben Sie
  • wohl Mütterchen!« mit diesen Worten verabschiedete er sich von der
  • Gutsbesitzerin und die Pferde zogen an.
  • Seliphan war den Weg über sehr ernst und streng und widmete sich seinem
  • Dienst mit großer Aufmerksamkeit, was immer dann zu geschehen pflegte,
  • wenn er etwas verschuldet hatte oder betrunken gewesen war. Die Pferde
  • waren von einer bewundernswerten Sauberkeit. Das Kummet bei dem einen,
  • welches gewöhnlich zerlocht und zerfetzt war, sodaß das Werg unter dem
  • Leder hervorquoll, war sorgfältig genäht und ausgebessert. Er war
  • während des ganzen Weges sehr schweigsam, schwang nur hin und wieder die
  • Peitsche und unterließ es vollkommen, seine Pferde mit lehrhaften Reden
  • zu beehren, obwohl der Schecke natürlich gerne eine Belehrung
  • entgegengenommen hätte. Denn während einer solchen Rede pflegte der
  • wortfrohe Wagenlenker die Zügel immer recht lose in der Hand zu halten,
  • und er ließ auch die Peitsche nur _pro forma_ über den Rücken der Pferde
  • hüpfen. Aber der finstere Mund ließ dieses Mal nur monotone und
  • unfreundliche Ausrufe vernehmen, wie: »Hüh! Hüh! alte Krähe! was
  • trödelst du!« sonst nichts. Aber selbst der Braune und der Assessor
  • waren nicht zufrieden, weil sie kein einziges freundliches und Achtung
  • zollendes Wort zu hören bekamen. Der Schecke erhielt sogar häufig
  • äußerst unangenehme Schläge auf seine weichen, wohlgerundeten
  • Körperteile. »Sieh mal, was in den gefahren ist!?« dachte er sich, indem
  • er seine Ohren ein wenig spitzte. »Der weiß auch, wohin er haut; sucht
  • sich nicht etwa den Rücken aus, sondern gerade die empfindlichsten
  • Stellen. Schlägt einem die Peitsche um die Ohren oder geht einem sogar
  • an den Bauch.«
  • »Rechts? Wie?« Mit dieser trockenen Frage wandte sich Seliphan an das
  • neben ihm sitzende Mädchen, indem er mit der Peitsche auf den vom Regen
  • geschwärzten Weg hinwies, der sich zwischen frischen, in hellem Grün
  • leuchtenden Feldern dahinzog.
  • »Nein, noch nicht! Ich werde es dir schon sagen!« antwortete das
  • Mädchen.
  • »Nun, wohin denn?« fragte Seliphan, als sie sich dem Kreuzweg näherten.
  • »Dorthin!« sagte das Mädchen, indem es mit dem Finger die Richtung
  • anzeigte.
  • »Ach! du!« sagte Seliphan, »das ist doch rechts! Kann rechts und links
  • nicht unterscheiden.«
  • Obwohl der Tag sehr heiter war, war die Straße derartig schmutzig, daß
  • der Kot an den Wagenrädern kleben blieb und sie bald wie mit einer
  • Filzschicht bedeckte, was die Equipage am Fortkommen hinderte. Dazu war
  • der Boden noch sehr locker und lehmig. Dieses war die Ursache, daß sie
  • die Landstraße nicht vor Mittag erreichten. Ohne das Mädchen wäre es
  • ihnen wahrscheinlich auch schwerlich gelungen, weil die Wege nach allen
  • Richtungen auseinanderliefen, wie gefangene Krebse, wenn man sie aus dem
  • Netze schüttet. Und Seliphan hätte sich ohne seine Schuld leicht
  • verirren können. Bald darauf zeigte das Mädchen mit der Hand auf ein
  • Gebäude, das in der Ferne sichtbar wurde, und sagte: »Da ist die
  • Poststraße.«
  • »Und was ist das für ein Gebäude?« fragte Seliphan.
  • »Ein Wirtshaus,« sagte das Mädchen.
  • »So, nun werden wir schon selbst den Weg finden. Du kannst jetzt nach
  • Hause gehen.«
  • Er hielt an und half ihr beim Absteigen, während er vor sich
  • hinmurmelte: »Du Dreckbein!«
  • Tschitschikow gab ihr eine Kupfermünze, und sie lief munter nach Hause,
  • hocherfreut, daß sie auf dem Kutschbock hatte fahren dürfen.
  • Viertes Kapitel
  • Als man sich dem Wirtshause näherte, ließ Tschitschikow anhalten und
  • zwar aus zwei Gründen. Einmal wollte er die Pferde ausruhen lassen, und
  • dann wünschte er auch selbst etwas zu sich zu nehmen und sich zu
  • stärken. Der Autor muß gestehen, daß er diese Art Leute um ihren guten
  • Magen und ihren Appetit aufrichtig beneidet. Für ihn haben jene große
  • Herren nur wenig Bedeutung, welche in Petersburg oder Moskau wohnen und
  • deren ganze Zeit im Nachdenken darüber aufgeht, was sie morgen zu Mittag
  • speisen werden, und was für ein Menu sie für übermorgen zusammenstellen
  • könnten, sie, die sich nicht eher an die Mittagstafel setzen, bevor sie
  • ein paar Pillen geschluckt und ein paar Austern oder Krabben und andere
  • Meerwunder verschlungen haben, um sich zum Schluß nach Karlsbad oder in
  • den Kaukasus zu begeben. Nein, diese Herrschaften haben nie den Neid des
  • Autors wachrufen können. Wohl aber jene mittleren Leute, welche auf
  • _einer_ Station eine Portion Schinken bestellen, auf der nächsten ein
  • Spanferkel, auf der dritten ein Stück Stör oder Bratwurst mit Knoblauch,
  • und die sich dann zu Tische setzen, wie wenn nichts passiert wäre, und
  • zwar zu jeder beliebigen Zeit. Die Suppe aus Quappe, Sterlet und
  • Fischmilch zischt und brodelt zwischen ihren Zähnen, begleitet von
  • Fischpasteten oder einer Welspirogge, sodaß bei jedem Unbeteiligten der
  • Appetit rege werden muß. -- Diese Leute erfreuen sich einer
  • beneidenswerten Himmelsgabe. Mehr als einer von den großen Herren würde
  • sofort die Hälfte seiner Bauern und der verpfändeten und unverpfändeten
  • Güter mit all ihren modernen Errungenschaften, die das In- und Ausland
  • hervorbrachten, darangeben, um nur einen solchen Magen zu haben, wie so
  • ein Mann des guten Bürgerstandes. Das Unglück ist leider nur, daß man
  • sich weder für Geld noch Güter mit und ohne Errungenschaften einen
  • solchen Magen zulegen kann, wie ihn ein Herr der mittleren Stände
  • besitzt.
  • Das hölzerne, verwitterte Wirtshaus nahm Tschitschikow unter sein
  • gastliches Vordach, welches auf gedrechselten Säulen ruhte, die große
  • Ähnlichkeit mit altertümlichen Kirchenleuchtern hatten. Dieses Wirtshaus
  • war eine Art russische Bauernhütte, nur in etwas größerem Maßstab. Die
  • mit Schnitzwerk verzierten Karnise aus frischem Holze um die Fenster
  • herum und unter dem Dach hoben sich lebhaft von den dunklen Wänden ab.
  • Auf den Fensterläden waren Krüge mit Blumen abgebildet.
  • Nachdem Tschitschikow die enge Holztreppe hinaufgestiegen war, betrat er
  • den breiten Flur. Hier stieß er auf eine Tür, welche sich knarrend
  • auftat, sowie auf ein dickes altes Weib in einem bunten Kattunkleid, das
  • ihn mit folgenden Worten anredete: »Hierher, bitte!« In dem Gastzimmer
  • fand er lauter alte Bekannte, denen man immer in den kleinen hölzernen
  • Wirtshäusern an der Landstraße begegnet; den dampfbeschlagenen Samowar,
  • die glatt gehobelten Wände aus Fichtenholz, ein dreieckiges Spind mit
  • Teekannen und Tassen in der Ecke, vergoldete Porzellaneier vor den
  • Heiligen-Bildern, die an blauen und roten Bändern hingen, eine Katze,
  • die vor kurzem Junge geworfen hatte, einen Spiegel, der statt zwei Augen
  • vier und statt eines Gesichtes eine Art Pfannkuchen erkennen ließ,
  • endlich Sträuße aus wohlriechenden Kräutern und Nelken, welche hinter
  • die Heiligenbilder gesteckt und schon so stark vertrocknet waren, daß
  • jeder, den die Lust anwandelte an ihnen zu riechen, zu niesen begann,
  • sonst aber unbefriedigt blieb.
  • »Haben Sie Spanferkel?« Mit dieser Frage wandte sich Tschitschikow an
  • die dicke Alte.
  • »Gewiß!«
  • »Mit Meerrettich und saurer Sahne?«
  • »Freilich mit Sahne und Meerrettich.«
  • »Her damit!«
  • Die Alte ging, kramte im Speiseschrank umher und brachte einen Teller,
  • eine Serviette, steif gestärkt wie getrocknete Baumrinde, ferner ein
  • Messer mit einem gelblichen Knochengriff, und einer Klinge, dünn wie die
  • eines Federmessers und schließlich eine zweizinkige Gabel und ein
  • Salzfaß, das durchaus nicht geradestehen wollte.
  • Unser Held ließ sich nach seiner Gewohnheit sogleich in ein Gespräch mit
  • ihr ein. Er erkundigte sich, ob sie selbst die Besitzerin des Gasthofes
  • oder ob noch ein Wirt da sei; wieviel das Geschäft abwerfe; ob ihre
  • Söhne bei ihr wohnten; was der älteste Sohn für einen Beruf habe und ob
  • er schon verheiratet oder noch Junggeselle sei; was er für eine Frau
  • genommen habe, mit oder ohne Mitgift; ob der Schwiegervater zufrieden
  • und ob der Sohn nicht ärgerlich gewesen sei, daß er zu wenig
  • Hochzeitsgeschenke bekommen habe. Mit einem Wort, er vergaß nicht das
  • Mindeste. Es versteht sich von selbst, daß er auch Erkundigungen darüber
  • einzog, was für Gutsbesitzer in der Nähe wohnten, und er erfuhr, daß es
  • deren verschiedene gäbe, einen gewissen Blochin, Potschitajew, Mylny,
  • Oberst Tscherpakow, Sabakewitsch. »Ah! du kennst Sabakewitsch?« fragte
  • er die Alte, und er hörte sogleich, daß sie nicht nur Sabakewitsch,
  • sondern auch Manilow kenne, und daß Manilow etwas »dewikater« sei als
  • Sabakewitsch. »Er bestellte sofort ein Huhn oder Kalbsbraten; gibt es
  • Hammelleber, so verlangt er auch Hammelleber und ißt von allem nur ein
  • wenig. Dagegen bestellt Sabakewitsch immer nur ein einziges Gericht, das
  • er dann aber auch ganz aufißt. Ja, er verlangt sogar noch eine größere
  • Portion für dasselbe Geld.«
  • Während er sich in dieser Weise unterhielt und vergnügt sein Spanferkel
  • verzehrte, von dem nur noch ein kleines Stück auf dem Teller übrig
  • blieb, hörte er plötzlich das Rädergerassel einer heranrollenden
  • Equipage. Er blickte zum Fenster hinaus und sah eine zierliche Kutsche
  • vor dem Wirtshaus halten, die mit drei braven Pferden bespannt war. Aus
  • dem Wagen stiegen zwei Herren heraus. Der eine von ihnen war blond und
  • von hohem Wuchs, der andere etwas kleiner und brünett. Der Blonde trug
  • eine dunkelblaue Joppe, der andere hatte eine gewöhnliche buntgestreifte
  • Morgenjacke aus Bucharischem Stoffe an. Von ferne sah man noch ein
  • leeres Wägelchen herankommen, das von einem langhaarigen Viergespann mit
  • zerrissenen Halsbügeln und Halftern von Hanf gezogen wurde. Der Blonde
  • lief sofort die Treppe hinauf, während der Dunkelhaarige noch ein wenig
  • unten blieb, den Wagen untersuchte und, während er sich mit dem Knechte
  • unterhielt, dem herankommenden Gefährt allerhand Zeichen gab.
  • Tschitschikow kam seine Stimme ein wenig bekannt vor. Während er ihn
  • betrachtete, hatte der Blonde bereits die Tür gefunden und öffnete sie
  • eben. Dies war ein hochgewachsener Mann mit schmalem Gesicht oder, wie
  • man zu sagen pflegt, mit etwas verlebten Zügen und kleinem roten
  • Schnurrbart. Nach seiner gebräunten Gesichtsfarbe zu urteilen, hatte er
  • schon oft im Dampfe gestanden, wenn nicht im Pulverdampf, so doch im
  • Tabaksdampf. Er verbeugte sich höflich gegen Tschitschikow, worauf jener
  • mit einer gleichen Verbeugung antwortete. Sie hätten sicherlich schon
  • nach wenigen Minuten eine Unterhaltung angeknüpft und nähere
  • Bekanntschaft mit einander gemacht, weil der erste Schritt dazu ja schon
  • getan war und beide fast zu gleicher Zeit ihre Freude darüber äußerten,
  • daß der Staub auf der Landstraße durch den gestrigen Regen vollständig
  • niedergeschlagen und daß die Reise jetzt angenehm und kühl sei, wenn
  • nicht sein schwarzhaariger Gefährte plötzlich ins Zimmer getreten wäre;
  • er riß seinen Hut vom Kopfe und warf ihn auf den Tisch, indem er sich
  • mit einer kühnen Handbewegung durch das Haar fuhr. Dies war ein Mann von
  • mittlerem Wuchs, ein stattlicher Kerl mit vollen rosigen Wangen,
  • schneeweißen blitzenden Zähnen und pechschwarzem Backenbart. Dazu hatte
  • er so frische Farben wie Blut und Milch; sein Gesicht strotzte förmlich
  • vor Gesundheit.
  • »Ba, Ba, Ba,« rief er plötzlich und breitete beim Anblick Tschitschikows
  • die Arme weit aus. »Was führt Sie hierher?«
  • Hier erkannte Tschitschikow, daß es Nosdrjow war, jener Herr mit dem er
  • beim Staatsanwalt gespeist und der sich mit ihm schon nach wenigen
  • Minuten so vertraut gemacht hatte, daß er ihn zu duzen begann, obwohl
  • ihm Tschitschikow seinerseits nicht die geringste Veranlassung dazu
  • gegeben hatte.
  • »Wo warst du?« fragte Nosdrjow und fuhr ohne die Antwort abzuwarten,
  • sogleich fort: »Ich komme von der Messe lieber Freund; du kannst mir
  • gratulieren. Ich bin blank; ich habe den letzten Heller dagelassen. Du
  • wirst mir's nicht glauben, daß ich noch nie in meinem Leben so blank
  • war. Ich habe mir eine Droschke mieten müssen. Sieh einmal aus dem
  • Fenster; da steht sie noch!« Hierbei drückte er Tschitschikows Kopf
  • herunter, sodaß dieser sich beinah am Fensterkreuz gestoßen hätte. »Sieh
  • doch die Klepper an, die verdammten Viecher haben mich kaum bis hierher
  • geschleppt. -- Ich mußte schließlich sogar in seinen Wagen steigen.« Bei
  • diesen Worten zeigte Nosdrjow mit dem Finger auf seinen Gefährten:
  • »Ah -- ihr seid noch nicht bekannt. Mein Schwager Mishujew! Wir haben
  • schon den ganzen Morgen von dir gesprochen. >Paß mal auf,< habe ich
  • gesagt, >wenn wir Tschitschikow treffen.< Nein, wenn du wüßtest, Bruder,
  • wie blank ich bin. Glaub's oder nicht, ich bin nicht nur meine vier
  • Gäule los geworden, ich habe tatsächlich alles verjuchzt. Ich habe nicht
  • mal mehr Uhr und Kette.« Tschitschikow sah ihn an und überzeugte sich,
  • daß er wirklich weder Uhr noch Kette trug. Ja, es schien ihm sogar, daß
  • die eine Hälfte seines Backenbartes etwas kleiner und dünner war, als
  • die andre.
  • »Und doch, wenn ich nur zwanzig Rubel in der Tasche gehabt hätte,« fuhr
  • Nosdrjow fort, »genau zwanzig und nicht mehr noch weniger, ich hätte
  • wahrhaftig Alles wieder gewonnen, d. h. ich hätte es nicht nur
  • wiedergewonnen, sondern, -- so wahr ich ein ehrlicher Mann bin, ich
  • hätte jetzt noch dreißigtausend dazu in der Tasche.«
  • »Das hast du auch schon da gesagt,« wandte ihm hier der Blonde ein.
  • »Aber als ich dir die fünfzig Rubel gab, hast du sie doch gleich darauf
  • verspielt.«
  • »Ich hätte sie bei Gott nicht verloren. Wahrhaftig nicht. Hätte ich
  • damals keine Dummheit gemacht, so besäße ich sie noch jetzt.
  • Hätte ich nach dem Paroli der verdammten Sieben keine Ecke geschlagen,
  • ich hätte die ganze Bank sprengen können.«
  • »Du hast sie doch aber nicht gesprengt,« sagte der Blonde.
  • »Natürlich nicht, weil ich eben die Ecke nicht zur rechten Zeit
  • geschlagen habe. Du glaubst wohl, daß dein Major sehr schön spielt?«
  • »Schön oder nicht schön, er hat dich doch gerupft.«
  • »Auch was Großes,« sagte Nosdrjow.
  • »So hätte ich ihn auch reinlegen können. Er sollte mal versuchen,
  • Doublet zu spielen, dann wollen wir mal sehen, was der Kerl kann. Dafür
  • haben wir aber auch die letzten Tage fein durchgebummelt, Freund
  • Tschitschikow. Nein wirklich, die Messe war großartig. Selbst die
  • Kaufleute sagen, daß es noch niemals so ein Leben gab. Wir haben alles,
  • was von meinem Gut kam, zu den höchsten Preisen losgeschlagen. Ach,
  • Freund, wie wir gezecht haben. Wenn ich jetzt noch daran denke, Teufel
  • .... es ist doch schade, daß du nicht dabei warst. Stell dir vor, drei
  • Werst vor der Stadt stand ein Dragonerregiment und denk dir nur,
  • sämtliche Offiziere, soviel überhaupt da waren, ich glaube, an die
  • vierzig Mann hoch, kamen in die Stadt, und als dann erst das Saufen
  • losging ...... der Stabsrittmeister Patzelujeff, das ist doch ein
  • famoser Mensch; -- hat der einen Schnurrbart, -- -- -- so groß. Statt
  • Kognak sagt er einfach Jäckchen. >Bring mir doch schnell ein Jäckchen,<
  • ruft er dem Kellner zu. Leutnant Kufschinnikow ... Weißt du, Freund, ein
  • zu netter Mensch! Ein richtiger Zechbruder, das kann man wohl sagen. Wir
  • waren immer zusammen. Und was uns der Ponomarjow für einen Wein
  • vorgesetzt hat! Der ist nämlich ein Gauner, mußt du wissen. Bei dem darf
  • man nichts kaufen. Der Teufel mag wissen, womit der den Wein vermengt.
  • Der Kerl färbt ihn mit Sandelholz, gebranntem Kork und Holundermark;
  • wenn man ihm aber aus dem letzten Zimmer, das er sein Allerheiligstes
  • nennt, eine Flasche herausschmuggelt, wahrhaftig Freund, dann glaubt man
  • sich gleich im siebenten Himmel. Einen Champagner hatten wir, sage ich
  • dir! ... Dagegen ist der des Gouverneurs das reinste Weißbier. Stell dir
  • vor, nicht Cliquot, sondern irgend ein Cliquot-Matradura, gewissermaßen
  • ein potenziertes Cliquot. Und dann holte ich noch eine Flasche
  • französischen Wein, Marke Bonbon. Na, der Geruch -- ff., wie
  • Rosenknospen und sonst noch alles, was dein Herz begehrt .. Donner,
  • haben wir gezecht! .. Nach uns kam noch ein Fürst hin. Der ließ nach
  • Champagner schicken. -- Denk dir, in der ganzen Stadt keine Flasche
  • aufzutreiben: die Offiziere hatten den ganzen Sekt ausgetrunken. Du
  • kannst mir's glauben, ich allein hab während des Diners siebzehn
  • Flaschen hinter die Binde gegossen!«
  • »Na, na! siebzehn Flaschen, das bringst du denn doch nicht fertig,«
  • bemerkte der Blonde.
  • »So wahr ich ein ehrlicher Mann bin, ich hab sie doch ausgetrunken.«
  • »Du magst reden was du willst. Ich sage dir, du kannst nicht einmal zehn
  • bewältigen.«
  • »Was gilt die Wette!?«
  • »Wozu denn wetten!«
  • »Gut, wetten wir um die Flinte, die du dir in der Stadt gekauft hast!«
  • »Ich mag nicht.«
  • »Ach was, tu's doch, versuch's nur!«
  • »Ich will's aber nicht versuchen.«
  • »Du hast wohl keine Lust, deine Flinte zu verlieren! Hör mal, Freund
  • Tschitschikow, hab ich's aber bedauert, daß du nicht dabei warst. Ich
  • bin sicher, du hättest dich von Leutnant Kufschinnikow garnicht trennen
  • können. Ihr hättet euch gleich verstanden. Der ist nicht wie der
  • Staatsanwalt und die hiesigen Provinzgrößen unserer Stadt, die für jede
  • Kopeke zittern. Der macht alles mit: einen Landsknecht, Pharao, ein
  • Pokerchen, hält ein Bänkchen und alles, was du willst. Ach,
  • Tschitschikow, nun was hätte es dich gekostet, mitzumachen. Wirklich, du
  • bist ein Schwein, alter Saukerl du! Gib mir 'nen Kuß! Ich hab dich
  • schrecklich lieb. Nimm mal den Mishujew, das Schicksal hat uns
  • zusammengeführt; was ist er mir und was bin ich ihm? Kommt eines schönen
  • Tages angefahren, Gott weiß woher! Zufälliger Weise muß ich auch gerade
  • hier wohnen .... Und wieviel Wagen da waren, lieber Freund! Es ging
  • alles ins Große, weißt du. Engros! Ich hab auch mal Fortuna versucht und
  • zwei Büchschen Pomade, eine Porzellantasse und eine Gitarre gewonnen.
  • Dann hab ich nochmal mein Glück probiert und alles wieder verloren, so
  • 'ne Gemeinheit, und noch sechs Rubel dazu. Wenn du wüßtest, was für ein
  • Don Juan der Kufschinnikow ist. Ich war auf allen Bällen mit ihm
  • zusammen. Da war eine, die war so aufgeputzt: Rüschen und Spitzen, und
  • weiß der Teufel, was die nicht alles an sich sitzen hatte. Ich dachte
  • mir immer, Teufel! Der Kufschinnikow aber -- so 'ne Bestie, was? --
  • Setzt sich zu ihr und bekomplimentiert sie auf französisch. Du kannst
  • mir's glauben, der würde nicht einmal ein Bauernweib durchlassen. Das
  • nennt er »Erdbeeren pflücken«. Es waren auch herrliche Fische, und vor
  • allem Störe angekommen. Ich habe einen mitgebracht -- noch gut, daß mir
  • der Gedanke kam einen zu kaufen, solange ich noch Geld hatte. Wo reist
  • du denn jetzt hin?«
  • »Ach, ich will zu einem Menschen hier,« sagte Tschitschikow.
  • »Zu was für einem Menschen? Ach was, laß ihn laufen! Komm! wir fahren
  • zusammen zu mir nach Hause!«
  • »Nein, nein, es geht nicht. Ich habe zu tun.«
  • »Ach was, zu tun! Hat sich was ausgedacht! Oh du Opodeldok Iwanowitsch!«
  • »Nein wirklich, ich habe zu tun, und sogar etwas sehr Wichtiges!«
  • »Ich möchte darauf wetten, du lügst! Also sag mal, zu wem fährst du?«
  • »Nun meinetwegen. Zu Sabakewitsch.«
  • Hier brach Nosdrjow in jenes laute und helle Lachen aus, dessen nur ein
  • frischer und gesunder Mensch fähig ist, der dabei seinen Mund weit
  • auftut, uns die ganze Reihe seiner Zähne sehen läßt, die tadellos und
  • blendend weiß sind wie Zucker, während seine Gesichtsmuskeln hüpfen und
  • springen, sodaß der Nachbar im dritten Zimmer, das durch zwei Türen von
  • ihm getrennt ist, aus dem Schlaf in die Höhe fährt, die Augen aufreißt
  • und ausruft: »Was mag bloß in den gefahren sein!«
  • »Was gibt es hier zu lachen?« sagte Tschitschikow, der sich ein wenig
  • über das Gelächter ärgerte.
  • Aber Nosdrjow fuhr fort, aus vollem Halse zu lachen, indem er
  • zwischendurch rief: »Nein, bitte, verschone mich; ich berste vor
  • Lachen!«
  • »Das ist durchaus nicht lächerlich: ich habe ihm mein Wort gegeben,«
  • sagte Tschitschikow.
  • »Aber du wirst ja deines Lebens nicht froh, wenn du zu ihm hinfährst;
  • das ist doch ein ganz gemeiner Geizhals, ein Halsabschneider! Ich kenne
  • doch deinen Charakter; du befindest dich in einem ungeheueren Irrtum,
  • wenn du glaubst, du findest dort Gelegenheit zu einem kleinen Spielchen,
  • eine gute Flasche Bonbon oder sonst was. Hör mal, lieber Freund! Hol
  • doch der Teufel diesen Sabakewitsch! Komm zu mir! Ich setze dir einen
  • Stör vor. Der Ponomarjow, diese Bestie hat nur immer Kratzfüße gemacht
  • und versichert: >Ich tue es nur für Sie! Sie können die ganze Messe
  • absuchen und werden keinen solchen finden.< Übrigens ein durchtriebener
  • Spitzbube. Ich habe es ihm gleich ins Gesicht gesagt: >Sie und unser
  • Branntweinpächter, ihr seid die größten Gauner, die es auf der Welt
  • gibt,< hab ich ihm gesagt. Dabei lacht die Bestie und streicht sich den
  • Bart. Kufschinnikow und ich, wir haben jeden Tag in seinem Laden
  • gefrühstückt. Richtig, lieber Freund, beinah hätte ich vergessen, es dir
  • zu sagen: ich weiß zwar, du wirst mich nicht in Ruhe lassen, aber ich
  • sage es dir im voraus, du kriegst ihn nicht einmal für zehntausend
  • Rubel!« »He Porphyr!« rief er seinem Diener zu, indem er ans Fenster
  • trat. Dieser stand mit einem Messer in der einen Hand da, während er in
  • der andern eine Brotrinde und ein Stück Stör hielt, das er mit einem
  • glücklichen Griff erwischt hatte, als er gerade etwas aus dem Wagen
  • holen wollte. »He, Porphyr!« schrie Nosdrjow, »bring doch mal den
  • kleinen Köter herauf!« »Ein feiner Köter! Was!« fuhr er fort, indem er
  • sich an Tschitschikow wandte. »Natürlich gestohlen! Der Besitzer wollte
  • ihn um keinen Preis hergeben. Ich bot ihm die hellbraune Stute dafür,
  • weißt du, die, welche ich vom Chwostyrjow erstanden habe.« Übrigens
  • hatte Tschitschikow sein Lebtag weder Chwostyrjow noch die braune Stute
  • gesehen.
  • »Wollen der gnädige Herr nichts zu sich nehmen?« sagte jetzt die Alte,
  • indem sie sich ihm näherte.
  • »Nein! Nichts! Ich sag dir Freund! Wir haben gebummelt! Übrigens kannst
  • du mir einen Schnaps geben! Was habt ihr für welchen?«
  • »Anis«, antwortete die Alte.
  • »Nun meinetwegen, einen Anis,« rief Nosdrjow.
  • »Dann gib mir gleich auch ein Gläschen!« sagte der Blonde.
  • »Im Theater war eine Sängerin, die sang ganz wie 'ne Nachtigall, so'ne
  • Kanaille! Kufschinnikow, der neben mir saß, sagte zu mir: >Weißt du
  • Freund das wär so was! Da möcht ich mal Erdbeeren pflücken!< Ich glaube
  • die Zahl der Meßbuden war allein größer als fünfzig. Thenardi drehte
  • sich vier Stunden lang herum, wie eine Windmühle.« Hierbei nahm er das
  • Gläschen aus der Hand der Alten, die sich tief vor ihm verneigte. »Her
  • mit ihm!« rief er plötzlich aus, als er Porphyr erblickte, der mit einem
  • jungen Hund ins Zimmer trat. Porphyr war ebenso gekleidet wie sein Herr,
  • auch er trug eine wattierte bucharische Joppe, die nur ein wenig
  • fettiger war.
  • »Gib ihn her, leg ihn hierher, auf den Fußboden!«
  • Porphyr legte das Hündchen auf den Fußboden, welches seine vier Pfoten
  • weit ausstreckte und die Diele zu beschnüffeln begann.
  • »Das ist ein Hund!« sagte Nosdrjow, indem er das Tier am Wickel nahm und
  • mit einer Hand in die Höhe hob. Das Hündchen stieß einen recht
  • kläglichen Ton aus.
  • »Du hast wieder nicht getan, was ich dir befohlen habe,« sagte Nosdrjow
  • zu Porphyr gewendet, während er den Bauch des Hündchens aufmerksam
  • betrachtete. »Es ist dir garnicht eingefallen, ihn zu kämmen.«
  • »Nein, ich habe ihn gekämmt.«
  • »Wo kommen denn die Flöhe her!«
  • »Das kann ich nicht wissen. So etwas kommt vor, vielleicht hat er sie
  • sich im Wagen geholt!«
  • »Du lügst! Unsinn! Es ist dir nicht im Traume eingefallen, ihn zu
  • kämmen; ich glaube, der Esel hat ihm noch von den seinigen abgegeben.
  • Sieh nur, Tschitschikow, sieh nur, was für Ohren! Komm doch, streichele
  • ihn mal!«
  • »Wozu! Ich sehe es ja auch so! Die Rasse ist gut,« sagte Tschitschikow.
  • »Nein, streichele ihn nur mal; befühle mal die Ohren!«
  • Tschitschikow tat Nosdrjow den Gefallen, und nahm den Hund bei den
  • Ohren. »Ja, es wird ein schönes Tier,« fügte er hinzu.
  • »Und fühle mal seine kalte Schnauze an! Nimm doch die Hand!« Um ihn
  • nicht zu beleidigen, befühlte Tschitschikow auch die Schnauze, indem er
  • bemerkte: »Kein übler Riecher!«
  • »Ein echter Bullenbeißer!« fuhr Nosdrjow fort. »Ich muß gestehen, ich
  • habe schon lange nach einem Bullenbeißer gefahndet. Da, Porphyr, trage
  • ihn fort.«
  • Porphyr nahm das Hündchen beim Bauche und brachte es in den Wagen
  • zurück.
  • »Hör mal, Tschitschikow, du mußt jetzt unbedingt zu mir kommen. Es sind
  • ja nur fünf Werst von hier. Wir sind im Handumdrehen da. Nachher kannst
  • du meinetwegen auch zu Sabakewitsch fahren.«
  • »Hm!« dachte Tschitschikow, »ich könnte ja schließlich auch einen Besuch
  • bei Nosdrjow machen. Er ist am Ende nicht schlimmer als die andern. Ein
  • Mensch wie alle! Und zudem hat er noch Geld verloren. Der ist zu allem
  • fähig. Dem werd ich schon umsonst etwas abtrotzen. -- Also gut,
  • meinetwegen! Nur eins, du darfst mich nicht zurückhalten; meine Zeit ist
  • mir teuer.«
  • »Siehst du, Herzchen, so gefällst du mir; das ist nett von dir. Komm,
  • laß dir einen Kuß dafür geben!« Und Nosdrjow und Tschitschikow umarmten
  • und küßten sich herzlich. »Famos, jetzt fahren wir zu dritt!«
  • »Nein, mich mußt du schon entschuldigen,« sagte der Blonde. »Ich muß
  • nach Hause.«
  • »Ach, Torheiten, Freund! Ich laß dich nicht fort.«
  • »Nein wirklich, meine Frau wird sonst böse; übrigens kannst du ja jetzt
  • in seinen Wagen steigen.«
  • »Nein, nein, nein! Du sollst garnicht daran denken.«
  • Der Blonde war einer von jenen Menschen, in deren Charakter man zuerst
  • einen gewissen Starrsinn zu entdecken glaubt. Man hat kaum Zeit den Mund
  • zu öffnen, da fallen sie einem schon streitlustig ins Wort, und niemals
  • werden sie etwas zugeben, was ihrer Denkweise widerspricht. Es scheint
  • einem, daß sie nie einen Dummen klug nennen und vor allem niemals nach
  • der Pfeife eines anderen tanzen werden. Am Ende aber zeigt es sich, daß
  • in ihrem Wesen etwas Weiches, Nachgiebiges liegt, daß sie schließlich
  • gerade das zugeben, was sie erst bestritten haben, das Dumme -- klug
  • nennen und den herrlichsten Tanz nach der fremden Pfeife aufführen. Sie
  • fangen forsch an und enden schmählich.
  • »Ah, Torheiten,« antwortete Nosdrjow auf einen Einwand des Blonden,
  • drückte ihm den Hut auf den Kopf und -- der Blonde folgte ihnen auf dem
  • Fuße.
  • »Gnädiger Herr, der Schnaps ist noch nicht bezahlt,« rief die Alte ihnen
  • nach.
  • »Schon recht, schon recht, Mütterchen! Sei so gut, lieber Schwager,
  • bezahle du für mich! Ich habe nicht mal Kupfer in der Tasche.«
  • »Was bekommst du?« fragte der Schwager.
  • »Es ist nicht der Rede wert, Väterchen. Es macht ja nur achtzig
  • Kopeken.«
  • »Du lügst! Gib ihr 'nen halben Rubel! das ist mehr als genug.«
  • »Ein bissel wenig, gnädiger Herr,« sagte die Alte. Indessen nahm sie das
  • Geld dankend an und lief atemlos voraus, um die Türe zu öffnen. Sie
  • hatte nichts verloren, denn der Schnaps kostete nicht den vierten Teil
  • von dem, was sie gefordert hatte.
  • Die Reisenden stiegen ein und nahmen in ihren Kutschen Platz.
  • Tschitschikows Wagen fuhr neben der Equipage, in der Nosdrjow und sein
  • Schwager saßen, her, und so konnten sich alle drei während des ganzen
  • Weges bequem miteinander unterhalten. Nosdrjows kleiner, mit den dürren
  • Mietspferden bespannter Wagen folgte langsam nach und blieb immer mehr
  • zurück. In ihm saß Porphyr mit dem jungen Hunde.
  • Da das Gespräch, in welches unsere Reisenden vertieft waren, sicherlich
  • kein großes Interesse für den Leser haben dürfte, werden wir gut tun,
  • diese Zeit zu benutzen, um einige Worte über Nosdrjow selbst zu sagen,
  • der vielleicht nicht die geringste Rolle in unserer Dichtung spielen
  • wird.
  • Nosdrjows Gesicht ist dem Leser wahrscheinlich schon ein wenig bekannt.
  • Ein jeder von uns wird Leuten dieses Schlages sicherlich mehr als einmal
  • begegnet sein. Man nennt sie forsche Burschen; schon als Knaben und in
  • der Schule gelten sie als gute Kameraden und kriegen bei alledem ihre
  • Prügel, die oft sehr schmerzhaft sind. Aus ihrem Gesicht spricht
  • Offenheit, Gradheit und eine gewisse Bravour. Sie schließen schnell
  • Freundschaften, und eh man sich's versieht, duzen sie einen schon. Sie
  • schwören immer ewige Freundschaft, und fast scheint's, daß sie ihr
  • Versprechen auch halten werden; aber dann kommt es beinahe immer so, daß
  • der neue Freund sie noch am selben Abend beim freundschaftlichen Mahle
  • durchprügelt. Das sind stets Schwätzer, Zechbrüder, feine Jungens, mit
  • einem Wort Leute, die was bedeuten. Nosdrjow war mit fünfunddreißig
  • Jahren noch genau derselbe, wie mit siebzehn und zwanzig: er liebte es
  • noch immer, zu bummeln und sich zu amüsieren. Die Ehe hatte ihn nicht im
  • geringsten verändert, um so weniger, als seine Frau sehr bald ins
  • bessere Jenseits einging, und ihn mit zwei Kindern zurückließ, die er
  • absolut nicht brauchen konnte. Übrigens hatte er die Aufsicht über die
  • Kinder einer recht appetitlichen Wärterin anvertraut. Er konnte es zu
  • Hause nie länger als einen Tag aushalten. Seine feine Nase roch es auf
  • fünfzig Werst heraus, wenn es irgendwo eine Messe gab, wo viele Menschen
  • zusammenkamen und Feste und Bälle gefeiert wurden; im selben Augenblick
  • war er da, stiftete Streit und Unordnung am grünen Tisch, denn er war,
  • wie all diese Leute ein leidenschaftlicher Kartenspieler. Wie wir schon
  • aus dem ersten Kapitel erfahren haben, spielte er nicht ganz korrekt und
  • sauber, er kannte eine Reihe von Kniffen und Kunststücken, und daher
  • gab's am Ende des Spiels gewöhnlich ein andres Spiel: entweder er bekam
  • eine Tracht Prügel und ein paar tüchtige Fußtritte oder man zupfte ihn
  • an seinem schönen dicken Backenbart, so daß er manchmal nur mit einer
  • Bart-Hälfte nach Hause kam, die auch nur noch recht dürftig aussah. Aber
  • seine gesunden runden Backen waren aus so gutem Stoff gemacht und wurden
  • von einer so intensiven animalischen Kraft durchflutet, daß der
  • Backenbart bald wieder nachwuchs und noch schöner wurde, als früher. Und
  • was dabei das Merkwürdigste war, und sicherlich nur allein in Rußland
  • passieren kann, -- schon nach ganz kurzer Zeit war er wieder mit seinen
  • Freunden zusammen, die ihn so hergenommen hatten, man begrüßte sich, wie
  • wenn nichts vorgefallen wäre, und auch er tat seinerseits nicht im
  • geringsten beleidigt.
  • Nosdrjow war in gewisser Beziehung eine geschichtliche Persönlichkeit.
  • Es gab keine einzige Gesellschaft, an der er teilnahm, wo nicht irgend
  • eine »Geschichte« passierte. Irgendeine »Geschichte« gab es immer:
  • entweder er wurde von ein paar Gendarmen beim Arm gefaßt und aus dem
  • Saal geführt, oder seine eigenen Freunde sahen sich gezwungen, ihn
  • hinauszubefördern. Und wenn es nicht gerade dies war, _etwas_ ereignete
  • sich auf jeden Fall, was einem andern nie passiert wäre, sei es, daß er
  • sich in der Restauration so sehr betrank, daß er garnicht aus dem Lachen
  • herauskommen konnte, oder daß er sich so in seine eigenen Lügen
  • verstrickte, sodaß ihm zuletzt selbst davor übel wurde. Dazu log er ohne
  • jeden Grund und Anlaß. Plötzlich konnte es ihm einfallen, zu erzählen,
  • er habe einmal ein Pferd mit blau und rot gestreiftem Fell gehabt oder
  • irgend einen ähnlichen Blödsinn, bis alle Anwesenden weggingen und
  • sagten: »Na Bruder, mir scheint, du fängst an zu schwindeln!« Es gibt
  • Menschen, die eine wahre Leidenschaft haben, ihrem Nächsten einen üblen
  • Streich zu spielen, ohne die geringste Ursache dazu zu haben. So gibt es
  • zum Beispiel Leute von hohem Range, edlem Äußern und mit einem Stern auf
  • der Brust, die einem freundlich die Hand drücken, sich über die tiefsten
  • und erhabensten Gegenstände unterhalten, welche unseren Geist
  • beschäftigen, um einem plötzlich ganz offen vor aller Augen einen
  • niederträchtigen Streich zu spielen, wie er wohl eines ganz gewöhnlichen
  • Kollegienregistrators, nicht aber eines Mannes würdig ist, der einen
  • Stern auf der Brust trägt und über die tiefsten und erhabensten
  • Gegenstände spricht, die unseren Geist beschäftigen, sodaß man dasteht
  • und staunt, und höchstens mit den Achseln zuckt. Auch Nosdrjow hatte
  • diese merkwürdige Liebhaberei. Je näher sich einer ihm anschloß, um so
  • ärger trieb er es mit ihm: er verbreitete allerhand unmögliche Gerüchte,
  • wie sie sich kaum törichter und dümmer erfinden lassen, machte
  • Verlobungen rückgängig, verdarb einem das Geschäft und hielt sich dabei
  • keineswegs für den Feind des Betreffenden; im Gegenteil, fügte es sich
  • so, daß man wieder mit ihm zusammentraf, dann kam er einem höchst
  • freundschaftlich entgegen und sagte sogar: »Du bist doch ein ganz
  • gemeiner Kerl! Warum besuchst du mich niemals?« Nosdrjow war in mancher
  • Beziehung ein wirklich vielseitiger Mensch, d. h. er war in allen
  • Sätteln gerecht. In demselben Augenblick war er bereit, euch bis an alle
  • vier Enden der Welt zu begleiten, an jedem Abenteuer teilzunehmen, jeden
  • Tausch mit euch einzugehen. Flinten, Hunde, Pferde waren Tauschobjekte
  • für ihn, aber er hatte durchaus nicht etwa den Hintergedanken, dabei zu
  • gewinnen; dies war nur die Folge einer gewissen Lebhaftigkeit und
  • Keckheit, die in seinem Charakter lagen. War es ihm geglückt, auf der
  • Messe einem Einfaltspinsel zu begegnen und ihn im Spiel zu rupfen, dann
  • kaufte er alles Mögliche zusammen, was er im ersten besten Laden
  • vorfand: Halsbügel für seine Pferde, Räucherkerzchen, allerhand Tücher
  • für das Kindermädchen, einen Hengst, Rosinen, eine silberne
  • Waschschüssel, holländische Leinwand, Gerstenmehl, Tabak, Pistolen,
  • Heringe, Bilder, Schleifsteine, Töpfe, Stiefel, Porzellangeschirr, bis
  • ihm das Geld ausging. Übrigens passierte es nur höchst selten, daß er
  • all die schönen Dinge mit nach Hause brachte: gewöhnlich wurde er sie
  • noch am selben Tage wieder los, indem er sie an einen andern
  • glücklichern Spieler verspielte, der häufig noch die eigne Pfeife, den
  • Tabakbeutel und ein Mundstück, oder wohl gar noch das ganze Viergespann
  • mit allem Zubehör: Wagen und Kutscher dazu bekam, sodaß der Herr selbst
  • in einem kurzen Röckchen oder einer bucharischen Joppe auf die Suche
  • nach einem Freunde gehen mußte, der ihn in seinem Wagen mitnahm. So war
  • Nosdrjow! Vielleicht wird man ihn einen verbrauchten Typus nennen und
  • sagen, heutzutage gebe es ja gar keine Nosdrjows mehr! Ach nein! Die
  • Menschen, die so reden, haben sicherlich unrecht. Nosdrjow wird nicht so
  • bald aus dieser Welt verschwinden. Er ist überall, mitten unter uns, und
  • trägt vielleicht zufälligerweise nur einen andern Rock; aber die
  • Menschen sind leichtsinnig und oberflächlich; wie oft halten sie jemand,
  • wenn er nur einen andern Rock anhat, auch für einen ganz andern
  • Menschen!
  • Unterdessen hielten die drei Wagen bereits vor der Freitreppe des
  • Nosdrjowschen Hauses. Im Hause waren keinerlei Vorbereitungen für ihren
  • Empfang getroffen. Mitten im Speisezimmer standen zwei Arbeiter auf
  • einer Stehleiter, weißten die Wände und sangen ein monotones Lied dazu,
  • das gar kein Ende nehmen wollte; der ganze Fußboden war mit Kalk
  • bespritzt. Nosdrjow rief den Leuten sogleich zu, sie sollten sich
  • mitsamt ihrer Stehleiter hinauspacken und lief dann ins nächste Zimmer,
  • um dort weitere Befehle zu erteilen. Die Gäste hörten, wie er beim Koch
  • ein Mittagessen bestellte; Tschitschikow, der bereits wieder einigen
  • Appetit verspürte, ersah daraus, daß sie sich wohl kaum vor 5 Uhr zu
  • Tische setzen würden. Nosdrjow kam bald darauf zurück, um seine Gäste zu
  • einem Spaziergang durch sein Gut mitzunehmen und ihnen alle
  • Sehenswürdigkeiten desselben zu zeigen. Sie brauchten etwas mehr als
  • zwei Stunden, um alles in Augenschein zu nehmen. Nosdrjow ruhte nicht
  • eher, als bis er ihnen alles gezeigt hatte, bis ihm nichts mehr zu
  • zeigen übrig blieb. Zuerst begab man sich in den Pferdestall, wo man
  • zwei Stuten, einen grauen Apfelschimmel, einen Fuchs und einen braunen
  • Hengst besichtigte. Der Hengst sah nicht gerade stattlich aus, aber
  • Nosdrjow versicherte und schwor, daß er zehntausend Rubel für ihn
  • bezahlt habe.
  • »Zehntausend waren es sicher nicht,« bemerkte der Schwager, »der ist
  • noch keine tausend wert.«
  • »Bei Gott! Er kostet zehntausend!« sagte Nosdrjow.
  • »Du kannst schwören, soviel du willst,« erwiderte der Schwager.
  • »Nun gut, willst du wetten?« sagte Nosdrjow.
  • Aber der Schwager wollte nicht wetten.
  • Dann zeigte Nosdrjow den Gästen einen leeren Verschlag, in dem früher
  • ein paar gute Pferde gestanden hatten. Daselbst befand sich auch ein
  • Ziegenbock, der nach einem alten Aberglauben in keinem Pferdestall
  • fehlen darf, und der sich mit seinen Genossen offenbar recht gut
  • vertrug, denn er spazierte unter ihren Bäuchen hindurch, als ob er zu
  • Hause wäre. Dann führte Nosdrjow die beiden Herren weiter, um ihnen
  • einen kleinen Wolf zu zeigen, welcher an der Kette lag. »Das ist ein
  • junger Wolf!« sagte er, »ich füttere ihn absichtlich mit rohem Fleisch!«
  • Dann sah man sich noch einen Teich an, in dem sich, nach Nosdrjows
  • Worten, Fische von solcher Größe befanden, daß mindestens zwei Menschen
  • dazu gehörten, um einen davon aus dem Wasser zu ziehen. Übrigens
  • unterließ es der Schwager auch diesmal nicht, seine Zweifel zu äußern.
  • »Hör mal Tschitschikow,« sagte Nosdrjow, »ich will dir ein paar
  • herrliche Hunde zeigen: man glaubt gar nicht, was die für kräftige
  • Muskeln haben! Und die Nase! So spitz wie eine Nadel!« Mit diesen Worten
  • führte er sie zu einem hübschen kleinen Häuschen, das von einem großen
  • und ringsum eingefriedigten Hof umgeben war. Als sie diesen betraten,
  • erblickten sie eine ganze Kollektion von Hunden, wollhaarige und
  • schlichthaarige aller nur möglichen Farben und Rassen, dunkelbraune,
  • schwarze, schwarz- und braungefleckte, halbgescheckte, getigerte,
  • braungescheckte, schwarzohrige, grauohrige usw. usw. ... Hier bekam man
  • sämtliche Hundenamen und alle nur möglichen Imperative zu hören wie
  • Beiß, Wach, Schimpf, Funke, Frechdachs, Gottseibeiuns, Störenfried,
  • Stich, Pfeil, Schwälbchen, Schätzchen, Vorstehdame. Nosdrjow bewegte
  • sich unter ihnen ganz wie ein Vater in seiner Familie: sie kamen alle
  • mit freudig erhobenen Schwänzen, die man in der Jägersprache Ruten
  • nennt, auf die Gäste zugestürzt und begrüßten sie lebhaft. Etwa zehn
  • Stück sprangen an Nosdrjow empor und legten ihm ihre Pfoten auf die
  • Schultern. »Schimpf« bezeugte dieselbe Freundschaft für Tschitschikow
  • und versetzte ihm, indem er sich auf die Hinterbeine stellte, einen
  • herzhaften Kuß, sodaß jener schleunigst ausspie. Dann ging man zur
  • Besichtigung der Hunde über, deren Muskelkraft Nosdrjows Stolz bildete
  • -- und in der Tat, die Hunde waren gut. Hierauf sah man sich noch eine
  • Hündin aus der Krim an, welche schon blind war und nach Nosdrjows Worten
  • bald verrecken mußte. Vor zwei Jahren sei es noch eine recht gute Hündin
  • gewesen. Man nahm auch diese Hündin in Augenschein, und siehe da, sie
  • war wirklich blind. Von hier aus ging man weiter, um eine Wassermühle
  • anzusehen, der die Achse fehlte, an welcher der obere Mühlstein
  • befestigt ist, und um die er sich mit großer Geschwindigkeit dreht, oder
  • an der er nach dem seltsamen Ausdruck des russischen Bauern herauf und
  • herunter hüpft, weswegen er auch der »Hüpfer« genannt wird. »Nun kommt
  • bald die Schmiede,« sagte Nosdrjow. Nach einigen Schritten erblickten
  • sie tatsächlich eine Schmiede, deren Betrachtung man gleichfalls einige
  • Augenblicke widmete.
  • »Auf diesem Felde,« sagte Nosdrjow, indem er mit dem Finger hinzeigte,
  • »gibt es eine solche Unmenge von Hasen, daß man die Erde garnicht sieht.
  • Ich selbst habe neulich einen mit der Hand bei den Hinterläufen
  • erwischt.«
  • »Na, weißt du, mit der Hand erwischst du keinen Hasen.«
  • »Und ich hab doch einen gefangen! Wahrhaftig!« antwortete Nosdrjow. »So,
  • nun will ich dich an die Grenze meines Gutes führen,« setzte er hinzu,
  • indem er sich an Tschitschikow wandte.
  • Nosdrjow führte seine Gäste über das Feld, das stellenweise mit kleinen
  • Mooshügeln bedeckt war. Die Gäste mußten den Weg über Brachland und
  • geeggte Saatfelder nehmen. Tschitschikow verspürte eine gewisse
  • Ermüdung. An vielen Stellen sanken ihre Füße in dem Sumpfe ein: so tief
  • war das Land gelegen. Anfangs nahmen sie sich in acht und traten
  • vorsichtig auf, da sie aber sahen, daß das doch nichts half,
  • marschierten sie einfach drauflos, ohne zu fragen, wo der Dreck am
  • höchsten lag. Nachdem sie ein beträchtliches Stück Weges zurückgelegt
  • hatten, erblickten sie in der Tat die Grenze, welche durch einen
  • hölzernen Pfahl und einen schmalen Graben markiert wurde.
  • »Das ist die Grenze,« sagte Nosdrjow. »Alles was diesseits liegt -- dies
  • alles ist mein Eigentum, und sogar jener Wald, den ihr da auf der
  • anderen Seite schimmern seht, und das ganze Stück, das hinter dem Walde
  • liegt, gehört mir.«
  • »Seit wann ist denn das dein Wald?« fragte der Schwager. »Hast du ihn
  • etwa neulich angekauft? Früher gehörte er dir doch nicht.«
  • »Ja, ich habe ihn vor kurzem gekauft,« sagte Nosdrjow.
  • »Wie ging denn das so schnell?«
  • »Ich habe ihn erst vorgestern gekauft und teuer genug bezahlen müssen,
  • weiß der Teufel!«
  • »Aber du warst doch die ganze Zeit über auf der Messe?«
  • »Ach, du alter Sophron, kann man denn nicht auf der Messe sein und
  • zugleich Land kaufen. Nun ja, ich war auf der Messe und in meiner
  • Abwesenheit hat der Verwalter das Gehölz gekauft.«
  • »Es müßte denn schon der Verwalter sein,« sagte der Schwager, noch immer
  • zweifelnd und schüttelte den Kopf.
  • Die Gäste kehrten auf demselben elenden Wege nach Hause zurück. Nosdrjow
  • führte sie in seine Stube, in der übrigens nichts von alledem zu
  • entdecken war, was man gewöhnlich in einem Arbeitszimmer vorzufinden
  • pflegt, d. h. weder Bücher noch Papiere, an der Wand hingen nur ein
  • Säbel und zwei Flinten, eine zu dreihundert, und eine andere zu
  • achthundert Rubel. Der Schwager sah sich im Zimmer um und schüttelte
  • bloß den Kopf. Dann zeigte Nosdrjow seinen Freunden noch einige
  • türkische Dolche; auf einem von ihnen las man die Inschrift »Meister
  • Sawelij Sibirjakow«, die wohl nur durch ein Versehen in ihn eingegraben
  • worden war. Darnach bekamen die Gäste eine Drehorgel zu sehen, auf der
  • Nosdrjow sogleich irgend ein Stück vortrug. Die Drehorgel hatte keinen
  • unangenehmen Klang, nur schien in ihrem Inneren etwas passiert zu sein,
  • denn die Mazurka, welche Nosdrjow spielte, ging plötzlich in das Lied:
  • »Held Malborough zog in die Schlacht« über, und dieses schloß wiederum
  • mit einem altbekannten Walzer. Nosdrjow drehte schon lange nicht mehr,
  • aber das Instrument hatte eine sehr kecke Pfeife, die durchaus nicht zum
  • Schweigen zu bringen war und noch lange für sich allein weitertönte.
  • Dann ging man zu den Tabakspfeifen über, deren Nosdrjow eine ganze
  • Kollektion besaß: Holz-, Ton- und Meerschaumpfeifen, eingerauchte und
  • nicht eingerauchte, mit Lederüberzügen und ohne solche usw.; man sah
  • sich auch ein Pfeifenrohr mit einer Bernsteinspitze, das Nosdrjow erst
  • vor kurzem im Spiele gewonnen und einen gestickten Tabaksbeutel an, das
  • Geschenk einer Gräfin, welche sich auf einer Poststation bis über die
  • Ohren in ihn verliebt hatte, und deren Händchen das »subtilste
  • Superflüh« waren, ein Ausdruck, der für ihn wahrscheinlich soviel wie
  • die höchste Vollkommenheit bedeutete. Nachdem man ein paar Schnitten
  • Stör zu sich genommen hatte, setzte man sich gegen fünf Uhr zu Tisch.
  • Das Mittagessen spielte offenbar in Nosdrjows Leben keine sehr
  • bedeutende Rolle, denn er schien keinen sehr großen Wert auf die
  • Zubereitung der Speisen zu legen; sie waren teils angebrannt, teils noch
  • nicht ganz gar. Der Koch ließ sich wahrscheinlich mehr durch eine
  • gewisse Inspiration leiten und bediente sich bei der Herstellung der
  • Gerichte aller guten Dinge, die ihm gerade unter die Hand kamen: stand
  • zufälligerweise die Pfefferdose in seiner Nähe, dann schüttete er
  • Pfeffer in den Kochtopf -- lag ein Kohlkopf auf dem Tisch, so tat er
  • auch Kohl hinein und gab noch Milch, Schinken und Erbsen dazu -- mit
  • einem Wort: er schüttete aufs Geradewohl etwas zusammen, die Hauptsache
  • war, daß das Gericht recht heiß war, irgend einen Geschmack würde es
  • schon haben! Dafür legte Nosdrjow ein großes Gewicht auf die Weine: die
  • Suppe stand noch nicht auf dem Tisch, da schenkte er den Gästen schon
  • ein Glas Portwein und ein zweites mit Haut Sauterne ein. In den Provinz-
  • und in den Kreisstädten gibt es nämlich keinen gewöhnlichen Sauterne.
  • Dann ließ Nosdrjow noch eine Flasche Madeira auftragen, »wie ihn selbst
  • der Feldmarschall nicht besser getrunken hat«. Und in der Tat, der
  • Madeira brannte einem in der Kehle, denn die Kaufleute, welche den
  • Geschmack ihrer Kunden -- der Gutsbesitzer kannten, die einen
  • _kräftigen_ Madeira liebten, versetzten ihn tüchtig mit Rum und
  • bisweilen auch mit Königswasser, in der richtigen Erwägung, daß ein
  • russischer Magen alles vertragen könne. Zuletzt ließ sich Nosdrjow noch
  • eine ganz besondere Flasche bringen, die, wie er sagte, eine Art von
  • Synthese aus Champagner und Bourgognon enthielt. Er schenkte rechts und
  • links mit großem Eifer die Gläser voll und erwies dabei seinem Schwager
  • und Tschitschikow die gleiche Aufmerksamkeit; doch machte Tschitschikow
  • die Beobachtung, daß er sich selbst dabei am schlechtesten bedachte.
  • Dies veranlaßte ihn, auf der Hut zu sein; wenn Nosdrjow gerade ins
  • Gespräch mit seinem Schwager vertieft war, oder ihm das Glas
  • vollschenkte, benutzte Tschitschikow den Moment, um den Inhalt seines
  • Glases in den Teller zu schütten. Bald darauf wurde auch eine Flasche
  • Vogelbeerschnaps hereingetragen, die nach Nosdrjows Worten ganz wie
  • Sahne schmeckte, aber seltsamerweise nur kräftig nach Fusel roch.
  • Hierauf trank man noch einen Balsam, der einen Namen trug, welcher sich
  • sogar äußerst schwer aussprechen ließ, und den der Wirt selbst bei der
  • nächsten Gelegenheit ganz anders bezeichnete. Das Mittagessen war längst
  • zu Ende, die Weine waren alle ausprobiert, aber die Gäste saßen noch
  • immer an der Tafel, Tschitschikow konnte sich durchaus nicht
  • entschließen, mit Nosdrjow in Gegenwart des Schwagers über den
  • Gegenstand zu sprechen, der ihm am meisten am Herzen lag: der Schwager
  • war schließlich doch ein fremder Mensch, die Sache selbst aber konnte
  • nur in einer vertraulichen und freundschaftlichen Unterhaltung erledigt
  • werden. Übrigens war der Schwager schwerlich ein Mensch, der ihm
  • gefährlich werden konnte, denn wie es schien, hatte er gehörig geladen,
  • er saß nämlich stumm auf seinem Stuhle und sank beständig mit dem Kopf
  • vornüber. Endlich mußte er wohl selbst gemerkt haben, daß er sich in
  • einem ziemlich hoffnungslosen Zustande befand, denn er bat Nosdrjow, ihn
  • doch heimfahren zu lassen, und er tat dies mit einer so matten und müden
  • Stimme, als zöge man -- um mich eines volkstümlichen russischen
  • Ausdrucks zu bedienen -- dem Pferde das Zaumzeug mit der Zange über den
  • Kopf.
  • »Nein, nein, nein! Ich lasse dich nicht fort!« sagte Nosdrjow.
  • »Quäl mich doch nicht, lieber Freund! Wirklich, ich will fahren!« bat
  • der Schwager, »du mußt mich nicht so peinigen!«
  • »Unsinn! Torheiten! Komm wir spielen noch einen kleinen Pharao.«
  • »Nein, Bester, spiel lieber allein! Ich kann wirklich nicht, meine Frau
  • wird es mir sehr übel nehmen; ich muß ihr auch noch von der Messe
  • erzählen. Wahrhaftig Freund! es ist meine verfluchte Schuldigkeit, ihr
  • dies kleine Vergnügen zu bereiten. Bitte halte mich nicht auf!«
  • »Hol doch die Frau der T....! Als ob das so was wichtiges wäre, was ihr
  • miteinander zu tun habt!«
  • »Nein wirklich, Freund! Sie ist so gut, meine Frau -- so brav und treu,
  • eine musterhafte Gattin! Sie tut mir jeden Gefallen. Das kannst du mir
  • glauben, ich bin oft gerührt, bis zu Tränen gerührt. Nein, suche mich
  • nicht zum Bleiben zu veranlassen; so wahr ich ein ehrlicher Mann bin --
  • ich muß fahren. Ich gebe dir mein Wort darauf! Hand aufs Herz!«
  • »Laß ihn doch fahren, was haben wir von ihm?« sagte Tschitschikow leise
  • zu Nosdrjow.
  • »Du hast eigentlich recht!« meinte Nosdrjow, »ich kann diese Waschlappen
  • nicht leiden!« und er fügte laut hinzu: »Nun dann hol dich der Teufel.
  • Geh! fahr nur zu deiner Frau, du alter Pantoffelheld!«
  • »Nein, Freund! du darfst mich nicht Pantoffelheld schelten!« antwortete
  • der Schwager: »ich verdanke ihr mein Leben. Wirklich! Sie ist so lieb,
  • so gut, so sanft und zärtlich .... mir stehen oft die Tränen in den
  • Augen. Sie wird mich fragen, was ich auf der Messe gesehen habe -- ich
  • muß ihr alles erzählen -- sie ist so lieb ....«
  • »Also mach, daß du fortkommst, und schwindele ihr irgend einen Blödsinn
  • vor!«
  • »Nein, hör mal, lieber Freund! du darfst nicht so von ihr sprechen,
  • damit beleidigst du gewissermaßen auch mich, sie ist so gut und lieb.«
  • »Nun dann packe dich doch! Mach, daß du zu ihr kommst!«
  • »Ja, tatsächlich, Freund, ich will fahren; verzeih, daß ich nicht
  • bleiben kann. Ich wäre von Herzen froh, aber ich kann wahrhaftig nicht.«
  • Der Schwager stammelte noch lange allerhand Entschuldigungen, ohne zu
  • merken, daß er längst im Wagen saß, schon durchs Tor gerollt war und
  • sich unter freiem Himmel auf offenem Felde befand. Man darf annehmen,
  • daß seine Frau recht wenig von der Messe zu hören bekommen hat.
  • »So ein Dreckkerl!« sagte Nosdrjow, der ans Fenster getreten war und der
  • davonjagenden Equipage nachblickte. »Da fährt er! Das Beipferd ist nicht
  • übel, ich fahnde schon längst darauf. Aber mit dem Kerl wird man ja doch
  • nicht einig. Ein alter Waschlappen und weiter nichts!«
  • Man trat ins Nebenzimmer. Porphyr brachte Lichter herein und
  • Tschitschikow bemerkte plötzlich ein Spiel Karten in der Hand des
  • Hausherrn, ohne daß er hätte sagen können, woher er es genommen hatte.
  • »Was meinst du zu einem kleinen Pharao, Freund!« sagte Nosdrjow, indem
  • er das Spiel zusammendrückte und wieder los ließ, sodaß das Kreuzband
  • zerriß und zu Boden fiel. »So zum Zeitvertreib weißt du. Ich will die
  • Bank mit dreihundert Rubeln halten!«
  • Aber Tschitschikow tat so, als ob er garnicht gehört hätte, wovon
  • eigentlich die Rede war und sagte, wie wenn er sich plötzlich auf etwas
  • besönne. »Ach ja, um es nicht zu vergessen, ich habe eine kleine Bitte
  • an dich!«
  • »Was für eine Bitte?«
  • »Aber versprich mir zuerst, daß du sie erfüllen willst!«
  • »Was ist das für eine Bitte?«
  • »Nein, versprich mir's erst! Hörst du!«
  • »Also gut. Meinetwegen!«
  • »Dein Ehrenwort!«
  • »Mein Ehrenwort!«
  • »Also: du wirst doch wohl eine ganze Reihe von toten Bauern besitzen,
  • die noch nicht aus den Revisionslisten gestrichen sind.«
  • »Natürlich! und was soll das hier!«
  • »Übergib sie mir. Übertrage sie auf meinen Namen!«
  • »Und wozu brauchst du sie?«
  • »Ich brauche sie.«
  • »Nein, sag wozu?«
  • »Ich brauche sie eben .... das ist doch meine Sache -- mit einem Wort,
  • ich habe sie nötig.«
  • »Da steckt bestimmt was dahinter. Du hast sicher irgend einen Plan mit
  • ihnen ausgeheckt. Gesteh's nur. Was ist's?«
  • »Ach was für ein Plan! Solch eine Bagatelle. Was könnte ich damit
  • vorhaben?«
  • »Ja, wozu brauchst du sie denn dann?«
  • »Herr Gott! bist du neugierig! Du willst wohl jeden Dreck mit der Hand
  • befühlen, und wohl gar noch dran riechen!«
  • »Ja, warum willst du es denn nicht sagen?«
  • »Was hast du denn davon, wenn ich's dir sage? Ganz einfach, es ist so
  • eine Laune von mir!«
  • »Nun gut, wenn du's mir nicht sagt, dann tu ich's eben nicht!«
  • »Hör mal, das ist wirklich unanständig von dir. Hast mir dein Wort
  • gegeben, und willst es jetzt wieder zurücknehmen!«
  • »Schön, wie du willst. Ich tu's halt nicht, bevor du mir's sagst.«
  • »Was könnte ich ihm bloß sagen?« dachte Tschitschikow; er überlegte ein
  • wenig und erklärte dann, er brauche die toten Seelen, um sich Gewicht
  • und Einfluß in der Gesellschaft zu verschaffen, er habe keine großen
  • Besitzungen, und daher möchte er wenigstens einstweilen ein paar Seelen
  • haben.
  • »Du schwindelst,« sagte Nosdrjow, indem er ihm ins Wort fiel, »du
  • schwindelst Bruder!«
  • Tschitschikow mußte sich selbst gestehen, daß er nicht gerade geschickt
  • gelogen hatte, und die ersonnene Ausflucht eigentlich recht schwach war.
  • »Nun gut, dann will ich dir die Wahrheit sagen,« sagte er, indem er sich
  • verbesserte, »ich bitte dich nur um eins, es nicht weiter zu plaudern.
  • Ich habe die Absicht, mich zu verheiraten; aber leider sind der Vater
  • und die Mutter meiner Braut höchst ehrgeizige Leute, die hoch hinaus
  • wollen. Eine verfluchte Geschichte! ich ärgere mich beinahe, daß ich
  • mich überhaupt darauf eingelassen habe: sie wollen partout, daß der
  • Bräutigam mindestens dreihundert Seelen haben solle, und da mir beinahe
  • ganze hundertfünfzig daran fehlen, so .....«
  • »Ne Bruder, du schwindelst!« rief Nosdrjow wieder.
  • »Nein wirklich, diesmal hab' ich auch nicht einmal _so_viel gelogen,«
  • sagte Tschitschikow, indem er mit dem Daumen auf ein winziges Stück des
  • kleinen Fingers wies.
  • »Den Kopf zum Pfande, daß du schwindelst!«
  • »Hör mal, du beleidigt mich! Wer bin ich denn eigentlich? Warum soll ich
  • denn durchaus lügen?«
  • »Aber ich kenne dich doch: du bist ja ein großer Spitzbube -- gestatte
  • mir bitte, dir das einmal in aller Freundschaft zu sagen. Wenn ich dein
  • Chef wäre, ich ließe dich am ersten besten Baum aufhängen.«
  • Tschitschikow fühlte sich durch diese Bemerkung beleidigt. Jeder grobe,
  • die Grenzen der Schicklichkeit verletzende Ausdruck berührte ihn
  • peinlich. Alle Familiaritäten seitens anderer Personen waren ihm in der
  • Seele zuwider, und er suchte sich ihnen zu entziehen, es sei denn, daß
  • sie von hochgestellten Leuten ausgingen. Daher fühlte er sich jetzt im
  • Innersten gekränkt.
  • »Bei Gott, ich ließe dich hängen!« wiederholte Nosdrjow, »ich meine das
  • ganz aufrichtig und sage das nicht um dich zu beleidigen, sondern
  • erlaube es mir als dein Freund.«
  • »Alles hat seine Grenzen,« sagte Tschitschikow mit Würde. »Wenn du dich
  • mit solchen Redensarten brüsten willst, dann geh doch lieber in die
  • Kaserne.« -- Und er fügte hinzu: »Willst du sie mir nicht schenken, so
  • verkaufe sie mir wenigstens.«
  • »Verkaufen! Aber ich kenne dich doch. Du bist ein Hallunke. Du wirst ja
  • doch nicht viel dafür geben.«
  • »Na, du kannst so bleiben! Sieh einer an, du glaubst wohl, sie sind von
  • Edelstein, wie?«
  • »Da siehst du es, ich kenne dich doch.«
  • »Nein höre mal, Freund, was ist das für ein knickeriges Benehmen. Du
  • solltest sie mir wahrhaftig schenken.«
  • »Also gut, um dir zu beweisen, daß ich nicht so ein Filz bin, will ich
  • dir garnichts für sie abnehmen. Kauf mir einen Hengst ab, dann kriegst
  • du sie gratis.«
  • »Ich bitte dich, was soll ich mit dem Hengst?« sagte Tschitschikow,
  • höchst verwundert über diesen Vorschlag.
  • »Was du damit sollst? Ich habe zehntausend Rubel für den Racker bezahlt,
  • und du sollst ihn für viertausend haben.«
  • »Aber was soll ich bloß damit anfangen! Ich habe doch kein Gestüt.«
  • »Ja höre doch nur, du versteht mich noch nicht. Ich nehme dir doch jetzt
  • nur dreitausend ab. Die übrigen tausend kannst du mir ja später
  • bezahlen.«
  • »Ja aber, wenn ich ihn nun doch durchaus nicht brauchen kann! Gott mit
  • ihm!«
  • »Nun gut, dann kauf mir die hellbraune Stute ab!«
  • »Ich kann auch keine Stute brauchen.«
  • »Ich gebe dir die Stute und das graue Pferd dazu, das du vorhin gesehen
  • hat, für zweitausend Rubel.«
  • »Ich brauche keine Pferde!« sagte Tschitschikow.
  • »Du kannst sie ja weiter verkaufen. Auf jeder Messe kriegst du das
  • Dreifache für sie.«
  • »Dann verkauf sie doch lieber selbst, wenn du dir einen so großen Gewinn
  • davon versprichst.«
  • »Ich weiß, daß ich dabei gewinne: aber ich möchte dir auch einen kleinen
  • Vorteil zukommen lassen.«
  • Tschitschikow dankte ihm für seine freundliche Gesinnung und verzichtete
  • rundweg auf die braune Stute und das graue Roß.
  • »So kauf mir ein paar Hunde ab! Ich habe da ein Pärchen für dich; da
  • läuft dir gleich ein Freudenschauer über den Rücken. Einen
  • stichelhaarigen mit borstigem Bart; die Haare stehen ihm zu Berge wie
  • die Stacheln eines Igels, und die Rippen -- die reinsten Faßreifen. Dazu
  • die klumppatschigen Pfoten -- die berühren kaum die Erde! ...«
  • »Ach! Ich brauche keine Hunde. Ich bin doch kein Jäger.«
  • »Aber ich möchte gerne, daß du ein paar Hunde hast.
  • Übrigens weißt du, wenn du die Hunde nicht haben willst, dann kauf mir
  • die Drehorgel ab. Ein feines Stück, sage ich dir. Sie hat mich selbst,
  • so wahr ich ein ehrlicher Mann bin, anderthalb Tausend gekostet. Dir
  • will ich sie für neunhundert lassen.«
  • »Was soll ich mit der Drehorgel anfangen? Ich bin doch kein Deutscher,
  • daß ich mit ihr von Haus zu Haus wandern und um Geld betteln könnte!«
  • »Aber das ist doch kein Leierkasten, wie ihn die Deutschen haben. Das
  • ist eine Orgel, sieh sie dir mal genau an. Lauter echtes Mahagoni! Komm,
  • ich will sie dir noch mal zeigen!« Und Nosdrjow ergriff Tschitschikows
  • Hand und zog ihn nach sich in das Nebenzimmer, er mochte sich sträuben,
  • die Füße gegen den Fußboden stemmen und versichern, soviel er wollte, er
  • kenne die Drehorgel zur Genüge, es nützte ihm alles nichts, er mußte
  • noch einmal hören, wie Malborough in die Schlacht zog.
  • »Wenn du mir kein Geld geben willst, dann machen wir es folgendermaßen,
  • weißt du. Ich gebe dir die Drehorgel und dazu alle toten Seelen, die ich
  • habe und du überläßt mir dafür deine Kutsche und zahlst nur noch
  • dreihundert Rubel drauf.«
  • »Noch mehr? Und wie soll ich fortkommen?«
  • »Ich gebe dir einen andern Wagen. Komm herunter in den Stall, ich will
  • ihn dir gleich zeigen! Du mußt ihn nur neu anstreichen lassen. Dann ist
  • es eine herrliche Kutsche!«
  • »Ist der von einem unruhigen Geiste besessen,« dachte Tschitschikow und
  • faßte den heroischen Entschluß, Nosdrjow mit seinen Kutschen, Drehorgeln
  • und allen möglichen und unmöglichen Hunden, trotz der geradezu
  • unerhörten, faßreifenähnlichen Rippen und klumppatschigen Pfoten ein für
  • alle Mal loszuwerden.
  • »Aber du kriegst doch alles zusammen: die Kutsche, die Drehorgel und die
  • toten Seelen.«
  • »Ich will aber nichts,« sagte Tschitschikow noch einmal.
  • »Warum willst du bloß nicht?«
  • »Ganz einfach, weil ich nicht will, und damit basta!«
  • »Ach bist du ein Kerl! Mit dir kann man ja nicht verkehren wie mit einem
  • guten Freunde oder Kameraden. Wirklich so ein .....! Man merkt gleich,
  • daß du ein doppelzüngiger Mensch bist.«
  • »Ja bin ich denn ein Esel, wie?! Wozu soll ich mir Dinge anschaffen, die
  • ich absolut nicht brauchen kann.«
  • »Nein, bitte, rede nicht! Jetzt habe ich dich durchschaut.
  • So ein Schuft, wahrhaftig. Also gut, höre mal, machen wir ein Partiechen
  • Pharao. Ich setze alle toten Seelen auf eine Karte und die Drehorgel
  • dazu.«
  • »Nein, mein Bester, ein Glücksspiel verlieren, das hieße sich dem
  • dunklen Zufall aussetzen,« sagte Tschitschikow, während er nach den
  • Karten schielte, die jener in der Hand hielt. Beide Spiele machten einen
  • recht wenig Vertrauen erweckenden Eindruck auf ihn. Auch die Rückseite
  • sah recht verdächtig aus.
  • »Warum denn dem Zufall,« sagte Nosdrjow, »das ist doch kein Zufall; wenn
  • das Glück dir günstig ist, Hölle und Teufel, was kannst du da nicht
  • alles gewinnen. Sieh doch nur, welch ein Glück, du hast,« sagte er,
  • indem er ein paar Karten auflegte, um Tschitschikows Spiellust
  • anzuregen. »Nein, solch ein Glück, solch ein Glück! Das flutscht nur so.
  • Siehst du, da ist die verfluchte Zehn, durch die ich alles verloren
  • habe. Ich ahnte es, daß sie mich im Stiche lassen wird. Aber ich machte
  • die Augen zu und dachte nur, hol dich der Teufel! Tu's nur Verräterin!«
  • Während Nosdrjow noch sprach, brachte Porphyr eine Flasche herein. Aber
  • Tschitschikow lehnte entschieden ab und wollte weder spielen noch
  • trinken.
  • »Warum willst du denn nicht spielen?« sagte Nosdrjow.
  • »Weil ich keine Lust habe. Wenn ich ehrlich sein soll, bin ich überhaupt
  • kein Freund vom Spiel.«
  • »Warum bist du denn kein Freund davon?«
  • »Weil ich halt kein Freund davon bin,« sagte Tschitschikow und zuckte
  • die Achseln.
  • »Jammerlappen, du!«
  • »Was soll ich machen, wenn Gott mich mal so geschaffen hat.«
  • »Ein Schlappschwanz und nichts weiter. Früher hielt ich dich doch
  • wenigstens noch für einen etwas anständigeren Menschen. Aber du hast ja
  • keine Ahnung vom guten Benehmen. Mit dir kann man nicht sprechen wie mit
  • einem Freunde, keine Spur von Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit. Der
  • reinste Sabakewitsch! Solch ein Lump!«
  • »Sag mal, warum schimpfst du mich eigentlich? Bin ich denn schuld, daß
  • ich nicht spielen kann? Verkauf mir doch die Seelen, wenn du schon so
  • ein Kerl bist, der um jeden Dreck zittert!«
  • »Den Teufel kriegst du! Und noch dazu ohne Haare. Ich wollte sie dir
  • zuerst gratis geben, aber jetzt bekommst du überhaupt nichts, und wenn
  • du mir ein Königreich dafür bötest, ich geb sie nicht her. So ein
  • Beutelschneider! So'n dreckiger Lehmbudiker! Von nun ab will ich mit dir
  • überhaupt nichts zu tun haben. Porphyr geh mal runter und sag dem
  • Stalljungen, er soll seinen Pferden keinen Hafer geben. Die brauchen
  • nichts wie Heu zu fressen.«
  • Dieser Schluß kam Tschitschikow in der Tat unerwartet.
  • »Hätt' ich dich doch lieber gar nicht gesehen!« sagte Nosdrjow.
  • Dieser Zwist hinderte indessen den Hausherrn und seinen Gast nicht,
  • zusammen zu Abend zu speisen, obwohl diesmal keine Weine mit
  • komplizierten und merkwürdigen Namen auf dem Tische prangten. Nur eine
  • einzige Flasche stand einsam da, mit einer Art Cypernwein, der aber im
  • übrigen nichts anderes war, als was man einen sauren Krätzer zu nennen
  • pflegt. Nach dem Abendessen führte Nosdrjow Tschitschikow in ein
  • Seitengemach, wo bereits ein Bett für ihn aufgeschlagen war und sagte:
  • »Da ist dein Bett. Ich mag dir nicht einmal gute Nacht wünschen.«
  • Mit diesen Worten ging er hinaus und ließ Tschitschikow in der
  • allerschlechtesten Laune zurück. Er ärgerte sich innerlich über sich
  • selbst, und machte sich Vorwürfe, daß er mitgefahren war und seine
  • schöne Zeit unnütz verloren hatte; was er sich jedoch am wenigsten
  • verzeihen konnte, war dies, daß er über seine eigenste Angelegenheit mit
  • ihm gesprochen hatte; das war sehr unvorsichtig von ihm gewesen, er
  • hatte gehandelt wie ein Tor; denn die Sache selbst war durchaus nicht
  • von der Art, daß sie Nosdrjow -- anvertraut werden konnte ... Nosdrjow
  • war ein gemeiner Kerl; er konnte noch was hinzuschwindeln, weiß der
  • Teufel, was für Lügen darüber verbreiten, und schließlich konnte noch
  • eine dumme Klatschgeschichte daraus entstehen ... Fatal, höchst fatal!
  • »Ich bin doch wirklich ein Esel!« sprach er zu sich selber. Er schlief
  • die Nacht über sehr schlecht. Eine gewisse Gattung ganz kleiner aber
  • äußerst kecker und zudringlicher Insekten verfolgten ihn fortwährend mit
  • ihren Bissen, die unerträglich schmerzhaft waren, so daß er sich mit der
  • ganzen Hand an den betreffenden Stellen kratzte und murmelte: »Hol euch
  • der Teufel, mitsamt Nosdrjow!« Es war noch sehr früh, als er erwachte.
  • Sein erster Gang, nachdem er Stiefel und Schlafrock angezogen hatte, war
  • nach dem Stall, welcher sich am Ende des Hofes befand, wo er Seliphan
  • den Auftrag gab, die Pferde sofort anzuspannen. Auf dem Rückwege traf er
  • Nosdrjow, der ihm, gleichfalls im Schlafrock und mit der Pfeife im
  • Munde, im Hofe entgegen kam.
  • Nosdrjow grüßte ihn freundschaftlich und fragte, wie er die Nacht
  • geschlafen habe.
  • »Sehr mäßig!« antwortete Tschitschikow trocken.
  • »Ich auch, Freund ...« sagte Nosdrjow ... »weißt du, die ganze Nacht hat
  • mich dies verdammte Viehzeug geplagt, ich mag's garnicht erzählen; dazu
  • habe ich nach dem gestrigen Abend einen Geschmack im Munde, wie wenn
  • eine ganze Schwadron drin übernachtet hätte. Denk dir, mir träumte, daß
  • ich Ruten bekomme. Wahrhaftig! Und weißt du von wem? Ich möchte wetten,
  • daß du's nicht errätst: vom Stabsrittmeister Pozelyjew und von
  • Kufschinnikow.«
  • »Ja ja,« dachte Tschitschikow, »es wäre wirklich nicht schlecht, wenn du
  • einmal gründlich durchgebläut würdest.«
  • »Bei Gott! Es hat verflucht weh getan! Ich bin sogar davon aufgewacht;
  • und in der Tat, es juckte mich am ganzen Körper; das verdammte
  • Gelichter, diese Flöhe! So, gehe jetzt hinauf und zieh dich an; ich
  • komme gleich wieder zu dir. Ich muß nur dem Schuft von Verwalter noch
  • mal den Kopf waschen.«
  • Tschitschikow begab sich auf sein Zimmer, um sich zu waschen und
  • anzuziehen. Als er gleich darauf ins Speisezimmer trat, stand schon ein
  • Teeservice und eine Flasche Rum auf dem Tisch. Im Zimmer waren noch
  • Spuren vom gestrigen Diner und Souper bemerkbar; Bürste und Besen hatten
  • noch ihres Amtes nicht gewaltet. Auf dem Fußboden lagen Brodkrumen und
  • selbst auf dem Tischtuche sah man ganze Haufen von Tabakasche
  • herumliegen. Der Hausherr, der bald darauf hereinkam, hatte nichts an,
  • außer einem Schlafrock, unter dem die offene mit dichten Haaren
  • bewachsene Brust hervorguckte. So mit dem Pfeifenrohr in der einen, und
  • mit der Tasse, aus der er ab und zu nippte, in der anderen Hand, wäre er
  • so recht ein Bild für einen Maler gewesen, welcher die gelockten und
  • gekräuselten oder kurz geschorenen Köpfe nicht leiden kann, wie man sie
  • auf den Aushängeschildern der Barbierläden abgebildet findet.
  • »Nun also, wie denkst du?« fragte Nosdrjow nach einer kurzen Pause,
  • »willst du um die Seelen spielen oder nicht?«
  • »Ich hab dir doch schon gesagt, daß ich nicht mag; abkaufen -- tue ich
  • sie dir gern.«
  • »Verkaufen will ich sie nicht: das wäre nicht freundschaftlich. Ich will
  • doch nicht weiß der Teufel wovon die Decke runterziehen. Ein Spielchen
  • -- das ist eine andre Sache. Zieh doch eine Karte!«
  • »Ich hab dir doch schon gesagt: ich mag nicht.«
  • »Und tauschen willst du auch nicht?«
  • »Nein!«
  • »Nun dann höre, wollen wir Dame spielen? Gewinnst du -- so gehören sie
  • dir -- alle zusammen. Ich habe ja eine ganze Menge, die aus der
  • Revisionsliste gestrichen werden müssen. He Porphyr! Bring doch mal das
  • Damenbrett herein!«
  • »Bemühe dich bitte nicht: ich spiele _doch_ nicht!«
  • »Aber das ist doch kein Glücksspiel; hier kann doch weder von Glück noch
  • von Betrug die Rede sein, es hängt doch alles vom guten Spiel ab.
  • Übrigens mache ich dich darauf aufmerksam, daß ich sehr schlecht spiele;
  • du mußt mir etwas vorgeben.«
  • »Vielleicht ist's das beste, ich setze mich hin und versuche es,« dachte
  • Tschitschikow. »Ich habe doch früher einmal garnicht übel Dame gespielt,
  • zudem wird es ihm hier schwer werden, zu mogeln.«
  • »Also schön! Meinetwegen, eine Partie Dame will ich allenfalls mit dir
  • spielen.«
  • »Die Seelen -- gegen hundert Rubel? Gut?«
  • »Warum? Ich denke fünfzig sind auch genug.«
  • »Nein, hör mal, fünfzig, das ist doch kein Einsatz? Dann setze ich
  • lieber noch einen gewöhnlichen Jagdhund oder eine goldene Petschaft
  • dazu, weißt du, so eine, wie man sie an der Uhrkette trägt.«
  • »Nun gut! ich bin's zufrieden,« sagte Tschitschikow.
  • »Und wieviel gibst du mir vor?« fragte Nosdrjow.
  • »Wie käme ich dazu? Natürlich nichts.«
  • »Laß mich wenigstens die ersten zwei Züge machen!«
  • »Nein, ich spiele selbst schlecht genug.«
  • »Das kennt man schon, dies schlechte Spiel!« sagte Nosdrjow, während er
  • anzog.
  • »Ich habe schon lange keinen Stein mehr in die Hand genommen,« sprach
  • Tschitschikow, der gleichfalls einen Zug machte.
  • »Das kennt man schon -- dies schlechte Spiel,« sagte Nosdrjow und zog
  • wieder.
  • »Ich habe schon lange keinen Stein mehr in die Hand genommen,« sprach
  • Tschitschikow und rückte weiter vor.
  • »Das kennt man schon -- dies schlechte Spiel,« sagte Nosdrjow, während
  • er wieder einen Zug machte, und dabei mit dem Ärmel seines Schlafrockes
  • einen andern Stein verschob.
  • »Ich habe schon lange keinen Stein mehr in die Hand genommen! .... He,
  • was soll das lieber Freund? nimm mal den Zug wieder zurück!« rief
  • Tschitschikow.
  • »Was?«
  • »Den Stein da sollst du zurückziehen,« sagte Tschitschikow; aber jetzt
  • erblickte er plötzlich dicht vor seiner Nase noch einen zweiten Stein,
  • der eben im Begriff war, ins Damenfeld einzurücken. Wie der dahin
  • gekommen war, das wußte wohl nur Gott allein. »Nein,« sagte
  • Tschitschikow, »mit dir kann man unmöglich spielen. Man macht doch nicht
  • drei Züge auf einmal!«
  • »Wieso denn drei? Das war doch nur ein Versehn. Der eine hat sich nur
  • zufällig verschoben; ich zieh ihn wieder zurück, wenn du willst.«
  • »Und wie kommt der hierher?«
  • »Welchen meinst du?«
  • »Hier diesen, der in die Damenreihe einrückt.«
  • »Da haben wir's! Als ob du's nicht weißt!«
  • »Nein, mein Bester, ich habe alle Züge gezählt und erinnere mich sehr
  • gut an alles, du hast ihn erst eben vorgeschoben. _Da_ ist sein Platz!«
  • -- »Was -- dort?« sagte Nosdrjow errötend, »du phantasierst wohl,
  • Freund!«
  • »Nein, Bester, _du_ scheinst zu phantasieren, aber leider nur mit wenig
  • Glück.«
  • »Für wen hältst du mich,« sagte Nosdrjow, »glaubst du etwa, ich mogele?«
  • »Ich halte dich für gar nichts, ich werde mich nur hüten, jemals wieder
  • mit dir zu spielen.«
  • »Nein, jetzt kannst du nicht mehr vom Spiel zurücktreten,« ereiferte
  • sich Nosdrjow, »das Spiel ist angefangen!«
  • »Ich darf doch wohl verzichten, da du nicht spielst wie ein anständiger
  • Mensch!«
  • »Du lügst! Du hast kein Recht, so etwas zu behaupten!«
  • »Nein, mein Bester, du bist es, der da lügt!«
  • »Ich habe nicht gemogelt, und du kannst nicht mehr verzichten. Du mußt
  • die Partie zu Ende spielen!«
  • »Dazu kannst du mich nicht zwingen,« sprach Tschitschikow kaltblütig,
  • trat ans Brett und warf die Steine durcheinander.
  • Nosdrjow wurde rot vor Zorn und ging auf Tschitschikow los, so daß
  • dieser zwei Schritte zurücktrat.
  • »Ich werde dich doch zwingen, mit mir zu spielen. Das nützt dir nichts,
  • daß du das Brett umgestoßen hast! Ich erinnere mich an sämtliche Züge!
  • Wir können das Spiel wieder aufstellen.«
  • »Nein, mein Bester, ich spiele nicht mit dir, und damit Basta!«
  • »Du willst also nicht spielen? wie?«
  • »Du mußt doch selbst einsehen, daß man nicht mit dir spielen kann!«
  • »Nein, sag's gradheraus: Willst du spielen oder nicht?« sagte Nosdrjow,
  • indem er Tschitschikow noch näher auf den Leib rückte.
  • »Nein,« sprach Tschitschikow, während er seine Hände vor das Gesicht
  • hielt, er war auf alles gefaßt und fühlte, daß es einen heißen Kampf
  • geben würde. Diese Vorsicht war durchaus am Platze, denn Nosdrjow holte
  • aus, und es hätte leicht passieren können, daß eine von den schönen
  • runden Backen unseres Helden mit nie zu verwischender Schmach bedeckt
  • worden wäre; aber er parierte geschickt den Schlag, packte Nosdrjows
  • kampflustige Hände und hielt sie fest in den seinen.
  • »Porphyr, Pawluschka!« schrie Nosdrjow wie ein Rasender, indem er
  • versuchte sich loszuringen.
  • Bei diesen Worten ließ Tschitschikow, der die Knechte nicht gern zu
  • Zeugen dieser äußerst interessanten Szene machen wollte, und zugleich
  • fühlte, daß es doch keinen Wert hatte, Nosdrjow länger festzuhalten,
  • seine Hände fahren. In diesem Augenblick betrat Porphyr das Zimmer,
  • gefolgt von Pawluscha, einem handfesten Burschen, mit dem nicht gut
  • Kirschen essen war.
  • »Du willst also die Partie nicht zu Ende spielen?« sagte Nosdrjow. »Sag
  • ja oder nein.«
  • »Es ist mir unmöglich, sie zu Ende zu spielen,« sprach Tschitschikow und
  • warf einen Blick aus dem Fenster. Er sah seine Kutsche bereitstehen und
  • neben ihr Seliphan, der nur auf den Moment zu warten schien, wo er
  • vorfahren könnte; aber jeder Ausweg aus dem Zimmer war verschlossen,
  • denn in der Türe standen zwei kräftige Esel, die Leibeigenen Nosdrjows.
  • »Du willst also die Partie nicht beendigen?« wiederholte Nosdrjow,
  • dessen Antlitz vor Zorn glühte.
  • »Wenn du spielen würdest, wie ein anständiger Mensch .... aber so ....
  • Nein!«
  • »Also nicht? Du Schurke! Weil du merkst, daß du verlieren mußt, _kannst_
  • du auf einmal nicht! Haut ihn!« schrie er plötzlich in rasender Wut,
  • indem er sich an Porphyr und Pawluscha wandte und selbst sein
  • Pfeifenrohr von Weichselholz packte. Tschitschikow wurde bleich wie ein
  • Stück Leinwand. Er wollte etwas sagen, aber er fühlte, daß seine Lippen
  • sich bewegten, ohne einen Laut von sich zu geben.
  • »Haut ihn!« schrie Nosdrjow, während er mit seinem Weichselrohr auf ihn
  • losstürzte, zornglühend und schwitzend, als ob er gegen eine
  • unbezwingliche Festung Sturm liefe. -- »Haut ihn!« schrie er mit der
  • Stimme eines tollen Leutnants, der während eines gewaltigen
  • Sturmangriffes seiner Kompagnie: »Vorwärts, Kinder!« zuruft, und dessen
  • unsinnige Kühnheit solch eine Berühmtheit erlangt hat, so daß die Ordre
  • ausgegeben werden mußte, während eines heftigen Gefechtes, ihn an Händen
  • und Füßen festzuhalten. Aber der Rausch der Schlacht hat ihn schon
  • betört; um ihn herum scheint sich alles zu drehen. Die Gestalt des
  • Feldmarschalls Suworow scheint ihm voranzuschweben. Das große Ziel winkt
  • und blindlings stürzt er darauf zu. »Vorwärts, Kinder!« schreit er und
  • schon fliegt er voran, ohne zu überlegen, wie sehr er damit dem
  • wohlberechneten Angriffsplane schadet und ohne darauf zu achten, daß
  • Millionen von Büchsenläufen aus den Schießscharten der unbezwinglichen,
  • von Rauchwolken umzogenen Festungsmauern herlugen, daß seine ohnmächtige
  • Kompagnie in die Luft fliegen muß wie leichter Federflaum und daß die
  • verhängnisvolle Kugel sausend naht, um ihm den vorlauten Mund zu
  • schließen. Aber, wenn Nosdrjow einen solchen verzweifelt gegen eine
  • Festung anstürmenden tollköpfigen Leutnant darstellte, die Festung
  • _selbst_, auf die er den wahnsinnigen Angriff unternahm, schien
  • keineswegs uneinnehmbar, im Gegenteil, die Festung fühlte eine derartige
  • Furcht, daß ihr das Herz in die Hosen fiel. Schon ward ihm der Stuhl,
  • mit dem er sich verteidigen wollte, von den Leibeigenen aus den Händen
  • gerissen, schon bereitete er sich geschlossenen Auges und mehr tot als
  • lebendig, das tscherkessische Pfeifenrohr seines Gastfreundes mit dem
  • Rücken in Empfang zu nehmen, und Gott weiß, was ihm noch sonst alles
  • hätte blühen können. Aber der Vorsehung gefiel es, die Lenden, die
  • Schultern und alle wohlgepflegten Körperteile unseres Helden zu retten.
  • Ganz unerwartet erklangen plötzlich, wie die Stimme eines Himmelsboten,
  • die Töne eines Glöckchens, das Rädergerassel einer vorfahrenden Kutsche
  • und das bis ins Innerste der Stube vernehmbare schwere Schnaufen der
  • erhitzten Pferde eines Dreigespanns. Alles eilte unwillkürlich ans
  • Fenster: ein Mann mit einem martialischen Schnauzbart, im Interimsrock
  • stieg aus dem Wagen. Nachdem er im Flure nach dem Hausherrn gefragt
  • hatte, trat er ins Zimmer, noch bevor Tschitschikow sich von seinem
  • Schreck hatte erholen können und während er sich noch in der
  • jämmerlichsten Lage befand, die je ein Sterblicher durchgemacht hat.
  • »Darf ich fragen, wer von den Anwesenden Herr Nosdrjow ist?« sagte der
  • Unbekannte, indem er einen erstaunten Blick auf Nosdrjow, der mit dem
  • Pfeifenrohr in der Hand dastand, und auf Tschitschikow warf, der eben
  • aus seiner traurigen Lage wieder zu sich zu kommen begann.
  • »Darf ich zuerst erfahren, mit wem ich die Ehre habe?« sagte Nosdrjow
  • auf ihn zugehend.
  • »Ich bin der Kreisrichter!«
  • »Und was wünschen Sie?«
  • »Ich komme, um ihnen eine mir zugegangene amtliche Mitteilung zu
  • überbringen. Sie befinden sich im Anklagezustand bis zur gerichtlichen
  • Beschlußfassung in dem gegen Sie schwebenden Prozeß.«
  • »Ach Unsinn! Was für ein Prozeß?« sagte Nosdrjow.
  • »Sie sind in die Sache des Gutsbesitzers Maksimow verwickelt, anläßlich
  • einer persönlichen Beleidigung, die Sie ihm in trunkenem Zustande durch
  • Verabfolgung von Rutenschlägen zugefügt haben sollen.«
  • »Sie lügen, ich kenne den Gutsbesitzer Maksimow überhaupt nicht.«
  • »Geehrter Herr! Gestatten sie, daß ich Sie darauf aufmerksam mache: ich
  • bin Offizier. Sie können das ihrem Diener sagen, aber nicht mir.«
  • Hier ergriff Tschitschikow, ohne abzuwarten, was Nosdrjow darauf
  • antworten würde, schleunigst seine Mütze, schlüpfte hinterm Rücken des
  • Kreisrichters zur Türe hinaus, bestieg eilig seinen Wagen, und befahl
  • Seliphan die Pferde anzutreiben, so schnell er nur konnte.
  • Fünftes Kapitel
  • Unser Held hatte übrigens gehörige Angst bekommen. Obwohl der Wagen in
  • wildem Galopp dahinjagte und Nosdrjows Gut hinter Hügeln, Feldern und
  • Anhöhen verschwunden war, blickte er sich immer noch furchtsam um, wie
  • in Erwartung, daß die Verfolger bald angesprengt kämen. Er atmete
  • schwer, und als er seine Hand aufs Herz legte, fühlte er, daß es hüpfte
  • wie eine Wachtel im Käfig. »Herr Gott, hat der mich schwitzen machen.
  • Bist du ein Kerl!« Dann wünschte er ihm den Teufel und seine Großmutter
  • an den Hals. Ja, es fielen sogar ein paar unschöne Ausdrücke; aber was
  • ist da zu machen: ein Russe, und noch dazu wenn er zornig ist! Zudem war
  • die Sache durchaus nicht scherzhaft: »Man mag sagen, was man will,«
  • sprach er zu sich selber, »wäre der Kreisrichter nicht auf der
  • Bildfläche erschienen, wer weiß, ob ich mich jetzt noch des Anblickes
  • dieser schönen Gotteswelt erfreuen könnte! Vielleicht wäre ich geplatzt,
  • wie eine Blase auf dem Wasser, ohne eine Spur meines irdischen Daseins,
  • ohne Nachkommen, ohne meinen Kindern und Kindeskindern Geld und Gut und
  • einen ehrlichen Namen zu hinterlassen!« Unser Held war sehr besorgt um
  • seine Nachkommenschaft.
  • »So ein böser Herr!« dachte Seliphan. »Solch einen Herren hab' ich in
  • meinem Leben noch nicht gesehen. Wahrhaftig, dem sollte man ins Gesicht
  • spucken für dieses Betragen. Einen Menschen mag man noch eher hungern
  • lassen, aber einem Pferde muß man doch zu fressen geben. Denn so ein
  • Gaul liebt nun mal den Hafer. Das ist sozusagen seine Nahrung; was für
  • uns die Kost, ist für ihn der Hafer sozusagen. Das ist doch seine
  • Nahrung.«
  • Auch die Pferde schienen sich eine ungünstige Meinung von Nosdrjow
  • gebildet zu haben. Nicht nur der Braune und der Assessor, selbst der
  • Schecke war schlechter Laune. Obgleich er für seinen Teil immer etwas
  • geringeren Hafer bekam und Seliphan ihm diesen nie anders in den Trog
  • schüttete, als mit den Worten: »Da, du Lump!«, es war doch immer Hafer
  • und nicht gewöhnliches Heu: er kaute mit Vergnügen daran und steckte
  • sein langes Maul häufig in die Krippe seiner beiden Nachbarn, um zu
  • kosten, was für eine Nahrung sie bekämen. Besonders tat er dies, wenn
  • Seliphan nicht im Stalle war. Aber dieses Mal nichts wie Heu -- das war
  • nicht schön! Sie alle waren unzufrieden.
  • Aber bald wurden die Unzufriedenen mitten in ihren Herzensergießungen
  • durch ein ganz plötzliches und unerwartetes Ereignis unterbrochen, alle
  • Beteiligten mit Einschluß des Kutschers kamen erst wieder zur Besinnung,
  • als ein mit sechs Pferden bespannter Wagen gegen sie anrannte und das
  • Schreien der in dem Wagen sitzenden Damen und das Geschimpf und die
  • Drohungen der Kutscher fast über ihren Köpfen erklangen. »Ach, du
  • Spitzbube, verdammter, ich habe dir doch laut zugerufen: Weich aus nach
  • rechts, alte Krähe! Du bist wohl besoffen, wie?« Seliphan mußte sich
  • gestehen, daß er eine Ungeschicklichkeit begangen hatte; aber da der
  • Russe seine Schuld vor andern Leuten nicht gerne zugibt, warf er sich in
  • die Brust und rief: »Und was jagst du so blind darauf los?! Hast wohl
  • deine Augen in der Schenke gelassen?« Hierauf zog er die Zügel kräftig
  • an, um den Wagen zurückzulenken und aus dem Knäuel herauszuwickeln.
  • Aber, ohweh, seine Bemühungen waren vergeblich; die Pferde hatten sich
  • mit ihrem Geschirr verhakt. Der Schecke beschnupperte neugierig seine
  • neuen Freunde, die ihn umringten. Unterdessen blickten die in dem Wagen
  • sitzenden Damen mit ängstlichen Gesichtern auf die allgemeine
  • Verwirrung. Die eine war schon alt, die andere ein sechzehnjähriges
  • junges Mädchen mit goldigem Haar, welches glatt gescheitelt ihr Gesicht
  • kleidsam einrahmte. Das reizende Oval ihres Antlitzes rundete sich wie
  • ein junges Eichen und schimmerte gleich diesem von weißem durchsichtigen
  • Glanze, wenn es frisch gelegt von der braunen, prüfenden Hand der
  • Schließerin gegen das Licht gehalten wird, und die hellen Strahlen des
  • Sonnenscheines es durchdringen. Ihre zarten, dünnen Ohrmuskeln
  • erzitterten, als glühten sie, von der sie durchflutenden Wärme. Dazu der
  • Ausdruck des Schreckens, der auf ihren offnen erstarrten Lippen lag, die
  • Tränen, die im Auge schimmerten, dies alles war so reizend, daß unser
  • Held sie einige Minuten lang traumverloren anblickte, ohne im geringsten
  • auf den Wirrwarr von Kutschen, Pferden und Kutschern zu achten. »Zurück!
  • Du Nowgorodsche Krähe!« rief der fremde Kutscher Seliphan zu. Dieser zog
  • die Zügel an, sein fremder Kollege tat dasselbe, die Pferde stemmten
  • sich rückwärts, um sogleich wieder zusammenzuprallen und sich aufs neue
  • im Riemenwerk zu verwickeln. Bei dieser Gelegenheit machte die neue
  • Bekanntschaft einen so tiefen Eindruck auf unsern Schecken, daß er
  • durchaus nicht wieder aus der Rinne heraus wollte, in die er durch ein
  • unverhofftes Schicksal geraten war. Er legte seine Schnauze auf den Hals
  • des neuen Kameraden und schien ihm etwas ins Ohr zu flüstern:
  • wahrscheinlich irgend ein schreckliches Blech. Denn dieser schüttelte
  • beständig die Ohren. Während der großen Unordnung waren indessen Bauern
  • aus einem Dorf, das zum Glück nicht sehr weit entfernt war, hilfsbereit
  • herbeigeeilt. Da ein solches Schauspiel für einen Bauern eine wahre
  • Himmelsgabe ist, wie für den Deutschen seine Zeitungen oder sein Klub,
  • so hatte sich bald eine vielköpfige Schar um die Wagen gesammelt, und
  • nur die alten Weiber und Wickelkinder waren zu Hause geblieben. Man
  • schnürte die Riemen los, der Schecke bekam ein paar kräftige Püffe vor
  • die Schnauze, die ihn zum Rückzug veranlaßten: mit einem Wort, die
  • Pferde wurden getrennt und beiseite geführt. Aber war es der Ärger der
  • neuangekommenen Pferde, daß man sie von ihren neuen Freunden getrennt
  • hatte, war es Eigensinn, -- der Kutscher mochte auf sie loshauen soviel
  • er wollte, sie blieben wie angewurzelt stehen. Die Teilnahme und das
  • Interesse der Bauern wuchs bis zu ungeheuren Dimensionen an. Alle
  • drängten sich um die Wette mit weisen Ratschlägen vor. »Geh,
  • Andrjuschka, führ mal das rechte Beipferd vor. Onkel Mitjaj soll sich
  • auf das mittlere setzen. Schwing dich auf, Onkel Mitjaj!« Der lange und
  • hagere Onkel Mitjaj, ein Mann mit einem roten Bart, bestieg das
  • Mittelpferd. So glich er dem Glockenturm einer Dorfkirche oder richtiger
  • einem Brunnenhaken, mit dem man das Wasser aus dem Brunnen heraufzieht.
  • Der Kutscher hieb auf die Pferde ein, aber es wollte nicht fruchten,
  • auch Onkel Mitjaj konnte nicht viel ausrichten. »Halt! Halt!« riefen die
  • Bauern, »setz dich lieber aufs Beipferd, Onkel Mitjaj; Onkel Minjaj soll
  • aufs Mittelpferd steigen!« Onkel Minjaj, ein breitschultriger Bauer mit
  • einem kohlschwarzen Bart und einem Bauch wie jener Riesensamowar, in dem
  • das süße Zwetschengetränk für die frierenden Scharen gekocht wird, die
  • einen ganzen Markt bevölkern, schwang sich vergnügt aufs Mittelpferd,
  • welches sich unter seiner Last fast bis zur Erde beugte. »Jetzt wird's
  • schon gehen,« riefen die Bauern: »Hau zu! Hau doch zu. Versetz ihm eins
  • mit der Knute: hörst du, jenem Hellen, da! -- was sträubt und spreizt
  • sich's wie 'ne Wassermücke.« Aber da sie sahen, daß die Sache doch nicht
  • von der Stelle kam, und alle Prügel nichts nützten, setzten sich beide,
  • Onkel Mitjaj und Onkel Minjaj zusammen auf das Mittelpferd und ließen
  • Andrjuschka auf das Beipferd steigen. Endlich verlor der Kutscher die
  • Geduld und jagte alle beide: Onkel Mitjaj samt Onkel Minjaj zum Teufel.
  • Und er tat gut daran, denn die Pferde dampften so, als ob sie eine ganze
  • Poststation zurückgelegt hätten, ohne auch nur einen Augenblick Halt
  • gemacht zu haben. Er ließ sie sich erst verschnaufen, worauf sie den
  • Wagen ganz von selbst fortzogen. Während sich dieser Vorgang abspielte,
  • war Tschitschikow ganz in die Betrachtung der fremden jungen Dame
  • versunken. Er versuchte es mehrmals, sie anzureden, aber es wollte ihm
  • immer nicht recht gelingen. Unterdessen waren die Damen davongefahren,
  • das reizende Köpfchen mit den feinen Gesichtszügen und der schlanken
  • Gestalt war verschwunden, wie eine Vision; und wieder befand sich
  • Tschitschikow auf der Landstraße, in seiner Kutsche mit den drei
  • Pferden, die der Leser schon kennt, und in Gesellschaft von Seliphan,
  • den öden, leeren Flächen der rings sich dehnenden Felder gegenüber.
  • Überall im Leben, in seinen harten, rauhen und ärmlichen, in den
  • unsaubern, schimmelbedeckten niederen Schichten -- wie in der sauberen
  • Korrektheit und Monotonie der höheren Stände -- überall begegnet uns,
  • wenn auch nur ein einziges Mal im Leben eine Erscheinung, die nichts
  • gemein hat mit alledem, was wir bisher gesehen, die wenigstens _einmal_
  • ein neues Gefühl in uns entzündet, das keine Ähnlichkeit mit jenen hat,
  • die uns durch unser ganzes Leben begleiten. Bei jedem von uns bricht
  • einmal ein heller Strahl der Freude durch das Dunkel jener Leiden und
  • trüben Erfahrungen, aus denen unser Leben gewebt ist, so wie bisweilen
  • eine glänzende Equipage mit goldgezäumten malerischen Rossen und
  • blitzenden Fensterscheiben ganz plötzlich und unerwartet an einem öden
  • elenden Dorf vorbeijagt, welches nie ein andres Gefährt, als den
  • bekannten Bauernwagen gesehen hat: und lange noch stehen die Bauern
  • staunend mit offenem Munde da, und wagen es nicht, ihre Mützen wieder
  • aufzusetzen, obwohl die herrliche Equipage schon längst verschwunden und
  • über alle Berge ist. So ist auch die junge Blondine ganz plötzlich und
  • unerwartet in unserer Erzählung aufgetaucht, um auf dieselbe Weise
  • wieder zu verschwinden. Wäre ihr statt Tschitschikow irgend ein
  • zwanzigjähriger Jüngling begegnet -- ein Husar, oder ein Student oder
  • auch nur ein gewöhnlicher Sterblicher, der eben im Begriff ist, seinen
  • Lebensweg anzutreten. -- Du lieber Gott, was wäre nicht alles in ihm zum
  • Leben erwacht, was hätte nicht alles nach Ausdruck gedrängt! Er hätte
  • wohl noch lange wie betäubt auf demselben Flecke gestanden, während
  • seine Augen stumm die Ferne suchten, hätte den Weg und das Reiseziel und
  • alle Vorwürfe und Verweise, wegen seiner Saumseligkeit, ja er hätte sich
  • selbst vergessen, seinen Dienst, die Welt und überhaupt alles, was auf
  • der Welt existiert!
  • Aber unser Held war schon ein Mann in mittleren Jahren und hatte einen
  • kühlen, ruhigen, umsichtigen Charakter. Auch er versank in Sinnen und
  • dachte über vieles nach, aber sein Denken war weit positiverer Natur:
  • seine Gedanken waren bei weitem nicht so unklar und unbestimmt, sondern
  • weit genauer und gründlicher. »Ein herrliches Weibchen!« sagte er, indem
  • er seine Tabakdose öffnete und eine Prise nahm. »Was aber das Beste an
  • ihr ist .... das Beste an ihr ist, daß sie soeben aus einem Institut
  • oder Pensionat entlassen zu sein scheint und daß sie noch nichts
  • spezifisch Weibliches an sich hat, nichts von jenen Zügen, die das ganze
  • Geschlecht verunzieren. Jetzt ist sie noch das reine Kind, alles an ihr
  • ist schlicht und einfach; sie spricht, wie ihr's ums Herz ist und lacht,
  • wenn ihr darnach zumute ist. Es läßt sich noch alles aus ihr machen, sie
  • kann ein herrliches Geschöpf, aber ebensogut auch ein verkrüppeltes
  • Wesen werden -- und so wird es wohl auch kommen, wenn sich erst die
  • Tanten und Mamas an ihre Erziehung machen. Die werden sie in einem Jahr
  • mit ihrem Weiberkram vollpfropfen, daß ihr eigener Vater sie nicht
  • wiedererkennen wird. Sie wird ein aufgeblasenes und affektiertes Wesen
  • annehmen, wird sich nach auswendig gelernten Regeln drehen, wenden und
  • knicksen, sich den Kopf darüber zerbrechen, _was_ sie, mit _wem_ sie und
  • wie _viel_ sie sprechen, wie sie ihren Kavalier anblicken muß usw. usw.;
  • wird fortwährend in der größten Angst schweben, ob sie nun kein
  • überflüssiges Wort gesagt hat, schließlich garnicht mehr wissen, was sie
  • zu tun hat, und wie eine große Lüge durch das Leben wandeln. Pfui
  • Teufel!« Hier verstummte er einen Augenblick und fuhr dann fort:
  • »Übrigens wüßte ich gern, wer sie eigentlich ist. Wer mag ihr Vater
  • sein? Irgend ein ehrenwerter Gutsbesitzer oder nur ein rechtschaffen
  • denkender Mensch, der sich im Dienst ein kleines Kapital erspart hat?
  • Wenn die Kleine so ein paar Hunderttausende mitbekäme -- das wäre weiß
  • Gott kein übler -- gar kein übler Bissen. Ein ordentlicher Mensch könnte
  • mit ihr sein Glück machen.« Die Zweimalhunderttausend erschienen ihm in
  • so reizendem Lichte, daß er sich innerlich Vorwürfe zu machen begann,
  • weswegen er sich während des Trubels mit den Equipagen nicht beim
  • Vorreiter nach dem Namen der Reisenden erkundigt habe. Doch das jetzt
  • sichtbar werdende Dorf Sabakewitschs zerstreute seine Gedanken und
  • lenkte sie auf ihren eigentlichen Gegenstand zurück.
  • Das Dorf kam ihm recht groß vor; eine Birken- und eine Fichtenwaldung
  • rahmten es von beiden Seiten ein, wie zwei Flügel, von denen der eine
  • etwas dunkler erschien als der andre; in der Mitte stand ein hölzernes
  • Haus mit einem Anbau, einem roten Dach und dunkelgrauen -- oder
  • richtiger rohen Wänden -- eins von jenen Häusern, wie sie bei uns für
  • Soldaten und Kolonisten gebaut werden. Man merkte deutlich, daß der
  • Baumeister bei der Ausführung seines Planes beständig mit dem Geschmack
  • des Besitzers zu kämpfen hatte. Der Baumeister war ein Pedant und liebte
  • die Symmetrie, der Hausherr aber wollte es vor allem recht bequem haben
  • und hatte aus diesem Grunde offenbar auf einer Seite alle
  • korrespondierenden Fenster zumauern und statt ihrer nur eine kleine
  • runde Öffnung stehen lassen, die zu einer dunklen Kammer gehörte. Auch
  • der eine Erker war nicht in der Mitte des Hauses angebracht, so sehr
  • sich der Architekt bemüht hatte, dies durchzusetzen; der Hausherr wollte
  • durchaus die eine Säule beseitigt wissen, und so war es gekommen, daß
  • statt der vier Säulen nur drei dastanden. Der Hof war von einem
  • kräftigen und ungewöhnlich dicken Staketenzaun umgeben. Überhaupt schien
  • der Gutsherr vor allem auf Dauerhaftigkeit und Solidität bedacht zu
  • sein. Zum Bau der Ställe, der Scheunen und der Küche waren schwere dicke
  • Balken verwandt worden, die auf die Ewigkeit berechnet zu sein schienen.
  • Auch die Bauernhütten waren wunderbar fest und solide gebaut. Keine mit
  • Schnitzwerk verzierten Wände noch sonstiger Firlefanz -- es war alles
  • dicht und wie es sich gehört aneinandergepaßt und verkittet. Selbst der
  • Brunnen war mit so kräftigem Eichenholz eingefaßt, wie es sonst nur bei
  • Windmühlen und Schiffsbauten verwendet wird. Mit einem Wort -- alles was
  • Tschitschikow sah, war solide, und stand fest auf der Erde, in Reih und
  • Glied; wie es schien, nach einer plumpen unerschütterlichen Ordnung. Als
  • der Wagen vor der Freitreppe hielt, sah Tschitschikow zwei Gesichter,
  • die fast gleichzeitig zum Fenster hinausschauten: ein weibliches, das so
  • lang und schmal war, wie eine Gurke und eine Haube auf dem Kopfe trug,
  • und ein rundes männliches, so breit wie einer jener moldauischen
  • Kürbisse, die man in Rußland »Flaschen« nennt und aus denen man bei uns
  • die Balalaiken, jene leichten mit zwei Saiten bespannten
  • Musikinstrumente macht -- den Stolz und die Freude aller kecken und
  • lustigen Bauernburschen, dieser schmucken Jungen, welche den sie
  • umstehenden Mädchen mit weißem Hals und Busen, die gekommen sind, ihrem
  • sanften Saitengeklimper zu lauschen, kokett zublinzeln und zujuchzen.
  • Beide Gesichter verschwanden sogleich wieder, nachdem sie einen Blick
  • durchs Fenster geworfen hatten. Ein Lakai in einer grauen Jacke mit
  • einem blauen Stehkragen trat auf die Freitreppe hinaus und geleitete
  • Tschitschikow in den Flur, wo der Hausherr schon seiner wartete. Als er
  • den Gast erblickte, sagte er kurz: »Ich bitte,« worauf er ihn in die
  • inneren Gemächer führte.
  • Als Tschitschikow hierbei einen kurzen Seitenblick auf Sabakewitsch
  • warf, kam er ihm diesmal wie ein Bär von mittlerer Größe vor. Und wie um
  • die Ähnlichkeit zu vollenden, hatte auch der Frack, den er trug, die
  • Farbe des Bärenfells: Ärmel und Hosen waren sehr lang, seine Füße
  • steckten in mächtigen Filzpantoffeln, dazu hatte er einen so
  • tolpatschigen Gang, daß er andern Leuten beständig auf die Füße trat.
  • Seine Gesichtsfarbe war glühend rot, wie die eines Kupfergroschens. Es
  • gibt ja bekanntlich viele solche Gesichter auf der Welt, über deren
  • detaillierterer Ausarbeitung sich die Natur nicht viel Kopfzerbrechens
  • gemacht, bei der sie keine feineren Instrumente wie Feile, Bohrer usw.
  • gebraucht, sondern die sie einfach mit ein paar kräftigen Axthieben
  • herausgehauen hat. Ein Hieb -- und siehe da es entstand die Nase -- ein
  • zweiter -- und die Lippen saßen am rechten Fleck; dann machte sie noch
  • ein Paar Löcher an Stelle der Augen mit dem großen Bohrer und der ganze
  • Kerl war fertig. Und ohne ihn erst noch zu behobeln und zu glätten,
  • sandte sie ihn mit den Worten: »er lebt« in die Welt. Solch eine
  • festgefügte aufs Geratewohl zurechtgezimmerte Gestalt war auch
  • Sabakewitsch: seine Haltung war eher ein wenig gebeugt als aufrecht, nur
  • selten drehte er seinen Kopf um, und sah infolge dieser Unbeweglichkeit
  • seinen Mitunterredner nur selten an, sondern blickte stets auf die
  • Ofenecke oder auf die Tür. Tschitschikow warf noch einmal einen
  • Seitenblick auf ihn, als er mit ihm ins Speisezimmer trat, und wieder
  • fuhr ihm der Gedanke durch den Sinn: »ein Bär, wahrhaftig ein
  • vollkommener Bär.« Welch seltsames Spiel des Schicksals: zu alledem
  • mußte er noch Michael[3] Semjonowitsch heißen. Da Tschitschikow
  • Sabakewitschs Gewohnheit, andern Leuten auf die Füße zu treten, kannte,
  • trat er selbst sehr vorsichtig auf, indem er ihn vorausgehen ließ. Der
  • Hausherr schien sich übrigens dieser schlechten Angewohnheit selbst
  • bewußt zu sein, denn er fragte immerfort: »Habe ich Sie vielleicht
  • beunruhigt?« Aber Tschitschikow dankte und versicherte höflich, er habe
  • bisher noch nichts von einer Beunruhigung gemerkt.
  • Als sie in den Salon traten, zeigte Sabakewitsch auf einen Lehnstuhl und
  • sagte wieder: »Bitte.« Tschitschikow nahm Platz, warf aber zuvor noch
  • einen kurzen Blick auf die Wände und die Bilder, welche sie zierten. Es
  • waren alles lebensgroße Stahlstiche, welche lauter tüchtige Kerle, d. h.
  • griechische Feldherrn, wie Miauli, Kanari und Maurokordato darstellten,
  • letzteren in Uniform mit roten Beinkleidern und einer Brille auf der
  • Nase. All' diese Helden hatten so starke Lenden und so gewaltige
  • Schnauzbärte, daß einen schon eine Gänsehaut überlief, wenn man sie bloß
  • ansah. Unter diesen griechischen Athleten war wie durch einen
  • wunderbaren Zufall auch Fürst Bagration geraten, ein magerer, dünner
  • Mann mit einer kleinen Fahne und ein paar Kanonen zu seinen Füßen, der
  • noch dazu in einem ganz schmalen Rahmen steckte. Dann folgte wieder eine
  • griechische Heldin: die Bobelina, deren Beine allein größer waren, als
  • die ganze Figur eines jener Stutzer, die heute unsere Salons bevölkern.
  • Der Hausherr, der selbst ein ausnehmend gesunder und kräftiger Mann war,
  • wollte offenbar auch, daß lauter gesunde und kräftige Leute die Wände
  • seiner Zimmer zieren sollten. Neben der Bobelina, dicht am Fenster hing
  • noch ein Vogelkäfig, aus dem eine schwarze Amsel mit kleinen weißen
  • Pünktchen hervorguckte, die gleichfalls große Ähnlichkeit mit
  • Sabakewitsch hatte. Der Wirt und der Gast hatten noch keine zwei Minuten
  • stumm nebeneinander gesessen, als die Türe sich auftat, und die Frau des
  • Hauses, eine große Dame in einer Haube mit Bändern, die zu Hause gefärbt
  • zu sein schienen, ins Zimmer trat. Sie hatte einen wundervollen Gang und
  • hielt ihren Kopf gerade wie eine Palme.
  • [Fußnote 3: In Rußland werden die Bären wie bei uns »Petz« mit dem Namen
  • »Mischa«, dem Diminutivum von Michael gerufen.]
  • »Das ist meine Feodulia Iwanowna,« sagte Sabakewitsch.
  • Tschitschikow küßte Feodulia Iwanowna die Hand, die sie ihm fast in den
  • Mund stopfte; bei dieser Gelegenheit machte er die Beobachtung, daß ihre
  • Hände mit Gurkenwasser gewaschen waren.
  • »Herzchen, darf ich dir Pawel Iwanowitsch Tschitschikow vorstellen!«
  • fuhr Sabakewitsch fort. »Wir haben uns beim Gouverneur und beim
  • Postmeister kennen gelernt.«
  • Feodulia Iwanowna bat Tschitschikow Platz zu nehmen, indem sie
  • gleichfalls »Bitte« sagte, und eine Kopfbewegung dazu machte, wie jene
  • Schauspielerinnen, die eine Königin darzustellen haben. Dann setzte sie
  • sich auf das Sofa, hüllte sich in ihr wollenes Tuch ein und zuckte von
  • nun ab weder mit den Augen noch mit den Brauen.
  • Tschitschikow warf wieder einen Blick nach oben und wieder fiel ihm
  • Kanari mit seinen starken Lenden und dem nicht endenwollenden
  • Schnauzbart, die Bobelina und der Vogelbauer mit der Amsel in die Augen.
  • Fast fünf Minuten beobachteten alle ein feierliches Schweigen, das nur
  • durch das Lärmen der Amsel unterbrochen wurde, die fortwährend mit dem
  • Schnabel gegen den Holzboden des Vogelkäfigs pochte, wenn sie ein paar
  • Brotkrumen aufpickte. Tschitschikow sah sich noch einmal im Zimmer um:
  • auch hier war alles klobig, fest und ganz ungewöhnlich derb, und hatte
  • eine merkwürdige Ähnlichkeit mit dem Herrn des Hauses. In der Ecke des
  • Salons stand ein bauchiges Schreibpult auf vier äußerst plumpen Füßen --
  • ein richtiger Bär. Der Tisch, die Stühle, die Lehnsessel -- alles trug
  • einen schwerfälligen und geradezu gefährlichen Charakter, jeder
  • Gegenstand, jeder Stuhl schien sagen zu wollen: »Ich bin auch ein
  • Sabakewitsch« oder »Auch ich bin Sabakewitsch ähnlich.«
  • »Wir haben beim Gerichtspräsidenten Iwan Grigorjewitsch von Ihnen
  • gesprochen,« sagte endlich Tschitschikow, als er sah, daß keiner von den
  • Anwesenden Anstalten machte, das Gespräch zu beginnen: »Es war am
  • vorigen Donnerstag. Ich habe dort einen sehr schönen Abend verbracht.«
  • »Ja! ich war damals nicht beim Gerichtspräsidenten,« sagte Sabakewitsch.
  • »Ein prächtiger Mensch! Nicht wahr?«
  • »Wen meinen Sie?« sagte Sabakewitsch, indem er die Ofenecke anblickte.
  • »Den Gerichtspräsidenten!«
  • »Das ist Ihnen wohl nur so vorgekommen: er ist zwar Freimaurer, aber ein
  • solcher Esel, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hat.«
  • Tschitschikow wurde ein wenig stutzig durch diese denn doch etwas zu
  • starke Charakteristik, aber er fand seine Fassung bald wieder und fuhr
  • gleich darauf fort: »Natürlich, ein jeder Mensch hat seine Schwächen;
  • aber nicht wahr? der Gouverneur, das ist doch ein ganz ausgezeichneter
  • Mensch?«
  • »Wie? der Gouverneur -- ein ausgezeichneter Mensch?«
  • »Ja! hab ich nicht Recht?«
  • »Ein Bandit, wie's keinen zweiten gibt.«
  • »Wie? -- Der Gouverneur ein Bandit?!« sagte Tschitschikow, der durchaus
  • nicht begreifen konnte, wie der Gouverneur unter die Banditen geraten
  • war. »Ich muß gestehen, das hätte ich wirklich nicht gedacht,« fuhr er
  • fort. »Doch erlauben Sie mir die Bemerkung: seine Handlungen sind gar
  • nicht derart; man könnte eher sagen, daß er einen sehr weichen Charakter
  • hat.« Und wie zum Beweise führte er die Geldtaschen an, die jener
  • gestickt hatte und sprach mit hoher Anerkennung über den freundlichen
  • Ausdruck seines Gesichtes.
  • »Aber das ist doch ein Banditengesicht!« sagte Sabakewitsch. »Geben Sie
  • ihm ein Messer in die Hand und schicken Sie ihn auf die Landstraße
  • hinaus, -- der schlachtet Sie kaltblütig ab -- um einen Groschen! Er und
  • der Vizegouverneur, -- das sind die reinsten -- Gogs und Magogs.«
  • »Hm, die haben wohl was miteinander gehabt,« dachte Tschitschikow. »Ich
  • will mal mit ihm über den Polizeimeister reden, der ist, glaub' ich,
  • sein Freund.« -- »Übrigens, was mich betrifft,« fuhr er fort, »so muß
  • ich gestehen, daß mir der Polizeimeister bei weitem am besten gefällt.
  • Was ist das doch für ein gerader und offener Charakter; er hat etwas so
  • Schlichtes und Treuherziges an sich.«
  • »Ein Gauner!« sagte Sabakewitsch ganz kaltblütig, »der ist fähig, Sie
  • zuerst zu betrügen und zu verraten und gleich darauf mit Ihnen zu Mittag
  • zu essen. Ich kenne sie alle miteinander: lauter Spitzbuben. Und so ist
  • die ganze Stadt; da sitzt ein Spitzbube auf dem andern, alles Judasse
  • und niederträchtige Verräter. Der einzige, der noch was taugt, ist der
  • Staatsanwalt -- aber auch der ist im Grunde genommen ein Schweinehund.«
  • Nach diesen so wohlwollenden, wenn auch etwas kurzen biographischen
  • Charakteristiken, sah Tschitschikow ein, daß eine Erwähnung der übrigen
  • Beamten sich kaum noch verlohne, und er erinnerte sich, daß Sabakewitsch
  • den Leuten nicht gern etwas Gutes nachsagte.
  • »Wie denkst du, Herzchen, gehen wir zu Tische?« sagte Frau Sabakewitsch
  • zu ihrem Gatten.
  • »Bitte,« sagte Sabakewitsch und schritt auf den Anrichtetisch zu; Wirt
  • und Gast tranken zuerst nach altem gutem Brauch einen Schnaps und ließen
  • sich's gut schmecken, wie das im ganzen weiten Rußland in Städten und
  • Dörfern üblich ist, wo man stets, eh man sich zum Mittagessen hinsetzt,
  • zuvor einen kleinen Imbiß aus allerhand gesalzenen und appetiterregenden
  • Speisen und allen möglichen guten Sachen zu sich nimmt, worauf sie sich
  • alle ins Speisezimmer begaben. Allen voran schritt die Hausfrau, wie ein
  • schlanker Schwan. Den kleinen Tisch schmückten vier Gedecke. Der vierte
  • Platz wurde bald von einer Person besetzt, von der es schwer zu sagen
  • war, was sie eigentlich vorstellte: eine Dame oder ein Fräulein, eine
  • Verwandte, eine Haushälterin oder nur irgend eine Gesellschafterin, die
  • mit im Hause wohnte -- ein Wesen von etwa dreißig Jahren, ohne Haube und
  • mit einem Tuch um die Schultern. Es gibt solche Geschöpfe in dieser
  • Welt, die nicht die selbständige Existenz eines Objekts besitzen,
  • sondern gewissermaßen nur die Flecken oder Pünktchen auf einem
  • Gegenstande darstellen. Sie sitzen immer auf derselben Stelle und haben
  • alle dieselbe Haltung des Kopfes; man ist geneigt, sie für ein
  • Möbelstück zu halten, und kann sich nicht denken, daß sie je in ihrem
  • Leben den Mund geöffnet haben, um ein Wort zu sagen; dagegen braucht man
  • sie nur im Mädchenzimmer oder in der Vorratskammer zu beobachten, um
  • sich zu überzeugen, daß sie es faustdick hinter den Ohren sitzen haben.
  • »Die Kohlsuppe ist heute ausgezeichnet, mein Schatz,« sagte
  • Sabakewitsch, während er die Suppe kostete und sich dazu ein mächtiges
  • Stück Saugbeutel vorlegte, von jenem berühmten Gericht, das gewöhnlich
  • zur Kohlsuppe gegessen wird und aus einem mit Buchweizen, Hirn und
  • Knöcheln gefüllten Hammelmagen besteht. »So eine Pastete,« fuhr er zu
  • Tschitschikow gewendet fort, »finden Sie in der ganzen Stadt nicht; dort
  • setzt man Ihnen, weiß der Teufel was vor!«
  • »Beim Gouverneur ißt man übrigens gar nicht schlecht,« meinte
  • Tschitschikow.
  • »Ja wissen Sie denn, wie diese Speisen zubereitet werden? Sie würden den
  • Appetit verlieren, wenn Sie das wüßten!«
  • »Wie die Speisen zubereitet werden, darüber kann ich freilich nicht
  • urteilen; aber die Schweinekoteletts und der Fisch waren vorzüglich.«
  • »Das ist Ihnen wohl nur so vorgekommen. Ich weiß genau, daß sie auf dem
  • Markte einkaufen. Der Schurke von Koch, der bei einem Franzosen in der
  • Lehre war, kauft einfach einen alten Kater, zieht ihm das Fell ab, und
  • serviert ihn dann als Hasen.«
  • »Pfui! Was für häßliche Sachen du da erzählst!« sagte Sabakewitschs
  • Gattin.
  • »Was kann ich dafür, Schätzchen! So macht man's nun einmal dort; ich bin
  • doch nicht schuld, daß das bei all den Leuten so Sitte ist. Alle
  • Abfälle, alles was unsere Akula mit Verlaub zu sagen in den Mülleimer
  • wirft, das tun die in die Suppe. Immer rein, alles rein.«
  • »Immer redest du bei Tisch solche Sachen!« warf wiederum Frau
  • Sabakewitsch ein.
  • »Was schadet denn das, Schätzchen,« versetzte Sabakewitsch. »Ja wenn
  • ich's noch selbst so machte, aber ich sage dir's ganz offen: solch ein
  • ekelhaftes Zeug würde ich nie essen. Nie würde ich einen Frosch in den
  • Mund nehmen, und wenn er in Zucker kandiert wäre, ebensowenig wie eine
  • Auster; ich weiß ganz gut wie so'ne Auster aussieht. Bitte nehmen Sie
  • doch noch ein Stück Hammelbraten,« fuhr er fort, indem er sich an
  • Tschitschikow wandte. »Das ist Hammellende mit Brei, und kein Frikassé,
  • wie es die vornehmen Herren lieben, wozu man Hammelfleisch nimmt, das
  • schon vier Tage lang auf dem Markte herumliegt. Das sind alles Finessen,
  • wie sie die Herrn Doktoren, die Deutschen und Franzosen erfunden haben;
  • ich würde sie dafür am liebsten alle hängen lassen. Die Diät -- das ist
  • auch so eine von ihren Erfindungen. Schöne Methode das -- einen mit
  • Hunger zu kurieren. Weil sie selbst eine so dünnblütige Natur haben,
  • bilden sie sich ein, sie könnten auch mit dem russischen Magen fertig
  • werden. Nein, das ist alles nichts Richtiges -- das sind lauter
  • Torheiten, das ist alles ...« Hierbei schüttelte Sabakewitsch sogar
  • zornig den Kopf. »Da reden sie immer von Aufklärung, und doch ist ihre
  • Aufklärung nichts als ein .... ff ....! Ich hätte fast was gesagt, aber
  • sowas schickt sich ja nicht bei Tische. Bei mir ist das ganz anders.
  • Wenn's bei mir Schweinebraten oder Gansbraten gibt, dann kommt gleich
  • ein ganzes Schwein oder eine ganze Gans auf den Tisch. Lieber will ich
  • nur zwei Gerichte haben, aber mich dafür auch ordentlich satt essen, bis
  • die liebe Seele Ruhe hat.« Und Sabakewitsch unterstützte seine Worte
  • eindrucksvoll durch die Tat: er legte sich den halben Hammelrücken auf
  • den Teller, schlang ihn hinunter und nagte noch die Knochen ab, bis
  • nichts mehr übrig blieb.
  • »Ja, ja,« dachte Tschitschikow, »der weiß auch, was gut tut.«
  • »Bei mir ist das anders,« sagte Sabakewitsch, indem er sich die Hände
  • mit der Serviette abwischte: »ich bin nicht so, wie irgend ein
  • Pljuschkin; der hat 800 Seelen und lebt und ißt dabei schlechter als
  • unser Kuhhirt.«
  • »Wer ist dieser Pljuschkin?« fragte Tschitschikow.
  • »Ein Hallunke,« versetzte Sabakewitsch. »So ein Geizhals, das kann man
  • sich gar nicht einmal vorstellen. Die Zuchthäusler leben noch besser als
  • der: er läßt ja all seine Leute verhungern.«
  • »Wahrhaftig?« unterbrach ihn hier Tschitschikow mit teilnehmender Miene.
  • »Ist das wirklich so, wie Sie sagen, daß bei dem so viele Bauern
  • sterben.«
  • »Wie die Fliegen.«
  • »Nein, wirklich? Wie die Fliegen? Und darf ich fragen, wohnt er weit von
  • hier?«
  • »Es werden etwa fünf Werst sein.«
  • »Fünf Werst!« rief Tschitschikow aus, und dabei fing sogar sein Herz ein
  • wenig an zu klopfen. »Wenn man das Tor verläßt, liegt dann sein Gut
  • rechts oder links?«
  • »Es ist besser, Sie wissen gar nicht, wie Sie zu diesem Hunde hinkommen!
  • Ich rate Ihnen, kümmern Sie sich lieber gar nicht darum,« sagte
  • Sabakewitsch, »es ist noch verzeihlicher, wenn jemand in ein
  • unanständiges Lokal geht als zu dem.«
  • »Nein, ich frage ja auch nicht, weil ich irgend welche Absichten ... ich
  • erkundigte mich bloß, weil ich ein großes Interesse für Land und Leute
  • habe,« entgegnete Tschitschikow.
  • Nach dem Hammelrücken gab es Käsekuchen, von denen jeder allein größer
  • war als ein Teller, und dann noch einen Truthahn von der Größe eines
  • Kalbes, der mit allerhand guten Sachen gefüllt war: mit Reis, Eiern,
  • Leber und weiß Gott mit was sonst noch, was einem nachträglich wie ein
  • Stein im Magen liegt. Damit war das Mittagessen zu Ende; aber als man
  • sich erhob, fühlte sich Tschitschikow um einen ganzen Zentner schwerer.
  • Man begab sich in den Salon, wo bereits ein kleiner Teller mit Kompott
  • und Marmelade auf dem Tische stand; -- es ließ sich nicht recht
  • definieren, was es eigentlich für ein Kompott darstellte -- es waren
  • weder Birnen, noch Pflaumen, noch Himbeeren -- übrigens rührte weder der
  • Wirt noch der Gast die Marmelade an. Die Hausfrau ging hinaus, um noch
  • ein paar Fruchttellerchen hereinzubringen. Diesen Augenblick benutzte
  • Tschitschikow, um sich an Sabakewitsch zu wenden, der ausgestreckt in
  • einem Lehnstuhl lag und nur noch stöhnte; so satt war er; hin und wieder
  • öffnete er den Mund, um ein paar unartikulierte Laute von sich zu geben,
  • wobei er das Kreuz schlug und sich die Hand vor den Mund hielt.
  • Tschitschikow also wandte sich zu ihm und sagte: »Ich möchte gern über
  • eine Sache mit Ihnen sprechen!«
  • »Nehmen Sie nicht noch etwas Eingemachtes!« sagte die Hausfrau, die mit
  • einem Fruchtteller zurückkehrte. »Es sind Rettichschnitten, in Honig
  • gekocht!«
  • »Nachher!« sagte Sabakewitsch, »geh jetzt mal auf dein Zimmer, Pawel
  • Iwanowitsch und ich möchten uns die Röcke ausziehen und ein wenig
  • ruhen!«
  • Die Hausfrau wollte sogleich Unterbetten und Kopfkissen holen lassen,
  • aber Sabakewitsch erklärte: »Laß nur, wir ruhen uns schon im Lehnstuhle
  • aus,« und seine Gattin entfernte sich.
  • Sabakewitsch streckte den Kopf ein wenig vor, um zu hören, um was für
  • eine Sache es sich handle.
  • Tschitschikow holte sehr weit aus, sprach zuerst ganz allgemein von dem
  • russischen Staate, dessen Geräumigkeit und Größe er nicht genug loben
  • konnte, meinte, selbst die alte römische Monarchie sei nicht so groß
  • gewesen, die Ausländer hätten ganz recht, wenn sie sich wunderten ...
  • (Sabakewitsch lauschte noch immer mit vorgestrecktem Kopfe) und nach den
  • bestehenden Gesetzen zählten in diesem Reiche, dessen Ruhm ihm kein
  • anderes Land streitig machen könne, die in die Revisionslisten
  • aufgenommenen Seelen, selbst wenn sie ihren irdischen Lebenslauf
  • abgeschlossen hätten, bis zur Aufstellung neuer Revisionslisten, genau
  • so viel, wie die Lebenden, weil doch die zuständigen Behörden nicht noch
  • mit neuen zeitraubenden Pflichten und Aufgaben belastet werden könnten,
  • welche mit solchen überaus zahlreichen und detaillierten Erhebungen für
  • sie verbunden wären; auch würde durch eine solche Maßregel die
  • Kompliziertheit des ja ohnedies so verwickelten Staatsmechanismus noch
  • gesteigert werden, (Sabakewitsch streckte den Kopf noch immer vor und
  • hörte zu) indessen müsse man doch gestehen, daß diese Maßregel trotz
  • ihrer unbestreitbaren Legalität doch für manchen Gutsbesitzer recht
  • lästig sei, da sie ihn dazu verpflichte, nach wie vor seine Steuern für
  • die Bauern zu bezahlen, ganz ohne Rücksicht darauf, ob sie noch leben
  • oder nicht, doch sei er, Tschitschikow, bereit, aus einer besonderen
  • persönlichen Hochachtung für ihn, einen Teil dieser so überaus
  • drückenden Verpflichtung auf sich zu nehmen. Über den Hauptpunkt äußerte
  • sich Tschitschikow nur mit großer Zurückhaltung und sprach nie von
  • verstorbenen, sondern nur von »nichtexistierenden« Seelen.
  • Sabakewitsch saß noch immer mit etwas vorgebeugtem Kopfe da und schien
  • ihm aufmerksam zuzuhören, aber sein Gesichtsausdruck ließ nicht das
  • leiseste Zeichen einer verborgenen Seelenregung erkennen. Man hätte
  • beinahe glauben können, daß man einen leblosen und unbeseelten Körper
  • vor sich habe, jedenfalls aber saß die Seele bei ihm nicht dort, wo sie
  • eigentlich sitzen soll, sondern weilte wie beim unsterblichen
  • Koschtschej[4] irgendwo in der Ferne hinter Bergen und Tälern und war
  • mit einer so dicken Schale umgeben, daß alles, was sich auf ihrem Grunde
  • regte, nicht die geringste Erschütterung an der Oberfläche hervorrief.
  • »Nun also?« sagte Tschitschikow und wartete nicht ohne innere Aufregung
  • auf die Antwort.
  • »Sie brauchen tote Seelen?« sagte Sabakewitsch ganz ruhig, ohne jeden
  • Ausdruck des Erstaunens, wie wenn hier von Roggen oder Weizen die Rede
  • wäre.
  • [Fußnote 4: Spielt in dem russischen Sagenkreis die Rolle des Thanatos,
  • d. h. des Todes.]
  • »Ja,« antwortete Tschitschikow, indem er versuchte, dem Wort etwas von
  • seiner Härte zu nehmen und hinzufügte: »solche, die nicht mehr
  • existieren.«
  • »Es werden sich schon welche finden, gewiß! Warum nicht?« sagte
  • Sabakewitsch.
  • »Ja, nicht wahr? Und wenn Sie welche haben sollten, werden Sie ohne
  • Zweifel froh sein, sie los zu werden?«
  • »Bitte sehr! Ich bin gern bereit, die Ihnen zu verkaufen,« versetzte
  • Sabakewitsch, indem er den Kopf wieder emporrichtete. Offenbar witterte
  • er schon, daß der Käufer irgend einen Vorteil dabei haben mußte.
  • »Teufel!« dachte Tschitschikow, »der Kerl verkauft sie mir, noch ehe ich
  • überhaupt ein Wort fallen ließ!« Und er fügte laut hinzu: »Und darf man
  • fragen: was Sie wohl dafür nehmen würden? Obwohl ... das eigentlich ein
  • Gegenstand ist ... bei dem man nicht gut von einem Preise reden kann
  • ...«
  • »Also! um nicht viel zu verlangen: Hundert Rubel pro Stück,« sagte
  • Sabakewitsch.
  • »Hundert Rubel!« rief Tschitschikow aus, indem er den Mund weit aufriß
  • und Sabakewitsch erschrocken ins Gesicht starrte; er war sich nicht ganz
  • klar, ob er sich verhört, oder ob vielleicht Sabakewitschs Zunge infolge
  • ihrer Schwerfälligkeit eine ungeschickte Wendung gemacht habe, und mit
  • einem falschen Wort herausgeplatzt sei.
  • »Ja finden Sie denn das zu teuer?« sagte Sabakewitsch und fügte sogleich
  • hinzu: »Und was ist Ihr Preis?«
  • »Mein Preis? Wir befinden uns wohl in einem kleinen Irrtum oder
  • verstehen uns gegenseitig nicht und haben vergessen, worum es sich hier
  • eigentlich handelt. Hand aufs Herz. Ich denke achtzig Kopeken -- das ist
  • das äußerste.«
  • »Herrgott! Ist das ein Einfall! Achtzig Kopeken?«
  • »Nun, was denn? Meiner Ansicht nach kann man nicht mehr wie achtzig
  • Kopeken dafür bieten.«
  • »Ich handle doch nicht mit alten Schuhen!«
  • »Sie müssen aber doch auch zugeben, daß es keine Menschen sind.«
  • »Ja, glauben Sie wirklich, Sie finden jemand, der Ihnen eine
  • eingetragene Seele für zwei Groschen verkauft!«
  • »Nein, erlauben Sie, warum sagen Sie >eingetragene<? Die Seelen sind
  • doch schon lange tot. Was von ihnen übrig geblieben ist, ist ja doch nur
  • ein den Sinnen unfaßbarer Schall. Übrigens, um nicht noch viel Worte
  • drüber zu verlieren, anderthalb Rubel will ich Ihnen allenfalls geben,
  • aber auch keinen Heller mehr.«
  • »Schämen Sie sich doch, von einer solchen Summe überhaupt zu reden!
  • Seien Sie ehrlich, nennen Sie den richtigen Preis!«
  • »Ich kann nicht, Michael Semjonowitsch; bei meiner Ehre, ich kann nicht!
  • Was nicht geht, das geht nicht.« sagte Tschitschikow, bot aber aus
  • Politik sogleich noch etwas mehr.
  • »Warum wollen Sie so knausern,« sprach Sabakewitsch, »es ist wahrhaftig
  • nicht zu teuer. Geraten Sie mal an einen andern, der wird Sie tüchtig
  • übers Ohr hauen und Ihnen irgend einen Schund anstelle der Seelen
  • aufhalsen. Bei mir dagegen kriegen Sie lauter auserlesene, vollkernige
  • Exemplare, alles Handwerker und kräftige Ackerleute. Passen Sie mal auf,
  • nehmen Sie zum Beispiel den Michejew, den Wagenbauer, der hat überhaupt
  • nur Federwagen gebaut, und das war keine Moskauer Arbeit, die grad für
  • eine Stunde reicht. Nein, was der machte, hatte Hand und Fuß; und dazu
  • polsterte und lackierte er den Wagen noch selbst.«
  • Tschitschikow erlaubte sich den Einwand, daß Michejew denn doch schon
  • lange nicht mehr auf der Welt sei, aber Sabakewitsch war so sehr in den
  • Redestrom geraten, daß er sogar beredt wurde und in immer reißendere
  • Wortgefälle gelangte.
  • »Und Stepan Probka, der Zimmermann? Ich setze meinen Kopf zum Pfande,
  • daß Sie keinen besseren Arbeiter finden werden. Wenn der in der Garde
  • gedient hätte, wozu der's noch gebracht hätte! Der war einen Meter 86
  • groß!«
  • Tschitschikow wollte wieder einwenden, daß doch auch Probka nicht mehr
  • auf der Welt sei; aber Sabakewitsch wurde offenbar vom dem Redefluß
  • fortgerissen. Der Wortschwall ergoß sich wie ein rauschender Gießbach,
  • daß es eine Lust war ihm zuzuhören.
  • »Und dann Milaschkin, der Töpfermeister, der setzte Ihnen einen Ofen
  • hin, wo Sie nur wollten in jedem Hause. Oder Martin Teljatnikow, der
  • Schuster, ein Stich mit der Ahle, und er hatte ein paar Stiefel fertig;
  • und was für Stiefel! Dabei nahm er nie einen Tropfen Schnaps in den
  • Mund. Und Jeremej Sorokobljochin! Der ist allein soviel wert als die
  • andern zusammen. Der war in Moskau Händler, brachte allein 500 Rubel
  • Erbzins jährlich ein. Das sind Kerle! Nicht so ein Plunder, wie ihn euch
  • ein Pluschkin verkaufen wird.«
  • »Aber erlauben Sie,« sagte Tschitschikow endlich, betroffen von solchem
  • Überschwang der Rede, die wie es schien, gar kein Ende nehmen wollte.
  • »Wozu zählen Sie mir alle ihre Vorzüge auf? Jetzt hat man ja doch nichts
  • mehr davon. Das sind doch lauter tote Leute! Mit Toten kann man
  • höchstens Vögel scheuchen, wie das Sprichwort sagt.«
  • »Freilich sind sie tot,« sagte Sabakewitsch, der erst jetzt zu sich zu
  • kommen und sich darüber klar zu werden schien, daß es sich in der Tat um
  • Tote handele, fuhr aber sogleich fort: »Übrigens diese sogenannten
  • Lebenden, was sind das für Leute! Es sind Fliegen und keine Menschen.«
  • »Dafür sind sie doch wenigstens lebendig! Aber jene sind doch eigentlich
  • nur ein Traum.«
  • »O nein, durchaus kein Traum; ich sage Ihnen solch einen Kerl wie den
  • Michejew finden Sie nicht so leicht wieder; so ein Gestell, der geht
  • Ihnen nicht in dies Zimmer. Nein, das ist kein Traum. Hat der Kerl eine
  • Kraft in den Schultern gehabt, da kommt ein Pferd nicht gegen auf. Ich
  • möchte doch wissen, ob Sie noch anderswo so einen Traum antreffen
  • werden.« Bei den letzten Worten wandte er sich schon nicht mehr an
  • Tschitschikow, sondern an die die Wände zierenden Porträts Kolocotronis
  • und Bagrations, wie das oft bei Unterhaltungen zu geschehen pflegt, wenn
  • der eine der Mitunterredner aus einem unbekannten Grunde sich nicht an
  • die Person wendet, an die seine Worte gerichtet sind, sondern an irgend
  • einen zufällig hereingeschneiten Dritten, den er vielleicht garnicht
  • kennt, und obwohl er weiß, daß er von ihm weder eine Antwort, noch eine
  • Äußerung, noch ein Zeichen der Zustimmung zu gewärtigen hat. Und doch
  • heftet er seinen Blick auf ihn, als rufe er ihn zum Schiedsrichter an,
  • worauf der Unbekannte zunächst ein wenig verlegen wird und nicht recht
  • weiß, ob er sich zu der Frage äußern soll, von der er nichts gehört hat,
  • oder lieber zur Wahrung der Anstandsregeln noch ein wenig stehen bleiben
  • und dann erst fortgehen soll.
  • »Nein, mehr als zwei Rubel kann ich nicht geben,« sagte Tschitschikow.
  • »Schön, damit Sie sich nicht beklagen können, daß ich zuviel verlangt
  • habe und Ihnen garnicht ein bißchen entgegengekommen bin, bin ich
  • bereit, sie Ihnen für 75 Rubel das Stück -- aber in Papiergeld -- zu
  • lassen. Wirklich, ich tue es nur aus Freundschaft.«
  • »Was fällt dem Kerl ein,« dachte Tschitschikow; »er hält mich wohl für
  • einen Esel!« Und er fügte laut hinzu: »Es ist doch wirklich merkwürdig,
  • es sieht fast so aus, als ob wir hier Theater oder Komödie spielen.
  • Anders kann ich es mir nicht erklären! Sie machen doch den Eindruck
  • eines klugen Mannes, der den gesamten Bildungsstoff beherrscht. Was ist
  • denn das Objekt, um das es sich handelt. Das ist doch bloß Ppff, ein
  • reines Nichts! Was für einen Wert hat es, wer braucht es!?!«
  • »Sie wollen es aber doch kaufen; also brauchen Sie es doch wohl!« Hier
  • biß sich Tschitschikow auf die Lippen, ohne eine Antwort finden zu
  • können. Er murmelte etwas von Familienverhältnissen, aber Sabakewitsch
  • erklärte bloß:
  • »Ich will garnichts von Ihren Verhältnissen wissen; ich mische mich nie
  • in Familienangelegenheiten -- das ist Ihre persönliche Sache. Sie
  • brauchen Seelen, und ich biete Ihnen welche an. Sie werden es noch
  • bereuen, daß Sie mir keine abgekauft haben.«
  • »Zwei Rubel,« sagte Tschitschikow.
  • »Ach sind Sie ein Mensch! Der Pirol pfeift stets dasselbe Lied, wie das
  • Sprichwort sagt: Hat sich da auf die zwei Rubel versteift und kann nun
  • durchaus nicht wieder davon loskommen. Nennen Sie doch einen
  • vernünftigen Preis.«
  • »Na, hol ihn der Teufel!« dachte Tschitschikow, »meinetwegen, ich will
  • ihm noch einen halben Rubel spendieren, dem Hund! damit er sich was
  • zugute kommen lassen kann. Also gut, ich gebe Ihnen zwei Rubel fünfzig!«
  • »Schön, dann will ich Ihnen auch mein letztes Wort sagen: Fünfzig Rubel!
  • Wahrhaftig. Sie kommen mir selbst teurer; billiger werden Sie sie
  • nirgends kriegen, lauter so tüchtige Leute!«
  • »Ist das aber ein Geizhals!« dachte Tschitschikow und fuhr ärgerlich
  • fort: »Nein hören Sie mal! Sie tun wirklich so, als ob es sich hier um
  • eine ernste Sache handelt! Jeder andere würde sie mir umsonst geben. Ich
  • kriege sie überall gratis, weil jeder froh ist, wenn er sie los werden
  • kann. Das müßte doch wirklich ein großer Esel sein, der sie behalten und
  • Steuern für sie zahlen wollte.«
  • »Aber wissen Sie auch, daß solche Käufe -- ich sage das ganz unter uns
  • und in aller Freundschaft, nicht überall erlaubt sind; und wenn ich oder
  • ein anderer davon erzählen wollte, so würde ein solcher Käufer jedes
  • Vertrauen einbüßen; niemand würde einen Kontrakt mit ihm schließen
  • wollen, und er käme in die größte Verlegenheit, wenn er seine Lage
  • verbessern wollte.«
  • »Schau, schau, wo der hinaus will, der Schuft!« dachte Tschitschikow,
  • aber er verlor seine Geistesgegenwart nicht und erklärte mit der größten
  • Kaltblütigkeit: »Ganz wie Sie wünschen; wenn ich Ihnen den Plunder
  • abkaufen will, so tue ich das nicht, weil ich es nötig hätte, sondern
  • aus einer gewissen Laune, aus einem Hang meines Charakters. Wenn Ihnen
  • zwei Rubel fünfzig zu wenig sind, dann lassen wir es eben. Leben Sie
  • wohl!«
  • »Den bringt man nicht aus der Fassung! Der gibt nicht so leicht nach!«
  • dachte Sabakewitsch. »Also gut, Gott mit Ihnen, geben Sie dreißig Rubel
  • und sie gehören Ihnen.«
  • »Nein, ich sehe, Sie wollen sie nicht verkaufen; Leben Sie wohl.«
  • »Erlauben Sie, erlauben Sie,« sagte Sabakewitsch, ohne seine Hand los zu
  • lassen, und trat ihm dabei auf den Fuß; unser Held hatte nämlich
  • vergessen, sich in acht zu nehmen, und mußte jetzt zur Strafe
  • aufschreien und auf einem Fuße hüpfen.
  • »Bitte um Entschuldigung. Ich glaube, ich habe Sie etwas beunruhigt.
  • Bitte setzen Sie sich doch, hierher, ich bitte.« Er geleitete ihn zu
  • einem Lehnstuhl und hieß ihn hier Platz nehmen. Er tat das sogar mit
  • einiger Geschicklichkeit, wie ein Bär, der schon mit Menschen in
  • Berührung gekommen ist, ein paar Tanzdrehungen zu machen gelernt hat und
  • auch einige Kunststücke auszuführen weiß, wenn man zu ihm sagt: »Zeig
  • mal, Petz, wie es die Weiber im Dampfbad machen und wie stehlen kleine
  • Kinder Nüsse?«
  • »Nein, wirklich ich verliere nur unnütz Zeit. Ich muß fort, ich habe
  • Eile!«
  • »Bleiben Sie doch noch ein Augenblickchen. Ich will Ihnen gleich etwas
  • sagen, was Ihnen Freude machen wird.« Und Sabakewitsch rückte näher an
  • ihn heran und flüsterte ihm ins Ohr, wie wenn er ihm ein Geheimnis
  • mitzuteilen hätte. »Wollen Sie eine Stange?«
  • »Sie wollen sagen 25 Rubel? Nein, nein, nein! noch nicht den vierten
  • Teil. Keine Kopeke mehr.«
  • Sabakewitsch antwortete nichts und auch Tschitschikow wurde still.
  • Dieses Schweigen währte etwa zwei Minuten. Fürst Bagration verfolgte von
  • seinem Wandplatz diesen Kauf mit der größten Aufmerksamkeit.
  • »Also was ist Ihr höchstes Angebot?« sagte Sabakewitsch endlich.
  • »Zwei Rubel fünfzig!«
  • »Ihnen scheint eine menschliche Seele auch nicht mehr zu gelten als eine
  • abgebrühte Rübe. Geben Sie doch wenigstens drei Rubel!«
  • »Ich sehe, mit Ihnen ist nichts anzufangen.«
  • »Ich verkaufe mit Schaden! Aber was soll ich tun? Ich habe nun mal so
  • 'ne Hundegutmütigkeit. Ich kann halt nicht anders, ich muß meinem
  • Nächsten immer eine kleine Freude bereiten. Wir werden wohl einen
  • Kaufvertrag aufsetzen müssen, damit alles seine Ordnung hat.«
  • »Natürlich!«
  • »Sehen Sie, wir werden also in die Stadt fahren müssen!«
  • Damit war die Sache erledigt. Man beschloß, gleich am folgenden Tage in
  • die Stadt zu fahren, um den Kauf zum Abschluß zu bringen.
  • Tschitschikow bat um die Liste der Bauern. Sabakewitsch war
  • einverstanden; er begab sich ins Büro, um die Bauernseelen
  • aufzuschreiben, die er nicht nur alle namentlich aufzählte, sondern auch
  • durch Aufzählung all ihrer Vorzüge charakterisierte. Unterdessen
  • musterte Tschitschikow, da er nichts Besseres zu tun hatte, die
  • voluminöse Silhouette seines Wirtes. Als er seinen Rücken, der so breit
  • war wie der eines kurzstämmigen Wjatkapferdes, und seine Füße erblickte,
  • welche große Ähnlichkeit mit ein paar Chausseepfeilern hatten, konnte er
  • sich nicht enthalten auszurufen:
  • »Hat dich aber der liebe Gott verschwenderisch ausgestattet, da kann man
  • wirklich sagen, schlecht zugeschnitten aber gut genäht, wie es im
  • Sprichwort heißt. Bist du _gleich_ als ein solcher Bär geboren, oder
  • haben dich das Leben in der Wildnis, die Landwirtschaft, die Scherereien
  • mit den Bauern dazu gemacht, daß du jetzt das geworden bist, was man
  • einen Halsabschneider nennt; doch nein, ich glaube, du warst immer
  • derselbe und wärst es auch geblieben, selbst wenn du in Petersburg die
  • neueste, modernste Erziehung genossen hättest und dann erst losgegangen
  • wärest, selbst wenn du dein ganzes Leben lang in Petersburg und nicht in
  • der Wildnis gelebt hättest. Der ganze Unterschied besteht nur darin, daß
  • du jetzt deinen halben Hammelrücken mit Brei nebst einem Käsekuchen von
  • der Größe eines Suppentellers verschlingst, während du dort Kottelets
  • mit Trüffeln zu Mittag gegessen hättest. Dafür herrschest du jetzt
  • friedlich über deine Bauern, mit denen du so gut auskommst, und die du
  • natürlich nicht kränkst und nicht zu kurz kommen läßt. Sind sie doch
  • dein Eigentum, und du selbst hättest ja nur den Schaden davon, wenn du
  • anders handeltest. Dort in der Stadt aber würdest du über Beamte
  • herrschen, die du kräftig schuriegeln würdest, da du ja wüßtest, daß sie
  • nicht deine Leibeigenen sind, und du tätest die Krone nach Noten
  • plündern. Wer nun mal eine Teufelsfaust besitzt, dem glättest du sie
  • nicht zum Sammetpfötchen. Und biegst du ihm auch einen oder zwei Finger
  • gerade, um so mehr ist der Teufel los. Hat er erst einmal ein paar
  • Tropfen von irgend einer Kunst oder Wissenschaft genippt und hat er sich
  • zu einer hervorragenderen Gesellschaftsstellung emporgeschwungen, dann
  • wehe denen, welche tatsächlich etwas von dieser Kunst und Wissenschaft
  • verstehen; dann fällt es ihm wohl gar noch ein zu sagen, ich muß euch
  • doch mal zeigen, wer ich bin. Und dann läßt er euch plötzlich eine so
  • weise Verordnung vom Stapel, daß vielen Hören und Sehen vergeht. O, wenn
  • doch alle diese Halsabschneider ...!«
  • »Die Liste ist fertig,« sagte Sabakewitsch mit einer Wendung des Kopfes.
  • »Fertig? Bitte geben Sie sie doch einmal her!« Er überflog sie und war
  • erstaunt, mit welcher Genauigkeit und Pünktlichkeit sie aufgestellt war:
  • nicht allein daß der Beruf, das Handwerk, das Alter und die
  • Familienverhältnisse sorgfältig registriert waren, am Rande standen auch
  • noch besondere Notizen über das Betragen, die Nüchternheit usw. des
  • Betreffenden. Mit einem Wort, es war eine wahre Freude, die Liste
  • anzusehen.
  • »Und nun bitte ich Sie um eine kleine Anzahlung,« sagte Sabakewitsch.
  • »Wozu eine Anzahlung? Sie bekommen die ganze Summe in der Stadt.«
  • »Na, Sie wissen doch, es ist mal so Sitte,« wandte Sabakewitsch ein.
  • »Ich weiß nicht, wie ich es machen soll? Ich habe leider kein Geld
  • mitgenommen. Übrigens hier, nehmen Sie diese zehn Rubel!«
  • »Ach was zehn! Geben Sie wenigstens fünfzig!«
  • Tschitschikow machte allerhand Ausflüchte, er habe nicht soviel Geld bei
  • sich usw.; aber Sabakewitsch erklärte so kategorisch, er habe doch
  • welches, daß jener endlich noch einen Zettel aus der Tasche zog und
  • sagte: »Na, meinetwegen! da haben Sie noch fünfzehn. Das macht also im
  • ganzen fünfundzwanzig. Ich bitte jedoch um eine Quittung.«
  • »Wozu denn eine Quittung?!«
  • »Wissen Sie, es ist doch sicherer! Das Glück ist nun mal launisch! Es
  • kann soviel passieren.«
  • »Gut, dann geben Sie das Geld her!«
  • »Warum nur? Ich halte es ja in der Hand. Schreiben Sie erst die
  • Quittung, dann sollen Sie es sogleich haben!«
  • »Ja, erlauben Sie mal, wie kann ich denn quittieren? Ich muß doch zuvor
  • das Geld gesehen haben.«
  • Tschitschikow ließ die Banknoten los, und Sabakewitsch griff eiligst zu.
  • Er ging an den Tisch, und während er das Geld mit ein paar Fingern der
  • linken Hand bedeckte, bescheinigte er mit der anderen auf einem
  • Zettelchen, daß er fünfundzwanzig Rubel in staatlichen Banknoten für die
  • verkauften Seelen erhalten habe. Nachdem er die Quittung ausgestellt
  • hatte, prüfte er noch einmal das Papiergeld.
  • »Der eine ist ein bissel alt,« murmelte er, während er einen der Scheine
  • ans Licht hielt! »und auch ein bissel zerrissen und abgenutzt. Na, aber
  • unter Freunden achtet man schließlich nicht darauf.«
  • »Ein Halsabschneider! Ich sagte es ja,« dachte Tschitschikow. »Und noch
  • 'ne Bestie dazu!«
  • »Können Sie nicht Seelen weiblichen Geschlechtes brauchen?«
  • »Nein, ich danke!«
  • »Ich hätte sie Ihnen billig gelassen. Aus Freundschaft für Sie, schon
  • für einen Rubel das Stück.«
  • »Nein, das weibliche Geschlecht hat für mich keine Reize.«
  • »Freilich! Wenn dem so ist, ist jedes weitere Wort Verschwendung. Über
  • den Geschmack läßt sich nicht streiten: Der eine liebt den Popen, der
  • andre des Popen Frau, wie das Sprichwort sagt.«
  • »Ich wollte Sie noch bitten, daß diese Angelegenheit ganz unter uns
  • bleibt,« sprach Tschitschikow, indem er sich verabschiedete.
  • »Aber selbstverständlich! Einen dritten geht das doch garnichts an: was
  • zwei nahe Freunde im Vertrauen miteinander verhandeln, muß natürlich
  • unter ihnen bleiben. Leben Sie wohl! Ich danke Ihnen für Ihren Besuch
  • und bitte Sie, mich auch weiterhin nicht zu vergessen! Kommen Sie doch,
  • wenn es Ihre Zeit erlaubt, wieder einmal zum Mittagessen. Dann plaudern
  • wir ein Stündchen zusammen. Vielleicht findet sich noch einmal eine
  • Gelegenheit, einander einen Dienst zu erweisen.«
  • »Nein, danke, mein Bester!« dachte Tschitschikow, indem er in den Wagen
  • stieg. »Hat mir zwei und einen halben Rubel für eine tote Seele
  • abgegaunert, dieser verfluchte Leuteschinder!«
  • Tschitschikow war äußerst empört über Sabakewitschs Betragen. Er war
  • doch immerhin ein Bekannter von ihm. Sie hatten sich ja schon beim
  • Gouverneur und beim Polizeimeister gesehen, und doch hatte er ihn
  • behandelt wie einen gänzlich Fremden und ihm Geld für irgend einen
  • Plunder abgenommen. Als der Wagen durch das Hoftor rollte, sah er sich
  • noch einmal um: Sabakewitsch stand noch immer auf der Treppe und schien
  • ausspähen zu wollen, welche Richtung der Gast einschlagen werde.
  • »Er steht noch immer da, der Schuft!« murmelte Tschitschikow durch die
  • Zähne; und er befahl Seliphan, den Weg durch das Dorf zu nehmen und so
  • zu fahren, daß man die Equipage vom Herrensitz aus nicht mehr sehen
  • könne. Er hatte die Absicht, Pluschkin aufzusuchen, bei dem, nach
  • Sabakewitschs Worten, die Menschen wie die Fliegen starben. Aber er
  • wollte nicht, daß Sabakewitsch dies erführe. Als der Wagen am Ende des
  • Dorfes war, rief er den ersten besten Bauern zu sich heran. Dieser hob
  • gerade einen dicken Balken, der am Wege lag, auf die Schulter und wollte
  • ihn wie eine unermüdliche Ameise nach seiner Hütte schleppen.
  • »Heh! Du Langbart! Wie gelangt man denn von hier zu Pluschkin, ohne an
  • dem herrschaftlichen Wohnhause vorüber zu kommen?«
  • Dem Bauern schien diese Frage einige Schwierigkeiten zu bereiten.
  • »Na, du weißt es wohl nicht?«
  • »Nein, gnädiger Herr, ich weiß nicht.«
  • »Ach, du! Und dabei kriegt der Kerl schon graue Haare! Kennt den
  • Geizhals Pluschkin nicht, der seine Leute verhungern läßt.«
  • »Ach so, der geflickte!« rief der Bauer aus. Er ließ diesem
  • Eigenschaftswort »der geflickte« auch noch ein sehr treffendes
  • Substantivum folgen, das wir jedoch unterdrücken, weil es in der Sprache
  • der bessern Welt nur selten gebraucht wird. Übrigens wäre es nicht
  • schwer zu erraten gewesen, daß dieser Ausdruck ein äußerst
  • kennzeichnender war, weil Tschitschikow noch lange weiter lachte, als
  • der Wagen schon ein beträchtliches Stück Weges zurückgelegt und die
  • Insassen den Bauern schon längst aus den Augen verloren hatten. Es liegt
  • eine gewaltige Kraft in der Ausdrucksweise des russischen Volkes. Wird
  • mal einer mit einem solchen Wörtchen bedacht, so erbt es sich fort von
  • Geschlecht zu Geschlecht; er schleppt es mit sich in den Dienst und in
  • die Pension, bis nach Petersburg, und bis ans Ende der Welt. Mach
  • Winkelzüge soviel und welcher Art du willst, such deinen Spitznamen zu
  • veredeln, laß meinetwegen gedungene Schreiberseelen ihn für reichlichen
  • Geldlohn von einem alten Fürstenadel ableiten, es hilft dir alles
  • nichts. Dein Spitzname krächzt ohne dein Zutun aus voller Rabenkehle und
  • verkündigt klar, woher der Vogel stammt. Ein treffend ausgesprochenes
  • Wort ist wie ein schwarz auf weiß gedrucktes. Es läßt sich mit keiner
  • Art herausbringen. Und wie wunderbar treffend ist alles, was aus den
  • tiefsten Tiefen Rußlands hervordringt, wo es weder deutsche, noch
  • finnische noch irgend welche anderen Volksstämme gibt, sondern alles ein
  • urwüchsiges Urprodukt des lebendigen wagemutig-kecken russischen Geistes
  • ist, der nicht lange nach dem rechten Worte sucht, der es nicht
  • erbrütet, wie die Henne ihre Kücken, sondern es mit einem Ruck in die
  • Welt setzt, wie einen Reisepaß für die Ewigkeit. Da brauchst du nicht
  • erst hinzuzufügen, was du für eine Nase und was für Lippen hast, mit
  • einem Strich bist du umrissen vom Scheitel bis zur Sohle.
  • Wie das fromme heilige Rußland mit einer unübersehbaren Menge von
  • Klöstern und Kirchen mit Spitzen, Kuppeln und Kreuzen übersät ist, so
  • stoßen und drängen, schillern und wogen unzählbare Scharen von Völkern,
  • Geschlechtern und Stämmen auf dem Angesicht der Mutter Erde. Und jedes
  • dieser Völker, das in sich das Unterpfand der Kraft trägt, das
  • ausgestattet ist mit schöpferischen Geistesmächten, mit einer
  • helleuchtenden Eigenart und anderen Gottesgaben, hat sich sein
  • eigentümliches Gepräge gegeben, in einem selbst eigenen Worte, mit dem
  • es in der Bezeichnung eines Objekts einen Teil seines eigensten
  • Charakters wiederspiegelte. Herzenskenntnis und tiefe Lebensweisheit
  • klingt uns aus dem Worte des Britanniers entgegen; leicht beschwingt und
  • elegant blitzt auf und zerflattert das kurzlebige Wort des Franzosen;
  • klug und schlau ersinnt sein nicht leichtfaßlich dürres Rätselwort der
  • Deutsche; aber es gibt kein Wort, das so weit ausladend, so keck sich
  • losringt aus den tiefsten Tiefen des Herzens, so brodelt, glüht,
  • vibriert von innerstem Leben, wie ein treffend urwüchsiges, russisches
  • Wort.
  • Sechstes Kapitel
  • Einst, vor langer langer Zeit, in den Tagen meiner Jugend, meiner
  • unwiederbringlich entschwundenen Jugend, da machte es mir stets Freude,
  • wenn ich an einem unbekannten Ort vorüberfuhr: ganz gleich, ob es ein
  • kleines Dorf, ein armes Kreisstädtchen, ein Flecken oder eine größere
  • Ortschaft war. Wieviel Interessantes entdeckte da nicht der neugierige
  • Blick des Kindes! Jedes Gebäude, alles was den Stempel einer scharf
  • ausgeprägten Eigenart an sich trug, lenkte die Aufmerksamkeit auf sich
  • und hinterließ einen tiefen Eindruck in der Seele des Knaben. Ein
  • steinernes Haus oder ein Staatsgebäude von der bekannten Bauart, mit den
  • vielen gemalten Fenstern, das in einsamer Höhe aus dem Haufen
  • einstöckiger Blockhäuser der Stadtbewohner hervorragte; eine runde
  • regelmäßige, mit weißem Eisenblech gedeckte Kuppel, die sich über der
  • schneeweißen neuen Kirche erhob, ein Marktplatz, ein kleinstädtischer
  • Galan, der im Städtchen umherschlenderte -- nichts entging dem scharf
  • aufmerkenden kindlichen Spürsinn -- und ich steckte meine Nase aus
  • meinem Zeltwagen heraus und betrachtete neugierig einen Rock von mir
  • gänzlich unbekanntem Schnitt, die offenen Holzkisten mit der weithin
  • leuchtenden Schwefelblüte, mit Nägeln, Seife und Rosinen, die mir
  • zugleich mit allerhand Schachteln und Büchsen voll vertrockneter
  • Moskauer Bonbons aus der Tür eines Gemüseladens entgegenschimmerten;
  • oder ich sah mir einen vorübergehenden Infanterie-Offizier an, den
  • irgend eine seltsame Schickung hierher in die Langeweile der Kreisstadt
  • verschlagen hatte, oder einen Kaufmann in einem langen Rock, der auf
  • einem Rennwagen an mir vorbeijagte -- und ließ mich von meinen Gedanken
  • weit forttragen in ihr armseliges Dasein. Ging ein Beamter des
  • Städtchens an mir vorüber, so fing ich schon an zu träumen und zu
  • grübeln: wo mag er wohl hingehen? Zu einer Abendgesellschaft bei einem
  • seiner Brüder oder vielleicht nur zu sich nach Hause, um ein halbes
  • Stündchen vor der Haustür zu sitzen, bis die Nacht sich niedersenkt und
  • sich dann mit Frau und Mutter, der Schwägerin und der ganzen Familie an
  • den Tisch zum frühen Abendmahl zu setzen? Und wovon würden sie wohl
  • sprechen, wenn das Mädchen mit dem Perlenbande, oder ein Knabe in einer
  • dicken Hausjacke nach der Suppe den unverwüstlichen Leuchter mit der
  • Talgkerze hereinträgt? Näherte ich mich dem Dorfe irgend eines
  • Gutsbesitzers, dann blickte ich neugierig auf den hohen, schmalen
  • hölzernen Glockenturm oder die alte geräumige hölzerne Kirche. Wie
  • anheimelnd blickten dann zwischen dem dichten Blätterwerk der Bäume das
  • rote Dach und die weißen Schornsteine des Herrenhauses hindurch, und ich
  • wartete ungeduldig auf den Augenblick, wo es aus seinem Gartenverstecke
  • heraustreten und daliegen würde mit seiner so gar nicht öden oder
  • langweiligen Front. Und dann suchte ich wohl aus dem Äußeren zu erraten,
  • wer der Besitzer sei, ob er dick oder dünn sei, ob er Söhne oder wohl
  • gar ein halbes Dutzend Töchter habe, die das Haus mit ihrem hellen
  • Mädchenlachen, ihren Mädchenspielen und Scherzen beleben, eine lustige
  • Mädchenschar mit der unvermeidlichen Jüngsten und Schönsten; ob sie
  • schwarzäugig seien und er selbst ein lustiger Bruder sei oder finster
  • und mürrisch blicke, wie ein später Septembertag, beständig in sein
  • Notizbuch und in den Kalender sehe und von nichts anderem spreche, als
  • von dem für die Jugend, ach! so langweiligen Weizen oder Roggen.
  • Heute fahre ich gleichmütig an jedem fremden Dorfe vorüber und blicke
  • gleichgültig auf seine elende Außenseite, mein erkalteter Blick fühlt
  • sich nicht angeheimelt, nichts reizt mich mehr zum Lachen, und was
  • früher, in vergangenen Jahren, meinem Gesicht eine Bewegung oder ein
  • Lächeln, und dem Munde nie versiegende Reden entlockte, das huscht jetzt
  • an mir vorbei, und teilnahmloses Schweigen schließt mir die Lippen. O
  • meine Jugend, o meine herrliche Frische!
  • Während Tschitschikow in Sinnen versunken war und heimlich in sich
  • hineinlächelte wegen des schönen Spitznamens, mit dem die Bauern
  • Pluschkin bedacht hatten, hatte er garnicht darauf geachtet, daß der
  • Wagen mitten durch ein großes und weitläufiges Dorf mit zahlreichen
  • Straßen und Häusern hindurchrollte. Allein dies wurde ihm bald zum
  • Bewußtsein gebracht durch einen recht kräftigen Stoß, der ihm von dem
  • Knüppeldamm appliziert wurde, im Vergleich mit dem das städtische
  • Straßenpflaster das reinste Kinderspiel war. Diese Knüppel hoben und
  • senkten sich wie die Tasten eines Klaviers, und der Reisende, der sich
  • nicht in acht nahm, hatte jeden Augenblick eine Beule am Hinterkopf oder
  • einen blauen Fleck an der Stirn zu gewärtigen, oder er lief sogar
  • Gefahr, sich eigenzähnig die Zungenspitze abzubeißen, was ja auch nicht
  • gerade zu den größten Annehmlicheiten unseres irdischen Daseins gehört.
  • Die Bauernhäuser machten alle einen morschen, verfallenen Eindruck. Die
  • Balken waren wurmstichig und altersgrau. Manche Dächer glichen einem
  • Sieb. An andern bemerkte man nichts von der Dachbekleidung außer dem
  • Firstbalken, und darunter ein paar Latten, die sich wie die Rippen eines
  • Skeletts ausnahmen. Wahrscheinlich hatten die Besitzer selbst die
  • Bretter und Schindeln heruntergeholt, in der wichtigen Erwägung, daß man
  • eine Hütte doch nicht zum Schutz gegen den Regen baut, und daß es bei
  • heiterem Himmel ja nicht von selbst in den Eimer tropft, andererseits
  • aber auch kein Grund vorliegt, gerade in ihr mit dem Weibe auf dem Ofen
  • zu liegen, da ja anderswo Platz genug dazu da ist: in der Schenke, an
  • der Landstraße -- mit einem Wort, wo es dein Herz nur begehrt. Überall
  • fehlten die Scheiben. Hie und da waren die Fensteröffnungen mit einem
  • alten Lappen oder einem Kleidungsstück zugestopft. Die kleinen Altane
  • unter dem Dachvorsprung mit der bekannten Brüstung, die sich aus einem
  • unbekannten Grunde an vielen russischen Bauernhäusern finden, hatten
  • sich gesenkt und waren nachgedunkelt, was nicht einmal einen malerischen
  • Anblick darbot. Hinter den Hütten sah man an mehreren Stellen lange
  • Reihen von Getreidehaufen, die offenbar schon recht lange unbenutzt
  • dalagen: ihre Farbe glich der eines alten schlechtgebrannten
  • Ziegelsteins. Oben auf dem Haufen wuchs allerhand Plunder und an der
  • Seite hatten Schlingpflanzen Wurzel geschlagen. Das Getreide gehörte
  • anscheinend dem Gutsherrn; hinter den Kornhaufen und den morschen
  • Dächern ragten bald rechts bald links, je nach den Wendungen, die der
  • Wagen machen mußte, zwei Dorfkirchen empor, die ihre Türme in die klare
  • Luft reckten. Beide lagen dicht nebeneinander, die eine von Holz, die
  • andere von Stein mit gelb angestrichenen Mauern, die große
  • Schmutzflecken und klaffende Risse zeigten. Hie und da blickte das Haus
  • des Gutsherrn durch, bis es schließlich frei vor den Augen dastand, wo
  • die Häuserkette abriß und statt dessen ein freier Platz sich öffnete,
  • der etwas wie einen Gemüse- oder Kohlgarten darstellte und von einem
  • niedrigen, stellenweise stark mitgenommenen Zaun eingefriedigt war. Wie
  • ein hinfälliger, altersschwacher Invalide sah dieses sich hier endlos
  • hinstreckende Schloß aus. Stellenweise hatte es nur ein Stockwerk,
  • stellenweise auch zwei. Auf dem dunklen Dach, das sein Alter nicht immer
  • sicher beschützte, befanden sich gerade gegenüber zwei Aussichtstürme,
  • beide schon altersgebeugt und verblichen, da die Farbe, die sie
  • einstmals deckte, längst verschwunden war. Hie und da ließen die Mauern
  • die nackten Fachwerkfelder sehen. Offenbar hatten sie schon viel unter
  • Regengüssen, Wirbelstürmen, Ungewittern und Herbstschauern zu leiden
  • gehabt. Nur zwei von den Fenstern waren offen; die übrigen waren mit
  • Läden verdeckt oder sogar mit Brettern vernagelt. Die beiden offenen
  • Fenster waren jedoch ihrerseits auch schon ein wenig erblindet und das
  • eine mit einem blauen Papierdreieck verklebt.
  • Ein großer, alter Garten, der hinter dem Hause lag, sich von dort weit
  • bis übers Dorf hinaus erstreckte und in den Feldern verlor, belebte
  • allein, obwohl auch schon verwildert und zugewachsen, dieses große Dorf
  • und bot in seiner malerischen Wildheit einen pittoresken Anblick dar.
  • Wie grüne Wolken und unregelmäßige Kuppeln von zitternden Blättern
  • ruhten im klaren Himmelsblau die verschlungenen Wipfel der Bäume, die in
  • ungebändigter Freiheit sich üppig hatten entfalten können. Der mächtige
  • weiße Stamm einer Riesenbirke ohne Krone, die der Sturm oder Blitz
  • gebrochen hatte, erhob sich aus diesem grünen Dickicht und rundete sich
  • in der Luft wie eine schlanke, schöngeformte Marmorsäule. Die schräge,
  • scharfkantige Bruchstelle, in die sie auslief statt in ein Kapitäl, hob
  • sich von dem schneeweißen Grund ab wie ein Hut oder ein schwarzer Vogel.
  • Grünschimmernder Hopfen, der mit seinem dichten Geflecht
  • Holundersträuche, Ebereschen und Haselbüsche in seinen engen Umarmungen
  • zu ersticken versuchte, kletterte am Stamm empor und rankte sich um die
  • halbgeborstene Birke. Auf halber Höhe ließ er sich wieder herabfallen,
  • um sich an andere Baumwipfel zu klammern, oder er senkte seine langen
  • Ranken in die Luft hinab, indem er seine Häkchen zu Ringen aufrollte,
  • die im sanften Winde schaukelten. Hie und da trat das im hellen
  • Sonnenlichte daliegende grüne Dickicht auseinander und ließ einen
  • dunkelen schattigen Grund sehen, der wie ein finsterer Rachen aufgähnte;
  • dieser war ganz in Schatten getaucht, man konnte mehr ahnen, als
  • erkennen, was einem aus der dunklen Tiefe entgegenschimmerte: einen
  • engen, schmalen Fußpfad, ein umgefallenes Geländer, eine verfallene
  • Laube, den hohlen morschen Stamm einer Weide, silbergraues Strauchwerk,
  • das stachelicht und dicht hinter der Weide hervorguckte, vertrocknete
  • Blätter und Äste, die in der allgemeinen Verwilderung wirr durcheinander
  • lagen, und endlich einen jungen Ahornschößling, der seine grünen
  • gelappten Blätter weit ausstreckte, und deren _eines_ ein Sonnenstrahl,
  • der sich Gott weiß auf welche Weise bis hierher den Weg gebahnt hatte,
  • in einen durchsichtig goldigglühenden Stern verwandelte, welcher aus der
  • dichten Finsternis herrlich hervorleuchtete. Ganz abseits am Rande des
  • Gartens standen einige hochgewachsene, alle andern Bäume weit
  • überragende Espen, die ein paar mächtige Krähennester in ihren
  • zitternden Baumkronen trugen. Hie und da ließ eine von ihnen einen
  • gebrochenen, aber noch lose am Stamm haftenden Ast mit seinen
  • vertrockneten Blättern traurig herabhängen. Mit einem Wort es war alles
  • sehr schön, wie weder Natur noch Kunst es _für sich allein_
  • hervorzubringen vermögen, und wie es nur dort zu gelingen pflegt, wo
  • sich beide zu gemeinsamem Werke vereinigen, wenn die Natur noch einmal
  • über die oft ohne Sinn und Geschmack zusammengestoppelte Schöpfung des
  • Menschen mit ihrem Meißel drübergeht, ihr den letzten Schliff gibt, die
  • schweren Massen belebt, ihnen etwas Leichtes, Schwebendes verleiht, die
  • grobe handgreifliche Regelmäßigkeit und Symmetrie verwischt und die
  • elenden Mängel und Schnitzer beseitigt, welche die nackte Absicht allzu
  • aufdringlich zur Schau stellen, um jene wundersame Wärme über alles zu
  • ergießen, was in der frostigen Kälte wohldurchdachter, errechneter
  • Sauberkeit und Peinlichkeit entstand.
  • Nachdem der Wagen noch einige Wendungen gemacht hatte, blieb er endlich
  • vor dem Hause selbst stehen, das jetzt fast noch düsterer und
  • trübseliger erschien. Die Mauern und das Tor waren mit grünem Schimmel
  • bedeckt. Im Hofe standen allerhand Gebäude: Vorratskammern,
  • Kornspeicher, das Gesindehaus usw. dicht nebeneinander -- auch sie alle
  • gleichfalls mit den deutlichen Spuren des Alters und der Baufälligkeit;
  • rechts und links sah man je ein Tor, das nach einem andern Hofe führte.
  • Alles legte Zeugnis davon ab, daß hier einmal in ganz großem Maßstabe
  • gewirtschaftet worden war, heute aber blickte alles trübe und finster.
  • Da gab es nichts, was das traurige Bild ein wenig erheitert hätte: --
  • keine sich auftuenden Türen, keine ein- und ausgehenden Menschen, keine
  • lebendigen häuslichen Sorgen! Nur das Haupttor stand offen, und auch
  • dies nur, weil ein Mann mit einem schwerbeladenen Wagen, der mit
  • Bastmatten zugedeckt war, in den Hof fuhr; wie mit Absicht, um diesen
  • öden toten Ort ein wenig zu beleben: zu einer andern Zeit wäre auch
  • dieses Tor fest verschlossen gewesen, denn an der eisernen Krampe hing
  • ein mächtiges Riesenschloß. Vor einem der Gebäude entdeckte
  • Tschitschikow bald eine Gestalt, die sich mit dem Wagenführer zankte. Er
  • konnte sich lange nicht darüber klar werden, welchem Geschlechte die
  • Gestalt angehörte; ob es ein Mann oder eine Frau war. Das
  • Kleidungsstück, das sie anhatte, war völlig undefinierbar, und hatte
  • eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Frauenrock; dazu trug sie noch eine
  • Kappe auf dem Kopf, wie sie die Dorfweiber zu tragen pflegen.
  • »Wahrhaftig, ein Weibsbild!« dachte er, er fügte aber gleich hinzu:
  • »Nein, doch nicht!« -- »Natürlich ein Weibsbild!« sagte er endlich,
  • nachdem er sich die Gestalt näher angesehen hatte. Diese beobachtete ihn
  • ihrerseits gleichfalls mit großer Aufmerksamkeit. Der Ankömmling schien
  • für sie eine Art Weltwunder zu sein, weil sie nicht bloß ihn, sondern
  • auch Seliphan und selbst die Pferde vom Maule bis zum Schwanze aufs
  • gründlichste musterte. Nach dem an ihrem Gürtel hängenden Schlüsselbund
  • und den kräftigen Schimpfworten, mit denen sie den Bauern überhäufte,
  • urteilte Tschitschikow, daß dies wohl die Schließerin sein müsse.
  • »Hör mal, Mütterchen,« sagte er, während er aus dem Wagen stieg, »was
  • macht der Herr?«
  • »Ist nicht zu Hause!« versetzte die Schließerin, ohne den Schluß der
  • Frage abzuwarten, und sie fügte gleich hinzu, »und was wollen Sie von
  • ihm?«
  • »Ich komme in einer geschäftlichen Angelegenheit.«
  • »Dann treten Sie bitte ins Zimmer,« sagte die Schließerin, indem sie die
  • Türe öffnete, ihm den mit Mehlstaub bedeckten Rücken zuwandte und dabei
  • ein großes Loch in ihrem Rocke sehen ließ.
  • Er betrat den großen dunklen Flur, aus dem ihn Grabeskälte wie aus einem
  • Keller anwehte. Aus dem Flur gelangte er in ein dunkles Zimmer, in das
  • nur wenig Licht aus einer breiten Spalte unter der Tür hineinfiel. Er
  • öffnete diese Tür und befand sich endlich in hellem Tageslicht. Die
  • Unordnung, die sich ihm überall aufdrängte, erregte sein Erstaunen. Es
  • sah fast so aus, als ob im ganzen Hause die Dielen gewaschen würden und
  • während dessen sämtliche Möbel in dieser Stube untergebracht worden
  • wären. Auf einem Tische stand sogar ein zerbrochener Stuhl, daneben eine
  • Uhr mit einem zerbrochenen Pendel, das eine Spinne bereits mit ihrem
  • Gewebe umsponnen hatte. Hier standen auch ein seitlich an die Wand
  • gelehnter Schrank mit altem Silbergerät und allerhand Karaffen aus
  • chinesischem Porzellan. Auf dem Schreibpult, das mit Perlmuttermosaik
  • ausgelegt, stellenweise seines Schmuckes entkleidet war und an seiner
  • Stelle die mit trockenem Leim gefüllten Lücken sichtbar werden ließ, lag
  • allerhand bunter Kram beieinander: ein Haufen eng beschriebener Zettel,
  • auf denen ein grünlich angelaufener Briefbeschwerer von Marmor mit einem
  • kleinen Ei als Griff ruhte, ein alter Schweinslederband mit rotem
  • Schnitt, eine trockene ausgepreßte Zitrone, die nicht größer war als
  • eine Walnuß, die abgebrochene Lehne eines Stuhles, ein Schnapsglas mit
  • einer roten Flüssigkeit und drei darin schwimmenden Fliegen, das mit
  • einem Briefbogen bedeckt war, ein Stückchen Siegellack, der Fetzen eines
  • irgendwo aufgelesenen Lappens, zwei Schreibfedern, die mit Tinte
  • beschmiert und ganz vertrocknet waren, wie wenn sie die Schwindsucht
  • hätten, ein gelblicher Zahnstocher, mit dem sich sein Herr wohl noch vor
  • der Einnahme Moskaus durch die Franzosen die Zähne gereinigt haben
  • mochte, usw. An den Wänden hingen nahe beieinander und in recht
  • geschmackloser Anordnung mehrere Bilder: ein schmaler Stahlstich von
  • irgend einer Schlacht, auf dem man fürchterliche Trommeln, schreiende
  • Soldaten mit Dreimastern auf den Köpfen und ersaufenden Pferden
  • erblickte. Der Stich befand sich in einem Rahmen von Mahagoniholz mit
  • schmalen Bronzeleisten und Bronzerosetten in den Ecken, jedoch ohne
  • Deckglas. Daneben hing ein gewaltiges nachgedunkeltes Ölgemälde, das die
  • halbe Wand einnahm, und auf dem Blumen, Früchte, eine zerschnittene
  • Wassermelone, die Schnauze eines Wildebers und der herunterhängende Kopf
  • einer wilden Ente abgebildet waren. Von der Mitte der Decke hing ein in
  • einem Leinewandsack eingenähter Kronleuchter herab, der so dicht mit
  • Staub bedeckt war, daß er dem Kokon eines Seidenwurmes glich. In einem
  • Winkel des Zimmers lag ein Haufen alter Sachen; dies waren gewissermaßen
  • die gröberen Gegenstände, die nicht gewürdigt wurden, auf dem Tisch zu
  • liegen. _Was_ das eigentlich für Sachen waren -- das ließ sich nicht
  • leicht angeben; denn es lastete eine so dicke Staubschicht auf ihnen,
  • daß jede Hand, die sie berührte, große Ähnlichkeit mit einem Handschuh
  • bekam; die einzigen Objekte, die sich mit einiger Deutlichkeit von dem
  • Schutthaufen abhoben, waren: ein Stück von einer zerbrochenen hölzernen
  • Schaufel und eine alte Schuhsohle. Kein Mensch hätte geglaubt, daß dies
  • Zimmer von einem lebenden Wesen bewohnt werde, wenn nicht eine alte
  • abgetragene Kappe, die auf dem Tische lag, davon Zeugnis abgelegt hätte.
  • Während unser Held noch in die Betrachtung dieser merkwürdigen
  • Zimmerausstattung versunken war, öffnete sich eine Seitentür, und
  • dieselbe Schließerin, die er auf dem Hofe getroffen hatte, trat herein.
  • Jetzt aber sah er, daß dies eher ein Schließer, als eine Schließerin
  • war: wenigstens pflegte sich eine Schließerin gewöhnlich nicht den Bart
  • zu rasieren, dieser Mensch aber tat es und zwar, wie es schien, recht
  • selten, denn sein Kinn und die untere Partie seines Gesichts glich einem
  • Striegel aus Eisendraht, mit dem man die Pferde im Stalle zu putzen
  • pflegt. Tschitschikows Gesicht nahm einen fragenden Ausdruck an; er
  • wartete mit Ungeduld darauf, was ihm der Schließer sagen würde. Dieser
  • schien jedoch seinerseits wiederum auf Tschitschikows Anrede zu warten.
  • Endlich entschloß sich der letztere, dem diese beiderseitige
  • Unentschlossenheit recht peinlich wurde, zu der Frage:
  • »Nun, was macht dein Herr? Ist er zu Hause?«
  • »Der Hausherr ist hier!« antwortete der Schließer.
  • »Wo denn nur?« wiederholte Tschitschikow.
  • »Sie sind wohl blind, Väterchen? Was?« versetzte der Schließer.
  • »Herrjeh! Ich bin doch der Herr des Hauses!«
  • Hier wich unser Held unwillkürlich ein wenig zurück und sah jenen starr
  • an. Er hatte in seinem Leben mancherlei Leute kennen gelernt, selbst
  • solche wie wir, lieber Leser, sie wohl nie zu sehen bekommen. Aber einem
  • ähnlichen Wesen war er noch nie begegnet. An seinem Gesichte war nichts
  • Besonderes zu bemerken. Es unterschied sich kaum von dem der meisten
  • hagern alten Leute; nur das Kinn sprang etwas weit vor, und er mußte es
  • immer mit einem Taschentuch bedecken, um es nicht mit seinem Speichel zu
  • befeuchten. Die kleinen Äuglein waren noch nicht erloschen und bewegten
  • sich unter den buschigen Augenbrauen hin und her wie zwei Mäuschen, wenn
  • sie die zierlichen Schnäuzchen aus dem finsteren Loche stecken, die
  • Ohren spitzen, mit ihren feinen Schnurrbarthärchen spielend,
  • hinauslugen, ob nicht irgendwo ein Kater oder ein mutwilliger Knabe
  • versteckt liegt und argwöhnisch in der Luft herumschnüffeln. Das Kostüm
  • war noch interessanter. Es wäre eine vergebliche Bemühung gewesen,
  • herauskriegen zu wollen, woraus sein Schlafrock eigentlich
  • zusammengeflickt war: die Ärmel und die Kragenschöße waren so schmutzig
  • und glänzend, daß sie dem Juchtenleder glichen, aus dem man Stiefel
  • macht; hinten baumelten ihm statt zweier vier Rockschöße hinunter, aus
  • denen das Futter sich in Knäueln ans Tageslicht drängte. Um den Hals
  • hatte er auch ein undefinierbares Etwas geschlungen, von dem man nicht
  • sagen konnte, ob es ein alter Strumpf, eine Leibbinde oder eine Bandage
  • war. Ein Halstuch war es jedenfalls nicht. Mit einem Wort, hätte ihn
  • Tschitschikow in diesem Aufzug vor irgend einer Kirche getroffen, er
  • hätte ihm sicherlich einen Kupfergroschen gereicht; denn, zur Ehre
  • unseres Helden sei es gesagt, er hatte ein sehr mitleidiges Herz und
  • konnte sich niemals enthalten, einem armen Mann eine Kupfermünze zu
  • reichen. Aber der Mensch, der vor ihm stand, war kein Bettler, sondern
  • ein vornehmer Gutsherr. Und dieser Gutsherr besaß mehr als tausend
  • Seelen, ja man hätte lange nach einem zweiten suchen können, der soviel
  • Getreide, Mehl und Ackerfrüchte in seinen Speichern barg, dessen
  • Vorratskammern, Scheuern und Tennen gleich vollgepfropft waren mit Tuch
  • und Leinewand, rohen und gegerbten Schafsfellen, getrockneten Fischen,
  • mancherlei Gemüsearten und Früchten. Man brauchte bloß einen Blick in
  • seinen Hof zu werfen, wo Holz aller Art und allerhand Geschirr
  • aufgestapelt lagen, welches nie verwendet wurde -- und man hätte sich
  • auf den Moskauer Holzmarkt versetzt geglaubt, wo sich täglich die
  • geschäftigen Schwiegermütter und Basen versammeln, begleitet von ihren
  • Köchinnen, um ihre Einkäufe zu machen, und wo uns ganze Berge von
  • geschnitztem, gedrechseltem, geflochtenem und verzahntem Holze
  • entgegenschimmern: Fässer, Bottiche, Teereimer, Kannen mit und ohne
  • Maul, Wannen, Körbe, Hechelbretter, durch welche die Frauen ihren Flachs
  • und anderes Zeug ziehen, Kästchen aus dünnem, gebogenem Espenholz,
  • Körbchen aus geflochtener Birkenrinde und noch vieles, vieles andere zum
  • Bedarf des reichen und armen Russenlandes. Man hätte meinen sollen, wozu
  • brauchte Pluschkin eine solche Unmenge verschiedenartigster Erzeugnisse?
  • Selbst zwei so große Güter, wie das seine, hätten mehrere Menschenalter
  • lang keine Verwendung für sie gefunden. Ihm aber war auch das noch nicht
  • genug. Unzufrieden ging er alltäglich durch die Straßen seiner Dörfer
  • und blickte unter Brücken und Stege und alles, was ihm in den Weg kam:
  • eine alte Schuhsohle, irgend ein Fetzen eines alten Kleiderstücks, ein
  • eiserner Nagel, eine Dachziegelscherbe -- alles trug er mit sich fort
  • und warf es auf jenen Haufen, den Tschitschikow in dem Winkel des
  • Zimmers bemerkt hatte. »Da geht unser Fischer wieder auf die Jagd,«
  • pflegten die Bauern zu sagen, wenn sie ihn beutelüstern nach allen
  • Seiten ausspähen sahen. Und in der Tat: die Straße brauchte man hinter
  • ihm nicht mehr zu fegen; hatte ein vorüberfahrender Offizier einen
  • seiner Sporen verloren -- eh man sich's versah, lag sie auf dem Haufen;
  • hatte ein Weib in ihrer Blödigkeit einen Eimer am Brunnen stehen lassen,
  • -- flugs schleppte er auch schon den Eimer mit sich fort. Übrigens, wenn
  • ein Bauer ihn dabei ertappte, dann widersetzte er sich nicht lange und
  • lieferte den geraubten Gegenstand gutwillig wieder aus; aber lag dieser
  • einmal im Haufen, dann war alles vorbei: er schwur und rief Gott zum
  • Zeugen an, daß er das Ding dann und dann, und da und da gekauft, oder
  • wohl gar von seinem Großvater geerbt habe. War er bei sich zu Hause,
  • dann hob er alles auf, was auf dem Fußboden lag: ein Stückchen
  • Siegellack, einen Papierfetzen, eine Feder, und legte alles auf das
  • Schreibpult oder auf die Fensterbank.
  • Und doch gab es eine Zeit, wo er nur ein _sparsamer Hausherr_ gewesen
  • war! Auch _er_ war einst ein braver Ehemann und Familienvater, und seine
  • Nachbarn besuchten ihn, um bei ihm zu Mittag zu speisen, die Kunst des
  • Haushalts und weise Sparsamkeit von ihm zu lernen. Damals floß das ganze
  • Leben noch rasch und wohlgeordnet dahin: die Mühlen und Walzen
  • klapperten lustig, die Tuchfabriken, die Drechselbänke und Webstühle
  • arbeiteten unermüdlich; in alle Ecken und Winkel des geräumigen
  • Landgutes drang das scharfblickende Auge des Herrn und glitt wie eine
  • fleißige Spinne besorgt und geschäftig von einem Ende des
  • Wirtschaftsnetzes zum andern. In seinem Antlitz spiegelten sich freilich
  • niemals allzu starke Leidenschaften und Gefühle, aber aus seinem Auge
  • blitzte ein heller Verstand, aus seinen Reden sprachen Erfahrung und
  • Weltkenntnis, und seine Gäste hörten ihm gerne zu; die liebenswürdige
  • redselige Hausfrau war berühmt wegen ihrer Gastfreundschaft; zwei
  • liebliche Töchter begrüßten den Ankömmling, beide blond und frisch, wie
  • junge Rosen, der Sohn, ein lebhafter, munterer Junge kam ihm
  • entgegengesprungen, und küßte den Gast, ohne viel danach zu fragen ob es
  • diesem angenehm war, oder nicht. Alle Fenster im Hause standen offen. Im
  • Zwischenstock wohnte der französische Gouverneur, welcher stets gut
  • rasiert war und für einen glänzenden Schützen galt: jeden Tag brachte er
  • ein Birkhuhn oder ein paar Enten, oder zuweilen gar einige Sperlingseier
  • zum Mittagessen mit, aus denen er sich einen Eierkuchen backen ließ, den
  • außer ihm kein Mensch im ganzen Hause aß. Im selben Stock wohnte auch
  • eine Landsmännin von ihm, die Gouvernante der beiden Mädchen. Der
  • Hausherr selbst erschien immer in einem schwarzen Rock, der zwar schon
  • ein wenig abgetragen, aber stets ordentlich und sauber war, zu Tische;
  • die Ellenbogen waren noch nicht durchgerieben, und er war auch noch
  • nicht geflickt. Aber die gute Hausfrau starb, und ein Teil der Schlüssel
  • und der kleinen Sorgen fielen von nun ab ihm zu. Pluschkin wurde
  • unruhig, geizig und argwöhnisch, wie alle Witwer. Auf seine älteste
  • Tochter Alexandra Stepanowna wollte er sich nicht in allem verlassen,
  • und darin hatte er recht, denn Alexandra Stepanowna lief bald darauf mit
  • einem Stabsrittmeister irgend eines Kavallerieregiments davon und ließ
  • sich in aller Eile in einer Dorfkirche mit ihm trauen, da sie wußte, daß
  • der Vater die Offiziere nicht leiden konnte: er hatte nämlich das
  • merkwürdige Vorurteil, sie seien alle Spieler und Verschwender. Der
  • Vater sandte ihr seinen Fluch nach, aber es fiel ihm nicht ein, ihr
  • nachzureisen und sie zurückzuholen. Das Haus wurde von nun ab noch
  • leerer und öder. Der Geiz des Besitzers trat immer offener zutage; die
  • ersten grauen Haare, die bei ihm aufblitzten, die treuen Begleiter der
  • Habsucht, begünstigten noch ihre Entwickelung. Der französische
  • Hauslehrer erhielt seinen Abschied, weil der Sohn in den Staatsdienst
  • treten sollte; Madame wurde weggejagt, weil sie nicht ganz unbeteiligt
  • an der Entführung Alexandra Stepanownas war. Der Sohn, den der Vater in
  • die Provinzhauptstadt geschickt hatte, um ihn hier den Staatsdienst
  • gründlich kennen lernen zu lassen -- nämlich wie der Vater ihn verstand
  • -- trat in ein Regiment ein, und schrieb dem Vater einen Brief, in dem
  • er ihn -- bereits nachdem er Offizier geworden war -- um Geld für die
  • Uniformierung bat; natürlich erhielt er hierauf nur das, was man im
  • Volke eine Nase zu nennen pflegt. Schließlich starb auch noch die letzte
  • Tochter, die bei Pljuschkin im Hause lebte, und der Alte blieb
  • mutterseelenallein auf dieser Welt zurück als Hüter, Wächter und
  • alleiniger Besitzer all seiner Reichtümer. Das einsame Leben gab der
  • Habsucht neue, reiche Nahrung, denn der Geiz hat bekanntlich einen
  • rechten Wolfshunger und wird nur um so unersättlicher, je mehr er
  • verschlingt: die menschlichen Regungen, die ja ohnedies nicht allzutief
  • in ihm wurzelten, wurden beinahe stündlich leichter und flacher, und
  • jeder Tag bröckelte von dieser verfallenen Ruine noch ein weiteres
  • Stückchen ab. In solch einem Augenblicke geschah es, daß der Sohn, wie
  • absichtlich, um die schlechte Meinung des Vaters vom Offiziersstand noch
  • zu bestätigen, sein ganzes Vermögen im Kartenspiele verlor; da sandte
  • ihm Pljuschkin seinen aufrichtigen väterlichen Fluch, und von da ab
  • kümmerte er sich überhaupt nicht um ihn, und interessierte sich nicht
  • mehr dafür, ob er noch auf der Welt sei oder nicht. Jedes Jahr wurde ein
  • neues Fenster im Gutshause verschlossen oder zugenagelt, bis schließlich
  • nur noch zwei übrig blieben, von denen eins, wie der Leser schon gehört
  • hat, mit Papier verklebt wurde; jedes Jahr verlor er ein neues richtiges
  • Stück von seinem Haushalt aus dem Auge, und sein enger Blick wandte sich
  • immer mehr allerhand Zettelchen und Federchen zu, die er in seinem
  • Zimmer vom Fußboden auflas; er wurde immer unzugänglicher und
  • unnachgiebiger gegen die Käufer, welche angereist kamen, um ihm etwas
  • von seinen landwirtschaftlichen Produkten abzukaufen; sie handelten und
  • feilschten mit ihm, gaben ihn endlich ganz auf und erklärten, dies sei
  • ein Teufel und kein Mensch; sein Heu und sein Korn verfaulten, seine
  • Vorräte und Heuschober verwandelten sich in reinen Dünger, es fehlte
  • bloß, daß man auf ihnen Kohl pflanzte; das Mehl in den Kellerräumen
  • wurde hart wie Stein, so daß man es mit dem Hammer zerklopfen mußte; die
  • Leinwand, die Wolle und die zu Hause gewebten Stoffe durfte man gar
  • nicht berühren, wenn sie sich nicht in Staub auflösen sollten.
  • Pljuschkin wußte selbst nicht mehr recht, was er alles besaß; das
  • einzige, dessen er sich noch erinnerte, war: ein Regal im Schrank, -- wo
  • eine Karaffe mit irgend einem Likörrest stand, auf der er ein Zeichen
  • eingeritzt hatte, damit sich nur niemand etwas vom Inhalt aneigne, --
  • und ein Platz, wo eine Feder oder ein Stückchen Siegellack lag. Die
  • Einkünfte aber liefen ein wie früher! Der Bauer mußte nach wie vor
  • seinen Zins bezahlen, die Weiber hatten noch immer dieselbe Ration Nüsse
  • abzuliefern, die Weberin war noch immer verpflichtet, eine bestimmte
  • Menge ihres Ertrages an Gewebe dem Herrn abzugeben. Das wurde alles in
  • den Vorratskammern aufgespeichert, wo es verfaulte und sich in Schutt
  • verwandelte, und auch er wurde schließlich zu einem menschlichen
  • Schutthaufen. Alexandra Stepanowna besuchte ihn ein paar Male mit ihrem
  • kleinen Söhnchen, in der Hoffnung, etwas von ihm herauszubekommen; das
  • Nomadenleben mit dem Stabsrittmeister war offenbar doch nicht so
  • reizvoll, wie es ihr vor der Hochzeit erschienen war. Pljuschkin verzieh
  • ihr und schenkte dem kleinen Enkel sogar einen Knopf zum Spielen, der
  • gerade auf dem Tische lag, aber mit Geld wollte er nicht herausrücken.
  • Ein andres Mal kam Alexandra Stepanowna mit zwei Kindern angefahren und
  • brachte ihm einen Stollen zum Tee mit, sowie einen neuen Schlafrock,
  • weil der Vater einen solchen Schlafrock trug, daß es nicht nur peinlich,
  • sondern geradezu eine Schande war, ihn anzusehn. Pljuschkin liebkoste
  • und streichelte beide Enkelkinder, setzte einen auf sein rechtes und den
  • andern auf sein linkes Knie, und ließ sie auf- und niederhopsen, wie
  • wenn sie auf einem Pferde säßen; den Stollen und den Schlafrock nahm er
  • dankbar an, ohne jedoch der Tochter ein Gegengeschenk zu machen, so daß
  • Alexandra Stepanowna unverrichteter Sache zurückkehren mußte.
  • So also war der Mann, der jetzt vor Tschitschikow stand! Man muß
  • zugeben, daß solche Gestalten einem in Rußland nicht allzuoft begegnen,
  • wo sich der Mensch eher auszubreiten und zu entfalten, als
  • zusammenzuziehen und zu konzentrieren liebt, und eine solche Erscheinung
  • setzt einen um so mehr in Erstaunen, als man gleich daneben in der
  • nächsten Nachbarschaft einen Gutsbesitzer treffen kann, der sein Leben
  • mit jenem breit ausladenden Elan genießt, und sein Hab und Gut mit jener
  • vornehmen Großartigkeit bis auf den letzten Heller verschwendet, die den
  • Russen nun einmal auszeichnen. Ein Reisender, der noch nicht viel von
  • der Welt gesehen hat, würde beim Anblick eines solchen Herrensitzes
  • stutzig werden und sich fragen, wie es nur möglich sei, daß ein so
  • mächtiger Prinz mitten unter diese kleinen unscheinbaren Bauern geraten
  • sei: schier wie Paläste ragen seine weißschimmernden steinernen Häuser,
  • mit ihren zahlreichen Schornsteinen, Aussichtstürmen und Seitenflügeln,
  • die von einer ganzen Schar von Nebengelassen und Wohnräumen für die
  • Besucher und Gäste umgeben sind. Was gibt es da nicht alles! Theater,
  • Bälle, Maskenfeste, die ganze Nacht hindurch liegt der feenhaft
  • illuminierte Garten im bunten Laternenglanze da, und rauschende Musik
  • erfüllt die Luft. Die halbe Provinz lustwandelt in reichem Festtagsputze
  • unter den Bäumen, niemand merkt und empfindet etwas von der wilden
  • drohenden Disharmonie dieser gewaltsamen Helligkeit, wenn aus dem
  • Baumdickicht von falschem Lichte beleuchtet sich plötzlich ein Ast
  • theatralisch hervorstreckt; kahl ragen seine des lichten Blätterschmucks
  • beraubten Arme in die Lüfte, hoch oben über allem breitet sich noch
  • ernster fast und dunkler und furchtbarer als sonst, der nächtliche
  • Himmel, und tief hinein in ewige Finsternis flüchten die rauhen Wipfel
  • der Bäume und grollen ob des Flitterglanzes, der ihre Wurzeln bestrahlt.
  • Schon mehrere Minuten stand Pljuschkin schweigend da, ohne ein Wort zu
  • sagen; auch Tschitschikow wollte es nicht gelingen, ein Gespräch
  • einzuleiten, da er durch den Anblick seines Wirtes und der ganzen
  • seltsamen Umgebung immer wieder von seinem Vorhaben abgelenkt wurde. Es
  • wollte ihm lange nichts einfallen, mit welchen Worten er seinen Besuch
  • motivieren sollte. Es kam ihm schon der Gedanke, etwa folgendes
  • zu sagen: da er von den Tugenden und den ausgezeichneten
  • Charaktereigenschaften Pljuschkins gehört habe, habe er es für seine
  • Pflicht gehalten, ihm persönlich einen Beweis seiner Achtung zu geben;
  • aber er besann sich noch zur rechten Zeit und sagte sich, daß das denn
  • doch zu weit gegangen wäre. Er warf noch einen verstohlenen Blick auf
  • die ganze Zimmereinrichtung, und hatte die Empfindung, daß die Worte
  • Tugend und seltene Charaktereigenschaften mit Erfolg durch die Worte
  • Sparsamkeit und Ordnungsliebe ersetzt werden könnten; so verbesserte er
  • denn seine Rede in dem angegebenen Sinne, und sagte: da er von der
  • Sparsamkeit und der vortrefflichen Verwaltung der Pljuschkinschen Güter
  • gehört habe, habe er es für seine Pflicht gehalten, ihn näher kennen zu
  • lernen und ihm persönlich den Ausdruck seiner Hochachtung zu Füßen zu
  • legen. Es wäre selbstverständlich möglich gewesen noch einen anderen
  • besseren Grund anzuführen, aber es wollte ihm, wie gesagt, durchaus
  • nichts Hübscheres einfallen.
  • Pljuschkin murmelte etwas, wobei er nur die Lippen bewegte, -- denn er
  • hatte keine Zähne mehr --; was er eigentlich sagen wollte, läßt sich
  • nicht mit Bestimmtheit angeben, wahrscheinlich aber hatten seine Worte
  • etwa folgenden Sinn: »Wenn du doch zum Teufel gingest, mit deiner
  • Hochachtung!« Aber da bei uns die Gastfreundschaft für eine der ersten
  • Pflichten und Tugenden gehalten wird, sodaß selbst der Geizhals ihre
  • Gesetze nicht ungestraft übertreten darf, so fügte er etwas deutlicher
  • hinzu: »Bitte nehmen Sie gefälligst Platz!«
  • »Es ist schon sehr lange her, daß ich keine Gäste mehr empfangen habe,«
  • sagte er, »wenn ich offen sein soll, kommt auch wenig dabei heraus. Da
  • haben die Leute die höchst überflüssige und unsinnige Mode eingeführt,
  • sich gegenseitig Besuche zu machen -- und dann wundert man sich noch,
  • daß zu Hause alles drunter und drüber geht ... dazu muß man auch noch
  • immer Heu für die Pferde bereit halten! Ich habe schon längst zu Mittag
  • gespeist, meine Küche ist auch so niedrig und häßlich, und der
  • Schornstein ist ganz eingefallen: ich darf den Herd gar nicht anheizen,
  • damit es kein Schadenfeuer gibt.«
  • »Steht es so!« dachte Tschitschikow, »gut, daß ich bei Sabakewitsch ein
  • Stück Quarkkuchen und einen Happen Lammfilet gegessen habe!«
  • »Denken Sie bloß, was für ein Pech! Wenn ich nur einen Büschel Heu im
  • Hause hätte!« fuhr Pljuschkin fort. »Und in der Tat, woher soll man es
  • bloß nehmen? Ich habe nur wenig Land, der Bauer ist faul, liebt nicht zu
  • arbeiten und denkt nur immer an die Schenke ... man muß sich in acht
  • nehmen, daß man auf seine alten Tage nicht noch betteln gehen muß!«
  • »Man hat mir aber doch gesagt,« wandte hier Tschitschikow bescheiden
  • ein, »daß Sie mehr als tausend Seelen haben!«
  • »Wer hat Ihnen das gesagt, Sie hätten dem Kerle ins Gesicht spucken
  • sollen, der solche Gerüchte verbreitet, Väterchen! Das ist wohl ein
  • Spaßvogel, der sich über Sie lustig machen wollte. Da sagt man: tausend
  • Seelen, aber wenn man nachrechnet, dann bleibt nicht viel übrig! Im
  • vergangenen Jahr sind mir durch das verdammte Fieber ein ganzes Schock
  • Bauern weggestorben.«
  • »Wahrhaftig? Sind es wirklich so viele,« rief Tschitschikow teilnehmend
  • aus.
  • »O ja, sehr viele!«
  • »Und darf ich fragen, wie viele?«
  • »An die achtzig Mann!«
  • »In der Tat?«
  • »Ich lüge nicht, Väterchen!«
  • »Und darf ich mir noch eine Frage erlauben? Diese Zahl bezieht sich doch
  • auf die ganze Zeit nach der letzten Revision?«
  • »Das wäre ja noch gut!« sagte Pljuschkin, »_so_ gerechnet sind es noch
  • viel mehr: etwa hundert und zwanzig Seelen!«
  • »Wirklich? Ganze hundert und zwanzig?« rief Tschitschikow aus und riß
  • sogar den Mund vor Verwunderung auf.
  • »Ich bin schon zu alt, um noch zu lügen, Väterchen: ich bin schon über
  • die sechzig hinaus!« sprach Pljuschkin, der sich durch Tschitschikows
  • beinahe freudigen Ausruf gekränkt zu fühlen schien. Tschitschikow sah
  • ein, daß eine solche Kälte und Teilnahmslosigkeit gegen fremdes Leid in
  • der Tat nicht schön sei, daher stieß er schnell noch einen Seufzer aus
  • und äußerte sein Bedauern.
  • »Ihr Bedauern nützt mir leider nichts! Ich kann es doch nicht in den
  • Beutel stecken!« sagte Pljuschkin. »Sehen Sie, da wohnt neben mir ein
  • Hauptmann. Weiß der Teufel, wie der hier hereingeschneit ist. Will ein
  • Verwandter von mir sein: das geht immer Onkelchen hin, Onkelchen her,
  • und dabei küßt er mir stets die Hand; wenn der anfängt einem seine
  • Teilnahme zu äußern, dann erhebt er ein wahres Geheul, daß man sich rein
  • die Ohren zuhalten möchte. Der Mann hat ein ganz blaurotes Gesicht, er
  • liebt wohl die Branntweinflasche zu sehr. Wird sein Geld beim Regiment
  • durchgebracht haben, oder irgend eine Schauspielerin hat es ihm aus der
  • Tasche gelockt. Das wird der Grund sein, warum er so mitleidig ist!«
  • Tschitschikow versuchte ihm zu erklären, daß seine Teilnahme ganz
  • anderer Art als die des Hauptmanns, und daß er bereit sei, sie nicht
  • allein mit Worten sondern auch durch die Tat zu beweisen; er schob daher
  • die Sache nicht länger auf und erklärte ohne alle Umschweife seine
  • Bereitwilligkeit, die schwere Pflicht der Steuerzahlung für sämtliche
  • Bauern, die durch einen so unglücklichen Zufall hinweggerafft worden
  • wären, auf sich nehmen zu wollen. Dieses Angebot brachte Pljuschkin
  • anscheinend völlig aus der Fassung. Seine Augen quollen hervor und
  • starrten ihr Gegenüber lange Zeit unverwandt an. Endlich sagte er:
  • »Waren Sie etwa beim Militär?«
  • »Nein!« antwortete Tschitschikow schlau ausweichend, »ich war nur im
  • Zivildienst tätig.«
  • »Im Zivildienst!« wiederholte Pljuschkin und kaute dabei an seinen
  • Lippen, wie wenn er einen Bissen im Munde hätte. »Ja, wie denn nur? Das
  • wäre ja doch nur zu Ihrem eigenen Schaden.«
  • »Ihnen zu Gefallen würde ich selbst diesen Schaden auf mich nehmen.«
  • »Ach, Väterchen! Ach, du mein Wohltäter!« rief Pljuschkin aus, ohne in
  • seiner Freude zu merken, daß ihm ein Stückchen Schnupftabak wie dicker
  • Kaffeesatz aus der Nase quoll, was keinen gerade malerischen Anblick
  • bot, und daß die zurückgeschlagenen Schöße seines Schlafrockes die
  • Unterkleidung sehen ließen, welche auch nicht appetitlich anzuschauen
  • war. »Sie tun ein gutes Werk an einem armen Greise! O, du mein Gott, du
  • mein Heiland!« Mehr brachte Pljuschkin nicht heraus. Aber es verging
  • keine Minute, als die Freude, die so plötzlich in den erstarrten Zügen
  • aufgeleuchtet war, ebenso schnell wieder verlosch, ohne eine Spur zu
  • hinterlassen, und sein Gesicht nahm wieder den alten besorgten Ausdruck
  • an. Er wischte es sich sogar mit dem Taschentuch ab, ballte es zu einem
  • Klumpen zusammen und rieb sich damit die Oberlippe.
  • »Wollen Sie denn wirklich -- ich möchte Sie unter keinen Umständen
  • erzürnen -- mit Verlaub zu sagen, jedes Jahr diese Steuern bezahlen? Und
  • soll _ich_ oder die Krone das Geld erhalten?«
  • »Wissen Sie was? das machen wir einfach so: wir schließen einen
  • Kaufkontrakt miteinander ab, als ob sie noch am Leben wären und Sie sie
  • mir verkauft hätten.«
  • »Ja, einen Kaufkontrakt ...« sagte Pljuschkin, wurde ein wenig
  • nachdenklich und begann wieder an seinen Lippen zu kauen. »Sie sagen,
  • einen Kaufkontrakt -- das macht wieder neue Unkosten! Die Beamten beim
  • Gericht sind so unverschämt! Früher waren sie schon mit einem halben
  • Rubel in Kupfer und einem Sack Mehl dazu abzufinden. Jetzt aber
  • verlangen sie gleich eine ganze Fuhre Gerste und noch einen roten Lappen
  • als Zugabe. So geldgierig sind sie heutzutage. Ich begreife garnicht,
  • daß das niemand an die Öffentlichkeit bringt. Wenn man ihnen doch
  • wenigstens eine Moralpredigt halten wollte. Mit einem guten Wort kann
  • man schließlich jeden breitschlagen. Man mag sagen, was man will: einer
  • tüchtigen Moralpredigt widersteht niemand!«
  • »Na na, du würdest ihr gewiß widerstehen,« dachte Tschitschikow; aber er
  • fügte gleich darauf laut hinzu, daß er aus persönlicher Hochachtung für
  • ihn bereit sei, auch die Kosten des Kaufvertrags auf sich zu nehmen.
  • Als Pljuschkin hörte, daß sein Gast sogar die Spesen des Kaufvertrages
  • zu übernehmen gedenke, schloß er hieraus, daß er ein vollendeter Narr
  • sein müsse, und sich bloß so _anstelle_, als ob er im Zivildienst
  • gewesen sei, in Wahrheit aber bei irgend einem Regiment gedient und sich
  • mit Schauspielerinnen herumgetrieben habe. Bei alledem vermochte er es
  • jedoch nicht, seine Freude zu unterdrücken und überhäufte den Gast mit
  • allerhand Segenswünschen für ihn selbst und seine Kinder, ohne sich
  • übrigens erkundigt zu haben, ob er auch welche besitze. Dann trat er ans
  • Fenster, trommelte mit den Fingern gegen die Glasscheibe und rief: »Heh!
  • Proschka!« Gleich darauf hörte man, wie jemand atemlos über den Flur
  • rannte, sich dort geräuschvoll hin und her bewegte und mit den Stiefeln
  • aufstampfte. Endlich tat sich die Türe auf und Proschka, ein
  • dreizehnjähriger Junge, trat herein. Er hatte so weite Wasserstiefel an,
  • daß er sie beinahe bei jedem Schritte verlor. Warum Proschka eigentlich
  • so große Stiefel anhatte, soll der Leser sofort erfahren. Pljuschkin
  • besaß für seine sämtlichen Dienstboten nur ein Paar Stiefel, die immer
  • im Vorzimmer stehen mußten. Ein jeder, der in die herrschaftlichen
  • Gemächer beordert wurde, mußte erst quer über den ganzen Hof einen Tanz
  • ausführen, bis er den Flur erreicht hatte, wo er die Stiefel anzog, um
  • in diesem Aufzuge ins Zimmer zu treten. Beim Verlassen des Zimmers
  • entledigte er sich im Flure wiederum seiner Fußbekleidung und trat den
  • Rückweg auf seinen höchsteigenen Sohlen an. Wenn jemand zur Herbstzeit
  • und besonders des Morgens, wenn schon der erste Reif gefallen war, aus
  • dem Fenster geblickt hätte, so hätte er sich des schönen Anblicks
  • erfreuen können, was für prächtige Sprünge Pljuschkins Diener
  • vollführten.
  • »Sehen Sie nun diese Visage, Väterchen,« sagte Pljuschkin zu
  • Tschitschikow, indem er mit dem Finger auf Proschka zeigte. »Der Kerl
  • ist so dumm wie ein Holzklotz. Aber lassen Sie bloß etwas liegen,
  • schwupp, hat er es schon weggegrapst. Na, was willst du hier, du Esel?
  • Ja, was denn nur?« Hier machte er eine kleine Pause, während der
  • Proschka gleichfalls keinen Laut von sich gab. »Stell den Samowar auf!
  • Hörst du? Hier hast du den Schlüssel! Gib ihn der Mawra und sag ihr, sie
  • soll in die Speisekammer gehen. Da liegt auf dem Regal noch ein Zwieback
  • von Ostern her, Alexandra Stepanowna hat ihn mir mitgebracht; den soll
  • sie zum Tee servieren ... Wart, wo willst du hin, dummer Kerl? Bist du
  • ein Schafskopf! Dir sitzt wohl der Teufel in den Fersen. Hör mich doch
  • erst an! Der Zwieback ist oben nicht mehr ganz frisch. Sie soll ihn ein
  • bissel mit dem Messer abschaben; aber daß sie mir die Krumen nicht
  • wegwirft! Die müssen für die Hühner übrig bleiben. Und daß du mir nicht
  • mit ins Speisezimmer gehst: sonst gibt's was mit der Birkenrute,
  • verstehst du? daß du Geschmack daran bekommst. Du hast ja jetzt schon so
  • einen guten Appetit. Den wollen wir noch ordentlich vermehren. Geh mir
  • nur ins Speisezimmer! Ich werde schon auf deine Schliche kommen, hier
  • vom Fenster aus. Man kann den Kerlen in nichts trauen,« fuhr er fort,
  • indem er sich an Tschitschikow wandte, als Proschka mit seinen
  • Siebenmeilenstiefeln bereits in der Türe verschwunden war. Hierbei warf
  • er einen argwöhnischen Blick auf Tschitschikow. Dieser Zug einer
  • geradezu unerhörten Großmut und Großherzigkeit kam ihm unwahrscheinlich
  • und verdächtig vor, und er dachte sich: »Weiß der Teufel, vielleicht ist
  • er auch nur so ein Prahlhans, wie alle diese Prasser und Verschwender!
  • Lügt einem was vor, um ein Stündchen zu verplaudern und ein paar Tassen
  • Tee zu trinken und macht dann, daß er fortkommt!« Er sagte daher teils
  • aus Vorsicht, teils um dem Gast ein wenig auf den Zahn zu fühlen, daß es
  • nicht übel wäre, den Kaufvertrag so bald als möglich abzuschließen, denn
  • der Mensch sei ein gar unzuverlässiges und gebrechliches Ding: heute
  • rot, morgen tot.
  • Tschitschikow erklärte sich bereit, den Kontrakt auf Wunsch sofort zu
  • unterschreiben und bat nur um ein Verzeichnis sämtlicher Bauern.
  • Dies beruhigte Pljuschkin. Man merkte es ihm an, daß er irgend einen
  • Plan überdachte, und in der Tat zog er jetzt den Schlüsselbund hervor,
  • näherte sich dem Schrank, öffnete ihn, suchte lange unter den Gläsern
  • und Schalen herum und rief schließlich aus: »Jetzt kann ich ihn nicht
  • finden; ich hatte da doch einen feinen Likör; wenn die Bande ihn nur
  • nicht wieder ausgetrunken hat! Diese Leute sind die reinsten Banditen.
  • Ah da ist er schon?« Tschitschikow bemerkte in seinen Händen eine kleine
  • Karaffe, die in einer Staubhülle steckte wie in einem Trikothemd. »Der
  • stammt noch von meiner seligen Frau her,« fuhr Pljuschkin fort, »die
  • Schließerin, diese Spitzbübin hat ihn hier stehen lassen und sich
  • überhaupt nicht mehr um ihn gekümmert, nicht einmal zugekorkt hat sie
  • ihn, die Kanaille! Weiß Gott was für Würmer und Fliegen und sonstiger
  • Plunder drin herum schwammen, aber ich habe alles herausgefischt, jetzt
  • ist er wieder ganz rein, ich will Ihnen doch ein Gläschen einschenken.«
  • Aber Tschitschikow lehnte dies Anerbieten mit einigem Eifer ab und
  • bemerkte, daß er schon gegessen und getrunken habe.
  • »Schon gegessen und getrunken!« sagte Pljuschkin. »Freilich, freilich.
  • Einen Mann von gutem Stande erkennt man doch auf den ersten Blick: er
  • hat keinen Hunger und ist immer satt, so einen Schwindler kann man
  • füttern, soviel man will .... Da ist z. B. der Hauptmann: wenn der
  • angefahren kommt, dann heißt es gleich: >Onkelchen, haben Sie nicht
  • etwas zu essen?< Dabei bin ich ebensowenig sein Onkel, wie er mein
  • Großvater ist. Wahrscheinlich hat er selbst zu Hause nichts zu essen,
  • darum treibt er sich überall herum! Sie brauchen also ein Verzeichnis
  • von all diesen Faulenzern? Natürlich, Sie haben ganz recht! Ich habe sie
  • alle miteinander, so gut es ging, auf einen besonderen Zettel
  • geschrieben, um sie bei der nächsten Revision gleich streichen zu
  • lassen.« Pljuschkin setzte die Brille auf und begann in seinen Papieren
  • herumzuwühlen. Dabei löste er die Schnur von so manchem Päckchen und
  • warf die Papiere so durcheinander, daß eine Staubwolke dem Gaste in die
  • Nase stieg, und dieser niesen mußte. Endlich zog er einen Zettel hervor,
  • der beiderseits eng beschrieben war. Die Bauernnamen bedeckten ihn so
  • dicht wie Fliegenschmutz. Da waren alle Kategorien vertreten, da gab es
  • einen Paramonoff und Pimenow, einen Panteleimonow, ja es tauchte sogar
  • ein gewisser Grigorij »Immerlangsamvoran« aus der ganzen Menschenflut
  • hervor. Im ganzen waren es etwas mehr als hundertundzwanzig.
  • Tschitschikow lächelte unwillkürlich als er diese stattliche Zahl
  • übersah. Er steckte den Zettel in die Tasche und erklärte Pljuschkin, er
  • werde wohl zum Abschluß des Kaufes nach der Stadt fahren müssen.
  • »Nach der Stadt? Wie kann ich denn ...? Ich kann doch mein Haus nicht
  • sich selbst überlassen! Meine Dienstboten sind lauter Diebe und
  • Spitzbuben; die ziehen mich in einem Tage so aus, daß ich keinen Nagel
  • mehr übrig behalte, an dem ich meinen Rock aufhängen könnte.«
  • »Haben Sie nicht wenigstens irgend einen Bekannten?«
  • »Wer sollte das sein? Meine Bekannten sind alle schon tot, oder wollen
  • nichts mehr von mir wissen. Ach ja, _doch_, Väterchen! Wie denn
  • nicht! Natürlich habe ich einen,« rief er plötzlich aus. »Der
  • Gerichtspräsident, das ist ja mein guter Freund! Der hat mich früher oft
  • besucht; wie sollte ich den nicht kennen! Das ist ja mein Jugendfreund.
  • Wie oft sind wir zusammen über so manchen Zaun geklettert. Keinen
  • Bekannten? Ich sage Ihnen, das ist ein Bekannter! ... Ich könnte doch an
  • ihn schreiben?«
  • »Aber natürlich.«
  • »Ein so guter Bekannter! Ein alter Schulkamerad!«
  • Und über das erstarrte Gesicht huschte plötzlich etwas wie ein warmer
  • Strahl, ein schwacher Ausdruck oder doch wenigstens ein matter Abglanz
  • eines Gefühls belebte die toten Züge; wie wenn auf der Oberfläche eines
  • Gewässers ganz plötzlich und unerwartet ein Ertrinkender auftaucht und
  • nun die am Ufer versammelte Menge in freudiges Jauchzen ausbricht; aber
  • vergebens werfen die freudig erregten Schwestern und Brüder das rettende
  • Seil aus und warten ungeduldig darauf, daß sich eine Schulter oder der
  • vom Todeskampfe ermattete Arm aus den Fluten emporstrecke -- er war zum
  • letzten Mal emporgetaucht. Und stumm wird's ringsumher, und
  • schrecklicher noch, und öder erscheint jetzt die glatte ruhige Fläche
  • des launischen Elementes. So wurde auch Pljuschkins Gesicht, nachdem der
  • Schimmer eines Gefühls darüber hinweggeglitten war, fast noch kälter,
  • gemeiner und gefühlloser.
  • »Auf dem Tisch lag doch ein Stückchen reines Papier,« sagte er, »aber
  • ich weiß nicht, wo es hingekommen ist: diese Taugenichtse von
  • Dienstboten!« -- Und er guckte _unter_ den Tisch und _auf_ den Tisch,
  • kramte überall herum und rief schließlich: »Mawra, he! Mawra!« Auf sein
  • Geschrei erschien ein Weib mit einem Teller in der Hand, auf dem der dem
  • Leser schon bekannte Zwieback thronte. Jetzt entspann sich folgendes
  • Gespräch zwischen beiden:
  • »Wo hast du das Papier gelassen, du Diebin?«
  • »Bei Gott, gnädiger Herr! Ich habe kein Papier gesehen, außer dem
  • Stückchen, mit dem Sie das Spitzglas bedeckt haben.«
  • »Man sieht dir's ja an den Augen an, daß du es stibitzt hast.«
  • »Wie käme ich dazu, es zu stibitzen? Ich wüßte doch nichts damit
  • anzufangen. Ich kann ja nicht einmal lesen und schreiben.«
  • »Das lügst du, du hast es zum Küster hingetragen, das ist ein
  • Tintenklexer, dem wirst du's wohl gegeben haben.«
  • »Wenn der will, so kann er sich jederzeit Papier verschaffen. Der Küster
  • hat Ihren Papierfetzen überhaupt nicht zu sehen bekommen!«
  • »Warte nur! Die Teufel werden dir beim jüngsten Gericht tüchtig zusetzen
  • mit ihren eisernen Halseisen. Paß einmal auf, wie die dich plagen
  • werden!«
  • »Wofür sollten sie mich denn quälen, wenn ich doch das Papierstückchen
  • garnicht in der Hand gehabt habe. Sie können mir jede andere weibliche
  • Schwäche vorwerfen, aber daß ich stehle, das hat mir noch niemand
  • gesagt.«
  • »Du wirst schon sehen, wie die Teufel dir zusetzen werden! Das hast du
  • dafür, daß du deinen Herrn beschwindelt hast, werden sie sagen und dich
  • mit ihren glühenden Zangen zwacken!«
  • »Dann werd' ich eben antworten: Ich bin unschuldig, bei Gott, ich bin
  • unschuldig ... Aber da liegt es ja auf dem Tisch. Immer machen Sie einem
  • unnütze Vorwürfe!«
  • Pljuschkin sah den Papierschnitzel in der Tat daliegen, hielt einen
  • Augenblick inne, kaute an seinen Lippen und sagte: »Na was regst du dich
  • denn gleich so auf? So ein Trotzkopf. Man sagt ihr ein Wort, und sie
  • kommt einem gleich mit einem ganzen Dutzend. Geh', bring mir etwas
  • Feuer, damit ich den Brief versiegeln kann. Halt! du bringst mir
  • womöglich noch eine Talgkerze; der Talg schmilzt so schnell, weg ist er,
  • und man hat das Nachsehen! Bring mir lieber einen brennenden Kienspan!«
  • Mawra entfernte sich, Pljuschkin aber setzte sich in den Lehnstuhl, nahm
  • die Feder in die Hand und drehte und wendete den Zettel noch lange in
  • den Fingern hin und her; er überlegte wohl, ob er nicht noch die Hälfte
  • davon abschneiden könne, aber schließlich sah er wohl ein, daß das nicht
  • ging; er tauchte also die Feder ins Tintenfaß, das mit einer
  • verschimmelten Flüssigkeit angefüllt war, in der eine Menge Fliegen
  • herumschwammen, und begann zu schreiben; er setzte die Buchstaben, die
  • große Ähnlichkeit mit Noten hatten, dicht nebeneinander, und mußte
  • fortwährend den Lauf der Feder hemmen, die sich auf dem Papier in
  • übermütigen Sprüngen erging. Ängstlich fügte er Zeile an Zeile mit dem
  • lebhaften Bedauern, daß trotzdem noch immer etwas leerer Raum zwischen
  • ihnen übrig blieb.
  • Und bis zu einer solchen Armseligkeit, Kleinlichkeit und Erbärmlichkeit
  • konnte ein Mensch herabsinken? So furchtbar konnte er sich wandeln? Hat
  • das überhaupt noch den Schein der Wahrheit? -- Jawohl! -- Es gibt
  • überhaupt nichts Unwahrscheinliches. Alles kann mit dem Menschen
  • geschehen! Ein feuriger Jüngling von heute würde vielleicht mit
  • Entsetzen zurückprallen, wenn man ihm das Bild seines eigenen
  • Greisenalters vorhielte. O, hütet sorgsam auf eurem Lebenswege, wenn ihr
  • heraustretet aus euren milden zarten Jugendtagen in das ernste härtende
  • Mannesalter -- o, hütet sorgsam jede menschliche Regung, verschwendet,
  • verliert sie nicht unbedacht unterwegs: ihr findet sie nie wieder!
  • Furchtbar und grauenvoll ist das in der Ferne drohende Greisenalter, es
  • liefert nichts wieder aus, es gibt uns nichts zurück. Das Grab selbst
  • ist barmherziger; auf dem Leichenstein wird vielleicht die Inschrift
  • stehen: »hier liegt ein Mensch begraben.« Aber kein Schriftzeichen
  • belebt die kalten gefühllosen Züge des menschlichen Alters.
  • »Haben Sie nicht vielleicht einen Freund,« sagte Pljuschkin, während er
  • den Brief zusammenfaltete, »der flüchtige Bauern brauchen könnte?«
  • »Haben Sie auch flüchtige?« fragte Tschitschikow schnell, wie aus einem
  • Traume erwachend.
  • »Das ist es ja gerade, daß ich welche habe. Mein Schwager hat schon
  • Erkundigungen eingezogen, und sagt, er hätte gar keine Spur von ihnen
  • entdecken können; aber er ist Soldat, der kann nur mit den Sporen
  • klirren, wenn man sich dagegen beim Gericht darum bemühen wollte, so
  • ....«
  • »Und wieviel werden's wohl sein?«
  • »So an die siebzig Mann, mindestens.«
  • »Wahrhaftig?«
  • »Bei Gott! Es vergeht kein Jahr, ohne daß mir ein paar davonlaufen. Die
  • Leute sind heutzutage alle so unmäßig; tun den ganzen Tag nichts und
  • wollen nur immer fressen, und ich habe doch selbst nichts zu essen ...
  • Wahrhaftig ich würde sie fast umsonst hergeben. Nicht wahr, Sie sagens
  • doch Ihrem Freunde: wenn er auch nur ein Dutzend wiederbekommt, hat er
  • ein hübsches Sümmchen verdient. Eine eingetragene Seele ist doch an die
  • fünfhundert Rubel wert.«
  • »Die soll der Freund nicht einmal zu riechen bekommen!« dachte
  • Tschitschikow, und erklärte, daß er leider keinen solchen Freund besäße,
  • und daß allein die Kosten dieses Verfahrens mehr betragen würden; die
  • Gerichte hält man sich am liebsten ganz vom Leibe, denn da muß man ja
  • selbst noch die Rockschöße hingeben. Aber wenn Pljuschkin sich wirklich
  • in einer so bedrängten Lage befände, dann sei er, Tschitschikow, aus
  • Sympathie für ihn bereit, eine kleine Summe zu bezahlen ... Aber das
  • sei, wie gesagt, eine solche Kleinigkeit, die nicht einmal der Rede wert
  • sei.
  • »Und wieviel würden Sie geben?« fragte Pljuschkin, der vor Habgier
  • bebte, und seine Hände zitterten wie Espenlaub.
  • »Ich könnte fünfundzwanzig Kopeken pro Stück anlegen.«
  • »Und zahlen Sie bar?«
  • »Ja, Sie können das Geld gleich bekommen.«
  • »Hören Sie Väterchen, Sie wissen doch, wie arm ich bin, Sie könnten mir
  • wirklich vierzig Kopeken geben.«
  • »Verehrtester, ich würde Ihnen gerne nicht nur vierzig Kopeken, sondern
  • selbst fünfhundert Rubel pro Kopf bezahlen! Mit dem größten Vergnügen,
  • denn ich sehe, daß ein hochachtbarer, edler Geist infolge seiner
  • Gutmütigkeit Not leidet.«
  • »Ja, nicht wahr! Bei Gott!« sagte Pljuschkin, ließ den Kopf hängen und
  • schüttelte ihn heftig. »Das macht alles die Gutmütigkeit.«
  • »Nun sehen Sie, ich habe Ihren Charakter sofort erkannt. Warum sollte
  • ich nicht fünfhundert Rubel pro Mann geben? Aber ich bin eben auch nicht
  • vermögend; fünf Kopeken will ich meinetwegen noch zulegen, dann kostet
  • jede Seele rund dreißig Kopeken.«
  • »Legen Sie noch zwei Kopeken zu, Väterchen!«
  • »Also gut, meinetwegen noch zwei Kopeken! Wieviel Seelen waren es doch,
  • sagten Sie nicht siebzig?«
  • »Nein, es sind sogar achtundsiebzig.«
  • »Achtundsiebzig, achtundsiebzig zu dreißig Kopeken, das macht ...« hier
  • dachte unser Held eine Sekunde und nicht einen Augenblick länger nach
  • und sagte, »das macht vierundzwanzig Rubel sechsundneunzig Kopeken!« Er
  • war sehr stark in der Arithmetik. Dann ließ er Pljuschkin die Quittung
  • schreiben und händigte ihm das Geld aus, welches jener mit beiden Händen
  • ergriff und mit ängstlicher Vorsicht nach dem Schreibpulte trug, als
  • hielte er in seinen Händen eine Flüssigkeit, die er jeden Augenblick zu
  • verschütten fürchtete. Als er vor dem Pulte stand, betrachtete er die
  • Banknoten noch einmal genau und legte sie ebenso vorsichtig in eines der
  • Schubfächer, wo das Geld wahrscheinlich begraben blieb, bis Pater Karp
  • und Pater Polikarp, die zwei Priester des Dorfes, ihn selbst zur ewigen
  • Ruhe bestatteten: zur unbeschreiblichen Freude seiner Tochter und des
  • Schwiegersohnes -- und vielleicht auch des Hauptmanns, der durchaus mit
  • ihm verwandt sein wollte. Nachdem Pljuschkin das Geld eingeschlossen
  • hatte, ließ er sich auf dem Lehnstuhle nieder, ohne, wie es schien,
  • einen neuen Gesprächsstoff finden zu können.
  • »Wie, Sie wollen schon fahren,« sagte er, als er Tschitschikow, der im
  • Begriff war, sein Taschentuch herauszuholen, eine kleine Bewegung machen
  • sah. Diese Frage erinnerte jenen daran, daß es in der Tat zwecklos sei,
  • sich hier noch länger aufzuhalten. »Ja, es ist Zeit!« sprach er und
  • griff nach dem Hute.
  • »Wollen Sie denn keinen Tee?«
  • »Nein, ich danke! Ich spreche lieber bei anderer Gelegenheit einmal zum
  • Tee vor.«
  • »Ja, wie denn nur? Ich habe doch die Teemaschine aufsetzen lassen! Wenn
  • ich ehrlich sein soll, ich mache mir auch nichts aus Tee: es ist ein
  • teures Getränk, und dann sind auch die Zuckerpreise so unerhört
  • gestiegen. Proschka! Wir brauchen die Teemaschine nicht mehr. Und den
  • Zwieback bringst du der Mawra! Hörst du? Sie soll ihn wieder auf den
  • alten Platz legen; oder nein, gib ihn lieber her, ich will ihn schon
  • selbst hintragen. Leben Sie wohl, Väterchen; Gott segne Sie! Und den
  • Brief geben Sie dem Gerichtspräsidenten, nicht wahr? Er soll ihn lesen!
  • Er ist doch ein alter Freund von mir. Ja, ja, ein Jugendgespiele.«
  • Hierauf begleitete ihn diese seltsame Gestalt, dieser merkwürdig
  • eingeschrumpfte alte Mann in den Hof hinab. Nachdem Tschitschikow
  • davongefahren war, ließ Pljuschkin das Tor sofort schließen. Dann
  • schritt er durch alle Vorratskammern und Speicher, um sich zu
  • überzeugen, ob auch alle Wächter an ihrem Platze seien, die an jeder
  • Ecke standen und mit Holzschaufeln auf ein leeres Faß statt auf eine
  • Blechtrommel schlugen; er warf auch einen Blick in die Küche, sah dort
  • nach, ob auch das Essen für die Dienstboten gut und schmackhaft
  • zubereitet sei, was für ihn jedoch nur ein Vorwand war, sich selbst
  • gründlichst an Brei und Kohlsuppe satt zu essen. Nachdem er schließlich
  • noch alle bis auf den letzten wegen ihrer schlechten Aufführung tüchtig
  • gescholten und ihnen Diebstahl vorgeworfen hatte, kehrte er in sein
  • Zimmer zurück. Als er allein war, kam ihm einen Augenblick sogar die
  • Idee, sich dem Gast gegenüber für dessen beispiellosen Edelmut
  • erkenntlich zu erweisen: »Ich will ihm die Taschenuhr zum Geschenk
  • machen,« dachte er -- »es ist doch eine schöne silberne Uhr, und nicht
  • etwa von Tomback oder Bronze; sie ist freilich etwas verdorben, aber er
  • kann sie ja reparieren lassen; er ist noch ein junger Mann, und braucht
  • eine Taschenuhr, wenn er bei seiner Braut Eindruck machen will. Oder
  • nein!« -- fuhr er nach einigem Nachdenken fort: »ich will sie ihm lieber
  • vermachen; er soll sie erst nach meinem Tode erhalten, damit er sich
  • später noch meiner erinnert.«
  • Aber unser Held war auch ohne Uhr in höchst vergnügter Stimmung. Eine so
  • unerwartete Akquisition war eine wahre Gottesgabe. In der Tat, dagegen
  • ließ sich nichts einwenden: nicht nur ein Paar Schock tote Seelen,
  • sondern auch noch einige Dutzend flüchtige dazu: zusammen etwa
  • zweihundert Stück! Er hatte ja freilich schon so eine Ahnung gehabt, als
  • er sich Pljuschkins Landgute näherte, daß es hier was zu verdienen geben
  • würde, aber auf ein so gutes Geschäft hatte er nicht gerechnet. Den
  • ganzen Weg über war er außergewöhnlich lustig, pfiff und sang vor sich
  • hin, indem er sich die Faust vor den Mund hielt und hineinblies wie in
  • eine Trompete. Zuletzt stimmte er sogar ein Lied an, welches so seltsam
  • und sonderbar klang, daß selbst Seliphan verwundert aufhorchte, den Kopf
  • schüttelte und sagte: »Sieh mal an, wie mein Herr singen kann!« Es war
  • schon ganz dunkel, als sie sich der Stadt näherten. Licht und Finsternis
  • gingen vollkommen ineinander über, und alle Gegenstände schienen
  • zusammenzufließen. Der gestreifte Schlagbaum hatte eine ganz unbestimmte
  • undefinierbare Farbe angenommen; dem Posten vor der Stadt schien der
  • Schnurrbart hoch über den Augenbrauen zu sitzen, und seine Nase schien
  • überhaupt nicht mehr vorhanden zu sein. Das Gerassel der Räder und die
  • Luftsprünge, die die Equipage machte, ließen erkennen, daß man sich
  • bereits wieder auf der gepflasterten Straße befand. Die Laternen waren
  • noch nicht angezündet, hie und da blitzte in den Fenstern der Häuser ein
  • Licht auf, und in den Winkeln und Gassen spielten sich die bekannten
  • Vorgänge ab; man hörte es munkeln und flüstern, was um die nächtlichen
  • Stunden in Städten stets zu geschehen pflegt, wo es viele Soldaten,
  • Kutscher, Arbeiter und jene besondere Menschengattung gibt, eine Art von
  • Damen mit roten Shawls, in Schuhen und ohne Strümpfe, die an den
  • Straßenkreuzungen herumschwirren wie die Fledermäuse. Aber Tschitschikow
  • bemerkte sie nicht, ebensowenig wie die schlanken Beamten, die mit
  • Spazierstöckchen in der Hand wohl von einer Promenade außerhalb der
  • Stadt zurückkehrten. Hie und da drangen Rufe an sein Ohr, die von
  • weiblichen Stimmen herzurühren schienen: »Das lügst du, du bist wohl
  • besoffen; ich hätte ihm nie eine solche Frechheit erlaubt!« oder »du
  • suchst wieder Händel du Grobian, komm mal mit auf die Polizei, da will
  • ich dir's schon zeigen.« Mit einem Wort, all jene Reden, die wie ein
  • Dampfbad auf einen phantasiereichen zwanzigjährigen Jüngling wirken,
  • wenn er aus dem Theater zurückkehrend eine spanische Gasse, eine dunkle
  • Mondnacht und ein herrliches Frauenbild mit einer Gitarre in seinem
  • Kopfe trägt. Welch wundersame Träume, welche tollen Phantasien wirbeln
  • in seinem Hirne durcheinander. Er glaubt im siebenten Himmel zu
  • schweben, und stattet sogar dem Dichter Schiller einen Besuch ab -- da
  • schlagen plötzlich jene verhängnisvollen Worte wie ein Donnerschlag
  • neben ihm ein, er fühlt sich wieder auf die Erde zurückversetzt, ja
  • sogar auf den »Heumarkt« in die nächste Nähe einer Schenke, und aufs
  • neue verschlingt ihn des Werktages altersgraue Öde.
  • Endlich machte der Wagen noch einen kräftigen Satz und tauchte wie in
  • einem Erdloch im Tore unter. Tschitschikow wurde von Petruschka
  • empfangen, welcher, einen seiner Rockschöße in der einen Hand haltend --
  • denn er liebte es nicht, daß die Schöße sich entzweiten -- mit der
  • anderen seinem Herrn aus dem Wagen half. Auch der Kellner kam mit einer
  • Kerze, die Serviette über die Schulter geworfen, angelaufen. Es läßt
  • sich nicht sagen, ob Petruschka über die Ankunft seines Herrn sehr
  • erfreut war, jedenfalls zwinkerten Seliphan und er sich verständnisinnig
  • mit dem Auge zu, und sein sonst so strenges Gesicht schien sich ein
  • wenig zu erhellen.
  • »Sie haben aber eine lange Spazierfahrt zu machen geruht,« sagte der
  • Kellner, indem er ihm auf der Treppe voranleuchtete.
  • »Ja,« sagte Tschitschikow und stieg die Stufen empor. »Und wie gehts bei
  • euch?«
  • »Gottlob!« antwortete der Kellner mit einer Verbeugung. »Gestern ist ein
  • Offizier angekommen. Er wohnt auf Nummer sechzehn.«
  • »Ein Leutnant?«
  • »Ich weiß nicht. Er kommt aus Rjasan und hat braune Pferde.«
  • »Schön, schön! Benimm dich auch fernerhin gut!« sagte Tschitschikow und
  • trat in sein Zimmer. Während er durch den Flur schritt, rümpfte er die
  • Nase und sprach zu Petruschka gewandt: »Du hättest auch die Fenster
  • aufmachen können.«
  • »Ich habe sie ja aufgemacht,« entgegnete Petruschka; aber er log.
  • Uebrigens wußte sein Herr selbst, daß es eine Lüge war. Doch er wollte
  • nicht widersprechen. Nach der langen Fahrt bemächtigte sich eine starke
  • Ermattung aller seiner Glieder. Er bestellte sich eine ganz leichte
  • Abendplatte, die nur aus einem Stück Spanferkel bestand, entkleidete
  • sich sofort, kroch unter die Decke und versank sogleich in einen tiefen,
  • festen Schlaf, in jenen wundersamen Schlaf, den nur die Glückspilze
  • kennen, welche nichts ahnen: weder von Hämorrhoiden, noch von Flöhen,
  • noch von einer allzu regen Geistestätigkeit.
  • Siebentes Kapitel
  • Glücklich der Reisende, der nach einer weiten, langweiligen Fahrt mit
  • ihrer Kälte, ihrem Schmutz und Kot, ihren verschlafenen Posthaltern,
  • ihrem Schellengeklingel, ihren Reparaturen, ihrem Herumgezanke, ihren
  • Postknechten, Schmieden und ähnlichen Vagabunden, endlich das traute
  • Dach mit dem immer heller werdenden Lichterglanz erblickt -- schon
  • taucht vor seinem geistigen Auge sein liebes Heim mit den bekannten
  • Zimmern auf, schon hört er die jubelnden Rufe der ihm entgegeneilenden
  • Hausgenossen, die freudige Aufregung und das Gelärm der Kinder, stille
  • sanfte Worte unterbrochen von glühenden Zärtlichkeiten, die die Kraft
  • haben, alles vergangene Leid aus dem Gedächtnis zu tilgen. Glücklich der
  • Familienvater, dem ein solches Heim beschieden ward; aber wehe dem
  • Hagestolzen! Glücklich der Schriftsteller, der an den langweiligen,
  • widerwärtigen, durch ihre traurige Blöße erschreckenden Gestalten der
  • Wirklichkeit flüchtig vorüber eilend sich Charakteren nähert, welche des
  • Menschen hohe Würde verkörpern und erscheinen lassen, der aus dem großen
  • Wirbel ewig wechselnder Formen sich nur die wenigen Ausnahmen erkiest,
  • der auch nicht _einmal_ dem heiligen Schwunge seiner Leier untreu ward,
  • der nie von seiner eigenen Höhe zu seinen armseligen, schwachen Brüdern
  • herab stieg und, ohne das Irdische zu berühren, sich selig stürzte in
  • den erdentrückten Chor erhabener Gestalten. Doppelt beneidenswert ist
  • sein herrliches Los, er wandelt unter ihnen wie im trauten Kreise der
  • Familie; indes schallt weit und laut sein Ruhm durch alle Lande. Mit
  • Weihrauchwolken hat er die Augen der Menschen umhüllt, mit Zauberworten
  • nahm er schmeichelnd ihren Geist gefangen, verbergend vor ihnen des
  • Lebens rauhe Wirklichkeit und ihnen den schönen Menschen weisend.
  • Händeklatschend folgt alles seiner Spur und umschwärmt jauchzend seinen
  • Wagen. Einen großen Weltendichter nennt man ihn, der im hohen Raume
  • schwebt ob allen andern Genien dieser Welt, wie der Aar über allem
  • hochfliegenden Getier. Sein Name schon weckt heilige Schauer in jungen
  • glühenden Herzen, Tränen der Sympathie erglänzen in jedem Auge ... An
  • Macht kommt ihm kein Wesen gleich -- er ist ein Gott! Wie ganz anders
  • ist das Los des Schriftstellers, der sich erkühnte, all das ans Licht zu
  • ziehen, was jederzeit vor jedem Auge liegt und doch dem gleichgültigen
  • Blicke entgeht: den grauenvollen Schlamm des Nichtigen, der unser Leben
  • umstrickt, die ganze abgründige Tiefe jener kalten zerklüfteten
  • Alltagscharaktere, die unsern dornigen, oft öden Erdenweg bevölkern, und
  • mit dem kräftigen Schlag des unerbittlichen Meißels es wagte, sie klar
  • und plastisch dem Blick der Menschen preiszugeben! Er erntet nicht des
  • Volkes lauten Beifall, kein Dank strahlt ihm aus den Tränen und der
  • einmütigen Begeisterung tieferregter Seelen, die sein Wort tief im
  • Innersten aufwühlte; ihm fliegt keine sechzehnjährige Jungfrau
  • entzückten Sinnes voll heroischer Leidenschaft entgegen; er kann sich
  • nicht berauschen am süßen Klang der Töne, die er der eigenen Leier
  • entlockte, und nicht wird er dem Gerichte des Tages entgehen, dem
  • heuchlerisch gefühllosen Richterspruch des Augenblicks, der die am
  • eignen warmen Busen genährten Geschöpfe armselig, gemein und nichtig
  • nennen, ihm einen elenden Winkel anweisen wird inmitten jener
  • Schriftsteller, die die Menschheit schänden, ihm die Charakterzüge
  • seiner eigenen Helden beilegen und ihm Herz und Seele und den göttlichen
  • Funken des Talentes rauben wird; denn das Gericht des Tages erkennt
  • nicht an, daß gleich bewundernswürdig _jene_ Gläser sind, in denen sich
  • die Sternenheere spiegeln und jene, durch die man die zarten Bewegungen
  • unsichtbarer Lebewesen wahrnehmen kann, denn das Gericht des Tages
  • erkennt nicht an, daß hohes begeistertes Lachen sich wohl messen kann
  • mit hohem lyrischen Schwunge, und daß ein Abgrund gähnt zwischen jenem
  • und den unwürdigen Fratzen des Jahrmarktgauklers. Das Gericht des Tages
  • versteht dies nicht und verwandelt alles in Schimpf und Vorwurf für den
  • verachteten Dichter: ohne Mitleid, ohne Antwort, ohne Teilnahme wie ein
  • heimatloser Wanderer steht er allein auf öder Straße. Schwer und hart
  • ist sein Beruf und bitter fühlt er seine Einsamkeit.
  • Und lange noch ist mir's von der geheimnisvollen Schicksalsmacht
  • beschieden, den Weg fortzuwandeln Hand in Hand mit meinem Helden, das
  • ganze gewaltig treibende Leben zu überschauen, durch das aller Welt
  • _sichtbare_ Lachen und die keinem bekannten _unsichtbaren_ Tränen. Und
  • noch fern ist die Zeit, wo ein andrer Springquell hoher Begeisterung wie
  • ein Wirbelsturm aus dem von heiligem Schauer erschütterten flammenden
  • Haupte aufsteigen, und wo verzagt die Menge dem majestätischen Donner
  • anderer Reden lauschen wird ...
  • Vorwärts! Vorwärts! fort mit der finsteren Miene, fort mit der
  • grämlichen Runzel, die deine Stirne furcht. Laßt uns geschwind wieder
  • untertauchen in das Leben mit all seinem tonlosen Gelärm und
  • Schellengeklingel: laßt uns zusehen was Tschitschikow macht.
  • Tschitschikow war soeben aufgewacht, er dehnte und streckte sich, denn
  • er hatte das behagliche Gefühl, sich gut ausgeschlafen zu haben. Nachdem
  • er noch ein paar Minuten ruhig auf dem Rücken gelegen hatte, schnalzte
  • er mit den Fingern, und sein Gesicht verklärte sich bei dem Gedanken,
  • daß er jetzt nahezu vierhundert Seelen besaß. Dann sprang er aus dem
  • Bett, betrachtete sich nicht einmal im Spiegel, und warf keinen Blick
  • auf sein Gesicht, das er aufrichtig liebte, und an dem ihm das Kinn ganz
  • besonders gefiel, denn er pries es bei jeder Gelegenheit vor seinen
  • Freunden, ganz besonders während des Rasierens. »Sieh mal,« pflegte er
  • dann gewöhnlich zu sagen, »was ich für ein schönes rundes Kinn habe.«
  • Und dabei streichelte er es mit der Hand. Heute aber warf er keinen
  • einzigen Blick weder auf sein Kinn noch auf sein Antlitz, sondern zog
  • sich sogleich seine Saffianstiefel mit dem gestickten Blumenbesatz an,
  • mit denen die Stadt Torshok einen so schwunghaften Handel treibt,
  • welcher in unserer russischen Bequemlichkeit eine so reiche Nahrung
  • findet. Hierauf machte Tschitschikow in einem kurzen schottischen
  • Hemdchen zwei kühne Luftsprünge, wobei er sich nicht ohne
  • Geschicklichkeit eins mit dem Hacken auswischte. Und dann ging er sofort
  • ans Werk: er rieb sich vor der Schatulle ebenso vergnügt die Hände wie
  • ein unbestechlicher Kreisrichter, der hinausfuhr, um eine Untersuchung
  • vorzunehmen und nun vor das Anrichtetischchen tritt, beugte sich über
  • das Kästchen und holte ein Päckchen Papier hervor. Er wollte die Sache
  • so schnell als möglich erledigen, um sie nicht auf die lange Bank zu
  • schieben. Daher ging er rasch entschlossen an die Aufsetzung des
  • Kaufkontraktes und kopierte ihn dann eigenhändig, um sich die Unkosten
  • für den Notar zu sparen. Auf die Formalitäten verstand er sich
  • vortrefflich; zuerst malte er mit schwungvollen, großen Buchstaben die
  • Jahreszahl achtzehnhundert und so und so viel hin; hierauf schrieb er
  • mit kleinen Buchstaben darunter: Gutsbesitzer Soundso und was noch sonst
  • drum und dran hängt. In zwei Stunden war alles fix und fertig. Als er
  • danach auf diese Blätter hinblickte, auf die Namen der Bauern, welche
  • tatsächlich einmal gelebt, gearbeitet, geackert, getrunken,
  • Kutscherdienste geleistet, ihre Herren betrogen hatten oder vielleicht
  • einfach brave Bauern gewesen waren, da beschlich ihn ein wundersames,
  • unheimliches Gefühl. Jeder Zettel schien seinen eigenen Charakter zu
  • besitzen, und das schien den Bauern selbst eine eigentümliche Wesensart
  • zu verleihen. Die Bauern, welche Karobotschka gehört hatten, trugen alle
  • irgend einen Spitznamen als Anhängsel. Pljuschkins Liste zeichnete sich
  • durch Kürze und Gedrängtheit des Stiles aus: oft standen nur die
  • Anfangssilben der Vor- und Beinamen da, worauf ein paar Punkte folgten.
  • Sabakewitschs Register setzte durch seine außerordentliche
  • Ausführlichkeit und Vollständigkeit in Erstaunen; da gab es keine noch
  • so geringe Eigentümlichkeit, die nicht sorgfältig gebucht war: von einem
  • hieß es: »Ein guter Tischler,« von einem andern: »Er versteht seine
  • Sache und säuft nicht.« Ebenso sorgfältig waren die Eltern eines jeden
  • aufgezählt und ihr Charakter wie ihr Benehmen genau beschrieben. Nur von
  • einem gewissen Fedotow stand vermerkt: »Der Vater ist unbekannt, die
  • Mutter ist eine meiner Dienstmägde, namens Kapitolina, die jedoch einen
  • guten Charakter hat und nicht stiehlt.« All diese Einzelheiten verliehen
  • dem Ganzen eine gewisse Frische. Man gewann den Eindruck, als hätten die
  • Bauern gestern noch gelebt. Tschitschikow überlas die Namen noch einmal
  • genau und sorgfältig. Eine seltsame Rührung erfaßte ihn, er seufzte und
  • sprach leise vor sich hin: »Herrgott welche Menge da dichtgedrängt
  • beieinander steht! Was mögt ihr wohl alles getrieben haben, euer Leben
  • lang, ihr Lieben? Wie mögt ihr euch durchgeschlagen haben?« Und seine
  • Augen hefteten sich auf eine Stelle, wie unwillkürlich angezogen von
  • einem Namen. Dies war der bekannte Peter Saweljewitsch, der
  • Trogverächter, welcher einst der Gutsbesitzerin Karobotschka gehört
  • hatte. Und abermals konnte er den Ausruf nicht unterdrücken: »Herrjeh,
  • ist der aber lang, der nimmt ja die ganze Zeile ein! Was magst du wohl
  • gewesen sein: ein Meister deines Handwerks, oder ein schlichter Bauer,
  • und wie hat der Tod dich ereilt? War's in der Schenke, oder hat dich gar
  • auf breiter Straße eine plumpe Fuhre überfahren, du Schlafmütze? --
  • Stepan Probka, der Tischler, _ein braver nüchterner Mann_. -- Sieh da
  • bist du ja, mein Stepan Probka, du großer Held, der du für die Garde
  • geboren warst! Hast wohl manch weites Stück Weges durchwandert, die Axt
  • am Gürtel und die Stiefel über die Schulter geworfen, für einen Groschen
  • Brod verzehrt und für zwei Groschen gedörrten Fisch und du brachtest
  • dann wohl jedes Mal einen Hunderter in deinem Beutel mit oder nähtest
  • dir gar einen Tausender in deine Nangkinghose ein oder stecktest ihn dir
  • in den Stiefel. Wo holte dich der Tod? Bist du vielleicht nur um des
  • gemeinen Mammons willen bis auf die Kirchenkuppel hinaufgestiegen oder
  • gar bis aufs Kreuz emporgeklettert und von dem Gerüst herabgestürzt zu
  • Füßen irgend eines Onkel Michei, der sich nur den Kopf kratzte und
  • mitleidig murmelte: >Ach Wanja, was ist nur in dich gefahren!< um sich
  • sogleich den Strick um den Leib zu binden und ruhig an deiner Stelle
  • hinaufzuklettern. -- Maxim Telhatnikow, der Schuster. Der Schuster? He?
  • >Besoffen wie ein Schuster<, sagt ein Sprichwort. Ich kenn' dich, kenne
  • dich, mein Liebling; willst du's, so erzähle ich dir deine ganze
  • Lebensgeschichte. Du kamst zu einem Deutschen in die Lehre, der euch
  • allesamt fütterte, für eure Nachlässigkeit mit dem Riemen züchtigte und
  • nie auf die Straße ließ, damit ihr keine Streiche macht. Du warst ein
  • wahres Weltwunder und kein Schuster, und der Deutsche konnte dein Lob
  • nicht hell genug singen, wenn er mit seiner Frau oder seinem Kameraden
  • über dich sprach. Und als deine Lehrzeit aus war, da sprachst du zu dir
  • selbst: >Jetzt will ich mir ein eigenes Häuschen kaufen, aber ich will's
  • nicht machen wie der Deutsche, der einen Groschen zum andern legt, ich
  • will mit einem Schlage ein reicher Mann werden!< Und du zahltest deinem
  • Herrn einen reichen Erbzins, schafftest dir einen Laden an, besorgtest
  • dir einen Haufen Aufträge und legtest los. Dann triebst du irgendwo zum
  • Drittel des Preises ein Stück halbverfaulten Leders auf und verkauftest
  • jeden Stiefel mit doppeltem Gewinn, aber deine Schuhe platzten schon
  • nach zwei Wochen und deine Kunden schimpften dich kräftig aus, wie du's
  • verdientest. So kam es, daß es in deinem Laden leer ward, du fingst an
  • zu trinken, dich auf der Straße herumzutreiben und sprachst: >Ist das
  • eine schlimme Welt! Wir Russen können rein verhungern: und an alledem
  • ist niemand schuld als der Deutsche!< -- Und was ist das für ein Mann:
  • Jelisawetus Sperling? Verdammt noch einmal: das ist ja ein Weibsbild!
  • Wie ist die hierhergekommen? Der Sabakewitsch, der Schurke hat sie mit
  • hineingeschmuggelt!« Tschitschikow hatte ganz recht: dies war wirklich
  • eine Frau. Wie sie in diese Gesellschaft gekommen war, das wußte Gott
  • allein; aber ihr Name war so geschickt und kunstvoll hingemalt, daß man
  • sie von ferne wirklich für ein Mannsbild halten konnte, ja der Vorname
  • hatte sogar die männliche Endung und lautete: Jelisawetus, statt
  • Jelisaweta. Allein Tschitschikow nahm keine Rücksicht darauf und strich
  • sie einfach aus der Liste. -- »Und du Grigorij Immerlangsamvoran! Was
  • warst du wohl für ein Mensch? Warst du ein Postknecht, der sich ein
  • Dreigespann samt einem gedeckten Wagen anschaffte, und dem eignen Heim,
  • dem trauten Winkel für immer Valet sagte, um sich mit den Kaufleuten auf
  • den Jahrmärkten herumzuplagen? Gabst du unterwegs deinen Geist auf,
  • brachten dich deine eigenen Freunde wegen eines dicken rotbackigen
  • Soldatenweibes um, oder fand irgend ein Wegelagerer Gefallen an deinen
  • ledernen Fausthandschuhen und dem Dreigespann deiner kleinen aber
  • kräftigen Pferde, oder fiel's dir vielleicht ein, derweil du auf deinem
  • Lager lagst und vor dich hingrübeltest, plötzlich ohne jeden Grund und
  • Anlaß in die Schenke hineinzuspazieren und von dort geradewegs in ein
  • Eisloch, so daß keine Menschenseele weiß, wo du verschwunden bist? Oh du
  • mein russisches Volk! Du liebst es nicht, eines natürlichen Todes zu
  • sterben! -- Und ihr meine Lieblinge,« fuhr er fort, indem er einen Blick
  • auf die Liste warf, auf der Pljuschkins flüchtige Seelen verzeichnet
  • standen: »ihr freut euch zwar noch eures Lebens, aber was für einen Wert
  • habt ihr? Ihr seid so gut wie tot. Und wohin tragen euch wohl jetzt eure
  • schnellen Füße! Hattet ihr's wirklich gar so schlecht bei dem
  • Pljuschkin, oder machte es euch bloß Spaß im Walde herumzustreichen und
  • die Reisenden auszuplündern? Sitzt ihr vielleicht im Gefängnis oder habt
  • ihr euch einen anderen Herrn gesucht, dessen Felder ihr nun pflügt?
  • Jeremej Leichtfuß, Nikita Renner, Anton Renner, dessen Sohn, euch merkt
  • man's schon an euren Namen an, daß ihr gute Läufer seid; Popor, der
  • Knecht ... War wohl ein gelehrter Mann, der sich auf's Lesen und
  • Schreiben verstand! der hat sicher kein Messer in die Hand genommen und
  • sich ein hübsches Vermögen zusammengestohlen. Paß auf! paßloses
  • Individuum, du fällst noch einmal dem Polizeihauptmann in die Hände.
  • Zwar stellst du mutig deinen Mann: >Wer ist dein Herr?< fragt dich der
  • Hauptmann und begleitet, da sich eine so gute Gelegenheit dazu bietet,
  • seine Worte mit einem kräftigen Fluch: -- >Gutsbesitzer Soundso,<
  • antwortest du keck. >Und wie kommst du hierher?< fragt dich der
  • Hauptmann. >Ich bin gegen Bezahlung des Erbzinses freigelassen,<
  • erwiderst du ohne Zaudern. >Wo ist dein Paß?< >Bei meinem Herrn, dem
  • Kleinbürger Pimenow.< Pimenow wird gerufen. >Bist du Pimenow?< >Jawohl.<
  • >Hat er dir seinen Paß gegeben?< >Nein, er hat mir keinen Paß gegeben.<
  • >Du lügst also?< sagt der Polizeihauptmann und läßt wieder ein kräftiges
  • Wort folgen. >Zu Befehl,< antwortest du frech: >ich gab ihm den Paß
  • nicht, weil ich sehr spät nach Hause kam, ich habe ihn dem Glöckner zur
  • Aufbewahrung gegeben.< -- >Der Glöckner soll herkommen! Hat er dir
  • seinen Paß gegeben.< -- >Nein, ich habe keinen Paß von ihm bekommen.<
  • >Warum lügst du schon wieder!< fragt der Polizeihauptmann aufs neue und
  • flicht zur Bestätigung abermals ein kräftiges Wörtlein ein. >Wo ist denn
  • dein Paß?< >Ich weiß genau, daß ich ihn bei mir hatte,< antwortest du
  • sicher, >wahrscheinlich werde ich ihn wohl unterwegs irgendwo verloren
  • haben.< -- >Und warum hast du dem Soldaten den Mantel und dem Pfarrer
  • einen Kasten mit Kupfermünzen gestohlen?< sagt der Polizeihauptmann,
  • indem er zur Bekräftigung wiederum ein kerniges Wörtlein anfügt.
  • >Wahrhaftig nicht,< sagst du ohne mit der Wimper zu zucken, >beim
  • Stehlen hat mich noch keiner ertappt.< >Und wie kommt es, daß man den
  • Mantel bei dir gefunden hat?< >Ich weiß nicht, wahrscheinlich hat ihn
  • ein anderer bei mir liegen lassen!< -- >O, du Hallunke, du Bestie!< sagt
  • der Polizeihauptmann kopfschüttelnd, und stemmt die Hände in die Seiten.
  • >Legt ihm Fußschellen an und führt ihn ins Gefängnis.< -- >Zu Befehl,
  • ich habe nichts dagegen,< antwortet du. Und du ziehst deine Tabaksdose
  • aus der Tasche, reichst sie gutmütig den zwei Invaliden, die dir die
  • Fußschellen angelegt haben und fragt sie aus, ob es schon lange her ist,
  • daß sie beim Militär waren und an welchem Kriege sie teilgenommen haben.
  • Und dann wanderst du ins Gefängnis und bleibst ruhig drin sitzen,
  • während das Gericht deine Sache prüft. Schließlich fällt es seinen
  • Spruch, und du wirst aus Zarewo-Kokschaisk nach dem ***er Gefängnis
  • transportiert. Das dortige Gericht läßt dich nach Wessjegonsk oder sonst
  • wohin weiterbefördern usw.; so wandert du aus einem Gefängnis ins andre
  • und sprichst jedesmal, wenn du dein neues Heim erblickst: >Nein das
  • Wessjegonskische Gefängnis ist doch netter, da ist doch mehr Platz, da
  • kann man auch einmal das Knöchelspiel spielen, und da gibt's auch mehr
  • Gesellschaft.< -- Abakum Fyrow? Na und du mein Bester? Wo, in welcher
  • Gegend treibst du dich herum? Lebst _du_ vielleicht irgendwo an der
  • Wolga und bist ein Fährmann geworden, weil du ein freies Leben liebst?
  • ...« Hier hielt Tschitschikow inne und wurde ein wenig nachdenklich.
  • Worüber sann er wohl nach? Dachte er an das Schicksal Abakum Fyrows,
  • oder war es jene natürliche, fast selbstverständliche Nachdenklichkeit,
  • die jeden Russen in jedem Lebensalter überfällt, welchem Stande und
  • Berufe er auch angehören mag, wenn er an die Lust eines freien
  • ungebundenen Lebens denkt? »In der Tat wo war jetzt Fyrow?
  • Wahrscheinlich spazierte er laut und fröhlich am Landungsplatze herum,
  • sich heiter unter die Kaufleute mischend. Mit Blumen und Bändern an den
  • Hüten plaudert und lärmt der ganze Troß der Bootsführer, welche sich von
  • ihren schlanken, hohen Frauen und Schätzen verabschieden, die
  • Perlenbänder um den Hals und bunte Schleifen im Haar tragen; es schwingt
  • sich der Reigen, helle Lieder ertönen aus fröhlichen Kehlen, der ganze
  • Landungsplatz wogt auf und nieder, während die Last- und Gepäckträger
  • unter Lärmen, Gezänk und ermunternden Zurufen sich mit einem Haken neun
  • Pud schwere Ballen auf den Rücken laden, Weizen und Erbsen geräuschvoll
  • in geräumige Schiffe schütten und Säcke mit Hafer und Buchweizen
  • fortschleppen; weithin blinken die gewaltigen Haufen gleich einer
  • Pyramide von Kanonenkugeln aufeinander getürmter Säcke und Ballen, die
  • den ganzen Platz bedecken, und machtvoll ragt dieses ganze
  • Getreidearsenal empor, bis es in all' die geräumigen Barken und
  • Fahrzeuge verladen ist, und diese endlose Flotte zugleich mit dem
  • Frühjahrseise den Fluß hinabschwimmt. Da gibt's Arbeit für euch in Hülle
  • und Fülle, ihr Schiffer, und vereint, so wie ihr einst munter geschwärmt
  • und über alle Stränge geschlagen, geht ihr nun ans Werk und zieht im
  • Schweiße eures Angesichts an dem Strange, unter Liedern und Gesängen,
  • die so unendlich sind, wie die russische Heimat selbst!
  • »Herrjeh! Schon zwölf Uhr!« rief Tschitschikow plötzlich aus, indem er
  • auf die Uhr blickte. »Was säume ich bloß so lange? Wenn ich noch etwas
  • Vernünftiges getan hätte, aber da rede ich erst allerhand albernes Zeug
  • und versinke dann noch in törichte Träumereien! Ich bin doch ein rechter
  • Narr! Wahrhaftig!« Mit diesen Worten vertauschte er sein schottisches
  • Kostüm mit einem europäischen, zog seine Hosenschnalle etwas fester an,
  • um sein kräftiges Bäuchlein nicht so hervortreten zu lassen, besprengte
  • sich mit Eau de Cologne, nahm seinen warmen Hut in die Hand und die
  • Aktenmappe unter den Arm und begab sich nach dem Zivilgericht, um die
  • Kaufkontrakte perfekt zu machen. Dabei beeilte er sich sehr, nicht weil
  • er sich zu verspäten fürchtete -- davor brauchte er keine Angst zu
  • haben, denn der Präsident war sein guter Bekannter und konnte auf Wunsch
  • die Sitzung ausdehnen oder aufheben, ganz wie der alte Zeus Homers, der
  • die Tage verlängerte und frühe Nächte herabsandte, wenn er den Streit
  • seiner geliebten Helden unterbrechen oder ihnen ein Mittel an die Hand
  • geben wollte, um ihn auszutragen; aber Tschitschikow hatte selbst den
  • lebhaften Wunsch, die Sache so schnell als möglich zum Abschluß zu
  • bringen; solange dies nicht geschehen war, fühlte er sich unruhig und
  • unbehaglich: denn er konnte den Gedanken nicht ganz los werden, daß es
  • sich hier doch eigentlich nicht um richtige Seelen handele und daß es in
  • solchen Fällen besser sei, eine solche Last möglichst schnell
  • abzuwerfen. Unter solchen Gedanken hüllte er sich in einen warmen Pelz
  • von braunem Tuch, der mit Bärenfell gefüttert war, und kaum war er auf
  • die Straße getreten, als er an der Ecke der Gasse mit einem Herrn
  • zusammenstieß, der gleichfalls einen mit Bärenpelz gefütterten Überwurf
  • um die Schultern geschlagen hatte und eine Pelzkappe mit Ohrenklappen
  • auf dem Kopfe trug. Der Herr stieß einen Freudenschrei aus -- es war
  • Manilow. Beide schlossen einander in die Arme und verharrten etwa fünf
  • Minuten lang in dieser Stellung. Dabei waren die Küsse, die sie
  • austauschten, so kräftig und inbrünstig, daß ihnen beiden nachher den
  • ganzen Tag über die Vorderzähne schmerzten. Von Manilows Gesicht blieben
  • vor Freude nichts wie die Nase und die Lippen übrig, seine Augen waren
  • überhaupt nicht mehr zu sehen. Etwa fünfzehn Minuten lang hielt er
  • Tschitschikows Hand in seinen beiden Händen, bis sie ganz warm wurde. In
  • der feinsten und liebenswürdigsten Weise erzählte er ihm, wie er
  • herbeigeflogen wäre, um Pawel Iwanowitsch in seine Arme zu schließen,
  • und er schloß seine Rede mit einem Kompliment, wie man es höchstens
  • einem jungen Mädchen zu sagen pflegt, das man zum Tanze auffordert.
  • Tschitschikow hatte kaum seinen Mund geöffnet, ohne noch recht zu
  • wissen, wie er ihm danken sollte, als Manilow einen zusammengerollten
  • Bogen Papier, der mit einem roten Bändchen zusammengebunden war, aus
  • seinem Pelze hervorholte.
  • »Was ist das?«
  • »Das sind die Bauern.«
  • »Ah!« -- Er rollte den Bogen sogleich auf, überflog ihn schnell mit den
  • Augen und war erstaunt über die Schönheit und Sauberkeit der
  • Handschrift. »Ist das aber schön geschrieben!« sagte er, »man braucht es
  • gar nicht erst abschreiben zu lassen. Dazu noch der Rand rund herum! Wer
  • hat denn diese wundervolle Einfassung gezeichnet!«
  • »Ach fragen Sie lieber gar nicht,« sagte Manilow.
  • »Sie?«
  • »Meine Frau!«
  • »O mein Gott! Es tut mir wirklich leid, daß ich Ihnen soviel Mühe
  • gemacht habe!«
  • »Für Pawel Iwanowitsch ist uns keine Mühe zu groß!«
  • Tschitschikow verbeugte sich dankend. Als Manilow erfuhr, daß er nach
  • der Zivilkammer ging, um den Kaufkontrakt abzuschließen, erklärte
  • Manilow sich bereit, ihn dorthin zu begleiten. Die Freunde faßten sich
  • unter und gingen zusammen weiter. Bei jeder kleinen Erhöhung, bei jedem
  • Hügel, oder jeder Stufe stützte Manilow Tschitschikow mit der Hand und
  • hob ihn beinahe in die Höhe, wobei er angenehm lächelte und hinzufügte,
  • er werde es nie zugeben, daß Pawel Iwanowitsch sich weh tue.
  • Tschitschikow wurde verlegen, da er nicht wußte, wie er sich erkenntlich
  • erweisen solle, denn er fühlte, daß er nicht ganz leicht war. So halfen
  • sie sich gegenseitig, bis sie endlich auf dem Platze anlangten, wo das
  • Gerichtsgebäude lag -- ein großes dreistöckiges Haus, das so weiß war,
  • wie ein Stück Kreide, wahrscheinlich, um die Seelenreinheit der in ihm
  • tätigen Beamten zu symbolisieren. Die andern Häuser, die sich noch sonst
  • auf dem Platze befanden, konnten sich an Größe nicht im geringsten mit
  • dem steinernen Amtsgebäude messen. Dies waren: ein Wächterhäuschen, vor
  • dem ein Soldat mit einer Flinte stand, zwei bis drei Standplätze für
  • Mietskutschen, und endlich gab es noch hie und da einen von jenen langen
  • Bretterzäunen, mit den bekannten Aufschriften und Zeichnungen, die mit
  • Kohle oder Kreide hingemalt waren. Sonst war nichts auf diesem einsamen,
  • oder wie man sich bei uns zu Lande auszudrücken pflegt, _schönen_ Platze
  • zu sehen. Aus den Fenstern des zweiten oder dritten Stockes guckten ein
  • paar unbestechliche Häupter der Themispriester heraus, um im selben
  • Augenblick wieder zu verschwinden: wahrscheinlich weil der Kanzlei-Chef
  • gerade ins Zimmer trat. Die beiden Freunde _traten_ nicht ein, sondern
  • liefen eilig die Treppe hinauf, weil Tschitschikow seine Schritte
  • beschleunigte, da er nicht wollte, daß Manilow ihn mit der Hand
  • unterstützen solle, dieser aber lief seinerseits wieder voraus, weil er
  • Tschitschikow nicht müde werden lassen wollte, und so kam es, daß beide
  • ganz atemlos waren, als sie den dunkelen Korridor betraten. Weder der
  • Korridor noch die Säle fielen ihnen durch ihre Reinlichkeit besonders
  • auf. Damals kümmerte man sich noch recht wenig darum, und was einmal
  • schmutzig war, blieb schmutzig und nahm niemals ein freundlicheres und
  • angenehmeres Äußeres an. Themis empfing ihre Gäste ganz so wie sie war,
  • im Negligé und im Schlafrock. Eigentlich sollten wir auch noch die
  • Kanzleiräume beschreiben, durch die unsere Helden hindurchschritten,
  • aber der Autor hat eine große Ehrfurcht vor allen Amtsgebäuden. Selbst
  • wenn er Gelegenheit hatte, sie in der Periode ihres höchsten Glanzes, in
  • einem gleichsam veredelten und verschönten Zustande kennen zu lernen und
  • zu durchwandeln, das heißt, wenn die Dielen frisch gewichst und die
  • Tische neu lackiert waren, lief er eilig, mit demütig gesenktem Blicke
  • hindurch, daher hat er auch keine Ahnung davon, wie wohl sich dort alles
  • fühlt und wie dort alles blüht und gedeiht. Unsere Helden sahen
  • gewaltige Mengen Papier, reines und vollgeschriebenes, über den Tisch
  • gebeugte Köpfe, breite Nacken, Fräcke und Röcke von kleinstädtischem
  • Schnitt, oder sogar eine ganz gewöhnliche hellgraue Jacke, die recht
  • stark von den andern abstach und deren Besitzer den Kopf auf die
  • Schulter gebeugt, sodaß er fast auf dem Papier lag, mit schwungvollen
  • Lettern ein Protokoll niederschrieb; wahrscheinlich handelte es von
  • einem Gut, welches sein friedlicher Besitzer, irgend ein Gutsherr, der
  • ein Menschenalter lang darum prozessiert und im ruhigen Genuß seines
  • Eigentums Kinder und Enkel gezeugt, nun verloren hatte, oder das ihm
  • irgendwo konfisziert worden war. Hie und da hörte man ein paar Worte
  • oder kurze Sätze, die von einer heiseren Stimme gesprochen wurden:
  • »Fedossej Iwanowitsch, reichen Sie mir doch die Akten Nr. 368! Immer
  • werfen Sie den Deckel von dem Tintenfaß weg; er gehört doch dem Staat!«
  • Dazwischen hörte man eine majestätische Stimme, die ohne Zweifel einem
  • Kanzleichef angehörte, gebieterisch rufen: »Da, schreib das ab, sonst
  • laß ich dir die Schuhe ausziehen und dich einsperren, daß du mir sechs
  • Tage lang nichts zu essen kriegst!« Das Geräusch vom Federgekritzel war
  • sehr stark und erinnerte an den Lärm, den ein paar Fuhren mit Reisig
  • verursachen, wenn sie durch einen Wald fahren, dessen Wege einen Fuß
  • hoch mit dürren Blättern bedeckt sind.
  • Tschitschikow und Manilow traten an den ersten Tisch, an dem zwei
  • jüngere Beamten saßen, und fragten diese: »Bitte! Können Sie uns sagen,
  • wo hier die Abteilung für Kaufverträge ist?«
  • »Was wollen Sie?« sagten die beiden Beamten zugleich, indem sie sich
  • umwandten.
  • »Ich habe ein Gesuch einzureichen!«
  • »Haben Sie etwas gekauft?«
  • »Ich möchte zuvor wissen, wo die Abteilung für Kaufverträge ist? Hier
  • oder anderswo?«
  • »Sagen Sie uns doch, was Sie gekauft haben, und zu welchem Preise, dann
  • werden wir Ihnen sagen, wohin Sie sich wenden müssen. So geht es doch
  • nicht!«
  • Tschitschikow merkte sogleich, daß die Beamten einfach neugierig waren,
  • wie alle jungen Beamten, und sich und ihrer Stellung mehr Gewicht und
  • Bedeutung geben wollten.
  • »Hören Sie, meine verehrten Herren,« sagte er, »ich weiß sehr gut, daß
  • alle Angelegenheiten, die sich auf Kaufverträge beziehen, in ein und
  • dasselbe Ressort gehören, ich bitte Sie daher, mir den Ort zu nennen,
  • wohin ich mich zu wenden habe; wenn Sie nicht wissen, was in diesen
  • Räumen vorgeht, dann müssen wir uns eben bei jemand anders erkundigen!«
  • Hierauf antworteten die Beamten gar nicht mehr, der eine zeigte bloß mit
  • einem Finger auf eine Zimmerecke, wo ein alter Herr saß, der damit
  • beschäftigt war, Akten zu numerieren. Tschitschikow und Manilow
  • schritten zwischen den Tischen hindurch gerade auf ihn los. Der Alte war
  • ganz in seine Tätigkeit versunken.
  • »Darf ich fragen,« sagte Tschitschikow mit einer Verbeugung, »ob dies
  • die Abteilung für Kaufverträge ist?«
  • Der Alte sah auf und sagte gedehnt: »Nein, hier ist keine Abteilung für
  • Kaufverträge.«
  • »Wo denn?«
  • »Die ist in der Kontraktabteilung.«
  • »Und wo ist die Kontraktabteilung?«
  • »Bei Iwan Antonowitsch.«
  • »Und wo ist Iwan Antonowitsch?«
  • Der Alte zeigte mit dem Finger auf eine andere Zimmerecke, worauf
  • Tschitschikow und Manilow sich zu Iwan Antonowitsch begaben. Iwan
  • Antonowitsch hatte schon mit einem Auge nach ihnen hingeschielt und sie
  • von der Seite angesehen, aber er beugte sich sogleich wieder über sein
  • Papier und schrieb eifrig weiter.
  • »Darf ich fragen, ob dies die Abteilung für Kaufverträge ist,« sagte
  • Tschitschikow mit einer Verbeugung.
  • Iwan Antonowitsch schien ihn nicht gehört zu haben, denn er war ganz in
  • seine Akten vertieft und antwortete nichts. Man sah sofort, daß dies ein
  • Mann von reiferen Jahren war und kein junger Schwätzer und
  • Springinsfeld. Anscheinend war Iwan Antonowitsch ein hoher Vierziger; er
  • hatte dichtes, schwarzes Haar, die ganze mittlere Partie seines Gesichts
  • trat stark hervor und schien sich gewissermaßen in der Nase konzentriert
  • zu haben; mit einem Wort, es war eins von jenen Gesichtern, die man bei
  • uns gewöhnlich als »Kannenschnauze« zu bezeichnen pflegt.
  • »Darf ich fragen, wo hier die Abteilung für Kaufverträge ist?«
  • wiederholte Tschitschikow.
  • »Hier,« sagte Iwan Antonowitsch, indem er seinen Rüssel ein wenig empor
  • hob und sogleich wieder zu schreiben begann.
  • »Ich komme in folgender Angelegenheit: ich habe bei einigen
  • Gutsbesitzern dieser Provinz Bauern gekauft, die ich zu
  • Ansiedlungszwecken benutzen will; ich habe den Kontrakt mitgebracht, er
  • muß bloß noch unterschrieben werden.«
  • »Und sind die Verkäufer zugegen?«
  • »Einige sind da, und von den anderen habe ich Vollmachten.«
  • »Haben Sie das Gesuch mitgebracht?«
  • »Jawohl, ich habe es hier! Ich möchte gern ... Ich habe große Eile ...
  • Könnte ich die Sache nicht schon heute erledigen?«
  • »Hm! Heute! Nein heute geht es nicht,« sagte Iwan Antonowitsch. »Man muß
  • noch Erkundigungen einziehen, ob sie nicht verpfändet sind.«
  • »Übrigens ist Iwan Grigorowitsch, der Präsident, ein guter Freund von
  • mir; da ließe sich ja etwas zur Beschleunigung der Sache tun.«
  • »Es handelt sich hier doch nicht bloß um Iwan Grigorowitsch; es sind
  • doch noch andere da,« sagte Iwan Antonowitsch mürrisch.
  • Tschitschikow merkte jetzt, wo der Hase im Pfeffer lag und sagte: »Die
  • anderen sollen schon nicht zu kurz kommen. Ich habe selbst gedient und
  • kenne den Instanzenweg.«
  • »Gehen Sie also zu Iwan Grigorowitsch,« sagte Iwan Antonowitsch etwas
  • besänftigt. »Er mag an passender Stelle seine Order geben. An uns soll
  • es nicht liegen.«
  • Tschitschikow nahm einen Schein aus der Tasche und legte ihn vor Iwan
  • Antonowitsch hin. Dieser nahm gar keine Notiz von ihm und deckte ihn
  • sofort mit einem Buche zu. Tschitschikow wollte ihn darauf aufmerksam
  • machen, aber Iwan Antonowitsch gab ihm durch eine Kopfbewegung zu
  • verstehen, daß er das nicht wünsche!
  • »Der da wird Euch in die Kanzlei führen!« sagte Iwan Antonowitsch, indem
  • er mit dem Kopfe nickte. Und einer von den anwesenden Hohenpriestern,
  • welcher Themis mit solchem Eifer opferte, daß seine beiden Ärmel an den
  • Ellenbogen geplatzt waren und das Futter aus den Löchern hervorquoll,
  • wofür er seinerzeit den Rang eines Kollegienregistrators erhalten hatte,
  • übernahm die Führerrolle bei unseren Freunden, wie einst Vergil bei
  • Dante, und geleitete sie in die Kanzlei, in der lauter breite Lehnstühle
  • standen, auf deren einem vor einem Spiegeltisch und zwei dicken Büchern
  • der Präsident gleich dem Sonnengott thronte. Hier fühlte sich der neue
  • Vergil von einer solchen Ehrfurcht beseelt, daß er sich durchaus nicht
  • entschließen konnte, seinen Fuß über die Schwelle zu setzen. Er kehrte
  • daher um, indem er den Freunden seinen Rücken zuwandte, welcher
  • abgerieben war wie eine Bastmatte, und an dem eine Hühnerfeder klebte.
  • Als sie ins Zimmer traten, bemerkten sie, daß der Präsident nicht allein
  • war, neben ihm saß Sabakewitsch, der ganz von dem Spiegel verdeckt
  • wurde. Die Ankunft der Gäste entlockte den Anwesenden ein paar freudige
  • Rufe, und der Präsidentensessel wurde geräuschvoll beiseite geschoben.
  • Auch Sabakewitsch erhob sich und stand nun mit seinen langen Ärmeln von
  • allen Seiten sichtbar da. Der Präsident umarmte Tschitschikow, und das
  • Amtszimmer hallte wieder von den Küssen der Freunde. Man erkundigte sich
  • gegenseitig nach dem Wohlergehen, und hierbei stellte sich heraus, daß
  • beide an Hexenschuß litten, was man flugs der sitzenden Lebensweise aufs
  • Konto setzte. Wie es schien war der Präsident von Sabakewitsch schon
  • über das Kaufgeschäft unterrichtet; denn er gratulierte Tschitschikow
  • aufs herzlichste, was unsern Helden zunächst ein wenig in Verlegenheit
  • setzte, besonders jetzt, wo Sabakewitsch und Manilow, die beiden
  • Verkäufer, mit denen er doch im geheimen, unter vier Augen verhandelt
  • hatte, sich nun Aug in Auge gegenüberstanden. Er bedankte sich indessen
  • beim Präsidenten und sagte dann, indem er sich zu Sabakewitsch wandte:
  • »Und wie befinden Sie sich?«
  • »Gott sei Dank, ich kann nicht klagen,« sagte Sabakewitsch, und in der
  • Tat, er hatte wirklich keinen Grund zur Klage, eher hätte sich ein Stück
  • Eisen erkälten und den Husten bekommen können, als dieser wunderbar
  • gebaute Gutsbesitzer.
  • »Ja, Sie durften sich immer einer guten Gesundheit rühmen,« sagte der
  • Präsident. »Ihr seliger Herr Vater war auch so stark wie Sie.«
  • »Ja, der ging auch allein auf die Bärenjagd!« antwortete Sabakewitsch.
  • »Mir scheint, Sie würden es auch fertig bringen, einen Bären
  • umzuschmeißen, wenn Sie allein mit ihm in den Kampf gerieten,« meinte
  • der Präsident.
  • »Nein, das bringe ich doch nicht fertig,« antwortete Sabakewitsch. »Mein
  • seliger alter Herr war doch kräftiger als ich,« und er fuhr seufzend
  • fort: »Nein, heutzutage gibt's keine solchen Menschen mehr. Nehmen Sie
  • z. B. gleich mein Leben. Was ist das für ein Leben, nur so, so, lala
  • ...«
  • »Und warum ist Ihr Leben nicht schön?« fragte der Präsident.
  • »Nein, schön kann man es wirklich nicht nennen,« sagte Sabakewitsch
  • kopfschüttelnd. »Denken Sie doch selbst, Iwan Grigorjewitsch, ich bin
  • schon in den Fünfzigern und bin noch nie krank gewesen; wenn ich auch
  • nur ein einziges Mal Halsschmerzen, ein Geschwür, oder einen Furunkel
  • gehabt hätte .... Das nimmt sicher kein gutes Ende! Das wird sich noch
  • einmal rächen ...« Bei diesen Worten wurde Sabakewitsch sehr
  • melancholisch.
  • »Daß dich der ...!« dachten fast gleichzeitig Tschitschikow und der
  • Präsident: »Worüber der nicht zu klagen hat!«
  • »Ich habe auch einen Brief für Sie,« sagte Tschitschikow, während er
  • Pljuschkins Schreiben aus der Tasche zog.
  • »Von wem?« fragte der Präsident. Er nahm den Brief in Empfang,
  • entsiegelte ihn und rief erstaunt aus: »Von Pljuschkin! Existiert der
  • auch noch auf dieser Welt? Das ist auch ein Leben! Was war das doch für
  • ein kluger und wohlhabender Mann! Und nun ...«
  • »Ein Schweinehund!« sagte Sabakewitsch. »So ein Schuft, der läßt all
  • seine Leute verhungern!«
  • »Gern, mit Vergnügen!« rief der Präsident, nachdem er den Brief gelesen
  • hatte, »ich will ihn gerne vertreten! Wann wünschen Sie den Kauf
  • abzuschließen? Jetzt gleich oder etwas später?«
  • »Gleich!« versetzte Tschitschikow: »Ich möchte Sie sogar bitten, dafür
  • zu sorgen, daß es gleich _heute_ geschieht. Ich möchte nämlich schon
  • morgen wieder weiterreisen, den Kontrakt und das Gesuch habe ich gleich
  • mitgebracht!«
  • »Das ist alles sehr schön und gut, aber Sie werden schon verzeihen: so
  • früh können wir Sie unmöglich fortlassen. Die Kontrakte sollen noch
  • heute unterschrieben werden, aber Sie werden sich schon entschließen
  • müssen, noch ein paar Tage mit uns zu verleben. Ich will sogleich Order
  • erteilen,« fuhr er fort, indem er die Tür der Kanzlei öffnete, welche
  • ganz voll von Beamten war, die wie ein Bienenschwarm ihre Zellen
  • umschwärmten, wenn nur ein Vergleich der Akten mit Bienenzellen zulässig
  • ist: »Ist Iwan Antonowitsch hier?«
  • »Ja! Hier!« antwortete eine Stimme aus dem Innern des Zimmers.
  • »Er soll herkommen!«
  • Iwan Antonowitsch, die Kannenschnauze, deren Bekanntschaft der Leser
  • schon gemacht hat, erschien im Amtszimmer und machte eine devote
  • Verbeugung.
  • »Bitte, Iwan Antonowitsch, nehmen Sie doch alle diese Kaufverträge und
  • ...«
  • »Iwan Grigorjewitsch!« fiel hier Sabakewitsch ein, »bitte vergessen Sie
  • nicht, daß wir auch noch Zeugen brauchen, wenigstens zwei Mann von jeder
  • Partei. Schicken Sie doch gleich zum Staatsanwalt, er hat nicht viel zu
  • tun und sitzt sicher zu Hause: Solotucha, der Anwalt, besorgt all seine
  • Arbeiten; einen größeren Räuber wie den gibt's auf der Welt nicht
  • wieder! Der Sanitätsinspektor ist auch nicht sehr beschäftigt, und ist
  • wahrscheinlich auch zu Hause, wenn er nicht bei einem Bekannten sitzt
  • und Karten spielt; ach, und dann gibt's ja noch eine ganze Reihe von
  • Leuten, die hier in der Nähe wohnen: Truchatschewski, Bjeguschkin --
  • lauter Leute, die der lieben Erde durch ihren Müßiggang zur Last
  • fallen!«
  • »Richtig! Sehr richtig!« sprach der Präsident, und schickte sofort einen
  • Kanzleibeamten fort, um sie holen zu lassen.
  • »Ich habe noch eine Bitte,« sagte Tschitschikow: »Schicken Sie doch
  • bitte noch nach dem Vertrauensmann einer Gutsbesitzerin, mit der ich
  • auch ein kleines Geschäft abgeschlossen habe -- es ist der Sohn des
  • Oberpriesters Pater Cyrill; er dient bei Ihnen.«
  • »Mit Vergnügen, ich will ihn gleich holen lassen!« sprach der Präsident:
  • »es wird alles besorgt, ich bitte Sie nur eins, geben Sie den Beamten
  • nichts. Meine Freunde brauchen nicht zu zahlen.« Hierauf gab er Iwan
  • Antonowitsch noch einen Auftrag, der diesem recht wenig zu gefallen
  • schien. Die Verträge schienen einen vortrefflichen Eindruck auf den
  • Präsidenten gemacht zu haben, besonders als er sah, daß die Kaufsumme
  • nahezu hunderttausend Rubel betrug. Er sah Tschitschikow einige Minuten
  • lang in die Augen und sagte schließlich: »Sehen Sie wohl, Pawel
  • Iwanowitsch. Sie haben also eine Akquisition gemacht!«
  • »Sehr richtig!« antwortete Tschitschikow.
  • »Daran haben Sie wohl getan. Wahrhaftig! Daran haben Sie sehr wohl
  • getan!«
  • »Ja, jetzt sehe ich selbst, daß ich nichts Besseres tun konnte. Mag es
  • sein, wie es will, der Lebenszweck des Menschen ist noch nicht endgültig
  • fixiert, solange er nicht festen Fuß auf dauerndem Grunde gefaßt hat,
  • und noch irgend einem chimärischen Jugendideal der Freidenker nachjagt.«
  • Bei dieser Gelegenheit verfehlte er nicht ein paar tadelnde Worte über
  • die jungen Leute und ihren Liberalismus zu sagen, und das von Rechts
  • wegen. Aber, was sehr merkwürdig war, es lag in seinen Worten noch immer
  • eine gewisse Unsicherheit, wie wenn er gleich darauf zu sich sagen
  • wollte: >Ach was? Bester, du schwindelst, und nicht zu knapp!< Ja, er
  • wagte es nicht einmal, Sabakewitsch und Manilow anzusehen, weil er sich
  • fürchtete, einem unliebsamen Ausdruck in ihren Gesichtern zu begegnen.
  • Aber seine Sorge war unnütz; in Sabakewitschs Gesicht regte und rührte
  • sich nichts, Manilow aber war ganz hingerissen von der schönen Rede,
  • schüttelte bloß den Kopf vor Vergnügen, und geriet dabei in eine solche
  • seelische Verzücktheit, wie sie sich wohl eines Musikkenners zu
  • bemächtigen pflegt, wenn die Sängerin noch die Violine überbietet und
  • einen so feinen hohen Ton in die Luft schmettert, wie ihn selbst eine
  • Vogelkehle nicht herauszubringen vermag.
  • »Warum sagen Sie denn Iwan Grigorjewitsch nicht, was Sie eigentlich
  • gekauft haben?« bemerkte Sabakewitsch. »Und Sie, Iwan Grigorjewitsch?
  • Fragen Sie denn garnicht, was für einen Kauf er gemacht hat? Wüßten Sie
  • nur, was für prächtige Leute das sind! Gold ist nichts dagegen! Ich habe
  • ihm doch auch den Wagenmacher Michejew verkauft.«
  • »Wahrhaftig? Nein?« versetzte der Präsident. »Ich kenne den Michejew;
  • der Mann ist ein Meister in seinem Fach; er hat mir einmal eine Droschke
  • repariert. Aber erlauben Sie mal ... Wie ist denn das? ... Haben Sie mir
  • denn nicht gesagt, daß er gestorben ist? ...«
  • »Wer? Michejew tot?« fragte Sabakewitsch, der auch nicht einen
  • Augenblick die Fassung verlor. »Sie meinen wohl seinen Bruder, der ist
  • allerdings tot; dieser hier ist so gesund, wie ein Fisch im Wasser; der
  • fühlt sich noch wohler als früher. Vor kurzem hat er mir noch eine
  • solche Kutsche gebaut, wie Sie sie nicht einmal in Moskau bekommen. Der
  • sollte eigentlich zum Hoflieferanten des Kaisers ernannt werden.«
  • »Ja, Michejew ist ein Meister,« versetzte der Präsident, »ich wundere
  • mich eigentlich, daß Sie sich so leicht von ihm trennen konnten.«
  • »Ja, wenn's nur der eine Michejew wäre! Stepan Probka, der Tischler, der
  • Ziegelbrenner Miluschkin, der Schuster Maksim Teljatnikow -- sie gehen
  • alle fort, ich habe sie alle zusammen verkauft.« Und als der Präsident
  • fragte, warum er sie denn gehen lasse, wenn es doch lauter nützliche
  • Leute und Handwerker seien, die er in seinem Haushalt brauchen könne,
  • antwortete Sabakewitsch, indem er eine gleichgültige Handbewegung
  • machte: »Ich weiß nicht, es ist mir mal so'ne dumme Idee in den Kopf
  • gekommen! Ich habe mir halt gedacht: ach was, ich verkaufe sie, und hab'
  • sie dann dummer Weise wirklich verkauft!« Hierauf ließ er den Kopf
  • hängen, wie wenn es ihn jetzt tatsächlich reute, und er fügte hinzu: »Da
  • wird man alt und grau und wird doch nicht klüger!«
  • »Aber erlauben Sie mal, Pawel Iwanowitsch,« sagte der Präsident. »Wozu
  • kaufen Sie eigentlich Bauern, ohne Land? Brauchen Sie sie etwa zu
  • Ansiedelungszwecken?«
  • »Natürlich zu Ansiedelungszwecken!«
  • »So, das ist freilich was andres. Und wo wollen Sie sie ansiedeln?«
  • »In dem .... Im Gouvernement Cherson.«
  • »O, da gibt es ausgezeichneten Boden!« sprach der Präsident, und er
  • sprach sich sehr lobend über die Höhe und Güte des dortigen Grases aus.
  • »Und haben Sie auch Land genug?«
  • »Vollkommen genug -- genau soviel, als ich brauche, um die Bauern
  • anzusiedeln.«
  • »Gibt's dort auch einen Fluß oder nur einen Teich?«
  • »Einen Fluß. Übrigens ist auch ein Teich da.« Bei diesen Worten sah
  • Tschitschikow im Versehen Sabakewitsch an, und obwohl dieser ebenso
  • unbeweglich wie vorher in seiner Stellung verharrte, schien es
  • Tschitschikow doch, als läse er in dessen Gesichte die Worte: »Du
  • schwindelt, mein Lieber! Ich bezweifle sehr, daß dieser Teich und Fluß
  • und das ganze Land überhaupt existieren.«
  • Während die Unterhaltung noch ihren Fortgang nahm, erschienen allmählich
  • die Zeugen: der Staatsanwalt, den der Leser schon kennt und der ewig mit
  • dem linken Augenlide zuckte, der Inspektor der Sanitätskommission,
  • ferner die Herren Truchatschewski, Bjeguschkin und die andern, die nach
  • Sabakewitschs Worten der Erde durch ihren Müßigang zur Last fallen.
  • Viele von ihnen kannte Tschitschikow noch garnicht; die fehlenden Zeugen
  • wurden durch einige diensthabende Beamte ersetzt. Man hatte nicht nur
  • den _Sohn_ des Oberpriesters, Pater Cyrill, sondern auch den
  • Oberpriester selbst herangeholt. Jeder von den Zeugen setzte seine
  • Unterschrift mit Aufführung all seiner Titel und Würden unter das
  • Dokument, der eine in runder, der andre in schräger Schrift; bei einem
  • dritten schienen sozusagen die Buchstaben auf dem Kopf zu spazieren,
  • oder es liefen solche Lettern mit unter, wie sie im russischen Alphabet
  • garnicht einmal vorkommen. Iwan Antonowitsch erledigte alles gewandt und
  • sicher, die Kontrakte wurden notifiziert, mit dem Datum versehen, und in
  • die Bücher und wohin sich's sonst noch gehört, eingetragen, nachdem die
  • ein halbes Prozent betragenden Gebühren und Spesen für die Ankündigung
  • im Amtsblatt erhoben worden waren, sodaß Tschitschikow nur eine
  • Kleinigkeit zu bezahlen brauchte. Ja, der Präsident gab sogar Order ihm
  • nur die Hälfte von den Gebühren anzurechnen, während die andre Hälfte
  • einem andern Kontrahenten auf die Rechnung gestellt wurde. Wie man das
  • fertig brachte, weiß der liebe Himmel.
  • »Und nun,« sagte der Präsident, nachdem alles glücklich erledigt war,
  • »hätten wir das Geschäft nur noch zu begießen.«
  • »Mit Vergnügen,« sagte Tschitschikow. »Ich überlasse es Ihnen, die Zeit
  • zu bestimmen. Es wäre eine Sünde, wenn ich meinerseits mich weigern
  • wollte, in so angenehmer Gesellschaft ein paar Flaschen Sekt springen zu
  • lassen.«
  • »Nein, das fassen Sie falsch auf: den Sekt stellen wir selbst,« sagte
  • der Präsident; »das ist nur unsere Pflicht und Schuldigkeit. Sie sind
  • unser Gast: also laden wir Sie ein. Wissen Sie was meine Herren? Gehen
  • wir doch einstweilen mal zum Polizeimeister: das ist ein richtiger
  • Zauberkünstler; wenn der am Fischmarkt oder an einer Weinhandlung
  • vorübergeht, braucht er nur zu winken, und es steht gleich ein
  • glänzendes Frühstück da, zu dem man sich gratulieren kann. Bei dieser
  • Gelegenheit können wir auch eine Partie Whist machen.«
  • Ein solch vernünftiges Anerbieten konnte niemand ausschlagen. Den Zeugen
  • lief schon bei der bloßen Erwähnung des Fischmarktes das Wasser im Munde
  • zusammen; alles griff sofort zu Hut oder Mütze, und die Sitzung war zu
  • Ende. Als man durch die Kanzlei schritt, sagte Iwan Antonowitsch -- die
  • Kannenschnauze -- mit einer höflichen Verbeugung zu Tschitschikow: »Sie
  • haben für hunderttausend Rubel Bauern gekauft, und ich habe nur
  • fünfundzwanzig für meine Mühe bekommen.«
  • »Ja, was sind denn das für Bauern,« flüsterte ihm Tschitschikow leise
  • zu: »lauter schlechtes nichtsnutziges Volk, die sind noch nicht die
  • Hälfte wert.« Iwan Antonowitsch begriff, daß er einem Mann von festem
  • Charakter gegenüberstand, von dem er nicht mehr herausbekommen würde.
  • »Wieviel hat Ihnen Pljuschkin für die Seele abgenommen?« flüsterte ihm
  • Sabakewitsch ins andere Ohr.
  • »Und warum haben Sie den Sperling eingeschmuggelt?« antwortete ihm
  • Tschitschikow.
  • »Welchen Sperling?« fragte Sabakewitsch.
  • »Na das Weibsbild, die Elisabetha Sperling. Sie haben ja noch us statt a
  • geschrieben.«
  • »Von diesem Sperling weiß ich nichts,« sagte Sabakewitsch und mischte
  • sich unter die anderen Gäste.
  • Die Gäste begaben sich schließlich _in corpore_ nach dem Hause des
  • Polizeimeisters. Der Polizeimeister war tatsächlich ein Zauberkünstler;
  • kaum hatte er gehört, worum es sich handelte, als er schon einen
  • Polizeikommissar, einen schneidigen Kerl in hohen Lackstiefeln, zu sich
  • heranrief und ihm, wie es schien, kaum mehr als zwei Worte ins Ohr
  • flüsterte; dann fragte er ihn nur noch kurz: »Hast du verstanden?«, und
  • schon erschienen im andern Zimmer, während die Gäste noch ihren Whist
  • droschen, die herrlichsten Dinge auf dem Tische: Störe, Hausen,
  • geräucherter Lachs, frischer und gepreßter Kaviar, Hering, Wels,
  • allerhand Käsesorten, geräucherte Zunge -- dies wenigstens war das Menu,
  • soweit es den Fischmarkt betraf. Dazu kamen noch einige Zugaben, die aus
  • dem eigenen Haushalt und der eigenen Küche stammten: eine Fischpastete,
  • die mit dem Knorpel und den Kiemen eines neun Pud schweren Störs gefüllt
  • war, eine Pastete mit Pfifferlingen, Pastetchen aus Butterteig,
  • Splittertörtchen usw. Der Polizeimeister war in gewissem Sinne der Vater
  • und der Wohltäter der Stadt. Er benahm sich im Kreise der Bürger ganz
  • wie im eigenen Familienkreise, und in den Läden oder auf dem Tuchmarkt
  • wußte er Bescheid wie in seiner eigenen Speisekammer. Er war überhaupt,
  • wie man zu sagen pflegt, ganz an seinem Platz und hatte seinen Beruf aus
  • dem ff heraus. Es wäre sicherlich schwer zu entscheiden gewesen, ob _er_
  • für sein _Amt_ oder sein _Amt_ für _ihn_ geschaffen war. Er wußte seinen
  • Posten so gut auszufüllen, daß seine Einnahmen sich beinahe auf das
  • Doppelte von dem beliefen, was seine Vorgänger erhalten hatten, und doch
  • war er in der ganzen Stadt allgemein beliebt. Die Kaufleute schätzten
  • ihn am meisten, ganz besonders weil er gar nicht stolz war; und in der
  • Tat, er hob ihre Kinder aus der Taufe, stand mit ihnen Gevatter, und
  • obwohl er sie tüchtig bluten ließ, machte er doch auch dies mit einer
  • ganz besonderen Geschicklichkeit: entweder klopfte er ihnen freundlich
  • auf die Schulter und lächelte ihnen zu, oder er lud sie zum Tee ein,
  • ließ sich zu einer Partie Dame auffordern und fragte sie nach allem aus:
  • wie die Geschäfte gehen und wie es sonst stände; wenn er erfuhr, daß
  • eins der Kinder krank sei, dann wußte er gleich Rat und verschrieb ihm
  • die richtige Arzenei; mit einem Wort, er war ein ganz famoser Kerl. Kam
  • er in seinem Wagen daher gefahren, um überall für Ordnung zu sorgen,
  • dann hatte er immer für den einen oder andern das rechte Wort bereit:
  • »Nun Michej, sollen wir nicht einmal unser Spielchen zu Ende spielen.«
  • -- »Freilich, Alexei Iwanowitsch,« antwortet dieser und zieht die Mütze,
  • »freilich sollten wir!« »Hör doch, Ilja Paramonowitsch, komm doch mal zu
  • mir und sieh dir mein Rennpferd an; das läuft noch schneller als das
  • deine; laß es doch auch mal vor den Rennschlitten spannen, und dann
  • wollen wir sehen!« Der Kaufmann, der ein passionierter Pferdefreund war,
  • lächelte hierbei ganz besonders zufrieden, strich sich den Bart und
  • sagte: »Gut, wir wollen sehen! Alexei Antonowitsch!« Selbst die
  • Ladendiener nahmen hierbei ihre Mützen ab und sahen sich vergnügt an,
  • wie wenn sie sagen wollten: »Alexei Antonowitsch ist doch ein prächtiger
  • Mensch!« Mit einem Wort, er war sehr populär, und die Kaufleute hatten
  • eine sehr hohe Meinung von ihm und sagten: »Alexei Antonowitsch nimmt
  • zwar ein bissel viel, dafür hält er aber auch sein Wort.«
  • Als der Polizeimeister sich überzeugte, daß das Frühstück fertig sei,
  • forderte er seine Gäste auf, den Whist nach Tisch fortzusetzen, und alle
  • begaben sich in das Zimmer, von dem aus sich schon lange ein angenehmer
  • Geruch bis in die Nebengemächer verbreitete. Dieser Geruch hatte die
  • Nasen unserer Gäste schon längst in angenehmer Weise gekitzelt, und
  • Sabakewitsch schielte fortwährend durch die Türe nach dem Tisch, da er
  • bereits von dem Stör Notiz genommen hatte, der etwas abseits auf einem
  • großen Teller lag. Nachdem die Gäste erst einen Likör von jener
  • dunkelgrünen Olivenfarbe gekostet hatten, wie man sie nur an den
  • durchsichtigen sibirischen Steinen beobachtet, aus denen bei uns in
  • Rußland Petschaften gemacht werden, trat man von allen Seiten mit Gabeln
  • bewaffnet an den Tisch. Hierbei zeigten sich, wie man zu sagen pflegt,
  • der Charakter und die Neigungen eines jeden in ihrem wahren Lichte,
  • indem der eine sich an den Kaviar, ein anderer an den Lachs, ein dritter
  • an den Käse heranmachte. Sabakewitsch würdigte indessen all diese
  • Kleinigkeiten keines Blickes und richtete sich in nächster Nachbarschaft
  • vom Stör ein; während jene aßen, tranken und sich unterhielten,
  • verleibte er ihn sich in einer kurzen Viertelstunde völlig ein, und als
  • der Polizeimeister sich an den Fisch erinnerte und mit den Worten: »Und
  • was denken Sie von diesem Naturprodukt, meine Herren!« zugleich die
  • andern aufforderte, ihm zu folgen und mit der Gabel in der Hand vor den
  • Stör hintrat, da merkte er, daß von dem Naturprodukt nur noch der
  • Schwanz übrig geblieben war; Sabakewitsch aber tat so, als ob ihn die
  • Sache garnichts anginge, trat vor einen Teller, der etwas abseits von
  • den andern stand, und stocherte mit der Gabel auf einem kleinen
  • getrockneten Fischchen herum. Nachdem er den Stör verarbeitet hatte,
  • ließ sich Sabakewitsch in einen Lehnstuhl sinken und aß und trank von da
  • ab nichts mehr, sondern blinzelte nur noch mit den Augen. Der
  • Polizeimeister liebte, wie es schien, nicht mit dem Wein zu sparen. Der
  • erste Toast wurde, wie die Leser vielleicht selbst erraten werden, auf
  • das Wohl des neuen Gutsbesitzers von Cherson ausgebracht. Der zweite
  • galt dem Wohlergehen seiner Bauern und ihrer glücklichen Ansiedlung.
  • Dann trank man auf die Gesundheit seiner künftigen reizenden Ehehälfte,
  • was unserm Helden ein freundliches Lächeln entlockte. Dann drängten sich
  • alle um ihn und suchten ihn zu überreden, daß er doch noch wenigstens
  • zwei Wochen in der Stadt bleiben möge. »Nein, Pawel Iwanowitsch! Das
  • hieße ja die Wohnung kalt werden lassen: über die Schwelle und gleich
  • wieder fort! Nein, bleiben Sie doch noch eine Zeitlang bei uns! Kommen
  • Sie, wir wollen Sie verheiraten. Nicht wahr, Iwan Grigorjewitsch, wir
  • verschaffen ihm eine Frau?«
  • »Ja, ja, eine Frau!« fiel der Präsident ein, »sträuben Sie sich mit
  • Händen und Füßen, soviel Sie wollen, Sie werden doch verheiratet! Nichts
  • da, mein Bester! Mitgefangen, mitgehangen! Da dürfen Sie sich nicht
  • beklagen, wir lieben nicht zu spaßen!«
  • »Warum nicht, wozu sollte ich mich mit Händen und Füßen dagegen stemmen?
  • Die Heirat ist doch nicht solch eine Sache, daß man darüber gleich ...
  • Wenn nur eine Braut da wäre.«
  • »Die Braut wird sich schon finden! Wie sollte sie nicht? Es wird sich
  • alles finden, alles was Sie nur wollen.«
  • »Nun, unter diesen Umständen ...«
  • »Bravo, er bleibt!« schrieen alle: »Vivat Hurrah! Pawel Iwanowitsch,
  • Hurrah!« Und alle traten mit den Gläsern in der Hand auf Tschitschikow
  • zu, um mit ihm anzustoßen. Tschitschikow stieß mit allen an.
  • »Nein, noch einmal!« sagten die Tollsten, und die Gläser mußten noch
  • einmal erklingen; ja sie wollten noch zum dritten Mal anstoßen, und so
  • machte man es denn zum dritten Male. In kurzer Zeit wurden alle
  • außerordentlich lustig. Der Präsident, welcher in angeheitertem Zustande
  • ein äußerst lieber Mensch war, schloß Tschitschikow mehrmals in seine
  • Arme und stammelte im Übermaß seines Gefühles: »Mein liebes Herz, mein
  • liebes Mamachen!« Ja, er knipste sogar mit den Fingern und begann um
  • Tschitschikow herumzutanzen, wobei er das bekannte Volkslied anstimmte:
  • »Ach du Hundesohn! du Bauer aus Komarinsk.« Nach dem Sekt ging man zu
  • den Ungarweinen über, welche die Stimmung noch mehr hoben und noch mehr
  • zur Erheiterung der Gesellschaft beitrugen. Der Whist war ganz und gar
  • vergessen: man schrie, man zankte, man unterhielt sich über alle
  • möglichen und unmöglichen Dinge -- über Politik, ja sogar über
  • militärische Fragen, man führte freie Reden, für die ein jeder unter
  • gewöhnlichen Umständen seine eigenen Kinder durchgeprügelt hätte. Bei
  • dieser Gelegenheit wurde eine ganze Reihe höchst schwieriger Probleme
  • zur Lösung gebracht. Tschitschikow hatte sich noch nie so froh und
  • heiter gefühlt, er kam sich tatsächlich schon als Chersonscher
  • Gutsbesitzer vor, sprach von allerhand wirtschaftlichen Neuerungen und
  • Verbesserungen, von dem Dreifeldersystem, von dem Glück und der
  • Seligkeit zweier Seelen und deklamierte Sabakewitsch sogar eine gereimte
  • Epistel von Werther an Charlotte vor, wozu jener nur mit den Augen
  • blinzelte, denn er saß in seinem Lehnstuhl und fühlte nach dem Stör eine
  • starke Neigung zum Schlafen. Tschitschikow sah bald selbst ein, daß er
  • sich vielleicht zu sehr habe gehen lassen, er erkundigte sich, ob er
  • nicht einen Wagen bekommen könne und benutzte schließlich die Equipage
  • des Staatsanwalts, um nach Hause zu fahren. Der Kutscher war, wie es
  • sich unterwegs herausstellte, ein gewiegter Wagenlenker, denn er hielt
  • die Zügel in der einen Hand, während er die andere zurückstreckte, um
  • den bedenklich hin und her schwankenden Tschitschikow festzuhalten. So
  • langte dieser im Wagen des Staatsanwalts im Gasthof an, wo er noch lange
  • Zeit allerhand tolles Zeug schwatzte: von einer blonden Braut mit roten
  • Backen und einem Grübchen auf der rechten Wange, von Chersonschen
  • Gütern, Kapitalien und dergleichen mehr. Seliphan erhielt sogar
  • verschiedene Aufträge, die sich auf die Gutsverwaltung bezogen: so
  • sollte er zum Beispiel alle neu angesiedelten Bauern herbeiholen und
  • jeden einzeln aufrufen. Seliphan hörte lange schweigend zu und verließ
  • dann das Zimmer, nachdem er zu Petruschka gesagt hatte: »Geh, kleide den
  • Herrn aus!« Petruschka versuchte es zunächst, Tschitschikow die Stiefel
  • auszuziehen, wobei er ihn beinahe selbst vom Bette heruntergezogen
  • hätte. Schließlich war er damit fertig, der Herr entkleidete sich, wie
  • es sich gehört, wälzte sich noch ein paar Minuten im Bette herum,
  • welches gewaltig krachte und ächzte, und schlief tatsächlich als
  • Chersonscher Gutsbesitzer ein. Unterdessen trug Petruschka die Hosen und
  • den preißelbeerfarbenen Frack mit den Sternchen ins Vorzimmer hinaus,
  • hängte sie über den hölzernen Kleiderhalter und bearbeitete sie so
  • kräftig mit dem Ausklopfer und der Kleiderbürste, daß der ganze Korridor
  • in eine Staubwolke gehüllt zu sein schien. Als er die Kleider oben
  • herunternehmen wollte, erblickte er Seliphan von der Gallerie aus, der
  • soeben aus dem Stall zurückkehrte. Ihre Augen begegneten sich, und sie
  • verstanden sich sofort wie durch einen gewissen Instinkt: der Herr
  • schlief, warum sollte man da nicht einem bekannten Lokal einen kleinen
  • Besuch abstatten? Petruschka trug also Frack und Hosen schnell wieder
  • ins Zimmer, lief die Treppe hinunter, und beide machten sich, ohne ein
  • Wort über ihr eigentliches Reiseziel zu verlieren, unter ganz
  • gleichgültigen Gesprächen auf den Weg. Ihr Spaziergang nahm nicht
  • allzuviel Zeit in Anspruch, sie gingen bloß über die Straße, bewegten
  • sich auf ein Haus zu, das dem Gasthof gerade gegenüberlag, und traten
  • durch eine niedrige rauchgeschwärzte Glastür, die in eine Art Kellerraum
  • führte, in das Lokal, wo schon eine ganze Gesellschaft von allerhand
  • Leuten ihrer wartete: da gab's Rasierte und Unrasierte, Männer mit
  • Pelzen und ohne solche, im bloßen Hemd und hie und da auch einen in
  • einem Mantel. Wie Petruschka und Seliphan hier ihre Zeit verbrachten, --
  • weiß nur der liebe Gott; genug sie kamen nach einer Stunde Arm in Arm
  • und stumm wieder heraus, wobei sie sehr besorgt umeinander zu sein
  • schienen und sich gegenseitig auf jede Straßenecke aufmerksam machten.
  • Dann stiegen sie wohl eine Viertelstunde lang Arm in Arm und ohne
  • einander auch nur einen Augenblick loszulassen, die Treppe hinauf, bis
  • auch dies Hindernis genommen war und sie oben anlangten. Petruschka
  • blieb einen Moment vor seinem niedrigen Bette stehen, still erwägend,
  • wie er sich wohl am besten darin plazieren könnte, dann legte er sich
  • quer darüber, sodaß seine Füße den Fußboden berührten. Seliphan stieg in
  • dasselbe Bett, indem er seinen Kopf auf Petruschkas Bauch legte; er
  • hatte ganz vergessen, daß dies ja nicht seine eigentliche Schlafstätte,
  • und daß sein Platz irgendwo in der Bedientenstube oder im Stall bei den
  • Pferden war. Beide schliefen sofort ein, indem sie ein Schnarchduett von
  • gewaltiger Kraft und Stärke anstimmten, dem ihr Herr mit seinem feinen
  • Zephyrsäuseln durch die Nase sekundierte. Bald darauf wurde es auch im
  • ganzen Gasthofe still, und ein tiefer Schlaf bemächtigte sich aller
  • Bewohner; nur in einem Fenster schimmerte noch ein schwacher
  • Lichtschein; dort wohnte ein angereister Leutnant aus Rjasan, der eine
  • große Leidenschaft für Stiefel zu haben schien, denn er hatte sich
  • bereits vier Paar Schuhe bestellt, und ließ sich nun schon das fünfte
  • Paar anmessen. Wiederholt trat er ans Bett, um sich die Stiefel
  • auszuziehen und sich niederzulegen, aber er konnte sich nicht dazu
  • entschließen: die Stiefel saßen wirklich vorzüglich und immer wieder hob
  • er den Fuß in die Höhe und betrachtete wohlgefällig den schneidigen,
  • wunderbar geformten Absatz.
  • Achtes Kapitel
  • Tschitschikows Einkäufe waren bereits der Gegenstand des Stadtgespräches
  • geworden. Man stritt, man unterhielt sich und debattierte darüber, ob es
  • vorteilhaft sei, Bauern zu Ansiedelungszwecken anzukaufen. Viele von
  • diesen Debatten zeichneten sich durch Gründlichkeit und Sachlichkeit
  • aus: »Natürlich ist das so,« sagten die einen, »das läßt sich nicht
  • bestreiten, der Boden ist in den südlichen Gouvernements wirklich gut
  • und sehr fruchtbar; aber was werden Tschitschikows Bauern ohne Wasser
  • anfangen? da gibt's doch gar keine Flüsse.« -- »Das wäre noch nicht
  • schlimm, daß es kein Wasser gibt, das macht noch nichts, Stepan
  • Dimitrwejewitsch; aber die Kolonisation ist eine sehr riskante Sache.
  • Man weiß ja, wie so'n Bauer ist: da wird er auf eine ganz jungfräuliche
  • Scholle verpflanzt, und soll nun Ackerbau treiben -- und dabei ist
  • nichts da -- weder Haus noch Hof -- ich sag Ihnen, der läuft davon, das
  • ist so sicher wie zwei mal zwei vier, schnallt sich seine Schuhe an,
  • macht daß er fortkommt, dann können Sie lange suchen, bis Sie ihn
  • finden!« -- »Nein, erlauben Sie mal, Alexei Iwanowitsch, ich bin
  • durchaus nicht Ihrer Ansicht, wenn Sie sagen, die Bauern werden dem
  • Tschitschikow davonlaufen. Ein rechter Russe ist zu allem fähig und
  • gewöhnt sich an jedes Klima. Geben Sie ihm nur ein Paar warme
  • Handschuhe, dann können Sie ihn schicken, wohin Sie wollen, meinetwegen
  • bis nach Kamtschatka, der läuft ein bißchen herum, bis er warm ist,
  • nimmt die Axt und baut sich eine neue Hütte.« »Aber lieber Iwan
  • Grigorjewitsch, du hast eins ganz vergessen: du hast garnicht
  • berücksichtigt, was das für Leute sind, die Tschitschikow da gekauft
  • hat. Du vergißt ganz, daß ein Gutsbesitzer doch einen tüchtigen Kerl
  • nicht so leicht ziehen läßt, ich möchte meinen Kopf dafür geben, daß das
  • lauter Säufer, Trunkenbolde und wilde arbeitsscheue Leute sind.« --
  • »Schon gut, das gebe ich zu, das ist freilich richtig, daß niemand einen
  • tüchtigen Kerl verkaufen wird, und daß Tschitschikows Leute
  • wahrscheinlich größtenteils Trinker sind, aber man muß doch beachten,
  • daß ja gerade dies die Moral von der Geschichte ist: jetzt sind es
  • vielleicht lauter Taugenichtse, wenn man sie aber ansiedelt, können
  • plötzlich brave und tüchtige Untertanen daraus werden. Das ist doch
  • nicht der erste Präzedenzfall in der Welt und in der Geschichte.« »Nie
  • -- niemals,« versetzte der Verwalter der Staatsfabriken: »glauben Sie
  • mir, das kann niemals passieren, denn gegen Tschitschikows Bauern werden
  • sich jetzt zwei mächtige Feinde erheben. Der eine Feind -- das ist die
  • Nähe der kleinrussischen Gouvernements, wo, wie bekannt, der
  • Branntweinverkauf frei ist. Ich versichere Ihnen, in zwei Wochen werden
  • sie dem Suff verfallen und Faullenzer und Tagediebe sein. Der zweite
  • Feind -- das ist die Gewohnheit und der Hang zum Vagabundenleben, den
  • sich die Bauern durch die Übersiedelung erwerben werden. Es müßte denn
  • sein, daß Tschitschikow sie beständig im Auge behält und beaufsichtigt,
  • er müßte sie sehr streng behandeln, für jede Kleinigkeit hart bestrafen
  • und sich dabei nicht etwa auf einen anderen verlassen, sondern selbst
  • überall, wo es nötig ist, Püffe und Maulschellen austeilen.« -- »Wozu
  • soll Tschitschikow denn die Püffe selbst austeilen? Dazu kann er sich
  • doch einen Verwalter nehmen.« -- »Ja finden Sie gefälligst einen guten
  • Verwalter? Das sind lauter Gauner und Halunken!« -- »Sie sind nur darum
  • Gauner, weil die Besitzer es eben nicht richtig anzustellen wissen.« --
  • »Das ist richtig,« fielen hier viele ein. -- »Wenn der Gutsherr nun
  • selbst etwas von der Landwirtschaft versteht, und seine Leute kennt --
  • dann wird er immer einen tüchtigen Verwalter finden.« Aber der Direktor
  • der Staatsfabriken wandte ein, für weniger als 5000 Rubel könne man
  • keinen guten Verwalter finden. Dagegen bemerkte der Präsident, man könne
  • auch schon für 3000 einen haben, worauf der Direktor erklärte: »Wo
  • wollen Sie ihn denn hernehmen? Sie können ihn sich doch nicht aus der
  • Nase ziehen?« worauf der Präsident versetzte: »Aus der Nase freilich
  • nicht, nein, aber hier, im hiesigen Kreise, da gibt es einen, nämlich
  • Peter Petrowitsch Samoilow: das ist der rechte Mann, wie ihn
  • Tschitschikow für seine Bauern braucht!« Viele versuchten sich in
  • Tschitschikows Lage zu versetzen, und die große Schwierigkeit, eine
  • solche Menge von Bauern in einem fremden Lande anzusiedeln, erfüllte sie
  • mit Angst und Besorgnis; jemand äußerte sogar die Befürchtung, es könne
  • noch ein Aufruhr unter diesen unruhigen Elementen, wie die Bauern
  • Tschitschikows es wären, ausbrechen. Darauf bemerkte der Polizeimeister,
  • einen Aufruhr brauche man nicht zu befürchten; um dies zu verhindern,
  • gebe es ja Gottlob eine Macht: nämlich den Kreisrichter; der
  • Kreisrichter brauche sich nicht einmal selbst an Ort und Stelle zu
  • begeben, sondern nur seinen Hut hinzusenden, dieser Hut würde schon
  • genügen, um die Bauern zur Raison zu bringen, sodaß sie sich zerstreuen
  • und ruhig nach Hause gehen würden. Viele äußerten ihre Ansichten und
  • machten Vorschläge, wie der aufrührerische Geist niederzuhalten sei, der
  • Tschitschikows Bauern ergriffen habe. Die Meinungen darüber gingen recht
  • weit auseinander. Es gab solche, die sich gar zu sehr durch eine gewisse
  • militärische Strenge und überflüssige Grausamkeit auszeichneten, und
  • dann wieder andere, welche eine gewisse Milde ausströmten. Der
  • Postmeister machte die Bemerkung, Tschitschikow sehe sich jetzt einer
  • heiligen Pflicht gegenüber; er könne gewissermaßen der Vater seiner
  • Bauern werden, und, wie er sich auszudrücken beliebte, eine wohltuende
  • Aufklärung unter ihnen verbreiten. Bei dieser Gelegenheit unterließ er
  • es nicht, sich höchst lobend über die Lancastersche Methode des
  • gegenseitigen Unterrichts zu äußern.
  • So redete und disputierte man in der Stadt, und viele teilten
  • Tschitschikow aus persönlichem Interesse ihre Ansicht mit, gaben ihm
  • gute Ratschläge und boten ihm sogar eine Eskorte an, um die Bauern auch
  • sicher an ihren Bestimmungsort zu transportieren. Für die Ratschläge
  • dankte Tschitschikow höflichst, indem er versprach, sie bei Gelegenheit
  • zu verwerten, dagegen verzichtete er sehr entschieden auf die Eskorte
  • und erklärte, sie sei vollständig überflüssig; die von ihm gekauften
  • Bauern hätten einen ganz besonders friedfertigen Charakter. Sie würden
  • den Umzug bereitwilligst mitmachen und begrüßten ihn sogar freudig. Von
  • einem Aufruhr könne überhaupt nicht die Rede sein.
  • All diese Gespräche und Unterhaltungen hatten indessen für Tschitschikow
  • die allergünstigsten Folgen, die er für sich nur erhoffen konnte. Es
  • verbreitete sich nämlich das Gerücht, er sei nicht mehr und nicht
  • weniger als ein Millionär. Die Stadtbewohner hatten, wie wir schon im
  • ersten Kapitel gesehen haben, Tschitschikow auch ohnedies in ihr Herz
  • geschlossen. Nach diesen Gerüchten aber gewannen sie ihn noch weit
  • lieber. Übrigens, um die Wahrheit zu sagen: es waren lauter brave,
  • gutmütige Leute, die sich gut miteinander vertrugen, auf
  • freundschaftlichem Fuße miteinander lebten, und ihre Unterhaltungen
  • trugen den Stempel ganz besonderer Treuherzigkeit und Milde: »Lieber
  • Freund, Ilja Iljitsch!« »Hör mal, Antipater Zararowitsch, mein Bester!«
  • »Du schwindelst, Mütterchen, Iwan Grigorowitsch!« Zum Postmeister, der
  • Iwan Andrejewitsch hieß, pflegte man gewöhnlich zu sagen: »Sprechen Sie
  • deutsch, Iwan Andreitsch?«
  • Mit einem Wort, es ging dort sehr familiär zu. Viele waren nicht ganz
  • ohne Bildung: der Gerichtspräsident kannte sogar die »Ludmilla« von
  • Shukowski auswendig, welche damals noch den vollen Reiz der Neuheit
  • hatte, und er trug manche Stellen daraus geradezu meisterhaft vor, so
  • zum Beispiel den Vers: »Es schläft der Wald, die Täler schlummern«, ganz
  • besonders schön aber klang das Wort »hu« in seinem Munde, sodaß man
  • tatsächlich zu sehen glaubte, wie die Täler schlummerten; um die
  • Ähnlichkeit noch vollkommener zu machen, kniff er bei dieser Gelegenheit
  • auch noch die Augen zusammen. Der Postmeister neigte mehr der
  • Philosophie zu und las ganze Nächte hindurch sehr fleißig in Youngs
  • »Nächten«, sowie im »Schlüssel zu den Geheimnissen der Natur« von
  • Eckartshausen, aus dem er sich lange Exzerpte machte; worauf sie sich
  • bezogen, konnte freilich niemand mit Bestimmtheit angeben. Übrigens war
  • er ein großer Witzbold, er hatte eine überaus blühende Sprache und
  • liebte es, wie er sich selbst ausdrückte, seine Rede »auszuschmücken«.
  • Und zwar schmückte er seine Reden mit einer Menge von Flickworten aus,
  • als da sind: »Lieber Herr, so und so, wissen Sie, verstehen Sie, können
  • Sie sich vorstellen, gewissermaßen, sozusagen« und andre mehr, mit denen
  • er nur so um sich warf; ferner schmückte er seine Reden noch recht
  • geschickt durch ein verständnisinniges Augenblinzeln aus, oder indem er
  • das eine Auge ganz zukniff, womit er vielen von seinen satirischen
  • Anspielungen einen recht boshaften Ausdruck lieh. Auch die übrigen
  • Herren waren meist recht gebildete und aufgeklärte Leute: der eine las
  • Karamsin, der andre die »Moskauer Nachrichten« und ein dritter las sogar
  • überhaupt _nichts_. Der eine war was man eine Schlafmütze zu nennen
  • pflegt, d. h. ein Mensch, dem man immer erst einen kräftigen Rippenstoß
  • geben muß, wenn man ihn zu etwas bewegen will, ein anderer war ganz
  • einfach ein Faulpelz, der sein ganzes Leben lang auf der Bärenhaut lag
  • und bei dem jeder Versuch vergeblich gewesen wäre, ihn überhaupt
  • aufzurütteln, da er ja doch nicht aufgestanden wäre. Was ihr Äußeres
  • anbelangt, so waren sie natürlich alle hübsche, stattliche,
  • vertraueneinflößende Leute -- einen Schwindsüchtigen gab es unter ihnen
  • nicht. Sie gehörten alle zu jener Menschengattung, welcher die Frauen in
  • zärtlichen Schäferstündchen unter vier Augen Namen wie die folgenden zu
  • geben pflegen: mein Dickerchen, mein lieber Dickwanst, mein
  • Schnudelchen, mein Tönnchen, mein Moppelchen usw. Aber im allgemeinen
  • war es ein guter Menschenschlag, liebe, freigiebige Leute, und ein
  • Mensch, der ihre Gastfreundschaft genossen oder einen Abend mit ihnen am
  • Whisttisch verbracht hatte, kam ihnen sehr schnell nahe und wurde
  • gewissermaßen einer der ihren. -- Dies traf aber noch mehr auf
  • Tschitschikow mit seinem bezaubernden Wesen zu, denn er kannte wirklich
  • das Geheimnis, sich beliebt zu machen. Sie schlossen ihn so in ihr Herz,
  • daß er garnicht wußte, wie er aus der Stadt herauskommen sollte; er
  • hörte immer nur: »Ach nur noch eine Woche; bleiben Sie doch noch eine
  • einzige Woche bei uns, Pawel Iwanowitsch« -- mit einem Worte, er wurde
  • geradezu auf Händen getragen, wie man zu sagen pflegt. Aber
  • unvergleichlich viel stärker und bedeutender, ja höchst erstaunlich und
  • wunderbar war der Eindruck, den Tschitschikow auf die Damen machte. Um
  • das einigermaßen verständlich zu machen, müßten wir eigentlich
  • mancherlei über die Damen selbst sagen, über ihre Gesellschaften usw.,
  • müßten sozusagen ihre seelischen Eigenschaften mit lebendigen
  • leuchtenden Farben ausmalen: aber das wird dem Autor sehr schwer.
  • Einerseits hält ihn seine unbegrenzte Achtung und Ehrfurcht vor den
  • Gattinnen der hohen Beamten davon ab, und andererseits ... ja
  • andererseits ... ist es eben einfach sehr schwierig. Die Damen der Stadt
  • N. waren ... nein es geht unmöglich: tatsächlich, ich habe Angst. -- Was
  • an den Damen der Stadt N. am bemerkenswertesten war ... Nein, es ist zu
  • seltsam, die Feder will nicht vom Fleck, wie wenn sie ein Bleiklumpen
  • wäre. Also gut: ich werde es wohl schon einem andern überlassen müssen,
  • der eine reichere Auswahl von hellen und leuchtenden Farben auf seiner
  • Palette hat, als ich, ihren Charakter zu schildern; wir werden uns
  • darauf beschränken müssen, zwei, drei Worte über ihr Äußeres und das,
  • was gewissermaßen mehr an der Oberfläche liegt, zu sagen. Die Damen der
  • Stadt N. waren das, was man präsentabel nennt, und in dieser Beziehung
  • dürften alle Frauen sie sich zum Muster nehmen. Was korrektes Benehmen,
  • was guten Ton, Etikette und jene feinsten und zartesten Gebote des
  • Anstands anbelangt, vor allem was die Beobachtung der Mode in ihren
  • letzten Einzelheiten anbetrifft, so waren sie hierin selbst den
  • Petersburger und Moskauer Damen um eine Ellenlänge voraus. Sie kleideten
  • sich mit großem Geschmack, fuhren in schönen Equipagen durch die Stadt:
  • wie die letzte Mode dies vorschrieb, begleitet von einem Lakai mit
  • goldenen Tressen, der auf dem Trittbrett hin- und herschwankte. Eine
  • Visitenkarte war, selbst wenn der Name auf einer Treff-Zwei oder einem
  • Karo-Aß stand, eine heilige Sache. Zwei Damen, die vordem große
  • Freundinnen und Basen gewesen waren, kamen wegen solch einer
  • Visitenkarte ganz auseinander -- eine von ihnen hatte es nämlich
  • unterlassen, der anderen einen Gegenbesuch abzustatten. Und so sehr sich
  • ihre Männer und Verwandten nachher bemühten, sie wieder zu versöhnen, es
  • war vergebens -- es stellte sich vielmehr heraus, daß alles auf der Welt
  • möglich ist, nur dies eine nicht: zwei Damen zu versöhnen, die sich
  • wegen eines unterlassenen Gegenbesuches verfeindet haben. Die Damen
  • verharrten also in »gegenseitiger Abneigung«, wie sich die Gesellschaft
  • der Stadt ausdrückte. Wegen der Frage, wem der Vorrang gebühre, gab es
  • auch eine Menge äußerst erregter Auftritte, welche in den Herren oftmals
  • höchst erhabene und ritterliche Vorstellungen von ihrer Beschützerrolle
  • entstehen ließen. Zu einem Duell kam es unter ihnen natürlich nicht,
  • weil sie alle Zivilbeamte waren; dafür aber suchten sie einander etwas
  • am Zeuge zu flicken, wo sie nur konnten, was bekanntlich unter Umständen
  • weit schwieriger ist als ein Duell. In ihren Sitten waren die Damen der
  • Stadt N. sehr streng und voll edler Entrüstung gegen alle Laster und
  • Versuchungen, sie verurteilten unbarmherzig jede Schwäche, wo sie nur
  • eine solche wahrnahmen. Und wenn in ihrem Kreise selbst etwas vorkam,
  • was man das eine oder andere nennt, so spielte es sich stets ganz im
  • Geheimen ab, und niemand ließ sich merken, was eigentlich vorgegangen
  • war. Das Dekorum wurde stets gewahrt. Selbst der Mann wurde rechtzeitig
  • vorbereitet, sodaß er, auch wenn er dies eine oder andere bemerkte oder
  • davon hörte, kurz und bündig antworten konnte: »Was ich nicht weiß,
  • macht mich nicht heiß,« wie das Sprichwort sagt. Hier muß noch erwähnt
  • werden, daß die Damen der Stadt N. sich wie ihre Petersburger
  • Gefährtinnen stets einer großen Vorsicht und eines sicheren Taktes in
  • Worten und Ausdrücken befleißigten. Niemals hörte man sie sagen: »Ich
  • habe mich geschneuzt.« »Ich schwitze.« »Ich habe ausgespuckt,« sondern
  • sie drückten sich stattdessen folgendermaßen aus: »Ich habe mir die Nase
  • geputzt« oder »Ich habe von meinem Taschentuch Gebrauch gemacht.« Unter
  • keinen Umständen aber durfte man sagen: »Dieses Glas oder dieser Teller
  • stinkt.« Ja, man durfte nicht einmal etwas sagen, was wie eine
  • Anspielung darauf erscheinen konnte, sondern, man wählte stattdessen
  • einen Ausdruck wie den folgenden: »Dieses Glas benimmt sich nicht gut«
  • oder sonst etwas in dieser Art. Um die russische Sprache noch mehr zu
  • veredeln, wurde nahezu die Hälfte aller Worte aus dem Sprachgebrauch
  • verbannt, weswegen man sehr oft seine Zuflucht zum Französischen nehmen
  • mußte. Das war dann eine ganz andere Sache. Im Französischen waren noch
  • ganz andere, weit kräftigere Worte gestattet als die oben erwähnten. Das
  • also ist es, was sich von den Damen der Stadt N., oberflächlich
  • gesprochen, sagen läßt. Freilich, wenn man etwas tiefer hineinblickte,
  • so würden noch ganz andere Dinge zum Vorschein kommen; aber es ist sehr
  • gefährlich, zu tief in ein Frauenherz zu blicken. Ich bleibe also an der
  • Oberfläche und fahre fort. Bis dahin hatten alle Damen merkwürdigerweise
  • nur wenig von Tschitschikow gesprochen, obwohl sie ihm natürlich, was
  • seine angenehmen und weltmännischen Umgangsformen anbelangt, volle
  • Gerechtigkeit widerfahren ließen. Aber seitdem sich das Gerücht von
  • seinen Millionen verbreitet hatte, wurde die Aufmerksamkeit auch auf
  • seine sonstigen Eigenschaften gelenkt. Übrigens waren unsere Damen
  • keineswegs eigennützig oder gar habgierig. An alledem war nur das Wort
  • Millionär -- nicht der Millionär selbst, sondern eben das Wort allein
  • schuld; denn in dem bloßen Klang dieses Wortes ist neben der Anspielung
  • auf den Geldsack noch ein gewisses Etwas enthalten, welches in gleicher
  • Weise auf die Schurken wie auf die guten Menschen und auch die, welche
  • weder das eine noch das andere sind, einen starken Eindruck macht; mit
  • einem Wort, es verfehlt seine Wirkung auf keinen. Der Millionär hat den
  • Vorzug, daß er die ganz uneigennützige Niedertracht, die reine
  • Niedertracht, die auf keinerlei Berechnung und Hintergedanken beruht,
  • vortrefflich beobachten kann: Viele Menschen wissen sehr gut, daß sie
  • nichts von ihm bekommen werden und auch gar keinen Anspruch darauf
  • haben, und doch laufen sie vor ihm her, lächeln ihm freundlich zu,
  • nehmen den Hut vor ihm ab, oder provozieren eine Einladung zu einem
  • Mittagessen, an dem der Millionär teilnehmen wird. Man kann nicht sagen,
  • daß diese sanfte Hinneigung zur Niedertracht auch von den Damen geteilt
  • wurde. Allein man fing doch in vielen Salons an, darüber zu reden, daß
  • Tschitschikow zwar kein Ausbund von Schönheit, aber doch ein stattlicher
  • Mann sei, wie er sein soll, und daß er schon nicht mehr so hübsch wäre,
  • wenn er auch nur ein ganz klein wenig dicker und voller wäre. Bei dieser
  • Gelegenheit fielen sogar einige beinahe verletzende Worte über die
  • dünnen Männer: das seien ja eigentlich Zahnstocher und keine Männer. An
  • den Toiletten der Damen konnte man auch allerhand Ergänzungen
  • wahrnehmen. Auf dem Tuchmarkt herrschte ein großes Gedränge, man schob
  • und stieß sich dort geradezu. Es war die reinste Kirmeß. Soviel
  • Equipagen reihten sich aneinander. Die Kaufleute waren erstaunt, als sie
  • sahen, daß ein paar Tuchsorten, die sie von der Messe mitgebracht und
  • wegen ihres allzu hohen Preises bisher nicht hatten loswerden können,
  • eine gesuchte Ware wurden und reißenden Absatz fanden. Während des
  • Gottesdienstes bemerkte man bei einer der Damen unten am Kleide eine
  • Schleppe, welche den Rock so aufbauschte, daß er die ganze Kirche
  • einnahm, und daß der anwesende Polizeikommissar dem Volke befehlen
  • mußte, Platz zu machen und sich in die Vorhalle zurückzuziehen, um das
  • Kleid der Gnädigen nicht zu beschädigen. Auch Tschitschikow mußte
  • schließlich etwas von der ungewöhnlichen Aufmerksamkeit auffallen, die
  • ihm gezollt wurde. Als er eines schönen Tages zu sich nach Hause kam,
  • fand er einen Brief auf seinem Schreibtisch. Es ließ sich durchaus nicht
  • herausbekommen, von wem er stammte und wer ihn gebracht habe: Der
  • Kellner erzählte, der Überbringer habe ihm verboten, zu sagen, wer der
  • Absender sei. Der Brief fing sehr bestimmt und entschlossen an und zwar
  • folgendermaßen: »Nein, ich muß dir schreiben!« Dann war davon die Rede,
  • daß es eine geheime Sympathie der Seelen gebe, und diese Wahrheit fand
  • ihre Bekräftigung in einer Reihe von Punkten und Gedankenstrichen,
  • welche beinahe eine halbe Zeile einnahmen. Weiter folgten einige
  • Sentenzen, deren Richtigkeit ihnen eine so hohe Bedeutung verleiht, daß
  • wir es fast für unsere Pflicht halten, sie hier anzuführen: »Was ist
  • unser Leben? -- Ein Tal, in dem sich unsere Leiden angesiedelt haben.
  • Was ist die Welt? -- Ein Haufen von Menschen, der nichts empfindet.«
  • Hierauf erwähnte die Schreiberin, daß sie die Briefe ihrer zärtlichen
  • Mutter, welche seit fünfundzwanzig Jahren nicht mehr auf der Welt sei,
  • mit Tränen benetze; sie forderte Tschitschikow auf, ihr in eine Wüste zu
  • folgen und die Stadt für immer zu verlassen, wo die Menschen in der
  • Gefangenschaft geistiger Mauern und aus Luftmangel erstickten; das Ende
  • des Briefes strömte sogar eine wirkliche Verzweiflung aus, und folgende
  • Zeilen bildeten den Abschluß:
  • Zwei Turteltäubchen bringen
  • Dich flugs zum Grabesstein,
  • Sie werden girren und singen
  • Dir von meiner Todespein.
  • In der letzten Zeile war zwar das Versmaß nicht ganz in Ordnung, aber
  • das machte nichts: der Brief war ganz im Geiste der damaligen Zeit. Auch
  • fehlte die Unterschrift, der Vor- und Familienname, selbst Datum und
  • Jahreszahl fehlten. In einem Postskriptum hieß es bloß, Tschitschikows
  • eigenes Herz müsse die Schreiberin des Briefes erraten, und auf dem Ball
  • des Gouverneurs, der morgen stattfinde, werde das Original persönlich
  • zugegen sein.
  • Das war alles sehr interessant. In der Anonymität lag soviel Reiz und
  • Lockung, soviel was die Neugierde herausforderte, daß Tschitschikow den
  • Brief noch ein zweites und drittes Mal überlas und schließlich ausrief:
  • »Es wäre doch höchst interessant, zu erfahren, wer eigentlich die
  • Schreiberin ist!« Mit einem Wort, die Sache begann ersichtlich eine
  • ernste Wendung zu nehmen; mehr als eine Stunde sann er über sein
  • seltsames Abenteuer nach, dann machte er eine nachlässige Gebärde, ließ
  • den Kopf herabsinken und murmelte: »Der Brief hat doch etwas
  • außerordentlich Geziertes!« Hierauf wurde der Bogen, wie sich das von
  • selbst versteht, sorgfältig zusammengefaltet und in die Schatulle
  • gelegt, wo er in nächster Nachbarschaft mit einem Theaterzettel und
  • einer Hochzeitseinladung zu liegen kam, welche nun schon sieben Jahre
  • unberührt auf demselben Flecke lag. Bald darauf brachte man ihm
  • tatsächlich eine Einladung zum Ball beim Gouverneur. Das ist in
  • Provinzstädten etwas sehr Gewöhnliches: wo es einen Gouverneur gibt, da
  • muß es auch Bälle geben, sonst könnte es der Adel leicht an der
  • gebührenden Liebe und Achtung fehlen lassen.
  • Er ließ nun sofort alles nicht zur Sache Gehörige liegen und machte sich
  • davon frei, um sich voll und ganz den Vorbereitungen zum Balle zu
  • widmen; denn dazu gab's so manchen Sporn und Stachel. Dafür ist aber
  • wohl auch noch nie seit Erschaffung der Welt soviel Zeit und Sorgfalt
  • auf die Toilette verwendet worden. Die Besichtigung und Prüfung des
  • eigenen Angesichts vor dem Spiegel nahm allein eine ganze Stunde in
  • Anspruch. Er versuchte es, seinem Antlitz eine ganze Reihe und Skala
  • verschiedenartigster Ausdrücke zu verleihen: bald sollte es Ernst und
  • Würde, bald eine gewisse durch ein Lächeln gemilderte Achtung, bald
  • wieder nur Achtung ohne jedes Lächeln widerspiegeln; dann verbeugte er
  • sich einige Male vor dem Spiegel, welche Bewegung von einigen
  • unartikulierten Lauten begleitet wurde, die einige Ähnlichkeit mit
  • französischen Worten hatten, obwohl Tschitschikow absolut kein
  • Französisch verstand. Hierbei bereitete er sich selbst eine Menge höchst
  • angenehmer Überraschungen, zwinkerte sich mit den Augenbrauen und den
  • Lippen zu und bewegte sogar die Zunge ein paar Mal hin und her; du
  • lieber Gott, was macht man nicht alles, wenn man mit sich allein und
  • sich bewußt ist, daß man ein schöner Mann ist, und noch dazu die sichere
  • Überzeugung hat, daß niemand durch das Schlüsselloch guckt. Endlich
  • kraute er sich noch ein bißchen am Kinn und sagte: »Ei, ei, du kleiner
  • Bullenbeißer!« und begann sich anzuziehen. Während dieses Prozesses
  • befand er sich die ganze Zeit über in der glücklichsten Stimmung: wenn
  • er die Hosenträger anlegte, oder sich den Schlips umband, machte er
  • Kratzfüße, anmutige Verbeugungen und sogar einen Luftsprung, obwohl er
  • nie tanzen gelernt hatte. Dieser Luftsprung hatte nun allerdings einige
  • Folgen, die übrigens recht harmloser Natur waren: die Kommode fing an zu
  • zittern, und die Kleiderbürste fiel vom Tisch herunter.
  • Sein Erscheinen auf dem Ball machte einen ganz außerordentlichen
  • Eindruck. Alle Anwesenden eilten ihm entgegen -- der eine hatte noch ein
  • Spiel Karten in der Hand, ein anderer brach das Gespräch am
  • interessantesten Punkte ab, als er gerade sagte: »Und denken Sie,
  • hierauf erwiderte das Kreisgericht ...« Was das Kreisgericht eigentlich
  • erwiderte, führte er gar nicht mehr aus, und stürmte auf unseren Helden
  • los, um ihn zu begrüßen: »Pawel Iwanowitsch!« »O, mein Gott, Pawel
  • Iwanowitsch!« »Lieber Pawel Iwanowitsch!« »Verehrtester Pawel
  • Iwanowitsch!« »Pawel Iwanowitsch, Herzchen!« »Da sind Sie ja Pawel
  • Iwanowitsch!« »Da ist er, _unser_ Pawel Iwanowitsch!« »Lassen Sie sich
  • umarmen, Pawel Iwanowitsch!« »Her mit ihm, seien Sie recht herzlich
  • geküßt, mein teurer Pawel Iwanowitsch!« Tschitschikow fühlte, wie er
  • fast gleichzeitig von mehreren umarmt wurde. Er hatte noch nicht Zeit,
  • sich aus der Umarmung des Gerichtspräsidenten zu befreien, als ihn schon
  • der Polizeimeister in _seine_ Arme schloß, dieser gab ihn an den
  • Inspektor des Sanitätswesens weiter, der Inspektor an den
  • Branntweinpächter, der Branntweinpächter an den Stadtbaumeister .... Der
  • Gouverneur, der währenddessen mit ein paar Damen zusammenstand und in
  • der einen Hand einen Zettel aus einer Bonbonniere, in der andern ein
  • Bologneserhündchen hielt, ließ, als er Tschitschikow erblickte, beides
  • -- Zettel und Hündchen -- auf den Boden fallen, sodaß das Hündchen laut
  • aufheulte ... mit einem Wort, der Ankömmling verbreitete Heiterkeit und
  • Freude um sich her. Es gab kein Gesicht, das nicht vor Vergnügen
  • strahlte, oder doch wenigstens etwas von der allgemeinen Freude
  • widerspiegelte. So glänzen die Gesichter der Beamten während des Besuchs
  • ihres Chefs, der gekommen ist, die ihrer Leitung unterstehenden Ressorts
  • zu inspizieren; nachdem der erste Schreck vorüber ist, bemerken sie, daß
  • manches seinen Beifall findet, ja daß er sich sogar leutselig zu einem
  • kleinen Scherz herabläßt, d. h. ein paar Worte sagt und angenehm dazu
  • lächelt -- und nun lachen die ihn umringenden, ihm zunächst stehenden
  • Beamten doppelt herzlich, und ebenso herzlich lachen jene, die zwar die
  • gesprochenen Worte kaum gehört und noch weniger verstanden haben, ja
  • selbst der weit abseits an der Tür stehende Polizist, der noch nie in
  • seinem Leben gelacht, und eben erst dem Volke die Faust gezeigt hat --
  • selbst er verzieht nach den unwandelbaren Gesetzen der Reflexion und der
  • Nachahmung sein Gesicht zu einem Lächeln, welches aber so wenig
  • Ähnlichkeit mit einem Lächeln hat, daß man eher meinen könnte, er habe
  • eine starke Prise genommen und müsse nun niesen. Unser Held beglückte
  • alle und jeden einzelnen mit einer Antwort und fühlte sich ganz
  • außergewöhnlich leicht und sicher: er verneigte sich nach rechts und
  • nach links, und zwar etwas seitwärts, wie das seine Gewohnheit war, aber
  • doch so ungezwungen, daß er alle Anwesenden entzückte. Die Damen
  • umringten ihn sogleich wie eine glänzende Girlande und hüllten ihn in
  • eine Wolke von Wohlgerüchen aller Art ein: die eine roch nach Rosen, die
  • andere brachte den Duft von Veilchen und Frühling mit, die dritte
  • strömte einen starken Resedaduft aus. Tschitschikow hob bloß die Nase
  • und zog den süßen Duft ein. In ihren Toiletten entwickelten sie
  • unendlich viel Geschmack; die Farben ihrer Mousselin-, Atlas- und
  • Tüllstoffe waren von einer so modernen Blässe und Mattigkeit, daß es
  • schwer wäre, auch nur einen Namen für jede Nuance zu finden -- eine
  • solche Höhe und Feinheit hatte Kultur und Geschmack hier erreicht!
  • Schleifen, Bänder und Blumensträuße umflatterten die Kleider in
  • malerischer Unordnung, obwohl an dieser Unordnung manch ordentlicher
  • Kopf sich viele Stunden abgemüht hatte. Der leichte Kopfputz ruhte
  • allein auf den Ohren und schien sagen zu wollen: »Halt! Ich fliege fort!
  • Schade nur, daß ich meine Schöne nicht mit mir forttragen kann!« Sie
  • hatten alle stark und eng geschnürte Taillen, welche dem Auge feste und
  • angenehme Formen darboten. (Bei dieser Gelegenheit muß ich erwähnen, daß
  • alle Damen der Stadt N. sich durch eine gewisse Fülle auszeichneten,
  • aber sie verstanden es, sich so kunstvoll zu schnüren und hatten dabei
  • so angenehme Umgangsformen, daß man es ihnen garnicht anmerkte, daß sie
  • dick waren). Alles war bei ihnen wohldurchdacht und zeugte von Umsicht
  • und Ueberlegung: der Hals und die Schultern waren nur gerade so weit
  • entblößt, als es unumgänglich notwendig war, auch nicht um einen Zoll
  • weiter: eine jede zeigte von ihren Besitzungen nur gerade soviel, als
  • nach ihrem eigenen Gefühl und ihrer Überzeugung nötig war, um einen Mann
  • zugrunde zu richten; der Rest war mit großem Takt und Geschmack verhüllt
  • und zugedeckt: irgend ein leichtes Halstuch aus einem Band, das noch
  • leichter und luftiger war, als jenes Gebäck, welches unter dem Namen
  • »Baiser« oder »Kuß« bekannt ist, schlang sich ätherisch um den Hals,
  • oder es ragte im Nacken unter dem Kleide eine kleine Spitzenwand aus
  • feinem Battist hervor, die man bei uns zu Lande »Sittenschild« zu nennen
  • pflegt. Diese Spitzenwand bedeckte vorn und hinten all das, was zwar
  • keinen Mann mehr zugrunde richten konnte, doch aber den Argwohn rege
  • hielt, daß gerade hier das eigentliche Verderben lauere. Lange
  • Handschuhe, die nicht ganz bis zu den Ärmeln reichten, ließen die
  • reizenden Teile des Armes oberhalb des Ellenbogens frei, welche bei
  • vielen eine beneidenswerte Fülle erkennen ließen; bei manchen waren die
  • Glacéhandschuhe sogar geplatzt, da sie zu hoch hinaufgeschoben waren --
  • mit einem Wort, es war so, als ob ein jedes Ding hätte sagen wollen:
  • »Nein, dies ist keine Provinz, das ist Paris!« Nur hie und da guckte
  • plötzlich eine Haube, wie noch nie ein Mensch sie gesehen hat, oder eine
  • Pfauenfeder, oder sonst was, das jeder Mode Hohn sprach und einer
  • Eingebung des eigensten Geschmackes entsprang, hervor. Aber ohne das
  • geht es halt nicht ab -- das ist nun einmal die Eigentümlichkeit einer
  • Provinzstadt: es gibt immer einen Punkt, wo sie sozusagen aus der Rolle
  • fällt. Tschitschikow stand vor den Damen und dachte sich: »Welche ist
  • denn nun aber die Verfasserin des Briefes?« Er versuchte es, einen
  • Augenblick seine Nase hervorzustrecken; aber da stieß er mit ihr gegen
  • eine ganze Reihe von Ellenbogen, Aufschlägen, Ärmeln, Schleifen,
  • duftigen Hemdchen und Kleidern. Eine wilde Galoppade jagte wie toll an
  • ihm vorüber: die Frau des Postmeisters, der Kreisrichter, eine Dame mit
  • einer blauen Feder, eine Dame mit einer weißen Feder, der Georgische
  • Prinz Tschiphaihilidsew, ein Beamter aus Petersburg, ein Beamter aus
  • Moskau, ein Franzose namens Coucou, ein Herr Perchunowski und ein Herr
  • Berebendowski -- dies alles wuchs plötzlich vor ihm aus der Erde und
  • stürmte davon ....
  • »Da haben wir die Provinz!« murmelte Tschitschikow, indem er zurückwich.
  • Aber als sich dann die Damen auf ihre Plätze begaben, fing er wieder an,
  • auszuschauen, ob er nicht nach dem Ausdruck des Gesichts und der Augen
  • erkennen könne, welche die Verfasserin des Briefes sei; allein weder die
  • Gesichter noch die Augen wollten ihm verraten, wer die Unbekannte sei.
  • Überall auf jedem Antlitz schwebte etwas kaum Merkliches, unendlich
  • Feines -- oh! wie Feines ...! »Nein,« sagte Tschitschikow zu sich
  • selbst: »Die Frau -- das ist ein Objekt« -- hierbei machte er eine
  • sprechende Handbewegung -- »darüber ist überhaupt kein Wort zu
  • verlieren! Es soll mal einer versuchen, all das zu erzählen oder
  • wiederzugeben, was über ihr Gesicht huscht, all diese Schlangenwindungen
  • und dies Wellengekräusel ... das läßt sich eben garnicht ausdrücken!
  • Ihre Augen allein sind ein so unendliches, grenzenloses Reich, wenn sich
  • da ein Mensch hinein verirrt, dann ist er verloren! Da holt ihn kein
  • Haken und keine Winde wieder heraus. Versuch' doch mal einer ihren Glanz
  • zu beschreiben: diesen feuchten, samtnen, zuckersüßen Glanz ... Gott
  • allein weiß, was es nicht alles für Arten solchen Glanzes gibt: einen
  • harten und weichen, ja selbst einen matten oder wie einige sich
  • ausdrücken, >wonnetrunkenen< Glanz und dann wieder einen ohne
  • Trunkenheit, der aber noch weit gefährlicher ist -- der einen nur so
  • beim Herzen packt und wie mit dem Fidelbogen über die Seele fährt. Nein,
  • da findet man kein Wort dafür: Es ist halt die >jalante< Hälfte des
  • Menschengeschlechts und weiter nichts!«
  • Oh weh! Ich fürchte, unserem Held entschlüpfte ein Wort, das er von der
  • Straße her kannte. Aber was soll ich tun? Das ist nun einmal das Los des
  • Schriftstellers in Rußland! Aber selbst wenn ein Wort von der Straße in
  • dies Buch hineingetragen wäre, so ist das nicht die Schuld des
  • Schriftstellers, sondern die der Leser und vor allem der Leser aus den
  • besseren Gesellschaftskreisen: sie sind die ersten, von denen man kein
  • anständiges russisches Wort zu hören bekommt, sie beglücken euch mit
  • deutschen, französischen und englischen Reden in solchem Übermaß, daß
  • man gern darauf verzichten würde, und selbst mit Beibehaltung und
  • Wahrung jeder nur möglichen Aussprache: sprechen das Französisch durch
  • die Nase oder schnarren es, reden englisch wie irgend ein Vogel es nicht
  • besser fertig brächte, ja sie machen ein richtiges Vogelgesicht dazu und
  • lachen einen noch aus, wenn man ihnen dies nicht nachmachen kann. Das
  • einzige, was sie sorgfältig vermeiden, ist alles Russische -- höchstens
  • lassen sie sich auf dem Lande eine Villa in russischem Stile bauen. So
  • sind nun mal die Leser aus den höheren Ständen, und alle, die sich
  • selbst zu den höheren Ständen rechnen! Aber andererseits wieder: welche
  • Strenge, welche Ansprüche! Sie wollen durchaus, daß alles in einem
  • absolut korrekten, reinen und edlen Stile abgefaßt werde -- wollen mit
  • einem Wort, daß die russische Sprache wie von selbst, ganz reif und
  • fertig aus den Wolken herabfalle und sich ihnen auf die Zunge setze,
  • sodaß sie nur den Mund zu öffnen und ihr freien Lauf zu lassen brauchen.
  • Die weibliche Hälfte des Menschengeschlechts ist freilich höchst
  • rätselhaft; aber ich muß gestehen, die verehrten Herren Leser sind mir
  • oft noch weit rätselhafter.
  • Unterdessen wurde Tschitschikows Ratlosigkeit immer größer, wie er die
  • Verfasserin des Briefes unter allen anwesenden Damen herauserkennen
  • sollte. Er machte noch einen Versuch, jede einzelne von den Damen mit
  • forschendem Blick zu mustern und bemerkte, daß in den Augen der holden
  • Weiblichkeit ein Etwas aufblitzte, was Hoffnung und süße Qual ins Herz
  • des armen Sterblichen einziehen ließ, sodaß er schließlich ausrief:
  • »Nein, es ist vergebens, ich errate es doch nicht!« Das hatte indessen
  • nicht den geringsten Einfluß auf seine gute Laune, die ihn die ganze
  • Zeit über nicht verließ. In seiner galanten ungezwungenen Art wechselte
  • er ein paar liebenswürdige Worte mit einigen Damen, ging mit schnellen
  • kleinen Schritten bald auf die eine und bald auf die andere zu, wie das
  • jene alten Gecken auf hohen Absätzen, welche man in Rußland
  • »Mäusehengste« nennt, zu tun pflegen, die sich gewandt und leicht um die
  • Damen herumbewegen. Wenn er sich schnell und sicher zwischen den
  • einzelnen Menschengruppen durchgewunden hatte, machte er einen Kratzfuß
  • und schlug dabei mit dem Füßchen ein wenig aus, was gewissermaßen die
  • Bedeutung eines Schnörkels oder eines Häkchens am Namenszug hatte. Die
  • Damen waren sehr glücklich und befriedigt und entdeckten an ihm nicht
  • nur einen ganzen Haufen von angenehmen und liebenswürdigen Seiten,
  • sondern fanden sogar etwas Majestätisches, Kriegerisches und
  • Martialisches im Ausdruck seines Gesichts, was den Frauen bekanntlich
  • sehr gefällt. Ja man hätte sich seinetwegen beinahe ein wenig gezankt:
  • es war bald von vielen bemerkt worden, daß Tschitschikow meist in der
  • Nähe der Türe stand, und nun suchte alles die der Türe zunächstehenden
  • Stühle zu besetzen, und als hierbei eine der Damen einer andern
  • zuvorkam, hätte es beinahe einen unangenehmen Auftritt gegeben, wobei
  • viele, die es selbst gern ebenso gemacht hätten, höchst empört über
  • diese Unverfrorenheit und Taktlosigkeit waren.
  • Tschitschikow verwickelte sich bald in eine lebhafte Unterhaltung mit
  • den Damen, oder wurde vielmehr von diesen in eine lebhafte Unterhaltung
  • verwickelt, wobei er von ihnen mit einer wahren Fülle höchst feiner und
  • geistreicher allegorischer Bemerkungen überschüttet wurde, die alle
  • gedeutet und enträtselt werden mußten, so daß ihm der Schweiß auf die
  • Stirn trat, und er sogar die vornehmste Anstandsregel zu erfüllen
  • vergaß: nämlich der Frau des Hauses seine Aufwartung zu machen. Er
  • erinnerte sich erst daran, als er dicht neben sich die Stimme der Frau
  • Gouverneurin vernahm, die ihm schon einige Minuten lang gegenüberstand.
  • Die Gouverneurin schüttelte freundlich den Kopf und sagte in zärtlichem
  • und etwas schelmischem Tone zu ihm: »So sind Sie also, Pawel
  • Iwanowitsch! ...« Ich kann die Rede der Gouverneurin hier nicht genau
  • reproduzieren, ich weiß nur, daß sie ihm einige äußerst freundliche und
  • liebenswürdige Worte sagte, in der Art, wie sich die Damen und Kavaliere
  • in den Romanen und Erzählungen unserer vornehmsten Schriftsteller
  • auszudrücken pflegen, die mit besonderer Vorliebe das Leben in unseren
  • Salons beschreiben und bei dieser Gelegenheit merken lassen, daß sie
  • große Kenner des feinen Tones sind: sie sagte etwa: »Hat man sich
  • bereits so sehr Ihres Herzens bemächtigt, daß darin gar kein Plätzchen,
  • ja nicht einmal ein kleiner Winkel für die übrig geblieben ist, die Sie
  • in so hartherziger Weise vergessen konnten?« Unser Held wandte sich
  • sogleich an die Gouverneurin und war schon im Begriff, ihr mit einer
  • Antwort aufzuwarten, die sicherlich nicht schlechter gewesen wäre, als
  • die, welche wir in unseren modernen Romanen und Novellen von den
  • Swonskijs, Linskis, Lidins, Gremins und andern weltmännisch-gewandten
  • Militärpersonen hören können, als er unwillkürlich die Augen aufschlug
  • und plötzlich wie vom Schlage gerührt stehen blieb.
  • Vor ihm stand die Gouverneurin, aber nicht allein: sie hielt ein
  • sechzehnjähriges junges Mädchen am Arm, eine frische Blondine, mit
  • feinen regelmäßigen Zügen, spitzem Kinn und schön gerundetem Oval des
  • Gesichts, das wohl einem Künstler als Modell zu einer Madonna hätte
  • dienen können, wie man es in Rußland nur selten findet, wo alle Dinge
  • mehr ins Weite schweifen: Berge und Wälder, Steppen, Gesichter, Lippen
  • und Füße -- es war dieselbe Blondine, welcher er unterwegs begegnet war,
  • als er von Nosdrjow kam, und als ihre Wagen durch die Dummheit der
  • Kutscher oder der Pferde auf so seltsame Weise zusammenstießen und mit
  • ihrem Geschirr in einander gerieten, und als Onkel Mitjai und Onkel
  • Minai den Knoten der Verwirrung lösen wollten. Tschitschikow wurde so
  • verlegen, daß er kein vernünftiges Wort über die Lippen bringen konnte
  • und einen so tollen Blödsinn herausstotterte, wie ihn allerdings weder
  • Gremin noch Swonskij noch Lidin jemals vom Stapel gelassen hätten.
  • »Kennen Sie meine Tochter noch nicht?« sagte die Gouverneurin. »Sie hat
  • soeben das Pensionat verlassen.«
  • Er erwiderte, er habe bereits das Vergnügen gehabt, ganz unerwartet ihre
  • Bekanntschaft zu machen; dann wollte er noch etwas hinzufügen, aber das
  • mißglückte ihm vollständig. Nachdem die Gouverneurin noch ein paar Worte
  • gesagt hatte, entfernte sie sich mit ihrer Tochter nach dem andern Ende
  • des Saals, um sich den andern Gästen zu widmen, und ließ Tschitschikow
  • wie angewurzelt stehen. Lange noch stand er auf demselben Fleck wie ein
  • Mensch, welcher heiter auf die Straße hinaustritt, um einen Spaziergang
  • zu machen, dessen Augen jedem Eindruck der Umgebung offen stehen, und
  • der plötzlich stehen bleibt, weil er sich erinnert, daß er noch etwas
  • vergessen hat; man kann sich überhaupt nichts Unbehilflicheres
  • vorstellen, als solch einen Menschen: Mit einem Schlage ist die
  • unbesorgte Miene von seinem Gesichte verschwunden. Mühsam sucht er sich
  • zu erinnern, was er denn eigentlich vergessen hat: das Taschentuch? Aber
  • das Taschentuch steckt in der Tasche! Sein Geld? Aber auch das Geld ist
  • da! Nichts scheint zu fehlen, und doch raunt ihm ein unbekannter Dämon
  • ins Ohr, er habe dennoch etwas vergessen. Verwirrt und kopflos blickt er
  • auf die vorüberwogende Menge, die vorbeijagenden Equipagen, auf die
  • Helme und Gewehre der Soldaten, die Aushängeschilder usw. und doch kommt
  • ihm nichts klar zu Bewußtsein. So auch wurde Tschitschikow allem
  • entfremdet, was um ihn her vor sich ging. Unterdessen flogen ihm von
  • duftigen Frauenlippen mancherlei Fragen und Anspielungen zu, die
  • Feinheit und Zärtlichkeit atmeten. »Dürften wir armen Erdenbewohner uns
  • wohl erkühnen, Sie zu fragen, worüber Sie nachsinnen?« -- »Wo liegen die
  • seligen Gefilde, wo Ihr Gedanke weilt?« -- »Kann man den Namen
  • derjenigen erfahren, die Sie in dieses holde Tal der Träume gelockt
  • hat?« Aber er beachtete keine dieser Fragen, und die freundlichen Worte
  • waren wie in den Wind gesprochen, ja er war so unliebenswürdig, daß er
  • die Damen ruhig stehen ließ und sich nach der andern Seite des Saales
  • begab, um auszuspähen, wohin die Gouverneurin mit ihrer Tochter
  • entschwunden war. Aber die Damen wollten ihn doch nicht so leichten
  • Kaufes davonkommen lassen -- eine jede von ihnen war innerlich fest
  • entschlossen, keins von jenen Mitteln, die unsern Herzen so gefährlich
  • werden und keinen ihrer stärksten Reize unbenutzt zu lassen. Hier muß
  • ich einschalten, daß einige Damen, ich sage einige und keineswegs alle
  • -- an einer kleinen Schwäche leiden: wenn sie etwas Reizvolles an sich
  • bemerken, sei es nun die Stirn, der Mund oder die Hände -- dann denken
  • sie gleich, dieser höchste Vorzug müsse auch allen anderen sofort
  • auffallen, sodaß alle wie ein Mann ausrufen sollten: »Seht, seht doch
  • nur, was sie für eine herrliche griechische Nase hat!« oder »Welch eine
  • entzückende regelmäßige Stirn!« Hat aber gar eine schöne Schultern, dann
  • ist sie im voraus überzeugt, daß alle jungen Leute von ihrem Anblick
  • ganz benommen sind und unbedingt ausrufen werden, wenn sie vorübergeht:
  • »Nein, was hat sie für herrliche Schultern!« während sie Gesicht, Haare,
  • Augen und Stirne keines Blickes würdigen, und wenn sie doch hinsehen,
  • diese Dinge als etwas ganz Nebensächliches behandeln werden. Wie gesagt,
  • so denken einzelne unter den Damen. Diesen Abend aber hatte sich eine
  • jede geschworen, beim Tanz so entzückend wie möglich zu erscheinen und
  • die Vorzüge ihrer größten Reize in vollem Glanze erstrahlen zu lassen.
  • Die Frau Postmeisterin ließ, während sie sich nach den Klängen eines
  • Walzers drehte, ihr Köpfchen so matt und müde auf die Schulter sinken,
  • daß man sich wirklich in eine höhere Welt versetzt glaubte. Eine äußerst
  • liebenswürdige Dame, welche garnicht in der Absicht zu tanzen auf den
  • Ball gekommen war, und bei der sich eine kleine Unannehmlichkeit oder
  • Inkommodität, wie sie sich selbst ausdrückte, in Form eines Hühnerauges
  • von der Größe einer Erbse auf dem rechten großen Zeh eingestellt hatte,
  • sodaß sie sogar Plüschstiefel hatte anziehen müssen, -- selbst diese
  • litt es nicht auf ihrem Platze, und auch sie machte einige Walzertouren
  • in ihren Plüschstiefeln, nur damit der Postmeisterin ihre Triumphe nicht
  • allzusehr zu Kopfe stiegen.
  • Aber dies alles übte nicht die gewünschte Wirkung auf Tschitschikow; er
  • blickte kaum hin auf die Pas und Figuren, welche die Damen ausführten,
  • sondern erhob sich nur immer auf den Zehenspitzen, um über die Köpfe
  • hinweg auszuschauen, wo sich die interessante Blondine gerade befand;
  • bald hockte er wieder ein wenig nieder, um zwischen Schultern und Armen
  • etwas von ihr zu erhaschen; und jetzt endlich hatte er gefunden, er sah
  • sie neben der Mutter sitzen, über deren Haupt sich majestätisch eine Art
  • orientalischer Turban mit einer Feder schaukelte. Fast schien es, als
  • wolle er die Festung im Sturme nehmen. War es die Frühlingsstimmung, die
  • so stark auf ihn wirkte, oder gab es jemand, der ihn von hinten stieß?
  • Genug, er drängte sich entschlossen und unter Mißachtung aller
  • Hindernisse bis zu ihnen durch: der Branntweinpächter erhielt von ihm
  • einen Rippenstoß, daß er sich nur mit Not auf einem Beine zu erhalten
  • vermochte, was noch ein Glück war, da er sonst den ganzen Reigen bei
  • seinem Falle in Mitleidenschaft gezogen hätte; auch der Postmeister
  • sprang zurück und sah ihn mit Staunen an, in das sich etwas wie feine
  • Ironie mischte; aber Tschitschikow würdigte sie keines Blickes: er hatte
  • für nichts ein Auge, als für die ferne Blondine, die gerade im Begriff
  • war, einen langen Handschuh anzuziehen und sicherlich vor Verlangen
  • brannte über das Parkett dahinzuschweben. Währenddessen holzten in der
  • andern Ecke schon vier Paare eine Mazurka ab: die Absätze zerstießen
  • fast den Boden, und ein Hauptmann der Armee arbeitete mit Leib und
  • Seele, Händen und Füßen, indem er sich in solchen Figuren produzierte,
  • wie sie die lebhafteste Phantasie sich nicht hätte träumen lassen.
  • Tschitschikow schoß fast über die Füße der Tänzer hinweg geradenwegs auf
  • den Platz zu, wo die Gouverneurin mit ihrer Tochter saß. Allein, er
  • näherte sich ihnen doch nur sehr zaghaft und trippelte nicht so forsch
  • und keck mit den Füßen, ja er wurde sogar etwas verlegen und in all
  • seinen Bewegungen kam eine gewisse Hilflosigkeit zum Ausdruck.
  • Es läßt sich nicht mit Bestimmtheit sagen, ob in unserm Helden sich
  • wirklich etwas wie Liebe regte; es ist sogar zweifelhaft, ob Männer wie
  • er, oder solche, die nicht gerade dick, aber doch auch nicht allzu dünn
  • sind, überhaupt der Liebe fähig sind; und doch spielte sich hier etwas
  • so Seltsames ab, daß er es sich selbst nicht erklären konnte: es kam ihm
  • so vor, wie er es nachher selbst eingestand, als ob der ganze Ball mit
  • all seinem Rausch und Trubel auf einige Augenblicke wie in weite Ferne
  • gerückt sei, die Geigen und Trompeten schienen wie hinter den Bergen zu
  • verhallen, und alles lag wie im Nebel gehüllt da, der einem nachlässig
  • hingemalten Felde auf einem Gemälde glich. Und von dem Hintergrunde
  • dieses trüben, nachlässig auf die Leinwand geworfenen Feldes hoben sich
  • allein die feinen Züge der entzückenden jungen Blondine scharf und
  • deutlich ab: das reizende Oval ihres Gesichtes, ihre schlanke elastische
  • Gestalt, wie man sie nur bei einem jungen Mädchen trifft, das eben aus
  • dem Pensionate kommt, ihr beinahe schlichtes weißes Kleid, welches sich
  • frei und leicht an die zarten jungen Glieder schmiegte, und überall die
  • herrlichen reinen Linien erkennen ließ. So glich sie einem wunderbaren,
  • kunstvoll geschnitzten Spielzeug aus Elfenbein; sie allein leuchtete
  • schneeweiß, klar und hell aus der trüben dunkelen Masse hervor.
  • Es ist wohl nicht anders auf dieser Welt; offenbar werden auch die
  • Tschitschikows einmal in ihrem Leben, wenn auch nur für einen kurzen
  • Augenblick, zu Dichtern; doch das Wort _Dichter_ ist ein wenig
  • übertrieben. Wenigstens kam er sich in diesem Moment ganz wie ein junger
  • Mann oder gar wie ein fescher Husar vor. Sowie ein Stuhl neben der
  • Schönen frei wurde, nahm er sofort auf ihm Platz. Das Gespräch wollte
  • zuerst nicht recht vom Flecke kommen, aber nach einiger Zeit kam es in
  • Fluß, er bekam sogar Mut, aber .... Hier muß ich zu meinem großen
  • Bedauern bemerken, daß ältere, würdige Leute, die wichtige Ämter im
  • Staate bekleiden, gerade in der Unterhaltung mit Damen ein bißchen
  • schwerfällig werden; so richtig raus haben das nur die Leutnants,
  • dagegen gilt dies nicht mehr für die höheren Offiziere, vom Hauptmann
  • aufwärts. Wie sie das anfangen, das weiß der liebe Gott: es sind doch
  • wahrhaftig keine abgrundtiefen Dinge, die sie da vorbringen, aber die
  • jungen Mädchen schütteln sich auf ihren Stühlen vor Lachen; dagegen kann
  • euch ein Staatsrat die wundersamsten Dinge erzählen: sich etwa darüber
  • verbreiten, daß Rußland ein gewaltiges Reich ist, oder ein Kompliment
  • vom Stapel lassen, das natürlich nicht ohne Geist ist, aber dies alles
  • schmeckt doch zu sehr nach Bücherweisheit, und wenn er etwas Komisches
  • sagt, dann lacht er sicherlich unvergleichlich viel mehr darüber, als
  • seine Dame. Ich mache diese Bemerkung an dieser Stelle, damit die Leser
  • verstehen, warum unsere Blondine während der Erzählungen unseres Helden
  • zu gähnen begann. Unser Held aber schien das garnicht zu bemerken und
  • fuhr fort all die schönen Dinge auszukramen, die er schon mehrfach und
  • bei verschiedenen Gelegenheiten zum Besten gegeben hatte, und zwar: im
  • Gouvernement Simbirsk bei Sophron Iwanowitsch Bespetschny, in Gegenwart
  • von dessen Tochter Adelheide Sophronowna und drei Schwägerinnen: Marha
  • Gawrilowna, Alexandra Gawrilowna und Adelheid Gawrilowna; ferner bei
  • Fjoder Fjodorowitsch Perekrojew im Gouvernement Rjasan; bei Frol
  • Wossiljewitsch Pobedonski im Gouvernement Pensa und bei dessen Bruder
  • Pjotr Wassiljewitsch, in Gegenwart von dessen Schwägerin Katarina
  • Michailowna und deren Enkelkindern: Rosa Fjodorowna und Emilia
  • Fjodorowna; und endlich im Gouvernement Wjatka bei Pjotr
  • Warßonowjewitsch in Gegenwart der Schwester seiner Schwiegertochter
  • Pelageja Jegorowna und seiner Nichte Sofja Rostislawna und deren beiden
  • Stiefschwestern Sofja Alexandrowna und Maklatura Alexandrowna.
  • Tschitschikows Benehmen erregte das Mißfallen aller Damen. Eine von
  • ihnen ging absichtlich an ihm vorbei, um ihm dies zu verstehen zu geben,
  • und streifte die Blondine sogar etwas nachlässig mit der breiten
  • Schleppe ihres Kleides, während sie den Shawl, der um ihre Schultern
  • flatterte, so dirigierte, daß sie die junge Dame mit dem Zipfel gerade
  • ins Gesicht traf; um dieselbe Zeit entfloh dem Munde einer anderen Dame
  • hinter Tschitschikows Rücken zugleich mit dem Veilchengeruch der von ihr
  • ausströmte, eine recht boshafte und bissige Bemerkung. Aber sei es nun,
  • daß er in der Tat nichts davon gehört hatte, sei es, daß er bloß so tat,
  • als ob er nichts höre, genug, seine Handlungsweise war in diesem Falle
  • nicht sehr korrekt und schön, denn man soll etwas auf die Meinung der
  • Damen geben: er sollte seinen Fehler bereuen, aber leider erst nachher,
  • als es schon zu spät war.
  • Eine wirklich berechtigte Empörung malte sich in vielen Zügen. So groß
  • auch Tschitschikows Ansehen in der Gesellschaft war, so sehr man davon
  • überzeugt war, daß er Millionär sei, und obwohl sein Gesicht einen
  • majestätischen und sogar martialischen Ausdruck hatte, -- es gibt Dinge,
  • welche die Damen keinem Manne verzeihen, er mag sein, wer er will, und
  • sein Untergang ist besiegelt. Es gibt Fälle, wo die Frau, so
  • charakterschwach sie auch im Vergleich mit dem Manne ist, plötzlich
  • nicht nur fester und unbeugsamer wird, als der _Mann_, sondern _als
  • alles in der Welt_. Die Mißachtung, die Tschitschikow, ohne es
  • eigentlich selbst zu bemerken, den Damen erwiesen hatte, führte wieder
  • zum Frieden und zur Einigung, die durch den Vorfall mit dem Stuhl
  • beinahe in die Brüche gegangen wäre. In den von ihm leicht hingeworfenen
  • ganz unwichtigen und belanglosen Reden entdeckte man plötzlich boshafte
  • und spitzige Anspielungen. Um das Unglück zu vollenden, hatte noch ein
  • junger Mann ein paar satirische Strophen auf die Tänzer gedichtet, ohne
  • das es bekanntlich bei Bällen in der Provinz, beinahe nie abgeht. Sofort
  • wurden diese Verse Tschitschikow zugeschrieben. Die Empörung wurde immer
  • größer, die Damen standen in den verschiedenen Ecken des Saales zusammen
  • und tuschelten miteinander, wobei einige sehr unfreundliche Äußerungen
  • über ihn fielen; die arme Blondine aber ward vollkommen vernichtet, ihr
  • Todesurteil war unterschrieben.
  • Inzwischen wartete unseres Helden eine höchst peinliche Überraschung;
  • während seine junge Nachbarin gähnte, und er ihr allerhand Geschichten
  • aus den entferntesten Zeitläuften erzählte, und sogar den griechischen
  • Philosophen Diogenes erwähnte, erschien plötzlich Nosdrjow auf der
  • Bildfläche, der gerade aus einem der hinteren Zimmer in den Saal trat.
  • Kam er aus dem Restaurationsraum oder war er aus dem kleinen grünen
  • Zimmer entsprungen, wo nicht bloß Whist, sondern weit weniger harmlose
  • Spiele gespielt wurden, erschien er aus freien Stücken, oder war er
  • herausgeschmissen worden, genug, er trat plötzlich fröhlich und sehr
  • aufgeräumt in den Saal, den Staatsanwalt am Arme, den er wohl schon eine
  • ganze Weile mit sich herumschleppte, denn der arme Staatsanwalt runzelte
  • seine Stirne und schaute nach allen Seiten aus, wahrscheinlich weil er
  • darüber nachsann, wie er sich von seinem freundlichen Reisebegleiter
  • befreien könne. Und in der Tat, seine Lage war wirklich unerträglich.
  • Nosdrjow hatte zwei Tassen Tee -- natürlich nicht ohne Rumzusatz
  • heruntergeschlürft und sich Mut getrunken. Jetzt log er wieder, daß sich
  • die Balken bogen. Als Tschitschikow ihn von ferne erblickte, entschloß
  • er sich sogar ein Opfer zu bringen, das heißt seinen angenehmen Platz zu
  • verlassen, und sich so schnell als möglich zu entfernen: denn er
  • versprach sich nichts Gutes von dieser Begegnung. Aber wie zum Trotz
  • tauchte plötzlich der Gouverneur neben ihm auf, um ihm seine große
  • Freude darüber auszudrücken, daß er Pawel Iwanowitsch endlich gefunden
  • habe, und hielt ihn fest, indem er ihn bat, Schiedsrichter in einem
  • kleinen Streit mit zwei Damen zu sein; man konnte sich nämlich nicht
  • darüber einigen ob die Liebe der Frau von Dauer sei oder nicht; jetzt
  • aber hatte Nosdrjow ihn schon bemerkt und ging geradewegs auf ihn zu:
  • »Ah! Der Chersoner Gutsbesitzer! Der Chersoner Gutsbesitzer!« schrie er,
  • während er näher kam und so laut lachte, daß seine frischen Backen, die
  • so rot waren wie Frühjahrsrosen, nur so zitterten: »Nun? Hast du viel
  • Tote gekauft? Sie wissen doch Exzellenz!« schrie er aus vollem Halse,
  • indem er sich an den Gouverneur wandte, »er handelt mit toten Seelen!
  • Bei Gott! Hör mal Tschitschikow! Hör doch, ich sag dir's in aller
  • Freundschaft, wir sind doch hier unter lauter Freunden, da ist ja auch
  • Seine Exzellenz, ich würde dich hängen lassen, bei Gott, ich lasse dich
  • hängen!«
  • Tschitschikow wußte nicht mehr, wie ihm wurde. »Sie werden mir's nicht
  • glauben, Exzellenz!« fuhr Nosdrjow fort: »wie er mir sagte: >Hör mal,
  • verkauf mir doch deine toten Seelen,< da bin ich fast geplatzt vor
  • Lachen. Dann komme ich in die Stadt, und da sagt man mir, er habe drei
  • Millionen Bauern gekauft, die er zur Kolonisation verwenden will, schöne
  • Kolonisation das! Er wollte mir doch Tote abkaufen. Hör mal
  • Tschitschikow: du bist ein Schwein, bei Gott, du bist ein Schwein! Da
  • ist ja auch seine Exzellenz, nicht wahr, Herr Staatsanwalt?«
  • Aber der Staatsanwalt und Tschitschikow waren so verlegen und verwirrt,
  • daß sie gar keine Antwort fanden; unterdessen aber fuhr Nosdrjow, der
  • ein wenig angeheitert war, ohne auf irgend jemand Rücksicht zu nehmen,
  • in seiner Rede fort: »Ja, ja mein Bester ... ich lasse dich nicht eher
  • los, als bist du mir sagst, wozu du die toten Seelen gekauft hast. Hör
  • mal, Tschitschikow, du solltest dich schämen; du weißt ja selbst, daß du
  • keinen besseren Freund hast, als mich. Sieh mal, da ist ja auch Seine
  • Exzellenz ... nicht wahr, Herr Staatsanwalt? Sie werden es nicht
  • glauben, Exzellenz, wie wir aneinander hängen, tatsächlich, wenn Sie
  • mich fragten -- hier steh ich, und wenn Sie mich fragten: >Nosdrjow, sag
  • mal auf Ehre und Gewissen, wer ist dir lieber, dein eigener Vater oder
  • Tschitschikow!< so müßte ich sagen: Tschitschikow! Bei Gott! ...
  • Herzchen komm laß mich dir einen Kuß, einen Baiser geben. Sie werden
  • wohl erlauben, daß ich ihn küsse, Exzellenz. Sträube dich doch nicht
  • Tschitschikow, laß mich dir doch ein Baiserchen auf deine schneeweiße
  • Wange drücken!« Aber Nosdrjow kam mit seinem Baiser so übel an, daß er
  • beinahe auf den Boden geflogen wäre. Alle zogen sich von ihm zurück und
  • hörten nicht mehr auf ihn. Allein seine Worte von dem Kauf der toten
  • Seelen waren doch so laut aus vollem Halse herausgeschrieen und von
  • einem so schallenden Gelächter begleitet worden, daß sie selbst die
  • Aufmerksamkeit _der_ Gäste auf sich lenkten, die sich in den
  • entferntesten Ecken des Zimmers befanden. Diese Nachricht klang so
  • seltsam, daß alle starr und stumm, mit einem halb fragenden, halb
  • törichten Ausdruck auf dem Gesichte dastanden. Tschitschikow bemerkte,
  • wie mehrere Damen sich mit den Augen Zeichen machten und sich boshaft
  • und gehässig zulächelten, und er glaubte in manchen Gesichtern etwas
  • ganz Eigentümliches und Zweideutiges zu entdecken, was die allgemeine
  • Verlegenheit noch verstärkte. Daß Nosdrjow ein Erzlügner und Schwindler
  • war, das wußte jedermann, und es wäre keinem Menschen aufgefallen, wenn
  • er etwas ganz Unsinniges und Törichtes von ihm gehört hätte; aber der
  • sterbliche Mensch ist -- nein, es ist wirklich schwer zu verstehen, wie
  • dieser sterbliche Mensch nun eigentlich beschaffen ist; so albern und
  • läppisch eine Neuigkeit auch sein mag, wenn es nur eine _Neuigkeit_ ist,
  • so wird er sie unbedingt einem andern Sterblichen mitteilen, wenn auch
  • nur um zu sagen: »Was sie da wieder für ein Lügenmärchen verbreiten!«
  • Und der andre Sterbliche wird höchst vergnügt die Ohren spitzen, wenn er
  • auch später sagen wird: »Aber das ist doch eine gemeine Lüge, der man
  • gar keine Beachtung schenken sollte!« Und gleich darauf wird er sich
  • aufmachen und sich einen dritten Sterblichen suchen, um ihm die
  • Geschichte zu erzählen und dann mit ihm zusammen in edler Empörung
  • auszurufen: »Was für eine gemeine Lüge!« Und so wird das Gerücht die
  • Runde durch die ganze Stadt machen, und alle Sterblichen, soviel ihrer
  • da sind, werden solange über die Sache sprechen, bis sie sie satt
  • kriegen, und dann behaupten, die ganze Geschichte sei es nicht wert, daß
  • man über sie rede.
  • Diese anscheinend so unbedeutende und belanglose Begebenheit hatte
  • unseren Helden indessen merklich verstimmt. So dumm und albern auch die
  • Reden eines Narren sind, oft reichen sie doch hin, um auch einen klugen
  • Mann in Verlegenheit zu bringen. Er fühlte sich plötzlich sehr
  • unbehaglich und peinlich berührt, wie wenn er mit einem schöngeputzten
  • Stiefel in eine schmutzige, stinkende Pfütze getreten wäre; mit einem
  • Wort, es war nicht schön, garnicht schön! Er versuchte es, nicht daran
  • zu denken, sich zu vergessen, zu zerstreuen, setzte sich sogar an den
  • Whisttisch, aber es ging alles schief wie ein verbogenes Rad: zweimal
  • spielte er die falsche Farbe aus, er vergaß sogar einmal, daß er eine
  • Karte nicht stechen durfte, holte mit der Hand aus und übertrumpfte
  • seine eigene Karte. Der Gerichtspräsident konnte es durchaus nicht
  • verstehen, wie es bloß möglich war, daß Pawel Iwanowitsch, der ein so
  • guter, ja man kann sagen feiner Spieler war, sich solche Schnitzer
  • zuschulden kommen und sogar seinen Pique-König übertrumpfen lassen
  • konnte, auf den er seine ganze Hoffnung gesetzt hatte, wie auf den
  • lieben Gott; dies waren seine eigenen Worte. Natürlich machten sich der
  • Postmeister, der Gerichtspräsident und sogar der Polizeimeister, wie das
  • zu geschehen pflegt, ein wenig über unsern Helden lustig und neckten ihn
  • damit, daß er wohl gar verliebt sei und daß Pawel Iwanowitsch, wie sie
  • ja wüßten, ein leicht entzündliches Herz habe. Auch sei es ihnen
  • bekannt, wer es verwundet hätte. Aber dieses war kein Trost für ihn, so
  • sehr er es auch versuchte, zu lächeln und die Scherze mit Scherzen zu
  • beantworten. Beim Abendessen wollte es ihm auch nicht gelingen, sich so
  • recht zur Geltung zu bringen, obwohl die Tischgesellschaft sehr angenehm
  • war und trotzdem man Nosdrjow schon längst hinausbefördert hatte, weil
  • selbst die Damen schließlich anerkennen mußten, daß sein Benehmen gar zu
  • skandalös war. Während des Kotillons hatte er nämlich ganz plötzlich auf
  • dem Parkett Platz genommen und die Tänzer bei den Frackschößen gepackt,
  • was nach dem Ausdruck der Damen, schon ein ganz unmögliches Betragen
  • war. Das Abendessen war sehr lustig: Alle Gesichter, die zwischen den
  • dreiarmigen Leuchtern, Blumen, Flaschen und Schüsseln mit Konfekt
  • hindurchschimmerten, glänzten vor eitel Freude und Befriedigung. Die
  • Offiziere, die Damen und die befrackten Herren -- flossen alle über vor
  • Liebenswürdigkeit bis zum Überdruß. Ein Oberst überreichte sogar seiner
  • Dame die Saucenschüssel, indem er sie auf der nackten Degenspitze
  • balancierte. Die älteren Herren, in deren Mitte auch Tschitschikow saß,
  • debattierten eifrig, und jedes treffende Wort wurde von einem kernhaften
  • Bissen Fisch oder Fleisch, der nur so von Senf triefte, begleitet; man
  • stritt gerade über die Gegenstände, für die sich Tschitschikow immer
  • lebhaft interessiert hatte, und doch glich er heute Abend einem
  • Menschen, der müde und zerschlagen von einem langen Wege heimgekehrt
  • ist, dessen Gehirn ihm den Dienst verweigert und dem nichts mehr
  • einfallen will. So wartete er denn nicht einmal das Ende des Soupers ab,
  • und fuhr viel früher nach Hause, als dies sonst seine Gewohnheit war.
  • Dort in jenem Zimmer, das der Leser so gut kennt, mit der Kommode, die
  • vor der Türe stand, und den hie und da aus den Ecken herausguckenden
  • Schwabenkäfern, wollten indessen sein Geist und seine Gedanken ebenso
  • wenig zur Ruhe kommen, wie der wacklige Lehnstuhl, in dem er saß. Es war
  • ihm sehr schwer ums Herz. Eine lastende Leere quälte ihn: »Wenn doch
  • alle die Menschen, welche diese Bälle erfunden haben, der Teufel holte!«
  • rief er wütend. »Welchen Anlaß haben sie nur, so zu jubeln? In der
  • Provinz herrschen Mißernte, Teuerung und Hungersnot, und sie geben
  • Bälle! Auch was Rechtes: hüllen sich da in alte Weiberlappen. Denken
  • Wunder was sie sind, wenn sie mehr als tausend Rubel auf ihrem Leibe
  • tragen! Das muß doch schließlich der Bauer mit seiner Steuer bezahlen,
  • und am Ende fällt es gar auf unsereinen zurück. Man weiß doch, weswegen
  • die Herren so heucheln und sich dennoch bezahlen lassen: um ihrer Frau
  • einen teuren Shawl, Roben und weiß der Teufel wie sie es sonst noch
  • nennen zu kaufen! Und wozu das alles? Damit nur ja keins von diesen
  • liederlichen Frauenzimmern sagen kann, die Frau Postmeisterin habe ein
  • besseres Kleid angehabt, -- deswegen schmeißt man tausend Rubel aus dem
  • Fenster. Da schreit man: ein Ball, ein Ball, wie amüsant! Ich mache mir
  • einen Dreck aus so 'nem Ball, das entspricht dem russischen Wesen gar
  • nicht, das ist eine ganz unrussische Einrichtung. Pfui Teufel noch
  • einmal: kommt da plötzlich ein reifer erwachsener Mensch im schwarzen
  • Frack wie ein nackter, gerupfter Teufel angesprungen und fuchtelt mit
  • den Beinen hin und her. Und ein anderer steht wohl gar mit einem andern
  • zusammen, unterhält sich mit ihm über eine ernste Angelegenheit und
  • führt rechts und links allerlei Arabesken auf dem Fußboden aus ... Das
  • ist alles nichts wie Nachäfferei; nichts wie Nachäfferei. Weil der
  • Franzose mit vierzig Jahren noch gerad so ein Kind ist, wie mit
  • fünfzehn, darum müssen wir's auch so machen! Nein wirklich, nach jedem
  • Ball ist mir zumute als hätte ich irgendein Verbrechen begangen, man
  • möchte lieber gar nicht daran denken! Der Kopf ist einem so leer wie
  • nach einem Gespräch mit einem vornehmen Weltmann: der schwatzt einem was
  • vor, berührt alles nur ganz obenhin, tischt einem was auf, was er sich
  • aus Büchern zusammengerafft hat; das klingt alles sehr schön und nett,
  • und doch ist einem der Kopf grad so leer, wie vordem; so daß man
  • schließlich überzeugt ist, daß eine Unterhaltung mit einem einfachen
  • Kaufmann, der nichts kennt wie sein Geschäft, es dafür aber auch
  • gründlich und aus dem ff kennt, mehr wert ist als all diese
  • Kinkerlitzchen. Was hat man nun von solch einem Ball? Wenn es zum
  • Beispiel einem Schriftsteller einfiele, diese ganze Szene zu schildern,
  • genau so wie sie sich abgespielt hat? Sie würde sich doch in einem Buche
  • genau so töricht und albern ausnehmen wie in Natur. Man weiß wirklich
  • nicht, wie sie wirken würde: sittlich oder unsittlich? Weiß der Teufel,
  • was das ist. Man würde nur ausspucken und das Buch zuklappen!« So
  • unfreundlich äußerte sich Tschitschikow über die Bälle im allgemeinen;
  • aber ich glaube, sein Unwillen hatte auch noch einen andern Grund. Was
  • ihn am meisten ärgerte, war in Wahrheit garnicht der Ball, sondern der
  • Umstand, daß er hereingefallen, plötzlich vor allen Leuten in Gott weiß
  • was für einem Lichte erschienen war, und dabei eine so seltsame und
  • höchst zweideutige Rolle gespielt hatte. Freilich, wenn er das
  • Vorgefallene mit dem Auge eines vernünftigen Menschen überschaute, sah
  • er, daß das alles nur Kleinigkeiten waren, und daß ein törichtes Wort
  • gar nichts zu bedeuten habe, besonders jetzt, wo die Hauptsache bereits
  • glücklich vollendet und erledigt war. Aber -- so seltsam ist nun einmal
  • der Mensch: was ihn so tief betrübte, war dies, daß er sich die
  • Zuneigung derselben Menschen verscherzt hatte, die er doch selbst nicht
  • achtete, über die er so hart urteilte und die er wegen ihrer Eitelkeit
  • und Putzsucht so scharf getadelt hatte. Das ärgerte ihn um so mehr, als
  • er sich bei genauerer Prüfung eingestehen mußte, daß er selbst einige
  • Schuld daran trug. Trotzdem zürnte er sich selber nicht im geringsten
  • und darin hatte er natürlich recht. Wir leiden alle an dieser kleinen
  • Schwäche, daß wir uns selbst gerne etwas schonen und uns lieber irgend
  • einen von unseren Nächsten aussuchen, an dem wir unseren Ärger auslassen
  • können, entweder einen Diener oder einen von unseren Untergebenen, der
  • uns gerade in den Weg läuft, oder unsere Frau, oder endlich gar einen
  • Stuhl, den wir gegen die Türe oder weiß der Teufel wohin schleudern,
  • sodaß ein Bein oder die Lehne bricht, damit die Herrschaften unseren
  • Zorn einmal gründlich kennen lernen! So fand auch Tschitschikow bald
  • einen Nächsten, der alles auf seinen Schultern davon tragen mußte, was
  • ihm sein Zorn eingab. Dieser liebe Nächste war Nosdrjow, und es läßt
  • sich nicht leugnen, daß er so kräftig von hinten und vorne und von allen
  • Seiten vermöbelt wurde, wie höchstens noch irgend ein Spitzbube von
  • einem Dorfschulzen oder ein Postkutscher von einem Reisenden, einem
  • Hauptmann mit reicher Erfahrung oder unter Umständen auch von einem
  • General vermöbelt wird, welcher zu den vielen klassischen Schimpfworten,
  • die er ihm an den Kopf wirft, noch eine ganze Reihe von andern
  • unbekannten auskramt, die seinem eigensten Erfindergeist entspringen.
  • Nosdrjows ganzer Stammbaum wurde hergenommen, und vielen Mitgliedern
  • seiner Familie in aufsteigender Linie wurde stark mitgespielt.
  • Aber während Tschitschikow so von trüben Gedanken geplagt, schlaflos in
  • seinem harten Lehnstuhle saß und Nosdrjow samt seiner ganzen Familie
  • tüchtig durchhechelte, während das Talglicht langsam niederbrannte,
  • dessen Docht schon ellenlang verkohlt war, sodaß die Kerze jede Minute
  • zu verlöschen drohte, während undurchdringliche nächtliche Finsternis
  • durchs Fenster blickte, und bei der nahenden Morgenröte schon im Begriff
  • war, in blaue Dämmerung umzuschlagen, während sich in der Ferne ab und
  • zu ein paar Hähne ihren Weckruf zukrähten, und irgendwo ein
  • Unglücklicher von unbekanntem Stand und Herkommen in einfachem
  • Wollmantel heimlich durch die stillen Straßen der verschlafenen Stadt
  • schlich, er, der nur den einen (leider nur den einen!) von dem
  • unbändigen russischen Volke ausgetretenen Weg kennt -- spielte sich am
  • andern Ende der Stadt ein Vorgang ab, welcher die peinliche Lage unseres
  • Helden noch verschlimmern sollte. Durch die entlegenen Straßen und
  • Gäßchen rasselte nämlich in diesem Augenblick ein gar seltsames Gefährt,
  • für welches nicht gleich ein Name zu finden wäre. Es hatte weder
  • Ähnlichkeit mit einem Bauernwagen, noch mit einer Kutsche, noch mit
  • einer Equipage, sondern glich eher einer pausbäckigen, dickbauchigen
  • Wassermelone, die man auf ein paar Räder gestellt hatte. Die Backen
  • dieser Wassermelone, d. h. die Wagentüren, welche noch Spuren von gelber
  • Farbe aufwiesen, schlossen sehr schlecht wegen des üblen Zustandes, in
  • dem sich die Klinken und Schlösser befanden, die nur notdürftig mit ein
  • paar Stricken zusammengebunden waren. Diese Wassermelone war mit
  • Kattunkopfkissen, die wie Tabaksbeutel, Rollkissen oder gewöhnliche
  • Kissen aussahen, und mit Säcken voll Getreide, Semmeln, Wecken und
  • Bretzeln aus gebrühtem Teig angefüllt. -- Oben guckten sogar eine
  • Hühner- und eine Salzpastete heraus. Auf dem Trittbrett stand eine
  • Gestalt, von lakaienhaftem Aussehen in einer gesprenkelten Jacke. Sie
  • war unrasiert, und ihre Haare begannen schon zu ergrauen. Mit einem
  • Wort, es war die bekannte Figur, die bei uns zu Lande »Bursch« genannt
  • zu werden pflegt. Der Lärm und das Gerassel der eisernen Klammern und
  • rostigen Schrauben weckten den Wächter am andern Ende der Stadt, sodaß
  • er seine Hellebarde aufrichtete und noch schlaftrunken aus voller Kehle:
  • Wer da? rief. Als er jedoch bemerkte, daß niemand da war, und nur ein
  • starkes Rasseln aus der Ferne herüber tönte, machte er sich flugs daran
  • ein Tierchen, das auf seinem Kragen saß, zu fangen, worauf er sich der
  • Laterne näherte, um hier eigenhändig das Todesurteil auf seinem Nagel zu
  • vollstrecken. Dann ließ er die Hellebarde wieder aus der Hand sinken, um
  • nach den Satzungen seines Ritterordens wieder einzuschlafen. Die Pferde
  • stolperten über ihre Vorderbeine, weil sie nicht beschlagen waren und
  • weil sie offenbar das bequeme Stadtpflaster noch nicht genügend kannten.
  • Die Kalesche machte noch ein paar Wendungen, indem sie aus einer Straße
  • in die andere einbog, und nahm endlich ihren Weg durch eine dunkle Gasse
  • an der kleinen Pfarrkirche St. Nikolaus vorüber, um vor dem Hause der
  • Frau Oberpfarrer Halt zu machen. Aus dem Wagen kroch ein Mädchen in
  • einem Flausrock und einem Tuch um den Kopf, und hämmerte mit beiden
  • Fäusten so stark auf das Tor los, wie ein Mann. (Der Bursche in dem
  • gesprenkelten Rock wurde erst nachher an den Füßen von seinem Standort
  • heruntergezogen, denn er schlief so fest wie ein Toter.) Die Hunde
  • fingen an zu bellen. Nach einiger Zeit öffnete sich auch das Tor und
  • verschlang, wenn auch nicht ohne Mühe, dieses plumpe Vehikel. Der Wagen
  • rollte in den engen Hof, in dem Holz aufgestapelt war, und in dem sich
  • mehrere Hühnerställe und andere Ställe befanden; zuletzt stieg noch eine
  • Dame aus dem Wagen; dies war die Gutsbesitzerin und Kollegiensekretärin
  • Korobotschka. Die alte Dame war bald nach der Abreise unseres Helden in
  • große Unruhe und Aufregung darüber geraten, daß sie von ihm betrogen
  • sein könnte, und hatte sich nach drei schlaflos verbrachten Nächten
  • endlich entschlossen, nach der Stadt zu fahren, obwohl die Pferde nicht
  • beschlagen waren, um dort Erkundigungen darüber einzuziehen, welchen
  • Kurs die toten Seelen hätten, und ob es nicht am Ende eine große Torheit
  • war, als sie sich überreden ließ, sie so billig zu verkaufen. Was ihre
  • Ankunft für Folgen hatte, kann der Leser aus einer Unterhaltung
  • entnehmen, welche bald darauf zwischen zwei Damen stattfand. Diese
  • Unterhaltung .... doch diese Unterhaltung mag lieber im nächsten Kapitel
  • stattfinden.
  • Neuntes Kapitel.
  • Eines Morgens, noch vor der Stunde, wo in der Stadt N. die Besuchszeit
  • beginnt, flatterte aus der Türe eines orangefarbenen, hölzernen Hauses
  • mit einem Erker und einigen blau angestrichenen Säulen, eine Dame in
  • einem eleganten gestreiften Kleidchen heraus, begleitet von einem Lakai
  • in einem Mantel mit mehreren Kragen und einem runden glänzenden Hut mit
  • goldenen Tressen. Die Dame hüpfte eilig die steile Treppe hinab, um
  • gleich darauf in dem vor der Türe haltenden Wagen zu verschwinden. Der
  • Lakai warf sogleich die Wagentüre zu, sprang auf das Trittbrett und
  • schrie dem Kutscher »Vorwärts!« zu. Die Dame brachte eine Neuigkeit mit,
  • die sie soeben erfahren hatte, und spürte ein schier unüberwindliches
  • Verlangen, sie auch anderen Leuten mitzuteilen. Sie blickte jeden
  • Augenblick aus dem Fenster und mußte sich zu ihrem unendlichen Ärger
  • überzeugen, daß sie kaum mehr als die Hälfte des Weges zurückgelegt
  • hatte. Jedes Haus kam ihr heute länger vor als gewöhnlich, das armselige
  • Asyl für alte Frauen mit seinen schmalen Fenstern schien gar kein Ende
  • nehmen zu wollen, so daß die Dame es schließlich nicht mehr aushielt und
  • ausrief: »Das verfluchte Haus, ist es denn noch immer nicht zu Ende!«
  • Der Kutscher hatte schon zweimal den Befehl erhalten, sich doch zu
  • beeilen: »Schneller, schneller, Andrjuschka! Du fährst ja heute
  • unerträglich langsam!« Endlich war das Ziel erreicht. Die Kutsche hielt
  • vor einem einstöckigen hölzernen Haus von dunkelgrauer Farbe mit weißen
  • Basreliefs über den Fenstern, vor denen sich ein hohes Holzgitter
  • befand; ein schmaler Staketenzaun friedigte das Ganze ein, dahinter
  • standen ein paar magere Bäumchen, die beständig mit Straßenstaub bedeckt
  • waren und daher ganz weiß aussahen. An den Fenstern sah man einige
  • Blumentöpfe, einen Papagei, der sich in seinem Käfig schaukelte, indem
  • er sich mit seinem Schnabel an ein Stäbchen anhakte, und zwei Hündchen,
  • die in der Sonne schliefen. In diesem Hause wohnte eine treue und
  • aufrichtige Freundin der soeben eingetroffenen Dame. Der Autor ist in
  • großer Verlegenheit, wie er beide Damen bezeichnen soll und zwar so, daß
  • ihm niemand deswegen zürne, wie man dies ehemals zu tun pflegte. Irgend
  • einen Familiennamen erfinden -- das wäre zu gefährlich. Was er auch für
  • einen Namen wählen würde -- es würde sich ganz sicher in irgend einem
  • Winkel unseres Landes -- groß genug ist es dazu -- jemand finden, der
  • denselben Namen trägt, ihm ganz ernstlich böse sein, sein Todfeind
  • werden und sagen würde, der Autor sei allein deswegen hingereist, um im
  • geheimen zu erforschen und zu erfahren, wer dieser Jemand eigentlich
  • sei, in was für einem Pelz er spazieren gehe, bei welcher Frau Agrafena
  • Iwanowna er verkehre, und was seine Lieblingsgerichte seien; oder nenne
  • ihn bei seinem Rang und Titel -- so begibst du dich in eine noch größere
  • Gefahr. Gott behüte! Heutzutage sind alle Berufe und Stände bei uns so
  • empfindlich geworden, daß sie alles, was sie in einem Buche gedruckt
  • lesen, sofort für eine persönliche Beleidigung halten: das liegt nun mal
  • so in der Luft. Man braucht nur zu erklären: in der und der Stadt gebe
  • es einen dummen Kerl -- sofort ist's eine persönliche Beleidigung: im
  • Handumdrehen meldet sich schon ein Herr von sehr würdigem Äußeren und
  • schreit einen an: »Ich bin doch auch ein Mensch, also bin ich wohl
  • dumm?« Mit einem Wort, er hat es sogleich heraus, um was es sich
  • handelt. Und darum wollen wir, um all diesen unangenehmen Eventualitäten
  • aus dem Wege zu gehen, _die_ Dame, welche den Besuch erhielt, so nennen,
  • wie sie fast einstimmig von der ganzen Stadt N. genannt wurde: nämlich:
  • die _in jeder Beziehung angenehme_ Dame. Diesen Namen hatte sie von
  • Rechts wegen erhalten, denn sie hatte in der Tat kein Mittel gescheut,
  • um im höchsten Grade angenehm und liebenswürdig zu erscheinen, obwohl
  • freilich aus ihrer Liebenswürdigkeit oft die ganze Schlauheit und
  • Gewandtheit des weiblichen Charakters hervorblickte, und in manch einem
  • ihrer stets angenehmen Worte eine ganz gefährliche Spitze verborgen lag!
  • Garnicht erst davon zu reden, was für ein Grimm gegen jede in ihrem
  • Herzen kochte, die es gewagt hätte, auf irgend eine Weise in eine erste
  • Stellung einzurücken. Aber dies alles kleidete sich in das Gewand
  • feinster weltmännischer Formen, wie man sie nur in einer Provinzstadt
  • finden kann. Jede ihrer Bewegungen war geschmackvoll, sie schwärmte sehr
  • für lyrische Gedichte, verstand es sogar, hin und wieder ihr Köpfchen
  • träumerisch auf die Schulter sinken zu lassen, mit einem Wort, alle
  • waren einverstanden, daß sie wirklich eine _in jeder Beziehung angenehme
  • Dame_ sei. Die andre Dame, das heißt jene, welche soeben angekommen war,
  • hatte keinen so vielseitig veranlagten Charakter, und daher wollen wir
  • sie _bloß die angenehme Dame_ nennen. Ihre Ankunft weckte die Hündchen,
  • welche sich auf der Fensterbank sonnten: die zottige Adèle, die sich
  • beständig in ihrem eigenen Pelze verstrickte und den Rüden Potpourri,
  • der zwei Paar äußerst dünne Beinchen hatte. Beide stürzten mit
  • geringelten Schwänzen und unter lebhaftem Gebell ins Vorzimmer, wo die
  • neuangekommene Dame sich soeben ihres Shawles entledigte und nun in
  • einem Kleid von neustem Schnitt und moderner Farbe, mit einer langen Boa
  • um den Hals dastand. Ein intensiver Jasmingeruch verbreitete sich durch
  • das ganze Zimmer. Kaum hatte die in jeder Beziehung angenehme Dame von
  • der Ankunft der bloß angenehmen Dame erfahren, als auch sie schon ins
  • Vorzimmer gelaufen kam. Beide Freundinnen ergriffen sich bei der Hand,
  • küßten sich und schrieen dabei auf, wie zwei junge Mädchen, die sich
  • bald nach ihrer Entlassung aus dem Pensionat wieder treffen, bevor noch
  • die beiden Mütter ihnen klar gemacht haben, daß der Vater der einen
  • ärmer und kein so hoher Beamter ist, als der Vater der andern. Sie
  • küßten sich so laut, daß beide Hündchen wieder zu bellen begannen, wofür
  • sie einen sanften Schlag mit dem Tuche erhielten, -- und beide Damen
  • begaben sich in den natürlich blautapezierten Salon, in dem ein Sofa,
  • ein ovaler Tisch und ein paar Fensterschirme standen, um die sich Efeu
  • rankte; nach ihnen kam die zottige Adèle und der große Potpourri mit den
  • langen Beinen knurrend ins Zimmer gelaufen. »Hierher, hierher, in dieses
  • Eckchen!« sagte die Hausfrau, indem sie den Gast in einer Ecke des Sofas
  • Platz nehmen ließ. »So ist's schön, so ist's recht! Da haben Sie auch
  • ein Kissen!« Mit diesen Worten schob sie jener ein schön gesticktes
  • Kissen in den Rücken; die Stickerei stellte einen von jenen Rittern dar,
  • wie sie gewöhnlich auf Tülle gestickt werden: seine Nase hatte große
  • Ähnlichkeit mit einer Treppe und die Lippen waren viereckig. »Wie froh
  • ich bin, daß Sie ... Ich höre jemand vorfahren und denke mir, wer könnte
  • das wohl sein, schon so früh? Parascha meinte, es sei die Frau
  • Vizegouverneur, und ich sage noch zu ihr: sollte die dumme Person schon
  • wieder gekommen sein, um mich zu langweilen? ich wollte mich schon
  • verleugnen lassen ...«
  • Die andre Dame war schon im Begriff zur Sache zu kommen und ihre
  • Neuigkeit auszukramen, aber ein Ausruf, den die in jeder Beziehung
  • angenehme Dame in diesem Augenblick tat, gab dem Gespräch eine ganz neue
  • Wendung.
  • »Was für ein hübscher heller Kattunstoff!« rief die in jeder Beziehung
  • angenehme Dame, während sie das Kleid der bloß angenehmen Dame
  • aufmerksam musterte.
  • »Ja ein sehr heller lebhafter Stoff! Praskowja Fjodorowna findet aber,
  • daß es hübscher aussehen würde, wenn die Karos noch etwas kleiner und
  • die Pünktchen nicht braun, sondern blau wären. Ich habe meiner Schwester
  • einen Stoff geschickt; der ist so entzückend! ich kann's gar nicht
  • sagen! Denken Sie nur: ganz schmale schmale Streifchen, auf blauem
  • Grunde, so schmal wie man sich's überhaupt nur vorstellen kann und
  • zwischen zwei Streifen immer Äuglein und Pfötchen, Äuglein und Pfötchen
  • .... Mit einem Wort, ganz herrlich! Man kann getrost behaupten, etwas
  • Schöneres hat es noch nie auf der Welt gegeben.«
  • »Wissen Sie, Liebste, das wirkt zu bunt.«
  • »Oh nein! Gar nicht bunt!«
  • »Oh doch! Viel zu bunt!«
  • Hier muß ich einschalten, daß die in jeder Beziehung angenehme Dame in
  • gewissem Sinne Materialistin war, eine starke Neigung zur Negation und
  • zum Zweifel hatte und sehr vieles an diesem Leben verneinte.
  • Jetzt aber erklärte die bloß angenehme Dame, daß es durchaus nicht zu
  • bunt sei, und rief: »Ach ja, ich gratuliere, man trägt keine
  • Faltenbesätze mehr!«
  • »Wieso trägt man keine mehr?«
  • »Statt dessen werden jetzt nur noch Festons getragen!«
  • »Ach! Festons sind doch aber nicht hübsch!«
  • »Ja man trägt nur noch Festons, nichts wie Festons. Pelerinen aus
  • Festons, auf den Ärmeln Festons, Aufsätze aus Festons, unten Festons,
  • mit einem Wort überall Festons.«
  • »Das ist aber schade Sofja Iwanowna, Festons sind nicht hübsch!«
  • »Doch Anna Grigorjewna, sie machen sich reizend, ganz entzückend, man
  • näht sie so: erst faltet man sie zweimal, läßt einen breiten Schlitz und
  • oben ... Aber warten Sie, jetzt muß ich Ihnen etwas erzählen, worüber
  • Sie sich wundern werden und sagen werden, daß ... Ja wundern Sie sich
  • nur: die Taillen werden jetzt viel länger getragen, vorn laufen sie ein
  • wenig spitz aus und das vordere Fischbein ragt ganz weit hervor; der
  • Rock wird rings herum gerafft wie bei den alten Reifröcken, und sogar
  • hinten ein wenig wattiert, ganz _à la belle femme_.«
  • »Nein, wissen Sie, das geht zu weit! Das muß ich denn doch sagen!« rief
  • die in jeder Beziehung angenehme Dame aus, machte eine empörte
  • Kopfbewegung und richtete sich im Gefühl ihrer Würde stolz auf.
  • »Sehr richtig, das geht zu weit, das muß ich auch sagen!« antwortete die
  • bloß angenehme Dame.
  • »Nein, Verehrteste, machen Sie was Sie wollen, aber da tue ich nicht
  • mit!«
  • »Ich auch nicht ... Wenn man sich vorstellt, was nicht alles Mode wird
  • ... da hört doch alles auf! Ich habe meine Schwester um den Schnitt
  • gebeten, bloß so zum Scherz, wissen Sie. Meine Melanie ist eben am
  • Nähen.«
  • »Was, Sie haben den Schnitt?« rief die in jeder Beziehung angenehme Dame
  • aus, nicht ohne daß man ihr eine gewisse innere Bewegung angemerkt
  • hätte.
  • »Natürlich. Meine Schwester hat ihn mitgebracht!«
  • »Herzchen, geben Sie ihn mir, bei allem, was Ihnen heilig ist!«
  • »Schade, ich habe ihn schon Proskowja Iwanowna versprochen. Vielleicht
  • nach ihr?«
  • »Wer wird denn etwas tragen, was Proskowja Iwanowna schon getragen hat?
  • Ich fände das sehr merkwürdig von Ihnen, wenn Sie eine Fremde ihrer
  • nächsten Freundin vorzögen!«
  • »Aber sie ist doch meine Tante zweiten Grades?«
  • »Ach, was ist das für eine Tante. Sie sind doch nur durch Ihren Mann mit
  • ihr verwandt ... Nein, Sofja Iwanowna, davon will ich gar nichts hören
  • -- Sie wollen mich beleidigen, Sie haben mich wohl schon satt bekommen
  • und wollen die Bekanntschaft mit mir abbrechen ...«
  • Die arme Sofja Iwanowna wußte garnicht, was sie anfangen sollte. Sie
  • merkte sehr gut, in welch ein Kreuzfeuer sie geraten war. Das kam von
  • der Wichtigtuerei! Sie hätte sich ihre dumme Zunge mit Nadeln zerstechen
  • mögen.
  • »Nun, und was macht unser Galan?« fuhr jetzt die in jeder Beziehung
  • angenehme Dame fort.
  • »Ach Gott, ach Gott. Und da sitze ich die ganze Zeit über mit Ihnen
  • zusammen. Eine schöne Geschichte! Wissen Sie Anna Grigorjewna, was ich
  • Ihnen für eine Neuigkeit mitgebracht habe?« Hier ging ihr der Atem aus,
  • ein ganzer Schwall von Worten drängte sich ihr auf die Zunge wie eine
  • Schar von Habichten, die wie ein Sturmwind dahinjagen und sich in
  • schnellem Fluge zu überholen streben. Es gehörte schon die ganze
  • unmenschliche Härte und Grausamkeit ihrer treusten Freundin dazu, um ihr
  • an dieser Stelle ins Wort zu fallen.
  • »Loben Sie ihn und heben Sie ihn in den Himmel, soviel Sie wollen,«
  • sagte sie mit einer ungewöhnlichen Lebhaftigkeit. -- »Und ich sage Ihnen
  • -- ich will es ihm meinetwegen selbst ins Gesicht sagen: er ist ein
  • nichtswürdiger Mensch; ein _nichts_würdiger, nichts_würdiger_ Mensch!«
  • »Ja aber hören Sie doch nur, was ich Ihnen mitzuteilen habe!«
  • »Da redet alle Welt davon, daß er schön sei, und dabei ist er nichts
  • weniger als schön, nichts weniger -- seine Nase -- er hat eine geradezu
  • widerwärtige Nase.«
  • »Aber lassen Sie mich, lassen Sie mich Ihnen doch erzählen, Herzchen,
  • Anna Grigorjewna, so lassen Sie mich doch nur erzählen. Das ist ja eine
  • ganze Geschichte, ich sage Ihnen, eine Geschichte >Bö kon apell
  • istoar<,« sprach die Freundin mit dem Ausdruck vollkommenster
  • Verzweiflung und mit flehender Stimme. -- Es ist vielleicht nicht
  • überflüssig, bei dieser Gelegenheit zu erwähnen, daß beide Damen sehr
  • viel fremde Worte und sogar lange französische Phrasen in ihr Gespräch
  • einflochten. Aber so groß die Ehrfurcht ist, die der Verfasser für die
  • französische Sprache hegt, wegen der heilsamen Folgen, die sie für unser
  • Vaterland hat, so groß seine Achtung vor jener löblichen Sitte unserer
  • besseren Kreise ist, welche diese Sprache zu allen Tageszeiten,
  • natürlich nur aus innigster Liebe für ihr Vaterland, zu ihrer
  • Verständigung gebrauchen, er kann es trotzdem nicht über sich gewinnen,
  • einen Satz aus einer fremden Sprache in diese rein russische Dichtung
  • hineinzunehmen, und so fahren wir denn auch russisch fort.
  • »Was für eine Geschichte?«
  • »Ach, meine liebste Anna Grigorjewna, wenn Sie sich bloß vorstellen
  • könnten, in was für einer Lage ich mich befand! Denken Sie sich, da
  • kommt heute die Oberpfarrerin, die Frau Oberpfarrer, die Frau des Vater
  • Cyrill zu mir; na, und was denken Sie? unser sanfter Heinrich! Sie
  • wissen schon: der neue Gast, ja was sagen Sie bloß zu ihm?«
  • »Wie? Er schneidet doch nicht am Ende der Frau Oberpfarrer die Kur?«
  • »Ach, je! Anna Grigorjewna! Das wäre noch nicht das schlimmste! Nein,
  • hören Sie bloß, was die Frau Oberpfarrer mir erzählt hat! >Denken Sie
  • sich,< sagte sie, >kommt da plötzlich die Gutsbesitzerin Karobotschka
  • bleich wie der Tod zu mir gestürzt und erzählt mir, nein, Sie glauben
  • garnicht, was die mir erzählt hat. Hören Sie doch nur, was die mir
  • erzählt hat! Das ist ja der reinste Roman! Mitten in der Nacht, während
  • im Hause schon alles schlief, hört sie plötzlich einen Höllenlärm, wie
  • man ihn sich schlimmer garnicht denken kann; mit aller Gewalt wird ans
  • Tor geklopft, und sie hört eine menschliche Stimme rufen: >Macht auf!
  • Macht auf! Sonst stoß ich das Tor ein ...< Nun, wie gefällt Ihnen das?
  • Was sagen Sie bloß zu unserm Galan?«
  • »Ja, ist denn die Karobotschka jung und hübsch?«
  • »Ach, was! Eine alte Schachtel!«
  • »Das sind aber schöne Geschichten! Also hat er sich wohl an die Alte
  • rangemacht? Na, unsere Damen haben auch einen guten Geschmack, das kann
  • man wohl sagen. Haben gerade den Rechten erwischt zum Verlieben!«
  • »Aber nicht doch, Anna Gregorjewna! Es ist ganz anders, wie Sie
  • vermuten. Denken Sie sich, plötzlich steht er bis an die Zähne bewaffnet
  • vor ihr, der reinste Rinaldo Rinaldini, und brüllt sie an: >Verkaufe mir
  • die Seelen derer, die gestorben sind,< sagte er. Die Karobotschka
  • antwortet natürlich ganz vernünftig: >Ich kann sie nicht verkaufen; sie
  • sind doch schon tot.< -- >Nein,< ruft er, >sie sind nicht tot. Das ist
  • meine Sache, zu wissen, ob sie tot sind oder nicht,< sagte er. >Sie sind
  • nicht tot, sind nicht tot!< schreit er. >Sie sind nicht tot!< Mit einem
  • Wort, er macht einen furchtbaren Skandal, das ganze Dorf läuft zusammen,
  • die Kinder heulen, alles schreit durcheinander, kein Mensch versteht den
  • andern, kurz: ein Orrörrr, Orrörrr, Orrörrr! Sie können sich garnicht
  • vorstellen, Anna Grigorjewna, wie erschrocken ich war, als ich dies
  • alles hörte. >Liebe gnädige Frau,< sagt meine Maschka zu mir. >Besehen
  • Sie sich doch in dem Spiegel! Sie sind ganz bleich!< >Ach, jetzt ist mir
  • nicht darum zu tun,< sage ich, >ich muß schnell zu Anna Grigorjewna
  • hinfahren und es ihr erzählen.< Ich lasse sofort anspannen. Mein
  • Kutscher Andruschka fragt mich, wohin er fahren soll, aber ich bringe
  • kein Wort heraus und sehe ihm nur ganz blöde ins Gesicht. Ich glaube
  • wahrhaftig, er hat gedacht, ich sei verrückt geworden. Ach, Anna
  • Grigorjewna, wenn Sie sich nur vorstellen könnten, wie mich das
  • aufgeregt hat!«
  • »Hm! Das ist sehr merkwürdig!« sagte die in jeder Beziehung angenehme
  • Dame. »Was hat das wohl zu bedeuten, das mit den toten Seelen? Ich muß
  • gestehen, von dieser Geschichte verstehe ich nichts, rein garnichts.
  • Jetzt höre ich bereits zum zweiten Male von diesen toten Seelen. Und da
  • behauptet mein Mann, daß Nosdrjow lügt! Irgend etwas steckt sicher
  • dahinter!«
  • »Nein, aber denken Sie sich bloß in meine Lage hinein, Anna Grigorjewna,
  • wie mir zu Mute war, als ich das hörte!»Und jetzt,« sagt Karobotschka,
  • »weiß ich gar nicht, was ich anfangen soll! Er hat mich gezwungen irgend
  • eine falsche Urkunde zu unterschreiben,« sagt sie, »und mir dann
  • fünfzehn Rubel in Papier auf den Tisch geworfen. Ich,« sagt sie, »bin
  • eine unerfahrene hilflose Witwe und verstehe nichts von diesen Sachen.«
  • Das ist 'ne Geschichte! Nein, wenn Sie sich bloß vorstellen könnten, wie
  • mich das alles aufgeregt hat.«
  • »Nein, sagen Sie was Sie wollen! Hier handelt es sich nicht um die toten
  • Seelen! Da steckt etwas ganz anderes dahinter.«
  • »Ich muß gestehen, ich dachte schon selbst daran,« sagte die bloß
  • angenehme Dame ein wenig erstaunt. Sie wurde sofort von der heftigsten
  • Begierde gepeinigt, zu erfahren, was wohl dahinter stecken könne, und
  • daher sprach sie gedehnt: »Und was glauben Sie, was dahinter steckt?«
  • »Nun, was denken Sie wohl?«
  • »Was ich denke ...? Ich muß sagen ich stehe wie vor einem Rätsel.«
  • »Ich möchte aber doch wissen, was Sie sich wohl dabei gedacht haben?«
  • Allein der angenehmen Dame fiel nichts ein und daher schwieg sie. Sie
  • konnte sich bloß über die Dinge aufregen, aber feine Vermutungen und
  • Kombinationen aufzustellen, das war nicht ihre Sache, und daher empfand
  • sie mehr als jede andere ein starkes Bedürfnis nach zärtlicher
  • Freundschaft, Rat und Beistand.
  • »Nun gut, dann will ich es Ihnen sagen, was diese toten Seelen zu
  • bedeuten haben,« sagte die in jeder Beziehung angenehme Dame und ihre
  • Freundin horchte auf und war ganz Ohr; ihre Ohren spitzten sich wie von
  • selbst. Sie richtete sich im Sitzen auf, sodaß sie das Sofa kaum noch
  • berührte und obwohl sie etwas kompakt war, wurde sie plötzlich beinahe
  • schlank und leicht wie Federflaum, sodaß man hätte glauben können, ein
  • noch so leichter Lufthauch müßte sie mit sich emportragen.
  • So scheint ein vornehmer russischer Junker, ein Hundefreund, Jäger und
  • Draufgänger, wenn er sich dem Walde nähert, aus dem eben ein von den
  • Treibern halb tot gehetzter Hase herausspringt, sich mit seinem Roß und
  • der hocherhobenen Koppelpeitsche in der Hand in einem geronnenen
  • Augenblick in ein Pulverfaß zu verwandeln, in das im nächsten Moment der
  • zündende Funke fallen soll. Seine Augen möchten die trübe Luft
  • durchbohren, und für das arme Tier gibts kein Entrinnen mehr. Er setzt
  • ihm unaufhaltsam nach, und selbst wenn tausend wirbelnde Schneefelder
  • sich gegen ihn erhöben, die ihm mit ganzen Garben silberner Sterne Mund
  • und Augen, Schnurrbart, Augenbrauen und die kostbare Bibermütze
  • überschütteten.
  • »Die toten Seelen ..« sagte die in jeder Beziehung angenehme Dame.
  • »Wie? Was?« fuhr die Freundin ganz aufgeregt dazwischen.
  • »Die toten Seelen ...!«
  • »Ach so sprechen Sie doch, um Gottes Willen!«
  • »Sind eine bloße Erfindung und nichts wie ein Vorwand. Hier handelt es
  • sich in Wahrheit um folgendes: er will die Tochter des Gouverneurs
  • entführen.«
  • Diese Schlußfolgerung kam in der Tat sehr unerwartet und war in jeder
  • Beziehung ungewöhnlich. Als die angenehme Dame dieses hörte, blieb sie
  • wie versteinert auf ihrem Platze sitzen; sie erbleichte, wurde blaß wie
  • der Tod, und geriet diesmal ernstlich in Aufregung. »Oh mein Gott!« rief
  • sie, indem sie die Hände zusammenschlug: »das hätte ich mir wirklich
  • nicht träumen lassen!«
  • »Ich muß sagen, Sie hatten kaum den Mund aufgetan, da wußte ich schon,
  • worum es sich handelt« antwortete die in jeder Beziehung angenehme Dame.
  • »Was soll man aber nach alledem von der Erziehung im Pensionat denken.
  • Die liebe Unschuld!«
  • »Schöne Unschuld! Ich habe die Dinge reden hören! wahrhaftig ich hätte
  • nicht den Mut gehabt, so etwas auszusprechen.«
  • »Wissen Sie, Anna Grigorjewna, es ist wirklich zu schmerzlich, wenn man
  • sieht, wie weit heute die Unsittlichkeit geht!«
  • »Und die Herren sind ganz verschossen in sie. Ich dagegen muß gestehen,
  • daß ich nichts an ihr finden kann.«
  • »Sie ist schrecklich affektiert, geradezu unerträglich affektiert.«
  • »Ach liebste Anna Grigorjewna, sie ist kalt wie ein Marmorbild, ohne den
  • geringsten Ausdruck im Gesicht.«
  • »Nein, wie affektiert, wie schrecklich affektiert sie ist, Gott, wie
  • affektiert! Wer sie das nur gelehrt haben mag? Aber ich habe noch nie
  • ein Mädchen gesehen, das ein so geziertes Wesen gehabt hätte.«
  • »Liebste, Sie ist eine Marmorstatue, und bleich wie der Tod.«
  • »Ach, sagen Sie doch das nicht, Sofia Iwanowna, sie legt ja Rot auf, daß
  • es 'ne Schande ist.«
  • »Nein, was sprechen Sie, Anna Grigorjewna; sie ist ja bleich wie Kreide,
  • ganz wie Kreide.«
  • »Meine Liebe, ich habe doch neben ihr gesessen, die Schminke sitzt ihr
  • ja fingerdick auf den Wangen, und bröckelt stückweise ab wie der Kalk
  • von der Wand. Das hat sie von ihrer Mutter. Die ist selbst eine
  • abgefeimte Kokette, aber die Tochter ist der Mutter noch über.«
  • »Nein, erlauben Sie, nein, sagen Sie selbst, wobei ich schwören soll,
  • ich gebe gleich alles hin, meinen Mann, meine Kinder, all mein Hab und
  • Gut, wenn sie auch nur ein bißchen, ein Fünkchen, auch nur einen Anflug
  • von Farbe hat!«
  • »Ach, was reden Sie bloß, Sofia Iwanowna,« sagte die in jeder Beziehung
  • angenehme Dame, und schlug die Hände zusammen.
  • »Nein, wie sonderbar Sie sind! wirklich, Anna Grigorjewna, ich sehe Sie
  • bloß an und staune!« sagte die angenehme Dame, und schlug gleichfalls
  • die Hände zusammen.
  • Der Leser darf sich nicht darüber wundern, daß beide Damen sich durchaus
  • nicht über das einigen konnten, was sie doch fast zu gleicher Zeit
  • gesehen hatten. Es gibt tatsächlich sehr viele Dinge auf der Welt, die
  • diese merkwürdige Beschaffenheit haben; werden sie von _einer_ Dame
  • betrachtet, so sind sie ganz weiß; betrachtet sie dagegen eine andre
  • Dame, so sind sie ganz _rot_, rot wie Preißelbeeren.
  • »Nun, da haben Sie _noch_ einen Beweis dafür, daß sie blaß ist,« fuhr
  • die angenehme Dame fort: »ich erinnere mich noch ganz deutlich, wie wenn
  • es heute wäre, daß ich neben Manilow saß und zu ihm sagte: >Sehen Sie
  • doch, wie bleich sie ist!< Wirklich, man muß schon so unvernünftig sein,
  • wie unsere Herren, um sich für sie zu begeistern. Und unser Herr Galan
  • ... Herrgott, wie er mir in diesem Augenblick widerwärtig war! Sie
  • können sich garnicht vorstellen, wie er mir widerwärtig war!«
  • »Und doch gab es gewisse Damen, denen er nicht ganz gleichgültig war.«
  • »Meinen Sie mich, Anna Grigorjewna? Das können Sie doch wirklich nicht
  • sagen. Niemals, niemals!«
  • »Ich spreche doch nicht von Ihnen, es gibt doch noch andre Frauen auf
  • der Welt!«
  • »Niemals, niemals, Anna Grigorjewna. Erlauben Sie mir zu bemerken, daß
  • ich mich sehr gut kenne; das trifft mich wirklich nicht, aber vielleicht
  • andre Damen, die sich den Schein der Unnahbarkeit zu geben suchen.«
  • »Nein, verzeihen Sie Sofia Iwanowna, bitte lassen Sie sich sagen, daß
  • ich noch nie in eine solche Skandalgeschichte verwickelt war. So etwas
  • mag vielleicht jeder andern begegnen, aber mir nicht, Sie müssen mir
  • schon gestatten, Ihnen dieses zu bemerken.«
  • »Warum sind Sie denn so gekränkt? Außer Ihnen waren doch noch andre
  • Damen anwesend, welche den Stuhl an der Türe zu allererst besetzen
  • wollten, um möglichst nahe bei ihm zu sitzen.«
  • Man hätte meinen sollen, diese Worte der angenehmen Dame hätten
  • unbedingt ein Ungewitter zur Folge haben müssen; aber merkwürdigerweise
  • verstummten beide Damen ganz plötzlich, und der erwartete Sturm blieb
  • aus. Die in jeder Beziehung angenehme Dame erinnerte sich noch zur
  • rechten Zeit, daß der Schnitt zum neuen Kleide noch nicht in ihrer Hand
  • war, und die bloß angenehme Dame war sich darüber klar, daß sie noch gar
  • keine Einzelheiten über die Entdeckung ihrer besten Freundin wußte, und
  • daher schloß man sehr schnell wieder Frieden. Übrigens kann man nicht
  • sagen, daß beide Damen von Natur das Bedürfnis hatten, sich
  • Unannehmlichkeiten zu bereiten, auch hatten sie nicht eigentlich einen
  • boshaften Charakter, es kam gleichsam ganz von selbst, daß sich während
  • des Gespräches der fast unmerkliche Wunsch in ihnen regte, einander
  • einen kleinen Hieb zu versetzen; da ereignete es sich denn zuweilen, daß
  • es der einen von beiden eine kleine Freude machte, der Freundin bei
  • Gelegenheit ein herzhaftes Wort zu sagen: »Da hast du's! nimm und friß
  • es!« So verschieden sind Herzensbedürfnisse beim männlichen und
  • weiblichen Geschlechte.
  • »Ich kann nur eins nicht verstehen,« sagte die bloß angenehme Dame, »wie
  • Tschitschikow, der doch hier nur auf der Durchreise ist, sich zu einem
  • so tollkühnen Abenteuer entschließen konnte. Er muß doch irgend welche
  • Helfershelfer haben.«
  • »Und Sie glauben wohl er hat keine?«
  • »Und was meinen Sie, wer könnte ihm dabei helfen?«
  • »Nun, zum Beispiel -- Nosdrjow!«
  • »Glauben Sie wirklich -- Nosdrjow?«
  • »Warum nicht. Der ist doch zu allem fähig. Wissen Sie denn nicht, er hat
  • seinen leiblichen Vater verkaufen oder richtiger am Kartentisch
  • verspielen wollen.«
  • »Gott, was für interessante Neuigkeiten ich von Ihnen erfahre! Ich hätte
  • nie gedacht, daß auch Nosdrjow in diese Geschichte verwickelt sei.«
  • »Und ich hab es mir gleich gedacht!«
  • »Wenn man denkt, was in der Welt alles vorfällt! Sagen Sie bloß, wer
  • hätte es damals vermuten können, als Tschitschikow zum Besuch in unsere
  • Stadt kam, daß er solche tolle Sprünge machen würde? Ach Anna
  • Grigorjewna, wenn Sie wüßten, wie mich das aufregt! Wenn ich Sie nicht
  • hätte, Ihre Freundschaft und Ihre Güte .... Ich stände wirklich wie vor
  • einem Abgrund .... Wo sollte ich nur hin? Meine Maschka schaut mich an,
  • sieht daß ich bleich bin wie der Tod, und sagt zu mir: >Liebe gnädige
  • Frau, Sie sind ja bleich wie der Tod!< Und ich sage ihr noch: >Ach
  • Maschka, mir gehen jetzt ganz andere Gedanken im Kopf herum!< Nein so
  • etwas! Und der Nosdrjow steckt auch dahinter! Schöne Geschichte das!«
  • Die angenehme Dame brannte darauf, noch weitere Details über die
  • Entführung d. h. etwas über den Tag, die Stunde und so weiter zu
  • erfahren, aber sie verlangte zu viel. Die in jeder Beziehung angenehme
  • Dame erklärte ganz einfach, sie wüßte nichts darüber. Und sie log
  • niemals: eine kühne Hypothese aufstellen -- das war eine andre Sache,
  • aber auch dies gelang ihr nur dann, wenn diese Hypothese auf einer
  • tiefen inneren Überzeugung beruhte; war diese innere Überzeugung aber
  • wirklich vorhanden, dann verstand es die Dame auch für sie einzustehen,
  • da hätte es der größte Advokat, der berühmteste Wortfechter und Sieger
  • über fremde Überzeugungen nur versuchen sollen, sich mit ihr im
  • Wettkampfe zu messen --: hier hätte er erst gemerkt, was das bedeutet:
  • eine innere Ueberzeugung.
  • Daß beide Damen zuletzt ganz fest davon überzeugt waren, was sie vordem
  • auf die bloße Vermutung hin angenommen hatten, das ist durchaus nicht
  • merkwürdig. Unser einer, mit einem Wort wir, die wir uns gescheidte
  • Leute nennen, handeln doch genau ebenso, und der beste Beweis dafür sind
  • unsere gelehrten Erörterungen. So ein Gelehrter geht zuerst auch an die
  • Sache heran wie ein richtiger Gauner, er beginnt ganz vorsichtig und
  • fast schüchtern mit einer ganz bescheidenen Frage: »Hat nicht dies Land
  • seinen Namen von dorther, von jenem Winkel der Erde?« oder »Gehört nicht
  • vielleicht diese Urkunde einer anderen, späteren Zeit an?« oder »Müssen
  • wir nicht dies Volk für das und das Volk halten?« Hierauf zitiert er
  • sofort den und den Schriftsteller des Altertums, kaum aber hat er irgend
  • eine Anspielung entdeckt oder doch etwas was _er_ für eine Anspielung
  • hält, so legt er auch schon im kühnen Galopp los, bekommt Mut, beginnt
  • mit den alten Schriftstellern zu sprechen wie mit seinesgleichen,
  • richtet Fragen an sie, die er sogar selbst in ihrem eigenen Namen
  • beantwortet, und er hat plötzlich ganz vergessen, mit welch bescheidener
  • Hypothese er angefangen hat; jetzt kommt es ihm schon so vor, als sähe
  • er dies alles vor Augen, so klar ist es ihm jetzt und er beschließt
  • seine Betrachtung mit den Worten: »Und so ist es gewesen. Dies Volk also
  • war es. Das ist der Standpunkt, von dem aus dieser Gegenstand beurteilt
  • werden muß!« Und dann wird es feierlich vom Katheder verkündet, daß alle
  • es hören können -- und die neue Wahrheit spaziert in die Welt hinaus, um
  • weitere Anhänger und Bewunderer zu gewinnen.
  • Während unsere beiden Damen eine so höchst verworrene und komplizierte
  • Sache so glücklich und mit soviel Scharfsinn geklärt und entwirrt
  • hatten, trat der Staatsanwalt mit seinem starren und ewig unbeweglichen
  • Gesicht, den dichten Augenbrauen und dem blitzenden Auge in den Salon.
  • Beide Damen teilten ihm sofort alle Neuigkeiten mit, erzählten ihm von
  • dem Kauf der toten Seelen, von Tschitschikows Absicht, die Tochter des
  • Gouverneurs zu entführen und redeten so lange auf ihn ein, bis er ganz
  • konfus wurde. Verwirrt stand er auf demselben Fleck, blinzelte mit dem
  • linken Augenlid, staubte sich mit einem Taschentuch den Tabak von seinem
  • Bart ab, und verstand auch nicht ein Wort von dem, was er vernahm. In
  • einer solchen Verfassung überließen ihn die Damen sich selbst und
  • stürmten davon, jede in ihrer Richtung, um die Stadt in Aufruhr zu
  • setzen. Dieses Unternehmen gelang ihnen in kaum mehr als einer halben
  • Stunde. Die Stadt war in ihrem Innersten aufgewühlt, alles befand sich
  • in wilder Gährung und bald begriff kein Mensch überhaupt noch etwas. Die
  • Damen verstanden es, einen solchen Rauch und Nebel zu erzeugen, daß
  • alle, besonders aber die Beamten, ihrer Sinne kaum noch mächtig waren.
  • Ihre Lage glich im ersten Moment der eines Schuljungen, dem seine
  • Kameraden während des Schlafes eine Papierdüte mit Tabak, oder wie man's
  • bei uns nennt »einen Husaren« in die Nase gesteckt haben. Schnaufend und
  • mit der ganzen Gewalt des Schnarchenden zieht der Schläfer den Tabak
  • ein, erwacht, springt auf, sperrt die Augen auf, sieht sich nach allen
  • Seiten um, wie ein Narr, und kann nicht begreifen, wo er sich befindet,
  • und was mit ihm vorgeht; doch nun erkennt er die Mauer, auf die der
  • schwache Lichtreflex eines Sonnenstrahles fällt, das Gelächter der
  • Kameraden, die hinter der Ecke hervorgucken, das nahende Morgenlicht,
  • das heiter durch das Fenster strahlt, den erwachenden Wald, aus dem
  • tausende von Vogelstimmen wiedertönen, das in der Morgensonne
  • erstrahlende Flüßchen, hie und da zwischen Schilfrohr versteckt, in
  • dessen glänzender Flut sich unzählige feuchte Knabenleiber tummeln, und
  • zum Bade laden -- und nun erst merkt er, daß ihm der Husar in der Nase
  • steckt. Genau so war im ersten Moment die Lage der Bewohner und Beamten
  • unserer Stadt. Ein jeder blieb stehen wie ein Hammel und sperrte die
  • Augen weit auf. Die toten Seelen, die Tochter des Gouverneurs, und
  • Tschitschikow; dies alles wogte und wirbelte in wunderlichster Weise in
  • ihren Köpfen durcheinander; erst später, nachdem die erste Verwirrung
  • sich gelegt hatte, fingen sie an diese verschiedenen Dinge einzeln
  • voneinander zu unterscheiden, eins vom andern zu trennen, Rechenschaft
  • zu fordern, und sie wurden zornig, als sie sahen, daß durchaus keine
  • Klarheit über die ganze Angelegenheit zu gewinnen war. »Was ist denn das
  • für eine Fabel, nein wirklich, was ist das für ein Gefasel von den toten
  • Seelen? Wo bleibt denn da die Logik in dieser Geschichte mit den toten
  • Seelen? Wie kann man denn tote Seelen kaufen? Wo gibt es denn einen
  • solchen Esel, der so etwas täte? Und für was für ein unnützes Geld wird
  • er sie denn kaufen? Und schließlich, wozu kann er diese toten Seelen
  • bloß brauchen? Und dann: was hat nur die Tochter des Gouverneurs mit der
  • Sache zu tun? Wenn er sie aber wirklich entführen wollte, warum sollte
  • er zu diesem Zwecke der toten Seelen bedürfen? Und wenn er sich tote
  • Seelen kaufen will, was braucht er dann die Tochter des Gouverneurs zu
  • entführen? Wollte er ihr etwa die toten Seelen schenken? Was für einen
  • Unsinn sie da in der Stadt verbreiten! Was ist das wieder für eine
  • Ordnung: man darf sich kaum bewegen, dann werden sofort Geschichten über
  • einen verbreitet ... Und wenn die Sache nur überhaupt irgend einen Sinn
  • hätte! ... Andererseits aber muß doch etwas dahinter stecken, sonst wäre
  • doch dies Gerücht nicht entstanden. Irgend einen Grund muß es doch
  • haben. Aber was könnten die toten Seelen für ein Grund sein? Da fehlt es
  • doch sogar an einem vernünftigen Grunde! Das ist doch wirklich fast so
  • wie: »ein hölzernes Eisen«, »ein paar weichgekochte Stiefel« oder »ein
  • gläserner Stelzfuß!« Mit einem Wort, man sprach, man klatschte, man
  • tuschelte, und die ganze Stadt redete von nichts anderem als von den
  • toten Seelen und von der Tochter des Gouverneurs, von Tschitschikow und
  • von den toten Seelen, von der Tochter des Gouverneurs und von
  • Tschitschikow, und alles kam in Bewegung. Wie ein Wirbelwind ging es
  • durch die Stadt, die bisher in Schlaf versunken schien. Sämtliche
  • Faullenzer und Stubenhocker, die jahrelang in ihren Schlafröcken hinter
  • dem Ofen hockten und die Schuld bald auf den Schuster, der ihnen zu enge
  • Stiefel gemacht hatte, bald auf den Schneider oder auf ihren betrunkenen
  • Kutscher schoben, kamen aus ihren Höhlen gekrochen, all die, welche
  • längst alle Beziehungen zu ihren Freunden und Bekannten abgebrochen
  • hatten und nur noch mit den beiden Gutsbesitzern Herrn Bärenhäuter und
  • Herrn Ofenhocker verkehrten (zwei berühmte Namen, die von den Ausdrücken
  • »auf der Bärenhaut« liegen und »hinterm Ofen hocken« abgeleitet und bei
  • uns sehr beliebt sind, ebenso wie die Redensart: Herrn Schnarchelaut und
  • Schlummersüß einen Besuch abstatten jenen totenähnlichen Schlaf auf der
  • Seite, auf dem Rücken und in allen möglichen anderen Lagen, bezeichnen
  • soll, der von einem kräftigen Schnarchen, sanftem Zephyrsäuseln durch
  • die Nase und allem sonstigen Zubehör begleitet ist); alle die, welche
  • man nicht einmal durch die Aussicht auf eine teure Fischsuppe mit
  • meterlangen Sterlets und allen nur erdenklichen Pasteten, die einem auf
  • der Zunge zergehen, aus ihrem Hause locken konnte, kamen hervor; mit
  • einem Worte, es zeigte sich, daß die Stadt menschenreich und groß war,
  • und daß ein so lebhafter Verkehr in ihr herrschte, wie man es nur
  • wünschen konnte. Es tauchten sogar ein Herr Ssyssoi Pafnutjewitsch und
  • ein Herr Makdonald Karlowitsch auf, von denen man bis dahin noch nie
  • etwas gehört hatte; in den Salons erschien plötzlich ein baumlanger Kerl
  • mit einem durchschossenen Arm, ein wahrer Riese, von einer Größe, wie
  • sie überhaupt noch nie dagewesen war. Auf den Straßen sah man gedeckte
  • Wagen, vorsintflutliche Droschken, Klapperkästen, Rumpelkutschen -- und
  • der Brei war eingerührt. Zu einer anderen Zeit und unter anderen
  • Umständen hätten diese Gerüchte vielleicht gar keine Beachtung gefunden,
  • aber die Stadt N. war schon lange ohne Neuigkeiten geblieben. Ja, es war
  • während der letzten drei Monate so gut wie gar nichts passiert, was man
  • in der Hauptstadt eine Kommerage oder eine Klatschgeschichte zu nennen
  • pflegt und was bekanntlich für eine Stadt unter Umständen ebenso wichtig
  • ist, wie die rechtzeitige Zufuhr der Lebensmittel. Die Bevölkerung der
  • Stadt teilte sich plötzlich in zwei völlig entgegengesetzte Parteien,
  • die zwei ganz verschiedene Standpunkte vertraten: die männliche und die
  • weibliche. Der Standpunkt der Männer war ganz unvernünftig und töricht;
  • sie legten das Hauptgewicht auf die toten Seelen. Die weibliche Partei
  • beschäftigte sich dagegen ausschließlich mit der Entführung der Tochter
  • des Gouverneurs. In dieser Partei -- zur Ehre der Damen sei es gesagt --
  • herrschte weit mehr Umsicht, Ordnung und Überlegung. Es ist offenbar
  • schon mal Bestimmung der Frauen, gute Wirtinnen zu sein und überall für
  • die richtige Ordnung zu sorgen. Bei ihnen nahm alles sehr bald ein
  • bestimmtes lebendiges Ansehen, scharfe und handgreifliche Formen an,
  • alles klärte sich und wurde durchsichtig und deutlich wie ein
  • vollendetes scharf umrissenes Gemälde. Jetzt kam es an den Tag, daß
  • Tschitschikow schon längst in jene Person verliebt war, daß sie sich im
  • Garten beim Mondenschein getroffen, daß der Gouverneur Tschitschikow
  • seine Tochter längst zur Frau gegeben hätte, weil jener reich wie ein
  • Jude war, wenn nicht Tschitschikows Frau, die von ihm verlassen worden
  • war, dazwischen gestanden hätte (woher man erfahren hatte, daß er
  • verheiratet war, wußte niemand anzugeben), daß diese Frau, die eine
  • hoffnungslose Liebe in ihrem Herzen hegte, einen rührenden Brief an den
  • Gouverneur geschrieben, und daß sich Tschitschikow angesichts der
  • entschiedenen Weigerung von Mutter und Vater, zu einer Entführung
  • entschlossen habe. In manchen Häusern wurde diese Geschichte allerdings
  • etwas anders erzählt: darnach hatte Tschitschikow überhaupt keine Frau,
  • hätte aber als der feine und stets sicher gehende Mann, sich, da er die
  • Tochter haben wollte, zunächst an die Mutter gemacht, und mit dieser
  • eine kleine Herzensaffäre angebahnt, erst später habe er um die Hand der
  • Tochter angehalten; die Mutter aber hätte gefürchtet, hier könne leicht
  • ein Verbrechen geschehen, das den heiligen Geboten der Religion
  • zuwiderlaufe und habe es ihm daher von Gewissensbissen gefoltert ganz
  • kurz abgeschlagen, erst jetzt habe sich Tschitschikow dazu entschlossen,
  • die Tochter zu entführen. Dazu kamen noch eine Menge von Aufklärungen
  • und Richtigstellungen, deren Zahl um so mehr anwuchs, je weiter die
  • Gerüchte sich verbreiteten und bis in die entlegensten Gassen und Winkel
  • der Stadt eindrangen. Bei uns in Rußland haben auch die unteren
  • Schichten der Gesellschaft eine große Vorliebe für Klatschgeschichten,
  • die aus den vornehmen Kreisen kommen, so begann man denn bald auch in
  • solchen Häusern von diesem Skandal zu reden, wo man Tschitschikow
  • überhaupt nicht kannte, und so entstanden bald wiederum neue Erklärungen
  • und Gerüchte. Der Gegenstand wurde jeden Augenblick interessanter, nahm
  • mit jedem neuen Tage immer neue und bestimmtere Formen an und kam so
  • schließlich in voller Bestimmtheit und Abgeschlossenheit der Frau
  • Gouverneurin selbst zu Ohren. Die Gouverneurin fühlte sich, als Mutter
  • einer Familie, und als erste Dame der Stadt, durch diese Geschichten
  • aufs tiefste beleidigt, besonders da sie nichts derartiges auch nur
  • vermutet hatte, und geriet in eine große und auch in jeder Beziehung
  • berechtigte Empörung. Die arme Blondine hatte ein höchst unangenehmes
  • Tete-a-tete mit ihr, wie es nur je ein sechzehnjähriges junges Mädchen
  • zu überstehen hatte. Eine ganze Flut von Fragen, Verweisen, Vorwürfen,
  • Ermahnungen und Drohungen ergoß sie über das arme Mädchen, sodaß diese
  • in Tränen ausbrach und laut zu schluchzen begann, ohne ein einziges Wort
  • von alledem zu verstehen; der Portier erhielt strengste Order
  • Tschitschikow nie wieder und unter keinem Vorwande mehr vorzulassen.
  • Nachdem die Damen ihre Mission, soweit diese nämlich die Gouverneurin
  • betraf, erfüllt hatten, nahmen sie sich die männliche Partei vor, um sie
  • für sich zu gewinnen. Sie erklärten die Sache mit den toten Seelen für
  • eine pure Erfindung, nur dazu geschaffen, um jeden Verdacht ablenken und
  • so den Mädchenraub ungestört ausführen zu können. Viele von den Männern
  • ließen sich bekehren und schlossen sich der Partei der Damen an,
  • trotzdem sie sich dadurch dem Tadel und den Vorwürfen ihrer Genossen
  • aussetzten, welche sie Pantoffelhelden und Weiberröcke nannten -- zwei
  • Epitheta, die bekanntlich für das männliche Geschlecht einen recht
  • kränkenden Sinn haben.
  • Aber so sehr sich auch die Männer wappnen, so großen Widerstand sie auch
  • leisten mochten, es fehlte in ihrer Partei schließlich doch an jener
  • Ordnung und Disziplin, welche die Frauenpartei auszeichneten. Bei ihnen
  • war alles plump, ungeschickt, unzweckmäßig, unharmonisch und schlecht;
  • in den Köpfen herrschte Unordnung und Wirrwarr, in den Gedanken
  • Unklarheit und Verworrenheit -- mit einem Worte, es kam eben die
  • unglückliche Natur des Mannes so recht zum Vorschein, diese grobe plumpe
  • schwerfällige Natur, die weder zur Verwaltung des Haushalts zu brauchen,
  • noch tiefer ehrlicher Überzeugungen fähig ist, diese kleingläubige,
  • träge, von ewigen Zweifeln, von Ängstlichkeit und Furcht zerrüttete
  • Natur. Die Männer behaupteten, das seien alles Torheiten, die Entführung
  • einer Gouverneurstochter sei weit eher etwas für einen Husaren, als für
  • eine Zivilperson, so etwas würde Tschitschikow auf keinen Fall tun, den
  • Frauen sei nicht zu trauen, sie lögen alle, ein Weib sei wie ein leerer
  • Sack, was man in ihn hineinschütte, das käme auch wieder aus ihm heraus:
  • der Hauptpunkt, auf den man sein Augenmerk richten müsse, das seien die
  • toten Seelen, zwar wisse der Teufel allein, was sie zu bedeuten hätten,
  • sicherlich aber stecke etwas sehr Schlimmes und Häßliches dahinter.
  • Warum es den Männern aber schien, daß etwas so Häßliches und Schlimmes
  • dahinter stecke -- dies werden wir sogleich erfahren. Es war soeben ein
  • neuer Generalgouverneur für die Provinz ernannt worden -- bekanntlich
  • ein Ereignis, das die Beamten stets in einen Zustand voller Unruhe und
  • Aufregung versetzt: da gibt's dann immer allerhand Untersuchungen und
  • Rüffel, da wird einem der Kopf ordentlich gewaschen und zurechtgesetzt,
  • da muß man von Amts wegen alle Suppen ausessen, mit denen der
  • Vorgesetzte seine Untergebenen zu traktieren pflegt. -- »Herr Gott!«
  • dachten die Beamten, »wenn er auch nur das erfährt, daß in der Stadt
  • solche Gerüchte zirkulieren, dann wird er nicht zum Scherze, sondern
  • ernstlich zornig werden.« Der Inspektor der Sanitätsverwaltung wurde
  • plötzlich ganz bleich, ihm fiel etwas ganz Schreckliches ein, ob nicht
  • das Wort »tote Seelen« eine Anspielung auf die vielen Leute sei, die bei
  • der letzten Fieberepidemie erkrankt und wegen der mangelhaften
  • Vorsichtsmaßregeln in den Häusern und Lazaretten gestorben waren, und ob
  • Tschitschikow nicht am Ende ein Beamter aus der Kanzlei des
  • Generalgouverneurs sei, der hier im geheimen eine Untersuchung in die
  • Wege leiten solle. Er teilte seine Befürchtungen dem Gerichtspräsidenten
  • mit. Der Gerichtspräsident erklärte sie für Torheiten, erblaßte aber
  • gleich darauf selbst bei dem Gedanken: wie aber, wenn die von
  • Tschitschikow gekauften Seelen wirklich tot wären? Hatte er es doch
  • zugelassen, daß der Kaufvertrag abgeschlossen wurde und noch dazu selbst
  • die Rolle eines Vertrauensmannes bei Pljuschkin übernommen. Wie, wenn
  • das dem Generalgouverneur zu Ohren käme, was dann? Er teilte diesem und
  • jenem seine Besorgnisse mit, und plötzlich erblaßte auch dieser und
  • jener: die Angst ist ansteckender als die Pest und teilt sich in einem
  • Augenblicke mit. Alle entdeckten plötzlich solche Sünden an sich selbst,
  • wie sie sie garnicht mal begangen hatten. Die Worte »tote Seelen« hatten
  • einen so unbestimmten Klang, daß sogar der Argwohn laut wurde, ob es
  • sich hier nicht um zwei Fälle handle, wo zwei Menschen zu früh begraben
  • worden waren. Beide Ereignisse lagen noch nicht sehr weit zurück. Das
  • erste war mit ein paar Kaufleuten aus Ssolwytschiegodsk passiert, welche
  • zur Messe in die Stadt gekommen waren und nach Erledigung ihrer
  • Geschäfte mit ein paar befreundeten Kaufleuten aus Ustssyssolsk eine
  • solenne Zecherei veranstaltet hatten. Eine Zecherei nach russischer Art
  • aber mit deutschen Finessen: Grogs, Punschen, Bowlen usw. Diese Zecherei
  • endigte natürlich, wie das gewöhnlich zu passieren pflegt, mit einer
  • weidlichen Prügelei. Die Herren aus Ssolwytschiegodsk setzten denen aus
  • Ustssyssolsk tüchtig zu, obwohl sie von diesen ebenfalls ein paar
  • kräftige Rippenstöße und Püffe in die Bauch- und Magengegend erhielten,
  • welche von den ungeheuerlichen Dimensionen der Fäuste zeugten, mit denen
  • die seligen Prügelhelden begabt waren. Dem einen von den Siegern war
  • sogar der Erker eingetrommelt, wie sich unsere Boxer auszudrücken
  • pflegen, d. h. die Nase derart platt geschlagen, daß kaum mehr als ein
  • Fingerglied von ihr übrig war. Die Kaufleute gestanden ihre Schuld ein
  • und erklärten, sie hätten sich einen kleinen Scherz erlaubt. Man sprach
  • sogar davon, daß sie für jeden der von ihnen Erlegten je vier
  • Hundertrubelscheine bezahlt hätten; übrigens aber blieb das eine sehr
  • dunkle Sache. Aus den angestellten Ermittlungen und Nachforschungen ging
  • hervor, daß die Kaufleute von Ustssyssolsk an Kohlengasvergiftung
  • zugrunde gegangen seien. Und so wurden sie denn auch als solche
  • begraben. Der andere Fall, der sich vor kurzem ereignet hatte, war
  • folgender: die Ministerialbauern des Dorfes Wschiwaja Speß hatten sich
  • mit ebensolchen Bauern der Dörfer Borow, Borowka und Sadirailowo
  • vereinigt und angeblich die Gendarmerie in der Person eines gewissen
  • Schöffen, namens Drobjaschkin vom Erdboden vertilgt. Die Gendarmerie, d.
  • h. der Schöffe Drobjaschkin sollte sich gar zuviel herausgenommen und
  • allzuoft ihr Dorf heimgesucht haben, was unter Umständen fast so
  • gefährlich war, wie eine Epidemie. Der Grund aber sei gewesen, daß die
  • Gendarmerie aus einer gewissen Herzschwäche den Weibern und Dorfmädeln
  • gar zu eifrig nachgestellt habe. Ganz klar ist zwar die Sache nicht,
  • obwohl die Bauern geradezu aussagten, die Gendarmerie sei lüstern
  • gewesen, wie ein Kater, mehr als einmal hätten sie _ihn_ vertreiben und
  • einmal sogar ganz nackt aus einer Bauernhütte hinausjagen müssen.
  • Natürlich hatte die Gendarmerie wegen ihrer Herzschwäche eine harte
  • Strafe verdient, andererseits ließ sich aber die Eigenmächtigkeit der
  • Bauern von Wschiwaja Speß und Sadirailowo auch nicht rechtfertigen und
  • verteidigen, wenn sie wirklich an dem Morde teilgenommen hatten.
  • Immerhin blieb es doch eine ganz dunkle Sache; man fand die Gendarmerie
  • am Wege liegen; ihre Uniform oder ihr Rock glich einem Haufen von
  • Lumpen, und das Gesicht war auch fast unkenntlich. Die Sache kam vor die
  • Behörden und schließlich vor das Kriminalgericht, wo man sie zuerst ganz
  • unter sich erörterte und in folgendem Sinne entschied: da es unbekannt
  • sei, wer von den Bauern eigentlich an dem Tode der Gendarmerie Schuld
  • trug, alle zusammen jedoch eine zu respektable Anzahl ausmachten, da
  • Drobjaschkin andererseits aber ein toter Mann sei, und daher wenig davon
  • haben würde, wenn er den Prozeß gewönne, die Bauern hingegen noch am
  • Leben seien, weshalb denn auch eine günstige Wendung des Prozesses von
  • großer Bedeutung für sie sei, so habe das Gericht beschlossen: daß der
  • Schöffe Drobjaschkin selbst die Schuld an seinem Tode trage, weil er die
  • Bauern von Wschiwaja Speß und Sadirailowo in ungerechter Weise bedrückt
  • und verfolgt habe, und daß er demgemäß, als er eines Abends in seinem
  • Schlitten nach Hause zurückkehrte, an einem Schlaganfall gestorben sei.
  • Die Sache schien damit nach allen Regeln der Kunst erledigt; plötzlich
  • aber fingen die Beamten an zu glauben, daß es sich in diesem Falle um
  • die genannten toten Seelen handele. Dazu kam noch, daß gerade um die
  • Zeit, als sich die Herren Beamten ohnedies in einer schwierigen Lage
  • befanden, beim Gouverneur zwei Papiere eingingen. Das eine enthielt die
  • Mitteilung, daß auf gewisse Anzeichen hin sich in der Provinz ein
  • Falschmünzer aufhalte, welcher falsches Papiergeld herstelle und sich
  • hinter verschiedenen Namen verstecke. Und daher sei es nötig, eine
  • strenge Untersuchung in die Wege zu leiten. Das andere Papier enthielt
  • eine Mitteilung des Gouverneurs der Nachbarprovinz über einen Räuber,
  • der sich der gerichtlichen Verfolgung entzogen hatte, und die
  • Aufforderung, wenn in der Provinz des Herrn Kollegen eine verdächtige
  • Person auftauchen sollte, welche weder Paß, noch sonstige
  • Legitimationspapiere vorlegen könne, diese sofort zu verhaften. Beide
  • Papiere riefen eine allgemeine Bestürzung hervor; alle bisherigen
  • Vermutungen und Folgerungen waren plötzlich über den Haufen geworfen. Es
  • lag natürlich nicht der geringste Anlaß zur Annahme vor, daß sich auch
  • nur ein Wort davon auf Tschitschikow bezöge. Wenn man sich dagegen
  • überlegte und daran erinnerte, daß eigentlich niemand recht wußte, wer
  • Tschitschikow sei, daß er sich selbst nur sehr unklar und unbestimmt
  • über seine Person geäußert und bloß erklärt hatte, daß er in seiner
  • Karriere Schiffbruch gelitten, weil er der Wahrheit hätte dienen wollen,
  • so mußte das frischen Verdacht erregen. Aber das alles war doch zu
  • unklar und verschwommen. Und wenn er weiter sagte, er habe sich viele
  • Feinde erworben, die ihm nach dem Leben trachteten, so gab das noch mehr
  • Grund zum Nachdenken: also hatte er in Lebensgefahr geschwebt, also
  • wurde er doch verfolgt: also mußte er doch irgend etwas begangen haben
  • ... Ja wer war er denn nun eigentlich? Man durfte natürlich nicht
  • annehmen, daß er falsches Papiergeld verfertige, oder gar ein Räuber sei
  • -- hatte er doch eine so gesinnungstüchtige Physiognomie; aber bei
  • alledem: wer war er denn nun tatsächlich? Und jetzt endlich stellten
  • sich die Herren Beamten die Frage, die sie sich gleich im Anfang, d. h.
  • im ersten Kapitel dieser Dichtung, hätten stellen sollen. Man beschloß
  • noch einige Nachforschungen bei all den Leuten anzustellen, die ihm die
  • toten Seelen verkauft hatten, um wenigstens zu erfahren, was das für ein
  • Geschäft gewesen sei, was man nun eigentlich unter diesen toten Seelen
  • zu verstehen habe und ob Tschitschikow nicht wenigstens einem von ihnen
  • zufällig oder so nebenher etwas von seinen Plänen und Absichten verraten
  • oder ihnen erzählt hätte, wer er sei. Zuerst wandte man sich an die
  • Karobotschka; aber aus der war nicht viel herauszubekommen: er hätte
  • halt für fünfzehn Rubel tote Seelen gekauft und kaufe auch Daunen ein,
  • ja er habe versprochen, ihr noch alles mögliche andere abzunehmen. Er
  • liefere auch Speck an den Staat und sei daher ganz gewiß ein Gauner;
  • denn es sei schon einmal einer dagewesen, der ihr Daunen abgekauft und
  • Specklieferungen an den Staat übernommen habe. Der habe alle miteinander
  • übers Ohr gehauen und die Frau Oberpfarrer um ganze hundert Rubel
  • betrogen. Mehr war nicht aus ihr herauszuholen; sie wiederholte immer
  • nur ein und dasselbe, und die Beamten überzeugten sich bald, daß
  • Karobotschka ganz einfach eine dämliche alte Schachtel sei. Manilow
  • erklärte, für Pawel Iwanowitsch werde er stets einstehen wie für sich
  • selber. Er würde gerne sein ganzes Gut dafür hingeben, wenn er nur einen
  • hundertsten Teil jener vortrefflichen Eigenschaften besäße, die
  • Pawel Iwanowitsch zierten; überhaupt äußerte er sich in der
  • schmeichelhaftesten Weise über ihn, indem er die Augen zusammenkniff und
  • noch einige Gedanken über Freundschaft von sich aus zugab. Diese
  • Gedanken zeugten natürlich in ausreichender Weise von den zarten
  • Regungen seines Herzens; aber sie klärten die Sache selbst eigentlich
  • doch nicht auf. Sabakewitsch erwiderte: seiner Ansicht nach sei
  • Tschitschikow ein braver Mensch, er Sabakewitsch habe ihm nur seine
  • besten Bauern verkauft: es seien Leute, die in jeder Hinsicht wohlauf
  • und munter seien; aber er könne natürlich nicht dafür garantieren, was
  • in Zukunft nicht noch alles geschehen könne. Wenn sie die Strapazen der
  • Übersiedelung nicht überstehen und unterwegs sterben sollten, so sei das
  • nicht seine Schuld; das liege in Gottes Hand. Es gäbe ja genug Epidemien
  • und andere tödliche Krankheiten in der Welt, und es habe schon Fälle
  • gegeben, wo ganze Dörfer ausgestorben seien. Die Herren Beamten nahmen
  • noch zu einem andern Mittel ihre Zuflucht, das man zwar nicht allzu
  • vornehm nennen kann, das aber doch zuweilen zur Anwendung kommt. Sie
  • ließen die Bedienten Tschitschikows auf allerhand Umwegen durch
  • befreundete Lakaien ausfragen, ob ihnen nicht irgend welche Einzelheiten
  • aus der Vergangenheit und den Lebensverhältnissen ihres Herrn bekannt
  • seien. Aber auch hier bekamen sie nur wenig zu hören. Von Petruschka
  • nahmen sie nichts mit als jenen etwas dumpfigen Geruch der Wohnstube,
  • und Seliphan erklärte nur kurz: »Er ist früher Beamter gewesen und hat
  • beim Zollamt gedient.« Das war alles. Diese Klasse von Menschen hat eine
  • seltsame Gewohnheit: wenn man sie direkt nach etwas fragt, dann können
  • sie sich nie auf etwas besinnen. Sie können sich die Dinge in ihrem
  • Kopfe nicht zusammenreimen, oder sagen einfach, daß sie nichts wissen.
  • Fragt man sie aber nach etwas anderem, dann bringen sie alles vor, was
  • ihr nur wünscht, und erzählen es euch mit solchen Einzelheiten, wie ihr
  • sie gar nicht mal hören wollt. Alle Nachforschungen, die von den Beamten
  • angestellt wurden, machten ihnen nur eins klar, daß sie wirklich nicht
  • wußten, wer Tschitschikow eigentlich war, und daß er doch aber sicher
  • etwas sein müßte. Schließlich beschlossen sie, sich endgültig über
  • diesen Gegenstand zu einigen, und wenigstens eine definitive
  • Entscheidung zu treffen, was hier zu tun sei, welche Maßregeln sie
  • ergreifen und wie sie ermitteln sollten, wer er sei: ob er ein Mensch,
  • den man als politisch unzuverlässig arretieren und verhaften müsse, oder
  • vielmehr ein solcher sei, der _sie selbst_ als politisch unzuverlässig
  • arretieren und verhaften könne. Zu diesem Zwecke verabredete man sich,
  • im Hause des Polizeimeisters zusammenzukommen, den der Leser ja schon
  • als Vater und Wohltäter der Stadt kennengelernt hat.
  • Zehntes Kapitel.
  • Man versammelte sich also im Hause des Polizeimeisters, der ja dem Leser
  • schon als Vater und Wohltäter der Stadt bekannt ist. Hier hatten die
  • Beamten die Gelegenheit, einander darauf aufmerksam zu machen, wie
  • eingefallen und abgemagert ihre Wangen von den beständigen Sorgen und
  • Aufregungen waren. Und in der Tat, die Ernennung des neuen
  • Generalgouverneurs, dann die kürzlich eingegangenen Papiere so
  • bedeutsamen Inhalts und endlich noch die schrecklichen Sorgen -- dies
  • alles hatte merkliche Spuren auf ihren Gesichtern hinterlassen, selbst
  • die Fräcke waren ihnen allen zu weit geworden. Alle waren ein wenig
  • heruntergekommen: der Gerichtspräsident, der Inspektor der
  • Sanitätsverwaltung, der Staatsanwalt sahen mager und bleich aus, ja
  • sogar ein gewisser Semjon Iwanowitsch, welchen man nie bei seinem
  • Familiennamen nannte, ein Herr mit einem goldenen Ring am Zeigefinger,
  • den er mit besonderer Vorliebe den Damen zeigte, selbst der war ein
  • wenig abgemagert. Natürlich gab es darunter auch ein paar von jenen
  • verwegenen Rittern ohne Furcht und Tadel, welche nie die
  • Geistesgegenwart verloren: aber ihre Zahl war nur klein: ja es gab
  • eigentlich nur einen einzigen den man dazu zählen konnte, nämlich den
  • Postmeister. Er allein blieb völlig unverändert in dem ruhigen Gleichmaß
  • seines Wesens und sagte wie gewöhnlich in derartigen Fällen: »euch kennt
  • man schon, ihr Herren Generalgouverneure. Von euch wird noch so mancher
  • dem anderen Platz machen müssen, ich aber stehe bald dreißig Jahre auf
  • meinem Posten.« Worauf die andern Beamten gewöhnlich zu erwidern
  • pflegten: »Sie haben es gut Herr!« »Sprechen Sie deutsch, Iwan
  • Andreitsch.« »Dein Geschäft ist der Postdienst -- du hast bloß die
  • eingelaufenen Briefe in Empfang zu nehmen und zu expedieren; du kannst
  • höchstens einmal dein Postamt eine Stunde zu früh schließen und dann
  • irgend einem Kaufmann, der sich verspätet hat, für die Annahme des
  • Briefes nach geschlossenem Schalter etwas abverlangen, oder du expediert
  • vielleicht ein Paket, welches nicht abgeschickt werden sollte. Unter
  • diesen Umständen kann natürlich jeder ein Heiliger sein. Aber versetze
  • dich mal in unsere Lage, wo dir täglich der Teufel in eigner Person
  • erscheint und dir fortwährend etwas in die Hände spielt. _Du selbst_
  • willst ja garnichts nehmen, er aber steckt es dir in die Hand. Bei dir
  • ist das Malheur nicht so groß; du hast bloß ein Söhnchen. Mir aber hat
  • Gott meine Praskowja Fjodrowna so reich gesegnet, daß sie mich jedes
  • Jahr mit irgend einem Praskuschka oder Petruschka beschenkt. Da würdest
  • du auch auf einer anderen Flöte pfeifen.« So sprachen die Beamten. Ob es
  • aber in der Tat möglich ist, dem Teufel auf die Dauer zu widerstehen,
  • das zu beurteilen, ist nicht Sache des Verfassers. In unserm Konzilium,
  • das sich bei dieser Gelegenheit versammelt hatte, machte sich vorzüglich
  • der Mangel dessen bemerkbar, was man in der Sprache des Volkes den
  • gesunden Menschenverstand zu nennen pflegt. Überhaupt sind wir, wie es
  • scheint, nicht so recht geschaffen für repräsentative Versammlungen. Bei
  • all unsern Sitzungen von denen der ländlichen Bauerngemeinden an bis zu
  • allen gelehrten und ungelehrten Komitees, herrscht, wenn nicht eine
  • leitende Persönlichkeit an der Spitze steht, ein recht bedenklicher
  • Wirrwarr. Es ist eigentlich schwer zu sagen warum das so ist;
  • wahrscheinlich ist unser Volk nun einmal so veranlagt, daß ihm nur _die_
  • Versammlungen und Beratungen gelingen, die irgend ein Diner oder eine
  • Zecherei zum Gegenstand haben, wie die Salon- und Klubversammlungen auf
  • deutsche Manier. Dagegen ist der gute Wille jederzeit und zu allen guten
  • Dingen vorhanden. Plötzlich fällt es uns ein, wenn der Wind günstig ist,
  • irgend welche Wohltätigkeits-, Hilfs- und Gott weiß was für andere
  • Vereine zu gründen. Und wenn die Sache nur einen guten Zweck hat, kann
  • man sicher sein, daß nichts dabei herauskommt. Vielleicht rührt das
  • daher, daß wir gleich im Anfang, d. h. zu früh, befriedigt sind, und
  • glauben, es sei schon alles getan. Wenn wir z. B. irgend eine
  • Gesellschaft mit wohltätigem Zweck gründen wollen und schon bedeutende
  • Summen dazu gestiftet haben, müssen wir unbedingt, um unsere so löbliche
  • Absicht bekannt zu machen, irgend ein Diner geben, zu dem alle Spitzen
  • der Stadt geladen sind und das mindestens die Hälfte der gezeichneten
  • Summe verschlingt. Für die andere Hälfte richtet sich das Komitee eine
  • prachtvolle Wohnung mit Heizung und Portier ein, worauf von der ganzen
  • Summe fünf und ein halber Rubel übrig bleiben. Aber auch hier sind sich
  • die Mitglieder des Komitees noch nicht einig über die Verwendung und
  • Verteilung dieser Summe, und ein jeder schiebt irgend eine arme Tante
  • oder Base vor. Übrigens war das Kollegium, das sich heute versammelt
  • hatte, ganz anderer Art: ein dringendes Bedürfnis hatte die Anwesenden
  • zusammengeführt. Und es handelte sich auch nicht um irgend welche Arme
  • oder Abseitsstehende, sondern die zur Verhandlung stehende Sache ging
  • jeden Beamten persönlich an; es handelte sich hier um eine Gefahr, die
  • allen in gleicher Weise drohte, und daher war es auch kein Wunder, wenn
  • sich alle Beteiligten unter solchen Verhältnissen einmütiger und enger
  • zusammenschlossen. Aber dennoch und trotzalledem nahm die Sitzung einen
  • ganz tollen Ausgang. Abgesehen von den Meinungsverschiedenheiten und
  • Streitigkeiten, wie sie ja bei all solchen Versammlungen
  • vorzukommen pflegen, kam in den Anschauungen und Äußerungen der
  • Versammlungsteilnehmer auch noch eine merkwürdige Unentschlossenheit zum
  • Ausdruck: der eine behauptete, Tschitschikow stelle falsche
  • Staatspapiere her, fügte jedoch gleich darauf hinzu: »vielleicht ist es
  • aber auch nicht so,« ein anderer erklärte, er sei ein Beamter aus dem
  • Büro des Generalgouverneurs, verbesserte sich aber sofort wieder und
  • meinte »übrigens: der Teufel mag wissen, wer er ist, vom Gesicht kann
  • man es einem Menschen doch nicht ablesen.« Gegen den Verdacht aber, daß
  • er ein verkleideter Dieb oder Räuber sei, lehnten sich alle in gleicher
  • Weise auf, man war der Ansicht, daß er doch ein vertraueneinflößendes
  • und gesinnungstüchtiges Äußeres besitze, aber auch in seinen Worten läge
  • nichts, was auf einen Menschen schließen ließe, der einer solch
  • gewalttätigen Handlungsweise verdächtig sei. Plötzlich rief der
  • Postmeister, der eine Zeitlang, in tiefes Sinnen versunken, dagestanden
  • hatte -- sei es nun, daß ihm eine momentane Erleuchtung gekommen war,
  • sei es aus einem andern Grunde -- ganz unerwartet aus: »Wissen Sie,
  • meine Herren, wer er ist?« Er hatte diese Worte mit einer Stimme
  • herausgeschrieen, die geradezu etwas Erschütterndes an sich hatte, so
  • daß sich allen Anwesenden wie aus einem Munde der Ruf entrang: »Nun
  • wer?« »Das ist niemand anderes, meine Herren, das Verehrtester, ist kein
  • anderer, als der Hauptmann Kopeikin!«[5] Und als ihn darauf alle
  • zugleich fragten: »Wer ist denn dieser Kopeikin?« antwortete der
  • Postmeister erstaunt: »Wie? Sie wissen nicht, wer der Hauptmann Kopeikin
  • ist?«
  • Alle erwiderten, sie hätten noch nie etwas von diesem Hauptmann Kopeikin
  • gehört.
  • »Der Hauptmann Kopeikin,« versetzte der Postmeister, indem er seine
  • Tabakdose nur ganz wenig öffnete, weil er sich fürchtete, es könnte am
  • Ende noch einer von den ihm Zunächststehenden mit den Fingern
  • hineinlangen, von deren Sauberkeit er nicht recht überzeugt war; pflegte
  • er doch zuweilen sogar zu sagen: »Weiß schon, weiß schon, mein Bester,
  • wo Sie Ihre Finger reingesteckt haben mögen! Tabak -- das ist ein
  • Objekt, das mit peinlichster Sorgfalt und Sauberkeit behandelt sein
  • will.« -- »Der Hauptmann Kopeikin,« wiederholte er, nachdem er eine
  • Prise genommen hatte: »ja -- übrigens, wenn ich Ihnen von ihm erzählen
  • wollte -- das gäbe eine höchst interessante Geschichte; selbst für einen
  • Schriftsteller: sozusagen ein ganzes Poema.«
  • [Fußnote 5: Groschen.]
  • Alle Anwesenden äußerten den Wunsch, diese Geschichte oder dieses für
  • einen Schriftsteller so interessante »Poema«, wie sich der Postmeister
  • ausgedrückt hatte, kennen zu lernen, und er begann folgendermaßen:
  • »Die Geschichte vom Hauptmann Kopeikin.
  • Nach dem Feldzuge vom Jahre 1812, verehrter Herr,« hub der Postmeister
  • an, trotzdem nicht _ein einzelner_ Herr, sondern ganze sechs im Zimmer
  • saßen, »nach dem Feldzug vom Jahre 1812 wurde zusammen mit anderen
  • Verwundeten auch ein Hauptmann namens Kopeikin ins Lazarett
  • eingeliefert. Ein Bruder Leichtfuß und launenhaft wie der Teufel, hatte
  • er alles durchgemacht, was es auf der Welt gibt, war auf der Hauptwache
  • gewesen und hatte manche Stunde Arrest abgesessen. War es bei Krasnoje
  • oder in der Schlacht von Leipzig gewesen, genug, er hatte im Kriege ein
  • Bein und einen Arm verloren. Sie wissen doch, damals gab's noch keine
  • von den bekannten Einrichtungen für die Verwundeten: dieser
  • Invalidenfond, das können Sie sich wohl denken, der wurde sozusagen erst
  • viel später gegründet. Der Hauptmann Kopeikin sieht also, daß er
  • arbeiten muß, aber sehen Sie wohl, er hatte eben nur einen Arm, nämlich
  • den linken. Er wandte sich also nach Hause an seinen Vater, aber der
  • Vater gab ihm zur Antwort: >Ich kann dich nicht auch noch ernähren;
  • ich,< denken Sie sich nur, >ich verdiene mir selbst mit knapper Not
  • meinen Unterhalt.< Da beschloß denn mein Hauptmann Kopeikin, sehen Sie
  • wohl, Verehrtester, da beschloß er nach Petersburg zu reisen und sich an
  • die Behörden zu wenden, ob sie ihm nicht eine kleine Unterstützung
  • zukommen lassen könnten, er habe doch gewissermaßen, sozusagen sein
  • Leben geopfert und sein Blut vergossen ... Er fuhr also in einem
  • Gepäckwagen oder einem staatlichen Transportwagen nach der Hauptstadt,
  • sehen Sie wohl Verehrtester, genug, er gelangte mit Mühe und Not nach
  • Petersburg. Und nun stellen Sie sich vor: da befindet sich _nun_ dieser
  • selbige, d. h. dieser Hauptmann Kopeikin in Petersburg, das sozusagen in
  • der ganzen Welt nicht seinesgleichen hat! Plötzlich ist es um ihn herum
  • licht und hell, gewissermaßen ein weites Feld des Lebens, so eine Art
  • märchenhafte Scheherazade, verstehen Sie mich wohl. Also denken Sie nur,
  • plötzlich liegt vor ihm so ein Newski-Prospekt oder solch eine
  • Erbsenstraße oder, hol's der Teufel, irgend so eine Liteinaja, _da_ ragt
  • irgend so ein Turm in die Luft und dort _hängen_ ein paar Brücken,
  • wissen Sie, so ohne jegliche Stützen und Pfeiler, mit einem Wort die
  • reinste Semiramis. Tatsächlich, Verehrtester! Erst trieb er sich eine
  • Weile in den Straßen herum, um sich eine Wohnung zu mieten; aber das war
  • ihm alles zu brenzlich: all diese Gardinen, Rouleaux und all das
  • Teufelszeug, verstehen Sie, diese Teppiche, das reinste Persien,
  • Verehrtester ... Mit einem Wort, beziehungsweise, man tritt das Kapital
  • nur so mit Füßen. Man geht über die Straße, und die Nase merkt schon von
  • ferne, daß es nach Tausenden riecht; und, Sie wissen doch, die ganze
  • Staatsbank meines Hauptmannes Kopeikin besteht aus fünf blauen Scheinen
  • und noch ein paar Silbergroschen ... Nun also, Sie wissen ja, ein
  • Landgut läßt sich dafür nicht kaufen, d. h. es ließe sich vielleicht
  • kaufen, wenn man noch vierzig Tausend dazulegte; aber die vierzig
  • Tausend muß man sich erst beim König von Frankreich leihen. Genug, er
  • mietet sich schließlich in einem Gasthaus zur Stadt Reval ein, für einen
  • Rubel pro Tag. Sie wissen, ein Mittagessen aus zwei Gängen, eine
  • Kohlsuppe und ein Stück Suppenfleisch dazu ... Er sieht also, daß sein
  • Geld nicht mehr allzu lange reicht. Er erkundigte sich, wohin er sich
  • wenden soll. >Wohin könntest du dich wenden,< sagt man ihm. >Die Beamten
  • der Regierung sind nicht mehr in der Stadt. Sehen Sie wohl, das ist
  • alles in Paris. Die Armee ist noch nicht zurück. Aber es gibt hier eine
  • sogenannte provisorische Kommission. Versuchen Sie's,< sagt man ihm,
  • >vielleicht können Sie dort was ausrichten.< -- >Nun gut, dann gehe ich
  • zur Kommission,< spricht Kopeikin. >Ich werd' es ihnen schon klar
  • machen. So und so steht die Sache. Ich habe, sozusagen, mein Blut
  • vergossen und gewissermaßen mein Leben geopfert.< So stand er denn also
  • eines Morgens etwas früher auf, kratzte sich mit der linken Hand seinen
  • Bart, denn, sehen Sie wohl, wäre er zum Barbier gegangen, so hätte das
  • in gewissem Sinne neue Ausgaben verursacht, zog seine Uniform an und
  • begab sich auf seinem Holzfuß einherhinkend zum Vorsitzenden der
  • Kommission. Stellen Sie sich bloß vor! Er fragt also, wo der Vorsitzende
  • wohnt. Da sagt man ihm, jenes Haus dort am Kai, das gehört ihm. Eine
  • richtige Bauernhütte, verstehen Sie! Fensterscheiben, meterlange
  • Spiegel, Marmor, Lack, denken Sie sich nur, Verehrtester! Mit einem
  • Wort, die Sinne schwinden einem. So 'ne Türklinke aus Metall, der
  • feinste Komfort, sodaß man zuerst in den Laden laufen, sich für einen
  • Groschen Seife kaufen und sich dann, sozusagen, stundenlang die Hände
  • reiben muß, ehe man es wagt, sie anzufassen. Vorn am Eingang, verstehen
  • Sie, da steht ein Portier mit einem großen Säbel, mit so 'ner
  • Grafenphysiognomie, und Batistkragen, rein wie ein wohlgepflegter Mops
  • ... Mein Kopeikin schleppt sich also auf seinem Holzfuß ins Vorzimmer,
  • setzt sich in einen Winkel, um nur nicht mit dem Arm gegen irgend so ein
  • Amerika oder Indien, gegen so eine vergoldete Porzellanvase, verstehen
  • Sie wohl, zu stoßen. Sehen Sie wohl, natürlich mußte er eine halbe
  • Ewigkeit dort warten, weil er zu einer Zeit gekommen war, wo der
  • Vorsitzende, sozusagen, noch kaum aus dem Bett gestiegen war und sein
  • Kammerdiener ihm eben irgend so ein silbernes Becken reichte, verstehen
  • Sie wohl, wo man sich drin wäscht. Mein Kopeikin wartet also vier
  • Stunden lang; da kommt endlich der diensthabende Beamte und sagt:
  • >Gleich kommt der Präsident!< Und schon füllt sich das Zimmer mit
  • allerhand Epauletten und Achselbändern. Mit einem Worte die Menschen
  • drängen sich wie Bohnen in der Schüssel. Endlich, Verehrtester, tritt
  • auch der Präsident herein. Na, Sie können sich natürlich vorstellen: der
  • Präsident in eigener Person sozusagen. Und, natürlich, seinem Rang und
  • Titel entsprechend so eine Physiognomie, so ein Ausdruck, verstehen Sie.
  • Aus allem spricht die »Condewite« des Großstädters. Erst geht er zu
  • einem dann zum andern: >Warum sind Sie hier?< >Und Sie?< >Was wünschen
  • Sie?< >In welcher Angelegenheit kommen Sie?< Zuletzt kommt auch mein
  • Kopeikin an die Reihe: >So und so,< sagt er, >ich habe mein Blut
  • vergossen, ein Bein und einen Arm verloren, sozusagen. Ich kann nicht
  • mehr arbeiten und erlaube mir die Anfrage, ob ich nicht eine kleine
  • Unterstützung, irgend so 'ne Anweisung, beziehungsweise auf eine kleine
  • Gratifikation oder Pension, verstehen Sie wohl, bekommen kann.< Der
  • Vorsitzende sieht der Mann hat einen Stelzfuß und der rechte Ärmel
  • baumelt leer herunter. >Gut!< sagt er, >fragen Sie nach ein paar Tagen
  • mal wieder an!< Mein Kopeikin ist ganz selig. >Na,< denkt er, >die Sache
  • macht sich.< Er ist in einer Laune, können Sie sich vorstellen; hüpft
  • geradezu auf dem Trottoir. Dann ging er ins Restaurant von Palkiku um
  • einen Schnaps zu nehmen, aß in der Stadt London zu Mittag, ließ sich
  • eine Kotelette mit Kapern kommen, dazu 'ne Poularde und allerhand
  • Filets, nebst einer Flasche Wein -- mit einem Wort, es war eine feudale
  • Zeche, sozusagen. Auf dem Trottoir sieht er plötzlich eine Engländerin
  • kommen. Wissen Sie, schlank wie irgend so'n Schwan. Mein Kopeikin,
  • dessen Blut in Wallung geriet, läuft ihr trach, trach, trach auf seinem
  • Stelzfuß nach; >ach nein!< denkt er, >hol die Kurmacherei einstweilen
  • der Teufel; das kommt nachher, wenn ich meine Pension habe. Ich bin
  • schon gar zu sehr aus Rand und Band geraten.< Dabei hatte er an diesem
  • einen Tage, bitte ich zu bemerken, fast die Hälfte seines Geldes
  • durchgebracht. Nach drei vier Tagen, sehen Sie wohl, da kommt er wieder
  • in die Kommission zum Präsidenten: >Ich bin gekommen,< sagt er, >um mir
  • Bescheid zu holen, so und so, infolge der überstandenen Krankheiten und
  • meiner Verwundungen .... Ich habe sozusagen mein Blut vergossen usw.,
  • verstehen Sie wohl.< Alles in der amtlichen Sprache, natürlich! >Ja,
  • ja,< sagt der Präsident, >zunächst aber muß ich Ihnen mitteilen, daß ich
  • in Ihrer Sache ohne die Zustimmung der Regierung nichts zu tun vermag.
  • Sie sehen selber, was das für eine Zeit ist. Die kriegerischen
  • Operationen sind gewissermaßen, sozusagen, noch nicht beendigt. Warten
  • Sie die Ankunft des Herrn Ministers ab und gedulden Sie sich bis dahin
  • noch ein wenig. Sie können überzeugt sein, man wird Sie nicht vergessen.
  • Sollten Sie indessen nichts zum Leben haben, so nehmen Sie dies. Das ist
  • alles was ich geben kann ...< Na, Sie verstehen, er gab ihm natürlich
  • nicht viel, aber bei bescheidenen Ansprüchen hätte man bis zum
  • Entscheidungstermin damit auskommen können. Aber mein Kopeikin hatte
  • keine Lust dazu. Er dachte er würde gleich morgen ein paar Tausender
  • erhalten: >Da hast du was, mein Lieber, trink eins und amüsier dich!<;
  • statt dessen aber muß er warten und weiß nicht einmal, bis zu welchem
  • Termin. Und dabei spuken ihm, sehen Sie wohl, all diese Engländerinnen
  • und Soupers und Kotelettes im Kopfe herum. Da kommt er nun wie so'n Uhu,
  • oder Pudel, den der Koch mit Wasser begossen hat, vom Präsidenten heraus
  • -- hat den Schwanz eingezogen und läßt die Ohren hängen. Das Leben in
  • Petersburg hatte ihn schon ein wenig mitgenommen, von diesem und jenem
  • hatte er auch schon gekostet. Und nun heißt es: sieh zu, wie du
  • weiterkommt, von all diesen Schleckereien nicht die Spur, sehen Sie
  • wohl. Und dabei war er noch ein junger frischer Mensch mit gutem
  • Appetit, einem wahren Wolfshunger sozusagen. Wie oft kam er nicht an
  • irgend so einem Restaurant vorüber: und nun stellen Sie sich vor: der
  • Koch ist ein Ausländer, so ein Franzose, wissen Sie, mit solch einem
  • offenen Gesicht, trägt immer nur die feinste holländische Wäsche, und
  • eine Schürze, so weiß wie Schnee sozusagen, da steht nun der Kerl vor
  • seinem Herd und bereitet euch irgend so ein Finserb, oder Koteletts mit
  • Trüffeln, mit einem Wort, irgend so eine Delikatesse, daß unser
  • Hauptmann sich am liebsten selbst aufgefressen hätte vor Appetit. Oder
  • er kommt an den Miljutinschen Läden vorbei: lacht ihm da sozusagen
  • irgend so ein geräucherter Lachs, oder ein Körbchen mit Kirschen -- zu
  • fünf Rubel das Stück, oder so 'ne Riesin von Wassermelone, so'n ganzer
  • Omnibus, wissen Sie, aus dem Fenster entgegen, und sucht nach einem
  • Narren, der einen überflüssigen Hunderter in der Tasche hat, verstehen
  • Sie, mit einem Wort, nichts wie Verführungen auf Schritt und Tritt, es
  • läuft einem sozusagen das Wasser im Munde zusammen, für ihn aber
  • heißt's: warte gefälligst. Und nun stellen Sie sich seine Lage vor:
  • einerseits, sehen Sie wohl, dieser Lachs und die Wassermelone, und
  • andererseits irgend so ein bitteres Gericht unter dem Namen: >_Komm
  • morgen wieder._< >Ach was,< denkt er, >mögen Sie dort machen, was sie
  • wollen, ich gehe hin, setze die ganze Kommission und all die
  • Vorsitzenden in Bewegung und erkläre: nein, bitte schön, das geht nicht
  • so weiter!< Und in der Tat, frech und aufdringlich, wie er ist, -- je
  • weniger einer im Oberstübchen los hat, desto mehr Mut hat er -- kommt er
  • also in die Kommission: >Nun was wünschen Sie?< fragt man ihn, >was
  • wollen Sie noch weiter, Sie haben doch schon Bescheid erhalten.< -- >Ich
  • bitt' Sie,< sagt er, >ich kann doch nicht so von der Hand in den Mund
  • leben. Ich muß doch meine Kottelette und eine Flasche französischen
  • Rotwein zum Mittagessen haben und mich ein wenig zerstreuen, einmal ins
  • Theater gehen, verstehen Sie,< sagte er -- >Nein, da müssen Sie uns
  • schon entschuldigen,< sagte da der Vorsitzende .. >Was das anbelangt, so
  • müssen Sie sich schon gewissermaßen gedulden. Sie haben doch etwas
  • bekommen, um sich über Wasser zu halten, bis die Order von oben
  • eingelaufen ist, und Sie können überzeugt sein, daß Sie nach Gebühr
  • entschädigt werden sollen: denn es ist bisher ohne Beispiel, daß bei uns
  • in Rußland ein Mann, der seinem Vaterland gewissermaßen, sozusagen,
  • einen Dienst geleistet hat, daß der unversorgt geblieben wäre. Aber,
  • wenn Sie sich freilich jetzt an Koteletts delektieren und ins Theater
  • gehen wollen, nein, wissen Sie, dann müssen Sie schon entschuldigen.
  • Dazu verschaffen Sie sich nur gefälligst selbst die Mittel. Da müssen
  • Sie sich schon selbst helfen.< Aber denken Sie bloß, mein Kopeikin
  • verzieht keine Miene. Die Worte prallen von ihm ab wie Erbsen von einer
  • Wand. Er erhob ein großes Geschrei und brachte die ganze Gesellschaft in
  • Aufruhr. Er ließ ein wahres Hagelwetter über all diese Regierungsbeamten
  • und Sekretäre los ... >Ja dann seid ihr ja dies und jenes,< sagte er,
  • >ja, dann kennt ihr ja eure Pflicht und Schuldigkeit nicht, ihr
  • Gesetzesverdreher!< Mit einem Wort, er wischte ihnen allen kräftig eins
  • aus. Zufällig kam ihm auch noch irgend so'n General aus einem andern
  • Ressort unter die Finger. Und auch der bekam seinen Teil, verstehen Sie
  • wohl. Kurz, er brachte sie alle durcheinander. Was soll man nur mit so
  • einem rasenden Kerl anfangen? Der Präsident sieht, es gibt keinen andern
  • Ausweg, man muß gewissermaßen, sozusagen, zu strengeren Maßregeln seine
  • Zuflucht nehmen. >Schön,< sagte er, >wenn Sie nicht damit zufrieden sind
  • was man Ihnen gibt, und hier in der Hauptstadt nicht ruhig auf die
  • Entscheidung Ihrer Sache warten wollen, so lasse ich Sie sozusagen in
  • Ihre Heimat abschieben. Der Feldjäger soll kommen und ihn nach der
  • Heimat transportieren!< Der Feldjäger aber, verstehen Sie wohl, der
  • steht schon da und wartet schon hinter der Tür: so'n baumlanger Kerl,
  • wissen Sie, mit einer Hand wie von der Natur selbst für den Kurierdienst
  • geschaffen. Mit einem Wort: ein richtiger Zahnzieher. So wird denn unser
  • braver Knecht Gottes in den Wagen befördert und ab geht's in Begleitung
  • des Feldjägers. >Na,< denkt Kopeikin, >da spar' ich wenigstens das
  • Reisegeld. Auch dafür bin ich den Herren dankbar.< So fährt er denn,
  • Verehrtester, mit dem Feldjäger, und während er so an der Seite des
  • Feldjägers sitzt, spricht er gewissermaßen, sozusagen, zu sich selber:
  • >Schön,< sagt er, >du erklärst mir, ich soll mir selbst helfen und die
  • Mittel suchen! Gut, schön,< sagt er, >ich will mir die Mittel schon
  • verschaffen!< Wie er nun an seinen Bestimmungsort befördert, und wohin
  • er eigentlich gebracht wurde, darüber ist nichts bekannt geworden. Und
  • daher sind denn auch die Nachrichten über den Hauptmann Kopeikin im
  • Strome der Vergessenheit untergegangen, in so einer Lethe, wissen Sie,
  • wie die Poeten es nennen. Doch hier, sehen Sie wohl, meine Herren, hier
  • schürzt sich, kann man wohl sagen, der Knoten unseres Romans. Wo also
  • Kopeikin verschwunden ist, das weiß niemand; aber stellen Sie sich vor,
  • es vergingen auch nicht zwei Monate, als in den Wäldern von Rjasan eine
  • Räuberbande auftauchte, und der Hauptmann dieser Räuberbande, sehen Sie
  • wohl, war kein anderer als ...«
  • »Aber erlaube mal, Iwan Andrejewitsch,« unterbrach ihn plötzlich der
  • Polizeimeister, »du sagtest doch selber, dem Hauptmann Kopeikin habe ein
  • Bein und ein Arm gefehlt; und Tschitschikow hat doch ...«
  • Da schrie der Postmeister laut auf, schlug sich mit aller Kraft vor die
  • Stirne und nannte sich vor versammeltem Publikum ein Rindvieh. Er konnte
  • garnicht verstehen, wie dieser Umstand ihm nicht gleich zu Anfang dieser
  • Erzählung eingefallen war, und erklärte, das russische Sprichwort: »der
  • Verstand des Russen ist von hinten am stärksten!« sei vollkommen wahr.
  • Aber gleich darauf fing er an, Winkelzüge zu machen und versuchte sogar
  • sich aus der Affäre zu ziehen, indem er behauptete, die Engländer
  • hätten, wie man aus den Zeitungen ersehen könne, die Mechanik sehr
  • vervollkommnet, und einer hätte sogar hölzerne Füße mit einem solchen
  • Mechanismus erfunden, daß man nur auf eine Spirale zu drücken brauche,
  • damit diese Füße einen in unbekannte Gegenden forttrügen, sodaß man den
  • Menschen überhaupt nicht mehr auffinden könne.
  • Aber trotzdem zweifelten alle, daß Tschitschikow der Hauptmann Kopeikin
  • sei, und fanden, daß der Postmeister schon gar zu weit über das Ziel
  • hinausgeschossen habe. Übrigens wollten sie sich ihrerseits auch nicht
  • lumpen lassen und verirrten sich, angeregt durch die geistvolle
  • Hypothese des Postmeisters, womöglich noch weiter. Unter den vielen in
  • ihrer Art geistreichen Vermutungen war besonders eine bemerkenswert: so
  • seltsam es klingt, es wurde die Ansicht laut, daß Tschitschikow
  • vielleicht _Napoleon_ sein könne, der sich verkleidet in ihrer Stadt
  • aufhielte; die Engländer seien schon längst eifersüchtig auf Rußland,
  • auf seine Macht und seine Größe, und es wären schon mehrmals Karikaturen
  • erschienen, auf denen ein Russe im Gespräch mit einem Engländer
  • abgebildet war: der Engländer steht da und hält einen Hund an der Leine,
  • dieser Hund aber soll _Napoleon_ vorstellen: >Paß auf,< sagt der
  • Engländer, >wenn mir etwas nicht behagt, dann hetze ich diesen Hund auf
  • dich.< Wer weiß, vielleicht hatten sie jetzt diesen Hund von St. Helena
  • losgelassen, und er schweifte nun unter der Maske Tschitschikows in
  • Rußland umher, während er doch in Wahrheit garnicht Tschitschikow sei.
  • Natürlich schenkten die Beamten dieser Hypothese keinen Glauben, aber
  • sie wurden doch nachdenklich und, wenn jeder von ihnen sich im stillen
  • die Sache überlegte, konnte er sich's nicht verhehlen, daß
  • Tschitschikows Profil eine verdächtige Ähnlichkeit mit dem Napoleons
  • hatte. Der Polizeimeister, welcher den Feldzug von 1812 mitgemacht
  • hatte, hatte Napoleon persönlich gesehen und mußte gleichfalls zugeben,
  • daß er sicherlich nicht größer als Tschitschikow und auch von Statur
  • weder allzu dick, aber andererseits auch wiederum nicht allzu dünn
  • gewesen sei. Vielleicht wird mancher Leser dies alles für sehr
  • unwahrscheinlich halten, -- nun auch der Autor ist bereit ihm zuliebe
  • zuzugestehen, daß die Geschichte sehr unwahrscheinlich ist; aber wie zum
  • Tort mußte sich alles geradeso abspielen, wie wir es hier erzählen, was
  • um so seltsamer ist, da die Stadt nicht irgendwo abseits vom Wege,
  • sondern in nächster Nähe von beiden Hauptstädten lag. Übrigens darf man
  • nicht vergessen, daß all diese Ereignisse bald nach der glorreichen
  • Vertreibung der Franzosen stattfanden. Um diese Zeit waren alle unsere
  • Gutsbesitzer, Beamten, Kaufleute, Handlungsgehilfen und alle gebildeten
  • und ungebildeten Leute wenigstens für die ersten acht Jahre
  • eingefleischte Politiker geworden. Die »Moskauer Nachrichten« und der
  • »Sohn des Vaterlandes« wurden so zerlesen, daß sie an den letzten Leser
  • nur noch als ein Häuflein Papierfetzen gelangten, der zu nichts mehr zu
  • gebrauchen war. Statt Fragen, wie die folgenden: Wie teuer haben Sie den
  • Scheffel Hafer verkauft, Väterchen? -- Was denken Sie vom gestrigen
  • Schneefall? -- hörte man nur noch Fragen: Nun, was steht in der Zeitung?
  • -- Ist Napoleon nicht wieder entwischt? -- Besonders die Kaufleute
  • fürchteten sich sehr davor, denn sie glaubten fest an die Prophezeiung
  • eines Wahrsagers, welcher schon seit drei Jahren im Kerker saß. Dieser
  • neue Prophet war plötzlich -- kein Mensch wußte woher -- in Bastschuhen
  • und in Felle gehüllt, die schrecklich nach faulen Fischen rochen, in der
  • Stadt aufgetaucht und hatte verkündigt, Napoleon sei der Antichrist, der
  • jetzt hinter sechs Mauern und sieben Meeren an einer steinernen Kette
  • schmachte, aber bald werde er seine Ketten sprengen und sich die ganze
  • Welt unterwerfen. Dieser Prophet war wegen seiner Prophezeiungen ins
  • Gefängnis geworfen worden, und das von Rechts wegen. Trotzdem aber hatte
  • er seine Mission erfüllt und die Kaufleute vollkommen um ihr bißchen
  • Verstand gebracht. Und lange noch, selbst während des flottesten
  • Geschäftsganges kamen die Kaufleute im Wirtshaus zusammen, um sich hier
  • beim Tee über den Antichrist zu unterhalten. Viele von den Kaufleuten
  • und den vornehmen Adeligen dachten auch, selbst ohne es zu wollen, über
  • die Sache nach und glaubten unter dem Einflusse der mystischen Stimmung,
  • welche bekanntlich damals alle Geister beherrschte, in jedem Buchstaben,
  • der in dem Wort Napoleon vorkam, einen besonderen, bedeutungsvollen Sinn
  • zu entdecken; viele wollten in ihm sogar die Zahlen aus der Apokalypse
  • wiedererkannt haben. Daher war es durchaus nicht so wunderbar, wenn auch
  • die Beamten in diesem Punkte stutzig wurden. Allein bald kamen sie
  • wieder zur Besinnung und merkten, daß ihre Phantasie schon allzu üppig
  • wucherte, und daß die Sache doch ganz anders liege. Sie dachten hin und
  • dachten her, überlegten her und überlegten hin, und kamen schließlich
  • zur Überzeugung, daß es vielleicht nicht übel wäre Nosdrjow einmal
  • gründlich auszuhorchen. Da er es ja gewesen war, der die Geschichte mit
  • den toten Seelen zuerst in die Welt gebracht hatte und, wie man sagte,
  • in so nahen Beziehungen zu Tschitschikow stand, mußte er doch etwas über
  • dessen Lebensverhältnisse wissen; und so beschloß man denn, erst einmal
  • zu hören was Nosdrjow sagen werde.
  • Höchst seltsame Leute, diese Herren Beamten, und mit ihnen die Vertreter
  • aller anderen Berufe: sie wußten doch ganz genau, daß Nosdrjow ein
  • Lügner sei, daß man ihm kein Wort glauben könne, selbst da nicht, wo es
  • sich um eine Bagatelle handelte und doch nahmen sie zu ihm ihre
  • Zuflucht. Da mag einer den Menschen verstehen! Er glaubt nicht an Gott,
  • aber glaubt dafür, daß er unbedingt sterben müsse, wenn ihm seine Nase
  • juckt; er geht gleichgültig an einer Schöpfung des Dichters vorbei,
  • welche so deutlich für sich zeugt, wie das Licht der Sonne, ganz
  • durchdrungen ist von innerer Harmonie und schlichter weiser Einfalt, um
  • sich gierig auf das Erzeugnis eines kecken Kopfes zu stürzen, der ihm
  • irgend ein wirres, krauses Zeug vorschwatzt und die Natur verrenkt und
  • vergewaltigt. Und das gefällt ihm. Da tut er den Mund weit auf und
  • schreit mit lauter Stimme: »Seht ihr! das ist reine Herzenskündigung!«
  • Sein ganzes Leben lang pfeift er auf die Ärzte, um am Ende zu einem
  • alten Weibe zu laufen, welches die Leute mit Sympathiemitteln und Spucke
  • kuriert, oder er braut sich gar selbst ein Dekokt aus irgend einem Zeug,
  • weil ihm plötzlich die tolle Idee kommt, es könne ihm etwas gegen seine
  • Krankheit nützen. Man hätte natürlich die Herren Beamten mit ihrer
  • schwierigen Lage entschuldigen können. Man sagt ja, daß ein Ertrinkender
  • nach einem Strohhalm greife, und daß er nicht soviel Überlegung habe, um
  • sich zu sagen, auf einem Strohhalm könne höchstens eine Fliege einen
  • Spazierritt wagen, nicht aber er, der vier oder gar fünf Zentner wiegt;
  • aber wie gesagt, in der Gefahr stellt er diese Überlegung überhaupt
  • nicht an und greift nach dem Strohhalm. So nahmen denn auch unsere
  • Herren schließlich ihre Zuflucht zu Nosdrjow. Der Polizeimeister schrieb
  • ihm sofort einen Brief, in dem er ihn einlud, bei ihm zu Abend zu
  • speisen, und ein Polizeikommissar in hohen Wasserstiefeln und mit
  • freundlichen roten Backen machte sich spornstreichs auf den Weg, nahm
  • seinen Säbel in die Hand und lief im Galopp zu Nosdrjow, um ihm das
  • Schreiben zu überbringen. Nosdrjow war gerade mit einem sehr wichtigen
  • Gegenstande beschäftigt; schon den vierten Tag verließ er das Haus
  • nicht, empfing keinen Menschen und ließ sich sogar das Mittagessen durch
  • das Fenster reichen -- mit einem Wort, er war ganz abgemagert und sah
  • beinah grün im Gesicht aus. Die Sache selbst erforderte die größte
  • Aufmerksamkeit und Sorgfalt: sie bestand in der Auswahl und
  • Zusammenstellung _eines_ Kartenspieles von gleicher Zeichnung aus einem
  • ganzen _Schock_. Dabei mußte die Zeichnung aber so scharf sein, daß man
  • sich auf sie verlassen konnte, wie auf seinen besten Freund. Eine solche
  • Arbeit erfordert mindestens zwei Wochen. Während dieser ganzen Zeit
  • mußte Porphyr dem kleinen Bullenbeißer den Nabel mit einer besonderen
  • Bürste reinigen und ihn dreimal am Tage mit Seife waschen. Nosdrjow war
  • sehr ärgerlich, daß er in seiner Einsamkeit gestört wurde; zuerst
  • schickte er den Polizeikommissar zum Teufel, als er jedoch von dem
  • Polizeimeister erfuhr, daß sich heute abend ein kleines Geschäftchen
  • machen ließe, da irgend ein Neuling zum Souper erwartet werde, war er
  • sofort milder gestimmt; er schloß also sein Zimmer schnell ab, kleidete
  • sich in aller Eile an und begab sich zum Polizeimeister. Nosdrjows
  • Aussagen, Zeugnisse und Vermutungen standen in so scharfem Gegensatz zu
  • denen der Herren Beamten, daß selbst ihre _kühnsten_ Hypothesen über den
  • Haufen geworfen wurden. Dies war tatsächlich ein Mensch, für den es
  • überhaupt kein Schwanken und kein Zweifeln gab; und so schüchtern und
  • vorsichtig _ihre_ Vermutungen waren, so fest und sicher waren die
  • _seinen_. Er antwortete sogleich, _ohne_ auch nur einen Moment zu
  • stocken auf alle Fragen. Er erklärte, Tschitschikow habe für einige
  • tausend Rubel tote Seelen gekauft, und er, Nosdrjow selbst, habe ihm
  • welche verkauft, weil er den Grund einsehe, warum man das nicht tun
  • solle. Auf die Frage, ob jener nicht ein Spitzel sei, der gekommen wäre,
  • um herumzuschnüffeln, antwortete Nosdrjow: natürlich sei er ein Spitzel;
  • schon in der Schule, die sie zusammen besucht hätten, sei er allgemein
  • eine Petze gescholten worden, sämtliche Kameraden, und unter ihnen auch
  • er, hätten ihn dafür einmal so kräftig durchgebläut, daß man ihm nachher
  • allein an den Schläfen zweihundertvierzig Blutegel setzen mußte -- er
  • hatte ursprünglich nur vierzig sagen wollen, aber die zweihundert waren
  • ihm wie von selbst entschlüpft. -- Auf die Frage, ob er nicht falsches
  • Papiergeld mache, antwortete Nosdrjow: natürlich mache er welches. Bei
  • dieser Gelegenheit erzählte er eine Geschichte von Tschitschikows
  • unglaublicher Geschicklichkeit und Gewandtheit: es sei nämlich
  • herausgekommen, daß er in seinem Hause für zwei Millionen falsches
  • Papiergeld versteckt habe. Da habe man denn das Haus gerichtlich
  • gesperrt, einen Posten vor den Eingang und zwei Soldaten vor jede Tür
  • gestellt; Tschitschikow aber hätte die Banknoten in einer Nacht alle
  • miteinander vertauscht, sodaß man am anderen Tage, als die Siegel gelöst
  • wurden, lauter echte Scheine vorfand. Auf die Frage: ob Tschitschikow
  • tatsächlich die Absicht habe, die Tochter des Gouverneurs zu entführen,
  • und ob es denn wahr sei, daß er, Nosdrjow, ihm seine Hilfe und Beistand
  • dazu angeboten habe, antwortete dieser: gewiß habe er ihm geholfen, und
  • wenn er nicht dabei gewesen wäre, so wäre die ganze Sache mißglückt.
  • Hier stockte er ein wenig; er sah nämlich, daß er ohne allen Grund
  • gelogen habe und dadurch leicht in Unannehmlichkeiten geraten konnte,
  • aber er hatte eben die Zunge nicht im Zaum halten können. Und dies war
  • auch keine Kleinigkeit, denn es drängten sich seiner Phantasie gleich so
  • interessante Einzelheiten auf, daß es tatsächlich ein Ding der
  • Unmöglichkeit war, ganz auf sie zu verzichten: so nannte er denn sogar
  • das Dorf, wo sich die Kreiskirche befand, in der die Trauung stattfinden
  • sollte; dies sei nämlich das Dorf Truchmatschowka, der Pope heiße Pater
  • Sidor, die Trauung sollte fünfundsiebzig Rubel kosten, trotzdem aber
  • hätte der Priester seine Einwilligung nie gegeben, wenn ihm
  • Tschitschikow nicht gedroht hätte, er werde es bekannt machen, daß jener
  • den Kaufmann Michael mit einer Verwandten getraut habe; er, Nosdrjow,
  • habe ihnen sogar seinen Wagen zur Verfügung gestellt und auf allen
  • Stationen für Pferde gesorgt. Er verlor sich bereits soweit in Details,
  • daß er sogar die Postillone bei ihrem Namen nannte. Hier wagte es
  • jemand, Napoleon zu erwähnen, aber er wurde dessen selbst nicht froh,
  • denn Nosdrjow schwatzte einen solchen Unsinn zusammen, der nicht nur gar
  • keine Ähnlichkeit mit der Wahrheit hatte, sondern in jeder Beziehung
  • unmöglich war, sodaß die Beamten schließlich aufstanden und seufzend
  • weggingen; nur der Polizeimeister hörte ihm noch lange aufmerksam zu,
  • weil er immer noch erwartete, daß sich was aus ihm herausholen ließe,
  • aber schließlich machte auch er eine hoffnungslose Gebärde und sagte
  • nur: »Pfui Teufel!« Und alle Anwesenden waren mit ihm einverstanden,
  • jede weitere Bemühung gliche wahrhaftig bloß dem Versuch, den Bock zu
  • melken. So war denn die Lage unserer Beamten noch schlimmer als vorher,
  • und man kam zum Schluß, daß es ganz unmöglich sei, herauszukriegen, wer
  • nun Tschitschikow eigentlich sei. Und hier kam es wieder so recht ans
  • Licht, was für ein Wesen der Mensch ist: er ist nur da klug, vernünftig
  • und weise, wo es sich um Sachen handelt, die _andere_ Leute, nicht aber
  • _ihn selbst_ was angehen. Mit was für umsichtigen und wohlüberlegten
  • Ratschlägen versorgt er euch nicht in den schwersten Lebenslagen! »Welch
  • ein gescheiter Kopf!« ruft die Menge: »welch ein unbeugsamer Charakter!«
  • Aber laßt nur einmal irgend ein Unglück über diesen »gescheiten Kopf«
  • hereinbrechen, laßt ihn selbst einmal in schwere Lebenslagen kommen --
  • wo ist da plötzlich sein Charakter geblieben! dieser unbeugsame Mann
  • steht völlig fassungslos da, er hat sich in einen erbärmlichen Feigling,
  • in ein schwaches, jammerndes Kind oder einfach in einen Waschlappen
  • verwandelt, wie Nosdrjow sich auszudrücken liebte.
  • All dies Gerede, diese Gerüchte und Hypothesen machten aus irgend einem
  • Grunde den größten Eindruck auf den armen Staatsanwalt. Dieser Eindruck
  • war so stark, daß er nach Hause ging, zu grübeln begann und so ins
  • Grübeln hineinkam, daß er sich eines schönen Tags ganz plötzlich, und
  • ohne daß man hätte sagen können, warum, hinlegte und starb. Hatte ihn
  • ein Schlag gerührt, oder war es etwas anders, genug, er fiel mit einem
  • Mal vom Stuhl herab und streckte sich lang auf den Fußboden aus. Wie das
  • in solchen Fällen zu geschehen pflegt, schrieen alle laut auf vor
  • Schrecken; schlugen die Hände zusammen, riefen: »Ach Gott, ach Gott!«
  • ließen den Arzt holen, um ihn zur Ader zu lassen, und überzeugten sich
  • schließlich, daß der Staatsanwalt nur noch ein seelenloser Leichnam war.
  • Jetzt erst erfuhr man zum allgemeinen Bedauern, daß der Verstorbene
  • tatsächlich eine Seele gehabt hatte, trotzdem er sich in seiner
  • Bescheidenheit nichts davon hatte merken lassen. Und doch war die
  • Erscheinung des Todes _hier_ genau so schrecklich, wo sie sich nur an
  • einem der kleinen Menschen offenbarte, wie wenn sie sich an einem großen
  • manifestiert hätte: er, der noch vor kurzem unter den Lebenden gewandelt
  • war, sich bewegt, Whist gespielt, alle möglichen Papiere unterschrieben
  • und so oft mit seinen buschigen Augenbrauen und den blinzelnden Augen
  • unter den Beamten geweilt hatte, er lag jetzt auf dem Tische, das linke
  • Auge blinzelte nicht mehr, und bloß die eine Augenbraue war noch ein
  • wenig emporgezogen, was dem Gesichte einen seltsamen fragenden Ausdruck
  • verlieh. Was das wohl für eine Frage war, die auf seinen Lippen
  • schwebte? ob er wissen wollte, wozu er gelebt hatte, oder wozu er
  • gestorben sei -- das weiß Gott allein.
  • »Aber das ist doch unmöglich, das ist ganz undenkbar! das kann doch
  • garnicht sein, daß die Beamten sich gegenseitig so in Furcht und
  • Schrecken jagten, eine solche Verwirrung anrichteten und sich so von der
  • Wahrheit entfernen konnten, wo doch jedes Kind einsehen mußte, um was es
  • sich hier handelte!« So wird mancher Leser sprechen und dem Autor
  • vorwerfen, er bringe unwahrscheinliche und unmögliche Dinge vor, oder
  • man wird die armen Beamten für Narren erklären, weil der Mensch ja
  • bekanntlich sehr freigiebig mit dem Worte »_Narr_« und zwanzigmal am
  • Tage dazu bereit ist, seinen Mitmenschen, diesen Kosenamen an den Kopf
  • zu werfen. Es genügt schon, daß man eine törichte Eigenschaft unter zehn
  • vernünftigen habe, um trotz alledem für einen Narren erklärt zu werden.
  • Der Leser hat es leicht, zu urteilen, wo er ruhig in seinem stillen
  • Winkel sitzt und von seinem hohen Standort, von dem aus sich ihm der
  • ganze weite Horizont auftut, auf das Treiben da unten herabzusehen, wo
  • der Mensch nur gerade _die_ Gegenstände erkennen kann, die sich
  • unmittelbar vor seiner Nase befinden. Und es gibt in der Chronik der
  • Weltgeschichte so manches Jahrhundert, das er einfach streichen und für
  • überflüssig erklären möchte. Wie reich an Irrtümern ist doch die Welt,
  • an Irrtümern die heute vielleicht ein Kind zu vermeiden wüßte. Was für
  • seltsame Schlangenwindungen, was für enge, verwachsene, unzugängliche,
  • abseitsführende Wege wählte die Menschheit in ihrem Streben nach der
  • ewigen Wahrheit, während der gerade Weg offen vor ihren Augen lag, wie
  • der Weg, der in das prunkende Heiligtum des königlichen Palastes führt.
  • Breiter und herrlicher ist er als alle Wege, im strahlenden Sonnenglanze
  • liegt er da und nachts erhellen ihn leuchtende Flammen; und doch irrten
  • die Menschen an ihm vorbei in düsterer Finsternis, oft schon stieg die
  • Vernunft vom Himmel herab und wies sie zurecht. Aber auch jetzt noch
  • schreckten sie zurück, kamen sie immer aufs neue vom rechten Wege ab,
  • verstanden sie es am hellichten Tage, sich in verborgene wüste Gegenden
  • zu verlaufen, immer wieder den andern undurchdringliche Nebel vor die
  • Augen zu weben, und trügenden Irrlichtern nachjagend, bis zu Abgründen
  • vorzudringen, um sich dann mit Entsetzen zu fragen: wo ist ein Steg, wo
  • gibt es einen Ausweg? Wohl ist dies alles unserem in der Klarheit
  • wandelnden Geschlechte bekannt. Es wundert sich über die Verirrungen, es
  • lacht über die Torheiten seiner Vorfahren, aber es sieht nicht, daß
  • diese Chronik mit der Flammenschrift des Himmels geschrieben ist, daß
  • jeder Buchstabe die Wahrheit laut verkündet, daß auf allen Seiten der
  • mahnenden Finger auf es selbst weist, auf unser heute lebendes
  • Geschlecht; aber es lacht das Geschlecht von heute, und stolz und seiner
  • selbst bewußt beginnt es eine neue Reihe von Verirrungen, über welche
  • die Nachkommen ebenso stolz lächeln werden.
  • Tschitschikow hatte nichts von alledem erfahren; wie mit Absicht hatte
  • er sich gerade um diese Zeit eine leichte Erkältung, Reißen im Gesicht
  • und eine kleine Halsentzündung zugezogen, eine von jenen Krankheiten,
  • mit denen das Klima vieler unserer Provinzstädte die Einwohner besonders
  • freigebig bedenkt. Damit nur sein Leben um Gottes Willen kein jähes Ende
  • nähme, ehe er noch Zeit gehabt, für seine Nachkommenschaft zu sorgen,
  • beschloß er lieber drei, vier Tage zu Hause zu bleiben. Während dieser
  • Zeit gurgelte er beständig mit Milch, in der eine Feige schwamm, welche
  • er jedesmal mit Genuß verzehrte, auch trug er ein kleines Säckchen mit
  • Kamillen und Kampfer auf der Wange. Um sich ein wenig zu zerstreuen,
  • legte er sich ein ausführliches Verzeichnis über die von ihm gekauften
  • Bauern an, las dann noch irgend ein Buch von der Herzogin Savallière,
  • das er in seinem Koffer fand, sah noch einmal alle Zettelchen und
  • Sächelchen durch, die sich in seiner Schatulle befanden, und überflog
  • manches noch einmal, bis ihm auch dies alles langweilig wurde. Er konnte
  • durchaus nicht verstehen, was es zu bedeuten habe, daß kein einziger von
  • den Beamten der Stadt zu ihm kam, um sich nach seiner Gesundheit zu
  • erkundigen, während doch noch vor wenigen Tagen fast immer ein Wagen vor
  • seiner Tür gehalten hatte -- bald der des Staatsanwalts, bald der des
  • Postmeisters, bald der des Präsidenten. Er zuckte fortwährend mit den
  • Achseln, während er im Zimmer auf- und abging. Endlich fühlte er sich
  • etwas besser, und er war ganz glücklich, als er wieder soweit
  • hergestellt war, daß er an die frische Luft gehen konnte. Er machte sich
  • ohne Verzug an die Toilette, öffnete die Schatulle, goß etwas warmes
  • Wasser in ein Glas, nahm Seife und Bürste heraus und ging daran, sich zu
  • rasieren, wozu es übrigens schon längst Zeit war, denn als er sein Kinn
  • mit der Hand befühlte und in den Spiegel blickte, rief er aus: »Das ist
  • ja der reinste Wald!« Und in der Tat: wenn's auch gerade kein Wald war,
  • so ließ sich's doch nicht leugnen, daß auf Kinn und Wangen die Saat
  • üppig sproßte. Nachdem er sich rasiert hatte, kleidete er sich ganz
  • schnell an, ja er sprang beinahe aus seinen Hosen heraus. Endlich war er
  • angezogen; er besprengte sich noch mit Kölnischem Wasser, hüllte sich
  • recht warm in seinen Mantel und trat auf die Straße hinaus, nachdem er
  • sich vorsichtiger Weise vorher noch ein Tuch um die Wange gebunden
  • hatte. Sein erster Ausgang hatte, wie der jedes wiedergenesenen Menschen
  • -- etwas wahrhaft Festliches. Alles, was er erblickte, schien ihm
  • freundlich zuzulächeln, die Häuser und die Bauern auf der Straße, die
  • eigentlich eine sehr ernste Miene zur Schau trugen und von denen schon
  • mancher seinen Bruder übers Ohr gehauen hatte. Sein erster Besuch sollte
  • dem Gouverneur gelten. Unterwegs kamen ihm allerhand Gedanken in den
  • Sinn: bald dachte er an die junge Blondine, ja seine Phantasie schlug
  • sogar ein wenig über die Schnur, und er begann über sich selbst zu
  • lachen und sich über sich selbst lustig zu machen. In solcher Stimmung
  • fand er sich plötzlich dem Hause des Gouverneurs gegenüber. Schon hatte
  • er den Flur betreten und war eben im Begriff, eilig seinen Mantel
  • abzulegen, als der Portier plötzlich auf ihn zuging und ihn durch
  • folgende Worte überraschte: »Ich habe den Befehl erhalten, Sie nicht
  • vorzulassen!«
  • »Wie? Was fällt dir ein? Du erkennst mich wohl nicht? Sieh mich doch
  • ordentlich an!« fiel Tschitschikow erstaunt ein.
  • »Gewiß habe ich Sie erkannt! Ich sehe Sie doch nicht zum ersten Mal,«
  • sagte der Portier. »Sie _allein_ darf ich ja gerade nicht vorlassen;
  • jeden andern, nur Sie nicht!«
  • »Ach was! Weswegen nur nicht, warum denn nicht?«
  • »So lautet der Befehl; es wird wohl seinen Grund haben,« sagte der
  • Portier und fügte noch ein »Ja« hinzu, worauf er in nachlässiger Haltung
  • vor ihm stehen blieb, ganz ohne jenes freundliche Lächeln, mit dem er
  • ihm sonst so dienstbeflissen aus seinem Mantel herausgeholfen hatte.
  • Wahrscheinlich dachte er sich: »He! wenn dich die Herrschaften von der
  • Schwelle jagen, dann bist du sicherlich irgend ein Prolet!«
  • »Unbegreiflich!« dachte Tschitschikow und begab sich sofort zum
  • Gerichtspräsidenten; aber der Präsident wurde bei seinem Anblick so
  • verlegen, daß er keine zwei Worte stammeln konnte und solch ein
  • törichtes Zeug zusammenschwatzte, daß alle beide verlegen wurden.
  • Tschitschikow entfernte sich und gab sich unterwegs alle mögliche Mühe,
  • herauszubekommen, was der Präsident eigentlich gemeint, und was seine
  • Worte für einen Sinn gehabt hätten, aber es wollte ihm durchaus nicht
  • gelingen. Dann ging er zu den andern: zum Polizeimeister, zum
  • Vize-Gouverneur, zum Postmeister, aber sie weigerten sich entweder, ihn
  • zu empfangen, oder bereiteten ihm einen so seltsamen Empfang, führten so
  • eigentümliche Reden, wurden so verlegen und benahmen sich so merkwürdig,
  • daß er wirklich annehmen mußte, sie seien nicht ganz bei Verstande. Er
  • machte noch einen Versuch und ging zu einigen Bekannten, um den Grund
  • dieser Veränderung zu erfahren, aber auch hier wollte es ihm nicht
  • glücken. Wie im Halbschlaf irrte er durch die Stadt, ohne entscheiden zu
  • können, ob er selbst verrückt sei, oder die Beamten den Kopf verloren
  • hätten, ob dies alles nur ein Traum, oder alberne törichte Wirklichkeit
  • sei, die noch abgeschmackter war als ein Traum. Erst spät am Abend, als
  • es schon dunkel zu werden begann, kehrte er in seinen Gasthof zurück,
  • den er in so glänzender Stimmung verlassen hatte, und ließ sich vor
  • Ärger und Langeweile Tee bringen. Nachdenklich und in Grübeln über die
  • Seltsamkeit seiner Lage versunken, schenkte er sich eine Tasse Tee ein,
  • als sich plötzlich die Zimmertür auftat und Nosdrjow, den er am
  • allerwenigsten erwartet hatte, hineintrat.
  • »Für einen Freund ist kein Weg zu weit! wie das Sprichwort sagt,« rief
  • dieser und nahm seinen Hut ab: »ich komme eben vorüber und sehe Licht in
  • deinem Fenster. >Wahrscheinlich schläft er noch nicht, denke ich mir,
  • ich muß doch mal rauf gehen und nachsehen.< Ah! das ist aber schön, daß
  • du Tee hast, ich trinke mit Vergnügen ein Täßchen mit: ich hab' heute
  • allerhand Zeug gegessen und fühle schon, daß mein Magen zu rebellieren
  • beginnt! Laß mir doch bitte eine Pfeife stopfen. Wo ist denn deine
  • Pfeife?«
  • »Ich rauche doch keine Pfeife,« sagte Tschitschikow trocken.
  • »Unsinn, als ob ich nicht weiß, daß du ein enragierter Raucher bist. He!
  • Wie heißt doch gleich dein Diener? He Bachrameus, hör mal!«
  • »Er heißt nicht Bachrameus, er heißt Petruschka.«
  • »Wie? Du hattest doch früher einen Bachrameus?«
  • »Ist mir nicht eingefallen!« sagte Tschitschikow. »Richtig, es ist ja
  • wahr. Das ist ja Derebin, der hat einen Bachrameus. Denk mal, was der
  • Derebin für ein Schwein hat: seine Tante hat sich mit ihrem Sohn
  • gezankt, weil der eine Leibeigne geheiratet hat, und nun hat sie dem
  • Derebin ihr ganzes Vermögen zugeschrieben. Das wär doch fein, wenn unser
  • einer so eine Tante hätte, weißt du, das wären schöne Aussichten, was?
  • Sag mal, Freund, was ist denn das mit dir, warum ziehst du dich
  • plötzlich so von uns allen zurück, man sieht dich ja überhaupt nicht
  • mehr. Ich weiß, du beschäftigst dich mit wissenschaftlichen
  • Gegenständen, du liest sehr viel (woraus Nosdrjow schloß, daß unser Held
  • sich mit wissenschaftlichen Gegenständen beschäftigt und sehr viel
  • liest, das können wir, wie wir zu unserem Bedauern gestehen müssen,
  • leider nicht verraten, noch weniger aber hätte es Tschitschikow können).
  • Hör mal Tschitschikow! Wenn du bloß gesehen hättest ... das wär' was für
  • deinen satirischen Geist gewesen. (Warum Tschitschikow einen satirischen
  • Geist haben sollte -- ist leider auch ganz unbekannt.) Denk mal, lieber
  • Freund, beim Kaufmann Liebatschew da haben wir neulich Karten gespielt,
  • nein, und haben wir da aber gelacht! Pererependjew, der mit mir dort
  • war, sagte immer, >wenn doch Tschitschikow bloß hier wäre, das wäre was
  • für ihn!< (Tschitschikow hatte Pererependjew überhaupt nie gesehen.)
  • Nein, gesteh's nur, Bester, damals hast du wirklich gemein an mir
  • gehandelt, weißt du noch, als wir Dame spielten? Ich hatte ja gewonnen
  • ... Aber, du hast mich einfach beschwindelt! Aber, hol's der Teufel, ich
  • kann halt nicht lange böse sein. Neulich beim Präsidenten ... Ach ja,
  • ich muß dir noch sagen: in der Stadt sind alle gegen dich aufgebracht!
  • Sie glauben, daß du falsches Papiergeld machst .. Plötzlich fallen alle
  • über mich her -- na, ich stelle mich natürlich wie ein Berg vor dich hin
  • -- ich habe ihnen was vorerzählt: daß wir zusammen in die Schule
  • gegangen sind, und daß ich deinen Vater gekannt habe; mit einem Wort,
  • ich habe ihnen tüchtig was vorgeschwindelt!«
  • »Ich soll falsches Papiergeld machen?« rief Tschitschikow aus und sprang
  • vom Stuhl auf.
  • »Warum hast du sie denn auch so in Schrecken gejagt?« fuhr Nosdrjow
  • fort, »sie sind ja halb toll vor Angst: sie halten dich für einen
  • Spitzel und Räuber. -- Der Staatsanwalt ist ja vor lauter Schreck
  • gestorben .. morgen ist die Beerdigung. Du kommst doch bestimmt? Offen
  • gestanden, sie haben Furcht vor dem neuen Generalgouverneur, und haben
  • Angst, es könnte deinetwegen noch eine Geschichte geben; was den
  • Generalgouverneur anbetrifft, so bin ich freilich der Ansicht, daß er
  • mit dem Adel nichts ausrichten wird, wenn er allzu hochnäsig ist und gar
  • zu dicke tut. Der Adel will mit Liebe behandelt sein: nicht wahr? Man
  • kann sich natürlich in seinem Zimmer verstecken und nie einen Ball
  • geben, aber was nützt das? Damit ist noch nichts gewonnen. Aber hör mal,
  • Tschitschikow, du hast da eine gefährliche Sache unternommen?«
  • »Was für eine gefährliche Sache?« fragte Tschitschikow unruhig.
  • »Na, das mit der Entführung der Gouverneurstochter. Offen gesagt, ich
  • habe das von dir erwartet, bei Gott, ich hab es erwartet! Gleich als ich
  • euch zum ersten Mal zusammen auf dem Ball sah: >Na! denke ich mir, der
  • Tschitschikow ist nicht umsonst hier ...< Übrigens hast du keine gute
  • Wahl getroffen; ich finde gar nichts Gutes an ihr. Es gibt da eine
  • andre, eine Verwandte von Bikussow, eine Tochter seiner Schwester, das
  • ist ein Prachtmädel! Da kann man sagen: Einfach entzückend!«
  • »Was redest du da für ein Blech zusammen? Wer will denn die Tochter des
  • Gouverneurs entführen. Was fällt dir ein?« sagte Tschitschikow und
  • starrte ihn verständnislos an.
  • »Mach doch keine Sachen, lieber Freund: so ein Geheimniskrämer! Ich will
  • ganz offen sein, ich bin eigentlich nur deswegen zu dir gekommen, um dir
  • meine Hilfe anzubieten. Ich will meinetwegen den Brautkranz halten und
  • dir meinen Wagen und meine Pferde zur Verfügung stellen, nur unter einer
  • Bedingung: du mußt mir dreitausend Rubel leihen. Ich hab sie unbedingt
  • nötig, ich bin in einer verzweifelten Lage.«
  • Während dieser törichten Reden Nosdrjows rieb sich Tschitschikow
  • mehrmals die Augen, um sich zu überzeugen, ob er nicht etwa träume. Das
  • falsche Papiergeld, die Entführung der Tochter des Gouverneurs, der Tod
  • des Staatsanwalts, dessen Ursache _er_ sein sollte, die Ankunft des
  • Generalgouverneurs, dies alles jagte ihm keinen geringen Schreck ein.
  • »Oh weh, wenn die Sache so steht,« dachte er, »dann darf ich nicht
  • länger säumen, dann muß ich mich schleunigst davonmachen.«
  • Er suchte sich Nosdrjow möglichst schnell vom Halse zu schaffen, ließ
  • sofort Seliphan rufen und befahl ihm, sich bei Sonnenaufgang bereit zu
  • halten, weil er am nächsten Morgen um 6 Uhr die Stadt verlassen wolle.
  • Daher trug er ihm noch einmal auf, nach allem zu sehen, den Wagen
  • ordentlich zu schmieren usw. usw. Seliphan sagte nur: Zu Befehl, Pawel
  • Iwanowitsch, blieb aber trotzdem eine Weile an der Türe stehen, ohne
  • sich vom Fleck zu rühren. Der Herr befahl Petruschka, sofort den Koffer
  • unter dem Bett hervorzuholen, der schon mit einer dicken Staubschicht
  • bedeckt war, und begann zusammen mit seinem Burschen all seine Sachen
  • einzupacken; dabei machte er nicht viel Umstände und warf alles, was ihm
  • unter die Hände kam, in einen Korb hinein: Strümpfe, Hemden, die _reine_
  • und die _schmutzige_ Wäsche, Stiefelbürsten, einen Kalender usw. Dies
  • alles wurde in aller Eile eingepackt, denn er wollte unbedingt noch am
  • selben Abend damit fertig sein, um am anderen Morgen nicht unnütz Zeit
  • zu verlieren. Seliphan stand noch ein paar Minuten an der Türe und
  • verließ dann leise das Zimmer. Ganz bedächtig und so langsam, wie man
  • sich's nur vorstellen kann, stieg er die Treppe hinunter, indem er den
  • Abdruck seiner feuchten Stiefel auf den abgetretenen Stufen zurückließ.
  • Und lange noch stand er da und kratzte sich den Hinterkopf. Was bedeutet
  • diese Gebärde? und was hat sie überhaupt zu bedeuten? War es der Ärger,
  • daß die für morgen verabredete Zusammenkunft mit irgend einem Kollegen
  • in einem ebenso ärmlichen Pelze und einem ähnlichen Gürtel um die Taille
  • in irgend einer kaiserlichen Schenke sich zerschlagen hatte; oder hatte
  • sich an dem neuen Ort schon eine Herzensaffäre angesponnen, und nun
  • sollte es aus sein mit dem Stehen unter dem Toreingange und mit dem
  • höflichen Händedrücken abends in der Dämmerung, wenn die Burschen im
  • roten Hemde vor den Mägden auf der Balalaika[6] klimperten und die bunte
  • Volksmenge nach des Tages Last und Mühe leise Reden wechselt -- oder war
  • es nur der Schmerz, das warme Plätzchen in der Küche am Ofen unter dem
  • Pelze, die Genossen, die Kohlsuppe und die weiche Pastete, wie man sie
  • nur in der Stadt bekommt, verlassen zu müssen, um sich aufs neue in den
  • Regen und Schnee hinauszubegeben und die Strapazen und Unbill der Reise
  • auf sich zu nehmen? Das mag Gott wissen -- errate wer's will. Gar
  • vielerlei hat es zu bedeuten, wenn sich das russische Volk hinter den
  • Ohren kratzt.
  • [Fußnote 6: Ein Saiteninstrument: eine Art Guitarre.]
  • Elftes Kapitel.
  • Es kam jedoch ganz anders als Tschitschikow vermutet hatte. Erstlich
  • wachte er viel später auf, als er beabsichtigte -- dies war die erste
  • Unannehmlichkeit -- dann stand er auf und schickte sofort jemand
  • hinunter, um zu erfahren, ob der Wagen in Ordnung, die Pferde angespannt
  • und alles zur Abreise bereit sei, mußte aber zu seinem Leidwesen
  • erfahren, daß die Pferde nicht angespannt und noch gar keine Anstalten
  • zur Abreise getroffen seien -- und dies war die zweite Unannehmlichkeit.
  • Das brachte ihn geradezu in Wut, er nahm sich sogar schon vor, unserem
  • Freunde Seliphan einen ordentlichen Nasenstüber zu versetzen, und
  • wartete mit Ungeduld, was der wohl für eine Ausrede zu seiner
  • Entschuldigung vorbringen würde. Bald erschien Seliphan auch in der Tür,
  • worauf sein Herr das Vergnügen hatte, dieselben Reden über sich ergehen
  • zu lassen, die man stets von den Bedienten zu hören bekommt, wenn man
  • verreisen will und große Eile hat.
  • »Man muß doch aber die Pferde zuerst beschlagen lassen, Pawel
  • Iwanowitsch!«
  • »Ach du Hundsfott! Du Klotz du! Warum hast du mir das denn nicht früher
  • gesagt? Du hast doch wohl Zeit genug dazu gehabt?«
  • »Hm, ja, Zeit hätt' ich freilich dazu gehabt ... Aber dann ist da noch
  • was mit dem Rade los, Pawel Iwanowitsch ... Man wird einen neuen Reifen
  • aufsetzen müssen, der Weg hat so viele Gruben und Löcher, und ist so
  • holperig ... Ja, und dann habe ich noch etwas vergessen: der Kutschbock
  • ist entzwei, der ist so wackelig, daß er keine zwei Stationen mehr
  • halten kann.«
  • »Schurke!« schrie Tschitschikow, schlug die Hände zusammen und ging auf
  • Seliphan los, daß dieser Angst bekam, sein Herr könne ihm ein recht
  • unangenehmes Geschenk machen, auswich und ein paar Schritte zurücktrat.
  • »Willst du mich umbringen? Willst du mich töten? Was? Du willst mich
  • wohl am Wege ermorden, wie ein Räuber und Strauchdieb? Du Schwein du, du
  • Meerungeheuer! Drei Wochen lang rühren wir uns nicht vom Fleck! Und wenn
  • er nur ein einziges Wort gesagt hätte, der nichtsnutzige Kerl! Statt
  • dessen verschiebt er alles bis auf die letzte Stunde! Jetzt wo schon
  • alles so weit ist, daß man einsteigen und fortfahren möchte, gerade da
  • muß er einem solch einen Streich spielen! Was ...? Du hast es doch
  • gewußt? Hast du es etwa nicht gewußt? Wie? Antworte! Nun?«
  • »Freilich!« antwortete Seliphan und ließ den Kopf hängen.
  • »Nun warum hast du dann nichts gesagt? Wie?« Auf diese Frage erfolgte
  • keine Antwort. Seliphan stand noch immer mit gesenktem Kopfe da, und
  • schien zu sich selbst zu sprechen: »Siehst du wohl, wie das gekommen
  • ist: ich hab's doch gewußt, und trotzdem nicht gesagt!«
  • »So, lauf jetzt zum Schmied und laß ihn kommen. In zwei Stunden muß
  • alles fertig sein, verstanden? Spätestens in zwei Stunden! Wenn's dann
  • nicht fertig ist, dann -- dann nehm ich dich und binde dich zu einem
  • Knoten zusammen!« Unser Held war ganz außer sich vor Wut.
  • Seliphan wollte schon hinausgehen, um den Befehl seines Herrn
  • auszuführen; aber er besann sich noch einen Augenblick, blieb stehen und
  • sagte: »Wissen Sie, gnädiger Herr, den Schecken, den sollte man
  • eigentlich verkaufen, wirklich Pawel Iwanowitsch, das ist so ein Schurke
  • ... bei Gott, solch ein gemeiner Gaul, der hindert einen ja nur!«
  • »So? ich soll wohl gleich auf den Markt laufen und ihn verschachern.
  • Was?«
  • »Bei Gott, Pawel Iwanowitsch. Der sieht nur so kräftig aus; in
  • Wirklichkeit ist er höchst verschlagen und unzuverlässig, so ein Pferd
  • gibt's gar nicht wieder ...«
  • »Esel! Wenn es mir paßt, dann verkaufe ich ihn schon selbst. Hält der
  • Kerl hier noch lange Reden! Paß mal auf; wenn du mir nicht gleich ein
  • paar Schmiede holst, und wenn mir nicht in zwei Stunden alles fix und
  • fertig ist, dann kriegst du einen Nasenstüber, daß du nicht weißt, wo
  • dir der Kopf steht! Mach, daß du raus kommt! Marsch!« Seliphan verließ
  • das Zimmer.
  • Tschitschikow war in der schlechtesten Laune, die man sich denken kann,
  • und warf seinen Säbel, den er auf Reisen immer bei sich trug, um die
  • Leute in Furcht und Respekt zu halten, wütend auf den Boden. Mehr als
  • eine Viertelstunde zankte er sich mit den Schmieden herum, ehe er mit
  • ihnen einig wurde, denn diese waren, wie das zu geschehen pflegt, ganz
  • abgefeimte Gauner und forderten das Sechsfache, als sie merkten, daß
  • Tschitschikow es sehr eilig hatte. So sehr er sich auch ereiferte, sie
  • Diebe, Räuber und Wegelagerer nannte, es wollte alles nichts fruchten;
  • er versuchte es sogar, sie mit dem jüngsten Gericht zu schrecken; aber
  • auch das machte keinen Eindruck auf die Schmiedegesellen, sie blieben
  • fest, und ließen nicht nur nichts vom geforderten Preise ab, sondern
  • brauchten noch dazu statt zwei Stunden ganze fünfeinhalb, um den Wagen
  • in Ordnung zu bringen. Während dieser Zeit konnte Tschitschikow in
  • vollen Zügen jene schönen Minuten genießen, die jeder Reisende so gut
  • kennt, wenn die Koffer gepackt sind und nur noch einige Stücke
  • Bindfaden, ein paar Papierfetzen und anderer Plunder im Zimmer
  • herumliegen, wenn der Mensch noch nicht im Wagen sitzt, aber auch nicht
  • ruhig zu Hause bleiben kann, und schließlich ans Fenster tritt, um sich
  • die Leute anzusehen, die unten auf der Straße vorüber gehen oder eilen,
  • über ihre Groschen sprechen, ihre blöden Blicke neugierig auf ihn
  • richten und ruhig ihrer Wege gehen, was den armen Reisenden, der
  • durchaus nicht fort kann, noch mehr verstimmt. Alles was er sieht: der
  • vor ihm liegende Kaufladen, der Kopf der alten Frau, die im
  • gegenüberliegenden Hause wohnt, und von Zeit zu Zeit immer wieder an das
  • mit kurzen Gardinen verhängte Fenster tritt, -- alles widert ihm an, und
  • doch kann er sich nicht entschließen, vom Fenster wegzugehen. Er rührt
  • sich nicht vom Fleck, seine Gedanken verlieren sich ins Uferlose, er
  • vergißt _sich_ und seine ganze Umgebung, um gleich darauf wieder zu den
  • vertrauten Gegenständen zurückzukehren. Stumpfen Sinnes betrachtet er
  • alles, was um ihn herum lebt und webt, und zerdrückt schließlich
  • ärgerlich eine Fliege, die summend gegen die Fensterscheibe fliegt und
  • ihm dabei gerade unter die Finger kommt. Aber alles in der Welt hat ein
  • Ende, und der ersehnte Augenblick bricht an: endlich war alles in
  • Ordnung: der Kutschbock war repariert, wie es sich gehörte, das Rad
  • hatte einen neuen Reifen, die Pferde hatten zu trinken bekommen, und die
  • Schmiede entfernten sich, nachdem sie ihr Geld noch einmal nachgezählt
  • und Tschitschikow eine glückliche Reise gewünscht hatten. Endlich waren
  • auch die Pferde vor den Wagen gespannt; dann wurden noch schnell zwei
  • warme Bretzel, die man soeben gekauft hatte, in die Kutsche gepackt,
  • auch Seliphan steckte sich noch etwas in die Tasche, die am Kutschbock
  • angebracht war, und unser Held verließ den Gasthof, um seinen Wagen zu
  • besteigen, begleitet vom Kellner, der wie immer seinen baumwollenen Rock
  • anhatte, und grüßend seinen Hut schwenkte, sowie von ein paar Kutschern
  • und Lakaien, die teils zum Gasthof gehörten, teils herbeigelaufen waren,
  • um zu sehen, wie der fremde Herr abfährt; nebst allem sonstigen Zubehör,
  • wie es bei einer Abreise nie fehlen darf; Tschitschikow setzte sich in
  • die Equipage, und die bekannte Junggesellenkutsche, die so lange
  • unbenutzt im Stall gestanden hatte und den Leser vielleicht schon zu
  • langweilen beginnt, rollte zum Tore hinaus. »Gott sei Dank!« dachte
  • Tschitschikow und schlug ein Kreuz. Seliphan knallte mit der Peitsche,
  • Petruschka, der erst eine Weile auf dem Trittbrett gestanden hatte, nahm
  • neben ihm Platz, unser Held setzte sich recht bequem auf dem grusischen
  • Teppich zurecht, legte sich ein Lederkissen in den Rücken, wobei er die
  • beiden warmen Bretzel kräftig zusammendrückte, und der Wagen setzte sich
  • aufs neue, hopsend und springend in Bewegung, dank dem Pflaster, welches
  • ja bekanntlich eine beträchtliche Schwungkraft besaß. Mit einem
  • seltsamen unklaren Gefühl blickte Tschitschikow auf die Häuser, die
  • Mauern, die Zäune und Straßen, die gleichfalls auf und ab zu hüpfen
  • schienen und langsam an seinen Augen vorüberzogen. Weiß Gott, ob es ihm
  • beschieden sein würde, sie in seinem Leben noch einmal wiederzusehen.
  • Bei einer Straßenkreuzung mußte der Wagen Halt machen, er wurde nämlich
  • durch einen Leichenzug aufgehalten, der sich die ganze Straße entlang
  • dahin bewegte. Tschitschikow steckte den Kopf aus dem Wagen, und sagte
  • Petruschka, er solle einmal fragen, wer da beerdigt werde. Es stellte
  • sich heraus, daß es der Staatsanwalt war. Äußerst unangenehm berührt,
  • lehnte Tschitschikow sich schnell in eine Ecke zurück, ließ den Wagen
  • aufklappen und zog die Vorhänge zu. Während die Equipage still stand,
  • nahmen Seliphan und Petruschka fromm ihre Mützen ab und sahen sich den
  • Zug aufmerksam an, wobei sie sich besonders für die Wagen und ihre
  • Insassen zu interessieren und genau nachzuzählen schienen, wie viele von
  • den Leidtragenden fuhren, und wie viele zu Fuß gingen; auch ihr Herr,
  • der ihnen befohlen hatte, sich nicht zu erkennen zu geben und keinen von
  • den bekannten Lakaien zu grüßen, sah sich den Zug durch ein kleines
  • Fenster im ledernen Verdeck an. Alle Beamten folgten entblößten Hauptes
  • dem Sarge. Tschitschikow fürchtete sich einen Augenblick, sie könnten
  • seine Equipage erkennen; aber sie achteten gar nicht auf sie. Sie
  • unterhielten sich nicht einmal über jene praktischen Fragen, welche
  • gewöhnlich gestreift werden, wenn man an einer Beerdigung teilnimmt. All
  • ihre Gedanken konzentrierten sich auf sich selber; sie dachten darüber
  • nach, was der neue Generalgouverneur wohl für ein Mann sei, wie er die
  • Geschäfte verwalten, und wie er sich zu ihnen stellen werde. Auf die
  • Beamten, welche zu Fuß gingen, folgte eine Reihe von Wagen, aus denen
  • Damen mit schwarzen Hauben und Schleiern hervorblickten. Nach den
  • Bewegungen ihrer Hände und Lippen mußte man schließen, daß sie in einer
  • lebhaften Unterhaltung begriffen waren: vielleicht sprachen auch sie
  • über die Ankunft des neuen Generalgouverneurs, äußerten ihre Vermutungen
  • über die Bälle die er geben würde und sorgten schon jetzt für ihre neuen
  • Rüschen und Aufsätze. Zuletzt kamen noch einige leere Droschken hinter
  • den Equipagen hergefahren, eine hinter der andern, und dann kam lange
  • nichts mehr, die Bahn war frei, und unser Held konnte weiterfahren. Er
  • ließ das Lederverdeck herunter, seufzte aus tiefster Seele, und sagte:
  • »Das war der Staatsanwalt! Er lebte und lebte, und nun ist er tot! Jetzt
  • werden sie in den Zeitungen schreiben, er sei gestorben zum großen
  • Schmerz all seiner Untergebenen und der ganzen Menschheit, er der stets
  • ein geachteter Bürger, ein seltener Vater, das Muster von einem Gatten
  • gewesen sei; was werden sie nicht _noch_ alles schreiben: vielleicht
  • fügen sie auch noch hinzu, daß die Tränen der Witwen und Waisen ihn bis
  • ans Grab begleiteten; sieht man sich aber die Sache aus der Nähe an, und
  • geht man ihr ordentlich auf den Grund, dann war an dir eigentlich nichts
  • merkwürdig, außer deinen buschigen Augenbrauen.« Und er rief Seliphan
  • zu, er solle sich beeilen und sprach zu sich selber: »Eigentlich ist es
  • doch ganz gut, daß wir einem Leichenzuge begegnet sind, man sagt, es
  • bedeute Glück, wenn ein Leichenwagen vorüberfährt.«
  • Unterdessen fuhr der Wagen schon durch die öden und leeren Straßen der
  • Vorstadt, und bald sah man zu beiden Seiten nichts mehr, als lange
  • Bretterzäune, welche das Ende der Stadt ankündigten. Nun hörte auch
  • schon das Straßenpflaster auf, da war der Schlagbaum, die Stadt lag
  • hinter den Reisenden -- man befand sich auf der öden einsamen
  • Landstraße. Und wieder jagte der Wagen den Postweg entlang mit seinen
  • altbekannten Bildern zu beiden Seiten: seinen Meilensteinen,
  • Stationsbeamten, Brunnen, Fuhren, Lastwagen, den grauen Dörfern mit
  • ihren Teemaschinen, den Bauernfrauen und dem forschen bärtigen
  • Hausherrn, der mit einem Hafersack aus der Herberge gelaufen kommt, dem
  • Wanderer, in zerrissenen Bastschuhen, welcher vielleicht schon
  • siebenhundert Werst zurückgelegt hat, den munteren Städtchen mit ihren
  • hölzernen Läden, Mehlfässern, Bastschuhen, Bretzeln und dem übrigen
  • Plunder, den scheckigen Schlagbäumen, den ewig in Reparatur befindlichen
  • Brücken, den unübersehbaren Feldern hüben und drüben, den Erntewagen,
  • dem reitenden Soldaten, der einen grünen Kasten voll Artilleriefutter
  • mit der Inschrift: An die so und so vielste Artilleriebrigade! mit sich
  • führt, den grünen, gelben oder frisch aufgeworfenen _schwarzen_ Streifen
  • Ackerlandes, die hie und da in der Steppe auftauchen, dem aus der Ferne
  • herüberklingenden melancholischen Gesang, den Kiefernwipfeln in zartem
  • Nebeldunst, dem verhallenden Glockengeläute, den Scharen wilder Raben,
  • die vorüberziehen gleich Fliegenschwärmen und dem endlosen grenzenlosen
  • Horizont ... Oh, Rußland! mein Rußland! ich sehe dich, sehe dich aus
  • meiner herrlichen wundersamen Ferne. Arm, weit verstreut und
  • unfreundlich sind deine Gaue, kein frohes Wunder der Natur, gekrönt von
  • frechen Wunderwerken kühner Kunst -- erheitern oder schrecken hier den
  • Blick, keine Städte mit vielfenstrigen hohen Palästen in wilde Felsen
  • eingebaut, keine malerischen Bäume und Efeuranken, in Häuser
  • eingewachsen, umbraust vom Staube ewiger Wasserfälle; nicht braucht das
  • Haupt sich zurückzuneigen, um mit dem Blick den grenzenlos zur Höhe
  • emporgetürmten Gebirgsblöcken folgen zu können; nicht blitzen hinter
  • langgestreckten, dunklen Säulengängen, um die sich Rebenzweige, Efeu und
  • Millionen wilder Rosen schlingen: nicht blitzen hinter ihnen auf die
  • ewigen Linien ferner leuchtender Berge, die sich in silberklaren Himmeln
  • verlieren. Frei, wüst und offen liegst du da; wie kleine Pünktchen oder
  • Zeichen, so ragen aus der Ebene deine niedrigen Städte auf: nichts
  • lockt, verführt, bezaubert unseren Blick. Und dennoch, welch
  • unbegreifliche, geheimnisvolle Kraft zieht mich zu dir? Warum klingt
  • unaufhörlich dein melancholisches, nie verstummendes, die ganze
  • unermeßliche Weite durcheilendes, von Meer zu Meere dringendes Lied uns
  • im Ohr? Welch ein geheimer Zauber liegt in diesem Liede? Was ruft und
  • lockt, was schluchzt darin und greift so seltsam uns ans Herz? Was sind
  • das für Töne, die unsere Seele so zärtlich umschmeicheln und küssen, zum
  • Herzen dringen und es süß umspinnen? O, Rußland! sag, was willst du nur
  • von mir? Welch unbegreiflich Band ist zwischen uns geknüpft? Was blickst
  • du mich so an, und warum hält alles, alles was dich erfüllt, seine Augen
  • so erwartungsvoll auf mich gerichtet? ... Noch immer steh' ich zweifelnd
  • und unbeweglich da, schon hat die finstere regenschwangere Wolke mein
  • Haupt beschattet, und schon verstummt der Gedanke von deiner
  • grenzenlosen Ausdehnung. Was verheißt diese unermeßliche Freiheit und
  • Weite? Oder sollte hier, in deinem Schoße, auch der unendliche Gedanke
  • geboren werden, wo du doch selber kein Ende hast? Nicht hier der Held
  • erstehn? wo frei der Raum sich weitet, auf daß _er_ sich entfalte und
  • ausbreite und frei dahinschreite? Und furchtbar umfängt mich der
  • majestätische Raum, der tief mein Inneres erschüttert mit all seinen
  • Schrecken; von einer übernatürlichen Macht ward mein Auge erleuchtet ...
  • O, welch eine schimmernde, wunderbare unbekannte Ferne! Mein Rußland!
  • ...
  • »Halt, halt, du Esel!« rief Tschitschikow Seliphan zu.
  • »Ich hau dir gleich eins mit meinem Pallasch runter!« schrie ihn ein
  • vorübersprengender Feldjäger an, der einen Schnurrbart von der Länge
  • eines Meters hatte. »Siehst du denn nicht, daß das ein staatlicher Wagen
  • ist? hol dich der Teufel!« Und wie eine Vision verschwand unter Donner
  • und Staubwolken das Dreigespann.
  • Welch eine seltsame, wunderbare Lockung liegt doch in dem Worte:
  • Landstraße! Und wie _herrlich_ ist sie selbst, diese _Landstraße_! Ein
  • heller Tag, Herbstblätter, die Luft ist kalt ... Hüll dich tiefer in
  • deinen Regenmantel! Die Mütze über die Ohren, und schmieg dich enger und
  • gemütlicher in deine Wagenecke! Ein letztes Mal noch läuft uns ein
  • Schauer durch unsere Glieder, und schon durchströmt uns behagliche
  • Wärme. Die Rosse jagen dahin ... Wie lockend naht der Schlummer. Die
  • Augenlider senken sich. Und wie im Halbschlaf erklingt noch einmal das
  • Lied: »Nicht weißer Schnee ...«, das Schnauben der Pferde und das
  • Rasseln der Räder und schon schnarchst du laut, indem du deinen Nachbar
  • tief in die Wagenecke drückst. Doch nun erwachst du: fünf Stationen
  • liegen hinter dir; der Mond steht hoch am Himmel; du fährst durch eine
  • unbekannte Stadt, vorbei an Kirchen mit altertümlichen Holzkuppeln und
  • dunkelen Turmspitzen, an finsteren hölzernen und weißen steinernen
  • Häusern vorüber: hie und da ein breiter Streifen schimmernden
  • Mondlichts, gleich als ob weiße Leinentücher über Wände und Straßen
  • gebreitet wären, kohlschwarze Schatten legen sich schräg darüber, wie
  • flimmerndes Metall glänzen die helleuchtenden Holzdächer: und keine
  • Seele rings umher: alles schläft. Nur ein einsamer Lichtschein fällt
  • hier oder dort aus einem kleinen Fenster: ist es ein Bürgersmann, der
  • seine Stiefel stopft, oder ein Bäcker, der sich beim Ofen zu schaffen
  • macht? -- was kümmert's dich, o, welche Nacht! Himmlische Mächte! welch
  • eine Nacht webt droben in der Höhe! O Luft, o Himmel, weiter hoher
  • Himmel in deiner unerreichbaren Tiefe, der du dich so unfaßbar klar und
  • helltönend über uns breitest! ... Kühl weht dir in die Augen der kalte
  • Atem der Nacht und lullt dich ein in süßen Schlaf; nun schlummerst du,
  • vergißt dich ganz und schnarchst -- doch zornig bewegt und schüttelt
  • sich dein armer, in die Ecke gezwängter Nachbar unter deiner allzu
  • schweren Bürde. Von neuem erwachst du, und wieder liegen vor dir Felder
  • und Steppen; leer ist's um dich herum, frei dehnt die Ebene sich in die
  • Weite. Ein Meilenstein nach dem andern fliegt an dir vorüber; der Morgen
  • steigt empor; am bleichen kalten Horizont erscheint ein matter
  • Goldstreifen, kühler und kräftiger weht dir der Wind um die Ohren. Hüll
  • dich tiefer in deinen Mantel! Welch herrliche Kälte! Wie wunderbar
  • umfängt aufs neue dich der Schlummer! Ein Stoß und abermals erwachst du.
  • Die Sonne steht schon im Zenith. »Vorsicht, Vorsicht!« ruft's neben dir,
  • der Wagen jagt den steilen Berg hinab. Unten wartet eine Fähre: ein
  • breiter, klarer Teich, der wie ein kupferner Kessel in der Sonne glänzt;
  • ein Dorf, mit malerischen Hütten an den Hängen; wie ein Stern blitzt
  • abseits das Kreuz der Dorfkirche; wie tiefes Summen tönt der Bauern
  • munteres Geplauder, und unbezwinglicher Appetit regt sich im Magen ...
  • Mein Gott, wie schön ist doch bisweilen solch weiter, weiter Reiseweg!
  • Wie oft schon klammerte ich mich gleich einem Untergehenden und
  • Ertrinkenden an dich, und jedes Mal noch zogst du mich empor und
  • rettetest hochherzig mich Armen! Und wieviel herrliche Gedanken und
  • Träume voll wundersamer Poesie wurden auf solche Weise geboren, wie
  • viele beglückende Eindrücke erfüllen schon die Seele! ... Indessen auch
  • Freund Tschitschikows Träume waren durchaus nicht so ganz prosaischer
  • Art. Sehen wir einmal zu, was für Gefühle ihn beseelten! Anfangs empfand
  • er überhaupt nichts und sah sich immer wieder um, weil er sich
  • überzeugen wollte, ob die Stadt auch wirklich hinter ihm läge; aber als
  • er sah, daß sie längst verschwunden war, und keine Schmiede, keine
  • Mühle, noch sonst etwas von alledem, was um eine Stadt herum zu liegen
  • pflegt, mehr zu entdecken war, und selbst die weißen Spitzen der
  • steinernen Kirchen längst in die Erde gesunken waren, da richtete sich
  • seine ganze Aufmerksamkeit auf den Weg; er blickte nach rechts und nach
  • links, die Stadt N. war ganz vergessen, wie wenn er vor _langer, langer_
  • Zeit, in seiner frühesten Kindheit dort gewesen wäre. Schließlich fing
  • auch der Weg an, ihn zu langweilen, er machte die Augen ein wenig zu und
  • lehnte den Kopf an das Kissen. Der Autor muß gestehen, daß er sich
  • eigentlich darüber freut, da er doch _so_ endlich einmal Gelegenheit
  • findet, einige Worte über seinen Helden zu sagen, denn bisher wurde er
  • ja immer -- der Leser weiß es ja selbst -- bald durch Nosdrjow, bald
  • durch irgend einen Ball, bald durch die Damen oder den Stadtklatsch,
  • oder durch tausend andere Kleinigkeiten daran gehindert, die immer erst
  • dann als Kleinigkeiten erscheinen, wenn sie im Buche stehen, dagegen
  • immer für höchst wichtige Angelegenheiten gehalten werden, solange sie
  • noch in der Welt umherschwirren. Nun aber wollen wir alles beiseite
  • legen und uns ganz der Sache selbst widmen.
  • Ich bin sehr im Zweifel, ob der Held meiner Dichtung dem Leser gefallen
  • wird. Den Damen wird er ganz sicher nicht gefallen, das läßt sich schon
  • im Voraus mit Bestimmtheit behaupten -- denn die Damen wollen, daß ihr
  • Held ein Muster jeglicher Vollkommenheit darstelle, und wenn ihm nur der
  • kleinste leibliche oder seelische Makel anhaftet, dann ist es für immer
  • vorbei. Der Autor mag ihm noch so tief in die Seele hineinleuchten, sein
  • Bild reiner zurückstrahlen lassen, als ein Spiegel -- der Mann hätte
  • doch nicht den geringsten Wert in ihren Augen. Schon die Fülle und das
  • Alter Tschitschikows müssen ihm sehr schaden: diese Fülle wird man
  • unserem Helden nie verzeihen, und viele Damen werden sich verächtlich
  • abwenden und sagen: »Pfui, wie häßlich er ist!« Ach ja! Das alles ist
  • dem Autor wohl bekannt, und dennoch -- und trotz alledem kann er sich
  • keinen tugendhaften Menschen zum Helden wählen ... Allein ... vielleicht
  • wird man in dieser selben Erzählung noch nie angeschlagene Saiten
  • vernehmen, wird der russische Geist in ihr in seinem unendlichen
  • Reichtum vor uns erscheinen, ein Mann begabt mit göttlichen Vorzügen und
  • Tugenden an uns vorüberschreiten, oder ein herrliches russisches
  • Mädchen, wie man es auf der ganzen Welt nicht wieder findet,
  • ausgestattet mit allen Schönheiten der weiblichen Seele voll
  • hochherzigen Strebens und zu jedem höchsten Opfer bereit! Verblassen und
  • dahinschwinden werden vor ihnen alle tugendhaften Männer und Frauen
  • anderer Stämme, wie der tote Buchstabe vor dem lebendigen Wort! Zum
  • Lichte drängen werden sich alle mächtigen Regungen der russischen Seele,
  • .. und es wird an den Tag kommen, wie tief die slavische Natur ergreift
  • und festhält, was nur die Oberfläche fremder Völker streifte ... Allein,
  • warum soll ich davon reden, was noch vor uns liegt? Nicht ziemt sich's
  • für den Dichter, der längst des Mannes reifes Alter erreichte, und den
  • die ernste Strenge inneren Lebens und die erfrischende Nüchternheit der
  • Einsamkeit härteten und stählten, dem Knaben gleich sich zu vergessen.
  • Jedes Ding hat seinen Platz und seine Zeit! Und doch, trotz alledem ward
  • nicht der Tugendhafte zum Helden erwählt. Wir können es sogar sagen
  • warum er nicht erwählt ward. Weil es endlich einmal Zeit ist dem armen
  • Tugendbold etwas Ruhe zu gönnen; weil das Wort »tugendhafter Mensch«
  • fortwährend auf allen Lippen schwebt; weil man den tugendhaften Menschen
  • zu einem Steckenpferd gemacht hat, und weil es keinen Schriftsteller
  • mehr gibt, der nicht beständig auf ihm herumreitet und ihn fortgesetzt
  • mit seiner Peitsche und Gott weiß womit sonst noch, vorwärts treibt;
  • weil man den tugendhaften Menschen so zu Tode gehetzt hat, daß bald auch
  • nicht der Schatten einer Tugend mehr an ihm sein wird, und nur noch ein
  • paar Rippen und etwas Haut statt des Leibes von ihm übrig bleiben
  • werden, weil man den tugendhaften Menschen einfach nicht mehr achtet.
  • Nein, es ist endlich Zeit, auch mal den Schurken vor den Wagen zu
  • spannen. Und so wollen wir ihn denn vor unseren Wagen spannen!
  • Bescheiden und dunkel ist die Herkunft unseres Helden. Seine Eltern
  • waren Edelleute, ob freilich von altem oder _nur_ von persönlichem Adel
  • -- das weiß der liebe Gott. Äußerlich zeigte er keine Ähnlichkeit mit
  • ihnen: wenigstens hatte eine Verwandte, die bei seiner Geburt zugegen
  • war, eine kleine kurze Dame, die man bei uns zu Lande einen Kiebitz zu
  • nennen pflegt, das Kind auf die Arme genommen und ausgerufen: »Ach
  • herrjeh! der ist aber ganz anders, wie ich ihn mir vorgestellt habe! Er
  • sollte eigentlich der Großmama von mütterlicher Seite ähnlich sein, das
  • wäre sicherlich das Beste gewesen, statt dessen gleicht er, wie das
  • Sprichwort sagt: weder Vater noch Mutter sondern 'nem wandernden
  • Junker.« Das Leben sah ihn anfangs unfreundlich und mürrisch, wie durch
  • ein trübes vom Schnee verwehtes Fenster an: er hatte weder einen Freund,
  • noch Genossen seiner Kinderjahre! Ein kleines Stübchen, mit kleinen
  • Fensterchen, die weder im Sommer noch im Winter geöffnet wurden; sein
  • Vater war ein kranker Mann in einem langen mit Lammfell gefütterten
  • Rock, und in gestrickten Pantoffeln, die er über die nackten Füße zog;
  • beständig ging er im Zimmer auf und ab, seufzte und spuckte in den
  • Sandnapf in der Ecke, ewig mußte der Knabe auf der Bank sitzen, die
  • Feder in der Hand, Finger und Lippen mit Tinte beschmiert, die
  • unvermeidliche Vorschrift vor Augen: »Du sollst nicht lügen, sollst die
  • älteren Leute ehren und die Tugend im Herzen tragen!« Das ewige Klappern
  • und Schlürfen der Pantoffeln, die bekannte, ewig rauhe und strenge
  • Stimme: »Machst du schon wieder Dummheiten?« die sich immer dann
  • vernehmen ließ, wenn das Kind, angewidert von der Einförmigkeit seiner
  • Beschäftigung, irgend ein Häkchen oder Schnörkelchen an einem Buchstaben
  • anbrachte; und dann das lang bekannte aber immer peinliche Gefühl, das
  • den Worten folgte, wenn die Nägel der langen Finger sich von hinten
  • heranbewegten und das Ohrläppchen so schmerzhaft zusammendrehten. Das
  • ist das traurige Bild seiner ersten Kindheit, an die ihm nur eine
  • schwache Erinnerung geblieben war. Aber im Leben ändert sich alles
  • schnell und plötzlich: eines schönen Tages, als die ersten Strahlen der
  • Frühlingssonne die Erde erwärmten, und die Bäche zu rauschen begannen,
  • nahm der Vater seinen Sohn bei der Hand und bestieg mit ihm einen
  • Bauernwagen, der von einem braungescheckten Pferdchen gezogen wurde,
  • einem von jener Sorte, welche unsere Pferdehändler »Elstern« zu nennen
  • pflegen; der Wagen wurde von einem kleinen, buckligen Kutscher gelenkt,
  • dem Stammvater der einzigen Leibeigenenfamilie, die Tschitschikows Vater
  • gehörte. Fast anderthalb Tage lang dauerte die Fahrt, unterwegs
  • übernachtete man einmal, setzte über einen Fluß, nährte sich von kalten
  • Pasteten und gebratenem Hammelfleisch, und erreichte erst am dritten
  • Tage gegen Morgen die Stadt. Diese machte einen tiefen Eindruck auf den
  • Knaben durch den ungeahnten Glanz und die Pracht ihrer Straßen, daß er
  • den Mund vor Erstaunen weit aufriß. Dann plumpste die »Elster« mitsamt
  • dem Wagen in eine Grube, welche den Anfang einer engen, abschüssigen und
  • ganz mit Schmutz bedeckten Straße bildete; lange arbeitete sie dort aus
  • aller Kraft, watete mit den Beinen im Kot herum, angespornt und
  • ermuntert von dem buckligen Kutscher und dem Herrn selbst, bis sie die
  • Kutsche schließlich aus dem Dreck herauszog und in einem kleinen Hof
  • landete; dieser lag an einem kleinen Hügel; vor dem alten Häuschen
  • standen zwei blühende Apfelbäume und hinter demselben befand sich ein
  • kleines niedriges Gärtchen, das nur aus ein paar Ebereschen,
  • Hollunderbüschen und einem ganz tief im Innern liegenden kleinen
  • hölzernen Hüttchen bestand, welches mit Dachschindeln gedeckt war und
  • ein einziges halberblindetes Fensterchen hatte. Hier wohnte eine
  • Verwandte von Tschitschikow, ein altes vertrocknetes Mütterchen, die
  • aber noch jeden Morgen auf den Markt ging und ihre Strümpfe an der
  • Teemaschine trocknete. Sie klopfte den Jungen auf die Wange und freute
  • sich darüber, daß er so dick und wohlgenährt aussah. Hier sollte er von
  • nun ab bleiben und die städtische Schule besuchen. Der Vater blieb die
  • Nacht über bei der Alten. Am andern Tage machte er sich wieder auf den
  • Weg, um nach Hause zu fahren. Als er sich von seinem Sohne
  • verabschiedete, vergoß er keine Träne: er gab ihm einen halben Rubel
  • Kupfergeld für die kleinen Ausgaben und Naschwerk, und was bei weitem
  • wichtiger war, noch ein paar weise Lehren dazu: »Merk dir's Pawluscha,
  • lerne was Ordentliches, treib keine Dummheiten und mach keine schlechten
  • Streiche, vor allem aber: such stets deinen Vorgesetzten und Lehrern zu
  • gefallen. Wenn du's deinen Vorgesetzten recht machst, wird dir alles
  • gelingen, selbst wenn du unbegabt bist und keine großen Fortschritte in
  • den Wissenschaften machen solltest; und du wirst all deine Mitschüler
  • überholen. Laß dich nicht zu viel mit den Kameraden ein; sie werden dir
  • nicht viel Gutes beibringen; aber wenn es dennoch dazu kommt, dann wähle
  • dir die zu Freunden, die wohlhabend und reich sind, denn sie können dir
  • helfen und von Nutzen sein. Sei nicht zu freigiebig und gastfrei,
  • sondern mache es immer so, daß die anderen dich einladen und freihalten;
  • vor allem aber: sei sparsam und ehre den Pfennig: auf ihn kannst du dich
  • eher verlassen, als auf alles in der Welt. Deine Freunde und Kameraden
  • werden dich übers Ohr hauen, sie sind die ersten, die dich im Unglück
  • verlassen, der Pfennig aber wird dich _nie_ verlassen, weder in Not noch
  • Gefahr! Mit dem Pfennig kannst du alles durchsetzen, wirst du alles
  • erreichen, wonach dein Herz nur begehrt.« Nach diesen weisen Lehren
  • verabschiedete sich der Vater von seinem Sohne und trat die Rückreise
  • mit seiner »Elster« an. Der Sohn sollte ihn nie wiedersehen, allein, er
  • bewahrte seine Worte und Lehren tief in der Seele.
  • Noch am folgenden Tage fing Pawluscha an, die Schule zu besuchen.
  • Besondere Fähigkeiten für eine bestimmte Wissenschaft legte er nicht an
  • den Tag; er zeichnete sich mehr durch Fleiß und Ordnungsliebe aus; dafür
  • aber kam bei ihm bald eine andere Fähigkeit zum Durchbruch: ein großer
  • praktischer Verstand. Er begriff sofort, worum es sich handelte und
  • benahm sich im Verkehr mit den Kameraden ganz so, wie der Vater es ihn
  • gelehrt hatte, d. h., er ließ sich stets einladen und freihalten, er
  • selbst dagegen tat nie etwas derartiges, ja, er hob sich sogar mitunter
  • die erhaltenen Gaben und Geschenke auf, um sie später bei Gelegenheit an
  • den Geber selbst zu verkaufen. Schon als Kind hatte er es gelernt, sich
  • alles zu versagen. Von dem halben Rubel, den er vom Vater erhalten
  • hatte, nahm er keine Kopeke, sondern fügte noch im selben Jahre etwas zu
  • dieser Summe hinzu, wobei er einen großen Unternehmungsgeist an den Tag
  • legte: er knetete aus Wachs einen Dompfaffen, strich ihn hübsch an und
  • verkaufte ihn sehr vorteilhaft. Dann versuchte er es eine Zeitlang mit
  • andern Spekulationen und zwar mit folgenden: er kaufte auf dem Markte
  • Eßwaren ein und setzte sich in der Schule neben die, welche am reichsten
  • waren und das meiste Geld hatten; und wenn er bemerkte, daß einem
  • Kameraden schlecht wurde -- was ein Zeichen des eintretenden
  • Hungergefühles war -- ließ er ihn unter der Bank, wie im Versehen, die
  • Ecke eines Pfefferkuchens oder eines Brötchens sehen. Hatte er ihn dann
  • ganz wild gemacht, so nahm er ihm eine bestimmte Summe ab, die stets in
  • einem gewissen Verhältnisse zur Größe seines Appetites stand. Zwei
  • Monate lang machte er sich in seiner Wohnung ununterbrochen mit einer
  • Maus zu schaffen, die er in einen kleinen hölzernen Käfig eingesperrt
  • hielt; er brachte es endlich soweit, daß sich die Maus auf die
  • Hinterbeine stellte, sich auf Befehl hinlegte und wieder aufrichtete,
  • worauf er sie dann gleichfalls mit hohem Gewinn losschlug. Als er sich
  • auf diese Weise ungefähr fünf Rubel zurückgelegt hatte, nähte er sie in
  • ein Säckchen ein, und fuhr fort, neues Geld zu sparen. In seinem
  • Verhalten zur Schulobrigkeit war er noch klüger. Niemand verstand es so
  • gut, wie er, mäuschenstill auf der Bank zu sitzen. Hier müssen wir
  • bemerken, daß der Lehrer ein großer Freund der Ruhe und eines guten
  • Betragens war und die klugen und gescheiten Jungen nicht leiden konnte;
  • es schien ihm immer, daß diese über ihn lachten. Es braucht nur einer,
  • der im Verdacht stand, gescheit und witzig zu sein, sich ein wenig auf
  • der Bank zu bewegen oder im Versehen mit der Wimper zu zucken, um den
  • Zorn des Lehrers auf sich zu lenken. Er verfolgte und strafte ihn ganz
  • unbarmherzig. »Ich will dir deinen Hochmut und deine Aufsässigkeit
  • austreiben!« rief er, »ich kenne dich durch und durch, so wie du dich
  • selbst nicht kennst! Kniee einmal nieder! Du sollst schon erfahren, wie
  • der Hunger schmeckt!« Und der arme Knabe mußte sich die Kniee
  • durchscheuern und tagelang hungern, ohne selbst zu wissen, warum.
  • »Fähigkeit, Begabung, Talent -- das ist alles Unsinn!« pflegte der
  • Lehrer zu sagen, »ich sehe vor allem aufs Betragen. Einem Schüler, der
  • sich anständig benimmt, würde ich auch dann noch die besten Noten in
  • allen Fächern geben, wenn er keinen Deut von allem versteht; wo ich
  • dagegen jenen bösen Geist des Widerspruches und der Spottlust entdecke
  • -- da gibt's eine 0 selbst wenn er einen Solon in die Tasche steckte!«
  • So pflegte der Lehrer zu sprechen; daher haßte er auch Krylow so
  • ingrimmig, weil dieser in einer seiner Fabeln gesagt hatte: »Sauf
  • meinethalben, doch verstehe deine Sache!« Auch erzählte er immer mit
  • großer Befriedigung, wobei sein Gesicht und seine Augen leuchteten, wie
  • in der Schule, in der er früher unterrichtet hatte, eine solche Stille
  • geherrscht habe, daß man eine Mücke durchs Zimmer fliegen hören konnte;
  • daß keiner von den Schülern während des ganzen Jahres auch nur _einmal_
  • zu husten und sich während der Stunde zu schneuzen wagte, und daß bis
  • zum Glockenzeichen niemand hätte entscheiden können, ob jemand in der
  • Klasse war oder nicht. Tschitschikow erfaßte sofort den Geist und die
  • Absichten des Lehrers und was dieser unter einem guten Betragen
  • verstand. Er bewegte kein Auge und zuckte während der ganzen Stunde auch
  • nicht _einmal_ mit der Wimper, man mochte ihn kneifen und zwicken,
  • soviel man wollte; sowie das Glockenzeichen ertönte, stürzte
  • Tschitschikow kopfüber an die Türe, um dem Lehrer als erster die Mütze
  • zu reichen -- der Lehrer trug eine gewöhnliche Bauernmütze; hierauf
  • verließ er zuerst die Klasse und suchte ihm recht häufig auf der Straße
  • zu begegnen, wobei er jedesmal ehrerbietig den Hut abnahm. Sein
  • Verhalten war vom schönsten Erfolge gekrönt. Die ganze Zeit über,
  • während er die Schule besuchte, war er sehr gut angeschrieben, und bei
  • seinem Abgang erhielt er ein vorzügliches Zeugnis mit den besten Noten
  • in sämtlichen Fächern und außerdem noch ein Buch mit einer Inschrift in
  • goldenen Lettern: »Für lobenswerten Fleiß und musterhaftes Betragen.«
  • Bei seinem Abgang von der Schule war er bereits ein Jüngling von recht
  • anziehendem Äußeren, mit einem Kinn, das der sorgsamen Pflege durchs
  • Rasiermesser bedurfte. Um diese Zeit starb sein Vater. Er hinterließ
  • seinem Sohne vier völlig abgetragene Flaushemden, zwei alte Röcke, die
  • mit Lammfell gefüttert waren und eine ganz unbedeutende Geldsumme. Der
  • Vater verstand es offenbar nur, gute Lehren im Sparen zu erteilen, er
  • selbst aber hatte nur wenig zurückgelegt. Tschitschikow verkaufte
  • sogleich das alte Häuschen samt dem dazugehörigen dürftigen Grund und
  • Boden für tausend Rubel, und schickte die Leibeigenen-Familie die es
  • bewohnt hatte, nach der Stadt, da er beabsichtigte, sich daselbst
  • niederzulassen und in den Staatsdienst einzutreten. Um diese Zeit wurde
  • sein armer Lehrer, der soviel Wert auf Ruhe und gutes Betragen legte,
  • wegen seiner Unfähigkeit oder einer andern Verfehlung halber entlassen;
  • er begann vor Gram zu trinken; aber bald reichten die Mittel nicht
  • einmal mehr dazu; krank, hilflos, ohne einen Bissen Brot verkam und
  • verhungerte er in irgend einer ungeheizten abgelegenen Dachkammer. Als
  • seine früheren Schüler, hinter deren Witz und Scharfsinn er immer
  • Ungehorsam und Aufsässigkeit gewittert hatte, von seiner Lage erfuhren,
  • veranstalteten sie sofort eine kleine Geldsammlung für ihn, und
  • verkauften sogar einige von ihren eigenen Sachen, die sie nur schwer
  • entbehren konnten; nur Pawluscha Tschitschikow machte Ausflüchte, er
  • habe nichts, und opferte bloß ein armseliges silbernes Fünfkopekenstück,
  • das ihm die Kameraden mit den Worten: Oh, du Geizhals! vor die Füße
  • warfen. Der arme Lehrer bedeckte sein Gesicht mit beiden Händen, als er
  • von dieser Handlung seiner früheren Schüler erfuhr; die Tränen stürzten
  • ihm in Bächen, wie bei einem hilflosen Kinde aus den erlöschenden Augen.
  • »Noch auf dem Totenbett schickt Gott mir diese Tränen!« rief er mit
  • schwacher Stimme, er seufzte schmerzlich, als er vernahm, wie
  • Tschitschikow an ihm gehandelt hatte und fügte hinzu: »Ach, Pawluscha,
  • Pawluscha! Wie sich doch der Mensch verändert! Was für ein braver
  • artiger Junge er doch war! Er hatte so gar nichts Wildes und war so
  • weich wie Seide. Wie hat er mich betrogen, o, wie hat er mich doch
  • betrogen! ...«
  • Und doch kann man nicht sagen, daß die Natur unseres Helden so rauh und
  • hart, und daß sein Gefühl so abgestumpft war, daß er weder Mitleid noch
  • Teilnahme kannte. Beide Gefühle waren ihm sehr wohl bekannt, und er wäre
  • zu jeder Hilfe bereit gewesen, nur durfte sie nicht in einem gar zu
  • großen Geldopfer bestehen, denn unter keinen Umständen hätte er die
  • Summe angegriffen, die er beschlossen hatte, nie auszugeben; mit einem
  • Wort, der väterliche Rat: »sei sparsam und ehre den Pfennig« war auf
  • guten Boden gefallen. Und doch hing er nicht am Gelde, um des Geldes
  • selbst willen; Geiz und Habsucht waren keineswegs die Triebfedern, die
  • ihn ganz beherrschten. Nein, nicht sie waren die Motive, von denen er
  • sich leiten ließ; was ihm vorschwebte, war ein Leben in Wohlstand und
  • Überfluß, mit jeglichem Komfort, Equipagen, ein wohlgeordneter Haushalt,
  • schmackhafte Diners -- das war es, was ihn ganz erfüllte und fortwährend
  • beschäftigte. Und dazu sparte und ehrte er die Kopeke, die er sich
  • selbst und andern versagte, um, wenn die Stunde schlagen würde, all
  • diese Herrlichkeiten voll auszukosten. Wenn irgend ein reicher Mann in
  • einem leichten eleganten Wagen, mit stolzen Pferden in schimmerndem
  • Geschirr an ihm vorüberjagte, dann blieb er wie festgewurzelt stehen,
  • und sprach dann wie wenn er aus tiefem Traum erwachte: »Und er war doch
  • ein gewöhnlicher Handlungsgehilfe und trug gekräuseltes Haar!« Alles,
  • was von Reichtum und Wohlstand zeugte, machte einen so tiefen Eindruck
  • auf ihn, daß er es mitunter selbst nicht recht verstehen konnte. Als er
  • die Schule verließ, ruhte er nicht einmal ein wenig aus: so stark war
  • sein Wunsch, so schnell als möglich ans Werk zu gehen und in den
  • Staatsdienst einzutreten. Allein trotz der vorzüglichen Zeugnisse gelang
  • es ihm nur eine unbedeutende Stelle in der Finanzkammer zu erhalten;
  • selbst in den entlegensten Nestern kommt man nicht ohne Protektion aus!
  • Schließlich fand sich doch noch ein kleines Pöstchen, mit einem Gehalt
  • von dreißig bis vierzig Rubel jährlich. Aber er war fest entschlossen,
  • sich ganz dem Dienste zu widmen und alle Hindernisse zu besiegen und zu
  • überwinden. Und in der Tat, er legte eine geradezu unerhörte
  • Selbstverleugnung und Geduld an den Tag, und schränkte seine Bedürfnisse
  • auf das Allernotwendigste ein. Vom frühen Morgen bis zum späten Abend
  • saß er unermüdlich hinter seinem Tische, ohne daß seine geistigen und
  • körperlichen Kräfte nur im geringsten nachließen, schrieb und schrieb,
  • verschwand vollkommen hinter seinen Akten, ging kaum nach Hause, schlief
  • in der Kanzlei auf dem Tische, aß mitunter mit den Hausknechten und
  • Wächtern zu Mittag und verstand es bei alledem, sich ein sauberes
  • wohlgepflegtes Äußeres zu bewahren, sich anständig zu kleiden, seinem
  • Gesicht einen angenehmen Ausdruck zu verleihen und sogar seinen
  • Bewegungen einen gewissen Adel zu geben. Man muß sagen, daß die Beamten
  • der Finanzkammer sich besonders durch ihre Unscheinbarkeit und
  • Häßlichkeit auszeichnen. Sie hatten alle Gesichter wie schlecht
  • gebackene Semmel; eine Backe war geschwollen, das Kinn war schief, die
  • Oberlippe aufgedunsen wie eine Blase, und noch dazu gesprungen; mit
  • einem Wort es sah gar nicht hübsch aus. Sie führten alle eine sehr
  • strenge Sprache, und ihre Stimme war so rauh, als wollten sie einen
  • durchhauen; sie brachten dem Gott Bachus reichliche Opfer, sie bewiesen,
  • daß sich bei den Slaven noch mancherlei Reste von Heidentum erhalten
  • haben; ja sie kamen sogar häufig etwas angeheitert in den Dienst, so daß
  • es im Amtszimmer recht ungemütlich wurde, da man die Luft nichts weniger
  • als aromatisch nennen konnte. Unter solchen Beamten mußte Tschitschikow
  • natürlich auffallen, war er doch fast in allem das vollkommene Gegenteil
  • von ihnen; seine Züge waren eindrucksvoll, seine Stimme angenehm, auch
  • enthielt er sich aller geistigen Getränke. Und doch wurde ihm die
  • Karriere durchaus nicht leicht gemacht. Er erhielt einen ganz alten
  • Aktuar zum Chef, ein wahres Muster starrer Gefühllosigkeit und
  • Unerschütterlichkeit; er blieb immer gleich unnahbar, nie belebte ein
  • Lächeln sein Gesicht, nie kam er einem freundlich grüßend entgegen, oder
  • erkundigte sich nach dem Befinden. Noch nie hatte ihn jemand anders
  • gesehen, als er sich immer zu geben pflegte, nicht einmal zu Hause oder
  • auf der Straße; nie äußerte er das geringste Interesse oder etwas wie
  • Teilnahme an fremdem Schicksal; nie war es ihm begegnet, daß er
  • betrunken gewesen wäre und in diesem Zustand einmal herzhaft gelacht
  • hätte; nie hatte er sich einem wilden Taumel hingegeben, wie es selbst
  • der Räuber in Augenblicken des Rausches tut; -- von alledem war auch
  • nicht ein Schatten bei ihm zu finden. Er war frei von Bosheit und Güte,
  • aber gerade in diesem vollständigen Mangel aller starken Gefühle und
  • Leidenschaften lag etwas Grauenerregendes. Sein hartes Marmorgesicht, an
  • dem man keinen unsymmetrischen Zug entdeckte, erinnerte an kein
  • Menschenantlitz und in seinen Linien herrschte eine rauhe Proportion.
  • Nur die zahlreichen Pockennarben und -Gruben, mit denen es übersät war,
  • machten es zu einem von jenen Gesichtern, auf denen der Teufel nachts
  • Erben drischt. Man sollte meinen, es hätte über alle Menschenkraft gehen
  • müssen, einem solchen Menschen näher zu treten und seine Zuneigung zu
  • gewinnen; Tschitschikow aber wagte dennoch diesen Versuch. Zuerst suchte
  • er sich ihm in allerhand unbedeutenden Kleinigkeiten gefällig zu
  • erweisen; er untersuchte sorgfältig wie die Federn geschnitten waren,
  • mit denen der Aktuar schrieb, dann besorgte er sich ein paar von der
  • genannten Art, und legte sie so hin, daß jener sie leicht finden konnte;
  • er blies und wischte den Streusand und Tabak von seinem Tische ab;
  • schaffte einen neuen Lappen für das Tintenfaß an; ferner lief er stets
  • nach seiner Mütze -- der häßlichsten Mütze, die es je auf der Welt gab,
  • und legte sie jedesmal kurz vor dem Schluß der Sitzung neben ihn hin;
  • oder er bürstete ihm den Rücken ab, wenn er sich an der Wand weiß
  • gemacht hatte u. s. f. Aber dies alles machte nicht den geringsten
  • Eindruck, gerad als ob es überhaupt nicht geschehen wäre. Schließlich
  • jedoch gelang es Tschitschikow, einen Einblick in das Familienleben
  • seines Chefs zu gewinnen: er erfuhr, daß er eine erwachsene Tochter
  • hatte, deren Gesicht gleichfalls so aussah, als ob »nachts Erbsen darauf
  • gedroschen« würden. Und nun versuchte er die Festung von dieser Seite zu
  • bestürmen. Er hatte in Erfahrung gebracht, welche Kirche sie Sonntags
  • besuchte; er stellte sich also jedesmal aufs feinste und tadelloseste
  • gekleidet, mit einem prachtvoll gestärkten Vorhemd _vis à vis_ von ihr
  • auf, und die Sache hatte Erfolg: der gestrenge Aktuar ließ sich
  • erweichen und lud ihn zum Tee ein! Im Handumdrehen war es so weit
  • gekommen, daß Tschitschikow zu ihm ins Haus zog und sich hier bald
  • geradezu unentbehrlich zu machen wußte; er kaufte Mehl und Zucker ein,
  • verkehrte mit der Tochter wie mit seiner Braut, nannte den Herrn Aktuar
  • »Papachen« und küßte ihm die Hand. Im Gericht war alles überzeugt, daß
  • Ende Februar, vor den großen Fasten die Hochzeit stattfinden werde. Der
  • gestrenge Aktuar bemühte sich sogar bei seinem Vorgesetzten für ihn, und
  • bald darauf saß Tschitschikow selbst als Aktuar auf einem Platz, der
  • gerade frei geworden war. Das war wohl der Hauptzweck seiner Annäherung
  • an den greisen Aktuar gewesen, denn noch am selbigen Tage ließ er seinen
  • Koffer heimlich zu sich nach Hause tragen und am folgenden Tage nahm er
  • sich schon eine andere Wohnung. Er hörte auf, den Aktuar »Papachen« zu
  • titulieren und ihm die Hand zu küssen, die Sache mit der Heirat wurde
  • immer weiter hinausgeschoben, fast als ob überhaupt niemals davon die
  • Rede gewesen wäre. Trotzdem drückte er dem Aktuar auch fürderhin, wenn
  • er ihm begegnete, zärtlich die Hand, lud ihn zu sich zum Tee ein, so daß
  • der Alte trotz seiner großen Schwerfälligkeit und seiner hartnäckigen
  • Gleichgültigkeit jedesmal den Kopf schüttelte und murmelte: »Hat der
  • mich beschwindelt, dieser Satan!«
  • Dies war das schwierigste Hindernis, das aber nun genommen war. Von da
  • ab ging es leichter und mit noch größerem Erfolge vorwärts. Man fing an,
  • ihn zu beachten. Besaß er doch alles, was man braucht, wenn man sich auf
  • dieser Welt durchschlagen will: die angenehmen Manieren, das feine
  • Betragen und den kecken Wagemut in allen geschäftlichen Unternehmungen.
  • Mit diesen Mitteln eroberte er sich in kürzester Zeit das, was man ein
  • »warmes Plätzchen« zu nennen pflegt, und wußte es aufs trefflichste
  • auszunützen. Man muß nämlich wissen, daß man um diese Zeit streng gegen
  • die Bestechlichkeit vorzugehen begann. Alle Maßnahmen hatten indes für
  • ihn keine Schrecken, da er sie vielmehr zu seinem eigenen Vorteil
  • auszunutzen wußte, und er legte hierbei einen echt russischen
  • Erfindungsgeist an den Tag, der sich während der Zeiten starken Drucks
  • stets in seiner höchsten Blüte zeigt. Er machte es nämlich
  • folgendermaßen: sobald ein Bittsteller erschien, und die Hand in die
  • Tasche steckte, um eins von den sattsam bekannten »Empfehlungsschreiben
  • des Fürsten Chowanski« wie man sich bei uns in Rußland ausdrückt,
  • hervorzuziehen -- sagte er sogleich mit einem freundlichen Lächeln,
  • wobei er den Bittsteller an der Hand festhielt: »Sie denken wohl, daß
  • ich .... nein, bitte! nein! Das ist unsere Pflicht und Schuldigkeit, das
  • müssen wir auch ohne jede Entschädigung tun! Was das anbelangt, so
  • können Sie ganz ruhig sein. Morgen ist alles in schönster Ordnung! Darf
  • ich fragen, wo Sie wohnen? Sie brauchen sich selbst garnicht zu bemühen.
  • Es wird Ihnen alles nach Hause geschickt!« Der entzückte Bittsteller
  • kehrte ganz begeistert nach Hause zurück und dachte sich: »Endlich mal
  • ein Mensch! ach, wenn es doch mehr solcher gäbe, das ist ja ein wahres
  • Kleinod!« Jedoch der Bittsteller wartet einen Tag, wartet zwei, aber
  • seine Akten wollen noch immer nicht kommen. Am dritten Tag ist es
  • ebenso. Er geht noch einmal in die Kanzlei -- man hat seine Papiere noch
  • garnicht angesehen. Er geht wieder zu seinem Kleinod. »Ach entschuldigen
  • Sie,« sagt Tschitschikow sehr höflich, indem er den Herrn bei beiden
  • Händen ergreift: »Wir hatten so schrecklich viel zu tun, aber morgen,
  • morgen sollen Sie sie unbedingt haben! Es ist mir selbst höchst
  • peinlich!« All diese Worte wurden von geradezu bezaubernden Gesten
  • begleitet. Wenn bei dieser Gelegenheit der Rock aufgeknöpft wurde, so
  • suchte die Hand diesen Fehler sofort wieder gut zu machen, indem sie den
  • Bittsteller daran hinderte. Aber die Akten wollen trotzdem nicht kommen,
  • weder morgen, noch übermorgen, noch überübermorgen. Der Bittsteller
  • fängt an zu überlegen: »Hm! stimmt da vielleicht etwas nicht?« Er
  • erkundigt sich, und erhält die Antwort: »Die Schreiber müssen was
  • bekommen!« »Meinetwegen, warum sollte ich ihnen nichts geben: Sie sollen
  • ihre fünfundzwanzig, meinetwegen sogar fünfzig Kopeken haben.« -- »Nein,
  • damit ist's nicht getan, Sie müssen schon mindestens einen _weißen_
  • Zettel[7] hinlegen.« »Was? den Schreibern einen weißen?« ruft der
  • Bittsteller erstaunt aus. »Ja, warum regen Sie sich nur so auf?«
  • antwortet man ihm: »das stimmt doch: die Schreiber erhalten wirklich nur
  • ihre fünfundzwanzig Kopeken, der Rest geht an die Herren Vorgesetzten
  • weiter!« Hier schlägt sich der harmlose Bittsteller vor den Kopf und
  • flucht wütend über die neue Ordnung, über die Maßnahmen gegen das
  • Bestechungswesen, und die verfeinerten Umgangsformen der Beamten.
  • Früher, da wußte man wenigstens, was man zu machen hatte: da legte man
  • dem Geschäftsführer einen _roten_ Zettel auf den Tisch, und die Sache
  • war erledigt; jetzt muß man dagegen einen _weißen_ opfern und verliert
  • noch dazu eine ganze Woche, ehe man überhaupt heraus kriegt, was hier
  • eigentlich los ist! ... hol der Teufel diese Uneigennützigkeit und die
  • Vornehmtuerei der Herren Beamten! Der Bittsteller hat natürlich ganz
  • recht: aber dafür gibt's eben heute keine Bestechungen mehr: alle
  • geschäftsführenden Beamten sind rechtschaffene, ehrliche Leute und nur
  • die Schreiber und Sekretäre sind noch Halunken und Gauner. Bald jedoch
  • tat sich vor Tschitschikow ein weites Feld der Tätigkeit auf: es bildete
  • sich eine Kommission für den Bau eines großen Staatsgebäudes. In diese
  • Kommission ließ auch er sich hineinwählen, und wurde eins ihrer
  • tätigsten Mitglieder. Man schritt sofort zur Tat. Sechs Jahre lang
  • bemühte man sich um das Staatsgebäude, aber war es nun das Klima, oder
  • lag es an den Materialien, genug, der Bau wollte durchaus nicht
  • fortschreiten und kam nicht über das Fundament hinaus. Dafür aber
  • schafften sich die Mitglieder der Kommission an verschiedenen Enden der
  • Stadt eine Reihe von schönen Häusern in gut bürgerlichem Stile an;
  • offenbar war dort der Boden etwas besser. Die Herren Mitglieder fingen
  • schon an, sich eines gewissen Wohlstandes zu erfreuen und sich eine
  • Familie zu gründen. Erst jetzt und unter den neuen Verhältnissen begann
  • auch Tschitschikow, sich von dem schwer lastenden Druck seiner strengen
  • Enthaltsamkeitsprinzipien und der Selbstverleugnung zu befreien. Erst
  • jetzt entschloß er sich zu einer milderen Handhabung der
  • Fastenvorschriften, die er solange aufs strengste beobachtet hatte, und
  • nun erst stellte es sich heraus, daß er eigentlich nie ein Feind jener
  • Genüsse gewesen war, deren er sich in den Tagen einer feurigen Jugend so
  • gut zu enthalten verstand, gerade in den Jahren, wo der Mensch noch
  • nicht Herr seiner selbst ist. Er erlaubte sich sogar einen gewissen
  • Luxus: schaffte sich einen Koch und feine holländische Hemden an. Auch
  • kaufte er sich solche Stoffe, wie sie in der Provinz keineswegs
  • allgemein getragen wurden und bevorzugte besonders die braunen und
  • glänzenden hellroten Farben, er schaffte sich auch ein Paar stattliche
  • Pferde an und lenkte selbst seinen Wagen, wobei er wohl die Zügel selbst
  • in der Hand hielt und das Beipferd elegante Seitensprünge machen ließ;
  • jetzt wurde auch die Sitte eingeführt, sich mit einem Schwamm, der in
  • eine Mischung von Wasser und _Eau de Cologne_ getaucht wurde, zu
  • waschen; schon kaufte er sich teure Seife, um seine Haut weich und glatt
  • zu erhalten, schon ...
  • [Fußnote 7: Fünfundzwanzig Rubel.]
  • Da wurde plötzlich anstelle der alten Schlafmütze ein neuer Sektionschef
  • ernannt, ein strenger Herr, der beim Militär gedient hatte, und ein
  • geschworener Feind des Bestechungssystems, und alles dessen war, was man
  • Ungerechtigkeit und Unehrlichkeit nennt. Schon am folgenden Tage
  • scheuchte er alle Beamten bis auf den letzten auf, verlangte
  • Rechenschaftsberichte, entdeckte auf Schritt und Tritt Mißstände, sah,
  • daß überall Summen fehlten, bemerkte sofort die stattlichen Häuser im
  • bürgerlichen Stil -- und ordnete sogleich eine Untersuchung an. Die
  • Beamten wurden ihres Dienstes entsetzt; die Häuser im bürgerlichen Stil
  • vom Staate beschlagnahmt und in allerhand wohltätige Anstalten und
  • Schulen für Kantonisten umgewandelt; alle Beamten erhielten eine
  • kräftige Moralpauke, am meisten aber unser Freund Tschitschikow. Sein
  • Gesicht erregte plötzlich trotz seines angenehmen Ausdrucks das höchste
  • Mißfallen des Chefs -- warum eigentlich -- das weiß Gott allein; oft
  • gibt es überhaupt keinen Grund dafür -- genug, er warf einen tödlichen
  • Haß auf Tschitschikow. Und der unerbittliche Chef war geradezu furchtbar
  • in seinem Zorn! Da er aber schließlich doch nur ein alter Soldat war und
  • all die feinen Kniffe und Kunstgriffe des Zivils nicht kannte, gelang es
  • den andern Beamten durch Vortäuschung eines ehrlichen Gesichts und durch
  • die Kunst, sich an alles anzupassen, sich seine Gnade zu erwerben, und
  • der General kam bald in die Hand noch weit größerer und schlimmerer
  • Halunken, die er noch dazu garnicht dafür hielt; ja er war schließlich
  • sogar noch zufrieden, daß er die rechten Leute gefunden habe und rühmte
  • sich ernstlich, wie gut er es verstehe, die Menschen nach ihren Talenten
  • und Fähigkeiten zu würdigen und abzuschätzen. Die Beamten kamen sogleich
  • hinter seinen Charakter und seine Eigenschaften. Alle, die unter ihm
  • standen, wurden gewaltige Wahrheitsfanatiker, die jedes Unrecht und
  • jegliche Ungerechtigkeit unbarmherzig ahndeten; überall, wo sie
  • dergleichen antrafen, verfolgten sie es, so wie ein Fischer mit seiner
  • Harpune einem fetten Stör nachjagt, und zwar mit so großem Erfolg, daß
  • ein jeder von ihnen in ganz kurzer Zeit im Besitz von einigen Tausend
  • Rubeln Kapital war. Um dieselbe Zeit bekehrten sich auch mehrere von den
  • früheren Beamten und wurden wieder in Gnaden aufgenommen. Tschitschikow
  • allein wollte es nicht glücken, sich wieder beim Chef einzuschmeicheln;
  • so sehr sich auch der erste Sekretär des Generals unter dem Eindruck
  • eines Empfehlungsbriefes des Fürsten Chowanski um ihn bemühte und für
  • ihn einsetzte, er, der so vortrefflich die Lenkung und Steuerung der
  • Nase des Gouverneurs verstand -- er vermochte dennoch nichts
  • auszurichten. Der General war nun einmal ein solcher Mensch, der sich
  • wohl an der Nase herumführen ließ (übrigens ohne, daß er es selbst
  • wußte); hatte sich aber einmal ein Gedanke in seinem Kopfe festgesetzt,
  • dann saß er so fest, wie ein eiserner Nagel und keine Macht der Welt
  • hätte ihn wieder herausziehen können. Alles was der kluge Sekretär
  • erreichen konnte, war, daß die alte schmutzige Dienstliste vernichtet
  • wurde, aber selbst hierzu konnte er seinen Chef nur veranlassen, indem
  • er an sein Mitleid apellierte und ihm in glühenden Farben das traurige
  • Schicksal Tschitschikows und seiner unglücklichen Familie ausmalte, die
  • ja Gott sei Dank garnicht existierte.
  • »Was tun!« sprach Tschitschikow: »ich hab eingehakt, raufgezogen, und
  • das Ding ist mir doch wieder abgeschnappt -- da ist kein Wort zu
  • verlieren. Durch Geheul und Gegrein macht man das Unglück nicht wieder
  • gut. Man muß ans Werk gehen und handeln!« Und er beschloß, seine
  • Laufbahn von neuem zu beginnen, sich aufs neue mit Geduld zu wappnen und
  • sich wieder zu beschränken, so schön und herrlich er sich auch vordem zu
  • entfalten begonnen hatte. Er entschloß sich, in eine andere Stadt
  • überzusiedeln und dort bekannt und berühmt zu werden. Aber es wollte
  • alles nicht recht glücken. In ganz kurzer Zeit mußte er zwei- oder
  • dreimal sein Amt und seinen Beruf wechseln, denn die damit verbundene
  • Tätigkeit war höchst unsauber und widerwärtig. Der Leser muß nämlich
  • wissen, daß Tschitschikow soviel auf Anstand und Sauberkeit gab, wie
  • kaum sonst jemand in der Welt. Und obwohl er sich im Anfang auch in
  • einer unsauberen Gesellschaft bewegen mußte, blieb seine Seele doch
  • immer rein und fleckenlos, daher liebte er es auch, wenn die Tische in
  • den Amtsstuben lackiert waren und alles fein und nobel aussah. Nie
  • erlaubte er sich in seinen Reden ein unanständiges Wort, und es kränkte
  • ihn tief, wenn er in den Worten eines anderen die schuldige Achtung
  • gegen seine Titel und Würden vermißte. Ich glaube, es wird dem Leser
  • angenehm sein, zu erfahren, daß er jeden zweiten Tag seine Wäsche
  • wechselte; im Sommer während der heißesten Zeit sogar zweimal täglich:
  • jeder unangenehme Geruch beleidigte sein empfindliches Geruchsorgan.
  • Daher steckte er sich auch jedesmal, wenn Petruschka erschien, um ihn
  • anzukleiden und ihm die Stiefel auszuziehen, ein paar Nelken in die
  • Nase; und oft waren seine Nerven zarter als die eines jungen Mädchens;
  • daher wurde es ihm auch so schwer, wieder in jene Schichten
  • unterzutauchen, wo alles nach Fusel roch und die feinen Manieren ganz
  • unbekannt waren. So sehr er sich auch beherrschte, er magerte dennoch
  • ein wenig ab und bekam eine grünliche Gesichtsfarbe von all diesen
  • Widerwärtigkeiten und Schicksalsschlägen. Eben hatte er angefangen, dick
  • zu werden und sich jene runden und gefälligen Körperformen zuzulegen, in
  • deren Besitz der Leser ihn angetroffen hat, als er seine erste
  • Bekanntschaft machte; und oft schon hatte er, wenn er sich im Spiegel
  • betrachtete, an mancherlei irdische Annehmlichkeiten gedacht: an ein
  • reizendes Weibchen, eine volle Kinderstube, und ein Lächeln hatte bei
  • diesem Gedanken sein Gesicht belebt; wenn er jetzt dagegen unversehens
  • in den Spiegel blickte, konnte er nicht umhin, auszurufen: »Heilige
  • Mutter Gottes, wie häßlich ich geworden bin!« Und es verging ihm für
  • lange Zeit die Lust, sich im Spiegel zu betrachten. Aber unser Held
  • ertrug alles, ertrug es geduldig und mutig -- und so erhielt er denn
  • endlich eine Stellung beim Zollamt. Hier müssen wir erwähnen, daß ein
  • solcher Posten schon längst Gegenstand seiner geheimen Wünsche gewesen
  • war. Er hatte gesehen, was sich die Zollbeamten für wunderschöne
  • ausländische Sachen anschafften, was für herrlichen Batist und Porzellan
  • sie ihren Schwestern, Vettern und Basen zum Geschenk machten. Oft schon
  • hatte er seufzend ausgerufen: »Das wär so etwas für mich: die Grenze ist
  • nahe, man ist in der Nähe von gebildeten Leuten, was für feine
  • holländische Hemden man sich da zulegen könnte!« Und wir müssen
  • hinzufügen, daß er auch noch an eine besondere Sorte französischer Seife
  • dachte, welche der Haut eine außerordentliche Weiße und Geschmeidigkeit
  • und den Wangen Frische und Glanz verlieh; was das für eine Marke war,
  • das mag Gott wissen, jedenfalls hatte er Grund zu vermuten, daß sie nur
  • an der Grenze zu haben war. Genug, er sehnte sich schon lange nach dem
  • Zollamt, aber die augenblicklichen Vorteile, die ihm aus dem Dienst in
  • der Baukommission erwuchsen, hielten ihn noch zurück, und er sagte sich
  • mit Recht, daß das Zollamt eben doch nicht mehr als eine Taube auf dem
  • Dache sei, während die Baukommission doch immerhin ein Sperling in der
  • Hand war. Jetzt aber hatte er sich entschlossen, unter allen Umständen
  • beim Zollamt unterzukommen -- und das setzte er denn auch tatsächlich
  • durch. Mit wahrem Feuereifer machte er sich ans Werk. Das Schicksal
  • selbst schien ihn zum Zollbeamten prädestiniert zu haben. Eine gleiche
  • Geschäftigkeit und ein solch durchdringender Scharfblick war noch nie
  • vorgekommen. In drei oder vier Wochen hatte er sich bereits eine solche
  • Sicherheit im Zollfach angeeignet, daß er buchstäblich alles wußte: er
  • brauchte garnicht abzumessen oder nachzuwiegen; denn er erkannte sofort
  • nach der Faktur, wieviel Meter Stoff in einem Paket enthalten waren; und
  • wenn er ein Gepäckstück in die Hand nahm, konnte er sofort sagen,
  • wieviel es wog; was aber die Untersuchung anbetraf, so hatte er, wie
  • seine eigenen Kameraden sich ausdrückten, geradezu »eine Witterung wie
  • ein guter Jagdhund«: es war wirklich wunderbar, wie geduldig er jeden
  • Knopf befühlte, und dies alles geschah mit einer vernichtenden
  • Kaltblütigkeit und einer geradezu unglaublichen Höflichkeit. Während die
  • unglücklichen Objekte der Untersuchung vor Wut rasten, alle
  • Selbstbeherrschung verloren und eine unwiderstehliche Lust verspürten,
  • sein angenehmes Gesicht tüchtig durchzubläuen, verzog er keine Miene und
  • sagte immer mit der gleichen Liebenswürdigkeit: »Wollen Sie nicht die
  • Gefälligkeit besitzen, sich ein wenig zu bemühen und aufzustehen!« oder
  • »Wollen Sie nicht die Güte haben, gnädige Frau, und ein wenig ins
  • Nebenzimmer treten. Die Gattin eines unserer Beamten möchte ein paar
  • Worte mit Ihnen sprechen«, oder »Sie erlauben wohl, daß ich Ihnen das
  • Unterfutter Ihres Mantels ein wenig mit dem Messer auftrenne«. Und mit
  • diesen Worten zog er ganz kaltblütig alle möglichen Tücher, Shawls usw.
  • von dort hervor, ganz wie aus seinem eigenen Koffer. Selbst die
  • Vorgesetzten erklärten, das sei ein Teufel und kein Mensch. Überall fand
  • er etwas: zwischen den Rädern, in der Deichsel, in den Ohren der Pferde
  • und Gott weiß, wo noch sonst, wo es wohl selbst keinem Dichter in den
  • Kopf käme, etwas zu suchen, und wohin sich höchstens ein Zollbeamter
  • verirren kann. Der arme Reisende konnte sich noch lange, nachdem er die
  • Grenze passiert hatte, nicht auf sich selbst besinnen, wischte sich den
  • Schweiß, der ihm aus allen Poren getreten war, ab, schlug ein Kreuz und
  • murmelte: »Na, na!« Seine Lage erinnerte sehr an die eines Schuljungen,
  • der eben dem Karzer entronnen ist, wohin der Lehrer ihn rief, um ihm
  • eine kleine Standrede zu halten und ihn statt dessen zu seinem höchsten
  • Erstaunen kräftig durchwalkte. Bald wußten sich die Schmuggler vor ihm
  • nicht mehr zu retten: er war der Schrecken und die Verzweiflung der
  • gesamten polnischen Judenschaft. Seine Ehrlichkeit und Unbestechlichkeit
  • waren unvergleichlich und geradezu unnatürlich. Er legte sich nicht
  • einmal ein kleines Kapital aus den konfiszierten Waren und den
  • beschlagnahmten Sachen an, welche dem Staate vorenthalten wurden, um die
  • unnützen Schreibereien zu vermeiden. Ein solcher uneigennütziger Eifer
  • im Dienst mußte natürlich allgemeines Staunen erregen und schließlich
  • auch der Regierung zu Ohren kommen. Er erhielt einen Titel und wurde
  • befördert, woraufhin er der Regierung ein Projekt vorlegte, wie man
  • sämtliche Schmuggler fangen und dingfest machen könnte. Diesem Projekte
  • legte er nur noch die Bitte um Einsendung der hierzu erforderlichen
  • Mittel bei. Sogleich wurde ihm das Oberkommando und die unbeschränkte
  • Vollmacht zur Ausführung aller möglichen Untersuchungen und
  • Ermittelungen erteilt. Das war es allein, was er brauchte. Um diese Zeit
  • hatte sich gerade eine große Gesellschaft von Schmugglern gebildet,
  • welche ganz bewußt und planmäßig vorgingen: das freche Unternehmen
  • versprach, Millionen abzuwerfen. Tschitschikow hatte schon längst etwas
  • davon erfahren und sich sogar geweigert, die Abgesandten zu kaufen,
  • indem er ganz trocken erklärte, die Zeit sei noch nicht gekommen.
  • Nachdem er jedoch alle Fäden in seiner Hand hatte, benachrichtigte er
  • die Gesellschaft sofort, indem er ihr sagen ließ: Jetzt ist es Zeit. Er
  • hatte fast zu sicher gerechnet. In einem Jahre hätte er hier mehr
  • gewinnen können, als er sich je in zwanzig Jahren durch noch so eifrige
  • Diensttätigkeit erwerben konnte. _Vordem_ wollte er sich nicht mit ihnen
  • einlassen, weil er doch nichts wie eine Schachfigur war, und daher nicht
  • viel erhalten hätte. Jetzt dagegen lagen die Dinge ganz anders, jetzt
  • konnte er ihnen seine Bedingungen diktieren. Damit die Sache sich
  • möglichst glatt abwickle, versuchte er noch einen andern Beamten auf
  • seine Seite zu bringen und das Unternehmen gelang, der Kollege konnte
  • der Versuchung nicht widerstehen, trotzdem seine Haare schon zu grauen
  • begannen. Der Pakt wurde geschlossen und die Gesellschaft schritt zur
  • Tat. Ihre ersten Operationen waren von glänzenden Erfolgen gekrönt. Der
  • Leser hat sicher schon jene berühmte Geschichte von der Reise der
  • gescheidten, spanischen Hammel gehört, welche die Grenze in doppelten
  • Häuten überschritten und dabei für eine Million Brabanter Spitzen unter
  • dem Pelze mitnahmen. Dieses ereignete sich gerade zu der Zeit, als
  • Tschitschikow beim Zollamt war. Hätte er selbst nicht an diesem
  • Unternehmen teilgenommen, kein Jude in der ganzen Welt hätte es fertig
  • gebracht, einen ähnlichen Streich auszuführen. Nachdem die Hammel die
  • Grenze drei oder viermal überschritten hatten, stellte es sich heraus,
  • daß beide Beamten je vierhunderttausend Rubel Kapital besaßen. Ja man
  • munkelte, daß es bei Tschitschikow sogar in die Fünfhunderttausend
  • gegangen wäre, weil er noch etwas kecker war, als der andre. Gott weiß,
  • welche gewaltige Höhe diese gepriesenen Summen erreicht hätten, wenn
  • nicht irgend ein vertraktes Tier ihnen über den Weg gelaufen wäre. Der
  • Teufel verdrehte beiden Beamten den Kopf. Der Haber stach sie, und sie
  • gerieten ohne jeden Grund aneinander. Während einer lebhaften
  • Unterhaltung nannte Tschitschikow, der vielleicht auch etwas zu viel
  • getrunken hatte, den andern Beamten einen _Popensohn_, worauf dieser,
  • der _wirklich_ der Sohn eines Popen war, sich aus irgend einem Grunde
  • aufs tiefste beleidigt fühlte und ihn sehr heftig und außerordentlich
  • scharf anfuhr. Und zwar sagte er ihm folgendes: »Das lügst du! Ich bin
  • Staatsrat und kein Popensohn. Du bist vielleicht ein Popensohn,« und
  • dann fügte er, um ihm einen Stich zu versetzen und ihn noch mehr zu
  • ärgern, noch hinzu: »Jawohl, so ist's!« Obwohl er unseren Tschitschikow
  • damit noch übertrumpfte, indem er ihm das auf ihn selbst gemünzte
  • Schimpfwort zurückgab, und trotzdem die Wendung: »Jawohl, so ist's«
  • schon stark genug war, genügte ihm dies jedoch noch nicht, sondern er
  • sandte noch außerdem eine geheime Denunziation an die Behörde. Übrigens
  • ging die Rede, beide hätten überdies noch einen Streit wegen eines
  • frischen handfesten Weibleins gehabt, die nach dem Ausdruck der Beamten
  • »kernig« gewesen sei, wie eine Rübe, ja es seien sogar ein paar kräftige
  • Kerle gedungen worden, die unseren Helden eines Abends in einer dunkelen
  • Gasse tüchtig durchwalken sollten; schließlich aber hätten beide Beamten
  • eine Nase erhalten, und ein gewisser Hauptmann Schamschajew habe sich
  • der betreffenden Dame bemächtigt. Wie sich die Sache in Wahrheit
  • zugetragen hat, das weiß Gott allein. Genug, die geheimen Abmachungen
  • mit den Schmugglern wurden ruchbar und kamen an den Tag. Der Staatsrat
  • wurde zwar gleichfalls gestürzt, aber er zog seinen Kollegen mit in
  • seinen Sturz hinein. Die Beamten wurden vor Gericht gestellt, ihr ganzer
  • Besitz konfisziert und versiegelt, und dies alles brach über ihre
  • schuldigen Häupter herein, wie ein Donnerschlag aus heitrem Himmel. Ihr
  • Geist war wie von Rauch und Dunst umnebelt, und als sie wieder zu sich
  • kamen, bemerkten sie mit Entsetzen, was sie angerichtet hatten. Der
  • Staatsrat überlebte diesen Schicksalsschlag nicht und ging irgendwo
  • elendiglich zugrunde, der Kollegienrat aber hielt dem Schicksal stand
  • und blieb fest. Er verstand es, einen Teil der Summe in Sicherheit zu
  • bringen, so fein auch die Witterung der Beamten war, die erschienen
  • waren um die Untersuchung zu leiten; er wandte alle Schliche und
  • Ausflüchte an, deren sich ein erfahrener Mann, welcher die Menschen nur
  • allzu gut kennt, zu bedienen pflegt: hier suchte er durch seine
  • angenehmen Umgangsformen Eindruck zu machen, dort durch rührende Reden,
  • hier wirkte er durch Schmeicheleien, die nie etwas schaden können, und
  • da erwarb er sich die Gunst der Beamten, indem er ihnen etwas zusteckte,
  • mit einem Wort, er wußte seine Sache so gut zu führen, daß er wenigstens
  • keinen so schmählichen und unehrenhaften Abschied erhielt, wie sein
  • Kollege und, wenn auch mit knapper Not, dem Strafrichter entrann.
  • Freilich: das Kapital und all die schönen ausländischen Sachen waren
  • dabei draufgegangen; für diese Dinge hatten sich andre Liebhaber
  • gefunden. Es gelang ihm, sich höchstens zehntausend Rubel aus diesem
  • Zusammenbruch zu retten, die er sich für alle Fälle zurückgelegt hatte,
  • dazu noch zwei Dutzend holländische Hemden, eine kleine Kutsche, wie sie
  • Junggesellen zu besitzen pflegen und zwei Leibeigene: den Kutscher
  • Seliphan und den Bedienten Petruschka, außerdem hatten ihm die
  • Zollbeamten, aus reiner Herzensgüte noch fünf oder sechs Stück Seife
  • geschenkt: damit er sich seine Wangen rein und frisch erhalte -- das war
  • alles. In so trauriger Lage befand sich nun mit einem Male wieder unser
  • Held. Welch ungeheueres Mißgeschick war plötzlich über ihn
  • hereingebrochen! Das nannte er im Dienste der Wahrheit leiden. Man
  • sollte meinen, nach all diesen Stürmen, Versuchungen, Schicksalsschlägen
  • und den bösen Zufällen dieses Lebens hätte er sich mit seinen letzten
  • teuren Zehntausend in den friedlichen Erdenwinkel eines
  • Provinzstädtchens zurückgezogen, um dort für immer einzurosten: da hätte
  • er wohl im geblümten Schlafrock am Fenster eines niedrigen Häuschens
  • gesessen und zugesehen wie Sonntags die Bauern rauften, oder er wäre
  • vielleicht zur Erholung einmal in den Hühnerhof hinabgegangen, um sich
  • persönlich das Huhn anzusehen, aus dem die Suppe gekocht werden sollte,
  • und so hätte er sein Dasein zwar still, doch in seiner Art auch nicht
  • ganz nutzlos hingebracht. Aber es kam anders; man muß der
  • unbezwinglichen Charakterstärke unseres Helden Gerechtigkeit widerfahren
  • lassen. Nach all diesen Schlägen, welche genügt hätten, einen Menschen
  • wenn nicht umzubringen, so doch für immer gegen alles abzukühlen und
  • zahm zu machen, war in ihm jene unerhörte Leidenschaft noch immer nicht
  • erloschen. Er war ärgerlich und zornig, murrte wider die ganze Welt,
  • schimpfte über die Ungerechtigkeit des Schicksals, war empört über die
  • Schlechtigkeit der Menschen, und konnte es dennoch nicht lassen, neue
  • Versuche zu unternehmen. Mit einem Wort: er legte eine Mannhaftigkeit an
  • den Tag, vor der die träge Geduld des Deutschen zu Nichts
  • zusammenschrumpft, welche ja in dem ruhigen, langsamen Blutumlauf seinen
  • Grund hat. Tschitschikows Blut dagegen wallte feurig durch die Adern,
  • und es bedurfte eines starken, vernünftigen Willens, um all jene Triebe
  • zu zügeln, welche in ihm nach außen drängten, um sich hier frei zu
  • ergehen und auszuleben. Er überlegte lange hin und her, und in seinen
  • Überlegungen war immer etwas Richtiges enthalten. Warum bin _ich_ es
  • gerade? Warum mußte das Unglück jetzt über _mich_ hereinbrechen? Wer
  • säumt denn jetzt in seinem Berufe? Alles strebt nach _Erwerb_. Ich habe
  • doch niemand unglücklich gemacht, habe keine Witwe beraubt, keinen
  • Menschen an den Bettelstab gebracht, nur von dem Überflusse genommen
  • dort wo jeder andere an meiner Stelle auch die Hand ausgestreckt hätte.
  • Hätte ich nicht die Gelegenheit beim Schopfe gepackt, so hätten andere
  • es statt meiner getan. Warum sollen denn andere schwelgen und glücklich
  • sein? Und warum soll ich denn verfaulen wie ein Wurm? Was bin ich jetzt?
  • Wozu tauge ich? Wie soll ich jetzt einem braven Familienvater ins Auge
  • sehen? Muß ich nicht Gewissensbisse empfinden, wenn ich daran denke, daß
  • ich nur die Erde unnütz belaste? Und was sollen einst meine Kinder
  • sagen? -- »Seht unsern Vater an,« werden sie sagen; »er war ein
  • Schweinehund, und hat uns kein Vermögen hinterlassen.«
  • Wir wissen bereits, daß Tschitschikow sehr besorgt um seine Nachkommen
  • war. Es ist damit eine kitzliche Sache. So mancher würde nicht so tief
  • in den fremden Beutel greifen, wenn sich ihm nicht immer die seltsame,
  • unbegreifliche Frage wie von selbst auf die Lippen drängte: »Und was
  • werden meine Kinder sagen?« Und der künftige Stammvater greift eilig
  • nach dem, was ihm zu allererst unter die Finger kommt, wie ein
  • vorsichtiger Kater, welcher ängstlich zur Seite schielt, ob nicht der
  • Hausherr in der Nähe ist: sieht er ein Stück Seife liegen, eine Kerze,
  • ein Endchen Speck, kommt ihm ein Kanarienvogel unter die Pfoten, er
  • nimmt alles mit und verschmäht nichts. So jammerte und klagte unser
  • Held, und doch arbeitete sein Kopf unaufhörlich weiter. Unabläßlich
  • wollte sich etwas formen und wartete nur auf den Plan zu dem neu zu
  • errichtenden Bau. Und wiederum schrumpfte er zusammen, wieder begann er
  • ein hartes Arbeitsleben, wieder schränkte er sich in allem ein, wieder
  • stieg er aus der Sphäre des Wohlstandes und der Reinheit in den Schmutz
  • und das Elend des Daseins hinab. In Erwartung eines Besseren ließ er
  • sich sogar dazu herbei, das Amt eines Gerichtsvollziehers zu übernehmen,
  • ein Beruf, der sich bei uns noch nicht das Bürgerrecht erkämpft hat,
  • dessen Träger von allen Seiten Püffe und Stöße erdulden müssen, von den
  • niederen Gerichtsbeamten und von ihren Vorgesetzten verachtet werden und
  • zum Antichambrieren, zum Erleiden jeglicher Grobheiten und Beleidigungen
  • verurteilt sind. Allein die Not machte unsern Helden zu allem fähig.
  • Unter den mancherlei Aufträgen, mit deren Ausführung er betraut wurde,
  • gab es auch folgenden: es sollten einige hundert Bauern bei
  • Vormundschaftsgericht verpfändet werden. Das Gut, zu dem die Bauern
  • gehörten, stand vor dem Ruin. Furchtbare Viehseuchen, die Mißwirtschaft
  • spitzbübischer Verwalter, Epidemien, denen die besten Arbeiter zum Opfer
  • fielen, Mißernten und nicht zum mindesten die Unvernunft des Gutsherrn
  • hatten es dem Ruin entgegengeführt. Der Besitzer hatte sich in Moskau
  • ein modernes Haus im neusten und vornehmsten Geschmack erbaut, dabei
  • aber war sein ganzes Vermögen bis zur letzten Kopeke draufgegangen, so
  • daß ihm kaum noch was zum Essen übrig blieb. So sah er sich denn
  • gezwungen, sein einziges Gut, das ihm noch übrig geblieben war, zu
  • verpfänden. Hypothekengeschäfte mit dem Staate waren damals noch
  • ziemlich unbekannt und erst vor kurzem eingeführt, daher entschloß man
  • sich nicht ohne inneres Unbehagen zu einem solchen Schritt.
  • Tschitschikow hatte in seiner Eigenschaft als Gerichtsvollzieher
  • sämtliche Vorbereitungen zu treffen; vor allem sorgte er, daß auch alle
  • Anwesenden in der rechten Stimmung waren (ohne diese vorbereitende
  • Maßnahme ist es bekanntlich nicht einmal möglich, die einfachsten
  • Erkundigungen einzuziehen -- unter einer Flasche Madeira pro Kopf geht's
  • jedenfalls nicht ab), nachdem er also alle, auf die es hierbei ankam, in
  • die rechte Geistesverfassung versetzt hatte, erklärte er ihnen: es gäbe
  • bei dieser Sache noch einen Umstand, der unbedingt berücksichtigt werden
  • müsse: »die Hälfte der Bauern sei gestorben, da müsse man sich in acht
  • nehmen, daß später nicht etwa Klagen laut würden ...« »Sie stehen aber
  • doch in der Revisionsliste, nicht wahr?« sagte der Sekretär. »Freilich,«
  • erwiderte Tschitschikow. »Nun was fürchten Sie denn dann noch?« sagte
  • der Sekretär. »Der eine stirbt, ein andrer wird geboren, nun gut, dann
  • ist doch nichts verloren.« Wie man sieht, verstand es der Sekretär in
  • Versen zu sprechen. Hier aber blitzte in unserem Helden der genialste
  • Gedanke auf, der je einem Menschen in den Kopf gekommen war. »O, ich
  • Einfaltspinsel!« sprach er zu sich selbst, »ich suche meine Handschuhe
  • und sie stecken ruhig in meinem Gürtel! Hätte ich mir all diese Leute,
  • welche gestorben sind, gekauft, noch ehe die neuen Revisionslisten
  • aufgestellt wurden; hätte ich sie mir, sagen wir einmal, für tausend
  • Rubel erworben und dann beim Vormundschaftsgericht verpfändet; dann
  • hätte ich zweihundert Rubel für die Seele bekommen, und das würde heute
  • genau zweimal hunderttausend Rubel ausmachen! Und dazu ist jetzt gerade
  • der günstigste Augenblick: die Epidemie ist erst eben vorüber, die hat
  • gottlob nicht wenige das Leben gekostet! Die Gutsbesitzer haben ihr Geld
  • verspielt, zechen jetzt herum, und haben ihr ganzes Vermögen
  • durchgebracht; alles will nach Petersburg und in den Staatsdienst
  • treten: die Güter liegen darnieder, die Verwalter kümmern sich kaum um
  • sie, mit jedem Jahre wird's schwerer, die Steuern einzutreiben; wie gern
  • wird mir da jeder seine toten Bauern abtreten, nur um keine Kopfsteuer
  • für sie bezahlen zu müssen, ja am Ende nehme ich noch diesem oder jenem
  • ein paar Kopeken dafür ab. Das ist natürlich nicht leicht, es kostet
  • viele Mühe, man muß ewig in Sorgen schweben, daß man hereinfällt, und
  • daß eine neue Geschichte daraus entsteht. Aber wozu hat denn der Mensch
  • schließlich seinen Verstand? Das Gute dabei ist ja eben dies: daß die
  • Sache so unwahrscheinlich ist: niemand wird es recht glauben wollen.
  • Freilich ohne Land kann man sie weder kaufen noch verpfänden; aber ich
  • werde sie eben zu Ansiedelungszwecken kaufen, natürlich: zu
  • Ansiedelungszwecken; jetzt bekommt man ja das Land im Gouvernement
  • Taurien und Cherson fast umsonst; dort kannst du kolonisieren soviel
  • dein Herz begehrt! Ich führe sie eben einfach dorthin: ins Chersonsche
  • Gouvernement; da mögen sie meinetwegen leben! Und die Ansiedelung läßt
  • sich ja auf ganz gesetzlichem Wege vollziehen, nach allen Regeln der
  • Kunst, durch das Gericht. Wenn sie ein Zeugnis verlangen, gut, ich habe
  • nichts dagegen: Warum nicht? Ich werde auch ein Zeugnis mit der
  • eigenhändigen Unterschrift irgend eines Kreisrichters vorlegen. Das Gut
  • wird »Tschitschikowka« oder nach meinem Taufnamen »Pawlowskoje«
  • genannt.« So kam im Kopfe unseres Helden dieser seltsame Plan zustande;
  • ich weiß garnicht, ob ihm die Leser sehr dankbar für ihn sein werden,
  • dagegen läßt es sich kaum ausdrücken, wie sehr der Verfasser sich ihm
  • verpflichtet fühlt; wie dem auch sei, wäre Tschitschikow nicht auf
  • diesen Gedanken gekommen -- nie hätte diese Dichtung das Licht der Welt
  • erblickt.
  • Er schlug nach russischer Sitte ein Kreuz und ging an die Ausführung
  • seines großen Planes. Indem er vorschützte, er suche sich ein Plätzchen,
  • wo er sich niederlassen könne, und noch unter mancherlei anderen
  • Vorwänden, begann er damit, sich alle Ecken und Enden unseres Reiches
  • anzusehen, vorzüglich aber die, welche mehr als andere unter allerhand
  • Unglücksfällen zu leiden hatten, als da sind: Mißernten, Todesfälle usw.
  • usw. Mit einem Wort, wo sich ihm die günstigste Gelegenheit bot, sich
  • möglichst billig Bauern zu erwerben, deren er ja bedurfte. Dabei wandte
  • er sich nicht aufs geradewohl an den ersten besten Gutsbesitzer, sondern
  • wählte sich Leute nach seinem Geschmack aus, nämlich solche, mit denen
  • sich ein Geschäft dieser Art ohne große Schwierigkeiten abwickeln ließ.
  • Hierbei suchte er zunächst ihre nähere Bekanntschaft zu machen und ihre
  • Zuneigung zu gewinnen, um die Bauern womöglich zum Geschenk zu erhalten
  • und sie nicht bar bezahlen zu müssen. Daher darf der Leser auch dem
  • Autor nicht böse sein, wenn die Personen, die bisher im Laufe unserer
  • Erzählung auftraten, nicht immer nach seinem Geschmacke waren: das ist
  • Tschitschikows Schuld; denn hier ist _er_ der Herr der Situation, und
  • wir müssen ihm folgen, wohin zu wandern es ihm einfällt. Wir
  • unsererseits können, wenn man uns den Vorwurf macht, unsere Personen und
  • Charaktere seien unscheinbar und blaß, nur immer wieder sagen, daß man
  • im Beginn einer Sache nie ihren ganzen Umfang und die ganze Breite und
  • Tiefe ihres Verlaufs ermessen kann. Die Einfahrt in eine Stadt, und sei
  • es selbst die in die Reichshauptstadt, ist immer uninteressant. Zunächst
  • erscheint alles grau und einförmig. Endlose Fabriken und
  • rauchgeschwärzte Werkstätten ziehen sich in trübseliger Monotonie dahin.
  • Erst später erscheinen die Ecken sechsstöckiger Häuser, vornehme Läden,
  • Aushängeschilder, die langen Zeilen der Straßen mit Türmen, Säulen,
  • Denkmälern, Kirchen, mit ihrem Straßenlärm und Glanz und all den
  • Wundern, die Menschenhand und Menschengeist erschaffen. Wie die ersten
  • Einkäufe zustande kamen hat der Leser selbst gesehen; wie die Sache
  • weiter gehen wird, welche Erfolge und Mißerfolge unsern Helden erwarten,
  • was für Hindernisse weit schwierigerer Art er zu besiegen und zu
  • überwinden haben wird, wie dann gewaltige Gestalten vor uns auftreten,
  • wie sich die geheimsten Hebel unserer sich breit ergießenden Erzählung
  • in Bewegung setzen werden, wie der Horizont auseinander treten, und sie
  • selbst in majestätisch-lyrischem Strome dahinfluten wird, dies werden
  • wir später sehen. Ein weiter Weg ist's, den unsere Brigade zurückzulegen
  • hat bestehend aus einem Herrn mittleren Alters, einer Kutsche, wie die
  • Junggesellen zu benutzen pflegen, dem Diener Petruschka, dem Kutscher
  • Seliphan und dem Dreigespann edler Rosse, denen wir ja vorgestellt sind,
  • vom Assessor bis zum niederträchtigen Schecken. Da haben wir unsern
  • Helden wie er leibt und lebt. Aber vielleicht wird man noch eine
  • Charakteristik durch einen letzten Strich von mir verlangen: was ist er
  • für ein Mann nach der Seite seiner moralischen Qualitäten? Daß er kein
  • Held, erfüllt von allen Tugenden, Vorzügen und allen nur möglichen
  • Vollkommenheiten ist -- das ist evident. Wer also ist er? Folglich wohl
  • ein Schurke? Warum ein Schurke? Warum sollen wir so streng gegen andere
  • Leute sein? Jetzt gibt's bei uns keine Schurken mehr. Es gibt
  • wohlgesinnte, gesinnungstüchtige, angenehme Menschen, aber solche, die
  • ihre Physiognomie zur öffentlichen Beschimpfung darbieten müßten, um den
  • Streich auf die Wange in Empfang zu nehmen, gibt es nur sehr selten. Von
  • dieser Sorte werden wir kaum zwei bis drei finden und selbst sie reden
  • heute schon laut von der Tugend. Das Richtigste wäre es wohl, ihn einen
  • guten Wirt oder ein Erwerbsgenie zu nennen. Der Erwerbstrieb -- trägt
  • die Schuld an allem: er ist die Ursache all jener Affären und Geschäfte,
  • die die Welt »nicht ganz sauber« nennt. Freilich, so ein Charakter hat
  • schon etwas Abstoßendes an sich, und derselbe Leser, der sich auf seinem
  • Lebenswege mit so einem Menschen anfreundet, ihn in sein Haus einführt
  • und manche angenehme Stunde mit ihm verbringt, wird ihn mißtrauisch
  • ansehen, sowie er ihm in irgend einem Drama oder einer Dichtung
  • begegnet. Aber dreimal weise ist der, der überhaupt keinen Charakter
  • verabscheut, sondern prüfend seinen Blick auf ihn heftet und ihn
  • begreifen lernt in seinen innersten Triebfedern; wie schnell wandelt
  • sich alles im Menschen: eh man sich's versieht, hat sich im Innern ein
  • furchtbarer Wurm eingenistet, der wächst und wächst und alle
  • Lebenskräfte herrisch in sich aufsaugt. Und mehr als einmal schon
  • geschah es, daß in einem Menschen, der zu Höherem geboren war, nicht nur
  • eine übermächtige Leidenschaft gewaltig emporwuchs und erstarkte, nein
  • oft schon ließ ein armseliger minderwertiger Trieb ihn all seine hohen
  • und heiligen Pflichten vergessen und in elenden Nichtigkeiten etwas
  • Großes und Verehrungswürdiges sehen. Unendlich wie der Sand am Meere
  • sind des Menschen Leidenschaften, und keine gleicht der andern, alle
  • sind sie dem Menschen im Anfang gefügig und gehorsam, die hohen wie die
  • niedrigen, und erst später werden sie zu furchtbaren Despoten. Selig ist
  • der zu preisen, der sich unter allen die herrlichste Leidenschaft
  • erwählte: er wächst und mehrt sich täglich und stündlich sein
  • grenzenloses Glück, tiefer und immer tiefer dringt er ein in das
  • unendliche Paradies seiner Seele. Aber es gibt Leidenschaften, deren
  • Wahl nicht vom Menschen abhängt. Sie werden mit ihm geboren in der
  • Stunde, da er zur Welt kommt, und keine Kraft ward ihm gegeben, sie weit
  • von sich zu stoßen. Ein höherer Plan ist es, der sie lenkt, und es liegt
  • etwas in ihnen, das ewig ruft und lockt und keinen Augenblick im Leben
  • verstummt. Ihre große irdische Laufbahn zu vollenden ist ihre
  • Bestimmung, ob sie nun als finstere Gestalten vorüberwandeln oder als
  • herrlich leuchtende Erscheinungen, die den lauten Jubel der Welt
  • entfachen, indem sie an uns vorüberziehen -- ganz gleich -- sie kamen,
  • um das dem Menschen unbekannte Gute zu erfüllen. Und vielleicht stammt
  • auch die Leidenschaft die unseren Helden Tschitschikow lenkt und
  • vorwärtstreibt nicht aus ihm selber, und es liegt auch in seinem kalten
  • frostigen Dasein etwas beschlossen, was einstmals den Menschen auf die
  • Kniee und in den Staub niederzwingen wird vor der Weisheit des Himmels.
  • Und es ist noch ein Geheimnis, warum diese Gestalt gerade in dieser
  • Dichtung erscheinen mußte, die hiermit den Schauplatz der Welt betritt.
  • Aber nicht das ist das Bittere, daß man mit unserem Helden unzufrieden
  • sein wird; weit bitterer und schmerzlicher ist dieses: in meiner Seele
  • lebt die unumstößliche Gewißheit, daß die Leser dennoch und trotz
  • alledem mit diesem Helden, mit demselben Tschitschikow zufrieden sein
  • könnten. Hätte der Autor ihm nicht so tief ins Herz geblickt, hätte er
  • nicht alles aufgerührt, was im tiefsten Grunde seiner Seele lebt und nur
  • dem Blick der Welt entgeht und verborgen bleibt, hätte er nicht seine
  • geheimsten Gedanken enthüllt, die kein Mensch dem andern vertraut,
  • sondern ihn so gezeigt, wie er der ganzen Stadt, Manilow und all den
  • anderen -- erschienen war, -- so wären alle Leute sehr befriedigt, und
  • jeder würde ihn für einen äußerst interessanten Menschen halten.
  • Freilich wäre dann sein Bild und seine Gestalt nicht so lebendig vor
  • unser Auge getreten: dafür hätte auch keine Erregung in unserer Seele
  • nachgezittert, nachdem wir das Buch aus der Hand gelegt hätten, und wir
  • könnten uns ruhig wieder an unseren Kartentisch setzen, welcher der
  • Trost und die Freude ganz Rußlands ist. Ja meine braven Leser, ihr wollt
  • der Menschen nackte Armut lieber nicht sehen: »Warum nur?« sprecht ihr,
  • »wozu dient das alles? Wissen wir denn nicht selber, daß es gar viel
  • Verächtliches und Törichtes in der Welt gibt? Auch ohnedies muß man oft
  • Dinge sehen, die keineswegs tröstlich sind. Zeigt uns doch lieber das
  • Schöne, das was entzückt und begeistert! Helft uns, uns lieber selbst zu
  • vergessen!« -- »Warum sagst du mir, daß es schlecht um meine Wirtschaft
  • steht, Bruder?« sagt ein Gutsbesitzer zu seinem Verwalter »ich weiß das
  • auch _ohne_ dich, lieber Freund: kannst du denn wirklich nicht von etwas
  • andrem reden? Wie? Hilf mir lieber das alles zu vergessen, und nicht
  • daran zu denken -- dann bin ich glücklich.« Und so wird das Geld, das
  • dazu hätte dienen können, um das Gut etwas in die Höhe zu bringen, für
  • allerhand Mittelchen ausgegeben, um sich selbst zu vergessen. Der Geist
  • wird eingeschläfert, der vielleicht plötzlich einen Quell gewaltiger
  • Reichtümer entdeckt hätte; das Gut kommt unter den Hammer, der Gutsherr
  • muß betteln gehen, um sich zu vergessen; mit einer Seele, die zu jeder
  • äußersten Niedertracht und Gemeinheit bereit ist, vor denen er selbst
  • einst zurückgeschreckt wäre.
  • Noch eine andere Klage wird gegen den Autor laut; sie rührt von den
  • sogenannten Patrioten her, welche ruhig in ihren Winkeln sitzen und sich
  • mit ganz gleichgültigen Dingen abgeben: sich ein Kapital aufhäufen und
  • sich ein schönes Los auf Kosten anderer bereiten; sowie aber etwas
  • geschieht, was nach ihrer Meinung dem Vaterland zur Unehre gereicht,
  • _sowie_ irgend ein Buch erscheint, das eine bittre Wahrheit enthält --
  • dann kommen sie aus allen Ecken und Winkeln herausgekrochen, wie die
  • Spinnen, welche eine Fliege entdeckt haben, die sich in ihr Netz
  • verstrickte, und erheben ein lautes Geschrei: »Ja, ist es denn gut,
  • solche Dinge ans Licht zu bringen, sie offen zu verkünden. All das, was
  • da beschrieben wird, gehört ja zu _uns_ -- ist's also klug, so etwas zu
  • tun? Und was sollen die Ausländer sagen? Ist es denn angenehm, zu hören,
  • daß andre Leute schlecht von uns reden?« Und sie denken: tut es uns denn
  • nicht weh? Denken: sind wir etwa nicht Patrioten? Auf solch weise
  • Bemerkungen, besonders hinsichtlich der Ausländer, kann ich keine
  • passende Antwort finden. Es wäre denn etwa diese: In irgend einem
  • entlegenen Winkel Rußlands lebten einmal zwei Männer. Der eine war der
  • Vater einer großen Familie und hieß Kifa Mokiewitsch; er war ein sanfter
  • friedlicher Mensch, der ein Freund eines bequemen und ruhigen Lebens
  • war. Mit seiner Familie beschäftigte er sich kaum; sein Dasein war mehr
  • der Spekulation gewidmet, ihn beschäftigten in erster Linie
  • »philosophische Fragen« wie er sie nannte: »Nehmt z. B. das Tier,«
  • pflegte er zu sagen, indem er im Zimmer auf und abging, »das Tier wird
  • doch ganz nackt geboren. Warum gerade nackt? Warum nicht vielmehr
  • befiedert wie der Vogel: warum kriecht es z. B. nicht aus dem Ei? Nein,
  • wirklich, es ist sonderbar ... man versteht die Natur immer weniger, je
  • mehr man sich in sie vertieft!« So dachte der Bürger Kifa Mokiewitsch.
  • Aber das war noch nicht das Wichtigste. Der andre Bürger war Mokij
  • Kifowitsch, sein leiblicher Sohn. Er war das, was man in Rußland einen
  • Helden zu nennen pflegt, und während sich der Vater mit der Geburt des
  • Tieres beschäftigte, drängte es _seine_ zwanzigjährige, breitschultrige
  • Gestalt mit aller Macht danach, sich zu entfalten und auszuleben. Er
  • konnte nie eine Sache leicht und nur so obenhin in Angriff nehmen --
  • stets brach sich jemand dabei den Arm oder er trug eine Beule auf der
  • Nase davon. Zu Hause und in der Nachbarschaft liefen alle, von den
  • Mädchen auf dem Hofe -- bis auf den letzten Hund -- davon, wenn sie ihn
  • erblickten, sogar sein eigenes Bett, das in seinem Schlafzimmer stand,
  • schlug er in Trümmer. So war Mokij Kifowitsch, sonst aber war er ein
  • braver, gutmütiger Mensch. Jedoch das ist nicht das Wichtigste. Das
  • Wichtigste hierbei ist das, was nun kommt: »Ich bitt dich gnädiger Herr
  • Kifa Mokiewitsch,« sagten die eigenen und fremden Knechte und Mägde zum
  • Vater: »was ist dein Mokij Kifowitsch doch für ein Herr? Der läßt keinen
  • Menschen in Ruhe, ist der zudringlich!« »Ja, ja, etwas mutwillig ist er
  • schon,« erwiderte gewöhnlich der Vater: »aber was ist da zu tun? Hauen
  • kann ich ihn doch nicht mehr, alle Menschen würden über meine Härte und
  • Grausamkeit schreien, und dann ist er ein so ehrgeiziger Mensch; wenn
  • ich ihm in Gegenwart anderer Leute einen Vorwurf machte -- würde er sich
  • wohl in acht nehmen; aber vergeßt auch die Öffentlichkeit nicht -- das
  • ist eben das Unglück. Wenn die Stadt es erfährt, wird sie ihn gleich
  • einen Schweinehund nennen. Glaubt ihr denn, daß mir das nicht weh tun
  • würde? Bin ich denn nicht sein Vater? Meint ihr, weil ich mich mit der
  • Philosophie beschäftige und mitunter keine Zeit für andere Dinge habe,
  • sei ich nicht Vater? O nein, ihr irrt euch. Ich _bin_ Vater, jawohl ich
  • bin _Vater_, zum Teufel noch einmal, das laß ich mir nicht nehmen. Mokij
  • Kifowitsch -- der sitzt mir hier ganz tief im Herzen.« Und Kifa
  • Mokijewitsch schlug sich mit der Faust kräftig auf die Brust und geriet
  • in die größte Erregung: »Und wenn er schon sein Leben lang ein
  • Schweinehund bleiben sollte, so soll man es wenigstens nicht von mir
  • erfahren; ich kann ihn doch nicht verraten!« Nachdem er so von seinem
  • väterlichen Gefühl Zeugnis abgelegt hatte, ließ er Mokij Kifowitsch
  • ruhig seine Heldentaten fortsetzen und kehrte selbst zu seinen geliebten
  • Gegenständen zurück, indem er sich plötzlich irgend eine Frage wie etwa
  • die folgende vorlegte: »Hm, wenn die Elefanten Eier legten, müßten die
  • Eierschalen da nicht so dick sein, daß keine Kanonenkugel sie
  • zertrümmern könnte; ja, ja, es ist Zeit ein neues Schießwerkzeug zu
  • erfinden!« So verbrachten unsere zwei Bewohner des friedlichen
  • Erdenwinkels ihr Leben, sie, die am Schluß unserer Dichtung so plötzlich
  • wie aus einem Fenster hervorguckten, um ihre bescheidene Antwort auf den
  • Vorwurf glühender Patrioten vorzubringen, welche sich vielleicht lange
  • ganz ruhig mit irgendwelchen Philosophemen oder mit der Vergrößerung
  • ihres Wohlstandes auf Kosten des von ihnen so glühend geliebten
  • Vaterlandes beschäftigten und keineswegs darum besorgt sind, daß nur
  • nichts Böses geschieht, sondern allein darum, daß nur ja niemand sage,
  • sie täten Schlimmes. Doch nein, weder der Patriotismus noch jenes erste
  • Gefühl sind der Grund all dieser Anklagen und Vorwürfe. Dahinter
  • versteckt sich etwas ganz andres. Warum soll ich es verheimlichen? Wer
  • anders, wenn nicht der Autor hätte die Pflicht, die heilige Wahrheit zu
  • verkündigen? Ihr fürchtet den tiefen forschend auf euch gerichteten
  • Blick. Ihr wagt es nicht, diesen Blick selbst auf die Gegenstände zu
  • richten, ihr liebt es, mit blinden Augen gedankenlos über alles
  • hinwegzugleiten. Ihr werdet vielleicht auch von Herzen über
  • Tschitschikow lachen: vielleicht sogar den Autor _loben_ und sagen:
  • »Übrigens, manches hat er wirklich sehr fein beobachtet! Das muß doch
  • ein Mensch von heiterem Temperament sein!« Und nach diesen Worten werdet
  • ihr mit verdoppeltem Stolze zu euch selbst zurückkehren, ein
  • selbstgefälliges Lächeln wird euer Gesicht verklären, und ihr werdet
  • fortfahren: »Man muß doch sagen: in einigen Gegenden Rußlands gibt es
  • wirklich höchst merkwürdige und komische Menschen, und recht abgefeimte
  • Schurken dazu!« Doch wer von euch wird sich voll christlicher Demut,
  • nicht laut und öffentlich, sondern in aller Stille, in jenen
  • Augenblicken wo die Seele einsame Selbstgespräche mit sich führt, tief
  • im Innern die Frage vorlegen: »Wie? lebt nicht vielleicht auch in _mir_
  • etwas von Tschitschikow?« Warum nicht gar. Laßt dagegen irgend einen
  • Beamten, einen Mann mittleren Ranges an einem andern vorübergehn --
  • sofort wird er seinen Nachbarn anstoßen, und während er sich fast
  • ausschütten möchte vor Lachen, zu ihm sagen: »Sieh, sieh, das ist
  • Tschitschikow, da geht er vorüber!« Und er wird allen Anstand, den er
  • seinem Rang und Alter schuldig ist, vergessen, ihm wie ein Kind
  • nachlaufen, ihn verhöhnen, necken und ihm nachrufen: »Tschitschikow!
  • Tschitschikow! Tschitschikow!«
  • Aber wir sprechen so laut und vergessen ganz, daß unser Held, der
  • während der Erzählung seiner Lebensgeschichte fest schlief, schon
  • aufgewacht ist und leicht hören könnte, daß man seinen Familiennamen so
  • oft wiederholt. Er ist doch ein Mensch, der sich leicht gekränkt fühlt
  • und sehr unzufrieden ist, wenn man ohne die schuldige Achtung von ihm
  • spricht. Dem Leser kann's freilich ziemlich gleich sein, ob ihm
  • Tschitschikow böse ist oder nicht; was dagegen den Autor anbelangt, so
  • darf er sich unter keinen Umständen mit seinem Helden veruneinigen: er
  • hat noch manches Stück Weges Hand in Hand mit ihm zurückzulegen; noch
  • liegen zwei große Teile dieser Dichtung vor ihm, und das ist doch
  • wirklich keine Kleinigkeit.
  • »He, he! Was fällt dir ein!« rief Tschitschikow Seliphan zu, »du ...?«
  • »Wie?« sagte Seliphan langsam.
  • »Wie? fragst du! Trottel du! Wie fährst du denn? Vorwärts, rühr dich!«
  • Und in der Tat, Seliphan saß schon lange auf seinem Bock und blinzelte
  • mit den Augen. Nur hie und da schlug er im Halbschlaf die gleichfalls
  • schlafenden Pferde mit den Zügeln leicht auf den Rücken. Auch Petruschka
  • hatte schon lange und, Gott weiß, wo seine Mütze verloren, er war auf
  • dem Bock zurückgesunken und stützte seinen Kopf auf Tschitschikows Knie,
  • von dem er manchen kräftigen Puff empfing. Seliphan wurde munter und
  • versetzte dem Schecken ein paar tüchtige Hiebe, worauf dieser einen
  • lebhaften Trab anschlug; dann ließ er seine Peitsche über den Rücken der
  • Pferde sausen und rief mit dünner Stimme gleichsam singend: »Nur keine
  • Furcht!« Die Pferde wachten auf und zogen den leichten Wagen mit sich
  • fort, der wie ein Flaum dahinflog. Seliphan schwenkte bloß die Peitsche
  • und rief: »He, he, he!« indem er auf seinem Bock rhythmisch hin und her
  • hopste, während der Wagen über die Berge und Täler der Landstraße
  • dahinjagte, welche langsam bergab führte. Tschitschikow wurde auf seinem
  • Polster leicht emporgehoben, er lächelte vergnügt, denn er liebte das
  • schnelle Fahren. Und welcher Russe liebt das schnelle Fahren nicht?
  • Sollte seine Seele, die sich überall und immer nach dem Taumel und
  • Wirbel sehnt, und oft laut ausrufen möchte: »Ach was, hol' doch alles
  • der Teufel,« sollte seine Seele es nicht lieben? Es nicht lieben, wenn
  • etwas so Wundersames, Beseeligendes darin liegt? Wie eine unbekannte
  • Gewalt hebt dich's auf seinen Flügel, du fliegst dahin und mit dir alles
  • um dich her: die Meilensteine, die Kaufleute auf ihren Wagensitzen, der
  • Wald zu beiden Seiten mit den dunklen Reihen seiner Tannen und Fichten,
  • dem Lärm der Äxte und dem Rabengekrächze: der ganze Weg flieht vorüber
  • -- weit fort in unbekannte Fernen; und etwas Furchtbares, Schreckliches
  • liegt in diesem rasenden Aufblitzen und Verschwinden, wo der
  • vorübergleitende Gegenstand kaum Zeit hat, feste Formen anzunehmen und
  • nur der Himmel über uns, die leichten Wolken und der sich Bahn brechende
  • Mond allein unbeweglich still zu stehen scheinen. Mein Dreigespann, o du
  • Vogeldreigespann! wer hat dich erfunden? Nur aus einem kecken mutigen
  • Volk konntest du hervorgehen -- in jenem Lande, das nicht zu spaßen
  • liebt, sondern sich wie die unendliche Ebene streckt und breitet über
  • die halbe Erde: versuch's doch die Meilensteine zu zählen, ohne daß
  • dir's vor den Augen flimmert! Wahrlich kein schlau ersonnenes Gefährt
  • bist du, genietet durch eiserne Klammern. Sondern schnell, aufs
  • geratewohl mit Axt und Meißel hat dich ein flinker Jaroslawscher Bauer
  • verfertigt und zusammengefügt. Dich lenkt kein Postillon in deutschen
  • Stulpenstiefeln, bebartet und behandschuht sitzt er da, der Teufel weiß
  • worauf; und wenn er aufsteht, seine Peitsche schwingt und sein
  • unendliches Lied anstimmt -- dann stürmen die Rosse dahin wie ein
  • Wirbelwind. Zu einer runden, glatten Fläche fließen die Speichen der
  • Räder zusammen. Es donnert der Weg. Erschrocken schreit der Fußgänger
  • auf und bleibt wie angewurzelt stehen. -- Und dahin fliegt das Gefährt,
  • fliegt und fliegt! ... Und schon sieht man in der Ferne nichts wie eine
  • dichte Staubwolke, und wirbelnd folgt die Luft.
  • Jagst nicht auch du, Rußland, so dahin, wie ein keckes unerreichbares
  • Dreigespann? Rauchend dampft unter dir der Boden; es dröhnen die Stege.
  • Und alles bleibt zurück, weit hinter dir zurück. Wie durch ein
  • göttliches Wunder betäubt, steht festgebannt der staunende Zuschauer.
  • Ist es ein Blitz, der aus den Wolken zuckte? Was bedeutet diese
  • grauenerweckende Bewegung? Und was für unbekannte Kräfte wohnen in
  • diesen, nie gesehenen Rossen? Oh, ihr Rosse! Ihr wunderbaren Rosse! Lebt
  • ein Wirbelwind in euren Mähnen? Bebt ein wachsames Ohr euch in jeder
  • Ader? Lauscht ihr auf ein trautes altbekanntes Lied von oben, und spannt
  • jetzt einträchtig eure ehernen Brüste? Kaum rühren eure flüchtigen Hufe
  • die Erde, in eine langgestreckte Linie verwandelt fliegt ihr durch die
  • Lüfte, und fort stürmt das ganze, gottbegeisterte! ... Rußland? Wohin
  • jagst du, gib Antwort! Du bleibst stumm. Wundersam ertönt der Gesang des
  • Glöckchens. Wie von Winden zerfetzt, braust und erstarrt die Luft;
  • alles, was auf Erden lebt und webt, fließt vorüber; und es weichen vor
  • dir, treten zur Seite, und geben dir Raum alle anderen Staaten und
  • Völker.
  • Anhang zum ersten Teil
  • I.
  • Vorrede
  • zur zweiten Auflage des ersten Bandes
  • der
  • »Toten Seelen«
  • 1846
  • Der Verfasser an den Leser
  • Wer du auch sein magst, lieber Leser, auf welchem Platze du stehst,
  • welches Amt du bekleidet, ob du Rang und Würden dein eigen nennt, ein
  • schlichter Mann von einfachem Stande bist, wenn dir Gott die edle Gabe
  • des Lesens verliehen hat und dir ein Zufall dieses Buch in die Hände
  • spielte, so bitte ich dich, mir zu helfen.
  • In dem Buche, das vor dir liegt und dessen erste Auflage du
  • wahrscheinlich schon gelesen hat, ist ein Mensch dargestellt, der mitten
  • aus dem russischen Staate herausgegriffen ward. Er bereist unser
  • russisches Vaterland, und trifft hier mit Menschen jeder Art und jedes
  • Standes, mit vornehmen und einfachen zusammen. Er ward mehr _darum_ zum
  • Helden ausersehen, um die _Laster_ und _Mängel_, als die _Vorzüge_ und
  • _Tugenden_ des Russen aufzuzeigen; aber auch all die Menschen, die ihn
  • umgeben, sind so gewählt worden, daß sie unsere Fehler und Schwächen
  • widerspiegeln, die besseren Menschen und Charaktere sollen erst in den
  • folgenden Teilen vorgeführt werden. In diesem Buche ist manches
  • unrichtig dargestellt, und nicht so, wie die Dinge sich wirklich im
  • russischen Vaterlande zutragen, weil ich ja nicht alles kennen lernen
  • und in Erfahrung bringen konnte. Ein ganzes Menschenleben würde nicht
  • ausreichen, um auch nur den hundertsten Teil von dem zu erforschen, was
  • in unserer Heimat vorgeht. Zudem mögen sich infolge meiner eigenen
  • Unachtsamkeit, Unreife und Übereilung mancherlei Irrtümer und
  • Fehlschlüsse eingeschlichen haben, sodaß es wohl keine Seite in diesem
  • Buche gibt, an der nicht irgend etwas zu berichtigen wäre, und daher
  • bitte ich dich, lieber Leser, wo du es kannst, mich zu verbessern. Du
  • darfst diese Mühe nicht gering schätzen. Auf welch hoher Stufe der
  • Bildung und des Lebens du auch stehen mögest, so unbedeutend und nichtig
  • dir auch mein Buch erscheinen und so kleinlich und unwichtig dir es
  • vorkommen mag, mein Werk zu verbessern und deine Bemerkungen dazu
  • niederzuschreiben, ich bitte dich dennoch darum, es zu tun. Aber auch
  • du, lieber Leser, von _schlichter_ Bildung und einfachem Stande, sollst
  • dich nicht für zu unwissend halten, mich zu belehren. Ein jeder Mensch,
  • der gelebt, die Welt gesehen hat, und mancherlei Menschen begegnet ist,
  • hat sicher vielerlei gemerkt, was einem andern entgangen ist, und vieles
  • erfahren, was andere nicht wissen. Ich möchte daher nicht gerne auf
  • deine Bemerkungen verzichten. Es ist unmöglich, daß du nicht etwas zu
  • irgend einer Stelle meines Buches zu sagen hättest, wenn du es nur
  • aufmerksam durchliest.
  • Wie schön wäre es zum Beispiel, wenn auch nur _einer_ von jenen Leuten,
  • deren Kenntnisse so groß, deren Lebenserfahrung so reich ist, und die
  • den Kreis von Menschen, die ich beschrieben habe, genau kennen, seine
  • Anmerkungen zu dem ganzen Buche niederschreiben und _gar nicht anders_
  • an die Lektüre gehen wollte, als mit einer Feder in der Hand und einem
  • Stück Papier, das er vor sich auf dem Tische liegen hat. Wie schön wäre
  • es, wenn er jedesmal, nachdem er einige Seiten gelesen hat, sich an sein
  • ganzes Leben und das aller der Menschen, denen er auf seinem Wege
  • begegnet ist, an alle Ereignisse, die sich vor seinen Augen abspielten,
  • und auch an alles das erinnern wollte, was er selbst sah oder hörte, ob
  • es nun Ähnlichkeit mit den Begebenheiten hat, die in meinem Buche
  • geschildert sind, oder ihnen gerade entgegengesetzt ist -- und wenn er
  • dann alles genau so beschriebe, wie es sich in seiner Erinnerung
  • darstellt und mir hierauf jedes vollgeschriebene Blatt zusenden würde,
  • bis er auf diese Weise das ganze Buch zu Ende gelesen hätte. Welch einen
  • großen wahrhaften Dienst würde er mir damit erweisen. Der Stil und die
  • Schönheit des Ausdrucks brauchen ihm hierbei keine Sorge zu machen: hier
  • handelt es sich nur um die Sache selbst und um ihre Wahrheit und nicht
  • um den Stil. Auch braucht er sich nicht zu zieren, wenn er mich tadeln,
  • oder mir einen Vorwurf machen, oder mich auf eine Gefahr und auf den
  • Schaden hinweisen wollte, den ich durch die falsche und unüberlegte
  • Darstellung einer Sache gestiftet habe, wo doch nur Nutzen und Besserung
  • meine wahre Absicht war. Für all dieses wäre ich ihm von Herzen dankbar.
  • Ferner wäre es sehr gut, wenn sich ein Mensch aus dem höheren Stande
  • finden würde, welcher durch alles -- durch das Leben selbst und durch
  • seine Bildung -- jenen Kreisen fernsteht, die in meinem Buche
  • geschildert sind, der aber das Leben des Standes kennt, zu dem er selbst
  • gehört, und wenn ein solcher Mensch sich entschließen könnte, mein Buch
  • auf die gleiche Weise von Anfang an zu lesen, alle Menschen der höheren
  • Stände an seinem geistigen Auge vorüber ziehen zu lassen und streng
  • darauf zu achten, ob es nicht doch etwas Gemeinsames zwischen allen
  • Ständen gibt, ob sich nicht doch zuweilen in den höheren Kreisen
  • dasselbe wiederholt, was in den niederen Sphären zu geschehen pflegt?
  • Und wenn er nun alles, was ihm hierüber einfällt, das heißt also jedes
  • Vorkommnis aus den höheren Gesellschaftskreisen, das zur Bestätigung
  • oder Widerlegung dieses Gedankens dienen kann, ganz so schildern wollte,
  • wie es sich vor seinen Augen abspielte, ohne die Menschen selbst mit
  • ihren Sitten, Neigungen und Gewohnheiten zu vergessen oder die
  • seelenlosen Sachen, die sie umgeben, zu übergehen, von der Kleidung bis
  • hinab zu den Möbeln und den Mauern der Häuser, die sie bewohnen. Ich
  • _muß_ diesen Stand kennen, der die Blüte der Nation repräsentiert. Ich
  • kann die letzten Bände meines Werkes nicht in die Welt hinausgehen
  • lassen, bevor ich das Leben Rußlands nach all seinen Seiten kennen
  • gelernt habe, wenigstens in dem Maße, als dies für mein Werk notwendig
  • ist.
  • Auch wäre es nicht schlecht, wenn irgend jemand, der mit einer reichen
  • Phantasie und der Fähigkeit ausgestattet ist, sich alle möglichen
  • menschlichen Verhältnisse recht lebhaft vorzustellen, und die Menschen
  • in Gedanken auf Schritt und Tritt in allen Lebenslagen zu begleiten --
  • mit einem Wort, wenn jemand der es versteht, sich in den Geist eines
  • jeden Autors, den er liest, hinein zu versetzen oder seine Ideen weiter
  • zu führen und zu entfalten -- jede Person, die ich in meinem Buche
  • auftreten lasse, aufmerksam verfolgen und mir dann sagen wollte, wie sie
  • sich in diesem oder jenem Falle verhalten muß, was ihr, nach dem Anfang
  • zu schließen, im weiteren Verlauf der Erzählung zustoßen müßte, was für
  • neue Situationen sich hieraus ergeben könnten, und was ich wohl noch zu
  • meiner Beschreibung hinzufügen sollte; ich würde nämlich dies alles
  • sorgsam berücksichtigen bis zu der Zeit, wo mein Buch in einer neuen,
  • besseren und würdigeren Ausgabe vor den Leser treten wird.
  • Um eines noch möchte ich den, der mich durch seine Anmerkungen erfreuen
  • will, herzlichst bitten: wenn er sie niederschreibt, soll er nicht daran
  • denken, daß er sie für einen Menschen schreibt, der ihm an Bildung
  • gleich steht, der denselben Geschmack und dieselben Gedanken hat, wie er
  • selbst, und vieles auch ohne weitere Erklärungen verstehen wird;
  • vielmehr bitte ich ihn, so zu tun, als ob er einen Menschen vor sich
  • hat, der sich in bezug auf Bildung nicht mit ihm messen kann, und der
  • fast gar nichts gelernt hat. Es wäre vielleicht noch besser, wenn er
  • sich an meiner Statt irgend einen Wilden vorstellen würde, der sein
  • ganzes Leben in einem entlegenen Dorfe verbracht hat, dem man jede
  • kleinste Einzelheit umständlich erklären muß, wenn er sie verstehen
  • soll, und dem gegenüber man sich der einfachsten Ausdrucksweise
  • befleißigen muß, fast wie vor einem Kinde, um nur ja kein Wort zu
  • gebrauchen, das über seinen Horizont geht. Wenn jeder das stets im Auge
  • behalten wird, wenn jeder von denen, die dazu bereit sind, ihre
  • Bemerkungen zu meinem Buche niederzuschreiben, das stets im Auge behält,
  • dann werden diese Anmerkungen noch weit interessanter werden und noch
  • mehr an Wert gewinnen, als er es selbst glaubt; mir aber wird er einen
  • großen und wahrhaften Dienst erweisen.
  • Wenn es sich also so fügen sollte, daß meine Leser meinen Herzenswunsch
  • berücksichtigen und erfüllen, und wenn sich unter ihnen wirklich ein
  • paar Menschen von so gutem Herzen finden sollten, die bereit wären,
  • meine Bitte zu erfüllen, dann können sie mir ihre Anmerkungen auf
  • folgendem Wege übersenden: sie mögen ein an mich adressiertes Paket in
  • ein andres Paket einpacken und dieses an eine der hier nambar gemachten
  • Personen schicken: entweder an den Rektor der St. Petersburger
  • Universität Seine Exzellenz Peter Alexandrowitsch Pletnew (zu
  • adressieren an die Universität von St. Petersburg) oder an den Professor
  • der Moskauer Universität S. H. Stepan Petrowitsch Schewyrew (zu
  • adressieren an die Universität Moskau) je nachdem, welche Stadt dem
  • Absender näher liegt.
  • Zuletzt spreche ich noch allen Journalisten und Literaten überhaupt,
  • meinen aufrichtigen Dank aus für die Rezensionen und Besprechungen,
  • welche sie meinem Buche angedeihen ließen; sie haben meinem Herzen und
  • meiner Seele, trotz mancher Maßlosigkeiten und Übertreibungen, wie sie
  • nun mal in der menschlichen Natur liegen, einen großen Vorteil und
  • Nutzen gebracht, und daher bitte ich sie alle, mich auch diesmal mit
  • ihrem Urteil nicht im Stiche zu lassen. Ich kann ihnen das aufrichtige
  • Versprechen geben, daß ich alles was sie mir zu meiner Aufklärung und
  • Belehrung zu sagen haben, mit Dank entgegennehmen werde.
  • II.
  • Reflexionen,
  • die sich auf den ersten Teil beziehen.
  • Die Idee einer Stadt -- äußerster Grad von Hohlheit des in ihr
  • herrschenden Treibens. Klatschereien und Zwischenträgereien, die alle
  • Grenzen übersteigen. Wie dies alles aus dem Müßiggang entspringt und den
  • höchsten Grad der Lächerlichkeit angenommen hat, und wie ganz gescheite
  • Leute schließlich dazu kommen, die größten Dummheiten zu begehen.
  • Einzelheiten aus den Gesprächen der Frauen. Wie sich in die allgemeinen
  • Klatschereien noch solche von privatem Charakter mischen, und wie
  • hierbei keine die andere schont. Wie Gerüchte und Vermutungen entstehen.
  • Wie diese Vermutungen den Gipfel der Lächerlichkeit erreichen. Wie alle
  • unwillkürlich an diesen Klatschereien teilnehmen, und wie
  • Pantoffelhelden und Weiberknechte entstehen.
  • Wie die Hohlheit, die Ohnmacht und Tatenlosigkeit des Lebens abgelöst
  • werden durch einen trüben, nichtssagenden Tod. Wie sinnlos dieses
  • furchtbare Ereignis eintritt und vorübergeht. Nichts bewegt sich. Der
  • Tod überrascht dieses völlig unbewegte Leben. Dem Leser muß jedoch die
  • tote Gefühllosigkeit des Lebens dadurch noch furchtbarer erscheinen.
  • Die entsetzliche Dämmerung des Lebens zieht vorüber, darin liegt ein
  • tiefes Mysterium verborgen. Ist das nicht etwas ganz Furchtbares? Dieses
  • sich aufbäumende rebellierende müßige Leben -- ist es nicht eine
  • Erscheinung von furchtbarer Größe? ... Leben! ... Im Ballkostüm, im
  • Frack, da, wo man klatscht und Visitenkarten wechselt -- da glaubt
  • keiner an den Tod ....
  • _Einzelheiten._ Die Damen zanken sich gerade deswegen, weil die eine
  • haben möchte, daß Tschitschikow dies sei, während die andere wünscht,
  • daß er etwas anders sei -- und daher merken sie sich nur die Gerüchte,
  • die zu ihrer Idee von ihm passen.
  • Andere Damen erscheinen auf der Bildfläche.
  • Die in jeder Beziehung angenehme Dame hat einen Hang zur Sinnlichkeit
  • und liebt davon zu erzählen, wie sie diesen Hang zuweilen besiegt habe,
  • und zwar mit Hilfe ihres Verstandes, und wie sie es immer verstanden
  • habe, die Männer in einer gewissen Distanz zu halten. Übrigens geschah
  • das eigentlich ganz von selbst und auf ganz unschuldige Weise. Es trat
  • ihr nie einer zu nahe, aus dem einfachen Grunde, weil sie schon in ihrer
  • Jugend eine große Ähnlichkeit mit einem Nachtwächter hatte, trotzdem sie
  • so angenehm war und trotz all ihrer guten Eigenschaften. -- »Nein, meine
  • Liebe, wissen Sie, ich liebe es, den Mann erst ein wenig anzulocken, ihn
  • dann abzustoßen und dann _wieder_ anzulocken.« So verfährt sie auch auf
  • dem Ball mit Tschitschikow. Die andern überlegen sich es gleichfalls,
  • wie sie sich benehmen sollen. Die eine tritt sehr respektvoll auf. Zwei
  • Damen fassen sich unter, gehen auf und ab und nehmen sich vor, solange
  • als möglich zu lachen. Dann finden sie plötzlich, daß Tschitschikow
  • keine guten Manieren hat.
  • Die in jeder Beziehung angenehme Dame liebt es, Beschreibungen von
  • Bällen zu lesen. Auch die Beschreibung des Wiener Kongresses
  • interessiert sie sehr. Ferner interessiert sich diese Dame sehr für
  • Toiletten, d. h. sie liebt es, andre Damen daraufhin zu beobachten, ob
  • ihnen ein Kleid gut sitzt oder nicht.
  • Während sie auf ihrem Stuhl sitzt, beobachtet sie die Eintretenden. »Die
  • N. versteht sich garnicht zu kleiden, nein wirklich sie versteht es
  • nicht. Dieses Tuch kleidet sie garnicht.« -- »Wie reizend die Tochter
  • des Gouverneurs gekleidet ist!« -- »Aber Liebste, sie ist doch
  • abscheulich gekleidet.« -- Und wenn es selbst so wäre -- --
  • Die ganze Stadt mit ihrem wilden Durcheinander von Klatschereien und
  • Zwischenträgereien -- ist das Urbild der Tatenlosigkeit und Hohlheit des
  • menschlichen Lebens in seiner Masse. Das Geschwätz ist in die Welt
  • gesetzt und mit ihm alle nur möglichen Kombinationen. Die Hauptzüge der
  • Ballgesellschaft.
  • Das Urbild des Gegensatzes im II. Teil, der sich mit der in sich
  • zerrissenen und zerklüfteten Tatenlosigkeit beschäftigt.
  • Wie könnte man alle Welten der Tatenlosigkeit und des Müßigganges in all
  • ihren Spielarten auf die eine Art des städtischen Müßigganges
  • zurückführen, und wie könnte man den städtischen Müßiggang zum Urbild
  • der Untätigkeit und des Müßigganges der ganzen Welt erheben.
  • Dazu müssen alle ähnlichen Züge mit eingeschlossen werden, und es muß
  • eine gewisse Stetigkeit in die Erzählung kommen.
  • III.
  • Ende des neunten Kapitels
  • in veränderter Fassung.
  • Sie dachten nach und überlegten und beschlossen endlich, die Verkäufer
  • auszufragen, mit denen Tschitschikow verhandelt, und denen er diese
  • rätselhaften toten Seelen abgekauft hatte. Dem Staatsanwalt fiel die
  • Aufgabe zu, zu Sabakewitsch zu gehen und mit ihm zu sprechen, und der
  • Präsident erbot sich persönlich zu Karobotschka zu fahren. Wir wollen
  • uns daher gleichfalls aufmachen, ihnen nachgehen und zusehen, was sie
  • dort alles erfuhren.
  • Kapitel ...
  • Sabakewitsch lebte mit seiner Gemahlin in einem Hause, das etwas abseits
  • von dem lauten und lärmenden Getriebe lag. Er hatte sich ein massives,
  • solide gebautes Haus gewählt, wo ihm die Decke nicht überm Kopfe
  • einzustürzen drohte, und in dem es sich bequem und glücklich leben ließ.
  • Der Besitzer des Hauses war ein Kaufmann namens Kolotyrkin, auch ein
  • sehr solider Herr. Sabakewitsch hatte nur seine Frau bei sich, seine
  • Kinder waren nicht mitgekommen. Er fing schon an, sich zu langweilen,
  • dachte bereits an die Abreise und wartete nur noch auf den Zins für ein
  • Stück Land, das drei Bürger der Stadt bei ihm gepachtet hatten, um Rüben
  • darauf zu pflanzen, sowie ferner auf ein modernes wattiertes Kleid, das
  • seine Frau bei einen Schneider bestellt hatte, und das bald fertig sein
  • sollte. Er wurde bereits ein wenig ungeduldig und schimpfte, während er
  • in seinem Lehnstuhl saß, beständig auf die Gaunereien und Launen anderer
  • Leute, wobei er an seiner Frau vorbeisah und auf die Ofenecke blickte.
  • In einem solchen Moment trat der Staatsanwalt ins Zimmer. Sobakewitsch
  • sagte: »Ich bitte,« indem er sich einen Augenblick erhob, um sich jedoch
  • sogleich wieder zu setzen. Der Staatsanwalt ging auf Feodulia Iwanowna
  • zu, küßte ihr die Hand und nahm gleichfalls auf einem Stuhle Platz. Auch
  • Feodulia Iwanowna ließ sich auf einem Stuhle nieder, nachdem sie den
  • Handkuß in Empfang genommen hatte. Alle drei Stühle waren mit grüner
  • Ölfarbe angestrichen, und die Ecken waren mit gelben Wasserlilien, der
  • rohen Malerei eines Dilettanten geziert.
  • »Ich bin gekommen, um über eine wichtige Angelegenheit mit Ihnen zu
  • sprechen,« sagte der Staatsanwalt.
  • »Herzchen, geh doch auf dein Zimmer! Die Schneiderin wartet
  • wahrscheinlich auf dich.«
  • Feodulia ging auf ihr Zimmer.
  • Der Staatsanwalt begann folgendermaßen: »Gestatten Sie mir eine Frage:
  • was für Bauern haben Sie an Pawel Iwanowitsch Tschitschikow verkauft?«
  • »Wie meinen Sie das: was für Bauern?« sagte Sabakewitsch. »Wir haben
  • doch einen Kaufkontrakt aufgesetzt; da steht es drin, was es für Leute
  • waren: der eine ist Wagenbauer ...«
  • »In der Stadt kursieren jedoch ....« versetzte der Staatsanwalt ein
  • wenig verlegen .... »In der Stadt kursieren Gerüchte ....«
  • »Es gibt eben zuviel Narren in der Stadt, von denen werden wohl die
  • Gerüchte herstammen,« sagte Sabakewitsch ruhig.
  • »Nein, nein, Michael Semjonytsch, das sind so merkwürdige Gerüchte, daß
  • einem davon ganz wirr im Kopfe wird, es heißt, es handele sich hier
  • garnicht um Bauern, und ihre Ansiedelung, und man behauptet, dieser
  • Tschitschikow sei eine höchst rätselhafte Persönlichkeit. Es werden
  • höchst verdächtige Vermutungen laut, man redet so eigentümliche Dinge in
  • der Stadt ...«
  • »Gestatten Sie mir bitte eine Frage: Sind Sie etwa ein altes Weib?«
  • fragte Sabakewitsch.
  • Diese Frage verblüffte den Staatsanwalt aufs äußerste. Er hatte sich
  • noch nie gefragt, ob er ein altes Weib sei, oder irgend etwas andres.
  • »Sie sollten sich schämen, solche Fragen zu stellen und noch damit zu
  • mir zu kommen,« fuhr Sabakewitsch fort.
  • Der Staatsanwalt stammelte einige Entschuldigungen.
  • »Gehen Sie doch zu den alten Klatschweibern, die hinter ihrem Webstuhl
  • sitzen und sich abends Schauergeschichten über Gespenster und Hexen
  • erzählen. Oder wenn Ihnen mit Gottes Hilfe nichts Besseres einfallen
  • will, dann spielen Sie doch lieber Knöchel mit den kleinen Jungen. Was
  • kommen Sie und beunruhigen Sie einen ehrlichen Menschen? Bin ich etwa
  • Ihr Hanswurst, wie? Sie kümmern sich zu wenig um Ihren Beruf, und denken
  • zu wenig daran, dem Vaterland zu dienen, Ihren Nächsten nützlich zu sein
  • und Ihre Kollegen zu schonen. Sie wollen immer der erste sein und laufen
  • gleich hin, wenn irgend ein Esel Sie irgendwo hinschickt. Passen Sie
  • auf, Sie werden noch einmal um nichts und wieder nichts zu Falle kommen,
  • und elendiglich zugrunde gehn, ohne eine gute Erinnerung an sich zu
  • hinterlassen.«
  • Der Staatsanwalt war ganz bestürzt und wußte absolut nicht, was er auf
  • diese unerwartete Moralpredigt antworten sollte. Ganz beschämt und
  • vernichtet verließ er Sabakewitsch: dieser aber rief ihm noch nach:
  • »Pack dich zum Teufel, du Hund!«
  • In diesem Augenblick erschien Feodulia: »Warum ist der Staatsanwalt so
  • plötzlich fortgegangen?« fragte sie.
  • »Der Kerl hat Gewissensbisse bekommen und ist weggelaufen,« versetzte
  • Sabakewitsch. »Da hast du wieder so ein Beispiel, Herzchen. So ein alter
  • Knabe! hat schon graue Haare und doch weiß ich, daß er noch immer den
  • Frauen anderer Leute keine Ruhe läßt. Das ist einmal die Art dieser
  • Menschen: sie sind eben Hundesöhne alle miteinander. Nicht genug, daß
  • sie der lieben Erde durch ihren Müßiggang zur Last fallen, sie machen
  • solche Sachen, daß man sie allesamt in einen Sack stecken und ins Wasser
  • werfen sollte! Die ganze Stadt ist nichts wie eine Räuberhöhle. Wir
  • haben hier nichts mehr zu suchen. Wir wollen nach Hause fahren.«
  • Frau Sabakewitsch wollte einwenden, daß ihr Kleid noch nicht fertig sei,
  • und daß sie sich noch zu den Feiertagen ein paar Haubenbänder kaufen
  • müsse, aber Sabakewitsch erklärte: »Das sind alles Modetorheiten,
  • Herzchen; das nimmt noch ein schlechtes Ende.« Er befahl, alles für die
  • Reise vorzubereiten; begab sich selbst mit einem Polizeikommissar zu den
  • drei Bürgern der Stadt, um die Pacht für die Rüben einzukassieren; ging
  • hierauf zu der Schneiderin, nahm ihr das unfertige Kleid, an dem noch
  • gearbeitet wurde, weg, ganz so wie es war, mit der darinsteckenden Nadel
  • und dem Faden, um es zu Hause fertig nähen zu lassen, und fuhr bald
  • darauf zur Stadt hinaus. Unterwegs wiederholte er fortwährend, es sei
  • geradezu gefährlich, in diese Stadt zu kommen, denn hier säße ja ein
  • Schuft und Gauner auf dem andern, und da könne es einem noch leicht
  • passieren, daß man mit ihnen in dem allgemeinen Sumpfe versinke.
  • Inzwischen eilte der Staatsanwalt in der höchsten Bestürzung über den
  • Empfang, den ihm Sabakewitsch bereitet hatte, nach Hause. Er befand sich
  • in einer solchen Verlegenheit, daß er sich nicht einmal darüber klar
  • werden konnte, wie er dem Präsidenten das Resultat seines Besuches
  • mitteilen sollte.
  • Indessen auch der Präsident hatte nur wenig zur Aufklärung der Sache
  • beigetragen. Er fuhr zuerst in seiner Kutsche in die Stadt und geriet
  • dabei in eine so enge und schmutzige Gasse, daß während des ganzen Weges
  • bald das rechte, bald das linke Rad seines Wagens höher stand als das
  • andre. So kam es, daß er erst mit seinem Kinn und dann mit dem
  • Hinterkopf sehr heftig auf seinen Spazierstock aufstieß und seine
  • Kleider ganz mit Kot bespritzt wurden. Quatschend und schlürfend bahnte
  • sich der Wagen den Weg durch den Kot, bis man endlich beim Probst
  • anlangte, wo die Insassen von lebhaftem Schweinegegrunze begrüßt wurden.
  • Der Präsident ließ seine Kutsche halt machen und ging zu Fuß an
  • allerhand Zimmern und Stuben vorüber nach dem Hausflur. Hier bat er sich
  • zunächst ein Handtuch aus, um sich das Gesicht abzuwischen. Karobotschka
  • empfing ihn ganz so wie Tschitschikow, mit demselben melancholischen
  • Ausdruck im Gesicht. Um den Hals hatte sie etwas wie ein Flanelltuch
  • geschlungen. In dem Zimmer schwirrten unzählige Scharen von Fliegen, und
  • auf dem Tisch stand ein undefinierbares Gericht, das ihnen offenbar sehr
  • widerwärtig war, an das sie sich jedoch schon gewöhnt zu haben schienen.
  • Korobotschka bat ihn Platz zu nehmen.
  • Der Präsident begann zuerst damit, daß er ihren Mann gekannt habe und
  • ging dann plötzlich zu der Frage über: »Sagen Sie bitte, ist es wahr,
  • daß neulich in der Nacht ein Mensch mit der Pistole in der Hand zu Ihnen
  • gekommen ist und Ihnen gedroht hat, Sie zu ermorden, wenn Sie ihm nicht,
  • der Teufel weiß was für Seelen abtreten wollten? Können Sie uns nicht
  • erklären, was er damit eigentlich für eine Absicht verfolgte.«
  • »Gewiß, warum sollte ich das nicht können! Versetzen Sie sich doch in
  • meine Lage: fünfundzwanzig Rubel in Banknoten! Ich weiß wirklich nicht:
  • ich bin Witwe und habe ja gar keine Erfahrung; es ist doch so leicht,
  • mich zu betrügen und noch dazu in einer Sache, von der ich wahrhaftig
  • auch nicht das Mindeste verstehe, Väterchen. Was Hanf kostet, das weiß
  • ich, Speck habe ich auch schon verkauft, noch voriges ...«
  • »Nein, bitte, erzählen Sie mir doch die Sache erst recht ausführlich.
  • Wie war das doch? Hatte er wirklich eine Pistole in der Hand?«
  • »Nein, Väterchen. Gott behüte, Pistolen habe ich keine gesehen. Aber ich
  • bin bloß eine Witwe -- ich kann doch wirklich nicht wissen, wie hoch die
  • toten Seelen im Preise stehen. Nicht wahr Väterchen, Sie werden mich
  • nicht im Stiche lassen, sagen Sie es mir doch bitte, damit ich den
  • richtigen Preis erfahre.«
  • »Was für einen Preis? Was für einen Preis, Mütterchen? Was für einen
  • Preis meinen Sie?«
  • »Den Preis für tote Seelen, Väterchen!«
  • »Ist sie dumm geboren oder ist sie übergeschnappt?« dachte der
  • Präsident, indem er ihr starr ins Gesicht sah.
  • »Fünfundzwanzig Rubel? Ich weiß wirklich nicht, vielleicht sind sie
  • fünfzig Rubel wert, oder sogar noch mehr.«
  • »Bitte zeigen Sie mir doch den Schein,« sagte der Präsident und hielt
  • ihn ans Licht, um sich zu überzeugen, ob er nicht falsch sei. Aber es
  • war ein ganz gewöhnlicher ordentlicher Schein.
  • »Aber so erzählen Sie doch bloß, wie der Kauf zustande kam, und was er
  • Ihnen eigentlich abgekauft hat. Es will mir nicht in den Kopf ... ich
  • kann absolut nichts verstehen ...«
  • »Gewiß hat er mir welche abgekauft,« sagte Karobotschka, »aber warum
  • wollen Sie mir bloß nicht sagen, was die tote Seele kostet, damit ich
  • doch ihren richtigen Preis kennen lerne.«
  • »Ich bitte Sie, was reden Sie da! Wo hat man denn je davon gehört, daß
  • tote Seelen verkauft werden?«
  • »Warum wollen Sie mir den Preis durchaus nicht sagen?«
  • »Ach was Preis! Ich bitte Sie, von was für einem Preise kann denn hier
  • die Rede sein? Sagen Sie mir doch ernstlich, wie die Sache war. Hat er
  • Ihnen mit etwas gedroht? Wollte er Sie etwa verführen?«
  • »Nein, Väterchen, was Sie für Dinge reden! ... Jetzt sehe ich, daß Sie
  • auch ein Käufer sind.« -- Und sie sah ihm argwöhnisch in die Augen.
  • »Ach was! ich bin doch Gerichtspräsident, Mütterchen!«
  • »Nein, Väterchen, sagen Sie, was Sie wollen, Sie wollen mich wohl auch
  • .... Sie haben auch die Absicht ... mich zu betrügen. Aber was haben Sie
  • bloß davon? Sie haben doch nur selbst den Schaden davon. Ich hätte Ihnen
  • gern Daunen verkauft: ich werde zu Weihnachten schöne Daunen haben.«
  • »Mütterchen! Ich sage Ihnen doch, daß ich der Gerichtspräsident bin. Was
  • mache ich mit ihren Daunen, sagen Sie doch selbst! Ich will Ihnen doch
  • gar nichts abkaufen.«
  • »Aber das ist doch ein ganz christliches Werk, Väterchen,« fuhr
  • Karobotschka fort. »Heute verkaufe _ich_ Ihnen was und morgen werden
  • vielleicht _Sie_ mir etwas verkaufen wollen. Sehen Sie, wenn wir uns
  • gegenseitig übers Ohr hauen, wo blieben da Recht und Gerechtigkeit? Das
  • wäre doch eine Sünde gegen Gott!«
  • »Ich bin aber doch kein Kaufmann, Mütterchen, ich bin
  • Gerichtspräsident!«
  • »Gott weiß, vielleicht sind Sie wirklich der Gerichtspräsident. Ich kann
  • das doch nicht wissen. Nun also? Ich bin doch eine arme Witwe? Warum
  • fragen Sie mich denn so aus? Nein, Väterchen, ich sehe, daß Sie selbst
  • ... auch ... welche kaufen wollen.«
  • »Mütterchen, ich rate Ihnen, sich an den Arzt zu wenden,« sagte der
  • Gerichtspräsident wütend. »Bei Ihnen scheint's wirklich dort oben nicht
  • ganz richtig zu sein« -- fuhr er fort, indem er mit dem Finger auf seine
  • Stirn zeigte. Mit diesen Worten stand er auf und ging hinaus.
  • Karobotschka aber blieb dabei, daß sie es mit einem Kaufmann zu tun
  • gehabt habe und wunderte sich bloß, wie unfreundlich und bösartig die
  • Leute heutzutage geworden seien, und wie schwer es doch eine arme Witwe
  • auf dieser Welt habe. Der Präsident aber gelangte mit Mühe und Not, von
  • unten bis oben mit Kot bespritzt, nach Hause, nachdem ihm unterwegs noch
  • ein Wagenrad gebrochen war. Das war das Resultat dieser unfreundlichen
  • und erfolglosen Reise, wenn man nicht noch die Beule am Kinn mitrechnen
  • wollte, die er sich mit seinem Stock beigebracht hatte. In der Nähe
  • seines Hauses traf er den Staatsanwalt, der ihm in einer Kutsche
  • entgegengefahren kam. Er schien sehr schlechter Laune zu sein und ließ
  • den Kopf hängen.
  • »Nun was haben Sie von Sabakewitsch erfahren?«
  • Der Staatsanwalt senkte das Haupt und versetzte: »In meinem ganzen Leben
  • bin ich noch nicht so behandelt worden.« ...
  • »Wieso?«
  • »Er hat mir einen Fußtritt gegeben,« sagte der Staatsanwalt mit
  • betrübter Miene.
  • »Wie?«
  • »Er hat mir gesagt, ich sei ein unnützer Mensch und tauge nicht für
  • meinen Posten: und doch habe ich meine Kollegen noch nie denunziert.
  • Andere Staatsanwälte schreiben jede Woche Denunziationen, ich habe doch
  • unter jedes Aktenstück mein »Gelesen« gesetzt, selbst in solchen Fällen,
  • wo es eigentlich meine Pflicht gewesen wäre, über die Kollegen Bericht
  • zu erstatten. -- Ich habe auch nie eine Sache absichtlich in die Länge
  • gezogen.«
  • Der Staatsanwalt war ganz zerknirscht.
  • »Nun und was sagt er über Tschitschikow?« fragte der Präsident.
  • »Was er gesagt hat? Er hat uns alle alte Weiber und Schafsköpfe
  • genannt.«
  • Der Präsident wurde nachdenklich. Doch in diesem Augenblick kam eine
  • dritte Kutsche angefahren: es war der Vize-Gouverneur.
  • »Meine Herren! Ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß wir auf der Hut
  • sein müssen. Man sagt, unsere Provinz soll wirklich einen
  • Generalgouverneur erhalten.« Der Präsident und der Staatsanwalt rissen
  • den Mund auf, und der Gerichtspräsident dachte sich: »Der kommt auch
  • gerade zur rechten Zeit, um die Suppe auszuessen, die wir hier
  • eingebrockt haben, und für die sich der Teufel selbst bedanken würde.
  • Wenn der erfährt, was für eine Unordnung in der Stadt herrscht!«
  • »Schlag auf Schlag!« dachte der Staatsanwalt, der ganz geknickt dastand.
  • »Und wissen Sie nichts darüber, wer zum Generalgouverneur ernannt werden
  • soll, was er für ein Mensch ist, und was für einen Charakter er hat?«
  • »Davon ist noch nichts bekannt,« sagte der Vizegouverneur.
  • In diesem Moment kam der Postmeister in einer Droschke angefahren.
  • »Meine Herren! Ich gratuliere Ihnen zum neuen Generalgouverneur.«
  • »Wir wissen schon, wir wissen schon, aber es ist doch noch gar nichts
  • bekannt,« versetzte der Vizegouverneur.
  • »O, nein, man weiß schon, wer es ist,« erwiderte der Postmeister: »Fürst
  • Odnosorowski-Tschementinski.«
  • »Nun und was spricht man von ihm?«
  • »Er soll ein sehr strenger Herr sein,« sagte der Postmeister, »ein sehr
  • weitsichtiger Mann von sehr starkem Charakter. Er soll früher bei irgend
  • einer staatlichen Baukommission gewesen sein, verstehen Sie wohl. Da
  • seien einmal kleine Unregelmäßigkeiten vorgekommen. Nun, was denken Sie
  • wohl Verehrtester, er hat alle miteinander zerschmettert, er hat sie
  • ganz zu Staub zermalmt, sodaß überhaupt nichts mehr von ihnen übrig
  • blieb, sehen Sie wohl.«
  • »Hier in der Stadt sind doch aber die strengen Maßregeln garnicht am
  • Platze.«
  • »O je, das ist ein gelehrtes Haus! lieber Herr! Ein Mensch von
  • kolossalen Dimensionen!« fuhr der Postmeister fort. »Einmal passierte
  • was ....«
  • »Aber meine Herren,« sagte der Postmeister, »wir reden hier ganz offen
  • auf der Straße in Gegenwart unserer Kutscher. Fahren wir doch lieber zu
  • ...«
  • Erst jetzt kamen die Herren wieder zu sich. Auf der Straße hatten sich
  • nämlich schon mehrere Zuschauer angesammelt, welche dastanden und die
  • vier Herren, die sich von ihren Droschken aus miteinander unterhielten,
  • angafften. Die Kutscher spornten ihre Pferde an und die vier Droschken
  • fuhren eine hinter der andern zum Gerichtspräsidenten.
  • »Daß uns der Teufel diesen Tschitschikow auch gerade im ungünstigsten
  • Augenblick hierher senden mußte!« dachte der Präsident, während er im
  • Vorzimmer seinen bis oben mit Dreck bespritzten Pelz auszog.
  • »Mir wirbelt alles im Kopfe herum,« sagte der Staatsanwalt und legte
  • gleichfalls den Pelz ab.
  • »Aus dieser Sache werde ich nicht klug,« sprach der Vizegouverneur,
  • indem er sich seines Pelzes entledigte.
  • Der Postmeister sagte gar nichts und begnügte sich damit, seinen Pelz
  • abzulegen.
  • Man trat ins Zimmer, wo sofort ein kleiner Imbiß hereingetragen wurde.
  • Die Provinzialbehörden können nun mal nicht ohne solch einen Imbiß
  • auskommen, und wenn sich zwei Beamte in einer Provinz zusammenfinden, so
  • stellt sich der Imbiß ganz von selbst als dritter im Bunde ein.
  • Der Gerichtspräsident trat an den Tisch, goß sich ein Gläschen bitteren
  • Wermuth ein und sagte: »Schlagt mich tot, ich weiß nicht, wer dieser
  • Tschitschikow ist.«
  • »Ich noch weniger,« versetzte der Staatsanwalt. »Eine so verwickelte
  • Affäre ist mir in meiner ganzen Praxis noch nicht vorgekommen, ich habe
  • wirklich nicht den Mut, die Sache in die Hand zu nehmen.«
  • »Und doch! trotzalledem. Was der Mensch für einen weltmännischen Schliff
  • besitzt!« meinte der Postmeister, indem er sich erst einen dunklen Likör
  • einschenkte, ein paar Tropfen von einem rosafarbenen hinzugoß und beide
  • miteinander mischte: »Er war sicher in Paris. Ich glaube bestimmt, er
  • ist etwas Ähnliches, wie ein Diplomat gewesen.«
  • In diesem Augenblick betrat der Polizeimeister das Zimmer, der
  • allbekannte und so hoch verehrte Wohltäter der Stadt, der Abgott der
  • Kaufmannschaft und berühmte Künstler und Arrangeur opulenter Diners,
  • Soupers und sonstiger Festivitäten.
  • »Meine Herren,« rief er aus, »ich habe nicht das Geringste über
  • Tschitschikow erfahren können. Ich konnte doch nicht in seinen eigenen
  • Papieren herumstöbern: er verläßt ja auch sein Zimmer garnicht mehr, und
  • scheint krank zu sein. Ich habe mich auch bei seinen Leuten erkundigt.
  • Seinen Bedienten Petruschka und den Kutscher Seliphan ausgefragt. Der
  • erste war ein wenig betrunken, übrigens scheint er sich immer in solch
  • einem Zustande zu befinden.« Bei diesen Worten trat der Polizeimeister
  • an das Anrichtetischchen und bereitete sich eine Mischung aus drei
  • Likören. »Petruschka behauptet, sein Herr hätte mit allerhand Leuten zu
  • tun gehabt, ich glaube, es sind lauter ehrenwerte Männer, die er nannte,
  • so z. B. Perekrojewski ..... er führte dann noch eine Reihe von
  • Gutsbesitzern an -- alles Kollegienräte oder sogar Staatsräte. Der
  • Kutscher Seliphan erzählt, alle hätten ihn für einen gescheiten Mann
  • gehalten, weil er sich im Dienste vortrefflich bewährt und ausgezeichnet
  • habe. Er habe im Zollamt gedient und hätte in irgend einer staatlichen
  • Baukommission gesessen! Was das für eine Kommission gewesen sei, das
  • konnte er mir jedoch nicht sagen. Er habe drei Pferde: »Eins hätten sie
  • vor drei Jahren gekauft, den Schecken hätten sie gegen ein anderes von
  • gleicher Farbe umgetauscht und das dritte hätten sie gleichfalls gekauft
  • .....« sagte er. Er erklärt ganz bestimmt, Tschitschikow heiße wirklich
  • Pawel Iwanowitsch und sei Kollegienrat.«
  • Alle Beamten versanken in tiefes Sinnen.
  • »Ein anständiger Mensch, und dazu noch Kollegienrat!« dachte der
  • Staatsanwalt, »und entschließt sich zu einer solchen Sache! Will die
  • Tochter des Gouverneurs entführen, kommt auf die wahnsinnige Idee, tote
  • Seelen zu kaufen und in tiefer Nacht alte Scharteken von
  • Gutsbesitzerinnen aus dem Schlafe zu stören -- das schickt sich wohl für
  • einen Husarenleutnant, aber doch nicht für einen Kollegienrat!«
  • »Wenn er Kollegienrat ist, wie kann er sich denn dann zu einer so
  • verbrecherischen Handlung, zur Fälschung von Banknoten, entschließen,«
  • dachte der Vizegouverneur, der selbst auch Kollegienrat war, die Flöte
  • spielte und in seinem Innern weit mehr zu den schönen Künsten als zum
  • Verbrechen neigte.
  • »Sagen Sie, was Sie wollen, meine Herren, aber wir müssen dieser Sache
  • ein Ende machen! Komme was da wolle! Denken Sie doch, wenn der
  • Generalgouverneur erscheint und dahinter kommt, daß bei uns weiß der
  • Teufel was los ist!«
  • »Und wie denken Sie, daß wir handeln müssen?«
  • Der Polizeimeister versetzte: »Ich glaube wir müssen entschlossen
  • vorgehen.«
  • »Wie meinen Sie das: entschlossen?« wandte der Präsident ein.
  • »Wir müssen ihn verhaften lassen, als einen Menschen, der sich
  • verdächtig gemacht hat.«
  • »Ja aber wie? wenn er statt dessen _uns_ als verdächtige Individuen
  • verhaften läßt?«
  • »Waaas?«
  • »Nun, ich meine, wenn er etwa hierhergesandt worden ist und geheime
  • Vollmachten hat! Tote Seelen? Hm! Wenn das nur kein Vorwand ist, daß er
  • sie kauft, ein Vorwand, um etwas über jene Toten zu erfahren, die, wie
  • es im Bericht heißt, >aus unbekannten Ursachen< verstorben sind.«
  • Diese Worte ließen alle verstummen. Der Staatsanwalt war aufs äußerste
  • überrascht. Auch der Präsident, der sie selbst ausgesprochen hatte,
  • wurde nachdenklich. Beiden ...
  • »Also meine Herren, was sollen wir tun?« sagte der Polizeimeister, der
  • Wohltäter der Stadt und der Liebling der Kaufleute, indem er die
  • wunderbare Mischung aus dem süßen und bitteren Likör hinabstürzte und
  • einen Bissen in den Mund steckte.
  • Ein Diener brachte eine Flasche Madeira und einige Weingläser herein.
  • »Ich weiß wirklich nicht, was wir anfangen sollen?« sagte der Präsident.
  • »Meine Herren,« erklärte hier der Postmeister, nachdem er ein Glas
  • Madeira hinabgegossen und ein Stück holländischen Käse mit Butter nebst
  • einem Bissen Stör verschlungen hatte, »ich bin der Meinung, daß wir
  • diese Sache gründlich untersuchen müssen, wir müssen sie gründlich
  • durchforschen und gemeinsam _in corpore_ beraten, d. h. wir sollten alle
  • zusammenkommen wie im englischen Parlament, verstehen Sie wohl, um den
  • Gegenstand zu ergründen, damit er uns in all seinen feinsten Details
  • deutlich und durchsichtig wird, verstehen Sie?«
  • »Meinetwegen wollen wir uns irgendwo versammeln,« sagte der
  • Polizeimeister.
  • »Ja, wir wollen uns versammeln,« fiel der Präsident ein, »und gemeinsam
  • entscheiden, wer dieser Tschitschikow ist.«
  • »Ja, das wird das vernünftigste sein -- wir müssen entscheiden, wer
  • Tschitschikow ist.«
  • »Wir wollen jeden um seine Meinung fragen, und dann entscheiden, wer
  • Tschitschikow ist.«
  • Bei diesen Worten verspürten alle zugleich eine unbändige Lust nach ein
  • paar Flaschen Champagner. Man trennte sich, höchst befriedigt darüber,
  • daß das Komitee alles aufklären und den sicheren Beweis erbringen werde,
  • wer eigentlich Tschitschikow war.
  • IV.
  • A. Die Geschichte vom Hauptmann Kopeikin.
  • (Nach einer der ersten Fassungen.)
  • »Nach dem Feldzuge vom Jahre 1812, werter Herr,« hub der Postmeister an,
  • obwohl nicht ein einzelner Herr, sondern ganze sechs im Zimmer anwesend
  • waren, »nach dem Feldzuge von 1812 wurde zusammen mit andern Verwundeten
  • auch ein Hauptmann namens Kopeikin ins Lazarett eingeliefert. War es bei
  • Krasnoje oder in der Schlacht von Leipzig gewesen, genug, lieber Herr,
  • er hatte im Kriege ein Bein und einen Arm verloren. Sie wissen doch,
  • damals gabs noch keine von den bekannten Veranstaltungen und
  • Einrichtungen für die Verwundeten: dieser Invalidenfonds -- das können
  • Sie sich wohl denken -- der wurde sozusagen erst viel später gegründet.
  • Unser Hauptmann Kopeikin sieht also, daß er arbeiten muß, aber verstehen
  • Sie wohl, er hatte ja doch nur einen Arm, nämlich den linken. Er schrieb
  • also nach Hause an seinen Vater, aber der Vater gab ihm zur Antwort:
  • >Ich kann dich nicht auch noch ernähren.< Denken Sie sich! >Ich verdiene
  • mir nur selbst mit knapper Not meinen Unterhalt.< Nun sehen Sie wohl,
  • werter Herr, da beschloß denn mein Kopeikin nach Petersburg zu reisen
  • und an die Gnade des Monarchen zu apellieren, ob dieser ihm nicht eine
  • kleine Unterstützung bewilligen wolle: er habe doch gewissermaßen,
  • sozusagen sein Leben geopfert und sein Blut vergossen ... Er fuhr also
  • in einem Gepäckwagen oder in einem staatlichen Transportwagen nach der
  • Hauptstadt, Verehrtester, und gelangte so mit Mühe und Not nach
  • Petersburg. Und nun stellen Sie sich vor: da befindet sich nun dieser
  • selbe, d. h. dieser Hauptmann Kopeikin plötzlich in der Hauptstadt, die
  • sozusagen in der ganzen Welt nicht ihresgleichen hat! Mit einem Male ist
  • es um ihn herum licht und hell, gewissermaßen ein weites Feld des
  • Lebens, so eine Art märchenhafte Scheherazade, verstehen Sie mich wohl.
  • Also denken Sie nur, plötzlich liegt vor ihm so ein Newski-Prospekt oder
  • solch eine Erbsenstraße oder, hol's der Teufel, irgend so eine
  • Liteinaja, _da_ ragt irgend so ein Turm in die Luft und dort _hängen_
  • ein paar Brücken, wissen Sie, so ohne jegliche Stützen und Pfeiler, mit
  • einem Wort die reinste Semiramis. Verehrtester, tatsächlich! Erst trieb
  • er sich eine Weile in den Straßen herum, um sich eine Wohnung zu mieten;
  • aber das war ihm alles zu brenzlich: all diese Gardinen, Rouleaux und
  • all das Teufelszeug, verstehen Sie, diese Teppiche, das reinste Persien,
  • Verehrtester ... Mit einem Wort, beziehungsweise, man tritt das Kapital
  • nur so mit Füßen. Man geht über die Straße, und die Nase merkt schon von
  • ferne, daß es nach Tausenden riecht; und, Sie wissen doch, die ganze
  • Staatsbank meines Hauptmannes Kopeikin besteht aus fünf blauen Scheinen
  • das war alles, verstehen Sie wohl. So mietete er sich denn schließlich
  • ein Zimmer in einem Gasthaus zur Stadt Reval für einen Rubel pro Tag.
  • Sie wissen: ein Mittagessen aus zwei Gängen, eine Kohlsuppe und ein
  • Stück Suppenfleisch dazu. Er sieht also: große Sprünge kann er da nicht
  • machen. Er beschloß daher, am folgenden Tage zum Minister zu gehen,
  • Verehrtester. Der Kaiser war nämlich damals nicht in der Hauptstadt,
  • denn die Armee war noch nicht aus dem Kriege zurückgekehrt, das können
  • Sie sich wohl denken. So stand er denn eines Morgens etwas früher auf,
  • kratzte sich mit der linken Hand seinen Bart, denn sehen Sie wohl, wäre
  • er zum Barbier gegangen, so hätte das im gewissen Sinne neue Ausgaben
  • verursacht, zog sich seine Uniform an und begab sich auf seinem Holzfuß
  • umherhumpelnd zum Minister. Und nun stellen Sie sich vor, er fragt erst
  • einen Schutzmann, wo der Minister wohnt. >Dort,< antwortet dieser und
  • zeigt auf ein Haus am Schloßquai. Eine feine Bauernhütte kann ich Ihnen
  • sagen! Große Fensterscheiben, meterlange Spiegel, Marmor und überall
  • Metall, denken Sie sich bloß, Verehrtester! So'ne Türklinke, wissen Sie,
  • da muß man zuerst in einen Laden laufen, sich für einen Groschen Seife
  • kaufen und sich sozusagen stundenlang die Hände reiben, ehe man es wagt
  • sie anzufassen! Mit einem Wort, nichts als Ebenholz und Lack, daß einem
  • fast die Sinne schwinden, Verehrtester! Am Eingang, verstehen Sie, da
  • steht so ein Portier: der reinste Generalissimus: so'ne
  • Grafenphisiognomie, mit einem Säbel in der Hand und einem Battistkragen,
  • Teufel auch! Wie ein wohlgepflegter Mops. Mein Kopeikin schleppt sich
  • also auf seinem Holzfuß ins Vorzimmer, setzt sich in einen Winkel, um
  • nur nicht mit dem Arm gegen irgend so ein Amerika oder Indien, gegen so
  • eine vergoldete Porzellanvase zu stoßen, verstehen Sie. Sehen Sie wohl,
  • natürlich mußte er eine halbe Ewigkeit dort warten, weil er zu einer
  • Zeit gekommen war, wo der Minister sozusagen noch kaum aus dem Bette
  • gestiegen war und sein Kammerdiener ihm eben irgend so ein silbernes
  • Becken reichte, verstehen Sie wohl, wo man sich drin wäscht. Mein
  • Kopeikin wartet also vier Stunden lang, da kommt endlich der Adjutant
  • oder ein anderer diensthabender Beamter und sagt: Der Minister wird
  • gleich erscheinen. Im Vorzimmer aber drängen sich schon die Menschen wie
  • die Bohnen in einer Schüssel. Lauter hohe Beamte der vierten Klasse,
  • Oberste und hie und da sogar einer mit Markronen auf den Achselklappen,
  • verstehen Sie wohl, mit einem Wort sozusagen die ganze Generalität.
  • Schließlich betritt denn auch der Minister das Zimmer, Verehrtester! Sie
  • können sich vorstellen: er geht erst zum einen und dann zum andern:
  • Warum sind Sie gekommen? Und Sie? Was wünschen Sie? Zuletzt kommt auch
  • mein Kopeikin an die Reihe, nimmt seinen ganzen Mut zusammen und sagt:
  • >so und so, ich habe mein Blut vergossen und ein Bein und einen Arm
  • verloren, sozusagen: ich kann nicht mehr arbeiten, und habe daher die
  • Kühnheit, an die Gnade des Monarchen zu apellieren.< Der Minister sieht:
  • der Mann hat einen Stelzfuß und der rechte Ärmel baumelt leer herunter.
  • >Gut,< sagte er, >fragen Sie nach ein paar Tagen wieder an.< Na also
  • Verehrtester, es vergehen keine vier oder fünf Tage, da erscheint mein
  • Kopeikin schon wieder bei dem Minister. Dieser erkennt ihn sogleich
  • wieder, verstehen Sie wohl. >Ah!< sagt er, >leider kann ich Ihnen
  • diesmal keinen andern Rat geben, als sich bis zur Rückkunft des Kaisers
  • zu gedulden. Dann wird sicherlich etwas für die Verwundeten und die
  • Invaliden geschehen, aber ohne die Einwilligung des Monarchen,
  • sozusagen, vermag ich nichts für Sie zu tun.< Hierauf macht er eine
  • kurze Verbeugung und die Audienz ist zu Ende. Sie können sich denken,
  • daß mein Kopeikin sich in einer recht prekären Lage befand, als er den
  • Minister verließ; hatte er doch gewissermaßen weder eine Zusage noch
  • eine Absage erhalten. Das Leben in der Hauptstadt aber wurde natürlich
  • immer schwieriger für ihn, das können Sie sich wohl vorstellen. Er denkt
  • sich also: >ich will doch noch einmal zum Minister gehen und ihm sagen:
  • Machen Sie was Sie wollen, Exzellenz, ich habe bald nichts mehr zu
  • essen; wenn Sie mir nicht helfen, dann muß ich gewissermaßen vor Hunger
  • sterben.< Aber wie er zum Minister hinkommt, da heißt es: >Es geht
  • nicht, der Minister empfängt heute niemand, kommen Sie morgen wieder.<
  • Am folgenden Tage -- dieselbe Geschichte, der Portier sieht ihn kaum
  • noch an. Mein Kopeikin hat nur noch ein Fünfzig-Kopekenstück in der
  • Tasche. Früher da leistete er sich noch einen Teller Kohlsuppe, und ein
  • Stück Suppenfleisch dazu, jetzt aber kauft er sich höchstens irgend so
  • einen Häring oder so eine Salzgurke und für zwei Groschen Brot -- mit
  • einem Wort, der arme Kerl hungert tatsächlich, und doch hat er einen
  • Appetit wie ein Wolf. Oft kommt er an irgend so einem Restaurant vorüber
  • und nun stellen Sie sich vor: der Koch das ist ein Teufelskerl, so ein
  • Ausländer, wissen Sie, der trägt immer nur die feinste holländische
  • Wäsche, steht vor seinem Herd und bereitet euch irgend so ein Finserb
  • oder Kottelets mit Trüffeln, mit einem Wort, irgend so eine Delikatesse,
  • daß unser Hauptmann sich am liebsten selbst aufgefressen hätte vor
  • Appetit. Oder er kommt an den Miljutinschen Läden vorbei: lacht ihm da
  • sozusagen irgend so ein geräucherter Lachs, oder ein Körbchen mit
  • Kirschen -- zu fünf Rubel das Stück, oder so 'ne Riesin von
  • Wassermelone, so'n ganzer Omnibus, wissen Sie, aus dem Fenster entgegen,
  • und sucht nach einem Narren, der einem überflüssigen Hunderter in der
  • Tasche hat, verstehen Sie, mit einem Wort, nichts wie Verführungen auf
  • Schritt und Tritt, es läuft einem sozusagen das Wasser im Munde
  • zusammen, für ihn aber heißt's: warte gefälligst bis morgen. Und nun
  • stellen Sie sich seine Lage vor: einerseits, sehen Sie wohl, dieser
  • Lachs und die Wassermelone, und andererseits irgend so ein bitteres
  • Gericht unter dem Namen: >_Komm morgen wieder._< Endlich hielt es der
  • arme Kerl nicht mehr aus und beschloß, sich um jeden Preis noch einmal
  • eine Audienz zu verschaffen. Er stellte sich also am Eingang auf und
  • wartete, ob nicht noch irgend ein Bittsteller erscheinen werde;
  • schließlich schlüpft er denn auch mit irgend so einen General, wissen
  • Sie, ins Haus, und humpelt auf seinem Stelzfuß bis ins Vorzimmer. Der
  • Minister erscheint wie gewöhnlich zur Audienz: >Was haben Sie? und was
  • wünschen Sie?< >Ah,< ruft er, wie er Kopeikin erblickt, >ich habe Ihnen
  • doch schon erklärt, daß Sie warten sollen, bis über Ihr Gesuch
  • entschieden wird.< -- >Ich bitte Sie, Exzellenz, ich habe nichts mehr zu
  • essen, sozusagen ...< -- >Was soll ich denn machen? Ich kann nichts für
  • Sie tun, Sie müssen sich schon selbst helfen und sich selbst die Mittel
  • zu verschaffen suchen.< -- >Aber Eure Exzellenz, das können Sie doch
  • selbst gewissermaßen beurteilen, was kann ich mir denn für Mittel
  • verschaffen, wo mir eine Hand und ein Fuß fehlt.< Er wollte noch
  • hinzufügen: >mit der Nase aber kann ich erst recht nichts anfangen; da
  • kann man sich höchstens einmal schneuzen, aber selbst dazu muß man sich
  • ein Taschentuch kaufen.< Allein der Minister, sehen wohl, lieber Herr,
  • -- sei es nun, daß Kopeikin ihn langweilte, oder daß er tatsächlich mit
  • wichtigen Staatsangelegenheiten beschäftigt war -- der Minister also,
  • können Sie sich vorstellen, wird ganz aufgeregt und zornig. >Gehen Sie!<
  • ruft er, >solche wie Sie, sind noch viele da, gehen Sie und warten Sie
  • ruhig, bis die Reihe an Sie kommt!< Jedoch mein Kopeikin antwortete --
  • der Hunger treibt ihn zum äußersten, wissen Sie --: >Tuen Sie was Sie
  • wollen, Exzellenz; ich rühre mich nicht vom Flecke, bevor Sie die
  • entsprechende Ordre erteilt haben.< Da aber, lieber Herr, können Sie
  • sich vorstellen, da geriet der Minister ganz außer sich. Und in der Tat,
  • bis dahin war es wohl in den Annalen der Weltgeschichte noch nie
  • vorgekommen, daß sich sozusagen irgend ein Kopeikin erkühnte, so mit
  • einem Minister zu sprechen. Sie können sich vorstellen, was ein
  • erzürnter Minister ist, das ist doch gewissermaßen ein Staatsmann
  • sozusagen. >Sie frecher Mensch!< schrie er: >Wo ist der Feldjäger? Der
  • Feldjäger soll kommen und ihn nach seiner Heimat abschieben!< Der
  • Feldjäger aber, verstehen Sie wohl, der steht schon da und wartet schon
  • hinter der Tür: so'n baumlanger Kerl, wissen Sie, mit einer Hand wie von
  • der Natur selbst für den Kurierdienst geschaffen. Mit einem Wort: ein
  • richtiger Zahnzieher. So wird denn unser braver Knecht Gottes in den
  • Wagen befördert, und ab geht's in Begleitung des Feldjägers. >Na,< denkt
  • Kopeikin, >da spar' ich wenigstens das Reisegeld. Auch dafür bin ich den
  • Herren dankbar.< So fährt er denn, Verehrtester, mit dem Feldjäger, und
  • während er so an der Seite des Feldjägers sitzt, spricht er
  • gewissermaßen, sozusagen, zu sich selber: >Schön,< sagt er, >der
  • Minister erklärt mir, ich soll mir selbst helfen und die Mittel suchen!
  • Gut, meinetwegen< sagt er, >ich will mir die Mittel schon verschaffen!<
  • Wie er nun an seinen Bestimmungsort befördert, und wohin er eigentlich
  • gebracht wurde, darüber ist nichts bekannt geworden. Und daher sind denn
  • auch die Nachrichten über den Hauptmann Kopeikin im Strome der
  • Vergessenheit untergegangen, in so einer Lethe, wissen Sie, wie die
  • Poeten es nennen. Doch hier, sehen Sie wohl, meine Herren, hier schürzt
  • sich, kann man wohl sagen, der Knoten unseres Romans. Wo also Kopeikin
  • verschwunden ist, das weiß niemand; aber stellen Sie sich vor, es
  • vergingen auch nicht zwei Monate, als in den Wäldern von Rjasan eine
  • Räuberbande auftauchte, und der Hauptmann dieser Räuberbande, sehen Sie
  • wohl, war kein anderer als der Hauptmann Kopeikin. Er sammelte sich
  • allerhand fahnenflüchtige Soldaten und bildete aus ihnen gewissermaßen
  • eine ganze Räuberbande. Dies war, können Sie sich, natürlich vorstellen,
  • sogleich nach dem Kriege: da war noch alles an ein ungebundenes Leben
  • gewöhnt, wissen Sie -- das Leben galt damals kaum mehr als einen
  • Groschen: eine Freiheit und Zügellosigkeit sag ich Ihnen, man pfiff auf
  • alles -- mit einem Wort, Verehrtester, er hatte eine ganze Armee zu
  • seiner Verfügung. Kein Reisender konnte mehr ruhig passieren, und dies
  • alles richtete sich, sozusagen, nur gegen den Reichsschatz. Wenn einer
  • vorüber kam, der in seinen eigenen Geschäften reiste -- na, dann fragte
  • man nur: >was wollen Sie?< und ließ ihn laufen! Handelte es sich dagegen
  • um einen staatlichen Transport; Viehfutter, Proviant oder Geld, -- mit
  • einem Wort alles, was sozusagen den Namen des Staates trägt -- da gab's
  • kein Pardon. Nun, Sie können sich vorstellen, er brandschatzte den
  • Beutel des Fiskus gründlich. Oder er hört etwa, daß der Termin für die
  • Bezahlung der Staatssteuern vor der Tür steht -- sofort ist er an Ort
  • und Stelle. Er läßt sogleich den Dorfschulzen zu sich rufen und schreit:
  • >her mit dem Zins und den Staatssteuern.< Na, Sie können sich denken,
  • der Bauer sieht: >so ein hinkender Teufel, sein Rockkragen ist rot und
  • glänzt vor lauter Gold wie die Federn eines Phönix, Teufel auch, das
  • schmeckt nach Ohrfeigen.< >Da nimm, Väterchen, aber laß uns nur in
  • Ruhe.< Er denkt natürlich: >das ist irgend so ein Kreisrichter oder
  • womöglich noch was Schlimmeres sozusagen.< Das Geld aber, Verehrtester,
  • das nimmt er natürlich in Empfang, ganz wie es sich gehört, und stellt
  • den Bauern eine Quittung aus, um sie gewissermaßen vor den Behörden zu
  • entschuldigen, und ihnen zu bescheinigen, daß sie das Geld wirklich
  • abgeliefert und ihre Steuern vollzählich bezahlt haben, empfangen aber
  • habe es _der_ und _der_ d. h. der Hauptmann Kopeikin; ja er setzte sogar
  • noch sein Siegel darunter, mit einem Wort, Verehrtester, er raubt und
  • stiehlt, daß es nur so eine Art hat. Mehrere Male wurden
  • Soldatendetachements ausgesandt, um ihn zu fangen, aber mein Kopeikin
  • kümmert sich den Teufel darum. Das waren eben lauter Schinderhannesse,
  • verstehen Sie, die da zusammen gekommen waren ... Schließlich aber bekam
  • er doch wohl Angst, als er sah, daß dies kein Spaß war, und daß er sich
  • da sozusagen eine schöne Suppe eingebrockt hatte; die Verfolgungen
  • nahmen jeden Augenblick zu, er selbst aber hatte sich unterdessen ein
  • recht hübsches Kapitälchen zurückgelegt lieber Herr, na, und da rückte
  • er denn sozusagen eines Tages ins Ausland aus, ins Ausland,
  • Verehrtester, verstehen Sie wohl, d. h. in die Vereinigten Staaten. Von
  • dort aus schreibt er einen Brief an den Kaiser, können Sie sich denken,
  • einen äußerst redegewandten und so großartig stilisierten Brief, wie Sie
  • sich nur vorstellen können. All diese Platos und Demosthenesse im
  • Altertum -- das sind sozusagen die reinsten Waschlappen oder Küster
  • gegen ihn: >du darfst nicht glauben, Kaiser,< schreibt er, >daß ich
  • dieses und jenes< ... Mit einem Wort, er ließ euch Perioden vom Stapel
  • -- geradezu glänzend! >Nur die Notwendigkeit war die Ursache meines
  • Handelns,< sagt er; >ich habe sozusagen mein Blut vergossen und
  • gewissermaßen mein Leben nicht geschont und nun habe ich, denken Sie
  • sich bloß, nichts mehr zum Leben. Ich bitte dich, meine Kameraden
  • straflos ausgehen zu lassen,< sagt er, >sie sind unschuldig, denn ich
  • habe sie sozusagen verführt, übe Gnade und verfüge, daß in Zukunft, wenn
  • die Verwundeten aus dem Kriege zurückkehren, können Sie sich denken,
  • gewissermaßen für sie gesorgt werde ..< Mit einem Wort, der Brief war
  • außerordentlich gewandt stilisiert. Na, Sie können sich denken, der
  • Kaiser war natürlich gerührt. Es tat seinem kaiserlichen Herzen leid um
  • den Mann, obwohl er tatsächlich ein Verbrecher war, und gewissermaßen
  • sozusagen die Todesstrafe verdient hatte, na, und da er sah, wie ein
  • Unschuldiger sozusagen zum Verbrecher werden kann und zugeben mußte, daß
  • hier eine Unterlassungsünde vorlag -- übrigens konnte man in jener
  • unruhigen Zeit auch nicht für alles sorgen -- Gott allein, kann man wohl
  • sagen, ist ganz ohne Verfehlungen -- mit einem Wort, lieber Herr, der
  • Kaiser geruhte diesmal, sozusagen ein einzig dastehendes Beispiel seiner
  • hochherzigen Gesinnung zu geben: er befahl, die Schuldigen nicht weiter
  • zu verfolgen und gab zugleich strenge Ordre, ein Komitee zu gründen, das
  • sich ausschließlich mit der Fürsorge um die Verwundeten zu beschäftigen
  • habe sozusagen und dies ... Verehrtester -- war gewissermaßen der Anlaß
  • für die Gründung des Invalidenfonds, durch den jetzt sozusagen in jeder
  • Hinsicht für die Verwundeten gesorgt ist, und ein ähnliches Institut
  • gibt es tatsächlich weder in England noch in allen übrigen aufgeklärten
  • Staaten, können Sie sich denken. Das also ist der Hauptmann Kopeikin,
  • Verehrtester. Nun aber glaube ich folgendes: wahrscheinlich wird er all
  • sein Geld in den Vereinigten Staaten vertan haben, und ist nun zu uns
  • zurückgekehrt, um noch einmal zu versuchen, ob es ihm nicht vielleicht
  • sozusagen, gewissermaßen mit einem neuen Unternehmen gelingen mag.«
  • B. Die Geschichte vom Hauptmann Kopeikin.
  • (In der vom Zensor gestrichenen Fassung.)
  • »Nach dem Feldzuge vom Jahre 1812, verehrter Herr,« hub der Postmeister
  • an, trotzdem nicht _ein einzelner_ Herr, sondern ganze sechs im Zimmer
  • saßen, »nach dem Feldzug vom Jahre 1812 wurde zusammen mit anderen
  • Verwundeten auch ein Hauptmann namens Kopeikin ins Lazarett
  • eingeliefert. War es bei Krasnoje oder in der Schlacht von Leipzig
  • gewesen, genug, er hatte im Kriege ein Bein und einen Arm verloren. Sie
  • wissen doch, damals gab's noch keine von den bekannten Einrichtungen für
  • die Verwundeten: dieser Invalidenfond, das können Sie sich wohl denken,
  • der wurde sozusagen erst viel später gegründet. Der Hauptmann Kopeikin
  • sieht also, daß er arbeiten muß, aber sehen Sie wohl, er hatte eben nur
  • einen Arm, nämlich den linken. Er wandte sich also nach Hause an seinen
  • Vater, aber der Vater gab ihm zur Antwort: >Ich kann dich nicht _auch_
  • noch ernähren; ich,< denken Sie sich nur, >ich verdiene mir selbst nur
  • mit knapper Not meinen Unterhalt.< Da beschloß denn mein Hauptmann
  • Kopeikin, sehen Sie wohl, Verehrtester, nach Petersburg zu reisen und an
  • die Gnade des Monarchen zu apellieren, ob dieser ihm nicht eine kleine
  • Unterstützung bewilligen wolle. So und so, er habe doch gewissermaßen,
  • sozusagen sein Leben geopfert und sein Blut vergossen .... Er fuhr also
  • in einem Gepäckwagen oder einem staatlichen Transportwagen in die
  • Hauptstadt, sehen Sie wohl Verehrtester, genug er gelangte mit Mühe und
  • Not nach Petersburg. Und nun stellen Sie sich vor: da befindet sich
  • _nun_ dieser selbige, d. h. dieser Hauptmann Kopeikin in Petersburg, das
  • sozusagen in der ganzen Welt nicht seinesgleichen hat! Plötzlich ist es
  • um ihn herum licht und hell, gewissermaßen ein weites Feld des Lebens,
  • so eine Art märchenhafte Scheherazade verstehen Sie mich wohl. Denken
  • Sie nur, plötzlich liegt vor ihm so ein Newski-Prospekt oder solch eine
  • Erbsenstraße oder, hol's der Teufel, irgend so eine Liteinaja, _da_ ragt
  • irgend so ein Turm in die Luft und dort _hängen_ ein paar Brücken,
  • wissen Sie, so ohne jegliche Stützen und Pfeiler, mit einem Wort die
  • reinste Semiramis. Tatsächlich, Verehrtester! Erst trieb er sich eine
  • Weile in den Straßen herum, um sich eine Wohnung zu mieten; aber das war
  • ihm alles zu brenzlich: all diese Gardinen, Rouleaux und all das
  • Teufelszeug, verstehen Sie, diese Teppiche, das reinste Persien,
  • Verehrtester ... Mit einem Wort, beziehungsweise, man tritt das Kapital
  • nur so mit Füßen. Man geht über die Straße, und die Nase merkt schon von
  • ferne, daß es nach Tausenden riecht; und, Sie wissen doch, die ganze
  • Staatsbank meines Hauptmannes Kopeikin besteht aus zehn blauen Scheinen
  • ... Genug, er mietet sich schließlich in einem Gasthaus zur Stadt Reval
  • ein, für einen Rubel pro Tag. Sie wissen, ein Mittagessen aus zwei
  • Gängen, eine Kohlsuppe und ein Stück Suppenfleisch dazu ... Er sieht
  • also, daß sein Geld nicht mehr allzu lange reicht. Er erkundigte sich,
  • wohin er sich wenden soll. Man sagt ihm, es gäbe so'ne Oberkommission,
  • gewissermaßen so ein Direktorium sozusagen, an dessen Spitze der General
  • _en chef_ soundso stehe. Der Kaiser, müssen Sie wissen, war nämlich um
  • jene Zeit noch nicht in der Hauptstadt, und die Armee, können Sie sich
  • vorstellen, war noch nicht aus Paris zurückgekehrt, alles war noch im
  • Ausland. So stand denn mein Kopeikin eines Morgens etwas früher auf,
  • kratzte sich mit der linken Hand seinen Bart, denn, sehen Sie wohl, wäre
  • er zum Barbier gegangen, so hätte das in gewissem Sinne neue Ausgaben
  • verursacht, zog seine Uniform an und begab sich auf seinem Holzfuß
  • einherhinkend zum Vorsitzenden der Kommission. Stellen Sie sich bloß
  • vor! Er fragt also, wo der Vorsitzende wohnt. >Da< antwortet man ihm und
  • zeigt auf ein Haus am Schloßquai. Eine feine Bauernhütte, können Sie
  • sich vorstellen. Meterlange Spiegelscheiben in den Fenstern, kann ich
  • Ihnen sagen, sodaß die Vasen und alles, was sich sonst noch in den
  • Zimmern befindet, gleichsam draußen vor einem zu stehen scheinen, und
  • man all diese schönen Dinge geradezu greifen zu können glaubt: die Wände
  • sind von kostbarem Marmor, wissen Sie, alles ist von Metall, und so'ne
  • Türklinke, denken Sie sich, da muß man zuerst in einen Laden laufen,
  • sich für einen Groschen Seife kaufen und sich dann sozusagen zwei
  • Stunden lang die Hände reiben, ehe man sie anzufassen wagt. Dazu alles
  • lackiert, mit einem Wort die Sinne schwinden einem gewissermaßen. Der
  • Portier sieht aus wie ein Generalissimus: so eine Grafenphisiognomie mit
  • einem goldenen Säbel in der Hand und einem Battistkragen, Teufel auch,
  • wie ein wohlgepflegter Mops. Mein Kopeikin schleppt sich also auf seinem
  • Holzfuß ins Vorzimmer, setzt sich in einen Winkel, um nur nicht mit dem
  • Arm gegen irgend so ein Amerika oder Indien, gegen so eine vergoldete
  • Porzellanvase, verstehen Sie wohl, zu stoßen. Sehen Sie wohl, natürlich
  • mußte er eine halbe Ewigkeit dort warten, weil er zu einer Zeit gekommen
  • war, wo der General, sozusagen, noch kaum aus dem Bett gestiegen war und
  • sein Kammerdiener ihm eben irgend so ein silbernes Becken reichte,
  • verstehen Sie wohl, wo man sich drin wäscht. Mein Kopeikin wartet also
  • vier Stunden lang; da kommt endlich der Adjutant oder irgend ein
  • diensthabender Beamter herein und sagt: >Gleich kommt der General!< Im
  • Empfangszimmer aber drängen sich schon die Menschen, wie die Bohnen in
  • einer Schüssel. Lauter hohe Beamte der vierten und fünften Klasse, nicht
  • solche elende Sklaven wie unsereiner sondern alles Oberste, und hie und
  • da sogar einer mit Makronen auf den Achselklappen, mit einem Wort, die
  • ganze Generalität sozusagen. Plötzlich geht eine kaum merkliche Bewegung
  • durch das Zimmer, wie so'n feiner Äther, wissen Sie. Hie und da hört man
  • jemand Pst ... Pst ... rufen und dann tritt eine fürchterliche Stille
  • ein. Der hohe Staatsbeamte hatte das Zimmer betreten. Na, Sie können
  • sich vorstellen, ein Staatsmann, sozusagen. Natürlich seinem Rang und
  • Titel entsprechend, so ein _Physionomio_, so ein Ausdruck, verstehen Sie
  • wohl. Alles was sich im Empfangszimmer befand, stand natürlich sofort
  • stramm, alles zittert und bebt und wartet auf die Entscheidung seines
  • Schicksals sozusagen. Der Minister oder Staatsmann geht erst zum einen,
  • und dann zum andern. >Warum sind Sie hier? Und Sie? Was wünschen Sie? In
  • welcher Angelegenheit kommen Sie?< Zuletzt kommt auch mein Kopeikin an
  • die Reihe, nimmt seinen ganzen Mut zusammen und sagt: So und so,
  • Exzellenz ich habe sozusagen mein Blut vergossen, und gewissermaßen
  • einen Arm und ein Bein verloren. Ich kann nicht mehr arbeiten und habe
  • die Kühnheit, an die Gnade des Monarchen zu apellieren. Der Minister
  • sieht: der Mann hat einen Stelzfuß, und der rechte Ärmel baumelt leer
  • herunter verstehen Sie wohl. >Gut,< sagt er, >fragen Sie nach ein paar
  • Tagen mal wieder an!< Mein Kopeikin ist ganz seelig: schon allein, daß
  • ihm eine Audienz bewilligt wurde sozusagen, daß er gewürdigt wurde mit
  • einem der ersten Würdenträger des Staats zu sprechen, können Sie sich
  • denken, und dann die Hoffnung, daß sich endlich sein Schicksal,
  • gewissermaßen die Frage nach der Pension entscheiden sollte! Er ist in
  • der besten Laune, kann ich Ihnen sagen. Er hüpft geradezu auf dem
  • Trottoir. Dann ging er ins Restaurant von Palkin, um einen Schnaps zu
  • nehmen; aß in der Stadt London zu Mittag, ließ sich eine Kotelette mit
  • Kapern kommen, dazu 'ne Poularde und allerhand Filets, nebst einer
  • Flasche Wein, ging abends ins Theater -- mit einem Wort, es war eine
  • feudale Zeche, sozusagen. Auf dem Trottoir sieht er plötzlich eine
  • Engländerin kommen. Wissen Sie, schlank wie irgend so'n Schwan. Mein
  • Kopeikin, dessen Blut in Wallung geriet, läuft ihr trach, trach, trach
  • auf seinem Stelzfuß nach; >ach nein!< denkt er, >hol die Kurmacherei
  • einstweilen der Teufel; das kommt nachher, wenn ich meine Pension habe.
  • Ich bin schon gar zu sehr aus Rand und Band gekommen.< Nach drei vier
  • Tagen erscheint mein Kopeikin abermals beim Minister. Der Minister tritt
  • ein. >So und so,< sagt Kopeikin, >ich bin gekommen um zu erfahren, was
  • Eure Exzellenz über das Schicksal der Kranken und Verwundeten zu
  • verfügen geruht haben ... und dergleichen mehr, können Sie sich denken,
  • in der amtlichen Sprache natürlich!< Der hohe Staatsbeamte, stellen Sie
  • sich vor, erkennt ihn sogleich wieder. >Ah, gut,< sagt er, >leider kann
  • ich Ihnen diesmal keinen andern Rat geben, als sich bis zur Rückkunft
  • des Kaisers zu gedulden; dann wird sicherlich etwas für die Verwundeten
  • und Invaliden geschehen, aber ohne die Einwilligung des Monarchen,
  • sozusagen, vermag ich nichts für Sie zu tun.< Damit verbeugt er sich,
  • und die Audienz ist zu Ende, verstehen Sie. Sie können sich denken, daß
  • sich mein Kopeikin hiernach in einer höchst prekären Lage befand. Er
  • hatte schon damit gerechnet, daß ihm morgen das Geld ausbezahlt werden
  • würde. >Da hast du was, mein Lieber, trink eins und amüsier dich!<;
  • statt dessen aber muß er warten und weiß nicht einmal, bis zu welchem
  • Termin. Da kommt er nun wie so'n Uhu, oder Pudel, den der Koch mit
  • Wasser begossen hat, vom Präsidenten heraus -- hat den Schwanz
  • eingezogen und läßt die Ohren hängen. >Nee,< denkt er, >ich will doch
  • _noch_ einmal hingehen und dem Minister erklären, ich habe bald nichts
  • mehr zu essen, wenn Sie mir nicht helfen, muß ich, sozusagen, vor Hunger
  • sterben.< Mit einem Wort lieber Herr, er geht wieder an den Schloßquai
  • und fragt nach dem Minister: >Es geht nicht,< heißt es, >der Minister
  • empfängt heute niemand, kommen Sie morgen wieder.< Am folgenden Tage --
  • dieselbe Geschichte, der Portier will ihn kaum noch ansehen. Mein
  • Kopeikin aber hat nur noch einen blauen Schein in der Tasche, verstehen
  • Sie wohl. Früher da leistete er sich noch einen Teller Kohlsuppe und ein
  • Stück Suppenfleisch, jetzt aber kauft er sich höchstens so einen Häring
  • oder irgend so eine Salzgurke und für zwei Groschen Brot --, mit einem
  • Wort, der arme Kerl hungert tatsächlich, und doch hat er einen Appetit
  • wie ein Wolf. Oft kommt er an irgend so einem Restaurant vorüber und,
  • nun stellen Sie sich vor, der Koch -- das ist irgend so ein Ausländer,
  • so ein Franzose, wissen Sie, mit solch einem offenen Gesicht, trägt
  • immer nur die feinste holländische Wäsche, und eine Schürze, so weiß wie
  • Schnee sozusagen, da steht nun der Kerl vor seinem Herd und bereitet
  • euch irgend so ein Finserb, oder Koteletts mit Trüffeln, mit einem Wort,
  • irgend so eine Delikatesse, daß unser Hauptmann sich am liebsten selbst
  • aufgefressen hätte vor Appetit. Oder er kommt an den Miljutinschen Läden
  • vorbei: lacht ihm da sozusagen irgend so ein geräucherter Lachs, oder
  • ein Körbchen mit Kirschen -- zu fünf Rubel das Stück, oder so 'ne Riesin
  • von Wassermelone, so'n ganzer Omnibus, wissen Sie, aus dem Fenster
  • entgegen, und sucht nach einem Narren, der einen überflüssigen Hunderter
  • in der Tasche hat, verstehen Sie, mit einem Wort, nichts wie
  • Verführungen auf Schritt und Tritt, es läuft einem sozusagen das Wasser
  • im Munde zusammen, für ihn aber heißt's: warte gefälligst bis morgen.
  • Und nun stellen Sie sich seine Lage vor: einerseits, sehen Sie wohl,
  • dieser Lachs und die Wassermelone, und andererseits irgend so ein
  • bitteres Gericht unter dem Namen: >_Komm morgen wieder._< Schließlich
  • hielt es der arme Kerl nicht mehr aus und beschloß, die Festung
  • sozusagen im Sturme zu nehmen, verstehen Sie. Er stellte sich also am
  • Eingang auf und wartete, ob nicht noch ein Bittsteller erscheinen werde,
  • und richtig, es gelang ihm denn auch, mit irgend einem General
  • hindurchzuschlüpfen und auf seinem Stelzfuß bis ins Vorzimmer zu
  • humpeln. Der hohe Staatsmann erscheint wie gewöhnlich. >Was wünschen
  • Sie? Und Sie?< >Ah!< ruft er, wie er Kopeikin erblickt, >ich habe Ihnen
  • doch schon erklärt, daß Sie warten sollen, bis über Ihr Gesuch
  • entschieden wird.< -- >Ich bitte Sie, Exzellenz, ich habe nichts mehr zu
  • essen, sozusagen ...< >Was soll ich denn machen? ich kann nichts für Sie
  • tun, Sie müssen sich gewissermaßen einstweilen selbst helfen und sich
  • selbst die Mittel zu verschaffen suchen.< -- >Aber Exzellenz, daß müssen
  • Sie doch sozusagen selbst einsehen, wie kann ich mir denn die Mittel
  • verschaffen, wo mir ein Arm und ein Bein fehlt?< >Aber verstehen Sie
  • doch!< sagte der Minister, >ich kann Sie doch gewissermaßen nicht auf
  • meine Kosten erhalten, wir haben noch viele Verwundete, die könnten doch
  • alle dieselben Ansprüche machen. Wappnen Sie sich mit Geduld. Ich gebe
  • Ihnen mein Ehrenwort: wenn der Kaiser kommt, wird er Gnade üben und Sie
  • nicht im Stiche lassen.< -- >Aber ich kann doch nicht warten,
  • Exzellenz,< versetzte Kopeikin, und zwar fängt er schon an, grob zu
  • werden sozusagen. Da aber wurde der Staatsmann etwas ärgerlich,
  • verstehen Sie, und in der Tat: rings herum stehen lauter Generäle und
  • warten auf eine Antwort oder eine Ordre; hier handelte es sich sozusagen
  • um wichtige Staatsangelegenheiten, die gewissermaßen eine schleunige
  • Erledigung erfordern -- jeder verlorene Augenblick kann von Bedeutung
  • sein -- und da kommt so ein aufdringlicher Teufel und läßt einen nicht
  • los, können Sie sich denken. -- >Entschuldigen, ich habe keine Zeit --
  • ich habe noch andere wichtigere Dinge zu tun, als mit Ihnen zu reden.<
  • Er sagt es gewissermaßen durch die Blume, es sei nun die höchste Zeit,
  • daß er sich aus dem Staube mache, verstehen Sie wohl. Jedoch mein
  • Kopeikin antwortet -- der Hunger treibt ihn nämlich zum äußersten,
  • müssen Sie wissen. >Tun Sie, was Sie wollen, Exzellenz, ich rühre mich
  • nicht vom Flecke, bevor Sie die entsprechende Ordre erteilt haben.< Na,
  • Sie können sich denken: einem Staatsmann so zu antworten, der nur ein
  • Wort zu sagen braucht, damit man kopfüber rausfliegt, sodaß der Teufel
  • selbst einen nicht mehr auffinden kann sozusagen ... Wenn ein Beamter,
  • der auch nur um _einen_ Rang tiefer steht als wir, unsereinem so etwas
  • sagen wollte, so würde man es schon eine Frechheit nennen. Nun aber
  • denken Sie sich -- diese Distanz, diese gewaltige Distanz! Ein General
  • _en chef_ -- und irgend ein Kopeikin sozusagen! Neunzig Rubel und eine
  • Null. Der General, verstehen Sie, der maß ihn bloß mit einem Blick --
  • der reinste Kanonenschuß sozusagen: da hätte keiner Stand gehalten, da
  • wäre jedem das Herz in die Hosen gefallen. Mein Kopeikin aber, können
  • Sie sich vorstellen, rührt sich nicht vom Flecke und steht da wie
  • angewurzelt. >Nun? Was warten Sie?< sagt der General und packt ihn mit
  • beiden Händen bei den Schultern. Übrigens, um die Wahrheit zu sagen, er
  • behandelt ihn noch ziemlich gnädig: ein anderer hätte ihn so
  • angeschnauzt, daß die ganze Straße noch drei Tage nachher auf dem Kopfe
  • gestanden und sich mit ihm im Kreise gedreht hätte sozusagen, er aber
  • sagte nur >Gut, wenn das Leben für Sie hier zu teuer ist und Sie nicht
  • ruhig in der Hauptstadt auf die Entscheidung Ihres Schicksals warten
  • können, dann lasse ich Sie auf Staatskosten in die Heimat befördern. Der
  • Feldjäger soll kommen und ihn nach der Heimat transportieren!< Der
  • Feldjäger aber, verstehen Sie wohl, der steht schon da und wartet schon
  • hinter der Tür: so'n baumlanger Kerl, wissen Sie, mit einer Hand wie von
  • der Natur selbst für den Kurierdienst geschaffen. Mit einem Wort: ein
  • richtiger Zahnzieher. So wird denn unser braver Knecht Gottes in den
  • Wagen befördert und ab geht's in Begleitung des Feldjägers. >Na,< denkt
  • Kopeikin, >da spar' ich wenigstens das Reisegeld. Auch dafür bin ich den
  • Herren dankbar.< So fährt er denn, Verehrtester, mit dem Feldjäger, und
  • während er so an der Seite des Feldjägers sitzt, spricht er
  • gewissermaßen, sozusagen, zu sich selber: >Schön,< sagt er, >du erklärst
  • mir, ich soll mir selbst helfen und die Mittel suchen! Gut, schön,< sagt
  • er, >ich will mir die Mittel schon verschaffen!< Wie er nun an seinen
  • Bestimmungsort befördert, und wohin er eigentlich gebracht wurde,
  • darüber ist nichts bekannt geworden. Und daher sind denn auch die
  • Nachrichten über den Hauptmann Kopeikin im Strome der Vergessenheit
  • untergegangen, in so einer Lethe, wissen Sie, wie die Poeten es nennen.
  • Doch hier, sehen Sie wohl, meine Herren, hier schürzt sich, kann man
  • wohl sagen, der Knoten unseres Romans. Wo also Kopeikin verschwunden
  • ist, das weiß niemand; aber stellen Sie sich vor, es vergingen auch
  • nicht zwei Monate, als in den Wäldern von Rjasan eine Räuberbande
  • auftauchte, und der Hauptmann dieser Räuberbande, sehen Sie wohl, war
  • kein anderer als ...«
  • * * * * *
  • 1. _Die Toten Seelen, Band I_, sind in der zweiten Hälfte des Jahres
  • 1835 begonnen und 1841 vollendet. Sie erschienen am 21. Mai (2. Juni)
  • 1842. Die Unterschrift des Zensors trägt das Datum: den 9. Mai (21. Mai)
  • 1842. Die vom Zensor gestrichene »Geschichte vom Hauptmann Kopeikin«
  • wurde vom Autor in fünf Tagen vom 5.-9. (17.-21.) Mai 1842 umgearbeitet.
  • 2. _Die Vorrede zur zweiten Auflage des I. Bandes der Toten Seelen_
  • (pag. 431) wurde Ende Juli entworfen und im September 1846 vollendet.
  • Sie erschien zugleich mit der zweiten Auflage dieser »Dichtung«. Die
  • Unterschrift des Zensors trägt das Datum: den 25. August (6. September)
  • 1846.
  • 3. _Die Reflexionen zum ersten Teil der Toten Seelen_ (pag. 436) stammen
  • wahrscheinlich aus dem Jahre 1846.
  • 4. _Das Ende des IX. Kapitels in veränderter Fassung_ (pag. 439) wurde
  • etwa im Jahre 1843 niedergeschrieben.
  • 5. _Die Geschichte vom Hauptmann Kopeikin_: _Variante A_ (pag. 452) ist
  • im August 1841, _Variante B_ (pag. 461), die vom Zensor gestrichen
  • wurde, im November 1841 vollendet. Der Text der vorliegenden deutschen
  • Ausgabe geht auf die russischen Ausgaben von N. S. Tichonrawow und W. I.
  • Schönrock zurück.
  • _Der Herausgeber._
  • * * * * *
  • Druck von Mänicke & Jahn, Rudolstadt.
  • Anmerkungen zur Transkription
  • Die Schreibweise der Buchvorlage wurde weitgehend beibehalten. Auch
  • Variationen in der Transliteration der russischen Namen wurden nicht
  • verändert.
  • Einige Übertragungsfehler wurden ebenfalls unverändert belassen. Auf
  • Seite 194 heißt es »jedes Jahr verlor er ein neues richtiges Stück von
  • seinem Haushalt aus dem Auge«. Tatsächlich steht im Original hier
  • »Hauptteil«, was wohl eher der Formulierung »wichtiges Stück«
  • entsprechen würde. An zwei Stellen im Anhang heißt es »Markronen« oder
  • »Makronen auf den Achselklappen«. Auch dies wurde so beibehalten. Das
  • russische Original hat aber an dieser Stelle »Makkaroni«, was wohl eher
  • die Fransen der Epauletten beschreibt.
  • Offensichtliche Fehler wurden, teilweise unter Zuhilfenahme des
  • russischen Originaltextes, korrigiert wie hier aufgeführt
  • (vorher/nachher):
  • [S. XXXV]:
  • ... und Leibeigenen gesellen. Aber das Gemälde erscheint ...
  • ... und Leibeigene gesellen. Aber das Gemälde erscheint ...
  • [S. 8]:
  • ... denen ein Bretzel oder ein Stiefel, oder eine Paar blaue ...
  • ... denen ein Bretzel oder ein Stiefel, oder ein Paar blaue ...
  • [S. 11]:
  • ... Zum Gouverneuer sagte er wie beiläufig, wenn man in ...
  • ... Zum Gouverneur sagte er wie beiläufig, wenn man in ...
  • [S. 12]:
  • ... wie es sich gehörte. Als Ttschitschikow den Saal betrat, ...
  • ... wie es sich gehörte. Als Tschitschikow den Saal betrat, ...
  • [S. 15]:
  • ... müssig herum; ihre Existenz hat etwas gar zu Leichtes, ...
  • ... müßig herum; ihre Existenz hat etwas gar zu Leichtes, ...
  • [S. 17]:
  • ... »Herzen! Herzchen! Pikentia!« oder »Pieckchen, Piekchen, ...
  • ... »Herzen! Herzchen! Pikentia!« oder »Piekchen, Piekchen, ...
  • [S. 18]:
  • ... mit höflichem Kopfnicken und warmem aufrichtigen ...
  • ... mit höflichem Kopfnicken und warmem aufrichtigem ...
  • [S. 18]:
  • ... nochkommen, sondern halte es sogar für seine heiligste ...
  • ... nachkommen, sondern halte es sogar für seine heiligste ...
  • [S. 19]:
  • ... anfing, gaben der Polizeimeister und Staatsanwalt sehr ...
  • ... anfing, gaben der Polizeimeister und der Staatsanwalt sehr ...
  • [S. 25]:
  • ... also noch am Abend sämliche notwendigen Anordnungen getroffen ...
  • ... also noch am Abend sämtliche notwendigen Anordnungen
  • getroffen ...
  • [S. 29]:
  • ... alten Uniformen unserer Garnisonsoldaten bemerken kann, ...
  • ... alten Uniformen unserer Garnisonssoldaten bemerken kann, ...
  • [S. 42]:
  • ... werden!« ...
  • ... werden?« ...
  • [S. 48]:
  • ... aber er konnte nicht derartiges entdecken, im Gegenteil, ...
  • ... aber er konnte nichts derartiges entdecken, im Gegenteil, ...
  • [S. 53]:
  • ... konnten ...« ...
  • ... könnten ...« ...
  • [S. 55]:
  • ... sagte er: »Wir werden's schon finden,« und Ttschitschikow ...
  • ... sagte er: »Wir werden's schon finden,« und Tschitschikow ...
  • [S. 72]:
  • ... »Das geht vorüber, Mütterchen, achten sie nur nicht ...
  • ... »Das geht vorüber, Mütterchen, achten Sie nur nicht ...
  • [S. 79]:
  • ... noch einen Versuch zu machan, ob es ihm etwa gelänge, ...
  • ... noch einen Versuch zu machen, ob es ihm etwa gelänge, ...
  • [S. 87]:
  • ... »Nicht war, Sie vergessen mich also nicht bei den ...
  • ... »Nicht wahr, Sie vergessen mich also nicht bei den ...
  • [S. 106]:
  • ... »Hm!« dachte Titschikow, »ich könnte ja schließlich ...
  • ... »Hm!« dachte Tschitschikow, »ich könnte ja schließlich ...
  • [S. 118]:
  • ... eine ganze Kollektion besaß: Holz-, Ton- und
  • Merschaumpfeifen, ...
  • ... eine ganze Kollektion besaß: Holz-, Ton- und
  • Meerschaumpfeifen, ...
  • [S. 128]:
  • ... »Nein, nein Bester, ein Glücksspiel verlieren, das ...
  • ... »Nein, mein Bester, ein Glücksspiel verlieren, das ...
  • [S. 135]:
  • ... »Für wen hälst du mich,« sagte Nosdrjow, »glaubst ...
  • ... »Für wen hältst du mich,« sagte Nosdrjow, »glaubst ...
  • [S. 149]:
  • ... erblickte, sagt er kurz: »Ich bitte,« worauf er ihn in die ...
  • ... erblickte, sagte er kurz: »Ich bitte,« worauf er ihn in die ...
  • [S. 157]:
  • ... Hammelbraten,« fuhr er fort, indem er sich an Tschischikow ...
  • ... Hammelbraten,« fuhr er fort, indem er sich an Tschitschikow ...
  • [S. 158]:
  • ... links!« ...
  • ... links?« ...
  • [S. 169]:
  • ... »Also was ist Ihr höchstes Angebot!« sagte Sabakewitsch ...
  • ... »Also was ist Ihr höchstes Angebot?« sagte Sabakewitsch ...
  • [S. 174]:
  • ... Wohnhause vorüber zu kommen.« ...
  • ... Wohnhause vorüber zu kommen?« ...
  • [S. 176]:
  • ... klingt uns aus dem Worte der Britanniers ...
  • ... klingt uns aus dem Worte des Britanniers ...
  • [S. 176]:
  • ... schlau ersinnt sein nicht leichtfaßlich dürres Räselwort ...
  • ... schlau ersinnt sein nicht leichtfaßlich dürres Rätselwort ...
  • [S. 195]:
  • ... und zu konzentieren liebt, und eine solche Erscheinung ...
  • ... und zu konzentrieren liebt, und eine solche Erscheinung ...
  • [S. 196]:
  • ... den Anblick seines Wirtes uud der ganzen seltsamen ...
  • ... den Anblick seines Wirtes und der ganzen seltsamen ...
  • [S. 199]:
  • ... eine solche Kälte und Teilnahmlosigkeit gegen fremdes ...
  • ... eine solche Kälte und Teilnahmslosigkeit gegen fremdes ...
  • [S. 210]:
  • ... flüchtige Bauern brauchen könnte!« ...
  • ... flüchtige Bauern brauchen könnte?« ...
  • [S. 212]:
  • ... Frage erinnerte jenen daran, das es in der Tat zwecklos ...
  • ... Frage erinnerte jenen daran, daß es in der Tat zwecklos ...
  • [S. 213]:
  • ... »Wollen Sie denn keinen Tee.« ...
  • ... »Wollen Sie denn keinen Tee?« ...
  • [S. 233]:
  • ... freundlicheres und angenehmeres Äußere an. Themis ...
  • ... freundlicheres und angenehmeres Äußeres an. Themis ...
  • [S. 244]:
  • ... es doch lauter nützliche Leute und Handwerker seinen, die ...
  • ... es doch lauter nützliche Leute und Handwerker seien, die ...
  • [S. 245]:
  • ... Iwan Antonowitsch erledigt alles gewandt und sicher, die ...
  • ... Iwan Antonowitsch erledigte alles gewandt und sicher, die ...
  • [S. 251]:
  • ... verheiraten. Nicht war, Iwan Grigorjewitsch, wir verschaffen ...
  • ... verheiraten. Nicht wahr, Iwan Grigorjewitsch, wir verschaffen ...
  • [S. 256]:
  • ... Alexei Iwanowitsch, ich bin durchaus nicht ihrer Ansicht, ...
  • ... Alexei Iwanowitsch, ich bin durchaus nicht Ihrer Ansicht, ...
  • [S. 280]:
  • ... Feinheit und Zärtlichkeit atmeten. »Dürften wir arme ...
  • ... Feinheit und Zärtlichkeit atmeten. »Dürften wir armen ...
  • [S. 306]:
  • ... nichtwürdiger Mensch; ein nichtswürdiger, nichtswürdiger ...
  • ... nichtswürdiger Mensch; ein nichtswürdiger, nichtswürdiger ...
  • [S. 309]:
  • ... »Nein, aber denken Sie sich blos in meine Lage ...
  • ... »Nein, aber denken Sie sich bloß in meine Lage ...
  • [S. 309]:
  • ... ich das hörte!« Und jetzt,« sagt Karobotschka, »weiß ...
  • ... ich das hörte!»Und jetzt,« sagt Karobotschka, »weiß ...
  • [S. 310]:
  • ... daher schwieg sie. Sie konnte sich blos über die Dinge ...
  • ... daher schwieg sie. Sie konnte sich bloß über die Dinge ...
  • [S. 311]:
  • ... in einen geronnenen Augenblick in ein Pulverfaß zu ...
  • ... in einem geronnenen Augenblick in ein Pulverfaß zu ...
  • [S. 313]:
  • ... sie auch nur ein bischen, ein Fünkchen, auch nur einen ...
  • ... sie auch nur ein bißchen, ein Fünkchen, auch nur einen ...
  • [S. 318]:
  • ... demselben Fleck, blinzelte mit dem linken Augenlied, staubte ...
  • ... demselben Fleck, blinzelte mit dem linken Augenlid, staubte ...
  • [S. 335]:
  • ... günstig ist, irgend welche Wohltätigkeit-, Hilfs- und ...
  • ... günstig ist, irgend welche Wohltätigkeits-, Hilfs- und ...
  • [S. 336]:
  • ... und gesinnungstüchtiges Äußere besitze, aber auch in ...
  • ... und gesinnungstüchtiges Äußeres besitze, aber auch in ...
  • [S. 338]: (mehrfache Fälle)
  • ... meinen Unterhalt.< Da beschloß denn mein Hauptman Kopeikin, ...
  • ... meinen Unterhalt.< Da beschloß denn mein Hauptmann Kopeikin, ...
  • [S. 339]:
  • ... oder einem statlichen Transportwagen nach der Hauptstadt, ...
  • ... oder einem staatlichen Transportwagen nach der Hauptstadt, ...
  • [S. 348]:
  • ... aber andererseis auch wiederum nicht allzu dünn gewesen ...
  • ... aber andererseits auch wiederum nicht allzu dünn gewesen ...
  • [S. 348]:
  • ... um so seltsamer ist, da die Stadt nicht irgenwo abseits ...
  • ... um so seltsamer ist, da die Stadt nicht irgendwo abseits ...
  • [S. 364]:
  • ... Offen gestanden, Sie haben Furcht vor dem neuen ...
  • ... Offen gestanden, sie haben Furcht vor dem neuen ...
  • [S. 370]:
  • ... In zwei Stunden muß alles fertig sein, Verstanden? ...
  • ... In zwei Stunden muß alles fertig sein, verstanden? ...
  • [S. 370]:
  • ... »Esel! Wenn es mir paßt, dann verkaufe ich ihm schon ...
  • ... »Esel! Wenn es mir paßt, dann verkaufe ich ihn schon ...
  • [S. 377]:
  • ... tief mein Inneres erschüttet mit all seinen Schrecken; ...
  • ... tief mein Inneres erschüttert mit all seinen Schrecken; ...
  • [S. 378]:
  • ... und schon durchströmmt uns behagliche Wärme. Die ...
  • ... und schon durchströmt uns behagliche Wärme. Die ...
  • [S. 378]:
  • ... -- was kümmert's dich, O, welche Nacht! ...
  • ... -- was kümmert's dich, o, welche Nacht! ...
  • [S. 383]:
  • ... die sich immer dann vernehmen ließ, wenn das Kind,
  • angewiedert ...
  • ... die sich immer dann vernehmen ließ, wenn das Kind, angewidert ...
  • [S. 388]:
  • ... wo ich dagegen jenem bösen Geist des Widerspruches ...
  • ... wo ich dagegen jenen bösen Geist des Widerspruches ...
  • [S. 390]:
  • ... angegriffen, die er beschlossen hätte, nie auszugeben; mit ...
  • ... angegriffen, die er beschlossen hatte, nie auszugeben; mit ...
  • [S. 392]:
  • ... wohlgepflegtes Äußere zu bewahren, sich anständig zu kleiden, ...
  • ... wohlgepflegtes Äußeres zu bewahren, sich anständig zu
  • kleiden, ...
  • [S. 400]:
  • ... überall, wo sie dergleichen sie antrafen, verfolgten sie es,
  • so ...
  • ... überall, wo sie dergleichen antrafen, verfolgten sie es, so ...
  • [S. 401]:
  • ... Mitleid appellierte und ihm in glühenden Farben das ...
  • ... Mitleid apellierte und ihm in glühenden Farben das ...
  • [S. 408]:
  • ... draufgegangen; für diese Dinge hatten sich andre Liebehaber ...
  • ... draufgegangen; für diese Dinge hatten sich andre Liebhaber ...
  • [S. 411]:
  • ... Beruf, der sich bei uns noch nicht das Bügerrecht erkämpft ...
  • ... Beruf, der sich bei uns noch nicht das Bürgerrecht erkämpft ...
  • [S. 413]:
  • ... gottlob nicht wenigen das Leben gekostet! Die Gutsbesitzer ...
  • ... gottlob nicht wenige das Leben gekostet! Die Gutsbesitzer ...
  • [S. 425]:
  • ... machen kräftigen Puff empfing. Seliphan wurde ...
  • ... manchen kräftigen Puff empfing. Seliphan wurde ...
  • [S. 460]:
  • ... er; >ich habe sozusagen mein Blut vergossen und
  • gewissermassen ...
  • ... er; >ich habe sozusagen mein Blut vergossen und gewissermaßen ...
  • [S. 460]:
  • ... sagt er, >Sie sind unschuldig, denn ich habe Sie sozusagen ...
  • ... sagt er, >sie sind unschuldig, denn ich habe sie sozusagen ...
  • [S. 460]:
  • ... können Sie sich denken, gewissermaßen für Sie gesorgt ...
  • ... können Sie sich denken, gewissermaßen für sie gesorgt ...
  • [S. 460]:
  • ... werde ..< mit einem Wort, der Brief war außerordentlich ...
  • ... werde ..< Mit einem Wort, der Brief war außerordentlich ...
  • [S. 460]:
  • ... gründen, daß sich ausschließlich mit der Fürsorge um ...
  • ... gründen, das sich ausschließlich mit der Fürsorge um ...
  • [S. 461]:
  • ... in einem Gepäckwagen oder einem stattlichen Transportwagen ...
  • ... in einem Gepäckwagen oder einem staatlichen Transportwagen ...
  • [S. 463]:
  • ... in der Hand und einem Battisikragen, Teufel auch, wie ...
  • ... in der Hand und einem Battistkragen, Teufel auch, wie ...
  • [S. 464]:
  • ... Wort, die ganze Generalität sozuzagen. Plötzlich geht ...
  • ... Wort, die ganze Generalität sozusagen. Plötzlich geht ...
  • End of the Project Gutenberg EBook of Sämmtliche Werke 1: Die Toten Seelen I, by
  • Nikolaj Gogol
  • *** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK SÄMMTLICHE WERKE 1: DIE ***
  • ***** This file should be named 54262-8.txt or 54262-8.zip *****
  • This and all associated files of various formats will be found in:
  • http://www.gutenberg.org/5/4/2/6/54262/
  • Produced by Jens Sadowski and the Online Distributed
  • Proofreading Team at http://www.pgdp.net. This book was
  • produced from images made available by the HathiTrust
  • Digital Library.
  • Updated editions will replace the previous one--the old editions will
  • be renamed.
  • Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright
  • law means that no one owns a United States copyright in these works,
  • so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United
  • States without permission and without paying copyright
  • royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part
  • of this license, apply to copying and distributing Project
  • Gutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tm
  • concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark,
  • and may not be used if you charge for the eBooks, unless you receive
  • specific permission. If you do not charge anything for copies of this
  • eBook, complying with the rules is very easy. You may use this eBook
  • for nearly any purpose such as creation of derivative works, reports,
  • performances and research. They may be modified and printed and given
  • away--you may do practically ANYTHING in the United States with eBooks
  • not protected by U.S. copyright law. Redistribution is subject to the
  • trademark license, especially commercial redistribution.
  • START: FULL LICENSE
  • THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE
  • PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK
  • To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free
  • distribution of electronic works, by using or distributing this work
  • (or any other work associated in any way with the phrase "Project
  • Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full
  • Project Gutenberg-tm License available with this file or online at
  • www.gutenberg.org/license.
  • Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project
  • Gutenberg-tm electronic works
  • 1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm
  • electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to
  • and accept all the terms of this license and intellectual property
  • (trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all
  • the terms of this agreement, you must cease using and return or
  • destroy all copies of Project Gutenberg-tm electronic works in your
  • possession. If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a
  • Project Gutenberg-tm electronic work and you do not agree to be bound
  • by the terms of this agreement, you may obtain a refund from the
  • person or entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph
  • 1.E.8.
  • 1.B. "Project Gutenberg" is a registered trademark. It may only be
  • used on or associated in any way with an electronic work by people who
  • agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few
  • things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works
  • even without complying with the full terms of this agreement. See
  • paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project
  • Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this
  • agreement and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm
  • electronic works. See paragraph 1.E below.
  • 1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the
  • Foundation" or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection
  • of Project Gutenberg-tm electronic works. Nearly all the individual
  • works in the collection are in the public domain in the United
  • States. If an individual work is unprotected by copyright law in the
  • United States and you are located in the United States, we do not
  • claim a right to prevent you from copying, distributing, performing,
  • displaying or creating derivative works based on the work as long as
  • all references to Project Gutenberg are removed. Of course, we hope
  • that you will support the Project Gutenberg-tm mission of promoting
  • free access to electronic works by freely sharing Project Gutenberg-tm
  • works in compliance with the terms of this agreement for keeping the
  • Project Gutenberg-tm name associated with the work. You can easily
  • comply with the terms of this agreement by keeping this work in the
  • same format with its attached full Project Gutenberg-tm License when
  • you share it without charge with others.
  • 1.D. The copyright laws of the place where you are located also govern
  • what you can do with this work. Copyright laws in most countries are
  • in a constant state of change. If you are outside the United States,
  • check the laws of your country in addition to the terms of this
  • agreement before downloading, copying, displaying, performing,
  • distributing or creating derivative works based on this work or any
  • other Project Gutenberg-tm work. The Foundation makes no
  • representations concerning the copyright status of any work in any
  • country outside the United States.
  • 1.E. Unless you have removed all references to Project Gutenberg:
  • 1.E.1. The following sentence, with active links to, or other
  • immediate access to, the full Project Gutenberg-tm License must appear
  • prominently whenever any copy of a Project Gutenberg-tm work (any work
  • on which the phrase "Project Gutenberg" appears, or with which the
  • phrase "Project Gutenberg" is associated) is accessed, displayed,
  • performed, viewed, copied or distributed:
  • This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and
  • most other parts of the world at no cost and with almost no
  • restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it
  • under the terms of the Project Gutenberg License included with this
  • eBook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the
  • United States, you'll have to check the laws of the country where you
  • are located before using this ebook.
  • 1.E.2. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is
  • derived from texts not protected by U.S. copyright law (does not
  • contain a notice indicating that it is posted with permission of the
  • copyright holder), the work can be copied and distributed to anyone in
  • the United States without paying any fees or charges. If you are
  • redistributing or providing access to a work with the phrase "Project
  • Gutenberg" associated with or appearing on the work, you must comply
  • either with the requirements of paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 or
  • obtain permission for the use of the work and the Project Gutenberg-tm
  • trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or 1.E.9.
  • 1.E.3. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is posted
  • with the permission of the copyright holder, your use and distribution
  • must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any
  • additional terms imposed by the copyright holder. Additional terms
  • will be linked to the Project Gutenberg-tm License for all works
  • posted with the permission of the copyright holder found at the
  • beginning of this work.
  • 1.E.4. Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg-tm
  • License terms from this work, or any files containing a part of this
  • work or any other work associated with Project Gutenberg-tm.
  • 1.E.5. Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this
  • electronic work, or any part of this electronic work, without
  • prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with
  • active links or immediate access to the full terms of the Project
  • Gutenberg-tm License.
  • 1.E.6. You may convert to and distribute this work in any binary,
  • compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including
  • any word processing or hypertext form. However, if you provide access
  • to or distribute copies of a Project Gutenberg-tm work in a format
  • other than "Plain Vanilla ASCII" or other format used in the official
  • version posted on the official Project Gutenberg-tm web site
  • (www.gutenberg.org), you must, at no additional cost, fee or expense
  • to the user, provide a copy, a means of exporting a copy, or a means
  • of obtaining a copy upon request, of the work in its original "Plain
  • Vanilla ASCII" or other form. Any alternate format must include the
  • full Project Gutenberg-tm License as specified in paragraph 1.E.1.
  • 1.E.7. Do not charge a fee for access to, viewing, displaying,
  • performing, copying or distributing any Project Gutenberg-tm works
  • unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9.
  • 1.E.8. You may charge a reasonable fee for copies of or providing
  • access to or distributing Project Gutenberg-tm electronic works
  • provided that
  • * You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from
  • the use of Project Gutenberg-tm works calculated using the method
  • you already use to calculate your applicable taxes. The fee is owed
  • to the owner of the Project Gutenberg-tm trademark, but he has
  • agreed to donate royalties under this paragraph to the Project
  • Gutenberg Literary Archive Foundation. Royalty payments must be paid
  • within 60 days following each date on which you prepare (or are
  • legally required to prepare) your periodic tax returns. Royalty
  • payments should be clearly marked as such and sent to the Project
  • Gutenberg Literary Archive Foundation at the address specified in
  • Section 4, "Information about donations to the Project Gutenberg
  • Literary Archive Foundation."
  • * You provide a full refund of any money paid by a user who notifies
  • you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he
  • does not agree to the terms of the full Project Gutenberg-tm
  • License. You must require such a user to return or destroy all
  • copies of the works possessed in a physical medium and discontinue
  • all use of and all access to other copies of Project Gutenberg-tm
  • works.
  • * You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of
  • any money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the
  • electronic work is discovered and reported to you within 90 days of
  • receipt of the work.
  • * You comply with all other terms of this agreement for free
  • distribution of Project Gutenberg-tm works.
  • 1.E.9. If you wish to charge a fee or distribute a Project
  • Gutenberg-tm electronic work or group of works on different terms than
  • are set forth in this agreement, you must obtain permission in writing
  • from both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and The
  • Project Gutenberg Trademark LLC, the owner of the Project Gutenberg-tm
  • trademark. Contact the Foundation as set forth in Section 3 below.
  • 1.F.
  • 1.F.1. Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable
  • effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread
  • works not protected by U.S. copyright law in creating the Project
  • Gutenberg-tm collection. Despite these efforts, Project Gutenberg-tm
  • electronic works, and the medium on which they may be stored, may
  • contain "Defects," such as, but not limited to, incomplete, inaccurate
  • or corrupt data, transcription errors, a copyright or other
  • intellectual property infringement, a defective or damaged disk or
  • other medium, a computer virus, or computer codes that damage or
  • cannot be read by your equipment.
  • 1.F.2. LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the "Right
  • of Replacement or Refund" described in paragraph 1.F.3, the Project
  • Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project
  • Gutenberg-tm trademark, and any other party distributing a Project
  • Gutenberg-tm electronic work under this agreement, disclaim all
  • liability to you for damages, costs and expenses, including legal
  • fees. YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT
  • LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE
  • PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3. YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE
  • TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE
  • LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR
  • INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH
  • DAMAGE.
  • 1.F.3. LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a
  • defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can
  • receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a
  • written explanation to the person you received the work from. If you
  • received the work on a physical medium, you must return the medium
  • with your written explanation. The person or entity that provided you
  • with the defective work may elect to provide a replacement copy in
  • lieu of a refund. If you received the work electronically, the person
  • or entity providing it to you may choose to give you a second
  • opportunity to receive the work electronically in lieu of a refund. If
  • the second copy is also defective, you may demand a refund in writing
  • without further opportunities to fix the problem.
  • 1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth
  • in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS', WITH NO
  • OTHER WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT
  • LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.
  • 1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied
  • warranties or the exclusion or limitation of certain types of
  • damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement
  • violates the law of the state applicable to this agreement, the
  • agreement shall be interpreted to make the maximum disclaimer or
  • limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or
  • unenforceability of any provision of this agreement shall not void the
  • remaining provisions.
  • 1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
  • trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
  • providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in
  • accordance with this agreement, and any volunteers associated with the
  • production, promotion and distribution of Project Gutenberg-tm
  • electronic works, harmless from all liability, costs and expenses,
  • including legal fees, that arise directly or indirectly from any of
  • the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this
  • or any Project Gutenberg-tm work, (b) alteration, modification, or
  • additions or deletions to any Project Gutenberg-tm work, and (c) any
  • Defect you cause.
  • Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm
  • Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
  • electronic works in formats readable by the widest variety of
  • computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
  • exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
  • from people in all walks of life.
  • Volunteers and financial support to provide volunteers with the
  • assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
  • goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
  • remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
  • Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
  • and permanent future for Project Gutenberg-tm and future
  • generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
  • Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
  • Sections 3 and 4 and the Foundation information page at
  • www.gutenberg.org
  • Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
  • The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
  • 501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
  • state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
  • Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
  • number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
  • Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
  • U.S. federal laws and your state's laws.
  • The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the
  • mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its
  • volunteers and employees are scattered throughout numerous
  • locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt
  • Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to
  • date contact information can be found at the Foundation's web site and
  • official page at www.gutenberg.org/contact
  • For additional contact information:
  • Dr. Gregory B. Newby
  • Chief Executive and Director
  • gbnewby@pglaf.org
  • Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
  • Literary Archive Foundation
  • Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
  • spread public support and donations to carry out its mission of
  • increasing the number of public domain and licensed works that can be
  • freely distributed in machine readable form accessible by the widest
  • array of equipment including outdated equipment. Many small donations
  • ($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
  • status with the IRS.
  • The Foundation is committed to complying with the laws regulating
  • charities and charitable donations in all 50 states of the United
  • States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
  • considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
  • with these requirements. We do not solicit donations in locations
  • where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
  • DONATIONS or determine the status of compliance for any particular
  • state visit www.gutenberg.org/donate
  • While we cannot and do not solicit contributions from states where we
  • have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
  • against accepting unsolicited donations from donors in such states who
  • approach us with offers to donate.
  • International donations are gratefully accepted, but we cannot make
  • any statements concerning tax treatment of donations received from
  • outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.
  • Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
  • methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
  • ways including checks, online payments and credit card donations. To
  • donate, please visit: www.gutenberg.org/donate
  • Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works.
  • Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
  • Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be
  • freely shared with anyone. For forty years, he produced and
  • distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of
  • volunteer support.
  • Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
  • editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
  • the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
  • necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper
  • edition.
  • Most people start at our Web site which has the main PG search
  • facility: www.gutenberg.org
  • This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
  • including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
  • Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
  • subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.